Zwischen Intuition und Ratio: Pole des Bildnerischen Denkens bei Kandinsky, Klee und Beuys 3515067248, 9783515067249

Die epochemachenden Maler Kandinsky, Klee und der Universalkünstler Beuys flankieren in einem Parallelprozeß ihr bildner

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German Pages 319 [321] Year 1996

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Teil I Einleitung Die Exposition der Frage nach dem Sinn der Künstlertheorie
1. Bildnerisches Denken und denkerisches Bilden – Eine erste Annäherung
2. Kunst und Leben – Der Erweiterte Kunstbegriff
3. Die Begriffe Intuition und Ratio, Natur und Welt, Selbst und Gott als Kategorien einer künftigen Kunstgeschichte
4. Zitieren als Nach-Denken – Denken als skulpturaler Prozeß
5. Kunst und Wissenschaft
6. Bild und Sprache – Das Wesen der Kunst als Dichtung
7. Der denkende Künstler – Ein „Ideologe“?
Exkurs: Hitlers Verbalinjurien gegen die moderne Kunst und seine Angriffe auf den denkenden und schreibenden Künstler
Teil II Intuition und Ratio Natur und Welt – Selbst und Gott
1. Künstlertheorie als Ersatz der Ikonographie? – Das Bildnerische Denken als Anweisung zum Sehen und Verstehen der modernen Kunst
2. Ist die moderne Kunst „kommentarbedürftig“?
3. Die Freiheit der Kunst und das Prinzip der inneren Notwendigkeit
4. Schönheit – Wahrheit – Freiheit
5. Das Bildnerische Denken als integrierender Bestandteil der Kunst
6. Bild und Erkenntnis – Bildnerisches Denken vermehrt die Erkenntnis der Welt
7. Konzeptionelle Malerei als visuelle Realitätserkenntnis – Visuelle Identität
8. Die Soziale Plastik als unsichtbares Kunstwerk – Der Erweiterte Kunstbegriff als eine Figuration des Denkens
9. Theorie und Praxis, Begriff und Imagination als Parallelprozeß – Visible und invisible Einheit
10. Klee und Beuys – Eine Wunde, die man zeigt, kann geheilt werden
11. Farbe und Bild – Die Einheit von Anschauung und Begriff
12. Die Welt klingt – Romantik oder das „Zwischen“-Spiel Gottes
13. Alles menschliche Wissen stammt aus der Kunst – Materie und Geist als komplementäre Einheit
14. Wachstum regt sich – Bewegung liegt allem Werden zugrunde
15. Wege des Naturstudiums – Zwiesprache mit der Natur
16. Vom Chaos zum Kosmos – Vom Graupunkt zum Kanon der farbigen Totalität
17. Licht und Finsternis als Pole der natürlichen und künstlichen Ordnung – Der Künstler ahmt im Spiel den Kräften nach, die die Welt erschaffen
18. Welt und Selbst als fundamentale Wesenheiten der Kunst – Die künstlerische Welt ist Funktion der Selbstwerdung des Ich
19. Der Künstler als Kreator – Die Gottebenbildlichkeit des Künstlers auf dem Zeitband der Geschichte
20. Von der Lebenskunst zur Kunst-Wissenschaft – Ein Erweiterter Kunstbegriff fordert einen erweiterten Wissenschaftsbegriff
21. Intuition als Anschauende Urteilskraft – Zur Aktualität des Deutschen Idealismus für das Bildnerische Denken
22. Bewegung als die unendliche Kraft – Der Christusimpuls / Das Bewegungselement – Die Christuskraft
23. Die elementare Lehre vom Schöpferischen und die Plastische Theorie – Durch das Bewegungsprinzip zur Wärmeplastik
Nachwort
Literaturverzeichnis
Abbildungen
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Zwischen Intuition und Ratio: Pole des Bildnerischen Denkens bei Kandinsky, Klee und Beuys
 3515067248, 9783515067249

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Matthias Bunge

Zwischen Intuition und Ratio

Pole des Bildnerischen Denkens bei Kandinsky, Klee und Beuys

Franz Steiner Verlag Stuttgart

Matthias Bunge

Zwischen Intuition undRatio

Matthias

Bunge

Zwischen Intuition und

Ratio

Pole des Bildnerischen Denkens bei Kandinsky, Klee undBeuys

Franz Steiner Verlag Stuttgart 1996

Der Text dieses Buches ist eine überarbeitete Fassung der Habilitationsschrift, die vonder Philosophisch-Pädagogischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt 1993 angenommen wurde. Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- undBeihilfefonds Wissenschaft der VG Wort.

Die Deutsche Bibliothek –CIP-Einheitsaufnahme Bunge, Matthias: Zwischen Intuition undRatio: Pole desbildnerischen Denkens bei Kandinsky, Klee undBeuys / Matthias Bunge. –Stuttgart: Steiner, 1996

ISBN 3-515-06724-8

ISO 9706

Jede Verwertung desWerkes außerhalb derGrenzen desUrheberrechtsgesetzes istunzulässig undstrafbar. Dies gilt insbesondere fürÜbersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie fürdieSpeicherung inDatenverarbeitungsanlagen. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. © 1996 by Franz Steiner Verlag Stuttgart. Druck: Druckerei Proff, Eurasburg. Printed in Germany

Undmansollte sich keine Grenzen stellen, dasie ohnehin gestellt sind. Dasgilt nicht nurfürdenAbsender (Künstler) sondern auch fürdenEmpfänger (Beschauer). Er kannund mußdemKünstler folgen, undkeine Angst sollte er haben, daßer aufIrrwege geleitet wird. Wassily Kandinsky

Inhaltsverzeichnis 9

Vorwort

Teil I Einleitung

DieExposition derFrage nachdemSinn derKünstlertheorie

1.

Bildnerisches Denken unddenkerisches Bilden – Eine erste Annäherung

2.

Kunst

23

undLeben –DerErweiterte Kunstbegriff

26

3. DieBegriffe Intuition undRatio, Natur undWelt, Selbst undGott als Kategorien einer künftigen Kunstgeschichte

alsNach-Denken –Denken als skulpturaler Prozeß

4.

Zitieren

5.

Kunst undWissenschaft

6. Bild undSprache –Das Wesen der Kunst als Dichtung

7. Derdenkende

Künstler

38

51 55 62

–Ein „Ideologe“ ?

64

Exkurs: Hitlers Verbalinjurien gegen die moderne Kunst undseine Angriffe aufdendenkenden undschreibenden Künstler

68

Teil II

undRatio undWelt –Selbst undGott Intuition

Natur

1.

Künstlertheorie als Ersatz derIkonographie? –DasBildnerische Denken als Anweisung zumSehen undVerstehen dermodernen Kunst

2. Ist diemoderne

? kommentarbedürftig“ Kunst „

73 80

3. DieFreiheit derKunst unddasPrinzip derinneren Notwendigkeit

85

4. Schönheit –Wahrheit –Freiheit

100

5. DasBildnerische

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Denken

als integrierender Bestandteil derKunst

6. Bild undErkenntnis –Bildnerisches

Denken vermehrt

dieErkenntnis 121

derWelt

7.

Konzeptionelle Malerei als visuelle Realitätserkenntnis Visuelle Identität

– 132

8

Inhaltsverzeichnis

8. Die Soziale Plastik als unsichtbares Kunstwerk –DerErweiterte Kunstbegriff alseine Figuration desDenkens

140

9. Theorie undPraxis, Begriff undImagination als Parallelprozeß –

151

Visible undinvisible Einheit

10. Klee undBeuys –Eine Wunde, diemanzeigt, kanngeheilt werden

159

11. Farbe undBild–DieEinheit vonAnschauung undBegriff

170

12. Die Welt klingt –Romantik oder das „Zwischen“ -Spiel Gottes

179

13. Alles menschliche Wissen stammt ausderKunst –Materie undGeist als komplementäre Einheit

184

14. Wachstum regt sich –Bewegung liegt allem Werden zugrunde

192

15. Wege desNaturstudiums –Zwiesprache mitderNatur

200

16. VomChaos zumKosmos –VomGraupunkt zumKanon derfarbigen 206

Totalität

17. Licht undFinsternis als Pole dernatürlichen undkünstlichen Ordnung – 210 DerKünstler ahmtimSpiel denKräften nach, diedieWelt erschaffen

18. Welt undSelbst als fundamentale Wesenheiten derKunst –

Die künstlerische Welt ist Funktion der Selbstwerdung des Ich

217

19. Der Künstler als Kreator –Die Gottebenbildlichkeit des Künstlers aufdemZeitband derGeschichte

226

20. VonderLebenskunst zurKunst-Wissenschaft –EinErweiterter

237

Kunstbegriff fordert einen erweiterten Wissenschaftsbegriff

21. Intuition als Anschauende Urteilskraft –Zur Aktualität des Deutschen Idealismus fürdasBildnerische Denken

246

22. Bewegung als dieunendliche Kraft –DerChristusimpuls / DasBewegungselement –DieChristuskraft

258

23. Dieelementare

Lehre vomSchöpferischen unddiePlastische Theorie Durch dasBewegungsprinzip zurWärmeplastik



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Nachwort

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Literaturverzeichnis

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Abbildungen

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Vorwort Solange es Kunst gibt, lassen sich Künstler nicht abhalten, über Kunst nachzudenken. So liegen uns für die Antike die greifbaren Zeugnisse in Polyklets „Kanon“ undin Vitruvs „ DeArchitectura“vor. Mit demBeginn derRenaissance in Italien treten vermehrt Künstlertraktate auf, die sich mit allen Gattungen der Bildenden Kunst beschäftigen unddieüber diespeziellen Probleme vonMalerei, Plastik und Architektur hinaus auch schon dasWesen derKunst, ihre Stellung zwischen Religion undWissenschaft unddie Persönlichkeit desKünstlers in denBlick nehmen. Von Cennini über Alberti, Leonardo, Cellini undDürer bis Vasari, umnur die berühmtesten Namen zu nennen, läßt sich eine umfängliche Liste von Künstlerschriften erstellen. Methode, Zielsetzung, Gegenstand undStil dieser Texte von bildenden Künstlern sind divergent, doch haben sie einen entscheidenden gemeinsamen Nenner, sie entspringen demBewußtsein despraktizierenden Künstlers und sie kreisen, wieauchimmer, umdasPhänomen Kunst.

Gleich, ob die Künstlertexte einen biographischen, topographischen, kunsttheoretischen oder kunsttechnischen Charakter aufweisen, gleich, ob sie mehr theorie- oder praxisorientiert sind oder beides miteinander verflechten, wasfür die Folgezeit vorbildlich geblieben ist, sie haben bei allen Unterschieden einen gemeinsamen fundamentalen Erkenntniswert für die Kunstwissenschaft. Sie gewähren Aufschluß über das künstlerische Denken selbst underlauben uns, einen Blick in die innere Werkstatt des Künstlers zu werfen. Direkt nach densichtbaren Kunstwerken alsdenPrimärquellen kunsthistorischer Forschung kommt daher denKünstlertheorien, unter denSekundärquellen literarischer Artderhöchste Rang zu. WasinderZeit derRenaissance grundgelegt ist, daßder, sich seiner Schöpferkraft bewußte Künstler, neben seiner bildnerisch-praktischen Tätigkeit in einem Parallelprozeß auch theoretisch produktiv ist, dauert bis in dieGegenwart an.Von Palladio bis Schinkel theoretisieren Architekten; Andrea Pozzo schreibt ein PerMospektivtraktat, Rubens entwirft eine Farbenlehre undPoussin denkt über das„ dus“ -Problem in derMalerei nach. Im 19. Jahrhundert werden die Künstlertheorien und-texte zahlreich undvielfältig. Auch hier seien nur Stichworte genannt: Zu Beginn desJahrhunderts verfaßt Ph.O.Runge eine nicht unbedeutende Farbenlehre, inderJahrhundertmitte schreibt Delacroix erkenntnisreiche Tagebücher undmit vanGoghs Briefen, die für das Verständnis seiner Malerei unverzichtbar sind, ist längst dasVorspiel derModerne erreicht. Dieschriftlichen Zeugnisse vonGauguin, Seurat, Signac undschließlich Cézanne leiten endgültig ins20. Jahrhundert über. Soweit dieser kursorische Anriß einer Geschichte derKünstlertheorien, die im übrigen noch nicht geschrieben ist. Nur Ansätze liegen vor, ja nicht einmal der Begriff „Künstlertheorie“hat als eigenes Stichwort Einzug in die einschlägigen Lexika gehalten, sondern wird, wennüberhaupt, unter demRubrum „Kunsttheorie“ abgelegt. Die skizzenartig geschilderte Künstlertheoriegeschichte gipfelt jedenfalls in unserem Jahrhundert in einer wahren Flut von schriftlichen Künstlerdokumenten

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Vorwort

jeder Artauf.1 DasSpektrum reicht inhaltlich nach wievorvonArchitekturtraktatenüber Bildhauertheorien bis zuMalertheorien, deräußeren Form nach erstreckt es sich von Notizen, Tagebüchern, Briefen, Biographien, Reden, Interviewproto-

kollen, Zeitungsartikeln, Aufsätzen bishinzuMonographien undLehrbüchern. Der Intention nach kann man Programme und Manifeste, Protest oder Bekenntnis, Aufruf, Standortbestimmung, Lehre, utopischer Entwurf, Gruppenproklamation undEinzeläußerung unterscheiden. Eingemeinsamer Zugjedoch verbindet diese unterschiedliche Fülle vonDokumenten, sie dienen derSelbstvergewisserung desKünstlers, dersich eine Begründung fürsein Tunselbst geben muß–derdieSinnfundierung seines Künstlerseins selbst reflexiv leisten muß–undsie dienen, damit zusammenhängend, derSelbstverteidigung desKünstlers, dernicht mehrgewillt ist, sich vonKritikern als „ Idiot“ vorführen zulassen. Es sei daran erinnert, daßeinbesonders „ feinsinniger“Kritiker Kandinskys abstrakte Malerei mit dem„ Stilbegriff“ „ Idiotismus“lächerlich machen wollte. Erst vor diesem Hintergrund wird die apodiktische Äußerung Theo vanDoesburgs verständlich: „ Dermoderne Künstler will keinen Vermittler. Erwill sichunmittelbar mitseinem WerkandasPublikum wenden. Versteht dasPublikum 2 ihnnicht, ist es seine Angelegenheit, Erklärungen zugeben.“ Deutlicher ist der Unmut über das ihnen entgegengebrachte Unverständnis selten vonKünstlern artikuliert worden. Daraus jedoch denSchluß zuziehen, die Künstler seien generell gegen Kritiker und Kunsthistoriker oder wollten keine Vermittler mehr, ist irrig. Kandinsky und Klee haben „ ihren“Kunsthistoriker – Will Grohmann –sehr geschätzt, weil sie sich von ihm verstanden fühlten.3 Das trifft auch auf dasVerhältnis vonJoseph Beuys zuHans undFranz Joseph vander Grinten zu.Weil bis heute eine zumTeil latente undzumTeil offene Feindlichkeit gegen avantgardistische Kunst präsent ist, ist derVermittler zwischen Künstler und Publikum nötiger denn je. Doch nicht alles besser wissende, nörgelnde Kritiker sind gefragt, sondern Verständnis fördernde „ Vermittler“ .

1

2 3

DieSchriften dergenannten Künstler sindnachgewiesen in: Heinrich Lützeler: Kunsterfahrung undKunstwissenschaft. Systematische undentwicklungsgeschichtliche Darstellung undDokumentation des Umgangs mit derBildenden Kunst, 3 Bde., Freiburg/München 1975, S. 1583– 479. (= Lützeler: Kunsterfahrung 1599. Siehe auch: Dritter Teil: Künstler über Kunst, S. 383– undKunstwissenschaft). Julius von Schlosser: Ein Handbuch zurQuellenkunde der neueren Kunstgeschichte, Wien 1924. Lorenz Dittmann: Farbgestaltung undFarbtheorie in derabendländischen Malerei. Eine Einführung, Darmstadt 1987. Hanno-Walter Kruft: Geschichte der Architekturtheorie. VonderAntike bis zurGegenwart, München 1985. Walter Hess: Dokumente zumVerständnis dermodernen Malerei, Hamburg 1956. (= Hess: Dokumente). Eduard Trier: Bildhauertheorien im 20. Jahrhundert. Neuausgabe, Berlin 1992. (= Trier: Bildhauer1940, Propyläen Kunstgetheorien). Giulio Carlo Argan: DieKunst des20. Jahrhunderts 1880– schichte, Sonderausgabe, Frankfurt a.M./Berlin, 1990, S. 67 ff, Programme undManifeste, zusammengestellt vonHans-Georg Puchert. (= Argan: 20. Jahrhundert). Theo vanDoesburg: Grundbegriffe derneuen gestaltenden Kunst, NeueBauhausbücher, hrsg. von Hans M. Wingler, Mainz 1966. (Reprint der Bauhausbücher, Bd. 6, 1925), S. 9. (= Doesburg: Grundbegriffe). Siehe Karl Gutbrod (Hrsg): Künstler schreiben anWill Grohmann, Köln 1968. (= Grohmann: Künstler schreiben).

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Vorwort

Mit der Malerei Goyas, Turners, Courbets undschließlich der französischen Impressionisten beginnt die Revolte der Künstler gegen jeden Akademismus, gegeneingeübte Verhaltensmuster undtraditionelle Darstellungsnormen. Dieses Aufbegehren gegen das vertraut Gewohnte hält bis heute an undhat, wiejede Documenta aufs neue zeigt, nichts anSchlagkraft verloren. Dadurch ist deravantgardistische Künstler derRepräsentant einer Freiheit, die nurallzugerne als Narrenfreiheit mißverstanden wird. Aber diese künstlerische Freiheit ist teuer erkauft. In dem Moment, wo der Künstler die Freiheit wagt, verliert er seine gesellschaftliche Akzeptanz, wird angegriffen undangefeindet, er verliert seine traditionellen Auftraggeber undseine Einbindung in das Handwerkswesen. Der so auf sich selbst gestellte Künstler ist gezwungen, sich über denSinn seiner künstlerischen Existenz undDaseinsberechtigung Rechenschaft abzulegen undfolglich ist er genötigt, über das Wesen der Kunst nachzudenken, umerkennen zu können, ob er mit seinen Werken noch zu ihr dazugehört undwenn nicht, dann fordert er das Recht, den Künstler“will er unbedingt traditionellen Kunstbegriff zu erweitern, denn als „ immer noch gelten. Der Erweiterungsprozeß des Kunstbegriffs beginnt also keineswegs erst mit Beuys, er hat seine Wurzeln schon in denAvantgarden des 19. Jahrhunderts. Hier bleibt für dengegen Konventionen revoltierenden Künstler kein anderer Ausweg, „ als sich selbst eine metaphysische Begründung zuschaffen. Dashaben Delacroix, Manet undCézanne getan unddamit ein Vorbild undeine unübertretbare Grenze gesetzt: die Begründung derKunst, die früheren Generationen durch dieZweckbestimmung der Kunstwerke geliefert wurde, haben sie selbst übernommen. Sie wurden Träger der ‚metaphysischen Last‘. In ihrer Kunst wird das früher Tragende zum Lastenden, das den einzelnen Werken erst ihr Gewicht verleiht. Nur unter dessen Druck arbeitete sich die Originalität ihres Talents oder ihres Genies zur selbständigen, gültigen Leistung empor. Dieser Tatbestand ist das historische Erbe, dassie dem20. Jahrhundert hinterlassen haben, undvondemsich dessen Kunst, um nicht daran zugrunde zu gehen, in ein ganz neues, bisher unerforschtes Gebiet abwandte, indem sie der wachen Vernunft abschwor undsich demUnbewußten, der Angst, demAbstrakten oder dembloß Ungewöhnlichen, demVerfremdeten anvertraute, alles dies, umdernunvoll entfalteten neuen Kulturmacht, derTechnik, gewachsen zu sein ...“ 4 (Hervorhebungen in Zitaten sind, wenn nicht anders vermerkt, vomVerfasser.) Kandinsky, Klee undBeuys wollten mit ihrer Kunst Gegenbilder zur Herrschaft derTechnik über Natur undMensch geben. In ihren Reflexionen wendeten sie die metaphysische Begründungslast ins Positive. Alle drei beziehen undberufen sich auf das Unsichtbare, das Jenseitige, Transzendente undGöttliche als letzte Instanz ihrer Künstlerexistenz. So weitet sich das Denken der Künstler zu einer Metaphysik der Kunst. Die letztlich metaphysische Begründung der Kunst ist somit zugleich Anlaß undErgebnis der Künstlertheorien. Eduard Trier hat sechs Gründe aufgezählt, die die Künstler veranlassen, das Medium zuwechseln unddasWort zuergreifen: 4

Kurt Badt: Eine Wissenschaftslehre der Kunstgeschichte, Köln 1971,

S. 111.

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Vorwort

„ 1. Es fehlt eine allgemein verbindliche Kunstauffassung, die demZeitgenossen jedes zeitgenössische Kunstwerk ‚selbstverständlich‘erscheinen ließe.

2. DerPluralismus divergierender Kunsttendenzen zwingt deneinzelnen Künstler nicht nurin seiner Produktion, sondern auch in deren theoretischer Begründung zu verfeinerter Differenzierung; derKünstler mußsich unterscheiden, umbemerkt zu

werden.

3. Viele Experimente mitneuen Werkstoffen undneuen Arbeitsmethoden fordern eine Erklärung seitens desUrhebers gegenüber demnicht eingeweihten Betrachter. 4. DieFortentwicklung derKunst vollzieht sich inunseren Tagen mitzunehmender Geschwindigkeit. Dies bewirkt, daßsich dieVerständigungslücke zwischen Künstler und Publikum immer mehr ausweitet. Diese Kluft zu überwinden und den Betrachter in die künstlerischen Probleme einzuführen, ist eines der wesentlichen Anliegen der Künstlertheorie. Damit hängt engzusammen 5. das sich in den schriftlichen oder mündlichen Stellungnahmen der Künstler äußernde Gefühl einer Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft zurBildung eines neuen Bewußtseins. 6. undnicht zuletzt dient dieKünstlertheorie derKlärung desjeweils selbst gesetz5 tenkünstlerischen Ziels, derBewußtmachung dereigenen Absichten.“ Viele Künstlertheorien des20. Jahrhunderts zeichnen sich durch ein Charakteristikum aus, das sie vondenjenigen dervorhergehenden Jahrhunderte unterscheidet–wennmanvonLeonardo daVinci einmal absieht. Es ist dasTotalitätsdenken, der universalistische Anspruch, den Kandinsky, Klee und Beuys, als Beispiel genommen, mit ihren Theorien erheben. Dieser Anspruch geht zusammen mit der selbstgestellten Verpflichtung derKünstler, derGesellschaft bei derBildung eines neuen, überlebensnotwendigen Bewußtseins behilflich zusein, indem sie Ideen in „ Gegenbildern“undUtopien in Theorien vorgeben undzur Disposition stellen. Wohl stellen Künstler keine Patentrezepte zur Verfügung, dennoch verstehen sie sich mit ihren Bildern und Gedanken als Anreger, Aufreger, Unruhestifter und Provokateure, dieeinen entscheidenden Bewußtseinswandel initiieren möchten. Kandinsky undKlee denken, reden, schreiben undtheoretisieren ausderErfahDie Theorie entstand als notwendige Folge der schaffenden rung des Malers. „ Tätigkeit. Die Künstler schreiben nicht über die Kunst, sondern aus der Kunst 6 So konkret undpräzise beschreibt vanDoesburg denSachverhalt. Also, heraus.“ Kandinsky und Klee behandeln in ihren Schriften die Probleme des Malers im engeren Sinne, als da sind die bildnerischen Elementarmittel: Punkt, Linie, Helldunkel undFarbe, unddiebildnerischen Elementarkonstitutionen wieFläche, Raum und Zeit, Gestalt und Gehalt, usw., gleichwohl gehen ihre Erkenntnisse über die spezielle Gattung der Malerei hinaus; sind allgemeingültig für die Kunst unddas elementare Lehre vomSchöpferischen“oder Kandinsky das Leben. WasKlee die„ „ Prinzip derinneren Notwendigkeit“nennt, beansprucht nicht nurGeltung für die Malerei, sondern fürjede kreative Tätigkeit unddamit fürdieTotalität desLebens.

5 6

Trier: Bildhauertheorien, S. 19, 20. Doesburg: Grundbegriffe, S. 5.

13

Vorwort

Beuys theoretisiert ausderErfahrung desplastischen Bildens. Dennoch greifen die traditionellen Kunstgattungen als Beurteilungsinstrumentarium nur mehr bedingt. Er macht zwar eine traditionelle Ausbildung als Bildhauer anderAkademie undversteht sich auch in erster Linie als Plastiker, der bis an sein Lebensende Skulpturen schafft, aber daneben entstehen sowohl ein umfängliches zeichnerisches Werk als auch Malereien, sowie die breit gefächerte Aktionskunst, die von denFluxus-Demonstrationen der60er Jahre bis zurPflanzung von7000 Eichen in den 80er Jahren reicht. Darüber hinaus wird das bildnerische Werk von einem denkerischen flankiert, dasBeuys die„ Plastische Theorie“nennt, dieals Herzstück seines Kunstbegriffs fungierend, einen „ Energieplan“für denMenschen aufstellt, der ihm Wege aus der „Todeszone“hin zur „Wärmeplastik“ , d.h. zur „Sozialen Plastik“öffnen soll. DerTerminus „Künstlertheorie“steht fürdasDenken desKünstlers in seinen vielfältigen Differenzierungen, erist derGegenbegriff zuseiner bildnerisch-praktischen Tätigkeit; Theorie undPraxis stehen in polarer Spannung, sie bilden eine komplementäre Einheit. Künstlertheorie ist aber nicht „ Theorie“im geläufigen Sinn. DieEigenart derKünstlertheorie wirddeutlicher, wennmanaufdieEtymologie dieses Wortes eingeht. Im Griechischen bedeutet Theoria dasAnschauen, das Betrachten, die Umschau, woraus dann in der Philosophie die geistige Schau abstrakter Dinge oder die denkende Betrachtung derPhänomene wird, im Gegensatz zur praktischen Auseinandersetzung mit ihnen. Das übliche Verständnis von die gedankliche wissenschaftliche Überlegung in der Bemühung Theorie besagt „ umeinstreng logisches System derErkenntnis; ‚Theorie‘indieser Auslegung muß bestrebt sein, die sinnlichen Phänomene zuüberwinden, dasie nicht bei derWahrnehmung stehen bleiben darf. DieKünstler haben, vonAnsätzen abgesehen, kaum eine ‚Theorie‘ der Kunst geschaffen, wohl aber häufig die ‚Theoria‘ der Kunst 7 Übersetzt manfolglich Künstlertheorie mit Künstler-Anschauung und gepflegt.“ begreift darunter die ArtundWeise, wiederKünstler in einer denkenden Betrachtung auf die eigene Praxis der Kunst und ihren Sinn schaut, kommt man dem Phänomen schon näher underkennt, daßdieÜbergänge vonderTheorie zurPraxis fließend sind. Denn die Theorie ist schon eine bewußte Tätigkeit, wenn auch eine Handlung im Denken undnicht mit den Händen. Die Theorie, als die geistige Anschauung ist dieVoraussetzung undsie führt zurPraxis derTat. Wohört in der Kunst dieTheorie aufundwofängt diePraxis an?Soll mandengeistigen Entwurf, die Vision, die Ideenskizze, die geistige Schau des Urbildes, die Idea, die im Theorie“begreifen? Undist Denken des Künstlers entsteht, soll manall dies als „ dann die bildnerische Ausführung, das Formen des Tons oder das Auftragen der Farbe auf die Leinwand, wobei die sichtbare Gestalt (Eidos) des Bildes (Eikon) ? Kannüberhaupt vonBilden gesprochen werden, ohnegleichPraxis“ entsteht, die„ zeitig denkend anzuschauen, d.h. geistig tätig zu sein? Ist folglich nicht die vermeintliche praktische künstlerische Tätigkeit immer auch eine theoretische und umgekehrt? Kannes einBilden ohne Denken geben?

7

Lützeler: Kunsterfahrung undKunstwissenschaft,

S. 423.

14

Vorwort

VonMichelangelo ist derAusspruch überliefert, daßmannicht mitderHand, mit demGehirn malt; heißt das nicht, daß ein absoluter Dualismus von Theorie undPraxis für die Kunst niemals geltend gemacht werden könne? Die „ Künstlertheorie“unterscheidet sich dennoch vomabstrakten, wissenschaftlichen System-Denken; es ist ein anschauendes oder gegenständliches Denken, das wir Bildnerische Denken“nennen, weil es zur Fähigkeit des Bildens korrelativ das„ sondern

ist.8

ist das Stichwort gefallen. Die vorliegende Abhandlung kreist umdas desBildnerischen Denkens. AmBeispiel derSchriften undGespräche von Wassily Kandinsky (1866–1944), Paul Klee (1879–1940) undJoseph Beuys 1986) werden dasWesen, die Funktion undderErkenntniswert der Künst(1921– lerreflexionen untersucht. Warum fühlt sich derbildende Künstler berufen, waser denkt, in Texten oder Gesprächen niederzulegen? Welchen Nutzen haben die Theorien der Künstler zum Verständnis ihrer Kunst? Was erfahren wir in den Gedankengängen der Künstler über dasWesen der Kunst im allgemeinen unddas derModerne imbesonderen? ImZentrum dieser Untersuchung stehen also dieKünstlertheorien undnicht die Bilder oder Skulpturen von Kandinsky, Klee undBeuys, wenn auch die anschauliche Präsenz derWerke, gleichsam vordeminneren Auge, immusée imaginaire,

Damit Phänomen

immer vorausgesetzt werden muß; darin liegt eine gewisse Schwierigkeit, wenn

mansich speziell aufTheorienanalyse konzentriert. Miteiner solchen „Einengung“ oder Richtungsbestimmung auf das Bildnerische Denken der Künstler soll aber ausdrücklich nicht einer Suprematie derverbalen Sprache dasWort geredet werden oder einem literarischen oder theoretischen Überhang imHinblick aufdieMethode der Kunstgeschichte Vorschub geleistet werden. Die Schwerpunktsetzung auf die Gedankenbilder derKünstler isteine ökonomische Verfahrensnotwendigkeit. Wenn ein Vergleich undeine Zusammenschau vonmehreren Künstlertheorien intendiert ist, ist eine weitgehende Beschränkung auf das künstlerische Medium „Wort“ unvermeidbar. Wort undBild der Künstler können daher nurin Einzelfällen konfrontiert werden. Dieses unmittelbare in Bezug setzen vonWort undBild ist nicht nurinstruktiv, sondern ist –umein Ergebnis dieser Untersuchung vorwegzunehmen–unabdingbare Voraussetzung einer jeden Interpretation, die den Anspruch vertritt, einem Kunstwerk wenigstens annäherungsweise adäquat zusein –vorausgesetzt, derKünstler hatsich zurKunst geäußert. Daß ich die Anschaulichkeit der Werke in ihrer sichtbaren Phänomenalität äußerst ernst nehme, diese als die primäre Erkenntnisquelle der Kunstgeschichte betrachte, wurde an anderer Stelle ausführlich bewiesen.9 Vielmehr als vor den Begriffen, verneige ich mich vordenBildern, aber ohne der Kunst angemessene Begriffe gibt es auch keine vernünftige Kunstgeschichte derBilder. 8

9

DieBegriffe: Künstlerästhetik,

Künstlertheorie, Künstlerreflexion, Künstlerbekenntnis, künstlerische Selbstäußerung, künstlerische Selbstinterpretation undBildnerisches Denken werden Bildnerischen Denken“gereweitgehend synonym gebraucht. Wennhier allgemein vondem„ detwird, ist immer dasDenken vonKlee, Kandinsky undBeuys gemeint. Matthias Bunge: Max Liebermann als Künstler der Farbe. Eine Untersuchung zumWesen seiner Kunst, Berlin 1990. (Diss., Univ. Saarbrücken 1987). (= Bunge: Liebermann).

Vorwort

15

Meine Schrift nahm ihren Ausgang von dem Befremden darüber, daß die Künstlertheorien selten wirklich ernst genommen werden undzwar „ in demSinn, daßvonihnen ausein direkter Zugang zumkünstlerischen Werk gesucht würde“ , in der Kunstgeschichtsschreibung Begriffe undBegriffssysteme stilistiunddaß „ scher, geistesgeschichtlicher, soziologischer Art ohne Bedenken Verwendung finden, daßsie selbstverständlich zurMethode derForschung gehören, während die direkten, näher beim Kunstwerk stehenden und aus demselben Schaffensprozeß entstandenen Theorien keine verbindliche Beachtung finden.“10 MaxHuggler hatdiese Gedanken 1952 aufdeminternationalen Kunsthistoriker-Kongress vorgetragen, sie haben bis heute vonihrer Aktualität nichts verloren. Ich möchte noch weitergehen und stelle die These auf, daß es die denkenden Künstler selbst sind –Kandinsky und Klee haben das auch ausdrücklich für sich , diedieentscheidenden undwesentlichen Fingerzeige fürdieKunstgereklamiert – schichte geben, undzwarimHinblick aufeine fruchtbare Methode derInterpretation. Daher scheint es mirgeboten, daßeine künftige Kunstgeschichte sich auf die Begriffe bezieht, die im Denken der Künstler eine übergeordnete Position inne haben. Die Gedanken der Künstler kreisen umdie polaren Kategorien: Intuition undRatio, Natur undWelt, Selbst undGott. Zwischen diesen Polen wirddieKunst erstritten. Siereden 1973 wirdBeuys während einer Diskussion mitderFrage attackiert: „ Ja, wir , worauf er antwortet: „ über Gott unddie Welt, nurnicht über die Kunst“ können auch nurüber Gott unddieWelt reden. Daswäre doch gut, wennGott und Dasist keine Frage dieWelt malwieder waswert wären.“AufdenZwischenruf: „ , reagiert Beuys: „Doch, Gott unddie Welt ist Kunst.“11 der Kunst“

Die Konzentration aufdasBildnerische Denken derKünstler findet eine Berechtigung darin, daß diese Themenstellung eine Forschungslücke füllt. Es liegt meines Wissens keine grundsätzliche Untersuchung zur Relevanz und zum Wesen der künstlerischen Theoriebildung vor, diediesen wichtigen Bestandteil derKunst des 20. Jahrhunderts eingehender analysiert.12 Wenngleich es auch eine ganze Reihe vonAnthologien mit Künstlertexten gibt unddie Theorien dereinzelnen Künstler in zahlreichen Dissertationen und Aufsätzen Bearbeitung gefunden haben13, so fehlt aber dennoch eine Zusammenschau mehrerer Künstlertheorieentwürfe. Von dieser Ausgangslage der Forschung her versuche ich zweierlei miteinander zu verbinden. Zumeinen soll dieWesenheit undWertigkeit derKünstlertheorie selbst grundsätzlich untersucht werden, zumanderen werden drei konkrete Künstlertheorien näher in denBlick genommen. Mit Klee, Kandinsky undBeuys sind drei der 10 Max Huggler: Die Theorien der Maler über die Malerei, in: Actes du XVIIme Congrès 544, Zitat S. 539. International d’Histoire del’Art, Amsterdam 1952, La Haye 1955, S. 539– 11 Joseph Beuys in Wulf Herzogenrath (Hrsg.): Selbstdarstellung. Künstler über sich, Düsseldorf 1973, S.43. (= Herzogenrath: Selbstdarstellung). 12 AufdasFehlen einer solchen Untersuchung wurde mehrfach hingewiesen, so z.B. vonFelix Thürlemann: Kandinsky überKandinsky. DerKünstler alsInterpret eigener Werke, Bern 1986, S. 19. (= Thürlemann: Kandinsky). 13 Siehe Literaturverzeichnis

16

Vorwort

denkstärksten Künstler dieses Jahrhunderts ausgewählt. Mit guten Gründen hätte manauch Mondrian, Malewitsch undMatisse, Beckmann, Schlemmer oder Baumeister undviele andere hinzunehmen können, aber dies ist von der Masse des Materials herkaumzuleisten undje größer dieZahl deruntersuchten Künstlertheorien ist, umso größer ist die Gefahr, in einem unverbindlich allgemeinen Bereich oberflächlich zuverbleiben. Mit der Auswahl von Kandinsky, Klee und Beuys ist das Kontinuum der Moderne vomfrühen 20. Jahrhundert bis indie 80er Jahre gewahrt. Abernicht nur deshalb wurde ganzbewußt derKunstbegriff Beuys’in diese Untersuchung miteinbezogen, sondern vorallem auseiner grundsätzlichen Überlegung. Wieschon kurz angesprochen, waren es Kandinsky undKlee, die mitihren Schriften denentscheidenden Anstoß zueiner Kunstwissenschaft derModerne gegeben haben. Von der damaligen zeitgenössischen Universitätskunstgeschichte wurden die Schriften der Künstler weitgehend ignoriert undfür wissenschaftlich irrelevant abgetan. Nicht nur, daß sich die kunstgeschichtliche Disziplin damit eine einmalige Chance zu einem rasanten Erkenntnisfortschritt vertan hat, gravierender ist noch, daß aus dieser eindeutigen Fehlleistung ein bis heute andauerndes gestörtes Verhältnis weiter Kreise derKunstgeschichtswissenschaft zumPhänomen derModerne resultiert. Gottfried Boehm hat diesen Sachverhalt untersucht und kommt zu dem Schluß, daßes eine adäquate Kunstgeschichte derModerne nicht gegeben hatund daßsie auch gegenwärtig noch zuentwickeln ist.14 Schaut manvor diesem Kontext auf die heutige Situation, so mußmanden Eindruck gewinnen, daß die Kunstgeschichte wieder den gleichen Fehler begeht wie zu Beginn des Jahrhunderts. Sie versäumt es, die zeitgenössischen Künstlertheorien ihrem Rang entsprechend in ihre methodischen Erwägungen einzubeziehen.15 Darum erscheint es mir als dringliche Notwendigkeit, daß eine fortschrittliche Kunstgeschichte denin seinem Anspruch undin seiner Tragweite singulären Kunstbegriff des Joseph Beuys berücksichtigt. Was Kandinsky, Klee undBeuys trotz aller offensichtlichen Unterschiedlichkeiten in ihren bildnerischen Werken verbindet, ist die Tatsache, daß bei allen dreien Bild undDenken, Werk undReflexion, Praxis undTheorie korrelativ sind, d.h. daß sie sich gegenseitig wechselweise bedingen. Hinzu kommt die Feststellung, daß die Grundideen ihres Bildnerischen Denkens verblüffend enge Berüh-

14 15

Gottfried Boehm: Die Krise derRepräsentation. DieKunstgeschichte unddiemoderne Kunst, in Lorenz Dittmann (Hrsg.): Kategorien undMethoden derdeutschen Kunstgeschichte 1900– 128. (= Dittmann: Kategorien undMethoden). 1930, Stuttgart 1985, S. 113– Auch hier bestätigen wie immer Ausnahmen die Regel. So Bernhard Kerber: Amerikanische Kunst seit 1945. Ihre theoretischen Grundlagen, Stuttgart 1971. Kerber sieht esalsdieAufgabe desKritikers an,„ dievomKünstler gemeinten ‚Ideen‘zuvermitteln. DieAblehnung desalten Kunstbegriffs bedingt dieWendung zurTheorie. ... (Es handelt sich weder umApologie noch WennderKritiker die Selbstäußerungen derKünstler heranzieht, benutzt er Reklame.)“S. 7. „ sie nicht als Interpretationshilfe, denn die Theorie ist nicht die Theoretisierung der Kunst, sondern diese selbst. ... Vielmehr sinddieIdeen dieSache selbst, alsdiese erscheinen sie hier; die Grenzen zurPhilosophie etc. sind offen.“(S. 8) Kerber bezieht diese Aussagen auf die amerikanische Konzept-Kunst. (siehe unten)

Vorwort

17

rungspunkte aufweisen, ja daßmansogar voneiner Übereinstimmung ihrer Grundpositionen sprechen kann.16 Dasreflexive Kontinuum vonKandinsky über Klee bis zuBeuys ist nicht zuleugnen. Es ist nunaber keineswegs so, daßeiner vondem anderen abgeschrieben hätte, denn dafür ist jeder für sich genommen ein viel zu originärer Denker. Dasschließt aber nicht aus, daßBeuys, wiemanvermuten darf, die Schriften von Kandinsky undKlee gekannt hat; kurzum, es ist nicht die Absicht meiner Schrift, irgendwelche Abhängigkeiten zwischen Klee, Kandinsky undBeuys zukonstruieren odernachzuweisen, sondern es gehtumdiegemeinsame Denkrichtung dieser Künstler undanderer, undauch vonPhilosophen undDichtern. Dabei ist es mirnicht umeine „Einflußphilologie“zutun, sondern umeinAufweisen von ideengeschichtlichen Verbindungen und Zusammenhängen. Die „ Entsprechung kunsthistorischer, philosophischer undbildkünstlerischer Theorieentwürfe“–wie , rückt in das Blickfeld des Lorenz Dittmann es methodisch vorgegeben hat – Nicht umdie Feststellung vonEinflüssen undAbhängigkeiten geht es Interesses. „ dabei, sondern umdenAufweis einer ‚Einheit der Richtung‘: ‚Die einzelnen Individuen‘, so Ernst Cassirer, ‚gehören zusammen –nicht weil sie einander gleichen oder ähnlich sind, sondern weil sie an einer gemeinsamen Aufgabe mitwirken

‘. 17 “ Die Entsprechung

...

der Theorieentwürfe von Kandinsky, Klee undBeuys soll herausgearbeitet werden undweniger diegeistesgeschichtlichen Quellen ihrer Kunsttheorien, wozu bereits eine stattliche Anzahl vonEinzeluntersuchungen vorliegt. Zujenem Zweck treten diedrei Künstler gleichsam ineinen überzeitlichen Dialog, Der Künstler wobei mirdie Rolle desGesprächsleiters zufällt. Wenn Beuys sagt: „ muß nichts erfinden, sondern Zusammenhänge entdecken“18,dann gilt das umsomehr für den Kunsthistoriker, derwahrlich nureine bescheidene Position einnehmenkann. Bei demBestreben, die Einheit derRichtung der Künstlertheorien aufzuweisen, ist es geraten, weniger auf die schon vorliegenden Interpretationen derTexte Bezug zu nehmen als auf die Quellentexte selbst. Im Sinne der phänomenologischen Forderung: zu denSachen selbst sollen die Künstlertexte mit der gleichen Unvoreingenommenheit behandelt werden, wiees auch fürdie Kunstwerke –die Bilder derMalerei, derSkulptur oder Architektur –angebracht ist. Anerster Stelle steht die gründliche Kenntnisnahme der Sache selbst, so wie sie in der vom Künstler geschaffenen Gestalt erscheint. Ernst Strauss hatfürdie Kunstgeschichte 16 AuchHans-Georg Puchert hatauf„daserstaunliche MaßanGleichgestimmtheit“hingewiesen, . Selbst in Kontro„ das viele Äußerungen ausdenverschiedensten Gruppierungen verbindet“ versen „spürt mandasvongegenseitigem Respekt getragene Grundgefühl einer imwahrsten Sinne geistigen ... Ideen-Gemeinschaft heraus, unbestechlich, unbeirrbar, kompromißlos in . In Argan: 20. Jahrhundert, S. 68. ihren Ansprüchen, untrüglich in ihrem Instinkt ...“ 17 Lorenz Dittmann: Geometrische Abstraktion und Realität. In: Wege zur Kunst und zum Menschen. Festschrift fürHeinrich Lützeler zum85.Geburtstag, hrsg. vonFrank-Lothar Kroll, 387, Zitat S. 371. (= Festschrift: Lützeler). Bonn 1987, S.371– 18 Joseph Beuys imGespräch mitAntje vonGraevenitz in Ausstellungskatalog: Schwarz, hrsg. von Hannah Weitemeier undJürgen Harten, Kunsthalle Düsseldorf, Berlin 1981, S. 137. 138. (= Katalog: Schwarz). , S. 135– Beuys’Gedankengang zueinem Ofenloch“ „

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Vorwort

Husserls phänomenologische Methode eingefordert: „‚Nicht sachfremden Konstruktionen nachzujagen, als ob man an die Sachen selbst nicht herankommen könnte, sondern alle Erkenntnis aus den letzten Quellen selbst zu schöpfen, aus selbstgesehenen (eingesehenen) Prinzipien‘, wozu aber auch gehöre, ‚sich durch keinerlei Vorurteile, durch keine verbalen Widersprüche, durch nichts inaller Welt, heiße es auch exakte Wissenschaft, davon abbringen unddemklar Gesehenen sein Recht zu lassen, das eben als solches das Ursprüngliche, das vor allen Theorien Liegende, dasletzte Normgebende ist.‘ 19 “ Will man dieser phänomenologischen Forderung auch im Hinblick auf die Künstlertheorien genügen, dann verbietet es die Eigenart desuntersuchten Gegenstandes, ihn nach abstrakt-systematischen oder reduziert-historischen Gesichtspunkten zu behandeln. Daher kann dieses Buch auch nicht nach den Kategorien Intuition und Ratio, Natur und Welt, Selbst und Gott gegliedert sein, denn ein solches vorgegebenes Begriffssystem würde dasBildnerische Denken soeinengen, daß die Wesenheit dieses Denkens in denHintergrund treten würde. Ausdiesem Sachverhalt ergibt sich diemethodische Notwendigkeit, sich Denkprozessen auszusetzen, d.h. Denkbewegungen nachzuvollziehen, indem mansich indenGedankengebäuden der Künstler in allen Richtungen, nach unten undoben, nach vorne und hinten undwieder zurück bewegt. Zudem müssen zwischen deneinzelnen Gedankengebäuden der Künstler Brücken gebaut undWege erschlossen werden. Eine starre Pseudo-Systematik würde die Wege desBildnerischen Denkens blockieren. Wichtige Textpassagen undeinzelne Zitate, die auf denGrund des Bildnerischen Denkens führen, werden öfter wiederholt, denn im Kontext des jeweiligen Problemfeldes erschließen sich dadurch neue Gesichtspunkte desVerständnisses. In dieser Schrift erhebt sich die Kunstwissenschaft nicht über dendenkenden Künstler, sondern umgekehrt mußsie versuchen, zudemhöheren Reflexionsniveau der Künstler aufzusteigen. Es wird auch nicht über das Bildnerische Denken wissenschaftlich“verhandelt, sondern es soll ein gedanklicher Mitvollzug ver„ sucht werden. Dazu mußmansich in dieses Denken hineinbegeben, sich vonder Bewegung dieses Denkens miterfassen lassen, umdemmäandrierenden Gedankenfluß folgen zu können. Eine solche immanente Vorgehensweise entspricht dem Wesen des behandelten Gegenstandes. Die denkenden Künstler sind keine sich künstliche Grenzen vorgeben lassende Historiker oder Systematiker. Die Verschränkung von intuitivem undrationalem Denken mußals das wichtigste Merkmal ihrer „Theorie“gelten. Danach hat sich die Kunstwissenschaft zu richten. Zwischen Intuition und Ratio entsteht nicht nur die Kunst, sondern auch die Kunstwissenschaft.

Es ist nicht dasAnliegen dieser Arbeit, scheinbar schlüssige Antworten aufhöchst komplexe Fragen zugeben, sondern in vielen Anläufen undExkursen werden die 19

, zitiert nach Logischen Untersuchungen“ Edmund Husserl: Entwurf einer Vorrede zu den „ Ernst Strauss: Koloritgeschichtliche Untersuchungen zurMalerei seit Giotto undandere Studien, 2. erweiterte undumFarbtafeln vermehrte Aufl., hrsg. vonLorenz Dittmann, München/ Berlin 1983 (Kunstwissenschaftliche Studien, Bd. 47), S.341. (= Strauss: Koloritgeschichtliche Untersuchungen).

Vorwort

19

zentralen Probleme immer wieder umkreist, wobei denKünstleraussagen selbst der größte Raumeingeräumt wird. EinErgebnis dieses Prozedere ist, daßmehr Fragen aufgeworfen werden undvielleicht Unruhe gestiftet wird, als daßfürdie Kunstgeschichte beruhigende Antworten undleicht abrufbare Fakten zurVerfügung gestellt würden. Die Künstlerschriften lehren eines in besonderem Maße, nämlich daß heute mehr dennje dasSelbstdenken undNach-Denken notwendig ist, unddaßes keine methodischen Patentrezepte gibt. In diesem Buch ist viel zuwenig vondenBildern die Rede, das ist zweifelsohneeinMangel, deraberausderThematik resultiert. MitKlees Worten: „ AusNot Tugend!“Manlese dieKünstlertexte als„ Gedanken-Bilder“ , wassie defacto auch sind. So wird der geduldige Leser durch die Tiefe der künstlerischen Gedanken für den Mangel an Bildern entschädigt. Schließlich möchte ich mirfür dasFolgende die Beuyssche Maxime zueigen Mansollte alles, was manglaubt erkannt zu haben, oder was als Formachen: „ schungsergebnis vorliegt, nicht als Behauptung vorstellen, sondern als ‚Frage‘. Mansoll einfach sagen: Das habe ich gedacht. Ich frage nach: Ist dasbrauchbar? Ist es ergänzungsbedürftig? Wird dasanerkannt? Waswird dagegen gestellt? Welche Gegenargumente gibt es zudiesem Vorschlag? Ich würde niemals insistieren, daß ein Vorschlag richtig ist. Ichkannnursagen: Ichglaube, daßichdasrichtig gedacht habe. Jeder ist aber aufgefordert, mich auf Fehler aufmerksam zu machen. Das, 20 finde ich, führt viel weiter.“ wurde imFebruar 1993 abgeschlossen. Zwischenzeitlich erschienene Literatur wurde nur teilweise berücksichtigt undin das Literaturverzeichnis

Das Manuskript aufgenommen.

Kein Buch entsteht ohne Hilfe! Darum danke ich meinen Helfern zuerst. Ich danke ganz besonders meiner Frau, die mich in mancher Stunde schierer Verzweiflung wieder aufgebaut unddie zusätzlich unermüdlich die Last derTextverarbeitung getragen hat. Ich danke meinem Freund Andreas Hochholzer für unzählige Gespräche zur Thematik dieser Schrift, für viele förderliche Hinweise unddie kritische Durchsicht

des Textes.

Ich danke Herrn Norbert Knopp für die Gewährung einer größtmöglichen Freiheit, die deninneren undäußeren Rahmen zurVerfügung gestellt hat unddie notwendig ist, umeine Habilitationsschrift zuerstellen. Zuguter Letzt widme ichdieses Buchmeinem Lehrer, Herrn Lorenz Dittmann, zum65. Geburtstag indemWissen, daßohne sein vorbildliches wissenschaftliches Ethos diese Arbeit nicht hätte entstehen können.

20 Joseph Beuys: Abendunterhaltung. 2. (= Beuys: Abendunterhaltung).

Documente

Nr. 1,hrsg. vonPeter Schata, Achberg 1977, S.

TEIL I EINLEITUNG

DIE EXPOSITION DER FRAGE NACH DEM SINN DER KÜNSTLERTHEORIE

1. Bildnerisches

Denken unddenkerisches Bilden –Eine erste Annäherung

Alle Künste „werden mit denHänden ausgeführt, waren aber zuvor im Geist, wie die Malerei, die zuerst imdenkenden Geist erscheint, aber ohne die Arbeit derHände nicht vollendet werden kann.“ ... dannsage ichdir, daßdieMalerei geistig ist. ...“ „ Leonardo daVinci21

Daich nurdenken kann, insofern ichproduziere, magdaraus entstehen, waswill.“ „ Johann Wolfgang Goethe22 Sie denken europäisch, ich russisch, d.h. sie denken logisch, wirdenken auch logisch, „ aber zugleich inBildern.“ Wassily Kandinsky23 „ Diese Tage in der Heimat Cézannes wiegen eine ganze Bibliothek philosophischer Bücher auf. Wenneiner so unmittelbar denken könnte, wieCézanne malte!“ Martin Heidegger24

DerMaler „ ... ist vielleicht, ohne es gerade zuwollen, Philosoph.“25 „ HierimAtelier maleichaneinem halben Dutzend Gemälden undzeichne unddenke über meinen Kurs, alles miteinander, dennes mußzusammen gehen, sonst ginge es überhaupt nicht. Dieses Natürliche ist dieerhaltende Kraft.“ Paul Klee26

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26

Leonardo daVinci: Sämtliche Gemälde undSchriften zurMalerei. Herausgegeben, kommentiert undeingeleitet vonAndré Chastel, München 1990, S. 135. (= Leonardo: Schriften). Alle Hervorhebungen indenMottos sind vomVerfasser. Brief Goethes an Knebel vom 17.03.1791, zitiert nach Otto Stelzer: Die Vorgeschichte der abstrakten Kunst. Denkmodelle undVor-Bilder, München 1964, S. 197. (= Stelzer: Abstrakte Kunst). Wassily Kandinsky imGespräch mitWill Grohmann. Zitiert nach: Erika Hanfstaengl: Wassily Kandinsky, Zeichnungen undAquarelle, Katalog derSammlung inderStädtischen Galerie im Lenbachhaus München, München 2. Aufl. 1981, S. 11. In diesem Katalog ist der Festvortrag 12). (= Grohmann: vonWill Grohmann zum100. Geburtstag vonKandinsky abgedruckt. (S. 7–

Festvortrag). Zitiert nach Günter Seubold: DerPfad ins Selbe. ZurCézanne-Interpretation Martin Heideg78. Zitat auf S. 65. gers. In: Philosophisches Jahrbuch, 94. Jahrgang, 1987, S. 63– Paul Klee: Überdiemoderne Kunst. InPaulKlee: Kunst-Lehre, Aufsätze, Vorträge, Rezensionen undBeiträge zur bildnerischen Formlehre, Reclam Leipzig, 2. veränderte Aufl. 1991, Das Phänomen Paul ausgewählt undherausgegeben vonGünther Regel mit denAufsätzen „ , S. 82. (= Klee: KunstKlee“und„ Der Maler undKunsttheoretiker Paul Klee als Lehrer“ Lehre). Paul Klee: Das bildnerische Denken. Schriften zur Form- undGestaltungslehre, hrsg. und bearbeitet vonJürg Spiller, 2. Aufl. Basel/Stuttgart 1964. Das Zitat in der Einleitung Spillers, S. 21. (= Klee: Bildnerisches Denken).

Teil I: Einleitung

24

„ Dieseltsame Vorstellung, derKünstler denke nicht, während derWissenschaftler nichts anderes tue...“ DerKünstler „denkt, während erarbeitet. SeinDenken nimmt imObjekt jedoch unmittel-

barGestalt an.“ Malen „ ... heißt Denken, undzwarDenken JohnDewey27

in einer seiner tiefgreifendsten Formen.“

„ Das erste Produkt menschlicher Kreativität (ist) der Gedanke. ... Und ich möchte ihn regelrecht objekthaft den Menschen sichtbar machen, seinen Entstehungsprozeß. Und 28 sage ausdiesem Grund: Denken ist Plastik“ „ Aber wenn es ... die Aufgabe der Kunst ist, demMenschen ein Bild seines eigenen Wesens zuvermitteln, dannmußman... Gedankenwege gehen, dieeingrößeres Bild vom Denken entwerfen als eben dieses rationalistische, materialistische Bild vom Denken. Dennhöhere Formen vonDenken sindIntuitionen undInspirationen undImaginationen, diehaben denBegriff desBildes noch unmittelbar imBegriff. Denn ‚Imagination‘heißt: das Bild, das Imago. ... Daß dasDenken so bildhaft werden kann, dasmußdoch einmal diskutiert werden.“ Joseph Beuys29

Diese ungewöhnliche Häufung vonMotti magaufdenersten Blick befremden, aber sie ist notwendig, denn diese Äußerungen vonso unterschiedlichen Künstlern und , verbindet ein gemeinPhilosophen –vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart – samer Grundgedanke undsie führen direkt ins Zentrum derThematik der vorliegenden Schrift, nämlich zumVerhältnis von Denken undBilden, zum Inbegriff „ Bildnerisches Denken“ . Dabei gehtes aber nicht, wiemanvorschnell vermuten könnte, umdasVerhältnis vonphilosophischer Reflexion über Kunst einerseits undvermeintlich nichtreflexiver künstlerischer Tätigkeit andererseits, sondern es geht um das Denken des Künstlers im umfassenden Sinn und seine Beziehung zur bildnerischen Praxis. Also nicht die philosophische Theorie über Kunst soll hier thematisiert werden, sondern die vom Künstler selbst verfaßte Theorie über Kunst, die manKünstlertheorie nennt undfürdiees spätestens seit Paul Klee dentreffenden Ausdruck des „ Bildnerischen Denkens“gibt.30 Unter Bildnerischem Denken verstehe ich hier das

27 John Dewey: Kunst als Erfahrung, Frankfurt a.M. 1988, S. 23, 24, 59. 28 Joseph Beuys in: Selbstdarstellung. Künstler über sich, hrsg. vonWulf Herzogenrath,

Düssel-

dorf 1973, S. 33. (= Beuys: Selbstdarstellung). 29 Joseph Beuys in: Gespräche mitBeuys. Joseph Beuys inWienundamFriedrichshof, hrsg. von Theo Altenberg, Klagenfurt 1988, S. 137. (= Beuys: Gespräche). Bildnerischen Denkens“nicht in der schon 30 Siehe Anm. 26. Ich benutze den Begriff des„ eingeschränkten Bedeutung, wieergelegentlich zurKennzeichnung derpädagogischen SchrifBeiträge zur bildnerischen ten Klees benutzt wird, die Klee selbst auch anders, nämlich „

, genannt hat undvondenen er 1925 im vonihm so genannten „Pädagogischen Formlehre“ Skizzenbuch“eine Auswahl derwichtigsten Zeichnungen undkurzen Kommentare veröffentEr beabsichtigte mitdiesem Buch, Schülern zumbesseren Verständnis undleichtelicht hat. „ remEinstieg inseinLehrprogramm eine ‚Grundlage zueinem Teil destheoretischen Unterrich, wie Klee in seiner Vorbemerkung der tes am Staatlichen Bauhaus zu Weimar‘ zu geben“ Erstausgabe feststellt. Siehe dazu: Paul Klee: Beiträge zur bildnerischen Formlehre. Bd. 1, Faksimilierte Ausgabe des Originalmanuskripts von Paul Klees erstem Vortragszyklus am

1. Bildnerisches Denken unddenkerisches Bilden –Eine erste Annäherung

25

ganze weite Spektrum sprachlicher Äußerungen der Künstler zur Kunst –vonder genauen Analyse derbildnerischen Elementarmittel: Linie, Hell/Dunkel undFarbe, ihren Kombinationsmöglichkeiten imBild undihrer pädagogischen Aufbereitung, wiezumBeispiel bei Klee undJosef Albers31, bishinzurtiefgründenden kunstphilosophischen Spekulation eines Piet Mondrian32, gleich ob es sich umgeschriebenesoder gesprochenes Worthandelt undgleich, obAnsätze zueinem gedanklichen System vorliegen, wie zweifelsohne bei Kandinsky33, oder nur eine Sammlung aphoristischer Bekenntnisse wiebei Pablo Picasso.34 Daß das Denken des bildenden Künstlers selbst den Rang von Philosophie erreichen kann, ist kein Widerspruch zurthematischen Eingrenzung aufdas„ Bild, sondern schon einantizipiertes Resultat dieser Untersuchung. In nerische Denken“ diesem Sinn werden deshalb auchdieKünstleräußerungen zitiert undbehandelt wie Philosopheme.35 DieKonzentration aufdieintellektuelle Artikulation undLeistung von Künstlern impliziert natürlich, daß auch das Denken von Philosophen und anderen über Kunst zwangsläufig zum Vergleich mit demjenigen der Künstler herangezogen werden muß. Denn gerade die Konfrontation von philosophischwissenschaftlicher Reflexion mitkünstlerischer macht dieRelevanz letzterer offen-

31 32 33

34 35

Staatlichen Bauhaus Weimar 1921/22, hrsg. vonJürgen Glaesemer, Paul Klee-Stiftung, Kunstmuseum Bern, Bd. 2: Anhang zum faksimilierten Originalmanuskript, Transkription und Einleitung vonJürgen Glaesemer, Basel/Stuttgart 1979, S. 4, (= Klee: Bildnerische Formlehre) und Paul Klee: Pädagogisches Skizzenbuch, München 1925 (Bauhausbücher 2, hrsg. von Walter Gropius undLászló Moholy-Nagy). Zitiert wirdnachdemReprint dieses Buches, hrsg. vonHans M. Wingler in derReihe „Neue Bauhausbücher“ , Mainz 1965, (= Klee: Pädagogisches Skizzenbuch). Josef Albers: Interaction of Color. Grundlegung einer Didaktik des Sehens, Köln 1970. (= Albers: Interaction). Piet Mondrian: Neue Gestaltung, Neoplastizismus, Nieuwe Beelding, Neue Bauhausbücher, hrsg. von Hans M. Wingler, Mainz 1974 (= Mondrian: Neue Gestaltung). Diese Ausgabe ist einReprint der„bauhausbücher“Bd. 5 von1925. Wassily Kandinsky: Über dasGeistige inderKunst, München 1912. Zitiert wird nach der 10. Aufl., miteiner Einführung vonMaxBill, Bern 1973. (= Kandinsky: Über das Geistige), und Wassily Kandinsky: Punkt undLinie zuFläche. Beitrag zurAnalyse dermalerischen Elemente, Bauhausbücher Bd. 9, München 1926. Zitiert wird nach der7. Aufl. miteiner Einführung von MaxBill, Bern 1973 (= Kandinsky: Punkt undLinie). Derenge innere Zusammenhang aller Schriften Kandinskys ist evident. Er selbst schreibt im Vorwort zu„ Esistvielleicht nicht uninteressant zubemerken, daßdie , S. 11:„ Punkt undLinie“ in diesem kleinen Buch entwickelten Gedanken eine organische Fortsetzung meines Buches ‚Über dasGeistige inderKunst‘sind. Ich mußmich in dereinmal eingeschlagenen Richtung fortbewegen.“ Pablo Picasso: Wort undBekenntnis. Diegesammelten Zeugnisse undDichtungen mitBeiträgenvonNikolai Berdiajew, C.G. Jung undD.H. Kahnweiler, Zürich 1954. (= Picasso: Wort undBekenntnis). Siehe dazudieDissertation vonAndreas Hochholzer: Evasionen –Wege derKunst. Kunst und Leben bei Wl. Solowjew undJ. Beuys. Eine Studie zumerweiterten Kunstbegriff in der Der Moderne, Würzburg 1992. (Eichstätt, Univ. Diss. 1991). (= Hochholzer: Evasionen). „ Verfasser benutzt die Aussagen einzelner Künstler zurästhetischen Problemlage, ähnlich wie die anerkannter Philosophen. Über die Logizität ließe sich streiten –aber das gehört schon , schreibt Hochholzer S. 13. selbst zurDiskussion heutiger Ästhetik“

Teil I: Einleitung

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bar. Dies belegt auch jene jüngste philosophische Denkrichtung, die den unglücklichen Namen „ Postmoderne“trägt. So vertritt Wolfgang Welsch die These der

„ Geburt derpostmodernen Philosophie ausdemGeist dermodernen Kunst“ . Der moderne Künstler weiß sehr wohl, „ daß sein künstlerisches Denken philosophisch Relevantes enthält – jedoch inimplizierter Form“ .36 Um gleich einem Mißverständnis vorzubeugen: die Themenstellung meiner Schrift hebt nicht an von der Diskussion umdie Postmoderne, sondern sie ergab sich zwangsläufig aus der mehrjährigen Beschäftigung mit moderner Kunst im allgemeinen unddendazugehörenden Künstlertheorien imbesonderen. Wenn sich nunmeine Thesen miteinigen postmoderner undanderer Philosophen decken, dann ist das sicher nur zum einen ein glücklicher Zufall –der seltene Kairos des , undzum anderen ein Indiz dafür, daß die bis in die unmittelbare Forschers – Gegenwart oftmals verschmähten und leichtfertig abqualifizierten Künstlerreflexionen37 vonirreversibler Wichtigkeit nicht nurfürdie Kunst des20. Jahrhunderts sind.

2. Kunst undLeben –der Erweiterte Kunstbegriff AlsLuxus darf die Kunst nicht betrachtet werden; in allem drücke sie sich aus, sie gehe „ über insLeben, nurdann ist, wasseyn soll. Freude undStolz sindmirmeine großen Künstler. DesStaatsmanns Werke werden längst vergangen seyn, wenndiedesausgezeichneten Künstlers noch erlebend erfreuen.“ Ludwig

I,

1846 bei derGrundsteinlegung fürdie Neue Pinakothek inMünchen38

WennsichdieKunst nicht alslediglich praktisch-zweckmäßige Angelegenheit einerseits „ undnicht alsnurinderLuft schwebende l’art pourl’artandererseits entwickelt, sowerden ihre Beziehungen undZusammenhänge mitanderen geistigen Gebieten undendlich mit derGesamtheit des‚Lebens‘imallgemeinsten Sinne voll in Kraft treten. Die Kunst wird dann als lebensschöpferische Kraft mit so einer Klarheit einwirken, daß die heutigen Zweifel über ihre Bedeutung undBerechtigung als Resultat einer rätselhaften Verblendung vorkommen werden.“ Wassily Kandinsky39

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Wolfgang Welsch: Die Geburt der postmodernen Philosophie aus demGeist der modernen 37, Zitat S. 16, Hervorhebung Kunst. In: Philosophisches Jahrbuch, 97. Jahrgang 1990, S. 15– vomVerfasser. Dieser Aufsatz ist auch abgedruckt in demSammelband Wolfgang Welsch: Ästhetisches Denken, Reclam Stuttgart, 2. Aufl. 1991 (= Welsch: Ästhetisches Denken). Nach dieser Ausgabe wird im folgenden zitiert. Welsch bezieht sich in demZitat auf dasDenken Jean Dubuffets. Seine Aussage läßt sich aberohnejede interpretatorische Willkür verallgemeinern, wiemeine Mottos schlagkräftig belegen! Siehe unten meine Kritik anArmin Zweites Interpretationen derKünstlertheorien vonBeuys undKandinsky. Zitiert nachChristian Lenz: DieNeuePinakothek inMünchen, München 1989, S. 25. 647, Zitat S. Wassily Kandinsky: Abstrakte Kunst. In:DerCicerone, Leipzig, 17, 1925, S. 639– 639. (= Kandinsky: Abstrakte Kunst).

2. Kunst undLeben –derErweiterte

Kunstbegriff

27

Die interdisziplinäre Öffnung derKunstgeschichte40 –nicht nurzurPhilosophie – , solite selbstverständlich sein, denn auch die Kunst öffnet sich anderen Disziplinen (inklusive anderer Medien) und erweitert erheblich ihren nur scheinbar engen Geltungs- und Wirkungsbereich als ästhetische Stimulanz. Schon immer hat die Kunst Einfluß auf gesellschaftliche Entwicklungen genommen. Wenn Beuys provozierend von einem „ erweiterten Kunstbegriff“ 41spricht, ist diesem historischen Faktum Rechnung getragen. Laut Beuys soll „ ... sich die Kunst ja auf dasLeben 42,aber auch Kandinsky schon forderte in seinem undauf alle Menschen beziehen“ Synthetischen Kunst“I. das Niederlegen der „ Konzept einer „ Mauer“zwischen Geistigem Leben“undII. die Überwindung der „ Materiellem Leben“und„ „ Teilung“des geistigen Lebens in „ Religion, Moral, Kunst, Wissenschaft, Philosophie“ , sowie III. die Überwindung derTeilung in „Bildende Künste, Musik, Tanz, . Auch die Aufsplitterung der „Bildenden Künste“in „Malerei, Plastik, Dichtung“ Architektur“undIV. die Zerteilung der Malerei in „ Portrait, Genre, Landschaft“ sollte überwunden werden (Siehe Abb. 1).43 Kandinsky sah in seinen Bühnenkompositionen undin seiner Malerei jeweils Ich habe vor Jahren einen Versuch geeine Synthese seiner Utopien realisiert. „ macht, verschiedene Künste in einem Werk zu verwenden, aber nicht im Prinzip In derParallele, sondern desGegensatzes –‚Gelber Klang‘...“ . Kandinsky weiter: „ der IV. Teilung sind die Mauern dank der abstrakten Kunst gefallen –keine

40 ZumProblem der„Kunstgeschichte iminterdisziplinären Zusammenhang“siehe dengleichna-

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migen Aufsatz von Lorenz Dittmann in: Internationales Jahrbuch für interdisziplinäre For173. (= Dittmann: schung, hrsg. vonRichard Schwarz, Bd. II, Berlin, NewYork 1975, S. 149– Interdisziplinärer Zusammenhang). Wie schwierig eine fruchtbare Kommunikation selbst mit benachbarten Disziplinen seines Faches zu führen ist, weiß jeder, der schon einmal eine „interdisziplinäre“Lehrveranstaltung durchgeführt hat. Aber auch umdeninnerdisziplinären Zusammenhang derKunstgeschichte steht es nicht zumBesten. So zitiert zumBeispiel Heinrich Dilly in seinem Beitrag: Wechselseitige Erhellung –Die Kunstgeschichte undihre Nachbardisziplinen (in: Kunstgeschichte. Eine Einführung, hrsg. vonHans Belting, Heinrich Dilly 297), weder eben erwähntes Jahrbuch noch Dittmanns Aufsatz! (= u.a., Berlin 1985, S. 283– Kunstgeschichte: Einführung). Einen guten Einstieg in dieBeschäftigung mitBeuys bietet dasBuch vonHeiner Stachelhaus: Joseph Beuys, Düsseldorf 1987. Zitiert wirdnachderTaschenbuchausgabe München 1989, (= Stachelhaus: Beuys). Ein Manko dieses Buches ist, daßdie Zitate nicht mit ihren Fundstellen siehe S. 79 ff. erweiterten Kunstbegriff“ belegt sind. Zum„ , in Volker Harlan, Rainer So Beuys in seinem Vortrag von 1977 „Eintritt in ein Lebewesen“ Rappmann undPeter Schata: Soziale Plastik. Materialien zuJoseph Beuys, Achberg 3.Aufl. 128, Zitat S. 124. (= Harlan: Soziale Plastik). 1984, S. 123– Wassily Kandinsky: UND. Einiges über Synthetische Kunst. Erstmals veröffentlicht in der 10.Wiederabgedruckt inUwe internationalen Zeitschrift: i 10(Amsterdam), I no. 1, 1927, S. 4– M.Schneede: DieZwanziger Jahre, Manifeste undDokumente deutscher Künstler, Köln 1979, 195, Zitat S. 190. Dieser wichtige Artikel Kandinskys wird im folgenden zitiert als: S. 190– nachdemAbdruck beiSchneede: Zwanziger Jahre. Bei Schneede ist auch Kandinsky: „UND“ dasSchema abgebildet, dasKandinsky seinen Artikel erläuternd gezeichnet hat. (siehe Abb. 1) Unter demTitel „und“ ist der Aufsatz auch abgedruckt in Wassily Kandinsky: Essays über 108. (= Kunst undKünstler, hrsg. undkommentiert vonMaxBill, Bern 3. Aufl. 1973, S. 97– Kandinsky: Essays). Hier ist Kandinskys Schema nicht abgebildet.

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Teil I: Einleitung

Unterteilungen, sondern Malerei als solche.“ 44Noch darüber hinaus liegt im Gesamtwerk Kandinskys eine einmalige Synthese ausMalerei, Dichtung undWissenschaft vor–ausTheorie undPraxis, intellektueller undbildnerischer Artikulation – undseine Person selbst, inihrer großen Vielschichtigkeit synthetisiert zumunddas Gesamtkunstwerk.“Marcel Duchamp sagt: „ „ DerKünstler selbst mußeinMeisterwerk sein“ ,45undLaszlo Moholy-Nagy: „ Waswirbrauchen, ist nicht das‚Gesamtkunstwerk‘, neben demdasLeben getrennt hinfließt, sondern die sich selbst aufbauende Synthese aller Lebensmomente zu dem alles umfassenden Gesamtwerk (Leben), dasjede Isolierung aufhebt, indemalle individuellen Leistungen auseiner biologischen Notwendigkeit entstehen undineine universelle Notwendigkeit münden.“46 47, als kreativ tätiger Mensch undKünstler realiLebewesen“ Kandinsky als „ Es kommt nicht darauf siert in seinem Leben dasGesamtkunstwerk. Picasso sagt: „ 48,–mitanderen Worten waser für ein anwasderKünstler tut, sondern waser ist“ Lebe-Wesen ist undwaser als solches realisiert. Mandarf indiesen ebengenannten Gedanken Vorwegnahmen Beuysscher Ideen sehen, man kann aber auch umgekehrt sagen, daßBeuys in seinem radikalen Denken dieSinnspitze solcher Überlegungen darstellt. Auf die Frage nach dempersönlichen Kleidungsstück: „ Warum Das ist ja ein Versuch, den Menschen tragen Sie den Hut?“antwortet Beuys: „ selbst, sozusagen als Begriff der Kunst in die ganze Arbeitswelt hinüberzuführen. Das heißt, ich selbst bin in diesem Augenblick das Kunstwerk. –Das heißt, es soll doch dahin kommen, daß der Mensch selbst das Kunstwerk wird, ... daß das Kunstwerk selbst durch denMenschen realisiert werden kann ..., unddaßandieser Realisation, die Welt zu einem Kunstwerk zu machen, potentiell jeder Mensch 49Beuys redet hier nicht etwa einer Ästhetisierung derLebenswelt teilhaben kann.“ dasWort, sondern seine Hoffnung ist –unddiese Hoffnung wirdja wohljeder von daßdasLeben derErde, nachdem es zuerst vertotet wurde durch die unsteilen, „ Wirtschaftspraxis der Vergangenheit, durch Versalzung, Verhärtung, Versteinerung, zu einem Hefeteig gemacht werden kann, der in seinem Aufgehen seine aufrichtende Kräfte so formen kann, daß ein weiteres Leben für dieses Lebewesen Erde möglich ist ...“ .50

44 45

46 47

48 49 50

Ebenda, S. 193, Anm.4 undS. 195, Anm.7. Marcel Duchamp: Ready made!: 180 Aussprüche aus Interviews und Briefen von Marcel Duchamp. Zusammengetragen, ausgewählt undübersetzt undmiteiner Einführung versehen vonSerge Stauffer, Zürich 1973, S. 66. Laszlo Moholy-Nagy: Malerei, Photographie, Film, München 1925 (Bauhausbücher, Bd. 8), 2. Aufl. 1927, Neuausgabe Mainz 1967, S. 15. Wirleben ja schon , inHarlan, Soziale Plastik. Beuys: „ Eintritt ineinLebewesen“ Siehe Beuys „ in einem Lebewesen in unsselbst als ‚Leben-Wesen‘. Wir wissen, daßwirdasgemein haben mitdenTieren undPflanzen.“(S. 124). Wassich unser InteresPicasso: Wort undBekenntnis, S. 38. Picasso gibt folgende Beispiele: „ se erzwingt, ist Cézannes Unruhe: sie ist Cézannes Lehre! Unddie Qualen vanGoghs –die sind daswahre Drama desMannes! Alles andere ist Schwindel.“(S. 39). Beuys: Gespräche, S. 127, 128. Eintritt ineinLebewesen“inHarlan: Soziale Plastik, S. 128. Beuys: „

2. Kunst undLeben –derErweiterte

In seinem programmatischen

Kunstbegriff

29

Artikel: „UND.Einiges über synthetische Kunst“

von1927 schreibt Kandinsky: „ DieKunst kanninkeiner geistig wertvollen Epoche 51Erinnern undvergewissern wir unsnurkurz des außerhalb des Lebens stehen.“ historischen Faktums, wieeinschneidend undbis heute folgenreich dasUniversalgenie Leonardo da Vinci mit seiner „Kunst“in dasLeben der Menschheit verändernd eingegriffen hat.52 Mit Beuys kann mansagen: „ ... daßgroße Zusammenhänge wichtig sind, wenn mansich mitder Kunst auseinandersetzt, in Bezug auf ihren Werdegang zur Individuation...“.53Gleiches lag auch in der Intention Kandinskys. Dieses warsein Hauptanliegen imArtikel „UND“ , die Spezialisierungen aufallen Gebieten desmateriellen undgeistigen Lebens, wiesie sich zwangsläufig ausderZerteilung indieoben aufgezählten Gattungen im 19. Jahrhundert ergaben, zuüberwinden. Das20. Jahrhundert sollte dasJahrhundert derSynthese sein. „ Von außen gesehen kann unsere Zeit im Gegensatz zur ‚Ordnung‘des letzen Jahrhunderts –ebenso miteinem Wort bezeichnet werden –Chaos.“Das scharfe Auge des Künstlers aber kann im Chaos eine andere Ordnung erraten. „ Diese Ordnung verläßt die Basis ‚entweder-oder‘ underreicht langsam eine neue –und. Das 20. Jahrhundert steht unter dem Zeichen ‚Und‘.“ 54 Den entscheidenden Impuls zur

51

Kandinsky in Schneede: Zwanziger Jahre, S. 195. Die Dissertation zuKandinskys Kunsttheorie vonHeribert Brinkmann: Wassily Kandinsky als Dichter, Köln 1980 undEvelyn Priebe: Angst undAbstraktion. Die Funktion der Kunst in der Kunsttheorie Kandinskys, Frankfurt ein. a.M. 1986, gehen kaumauf„UND“ ZumSynthese-Konzept Kandinskys siehe dieDissertation vonUlrike-Maria Eller-Rüter: Kandinsky. Bühnenkomposition undDichtung als Realisation seines Synthese-Konzepts, Hildesheim 1990 (= Eller-Rüter: Kandinsky –Synthese-Konzept). 52 Mandenke z.B. nuranLeonardos weichenstellende Entdeckung, komplexe Sachverhalte und Funktionen graphisch, d.h. in gezeichneten Schaubildern zu visualisieren, gleich ob es sich dabei umanatomische odertechnische Zeichnungen handelt. Aufdiese Entdeckung Leonardos ist heute noch jeder Student der medizinischen Heilkunst oder Ingenieurskunst angewiesen! Daher liegt für Beuys in derPerson Leonardos der historische Anfangspunkt jenes materialistisch-naturwissenschaftlichen Denkens, dessen Entwicklung zu dem Wissenschaftsbegriff daßdas führt, deruns noch heute dominiert. In derUniversalität Leonardos aber zeigt sich, „

Wissenschaftliche ursprünglich im Künstlerischen enthalten war.“Beuys in Harlan: Soziale Plastik, S. 46, 47. So auch Karl Jaspers in seinem großartigen Buch: Lionardo als Philosoph, Die Malerei ist Wissenschaft, ist Ursprung von Bern 1953 (= Jaspers: Lionardo), S. 55: „ Wissenschaften, geht über Wissenschaft hinaus.“In diesem Satz wird die weltgeschichtliche Stellung Leonardos evident. Bei Leonardo stehen „Kunst undWissenschaft in untrennbarer , wieWolfgang Welsch es inseinem Aufsatz „Kunst undWissenschaft“ausgePersonalunion“ 129 undS. drückt hat. In: KunstForum International, Bd.85, September, Oktober 1986, S. 124– 323. (= Welsch: Kunst undWissenschaft). ZurBedeutung Leonardos für die künstlerische Entwicklung Beuys’siehe: Matthias Bunge: Joseph Beuys undLeonardo daVinci. Vom„ zueinem erweiterten erweiterten Kunstbegriff“ 106 undHeft 3, 1993, S. 227– Kunstwissenschaftsbegriff. In: dasmünster, Heft 2, 1993, S. 93– 236. Teil I desAufsatzes ist auchabgedruckt in: Festschrift Lorenz Dittmann, hrsg. vonHansCaspar Graf vonBothmer, Klaus Güthlein undRudolf Kuhn, Frankfurt a.M. / Berlin, 1994, S.

197. 185– 53 Beuys: Gespräche, S. 126. 54 Kandinsky in: Schneede: Zwanziger Jahre, S. 191.

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Teil I: Einleitung

Synthese „UND“ gibt für Kandinsky ganz eindeutig dieMalerei, vonihr gehen die wesentlichen Innovationen aus. Schon im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts „ ... ist die Malerei das erste Gebiet gewesen, auf dem ‚unerwartete‘ und‚unverständliche‘Explosionen ‚plötzlich‘in einer immer temperamentvolleren Folge vor sich gingen. Die Malerei suchte nach ‚neuen Formen‘ und noch sehr wenige wissen, daßdies einunbewußtes Suchen nachdemneuen Inhalt war. Diese Bestrebungen zogen sofort zwei wichtige Folgen nach sich: 1. dasweitere Absondern der Malerei vom‚Leben‘, diekonsequente Vertiefung in eigene Ziele, Ausdrucksmittel undMöglichkeiten und2. gleichzeitig das natürliche undlebhafte Interesse für die Ziele, Ausdrucksmittel und Möglichkeiten in anderen Künsten –zuerst in der Musik. Die erste Folge führte zurweiteren, aber besonders exakten theoretischen undpraktischen Analyse [der bildnerischen Elementarmittel, M.B.], die heute zur malerischen Synthese verhilft. Diezweite Folge legte denGrundstein zumAufbau dersynthetischen Kunst imallgemeinen. ... Dererste Versuch, zwei Künste organisch für ein Werk zu vereinigen, ist der ‚Prometheus‘ von Skrjabin –paralleles Laufen dermusikalischen unddermalerischen Elemente. DerZweck ist die Verstärkung derMittel zumAusdruck. So wurde zumersten Maleine im 19. Jahrhun55 dert errichtete Mauer zwischen zwei Künsten umgeworfen.“ Wie man sieht, war Kandinsky nicht nur ein hellsichtiger Theoretiker der Kunst, sondern auch ein ernstzunehmender Kunsthistoriker, derohne die imhistorischen Rückblick häufig peinlichen Stiletikettierungen bestens auszukommen wußte. , derohnejede vorgefaßSoziologe“ Darüber hinaus warer auch einvortrefflicher „ te Ideologie dasVerhältnis vonKünstler undGesellschaft zuanalysieren vermoch, te–sovorallem inseinem ersten Teil desBuches „ÜberdasGeistige inderKunst“ im Dezember 1911 erschienen bei Piper in München, datiert 1912.56 Auf dendort . UND“ fundierten Erkenntnissen basieren auch seine folgenden Ausführungen in „ Der Krieg oder die Kriege, die Revolutionen im politischen Leben wurden auf „ demKunstgebiete Jahrzehnte vorher erlebt –inderMalerei. Diegrößten Spannungenmußten sich unbedingt hier entwickeln, dadieMalerei außer ihren eigenen die bedeutungsvolle Aufgabe hatte, die sämtlichen Künste zu befruchten und ihre Entwicklung aufrichtige Bahnen zuleiten. VomGebiete derMalerei gingen noch weitere Anregungen ausundvonhier auswurden nochfestere Mauern desvergangenen Jahrhunderts erschüttert undteils bereits vernichtet. Diese Anregungen ver57 Kunst und lassen den Boden der Kunst undgreifen viel weiter umsich herum.“ Wissenschaft, die Leonardo noch zuvereinen wußte, sich seitdem kontinuierlich auseinanderentwickelt haben, sollen wieder zusammenrücken undKandinsky sieht dieMöglichkeit entstehen, daßKünstler undWissenschaftler „gemeinsam aneiner undderselben Aufgabe“arbeiten. Er verweist hier aufdie„Allrussische Akademie . Auch die „Mauer zwischen der Kunstwissenschaften, Moskau, gegründet 1921“ mit demHandwerk undschließlich Kunst und Technik“soll fallen. Die Kunst soll „ Das Bauhaus (jetzt in Dessau) entwickelt mit der Industrie“verbunden werden. „ sich immer weiter auf dem Wege der ausgeglichenen Behandlung der beiden 55 Ebenda, S. 192, 193. , S. 29 ff. II. DieBewegung“ 56 Kandinsky: Über dasGeistige, siehe dasKapitel „

2. Kunst undLeben –derErweiterte

Kunstbegriff

31

Faktoren und ist scheinbar zur richtigen Lösung dieses schwierigen Problems angelangt. ... Kunst, Technik und Wissenschaft bilden die Grundsteine –ausgeglichenundineinander organisch greifend. DerStudierende soll außer derfachmännischen eine möglichst erweiterte synthetische Bildung erhalten. Er soll imIdeal nicht nuralsneuer Spezialist, sondern auchalsneuer Mensch ausgerüstet werden.“ 58Der Künstler wirdimIdealfall zueinem neuen Lebewesen. Auchdiese Idee wurde von Beuys, nach der Erfahrung des 2. Weltkrieges mit allen seinen schrecklichen Auswüchsen undnach der Erfahrung der katastrophalen Naturzerstörung unseres Wirtschaftswunderlandes, weiter gedacht und zwar im spezifischen Begriff der , die alles andere als abstrus oder weltfremd ist. Die Sentenz: Sozialen Skulptur“ „ Jeder Mensch isteinKünstler“willja nurdeutlich machen, daßjeder vonunsüber „ ein Kräftepotential verfügt, so daßer zueinem „Transformator der Verhältnisse“ KAPITAL“des Menschen ist sein Kreativiwerden kann, denn das eigentliche „ auch die Erde als ein tätspotential. Lernt derso als Künstler verstandene Mensch „ Lebewesen erfahren“–Beuys benutzt hier wie Heidegger den Begriff Erde und nicht Natur –,59sowie ja auch Pflanzen undTiere Lebewesen sind, undhater den „ Zusammenhang vonLeben zuLeben“hergestellt, dannwirdderKünstler zueinem es noch niemals einen Revolutionär gegeben hat, dennbisher , wie„ „ Revolutionär“ haben Revolutionäre denTodverbreitet. Heute erfährt er, daßauseinem revolutionären Vorgang ereinLebewesen betritt undinihmlebt, wasvorher überhaupt noch niemals auf der Erde war. Ein Lebewesen, das schon daraufhin angelegt ist, aus demalten Erdenbestande durch denMenschen den aus seiner Tat gebildeten zu60In diesem Kontext wird verständlich, wenn künftigen Planeten zu erschaffen.“ ... daßdie Kunst dieeinzig wirklich revolutionäre Kraft in der Beuys verkündete, „ Welt sei“ .61 Diese Erweiterung des Kunstbegriffes impliziert keine Nivellierung der traditionellen Kunstwerke, die Beuys ja auch noch geschaffen hat, sondern ganz im Gegenteil zeigt sie denhohen Stellenwert auf, dendie Kunst für die menschliche Immer wenn Kunst geGeschichte“hat. So hat es auch Heidegger gesehen: „ „ schieht, d.h. wenn ein Anfang ist, kommt in die Geschichte ein Stoß, fängt Geschichte erst oder wieder an. ... Die Kunst ist Geschichte in dem wesentlichen Sinne, daßsieGeschichte gründet. ... Dasist so,weil dieKunst inihrem Wesen ein Ursprung ist: eine ausgezeichnete Weise wie Wahrheit seiend, d.h. geschichtlich

57 Kandinsky in: Schneede: 58 Ebenda, S. 194, Anm. 6.

59

60 61

Zwanziger Jahre,

S. 193, 194.

Siehe Martin Heidegger: Der Ursprung des Kunstwerkes, mit einer Einführung von HansErde“vom Georg Gadamer, Stuttgart 1978 (= Heidegger: Kunstwerk); Heidegger denkt „ griechischen Begriff der„ Sie ist dasHervorkommend-Bergende. Die Erde ist das Physis“her. „ zunichts gedrängte Mühelose-Unermüdliche. Aufdie Erde undin sie gründet dergeschichtliche Mensch sein Wohnen inderWelt. Indem dasWerkeine Welt aufstellt, stellt es dieErde her... . Das Werk läßt die Erde eine Erde sein.“(S. 42, 47). Eintritt ineinLebewesen“inHarlan: Soziale Plastik, S. 127, 128. Beuys: „ Die einzig revolutionäre Kraft ist die Kraft der menschlichen Stachelhaus: Beuys, S. 207. „ Kreativität..., die einzig revolutionäre Kraft ist die Kunst.“Beuys in Harlan: Soziale Plastik,

S. 59.

Teil I: Einleitung

32

62DerUrsprung wird.“

derKunst ist unmittelbar gebunden anKünstlerpersönlichkeiten, heißen sie nunLeonardo, Kandinsky oderBeuys (undnatürlich wären viele andere zunennen). Die Transformationen, die sie auslösen, gehen nunnicht mehr nurvonihren Werken aus, wenn diese auch dasWesentliche sind, sondern auch von dem, was sie denken. Nurhat sich diese Tatsache bis heute kaum Wege ins allgemeine Bewußtsein bahnen können. WasKünstler denken, schreiben undsprechen, halten viele nochimmer fürirrelevant. Dochist nicht diese Fehleinschätzung zukorrigieren, wennmanunvoreingenommen denGedanken derKünstler folgt? Erinnern wiruns, Kandinsky will dieZerteilung derWelt unddasentfremdenDasBeseitigen derAbsonderung entwickelt sich deSpezialistentum überwinden. „ logisch unddieVerbindung (‚Und‘) breitet sich aufdieentferntesten Gebiete aus.“ Nämlich auf„ ... dasGebiet derMaterie unddasdesGeistes (I. Teilung).“63Schon in einer wenig beachteten Anmerkung seiner Schrift „Über das Geistige in der Wissenschaftler“Anmerkungen –ist Kunst“–Kandinsky benutzt analog einem „ dasdichotomische Verhältnis vonMaterie undGeist thematisiert: „ Es ist hier oft die Rede vomMateriellen undNichtmateriellen undvondenZwischenzuständen, die ‚mehr oder weniger‘materiell bezeichnet werden. Ist alles Materie? Ist alles Geist? Können die Unterschiede, die wirzwischen Materie undGeist legen, nicht nurAbstufungen nurder Materie sein oder nurdes Geistes? Der als Produkt des ‚Geistes‘in positiver Wissenschaft bezeichnete Gedanke ist auchMaterie, die aber nicht groben, sondern feinen Sinnen fühlbar ist. Was die körperliche Hand nicht betasten kann, ist das Geist? In dieser kleinen Schrift kann nicht darüber weiter geredet werden, undes genügt, wenn keine zu scharfen Grenzen gezogen werden.“64

Kandinsky schreibt solche Überlegungen ausderreflexiven undunmittelbaren Erfahrung desMalens, dennbeimMalen verwandelt sich Materie (Ölfarbe) inGeist (= in sichtbare Gestalt transformierter Gedanke). Auch für Beuys besteht ein Kunstwerk natürlich nicht nurausMaterie, sondern so, wie für ihn amMenschen das Wichtigste ein „völlig unsichtbarer Teil“ist, nämlich „ der Geist des Menschen“ , „das Körperliche ist (nur) die Bodenstation“65,so ist auch die Materie des Kunstwerkes nurSubstrat für metaphysische Dimensionen. Beuys will mit seiner , „daß der Mensch auf die Geistigkeit vonMaterie“ Kunst einen Hinweis geben „ sich nicht vomBrot allein ernährt, sondern vomGeist.“Es geht ihmum„Transsubstantion vonMaterie“ .66Kandinsky sagt: dieGesellschaft hungert nach „geistigem , und„dieses Brot wird ihrvonihren Künstlern gereicht ...“.67Dieter Jähnig Brot“ schrieb jüngst: „ Das Verhältnis von Kunstwerk undKunsterlebnis entspricht der

62 63 64 65 66 67

Heidegger: Kunstwerk, S. 88, 89. , in Schneede: Zwanziger Jahre, S. 195. UND“ Kandinsky: „ Kandinsky: ÜberdasGeistige, S. 34, Anm. 1. Kunst heute, Nr. 1, Joseph Beuys imGespräch mit Knut Fischer undWalter Smerling, Köln 1989, S.42. (= Beuys: Kunst heute). Joseph Beuys: Multiplizierte Kunst, hrsg. vonJörg Schellmann undBernd Klüser, München, 5. Aufl. 1980, ohne Paginierung. (= Beuys: Multiplizierte Kunst). Kandinsky: Über das Geistige, S. 30.

2. Kunst undLeben –derErweiterte

Kunstbegriff

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europäisch-neuzeitlichen Dichotomie von Natur und Geist, die in Wahrheit ein Bedingungsverhältnis ist: derGeist ist die Quelle derNatur.“ 68 Mit demMittel derMalerei suchte Kandinsky die Überwindung der strengen Trennung in Materie undGeist. Dabei verstand er sich selbst als organischen Teil Die Natur ist verschwenderisch, wennsie eine große Aufgabe vorsich derNatur. „ hat, undihrGesetz beherrscht nicht allein dasmaterielle Leben, sondern imselben Maße dasgeistige.“In derSynthese desscheinbar Gegensätzlichen sahKandinsky das „entscheidende Problem“under wollte „ auf die allmenschliche Bedeutung der letzten Verschiebungen vomalten Boden zu einem neuen“aufmerksam machen, was weit über die Grenzen der Kunst geht und früher oder später auf jedem „ wichtigen Gebiete der menschlichen Entwicklung geschehen wird.“Und dann kommen vorausschauende Worte, dieimmer nochAktualität besitzen: „ DerLaie ist längst gewöhnt, dieKunst- undWissenschaftsfragen als ihmetwas Fremdes anzusehen, das außerhalb seines realen Lebens steht und worum er sich nicht zu kümmern braucht. Immer mehr verbreitet sich im ‚großen Publikum‘die vielleicht nicht ganz bewußte Ansicht, daß die Marktpreise und die Angelegenheiten der politischen Parteien denseelischen Boden desmenschlichen Lebens bilden unddaß alles außerhalb dieser Interessen stehende keinen wesentlichen Wert haben kann. Diese Einstellung ist dasorganisch-natürliche Produkt derexternen Spezialisierung unddesallerdings verflachten Materialismus. Hierist kein Anfang, sondern nurein Abschluß der Vergangenheit zu sehen. DerAnfang besteht in derErkenntnis der Zusammenhänge. Immer mehr wird mansehen können, daßes keine ‚speziellen‘ Fragen gibt, die isoliert erkannt oder gelöst werden können, da alles schließlich ineinander greift undvoneinander abhängig ist. Die Fortsetzung des Anfangs ist: weitere Zusammenhänge zu entdecken und sie für die wichtigste Aufgabe des 69 Menschen auszunützen –fürdieEntwicklung.“ Ich möchte im Folgenden diesem Anliegen Kandinskys Rechnung tragen und will indieser Untersuchung derspezialistischen Einengung möglichst entgegenwirken, umumfassende Zusammenhänge aufzuzeigen. Dabei begebe ich mich wis. Die Spezialisten“ sentlich auf dünnes Eis und riskiere bewußt die Kritik der „ AbKunstgeschichte als Wissenschaft befindet sich immer noch im Stadium des „ , wie Kandinsky oben sagt –ja man kann sogar schlusses der Vergangenheit“ feststellen, daß das Spezialistentum heute Hochblüte feiert. Dies zeigt sich exemplarisch an der Forschungslage zu Klee, Kandinsky undBeuys. Jeder Künstler hat seine“Spezialisten, die sich noch einigermaßen in derriesigen Literatur ausken„ nen. Für einen nichtspezialisierten Kunsthistoriker ist es kaum noch möglich, die Literatur zu dendrei genannten Künstlern hinreichend überblicken undauswerten zukönnen. Die Aufsatzthemen werden immer spezieller, die Analyse wird immer detaillierter undso werden die Erkenntnisse immer umfassender, wasja zweifels-

68

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Der Ursprung des Kunstwerkes“und die moderne Kunst, in: Kunst und Dieter Jähnig: „ Technik. Gedächtnisschrift zum 100. Geburtstag von Martin Heidegger, hrsg. von Walter 254, Zitat S. 228. (= Biemel undFriedrich-Wilhelm v.Herrmann, Frankfurt a.M. 1989, S. 219– Biemel: Kunst undTechnik). in: Schneede: Zwanziger Jahre, S. 193, 195. UND“ Kandinsky: „

Teil I: Einleitung

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ohne ein positives Faktum ist. Daß dabei allerdings allmählich der Sinn und der dervielen Einzeluntersuchungen fragwürdig geworden ist, weil kaumnoch jemand es quantitativ undqualitativ bewältigen kann, einen Zusammenhang –eine Synthese –zwischen denEinzelerkenntnissen herzustellen, ist auch klar. So befindet sich die Kunstgeschichte methodisch gesehen in einem Dilemma zwischen Nutzen

notwendiger Analyse undnotwendiger Synthese. Also wagen wir im Sinne der Kandinskyschen Synthese desGegensätzlichen den„ . Anfang“ Kandinsky war sich bewußt, daß die Stelle seiner Kunst sich erst „ in einer anfangenden geistigen Epoche“befand.70 Undwenn wir heute amEnde des 20. Jahrhunderts scheinbar total der Ideologie des Materialismus Folge leisten, so besteht doch kein Grund zurResignation. Dürfen wirurteilen, wasKandinsky da verkündete, wardoch nurutopische Illusion? Es gilt zubedenken, wenn wir auf diesem Planeten in Würde überleben wollen, dann brauchen wir um so mehr positive „ Utopien“ , wiesie Kandinsky undBeuys vorgegeben haben, umdenMut unddie Kraft aufzubringen, aufeine Verbesserung derVerhältnisse hinzuarbeiten, vorausgesetzt, unsliegt etwas an Veränderung undVerbesserung. Undwasdiese Künstlerutopien nach denErfahrungen des20. Jahrhunderts soüberzeugend macht, ist, daß sie politisch gesehen ideologie-frei, ja ideologie-feindlich sind. Wenn ... wenn Beuys sagt: „Kunst gleich Kreativität gleich menschliche Freiheit“und„ nicht die Revolution zuerst imMenschen geschieht, scheitert jede äußere Revolution. DerMensch mußdenInnenraum erobern. Die Kunst jedenfalls spricht immer 71,dann heißt dasnichts weniger, als deneinzelnen freien kreativen Menschen an“

70 Ebenda, S. 195. 71 Beuys in Harlan: Soziale Plastik, S. 102. Weder

Kandinsky noch Beuys, von Klee ganz zu schweigen, geben „ ideologische Patentrezepte“vor, sondern sie appellieren an das selbstbestimmte Individuum. Kandinsky schreibt 1924 anWill Grohmann, nachdem manihnin einer nachgewiesenermagefährlichen kommunistischen Russen“bezeichnet hat, der„ Zeitung als „ Ichhabe garkeinInteresse fürPolitik, binvollkommen unpolitisch und :„ ßeneinAgitator ist“ habe mich niepolitisch betätigt ...“ . Kandinsky in: Grohmann: Künstler schreiben, S. 46. Ichhabenichts mitPolitik zutun–ichkenne nurKunst.“Stachelhaus: Beuys, Beuys erklärte: „ 156. Beuys war „ Anarchist“im ur, S. 135– Der Politiker“ S. 135. Siehe hier das Kapitel „ sprünglichen Sinn, dereine Urdemokratie etablieren wollte undderimmer betont hat, daßes gelte, sowohl den Kapitalismus als auch den Kommunismus zu überwinden. Selbst einer „ fortschrittlichen“Partei wiedenGrünen istBeuys alsautonom denkender Künstler suspekt, so daßsie ihn 1980 vonihrer Landesliste streichen! (siehe ebenda, S.142, 152, 153) WennBeuys Parteipolitik“zurMachterhaltung im sagt, daßernichts mitPolitik zutunhabe, meint erdamit „ Voneiner Diktatur derMassen traditionellen Sinne. 1973 erklärte sich Beuys imGespräch: „ kann ich genausowenig halten wie voneiner Beherrschung derMassen durch Minderheiten. Wirkennen imPrinzip doch beides schon. Wassoll dieAnnulierung desIndividuums! Auch diese Resultate kennen wir. Meine Ideen haben vielmehr mit ursprünglichen anarchistischen Ideen zutun, wie sie in derGeschichte auftauchen undbekanntlich immer wieder verfälscht werden. Ich meine ja überhaupt nicht denTypos vonAnarchismus, derdie Strukturen zerstört, sondern den, der sie reorganisiert undderdurch einen demokratischen Prozeß der Selbstbestimmung erst zu einer Verfassung kommt. Danach erst kann die Selbstregulierung aller Sektoren derGesellschaft einsetzen.“Zitiert nach Wilhelm Bojescul: ZumKunstbegriff des Joseph Beuys, Essen 1985, S. 43. (= Bojescul: Beuys). Wersich vorurteilsfrei einBildvonden„utopischen“undzukunftsweisenden politischen Ideen „ufruf zurAlternatiBeuys’machen will, sei auffolgende Texte verwiesen: 1.Joseph Beuys: A

2. Kunst undLeben –derErweiterte

Kunstbegriff

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daßwirnicht vonIdeologien oderpolitischen Parteiprogrammen eine Veränderung zumBesseren erwarten können undsollen, sondern daßjeder einzelne Mensch bei sich selbst anfangen mußFreiheit zu wagen, das heißt selbst zu „denken“–gleich ob er bildnerisch denkt oder denkerisch bildet. Damit stehen die Künstler in bester aufklärerischer, kantischer Tradition: „ Sapere aude! HabeMut, dichdeines eigenen Verstandes zu bedienen!“Und: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus 72Bei Beuys hört sich dasso an: „ seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.“ Man mußvorallen Dingen denken! MitdemDenken malendlich beginnen!“ 73 Kandinsky schließt seinen Aufsatz „ UND“ miteiner Prognose: „WenndieZeit des Inneren imÄußeren reif ist, entsteht die Möglichkeit, vomreinen Theoretisieren zur Praxis zu überschreiten –in unserem Falle zumsynthetischen Werk.“In welcher Richtung das ideale synthetische Werk sich entwickeln könnte oder zu

72

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ve“von 1978, abgedruckt in Harlan: Soziale Plastik, S. 129– 136, 2. Joseph Beuys: Aktive Neutralität. Die Überwindung vonKapitalismus undKommunismus. EinVortrag mitDiskussion amSonntag, 20. Januar 1985, Wangen 2. Aufl. 1987. (= Beuys: Aktive Neutralität) und3. Joseph Beuys in: Reden über das eigene Land: Deutschland. Hans Mayer, Joseph Beuys, Margarete Mitscherlich-Nielsen, Albrecht Schönherr. Die Reden wurden gehalten auf dem , veranstaltet vomKulturreferat der Landes„ Münchner Podium in den Kammerspielen ‚85“ 52. (= Beuys: Reden über das eigene Land). hauptstadt München, München 1985, S. 33– Hier istdieGelegenheit, anzumerken, daßichkeinBeuys-Schüler undihmauchniepersönlich begegnet bin, so daßich also garkeine Möglichkeit hatte, seinem oft beschworenen Charisma zu erliegen! Ich kenne Beuys nur aus seinen bildnerischen undsprachlichen Werken. Sie alleine sind Grundlage derintellektuellen Bewertung undAuseinandersetzung. Zur Problematik „Kunst als Ideologie undUtopie“siehe den ausführlichen, gleichnamigen Aufsatz vonBernhard Schleißheimer in: Kunst heute, hrsg. vonAnsgar Paus, Salzburg 1975, S. 85–141. Schleißheimer beschreibt sehr gründlich die Begriffs- undBedeutungsgeschichte von „ Ideologie“und„ Utopie“undihre Beziehungen zurKunst. Bei allen kritischen Vorbehalten, die Schleißheimer gegen eine politische Vereinnahmung des Künstlers und der Kunst hat, kommt er aber doch zu folgenden wichtigen Feststellungen über die soziale undpolitische Bedeutung dermodernen Kunst. „ Nicht daspolitische Engagement qualifiziert zumKünstler, sondern umgekehrt, das Künstlertum legitimiert und verpflichtet zum gesellschaftskritischen undpolitischen Engagement. ... Der Künstler heute versteht sich als engagierter Künstler. Seine Kunst befähigt ihn, mehr zusehen, tiefer zuempfinden als seine Zeitgenossen. Sie läßt ihn wahrnehmen, was diese nicht mehr oder noch nicht wahrnehmen können. Seine Kunst ermächtigt undverpflichtet ihn aber auch, mehr zu sagen –das andere zu sagen, was sonst , was deshalb er sagen muß, weil nur er es sagen kann. niemand sagt undsagen könnte – Künstler ist also, weretwas zusagen hat, wasnurinderSprache derKunst sagbar ist, undnur, was in der Sprache der Kunst sagbar ist, in der Sprache der Kunst auch sagen kann. Der Künstler hat damit eine wichtige Aufgabe in der Gesellschaft undfür die Gesellschaft, eine Es ist nicht zubestreiten, daßeinGroßteil der (S. 99, 100) „ Aufgabe, die nurererfüllen kann.“ echten Kunst heute utopische, ja apokalyptische Züge trägt. Kunst ist gewaltlose Rebellion gegen drohende undherrschende Gewalt, gegen inhumane Tendenzen im gesellschaftlichen Leben, gegen diehereinbrechende Unfreiheit ineiner total technokratisch manipulierten Ord. (S. 128). nung. Sie ist Angstschrei desLebens angesichts dermöglichen Katastrophe“ Immanuel Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? Zitiert aus Immanuel Kant: Werke in zehn Bänden, hrsg. vonWilhelm Weischedel, Bd. 9, Schriften zurAnthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik undPädagogik, Darmstadt 1975, S. 53. (= Kant: Werke). Beuys: Kunst heute, S. 38.

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Teil I: Einleitung

suchen sei, deutet Kandinsky ineiner Anmerkung an:„ Vonspezifischer Bedeutung für unsere Zeit ist die entstandene Wertung vonZirkus undKino, die bisjetzt als niedere undentartete Angelegenheiten betrachtet wurden, die nicht zudenGebilden der Kunst gerechnet werden durften.“ 74Mankann heute wohl mit Bestimmtheit sagen, daßdasneue Medium Film diebedeutendste bildkünstlerische Innovation des 20. Jahrhunderts ist. Der Film ist das synthetische Kunstwerk „UND“ schlechthin, denn hier durchdringen sich alle traditionellen künstlerischen Gattungenundalle Sphären des geistigen undmateriellen Lebens. Imkünstlerisch wertvollen Film verbinden sich Architektur, Plastik, Malerei, Zeichnung, Farbe, Licht undDunkel, Musik, Tanz, Dichtung, Religion, Moral, Kunst, Wissenschaft und Philosophie. In der künstlerischen Produktion wird wie Dostojewskij es formuliert, ein 75 ... dases in diesem Umfang noch gar nicht gegeben hat.“ „ Leben“geschaffen, „ Unddas ist das Entscheidende undWesentliche andieser umgreifenden Synthese, Leben“ nämlich der Bezug zum„ . Manverkennt das Wesen der Kunst, wenn man ihren Platz in einer Nischenexistenz wähnt, denn die Kunst konkretisiert „ ... letztlich denSinn derExistenz des Menschen.“Dies ist eines derzentralen Ergebnisse, zu denen Andreas Hochholzer76 in seiner überaus ideen- undertragreichen Dissertation kommt, die um die „Ästhetik in der Spätphilosophie Wladimir Solowjews“kreist. Von Solowjew, demwichtigsten russischen Philosophen des 19. Jahrhunderts, derneben Rudolf Steiner sicher zudeneinflußreichsten Ideengebern Kandinskys gehörte77, kommt Hochholzer mit innerer Folgerichtigkeit in seinem

74 Kandinsky: „UND“ , in Schneede: Zwanziger Jahre, S. 195, 193, Anm. 5. In diesem Zusam32“ , 4) menhang siehe bei Schneede das Kapitel IV. „ Die Erweiterung der Künste 1919– „ Entdeckung der neuen Medien: Film undFoto“ , S. 238 ff., mit Texten vonMoholy-Nagy, Raoul Hausmann, Hans Richter undFriedrich Vordemberge-Gildewart. ZurIdee desGesamtkunstwerkes allgemein siehe denmaterialreichen Ausstellungskatalog vonHarald Szeemann: Der Hang zumGesamtkunstwerk. Europäische Utopien seit 1800, Aarau undFrankfurt a.M. FilmalsGesamtkunstwerk“siehe dortS. 1983. (= Szeemann: Gesamtkunstwerk). ZumThema „ 395 ff, Dominik Keller: „Gesamtkunstwerke“inderamerikanischen Kinolandschaft derzwan. HansJürgen Syberberg“ ziger Jahre. UndS. 433 ff.: „ In diesem Zusammenhang ist auch hinzuweisen auf Jürgen Claus: Kunst heute. Personen, Analysen, Dokumente, Reinbek bei Hamburg 1965, (= Claus: Kunst heute). In demKapitel „ DerBildnerische Film“(S. 165 ff) nimmt Claus expressis verbis Bezug aufPaul Klees Begriff des „bildnerischen Denkens“ . Dieses sei als „primäre Bild-Konzeption“für diejungen ameri‚Freiheit desAusdrucks undder kanischen Film-Autoren derAusgangspunkt jeder Filmarbeit. „ Wille, ausfilm-bildnerischem Denken heraus zuarbeiten; vision imFilm zurealisieren‘, sei das gemeinsame Konzept der Filmregisseure, die sich in NewYork umdie noch von ihm (P. Addams Sitney) undJonas Mekas herausgegebene Zeitschrift ‚Filmculture‘gruppieren.“ 75 Zitiert nach Hochholzer: Evasionen, S. 172. 76 Ebenda, S. 172. 77 Siehe Will Grohmann: Wassily Kandinsky. Leben und Werk, Köln 1958 (= Grohmann: IndenJahren bis 1914 aber sinddieSteinerschen Anregungen gelegentlich Kandinsky), S. 41: „ fühlbar, zumal sie sich mitmystisch-religiösen bzw. theosophischen Gedanken desrussischen Philosophen W. Solowjew (†1900) berühren.“Auch wenn Kandinsky Solowjew nicht wörtlich erwähnt, mußmandavon ausgehen, daßein so gebildeter Mann wie Kandinsky seinen philosophisch bedeutenden Landsmann gelesen hat.

2. Kunst undLeben –derErweiterte

Kunstbegriff

37

Schlußkapitel zuAndrej Tarkowskij (1932– 1986), aucher, wiedieeben genannten, sicher nicht zufällig einRusse; Tarkowskij gehört zudenherausragenden Regisseuren undFilmtheoretikern derzweiten Hälfte des20. Jahrhunderts. FürTarkowskij besteht „ die Aufgabe der Kunst darin, die Idee der absoluten Freiheit der geistigspirituellen Möglichkeiten des Menschen zumAusdruck zubringen.“Es ist Tarkowskijs Ansinnen, „ ... Leben in Bildern zugestalten, damit denMenschen selbst ermöglicht werde, ihr eigenes vonsich zubilden. Der Film bietet demZuschauer die Möglichkeit, ‚das, was sich auf der Leinwand ereignet, als eigenes Leben zu empfinden, eine zeitlich fixierte Erfahrung als eine eigene, zutiefst persönliche Erfahrung zuübernehmen, daseigene Leben zudemauf derLeinwand Gezeigten in Beziehung zu setzen‘.“„ Im ‚System der Bilder‘wird das ‚System des Lebens‘ erfahrbar.“Laut Tarkowskij ist es derSinndesFilms, denMenschen „ inBezug zur 78DerFilm hatalso welthaften, kosmischen Charakter. gesamten Welt zusetzen.“ Kandinsky formulierte 1913: „ Das Malen ist ein donnernder Zusammenstoß verschiedener Welten, die in undaus demKampfe miteinander die neue Welt zu schaffen bestimmt sind, die das Werk heißt. ... Werkschöpfung ist Weltschöp79 Der Begriff der Genesis impliziert logischerweise denBegriff Gottes als fung. “ Kreator. Kandinsky deutet es an: „ ImGegensatz zudemkurzen deutschen, französischen undenglischen Wort für‚Werk‘spiegelt daslange russische Wort ‚proizvedenie‘ [das wörtlich ‚Hervorbringung‘ heißt, M.B.] gleichsam die ganze lange, komplizierte undgeheimnisvolle Geschichte des Werkes wider undhat sogar den 801904 schreibt Kandinsky anGabriele Münter, Beiklang ‚göttlicher‘Prädestination.“ daßer malen muß. „ Es ist in mirfertig undes mußAusdruck finden. Wenn ich so spiele, so zittert in mirjeder Nerv, imganzen Körper klingt Musik, undder Gott in meinem Herzen. ... Ich mache Dich noch kräftig undstark undgesund ... . Undder 81 Gott wird zuunsbeiden sprechen.“

ZumEinfluß Solowjews auf Rudolf Steiner undKandinsky siehe Hochholzer: Evasionen, S. 93, 94. Über Steiner stellt Hochholzer auchdieGedankenverbindung vonSolowjew zuBeuys’ die Erweiteher. Hochholzer meint, in der Ästhetik Solowjews „ „ erweitertem Kunstbegriff“ rungdestraditionellen Kunstbegriffes trotz odervielleicht gerade wegen aller Gebundenheit an idealistische Denktradition prägnant darstellen zukönnen.“S. 12. 78 Zitiert nach Hochholzer: Evasionen, S. 173, 174. 79 Kandinsky: Die gesammelten Schriften Bd. I, hrsg. vonHans K. Roethel undJelena HahlKoch, Bern 1980. (= Kandinsky: Gesammelte Schriften), Zitat S. 41. Kandinsky schreibt dies in , dener 1913 verfaßt hat. Dererste Bandder„GesammelRückblicke“ seinem wichtigen Text „ tenSchriften“enthält Kandinskys autobiographische undethnographisch/juristische Schriften. Die Edition dieses Bandes ist vorbildlich undmankann nurhoffen, daßdie weiteren Bände (wenn sie dennje erscheinen werden –derVerlag hatauf meine Anfrage diesbezüglich nicht

80

geantwortet) diesen Standard halten werden. , dieunter dem Rückblicke“ Kandinsky macht diese Anmerkung inderrussischen Ausgabe der„ Titel: „ Worte (Text) eines Künstlers“1918 in Moskau erschienen ist. Ebenda, S.145 undS.

163, Anm. 36. 81 Zitiert nach Hans K. Roethel: Kandinsky. Das graphische Werk, Köln 1970, S. XXIV.

38

Teil I: Einleitung

3. DieBegriffe Intuition undRatio, Natur undWelt, Selbst und Gott als Kategorien einer künftigen Kunstgeschichte Damit haben wirdie Kategorien hergeleitet, die imZentrum dieser Untersuchung stehen undals Pole fungieren: Intuition undRatio –Natur undWelt –Ich (Selbst) undGott. Derfüreine Einleitung ungewöhnlich große Bogen ist deshalb notwendig, um hinreichend vor Augen führen zu können, daß diese Kategorien keine äußeren Konstrukte sind, diederKunstgeschichtswissenschaftler erfunden hat, um sie denSchriften der Künstler undihren Werken nachträglich aufzupfropfen, sondern daßsie organisch ausdemDenken derKünstler hervorgehen, das seinerseits aus dem Schaffen der Werke erwächst. Um der Klarheit willen meine These vorweg: Denken undBilden des Künstlers, bildnerisches Denken unddenkerisches Bilden formieren eine einheitliche Ganzheit ausunterschiedlichen Teilen, in deren jedem das Ganze ist undwirkt. Die übergreifende Spange, die diese Teile zusammenhält und verbindet, ist die Einheit von Leiblichkeit undGeistigkeit des Künstlers, denn aus ihr entspringt sowohl dasWerk als auch derGedanke –Materie und Geist. Das Ineinanderverschränktsein vonLeiblichkeit undGeistigkeit in derPerson des Künstlers steht in Analogie zur Einheit des Kunstwerkes, das seinerseits künstlerische Einheit vonanschauliMaterie undGeist synthetisiert. Dies ist die „ 82 cher Gestaltung, seelischem Ausdruck undgeistigem Gehalt.“ Kategorien“die Rede, denn die vorliegende Studie versteht Bewußt ist von „ sich als eine mögliche Reaktion auf die überzeugende Kritik an den Kategorien , wie sie Lorenz Dittmann in seinem gleichnamigen Buch Stil-Symbol-Struktur“ „ mit demUntertitel: „Studien zu Kategorien der Kunstgeschichte“,83vorgelegt hat. Sind die Begriffe Stil, Symbol und Struktur gleichsam Kategorien von außen, die der Kunstgeschichtswissenschaftler sich gewissermaßen zurechtlegt, umsie dann über die Werke der Kunst zu stülpen unddamit die Kunst einem Begriffsapparat unterordnet, so sollen dieBegriffe Intuition undRatio, Natur undWelt, Ich (Selbst) und Gott Kategorien von innen sein, da sie aus der Denkerfahrung der Künstler

82 Lorenz Dittmann: Stil-Symbol-Struktur. Studien zuKategorien derKunstgeschichte, München 1967, S.94 (= Dittmann: Stil-Symbol-Struktur). ZumVerhältnis vonbildender Kunst (Malerei) und der Leibesthematik siehe den Aufsatz von Lorenz Dittmann: Kunstwissenschaft und 316. In jedem Phänomenologie des Leibes, in: Aachener Kunstblätter, Bd. 44, 1973, S. 287– kommt –in welcher Weise auch immer –dieLeibesthematik mitzurDarstellung. Kunstwerk „ ... an Mannigfaltigkeit übertrifft Kunst wohl alle anderen Erscheinungsformen des Leiblidas anthropologische Fundament der bildenden chen.“Unter diesem Gesichtspunkt kann „ Kunst deutlicher hervortreten –undauch die Eigenart derbildenden Kunst selbst ...“S. 287. Es geht schlechterdings nicht an, beim Dittmann verweist aufMaurice Merleau-Pontys Satz: „ Menschen eine erste Schicht von‚natürlich‘ genannten Verhaltungen undeine zweite, erst hergestellte unddarübergelegte Schicht dergeistigen oder Kultur-Welt unterscheiden zuwol(Phänomenologie derWahrnehmung, dt.Berlin 1966, S. 224). ImLeben undinderKunst len.“ die ist der Leib, die Natur und die Materie Träger eines Geistigen. Im Kunstwerk kann „ Dimension des Leiblichen nicht grundsätzlich transzendiert“werden, denn die Kunst kann „ doch nurimSinnlichen geistige Gehalte vergegenwärtigen.“Dittmann, S. 312. 83 Habilitationsschrift, Technische Hochschule Aachen, München 1967.

3. Die Begriffe

Intuition

undRatio, Natur undWelt, Selbst undGott

39

selbst herrühren undvondiesen insFeldgeführt werden. Diegenannten Kategorien bilden also kein zuerst per Definition starr festgelegtes Begriffssystem, sondern sie füllen sich in derPraxis mit Inhalten, so wiePaul Klee vomMaler sagt: „ Er weiß 84Dennoch bedingen die Kategorien die sehr viel, aber er weiß es erst ‚nachher‘.“ künstlerische Erfahrung im Kantschen Sinne, insofern sie dem bloßen Schaffen Erkenntnischarakter verleihen, für sich allein jedoch keinerlei Erkenntniswert haben.85 Daß die Künstler überhaupt über diese kategorialen Sachverhalte denken, sprechen unddiskutieren ist dasEntscheidende. WieBeuys bemerkte: „ Eigentlich, 86 diewichtigste Diskussion haterkenntnistheoretischen Charakter.“ Nach Dittmann sind „Kategorien im wissenschaftstheoretischen Sinne ... ‚Stammbegriffe‘. Sie stehen an zentraler Stelle im Begriffsgefüge einer Wissenschaft. Als ‚Vorbegriffe‘, ‚Antizipationen‘ leiten sie die Erkenntnisarbeit. Sie bestimmen den Horizont, in dem die Erkenntnisgegenstände gesehen werden. Sie lassen erkennen, welche geistigen Vorentscheidungen eine Wissenschaft jeweils 87Da die gegenwärtige Kunstgeschichte weitgehend positivistisch88 getroffen hat.“ Künstler-Romantik“abqualifiorientiert ist unddiegenannten Kategorien eher als„ ziert werden, bieten sie sich als Kategorien einer künftigen Kunstgeschichte an. Damit ist kein programmatischer Anspruch erhoben, sondern es sollen nurFingerzeige gegeben werden, wo die Kunstgeschichtswissenschaft sich hinorientieren kann.89 Weil Kunstgeschichte vornehmlich positivistisch strukturiert ist, ist sie auch „abstrakt“im Hegelschen Sinn. Somit trifft sie der gegen alle Naturwissenschaften vorgebrachte Vorwurf, an der konkreten Lebens- und Erfahrungswelt vorbeizuforschen. Auch der häufig angesprochene Bezug zumKunstwerk ist kein Persilschein, so als habe mandamit Garantie, dieSache selbst zutreffen. Kunstgeschichte bekommt ihr Licht natürlich vom Kunstwerk selbst, vom Künstler und seinem Denken unddurch vergewissernde Reflexion auf eigene Erkenntnisbedingungen. Die vondenKünstlern genannten Zentralbegriffe finden sich bereits in einem grundlegenden Aufsatz von Kurt Badt: „ Die Idee der Welt und das Selbst als

84 Dieser

Ausspruch Klees ist überliefert vonHans-Friedrich Geist, zitiert nach Ludwig Grote (Hrsg.): Erinnerungen anPaul Klee, München 1959, S. 87 (= Grote: Klee). 85 Siehe Stichwort „Kategorie“in: Philosophisches Wörterbuch, begründet vonHeinrich Schmidt, 20. Aufl., Stuttgart 1978, S. 341. (= Philosophisches Wörterbuch). 86 Joseph Beuys: Jeder Mensch ein Künstler. Gespräche auf derdocumenta 5/1972, hrsg. von Clara Bodenmann-Ritter, Frankfurt a.M., Berlin, 3. Aufl. 1991, S. 52. (= Beuys: Jeder Mensch einKünstler). 87 Dittmann: Stil-Symbol-Struktur, S. 9. , siehe Anm.40. 88 Paradigmatisch hierfür ist dasBuch: „Kunstgeschichte –Eine Einführung“ Die Begriffe Kunstgeschichtswissenschaft, Kunstwissenschaft, Kunstgeschichte werden hier 89 „ ohne Bedeutungsunterschiede gebraucht, variiert nurausstilistischen Gründen. Es ließe sich zwar miteinigem Recht differenzieren zwischen Kunstgeschichte als Gegenstand undKunstgeschichtswissenschaft als Medium der Forschung, aber dieser Unterschied läßt sich, schon wegen derTitel derzuzitierenden Bücher, nicht durchhalten. VonderKunstgeschichte gänzlich ablösbare kunstwissenschaftliche Probleme gibt es m.E. nicht.“Dittmann: InterdisziplinärerZusammenhang, S. 149, Anm. 1.

Teil I: Einleitung

40

fundamentale Wesenheiten bildender Kunst“ ,90geschrieben als Beitrag zurunveröffentlichten Festschrift für Walter Friedlaender, 1933. Die zeitliche Nähe zuden Schriften derAvantgardisten ist bemerkenswert, die Jahreszahl geradezu symptomatisch. Badt als Jude mußte, wie die freiheitlich denkenden Künstler Kandinsky undKlee, vordenNazis indieEmigration flüchten. Liegt indiesem biographischen Faktum vielleicht ein Grund dafür, daßBadt nie die verdiente wissenschaftliche Reputation erreicht hat, wie sie zum Beispiel für Erwin Panofsky91 und Hans Sedlmayr selbstverständlich ist? Während Sedlmayrs von einem fundamentalen 92,dasdie moderne Kunst als „gottIrrtum ausgehendes Buch „ Verlust derMitte“ los“verteufelt, bis heute Neuauflagen erlebt, ist von Badts Schriften fast nichts mehr im Buchhandel. Das wohl bedeutendste Buch zumBeginn der modernen Malerei, nämlich Badts Werk „ Die Kunst Cézannes“ , imPrestel Verlag München 1956 erschienen, ist seither nie wieder aufgelegt worden. Woliegen die Gründe? Einer dieser Gründe liegt imDenken Badts, der selbst bildnerisch tätig war. Sein Denken ist demjenigen derKünstler wesensverwandt unddasmacht ihnwohl für eine positivistisch orientierte Kunstwissenschaft inakzeptabel. In kritischer Auseinandersetzung mit derPhilosophie Martin Heideggers und 93fragt Badt nach demWesen der Kunst, nach ihrer „essenIdea“ Panofskys Buch „ tia“ . Aufder Suche nach demSein derKunst geht Badt vonfolgender Voraussetzung aus: die Kunst, die in ihrem Prozeß autonom ist, ist „aber doch demLeben – demIch undder Natur –verbunden...“D adurch bestimmt sich derOrt der Kunst innerhalb der gesammten Geistigkeit, „ nämlich daß sie gültig sei nicht nurinner-

90 Kurt Badt:

Kunsttheoretische Versuche. Ausgewählte Aufsätze, hrsg.

vonLorenz Dittmann,

37. (= Badt: Kunsttheoretische Versuche). Köln 1968, S. 29– 91 Panofsky, wie Badt jüdischer Emigrant, hat sein wissenschaftliches Ansehen in den USA weiter fundiert, wasfürdieinternationale Akzeptanz wesentlich ist. Daßihmdies inDeutschlandgelungen wäre, ist zubezweifeln, wennmanallein bedenkt, wielange esdauerte, biseine deutschsprachige Ausgabe vonPanofskys Dürer-Buch erschien, nämlich von 1943 bis 1977. Hier sei auf das kaum bekannte biographische Faktum verwiesen, daßes Kurt Badt war, der Panofsky zurKunstgeschichte gebracht hat. Panofsky berichtet dies selbst in seinem Vorwort zudemBuch seines Lehrers Wilhelm Vöge: Bildhauer desMittelalters. Gesammelte Studien, 1952), seit 1908 Professor für Kunstgeschichte in Freiburg im Berlin 1958. Vöge (1868– Breisgau, war auch der Lehrer Kurt Badts; dieser promovierte 1913 mit einer Arbeit über , Berlin 1915. Panofsky berichtet, Dürers Ästhetik“ Andrea Solario bei Vöge, Panofsky über „ in seinem ersten Semester alsstudiosus juris immatrikuliert, voneinem älteren, schon daßer „ , demdieser Liebesdienst unvergessen geblieben ist–zueiner initiierten Freunde –Kurt Badt– Vorlesung Vöges über Dürers Rosenkranzfest unddie damit zusammenhängenden Zeichnun. (S. gen ‚mitgenommen‘ wurde; ‚et confestim ceciderunt ab oculis ejus tamquam squamae‘“ XXIV).

92 Diebildende

Kunst des 19. und20. Jahrhunderts als Symptom undSymbol derZeit, Salzburg Gefährlichkeit“Sedlmayrs siehe denkurzen aber prägnanten Artikel Lorenz Ditt1948. Zur„ Er verunsicherte eine Generation. DerKunstwissenschaftler HansSedlmayr wird85– manns: „ Autor des Buchs ‚Verlust der Mitte‘“ , in: Saarbrücker Zeitung vom 17.01.1981 und die ausführliche Kritik an Sedlmayr in Dittmann: Stil-Symbol-Struktur. S. 142 ff., besonders S.

93

190 ff.

Erwin Panofsky: IDEA: EinBeitrag zurBegriffsgeschichte derälteren Kunsttheorie. Leipzig, Berlin 1924, 2. Aufl. Berlin 1960.

3. Die Begriffe Intuition undRatio, Natur undWelt, Selbst undGott

41

halb ihres eigenen Verfahrens, sondern nach außen hin –für die Totalität des geistigen Lebens.“Dasist so, weil inderKunst Welt als „Verwirklichung erwiesen“ ist, undzwar Welt „ in derstrengen Bedeutung desBegriffes Kosmos“ . Welt meint dann „ die Wirklichkeit nach einer gesetzmäßigen Ordnung aufgefaßt, die sie als Einheit verstehen läßt; dabei ist wiederum unter Wirklichkeit verstanden: das Außen inderNatur unddasimInnern desMenschen Wirkende. Welt (Kosmos) ist ein Bild, das in seiner Gesetzmäßigkeit die Natur unddas erblickende Ich mit umfaßt.“I ndem die künstlerische Darstellung eine Welt hervorbringt, verwandelt sich „ das schaffende Ich zum Selbst“ .„ In Kunstwerken erscheint zugleich eine Darstellung desSchöpfers, die mitdessen Abbild sowenig wiemitdessen psychologischer Wirklichkeit zu tun hat, hineingenommen in die dargestellten Dinge und dennoch ausihnen heraus wahrnehmbar, diekünstlerische Persönlichkeit (wie wir gewöhnlich sagen), in Wahrheit das in der Welt verwirklichte Selbst des Künst94 Wie sich zeigen wird, stehen diese wichtigen Überlegungen Badts in lers.“ Einklang mitdenGedanken derKünstler. Badt wares auch, deralseiner derersten wieder aufdiebesondere Beziehung derKünstler zuGott aufmerksam machte, und Der Gott und der Künstler“von 1956, der mit den zwar in seinem Aufsatz „ programmatischen Sätzen endet: „ Danngibt es diebegnadeten Künstler, vonderen Frömmigkeit oder Nichtfrömmigkeit ja hier mit keinem Worte die Rede warnoch ist: Ihr Gott steht hinter ihnen. Unsichtbar treibt er sie zu ihrem Werk undüber95Bei Kandinsky heißt dasunmißverständlich: „ schattet sie mitseinem Geiste.“ ... der Künstler arbeitet, nicht umLob oder Bewunderung zu verdienen ..., sondern der kategorisch befehlenden Stimme gehorchend, die die Stimme des Herren ist, 96 vordemer sich zubeugen hat, unddessen Sklave er ist.“ Durch die Beschäftigung mitdenSchriften Kurt Badts unddurch die Anwendung seiner methodischen Erkenntnisse bei der Analyse einzelner Kunstwerke97 wird die Relevanz derKategorien Natur, Welt, Selbst undGott für die Kunst stets von neuem bewußt. Denn: „Nicht durch wissenschaftstheoretische Überlegungen legitimiert sich die Kunstgeschichtswissenschaft, sondern durch die erkennende , wie Dittmann konstatierte unddurch seine zahlreiAuslegung der Kunstwerke“ chen Schriften auch zurmodernen Kunst unter Beweis gestellt hat.98 Die genannten Kategorien in denSchriften undReden derKünstler wiederzufinden, veranlaßte mich zudemVorhaben, einerseits speziell diese Begriffe in den Blick zu nehmen und andererseits generell die Rolle der Künstlertheorien zu bedenken, dasheißt, dieFrage nach demSinn undderFunktion derKünstlerreflexion zu stellen. Deshalb kreist die Untersuchung um die drei Begriffspaare: 1. Intuition undRatio, 2. Natur und Welt und3. Selbst und Gott. Daß es zwischen diesen drei Paaren zuhäufigen Überschneidungen undBezugnahmen kommt, liegt

94 Badt: Kunsttheoretische Versuche. S. 30, 32, 33. 95 Badts Aufsatz erschien zuerst in: Philosophisches Jahrbuch derGörres-Gesellschaft, 64. Jg., 392. Wiederabdruck in ebenda, S. 85–101, Zitat S. 101. München 1956, S. 372– 96 Kandinsky: MeinWerdegang. In: Gesammelte Schriften, S. 59. 97 Siehe Bunge: Liebermann 98 Dittmann: Stil-Symbol-Struktur. S. 11.

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Teil I: Einleitung

inderNatur derSache, wennmanetwas, wasinnerlich engzusammengehört, zum Zweck der Analyse zerteilt. Dieses Grundproblem eigentlich jeder „ wissenschaftlichen“Untersuchung von künstlerischen Phänomenen hat schon Paul Klee mit luziden Worten beschrieben. Diese zeigen einmal mehrdieDenkstärke eines Künstlers: „ Es ist nicht leicht, sich in einem Ganzen zurechtzufinden, dassich ausGliedern zusammensetzt, welche verschiedenen Dimensionen angehören. Undsolch ein Ganzes ist sowohl dieNatur als auch ihr umgeformtes Abbild, die Kunst. Es ist schwer, ein solches Ganzes, sei es Natur oder Kunst, zu übersehen, und noch schwerer ist es, einem andern zumÜberblick zuverhelfen. Dasliegt andenallein gegebenen, zeitlich getrennten Methoden, ein räumliches Gebilde so zu verhandeln, daßeine plastischklare Vorstellung sich einstellt. Das liegt an derMangelhaftigkeit des Zeitlichen in der Sprache. Denn es fehlt unshier an denMitteln, eine mehrdimensionale Gleichzeitigkeit synthetisch zu diskutieren. Wir müssen trotz aller Mangelhaftigkeit unseingehend mitdenTeilen befassen. Aber beijedem Teil sollen wir, so mancherlei es auch daschon zuerwägen gibt, unsderTeilhandlung als solcher bewußt bleiben, umnicht bange zuwerden, wenndann neue Teilhandlungen nach einer ganz anderen Richtung, in andere Dimensionen, in ein Abseits führen, wo die Erinnerung an vorher behandelte Dimensionen leicht verblassen kann. Zujeder zeitlich verrinnenden Dimension sollen wir sagen: ‚Du wirst jetzt Vergangenheit‘; aber vielleicht stoßen wir auf der neuen Dimension dereinst auf eine kritische, vielleicht glückliche Stelle, die deine Gegenwart wiederherstellt. Undwennes unsbei mehrundmehrDimensionen immer schwerer fallen mag, uns die verschiedenen Teile dieses Gefüges gleichzeitig zuvergegenwärtigen, so heißt es, sehr viel Geduld zu haben. Was den sogenannten räumlichen Künsten längst gelang, was auch die zeitliche Kunst der Musik mit klingender Prägnanz in der Polyphonie schuf, dieses simultane mehrdimensionale Phänomen, dasdemDrama zu seinen Höhepunkten verhilft, kennen wir auf demwörtlich-didaktischen Gebiet leider nicht. Der Kontakt der Dimensionen muß hier außerhalb eintreten; nach99 träglich.“ Die hier vonKlee beschriebenen Schwierigkeiten, wenner sich mitWorten zu seiner Kunst äußern soll, lassen sich auch auf das Geschäft des Kunsthistorikers wörtlichübertragen, denn dieser steht vor den gleichen Problemen auf dem „ . Klee macht auch sehr deutlich auf das Prozeßhafte, den didaktischen Gebiet“ Bewegungsablauf eines solchen Unternehmens aufmerksam, das sich auch nicht von vorneherein in eine bestimmte Richtung festlegen läßt, sondern das selbst mobil undoffen bleiben muß.DasDenken mußinBewegung kommen, wobei man 99 So Paul Klee inseinem bedeutenden Vortrag, denerausAnlaß einer Ausstellung seiner Werke imKunstverein Jena 1924 gehalten hat. DerVortrag wurde erstposthum unter demTitel „Über Bildneri, Bern 1945, veröffentlicht. Jörg Spiller, derHerausgeber des „ die moderne Kunst“ , gab dem Vortrag die Überschrift: „Übersicht undOrientierung auf dem schen Denkens“ . Siehe dazu Christine HopfenGebiet der bildnerischen Mittel undihre räumliche Ordnung“ gart: Klee. VomSonderfall zumPublikumsliebling. Stationen seiner öffentlichen Resonanz in 1960, Mainz 1989, S. 150 ff. (= Hopfengart: Klee). Hier wird Klees Vortrag Deutschland 1905– 85. Zitat aufS. 72, 73. zitiert nach Klee: Kunstlehre, S. 70–

3. Die Begriffe Intuition undRatio, Natur undWelt, Selbst undGott

43

allerdings riskiert, wie Klee sagt, ins „ Abseits“zu geraten oder wie Heidegger formulierte auf „Holzwege“ .100 Weil unser Denken prinzipiell unabschließbar ist, kann mansich vorIrrtum nicht schützen oder aber manläßt sich aufdasAbenteuer einer solchen Untersuchung erst garnicht ein. Dannaber gerinnt alles, dasDenken erstarrt. Wirwollen abermitKlees Worten „ eine kleine Reise insLandderbesseren Erkenntnis“antreten. Denn „ Bewegung liegt allem Werden zugrunde“undauch „ im Weltall ist Bewegung dasGegebene. Ruhe auf Erden ist zufällige Hemmung derMaterie. Dies Haften fürprimär zunehmen eine Täuschung“.101 DerMensch mußsich geistig bewegen, erkanngarnicht anders, Klee bezeichnet es als die menschliche „Urtragik“ . Als Denkender, ja eigentlich als philosophisch Denkender formuliert Klee: „ Der Vater jedes Bewegungs- oder Wurfgeschosses, also auchdesPfeils warderGedanke: wieerweitere ichmeine Reichweite dorthin? Über diesen Fluß, diesen See? Überdiesen Berg? dorthin? ... DerVater ist ganz Geist, ganz Idee, eben ganz Gedanke. ... Diese Fähigkeit des Menschen geistig Irdisches und Überirdisches beliebig zu durchmessen im Gegensatz zu seiner physischen Ohnmacht, ist diemenschliche Urtragik. Die Tragik der Geistigkeit. Die Folge dieser gleichzeitigen Ohnmacht desKörpers unddergleichzeitigen geistigen Beweglichkeit ist die Zwiespältigkeit des menschlichen Seins. Halb Gefangener, halb Beflügelter, kommt jedem derbeiden Teile durch dieWahrnehmung seines Partners dieTragik seiner Halbheit zumBewußtsein.“Dazumacht Klee eine Der Gedanke als Medium erläuternde Zeichnung (siehe Abb. 16), unter dersteht: „ Je weiter dieReise vonhier Dannfährt derText fort: „ zwischen Erde undKosmos.“ nach dort, desto empfindlicher die Tragik. Begründet ist sie jedoch schon in der Tatsache des Ausgangspunktes, in derNotwendigkeit, sich auseiner Gebundenheit loslösen zu müssen, Bewegung werden zumüssen, undnicht Bewegung schon zu sein. Also amAnfang liegt dieTragik schon. DerVerlauf entspricht: wieüberwindet der Pfeil die reibenden Hemmungen? wird die Bewegung anhalten (–bis dorthin, wo sie unendlich wird keinesfalls), aber doch wenigsten bis dorthin? ein wenig weiter als üblich? (InParanthese: Also lasst euch beflügeln ihrPfeile! damit ihr nicht allzu früh ermüdet, lasst euch gestalten damit ihrtrefft, damit ihr mündet, wenn ihr auch ermüden undnicht münden werdet!)“102 100 Martin Heidegger: Holzwege, 5. Aufl., Frankfurt a.M., 1972. Heidegger stellt seinem Buch Holz lautet ein alter Name fürWald. ImHolz sind Wege, die meist folgendes Motto voran: „ verwachsen jäh im Unbegangenen aufhören. Sie heißen Holzwege. Jeder verläuft gesondert, aber im selben Wald. Oft scheint es, als gleiche einer demanderen. Doch es scheint nurso. Holzmacher undWaldhüter kennen dieWege. Sie wissen, wases heißt, aufeinem Holzweg zu sein.“ 101 Paul Klee: Schöpferische Konfession. Dieser Aufsatz ist Klees Beitrag zudemSammelband: 40 (Tribüne derKunst undZeit. Eine Schrif, Berlin 1920, S. 28– Schöpferische Konfession“ „ konzipiert Graphik“ tensammlung. Hrsg. vonKasimir Edschmid), dener 1918 unter demTitel „ hat. Siehe die Transkription des Originalmanuskriptes der Paul Klee-Stiftung in Paul Klee: 175. (= Schriften, Rezensionen undAufsätze, hrsg. vonChristian Geelhaar, Köln 1976, S. 171– 66, Zitate auf S. 61, 62, 63. Klee: Schriften). Hier zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, S.60– 102 Paul Klee: Beiträge zurbildnerischen Formlehre, Vorlesung vonMontag, dem3. April 1922. Zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, S. 234–235. Siehe auch Klee: Pädagogisches Skizzenbuch, S. 44.

Teil I: Einleitung

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So sieht Klees „kleine Reise ins Land derbesseren Erkenntnis“des Bildnerischen Denkens aus. Undseine Pfeile treffen, sowohl seine bildnerischen als auch seine gedanklichen. Weil der Künstler eben nicht nurMaterie (Gefangener seines Leibes) ist, derwieein „ Anstreicher“malt, sondern daer Geist ist, einen Intellekt besitzt, mußderKünstler auchdenken, erkanngarnicht anders. Unddeshalb ist der Gedanke, das heißt das Bildnerische Denken, aber auch der Bild-Gedanke des Künstlers relevant, denn er ist „ Medium“ , Mittler „zwischen Erde undKosmos“ , zwischen Natur undWelt, zwischen Materie undGeist. Der „ Gedanke“ist aber auch Medium zwischen Intuition undRatio undin einer anderen Sphäre zwischen IchundGott. Undimübertragenen Sinnist dasBildnerische Denken auchMedium –hatMittlerfunktion –zwischen Werk undBetrachter, wennmanes nurwill, wenn manbereit ist, sich zuöffnen. Genauso, wiemandieBereitschaft aufbringen muß, sich einem Bild zuöffnen, d.h. seine Anschauungstätigkeit denWegen folgen zu lassen, die derKünstler demBeschauer im Kunstwerk eingerichtet hat,103 genauso mußdieBereitschaft aufgebracht werden, dieGedanken eines Künstlers vorurteilsfrei nachzuvollziehen, seinen „Denkwegen“zufolgen. Dies impliziert aber denken zumüssen, und„welche Angst ist heute größer als diejenige vordemDenken?“.104 Zumal es viel Zeit erfordert, denDenk- undBildwegen eines Künstlers zufolgen. ... zumVerstehen eines Bildes gehöre ein Stuhl ...“105.Damit ist Klee pointiert: „ der Kunstgeschichte geraten, die Einzelwerke gründlich zu analysieren undden Blick zurichten aufdenschwierigen Zusammenhang derbildnerischen Elementarmittel, bestehend aus Linie, Hell/Dunkel und Farbe, der die Komposition, den Bildraum als Streit vonFläche undTiefe unddie Bildzeit als Folge vonRuhe und Bewegung konstruiert undderdie Identität ausGestalt, Inhalt undGehalt fundiert. NurausderErkenntnis dieses Zusammenhangs kanneine hinreichende Interpretation versucht und gewonnen werden. Immerhin waren es Künstler, allen voran Kandinsky undKlee, die mit ihren bahnbrechenden Untersuchungen derbildnerischen Elementarmittel überhaupt erst dasBewußtsein derKunstgeschichtswissennotwendige Grundlagenforschung“geschaffen haben. Ja man schaft für diese „ kann überspitzt sagen, mit Kandinsky fängt die Kunstgeschichte erst richtig an. Kandinsky warsich dessen bewußt, denn er spricht vonder „beginnenden Kunstwissenschaft“ . „Eine derwichtigsten Aufgaben derjetzt beginnenden Kunstwissenschaft wäre eine eingehende Analyse derganzen Kunstgeschichte inBezug aufdie Elemente, auf Konstruktion undKomposition zu verschiedenen Zeiten, bei verschiedenden Völkern einerseits undandererseits die Feststellung des Wachstums im Bereich dieser drei Fragen –der Weg, das Tempo, die Notwendigkeit der Bereicherung undderwahrscheinlich sprungartigen Entwicklung, diein derKunstgeschichte vielleicht in einer bestimmten Entwicklungslinie –möglicherweise eiDemgleich einem weidenden Tier abtastenden Auge des Beschauers sind im Kunst103 Klee: „ , im werk Wege eingerichtet. (In derMusik demOhrZuleitungskanäle –dasweiß einjeder –

, in Klee: Schöpferische Konfession, zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, Drama beides beiden.)“

S. 63. 104 Heidegger: Kunstwerk, S. 91. 105 Klee: Kunst-Lehre, S. 63.

3. DieBegriffe Intuition undRatio, Natur undWelt, Selbst undGott

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nerWellenlinie –verläuft. Dererste Teil dieser Aufgabe –dieAnalyse –grenzt an die Aufgaben der ‚positiven‘Wissenschaften. Derzweite Teil –Art derEntwicklung –grenzt andie Aufgaben derPhilosophie. Hier bildet sich der Knotenpunkt derGesetzmäßigkeit in dermenschlichen Entwicklung imallgemeinen.“106 Erstaunlich wenige Kunsthistoriker sindderAufforderung Kandinskys gefolgt. An erster Stelle ist Ernst Strauss zu nennen, der in seinem grundlegenden Buch „ Koloritgeschichtliche Untersuchungen zur Malerei seit Giotto“107die möglichst genaue Analyse der bildnerischen Elementarmittel, vor allem der Farbe, für die kunstgeschichtliche Forschung fruchtbar gemacht hat, indem er mehrere Prinzipien

der Farbgebung in derMalerei begrifflich unterschieden unddamit eine Methode zur sprachlichen Erfassung des anschaulichen Bestandes vorgelegt hat, die ihresgleichen sucht.108 Auch hier ist bemerkenswert, daßErnst Strauss selbst malte und musizierte undsich immer wieder in seinen Forschungen aufdieKünstlerschriften bezog?109 Er verstand es, von den Überlegungen der Künstler ausgehend, einen direkten Zugang zuihren Werken zufinden. So wie die Bilder, bedürfen auch die reflexiven „Dokumente“derAuslegung.110 106 Kandinsky: Punkt undLinie, S. 11, 16, 17. 107 Strauss: Koloritgeschichtliche Untersuchungen. Siehe darin den wegweisenden Aufsatz von Dittmann: Grundzüge derkoloritgeschichtlichen Forschung vonErnst Strauss, S. 343 ff. 108 Siehe ebenda: „ 26. ZurWesensbestimmung derBildfarbe“ , S. 11– 109 Bildnerische Werke von Ernst Strauss sind abgebildet in der „kleinen“Festschrift: Ernst Strauss zum80. Geburtstag, 30. Juni 1981, mitBeiträgen vonWerner Gross, Reinhold Hammerstein, Lorenz Dittmann, Andreas Prater, Helena Walter-Karydi, Wolfgang Pilz undThomas Lersch, hrsg. im Rahmen einer Ausstellung der Zeichnungen undTemperas vonErnst Strauss in der Galerie Arnoldi-Livie, München 1981. Wie Werner Gross in seinem Beitrag feststellt, steht Strauss damit in derReihe jener Kunsthistoriker, die neben ihre theoretische, wissenschaftliche Arbeit flankierend eine musikalische oder bildnerische stellen, wie z.B. Wölfflin, Dehio, Thode, Pinder, Badt undImdahl. Strauss unterscheidet sich vondengenanntenaber darin, daßfür ihndie malerische undmusikalische Beschäftigung keine nebensächliche Freizeitangelegenheit war, sondern zumregulären Arbeitspensum gehörte. Deshalb sind bei Strauss bildnerische Praxis undkunstgeschichtliche Theorie korrelativ. Dies bringt ihn in die Nähe derdenkenden Künstler! Hier bewahrheitet sich ein Gedanke Friedrich Nietzsches: „ Will manüber Kunst Erfahrungen machen, so mache maneinige Kunstwerke, es gibt keinen Zitiert nach Stelzer: Abstrakte Kunst, S. 218. anderen Wegzumästhetischen Urteil.“ Die tiefgreifenden Erkenntnisse von Strauss zumSpätwerk Paul Cézannes basieren auf der subtilen phänomenologischen Analyse der Bildgestalt der Einzelwerke einerseits und der Neuauswertung von Cézannes sprachlichen Äußerungen zur Kunst andererseits. Undhinzu kommt noch wesentlich dieerhöhte Sensibilisierung fürdieeigentlichen bildnerischen Problemedurch dieeigene malerische Tätigkeit. Insofern kanndieStrauss’scheMethode Vorbild für eine künftige Kunstgeschichte sein, denn sie ist eine „analytische Methode mitBerücksichtigung dersynthetischen Werte“ , wiesie Kandinsky in seinem Vorwort zu„Punkt undLinie zu NachbeFläche“proklamiert hat. (S. 11) Paradigmatisch hierfür ist derAufsatz vonStrauss: „ , inStrauss: Koloritgeschichtliche Untertrachtungen zurPariser Cézanne-Retrospektive 1978“ 184. suchungen, S. 163– 110 So auch Walter Hess in seinem verdienstvollen Band: Hess: Dokumente. In seiner Einleitung „ Moderne Kunst inSelbstzeugnissen“stellt Hess treffend fest, wasauchheute nochGültigkeit besitzt: „ Dennoch glauben wir an den Erkenntniswert dieser das Phänomen der modernen Kunst begleitenden Dokumente, nicht weil wirvonihnen eine verbindliche, objektive Deutung

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Teil I: Einleitung

Nurzuoft begibt sich diekunsthistorische Praxis nach flüchtiger Kenntnisnahme des formalen Bestandes in ikonographisch-ikonologische Übungen, sofern es die „alte“Kunst betrifft, bei der modernen in soziologisch-historische Überlegungen, gestützt auf das weit verbreitete Vorurteil, moderne Kunst, vor allem die abstrakte, entzöge sich der genauen Analyse und wolle gar nicht interpretiert Nestbeschmutzers“zu wagen, macht so wenig werden!111 Sich in die Rolle des „ Spaß wiedieErkenntnis derunbefriedigenden Situation. Eine Disziplin, diesich als

Wissenschaft versteht, kann jedoch auf Selbstkritik und Selbstbefragung nicht verzichten. „ Kritik ist intellektuelles Gewissen, Kritik ist einTeil destheoretischen Verhaltens überhaupt. Indem siedasWahre vomUnwahren zuunterscheiden sucht, dasErkennen gegen denblinden, ungeprüften Glauben setzt, ist sie selbst Wissenschaft.“(Bruno Fürst).112 Oder mitdenWorten Heideggers: „ Die eigentliche ‚Bewegung‘derWissenschaften spielt sich ab in dermehr oder minder radikalen und ihr selbst nicht durchsichtigen Revision derGrundbegriffe. DasNiveau einer Wissenschaft bestimmt sich daraus, wieweit sie einer Krisis ihrer Grundbegriffe fähig ,113unddas sei angefügt, ihrer Verhaltensmuster. Kurt Badt hat fürdie Kunstgeist“ schichte dasHinterfragen dereigenen Vorgehensweise reklamiert: „ Die Grundlagenforschung gehört zu dendringlichsten Aufgaben jeder Wissenschaft, weil sie diese fördert undzugleich über sie hinausgeht. DenndieErforschung derGrundlageneiner Wissenschaft kann sich nicht darauf beschränken zufragen, obdie in ihr angewandten Methoden zureichend undgenügend begründet sind; sie ist immer aucheine Erprobung desforschenden Gewissens, einmoralisches Anliegen, indem gefragt wird, obdas, wasmitdiesen Methoden erforschbar wird, auch desWissens wert ist, ob dasGewissen es noch vertreten kann, daßweiter geforscht werde, wie es bisher geschehen ist. ... mitNietzsches Worten: ‚Nursoweit Historie demLeben dient, wollen wirihr dienen.‘ K unstgeschichte umihrer selbst willen, ausGründen des möglichst vollständigen Wissenwollens zutreiben, zumWeiterschleppen aller möglichen festgestellten Daten undFakten, aber auch festgestellte Kunstwerke als

des Phänomens erwarten, sondern weil sie selbst zumPhänomen gehören. Denn mögen die Bekenntnisse und Theorien das Werk selbst mehr oder weniger zutreffend interpretieren, jedenfalls kommt beides aus dengleichen Wurzeln undAntriebskräften. Es kann deshalb für dasVerständnis vonKunst undKünstler indieser Zeitnicht gleichgültig sein, wiedieSchaffenEs ist aber zubedenken, daß densich selbst verstehen undverstanden wissen wollen.“(S. 8) „ Künstler in denseltensten Fällen einsysthematisches Gedankengebäude errichten. DieDokumente bedürfen derAuslegung. Ihre eigentliche Meinung ist oft erst durch denVergleich weit verstreuter, sich wechselseitig erhellender Aussagen zuermitteln, so daßwirhoffen dürfen, durch Auswahl undZusammenfügung zugleich schon eine Interpretation zuleisten.“(S. 10) Dieses Procedere vonHess ist auchmirmethodisches Leitmotiv. 111 Siehe dazu: Matthias Bunge: Die Wirklichkeit desBildes. Eine kritische Auseinandersetzung , in: Zeitschrift für mitMichael Bockemühls These vonder„Bildrezeption als Bildproduktion“ 189, besonders S. 153ff. (= Ästhetik undallgemeine Kunstwissenschaft, Bd. 35, 1990, S. 131– Bunge: Wirklichkeit desBildes). 112 Zitiert nach Dittmann: Stil-Symbol-Struktur, S. 8. 113 Martin Heidegger: Sein undZeit, 1.Aufl. 1927, zitiert nachder 15.Aufl., Tübingen 1979, S. 9.

3. DieBegriffe Intuition undRatio, Natur undWelt, Selbst undGott Zeugnisse

vonStilen oder garwillkürlicher

Ausdeutung

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zubestimmen, daslehnen

wir ab.“114

Sind wir bereit, nicht nurdie Bilder, sondern auch das Bildnerische Denken, dasjenige Denken, dassich ausderErfahrung desBildens speist, hinreichend zur Kenntnis zu nehmen, werden wir mit wesentlichen Erkenntnissen belohnt. Denn wie Klee in seinem Vortrag „Über die moderne Kunst“ausführt: „ Ich verhelfe Ihnen zueinem Blick in die Malerwerkstatt, undimübrigen werden wirunsdann schon verständigen können. Irgend ein gemeinsames Gebiet muß es zwischen Laien und Künstlern doch geben, auf dem ein gegenseitiges Entgegenkommen möglich ist undvonwoausihnen derKünstler garnicht mehr als abseitige Angelegenheit zuerscheinen braucht. Sondern alsein Wesen, daswieSie ungefragt ineine vielgestaltige Welt gesetzt wurde und das wie Sie sich wohl oder übel darin zurechtfinden muß. Das sich vonIhnen nurdarin unterscheidet, daßes mitseinen spezifischen Mitteln sich aus der Affäre zieht und damit manchmal vielleicht glücklicher ist als der Unschöpferische, zu keiner erlösenden realen Gestaltung Gelangende.“115Der Künstler redet, schreibt und denkt, weil er sich und seine Kunst verstanden, nicht nurakzeptiert wissen will. Mit seinen spezifischen bildneBildes“und rischen Mitteln gelangt der Schöpferische zurrealen Gestaltung des „ , der„Tragik derGeistigkeit“116im erlöst sich so vonder„menschlichen Urtragik“ Schaffensakt. Darum liegt in derkünstlerischen Tätigkeit ein therapeutisches Moglücklicher“ . „Diesen relatiment und deswegen ist der Schöpferische vielleicht „ venVorteil müssen Sie demKünstler schon gerne zugestehen, weil eres inanderer 117,fügt Klee hinzu. Er hates deswegen schwer, Hinsicht wieder schwer genug hat“ , „halb Gefangener“der weil ihm die „Zwiespältigkeit des menschlichen Seins“ Materie, „ halb Beflügelter“desGeistes zusein, besonders bewußt ist.118 Andererseits kann er die Zwiespältigkeit des menschlichen Seins zu überwinden suchen indem er Werke schafft, die Bildgedanken offenbaren undindem er GedankengeMedium zwischen Gedanke“ist das„ bilde schafft, die Bilder offenbaren, denn der„ , er vermittelt zwischen Materie undGeist.119 Erde undKosmos“ Reise ins Land derbesseren Folgt manalso demKünstler auf seiner kleinen „ wogrößere Erkenntnis zu finden“ist, wie Klee andeutet,120 das , da, „ Erkenntnis“ heißt, läßt man sich auf seine Bildgedanken undauf seine Gedankengebilde ein, Vom indem man seinen Denkwegen folgt, so hat man mit ihm die Chance, „ Anmaßend wird der KünstVorbildlichen zumUrbildlichen!“zu gelangen. Klee: „ ler sein, derdabei bald irgendwo steckenbleibt. Berufen aber sind die Künstler, die heute bis in einige Nähe jenes geheimen Grundes dringen, wo das Urgesetz die Entwicklungen speist. Da, wodasZentralorgan aller zeitlich-räumlichen Bewegt114 Kurt Badt: Modell undMaler vonJan Vermeer. Probleme derInterpretation. Eine Streitschrift gegen Hans Sedlmayr, Köln 1961, S. 9, 11. (= Badt: Modell undMaler). 115 Zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, S. 71. 116 Siehe Klee, ebenda S. 235. 117 Ebenda, S. 71. 118 Ebenda, S. 235. 119 Ebenda, S. 234. 120 Ebenda, S. 61.

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Teil I: Einleitung

heit, heiße es nunHirn oder Herz derSchöpfung, alle Funktionen veranlaßt, wer möchte da als Künstler nicht wohnen? Im Schoße der Natur, im Urgrund der Schöpfung, wo der geheime Schlüssel zu allem verwahrt liegt? Aber nicht alle sollen dahin! Jeder soll sich da bewegen, wohin ihn der Schlag seines Herzens 121Daßhier religiöse Dimensionen angesprochen sind, wird ausfolgenverweist.“ dem klar. Den Urgrund der Schöpfung bestimmt Klee als Gott. Dies geht aus seinem Gedicht hervor: Eine ArtvonStille leuchtet zumGrund. Von Ungefähr scheint daeinEtwas, nicht vonhier, nicht vonmir, sondern Gottes.

Gottes!

Wennauch nurWiderhall, nurGottes Spiegel, so doch Gottes Nähe. Tropfen vonTief, Licht ansich. Werje schlief undderAtemstand:

der... DasEnde heim zumAnfang fand. Paul Klee122

Nach demGenesis-Bericht schuf Gott denMenschen nach seinem Abbild.123 Weil Bild Gottes“124ist, trägt er sein Urbild insich, hater überhaupt Ideen derMensch „ (Gedanken), dieer ausdrücken muß.„ ImAnfang istwohldieTat, aber darüber liegt dieIdee. Unddadie Unendlichkeit keinen bestimmten Anfang hat, sondern kreisartig anfangslos ist, so magdie Idee fürprimär gelten. Im Anfang wardasWort, übersetzt Luther“ , lesen wirbei Klee.125

121 Klee: Über diemoderne Kunst, zitiert nachKlee: Kunst-Lehre, S. 83. 122 Paul Klee: Gedichte, hrsg. von Felix Klee, 2. erweiterte Aufl. Zürich 1980, S. 98. (= Klee: Gedichte)

123 Dort heißt es: „Dannsprach Gott: LaßtunsMenschen machen alsunser Abbild, unsähnlich. ... Gott schuf also denMenschen alsseinAbbild; alsAbbild Gottes schuf erihn.“ Aus: DieBibel. Altes undNeues Testament. Einheitsübersetzung, Freiburg, Basel, Wien, 1980, S. 5. Wiedie Stelle belegt, wird also die Gottebenbildlichkeit des Menschen besonders betont undin eins damit seine Sonderstellung aufderWelt. , bearbeitet vonEugen Biser, in: Handbuch philosophischer Grund124 Siehe dasStichwort „Bild“ Zwar nennt die ‚Genesis‘an begriffe, Studienausgabe Bd. 1,München 1973, S. 247 ff. Biser: „ zentraler Stelle (I, 26 f.) denMenschen ‚Bild Gottes‘, dies jedoch in einem ausschließlichen Sinn, derihnzuGott ineine relative Identitätsbeziehung setzt undkeine Nachahmung artifizieller Artzuläßt. AlsBild ist derMensch derPlatzhalter Gottes inderihmzugewiesenen Welt, nicht dagegen seine Erscheinung, in der durch Analogieschluß Numinoses erkannt werden könnte. Umgekehrt sprechen diejahwistischen Passagen desPantateuch indirekt anthropomorpher Weise vonGott, ohnedaßdessen Transzendenz dadurch gemindert würde“ . 125 In: Schöpferische Konfession. Zitiert nachKlee: Kunst-Lehre, S. 62.

3. DieBegriffe Intuition undRatio, Natur undWelt, Selbst undGott

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Das Urbild im Innern des Künstlers –die Idee – , und sein Abbild –die , dieser ausdemSchaffensakt notwendig resultierende DualisGestaltung (Eidos) – mus, ist in derIdentität desBildes ausGeist undMaterie aufgehoben. Dasläßt sich auf die Formel bringen: Bild (Eikon) = Urbild (Idea) + Abbild (Eidos = Form) in einem. Im Schaffensakt des Malens erzeugt der Künstler sein Bild (Eikon) und dabei verschmelzen seine gedachte Idee (Urbild) unddiegeformte Materie (Eidos) in derFaktizität desanschaulichen Bildes.126 Fassen wir einige Thesen dieser einleitenden Überlegungen zum Sinn der Künstlertheorien undderausihnen resultierenden Grundbegriffe zusammen: 1.Intuition undRatio sinddieübergeordneten Kategorien –dieStammbegriffe, vondenen die übrigen Begriffe ableitbar sind – , weil sie dieWerkentstehung und den Schaffensprozeß determinieren. Zwischen „Denken“und„Nichtdenken“ , wie Kandinsky schreibt, entsteht das Werk in einem Wechselspiel: „ Intuition und , unter derRegie des„Geistes“ , sind „gleichberechtigte Erzeuger desWerLogik“ kes“.127

2. Damit dasWerkrealisiert werden kann, bedarf esdererscheinenden Materie unddes Geistes. Die Natur (Erde) liefert das Grundmaterial, aus dem das Werk geschaffen wird –die „Natur“ist aber auch die Grundbefindlichkeit jedes MenDie Zwiesprache mit der schen. Klee hat dies in knapper Form ausgesprochen: „ Natur bleibt für den Künstler conditio sine qua non. Der Künstler ist Mensch, selber Natur undein Stück Natur imRaume Natur.“128 3. Klee undKandinsky vergleichen dasErschaffen von Kunstwerken mit der . „Werkschöpfung ist Weltschöpfung“heißt es bei Kandinsky,129 undbei „ Genesis“ Aus abstrakten Formelementen wird über ihre Vereinigung zu konkreten Klee: „ Wesen oder zuabstrakten Dingen wieZahlen undBuchstaben hinaus zumSchluß einformaler Kosmos geschaffen, der mit der großen Schöpfung solche Ähnlichkeit aufweist, daßeinHauch genügt, denAusdruck desReligiösen, dieReligion zurTat werden zulassen.“130 4. Zwischen Materie undGeist, Natur undWelt, Erdverbundenheit undkosmischen Dimensionen wird die Wahrheit des Kunstwerkes erstritten. Wahrheit als „ die Unverborgenheit desSeienden (das Sein)“imSinne Heideggers „west nurals der Streit zwischen Lichtung undVerbergung in der Gegenwendigkeit vonWelt Lichtung“ , in derOffenbarung desWerkes, wo .131In derWahrheit als „ undErde“ wiretwas sehen können waswirsonst nirgends sehen können, liegt diespezifische Kunst gibt nicht dasSichtbare wieder, Erkenntnisleistung desKunstwerkes. Klee: „ , und hier muß „Wesentliches“unterschieden werden, sondern macht sichtbar“ 126 Vgl. Bunge: Wirklichkeit des Bildes. , in Kandinsky: Gesammelte 127 Siehe Kandinskys Notiz von 1929 „Denken –Nichtdenken?“ , S. 53. MeinWerdegang“ Schriften, S.66 und„ 128 Klee: Wege desNaturstudiums, erstmals veröffentlicht in: Staatliches Bauhaus Weimar 1919– 1923, hrsg. vonKarl Nierendorf, Weimar/München 1923. Hier zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, 70, Zitat aufS. 67. S. 67–

129 Kandisky: Gesammelte Schriften, S. 41. 130 Klee: Kunst-Lehre, S. 64.

131 Heidegger:

Kunstwerk,

S. 55, 70.

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Teil I: Einleitung

nämlich: „ ... was der Zweck des Sichtbarmachens ist. Ob nur Gesehenes zur Erinnerung notiert ist oder auch Nichtsichtbares zu offenbaren. Dann sind wir, wenn wirdiesen Unterschied festhalten underspüren, aufdemprinzipiellen Punkt derkünstlerischen Gestaltung angelangt.“„Alles Vergängliche ist nureinGleichnis. Waswir sehen ist ein Vorschlag, eine Möglichkeit, ein Behelf. Die wirkliche Wahrheit selbst liegt zunächst unsichtbar zuGrunde.“132 Für Theo van Doesburg ist es „ ... das Ziel des Künstlers: eine gestaltende Harmonie zuschaffen, Wahrheit zugeben auf dieWeise derSchönheit“.133 Ganz „chönheit ist eine Weise wie Wahrheit als Unverähnlich heißt es bei Heidegger: S borgenheit west“ .134 5. ImSchaffensprozeß derWerkgestalt verwandelt sich dasKünstler-Ich, Kandinsky spricht vonder „ Künstlerseele“ , zumSelbst, dasheißt die nur„subjektive“ undbeschränkte Ebene desPersönlichen in ihrer undurchstreichbaren Wichtigkeit transzendiert in eine „ objektive“Allgemeingültigkeit. Dasist so, weil derKünstler in einer besonderen Beziehung zu Gott steht. Beuys bezeichnet Christus als den „ Kooperator“undals das „ ... wenn Christus imMen, denn „ kosmische Ereignis“ schen lebt, das heißt wenn er in ihn eingezogen ist, dann mußdoch der Mensch auch eine Art Christus sein, oder partiell jedenfalls Christus sein. Undin derTat kann manmeines Erachtens nicht anders vomSchöpferischen im Menschen sprechen, als daß das Schöpferische etwas Göttliches ist. Das Schöpferische ist das 135 Göttliche ... .“ Sieht man also auf das Wesen der Kunst, wie es die Künstler reflektierend bestimmen, so ergeben sich die Pole: Intuition undRatio, Natur undWelt, Selbst undGott, als die zentralen Kategorien des Bildnerischen Denkens unddenkerischen Bildens. In denfünf Thesen ist derProblemhorizont erst einmal angerissen. InTeil II dieses Buches werden diedrei Begriffspaare undihre Erkenntnisdimensioninhaltlich genauer zuerörtern sein.

132 Klee: Kunst-Lehre, S. 60, Klee: Bildnerisches Denken, S. 454, undPaul Klee: Tagebücher 1918. Textkritische Neuedition, bearbeitet von Wolfgang Kersten, Stuttgart 1988, S. 1898– 440, Nr. 1081, Juli 1917. (= Klee: Tagebücher). 133 Doesburg: Grundbegriffe, S.33, 34. 134 Heidegger: Kunstwerk, S. 61. 135 Joseph Beuys im Gespräch mit Horst Schwebel. In Horst Schwebel: Glaubwürdig. Fünf Gespräche über heutige Kunst undReligion mitJoseph Beuys, Heinrich Böll, Herbert Falken, 42, Zitate aufS. 41, 38. (= Schwebel: Kurt Marti undDieter Wellershof, München 1979, S. 15– Glaubwürdig). DasGespräch istauchabgedruckt indemAusstellungskatalog: Wieland Schmied: Zeichen des Glaubens. Geist der Avantgarde. Religiöse Tendenzen in der Kunst des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1980, S. 203– 208. (= Schmied: Zeichen desGlaubens).

4. Zitieren als Nach-Denken –Denken als skulpturaler

Prozeß

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4. Zitieren als Nach-Denken –Denken als skulpturaler Prozeß „ Also Schreiben ist schon Plastik durch denHandlungscharakter.“ Joseph Beuys136

WersodenDenkwegen derKünstler insLandderbesseren Erkenntnis folgen will, mußin aller Ausführlichkeit zitieren. Vorbild ist diemethodische Maxime: „Gerade weil die Absicht dieser Studien eine kritische ist“–sie ist kritisch gegenüber einer negativen Wertung derKünstlerreflexionen, „ erschien es mirnotwendig, die erörterten Gedanken durch eine große Anzahl ausführlicher Zitate in ihrem eigenen Wortlaut vorzustellen. Die zuuntersuchenden Theorien nicht auf wenige Formeln zureduzieren, sondern in ihren Hauptargumenten möglichst vollständig auszubreiten undin ihre Ursprünge undihre Zusammenhänge mitverwandten Auffassungen zuverfolgen, hielt ich fürunerläßliche Bedingung einer kritischen Auseinanderset137 zung.“ Wenn es die Intention ist, dasBildnerische Denken als wesentlichen Bestandteil der Kunst des 20. Jahrhunderts zu affirmieren, sind längere Zitate unvermeidlich. Denn gerade in diesem Kontext birgt die viel beschworene Kürze stets auch dieGefahr derVerkürzung. Kein geringerer alsLeonardo daVinci, der„intellektuelle Künstler“schlechthin undder„Verfechter derpittura cosa mentale (der MaleDie rei als etwas Geistigem)“wendet sich „gegen die Abkürzer“.138 Leonardo: „ Abkürzer derWerke schmähen Wissen undLiebe, denn dieLiebe zujeglichem ist dieTochter desWissens, unddieLiebe ist umsoglühender, je sicherer dasWissen ist; die Sicherheit wiederum entsteht aus der gesamten Kenntnis aller Teile, die, miteinander vereint, die Gesamtheit des geliebten Gegenstandes bilden. Was für einen Sinn hates, wenneiner verkündet, er wolle vonetwas eine alles umfassende Nachricht geben, wenn er dann, umdie Teile abzukürzen, den größten Teil des Dinges, ausdenen sich dasGanze zusammensetzt, ausläßt? Es stimmt freilich, daß es die Ungeduld, die Mutter der Dummheit ist, welche die Kürze lobt: als ob den Leuten die Lebenszeit nicht ausreichte, umsich eine alles umfassende Kenntnis über eine Einzelheit wie etwa denmenschlichen Körper zuverschaffen; unddann wollen sie den Geist Gottes erfassen, der das Weltall in sich hat, indem sie ihn abwägen undin unzählige kleine Stücke zerteilen, als müßten sie ihn anatomisch sezieren. Oh menschliche Dummheit! Merkst dudenn nicht, daß dudein ganzes Leben bei dir gewesen bist undnichts erfahren hast vondem, wasduammeisten besitzt, dasheißt vondeiner eigenen Narrheit.“139 NocheinWortzumZitieren. Ichzitiere prinzipiell alle diejenigen Äußerungen, die meine Thesen zur positiven Wertschätzung der Künstlertheorien stützen könLager“sie angehönen, gleich welchem philosophischen oder wissenschaftlichen „ ren: zumBeispiel sounterschiedliche undgegensätzliche Philosophen wieAdorno, 136 Beuys: Interview mitFilliou, S. 164. 137 Dittmann: Stil-Symbol-Struktur, S. 10. 138 André Chastel in: Leonardo: Schriften, S. 368. 139 Ebenda, S. 122.

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Teil I: Einleitung

Dewey oder Heidegger, umnureinige zunennen. Dasbedeutet aber keineswegs, daßichjeweils alle methodischen, wissenschaftlichen odererkenntnistheoretischen undsonstige Positionen der Genannten teile –umgekehrt gilt, daß ich nicht alles kritisiere wasdiejenigen geschrieben undgedacht haben, dieichquasi als NegativFolie für meine Affirmation der Künstlerpositionen zitiere.140 Es können auch gelegentlich nur einzelne Bemerkungen eines Denkers sein, die dennoch meine Auffassung treffend unterstützen. So wiezumBeispiel Adornos hellsichtige Aussage „Kunst- und Theoriefeindlichkeit sind im Kern identisch“141, mein zentrales Anliegen unterstützt, eine Lanze für „ ... theoretisierende, in Gehirnarbeit sich verirrt habende ‚verunglückte‘ Künstler“zu brechen,142 wie Kandinsky, der die Schmährufe der zeitgenössischen Kunstkritik aufgreifend, sich sarkastisch selbst charakterisiert. Daß aus konträren Lagern zitiert wird, bedeutet nunaber nicht, daß dies zu einem alles nivellierenden Relativismus, zueiner pluralistischen Libertinage führt oder daß alles zu einem faden dicken Brei vermengt wird, aus dem man die einzelnen Zutaten nicht mehr herausschmecken kann. Es soll versucht werden, Kandinskys Maxime zu genügen, nämlich die Synthese des Gegensätzlichen zu wagen unddamit überkommene, vermeintlich inkompatible Positionen zuüberwinden. Ich denke, daßwires uns, erst recht amEnde des 20. Jahrhunderts, erlauben können und sollen, scheinbare ideologische Gräben jeder Art zu überspringen, wenn sinnvolle Wege erschlossen werden sollen. Dennweder Gott noch Marx sind ! Undgenausowenig sind Leonardo, Rubens oder Cézanne, Kandinsky, Klee „ tot“ oder Beuys „tot“in dem Sinne, daß sie sich als Ideen- undImpulsgeber erledigt hätten und als nur mehr historische Personen ad acta zu legen sind, sondern sie leben und wirken alle weiter –ob durch ihre denkerischen oder bildnerischen Werke –in der Gemeinschaft der über Ort undZeit hinweg kommunizierenden geistig tätigen Menschen.143 Wenn manviel zitiert, wird manerfahrungsgemäß viel kritisiert. Es gilt meist , einen Vorwurf, den manauch als wenig originär, umnicht zu sagen „parasitär“ Jaques Derrida macht, der über sein Buch „ Der vorlieLa dissémination“sagte: „ gende Essay ist nur eine Gewebe von Zitaten.“144 Udo Kultermann sieht positiv ... eine Parallele zu den vielfältigen Ausprägungen der zeitgenössischen darin „

140 wiezumBeispiel Carl Einstein undArmin Zweite, siehe unten. 141 Theodor W.Adorno: DerPositivismusstreit inderdeutschen Soziologie, hrsg. vonHeinz Maus undFriedrich Fürstenberg, Darmstadt undNeuwied, 3. Aufl. 1974, S. 57, Anm.52 letzte Zeile. (= Adorno: Positivismusstreit). 142 Kandinsky: Gesammelte Schriften, S. 49. 143 „Eine große Gemeinschaft der Lebenden undder Verstorbenen, der Dabeiseienden undder Abgeschiedenen: dies ist die Perspektive, zu der die Forderung führt, eine immerwährende Gemeinschaft der Geister herzustellen, sowie der Drang, unser ephemeres, vorübergehendes Einzeldasein zu überwinden.“So Emilio Betti: Allgemeine Auslegungslehre als Methodik der Geisteswissenschaften, Tübingen 1967, S. 746, zitiert nach Dittmann: Interdisziplinärer Zusammenhang, S. 173. 144 Zitiert nachUdoKultermann: Kunst undWirklichkeit. VonFiedler bisDerrida. ZehnAnnäherungen, München 1991, S. 193. (= Kultermann: Kunst undWirklichkeit).

4. Zitieren alsNach-Denken –Denken als skulpturaler

Prozeß

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Kultur, die manbehelfsweise als ‚Appropriation‘ zubezeichnen versucht hat und deren Manifestationen, wiebei denSchriften Derridas, aufderVorhandenheit und kritischen Neukonstitution früherer Werke beruhen. Obes sich dabei umBilder ..., umSkulpturen ... oder umBauten ... handelt, dasGemeinsame derdiesen Ausprägungen zugrundeliegenden Ausgangssituation ist das einer schöpferischen kommentierenden Aneignung, wiesie als symptomatisch fürunsere gegenwärtige Zeit145Warum soll die Kunstgeschichtswissensituation verstanden werden kann.“ schaft andieser kulturellen Tendenz nicht partizipieren? Zumal wennes heute „ ... umeine grundlegende In-Frage-Stellung all dessen geht, wasunter denBegriffen Philosophie und Kunsttheorie läuft, d.h. was weitgehend unter diesen Begriffen verstanden wird“ .146 Auch vorliegende Schrift ist letztlich „nur“ ein Gewebe von Zitaten. Doch sollte mandazufolgendes, grundsätzliches bedenken: 1. „ Alles Gescheite ist schon gedacht worden, manmußnurversuchen, es noch einmal zudenken“ , wieGoethe erkannt hat.147 Undim Nach-Denken des bereits Gedachten kann manschon eine schöpferische Tätigkeit sehen, dasie dieZitate auswählt, kommentiert undkombiDenken ist bereits einskulpturaler Prozeß, derauch sich nachweisen läßt niert. 2. „ als eine echte kreative Leistung, das heißt ein vomMenschen, vomIndividuum selbst hervorgebrachter und nicht von irgendeiner Autorität indoktrinierter Vorgang“ , erklärte Beuys ineinem Werkstattgespräch zumThema „ Wasist Kunst?“148 Ohne in irgendeiner Weise mitdieser Arbeit Anspruch auf„Kunst“erheben zu wissenschaftliche“Procedere mitdemkünstleriwollen, so läßt sich aberdochdas„ schen Prozeß der Werkherstellung vergleichen, zumal wenn mansich die Denkmöglichkeit offenhält, wie Paul Feyerabend in seinem erweiterten Kunstverständnis „Wissenschaft als Kunst“zu verstehen.149 So wie der Bildhauer ein Bild herstellt, indem er sein Material durch Zugeben oderWegnehmen ineine bestimmte Form bringt, also ausdemMaterial eine Gestalt bildet, oder wie derMaler mit seinem Material der Farbe ein Bild gestaltet, indem er mit den bildnerischen Elementarmitteln einGebilde konstruiert, wieKlee es beschrieben hat, daßnämlich ... ganz Bestreben ist, die formalen Elemente so rein undlogisch der Künstler „ zueinander zugruppieren, daßjedes anseinem Platze notwendig ist undkeines dem andern Abbruch tut ...“150,so benutze ich in analoger Weise die Gedankengebilde als Material undkonstruiere aus den Zitaten einen logischen Gesamtzusammenhang. Schreiben als Plastik –so entsteht aus einer Zitaten-Collage ein Gedankenbild. In diesem Sinne ist Nach-Denken ein kreativer, „skulpturaler“Prozeß. UND

145 Ebenda, S. 192, 193. 146 Ebenda, S. 204. 147 Johann Wolfgang Goethe: Werke, in sechs Bänden, Frankfurt a.M. 1965. Bd. 6, Vermischte Schriften, ausgewählt vonEmil Staiger, S. 451 (Betrachtungen im Sinne derWanderer). (= Goethe Werke).

148 Volker Harlan: Wasist Kunst? Werkstattgespräch mitBeuys, Stuttgart 3. Aufl. 1988, S. 23. (= Beuys: Werkstattgespräch).

149 Paul Feyerabend: Wissenschaft als Kunst, Frankfurt a.M. 1984. 150 Klee: Über diemoderne Kunst, zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, S. 77.

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Teil I: Einleitung

so kann die Mauer zwischen Kunst undWissenschaft fallen, wie es Kandinsky Die analytische Arbeit aufjedem derbeiden Gebiete wird zursynthetierhoffte: „ schen Arbeit aufbeiden. Es entsteht eine theoretische Synthese, diederpraktischen 151 Synthese denWegebnet.“ Wissenschaft undKunst, Theorie undPraxis, Denken undBilden, Sprechen und Malen fliehen sich nicht länger, sondern durchdringen sich wechselseitig in unendlichen Variationen. So wird zumBeispiel in der konzeptuellen Kunst der Text zumKunstobjekt, dasSchreiben über Kunst wird zurKunst legitimiert. „ Die Analyse von Kunst ersetzt das Objekt der Kunst“ , wie bei der„Art & Language“ Gruppe.152 Undauch Bruce Nauman will eine Aussage über Kunst als Werk der bildenden Kunst verstanden wissen unddeshalb kombiniert er in seinem Neonröhren-Objekt „ Window or wall sign“von 1967 Sprache und Bild, philosophische Aussage undbildnerische Gestaltung: ein blaues Schriftband ist einer rotorangen Spiralenlinie eingeschrieben: „ The true artists helps the world by revealing mystic 153Die Spirale „ als Symbolisierung vonins Unendliche führenden Prozestruths.“ , macht die auch oder gerade im sen, die gleichzeitig um ein Zentrum kreisen“ späten 20. Jahrhundert unveränderte Funktion des wahren Künstlers offenbar, den Menschen „ mystische“Wahrheiten vor Augen zu bringen, weil keine szientistischen mehr möglich sind. Nauman beschäftigt sich mit der Philosophie Ludwig Wovon mannicht sprechen kann, darüber muß Wittgensteins, derformuliert hat: „ Es gibt allerdings Unaussprechliches. man schweigen“ , stellt aber vorher fest: „ Dies zeigt sich, es ist das Mystische.“154So transformiert Nauman eine „philosophische Aussage in den Bereich der Kunst und will sie sinnlich erfahrbar machen.“155

DasZitat Wittgensteins liefert einen weiteren –wieichmeine entscheidenden – Hinweis zumVerständnis des Phänomens Kunst. In Kunstwerken zeigt sich das Mystische, ja es wirdansichtig alsdasjenige, wassich mitWorten nicht ausdrücken läßt. Liegt darin dasMysterium derKunst? In diesem Sinn denkt wohl Paul Klee, wenn er mitNachdruck darauf hinweist, daßin demMoment, wosich Traum, Idee mitdenpassenden bildnerischen Mitteln restlos zur oder Phantasie des Künstlers „ Gestaltung verbindet“ , dann „werden jene Kuriosa zuRealitäten, zuRealitäten der Kunst, welche dasLeben etwas weiter machen, alses durchschnittlich scheint. Weil sie nicht nurGesehenes mehroder weniger temperamentvoll wiedergeben, sondern 151 Kandinsky: UND, zitiert nach Schneede: Zwanziger Jahre, S. 194. 152 Wolfgang MaxFaust: Bilder werden Worte. ZumVerhältnis vonbildender Kunst undLiteratur vom Kubismus bis zur Gegenwart, Köln, überarbeitete Neuausgabe 1987, S. 24. (= Faust: Bilder werden Worte). Siehe auch Gerd deVries: Über Kunst. Künstlertexte zumveränderten Kunstverständnis nach 1965, Köln 1974. (= de Vries: Über Kunst). 153 Faust: Bilder werden Worte, S. 26. Farbabbildung in Coosje vanBruggen: Bruce Nauman, Basel 1988, S.51. 154 Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus, zitiert nach Faust: Bilder werden Worte, S. 26. 87. Wittgenstein: „ Ich Zu„Wittgenstein unddie Kunst“siehe Hochholzer: Evasionen, S. 72– DerMaler gleicht sehr demZeichner, deralle ZusammenbinimGrunde docheinMaler ...“„ hänge nachzeichnen will.“S. 76. 155 Ebenda, S. 26.

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geheim Erschautes sichtbar machen.“156Der moderne Künstler, der gegen den Totalitätsanspruch derpositivistischen Naturwissenschaft undderausihr resultierenden Entzauberung derWelt für unsdasMystische offenhält, indem er geheim Erschautes sichtbar macht, kann beruhigt die sichtbare Wirklichkeit als Gegenstand für seine Bilder hinter sich lassen, denn er gewinnt dabei die „Wirklichkeit der , dieinder„freien Gestaltung abstrakter Gebilde“ Kunst“ , wieKlee sagt, „eine neue Natürlichkeit, die Natürlichkeit des Werkes“erlangt. Der Künstler „ schafft dann ein Werk oder beteiligt sich am Erschaffen von Werken, die ein Gleichnis zum Werk Gottes sind.“157 Klee stellt sich in einem Selbstbildnis als Mystiker mitgeschlossenen Augen undzugenähtem Mund dar undgibt demBild den Titel „Versunkenheit“ , 1919.158 (Siehe Abb. 4) Manvergegenwärtige sich, daßderBegriff Mystik, dervomgriechischen Verb myein stammt, dasheißt Augen oder Lippen schließen, „ alsErfahrung die Versenkung der Seele in ihren göttlichen Grund unddadurch die innerliche einende Begegnung mitderdenMenschen undalles Seiende begründenden göttlichen Unendlichkeit“bedeutet.159 Klee steht mitsolchen Gedanken, dieer bildnerisch visualisiert hat, durchaus in derDenktradition Goethes, derin denMaximen undReflexionen eruierte: „Alle Mystik ist einTranszendieren undeinAblösen von irgendeinem Gegenstande, den man hinter sich zu lassen glaubt. Je größer und bedeutender dasjenige war, demmanabsagt, desto reicher sind die Produktionen desMystikers.“160

5. Kunst undWissenschaft Obenwurde erwähnt, daßdieKunstgeschichte alsWissenschaft vonderKunst, den Künstlern und deren Reflexionen nicht nur lernen kann, sondern eigentlich erst ihren methodisch richtigen Ausgang nimmt und wenn ich eben sagte, daß das schreibende Nach-Denken dieses Buches selbst

als ein bildnerischer Prozeß ange-

156 Klee: Über diemoderne Kunst, zitiert nachKlee: Kunst-Lehre, S. 83, 84. 157 Klee: Wege desNaturstudiums, zitiert nachKlee: Kunst-Lehre, S. 70. 158 Farbabbildung in Ausstellungskatalog: Paul Klee. Leben undWerk, hrsg. vonderPaul KleeStiftung, Kunstmuseum Bern unddemMuseum of Modern ArtNewYork, Stuttgart 1987, S. 165. (= Katalog: Klee, Leben undWerk). 159 Kleines philosophisches Wörterbuch, hrsg. vonMaxMüller undAlois Halder, Freiburg i.Br., 6. Aufl. 1977, S. 177. (= Kleines philosophisches Wörterbuch). 160 Goethe Werke, Bd. 6, S. 517. Zu Klees Goethe-Rezeption siehe Christa Lichtenstern: Die Wirkungsgeschichte der Metamorphosenlehre Goethes. Von Philipp Otto Runge bis Joseph Beuys, Weinheim 1990, S. 80 ff. (= Lichtenstern: Metamorphosenlehre Goethes). ZumThema Mystik bei Paul Klee siehe auch Kurt Badt: Zur Bestimmung der Kunst Paul Klees, in: Jahresring. Beiträge zurdeutschen Literatur undKunst derGegenwart. Stuttgart 1964– 1965, S. 136. (= Badt: Klee). Badt schreibt: „Durch Klee ist Mystik in denBereich derbildenden 123– Kunst eingedrungen, einVorgang ohne Vorbild inderGeschichte. Wohl hates vorihmMaler religiöser-mystischer Vorgänge gegeben, jedoch keine, die sich für ihr Schaffen aufdie Unio mystica selbst als Quelle berufen haben. In der zumSchweigen auffordernden mystischen Erfahrung unddemWerk-Schaffen derKünstler liegt einungelöster Widerspruch.“(S.135).

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sehen werden kann, dessen Produkt ein Gedankenbild darstellt, dann magdas für manchen eine überzogene Vorstellung sein. Sie löst jedoch dasProgramm Nietzsches ein, „ die Wissenschaft unter der Optik desKünstlers zusehen“ , wiedieser in derVorrede zuseiner Erstlingsschrift „ DieGeburt derTragödie ausdemGeist der Musik“schrieb.161 Denn heute ist es für die Kunst obsolet geworden, sich an der Wissenschaft zuorientieren oder sich ihr anzugleichen, sondern es scheint umgekehrt zusein, wieWolfgang Welsch in seinem Aufsatz „Kunst undWissenschaft“ ausgearbeitet hat, es „ schlägt nunerstmals die Stunde einer Vorbildfunktion der Kunst fürdieWissenschaft. Oder vielmehr: Diese schon vorgenau hundert Jahren vonNietzsche eröffnete Perspektive wirdjetzt, inderStunde derWissenschaftskritik undderSuche nach einer anderen Wissenschaft, ungemein aktuell. Die Kunst, die seit der Aufklärung undderbeginnenden Ästhetik als Kompensations-Instanz derWissenschaft fungieren sollte, avanciert jetzt zuderen Korrektur-Instanz, wird zumVorbild füreinen Wandel in Verständnis undPraxis derWissenschaft. ... Die Kunst ist heute nicht mehr die Dienerin derHerrin Wissenschaft. Sie sucht nicht mehr dieser sich anzugleichen oder deren Defizite auszugleichen. Heute geben 162 umgekehrt die Künste die Deklinationsmuster derWissenschaft vor.“ Vorausgesetzt, diese Diagnose stimmt, hat dies natürlich für die Kunstgeschichtswissenschaft gravierende Konsequenzen. Die Kunstgeschichte hängt unverständlicherweise einem veralteten Wissenschaftsverständnis nach. Sie wähnt sich imBesitz methodischer Gewißheiten zusein, mitdenen sich die Kunstwerke unddie Künstlerreflexionen in den Griff bekommen lassen. In paradigmatischer Weise zeigt sich dies in derArt undWeise, wie manche Kunsthistoriker mit den sprachlichen Künstleräußerungen umgehen. Vergegenwärtigen wir unsdas an einemkonkreten Beispiel: 1982 veranstaltete Armin Zweite eine verdienstvolle Ausstellung: „Kandinsky undMünchen.“163In seinem Beitrag „Kandinsky zwischen Tradition undInnovation“kommt Zweite nacheiner Analyse vonKandinskys Bild „ Improvisation 26 (Ruder)“von 1912164 zu folgenden Schlußfolgerungen: Das genannte Bild, dasstellvertretend fürdieMünchner Phase Kandinskys genommen ... erweist sich als Proist, in der sich der Übergang zur Abstraktion vollzieht, „ grammkunst, als intentional nach wie vor inhaltlich orientierte Malerei, deren Paradox freilich darin liegt, daß das, wasbeschworen wird, sich aus der Sphäre objektivierender Benennbarkeit verflüchtigt undimmer stärker in nur noch wirkungsästhetisch relevante Phänomene verwandelt, die allein subjektiver Erfahrung zugänglich sind. Dieerhoffte undproklamierte Allgemeingültigkeit einer Malerei, die sich auf der Grenze zu völliger Abstraktion bewegte, mußselbst Kandinsky manchmal fragwürdig erschienen sein angesichts der Skepsis undKritik, die ihm von vielen Seiten entgegengebracht wurde. Die weit gefächerten publizistischen Aktivitäten des Malers mit den teilweise ausführlichen Bildexegesen resultieren

161 Zitiert nachWelsch: Kunst undWissenschaft, S. 128. 162 Ebenda, S. 128. 1914. 163 Ausstellungskatalog: Kandinsky undMünchen. Begegnungen undWandlungen 1896– Hrsg. vonArmin Zweite, München 1982. (= Katalog: Kandinsky undMünchen). 177, Abb. S. 144. 164 Ebenda, S. 134–

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nicht zuletzt ausseinem Versuch, theoretisch zubegründen, wassich unmittelbarer Anschaulichkeit entzog, undzugleich denumfassenden Anspruch seiner Kunst zu behaupten und zu legitimieren.“165Zweite unterstellt Kandinsky, daß er einer totalen Subjektivierung derKunst dasWort redete“ „ ,166so daßsie allgemein nicht mehr verstehbar sei. Die Argumentation, die diesem Urteil zugrunde liegt, ist einfach: weil in der abstrakten Malerei keine Gegenstände unserer Alltagserfahrung wiedererkennbar sind, gleitet diese inunverbindlichen Subjektivismus ab, ausdemderKünstler sich durch nachträgliche verbale Erklärungen zuretten sucht. Bild undWort desKünstlers werden auseinander dividiert, eine mögliche Einheit von bildnerischer und denkerischer Leistung bleibt außer acht. Wer die wenigen, aber höchst relevanten Texte, die Kandinsky zu seinen eigenen Bildern verfaßt hat167 unddie Zweite „ausführliche Bildexegesen“nennt, gründlich studiert, weiß, daß es hier eben gerade nicht darum geht, nachträglich Inhalte imikonographischen Sinn in die Bilder zutransportieren, sondern daßdie Malerei selbst das Programm ist. In seinem Text zu „Komposition 6“von 1913 Sintflut“seinen zeigt Kandinsky ganz eindeutig auf, wieer zwarvondemThema „ „ Ausgangspunkt“nimmt, umaber dann imgenauen Auswiegen derbildnerischen Elementarmittel einen formalen und farbigen Bildkosmos zu schaffen, der eine Weltdeutung, undzwar eine, diejeder „ einsehen“kann, offenbart, unddasist der Gehalt (Sinn) dieser Malerei, dieeinen wiedererkennbaren Gegenstand –dastradisubjektive“Weltdeutung eines tionelle Sujet –nicht mehr benötigt. Und die „ solchen „abstrakten“Bildes hat den gleichen Anspruch auf Objektivität, Allgegegenständliche“Bild. meingültigkeit undWahrheit wiejedes „ Nachdem Kandinsky dieEntstehung, dieGestalt unddieAnmutungsqualitäten So sind alle undauch die sich beschrieben hat, resümiert er: „ der„Komposition 6“ widersprechenden Elemente in volles inneres Gleichgewicht gebracht, so daßkein Element Oberhand bekommt, das Entstehungsmotiv des Bildes (Sintflut) aufgelöst undin ein inneres rein malerisches, selbständiges undobjektives Wesen verwandelt wird. Nichts wäre falscher, als dieses Bild zur Darstellung eines Vorganges zu stempeln. Ein großer, objektiv wirkender Untergang ist ebenso einvollständig und imKlang abgetrennt lebendes Loblied, wieeinHymnus derneuen Entstehung, die dem Untergang folgt.“168 Zweite sieht denAnspruch Kandinskys, mitseiner Malerei eine Weltdeutung einallein spirituelles Dasein zuvergegenwärtigen, indersymbolistizugeben und„ Sein Bemühen ... zielt auf die große umfassende schen Tradition“verwurzelt. „ Manifestation, die er mit demBegriff ‚Komposition‘umschreibt. Darin wird man 165 Ebenda, S. 168. 166 Ebenda, S. 172. 167 Es handelt sichdabei umdiedrei bedeutenden Texte: „Komposition 4: Nachträgliches Definie, dieKandinsky unter demgemeinsaDasBildmitweißem Rand“ und„ ren“ , „Komposition 6“ , Berlin 1913, S. DerSturm“ 1913, Verlag „ menTitel „Notizen“imAlbum: Kandinsky 1901– XXXXI, veröffentlicht hat. (= Kandinsky: Notizen). Die Texte sind reprographisch XXXI– 227. abgedruckt bei Thürlemann: Kandinsky, S.219– 168 Ebenda, S. 224.

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ebenfalls einFortwirken derPraxis des 19.Jahrhunderts zusehen haben. Kunst als Organon der Philosophie –das ist es was ihm vorschwebt, ein letztlich romantisch orientiertes Totalitätsdenken, an demkeiner seiner Münchner Zeitgenossen mehr festhalten konnte undwollte, abgesehen vielleicht vonFranz Marc, dessen symbolisches Denken jedoch an konkrete Naturerfahrung gebunden blieb.“169Damit ist für Zweite der Künstler als idealistischer und nicht ganz ernst zu nehmender „ Romantiker“entlarvt undfolglich historisch relativiert. Sodann vergleicht Zweite Kandinskys Münchner Bilder derletzten Phase mit solchen aus der frühen Bauhauszeit undkommt auch hier zu Schlußfolgerungen, dieaufihre Stichfestigkeit zuüberprüfen sind. AnKandinskys Bild„Kleiner Traum in Rot“ , 1925,170 zeigt Zweite auf, wie Kandinsky zum Beispiel das Motiv des fast völlig ineingeometrisches Element transformiert“hat. Dieser miniRuderns „ malistische Hinweis auf die Gestalt dieses Bildes, das in seiner formalen und farbigen Komplexität undDichte in nichts hinter den Münchner Bildern zurücksteht, genügt Zweite, umdenKandinsky derBauhauszeit undderPariser Jahre als desillusionierten, resignierten und unschöpferischen Maler zu degradieren. Um demmöglichen Vorwurf, ich hätte einzelne Bemerkungen ausdemKontext gerissen, zubegegnen, soll eine längere Passage zitiert werden: „ Die dramatische Phase desErkundens undErprobens neuer Darstellungsmöglichkeiten mitdemZiel, jenes Arkanum zu beschwören, dasjenseits der materiell bestimmten Realität vermutet wurde, gehört nunfreilich endgültig der Vergangenheit an. Wie andere Arbeiten dieser Periode ist Kleiner Traum inRotaucheinZeugnis nüchterner Selbstbescheidung, insofern das Bild nurnoch auf sich selbst verweist undauf eine Evokation des Transzendenten verzichtet. Angesichts der konkreten historischen Erfahrung, der sich Kandinsky spätestens seit Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht mehr entziehen konnte, warfür ihndie Hoffnung auf denAnbruch einer nurvomGeist bestimmten Epoche beim besten Willen nicht mehr aufrechtzuhalten. Es hat den Anschein, als sei mitdemVerlust derUtopie, soobsolet sie einem auch vorkommt, die psychische Schubkraft seiner Kreativität gebrochen. Wasihmblieb, warformvollendetes Basteln mit sich verhärtenden Hülsen einer ursprünglich ganz anders gemeinten Formensprache.“171 Zeigt sich nicht in solch einem abwertenden Urteil eine unlegitimierte Überheblichkeit desKunsthistorikers gegenüber seinem Gegenstand? Weder durch eine gründliche Analyse der Gestalt derBilder noch durch eine enge Bezugnahme auf dasBildnerische Denken desKünstlers werden dieBehauptungen begründet. Kann hier noch von einer Kunstwissenschaft gesprochen werden, die ihren Objekten gerecht wird? Die Selbstäußerungen des Künstlers werden zumbloßen „ historischen Dokument“172relativiert undfolglich zurBelanglosigkeit nivelliert. Umden Künstlertheorien ihre unbequeme Sinnspitze zunehmen undumsie auf ein angenehmes intellektuelles Mittelmaß zurechtzustutzen, gibt sich der Geisteswissen169 Zweite in Katalog: Kandinsky undMünchen, S. 169. 170 Farbabb. inHansKonrad Roethel: Kandinsky, München 1982, S. 129. (= Roethel: Kandinsky). 171 Zweite in Katalog: Kandinsky undMünchen, S. 169, 170. 172 Ebenda, S. 172.

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schaftler alle Mühe, das Kompilatorische oder Synthetische der Künstlerreflexionenaufzuweisen, indem erversucht aufzuzeigen, welche Einflüsse philosophischer undliterarischer Artder Künstler verarbeitet hat.173 Die unausgesprochene Folgerung lautet, wenn der Künstler vermeintlich kein originaler Denker ist, dann kann manihnindieser Funktion beruhigt vernachlässigen. Nachdem Zweite vorführt, daß Kandinsky Ausdrücke wie „ Inhalt“ , „innerer , „innere Wahrheit“ , „Wesen“ Klang“ , synonym verwendet unddas „Gewaltige, Geheimnisvolle, unüberwindlich Verlockende“nur „ Schlagworte des Symbolissind, „ wiewirihnen in derentsprechenden Literatur allenthalben begegnen“ mus“ , kommt er zu der Gesamtbeurteilung, daß „ diese Theorie, die in gleicher Weise ambitioniert wie widersprüchlich erscheint, nur als historisches Dokument betrachtet undauch bewertet werden kann, versteht sich vonselbst. Auffällig bleibt, wie gut es Kandinsky gelingt, in seinem über weite Strecken schwer lesbaren Konstrukt auf verschiedene Zeitströmungen zu reagieren undElemente aus Spätromantik, Symbolismus undTheosophie zuverknüpfen ...“174 Daßviele kunsthistorische Texte weitaus schwerer lesbare „Konstrukte“sind, als die Künstlertexte, denen mandies ineinem weitverbreiteten Vorurteil vorwirft, nimmt derjenige wahr, der sich derMühe unterzieht, jene überhaupt verstehen zu wollen.175 Weil die Künstlertheorien in derRegel nicht nach demVorbild wissenschaftlicher Abhandlungen verfaßt sind, gelten sie als subjektiv undfolglich unwissenschaftlich; weil die Theorien Widersprüche enthalten unddie Begriffe nicht klar definiert sind, genügen sie vermeintlich objektiven wissenschaftlichen Kriterien nicht. Bei solcher Argumentation bleibt außer acht, daß zum Beispiel an die Schriften vonKlee undKandinsky eine unpassende Meßlatte angelegt wird, denn es bleibt unberücksichtigt, daß sie selbst Kunstcharakter haben, daß sie Sprachentschiedenen Historisierung unseres kunst sind. Dieser Aspekt aber fällt bei der „ , die Zweite als wünschenswertes Ziel seiner Tätigkeit nennt,176 Gegenstandes“ weg.Folglich interessieren Zweite auchmehrdiezeitgenössischen, meist negativen intelRezeptionen vonKandinskys Schriften, als diese selbst. Die Reaktionen im„ lektuellen Milieu“undsogar bei seinen Bewunderern seien eher reserviert ausgeja mankannsogar sagen, daßvorallem ÜberdasGeistige inderKunst die fallen, „ uvres insofern nicht erleichunvoreingenommene Rezeption seines malerischen Œ terte, als die ideologische Überfrachtung unddie nicht gerade präzise Ausdrucks-

173 Nach demgleichen Prinzip verfährt auch Armin Zweite –siehe unten –in seinem Essay: Die plastische Theorie von Joseph Beuys und das Reservoir seiner Themen, in dem von ihm herausgegebenen Ausstellungskatalog: Joseph Beuys. Natur-Materie-Form, Kunstsammlung 29. (= Katalog: Beuys, Natur-Materie-Form). Nordrhein-Westfalen, München 1991, S. 13– 174 Zweite in Katalog: Kandinsky undMünchen, S. 172. 175 Werden Lehrveranstaltungen überdieKünstlertheorien angeboten, evoziert mandamit unweiDie Schriften sind so abstrakt, kompliziert und gerlich folgende bekannten Reaktionen: „ daskannmandochnicht lesen!“Alle diese Vorurteile sindhaltlos, dennzum unverständlich – Beispiel welches kunsthistorische Buch ist interessanter oder ideenreicher als Kandinskys ? Oderauswelcher Schrift kannmanmehrübermoderne und ÜberdasGeistige inderKunst“ „ ? alte Kunst lernen als ausKlees Jenaer Vortrag „Überdiemoderne Kunst“ 176 Zweite in Katalog: Kandinsky undMünchen, S. 174.

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weise Befremden auslösen konnten.“177Während Zweite immerhin die Bilder Kandinskys in ihrer „ Komplexität desBildnerischen“faszinierend findet undanerkennt, daßdie formalen Mittel, die Kandinsky „ mitbewundernswerter Unbeirrbarkeit und Konsequenz entwickelt, eine der folgenreichsten Innovationen in der Malerei des20. Jahrhunderts darstellen“ , sieht er dietheoretischen Schriften KanTraditionen verpflichtet, in die sich manches Fragwürdige mischt“ dinskys „ .„ Das Paradox“von Kandinskys Schaffen liegt für Zweite in einer „ Verschränkung des Obsoleten undUtopischen, wobei sich nur im Bildnerischen jene Totalität noch einmal einstellte, die rational nicht mehr zubegründen war“ . In seinem „Idealis, sei Kandinsky einer Tradition verpflichtet mus, der ans Phantastische grenzt“ geblieben, „ ... die wir angesichts der geschichtlichen Situation vor dem Ersten Weltkrieg unter dem Begriff der Gegenaufklärung zu fassen haben“ . Nur durch eine „entschiedene Historisierung unseres Gegenstandes“wären wir in der Lage, Kandinskys Position besser zuverstehen.178 Diese Ausführungen vermitteln ein Kunstgeschichtsverständnis, das meint, gleichsam einen „archimedischen Punkt“außerhalb derGeschichte einnehmen zu können, von dem aus die Kunstwerke und die Künstlerreflexionen objektiv zu beurteilen sind. Demwiderspricht aber die„hermeneutische Erfahrung, daßwirals selbst geschichtliche Wesen, im historischen Verstehen nichts anderes erreichen können als die Verschmelzung des Horizontes der Vergangenheit mit unserem eigenen Horizont.“179In seinem ideologiekritischen Ansatz vermeint Zweite die entGeschichte begreifen zu können, in dem Sinne, daß er den Künstler durch „ schiedene Historisierung“180besser versteht als dieser sich selbst verstand. WährendKandinsky dieEinheit vonDenken undMalen, vonTheorie undPraxis immer betont hat, will Zweite nurdie Bilder hochschätzen –undwie wir gesehen haben, , die auch da nur die der sogenannten expressiven Phase der Münchner Zeit – Theorie dagegen wird als obsolet enttarnt undvombildnerischen Werk abgetrennt. Zweite steht in der Denktradition Carl Einsteins, auf den er sich beruft.181 Einsteins Text über Kandinsky von 1926 ist ein Beleg für das Unverständnis, das einsich derObjektivität sicherer Kunstwissenschaftler derSubjektivität eines KünstDerdurch Subjektivismus Isolierte sucht nachinnelers entgegenbringt. Einstein: „ rer Gesetzmäßigkeit, damit sein Tunnicht in derEinsamkeit derWillkür absterbe undein geistiges Gesetz denBeschauer zumWiedererleben farbiger Ekstase zwin182Hier deutet sich an, der Kunstgeschichtler will sich nicht amGängelband ge.“

177 Ebenda, S. 174. 178 Ebenda, S. 176, 177, 174. 179 Lorenz Dittmann: Kunstwissenschaft, Das Problem des Stils, Gattungsprobleme, in Günther Böing (Hrsg.): DieKunst. Wege zumVerständnis derKunst: Künstler, Kunstwerk, Kunsterle451, S. 188–191. Zitat auf S. 116. (= ben, Gattungen, Stile. Freiburg 1972, S. 99–123, S. 448– Dittmann: Kunstwissenschaft).

180 Zweite in Katalog: Kandinsky undMünchen, S. 174. 181 Carl Einstein: Die Kunst des 20. Jahrhunderts, Berlin 1926. (= Einstein: Jahrhunderts). 182 Ebenda, S. 137.

Kunst

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desKünstler-Kommentars führen lassen. Aufreflexiver Ebene will er sich inkeiner Weise vom Künstler bevormunden lassen, denn diese gilt als die Domäne des Wissenschaftlers. Kandinsky aber schreibt: „ ‚ Verstehen‘ ist Heranbildung des Zuschauers aufdenStandpunkt desKünstlers“ .183DerKünstler ist seinem Kritiker immer voraus. Umdiesen Abstand zuüberbrücken theoretisiert derKünstler, damit derKritiker seine neueundungewohnte Ausdrucksform verstehen kann. EinweiteresBeispiel dafür, daßderKritiker sich nicht aufdenintellektuellen Standpunkt des

Künstlers begeben will, gibt Einstein, wenner Kandinskys Farbtheorie disqualifiziert: „ Die Theorie der Farbe des Kandinsky ist Bedichten der Farbtube; nicht viel mehr. ... Kandinsky gab in seinem Traktat ‚Über das Geistige in der Kunst‘eher assoziative Lyrik über das Dekorative, denn daß er etwas über komplexe Form gesagt hätte.“Entweder übernimmt der Betrachter Kandinskys „ subjektive Deu, meint Einstein, „die zumystisch geahntem Gesetz aufgewertet wird, untertung“ wirft sich behaupteter innerer Notwendigkeit oder sieht nurein mehr oder minder geschmackvolles Arrangement.“184Einstein vertritt dieThese, daßsich die Malerei Kandinskys durch eine defizitäre Kommentarbedürftigkeit auszeichnet. Der abstrakte Maler Kandinsky habe sich der„ Dingangst“hingegeben undseine „ angestrebte Freiheit desAusdrucks ist aufeinschränkendem Verneinen gegründet; sein geistiger Purismus trägt noch ein Stück alter christlicher Metaphysik in sich: die Lehre vomabsoluten, hermetischen Geiste. Entweder derBetrachter glaubt diesem Dogma oder sieht in den Arbeiten nicht allzu kühne Dekorationen.“Kandinskys zuarmundnichts anderes als die Verallgemeinerung eines imSelbst „ Lehre“sei „ verengten Erlebnisses, dessen Einfachheit und allzu persönliche Erregbarkeit in theoretische Rechtfertigung umschlug, damit man selber zur Ruhe komme. Die versuchte Freiheit wurde mit literarischer Altgläubigkeit gebüßt, unddas schmale Ergebnis sollte lehrhaft gerechtfertigt werden ... .“Schließlich sieht Carl Einstein in der nurmehr dekorativen Malerei Kandinskys eine Bedrohung, da sie nurnoch . Einstein erhebt also denVorwurf dasdieWelt ausschloß“ „ einImaginatives“sei, „ derWirklichkeitsflucht, einen Vorwurf, denmangerade derabstrakten Malerei bis negative Ästhetik, die beheute macht. Von Kandinsky und Marc drohe eine „ farbige schränktes Ergebnis durch Literatur auffüllen wollte.“Kandinsky hätte „ Subjektiven bedroht ... Gleichungen seelisch abstrakter Prozesse“gemalt, vom „ das billig vermischte des Abstrakten. Man bezahlte asketische Haltung mit allzu beredsamem Kommentar.“185 Wenn Zweites Kritik an Kandinsky auch wesentlich gemäßigter ausfällt, so sind die Vorbehalte gegen die Synthese vonabstrakter Malerei undbegleitender Theorie immer nochfeststellbar. Zweite kommentiert Einsteins Fehlkritik affirmieWegen mancher dieser vonEinstein m.E. zuRecht hervorgehobenen Irrtürend: „ mer wurden Kandinskys Ausführungen im Rahmen der ästhetischen Diskussion nurbegrenzt fruchtbar. Diebreite Resonanz seiner Schriften resultiert vielmehr aus derTatsache, daßmandie Bemerkungen desMalers als repräsentativen Ausdruck 183 Kandinsky: Über das Geistige, S. 26. 184 Einstein: Kunst des20. Jahrhunderts, S. 138. 185 Einstein: Kunst des 20. Jahrhunderts, S. 139, 140.

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eines allgemeinen kulturellen Unbehagens verstand.“186Kann der Kunsthistoriker so einfach hin dem Künstler Irrtümer nachweisen und versteht er es auch, den eigentlichen Stellenwert derKünstlertheorie besser zubestimmen, als derKünstler selbst? Ist das nicht das Kennzeichen einer „ ideologiekritischen“Methode, „ die Dokumente undWerke derVergangenheit nicht in dervonihnen selbst beabsichtigten Intention zuverstehen, sondern aufeine dahinter verborgene Bedeutung hin zubefragen“ , sodaßein„Dialog desHistorikers mitdengeistigen Schöpfungen der Vergangenheit ... sich nicht mehr entfalten“kann?187

6. Bild undSprache –DasWesen der Kunst als Dichtung Anstelle einer Zwiesprache mitdenGedanken des Künstlers, werden Kandinskys Reflexionen über Kunst als Ausdruck eines gegenaufklärerischen Zeitgeistes herabqualifiziert und als nachträgliches, gedankliches Aufladen einer inhaltsleeren Malerei disqualifiziert. Es ist gewinnbringend undverständnisfördernd, einen kurzen Text des Künstlers zur Kenntnis zu nehmen, in dem er die Einheit seines denkenden und malenden, seines dichtenden undzeichnenden Schaffens erklärt. 1938 schreibt Kandinsky überseine „Holzschnitte“unddasVerhältnis vonMalerei undDichtung: „Schon während vieler Jahre schreibe ichvonZeit zuZeit ‚Gedichte in Prosa‘undmanchmal sogar ‚Verse‘. Dies ist für mich ein ‚Wechsel desInstruments‘–zur Seite die Palette undan ihrem Platz die Schreibmaschine. Ich sage ‚Instrument‘, weil die Kraft, die mich zurArbeit treibt, immer dieselbe bleibt, das heißt ein ‚innerer Druck‘. Unddiese Kraft ist es, die von mir einen Wechsel des Instruments verlangt. Oh!icherinnere mich gut: als ich anfing ‚Poesie zumachen‘, da wußte ich, daß ich als Maler verdächtig werden würde. Einst schaute man den Maler ‚schief‘ an, der schrieb –selbst wenn es Briefe waren. Manwollte fast, daß er nicht mitder Gabel, sondern mitdemPinsel essen würde. Das wareine strenge Zeit, voll von genauen ‚Einteilungen‘ undsehr einfach in ihrer Logik. Wenn der Theoretiker denkt, ohne malen zukönnen, dann soll derMaler malen, ohne denken zu können. Das war die Zeit der ‚analytischen‘ Welt, der definitiv abgegrenzten Spezialgebiete, deren ‚Grenzen‘zuüberschreiten mankein Recht besaß. Ein Zustand derheute (1938) zwischen denverschiedenen Nationen undLändern besteht. Die strenge Teilung ist vom Bereich des ‚Geistigen‘ auf den der ‚Realitäten‘ übergegangen.“ ‚ analytische Welt‘ in der Kunst, der Dennoch glaubt Kandinsky, daß diese „ SynWissenschaft undsoweiter“seither tief erschüttert worden sei, wenn auch die „ these“als noch kleine Pflanze mit kurzen Wurzeln naturgemäß gefährdet sei. „ MeinBuchKlänge, erschienen inMünchen imJahr 1913 (Verlag R. Piper & Cie.). Daswarein kleines Beispiel synthetischer Arbeit. Ich habe die Gedichte geschrieben und habe sie ‚geschmückt‘ mit zahlreichen farbigen und Schwarzweiß-Holzschnitten.“188 186 Zweite in Katalog: Kandinsky undMünchen, S. 176. 187 Dittmann: Kunstwissenschaft, S. 122. 188 Kandinsky: Essays, S. 226, 227.

6. Bild undSprache –DasWesen derKunst alsDichtung

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WennKandinsky hier scheinbar nurvon„Dichtung“inengeren Sinn als Poesie redet, so ist aber doch Dichtung in einem weitesten Sinne gemeint, nämlich in inniger Wesenseinheit mitderSprache unddemWortgedacht“ „ , dennlaut Heidegger ist die „Sprache selbst ... Dichtung imwesentlichen Sinne.“Erst die Sprache, die mitdemWort einSeiendes nennt, bringt Seiendes zurErscheinung. Nurin der Sprache erschließt der Mensch Seiendes. Deshalb ist das „Wesen der Kunst ... die Dichtung.“189Das Schaffen eines Kunstwerkes ist „ dichterisch“ , weil es in einer Sprache“etwas zur Erscheinung bringt, hervorbringt, was vorher bestimmten „ noch nicht war. So spricht der Maler mit dervisuellen aber nonverbalen Sprache seiner bildnerischen Elementarmittel, dieeine Welterschließen. Dasist das„ eigene Dichten“des Malers.190 FürBoehm sind Kunstwerke artikulierte Gebilde, „ die einen Sinn zeigen oder ‚aussprechen‘. Werke besitzen selbst eine façon deparler, eine ‚Sprache‘, diees zu verstehen gilt.“Boehm stellt fest, daß es das Verdienst der Protagonisten der bildlichen Sprache“ Moderne war,dieGrundlagen einer „ inihren Schriften erarbeitetzuhaben. InKandinskys „Punkt undLinie zuFläche“undinKlees BauhausvorDas bildnerische Denken“– , „aber auch bei Mondrian, Hölzel, Itten, lesungen –„ AdReinhard u.a. finden sich Beiträge zueiner Grammatik undSyntaktik bildlicher Darstellung.“Mitdenbildnerischen Elementarmitteln Linie, Helldunkel undFarbe baut derKünstler aufeiner abgegrenzten Fläche eine komplexe Relation auf, in der , demwiranschauend folgen könsich ein „anschaulicher Sinnüberschuß kundtut“ nen. Während indergesprochenen Sprache eine Relation ausSubjekt, Prädikat und ), ist in der bildlichen Sprache eine etwas als etwas aussagen“ Objekt besteht („ etRelation aus tragender Fläche undbildnerischem Elementarmittel aufgebaut („ ). „Darf man, wasals etwas zeigen, unter anschaulichen Bedingungen artikulieren“ vereinfachend, die Achse der verbalen Sprache im Verb sehen (das Subjekt und Objekt aufeinander bezieht), dann besteht die Achse derBildsprache in derDifferenz zwischen Fläche undBinnenelement, zwischen Grund undFigur, oder der Wahrnehmung nach zwischen Simultaneität undSukzession. DasBild enthält sehr wohl eine Sinn artikulierende Syntax, der wir den Namen einer Sprache geben dürfen. Sie baut sich aufinjener ikonischen Differenz zwischen demGanzen und Boehm betont also diesprachseinen Teilen, dieaufunser Auge angewiesen sind.“ linguistic liche Verfaßtheit auch der Bildenden Kunst. In diesem sogenannten „ , der Entdeckung unseres Jahrhunderts, „daß die Sprache die eigentliche turn“ , kommen primäre Gegebenheitsform unserer Lebens- undRealitätserfahrung ist“ dieverschiedensten philosophischen Richtungen überein. Undgerade die „moderne Kunst enthält selbst in ihrer Bildform diese Rückwendung auf ihre eigenen Mittel undaufihrMedium. FürdieKunstgeschichte ergibt sichdaraus dieAufgabe unddie Chance, dieeigenen ‚Sprachformen‘derbildenden Kunst abzuklären ... . 86. 189 Heidegger: Kunstwerk, S. 82– 190 Zur besonderen „Sprache“des Bildes siehe Gottfried Boehm: Was heißt: Interpretation? Anmerkungen zur Rekonstruktion eines Problems, in: Kunstgeschichte –aber wie? Zehn Themen undBeispiele, hrsg. vonder Fachschaft Kunstgeschichte München, Clemens Fruh, 26. (= Kunstgeschichte – Raphael Rosenberg undHans-Peter Rosinski, Berlin 1989, S. 13– aber wie?)

Teil I: Einleitung

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Sie bewegt sich imSpannungsfeld zwischen Bild undSprache, wobei daseine für die stumme Sprache bildnerischen Ausdrucks, das andere für die diskursive und verbale Sprache der Beschreibung, der Verständigung steht. Der Sprachbegriff erweitert sich dabei entscheidend. Kunstgeschichte ... hat eine ihrer zentralen Aufgaben in derKorrespondenz vonBildgeschichte undBildtheorie.“191 Will manderSprache desBildes (derBildanschauung) nahekommen, wasläge dann näher als die Künstlertheorien, dieja in ihrem Wesen Reflexionen über die Sprache des Bildes sind, in die Überlegungen miteinzubeziehen, denn sie sind wegweisend. Sprache undBild, Denken undBilden sind notwendig aufeinander bezogen. Und wenn Kandinsky sagt, daß er beim Wechsel von der Palette zur Schreibmaschine nurdasInstrument tauscht, dannheißt dasdoch, daßsich nurdas Ausdrucksmittel ändert, aber nicht die Intention. Ob im Medium des gemalten Bildes oder der geschriebenen Sprache, die Anspannung dergeistigen Kräfte und die Richtung des denkenden Bewußtseins bleiben sich gleich. Aufgrund dieses einfachen Sachverhaltes sollte es für den Kunstgeschichtswissenschaftler nicht opportun sein, in willkürlicher Weise das bildnerische Werk eines Künstlers von dessen Denken, dassich inwelcher Formauchimmer inderSprache niederschlägt, zuentzweien.

7. Der denkende Künstler –Ein „Ideologe“ ? „ In Wahrheit wird heute ... das Anliegen des befreiten Menschen, nur vonder Kunst vertreten ... Heute vertritt wahrscheinlich nurderKünstler dieSache derGesellschaft ...“ Theodor

W.Adorno192

Die manipulierte Gesellschaft will denKünstler heute nicht, weil er die Wahrheit aus„

spricht.“ Joseph Beuys193

Diegängige Praxis ist die, erst einmal streng zutrennen: hier ist dasBild, daist das Wort des Künstlers. Relevant ist für mich in erster Linie was ich im Bild sehen kann, weitgehend irrelevant ist dasjenige, was der Künstler denkt. In pointierter Es gibt kaum etwas Form hat dies Eduard Beaucamp zumAusdruck gebracht: „ Törichteres als Künstlerphilosopheme. Die stürmischen, rabiaten oder selbstherrlichen Manifeste und Theorien der informellen Maler, der Kinetiker, der ZeroKünstler, derAktionskünstler undPop-Artisten behalten ihren Reiz undihr Recht allein durch ihrZeitkolorit.“194Wirsehen hier diegleiche historisierende Relativierungstendenz wieoben. 191 Ebenda, dieZitate inihrer Abfolge aufdenS. 15,26 Anm. 1, 16,25, 26. , hrsg. vonHans 192 So Adorno beim „Darmstädter Gespräch: DasMenschenbild in unserer Zeit“ Gerhard Evers, Darmstadt 1950, S. 212. 193 Ein Gespräch –Una discusione, Joseph Beuys, Jannis Kounellis, Anselm Kiefer undEnzo Cucchi, hrsg. vonJaqueline Burckhardt, Zürich, 2. Aufl. 1988, S. 108. (= Beuys: Unadiscusione).

194 Eduard Beaucamp: Die zeitgenössische Kunst: ein Patient. ZumGegenwartsband derPropy-

7. Derdenkende

Künstler

Ideologe“ –Ein„ ?

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Wesentlich moderater drückt sich dannschon Michael Bockemühl aus, wenner sich rechtfertigt, warum er bei seiner Analyse derMalerei Mark Rothkos so ungebührend wenig auf dessen Äußerungen eingeht. „ Entscheidend ist fürdie Untersuchung nicht dieerklärte Absicht desKünstlers, sondern dieWirkung seiner Bilder. Begegnet sich dasdort zuFindende mitdenbetreffenden Absichtserklärungen, mag sich beides gegenseitig bestätigen.“195Hier zeigt sich deutlich eine Reserviertheit, mitderhäufig Kunsthistoriker denSelbstäußerungen derKünstler begegnen. Dahinter steht wohl einerseits ein Mißtrauen gegenüber Künstler-Kommentaren und andererseits der Unwille, sich vom Künstler in irgendeiner Weise gedanklich beeinflussen zulassen. Aber ist nicht derunvoreingenommene Kunstwissenschaftler gefordert, die Reflexionen desKünstlers ernst zunehmen undihnen dasjenige Gewicht beizumessen, das ihnen zusteht? Den Sprachwerken kommt prinzipiell, direkt nach der Werkgestalt als erster Erkenntnisquelle, Rang und Wert einer unverzichtbaren zweiten Erkenntnisquelle zu, dadie Sprachgestalt die Bildgestalt gleichsam flankiert. Darf mandaher diesprachlichen Äußerungen desKünstlers so einfach ignorieren? Sie sindja keine unverbindlichen, beliebigen Zufallsbekundungen von irgendwem, sondern sie gehen aus dem selben Geist hervor, der das bildnerische Werk geschaffen hat. Die theoretischen Überlegungen eines Malers gründen in der Erfahrung des Schaffensprozesses undsind somit immer auf sein dieWerkgestalt –bezogen. Folglich vertrete ichdieThese, daßBildneriProdukt –

sches Denken unddenkerisches Bilden alsuntrennbare Einheit zubegreifen undzu behandeln sind. Wiederkurze exemplarische Blick aufdiekunsthistorische Praxis aber erkennenläßt, sind Kunsthistoriker immer wieder verleitet, denlaut denkenden Künstler alsSynkretisten, alswirklichkeitsfernen, romantischen Utopisten, alsnarzißtischen Selbststilisten, als Ideologen oder als Atheisten zu entlarven. So jüngst zumBeidaß spiel, letzteres betreffend, Donat deChapeaurouge, derzudemFazit kommt, „ Paul Klee ein Spötter, ja einZyniker gewesen ist. Er glaubte nicht anGott, weil er sich selbst als Schöpfer sah, die ‚Genesis‘vollendend. Seine esoterischen Kontakte sind erfunden, bestenfalls von ihm in doppeldeutig formulierten Texten vorge196Der Künstler also täuscht, aus welchen Interessen auch immer, eine täuscht.“ religiöse Weltanschauung nurvor, die derkritische Kunsthistoriker als Ideologie enttarnt. DerKunsthistoriker fühlt sich gehalten, alsWissenschaftler denKünstlern Irrtümer nachzuweisen undDefizite aufzuzeigen. Huldigt er damit nicht einem obsoleten Wissenschaftsverständnis, dassich heute nurschwer rechtfertigen läßt? ... zeigt jenen Zugmoderner Wissenschaftlichkeit, dieinder DerKunsthistoriker „ , wieDittmann in radikalen Verfügung über ihre Gegenstände sich dokumentiert.“

läen-Kunstgeschichte, in Eduard Beaucamp: Die befragte Kunst. Kritische Streifzüge von 214, S. 212. Donatello bis Beuys, München 1988, S. 210– 195 Michael Bockemühl: Die Wirklichkeit des Bildes. Bildrezeption als Bildproduktion. Rothko, Newman, Rembrandt, Raffael. Stuttgart 1985, S. 199, Anm. 118. (= Bockemühl: Bildrezeption als Bildproduktion). Siehe dazu meine Rezension: Bunge: Wirklichkeit des Bildes. 196 Donat de Chapeaurouge: Paul Klee undder christliche Himmel, Stuttgart 1990, S. 78. (= Chapeaurouge: Klee).

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Teil I: Einleitung

scharfer FormHansSedlmayrs überheblichen Anspruch kritisiert hat, denKünstler besser zuverstehen alsdieser sich selbst verstanden hatunddieKunstwerke „ soin den Griff zu bekommen ..., daß sie reproduziert werden können!“197Solcherart „‚begriffene Geschichte‘ist notwendig Determinismus.“Dieser „ Triumph derWissenschaft über die Kunst“setzt denKunsthistoriker in eine Richter-Position. „ Ja, dernachschaffende Interpret vermag nicht nurimSinne desKünstlers zuproduzieren, erkennt denwahren Gehalt derkünstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten sogar besser alsderKünstler undkanndeshalb dessen Werke nicht nurwiedererschaffen, sondern zugleich auch beurteilen ... .“ Eine solche Position des Kunsthistorikers über der Kunst, wie sie Dittmann an Sedlmayr, Riegl, Wölfflin und Panofsky kritisiert, ist nicht haltbar. Gerade anderKunstauffassung Sedlmayrs zeigen sich paradigmatisch viele Vorurteile undVerleumdungen gegen diemoderne Kunst und ... durchgehend entwickelte Sedlmayr seine den „denkenden“Künstler, denn „ Kunstauffassung polemisch gegen die moderne Kunst.“Dittmann kommt zudem Fazit: „Sedlmayr verordnete dem Künstler dunkle Unbewußtheit, während der Interpret das Unbewußte ohne Schwierigkeit durchleuchten und ins Bewußtsein absoluten Standpunkt“außerhalb derZeit heben kann.“Sedlmayr glaubte einen „ partielles Weltgericht“ einnehmen zukönnen, vondemauser die Geschichte als „ Verlust erkennt. So kann Sedlmayr urteilen: die moderne Kunst symbolisiert den„ , dasheißt, „daßderMensch seine wahre Mitte verloren hat: Gott.“Die derMitte“ gegenwärtige Kunst ist somit Symptom einer Krankheit, einer Störung, deren DerinnerUrsache das„ Streben nach ‚Autonomie desMenschen‘ ist. Sedlmayr: „ ste Kern der Krankheit ist das gestörte Gottesverhältnis. ““Die moderne Kunst sei atheistisch. „ Die Quelle allen Übels sieht Sedlmayr in der Autonomie des Menschen und in dem darin begründeten angeblichen Übermaß an Freiheit. In der Abwehrhaltung dagegen ist er bemüht, dem Künstler die strengsten undengsten Bindungen aufzuerlegen.“(Dittmann). Dielogische Folge davon ist, daßderKünstler gleichsam intellektuell entmündigt wird, er arbeitet nicht reflexiv, sondern in dunkler Unbewußtheit. Konsequenterweise entlarvt Sedlmayr dieKünstlerbekenntnisse als Scheinwahrheiten undIdeologien. So schreibt erbeiderExplikation seiner : „Hier wirdjene ‚Zone desUnbewußten‘erreicht, Methode im„ Verlust derMitte“ denn der eigentliche Sinn solcher Formen ist ihren Erzeugern nicht bekannt. Und wenn mansie nach ihmbefragt, werden oft ganz andere, offenbar unzureichende Revolution Motive für die Berechtigung solcher Formen vorgeschützt.“Auch in „ der modernen Kunst“kommt Sedlmayr zu einer Degradierung, ja Leugnung der Autonomie des Künstlers und zwar hinsichtlich seines Bildens als auch seines Denkens: „ FürdieErkenntnisse derPrimärphänomene istes gleichgültig, obundin welchem Maße ihre Tendenzen denSchaffenden bewußt geworden sind. DieIdeologien der‚modernen Kunst‘sindfürdenProzeß –dermitinnerer Folgerichtigkeit undfürseinErgebnis unwichtig, wichtig istnur,daßdieKünstler, bewußt verläuft – oder unbewußt, so schaffen, als hätte ihnen einWeltgeist eingegeben, demAxiom gemäß zuschaffen.“198 197 Dittmann: Stil-Symbol-Struktur, S. 210. 198 Ebenda, alle Zitate Sedlmayrs nachDittmann, S. 220, 26, 208, 199, 184, 190, 191, 201, 192.

7. Derdenkende

Künstler

–Ein„Ideologe“ ?

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Ich denke, an denausgewählten Beispielen deutlich aufgezeigt zu haben, daß die Kunstwissenschaft sich immer wieder bemüßigt fühlt, über Kunstwerke, Künstler undihre Reflexionen nach Belieben urteilen zu können; sie führt damit eine Verfügungsmacht des deterministischen wissenschaftlichen Geistes über die „ 199vor. Verkennt sie nicht das kritisch-rationalistische Geschäft, wenn sie Kunst“ die Kunstwerke unddie Künstlerreflexionen hinterfragt, ihre eigenen sogenannten wissenschaftlichen Methoden aberjeglicher Selbstkritik entzieht? VonGottfried Boehm stammt dertreffende Satz: „Klüger als eminente Kunst unddas, was sie zuerfahren gibt, kann der Kunsthistoriker nicht sein wollen.“200 Undebenso sollte derKunsthistoriker nicht klüger als derdenkende Künstler sein wollen und sich ihm intellektuell nicht überragend wähnen, weil Wissenschaftler als Beruf das gebiete. Gegen ein eingeengtes Wissenschaftsverständnis hat ein Künstler wie Kandinsky expressis verbis undmit seinen Bildern, wieviele andere Künstler neben ihm auch, heftigst opponiert, unddas zu einer Zeit, als sich die große Mehrheit einer blinden Wissenschaftsgläubigkeit hingegeben hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg wares einKünstler wieBeuys, deres sich zuseiner Lebensaufgabe gemacht hat, mitseinen Werken undmitseinem Denken ein abgelebtes, weil einseitiges Wissenschaftsverständnis zudestruieren. Indiesem Kontext mußdieselbstkritische Frage gestellt werden: Darf sich die Kunstgeschichte heute noch anmaßen, über Kunst, Künstler undihre Theorien zu richten, und vor allem auf Grund welcher Autorität, wo doch wissenschaftliche Werte im Fluß sind? In einer Zeit, in derdieWissenschaftskritik dominiert undwo jedem, dernicht an„ästhetischer Bewußtlosigkeit“leidet, klar sein sollte, „ daßdie Wissenschaft nur mit Hypothesen, nicht mit Wahrheiten operiert; daß ihre Sätze nicht absolut, sondern bloß bis aufweiteres gelten; unddaßlängst nicht alle Fragen –und vielleicht gerade die entscheidenden nicht –wissenschaftlich zugänglich , wie Wolfgang Welsch schreibt.201 In einer solchen Zeit also, sollte da nicht sind“ eher Bereitschaft sein, demKünstler intellektuelle Kompetenz zuzusprechen? Sind denn Kandinsky, Klee, Matisse, Mondrian, Beuys oder Mark Rothko weniger intelligent, weniger denkstark, weniger vertrauenswürdig oder weniger kompetent in Sachen Kunst als Ordinarien für Kunstgeschichte? Wir müssen noch weiter Wissenschaft“vonKunst imtraditionellen fragen, kannesüberhaupt soetwas wie„ Ist Kunst nicht gerade das, was sich Sinne geben, stellt sich als Denkaufgabe? „ einer wissenschaftlichen Erfassung entzieht, wasdieser jedenfalls nicht bedarf? ... Oder, anders gefragt, welcher Begriff von Wissenschaft muß zugrunde gelegt wer202 den, damit eine Kunstwissenschaft möglich wird?“ 199 Dittmann, ebenda S. 26. 200 Boehm in: Kunstgeschichte –aber wie?, S. 26. 201 Welsch: Kunst undWissenschaft, S. 128: Der Wissenschaftsglaube unddie Idee des unbegrenzten „ Fortschritts“hinsichtlich derTechnik ist gebrochen. Wir können täglich die Erfahwirinfolge vonHochtechnologie-Schäden nicht einmal mehr wissen, wie rung machen, daß„ wirelementare Bedürfnisse desEssens undTrinkens unschädlich stillen können; jedem naiven Wissenschaftsoptimismus, der annimmt, daß die Folgeschäden von Wissenschaft durch die gleiche Wissenschaft therapiert werden könnten, ist längst derBoden entzogen.“ 202 Dittmann: Kunstwissenschaft, S. 100.

Teil I: Einleitung

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Eine Kunstwissenschaft, wiesie sich Dittmann vorstellt undwieer sie auch seit Jahren praktiziert, diebasierend aufderÄsthetik desDeutschen Idealismus „erneut wagt, dasKunstwerk als eine Eröffnung vonWahrheit zuerfahren“ 203,eine solche Kunstwissenschaft kann denBlick dafür frei machen, „ daßsich Kunstwissenschaft vor denAnsprüchen der objektivierenden Wissenschaft nicht nurzurechtfertigen hat, sondern daßsie, umgekehrt, insofern sie der Kunst gerecht wird, auch Grenzen der Wissenschaft aufzuzeigen vermag.“204 Kunstgeschichtswissenschaft hat keine legitimierbare Macht über die Kunst, sie hat auch keine richterliche Verfügungsgewalt über ihren Gegenstand –das Kunstwerk, denn dieses „steht über dem wissenschaftlichen Geist“.205 Ist im wissenschaftlichen Umgang mit Kunst nicht Bescheidenheit geboten, statt ÜberhebNicht ohne Achtung der Vergangenlichkeit? In diesem Sinn gilt die Forderung: „ heit, nicht ohne die Kraft der Verehrung wird die Kunstgeschichtswissenschaft sinnvoll weiter bestehen können. ‚Wir können mitdemVollkommenen nicht schalten undwalten, wie wir wollen, wir sind genötigt, uns ihm hinzugeben, um uns selbst vonihm, erhöht undverbessert, wieder zuerhalten‘.“ (Goethe, Einleitung in die Propyläen).206

Exkurs: Hitlers Verbalinjurien gegen die moderne Kunst und seine Angriffe auf dendenkenden undschreibenden Künstler Ein extrem

dunkles Beispiel für Kunst- undTheoriefeindlichkeit liefert die nationalsozialistische Agitation gegenüber moderner Kunst, die in sogenannten „ Säuberungsaktionen“bis zurVernichtung vonKünstlern undKunstwerken führte. Daher mußeine Auseinandersetzung mitderAvantgardekritik sich auch indieNiederung einer Kunstauffassung Hitlers begeben. Denndiese läßt erkennen, daß, wieAdorno eruierte: „ Kunst- undTheoriefeindlichkeit ... imKern identisch“sind.207 Hitler hat sogenannte ‚moderne‘ Kunst“in seine unmäßige WutundAggression gegen die „ seiner Rede zurEröffnung der„ Großen Deutschen Kunstausstellung“1937 öffentlich gemacht.208 Eindeutig geht aus dieser Rede hervor, daß er die Bilder der , wieer die Avantgardisten titulierte, deswegen so prähistorischen Kunststotterer“ „ gehaßt hat, weil er sie weder verstehen noch genießen konnte, sondern einen tiefen

203 Dittmann: Stil-Symbol-Struktur, S. 11. 204 Dittmann: Kunstwissenschaft, S. 102. 205 Dittmann: Stil-Symbol-Struktur, S. 233. 206 Dittmann: Kunstwissenschaft, S. 123. 207 Adorno: Positivismusstreit, S. 57. 208 Hitlers Rede zur Eröffnung der ‚Großen Deutschen Kunstausstellung‘ 1937 in: Peter-Klaus Schuster (Hrsg.): Die ‚Kunststadt‘München 1937. Nationalsozialismus und‚Entartete Kunst‘, Bis zum 252. (= Schuster: ‚Kunststadt‘München). Hitler: „ München 2. Aufl. 1988, S. 242– Machtantritt desNationalsozialismus hates in Deutschland eine sogenannte ‚moderne‘Kunst gegeben, d.h. also, wiees schon imWesen dieses Wortes liegt, fastjedes Jahr eine andere.“(S. 245).

Exkurs: Hitlers Verbalinjurien gegen die moderne Kunst

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Widerwillen gegen sie empfand, umBegriffe Ernst Gombrichs zu gebrauchen.209 Natürlich glaubte Hitler, im Besitz des rechten Kunstverständnisses zu sein. Das moderne Kunstverständnis, das „ ausgehoben undbeseitigt“werden muß, wurde laut Hitler durch das„Judentum“verschuldet, dasseine „Stellung inderPresse, mit Hilfe dersogenannten Kunstkritik“dazu ausgenutzt habe, mitBehauptungen „ wie zumBeispiel der, daßdie Kunst international sei, bis zu denAnalysierungen des Kunstschaffens durch bestimmte, im Grunde genommen aber nichtssagende Aus, den„gesunden Menschenverstand undInstinkt“zuverwirren. drücke“ Daßdie moderne Kunst international sein müsse, wareine derGrundüberzeugungen Kandinskys, die dieser auchkonkret als russischer, deutscher undfranzösischer Maler gelebt undnicht nur proklamiert hat.210 Schon die Konzeption des , die Kandinsky dominiert hat, verrät die internationale AusrichBlauen Reiters“ „ tung.211 Aber gerade solche Künstlermanifeste wieder„ Blaue Reiter“waren Hitler ein Dorn imAuge, denn in ihnen saher die entscheidenden Symptome des Kunstverfalls undder „Kunstentartung“ ! Es sei den„geschäftstüchtigen jüdischen Kunstdie größten Schmieragen vonheute auf morgen einfach als händlern“gelungen, „ die Schöpfungen einer neuen unddamit modernen Kunst zu offerieren ...“ , und zwar deswegen, weil „kein Kunstwerk ohne eine genaue gedruckte Deutung eines sonst unverständlichen Sinnes“war! Unddann kommt ein für das Selbstverständnis des„Kunstmalers“entlarvender Satz, wennHitler feststellt, daßdabei den„Kunstschwadroneuren“die Unsicherheit der neureichen Emporkömmlinge zugute gedie viel zuungebildet sind, umüberhaupt Kunstwerke beurteilen zu kommen sei, „ können. Undgerade deshalb ammeisten unter derAngst leiden, aufdiesem Gebiet einen Fehlgriff zu tun und dadurch in ihrer Ungebildetheit plötzlich entlarvt zu werden.“Im Grunde genommen handelt es sich hier um ein Selbstbekenntnis Hitlers. Zurblinden Wutschlug derÄrger um,daßer als Kunstmaler nicht reüssiert

209 Ernst Gombrich: Meditationen über ein Steckenpferd. Von den Wurzeln undGrenzen der , S. 71. Er hatdarauf 77: „Psychoanalyse undKunstgeschichte“ Kunst. Wien 1973. Darin S. 57– derkünstlerisch Gebildete, derfeinfühlige Kenner, derKritiaufmerksam gemacht, daßsich „ (erwäreesoftnurallzugerne geworden), undwenn ker, beinahe selbst alsKünstler“fühlt, und„ er seine Erfüllung nicht als Schaffender finden kann, will er doch wenigstens inderProjektion dieFreuden desSchaffens nachleben. Dieses Bedürfnis scheint sehr schnell zuwachsen, wenn es Befriedigung findet. Wieviel davon demNarzißmus zuzuschreiben ist, demDrang, etwas genießen zukönnen, wasdemUneingeweihten verschlossen ist, wäre nicht uninteressant zu untersuchen. Es ist wichtig festzuhalten, daßderGenuß nicht nureingebildet oder vorgetäuscht ist. Er ist ebenso echt wie der Widerwille gegen alles Billige und Vulgäre.“Ist nun der verhinderte Künstler inseiner Genußfähigkeit gestört, will sagen, er findet keinen befriedigendenZugang zueiner bestimmten Kunst –dadiese einen reflexiven Anspruch anihnstellt, der , so kann die vorhandene die vermeintlichen Freuden des spontanen Nachschaffens verdirbt – Kunstbegeisterung in tödliche Kunstfeindlichkeit umschlagen. 210 Ebenda, S. 243. Roethel berichtet: „Kandinsky warimRussischen, Französischen undDeutRoethel: Kandinsky: Graphisches Werk, S. X. schen ingleicher Weise zuHause.“ 211 Siehe: Der Blaue Reiter. Hrsg. von Wassily Kandinsky undFranz Marc. Dokumentarische Neuausgabe vonKlaus Lankheit, 4. Aufl. München 1984. Diese Ausgabe enthält denOriginaltext derAusgabe von 1912 undeinen informativen Kommentar vonKlaus Lankheit, S. 253 ff. (= Blauer Reiter).

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Teil I: Einleitung

hat, während diese „verrückten Farbensudler“international erfolgreiche Künstler wurden. Die moderne Kunst in ihrem reflexiven Anspruch konnte oder wollte er nicht verstehen. Er nennt die Moderne „Unsinn“ , die außerdem noch von„unver, undweil ihm der kosmopolitische ständlichen Phrasen“begleitet gewesen sei – und freiheitsproklamatische Anspruch der Künstler mehr als nur suspekt war,

er sie fürvogelfrei. Begriffe wie„Kubismus, Dadaismus, Futurismus, Impressionismus, usw.“seien „dasgekünstelte Gestammel vonMenschen, denen Gott die Gnade einer wahrhaft künstlerischen Begabung versagt unddafür die Gabe des Schwätzens oder der Täuschung verliehen hat. ... ‚Kunstwerke‘, die an sich nicht verstanden werden können, sondern als Daseinsberechtigung erst eine schwülstige Gebrauchsanweisung benötigen, umendlich jenen Verschüchterten zufinden, dereinen so dummen oder frechen Unsinn geduldig aufnimmt, werden vonjetzt ab denWegzumdeutschen Volke nicht mehr finden! Alle diese Schlagworte wie: ‚inneres Erleben‘, ‚eine starke Gesinnung‘, ‚kraftvolles Wollen‘, ‚zukunftsträchtige Empfindung‘, ‚heroische Haltung‘, ‚bedeutsames Einfühlen‘, ‚erlebte Zeitordnung‘, ‚ursprüngliche Primitivität‘, usw., alle diesen dummen, verlogenen Ausreden, Phrasen oder Schwätzereien werden keine Entschuldigung oder gar Empfehlung für an sich wertlose, weil einfach ungekonnte Erzeugnisse mehrabgeben. Objemand einstarkes Wollen hat oder ein inneres Erleben, dasmager durch sein Werkundnicht durch schwatzhafte Worte beweisen. Überhaupt interessiert unsalle viel weniger dassogenannte Wollen als das Können.“UndHitler will dafür sorgen, daß vonnunan das Volk , natürlich vermittelt durch wieder zumRichter über seine Kunst aufgerufen wird“ „

erklärte

Führeretage“ . die „

Noch heute beruft man sich nur all zu gerne auf des Volkes Stimme, wenn gegen avantgardistische Kunst polemisiert wird. Enthalten nicht die Haßtiraden armseligen, verworrenen Pinsler oder Skribenten“212im Kern Hitlers gegen jene „ so manche Vorurteile gegen den avantgardistischen, philosophierenden Künstler, die–manerinnere sich nurandieheftige Ablehnung, diedemangeblichen „Schwät, bis heute latent verbreitet sind? Beuys entgegenschlug – zer“

212 Alle Zitate Hitlers nach Schuster: ‚Kunststadt‘München, S. 244, 245, 249, 250, 251.

TEIL II INTUITION UND RATIO NATUR UND WELT –SELBST UND GOTT

1. Künstlertheorie als Ersatz der Ikonographie? – Das Bildnerische Denken alsAnweisung zumSehen undVerstehen der modernen Kunst „ DochDürer warnicht nureingeometrisches Genie undeingroßer Techniker,

einDenker.“

erwarauch

Erwin Panofsky213

Denken ist interessanter als Wissen, aber nicht als Anschauen.“ „ Johann Wolfgang Goethe214

„ Ichsehe etwas, mitdemAuge, denke imGehirn, erfühle es imBrustkasten, sehe mitdem Auge hinten im Kopf mein Bild unddann male ich es mit denFingern. Nennen Sie es denkendes Sehen oder auch sehendes Denken, wenn Sie wollen, oder sagen Sie einfach ‚Schöpfung‘. Es warnie anders, bei mirnicht undbei allen anderen nicht.“ MaxLiebermann215

Daskünstlerische Denken nennen wirdasBildnerische Denken, weil es dasDenken desbildenden Künstlers ist, dasals gesprochenes oder geschriebenes Wort sprachlich seinen Niederschlag findet. Das Denken des Künstlers über Kunst ist ein besonderes Denken, denn es ist ein sehendes, ein anschauliches, ein gegenständliches, ein bildliches Denken oder wieimmer manes begrifflich zucharakterisieren versucht. Es ist ein ästhetisches Denken imwahrsten Sinne desWortes, weil es als bildnerisches Denken ausderErfahrung desBildens resultiert, beziehungsweise in ständiger Wechselwirkung mit diesem steht. Dasbildnerische Denken ist untrennbar an die Imagination –die Ein-Bildungskraft216 –des Künstler-Kreators ge213 Erwin Panofsky: Das Leben und die Kunst Albrecht Dürers, München 1977, S. 362. (= Panofsky: Dürer). Siehe besonders Kapitel VIII. „ Dürer als Theoretiker der Kunst“ , S. 323 ff. 214 Goethe: Werke, Bd. 6, S. 515, Maximen undReflexionen (212). 215 Max Liebermann im Gespräch mit Paul Eipper 1925. In: Paul Eipper: Ateliergespräche mit Liebermann undCorinth, München 1971, S. 26. 216 Es warErnst Strauss, derfolgende erhellende Definition derImagination als Ein-Bildungskraft im Hinblick auf die Malerei des späten Cézanne gegeben hat. In: Nachbetrachtungen zur

Pariser CézanneRetrospektive 1978, inStrauss: Koloritgeschichtliche Untersuchungen, S. 163– 183. „Cézannes Umsetzung des Naturvorbildes in Malerei ist die Leistung einer besonderen, wörtlich zuverstehenden Ein-Bildungskraft (im Unterschied zueiner freiwaltenden, über das anschaulich Gegebene hinausweisenden Fantasie), diesobeschaffen ist, daßsie erst inengstem undfortwährendem Kontakt mitdenunmittelbar vorAugen liegenden Dingen zuihrer vollen Entfaltung gelangen kann. Sie erschöpft sichjedoch nie undnirgends in einer objektiven, jede Einmischung außerkünstlerischer Momente ausschließenden Darstellung seiner Motive und Modelle. Vielmehr ermöglicht sie Cézanne zugleich mitderen Wiedergabe eine Gestaltung des Werkes zueinem formal-farbigen Gebilde ganz eigener Art, dasdenAnspruch erhebt, als ein vollkommenes Äquivalent des jeweils vorgegebenen Natuvorbildes angesehen zu werden. Diese der Abstraktion nahekommende Gebilde-Charakter der farbigen Formen, auf welchem nicht zuletzt die besondere Faszination derAlterswerke Cézannes beruht, kann sich oft allein schon in der materiellen Beschaffenheit der wie durch einen Kristallisations- oder Verkrustungsprozeß entstandenen Bildoberfläche äußern.“(S. 169) Diese Erkenntnisse vonStrauss,

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Teil II

knüpft. Es schöpft ausdenselben Quellen, die auchdasSchaffensvermögen bei der Werkentstehung bedienen, nämlich Intuition und Inspiration, die als spezifische Denkstrukturen undErkenntnisvermögen des Künstlers über einen einseitigen intellektuellen Verstandespol hinausgehen. In diesem Verständnis mußdasbildnerische oder ästhetische Denken desKünstlers komplexer, dichter undreicher sein als das „nur“begriffliche, diskursive Denken eines vermeintlich objektiven Wissenschaftlers, demals Nicht-Künstler diekünstlerische Praxis undErfahrung fehlt. Die intellektuelle Fähigkeit des bildenden Künstlers wurzelt in der Einheit seiner leiblichen, seelischen undgeistigen Erfahrung, dieimKunstwerk die„künstlerische Einheit vonanschaulicher Gestaltung, seelischem Ausdruck undgeistigem 217hervorbringt. In singulärer Weise verfügen dieKünstler inihrem spezifiGehalt“ schen Medium, ob Malerei oder Plastik, über ein Ausdrucksmittel nonverbaler Art undgleichzeitig über einErkenntnismittel nichtbegrifflicher Art. Gesellt sich dazu, wiebei Kandinsky, Klee undBeuys diedenkerische Kraft eines weiten undoffenen Intellekts, dann weitet sich die bildnerische Praxis zu Bildnerischem Denken und wir finden uns auf einer hohen Stufe der geistigen Potenz des Menschen; hier erscheint dasanthropologische Phänomen Kunst imhellsten Licht. Bilden undDenken, Intuition undRatio stützen sich gegenseitig, wodas eine aufhört, fängt dasandere an. Paul Klee hatdasWechselverhältnis vonUnmittelbarDie Freimachung der Elekeit undIntellekt mit folgenden Worten beschrieben: „ mente, ihre Gruppierung zu zusammengesetzten Unterabteilungen, die Zergliederung undderWiederaufbau zumGanzen auf mehreren Seiten zugleich, die bildnerische Polyphonie, die Herstellung der Ruhe durch Bewegungsausgleich, all dies sind hohe Formfragen, ausschlaggebend für dieformale Weisheit, aber noch nicht Kunst im obersten Kreis. Im obersten Kreis steht hinter der Vieldeutigkeit ein letztes Geheimnis, unddasLicht desIntellekts erlischt kläglich. ... Die Kunst spielt mit den letzten Dingen ein unwissend Spiel underreicht sie doch!“218Denn der schweigend sprechend, daß heißt gegenbildende Künstler ist in seinen Werken „ , wie Kurt Badt es formulierte. Der ständlich denkend, ohne es zu verlautbaren“ vollzieht“im Schaffensakt denBildsinn nurfür sich selbst in der DarstelMaler „ lung, aber er vermag ihnnicht immer ausdrücklich (verbal) mitzuteilen. Deswegen das Stumme des Bildes in die Sprache zu ist es die Aufgabe des Interpreten „ .219In dieser Aufgabe findet derKunsthistoriker seine eigentliche Legiübertragen“

die auch auf die Selbstäußerungen Cézannes bezugnehmen, belegen einmal mehr die Schlüsselstellung, dieCézanne fürdiemoderne Malerei eingenommen hat, indem erdasNaturvorbild (die Natur) in ein quasi protoabstraktes Äquivalent, bestehend aus der Konstruktion der bildnerischen Elementarmittel, transformiert hat, wobei die Parallelität von Natur undBild conditio sine qua non bleibt. Dies hat Gottfried Boehm dazu veranlaßt, Cézanne als eine kopernikanische Wende“vollzog. Epochenfigur“zu bezeichnen, die für die Malerei eine „ „ Siehe Gottfried Boehm: Paul Cézanne. Montagne Sainte-Victoire. Eine Kunst-Monographie, Frankfurt a.M. 1988, S. 29 ff. 217 Dittmann: Stil-Symbol-Struktur, S. 94.

218 Paul Klee: Schöpferische Konfession, zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, S. 65, 66. Das ist möglich, weil jeder anschaulichen Gestalt Begriffe 219 Badt: Modell undMaler, S. 15: „ zugehören, durch diesie erst verstehbar wird. DerKunstinterpret gibt also einem ausGestalten

1. Künstlertheorie als Ersatz derIkonographie?

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timation. Und greift nun der Künstler zur Feder und schreibt oder spricht über Kunst im allgemeinen oder über seine Kunst imbesonderen, dann ist dieses Wort des Künstlers fürdenKunsthistoriker bei seiner Aufgabe, dasStumme desBildes in die Sprache zu übertragen, besonders hilfreich, ja es stellt einen ausgezeichneten Zugang zumVerständnis derKunst dar. So gewinnt laut Herzogenrath die„Künstleraussage einen völlig neuen, fürdie kunstgeschichtliche Wertung wichtigen Stellenwert: Max Imdahl äußerte auf dem Kunsthistorikertag 1964 inMünster eine anregende These, dieer allerdings seitdem nicht weiter differenziert hat: Andie Stelle derIkonographie sei bei der heutigen kunstgeschichtlichen Bewertung die Künstleraussage unddie Künstlertheorie getreten. Wie die Ikonographie eine eigene Linie neben der formalen Entwicklung gehabt habe, so sei die Theorie der Künstler ein eigener Zweig, der für sich zunächst selbständig analysiert undinterpretiert werden muß, umerst dann, aufdas jeweilige Werkbezogen, Aufschlüsse geben zukönnen.“ 220In seinem Aufsatz „ Die Rolle derFarbe inderneueren französischen Malerei. Abstraktion undKonkretion“ hat sich Imdahl eindringlich zumProblem der Künstlertheorie geäußert: „Gewiß hat besonders die moderne gegenstandslose Malerei zahlreiche, begrifflich streng gefaßte Theorien hervorgebracht. Indem die gegenstandslose Malerei aber in der

220

aufgebauten Bilde nurdas hinzu, wasihmseinem Wesen nach schon zugehört, sofern dies in die Sphäre desVerstehbaren gebracht werden soll. Daszuerreichen aber ist dasAnliegen des Künstlers, welches allein seine Tätigkeit als eine sinnvolle legitimiert. Jedes Kunstwerk wird im Hinblick darauf geschaffen, daßes verstanden, nicht bloß konstatierend oder registrierend angesehen werden soll.“ Wozu Herzogenrath: Selbstdarstellung, S. 7. Siehe besonders Herzogenraths Einleitung: „ , S. 5–15.Gottfried Boehm steht demGedanken, daßdieKünstlertheorie Künstleräußerungen?“ heute die Ikonographie ersetze, sehr kritisch gegenüber, wie er in einem Aufsatz anmerkt: Auch derfatale Satz: Wasfürdie ältere Kunst die Ikonographie, dassei fürdie moderne die „ Theorie (die des Künstlers selbst, des ihn begleitenden Ideologen, des nachrückenden Kunstkritikers bzw. -historikers) ist so zulesen. Es geht darum, derart die peinliche Unverständlichkeit, die insMaterial eingeprägte Vieldeutigkeit desSinnes zumindern, dieoffene Konfiguration des Bildes als Spur eines Begriffes zulesen, mitMitteln derTheorie genau zusagen, was das Werk schweigend partout nicht verlautbaren will, aber doch zeigt.“Gottfried Boehm: Abstraktion undRealität. ZumVerhältnis vonKunst undKunstphilosophie inderModerne, in: 237, S. 227. (= Boehm: Philosophisches Jahrbuch, 97. Jg., Freiburg, München 1990, S. 225– Abstraktion undRealität). Wieso die Künstlertheorie demWerk schadet, in demSinn, daßsie den Sinnüberschuß des Werkes beschneidet, hat Boehm allerdings nicht begründet undwäre erst noch zu beweisen! Meiner Erfahrung nach schränken weder die Theorien von Klee und Kandinsky nochdiejenige vonBeuys dieVieldeutigkeit ihrer Werke in irgendeiner Weise ein. Boehm widerlegt sich auch selbst, dennbei derAnalyse undDeutung vonKandinsys abstrak, wasja auch völlig legitim ist. Der„KraftcharaktenBildern verweist er aufdessen „Theorien“ derBildwirklichkeit, ihre dynamisch-energetische Wirkung, als Deutung vonKandinskys ter“ Malerei, stützt er mit einem Kandinsky-Zitat undverweist auf Äußerungen von Delaunay, Wemdie Bildanalyse dafür überanstrengt erGiacometti undBeuys, mit der Anmerkung: „ scheint, der mag sich mit einer Fülle sekundärer Belege (aus der Künstlerliteratur) eher überzeugen.“(S.233) Dies belegt doch eindeutig, daßwirandenKünstler-Kommentaren gar nicht vorbeikommen. Nicht immer, aber immer öfter initiieren die Künstlertheorien erst eine plausible, sinnvolle undsinnfällige Deutung derWerke.

Teil II

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Entbegrifflichung derWelt durch dasBildeine Eröffnung neuartiger Informationen erblickt, die allein von den Bildmitteln als solchen ausgehen undeinzig der sinnlichen Wahrnehmung zugänglich sind, benötigt siedieBegrifflichkeit alsformulierte Theorie nur, umdie Möglichkeiten sinnlicher Information zu reflektieren. Eine Frage ist freilich, inwelchem Maßediese Malerei bei immer komplexer werdender Information das Auge überfordert unddaher derBeschauer derTheorie als einer Anweisung zumSehen bedarf. Vielleicht ließe sich grundsätzlich erwägen, obnicht dann die Theorie als eine Anweisung zumSehen an diefrei gewordene Stelle der 221Also auch Imdahl verIkonographie als einer Anweisung zumVerstehen tritt.“ tritt die These, daßdie Künstlertheorien Reflexionen über die Sprache desBildes sind. Will man diese nonverbale Sprache verstehen, mußmandas bildnerische Denken als eine Anweisung zumSehen in sich aufnehmen. Die Hypothese, daß die Künstlertheorie die Ikonographie ersetzt habe, kann nicht invollem Umfange aufrechterhalten werden, wieDittmann inseiner Differenzierung dieser Problemstellung angemerkt hat. „ DenndieKünstlertheorie umfaßt ja nicht nurdie Darlegung der Ziele undmöglicher Inhalte der Kunst, was mit der Ikonographie in etwa vergleichbar wäre, –sondern eben auch die Analyse der bildnerischen Gestaltungsmittel, also etwas der Ikonographie als einer Inhaltsbestimmung Entgegenstehendes. Dennoch ist soviel andieser Auffassung richtig, daß

Immanente Ästhetik –Ästhetische Reflexion. Lyrik als Paradigma 225. Zitat aufS. 196. derModerne. München 1966, S. 195– Imdahl selbst hatseine Erwägung, daßdieKünstlertheorie dieIkonographie ersetze, auchmehr als drängende, wichtige Frage denn als apodiktische Behauptung verstanden. Aber daß ihm diese Frage vonBedeutung war,zeigt derbekenntnishafte Text, denImdahl vorseinem Todfür denSammelband: Kunsthistoriker ineigener Sache. Zehnautobiographische Skizzen. HerausBis andie Grenzen des gegeben vonMartina Sitt, Berlin 1990, S. 244– 272, geschrieben hat. „ Aussagbaren ...“l autet derTitel, undImdahl problematisiert die „ Anschauung eines gegenikonographische standslosen Bildes“amBeispiel Piet Mondrians. In dessen Malerei spielen „ Verständnisbedingungen“keine Rolle mehr, „ sofern mannicht –wasimmerhin zuerwägen bleibt –annimmt, daßim Falle eines gegenstandslosen Bildes undzumal eines solchen von Mondrian andie freigewordene Stelle ikonographischer Sinnfundierung nunmehr dieTheorie tritt, derart nämlich, daß diese selbst sinnfundierende Geltung beansprucht: Entsprechend seinen theoretischen Äußerungen erstrebte Mondrian eine universelle Gestaltung als direkten Ausdruck desUniversellen. Wie aber verhält sich dasgegenstandslose Bild zuseiner möglicherweise sinnfundierenden, das eigentlich gemeinte formulierenden Theorie? Mußmandie Theorie als eine Art Konzept des Bildes kennen, oder erschließt sie sich der Anschauung als solcher? Wieteilt man,wenninderAnschauung eines gegenstandslosen Bildes einEvidenzerlebnis gegeben ist, dieses selbst mit? ... Dann nämlich steckt die Hauptaufgabe darin, sinnliches Erleben möglichst inVerstehen zuübersetzen –wieanders aber alsmittels derSprache?“ (S. 247, 248) Aber nicht nurbei Mondrian, sondern auch in der Malerei des Orphismus und eintheoretisch formulierter Anspruch andasBild andieStelle allgemein inderModerne tritt „ einer ikonographischen Sinnvorgabe ... . Hier gilt aber auch, daß –möglicherweise –die unmittelbare Evidenzerfahrung des im Bilde sichtbar gegebenen nicht unbedingt genau das offenbart, was zu offenbaren die Theorie demBilde aufgibt. Cherchons à voir, so hat sich Delaunay selbst geäußert. Doch wieesauchsei, zweifellos ist es geistesgeschichtlich relevant, wasinderMalerei selbst wieebenso indersiebegleitenden theoretischen Refelxion fürjeweils (S. 266). darstellungswichtig erachtet undgefordert wird.“

221 In Wolfgang Iser (Hrsg.):

1. Künstlertheorie als Ersatz derIkonographie?

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zumVerständnis der Kunst des 20. Jahrhunderts Kenntnis der Künstlertheorie im selben Maße nötig ist, wie für das Verständnis der vormodernen bildenden Kunst ikonographisches Wissen.“Undso kommt Dittmann zu der entscheidenden FestEin wichtiger WegzumVerständnis dermodernen Kunst, einZugang zu stellung: „ ihr führt über die Kenntnis der Künstlertheorie. Diese Künstlertheorien geben ja nicht allein, ich wiederhole es, Auskunft über die künstlerischen Ziele, die WeltundLebensvorstellungen des Künstlers etc., sondern umfassen auch die Analyse derkünstlerischen Gestaltungsmittel selbst undführen sounmittelbar zumbesseren Verstehen derWerke als künstlerisch gestalteter.“222 Während die Ikonographie immer nureine Hilfswissenschaft, gleichsam von außen, sein kann, die versucht, die literarischen und sonstigen Vorlagen für ein Thema eines Kunstwerkes ausfindig zu machen, so ist die Künstlertheorie eine Primärquelle, gleichsam von innen, die in das Wesentliche der Kunst und des Kunstwerkes führt. Eben deshalb hat der oft relativierte Ausspruch Hugo von Gewiß das Beste, Inhaltsreichste undAufklärendste, Tschudis volle Gültigkeit: „ wasüber Kunst gesagt wurde, ist vonKünstlern selbst gesagt worden.“„ DasBeste, was Künstler über die Kunst gesagt haben, das haben sie über ihre eigene Kunst 223Paul Westheim begründet diese Aussage wiefolgt: „ gesagt.“ DerKünstler spricht voneinem anderen Standpunkt aus als alle die anderen, die denVersuch machen, solche Deutung zugeben; er sieht dieDinge nicht nurals fertige Gestaltung, als DaSeiendes undGegebenes, sondern von innen heraus, von der Werkstatt unddem Werdeprozeß her. Daher die Erwartung, vom Künstler vor allem Aufschluß zu erhalten über die rätselvollste Seite am Kunstwerk: über die Konzeption unddie Verwirklichung der Konzeption in der Gestaltung, die Erwartung, daß er nicht nur anders, sondern in der Hinsicht auch essentielles zu sagen habe. ... so steht hinter all dem doch die Persönlichkeit des Schaffenden, die sich hier ebenso wie injeder Äußerung der Hand dokumentiert. In demSinn kann mansagen, daß alles, was der Künstler spricht undschreibt, wie alles waser schafft, Bekenntnis oder Geständnis ist.“224

Wie ist diese Begründung Westheims für denhohen Rang der Künstleräußerung zuwiderlegen? Vielleicht mitHans-Georg Gadamers pauschaler Feststellung:

„ Die Selbstinterpretation derKunst ist immer einsekundäres Phänomen.“225Wenn einsekundäres Phänomen sein soll, dannindemSinne, daßdie Kunstwersie „nur“ ke die primären Phänomene sind; für die Erkenntnis des Kunstwerkes aber ist die Künstlertheorie das primäre Phänomen. Gadamers Geringschätzung undAbwer-

denständigen tung des Bildnerischen Denkens geht noch weiter, denn er sieht in „

222 Lorenz Dittmann: Zugänge zur modernen Kunst. Zitiert nach einem Vortragstyposkript von 1985. (= Dittmann: Zugänge zur modernen Kunst). 223 Paul Westheim: Künstlerbekenntnisse. Briefe, Tagebuchblätter, Betrachtungen heutiger Künstler, gesammelt undherausgegeben vonP. Westheim, Berlin o. J. (1925?), S. 7. (= Westheim: Künstlerbekenntnisse).

224 Ebenda, S. 8.

225 Hans-Georg Gadamer: VomVerstummen desBildes, inHans-Georg Gadamer: Kleine Schrif234, S. 234. (= Gadamer: Kleine Schriften). tenII, Interpretationen, Tübingen 1967, S. 227–

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Teil II

Selbstinterpretationen dergroßen Maler unserer Epoche“eher einHindernis fürdie Deutung dermodernen Kunst denn eine Hilfe, dasich diese „ ihrer Voreingenommenheit durch herrschende Doktrinen nicht bewußt“seien. Mit anderen Worten, der Künstler ist in seinem Denken fremdbestimmt undals Denker dilletiert er auf einem Gebiet, aufdemer angeblich nichts verloren hat. Undso antwortet Gadamer auf die rhetorische Frage, wiemansich vordermodernen gegenstandslosen Kunst, die vermeintlich „alle Verständnismöglichkeiten hergebrachter Art abweist, denkend zurechtfinden?“soll, mit folgender, vor demeben angesprochenen Vorurteil erst verständlich werdenden Fehleinschätzung: „ Als erstes gilt es, die Selbstinterpretation des Künstlers nicht ernst zu nehmen. Das ist eine Forderung, die nicht gegen die Künstler spricht, sondern für sie. Denn sie schließt ein, daßdie Künstler künstlerisch bilden müssen. Wenn sie in Worten sagen könnten, was sie sagen wollen, dann würden sie nicht bilden wollen undgestalten müssen. Gleichwohl ist es unvermeidlich, daß das allgemeine Element der Kommunikation, das uns trägt undals menschliche Gesellschaft zusammenschließt, die Sprache, immer wieder auch daskommunikative Bedürfnis derKünstler motiviert, sich inWorten auszusagen, sich selbst zu deuten und im deutenden Wort verständlich zu machen. In Wahrheit begeben sich die Künstler dabei –und das ist kein Wunder –in die Abhängigkeit vonsolchen, deren Handwerk dasDeuten ist, vonÄsthetikern, Kunstschriftstellern aller ArtundvonderPhilosophie.“226 Kommen diese Überlegungen Gadamers nicht einer intellektuellen Entmündigung des Künstlers gleich? Ihre scheinbare Stringenz kann mit einer lapidaren Frage außer Kraft gesetzt werden: wieso ist der Künstler in seinem Denken über Kunst unbewußt fremdbestimmt, derPhilosoph dagegen bewußt autonom, unterliegendoch beide denselben hermeneutischen Bedingungen? Nachmeinem Verständnis hatsogar eher derKünstler hermeneutisch einen „Vorsprung“vordemPhilosophen, weil sein Denken aus der Praxis des Bildens schöpfen kann –die immerhin , wohingegen der Philosoph nur das Werk hervorbringt, umdas es schließlich geht – auf die Erfahrung des Denkens rekrutieren kann, außer er rekonstruiert den Uranschauungsakt des Denkens selbst. Hier ist der Künstler eindeutig im Vorteil, weil bei ihmDenken undBilden notwendig korrelativ sind. Goethe hat dies mit klaren Denken undTun, TunundDenken, dasist die Summe aller Worten beschrieben: „ Weisheit, vonjeher anerkannt, vonjeher geübt, nicht eingesehen voneinem jeden. Beides mußwie Aus- undEinatmen sich im Leben ewig forthin undwider bewegen; wie Frage undAntwort sollte eins ohne dasandere nicht stattfinden. Wer sich zumGesetz macht ... dasTunamDenken, dasDenken amTunzuprüfen, derkann nicht irren, undirrt er, so wird er sich bald auf denrechten Wegzurückfinden.“227 Bilde Völlig zu Unrecht wird Goethe immer nur mit dem Diktum zitiert: „ , so als wolle er damit einen Künstler in seine intellektuellen Künstler! Rede nicht!“ Schranken weisen, „denn dieser Satz steht als Vorspruch zu den Gedichten zur Kunst (1815) und Goethe fährt fort: ‚Nur ein Hauch sei dein Gedicht.‘ Damit

26, S. 17. 226 Hans-Georg Gadamer: Kunst undNachahmung, inebenda, S. 16– 227 Goethe-Taschenlexikon, begründet von Heinrich Schmidt, Stuttgart 1955, S. 49. (= GoetheTaschenlexikon). Die zitierte Stelle stammt ausGoethes: Wilhelm Meisters Wanderjahre.

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könnte manalso, umeine aktuelle Interpretation zugeben, Goethe eher als einen Fürsprecher einer konzeptuellen Kunst als einen Verächter von Künstleräußerungen sehen.“228Goethe erklärt in den „Maximen und Reflexionen“ :„ Bei jedem Kunstwerk, groß oderklein, bis insKleinste kommt alles aufdieKonzeption an.“ 229 Und an anderer Stelle: „Sind wir darum weniger Künstler, weil wir denkende 230 Menschen sein wollen?“ Aber gerade eine „peinture conceptuelle“ , eine „Reflexionskunst“ist Gadamer Begriffene Malerei? ZuA. Gehlen: Zeitsuspekt, wie er es in seiner Rezension „ Bilder“anklingen läßt. Wenn Gadamer auch damit Recht hat, „ daßdasästhetische Verhalten von jeher‚reflektiert‘ ist“und es ihm fraglich scheint, „ ob die Reflektiertheit des modernen Kunstgenusses als solche eine höhere ist“ ,231so läßt sich aber dennoch dashistorische Faktum nicht unter denTisch kehren, daßdie sprachliche Selbstreflexion ein besonderes Charakteristikum der Kunst des 20. JahrhunDerKünstlertyp derModerne ist derdenkende derts ist. Otto Stelzer schrieb 1964: „ Künstler, derbelesene, ja sogar derschreibende Künstler. In Krisen- undUmbruchzeiten begleiten Künstlertraktate die Kunstwerke, so in der Renaissance (Alberti, Leonardo, Piero della Francesca, Dürer) wie besonders in der Moderne. Zuweilen geht dietheoretische Erwägung demProduzieren, dassie danneinleitet, voraus.“232 Auf den letzten Aspekt, daß die Theorie durchaus demWerk vorausgehen kann, kommen wir später zurück und fragen zuerst, was es bedeutet, daß erst im 20. Jahrhundert „ eine umfänglichere Reflexion auf künstlerische Probleme durch die einsetzt. Nimmt mandie Überlegungen derKünstler zurKunst zur Künstler selbst“ ist dies unbedingt vonnöten, so läßt sich zugespitzt Kenntnis, undlaut Dittmann „ sogar formulieren: erst durch die Reflexion auf künstlerische Probleme im 20. Jahrhundert wird unsauch die ‚alte‘Kunst als Kunst –nicht bloß als kulturhistorisches Dokument –gegenwärtig.“233In diesem Sinne konnte ich oben sagen, daß mitdembildnerischen Denken Kandinskys undKlees, dasaufdasWesentliche des Kunstwerkes zielt –nämlich auf die Probleme derGestaltung unddie gedankliche , die Kunstgeschichte als derKunst adäquate „Wissenschaft“erst Tiefe derBilder – Die anfängt. Nicht nur Kandinsky warsich dessen bewußt, sondern auch Klee: „ Tugend ist, daß wir durch die Pflege des Exakten Grund legten zur spezifischen Kunstwissenschaft, mitEinschluß derunbekannten Größe X. AusNotTugend.“234 Mit ihrer Selbstreflexion, d.h. mit ihrem denkerischen Rückbezug „auf ihre eigentlichen Möglichkeiten undVerfahrensweisen“ist die Kunst derModerne kein Wie die Wissenschaften und die übrigen Tätigkeiten des isoliertes Phänomen. „

228

Herzogenrath: Selbstdarstellung,

S.6.

229 Goethe Werke, Bd. 6, S. 511. 230 Zitiert bei Kurt Herrmann: DieWissenschaft desKünstlers, inWestheim, Künstlerbekenntnisse, S. 114–118, S. 116. 226, S. 223, 224. 231 In Gadamer: Kleine Schriften II, S. 218– 232 Stelzer: Abstrakte Kunst, S. 184. 233 Dittmann: Zugänge zurmodernen Kunst, S. 6. , 234 Paul Klee: Exakte Versuche im Bereich der Kunst, erstmals veröffentlicht in: „bauhaus“ Vierteljahreszeitschrift für Gestaltung, 2. Jg., Nr. 2, Dessau 1928. Zitiert nach Klee: Kunst90, S.89, 90. Lehre, S. 87–

Teil II

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Menschen von einem bestimmten Zeitpunkt an nicht mehr geradehin vollzogen werden, sondern inein Stadium derSelbstreflexion getreten sind, so auch die Kunst im 20. Jahrhundert.“235 Insofern hat Arnold Gehlen recht, wenn er allgemein formulierte: „ Alle moderne Kunst ist Reflexionskunst ...“ , wenn manauch einschränken mag, daß es nicht grundsätzlich für alle Kunst gilt.236 Dennoch wird heute niemand mehr leugnen wollen, daß ein prinzipielles Wesensmerkmal der modernen Kunst imallgemeinen unddernichtgegenständlichen imbesonderen ihre hohe Reflektiertheit ist. Undselbst Gottfried Boehm, derwieGadamer ein scharfer Kritiker von Gehlens These der „Kommentarbedürftigkeit“der modernen Kunst ist, gesteht zu, daß „gerade abstrakte Bilder ... höchst künstlerische, reflektierte Gebilde“sind, die „ nach Konzepten undBegriffen“gemacht sind, so daß also die Kunst „ kein Reich der Ursprünglichkeit, wo alles Reflexionsbedürfnis von uns abfiele“bietet.237

2. Ist die moderne Kunst „kommentarbedürftig“? „ Denn die Kunst ist eine geistige Macht, undwir können denken.“ Kurt Badt238

... nie geistig

genug

von ihr

An diesem Punkt unserer Untersuchung ist es notwendig, auf die Kontroverse zwischen Gadamer und Gehlen über Wert und Funktion der Künstlertheorien einzugehen, denn die unterschiedlichen Auffassungen des Soziologen und des Philosophen sind bis heute für den Umgang mit den Gedanken der Künstler bezeichnend: während Gadamer dazu rät, wie schon gehört, die Reflexionen der Künstler außer acht zulassen undin ihnen eher ein peripheres Phänomen sieht, ist fürGehlen die Künstlertheorie einzentrales Phänomen dermodernen Kunst, die als geradezu als Bestandteil dieser Kunst ange„ Kommentarliteratur“des Künstlers „ sehen werden muß, ihr zugeordnet ist wie die Singstimme derMusik: Parallelebe235 Dittmann: Zugänge zurmodernen Kunst, S. 15. 236 Arnold Gehlen: Zeit-Bilder. Zur Soziologie und Ästhetik der modernen Malerei, Frankfurt a.M., 3. Aufl. 1986, S. 17. (= Gehlen: Zeit-Bilder). DasBucherschien erstmals 1960, also noch bevor manvoneiner „Konzeptkunst“imengeren Sinn sprechen konnte. 237 Boehm: Abstraktion undRealität, S. 236. Boehm, der zurecht bestreitet, daß der abstrakten Weltabkehr undWeltverlust unterstellt“werden Kunst immer noch in polemischer Weise „ könne, macht Gehlen denVorwurf, daßdieser, wenn auch unbeabsichtigt, solche Vorurteile er derabstrakten Kunst Theorie als einobligates Organ derErgänzung unddes bestätigte, als „ Kommentars implantieren wollte, in der Absicht vermöge der Vernunft des Diskurses die visuelle Stummheit zum Sprechen zu bringen, die sinnliche Verlorenheit des Bildes in die Kultur zurückzuholen, allerdings in derForm desBegriffs.“(S. 227) Mir ist die Logik dieser Gedankenführung nicht einsichtig, denn, beialler Kritik, diemanberechtigterweise anGehlens Buch heute nach gut dreißig Jahren üben kann, daß Gehlen der abstrakten Malerei Theorie „ implantiert“habe ist nicht haltbar, denn er hat nur ein unleugbares Phänomen erkannt und beschrieben.

238 Kurt Badt: Eine Wissenschaftslehre derKunstgeschichte, Köln 1971, S. 145.

2. Ist diemoderne

Kunst „ kommentarbedürftig“ ?

81

ne der Gedanklichkeit.“Die Hauptthese von Gehlen lautet: „wenn das Bild kein Wiedererkennen mehr zuläßt: Dann entsteht die Partnerschaft des abstrakten Bildes zu dem nebenherlaufenden Kommentar.“239Natürlich kann an verschiedenen Einzelerkenntnissen Gehlens, anderBegründung seiner These sowie an manchen Schlußfolgerungen, Kritik geübt werden, wie Gadamer in seiner Rezension dies teilweise überzeugend geleistet hat, aber an derGrundfeststellung, daßdie Künstals wesentlicher Bestandteil dermodernen Kunst selbst aufzufassen“240 lertheorie „ ist, läßt sich nurschwer rütteln. Wirwerden daher keine Kritik anGehlens Ausführungen im einzeln üben (von einer Ausnahme abgesehen), sondern unsnurauf die Passagen konzentrieren, dieauchheute noch fürdiepositive Wertung derKünstlertheorien vonInteresse sind. Gehlen bietet folgendes Erklärungsmodell fürdiestarke Massierung derKünstlertheorien im 20. Jahrhundert an: ImLaufe des 19. Jahrhunderts wendete sich die Subjektive“und„ begab sich auf den langen, bis heute Malerei immer mehr ins „ nicht beendeten Weg, die Subjektivität auszutasten.“Die vermeintliche Stileinheit, wie wir sie für die vorhergehenden Jahrhunderte zuerkennen glauben, geht verloren undwird ersetzt durch eine Vielzahl individueller bildnerischer Ansätze und Gestaltungsmöglichkeiten.241 Gleichzeitig wird die sichtbare Wirklichkeit unserer Alltagserfahrung fürdenMaler eine inkommensurable Größe, so daßdie individuelle Sehweise der Natur zum Darstellungsthema wird. Dies führt schon in der dieSelbstverständlichimpressionistischen Malerei eines Claude Monet dazu, daß„ keit des Wiedererkennens verunsichert“wird.242 Undwir kennen ja dasberühmte Initialerlebnis Kandinskys, daß er den „Heuhaufen“Monets als solchen nicht wiedererkannt hat.243 In dendiversen Entwicklungslinien derMalerei vomImpressionismus bis zumKubismus wirddertraditionelle Bildgegenstand entweder ganz 239 Gehlen: Zeit-Bilder, S. 16, 9. 240 Ebenda, S. 54. die These der Stileinheit früherer Epochen ... selbst 241 Dittmann hat darauf hingewiesen, daß„ Je genauer mandie Kunst früherer Jahrhunderte erforscht, je geduldiger bloße Illusion“sei. „ mandie konkreten Werke ins Auge faßt, desto vielgestaltiger zeigen sich diese Epochen, desto mehr tritt die Besonderheit derje einzelnen Werke hervor. Eine reflektierte Kunstgeschichtswissenschaft wird dengenerellen Stilbegriff heute nur mehr mit der größten Diskretion und Reserve verwenden.“Zugänge zurmodernen Kunst, S. 17. 242 Gehlen: Zeit-Bilder, S. 53. 243 In „Rückblicke“berichtet Kandinsky, wieer 1896 aufeiner Ausstellung französischer ImpresUndplötzlich zumersten MalsahicheinBild. Daß sionisten inMoskau tief erschüttert wurde: „ das ein Heuhaufen war, belehrte mich der Katalog. Erkennen konnte ich ihn nicht. Dieses Nichterkennen warmirpeinlich. Ichfandauch, daßderMaler kein Recht hat, so undeutlich zu malen. Ich empfand dumpf, daßderGegenstand in diesem Bild fehlt. Undmerkte mitErstaunenundVerwirrung, daßdasBild nicht nurpackt, sondern sich unverwischbar indasGedächtniseinprägt undimmer ganzunerwartet bis zurletzten Einzelheit vordenAugen schwebt. Das alles war mir unklar, undich konnte die einfachen Konsequenzen dieses Erlebnisses nicht ziehen. Was mir aber vollkommen klar war–das wardie ungeahnte, früher mir verborgene Kraft derPalette, dieüberalle meine Träume hinausging. DieMalerei bekam eine märchenhafte Kraft undPracht. Unbewußt waraberauchderGegenstand als unvermeidliches Element des Bildes diskreditiert.“Kandinsky: Gesammelte Schriften, S. 32.

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Teil II

aufgelöst oder bis zur Unkenntlichkeit verformt und durch eine außerordentlich hohe „innere Bildrationalität“ersetzt. Dies warfürGehlen der„ eigentlich entscheidende Schritt. Im Bilde allein war sein Sinn, die Legitimierung seines Soseins, nicht mehrauffindbar, dieser Sinn zogsich indenProzeß seines Entstehens zurück, in die Erfahrungen, Reflexionen undTheorien desKünstlers. ... Die ausdemBilde nicht mehr eindeutig ablesbare Bedeutung etablierte sich neben dem Bild als Kommentar ...“ . Seitdem bewegt sich die moderne Kunst in zwei Strömen weiter: „ einem optischen undeinem rhetorischen, ein einzigartiges Phänomen.“Denn neu

istdie„verbale Erläuterung desSinnes vonMalerei überhaupt, alsLegitimation des Daseins undSoseins desBildes, dasdarüber vonsich ausnichts aussagt. Dies liegt eben an der Änderung des Bezugssystems der Malerei in die Subjektivität hinein. Die hochintellektuellen undsensiblen Prozesse im schaffenden Künstler schlagen sich imBilde als Spur nieder, sind aber ausdieser Spur heraus nicht mitSicherheit nachzuvollziehen. DerDurchschnittskommentar bietet eine rhetorische Brücke, die demBetrachter die Überzeugung verschafft, daßsein irgendwie gearteter Bildeindruck innerhalb eines Rahmens von Vorstellungen über den Sinn von Kunst berechtigt ist; insofern gehört derKommentar inderTat wesensmäßig zudieser Kunst 244In diesem Verständnis spricht Gehlen vonder„Kommentarbedürftigkeit“ dazu.“ dermodernen Kunst245, undmeint damit aber keineswegs etwas negatives. Gerade aber dieses Stichwort der Kommentarbedürftigkeit hat man in zweifacher Weise negativ ausgelegt: zum einen dient es den Kritikern der Moderne dazu, auf die Defizite undBeliebigkeit dieser Kunst hinzuweisen, weil sie aussich selbst heraus nicht mehr verständlich sei, wie z.B. Carl Einstein zu Kandinsky ausgeführt hat – , der Kommentar des Künstlers wird also als künstlerisches Manko interpretiert – zumanderen wird es von den Befürwortern der modernen Malerei als Argument gegen die Theorien als solche genutzt in demSinne, daßsie sagen, dasBild selbst ist autonom und bedarf keiner Kommentierung durch den Künstler und folglich sind die Künstlertheorien eine fragwürdige Angelegenheit. Ich denke, mankann denReizwert des Schlagwortes der „Kommentarbedürftigkeit“dadurch entschärfen, daßmangrundsätzlich feststellt, daßjede Kunst (alte wie moderne) „kommentarbedürftig“ist, undzwar in demVerständnis, daßjedes Kunstwerk letztlich die Intention hat, den Betrachter zu einem Kommentar zu veranlassen, d.h. seine sinnliche undgeistige Aktivität inBewegung zusetzen, sich folglich Gedanken zumachen undes zuverstehen zuversuchen. Der„Kommentar“ in diesem Verständnis ist die Fortsetzung des Kunstwerks, aber mit anderen Mitteln. Diese „ Kommentarbedürftigkeit“gründet inderRätselhaftigkeit derKunst. So DerUrsprung desKunstbeginnt Heidegger sein Nachwort zuseiner Abhandlung „ werkes“mit den Sätzen: „ Die vorstehenden Überlegungen gehen das Rätsel der Kunst an,dasRätsel, dasdie Kunst selbst ist. DerAnspruch liegt fern, dasRätsel zu 246Und Beuys erklärte, daß „ ein lösen. Zur Aufgabe steht, das Rätsel zu sehen.“ Kunstwerk auch immer wie eine Rätselfrage vor demMenschen stehen mußund 244 Gehlen: Zeit-Bilder, S. 53, 54. 245 Ebenda, Teil IX, S. 162 ff.

246 Heidegger: Kunstwerk, S. 91.

2. Ist die moderne

Kunst „kommentarbedürftig“ ?

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Geheimnisse enthalten muß, in die die Menschen sich hineinverstehen werden, wenn sie das vollziehen –da mußdennoch auch die Logik nicht ausgeschaltet bleiben, im Vollzuge dieser Sache. Undes mußnicht die Intuition, die Inspiration unddie Imagination ausgeschaltet bleiben unddasGefühlsleben nicht ausgeschaltet bleiben. DasGespräch über dieSinnesorgane nicht ausgeschaltet bleiben. Alles Dinge, die man doch in einen sinnvollen Gedankengang vom Begriff Idee und Vorstellung bringen muß, denn das bereichert doch den Menschen.“247 Also jedes Rätsel Kunstwerk will anschaulich und begrifflich, sinnlich und reflexiv gelöst sein. In diesem Sinn istjede Kunst „kommentarbedürftig“ , unddas ist kein Mangel, sondern ein Wesensmerkmal vonKunst, daßsie zur Kommentierung undzurKommunikation herausfordert. Undwennnunein Künstler Kommentare, Erklärungen abgibt, d.h. Theorien über Kunst neben seinem Werk undüber sein Werk verfaßt, danntuterja damit weder derAnschaulichkeit seines Werkes in irgendeiner Weise Abbruch, noch engt er den Betrachter in seiner sinnlichen Empfänglichkeit irgendwie ein. Ganz im Gegenteil, er gibt dem Betrachter eine Hilfestellung zum Hineinverstehen in das Rätsel Kunstwerk, indem er ihm hilft, Augen und Intellekt zu öffnen. Eben deswegen ist die Theorie ein wesentlicher Bestandteil dermodernen Kunst, weil sie die Sensibilität desRezipienten entschiedenfördert. Die notwendige Einheit vonTheorie undWerk, vonReflexion undPraxis, von Denken undBilden berechtigt aber keineswegs zuderwahrlich naiven Vorstellung, die Theorie wäre die begriffliche Formulierung des Bildes oder das Bild die Illustrierung der Theorie. Ein Bild läßt sich nicht in Begriffe übersetzen oder wie Liebermann, der zu den denkstarken Künstlern gehört, es schlagkräftig formuliert hat: „Wozu malen, was manmitWorten ausdrükken kann ...?“248Undim selben Sinn hat Beuys zu dieser Problematik ausgeführt: Wenn „eine dahinterstehende Theorie zum Verständnis dieses Werkes (‚Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt‘) notwendig wäre ..., dann würde dasja heißen, ich habe einen dummen, ganz dummen Fehler gemacht. Denn wenn die dahinterstehende Idee das Werk danneigentlich wäre, ja dannbrauche ichdochdieses sinnfällige, durch die Sinnesorgane wahrnehmbare Gebilde gar nicht zu machen. Dann könnte ich das doch in logischen Satzzusammenhängen schildern.“249 Wie diese Zitate belegen, sehen die Künstler das Verhältnis vonTheorie und Werk differenziert undkeineswegs unkritisch, ja vielleicht wesentlich differenzierter als Gehlen selbst. So hat es sich zumBeispiel Max Liebermann, trotz seiner eben zitierten apodiktischen Sentenz: „Wozumalen, wasmanmitWorten ausdrükken kann ...“ , nicht nehmen lassen, über Kunst nachzudenken, darüber zuschreiben undReden zu halten.250 Dabei reflektiert er auch das Verhältnis vonTheorie

247 So Beuys ineinem Gespräch „ÜberdasNichtverstehen vonKunst“1983, inBeuys: Gespräche, S. 137. 248 Bunge: Liebermann, S. 11. 249 Beuys: Gespräche, S. 131. 250 Siehe MaxLiebermann: DiePhantasie inderMalerei. Schriften undReden, Hrsg. undeingeleitet vonGünter Busch, Frankfurt a.M. 1978. (= Liebermann: Schriften).

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undWerk. Anläßlich seiner Ausstellung zuseinem 80. Geburtstag bitten ihnseine Kollegen seine eigene Ausstellung mit einer Rede einzuleiten. Er beginnt mit den Worten: „ Kann ein Künstler, wenner über seine Kunst spricht, anders als über sich selbst sprechen? Sind seine Worte, seine Urteile nicht nur Bekenntnisse? Daher haftet ihnen stets etwas Selbstgefälliges an,wasmich immer abgehalten hat, meine Memoiren zu schreiben.“Aber Liebermann wendet diese unabwendbare Subjektivität sogleich ins Positive, wenn er ankündigt, daßer sich bemühe, sich „ so wahr wie möglich über die Kunst“zu äußern. „ So wahr wie möglich, d.h. so subjektiv 251 Sondern wie möglich, weil es in Aestheticis keine objektive Wahrheit gibt.“ immer nurindividuelle Lösungsansätze, die aber wegen ihrer Subjektivität nichts Minderwertiges sind. Denngerade dieindividuelle, subjektive Weltsicht desKünstlers, die sich sowohl in derGestalt derWerke als auch in seinen Schriften realisiert, ist dasjenige, wasunsdas Phänomen Kunst so interessant macht, weil es unseren geistigen undsinnlichen Horizont erweitert. In genau diesem Sinne deklamierten Mark Rothko, Barnett Newman undAdolph Gottlieb in einem Manifest, das sie Als Künstler ist es unsere Aufgabe, denBetrach1943 gemeinsam verfaßt haben: „ ter dazuzubringen, die Welt in unserer Weise zu sehen, nicht in seiner.“252Diese offenkundige Wendung zurSubjektivität, vonder auch Gehlen oben sprach, ist ein positives Kennzeichen der modernen Kunst. Subjektivität undIndividualität sind Diese Akzentuierung eines derzentralen Themen der Kunst des20. Jahrhunderts. „ vonIndividualität undSubjektivität in der Moderne wurde nunauch zueinem der meist formulierten Vorwürfe gegen sie gewandt. Moderne Kunst, heißt es, wäre nur individualistisch, nursubjektivistisch.“Wölfflin undSedlmayr haben solche Vorwürfe erhoben, doch haben sie dabei die Bedeutung dieses Phänomens verkannt, weil sie die gesellschaftlichen Dimensionen unberücksichtigt gelassen haben, wores nunüberhaupt einen gesellschaftliauf Dittmann hingewiesen hat. Dennwenn „ chen Fortschritt gibt, dann den zueiner größeren individuellen Freiheit fürjeden. Wir alle profitieren davon! Undder Künstler ist, so betrachtet, der Repräsentant individueller Freiheit, die er jedoch meist in größerer Radikalität verwirklicht als die meisten von uns ...“ . So kann der moderne Künstler, wie gerade Kandinsky, der Repräsentant von Individualität und Klee und Beuys es vorgelebt haben, „ dieexemplarisch ist fürunsalle. Nicht zufällig wirdja individueller Freiheit“sein, „ die künstlerische Thematisierung von Individualität gerade von den politischen Totalitarismen rechter undlinker Observanz angegriffen, als ‚entartet‘verleumdet, als ‚dekadent‘lächerlich gemacht.“253Erinnern wirunsnurderoben zitierten Rede Hitlers, demja gerade die Freiheit, die der avantgardistische Künstler sich herausgenommen hat, ein besonderer Dorn imAuge war.

251 Ausstellungskatalog: MaxLiebermann. Hundert Werke desKünstlers zuseinem 80. Geburtstage, ausgestellt in der Preussischen Akademie der Künste, Berlin 1927, S. 5. (= Katalog: Liebermann, 1927).

252 Zitiert nach Bockemühl: Wirklichkeit des Bildes, S. 14. 18. 253 Dittmann: Zugänge zurmodernen Kunst, S. 16–

3. Die Freiheit derKunst unddasPrinzip derinneren Notwendigkeit

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3. Die Freiheit der Kunst unddas Prinzip der inneren Notwendigkeit Dies ist im Grunde genommen die humane Frage: Der Mensch, der sich „ Individuum selbst bestimmt unddie nächste Phase derGeschichte prägt.“ Joseph Beuys254

als freies

Die individuelle Freiheit, die der Künstler für uns repräsentiert, manifestiert sich auf dreifache Weise: 1. in der freien Gestaltung der Werke, 2. in der freieren Lebensführung des Künstlers und3. in den freiheitlich denkenden Schriften der Künstler, die deswegen Manifeste der Freiheit sind. Man kann Kandinskys Buch Über das Geistige in der Kunst“als ein einziges Plädoyer für die individuelle „ Freiheit undSelbstbestimmtheit desKünstlers imbesonderen unddesMenschen im

allgemeinen bezeichnen; Kandinsky wollte es selbst auch so verstanden wissen. Freiheit bedeutet fürKandinsky keineswegs grenzenlose Beliebigkeit oderWillkür, sondern eine durch die Endlichkeit des Menschen unddie Unendlichkeit Gottes begrenzte. Zudem ist unsFreiheit nicht gegeben sondern aufgegeben, d.h. sie muß erkämpft werden. So führt Kandinsky aus, daß Arnold Schönberg genau gefühlt daß die größte Freiheit, welche die freie undunbedingte Atmungsluft der habe, „ Kunst ist, nicht absolut sein kann. Jeder Epoche ist ein eigenes Maßdieser Freiheit gemessen. UndüberdieGrenzen dieser Freiheit vermag diegenialste Kraft nicht zu springen. Aoer dieses Maß mußjedenfalls erschöpft werden und wird jedesmal erschöpft. Es mag die widerspenstige Karre sich sträuben wie sie will! Diese Freiheit zu erschöpfen sucht auch Schönberg, undauf demWege zum innerlich Notwendigen hater schon Goldgruben derneuen Schönheit entdeckt. Schönbergs Musik führt uns in ein neues Reich ein, wo die musikalischen Erlebnisse keine 255 akustischen sind, sondern rein seelische. Hier beginnt die‚Zukunftsmusik‘.“ Diese Freiheit, die Schönberg für die Musik errungen hat, will Kandinsky in Analogie auch fürdie Malerei erreichen, nämlich daßdie bildnerischen Erlebnisse keine rein optischen sind, sondern rein seelische. An dieser Stelle beginnt für Kandinsky die Zukunftsmalerei. Einen leeren Formalismus hat Kandinsky immer gefürchtet, denn Kunst war für ihn niemals bloß ästhetisch (sinnlich-optisch), sie mußte sich stets mit Ethischem (Seelisch-Geistigem) durchdringen, umwahrhaft hochrangige Kunst zusein. Umein Kriterium anzugeben, was ein „Objekt“zum Kunstwerk macht, hat Prinzip der inneren Notwendigkeit“eingeführt. Man Kandinsky scharfsinnig das „ hat Kandinsky immer wieder den Vorwurf gemacht, daß er dieses Prinzip zu unbestimmt gelassen habe, daßes zuvage sei, etc. Kandinsky gibt aberbewußt und zurecht keine eindimensionale Definition. In mehreren Anläufen sucht er dieses Prinzip zuumschreiben, weil erganz genau weiß, daßKunst letztlich einPhänomen

254 Katalog, Documenta V, 1972, S. 57. 255 Kandinsky: Über das Geistige, S. 49. ZuSchönberg undKandinsky siehe: Jelena Hahl-Koch (Hrsg.): Arnold Schönberg, Wassily Kandinsky: Briefe, Bilder undDokumente einer außergewöhnlichen Begegnung, München 1983. (= Hahl-Koch: Schönberg/Kandinsky)

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ist wie Religion auch, das sich einer determinativen Begriffsrationalität in Form einer logischen Definition entzieht. Es kann immer wieder nur in Annäherungen beschrieben, nicht definiert werden. In diesem Sinn sagte Heidegger, daß es das Rätsel zusehen, nicht zulösen gelte. Liegt hier die Wurzel fürdentiefen Minderwertigkeitskomplex der Kunstwissenschaft, der sie immer wieder dazu verleitet, sich positivistischen Methoden anzubiedern? Muß nicht im Grunde die Kunstgeschichte immer eine „ Pseudowissenschaft“bleiben, weil sie nicht einmal ihren Gegenstand begrifflich definieren kann? Hierin liegt ein Vorteil, kein Nachteil, denn so kann die Kunstgeschichte dazubeitragen, auf die Grenzen unddie FragilitätvonWissenschaft aufmerksam zumachen. Undsokannes auchnurAufgabe der Kunstgeschichte sein, Fragen zu stellen, aber nicht verbindliche, endgültige Antworten zu geben. Daher geht es in der Kunstgeschichte um ein „ Immer-weiter, wie Badt feststellte, „unddie ist, im Falle der KunstgeFragen bis zur letzten“ schichte, die Frage nach der Bedeutung jedes einzelnen Kunstwerks im Zusammenhange mitdemGanzen derKunst undderimmer in Frage gestellten menschlichen Existenz.“256Die Kunst ist immer auf denMenschen bezogen unddas heißt, denkt mandie Badtschen Fragen konsequent weiter, kommt manzwangsläufig auf , dieBeuys „denanthropologischen, denmenschenbezogenen jene neue Disziplin“ „ nannte. Eine „ anthropologische Kunst“ist für Beuys diejenige „ Kunstbegriff“ die denMenschen in denMittelpunkt stellt als daskreative Wesen schlechthin“ . Jeder ein sozialer Gestalter der Mensch ist ein Künstler bedeutet, jeder Mensch ist „ jeder Mensch isteinMaler, jeder Mensch ist einBildhauZukunft“undnicht etwa „ er, jeder Mensch ist ein Architekt ...“ . Beuys versteht seinen anthropologischen Kunstbegriff als in der Tradition der klassischen Moderne stehend, ja eigentlich noch mehr ist dieser erst durch die Befreiungstat vonKünstlern wie Klee, Kandinsky, Mondrian undPicasso möglich geworden. Indem sie sich ihres „eigenen Ichs die sich widerstreitenden, als der Quelle aller Kreation“bewußt wurden, treten „ individuellen Konzepte“zutage, wie die Malerei Mondrians, der Kubismus oder Surrealismus. „ Also da sehen wir die disparaten, verschiedenartigen Aspekte, aus denen heraus Individuation zuihrer Weltsicht kommt. Unddamit führt die moderne Kunst eigentlich etwas sehr wichtiges vor, nämlich die Befreiung des Menschen vonspiritueller Autorität. Dasheißt, derMensch wirdmündig. Undich glaube, das ist ein wichtiger Gesichtspunkt.“FürBeuys waren „Picasso, Mondrian, derSurrealismus, der Symbolismus, der Impressionismus –und alle diese Versuche ... notwendig ..., umandiese Möglichkeit heranzukommen, denMenschen schlechthin zu haben als das künstlerische Wesen, als den Träger von Kreativität und Fähigkeiten; daß das ganz bewußt wird, im Sinne einer Ästhetik, die Schiller vorweggenommen hat, indem er gesagt hat, die würdigste Beschreibung des Menschen ist, ihn als Künstler zu beschreiben –und zwar den Menschen schlechthin ....“ 257

256 Kurt Badt: Eine Wissenschaftslehre der Kunstgeschichte, Köln 1971, S. 54. (= Badt: schaftslehre). 257 Beuys: Gespräche, S. 124, 125, 134.

Wissen-

3. DieFreiheit derKunst unddasPrinzip derinneren Notwendigkeit

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FürBeuys waren es also dieinnovativen Künstler desfrühen 20. Jahrhunderts, die denWegzurFreiheit undSelbstbestimmung desMenschen gebahnt haben, der dann schließlich zuderneuen künstlerischen Disziplin geführt hat, die er „anthropologische Kunst“nennt, weil sie denMenschen in ihren Mittelpunkt stellt als das kreative Wesen schlechthin, deraufgrund dieser Anlage zueiner positiven sozialen Gestaltung der Zukunft fähig ist. Beuys hat sich mehrfach auf Pablo Picasso bezogen undin Richtung einer neuen Wissenschaft vomMenschen hatauch Picasso gedacht: „Warum, glauben Sie, datiere ich alles, wasich mache? Weil es nicht genügt, die Arbeit eines Künstlers zukennen, manmußauch wissen, warum, wie und unter welchen Bedingungen er sie schuf. Es wird sicher eines Tages eine Wissenschaft geben, vielleicht wird man sie die ‚Wissenschaft vom Menschen‘ nennen, die sich mit demschöpferischen Menschen befaßt, umneue Erkenntnisse über den Menschen im allgemeinen zu gewinnen. Ich denke oft an diese Wissenschaft, undes ist mirwichtig, derNachwelt eine möglichst vollständige Dokumentation zuhinterlassen.“258Beuys hatsich meines Wissens nicht expressis verbis auf diese Äußerung Picassos bezogen, aber daß er sie gekannt hat, muß man ganz einfach annehmen, zumal wennmandiegroße Belesenheit vonBeuys inRechnung stellt. Manfindet in denGedanken Picassos Antizipationen des anthropologischen Kunstbegriffs undbemerkenswert daran ist, daßsich Beuys eben nicht nurauf die bildnerischen Werke dermodernen Klassiker bezieht, sondern auchaufihrtheoretisches Gedankengut. Mitdiesem Vorwissen kehren wirnochmals zuKandinskys Vorstellungen über die „Freiheit“des Künstlers zurück undihr Verhältnis zum „Prinzip der inneren Notwendigkeit“ . Kandinsky leitet dieses Prinzip ausder„Wirkung derFarbe“259als dem primären undübergreifendsten bildnerischen Elementarmittel ab. Denn die Farbe ist ihmeinMittel, „ einen direkten Einfluß aufdieSeele auszuüben. DieFarbe ist dieTaste. DasAuge ist derHammer. Die Seele ist dasKlavier mitvielen Saiten. DerKünstler ist dieHand, diedurch diese oderjene Taste zweckmäßig diemenschliche Seele in Vibration bringt.“ So ist es klar, daß dieFarbenharmonie nurauf demPrinzip der zweckmäßi1. „ gen Berührung der menschlichen Seele ruhen muß. Diese Basis soll als Prinzip der 260Es ist wichtig undentscheidend, daß inneren Notwendigkeit bezeichnet werden.“ Kandinsky sein Prinzip aus den Gestaltungsmitteln seiner Malerei herleitet, daß also in diesem Fall die Theorie aus der Praxis resultiert. Bei seiner zweiten Um, das als Kriterium fungiert, Prinzips der inneren Notwendigkeit“ schreibung des „ ob etwas Kunst oder nicht Kunst ist, kommt Kandinsky vonder Farbe zur Form. Die Form imengeren Sinne istjedenfalls nichts weiter, wiedie Abgrenzung einer „ Fläche von der anderen.“Aber das ist nur eine äußerliche Definition der Form,

zitiert nach Barbara Leuner: Psychoanalyse undKunst. Die Instanzen des Inneren, Köln 1976, S. 9. Eine leicht differenzierende Übersetzung vonPicassos Äußerung findet sich in: Picasso: Über Kunst. AusGesprächen zwischen Picasso undseinen Freunden, ausgewählt vonDaniel Keel, Zürich (1. Aufl. 1982), 1988, S. 24. (= Picasso: Über Kunst). , S. 59 ff. 259 Kandinsky: Über dasGeistige, Kap. V: „Wirkung derFarbe“ 260 Ebenda, S. 64.

258 Picasso

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so hat auchjede Form inneren Inhalt. Die Form ist also die Äußerung des denn „ inneren Inhaltes.“Undso bringt dieForm wiedieFarbe „ zweckmäßig die menschliche Seele in Vibration“ . 2. „ So ist es klar, daß die Formenharmonie nur auf demPrinzip der zweckmäßigen Berührung dermenschlichen Seele ruhen muß. Dieses Prinzip wurde hier als , als die sich das Prinzip der inneren Notwendigkeit bezeichnet.“261Die „Natur“ stets wechselnde äußere Umgebung des Menschen“ „ , ist nun gleichsam das Formenreservoir des Malers. Sie „versetzt durch die Tasten (Gegenstände) fortwährend die Saiten des Klaviers (Seele) in Vibrationen.“Die Wirkungen der Natur „ bestehen aus drei Elementen: das Wirken der Farbe des Gegenstandes, seiner FormunddasvonFarbe undFormunabhängige Wirken desGegenstandes selbst.“262 Mit letzterem meint Kandinsky den„Klang“ , derfür ihn vonjedem Ding ausgeht, wieer in seinem Beitrag zumAlmanach des„Blauen Reiters“ausgeführt hat. Jeder Gegenstand besitzt einen „Körper (Form)“und„ eine Seele (Inhalt)“ . „Wenn der Leser weiter jeden beliebigen Gegenstand aufseinem Tisch anschaut (sei es nurein Zigarrenstummel), so wird er sofort dieselben zwei Wirkungen bemerken. Es sei wo undwann es will (in der Straße, Kirche, im Himmel, Wasser, im Stall oder Wald), überall werden diezweiWirkungen sich herausstellen, undüberall wirdder innere Klang vom äußeren Sinn unabhängig sein. Die Welt klingt. Sie ist ein Kosmos der geistig wirkenden Wesen. So ist die tote Materie lebender Geist.“263 Als Teil, der so verstanden beseelten Natur, verfügt der Künstler „über die selben drei Elemente“wie sie, nämlich Farbe, Form undinnerer Klang. So ist es klar, daß die Wahl des Gegenstandes (=beiklingendes Element in 3. „ der Formharmonie) nurauf demPrinzip derzweckmäßigen Berührung dermenschlichen Seele ruhen muß. Also entspringt auch die Wahl des Gegenstandes dem Prinzip der inneren Notwendigkeit.“264 Wen nun aber der innere Klang einer körperlichen oder abstrakten Formnicht erreicht, dem„wirdeinderartiges Komponieren stets als bodenlose Willkür erscheinen. Gerade das scheinbar folgenlose Verschieben der einzelnen Formen auf der Bildfläche erscheint in diesem Fall als inhaltloses Spiel mitdenFormen. 4. Hier finden wir denselben Maßstab unddasselbe Prinzip, welches wir bis jetzt überall als daseinzige rein künstlerische, vomNebensächlichen freie fanden: Das Prinzip der inneren Notwendigkeit.“Es bestimmt also auch die Komposition einzelnen Formen mitdenFormengruppen“zusammeneines Bildes, d.h. wiedie „ gestellt „ , wie die vielen Bestandteile die große Form des ganzen Bildes schaffen“ eines Bildes kombiniert werden. Das Kombinieren der einzelnen Teile ist für Kandinsky immer kontrapunktisch undspannungsgeladen: harmonisch –disharmonisch, verschleiert undbloßgelegt, rhythmisch undarhythmisch, rein geometrische –nicht geometrische abstrakte Formen, abgrenzend und verschwimmend, Schwarz-Weiß (= „ zeichnerischer ‚Kontrapunkt‘ ). Undschließlich:

“ 261 262 263 264

Ebenda, S. 69. Ebenda, S. 75. „ Über die Formenfrage“in: Essays, S. 39, 40. Kandinsky: Über dasGeistige, S. 75.

3. Die Freiheit derKunst unddasPrinzip derinneren Notwendigkeit

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5. „die Farbe, die selbst ein Material zu einem Kontrapunkt bietet, die selbst unendliche Möglichkeiten in sich birgt, wird in Vereinigung mit der Zeichnung zumgroßen malerischen Kontrapunkt führen, auf welchem auch die Malerei zur Komposition gelangen wird und sich als wirklich reine Kunst in den Dienst des Göttlichen stellt. Undimmer derselbe unfehlbare Führer bringt sie aufdiese schwindelnde Höhe: das Prinzip der inneren Notwendigkeit!“265 Mit diesen fünf Umschreibungen charakterisiert Kandinsky sein Prinzip der inneren Notwendigkeit. Und gerade der fünfte Punkt macht die tiefe religiöse Komponente inderKunstauffassung Kandinskys offenbar. Werner Hofmann hatin diesem Zusammenhang auf dendirekten Bezug von Kandinskys Kunsttheorie zu Goethes Kunst- undNaturanschauung hingewiesen: „ Somit deckt sich das künstlerische Prinzip derinneren Notwendigkeit mitjenem derNatur imSinne desGoetheWortes: ‚Die hohen Kunstwerke sind zugleich als die höchsten Naturwerke vom Menschen nach wahren und natürlichen Gesetzen hervorgebracht worden. Alles Willkürliche, Eingebildete fällt zusammen, da ist Notwendigkeit, da ist Gott.‘ So nennt Kandinsky alle Mittel heilig, wenn sie innerlich notwendig sind ... und 266 erblickt in der ‚Natürlichkeit‘die höchste Qualität des Kunstwerks ... .“ Wie auch bei Klee verbindet sich in denSchriften Kandinskys „eine umfassende, letztlich metaphysische Bestimmung von Kunst mit genauesten Analysen der bildnerischen Gestaltungsmittel“.267 Undgerade in dieser Kombination liegt der Reiz und die Bedeutung dieser Künstlertheorien, weil sie demWesen der Kunst entsprechen, bei der es immer auf die Durchdringung undVerflechtung geistiger undmaterieller Dimensionen ankommt. Wird Peter Anselm Riedl der Sache gerecht, wenner sagt: „ In gewissem Sinne instrumentalisiert Kandinsky die Religion, wenn er seine Kunstauffassung metaphysisch abzustützen unternimmt.“?268 Kandinsky instrumentalisiert die Religion nicht, weil die Kunst selbst für ihn ein metaphysisches Medium ist. UndimGespräch mitLothar Schreyer stellt Kandinsky 1922 die skeptische Frage: „Werden die Menschen innerhalb undaußerhalb der christlichen Kirche begreifen, daßsich in derungegenständlichen absoluten Malerei eine neue undentscheidende Entfaltung derchristlichen Lehre überhaupt ankün269Heute, amEnde des 20. Jahrhunderts, ist die spirituelle Komponente der digt?“ 265 Ebenda, S. 78, 79. 266 Werner Hofmann: Ein Beitrag zur„Morphologischen Kunsttheorie“derGegenwart. (1953) In Werner Hofmann: Bruchlinien. Aufsätze zur Kunst des 19. Jahrhunderts. München 1979, S. 69. Zitat auf S. 68. Hofmann arbeitet hier die „eigentliche geistesgeschichtliche Wurzel“ 55– von Kandinskys und Klees Kunsttheorien heraus, nämlich die morphologischen Schriften Goethes. (= Hofmann: Bruchlinien). Dieser Aufsatz gehört thematisch eng zu einer anderen , die Schriftquellen der modernen Kunst“ Abhandlung Hofmanns, in der er die wichtigsten „ Studien zurKunsttheorie des Schriften Konrad Fiedlers, Klees undKandinskys thematisiert: „ 54. 20. Jahrhunderts“(1955) in: Bruchlinien, S. 34– 267 Dittmann: Zugänge zurmodernen Kunst, S. 11. 268 Peter Anselm Riedl: Wassily Kandinsky, mitSelbstzeugnissen undBilddokumenten, Reinbek bei Hamburg, 1989, S. 137, Anm. 139. (= Riedl: Kandinsky). 269 Lothar Schreyer: Erinnerungen anSturm undBauhaus. Wasist desMenschen Bild? München 1956, S.234. (= Schreyer: Erinnerungen). Schreyer hat das Kapitel über Kandinsky bezeich236). nenderweise „ Die Ikone“genannt. (S. 225–

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modernen Kunst nicht mehr zu leugnen undKandinskys Erkenntnis hat sich allmählich Bahn in dasBewußtsein einiger Kunsthistoriker gebrochen, wozuauchdie beiden vonWieland Schmied organisierten Ausstellungen „ Zeichen desGlaubens“ und„GegenwartEwigkeit“förderlich waren.270 FürKandinsky ist Kunst eine Sprache der Religion und die Kunst hat das Erbe der Religion angetreten: In einer durchweg materialistisch orientierten Zeit hält sie unsdie Dimensionen des Metaphysischen offen vorAugen. Schon 1910 schrieb Kandinsky in diesem Sinn: „ Das Sprechen vomGeheimen durch Geheimes. Ist dasnicht derInhalt? Ist dasnicht der bewußte oder unbewußte Zweck deszwingenden Schaffensdranges? ... Schade um den, welcher sein Seelenohr vomMunde derKunst abwendet. Mensch spricht zum 271Nochdeutlicher ist Menschen vomÜbermenschlichen –dieSprache derKunst.“ Kandinsky an einer Stelle seines Buches „ , woer Über dasGeistige in der Kunst“ die Transformation des Naturvorbildes in eine abstrakte Formen- undFarbenspraDiekommende Behandlung undVeränderung derorganischen Form cheerläutert: „ hat zumZiel das Bloßlegen des inneren Klanges. Die organische Form dient hier nicht mehr zumdirekten Objekt, sondern ist nurein Element der göttlichen Sprache, die Menschliches braucht, da sie durch Menschen an Menschen gerichtet ist.“272

Ohne die Berücksichtigung dieser religiösen Komponente bleibt das „Prinzip , das auch die Freiheit des Künstlers reguliert, unverder inneren Notwendigkeit“ innere Notwendigkeit entsteht aus drei mystiständlich. Denn, so Kandinsky, die „ schen Gründen. Sie wird von drei mystischen Notwendigkeiten gebildet: 1. hat jeder Künstler, als Schöpfer, das ihmEigene zumAusdruck zu bringen (Element der Persönlichkeit), 2. hat jeder Künstler, als Kind seiner Epoche, das dieser Epoche Eigene zumAusdruck zu bringen (Element des Stiles im inneren Werte, zusammengesetzt ausderSprache derEpoche undderSprache derNation, solange die Nation als solche existieren wird), 3. hatjeder Künstler, als Diener der Kunst, das der Kunst im allgemeinen Eigene zu bringen (Element des Rein- undEwigKünstlerischen, welches durch alle Menschen, Völker undZeiten geht, im Kunstwerkjedes Künstlers, jeder Nation undjeder Epoche zusehen ist undals Hauptele273 ment der Kunst keinen Raum undkeine Zeit kennt).“ Das dritte Element ist für Kandinsky das wichtigste, denn während die ersten beiden Elemente als zeitliche und räumliche die Entfaltung des künstlerischen , negativen Determinanten“274– Ingeniums eher bremsen –Badt spricht von den „ 270 Siehe die Ausstellungskataloge vonWieland Schmied herausgegeben: Zeichen desGlaubens. Und:GegenwartEwigkeit. Spuren desTranszendenten inderKunst unserer Zeit, Stuttgart 1990 (= Schmied: GegenwartEwigkeit). 271 So Kandinsky in einem Text, den er dem Katalog der zweiten Ausstellung der „Neuen , München 1910, beigegeben hat. Der ganze Text ist abgedruckt bei Künstlervereinigung“ Rosei Gollek: DasMünter-Haus inMurnau, München 3. Aufl. 1988, S. 28. (= Gollek: MünterHaus).

272 Kandinsky: ÜberdasGeistige, S. 71, Anm. 1. 273 Ebenda, S. 80. 274 Badt: Modell undMaler: „Nennt mandasSchöpferische desKünstlers, sein ursprüngliches und ihmallein vorbehaltenes Vermögen derHervorbringung positiv, soergeben allejene Beobach-

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steht das dritte außer Zeit undRaum undbegründet den überzeitlichen Charakter der Kunst, der sie immer aktuell sein läßt. Daher ist für Kandinsky „ das Überwiegendieses dritten Elementes imWerk dasZeichen seiner Größe undderGröße des Künstlers. Diese drei mystischen Notwendigkeiten sind die drei notwendigen Elemente desKunstwerkes, die fest miteinander verbunden sind, d.h. sie durchdringen sich gegenseitig, wasinjeder Zeit dasEinheitliche desWerkes ausdrückt.“275Die ersten beiden Elemente bilden denpersönlichen undzeitlichen Stil einer Epoche undsind „subjektiver Natur“ , während das„Rein- undEwig-Künstlerische“dagegen das „objektive Element“eines Epochenstiles ausmacht. „ Das unvermeidliche sich ausdrücken wollen desObjektiven ist dieKraft, diehier als innere Notwendigkeit bezeichnet wird. ... Sie ist der ständige unermüdliche Hebel, die Feder, die ununterbrochen ‚vorwärts‘treibt. DerGeist schreitet weiter ... . Kurz gesagt, ist die Wirkung der inneren Notwendigkeit und also die Entwicklung der Kunst eine fortschreitende Äußerung des Ewig-Objektiven im Zeitlich-Subjektiven. Undalso andererseits dasBekämpfen desSubjektiven durch dasObjektive.“Undschließlich benutzt Kandinsky ein Beispiel aus seiner Gegenwart undsagt, daß „ die heutige anerkannte Formeine Eroberung dergestrigen inneren Notwendigkeit“ist, „ dieauf einer gewissen äußeren Stufe der Befreiung, der Freiheit geblieben ist. Diese heutige Freiheit wurde durch Kampf gesichert undscheint, wie immer, vielen ‚das letzte Wort‘zusein. Ein Kanon dieser beschränkten Freiheit ist: der Künstler darf jede Form zumAusdruck brauchen, solange er auf demBoden der aus der Natur

276 entliehenen Formen bleibt.“ Dies entspricht ziemlich genau derAuffassung MaxLiebermanns, derzwar in Deutschland mit seiner „ naturalistisch-impressionistischen“ Malerei die Freiheit fürdiese neue Ausdrucksweise erkämpft hat, denSchritt zurAbstraktion aber nicht Undhierin liegt die Grenze, die mehr mitgehen konnte. So schrieb er noch 1922: „ bildende Kunst oder Poesie nie ungestraft überschreiten dürfen: sie dürfen nie das 277Kandinsky hat völlig recht, Urbild der Natur zur Unkenntlichkeit verzerren.“

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tungen nichts als negative Determinanten des Kunstwerks. Ich wiederhole: negativ, das heißt nicht etwa etwas an Wert nichtiges oder etwas gegen das Kunstwerk gerichtetes, sondern Bedingung des Schöpferischen, das als Schöpferisches allein das Künstlerische an einem Kunstwerk wesentlich (= positiv) ‚setzt‘. Diesem frei ‚Setzenden‘ stehen alle das Kunstwerk ermöglichenden Umstände, seine gesamte Geschichtlichkeit, Auftrag, Tradition, Abhängigkeit vonKunst, Gesellschaft, Moral, Theologie, alseingrenzende Faktoren entgegen. ... sowirddas Kunstwerk allein von der Originalität des Schaffenden gemacht, die nun aber durch die mannigfachsten Umstände in Schranken gehalten wird undohne diese Schranken nicht zur Betätigung und Wirkung kommen kann. Diese Schranken, das traditionelle Material der Kunstgeschichte, zu erkennen, ist von höchster Wichtigkeit, aber letzten Endes nur, um dadurch die schaffende Kraft ineinem Kunstwerk in ihren Leistungen freizusetzen, sie fürdie Reininterpretierende Analyse bloßzulegen.“(S. 88, 89) Mankann Kandinskys Element des„ undEwig-Künstlerischen“mitdem„Schöpferischen“gleichsetzen. Dies Schöpferische impliOriginalität“als dieFähigkeit, Neues hervorzubringen. ziert danndenKantischen Begriff der„ Kandinsky: Über dasGeistige, S. 81. Ebenda, S. 82. 83. Über das Geistige in der Kunst“ Liebermann: Schriften, S. 38. Daß Liebermann, der, als „ erschien, 65 Jahre alt war, die ungegenständliche Malerei in ihrer Bedeutung nicht mehr

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wenn er feststellt, daßdiese Forderung, „ wie alle früheren, nurzeitlich“sei. „ Vom Standpunkt derinneren Notwendigkeit gesehen, darf eine derartige Beschränkung nicht gemacht werden, und der Künstler darf sich vollkommen auf die heutige innere Basis stellen, welcher dieheutige äußere Beschränkung genommen wirdund die dadurch folgendermaßen zu definieren ist: der Künstler darf jede Form zum Ausdruck brauchen.“278Das ist die notwendige Freiheit der Kunst. Kandinskys Forderung hatbis heute nichts anGültigkeit undBrisanz verloren. Jede Form schließt auchjedes Material ein, wasimmer noch nicht selbstverständlich ist. Man braucht dabei garnicht nur an Filz, Fett unddergleichen zu denken, denn selbst ein Material wie Stahl löst bis in die Gegenwart nicht nurBefremden, sondern HaßundZerstörungswut aus. Erinnert sei hier nurandieLeidensgeschichte vonRichard Serras Skulptur „Terminal“ , die er anläßlich derDocumenta VI für eine Kasseler Straßenkreuzung konzipiert hatte unddie dann aber doch vor dem Fridericianum aufgestellt wurde. Sie „mußte diesen Ortschon während derAusstellung heftigst attakiert und diffamiert –wieder verlassen. Die vier großen, lose aneinandergestellten Platten aus Corten-Stahl vermittelten nach außen hinvöllige Instabilität, ja waren gleichsam eine blasphemische Auflehnung gegen die sakrosanten Gesetze der Statik. Das allzeit Bedrohliche, die immerwährende Gefahr des augenblicklichen Zusammenstürzens der Außenfassade undder intensiv klaustrophobische Schachtraum innen, der jedem Geborgenheitsgefühl spottete –damit konnte sich die Kasseler Bevölkerung nicht anfreunden. Unter tosendem Applaus wurde dasWerk auseinandergenommen undnach Bochum transportiert. Die RuhrStadt hatte den ‚Terminal‘ gekauft und stellte ihn vor ihrem Bahnhof auf. Die Bochumer aber reagierten kaum anders als die Kasseler. Protest begegnete dem Werk auch hier –schlimmer noch, es wurde zur Spielwiese für Sprüher und Vandalen. Spuren der Wut, des Zorns über unverstandene Kunst verunstalten die Stahlskulptur noch heute.“279 alte“Liebermann wird erkennen konnte, sollte manihmnicht als Negativum ankreiden (der „ gerne als konservativer Reaktionär hingestellt). Denn Henri Matisse hatdie Schwierigkeit und die Gründe eines „altgewordenen“Malers, die neueste Kunst zu verstehen, mit erhellenden Worten beschrieben. Nachdem er Abbildungen von Bildern des amerikanischen abstrakten Ich glaube, ich Expressionismus gesehen hatte, bemerkte er zuPicasso ineiner Unterhaltung: „ binunfähig, diese ArtMalerei zubeurteilen, weil maneinfach immer unfähig ist, dasgerecht zubeurteilen, wasauf daseigene Werk folgt. Mankann beurteilen, wasvorher warundwas gleichzeitig geleistet wird. Und selbst unter denen, die später kommen, verstehe ich einen Maler ein wenig, wenner mich nicht völlig vergessen hat, auch wenner über michhinausgeht. Abersobald erdenPunkt erreicht hat, andemer sich überhaupt nicht mehraufdasbezieht, was für mich Malerei ist, kann ich ihn nicht mehr verstehen. Ich kann ihn noch nicht einmal beurteilen. Es geht einfach über meinen Horizont.“Zitiert nach Françoise Gilot: Leben mit Picasso, Zürich 1981, S. 223. Siehe auch Henri Matisse: Über Kunst. Hrsg. vonJack D. Flam, Zürich 1982, S. 219, Interview mit R.W. Howe. (= Matisse: Über Kunst). 1949 antwortet Ich bin nicht in der Matisse auf die Frage, waser vonder neuen abstrakten Malerei halte: „ richtigen Situation, um über die Kunst junger Maler zu sprechen. Ich weiß es besser –ich wurde selbst falsch eingeschätzt, als ich jung war. ... Es ist schwierig, sehr schwierig, die Jungen zubeurteilen.“Vgl. dazuauch dieAnmerkung 3) vonFlam, S. 307. 278 Kandinsky: Über dasGeistige, S. 83. 279 Zitat aus einem Bericht von Manuela van Rossem: Das Schicksal der Kunst. Eingemottet,

3. DieFreiheit derKunst unddasPrinzip derinneren Notwendigkeit

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Ganzbewußt bringen wirhier dieses Beispiel vonaktueller Kunstfeindlichkeit, um zu zeigen, daß die Überlegungen Kandinskys nicht realitätsferne „Theorien“ eines wohlbehüteten Künstlers imElfenbeinturm sind, sondern daßer denFinger in dieWunde legt. Denn Kandinsky wurde ja selbst aufdasschärfste angegriffen und mußte sich denVorwurf des„ Idiotismus“gefallen lassen.280 DerKunstdiffamierer, damals wie heute, versteht und akzeptiert die „ Form“(und das Material) des Kunstwerkes nicht und fühlt sich bedroht. Bedrohung ist ihm die Freiheit, die das Kunstwerk manifestiert. Oskar Schlemmer schrieb schon 1913: „ Ein Kunstwerk ist eine Verkündigung der Freiheit. Für die Menschen hat es nie etwas unerträglicheres gegeben als dieFreiheit.“281Ich denke, Schlemmer benennt eine derHauptwurzeln für die alltägliche Kunstfeindlichkeit. Aber diese Kunstfeindlichkeit beweist

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Abgerissen, Verschandelt, Verschollen. In: Ambiente, Juni 1992, S. 74– 77. Rossem recherchierte das Schicksal ehemaliger Dokumenta-Exponate. Auch die von Richard Serra 1992 in Saarbrücken aufgestellte Skulptur „ Torque“löste eine heftige Diskussion über den Sinn abstrakter Stahlskulptur imöffentlichen Raum aus. Siehe: UweLoebens: Torque. Richard Serra. Dokumentation zu der Großskulptur auf demCampus der Universität des Saarlandes, SaarMeine frühe Entscheidung, ortsbezogenen Arbeiten aus Stahl brücken 1993. Serra bekannte: „ zubauen, befreite mich ausdemtraditionellen Künstleratelier. ... Ich binanSkulptur interessiert, die sich nicht dem Nützlichkeitsprinzip unterwirft, an Skulptur ohne Funktion. Jeder Gebrauch ist Mißbrauch. Abstrakte Kunst wird heute häufig beschuldigt, sozial nicht bedeutungswirksam zu sein. Ich warundbin derAuffassung, daß Kunst keiner Rechtfertigung von außen bedarf. ... Ich binmirbewußt, daßes kein Publikum fürSkulptur gibt. Dasselbe gilt für die Dichtkunst undfürdenexperimentellen Film.“S. 14, 15. Paradigmatisch für die haßerfüllte Kritik, die Kandinsky entgegeschlug, ist ein Artikel von Kurt Küchler, veröffentlicht im„Hamburger Fremdenblatt“vom15. Februar 1913: „ Bei Louis Bock & Sohn hat wieder einmal einer jener unglückseligen Monomanen ausgestellt, die sich für die Propheten einer neuen Malkunst halten. Wir sind schon mehrfach ... gegen die unsinnige Theorie dieser Leute undgegen ihre ganze Pfuscherei zu Felde gezogen, daß wir heute diesen Russen Kandinsky rasch undohne Aufregung erledigen können. Wenn manvor demgreulichen Farbengesudel undLiniengestammel ... steht, weiß manzunächst nicht, was man mehr bewundern soll: die überlebensgroße Arroganz, mit der Herr Kandinsky beansprucht, daß man seine Pfuscherei ernst nimmt, die unsympatische Frechheit, mit der die Gesellen vom ‚Sturm‘, die Protektoren dieser Ausstellung, diese verwilderte Malerei als Offenbarungen einer neuen undzukunftsweisenden Kunst propagieren, oder denverwerflichen Sensationshunger des Kunsthändlers, der seine Räume für diesen Farben- undFormenwahnsinn hergibt. Schließlich aber siegt das Bedauern mit der irren, also unverantwortlichen Malerseele, die, wieein paar frühere Bilder erweisen, vorderVerdüsterung schöne undedle malerische Formen schaffen konnte: gleichzeitig empfindet mandie Genugtuung, daß diese Sorte vonKunst endlich andenPunkt gelangt ist, wosie sich glatt als denIsmus offenbart, bei demsie notwendig landen undstranden mußte, alsdenIdiotismus. ... Diebloße Konstatierung derExistenz einer solchen Pseudokunst ist eigentlich schon zuviel.“Abgedruckt in: Kandinsky: Gesammelte Schriften, S. 178, 179. Es ist notwendig, eine solche diffamierende „Kritik“ zurKenntnis zunehmen, umzuverstehen, wieso Kandinsky die „Kunstkritik“als dens„chlimmsten Feind derKunst“bezeichnete (in: Essays, S. 37) undwarum fürihndasPrinzip „Freiheit“ Nurdurch Freiheit kanndasKommende empfaneine solche konstituierende Bedeutung hatte: „ gen werden.“Essays, S. 47. Einen Überblick über die Kandinsky-Rezeption bis 1913 gibt 52. Thürlemann: Kandinsky, S. 41– Tagebucheintragung vomJuni 1913, zitiert nach Szeemann: Gesamtkunstwerk, S. 384.

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Teil II

auch, daß Kunstwerke mehr sind als gefällige Dekoration imprivaten oder öffentlichen Raum, nämlich daßvonihnen „ revolutionäre“Impulse ausgehen können, die nicht jeder ertragen kann. Die geistige Leistung –die Erkenntnisdimension –die Kunstwerke immer offenbaren, wird vonvielen nurunterbewußt wahrgenommen undevoziert schroffe Ablehnung, weil sie das eigene Lebensbild bedroht. Diese gesellschaftliche Dimension der Kunst hat Picasso, wie üblich in einer pointierten Ausdrucksweise, beschrieben: „ Waswohl ist ein Künstler? Ein Schwachsinniger, dernurAugen hat, wenner Maler ist, nurOhren, wenner Musiker ist, oder dernur eine Lyra besitzt, umalle Stimmungen desHerzens auszudrücken, wenner Dichter ist, nur Muskeln, wenn er Boxer ist? Ganz undgar nicht! Er ist ein politisches Wesen, das ständig im Bewußtsein der zerstörerischen, einschneidenden oder der beglückenden Weltereignisse lebt undsich nach ihnen formt. Wie könnte mankein Interesse an den anderen Menschen haben undsich im Elfenbeinturm von einem Leben absondern, das einem so überreich angeboten wird? Nein, die Malerei ist nicht erfunden worden, umWohnungen auszuschmücken! Sie ist eine Waffe zum 282 Angriff undzurVerteidigung gegen denFeind.“ Für Kandinsky sind letztlich dieForm unddasMaterial eines Kunstwerkes nur Äußerlichkeiten (wenn auch die das Werk notwendig konstituierenden), entscheidend ist der „innere Inhalt“ , derGehalt. Die allgemeine Verwandschaft derWerke aller Zeiten, die sie zur Kunst macht, liegt nicht im Äußerlichen, „sondern in der Wurzel der Wurzeln –im mystischen Inhalt der Kunst.“283Genau im selben Sinn The true artist helps ist, wie schon zitiert, Bruce Naumans Aussage zuverstehen: „ the world byrevealing mystic truths.“284Dazusei es nötig, sagt Kandinsky, daßder Sein offenes Auge Künstler „taub gegen Lehren undWünsche derZeit sein“soll. „ soll auf sein inneres Leben gerichtet werden und sein Ohr soll dem Munde der inneren Notwendigkeit stets zugewendet sein. Dann wird er zujedem erlaubten Mittel undebenso leicht zujedem verbotenen Mittel greifen. Dieses ist dereinzige Weg, das Mystischnotwendige zumAusdruck zu bringen. Alle Mittel sind heilig, , d.h. wenn sie „den Gesetzen der inneren wenn sie innerlich notwendig sind“ Notwendigkeit, die man ruhig als seelische bezeichnen kann“ , entsprechen. Der Künstler soll völlig frei in derWahl seiner Mittel undFormen sein, seien diese nun gegenständlich oder ungegenständlich. Daher liegt für Kandinsky zwischen den grenzenreinen Realistik“eine „ reinen Abstraktion“undder„ extremen Polen der„ lose Freiheit, Tiefe, Breite, Reichtum der Möglichkeiten ... alles ist heute, durch denheutigen Moment, demKünstler zuDiensten gestellt. Heute ist derTag einer Freiheit, die nur zur Zeit einer keimenden großen Epoche denkbar ist. Und im selben Augenblick ist diese selbe Freiheit eine der größten Unfreiheiten, da alle

282 Picasso: Über Kunst, S. 74. Aufdiese Stelle bezieht sich Beuys in seinem Vortrag: „Eintritt in , in: Harlan: Soziale Plastik, S. 123: Die Kunst habe noch nicht daserreicht, ein Lebewesen“ was„Picasso vonihrgefordert hat, daßsie wieeinscharfes Messer odereine Waffe seinmüßte, umMißstände, Ungerechtigkeiten, Verletzungen vonMenschenrechten oder Kriege zuverhindern. In diese Situation ist die Kunst bisher nicht hineingewachsen. ... Er selbst hat gewußt, daßer dasZiel seiner Forderung nicht erreicht hat.Aber dieForderung besteht weiter.“ 283 Über das Geistige, S. 83. 284 Zitiert nach Faust: Bilder werden Worte, S. 26.

3. DieFreiheit derKunst unddasPrinzip derinneren Notwendigkeit

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diese Möglichkeiten zwischen, in undhinter denGrenzen auseiner undderselben Wurzel wachsen: ausdemkategorischen Rufen der inneren Notwendigkeit.“285 In Kandinskys Essay „Über die Formfrage“steht das Problem der Freiheit des Künstlers anzentraler Stelle. Undauch hier zeigt sich, daßes nicht umFreiheit als künstlerische Privatangelegenheit geht, sondern daß die Freiheit des Künstlers immer im gesellschaftlichen undhistorischen Kontext steht. In der bildnerischen soll volle Freiheit herrschen, undmansolljede Form Konzeption, sagt Kandinsky, „ gelten lassen“ , denn „nicht die Form (Materie) imallgemeinen ist dasWichtigste, 286Inderrussischen Ausgabe der„Rückblicke“heißt es, sondern derInhalt (Geist).“ daßes keine vollkommene Formohne vollkommenen Inhalt geben kann: derGeist „ So ist hinter der Materie, in der 287„ bestimmt die Materie undnicht umgekehrt.“ Materie der schaffende Geist verborgen. Das Verhüllen des Geistes in derMaterie ist oft so dicht, daß es im allgemeinen wenig Menschen gibt, die den Geist hindurchsehen können. So sehen gerade heute viele denGeist in derReligion, in der Taubheit Kunst nicht.“Was Kandinsky da 1912 feststellte, gilt noch heute. Aus „ gegen denGeist (stumpfer Materialismus)“undaus„ Angst vorderfreien Bahn, vor , wird der neue geistige Wert, den der Künstler den der Freiheit (Banausentum)“ Man sucht ihn zu bekämpfen durch Spott Menschen bringt, feindlich betrachtet. „ undVerleumdung. DerdenWert bringende Mensch wird als lächerlich undunehrlich dargestellt. Es wird über denneuen Wert gelacht undgeschimpft. Das ist der derFrucht der Schreck desLebens.“Dennoch läßt sich derSieg desneuen Wertes „ , der sich in Geist“ Freiheit“nicht aufheben. Amwichtigsten ist Kandinsky der „ der abstrakte Geist“eines dem neuen Wert offenbart. Zuerst bemächtigt sich „ einzelnen Menschen, „später beherrscht er eine immer größer werdende Anzahl der Menschen. In diesem Augenblick unterliegen einzelne Künstler dem Zeitgeist, welcher sie zueinzelnen Formen zwingt, die einander verwandt sind unddadurch auch eine äußere Ähnlichkeit besitzen. Diesen Moment nennt man eine Bewegung.“Der Zeitgeist nun des frühen 20. Jahrhunderts ist für Kandinsky geprägt Ge, so daßgrößere künstlerische „ große geistige Epoche“ durch die beginnende „ samtströmungen (Gruppenbewegungen)“zu beobachten sind. Kandinsky denkt , „Kubis, „Fauvismus“ hier natürlich ansolche Gruppenbewegungen wie„Brücke“ , usw. Denndie„ , „Blauer Reiter“ mus“ Merkmale einer großen geistigen Epoche ... sehen wir in dergegenwärtigen Kunst. Undzwar: 1. eine große Freiheit, die manchem grenzenlos erscheint unddie 2. denGeist hörbar macht, welchen 3. wir mit einer ganz besonders starken Kraft sich in den Dingen offenbaren sehen, welcher 4. alle geistigen Gebiete sich allmählich zumWerkzeug nehmen wird undschon nimmt, woraus 5. er aufjedem geistigen Gebiete, also auch in derplastischen Kunst (speziell in der Malerei) viele einzelstehende undGruppen umfassende Ausdrucksmittel (Formen) schafft und 285 Kandinsky: Über das Geistige, S. 84, 85, 127, 128. 286 Essays, S. 21, 22. 287 Gesammelte Schriften, S. 164.

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6.

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welchem heute die ganze Vorratskammer zur Verfügung steht, das heißt,

es

wirdjede Materie, vonder‚härtesten‘bis zudernurzweidimensional lebenden

(abstrakten), als Formelement angewendet.“ Und so kann Kandinsky schlußfolgern: „Alles ist erlaubt.“Und diese Forderung undihre Begründung ist immer noch aktuell, denkt mannurandie„Documen, 1992, undden Unmut, den manche Exponate in der Öffentlichkeit auslösen. ta IX“ Kandinsky hat Recht, wenn er feststellt: „ Und man sollte sich keine Grenzen stellen, da sie ohnehin gestellt sind. Das gilt nicht nurfür denAbsender (Künstler) sondern auch für den Empfänger (Beschauer). Er kann und muß dem Künstler 288Es folgen, und keine Angst sollte er haben, daß er auf Irrwege geleitet wird.“ handelt sich hier um eine ganz zentrale Aussage Kandinskys, die wegen ihrer großen Relevanz als Motto diesem Buch vorangestellt worden ist. Der Kunstrezipient, will er kein Banause sein, mußdenMutunddenWillen aufbringen, sich auf die Werke und Gedanken des Künstlers erst einmal einzulassen; das heißt ja keineswegs, völlig unkritisch alles schlucken zu müssen, was der Künstler praktisch undtheoretisch vorsetzt. Umaber ein neues Kunstwerk undseinen geistigen Wert angemessen beurteilen zukönnen, ist es erst einmal unabwendbar notwendig, der Bild- undIdeenwelt des Künstlers verstehend zu folgen. Auch ist jede Angst unbegründet, der Künstler könnte ihn auf Irrwege ins Abseits leiten, denn wie die Geschichte bisher gezeigt hat, sind vonden Künstlern undihren Werken niemals solche Gefahren für denMenschen ausgegangen, wie sie vonPolitikern undihren Taten ausgingen. Während die Künstler die Verteidiger undRepräsentanten von Freiheit sind, sind Politiker nicht selten austauschbare Funktionäre, die als Verwalter sogenannter Sachzwänge funktionieren müssen. Bei seinen zum Teil ausführlichen Erläuterungen zu den sechs Merkmalen gegenwärtiger Kunst betont Kandinsky, daßesjedem selbst klar werden soll, „ daß dasMitwirken derFreiheit unddesGeistes früher oder später sich überall (auf allen 289Das heißt, daßder Geist der Freiheit, der geistigen Gebieten) abspiegeln wird.“ die Kunstproduktion bestimmt, unddort immer zuerst inErscheinung tritt, indem er in denWerken neue geistige Werte –dassindErkenntnisse –anschaulich erfahrbar , irgendwann auch auf nichtkünstlerische Gebiete übergreift. Das schlamacht – gendste Beispiel für diese Vorläuferfunktion der Kunst ist die Tatsache, daß die moderne Malerei seit derzweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in ihrer besonderen Naturgestaltung im Bild einen Gegenpol zurBedrohung undZerstörung derNatur durch die Industrialisierung manifestiert hat.290 In derbildenden Kunst wirdjener

26. 19, 21– , in: Essays, S. 17– 288 Kandinsky, „Über die Formfrage“ 289 Ebenda, S. 25. 290 Siehe Lorenz Dittmann: Das„Elementare“inderMalerei derGegenwart, inAusstellungskata35. „Bildende log: Europäische Malerei derGegenwart. Spuren undZeichen, Trier 1984, S. 23– Kunst steht ineinem tiefen, untergründigen Zusammenhang mitdemSchicksal derNatur. Was Jahreszeiten‘, besagt es, daßjahrhundertelang Phänomene derNatur wiedie ‚Elemente‘oder ‚ umnurdiese beiden Bereiche zu nennen, durch menschliche Gestalten versinnbildlicht wurden? ... Ist solche Vermenschlichung derNatur selbstverständlich? Dochhielt sich die Anthropozentrik dieser Auffassung jahrhundertelang in Grenzen undmag sogar als Ahnung eines engen Zusammengehörens vonMensch undNatur gedeutet werden. Dies änderte sich mitder

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Prozeß miteingeleitet, der dann in den 70iger Jahren des 20. Jahrhunderts zur ökologischen Bewegung“wird. Man muß sich des Datums vergewissern, daß „ Beuys schon 1962 in seiner Skulptur „Hasengrab“291, die aus Fundstücken (Müll) zusammenmontiert ist, in anschaulicher, sinnfälliger Weise die Naturzerstörung durch unser Wirtschaftssystem verbildlicht hat, als der Begriff „ Umweltschutz“ noch ein Fremdwort war. Der augenscheinliche Sinngehalt dieser Skulptur ist so simpel wie gravierend: Unser Wohlstandsmüll ist des Hasen Tod, wobei man wissen muß, daß der Hase für Beuys ein Symbol der gesamten Natur und der Auferstehung desMenschen ist. Angesprochen auf seine Aktion ausdemJahr 1965: „ Wiemandemtoten Hasen , erläutert Beuys: „Und diese Aktion hatja schon stattgefunden die Bilder erklärt“ zueinem Datum, alsMenschen schon einBewußtsein hatten vondenökologischen Schäden, die Menschen ... in denLebenslinien derWelt anrichten. Das heißt, sie töten Hasen. Sie töten aber auch Böden, sie töten die Wälder durch ihre Produktionsweise. Sie vernichten die Lebenslinien der Natur generell. Das ist ja das ökologische Problem. Undwenn ich dassage, daßein Hase etwas verstehen muß, dann weiß ich doch, daß ein Hase –und mit ihm die Natur –ein Organ des Menschen ist, ohne das der Mensch nicht leben kann. Das heißt, der Mensch braucht als Lunge denWald als Sauerstoffquelle. Er braucht ... als Nahrung das Korn. So braucht er die vielfältige Tierwelt zurFruchtbarkeit, zumFruchtbarwerdenderErde. Also daer dasalles braucht, braucht er diese Natur unddasTier, wie er sein Herz braucht, wieer seine Leber undseine Lunge braucht. Also kann man 292Der Hase steht in der einen Hasen als ein Außenorgan desMenschen nehmen.“ Beuysschen Ikonographie für dasSchicksal derNatur unddas Schicksal des Mender ein hochschen, weil beides unlösbar miteinander verknüpft ist. Der Hase, „

291 292

rasanten Entwicklung dertechnischen Möglichkeiten seit dem 19. Jahrhundert undderdamit eingergehenden, immer radikaleren Vernutzung undAusbeutung derNatur. Dieser technischen Indienststellung vonNatur für menschliche Zwecke antwortete die bildende Kunst in einem gegensätzlichen Sinne. Mit dem‚Impressionismus‘ feierte sie Natur in ihrer reinen Phänomenalität, die voneinem zweckhaften Sein-für-den-Menschen nichts weiß. Schon mit Cézanne begann die Suche nach den tieferen Prinzipien, die Natur undMenschsein gleichermaßen begründen. Die Kunst des 20. Jahrhunderts schreitet konsequent auf diesem Wege fort. Der immer weiter undtiefer greifenden technisch-industriellen Nutzbarmachung von Natur, der drohenden Ausschöpfung ihrer Resourcen, stellt sie ihre Bilder derfürsich seienden Prinzipien undKräfte derNatur, indieauchderMensch sich einfügen muß,entgegen. Undes bezeugt die prophetische Kraft der Kunst, daß diese Bilder, als Kundgaben eines ‚unbewußten Wissens‘, einsetzten, als demwissenschaftlichen undöffentlichen Bewußtsein diese drängenden Problemenoch ganz ferne lagen. Weit entfernt also, in derKunst des 20. Jahrhunderts nursubjektivunverbindliche Bekenntnisse zusehen, sind wir aufgefordert, in ihren Werken Bekundungen 35) einer tieferen Wahrheit zuerkennen.“(S. 33– Farbabb. in Joseph Beuys: Skulpturen undObjekte, hrsg. vonHeiner Bastian als Katalog der Ausstellung imMartin-Gropius-Bau Berlin, München 1988, S. 185. (= Katalog: Beuys, Skulpturen undObjekte). Beuys: Gespräche, S. 132, 133. ZumAblauf der Aktion undihrer Deutung siehe: Uwe M. Schneede: Joseph Beuys. Die Aktionen. Kommentiertes Werkverzeichnis mit photographischen Dokumentationen, Ostfildern-Ruit bei Stuttgart, 1994, S. 102 ff. (= Schneede: Aktionen).

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wichtiges Motiv mit mehreren Bedeutungsschichten“ ist,293 spielt auch auf die christlichen Prinzipien von Inkarnation und Auferstehung an. In seiner ersten öffentlichen Aktion: „ Sibirische Symphonie 1. Satz“aus dem Jahr 1963 hat Beuys einen Hasen gleichsam gekreuzigt undihm das Herz herausgeschnitten. Er kommentierte diese Handlungssequenz mitdenWorten: „ Wenn ich mitdemHasen ... eine inhaltliche Beziehung zum Ausdruck bringen will, zu Geburt undTod, zur Verwandlung in Materie, so hat das nichts gemein mit neodadaistischem Bürgerschreckgetue.“Sondern: „ InderAktionszeit tritt dasChristliche ja ganzzentral auf. Schon in derersten Aktion tritt es auf.“„ Für mich ist derHase ein Symbol für die 294Durch dieMenschwerdung Gottes wirddieNatur vomGeist durchInkarnation.“ spirituelle Substanz“ , sagt Beuys, verändert die ganze Welt „ drungen. Die „ bis in die Materie hinein“.295 Damit Kunst eine Vorreiterrolle für gesellschaftliche Entwicklungen spielen kann, mußsiefrei sein, ja sie darf uns, gesamtgesehen, dasErscheinungsbild einer ‚Anarchie‘nenAnarchie“bieten. Kandinsky hat dies 1911 schon klar erkannt: „ „ nenviele dengegenwärtigen Zustand derMalerei. Dasselbe Wort wird schon hier und da auch bei der Bezeichnung des gegenwärtigen Zustandes in der Musik gebraucht. Darunter versteht manfälschlich ein planloses Umwerfen undUnordnung. Die Anarchie ist Planmäßigkeit undOrdnung, welche nicht durch eine äußere undschließlich versagende Gewalt hergestellt werden, sondern durch das Gefühl des Guten geschaffen werden. Also auch hier werden Grenzen gestellt, die aber als innere bezeichnet werden müssen unddieäußeren ersetzen müssen. Undauchdiese Grenzen werden immer erweitert, wodurch die immer zunehmende Freiheit entsteht, die ihrerseits freie Bahn schafft für die weiteren Offenbarungen. Die gegenwärtige Kunst, die in diesem Sinn richtig als anarchistisch zu bezeichnen ist, spiegelt nicht nurdenschon eroberten geistigen Standpunkt ab,sondern sie verkörpert als eine materialisierende Kraft das zur Offenbarung gereifte Geistige.“296 , sondern nicht ein zweckloses Schaffen“ Deswegen ist für Kandinsky die Kunst „ unddie der„Entwicklung undVerfeinerung sie ist „eine Macht, die zweckvoll ist“ dermenschlichen Seele dienen“muß.297 Was ist Plastik? Was ist Malerei? Immer Ganz in diesem Sinn sagt Picasso: „ anüberlebte Definitionen, als obes nicht Ideen, altmodische an sich klammert man gerade die Aufgabe des Künstlers wäre, neue zu finden ... .“ Kunst ist eine Art „ Aufruhr. Etwas, daseinfach nicht frei sein darf. Kunst undFreiheit mußmanwie dasFeuer desPrometheus rauben, umsie gegen diebestehende Ordnung anzuwenden. WennKunst einmal offiziell undfürjeden greifbar ist, dannentsteht einneuer Akademismus.“298Der Künstler mußdie Freiheit immer neuerobern, sei es durch

293 Schneede: Aktionen, S. 26. 294 Beuys in ebenda, S. 24, 26, 27. 295 So Beuys im Gespräch mit Friedhelm Mennekes: Beuys zu Christus. Eine Position im Gespräch, 2. Aufl., Stuttgart 1990, S. 34. (= Beuys zu Christus). 296 Kandinsky: Essays, S. 26, 27. 297 Kandinsky: Über dasGeistige, S. 134. 298 Picasso: Über Kunst, S. 71.

3. Die Freiheit derKunst unddasPrinzip derinneren Notwendigkeit

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neue Formen, ungewöhnliche Materialien oder gar neue Medien (Maschinen, Video). Kunst ist deshalb, undnicht nurdie moderne, immer auch Provokation, die uns wachrütteln soll aus unserer selbstgefälligen Behäbigkeit einer unkritischen Alltagsbewältigung, so daßwirunsere Aufmerksamkeit auf die essentiellen Dinge desLebens undderWelt richten können. Dieser Sachverhalt zeigt sich beispielhaft anderPerson unddemWerk vonJoseph Beuys, derimmer noch fürviele das„rote Tuch“ist und als Scharlatan und Verrückter verlästert wurde und wird, undder durch die Verspottung undVerhöhnung so freiwillig/unfreiwillig in die Rolle des „ Ecce homo“gerät, zumkünstlerischen Märtyrer stilisiert wird. Beuys, ein Mensch von tiefer christlicher Religiosität und Humanität und einem weiten und fundierten intellektuellen Horizont, hat in seiner in der Tat provokanten Kunst das menschliche Urbedürfnis nach Spiritualität undTranszendenz thematisiert wie kaum ein anderer Künstler unseres Jahrhunderts. Häufig spricht Beuys davon, daßer im Menschen ein „ Gegenbild“erzeugen will. So, wie nach dem Gesetz des komplementären Kontrastes die Farbe Rot ein grünliches Gegenbild im Auge entstehen läßt, so will er durch seine vordergründig gesehen

unästhetische „ Müllkunst“im Bewußtsein des Menschen ein positives Gegenbild erzeugen, das ihmdie kreative Kraft gibt, auf unserem injeder Hinsicht materiell verseuchten Planeten inWürde, d.h. als geistige Lebewesen, zuüberleben. Aufdie Frage, warum er inseinen Objekten vorwiegend mitabseitigen, grauen Materialien Ja, der Beuys arbeitet mit Filz, warum arbeitet er nicht mit arbeite, antwortet er: „ Farbe? Aber die Leute denken nie so weit, daß sie sagen: Ja, wenn er mit Filz arbeitet, könnte er nicht vielleicht dadurch inunseine farbige Welt provozieren? ... Die Leute sind sehr kurzsichtig mit dieser Argumentation, wenn sie sagen: Der Beuys macht alles so mitFilz unddannwill er etwas aussagen vonKZ.Obich nicht daran interessiert bin, durch diese Filzelemente, die ganze farbige Welt als Gegenbild im Menschen zu erzeugen, danach fragt keiner. Also: eine lichte Welt, eine klare lichte, unter Umständen eine übersinnlich geistige Welt damit sozusagen zu provozieren, durch eine Sache, dieganz anders aussieht, eben durch einGegenbild. Denn Nachbilder oder Gegenbilder kann mannurerzeugen, indem mannicht das tut, was schon vorhanden ist, sondern indem manetwas tut, wasals Gegenbild da ist –immer in einem Gegenbildprozeß. Also ist es nicht richtig, wennmansagt, ich sei interessiert amGrau. Dasist nicht richtig. Undichbinauch nicht interessiert am Schmutz. Ich bin an einem Prozeß interessiert, der viel weiter reicht.“Es geht nämlich Beuys um die Transsubstantion von Materie, um die Geistigkeit von Materie und um den Hinweis, daß der Mensch auf die spirituelle Dimension Zwei Fräulein mit angewiesen ist. Auf die Frage, warum bei seinem Objekt „ Ja dasist, ganz abgekürzt leuchtendem Brot“dasBrot leuchtet, antwortet Beuys: „ gesagt, ein direkter Hinweis auf die Geistigkeit vonMaterie. Das Brot, also eine Substanz, die die elementarste Substanz für die menschliche Ernährung darstellt, hatin demWort vomleuchtenden Brot dieBedeutung, daßes seinen Ursprung im Geistigen hat, also daßder Mensch sich nicht vomBrot allein ernährt, sondern vom Geist. Eigentlich in derselben Weise wie die Transsubstantion, Wandlung einer Hostie im alten Kirchenbrauch. Dawird formuliert: Dies ist nurscheinbar, äußer-

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lich Brot, aber in Wirklichkeit ist es Christus, dasheißt also Transsubstantion von Materie. Solche Dinge spielen auch beim Filz oder Fett eine Rolle ....“299

4. Schönheit –Wahrheit –Freiheit „ Meine Kunst ist Befreiungspolitik.“ Joseph Beuys300

Daßmanauch mit „häßlichen“Materialien „schöne“Kunstwerke herstellen kann, weil Schönheit nicht nur eine äußere, sondern vor allem eine innere, geistige Qualität ist, hat auch wiederum Kandinsky energisch betont und damit ist der Konsens der Gedanken von Kandinsky undBeuys evident. Undes sei hier noch einmal betont, es geht nicht darum, philologische Abhängigkeiten zukonstruieren, nein, das Anliegen ist, die Entsprechung derTheorieentwürfe unddie Einheit der Denk-Bewegungen der Künstler aufzuweisen. Sie gehören deswegen als Künstler zusammen, weil sie aneiner gemeinsamen Aufgabe arbeiten. Undgerade hier ist es die Aufgabe, die notwendige Freiheit unddie ausihr resultierende Provokation zu explizieren. So sagt Kandinsky, es müssen im Bild solche „ Farben angewendet werden, nicht, weil sie in derNatur in diesem Klang existieren oder nicht, sondern weil sie in diesem Klang im Bilde notwendig sind ... der Künstler ist nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, mit den Formen so umzugehen, wie esfür seine Zwecke notwendig ist.“Also: „Volle unbeschränkte Freiheit des Künstlers in der Wahl seiner Mittel.“UndKandinsky schreibt eine Anmerkung dazu: „Diese unbeschränkte Freiheit muß auf dem Grunde der inneren Notwendigkeit (die man Ehrlichkeit nennt) basiert sein. Und dieses Prinzip ist nicht nur das der Kunst, 301Garant für die Bedeutung des künstlerischen Gedansondern das des Lebens.“ kens ist also ein ethisches Moment, nämlich die intellektuelle Redlichkeit und Ehrlichkeit des Künstlers als Prinzip der inneren Notwendigkeit. Undich denke, mankannundmußsie sowohl Kandinsky undKlee als auchBeuys zugestehen, der, wie er selbst sagt, versucht hat, „nachzuweisen, daßes eine innere Notwendigkeit ist, und nicht etwa die Liebhaberei eines Einzelnen, zu einem Begriff wie der 302 ‚Sozialen Skulptur‘zukommen.“ , denn Wie schon gehört, ist für Kandinsky die Kunst eine zweckvolle „Macht“ ist die Sprache, die in nurihreigener Form vonDingen zurSeele redet, die für die „ die Seele dastägliche Brot sind, welches sie nurin dieser Form bekommen kann.“

299 Beuys: Multiplizierte Kunst, o. S. DasObjekt „ZweiFräulein mitleuchtendem Brot“von1966, Collage: Pappe, Schokolade, 60 x 21 cm, ist abgebildet auf Tafel 173 im Katalog: Beuys: Natur-Materie-Form.

300 Beuys, zitiert nach: Antje vonGraevenitz: Erlösungskunst oderBefreiungspolitik: Wagner und Beuys, in: Unsere Wagner: Joseph Beuys, Heiner Müller, Karlheinz Stockhausen, HansJürgen 49, Zitat S. 25. Syberberg. Essays, hrsg. vonGabriele Förg, Frankfurt a.M. 1984, S. 11– 301 Kandinsky: Über das Geistige, S. 133. 302 Beuys: Eintritt ineinLebewesen, inHarlan: Soziale Plastik, S. 123.

4. Schönheit –Wahrheit –Freiheit

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Kunst ist „ geistiges Brot“ . „Der Künstler mußetwas zusagen haben, danicht die Beherrschung derForm seine Aufgabe ist, sondern dasAnpassen dieser Form dem 303Es kommt auf den Gehalt der Aussage an. Im selben Sinn sagt auch Inhalt.“ Beuys im Hinblick auf seine „ , daßer „ Multiples“ an der Verbreitung vonIdeen interessiert“ist. „ Die Objekte sind nurverständlich imZusammenhang mitmeinen Ideen. Was in meiner politischen Arbeit geschieht, hat dadurch, daß ein solches Produkt vorliegt, bei denMenschen eine andere Wirkung, als wenn es nurmittels geschriebener Worte ankäme. Auch wenn die Produkte vielleicht überhaupt nicht geeignet erscheinen, politische Veränderungen zubewirken, gehtdavon, meine ich, 304DennBeuys will, mehr aus, als wenndieIdeen direkt anihnen ablesbar wären.“ daßderBetrachter in den„Gegenbildprozeß“hineingenommen wird, dernach der sinnlich-anschaulichen Tätigkeit auch eine aktive Denkleistung erfordert. Zwischen Intuition undRatio wirddasWerkerstritten. AuchwennderKünstler etwas zu sagen haben mußundan der Verbreitung vonIdeen interessiert ist, dann heißt das keineswegs, wie Kandinsky hellsichtig anmerkt, „ gewaltsam in jedes Werk einen bewußten Inhalt hinein zupressen oder diesen erdachten Inhalt gewaltsamkünstlerisch zubekleiden! Indiesen Fällen würde nichts alsleblose Kopfarbeit entstehen. Es wurde auch schon oben gesagt: Geheimnisvoll entsteht das wahre Kunstwerk. Nein, wenn die Künstlerseele lebt, so braucht mansie durch Kopfgedanken undTheorien nicht zu unterstützen. Sie findet selbst etwas zu sagen, was dem Künstler selbst im Augenblick ganz unklar bleiben kann. Die innere Stimme der Seele sagt ihm auch, welche Form er braucht und von wo sie zu holen ist (äußere oder innere ‚Natur‘). Jeder Künstler, welcher nach dem sogenannten Gefühl arbeitet, weiß, wie plötzlich undfür ihn unerwartet die von ihmersonnene Form ihm widrig erscheint, wie ‚wie von selbst‘sich eine andere, richtige an die Stelle derersten, verworfenen stellt. Böcklin sagte, daßeinrichtiges Kunstwerk wie eine große Improvisation sein muß, d.h. Überlegung, Aufbauen, vorherige Komposition sollen nichts als Vorstufen sein, auf welchen dasZiel erreicht wird, welches 305 demKünstler selbst unerwartet erscheinen kann.“ Was macht dieses längere Zitat deutlich? Nämlich wie stark Kandinsky die Rolle derIntuition während desSchaffensprozesses betont, unddaßdieBilder nicht als Illustrierung vorgedachter Ideen mißzuverstehen sind, sondern ihre eigene, autonome bildnerische Sprache sprechen, die einen Sinngehalt aussagt, der auf keine andere Weise erfahrbar ist. Aber dennoch sind die Künstlertheorien, die als geistige Exerzitien verstanden werden können unddieeine sprachliche Parallelebene zudenWerken bilden, wichtig, denn sie geben grundlegende Hinweise, Fingerzeige zum Verständnis der Sinndimension eines Werkes aus dem Werk heraus, ersetzen es aber nicht undmachen es auch nicht minderwertiger. DasEntscheidendeunddasNeue liegen in derSynthese vonTheorie undPraxis. In seinem Beitrag , denKandinsky 1923 fürPaul Westheims „Künstler„ Gestern –Heute –Morgen“ Bekenntnisse“geschrieben hat, unterscheidet er in drei Paaren, die zwar alle mit303 Kandinsky: Über das Geistige, S. 30, 134, 135. 304 Beuys: Multiplizierte Kunst, o. S. 305 Kandinsky: Über das Geistige, S. 135, 136, Anm. 5.

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einander verflochten sind, jeweils „ zwei inentgegengesetzten Richtungen laufende , die aber „ Bewegungen“ zueinem Ziel“führen. Dassind: I. „1. Die analytische Bewegung, die ihre letzten Konsequenzen berührt undsie ganz zuerreichen scheint, 2. die synthetische Bewegung, die sich zumAnlauf von morgen bereitet und die ersten Träume zuträumen scheint.“ II. „1. die materialistische Bewegung, die ihre letzten Konsequenzen scheinbar erreicht, 2. diegeistige Bewegung, diesich in ihrem Anlauf verstärkt.“ Undin derKunst: III. „ 1. die intuitive Methode zumAufbau desWerkes, die ausdemzweiten Punkt deszweiten Paares stammt, 2. die theoretische Methode zum Aufbau des Werkes, die aus dem ersten Punkt deszweiten Paares stammt.“ Auchdiese zwei Methoden führen zueinem Ziel. Dieses letzte Paar verflechtet sich mit den zwei ersten, wobei jede Bewegung exklusiv bleiben will. So sieht das äußerlich verworrene und innerlich gebundene Bild des heutigen Tages aus, das von gestern stammt undzu morgen strebt. Unter vielen Folgen dieses Bildes, die heute geahnt werden können, sind die scheinbar wichtigsten: , teils wiedergeborene synthetische, ‚monumen1. in der Praxis –die teils neu– tale‘Kunst, , teils neugeborene Kunstwissenschaft. 2. in derTheorie –die teils wieder – Alle sich scheinbar ausschließenden Richtungen werden in diesen beiden Zielen verschmolzen, die weiter in einem Ziel schmelzen. So werden die abgenutzten Worte von gestern ‚entweder-oder‘ heute durch ein Wort von morgen ersetzt – 306 ‚und‘.“ Dieses Bekenntnis und prophetische Wort Kandinskys läßt keinen Zweifel daran, daß Theorie und Werk eines Künstlers zur Kenntnis genommen werden muß, soll derIntention des Künstlers genüge getan werden. Kandinsky undBeuys halten es für die Aufgabe des Künstlers, denMenschen geistiges Brot“zugeben. Diese legt demArtifex eine hohe moralische Verpflich„ tung auf, undKandinsky, derja dasPrinzip derinneren Notwendigkeit als dasder Ehrlichkeit –sprich intellektueller Redlichkeit –bezeichnet hat, war sich dessen voll undganz bewußt. Der Künstler muß„seine Pflicht der Kunst undalso auch als Herr derLage“betrachten, sich gegenüber“anerkennen under darf sich nicht „ sondern als Diener höherer Zwecke, dessen Pflichten präzis, groß undheilig sind. „ Er mußsich erziehen undvertiefen in die eigene Seele, diese eigene Seele vorerst 307 pflegen undentwickeln, damit sein äußeres Talent etwas zu bekleiden hat... .“ Im selben Sinn hat Beuys erklärt, als man ihn gefragt hat, wie er auf den Satz :„ Ich bin sicher gekommen sei, „ Wie man den toten Hasen die Bilder erklärt“ darauf gekommen, diesen Satz zuformulieren, nurdurch einejahrelange Vorbereitung. Ich habe mich sicherlich nicht hingesetzt und diesen Satz konstruiert, um

306 Kandinsky in Westheim: Künstlerbekenntnisse, S. 164, 165. 307 Kandinsky: Über das Geistige, S. 135.

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diese Aktion durchzuführen. Ich habe also den Zusammenhang zwischen dem Menschen und seinem viel größeren Wesen immer als das Wichtigste, als die wichtigste Aufgabe der Kunst angesehen. Undwenn ich sage, derMensch als das viel größere Wesen, als fürdaser sich imZeitalter desMaterialismus hält, warmir 308 wichtig, von Anfang an.“ Kandinsky und Beuys verpflichten den Künstler zu einem hohen Ethos das nicht ausdemBeruf, sondern ausBerufung erwacht. Kandinky: „ Der Künstler ist kein Sonntagskind des Lebens: Er hat kein Recht pflichtlos zu leben, er hat eine schwere Arbeit zu verrichten, die oft zu seinem Kreuz wird. Er mußwissen, daß jede seiner Taten, Gefühle, Gedanken das feine unbetastbare, aber feste Material bilden, woraus seine Werke entstehen, unddaßer deswegen imLeben nicht frei ist, 309Auch Beuys hat seine ganze Lebenskraft in den sondern nur in der Kunst.“ Dienst derKunst gestellt undsich dabei niegeschont, erwar„stets mitleidenschaft. Bezeichnend ist einer seiner Aussprüche für seine licher Intensität bei derSache“ Grundmotivation: „ Ich ernähre mich durch Kraftvergeudung.“310Denn das Ziel, Wir wollen Freiheit, nicht das er sich mit seiner Kunst gesetzt hatte, war hoch: „ DerFreiheitsbegriff ist fürmichviel höher, bezieht sich letzten Endes Freizeit.“311„ auf die geistige Befreiung. Dasandere wäre fürmich nureine physische Erleichterung des Lebens.“312Für Beuys wird derMensch dann degradiert, wenn manihn nur in seiner „gesellschaftlichen Gebundenheit“sieht, in seinen Abhängigkeiten vondenVerhältnissen, indenen vonUmwelt, Natur, Wirtschaftskonditionen, also „ . „Mich hat aber bei der Plastik der Freiheitspol interessiert, unddiesen er steht“ wollte ich herausarbeiten. Wenn der Mensch nämlich gebunden ist, könnte er praktisch nichts Neues machen. Hier handelt es sich umdenFreiheitsbegriff, und dafällt fürmichDenken undPlastik zusammen. IndemAugenblick, daderMensch denkt, ist er derjenige, deraneiner Schwellensituation steht undetwas Neues auf die Welt bringt, was vorher nicht da war.“„Kunst gleich Kreativität gleich menschDie viel berufene Freiheit des Künstlers ist keine Narrenfreiheit, liche Freiheit.“„ sondern gesellschaftliche Freiheit vonhoher Effektivität, wahrscheinlich vonweit höherer, als sich die verantwortlichen Stellen in Politik undWirtschaft klar werden.“313

Kandinsky warsich derEffektivität derkünstlerischen Freiheit völlig bewußt, wenn er hervorhebt, „ daß der Künstler dreifach verantwortlich ist, im Vergleich , nämlich zumNichtkünstler: 1. mußer sein ihmgegebenes Talent wieder erstatten“ 2. in den Werken, die aus seinem unabwendbaren Schaffensdrang hervorgehen, „ bilden seine Taten, Gedanken, Gefühle, wie die jedes Menschen, die geistige Atmosphäre, so daßsie diegeistige Luft verklären oder verpesten und3. sinddiese Taten, Gedanken, Gefühle dasMaterial zu seinen Schöpfungen, welche noch ein-

308 Beuys: Gespräche, S. 134, 135. 309 Kandinsky: ÜberdasGeistige, S. 135, 136. 310 Stachelhaus: Beuys, S. 113, 159. 311 Beuys: Gespräche, S. 59. 312 Beuys zitiert nach Szeemann: Gesamtkunstwerk, S. 422. 313 Beuys zitiert nach Harlan: Soziale Plastik, S. 93, 102, 37.

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mal wieder an der geistigen Atmosphäre tätig sind.“Deshalb sagt Kandinsky, ist ,„ indemSinne, daßerdiegroße Macht hat, sondern derKünstler nicht nur„König“ auch in demSinne, daß auch seine Pflicht groß ist.“Aber er ist noch mehr als , nämlich „Priester des‚Schönen‘ , womit Kandinsky aufdieGottähnlich„ König“ “ keit des Künstlers als Kreator anspielt.314 Dieses „Schöne“ , das der Künstler gleichsam „ zelebriert“–hier muß man an Kurt Badts Begriff „ Feiern durch ist nurdurch denMaßstab der inneren Größe undNotRühmung“denken –,315 „ wendigkeit zu messen, welche unsbisjetzt überall unddurchweg richtige Dienste geleistet hat. Das ist schön, waseiner inneren seelischen Notwendigkeit entspringt. 316 Das ist schön was innerlich schön ist.“ Mankönnte genausogut sagen, Schönheit istWahrheit. Inseinem Essay „Leere Leinwand undsoweiter“von 1935 schrieb Kandinsky: „ Aus der ‚Unwahrheit‘ (Abstraktion!) soll Wahrheit sprechen. Kerngesunde Wahrheit, die ‚Ich bin da‘ 317Vielleicht ist dieser Gedanke nicht weit vondementfernt, wasHeidegger heißt.“ „ das Sich-ins-Werk-setzen derWahrheit“nennt. „Dann ist die Kunst ein Werden undGeschehen derWahrheit.“„Wahrheit meint Wesen desWahren“als „Unver. Das ist ein Geschehnis und keine Eigenschaft einer Sache. Zum borgenheit“ Wesen derWahrheit gehört auch ein sich Verweigern undVerbergen. Daher kann Die Wahrheit ist in ihrem Wesen Un-Wahrheit.“Das meint Heidegger sagen: „ nicht, daßWahrheit Falschheit sei, sondern, wie Gadamer angemerkt hat, daß die Wahrheit des Kunstwerkes „ nicht das plane Offenliegen von Sinn, sondern vielmehr die Unergründlichkeit undTiefe seines Sinnes“ist. Wobei Unergründlichkeit dennicht erschöpfbaren Sinnüberschuß desWerkes bedeutet. Weiter bei Heidegger: „ DieSchönheit kommt nicht neben dieser Wahrheit vor. Wenn die Wahrheit sich in dasWerk setzt, erscheint sie. Das Erscheinen ist –als dieses Sein der Wahrheit im Werk undals Werk –die Schönheit. So gehört das Schönheit ist eine Weise, wie Wahrheit Schöne in das Sichereignen derWahrheit.“„ 314 Kandinsky: Über das Geistige, S. 135, 136.

140. Badt bezeich315 Siehe Badts gleichnamigen Aufsatz in: Kunsttheoretische Versuche, S. 103– , als „eine besondere Art der net die Tätigkeit des Künstlers als ein „Feiern durch Rühmung“ Weltergreifung“ .„ Der echte Künstler überschreitet immer die Realität, indem er sie durch entsteht künstlerische Schönheit, jene die nicht seine feiernde Rühmung verwandelt.“Nurso „ in derSchönheit eines Gegenstandes, sondern in derschönen Darstellung irgendeines Gegenstandes besteht, der dadurch erst schön werden soll.“Der Künstler löst dasjenige, was er in seinem Werk darstellt, ausseiner alltäglichen Zweckgebundenheit (deswegen Feier) undkonstituiert rühmend imBild eine Welt, dieeine anschauliche Erkenntnis als Wahrheit offenbart. WiederDenker leidet derKünstler anjenem Schein derWirklichkeit, indemdieDinge nur „ erscheinen undnicht hervorscheinen, wie sie wirklich sind. Und wie der Denker sucht der Künstler jenen Schein zudurchstoßen undzumwahren Wesen derDinge vorzudringen, das ein dieGegenstände künstlerisch DerKünstler zieht „ scheinendes, erleuchtendes Licht aussendet.“ allererst ans Licht, so daß sie als wahre wahrnehmbar werden. Die vom Künstler auf diese Weise hervorgebrachte Wahrheit erweist sich damit nicht als Übereinstimmung vondargestellter Erkenntnis undsonst bekanntem Gegenstand, sondern als Enthüllung von etwas bisher Verborgenem... .“ S. 133, 139, 137, 140. 316 Kandinsky: Über das Geistige, S. 136, 137. 317 In: Essays, S. 181.

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als Unverborgenheit west.“Heidegger gibt noch einen wichtigen Hinweis: „ Die Einrichtung derWahrheit ins Werk ist dasHervorbringen eines solchen Seienden, 318Damit weist das vordem noch nicht warundnachmals nie mehr werden wird.“ Heidegger auf dasEinzigartige, ungewohnt Neuartige, Unnachahmliche desWerkes hin, also auf das, wasmandie Originalität derKunst nennt. Diese ist wiederum Das Wesen der Wahrheit ist die Freiheit.“319Wie auf Freiheit angewiesen. Denn: „ Dittmann feststellt, entzieht sich auch dieFreiheit wiedieWahrheit „ demdirekten Zugriff undderformelhaften Vergegenständlichung“.320 Schönheit, Wahrheit undFreiheit basieren aufderKreativität desKünstlers. In diesem Sinn umschreibt Kandinsky, was er unter demSchönen versteht. „Unter diesem Schönen wird selbstredend nicht die äußere oder sogar innere imallgemeinen Verkehr angenommene Moral verstanden, sondern alles das, was auch in der ganz untastbaren Form die Seele verfeinert undbereichert. Deshalb ist, z.B., in der Malerei jede Farbe innerlich schön, dajede Farbe eine Seelenvibration verursacht undjede Vibration bereichert die Seele. Unddeshalb endlich kann alles innerlich schön sein, was äußerlich ‚häßlich‘ist. So ist es in der Kunst, so ist es im Leben. Unddeshalb ist nichts ‚häßlich‘im inneren Resultat, d.h. in der Wirkung auf die Seele deranderen.“Jede Form schließt fürKandinsky auch „Grau“und„Schmutz“ Der Schmutz in materieller Form als materielle Vorstellung, als materielles ein. „ Wesen besitzt jedem anderen Wesen gleich seinen inneren Klang. Deshalb ist das Vermeiden desSchmutzes inderMalerei heute ebenso ungerecht undeinseitig, wie die gestrige Angst vor ‚reiner‘Farbe es war. Nie soll vergessen werden, daß alle Mittel rein sind, die aus innerer Notwendigkeit entspringen. Hier ist das äußerlich 321 Schmutzige innerlich rein. Sonst ist dasäußerlich Reine innerlich schmutzig.“ Wir zitieren diese Überlegungen Kandinskys deshalb so ausführlich, weil sie, obwohl schon imersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts geschrieben, nicht bloß eine plausible Erklärung, sondern dentieferen Grund dafür abgeben, warum die äußer, schmutzige Kunst eines Beuys innerlich schön sein kann lich häßliche, „graue“ derinneren Notwendigkeit desKünstlers entspringt undb), a) sie weil ist: auch und weil sie dieSeele desBetrachters inVibration zuversetzen vermag, wieKandinsky sich bildlich ausdrückt. Beuys würde sagen, weil sie einen geistigen „Gegenbildprozeß“auslöst. Schönheit ist für Kandinsky also nicht äußere Gefälligkeit, sondern innere Wahrheit. Sie gründet auf der Freiheit des Künstlers. Bezugnehmend aufdasästhetische Denken desDeutschen Idealismus undHeideggers hatDittmann gesagt: „ Wahrhaft verständlich, weil in sich selbst auf Sinn bezogen, ist allein das Kunstwerk, das Werk des Künstlers, in seiner Schönheit undin eins damit seiner Wahrheit undFreiheit. ... Wahrhaft lebendig für Gegenwart undZukunft ist nur das Kunstwerk: Freiheit erweckend durch Freiheit.“322 318 Heidegger: Kunstwerk, S. 38, 81, 53, 58, 93, 61, 69. Gadamers Anmerkung findet sich inseiner , S. 122. demKunstwerk-Aufsatz nachgestellten „Einführung“ 319 Martin Heidegger: VomWesen derWahrheit, 3. Aufl., Frankfurt a.M. 1954, S. 12. 320 Stil-Symbol-Struktur, S. 235. 321 Kandinsky: Über dasGeistige, S. 137, 100. 322 Dittmann: Stil-Symbol-Struktur, S. 237.

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Wie gezeigt, läßt sich diese These Dittmanns amDenken derKünstler undder Gestalt ihrer Werke gerade in derKunst des20. Jahrhunderts erhärten. Es ist mehr als nureininteressantes Faktum, daßgerade einso scheinbar revolutionärer Künstler wieBeuys, derangeblich mitdertraditionellen Kunst undihrem Begriff gebrochen hat, auf die Frage, wo er seinen historischen Ansatzpunkt für seine Kunst gefunden habe, geantwortet hat: „ Anschließen kannich nur, wennmanso weit wie möglich, wenn man radikal zurückgeht. Der andere gute Ansatzpunkt wäre das Zeitalter des deutschen Idealismus, in dem die Konzeption, wie ich sie habe, auftrat. Bei denRomantikern findet manihn, bei Novalis, manfindet ihnumden ganzen Goethekreis, manfindet ihn bei Lorenz Ocken beispielsweise, manfindet ihn bei Carl Gustav Carus, bei Caspar David Friedrich, manfindet ihn bei Schelling, bei Hegel, usw. Manfindet ihnspäter bei Menschen, die auch amdeutschen Idealismus angeknüpft haben, beispielsweise bei Rudolf Steiner.“ Während für Beuys derSchamane, als religiöse Mittlerperson, in einem „spirituellen Abhängigkeitsprinzip“lebte, hat der moderne Mensch sich „ mit Hilfe von Kooperanden“verändert undmußsich nunselbst bestimmen. „ Seine Selbstbestimmung ist etwas sehr konkretes, etwas sehr spirituelles ... . Philosophisch gesprochen ist die Freiheit des Menschen die elementare Frage der Kunst. Das ist 323Kandinsky hatte denKünstler als letztendlich der Inhalt der Zeichnungen ... .“ Priester“(Stellvertreter Gottes auf Erden) bezeichnet. Beuys geht „ König“und „ noch darüber hinaus, wenner diese inderKunst freigelegten künstlerischen Fähigkeiten undBestimmungen auf den Menschen schlechthin übertragen will. Das ist , der die Kunst nicht nichtig oder überflüssig macht, der „erweiterte Kunstbegriff“ sondern der gerade die Notwendigkeit der Kunst offenbart, weil nurdurch sie der FreiheitsbeMensch zuFreiheit, Wahrheit undSchönheit gelangt. Denn ausdem„ griff“ , daß der Mensch sich selbst bestimmen kann undaus dem„Kreativitätsbegriff“ , daßer die Fähigkeit zurGestaltung besitzt, geht hervor, daßderMensch ein Dieses „ Souverän“ist.324 Dies dürfe mannie ausdemAuge verlieren, sagt Beuys: „ daßjeder Mensch ein Prinzip, daßjeder Mensch ein Sonnenkönig sein soll.“Und„ Künstler ist. Also immer wieder streng denAnsatz vonderKunst, vonderKreativität her undvonderFreiheit derMenschen. ... Dererste undwichtigste Begriff ist die Verwirklichung der Freiheit.“325Beuys’ Anspielung auf Ludwig XIV. deutet auf die religiöse oder metaphysische Dimension der Kunst, die sich besonders in der Lichtgestalt, wie sie sich der absolutistische Hierarch zunutze machte, offen-

323 Joseph Beuys: Wennsich keiner meldet, zeichne ichnicht. Gespräche zwischen Joseph Beuys, Heiner Bastian, Jeannot Simmen, Düsseldorf, 8. August 1979. In: Ausstellungskatalog: Joseph 40. Zitate S. 37, 34. (= Katalog: Beuys, ZeichnunBeuys: Zeichnungen, München 1979, S. 29– gen).

324 Beuys: Aktive Neutralität, S. 16. 325 Ausstellungskatalog: Joseph Beuys: Eine innere Mongolei. Dschingis Khan, Schamanen, Aktricen. Ölfarben, Wasserfarben undBleistiftzeichnungen ausder Sammlung vanderGrinten, hrsg. vonCarl Haenlein, Hannover 1990. Darin: Keto vonWaberer: Das Nomadische spielt 221. Zitat S. 199. (= Katalog: eine Rolle vonAnfang an. Interview mitJoseph Beuys, S. 197– Beuys, Innere Mongolei).

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Sonnenelement“und„ bart. Beuys spricht vondem„ Lichtelement in derChristusErscheinung“.326 Für unsere Untersuchung ist entscheidend, daß, wie Beuys sagt, der zentrale Begriff derKreativität „ vonGott genommen“ist. „Hier wirdvomMenschen etwas . DerWerdegang desMenschen führt dazu „selbst behauptet, als wäre er ein Gott“ ein göttliches Wesen zumindest in sich zubemerken. Er wirdsich vielleicht gerade durch einsolches Erleben ... zurückerinnern, daßdieses eigentlich ja diechristliche Wahrheit nicht nurgewesen ist, sondern ist, daß sie aber in der Zwischenzeit ... völlig aus dem Bewußtsein verschwunden ist: daßja ein Gott in den Menschen eingezogen ist. Also wird dieses Kreator-Prinzip von diesem Gott der sagt: ICH WERDE EUCH FREI MACHEN! nichts anderes bedeuten, als daßgesagt werden muß: Kreativität ist Freiheitswissenschaft.“327Eine höhere Bestimmung vonKunst läßt sich nicht geben. DerFreiheitsbegriff, denBeuys seinem Erweiterten Kunstbegriff als Grundbedingung voraussetzt, bedeutet nicht grenzenlose Libertinage, sonDie Freiheit dern er impliziert in hohem MaßVerantwortungsbewußtsein. Beuys: „ desMenschen enthält natürlich dieMöglichkeit, daraus etwas ganzBlödsinniges zu die Entwicklung sozialer machen. Das muß man schon hinnehmen.“Aber wer „ , dermüßte, soBeuys, denSatz „dersowohl von Ideen in derWelt mitverfolgt hat“ daß die Hegel wie von Rosa Luxemburg“geäußert worden ist, gehört haben: „ Freiheit des Menschen dort aufhört, womandie Freiheit eines anderen Menschen verletzt. Das müßte doch längst das Wissen der Menschen sein ... Aber ... die Menschen haben große Schwierigkeiten mit dieser Freiheitsfrage. ... sie können diese geistige Idee nicht vor sich sehen.“Denn die Freiheit ist keine äußere, Die Möglichkeiten zur materielle, sondern eine innere, geistige Angelegenheit. „ Freiheit sind immer gegeben. WasSchiller gesagt hat, ist einobjektives Gesetz: Der Mensch ist frei, undwäre er in Ketten geboren, d.h. die äußerliche Freiheit hat mit der Freiheit ja gar nichts zu tun. ... Die Freiheit ist das Anwachsen des menschlichen Bewußtseinsprozesses.“Beuys nennt dasBeispiel destibetanischen Mönchs, der sich freiwillig einschließt, umseine Freiheit ambesten entwickeln zukönnen. „ D.h., manmußhier einmal Gesetze ernst nehmen: Absolute Bedürfnislosigkeit, nichts für mich, sondern alles für denanderen. D.h., diese absolute Radikalität in Bezug auf das, was der Mensch erreichen kann als geistiges Wesen.“In einer einGegenGesellschaft, in derfast alles erlaubt ist, sagt Beuys, mußderKünstler „ Es handelt sich letztendlich umdie Kunst, die sich bild des Menschen“bewahren. „ diese strengen Regeln aufgegeben hat. Das Ganze kann ja nur erworben werden durch Übung. Durch tägliche Übung. Mankann es Meditation nennen oder Konzentrationsübungen.“Dazu gehört für Beuys auch, die Geschichte zu reflektieren, denn dann kommt man auf die Ideale der Französischen Revolution, die den Vor sozialen Organismus inFreiheit, Gleichheit undBrüderlichkeit gegliedert hat. „ , aber dieses „Gleichheitsprinzip ist ein folgendes dem Recht ist jeder gleich“ Prinzip. Das erste ist das Freiheitsprinzip, aus demalles entsteht. Die zweite Figur der Rechtsform besteht aufgrund des Willens der menschlichen Freiheit, seiner

326 Beuys: Gespräche, S. 126. 327 Beuys: Aktive Neutralität, S. 15.

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Schöpferkraft im Bilden von Ideen –auch die Idee Rechtsform. Es ist also ein Gestaltungsprinzip imGange.“Alle Menschen, sagt Beuys, sind aufgerufen, ander Gestaltung des sozialen Ganzen teilzunehmen, d.h. ihre Schöpferkraft einzubringen. „ Alle diese Sachen sind ja längst im Fluß“ , wie die Entstehung der ökologischen Bewegung, die Grüne Partei, „ die Bürgerinitiativen, die Bewegung der Volksabstimmung, auch meine Organisation für direkte Demokratie, auch das Entstehen der F.I.U. (Free International University)“beweisen. Alle Menschen müssen, fordert Beuys, „ ins aktive Mitgestalten hineinkommen, unddasist ja der wesentliche Punkt deserweiterten Kunstbegriffs“und„auch derBeweis dafür, wie notwendig dieser Begriff ist undwieobjektiv er vorhanden ist als dasWirkende im Kreativen, als das Sichtbarwerden des menschlichen Geistes, das Sichtbarwerden der menschlichen Natur, die viel größer ist als der Materialismus, der zu einem biologischen ... Bewußtsein geführt hat–mitgewissen sogenannten Rationalitäten innerhalb dieses materialistischen Weltverständnisses, aber letztendlich demMenschen das Bewußtsein seiner geistigen Natur relativ stark genommen hat. So ist diese Sache um den erweiterten Kunstbegriff die zentrale Frage unseres Lebens geworden. Freiheit ist das größte Gesetz in sich. Oder man kann auch sagen, Freiheit ist die allergrößte Notwendigkeit in sich.“ DerMensch erscheint nicht nurals freies, sondern auch als abhängiges Wesen. Er ist abhängig „vonallen anderen Menschen. Unddasistja gut so. Jetzt wird die Sache allmählich ein bißchen kompletter. Jetzt sagt man, derMensch ist der Träger der Freiheit. Mansieht aber auch, daßderMensch dasWesen schlechthin ist, das unter Abhängigkeitsverhältnissen lebt. Der Mensch ist weder nur abhängig, noch ist er nurfrei, sondern er arbeitet mitdiesen beiden Lebenselementen in sinnvoller Weise.“Wie engBeuys Ästhetik undEthik, künstlerische Schöpferkraft undsoziales Gewissen miteinander verknüpft, zeigt sein kategorialer Grundsatz, daß das „ Kreativitätsprinzip ... bei der Freiheit zu suchen ist. Denn die Freiheit ist ja ungeheuer gekoppelt mit demBedürfnis des Menschen, Verantwortung für andere zuübernehmen. ... Dassoziale Hauptgesetz sagt ...: Nichts fürmich, sondern alles für den anderen. Wie das richtige Gesetz einer qualitätsvollen Produktion und Erkenntnis ja besagt: Bedürfnislosigkeit, absolute Bedürfnislosigkeit ist dasanzustrebende Ziel, dennohne diese Bedürfnislosigkeit können dieWeltprobleme nicht 328 gelöst werden.“ Bei der Zentralstellung, die Beuys demFreiheitsbegriff einräumt, wares nur konsequent, daßer, umsich staatlichen Reglementierungen zuentziehen, 1974 mit Freie Internationale Hochschule fürKreativität seinem Freund Heinrich Böll eine „ und interdisziplinäre Forschung“gegründet hat. In dieser kann der Kunst als Freiheitswissenschaft derihrgebührende Rangeingeräumt werden. Dennauch Böll Sie bringt nicht nur, erklärte die Freiheit zumwesentlichen Merkmal der Kunst. „ bietet nicht nur, sie ist die einzige erkennbare Erscheinungsform der Freiheit auf 329 dieser Erde.“ 328 Beuys: Kunst heute, S. 29, 30, 31, 32, 34, 46, 47, 48,49. , 30.09.1966. Zitiert nach: Badt: Kunsttheoretische Versuche, S. Die Zeit“ 329 Heinrich Böll in „ 141.

5. DasBildnerische

Denken

als integrierender Bestandteil derKunst

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Der Maler undKunsttheoretiker Reimer Jochims bezieht sich in seiner Konzeption der Kunst auf die traditionellen Grundbegriffe dereuropäischen Ästhetik, nämlich Schönheit, Wahrheit undFreiheit. Er unterscheidet drei Grundfunktionen , 2. „dieErkenntnisfunktion“ : 1. „dieästhetische Funktion“ konzeptioneller Kunst“ „ . „Die Reduktion auf dasÄsthetische ist der falsche die Freiheitsfunktion“ und3. „ Kunstbegriff, der die Wahrheitsfrage nicht kennt undnicht stellt im Zusammenhang mit Kunst, die deshalb auch nicht wahr sein kann. Die Frage nach der Wahrheit derWerke betrifft ihre Erkenntnisfunktion, die Frage nach derWahrheit der Kunst selbst betrifft die Einheit der Grundfunktionen. Nur in Einheit mit Freiheit undWahrheit ist dasÄsthetische mehr undanders als hübsch, interessant, sensationell, etc. Schönheit ist sinnlich realisierte Wahrheit und wirkt Freiheit. Schönheit ist entäußerte Wahrheit, insofern kommt der Wahrheit eine gewisse Ursprungspriorität zu, nicht in demSinne, daßerst die Wahrheit, dann die Schönheit dawäre, sondern so, daßWahrheit dasKriterium fürSchönheit imBereich der Kunst ist. Erstlich undletztlich ist Kunst Schönheit, weil sie sinnlich ist, aber nicht verselbständigte Schönheit, sondern Schönheit als sinnliche Wahrheit.“330Wahrheit aus innerer Notwendigkeit als visuelle Erkenntnisform ist das Kriterium für Schönheit unddamit für Kunst als Realisation visueller Freiheit. Denn: „Konzep331Mit tionelle Kunst feiert nicht dasLeben, wiees ist, sondern wie es sein sollte.“ diesen Überlegungen bestätigt Jochims post eventum diegedankliche Einheit Kandinskys undBeuys’undstellt sich indiese Reihe ein. Eine Gesinnung verbindet sie.

5. Das Bildnerische Denken als integrierender Bestandteil der Kunst „ Manmußvorallen Dingen denken! MitdemDenken malendlich beginnen!“ Joseph Beuys332

Damit Kunst ihre ästhetische Funktion, ihre Erkenntnisfunktion undihre Freiheitsfunktion erfüllen kann, bedarf sie einer Konzeption, das heißt, der Künstler muß über ein geistiges Konzept verfügen, das ihm bei der konkreten Realisation der Werke den gedanklichen Rahmen oder die ideelle Orientierung vorgibt. Diese Konzeption als intellektuelle Leistung des Künstlers neben seiner praktischen gehört ebenso zum Schaffen eines Kunstwerkes dazu wie die handwerkliche Seite. Das mußals ein Axiom angesehen werden. Beuys: „Aber das Allerwichtigste ist natürlich daswirklich tiefe Durchdenken des ganzen Systems vomMenschen. ... Man darf nicht darauf verzichten, einen kontrollierenden Blick auf die PhantasieProdukte zu werfen. Man darf nicht die Phantasie-Produkte einfach grassieren

330 Reimer Jochims: Visuelle Identität. Konzeptionelle Malerei vonPiero della Francesca bis zur Gegenwart. Mit einem Nachwort vonGottfried Boehm, Frankfurt a.M. 1975, S. 118, 119. (= Jochims: Visuelle Identität).

331 Ebenda, S. 155. 332 Beuys: Kunst heute, S. 38.

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lassen, ohne das Denken, die gefühlsmäßigen Qualitäten undden Willen an die Sache anzupolen. Also so wird mannie höhere Formen desDenkens, derImagination, der Inspiration undder Intuition entwickeln können, wenn man nur bei der 333 Phantasie stehen bleibt.“ Die Vorstellung, der Künstler sei intellektuell unmündig, der instinktiv seinen Malrausch auslebt, ist grotesk. Sie gehört zu denbestgehütesten Ammenmärchen des allgemeinen Künstlerverständnisses undgeistert auch in der Kunstgeschichte umher. Die geistige, gedankliche, intellektuelle Leistung des Künstlers, die sich ja immer in der anschaulichen Gestalt der Werke realisiert hat, wird häufig völlig unter ihrem Wert undihrer Relevanz gehandelt. Diese Fehleinschätzung unddas weitverbreitete Vorurteil, der Künstler arbeite vorrangig instinktiv, hat Gehlen an derPerson Kandinskys mitironischen Untertönen beschrieben: „ Wirsind natürlich aufdenEinwand gefaßt, daßer sich nicht anseine Theorien gehalten habe, sondern ‚intuitiv‘ verfahren sei –das ist Gerede. Ein Mann von dieser außerordentlichen Sensibilität und Denkkraft, der sich bereits den Fünfzigern nähert, denkt nicht jahrzehntelang geradlinig undmitimmer reicherem Ertrag überjede optische Note nach, um dann mit ‚Intuitionen‘ loszumalen wie ein Dilletant. Er brachte seine Theorien, nämlich seine begrifflich durchgeklärten und systematisierten ästhetischen Evidenzen ins Bild, solange er konnte, nämlich bis die Eigendynamik der Formen undFarben sie verschlang, undbis er die Möglichkeit gefunden hatte, eben diese Eigendynamik durch Zerkleinerung undGeometrisierung zuzersetzen.“334 Gehlen macht in diesem Zitat auf die notwendige wechselseitige Durchdringung von Theorie undPraxis, Intellekt undInstinkt, Ratio undIntuition aufmerksam. Umes noch einmal zu sagen, mankann undmußsogar an Gehlens Thesen Kritik üben undsie teilweise vomheutigen Standpunkt aus zurückweisen, aber in einigen grundlegenden Positionen hat Gehlen auf die entscheidenden Probleme hingewiesen. So, wenn er die Sensibilität dafür weckte, daß „ mandie ästhetische Durchschlagskraft derBildrationalität“unterschätzt unddaßkaum ein Zugang zur Frage nach derjeweils besonderen ArtderIntellektuaKunst ergiebiger ist, als die „ lität, die sich in bestimmten Richtungen niedergeschlagen hat“ . Dieses Thema sei seit langem unpopulär under hätte „kaum die Hoffnung, so zementierte Vorurteile . wie das von der ‚Irrationalität der künstlerischen Vision‘aufbrechen zu können“ So ist es Gehlens Anliegen nachzuweisen, „wie die ungemeine Denkkraft und Denkleidenschaft eines Klee oder Kandinsky in die Substanz ihrer Werke eingegangen waren ..., wie sie das bestimmten, was man leichthin ihrer ‚Intuition‘ zuschreibt. Wir zitieren ... dasWort Michelangelos ...: Si pinge col cervello, non colla mano –manmalt mitdemKopf, nicht mitder Hand.“335 Auch dieses Zitat Gehlens macht deutlich, daßes nicht darauf ankommt, dem Denken des Künstlers eine Suprematie einzuräumen oder es zu autonomisieren, sondern weil wichtig ist, daßdasbildnerische Denken in die sichtbare bildnerische

333 Beuys in: Documenta-Dokumente. Werner Köln 1984, S. 50. (= Beuys: Documenta) 334 Gehlen: Zeit-Bilder, S. 131. 335 Ebenda, S. 34.

Krüger, Wolfgang Pehnt: Künstler

im Gespräch,

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Struktur derWerke (das ist ihre Substanz) eingegangen ist unddasjenige begründet, wasGehlen „innere Bildrationalität“nennt. Gehlen bezieht sich hier aufdieKunst-

theorie Konrad Fiedlers,336 die für ihn freigelegt hat, daß sich Bilder nicht einfach in Worte übersetzen lassen oder gar umgesetzte Worte sind. Denn „wenn im praktischen Leben derBegriff dieWahrnehmung abdeckt, soerfolgt angesichts des Bildes das Umgekehrte. Die in derdauernden Reflexion auf das Sichtbare undin der weitergetriebenen Durchgestaltung desselben erreichte innere Bildrationalität genügt sich selbst vollständig, man kann sich das Bild völlig aneignen, ohne das Bedürfnis zu spüren, vonihmwegin Begriffen weiterzudenken.“337Was Gehlen hier „innere Bildrationalität“nennt, ist letztlich Resultat der „inneren Notwendig, wie Kandinsky sie beschrieben hat. Im gleichen Sinn wie Gehlen merkte keit“ Ueber Kunstverstehen“an: „ Kandinsky in seinem Artikel „ Also soll man nicht durch Vernunft und Verstand sich der Kunst nähern, sondern durch Seele und Erleben. Vernunft undVerstand sind in der Vorratskammer desfein haushaltenden Künstlers zutreffen, da er alle Mittel zumZweck haben muß. Undder, für dendas Werk geschaffen wurde, soll seine Seele weit öffnen unddadurch erleben. Dann wird auch er glücklich.“338Kandinsky betont hier ausdrücklich, daß der Künstler über die„Ratio“verfügt unddaßsie einwesentlicher Bestandteil desSchaffensprozesses ist. Der Betrachter soll sich erst einmal vorbehaltlos demgründlichen Seherlebnis des Bildes öffnen und dabei, sofern das überhaupt geht, den Intellekt Das beiseite lassen, dann kann er die Sprache des Bildes, seinen Geist hören: „ Kunstwerk ist der durch die Form redende, sich offenbarende undweiter befruch339Kandinskys Ratschlag für denKunstrezipienten richtet sich natürtende Geist.“ lich in erster Linie andenLaien, aber er ist auch dererste Schritt desprofessionellen Kunstbetrachters. Der zweite Schritt, undden mußder Kunstwissenschaftler schon vollziehen, ist, daßauf das intensive Seherlebnis die reflexive Tätigkeit des Interpreten einsetzt. Ichdenke, daßes indemhier behandelten Kontext wichtig und grundlegend ist, ganz klar zwischen einer wissenschaftlichen undeiner außerwissenschaftlichen odernichtwissenschaftlichen Kunsterfahrung zuunterscheiden, wie dasHeinrich Lützeler treffend getan hat.340 Jedem Menschen sei unbenommen, wie

336 Konrad Fiedler: Schriften zur Kunst. Text nach derAusgabe München 1913/14 mit weiteren Texten ausZeitschriften unddemNachlaß, einer einleitenden Abhandlung undeiner Bibliographie, hrsg. vonGottfried Boehm, 2 Bde., 2. Aufl. München 1991. (= Fiedler: Schriften). 337 Gehlen: Zeit-Bilder, S. 61. 338 Wassily Kandinsky: Ueber Kunstverstehen, in: Der Sturm. Wochenschrift für Kultur unddie 158. (= Kandinsky: Ueber KunstversteKünste, 3. Jg., Berlin Oktober 1912, Nr. 129, S. 157– hen).

339 Ebenda, S. 158. 340 Lützeler: Kunsterfahrung undKunstwissenschaft. Siehe dazu Lorenz Dittmann: „Eigenarten außerwissenschaftlicher Kunsterfahrung sind nunvorallem der Wille zur Vergegenwärtigung desKunstwerks undderintensive Bezug auf dasbetrachtende Subjekt. Jeder zeitliche Abstand soll aufgehoben werden, das Werk soll unmittelbarer Partner der Emotionen des Subjekts werden, es soll Antwort geben auf seine Daseinsproblematik. Gegenwärtig setzen des Kunstwerks, Durchbruch zur unmittelbaren Wirkung sind aber nun auch Forderungen, die jeder wissenschaftlichen Kunsterfahrung, will sie überhaupt noch Erfahrung von Kunst bleiben, gestellt sind. Eigenarten außerwissenschaftlicher Kunsterfahrung ragen mithin in die wissen-

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Teil II

er privat mit Kunstwerken umgeht, ob er sie „nur“genießend anschaut, sich der Augenlust hingibt, oderober sicheindringlicher miteinzelnen Werken beschäftigt, d.h. ober z.B. einBild aufdie Strukturierung derbildnerischen Elementarmittel hin analysiert unddies in Relation setzt zurBiographie desKünstlers unddemhistorischen undsoziologischen Kontext, undoberbereit ist, dieSchriften undGedanken , all dies ist derfreien Entscheidung jedes des Künstlers in sich aufzunehmen – einzelnen anheim gestellt. Wenn ich aber vorgebe, mich „ wissenschaftlich“mit Kunst zubeschäftigen, danngebietet es die intellektuelle Redlichkeit, alle Aspekte bei derBeurteilung undBearbeitung eines Kunstwerkes gebührend zuberücksichtigen undsich vorschneller Verurteilungen zu enthalten, die in der Regel auf der Unkenntnis desgeistigen undmateriellen Kontextes beruhen. Daßbei dengenannten Aspekten die Kenntnisnahme der Künstlertheorien eine primäre Stellung einnimmt, ist daszubewältigende Desiderat. Wenn mit Reimer Jochims die „ Mittel der Kunst“im „Sehen, Denken und Realisieren“festgemacht werden können, dannerfordert dies zumindest vom„wissenschaftlichen“Rezipienten „visuelle Offenheit, Reflexionsbereitschaft, Geduld, . Verlangen nach Erkenntnis undFreiheit undBereitschaft zuvernünftiger Praxis“

Denn für Jochims ist Kunst „durch unddurch kommunikativ, d.h. auf Verstehbarkeit, Sinn, Nachvollzug hin angelegt. Das heißt nicht, daß sie leicht verständlich .341 Kandinsky hat diesen Sachverhalt mit dem Bonmot beschrieben:“B ilderist“ 342Die geistige, reflexive malen ist nicht schwer, verstanden werden aber sehr.“ Tätigkeit desdemKunstwerk adäquaten Rezipienten ist conditio sine quanonjeder aufrichtigen Kunstbetrachtung. Sind Sehen undDenken undRealisieren die Mittel der Kunst, so muß in Analogie dazu der Rezipient auch Sehen und Denken, wohingegen das Realisieren ihm verwehrt ist. An die Stelle der Realisation tritt beim Kunstrezipienten die Interpretation –derNachvollzug desFreiheitserlebnis, die, wenn sie gelungen ist, eine Synthese ausSehen undDenken darstellt. ses – Wie Reimar Jochims, der mit einer Arbeit „ Der Begriff der Erkenntnis in der Kunsttheorie Konrad Fiedlers“promovierte,343 so bezieht sich auch Gehlen auf Fiedler, um die Verquickung von Sehen und Denken, Theorie und Praxis im Verhalten des Künstlers zuerläutern. Dieses sei „weder praktisch noch eigentlich , sondern besteht „ in einer Aktivität eigener Art ..., die sich vomAuge theoretisch“ . Der Betrachter solle versuchen, sein Augenmerk und her in die Hand fortsetzt“ sein Nachdenken weniger aufdenikonographisch bestimmbaren Gegenstand eines , um Intelligenz des Auges“ Kunstwerks zu richten, sondern auf diese besondere „ die „innere Bildrationalität“zuerfassen. FürGehlen hatte Fiedler „Kontakt mitder nicht begrifflichen Intellektualität des Auges, mit dem was Herbert Read (The philosophy of modern art, p. 157) die ‚nicht-diskursive, imaginative Vernunft‘ nannte: Dies ist die wortunfähige Vernunft, die im optischen System selbst am schaftliche hinein, müssen indieser aufgewahrt bleiben trotz Rücksichtnahme aufanscheinend gegensätzliche Forderungen: begriffliche Formung und Betrachtung des Zeitenabstandes.“ Kunstwissenschaft, S. 100, 101. 341 Jochims: Visuelle Identität, S. 107, 115. 342 Kandinsky zitiert nach Grohmann: Künstler schreiben, S. 55. 343 Diss. München 1968.

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Werke ist ...“.344Es ist dasAnliegen Gehlens, aufdiese „ inneroptische Intelligenz“ und „nichtdiskursive Vernunft“in der modernen Kunst als ein ihr wesentlicher Bestandteil aufmerksam zu machen. Die imaginative Vernunft ist eine besondere Art der Vernunft, weil sie auf der Phantasie, derbesonderen Einbildungskraft des Künstlers beruht. Undsie findet ihren Niederschlag natürlich auch in denTheorien derKünstler. In diesem Sinne kann Gehlen sagen: „Alle moderne Kunst ist Refle, waser allerdings unglücklicherweise xionskunst ...“oder„peinture conceptuelle“ mit „Begriffskunst undbegriffene Kunst“synonym setzt, so daßfälschlicherweise der Eindruck entstehen könnte, als ließe sich Kunst in Begriffe fassen. Worauf Gehlen aber hinaus will, ist derNachweis, „ wie hochintellektuell alle die großen künstlerischen Erfindungen der letzten Jahrzehnte waren, der Kubismus ..., die gehört die .345 Bei Klee undKandinsky „ Konzeptionen von Klee undKandinsky“ systematische theoretische Reflexion unmittelbar in denProzeß derBildentstehung hinein, sie ist in keinem Sinne sekundär undkeine nachherige Zutat; derBegriff ist nicht überwachend undleitend allein, er sitzt imNervdermalerischen Konzeption, dietrennende Unterscheidung von‚Vision‘und‚Rationalität‘wirdfalsch, weil die Reflexion, und zwar in ihrer begrifflichen, systematischen Form, bereits als Be346Theorie undPraxis, Ratio standteil des schöpferischen Prozesses zugelten hat.“ undIntuition, Denken undBilden –genauer: bildnerisches Denken unddenkerisches Bilden sind eng miteinander verzahnt; sie gewaltsam auseinanderdividieren zuwollen, ist ein vonaußen vorgenommener AktderWillkür. Intuition und Ratio bestimmen aber nicht nur das Verhalten des Künstlers, sondern auch dasjenige desBetrachters. Andieser Stelle ist es notwendig, aneiner imBilde These Gehlens Kritik zu üben. Es handelt sich umdie Behauptung, daß„ allein ... sein Sinn, die Legitimierung seines Soseins, nicht mehr auffindbar“sei, unddaß „dieser Sinn ... sich in denProzeß seines Entstehens ..., in die ErfahrunDie ausdemBilde gen, Reflexionen undTheorien desKünstlers“zurückzog. Und: „ dem Bild als neben sich etablierte nicht mehr eindeutig ablesbare Bedeutung Die These, demBilde aus sich daß der Sinn Bedeutung oder die ... “ Kommentar .347 zurückgezogen habe, ist zu widerlegen. Wenn nämlich das Bild selbst nicht mehr Träger von Sinn ist, ist es letztlich überflüssig und nichtig. Aber auch in der modernen Kunst bleibt demKunstwerk ein Sinngehalt immer inhärent. Es ist nur die Frage, welcher undwie er freigelegt werden kann undwelche Hilfsmittel es , obin Werkes“ hierzu gibt. DerSinn liegt immer in deranschaulichen Gestalt des„ der abstrakten Malerei eines Kandinsky oder in einer Fluxus-Demonstration von Beuys. Der Sinn in der Malerei wird visuell transportiert über die Sprache der bildnerischen Elementarmittel, die einen eigenen komplexen Kosmos ausbilden, der immer sinnträchtig ist. Wenn Kandinsky betont, daß in der Kunst „alles und ganz besonders imAnfang Gefühlssache“sei348, dasheißt also, daßeine Form der

344 345 346 347 348

Gehlen: Zeit-Bilder, S. 61, 62. Ebenda, S. 17, 56. Ebenda, S. 74. Ebenda, S. 53, 54. Kandinsky: Über dasGeistige,

S. 84.

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Teil II

Intuition eine wesentliche Rolle beim Schaffen desWerkes spielt, so gilt Analoges auch für die Interpretation unddenNachvollzug des Kunstbetrachters. Intuitiv hat er einen Sinnzugang zum Werk (und Text) des Künstlers, wenn er sich einer gründlichen Anschauung des Bildes aussetzt. Natürlich kann dieser Zugang nicht immer sofort rational begründet werden, meistens folgt die theoretische Begründung auf die Praxis des Erlebens. So zeigt sich, daßdie Methode –als Weg des Prozedierens –der Interpretation sich nach der Eigentümlichkeit des Werkes zu richten hatundnicht umgekehrt. Derintuitive Zugang zumWerk aber mußerweitert werden umdenrationalen, wirdderAnspruch aufWissenschaft gestellt. Derintuitive Zugang zumWerk eines Künstlers erweitert sich mit der Bereitschaft, die Bild-Sprache eines Künstlers zu 349ausgelernen. Kandinsky hatin seiner Malerei eine eigene „ Sprache desAuges“ bildet. Das ist eine konkrete Sprache, deren Satzglieder die bildnerischen ElemenBildsprache“1910 neu unddeswegen unverständlich tarmittel sind. Weil diese „ war, hatsich Kandinsky in seinen Schriften bemüht, eine Lernhilfe zumVerständnisdieser Sprache anzubieten. Die Kapitel „Wirkung derFarbe“und„Formen- und Über das Geistige in der Kunst“sowie seine Abhandlung Farbensprache“in „ „ Punkt und Linie zu Fläche“sind gleichsam die Mal-Grammatik seiner BildSprache. Studiert mansorgfältig diese Schriften, gehen einem imwörtlichen Sinne die Augen auf, undauf die sinnliche Anschauung (intuitiver Zugang) kann eine sinnvolle Reflexion (rationaler Zugang) folgen. Soll eine Sprache richtig gelernt werden, mußdie Grammatik bekannt sein. Auch Picasso hat sich des Bildes der Der Sprache bedient, umdie Problematik einer neuen Kunstform zu erläutern: „ Kubismus unterscheidet sich vonkeiner anderen Schule derMalerei. Allen sind die gleichen Prinzipien unddie gleichen Elemente gemeinsam. Die Tatsache, daßder Kubismus lange Zeit nicht verstanden wurde unddaßes nochheute Menschen gibt, die nichts darin sehen, bedeutet gar nichts. Ich kann nicht Englisch lesen, undfür mich besteht ein englisches Buch ausleeren Blättern. Dasbedeutet aber nicht, daß die englische Sprache nicht existiert, undwarum sollte ichjemand anders als mir selbst die Schuld geben, wenn ich etwas nicht verstehen kann, wovon ich nichts 350Also selbst dererklärte Antitheoretiker Picasso, vondemderAusspruch weiß?“ Jede Unterhaltung mitdemPiloten ist streng verboten!“351, gesteht überliefert ist: „ zu, wenn auch indirekt, daßzumhinreichenden Verständnis einer Kunstsprache es notwendig ist, sie zulernen, es also derreflexiven Arbeit bedarf. Picasso deutet hier auf eines der größten und folgenreichsten Mißverständnisse und Vorurteile in Sachen Kunst hin, nämlich die weitverbreitete Vorstellung, Kunst müsse immer leicht zukonsumieren sein –sie darf mental nicht anstrengen undsie darf physisch Der Schmerz des Menschen ist nicht schmerzen. Dagegen argumentierte Beuys: „ doch in der Erkenntnis zu definieren, und damit man in der Erkenntnis weiterkommt, bedarf es eines dauernden Schmerzes.“352

349 350 351 352

Siehe Paul Overy: Kandinsky. Die Sprache desAuges, Köln 1970. (= Overy: Kandinsky). Picasso: Wort undBekenntnis, S. 11. Ebenda, S. 100. Beuys: Unadiscusione, S. 113.

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Ist Kunst nicht sofort jedermann eingängig, gilt sie als unverständlich. So ist auch Gehlen zu korrigieren, wenn er zu Kandinsky feststellt: „Seine Bilder sind Selbstgespräche

in einer Sondersprache,

deren durchanalysierte Chiffren Klänge

undGefühle bedeuten, die nurihmevident sein konnten. ... Jemand erfindet eine Sprache, allein für sich, die ihmso logisch undklar vorkommt, daßer anfängt, in ihrMitteilungen zumachen: Die anderen verstehen kein Wort, aber manche fühlen sich aufs tiefste ergriffen, weil sie hoffen, das Mysterium möge endlich sinnlich 353 Dem ist entgegenzuhalten, daß das „Mysterium“ja wahrnehmbar werden.“ gerade in derAnschaulichkeit derBilder sinnlich erfahrbar ist unddaßdeswegen ja auch einige intuitiv tief ergriffen sind, nicht weil sie hoffen, sondern weil sie wahrnehmen, wenn auch nicht restlos! Nur weil die Sprache nicht unmittelbar einleuchtet, ist sie deshalb noch lange nicht eine subjektivistische Sondersprache. Die Bildsprache Kandinskys ist eine sehr konkrete Sprache, die verständlich wird, vorausgesetzt, derBetrachter bemüht sich, sie lesen zulernen –also ganz imSinne Picassos. Dieses Lesenlernen nunkann auf zwei verschiedenen Wegen erfolgen, die aber beide zueinem Ziel führen, zumWesen undGehalt deseinzelnen Werkes. Der erste undwichtigste Weg ist der der gründlichen Analyse der anschaulichen Gestalt des Bildes nach den Dimensionen von Punkt, Linie, Hell-Dunkel, Farbe, Fläche, Raum, Zeit, Figur, Grund, Konfiguration, Komposition, Rhythmik, Metrik, Bewegung, Ruhe, Harmonie undDisharmonie. Derzweite Weg ist derder Kenntnisnahme der Gedanken des Künstlers undaller sonst verfügbaren Quellen. Daß dieser zweite Weg bei denkstarken Künstlern wie Kandinsky, Klee und Beuys besonders effizient ist, liegt inderNatur derSache. Aberderzweite Wegmacht den ersten nicht überflüssig, imGegenteil, soll er zurSynthese dergelungenen Interpretation führen, mußer auf demersten Weg aufbauen undzu ihm parallel laufen. Gehlen läßt aber als Soziologe den ersten Weg weitgehend außer Betracht und eigene Kommentakommt deshalb zuderSchlußfolgerung, daßohne Kandinskys „ re die Bilder überhaupt schlechtweg unverständlich sind“.354In dieser Ausschließlichkeit ist die These Gehlens sicher nicht haltbar, er selber relativiert sie auch an anderen Stellen seines Buches.355 Weil die Malerei optisch wirkt, seien die großen Werke „ aufjedem Niveau des geistigen Anspruchs ergiebig –eine erstaunliche . „Die Eigenschaft, die die bildende Kunst wohl nur noch mit der Religion teilt“ Behauptung, man könne sich eine solche Kunst“(Klee, Kandinsky, Kubismus) „ auch ohne Kenntnis der Theorie, mit der sie innerlich zusammenhängt, ‚rein künstlerisch‘ aneignen, ist durchaus nicht falsch, denn Kunst ist aufjedem Niveau ergiebig, so wie die Natur. Die Liebe zu Blumen ersetzt nicht die Botanik, man 356 kann beides haben, es kommt also auf eine Frage der Genügsamkeit heraus.“ Richtig andieser etwas polemisch formulierten Überlegung Gehlens ist, daß, wenn manKunstgeschichte mitwissenschaftlichem Anspruch betreibt, mansich nicht an Gadamer halten kann, dergefordert hat, mansolle die Selbstinterpretationen nicht 353 354 355 356

Gehlen: Zeit-Bilder, S. 121. Ebenda, S. 119. So bei derBeschäftigung mit Konrad Fiedler, siehe oben. Gehlen: Zeit-Bilder, S. 55, 97.

Teil II

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zu ernst nehmen. Denn dies ist eine Verkennung der Relevanz der Künstlertheorien. Fürdie Kunstwissenschaft ist, wie Gehlen zuRecht betont, „ ein authentischer Kommentar selbst Quelle ersten Ranges, besonders seit demAuftreten einer peinture conceptuelle hat sie ihnnicht zu ‚interpretieren‘, denn es gibt keinen Ort, von demaussie daskönnte. Vielmehr wäre es wichtig, zuzeigen, anwelcher Stelle die subjektive Phantasie desKünstlers unddieEigenreaktion desBildes diejeweiligen 357 Prinzipien sozusagen überfluten.“ Ernst Strauss hat in Aufsätzen über Delacroix, Cézanne, Klee undGris genau dieses Verhältnis von gedanklicher Reflexion undanschaulicher Werkgestaltung untersucht undaufgezeigt, inwieweit Theorie undBildgestalt übereinstimmen oder divergieren. Es ist die Strauss’sche Methode, die Künstlertheorien „ auf ihren Aussagewert hin“ und„hinsichtlich ihrer Verwirklichung in der künstlerischen Praxis desMalers“zuuntersuchen.358 Dabei gelangt Strauss zufundierten Erkenntnissen über dieFarb- undLicht/Dunkelgestaltung inderMalerei undes bewahrheitet sich, daß die Kunstgeschichte weder einen Grund noch einen Ort hat, wie Gehlen argwöhnt, vondemaus sie die Künstlertheorien nach Belieben „umdeuten“(Gehlen setzt „interpretieren“in Anführungszeichen) kann, indem sie sie historisch zu relativieren undnivellieren versucht. Ausdenbisherigen Überlegungen wird evident, daßdasVerhältnis vonTheorie undWerk, von gedanklicher Reflexion undmalerischer Praxis, von Intuition und Ratio, nur behutsam und mit großen Differenzierungen angegangen werden kann und daß alle pauschalen Urteile, ob pro oder contra Künstlertheorie, dem komplexen Sachverhalt nicht gerecht werden. Vor allem zeigt sich, undwird sich noch deutlicher zeigen, daßdie Künstler selbst die Problematik ungleich differenzierter behandeln als so manche Kunsthistoriker oder Philosophen. Deshalb kann vonderSinnesschärfe derKünstler die Kunstwissenschaft, wieLützeler erkannte, „ Sinnesschärfe“nicht nureine besonders ausgeprägte .359 Wobei ich unter „ lernen“ Beobachtungsgabe im optischen Bereich, sondern auch im geistig-intellektuellen Bereich verstanden wissen will. Gadamer hat in seiner Rezension von Gehlens Buch diesem die Vorhaltung gemacht, er sei „gönnerhaft“360, wenn er sage, es sei , ob mandie Künstlertheorien zurKenntnis nimmt „ eine Frage der Genügsamkeit“ oder nicht. Gehlen deutet mit diesem Satz auf ein grundlegendes Problem hin: begnüge ich mich damit, in der Kunst nureinen nichtreflexiven, also bloß sinnlichen Genuß zusuchen, oder stelle ich mich denhohen intellektuellen Anforderungen einer reflexiv fundierten Kunst undversuche, dembildnerischen Denken des Künstlers, seinen Denkwegen, zufolgen. Dajedoch unsere Intelligenz, wie EberhardRoters treffend bemerkte, infolge unserer Erziehung einseitig ineinem diskurfällt es allerdings den meisten Zeitgenossen schwer, siven Denken geschult ist, „ künstlerisches Denken nachzuvollziehen“.361Dies liegt daran, daßsich dasbildne357 Ebenda, S. 97.

358 Siehe Strauss: Koloritgeschichtliche Untersuchungen, S. 164. 359 Lützeler: Kunsterfahrung undKunstwissenschaft, S. 445. Lützeler 360 361

widmet den3. Teil seines , S. 383–479. Werkes denSchriften der Künstler unter demTitel „Künstler über Kunst“ Gadamer: Begriffene Malerei?, in: Kleine Schriften II, S. 221. So schreibt Roters in seiner Einleitung zudeminformativen Ausstellungskatalog derZweiten

5. DasBildnerische Denken als integrierender Bestandteil derKunst

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rische Denken des Künstlers vondemüblichen wissenschaftlichen Denken grundsätzlich unterscheidet. Daher gilt es, wie Roters feststellt, unbedingt „ zu berücksichtigen, daß Künstler-Theorie etwas anderes als Kunst-Theorie ist, unddaß der Theorie-Begriff, gemessen an den Formulierungen von Ideengängen bildender Künstler, anders alsjener derwissenschaftlichen Methodik auszulegen ist. So sehr sich bildende Künstler zuweilen an denModellen undResultaten wissenschaftlichen Vorgehens orientieren mögen, so handelt es sich dabei doch niemals umeine funktionelle Integration, sondern stets umEntsprechungen undParallelspiegelungen, die sich in Form von Metaphern, Paraphrasen, etc. in einem grundsätzlich anders strukturierten Bereich menschlicher Erkenntnisformen abspielen. Die wissenschaftliche Denkweise ist –mit Ausnahmen –in erster Linie die einer homologen Deduktion; die künstlerische Denkweise arbeitet dagegen immer mitAnalogien. Dasheißt nicht, daßdaskünstlerische Denken keine Methode hat, sondern, daß sich die Methodik künstlerischen Denkens von der wissenschaftlichen Denkens prinzipiell unterscheidet. ... Die Basis wissenschaftlicher Methodik ist die Frage nach Ursache undWirkung, die durch Herstellung einer Folge kausaler Deduktionenlogisch beantwortet wird. DieMethodik künstlerischen Denkens hingegen geht vomAnalogievergleich der Erscheinungsformen, ihrer Ähnlichkeit undihrer Diskrepanz aus, die auf unsere Sinne, auf unsere Wahrnehmung, unser Empfinden, unsere Einbildung undunsere phänomenologisch gestimmte Sensibilität einwirken, undzieht daraus ihre gestalterischen Konsequenzen. Die Methode künstlerischen Denkens oder, wie Paul Klee sagt, des ‚bildnerischen Denkens‘, geht deshalb aus einer bewußten Form ganzheitlicher Wirklichkeitserfassung hervor, die Goethe ‚Anschauende Urteilskraft‘ genannt hat. Das Denken in Analogien anstelle des kausalen Denkens bedeutet daher nicht Irrationalität, sondern es enthält eine andere Art von Vernunft.“Das künstlerische Denken muß also nicht logisch sein im gewöhnlichen mathematischen Sinne, daßzumBeispiel 2+2=4 ist, sondern es kann auch 5 dabei herauskommen, also etwas Neues, noch nie Dagewesenes. Dies giltja nicht nurfürdie denkerische Leistung desKünstlers, sondern gerade auch fürseine werkschöpfende Produktion. Um die „andere Art von Vernunft“zu erläutern, zitiert Roters Sol LeWitt: „Konzeptuelle Kunst ist nicht unbedingt logisch. Die Logik einer Arbeit oder einer Serie von Arbeiten ist ein Kunstgriff, derzeitweilig nurangewandt wird, umsich selbst zugrunde zurichten. Logik kann dazubenutzt werden, die wirkliche Absicht des Künstlers zu tarnen, den Betrachter in dem Glauben zu wiegen, daß er die Arbeit verstünde, oder eine paradoxe Situation heraufzubeschwören (wie z.B. Logik gegen Unlogik).“Laut Roters spricht dieser Satz des Konzept-Künstlers Sol LeWitt „sehr deutlich dengegenwärtigen Standort künstlerischen Denkens aus; er ist nichts anderes als eine Quintessenz dermehr oder weniger verhüllt erscheinenden, aber demkünstlerischen Denken seitjeher eigenen autarken Praxis.“362

. Künstler-Theorie-Werk. WasdieSchönheit sei, dasweiß ichnicht“ Biennale Nürnberg 1971: „ Hrsg. vonderKunsthalle Nürnberg, Köln 1971, S. 15. (= Katalog Nürnberg: Künstler-TheorieWerk).

362 Ebenda, S. 15.

Teil II

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Roters vertritt hier eine antipodische Position zuGadamer, derja daskünstlerische Denken gerade als fremdbestimmt „durch herrschende Doktrinen“charakterisiert hatte.363 Es mußhier festgehalten werden, so unleugbar bedeutsam Gadamers Buch „Wahrheit undMethode“364für Kunstgeschichte undÄsthetik ist, weil es der Kunst eine eigene Dimension derWahrheitseröffnung zuerkennt, so ist er fehlgegangen inderWertung derKünstlertheorien, weil erdieautarke Praxis desbildnerischen Denkens verkennt, wie sie Roters eben beschrieben hat. Roters undseine Mitarbeiter hatten sich mit der Ausstellungskonzeption: „ Was die Schönheit sei, das weiß ich nicht. Künstler-Theorie-Werk“, das Ziel gesetzt „ die Einsicht dafür zu

wecken, daßein Irrtum der weitverbreiteten Meinung zugrunde liegt, die Hinterfür die Entstehung vonKunst“ , wozu natürlich maßgeblich die Künstlerreseien leichter zurezipieren als beispielsweise die Zusammenflexionen gehören, „ hänge zwischen Quantenmechanik undWellenmechanik –zweier wissenschaftlicher Untersuchungsgebiete übrigens, die, wenn dasüberhaupt aufein Gebiet wissenschaftlichen Denkens zutrifft, vielleicht demkünstlerischen Denken am nächsten kommen. Dasklingt zwarungeheuer hochgestochen, aber soist es nuneinmal. Dassoll außerdem kein Schreckschuß sein, sondern eine Aufforderung analle, die glauben, sich für Kunst zu interessieren, sich mit Kunst auch in einer Weise auseinanderzusetzen, wie es ihr Interesse, falls es nicht nur ein vorgebliches ist,

gründe

365 erfordert.“

Roters weist mit dieser Schlußbemerkung darauf hin, daßdie moderne Kunst, aber nicht nurdiese, ein hohes Maßintellektueller Potenz vomRezipienten fordert, soll ihre dichte, geistige Komplexität erkannt werden. Dasbildnerische Denken von Gallionsfiguren“dieser Arbeit zu Kandinsky, Klee und Beuys –um nur die „ nennen, es gilt fürviele –ist ein integrierender Bestandteil ihrer Werke, weil es mit

diesen in einer ständigen Wechselbeziehung steht. Daraus folgt fürdenInterpreten, daß er Werke und Theorie des Künstlers auch immer wechselseitig aufeinander beziehen muß. Die Reflexionen der Künstler, ihre Theorien im weitesten Sinne, , wie sie Panofsky beschrieben hat: sind ein besonderer Fall jener „Dokumente“ „ Beobachtet der Naturwissenschaftler ein Phänomen, verwendet er Instrumente, dieihrerseits denjenigen Gesetzen derNatur unterworfen sind, dieer erkunden will. Prüft der Geisteswissenschaftler ein Zeugnis, verwendet er Dokumente, die ihrerseits im Verlauf des Prozesses entstanden, den er untersuchen will.“Unddabei die Dokumente, die die Denkmäler erklären sollten, ... ebenso rätselhaft können „ (sein) wiedie Denkmäler selbst. ... UndwaseinKünstler über seine eigenen Werke geäußert hat, ist stets im Licht der Werke selbst zu interpretieren. Offensichtlich sehen wirunseinem hoffnungslosen Circulus vitiosus gegenüber.“366D.h., umdie Theorien der Künstler zu verstehen, bedarf es der Kenntnis ihrer Werke und

363 Gadamer: Kunst undNachahmung, in: Kleine Schriften II, S. 17. 364 Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen 1960, 4. Aufl. 1975 (= Gadamer: Wahrheit undMethode).

365 Roters in: Katalog Nürnberg, Künstler-Theorie-Werk, S. 16. 366 Erwin Panofsky: Kunstgeschichte als geisteswissenschaftliche Disziplin, (1940) in: Sinn und Deutung in derbildenden Kunst, Köln 1978, S. 13, 15. (= Panofsky: Sinn undDeutung).

5. Das Bildnerische Denken als integrierender Bestandteil derKunst

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Im gleichen Sinn legt auch Thürlemann die Passage Panofskys aus: „ Die Bilder sind nurmitHilfe vondiesbezüglichen Texten verständlich, dieTexte nur mittels der Bilder, auf die sie sich beziehen. Mit dieser These sind aber die selbstinterpretativen Aussagen als Beispiele für ‚documents‘ innerhalb der kunst-

umgekehrt.

wissenschaftlichen Forschung grundsätzlich aufgewertet. Waren die sprachlichen Texte für Panofsky 1920 neben den Kunstwerken noch ein weiterer, möglicher Untersuchungsgegenstand, sind sie zwanzig Jahre später eine neben dem Kunstwerk gleichberechtigte Größe undihr Vorhandensein ist eine notwendige Voraussetzung

fürjede Interpretation.“367

Tritt also die Reflexion über Kunst als gleichberechtigter Partner neben das Kunstwerk und ist die theoretische Reflexion ein Bestandteil des schöpferischen Prozesses, kann voneiner „peinture conceptuelle“gesprochen werden. Gehlen, der diesen Begriff aus Kahnweilers Buch über Juan Gris von 1946 entlehnt hat, verwendet ihnin demSinne, „ daßpeinture conceptuelle eine Bildauffassung bedeuten soll, in die eine Überlegung eingegangen ist, welche erstens denSinn derMalerei, ihren Daseinsgrund gedanklich legitimiert und zweitens aus dieser bestimmten Konzeption heraus die bildeigenen Elementardaten definiert. In derersten Hinsicht handelt es sich umeine Besinnung, die letzten Endes denbeanspruchten Daseinssinn denBildes festlegt, in deranderen umeine Besinnung über die letzten kunsteigenen Ausdrucksmittel, in beiden Beziehungen also umdie Begründung einer ‚reinen‘, sich selber Gesetze gebenden Kunst inheller Bewußtheit undGedanklichkeit; so daß die ‚Daten‘ dieser Theorie ebenso in die optischen Bildelemente eingehen, wie sie auch die Bildgestaltung als ganze mitbestimmen. Die Rolle der künstlerischen Intuition und des Spiels der ästhetischen Phantasie wird damit keineswegs geleugnet, aber diese Akte spielen sich, psychologisch gesehen, überhaupt erst auf dem geistigen Niveau ab, das durch diese Überlegungen betreten wird. Das gesamte Unternehmen einer peinture conceptuelle ist selbst insofern ‚wissenschaftsförmig‘, als diePrinzipienfragen, derSystemdrang undderRückgriff aufdie‚Elemente‘schon seit Jahrhunderten innerhalb derWissenschaften durchgeführt wurden, so daß diese Bewußtseinslage selbst sich verbreitet hat undnunin 368Für Gehlen haben Kandinsky, Klee und den Künstlern mitbestimmend wird.“ sehr anspruchsvolle Unternehmen einer peinture conceptuelle“ Mondrian dieses „ betrieben und sind dabei zu „hohen Lösungen“gelangt. Wie schon zitiert waren sich sowohl Kandinsky als auch Klee darüber bewußt, haben es auch ausgesprochen, daßsie mit ihrem bildnerischen Denken über die Elementarmittel desBildes undüber das Wesen der Kunst erst denGrund für eine vernünftige KunstwissenExakte Versuche im Bereich schaft gelegt haben. So schließt Klee seinen Essay „ der Kunst“von 1928 mit der Überlegung: „Aber beruhigen wir uns, Konstruktion gilt nicht für Total. Die Tugend ist, daß wir durch die Pflege des Exakten Grund legten zur spezifischen Kunstwissenschaft, mit Einschluß der unbekannten Größe

X. AusNot Tugend.“369

367 Thürlemann: Kandinsky, S. 28. 368 Gehlen: Zeit-Bilder, S. 75. 369 Klee: Kunst-Lehre, S. 90.

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Teil II

So zeigt sich, daßsich die Künstler nicht einem bestimmten, eingeschränkten Verständnis von Wissenschaft anpassen, sondern daß sie ihrerseits der Wissenschaft neue Modelle vorgeben. Auf diesen Aspekt des bildnerischen Denkens hat auch Dietrich Mahlow in seinem Vorwort zu dem Katalog „Künstler-TheorieWerk“aufmerksam gemacht. Demkünstlerischen Denken ist „ imUnterschied zum wissenschaftlichen Denken, eine eigene Art von Phantasie zu eigen“ , es „zielt darauf hin, vonPhantasie geleitet, unser aller Bewußtsein zuverändern, zuerweitern undzubereichern. ... Künstlerische Phantasie kann eine spezifische Form des Zweifels provozieren, des Zweifels z.B. an festgefahrenen Denkgewohnheiten. Kunst kann deshalb selbst der Wissenschaft kühne Entwürfe und Hypothesen vorgeben. Sie kann damit möglichen Formen der Realität entwerfen und diese Entwürfe der Wirklichkeit des Vorhandenen vergleichend konfrontieren. Künstler sindkeine Mathematiker imwissenschaftlichen Sinne. Sie sindnicht dazuangehalten, 2 und 2 zusammenzuzählen, sie können aber aus 2 und 2 = 6 machen, d.h. Verbindungen zwischen Handlungen, Materialien undEreignissen herstellen und dadurch neue Erfahrungen hervorrufen, deren Realisation anderen als Künstlern auch nicht imTraum eingefallen wäre. Sie können undwollen, wiedieErfahrung – eben die Erfahrung, die uns die Künstler vermitteln –beweist, praktische Wirkungsergebnisse erzielen, um unsere Welt undunser eigenes Handeln zu verän370 dern, umunser Dasein menschlicher zumachen.“ Ein solches Zugeständnis an die Autonomie der Kunst undeine solche Wertschätzung der positiven Wirkungsmöglichkeit des Künstlers, seiner Werke und seines Denkens verdienen deshalb Hervorhebung, denndieallgemeine Tendenz ist eher die, daß man die Grenzen unddie Beschränktheit von Kunst undkünstlerischem Denken betont. Unddarin liegt auch das Verdienst vonGehlen, daßer den hohen Rang derintellektuellen Leistung derKünstler provokativ herausgestellt hat. Dafür hat er auch reichlich Schelte bezogen. Gehlen weist in der dritten Auflage Wir hatten gezeigt, wie alle Richtungen der seines Buches selbst darauf hin. „ modernen Kunst als ‚peinture conceptuelle‘, als Grundlagenreflexion entstanden waren. Nichts hat in diesem Buche viele der Referenten so verärgert wie diese Wahrheit, die auch noch künftig gilt. In einer durchaus manieristischen Epoche gewollt-konvulsivischer Stilproduktion gibt es keine schöpferische Unmittelbarkeit mehr, nurnoch die Reflexion derobersten Höhenlagen kannweiterhelfen, nurnoch der pictor doctus.“Als solcher „pictor doctus“galt Gehlen im besonderen Maße Paul Klee, der mit „sehr großer Überlegenheit ... vielleicht der denkendste und gebildetste aller modernen Künstler, undso gelang es ihm, die Ergebnisse einer einzigartigen analytischen, bohrenden Denk- undAnschauungskraft in Bildresultate zuübersetzen. Niemand beweist schlagender alser dieLeere undBilligkeit einer 371 Meinung, diedas‚Irrationale‘derProduktion betont. ...“

370 Dietrich Mahlow in: Katalog Nürnberg, 371 Gehlen: Zeit-Bilder, S. 220, 102.

Künstler

–Theorie –Werk, S. 10, 11.

6. Bild undErkenntnis –Bildnerisches

Denken vermehrt die Erkenntnis derWelt

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6. Bild undErkenntnis – Bildnerisches Denken vermehrt die Erkenntnis der Welt Auchdie Kunst ist dannÖkonomie. Nurist ihre Ware einspirituelles, mentales Gut, ein „ Erkenntnis- undein Fähigkeitsgut.“ Joseph Beuys372

Gehlen beruft sich für seine Konzeption einer „peinture conceptuelle“zurecht auf Paul Klee, dadieser zweifelsohne derjenige Maler des 20. Jahrhunderts ist, derim Durchdenken der sinnlichen undgeistigen Dimensionen des Bildes am weitesten gegangen ist. In seinem Vortrag „ Über die moderne Kunst“ , dener 1924 in Jena anläßlich einer Ausstellung seiner Werke gehalten hat und dem Spiller etwas Übersicht undOrientierung auf demGebiet der bildnerischen einseitig denTitel „ Mittel undihre räumliche Ordnung“gegeben hat373, legte Klee eine kompakte und straffe Zusammenfassung seines bildnerischen Denkens vor. DerTitel vonSpiller ist insofern einseitig, als er nur die formale Seite dieses Vortrages benennt. Klee kames aber gerade darauf anzuzeigen undbewußt zumachen, daßein Kunstwerk seine Wesenheit ausderPolarität vonForm undInhalt, Gestalt undGehalt, Praxis undTheorie, von „reinlicher Kunstübung“und„Weltanschauung“gewinnt. Klee sucht die Synthese der Pole, denn „ eine Verbindung von Weltanschauung und reinlicher Kunstübung“warsein Ziel. Klee vertritt also einen Totalitätsanspruch: „ Manchmal träume ich ein Werk von einer ganz großen Spannweite durch das 374Man ganze elementare, gegenständliche, inhaltliche und stilistische Gebiet.“ geht sicher nicht fehl, wennmanannimmt, daßKlee diese Wunschvorstellung nicht nuraufsein bildnerisches Werk, sondern auchaufsein theoretisches bezog, worauf auch Günther Regel hinweist, denn Klee beschäftigt sich mitdemGedanken anein .375 In seinen Weimarer Bauhaus-Jahren großes gestaltungstheoretisches Werk“ „

372 Joseph Beuys, Frans Haks: DasMuseum. EinGespräch über seine Aufgaben, Möglichkeiten, Dimensionen. Wangen 1993, S. 43. (= Beuys: Museum). 373 Klee: Bildnerisches Denken, S. 81. Klees Vortrag wurde erst nach seinem Todveröffentlicht: „ Überdiemoderne Kunst“ , Bern 1945. ZurRezeption derPublikation siehe: Hopfengart: Klee, S. 150 ff. „ DerJenaer Vortrag avancierte ... in kürzester Zeit zuderwichtigsten theoretischen Klee wurde dabei als ein fundamentaler Schrift über ‚moderne‘, also abstrakte Kunst.“Und: „ MitderVeröffentlichung desVortrags „wurde deraktuellen KunstKunsttheoretiker entdeckt.“ diskussion ein Manifest an die Hand gegeben, das Klee zumprogrammatischen Kopf der Moderne aufsteigen ließ. Mit ihmwurde aber auchderBlick auf Klees Werk verändert. Denn durch denJenaer Vortrag wurde seinen malerischen undzeichnerischen Produkten etwas andie Seite gestellt, dasderen ausgeprägte Individualität überwand, indem es sie aufverallgemeinerbare Grundsätze zurückführte. Was immer bei Klee vermißt worden war, die intersubjektive Verstehbarkeit seiner Arbeiten, schien nunvondertheoretischen Warte ausmöglich.“S. 151, 152.

374 Klee: Über diemoderne Kunst, zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, S. 84, 85. 375 Günther Regel: DerMaler undKunsttheoretiker Paul Klee als Lehrer, inKlee: Kunst-Lehre, S. , dievomAlbert Langen Verlag, 321, 322. Klee projektierte z. B. eine „Bildnerische Mechanik“ München, mehrfach in seinen Bauhausbüchern als in Vorbereitung befindlich angekündigt wurde.

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Teil II

hatte Klee „ seine künstlerische undkunsttheoretische Arbeit aufs engste mitseiner Lehrtätigkeit verflochten, so sehr sogar, daß sie einander geradezu wechselseitig 376Denkerisches Bilden undbildnerisches Denken, Intuition undRatio, bedingten.“ „ reinliche Kunstübung“und„ Weltanschauung“sollen vereinigt werden. Undes ist wichtig festzuhalten, so sehr sich Klee auchumdiegedankliche Durchdringung des Formvokabulars des Bildes bemüht hat –also um „ Linie, Helldunkeltöne und Farbe“ , die er das „elementar-formale Gebiet“nennt –,377 so war er doch alles andere alsein Formalist. Dennneben die„ Dimensionen derbildnerischen Elementarmittel wie Linie, Helldunkel undFarbe“ , mitdenen derKünstler eine „Gestalt“ konstruiert undmitdermaneinen „ Gegenstand“assoziieren kann–Klee nennt dies die „Dimension der Gestalt“oder die „Dimension des Gegenstandes“eines Bil, tritt noch „eine weitere Dimension, nach der sich die Fragen des Inhaltes des– abspielen“ .378 Wir nennen sie die Sinn-Dimension eines Bildes, Klee spricht von . Dies ist eine besonders interessante Stelle in Klees der „Dimension des Stils“ Vortrag, die wir im Wortlaut zitieren: „ Undjede Gestaltung, jede Kombination wirdihren besonderen konstruktiven Ausdruck haben, jede Gestalt ihrGesicht, ihre Physiognomie. Solche drangvolle Gebärde weist besonders deutlich nach der Dimension des Stils. Hier erwacht die Romantik in ihre besonders krasse pathetische Phase. Diese Gebärde will in Stößen vonderErde weg, die nächste erhebt sich in Wirklichkeit über sie. Sie erhebt sich über sie unter demDiktat vonSchwungkräften, welche über die Schwerkräfte triumphieren. Lasse ich endlich diese erdfeindlichen Kräfte besonders weit schwingen, bis hinzumgroßen Kreislauf, so gelange ich über den pathetisch-drangvollen Stil hinaus zu jener Romantik, die im All

379 aufgeht.“

Liest mandiese Passage, die noch in einem anderen Zusammenhang ausführlich erörtert wird, so könnte auf denersten Blick derEindruck entstehen, es gehe wie „Romantik“oder „Klassizismus“ hier Klee umeinen „ Stilbegriff“ , undwenn sich Klee auch ganz offensichtlich in einer Traditionslinie mit den Romantikern dieDimension desStils“doch noch etwas sieht, ähnlich wieBeuys380, so bedeutet „ 376 Günther Regel in: ebenda, S. 332. 377 Klee: Über diemoderne Kunst, zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, S. 74, 76. 378 Ebenda, S. 79. 379 Ebenda, S. 81. 380 ZumVerhältnis der modernen Kunst zurRomantik siehe folgende Literatur: Stelzer: Vorgeschichte der abstrakten Kunst. Klaus Lankheit: Die Frühromantik unddie Grundlagen der gegenstandslosen“Malerei, in: Neue Heidelberger Jahrbücher, Neue Folge, Heidelberg 1951, „ 90. (= Lankheit: Frühromantik). Robert Rosenblum: Die moderne Malerei und die S. 55– Tradition derRomantik: vonC.D. Friedrich zuMark Rothko, München 1981 (= Rosenblum: Tradition der Romantik). Theodora Vischer: Beuys unddie Romantik. Individuelle Ikonographie, individuelle Mythologie? Köln 1983 (= Vischer: Beuys undRomantik). Speziell zuKlee siehe denAufsatz vonJürgen Glaesemer: Paul Klee unddie deutsche Romantik, in: Katalog: 29 (= Glaesemer: Klee undRomantik). Laut Glaesemer ist es Klee, Leben undWerk, S. 13– notwendig, „ demBegriff derRomantik über seine begrenzte historische Bestimmung hinaus auch eine zeitlose Dimension (zu)zugestehen.“(S. 19) Glaesemer macht zurecht darauf aufmerksam, daßes völlig sinnlos ist, ‚jemandem eine Vorstellung vonWesen undBedeutung der Romantik geben zu wollen, der nicht auch bereit ist, sich auf Bereiche der Wahrnehmung

6. Bild undErkenntnis –Bildnerisches

Denken vermehrt dieErkenntnis derWelt

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anderes undtieferes. Dennhier mußdavon ausgegangen werden, daßsich Klee auf Goethes bekannten Essay von 1789 „ Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil“ist für Goethe ein Ausdruck, „ Stil“bezogen hat. „ umdenhöchsten Grad zu bezeichnen, welchen die Kunst je erreicht hatundje erreichen kann“ . „Gelangt die Kunst durch Nachahmung derNatur, durch Bemühung, sich eine allgemeine Sprache zu machen, durch genaues undtiefes Studium der Gegenstände selbst endlich dahin, daßsie dieEigenschaften derDinge unddieArt, wiesie bestehen, genau und immer genauer kennen lernt, daß sie die Reihe der Gestalten übersieht unddie verschiedenen charakteristischen Formen nebeneinander zu stellen undnachzuahmenweiß, dann wirdderStil derhöchste Grad, wohin sie gelangen kann; derGrad, wo sie sich den höchsten menschlichen Bemühungen gleichstellen darf.“Denn für Goethe „ruht derStil auf dentiefsten Grundfesten derErkenntnis, auf demWesen der Dinge, insofern uns erlaubt ist, es in sichtbaren undgreiflichen Gestalten zu 381 erkennen.“ Daßdie Kunst derhöchsten Stufe immer mitderErkenntnis imBunde steht, ist die zentrale Aussage Goethes. Bedeutsam ist die Herleitung dieser These, denn sie stimmt mitdemProcedere Klees undseiner Zielsetzung überein. DaßderKünstler durch intensives Studium derNatur unddurch die Ausbildung einer bildnerischen Sprache, mit derer dasoptisch undgeistig Wahrgenommene visuell umsetzen und zumWesen derDinge vordringen kann, wargenau Klees künstlerisches Programm, wieeres in seinem Aufsatz „Wege desNaturstudiums“von1923 dargelegt hat. Wir werden im Zusammenhang mit der Kategorie „Natur“noch eindringlich diese Abhandlung erörtern undweisen hier nurdarauf hin, daß Klee, derja seine Bilder und sein bildnerisches Denken als „eine kleine Reise ins Land der besseren Eroptischen Außenseite“der kenntnis“verstanden hat,382 sich nicht mehr mit der „ Totalisierung“des natürlichen Gegenstände zufrieden geben konnte, sondern eine „ Der Gegenstand erweitert sich über seine natürlichen Gegenstandes anstrebte. „ Erscheinung hinaus durch unser Wissen umsein Inneres. Durch das Wissen, daß 383Klee erstrebt eine das Ding mehr ist, als seine Außenseite zu erkennen gibt.“ , die eine Kunst ermöglicht, Synthese von äußerem Sehen undinnerem Schauen“ „ die auch „unoptische Eindrücke und Vorstellungen“sichtbar machen kann.384 Totalisierung“des Natur-Dinges, wie Klee sie auch in seiner erklärenden Diese „ Wege des Naturstudiums“veranschaulicht hat (siehe Abb. 5), die Zeichnung zu „ dasEingebundensein vonMensch undGegenstand in einen Kosmos illustriert, ist . In den im All aufgeht“ gemeint, wenn Klee vonjener „ Romantik“spricht, die „ rotierenden Punkten undKreisen seines Makrokosmos-Mikrokosmos-Modells (siehe

. (S. 13, 14) einzulassen, diedieGrenzen desausschließlich rational Erfaßbaren übersteigen ...“ Mit der Rezeption eines romantischen Malers in der Kunst derModerne beschäftigt sich der Aufsatz vonJörg Traeger: Das Ideale unddasReale. Philipp Otto Runges Bedeutung für die 370. Kunst des 20. Jahrhunderts, in: Festschrift Lützeler, S. 359– 381 Goethe Werke, Bd. 6, S. 254. 382 Klee: Schöpferische Konfession, zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, S. 61. 383 Klee: Wege desNaturstudiums, ebenda, S. 68. 384 Ebenda, S. 69, 67.

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Abb. 5) veranschaulicht Klee auchjene „Schwungkräfte, welche über die Schwer385 kräfte triumphieren. ... bis hinzumgroßen Kreislauf... .“ Mit „Romantik“meint Klee also weniger einen spezifischen historischen Stil-

begriff, sondern erspielt damit aufeinen universalistischen Erkenntnisanspruch an, derdasUniversum alseine Ganzheit verstehen will unddaseinzelne Naturding von dieser übergeordneten Ganzheit herzuerklären versucht. In dieser Geisteshaltung oder Denkform des Universalismus liegt ein Aspekt von Klees „Romantik“ . Er romantisches“Gedankengut; so in seinem Artikel beruft sich auch ganz direkt auf„ „ Exakte Versuche im Bereich der Kunst“von 1928, in dem er auf die neue Bauhaus-Politik vonHannes Meyer reagierte, unter dessen Direktionszeit (1928– nurnoch als notwendiges Übel“angesehen wurden, wie Oskar 1930) die Maler „ Schlemmer sich beklagte.386 Klee hält hier bewußt ander„romantischen“Idee des Genies fest. „ Genie ist Genie, ist Begnadung, ist ohne Anfang und Ende. Ist Zeugung. Genie schult mannicht, weil es nicht Norm ist, weil es Sonderfall ist. (Es ist unerwartet.) Mit demunerwarteten ist schwer zu rechnen. Unddoch ist es als Führer in Person immer weit vorne dran. Es sprengt voran ingleicher Richtung oder in anderer Richtung. Vielleicht ist es heute schon in einer Gegend, an die man wenig denkt. Denn Genie ist zumDogma oftmals Ketzer. Hatkein Prinzip außer sich selber. Die Schule schweige über denBegriff Genie mit bewußtem Seitenblick, mit taktvollem Respekt. Sie wahre ihn als Geheimnis in verschlossenem Raum. Sie wahre ein Geheimnis, das, aus seiner Latenz heraustretend, vielleicht unlogisch und töricht fragen würde. Das gäbe Revolution. Fassungslosigkeit aus Überraschung. Entrüstung undVerbannung: Vollsynthetiker hinaus! Hinaus Totalisator! Wir(die allzu analytischen,) sinddagegen! Unddanndiehagelnden Schimpfworte: Romantik! Kosmik! Mystik! Ja man müßte am Ende einen Philosophen berufen, einen Magier! ... Manmüßte Kolleg halten an Feiertagen, außerhalb des Schulkomplexes. Draußen unter Bäumen, bei Tieren, anStrömen. Oder aufBergen im Meer.“387

In dieser Streitschrift Klees zeigt sich deutlich, daßer denBegriff „Romantik“ auch bewußt provokativ einsetzt, gleichsam als Gegenmodell zueinem einseitigen Romantik“steht also auch füreine technischen, funktional-konstruktiven Denken. „ , Weltanschauung“ bestimmte, demZeitgeist zuwiderlaufende Geisteshaltung oder„ Naturstudiums “ des Wege „ von der Klee öfter spricht. Am Ende seines Essays Zwiesprache mitdemnatürlichen Gegenfordert er vonseinen Studenten, daßihre „ Sein Wachstum in derNaturanschauung stand“einen hohen Grad erreichen soll. „ undBetrachtung befähigt ihn, je mehr er zur Weltanschauung empordringt, zur freien Gestaltung abstrakter Gebilde, die über das Gewollt-Schematische hinaus eine neue Natürlichkeit, dieNatürlichkeit desWerkes, erlangen. Er schafft dannein Werk, oder er beteiligt sich am Erschaffen von Werken, die ein Gleichnis zum 388Hinter diesen Überlegungen Klees steht letztlich die Idee Werke Gottes sind.“ 385 386 387 388

Klee: Über die moderne Kunst, zitiert nach ebenda, S. 81. Schlemmer zitiert nach Klee: Schriften, S. 178. Klee: Kunst-Lehre, S. 89. Ebenda. S. 70.

6. Bild undErkenntnis –Bildnerisches

Denken vermehrt die Erkenntnis derWelt

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Kants, daßder Künstler als „ Genie ein Günstling derNatur ist“ und„Genie ist die angeborene Gemütslage (ingenium), durch welche die Natur der Kunst die Regel 389 gibt.“ Klee betont, Naturanschauung allein genügt nicht zumSchaffen eines Kunstwerkes, der Künstler muß zur „ Weltanschauung“empordringen, d.h. er bedarf einer gedanklichen Konzeption überdenZusammenhang derWelt. Klee: „ Wirsind Bildner, werktätige Praktiker, undwerden unshier daher naturgemäß aufvorzugsweise formalem Gebiet bewegen. Ohne darüber zuvergessen, dass vordemformalen Anfang oder einfacher vor demersten Strich eine ganze Vorgeschichte liegt, nicht nuretwa die Sehnsucht, dieLust desMenschen, sich auszudrücken, nicht nur dieäussere Notwendigkeit dazu, sondern aucheinallgemeiner Zustand derMenschheit, dessen Richtung man Weltanschauung nennt, der mit innerer Notwendigkeit zurManifestation da-oder dorthindrängt. Dasbetone ich, damit nicht dasMissverständnis entsteht, als ob ein Werk nurausForm bestehe. Aber noch mehr mußich andererseits hier betonen, dass diegenaueste wissenschaftliche Kenntnis derNatur, derPflanzen, derTiere, derErde undihrer Geschichte, derSterne unsnichts nützt, wennwirnicht mitallem Rüstzeug versehen sindzuihrer Darstellung. Dass unsdie geistvollste Auffassung desZusammenwirkens dieser Dinge imWeltganzen nichts nützt, wennwirnicht auch nach dieser Richtung mitFormen ausgerüstet sind. Dass unsdastiefste Gemüt, die schönste Seele nichts nützt, wennwirdie dazugehörigen 390Sodann beginnt Klee fürseine Studenten die Formen nicht bei derHandhaben.“ bildnerischen Elementarmittel Punkt undLinie zu analysieren undihre bildnerischen Funktionen zudemonstrieren. Für Klee ist Kunst also die Manifestation einer Welt-Anschauung, undzwar , womit er wohl bewußt den zentralen Begriff seines aus „innerer Notwendigkeit“ Weltanschauung“bedeutet bei Klee Freundes Kandinsky zitiert.391 DerAusdruck „ 389 Kant: Kritik der Urteilskraft, Werke Bd. 8, S. 419, 405, 406. 390 Klee: Beiträge zurbildnerischen Formlehre, 14. Nov. 1921, zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, S. 94 92– 391 Zum nicht nur freundschaftlichen, sondern auch gedanklich engen Verhältnis von Klee und Kandinsky siehe denAusstellungskatalog: Klee undKandinsky. Erinnerung aneine Künstler-

freundschaft anläßlich Klees 100. Geburtstag, Staatsgalerie Stuttgart 1979. (= Katalog: Klee undKandinsky). Besonders instruktiv ist der Beitrag vonMagdalena Droste: Klee undKan. 22. Droste vergleicht „die kunsttheoretischen Positionen Klees undKandinskys“ dinsky, S. 9– „ DerUmgang mitdemgeschriebenen Wort hatfür Kandinsky wiefürKlee grundsätzlich eine doppelte Bedeutung: er dient der Kontrolle und Reflexion der eigenen Arbeit und wirkt gleichzeitig vermittelnd undklärend zumPublikum hin. ... DieBedeutung, die beide Künstler ihren theoretischen Schriften beimessen, verweist auf die Notwendigkeit der Vermittlung von Kunst im 20. Jahrhundert. ... Die Theorie soll diese Brücke zwischen Bild undBetrachter schlagen; sie ist demnach gleichzeitig Indiz der Vereinzelung wie des Bemühens, diese zu einige grundsätzliche Gemeinsamkeiten festhalten: beide überwinden.“FürDroste lassen sich „ entwickelten parallel zuihren Bildern eine Theorie, die sie imLaufe derJahre systematisierten und auch für lehrbar hielten. Methodisch ähneln sie sich in der ständigen Verschränkung analytischen undsynthetischen Denkens. DieAnalyse geht vonPunkt, Linie, Fläche undFarbe Geaus, umdaraus im Bild eine Repräsentation kosmischer Totalität zu schaffen.“(S. 11) „ meinsam bleibt beiden Künstlern der Wille zu einer Totalität, wie sie heute in dieser Breite , schreibt Droste (S. 15) Ich denke, die fundamentale Gemeinkaum ein Künstler mehr wagt“

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aber nicht etwa eine bestimmte „Ideologie“ , sondern er ist auch ganz wörtlich gemeint als die-Welt-anschauen. Naturanschauung verdichtet sich zuWeltanschauung. UndWelt meint hier das gesamte der Bezüge, in denen der Mensch auf der Erde undunter demHimmel steht, wieKlee es in seiner graphischen „Kosmologie“ bildlich dargestellt hat. (Siehe Abb. 5). Ohne auf Klees Schriften Bezug zu nehmen, schrieb Gadamer im gleichen Sinne: „ Es ist vielleicht daswahrhaft auszeichnende der Kunst, Anschauung, und zwarWelt-‚Anschauung‘zusein. Dasmeint nicht nur,daßdieKunst gegenüber der Erkenntnis der Wissenschaft einen eigenen Wahrheitsanspruch verteidigt, sofern dasfreie Spiel derEinbildungskraft auf‚Erkenntnis überhaupt‘geht, sondern auch, daßdie hier spielende ‚innere Anschauung‘dieWelt –undnicht nurGegenständliches inihr–zurAnschauung bringt. Die‚Weisen derWeltanschauung‘hatHegel in seiner Ästhetik-Vorlesung darzustellen gesucht. Damit ist gesagt, daß noch vor aller begrifflich-wissenschaftlichen Erkenntnis die Weise, wie man in die Welt schaut und auf das Ganze des Inderweltseins, in der Kunst ihre Gestaltung fin392 Und wenn Klee hervorhebt, daß er „ mit den passenden bildnerischen det.“ 393 geheim Erschautes sichtbar machen“ Mitteln“in einer intuitiven Anschauung „ will, dann bezeugt dies denErkenntnisanspruch, den er mit seiner Kunst erhebt. „ Ich suche einen entlegenen schöpfungsursprünglichen Punkt, wo ich eine Art Formel ahne fürMensch, Tier, Pflanze, Erde, Feuer, Wasser, Luft undalle kreisendenKräfte zugleich. DerErdgedanke tritt vordemWeltgedanken zurück. DieLiebe , bekennt Klee.394 Undin seinem Vortrag „Über die moderne ist fern undreligiös“ VomVorKunst“beschreibt Klee diesen schöpfungsursprünglichen Punkt näher: „ ineinige Nähejenes geheimen bildlichen zumUrbildlichen!“Die Künstler wollen „ Grundes dringen, wodasUrgesetz dieEntwicklungen speist. Da, wodasZentralorgan aller zeitlich-räumlichen Bewegtheit, heiße es nunHirn oder Herz der Schöpfung, alle Funktionen veranlaßt, wer möchte da als Künstler nicht wohnen? Im samkeit von Beuys mit Klee und Kandinsky liegt genau in jenem Anspruch auf Totalität, basierend auf einer ganzheitlichen Weltsicht undnicht auf einem partikularen Kunstverständ-

nis.

392 Hans Georg Gadamer: Anschauung undAnschaulichkeit, in: Neue Hefte fürPhilosophie, Heft 13, Zitat auf S. 7, 8. (= 18/19, Anschauung als ästhetische Kategorie, Göttingen 1980, S. 1– Das Wort ‚Weltanschauung‘ begegnet in Gadamer: Anschauung). Gadamer merkt dazu an: „ diesem ursprünglichen Sinne bei Kant selbst, wenner S. 92 derKritik derUrteilskraft vondem Unendlichen als dem Noumenon spricht, ‚welches selbst keine Anschauung verstattet, aber dochderWeltanschauung als bloßer Erscheinung, zumSubstrat unterlegt wird‘. Natürlich muß manhier, wie bei Schleiermacher undbei Hegel, unsern abgegriffenen Begriff von ‚Weltanschauung‘ fernhalten. Immerhin sei die Bemerkung gestattet, daß auch diese uns gewohnte Prägung des Begriffs ‚Weltanschauung‘ nicht so sehr einen Inbegriff von Ansichten als eine Perspektive meint.“(S. 7, Anm. 1) Perspektive, als ein bestimmter gedanklicher Blickwinkel, derdieKonzeption desWerkes bestimmt, nähert sichdeman,wasKlee unter derWeltanschauungdesKünstlers versteht. 393 Klee: Über diemoderne Kunst, zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, S. 84. 394 Klee: Der eigene Standpunkt, in Klee: Kunst-Lehre, S. 59, 60. Bei diesem Bekenntnis Klees handelt es sich umeine überarbeitete Passage seines Tagebuches von 1916. Vergleiche Klee: Tagebücher, S. 400, Eintrag Nr.1008.

6. Bild undErkenntnis –Bildnerisches

Denken vermehrt dieErkenntnis derWelt

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Schoße der Natur, im Urgrund der Schöpfung, wo der geheime Schlüssel zu allem verwahrt liegt?“395 Hier läßt sich unmittelbar ein Gedankengang von Beuys anfügen, der einmal mehr die Kontinuität undÜberzeitlichkeit der Grundgedanken des bildnerischen Denkens von Klee zu Beuys dokumentiert.396 Für Beuys muß der Künstler im Idealfall zweierlei leisten: erstens braucht er eine „Idee von der Kunst, die die Prinzipien auf daszurückführt, wasmandasEine nennt, wasmandann schließlich auch in einer Formel ausdrücken kann.“Der Künstler müßte ein großes Interesse Formel“zu finden, „ von der aus man, sagen wir einmal ganz daran haben, die „ global, dasWeltproblem lösen kann“ , eine Formel, wie „vergleichsweise die Einsteinsche Formel“imphysikalischen Bereich, die„ noch viel besser funktioniert ... in Richtung auf den Menschen und seine zukünftige Entwicklung.“Eine solche , die der Künstler sucht, sei aber „nicht mehr so ein Denkergebnis wie in „ Formel“ , sondern sie sei nurzugänglich „durch Intuition und der klassischen Philosophie“ Imagination undsolch höhere Denkkategorien.“Zweitens mußder Künstler „ auf ein simples Olivenblatt deranderen Seite die Idee ausdrücken“können, indem er „ aquarelliert. Eine solche Idee kann mannatürlich nicht bildnerisch darstellen“– , „aber indem mansich mit Formel“als solche – Beuys meint die welterklärende „ einer solchen Idee ... berührt, erscheint dasOlivenblatt oder derSonnenstrahl oder ein kleiner Kieselstein auf demWegin einem ganz anderen Licht; undselbstverständlich würde ich nie darauf verzichten, solche einfachen Dinge darstellen zu wollen, nur weil ich angeblich eine große Idee habe; vielmehr stellen sich die großen Ideen in der Kunst oftmals in sehr bescheidener Gestalt heraus, als Bild durch einen kleinen Farbfleck oder durch eine Grünstimmung aneiner bestimmten kleinen Form, etwa anso einem Olivenblatt; unddasist dergroße Zusammenhang, unddazwischen gibt es alle möglichen Formen auf dieser Skala. Aber dasmuß... , doch radikal gesehen werden, daß Kunst anundfür sich diese Sinnenfälligkeit hat“ nurdurch deneinzelnen vollziehen läßt.“FürBeuys ist die sinnenfällige die sich „ als Gestalt eines Kunstwerkes, die eine Sinndimension offenbart, etwas anderes „ die Ergebnisform eines Erkenntnisprozesses“, wie er sich im logisch-kausalen Trotzdem, meine ich, ist es ein ErkenntnisproDenken derWissenschaft darstellt. „ zeß, wenn einem daseinigermaßen klar ist, dasVerhältnis zwischen demOliven-

395 Klee: Kunst-Lehre, S. 83. 396 ZurGeistesverwandtschaft vonKlee undBeuys siehe: Volker Harlan: Paul Klee undJoseph Beuys: Tafelbild und Wärmeplastik, in: Kunst-Bulletin des schweizerischen Kunstvereins, Juli/August, Bern 1981, S. 13– 24. (= Harlan: Klee undBeuys). Harlan zieht folgende Parallelen Klee und Beuys, beide nicht traditioneller Kunst verpflichtet, zwischen Klee und Beuys: „ arbeiten beide lebenslang nicht nurintensiv an einem eigenen Stil, sondern ebenso an einer eigenen Weltanschauung. Beide suchen nacheinem nicht verbalen Ausdruck fürdasWeltbild, das sich ihnen ergibt, undbei beiden ist aus dem bildnerischen Werk nicht ohne weiteres abzulesen, wasals Weltbild dahintersteht. Beide werden vonihren politischen Brotherren aus dieser Arbeit vonderDüsseldorfer Kunstakademie als entartet entlassen. Beide beginnen als Zeichner und begründen darin ihren Ruf als Künstler. Beide sind später als Magier und Hexenmeister bezeichnet worden, d.h. geachtet, aber nicht verstanden, unddoch sind beide weltweit anerkannt.“(S. 13).

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Teil II

blatt und der großen Idee. Ist denn nicht auch das Olivenblatt eine Erkenntnis in Bildform?“397 Klee und Beuys, beide wollen mit ihrer Kunst (mit ihren Werken) undmit ihrem bildnerischen Denken zurErkenntnis der Welt beitragen. Aber mit diesem Anspruch auf Erkenntnis stehen Klee undBeuys nicht allein, sondern sie ordnen sich ein in eine allgemeine Tendenz, die Klaus Lankheit schon 1951 mit den Worten charakterisiert hat: „ Die seit demZusammenbruch derbarocken Ordnung autonom gewordene Kunst hat den Willen, ein selbständiges Organ der Welter398Amentschiedensten hat Konrad Fiedler amEnde des letzten kenntnis zu sein.“ Jahrhunderts den Erkenntnisanspruch der Kunst theoretisch fundiert. Fiedler, der wichtige Mäzen Hans vonMarées, stand mitseiner kunsttheoretischen Position auf derSeite des Künstlers, neben ihm, nicht über ihm. Kurt Badt hatdarauf aufmerksam gemacht, als er Fiedler mit folgenden Worten charakterisierte undzitierte: Vonjener Hybris, die meint, denKünstler besser verstehen zukönnen, als er sich „ selbst verstand, war Fiedler weit entfernt; vielmehr betonte er, es sei ‚doch der Künstler allein, derdenKünstler begreifen kann‘, ‚es ist dashöchste erschöpfende Verständnis eines Kunstwerkes dem vorbehalten, der das Kunstwerk hervor399Wenn Fiedler auch den intuitiven Anteil am Schaffensprozeß eines bringt‘.“ Werkes betont, so legt er aber auch großen Wert auf den Anteil der Ratio, wie folgendes Zitat belegt: „ Wenndaskünstlerische Resultat auch nurauf Grund einer außerordentlichen Stärke des Gefühls denkbar ist, so wird es doch erst durch die noch außerordentlichere Stärke des Geistes möglich, die dem Künstler selbst in den Momenten intensiver Empfindung die Ruhe objektiven Interesses und die Energie der Gestaltungskraft bewahrt.“400Für Fiedler ist auch der enthusiastische Klarheit seines Geistes“under schafft in „ Künstler im Besitz derhöchsten „ höchster Besonnenheit undbeim klarsten Bewußtsein“ , undnicht in besinnungslosem Rausch, wie Badt dazu anmerkt.401 Zwischen Gefühl undGeist, zwischen Intuition 397 Beuys im Gespräch mit Volker Harlan in: Beuys: Werkstattgespräch, S. 19. Im Anschluß an dasGespräch mitBeuys hatHarlan zwei informative Essays zuBeuys veröffentlicht: Kunst an der Schwelle, und: Formgestaltung undSubstanz. Vier Übungen, S. 86 ff. Harlan kommt zu folgender Wertung von Beuys’ bildnerischem Denken undzu einer historischen Standortbestimmung seiner Kunst, die vonseinem bildnerischen Denken nicht zutrennen ist: „ Nach den Künstler-Ideen zurKunst vonKandinsky, Malewitsch, Mondrian oder Klee dürfte kaumnoch ein Kunstbegriff vonsolcher Größe entwickelt worden sein, wieihnJoseph Beuys hier undan anderer Stelle darstellt. Seine Art, auf das Schöpferische im Menschen undin der Welt zu schauen, diese umfassende Idee von Kunst, mußin diesem Jahrhundert im Zusammenhang gesehen werden mitdenIdeen Rudolf Steiners, aufdiesich Beuys inall seinem Denken immer wieder bezieht. Wie tief Beuys im Strom derTradition der Kunst selbst drinsteckt, zeigt sein Werk vomersten bis zumletzten Augenblick ...“ . (S.86). 398 Lankheit: Frühromantik, S. 87. 399 Kurt Badt: Feiern durch Rühmung, inBadt: Kunsttheoretische Versuche, S. 122. 400 Fiedler zitiert nach ebenda, S. 123. 401 Ebenda, S. 123. Fiedler: Schriften, in seiner Einleitung weist Boehm nach, daß Klee die Schriften Fiedlers gekannt hat undbelegt mit einigen Zitaten die weitgehende Übereinstimmungihrer Grundgedanken, S. LXXXV ff. Dochgibt auchhier Boehm wieder, wieseinLehrer Eine Gadamer, eine merkwürdige Spitze gegen die Künstlertheorien ab, wenn er feststellt: „ differenzierte Interpretation vonBildern Klees wird freilich weitergehen müssen als bis zur

6. Bild undErkenntnis –Bildnerisches

Denken vermehrt die Erkenntnis derWelt

129

undRatio ist genau jenes Terrain abgesteckt, das Klee mit denBegriffen „ psychische Improvisation“402einerseits und„Theorie ist ein Behelf zur Klärung“403ande-

rerseits markiert. In der gestaltenden Tätigkeit des Künstlers, die zwischen diesen Polen hin undher läuft, wird die Erkenntnis der Kunst erbracht. Denn wie Fiedler Der künstlerische Trieb ist ein Erkenntnistrieb, die künstlerische Tätigerklärte: „ keit eine Operation des Erkenntnisvermögens, das künstlerische Resultat ein Erkenntnisresultat. Nichts anderes tut der Künstler, als in seiner Welt das Werk vernünftiger Gestaltung zu vollbringen, worin das Wesen jeder Erkenntnis be404Kunst repräsentiert mithin Erkenntnis, wenn Fiedler „ steht.“ die Kunst als eine Erkenntnisaufgabe spezifischen Typs“beschreibt, wie Boehm den Sachverhalt erläutert. „Kunsttheorie wird aufdiesem Wege zueiner Form vonErkenntnistheorie ...“.405 Es gilt, den m.E. notwendigen konsequenten Gedankenschritt zu vollziehen, daß auch die Künstlertheorie, also das Bildnerische Denken eine Form von Erkenntnistheorie ist, bzw. denStatus vonErkenntnistheorie erreichen kann. In dieDie wichtigste Diskussion haterkenntnistheosemSinn behauptet Beuys zurecht: „ retischen Charakter.“D.h. das Diskutieren, Sprechen undDenken über Kunst hat wesentlich einen Erkenntnisbezug. Daher gilt es fürBeuys, den„ Kreativitätsbegriff fähig ist, Formen inderWelt schon imDenken“ anzusetzen, weil ebendasDenken „ . Beuys ist für sich zudemErgebnis gekommen, „daßdie Verständizubewirken“ gung zwischen Menschen ganz allgemein nur durch das Kunstwerk des Denkens und der Sprache vollziehbar ist –vorausgesetzt jetzt wie immer, daß man den Begriff der Skulptur oder der Kunst so stark erweitern will, daß man auf diesen anthropologischen Punkt kommt, woDenken bereits eine Kreation undein Kunstwerk ist, also plastischer Vorgang ist und fähig ist, eine bestimmte Form zu 406 erzeugen, undsei es nureine Schallwelle, die das Ohrdes anderen erreicht ... .“ Das Bildnerische Denken des Künstlers ist ein kreatives Denken, das auf die Erkenntnis der Welt zielt. Der Maler und Theoretiker, der Bildner und Denker Raimer Jochims vollzieht wieBeuys denGedankenschritt, daßKünstlertheorie eine Form von Erkenntnistheorie ist. Das interessante daran ist, daß er sich expressis Bildnerisches verbis auf Paul Klee bezieht, den er mit folgendem Satz zitiert: „ 407 Denken vermehrt die Erkenntnis der Welt.“

402 403 404

Analyse einiger theoretischer Reflexionen desKünstlers selbst. Sie wirdinderDimension des Werkes zu erproben haben, inwiefern die Theoreme des Malers wirklich einen Zugang (und wennja, einen legitimen?) zuseinem Schaffen bilden.“(S. LXXXVIII) Ich hoffe, mit vorliegender Arbeit zuzeigen, daßsichdiese Frage erübrigt! Klee: Tagebücher, S. 282, Eintrag Nr. 842 von 1908. Klee: Bildnerisches Denken, S. 151. Konrad Fiedler: ÜberdieBeurteilung vonWerken derbildenden Kunst, 1876, in: Schriften, S.

47/48.

. Conrad Fiedler undHans vonMarées, in: Katalog 405 Gottfried Boehm: „Sehen lernen ist Alles“ derAusstellung: Hans vonMarées. Gemälde undZeichnungen, hrsg. vonChristian Lenz mit Beiträgen vonGottfried Boehm, Lorenz Dittmann u.a., Neue Pinakothek, München 1987, S. 147.

406 Beuys: Werkstattgespräch, S. 9, 81. 407 Raimer Jochims veröffentlichte 1965 einen kurzen Text unter demTitel: Bild undErkenntnis,

130

Teil II

Folgen wirdemGedankengang vonJochims Essay: „ Bild undErkenntnis“ , in demer die Äußerung Klees erläutert undihre Relevanz für die Malerei nach dem Zweiten Weltkrieg aufzeigt. Für Jochims hat die abstrakte Malerei eine überraschende Funktion, die sich dialektisch gestaltet: „ DasBild mitseinen neuen visuellen Energien bringt die vereisten Begriffe in Bewegung, während dasbegriffliche Denken die Malerei Methode undKonsequenz lehrt. ... Theorie der Malerei im wörtlichen undimweitesten Sinn ist einerseits: Einlassen vonEnergieschüben aus der visuellen Sprache in die begriffliche, andererseits: begriffliche Analyse der bildnerischen Mittel.“Denken undBilden, Begriff undBild sind also korrelativ, beide bedingen sich wechselseitig. „ Dasbegriffliche Denken, dasdurch Seherlebnisse provoziert wird, ist nicht identisch mit demErklären von gegenständlichen Bildern, sondern es ist unmittelbare Entzündung des Denkens durch psychische Auswirkung eines Seherlebnisses.“408Zur Erläuterung dieser Überlegungen Jochims sei auffolgende Erfahrung hingewiesen: beimBlick aufeinungegenständliches Bild von Mark Rothko, Barnett Newman, Gotthard Graubner oder Raimer Jochims409 wirdeinDenken imBetrachter –dasgilt fürdenKünstler inbesonderer

Weise ebenfalls –provoziert, das, weil nicht abgelenkt durch bestimmte Dinge unserer Alltagswelt, die wir wiedererkennend sofort mit einem Begriff belegen, unmittelbar auf das Wesen des Bildes, seine bildnerische Konstruktion undKonzeption zielt. Aus der Sicht des Künstlers fährt Jochims fort: „ So wird der Satz Klees verständlicher: bildnerisches Denken vermehrt die Erkenntnis derWelt. Mit bildnerischem Denken ist hier nicht die sogenannte optische Intelligenz gemeint, sondern dieDialektik zwischen Bild undBegriff vorundnachdemMalakt. Bildnerisches Denken oderdieTheorie derMalerei umfaßt Maltechnik, Bildmethodik und -konzeption. Die Konzeption ist das persönliche geistige Risiko des einzelnen Malers. Sie ist nur am Rand logisch-begrifflich faßbar. Dagegen sind Maltechnik undformale Methodik, letztere nenne ich Ikonomie –Bildgesetzlichkeit – , logisch undlehrbar. Die Konzeption, dieschöpferische Anschauung ist nicht lehrbar, sie ist vielmehr Motor fürneue technische undmethodische Erkenntnisse. Eine progressive Malerei wird in Zukunft ohne umfangreiche experimentelle Forschung in Maltechnik undIkonomie undohne theoretisches Durchdenken konzeptueller Möglich-

410 keiten versanden.“

in Claus: Kunst heute, S. 101– 103. Jochims weist leider dieFundstelle desbedeutenden KleeZitats nicht nach undmirist es bisjetzt nicht gelungen, die Stelle ausfindig zumachen. 408 Ebenda, S. 101. 409 Abbildungen vonBildern dergenannten Künstler siehe inSchmied: GegenwartEwigkeit, S. 12,

213. 203, 211– 13, 30, 201– 410 Jochims: Bild undErkenntnis, inClaus: Kunst heute, S. 101. AufGehlen unddenBegriff einer peinture conceptuelle“als künstlerische Grundlagenreflexion, wie ihn Jochims versteht, be„ zieht sich auch Heinz Paetzold: Profile derÄsthetik: Der Status vonKunst undArchitektur in der Postmoderne, Wien 1990 (= Paetzold: Profile der Ästhetik). Da Paetzold hier aus der Sicht desPhilosophen dasPhänomen derKünstlertheorie indenBlick nimmt undihmeine gewichtige Bedeutung für die philosophische Ästhetik zuschreibt, ist es geraten, die Ergebnisse Paetzolds zu referieren. Unter demGesichtspunkt der „ Bedeutung von Künstlertheorien für die Ästhetik“stellt Paetzold die Frage „ nach dem Verhältnis der zu Künstlerästhetiken oder Künstlertheorien verdichteten Künstleräußerungen zurphilosophischen Ästhetik“ . (S. 211 ff.)

6. Bild undErkenntnis –Bildnerisches

Denken vermehrt die Erkenntnis derWelt

131

Jochims vertritt eine mit der Auffassung Gehlens vergleichbare Position: daß nur einer konzeptionellen Malerei, d.h. einer Malerei, die über ein reflexives Fundament verfügt, Zukunftsperspektiven offenstehen. Die Konzeption, das darin wirksame Bildnerische Denken, ist derMotor fürprogressive bildnerische Erkenntnis. Jochims weiter: „Bildnerisches Denken vermehrt dieErkenntnis derWelt. Was aber heißt hier Erkenntnis derWelt? Benn sagt: ‚Erkenntnis ist Durchdringung der Materie mit Geist.‘Durchdringung: das heißt dynamische Wechselbeziehung, gegenseitiges Hervorbringen, Ambivalenz. Materie ist für den Geist imjeweiligen Bild dergrößtmögliche Widerstand. Undumgekehrt: Geist ist als ordnendes Prinzip für das Bildmaterial die größtmögliche Beunruhigung. Eines bewältigt das andere, undder Gegensatz ist aufgehoben im Bild. Hier zeigt sich, bildnerisches Denken gibt es nicht ohne Bildermachen, ohne Malen. Eben die Dialektik zwischen Denken und Handwerk bewirkt das Bild. Das Geistige in der Malerei ist die Konzeption unddieformale Erfindung, verwirklicht undaufgehoben imorganisiertenMaterial. Diese Dialektik ist dieEnergie, diederMaler abgibt, seine innere und 411Überflüssig ist hier anzumerken, wie tief Jochims mit dem äußere Bewegung.“ Gedankengut vonKlee undKandinsky verwurzelt ist. Bilden undDenken, Theorie undPraxis des Künstlers sind notwendig aufeinander bezogen undin der Gestalt des Werkes synthetisiert. Schließlich umschreibt Jochims, wie manErkenntnis in derMalerei verstehen kann. „Erkenntnis derWelt, dasist genitivus subiectivus und

411

eine aktuelle Pointe hinaus“ , „daß wir heute bei der philosophischen Dabei will er auf „ Beschäftigung mit der Kunst die Künstlerästhetiken beachten müssen. Sie können aber auch nicht die philosophische Theorie ersetzen. Den Prozeß, der zwischen künstlertheoretischem Entwurf undpraktischer Realisation spielt, diesen Prozeß sollten wiramBegriff derKonzeptionoder des Konzeptionellen orientieren.“(S. 211, 212). „ Die Einführung des Begriffes derKonzeption erlaubt es, die philosophische Ästhetik andie Künstlerästhetiken zubinden, ohne sie darin aufgehen zulassen. ... Unter Konzeption verstehe ich die aus Künstleräußerungen rekonstruierbare Künstlerästhetik. Diese mußfreilich an der bildnerischen Realisation konkretisiert und bewährt werden. Durch diese beiden Ecksteine kommt derhermeneutische Zirkel allererst in Gang. Die Konzeption ist das, wasdenproduktivenbildnerischen Gestaltungsvorgang intuitiv lenkt undwasauch die ästhetische Wahrnehmung formt. ... Das Konzeptuelle umfaßt sowohl die bildnerische Realisation wie auch das begleitende Nachdenken.“(S. 224). Paetzold betont, daßdie programmatischen Refexionen vonKandinsky, Klee oder Mondrian für das Verstehen dieser Kunst nicht äußerlich sind, „sondern sie zeichnen ihmdenWeg vor. Wir Die Trennung indessen von den Realisationen in ‚Werken‘ ist künstlich.“Dennoch: „ müssen nicht erst die Programme lesen und dann die Werke analysierend verstehen. Der Konzeptionsbegriff in der hier gemeinten Facette beschreibt eine Grenze oder ein Einfallstor derInterpretation. Wasdie Konzeption eines Werkes ist, kann auch während derverstehenden Wahrnehmung aufblitzen oder garohne Kenntnis vonProgrammen. Ich behaupte nur, daßdas Verstehen neuerer Kunst notwendig ein konzeptionelles Wissen einschließt. ... Die Konzeption ist gewissermaßen der harte Kern oder der thetische Faden, umden sich Kommentar, (S. 225) Zudem sei„derBegriff derKonzeption geeignet, die Interpretation undKritik drehen.“ spezifische Erkenntnisleistung derKunst ins rechte Licht zurücken. ... InderKonzeption wird der eigenständige Beitrag der Kunst zur universellen Problematik der Erkenntnis faßbar. Es geht umdie innere ‚Logik‘derBildenden Kunst.“(S. 229). Jochims: Bild undErkenntnis, S. 102.

Teil II

132

obiectivus. Erkenntnis imSinnderKunst ist einProzeß ohne statisches Subjekt und Objekt, ein Prozeß allmählicher gegenseitiger Verwandlung: Cézanne nannte das réaliser –verwirklichen. Realisieren in der Malerei heißt, eine neue Wirklichkeit herstellen, subjektiv undobjektiv. Erkenntnis ist mehr als zu denAkten nehmen. EinVorgang, dervonderphysiognomischen Schicht herdasganze Bewußtsein des Menschen geradeso durchdringt und umprägt wie die Wirklichkeit der äußeren Welt. Und die neue Wirklichkeit hebt die frühere auf. Geschichte der Kunst ist progressive Geschichte, istGeschichte derBewußtseinsbildung, derWeltbildung.“412 Jochims hat klar erkannt, daß Kunst „nicht Mimesis von Wirklichkeit, sondern ist, wieDieter Jähnig es formuliert hat. Dabei bezeichnet der Statuierung vonWelt“ das Ganze des Bezuges, in Begriff „ Welt“wie das griechische Wort „Kosmos“„ dem die Menschen zueinander stehen undin dem sie zu dem stehen, worauf sie 413Weil die Kunst das Verhältnis des Menschen zur angewiesen sind, zur Natur.“ Natur und sein In-der-Welt-sein offenbart, deshalb erbringt sie eine bildnerische Erkenntnis, die natürlich in nichts hinter der Erkenntnis von Philosophie oder anderer Wissenschaften zurücksteht, solange sie sich der Wahrheit verpflichtet weiß. Denn, so Jochims in seinem Vorwort zu seinem etwa zehn Jahre später : „Kunst ist existentiell verpflichtende ArVisuelle Identität“ entstandenen Buch „ 414Deshalb erweitern nicht nur die Bilder, sondern auch beit, Kunsttheorie auch.“ dasbildnerische Denken dieErkenntnis derWelt.

7. Konzeptionelle Malerei als visuelle Realitätserkenntnis – Visuelle Identität Sicherlich wünscht ein Künstler, sich intellektuell so hoch wie nur möglich zu erheben, „ doch soll der Mensch im Dunkeln bleiben. Wenn es mir gegeben gewesen wäre, zu realisieren

...“

Paul Cézanne415

Raimer Jochims, geschult an demDenken Konrad Fiedlers, entwickelt seine Idee einer „ konzeptionellen Malerei“ausgehend vonderMalerei unddemDenken Paul Cézannes. Cézannes bildnerisches Denken speist sich ausderPolarität vonTheorie undPraxis, Malen undDenken oder wie Cézanne selbst sagt, ausderPolarität von ImMaler gibt es zwei Dinge: Auge undGehirn, vonSehen undLogik. Cézanne: „ dasAuge unddasGehirn, beide müssen sich gegenseitig helfen: Manmußanihrer gegenseitigen Entwicklung arbeiten; amAuge durch dasSehen nach derNatur, am Gehirn durch die Logik der geordneten Empfindungen, welche die Ausdrucksmittel Man muß nachdenken, das 416 An anderer Stelle präzisierte Cézanne: „ liefert.“ 412 Ebenda, S. 102. 413 Dieter Jähnig: Welt-Geschichte: Kunst-Geschichte. Zum Verhältnis von Vergangesheitserkenntnis undVeränderung, Köln 1975, S. 12. (= Jähnig: Welt-Geschichte). 414 Jochims: Visuelle Identität, S. 9. 415 Paul Cézanne: Briefe, hrsg. vonJohn Rewald, Zürich 1979, S. 228. 416 Gespräche mit Cézanne, hrsg. von Michael Doran, Deutsch vonJürg Bischoff, Zürich 1982,

7. Konzeptionelle Malerei als visuelle

Realitätserkenntnis

–Visuelle Identität

133

Auge reicht nicht aus, es braucht auch Nachdenken.“417Diese überlieferten Äußerungen Cézannes machen deutlich, daßes nicht darauf ankommt, daßderKünstler eine umfängliche Kunsttheorie ausformuliert, sondern daß er über eine reflexive Konzeption verfügt, die sein Schaffen bestimmt undumgekehrt. Unddies gilt auch füreinen erklärten „Antitheoretiker“wiePicasso418, deraber ausdrücklich betonte: „ Kunst ist nicht die Nutzanwendung eines Schönheitskanons, sondern das, was Instinkt undGehirn überjeden Kanon hinaus fassen können.“Und: „ DerKubismus hat sich noch nie nach einem Programm gerichtet. Mein ästhetisches Denken war im ganzen nur eine der Formen meines künstlerischen Tuns; es blieb immer in 419Also auch bei Picasso Übereinstimmung mit meiner rein praktischen Arbeit.“ müssen Instinkt undGehirn –wasnureine andere Formulierung für Intuition und , malerische Praxis undästhetisches Denken zusammenkommen, damit Ratio ist – ein Werk entsteht. Eine andere Äußerung Picassos belegt dies zweifelsfrei: „Wenn ein Künstler seine Ausdrucksform ändert, bedeutet es nur, daß er seine Art zu 420Dieser kurze Hinweis zuPicasso vorderWeiterbeschäftidenken geändert hat.“ gung mit Raimer Jochims ist insofern wichtig, als er erkennen läßt, daß eine konzeptionelle Malerei kein künstlerisches Programm oder Manifest in Form einer literarischen Niederlegung erfordert. Für den Künstler bedeutet Raimer Jochims zitiert Cézanne mit der Aussage: „ Sehen konzipieren“ , undfügt paraphrasierend hinzu: „Doch dafür genügt dasAuge

417

418 419 420

S. 54. (= Doran: Gespräche mitCézanne). DasZitat stammt ausdensogenannten „Meinungen vonPaul Cézanne“ , die Emile Bernard überliefert hat. Cézanne im Gespräch mit den Malern Rivière undSchnerb, ebenda, S. 115. Ernst Strauss Nachbetrachtungen zur Pariser Cézanne-Retrospektive kommt das Verdienst zu, in seinen „ 1978“ , in Strauss: Koloritgeschichtliche Untersuchungen, S. 164 ff., dieÄußerungen Cézannes nach denKriterien ihrer wahrscheinlichen Authentizität undihrer Relevanz fürdie malerische eine unzulängPraxis geordnet undgewertet zuhaben. Dabei konnte Strauss nachweisen, daß„ liche Vorstellung vonCézannes Erkenntnisvermögen undUrteilskraft, (und) somit vonseiner Zu Bedeutung auch als reflektierender Künstler“ , jahrzehntelang die Forschung bestimmte. „ diesen Vorurteilen gehörte vorallem eine Unterschätzung seiner im Atelier sich noch intensivierenden Bemühungen umeine intellektuelle Klärung derGrundlagen undProbleme seiner Malerei, in der Annahme, er habe nur gelegentlich undwider Willen theoretisiert. Scheinen auch vereinzelte Äußerungen Cézannes über die Nutzlosigkeit von Kunstgesprächen oder reinen Theorien ... diese Ansichten zunächst zubestätigen, so fallen sie doch nicht insGewicht gegenüber derAussagekraft etwa seiner bekannten These, daß, ‚alles, besonders inder Kunst, im Kontakt mit der Natur angewendete undentwickelte Theorie‘ sei ... .“(S. 168). Und in Würden Sie es glauben, ich einem Gespräch von 1902 mit Jules Borély bemerkte Cézanne: „ fange eben an, für meine Berufung Prinzipien undeine Methode zu haben. Ich suchte lange Zeit; ja ich suche noch immer; soweit bin ich in meinem Alter.“(Doran: Gespräche mit Cézanne, S. 35) Strauss kommentiert diese Aussagen mitdemHinweis: „Zudem spricht fürden Wert, denCézanne seinen Theorien beimaß, allein schon deutlich genug die geistige Leidenschaft, mitderersie, allen Berichten seiner Besucher zufolge, beijedem Anlaß zuerklären oder anGemälden zudemonstrieren pflegte. Schließlich trug er selbst sichja auch mitderAbsicht, diese Theorien zu gegebener Zeit schriftlich niederzulegen.“Strauss: Koloritgeschichtliche Untersuchungen, S. 168. Picasso: Wort undBekenntnis, S. 100. Ebenda, S. 38, 22. Ebenda, S. 12.

134

Teil II

allein nicht, das Gehirn mußmitwirken.“Daran anschließend folgt Cézannes berühmtes Diktum: „ Alles ist, namentlich in der Kunst, Theorie, entwickelt und 421Für unsere Untersuchung von Interesse angewandt im Kontakt mit der Natur.“ ist, wieJochims diese zentrale These Cézannes begründet undwelche Konsequenzener für die moderne Malerei daraus zieht: „ Es ist klar, daßin demAugenblick, wo die unbewußten traditionellen Erkenntnisstrukturen und die bewußten und geglaubten Inhalte brüchig undfragwürdig geworden sind, daßin solcher Situation die Kunst sich nurweiterentwickeln kann, wenn sie die theoretische undlogische Komponente, ohne die sie nicht leben kann, selbst entfaltet. Deshalb ist für die konzeptionelle Kunst, die sich auf Cézanne beruft, die Theorie so grundwichtig. Cézanne betont immer wieder, wie schwierig undlangwierig das Realisieren für ihn sei, wie langsam er vorankomme. Würde sich dasRealisieren nurauf dasBild als ästhetisches Objekt selbst beziehen, so wäre es immer noch schwierig genug, aber nicht halb so mühsam wie das Realisieren angesichts der Natur, ich würde heute sagen: im universalen Realitätsbezug. Realisieren bedeutet fürCézanne Studium der Natur und gleichzeitig ihre Durchdringung mit Empfindung und Ausdruck undpraktische Erfindung und Setzung von Äquivalenten und theoretischlogische Durchdringung undBegründung dieses ganzen Vorgangs.“422 Mit diesen Beobachtungen zur Kunst Cézannes beschreibt Jochims konkret seine Idee einer konzeptionellen Malerei, diebemüht ist, denuniversalen Realitätsbezug des Menschen mit den bildnerischen Mitteln anschaulich zu realisieren, wobei sich derKünstler aber nicht einfach unbewußt treiben läßt, sondern sein Tun einer reflexiven Prüfung unterzieht, um sich Rechenschaft über den Sinn seiner Mittel der Kunst Sehen, Tätigkeit zu geben. FürJochims sind die übergeordneten „ Denken undRealisieren“.423 Konzeptionelle Kunst, in seinem Verständnis, bedarf , sie ist „erkenntnisorientiert“,424dennsie zielt auf „ kritischer Reflexion undPraxis“ . „Fiedlers Begriff deranschaulichen Erkenntnis eine „visuelle Realitätserkenntnis“ durch Gestaltung berührt sich aufs engste mit Cézannes Begriff des Realisierens.“ Und: „Realisation bei Cézanne bedeutet also Verwirklichung eines neuen Se425Was heißt „neues Sehen“ , hat Cézanne, physiologisch verstanden, etwa hens.“ anders gesehen als z.B. van Gogh? Nein das nicht, sondern es geht darum, wie Cézanne sagte: „ Man sollte sehen können wie ein Neugeborener.“426 Es geht Cézanne umein neues Sehen derNatur, also letztlich umeinen veränderten NaturEs geht beim Realisieren umeinneues Sehen-Können derNatur, begriff. Jochims: „ wobei die Natur nicht mehr vom Subjekt getrenntes Objekt ist, sondern vom

421 Jochims: Visuelle Identität, S. 87. 422 Ebenda, S. 87, 88. 423 Ebenda, S. 107. 424 Ebenda, S. 99, 98. 425 Ebenda, S. 90, 89. ZumProblem derRealisation bei Cézanne siehe dasfürjede Beschäftigung mit Cézanne grundlegende Werk von Kurt Badt: Die Kunst Cézannes, München 1956. 4. 173. (= Badt: Kunst Cézannes). Auch Raimer Kapitel: Das Problem der Realisation, S. 148– Jochims Überlegungen zur Realisation bei Cézanne basieren auf Badts diesbezüglichen Erkenntnissen. (Visuelle Identität, S. 29). 426 Cézanne zitiert nachJochims: Visuelle Identität, S. 87.

7. Konzeptionelle

Malerei als visuelle Realitätserkenntnis

–Visuelle Identität

135

subjektiven Temperament, von Eindrücken und Erlebnissen und Überlegungen durchdrungener Prozeß, eine unauflösbare dynamische Einheit von Subjekt und Objekt.“Für Cézanne gibt es in der „Natur keine Statik undkeine Eindeutigkeit, sondern alle Erscheinungen gehen ausderWechselwirkung derFarbe hervor und sind Bewegung“427, wieJochims Cézannes Naturanschauung charakterisiert. –Wir werden bei derBehandlung derKategorie Natur aufdiese Sichtweise derNatur als „natura naturans“zurückkommen. –Ausgehend vomProblem derRealisation bei Cézanne gelangt Jochims zu seiner Vorstellung einer konzeptionellen Malerei als . „Die Konzeption derIdentität verlangt die Identität vonMatevisuelle Identität“ „ rial und Idee, vermittelt durch die Technik.“Konzeptionelle Kunst ist „immer Einheit vonSein undBewußtsein, vonKonzept undRealisation.“ Jochims erläutert seinen Konzeptions-Begriff folgendermaßen: Erstens: „ Konzeption bezieht sich gleichermaßen aufdasBild wieaufdasSehen außerbildlicher Wirklichkeit. In derRealisation desBildes geschieht Entwicklung desSehens.“An ... das Sehen der Natur ist durch die anderer Stelle sagt Jochims erläuternd: „ 428Dies ist ein Faktum. Erst nachdem wir die Formbildung der Kunst geprägt.“ Seherfahrung einer Landschaft Caspar David Friedrichs gemacht haben, sehen wir in derrealen Natur romantische Motive. Odererst impressionistische Landschaften Claude Monets haben unsdieEssenz einer südlichen Sommernatur visuell erfahren lassen. Aber auch die Kunst vonBeuys verändert unsere Seherfahrung derUmwelt. Wir sehen auf einmal antiquiertes technisches Gerät, ausrangiertes Zeug wie Leichenbahren oder eine ruinöse Industrielandschaft, wie z.B. die der ehemaligen Völklinger Stahlhütte, in derbemerkenswerterweise die Bildhauerwerkstätten der Saarbrücker Hochschule derBildenden Künste ausgelagert sind–ein Vorgang, der Beuys“undenkbar oder zumindest unwahrscheinohne daskünstlerische Ereignis „ , in einem ganz neuen gedanklichen Kontext, nämlich gleichsam als lich ist – Gegenbild“zuunserer idealen Naturvorstellung. Will sagen, einerweiterter Kunst„ begriff berührt die Erfahrung einer verseuchten Industrielandschaft derart, daß heiler“Natur geunser Bewußtsein für das Bedürfnis und die Notwendigkeit „ schärft wird. Diese ideelle Leistung derKunst ist visuelle Erkenntnis. Jochims weiter: „ Zweitens ist die Konzeption gleichermaßen relevant für den Autor wiefürdenAdressaten. DieKonzeption desAutors präformiert dasBild, und derAdressat verinnerlicht durch aktive Rezeption die imBild manifest gewordene Ichverstehe unter Konzeption ... diegenerelKonzeption visueller Wirklichkeit.“„ le Bild- undFormauffassung und–untrennbar davon –die Auffassung dervisuellen Wirklichkeit außerhalb des Bildes. Konzeption meint die bewußten und vor allem die unbewußten Strukturen vonSehen undFormung visueller Wirklichkeit.“ EinWeiter verdeutlicht Jochims seinen Konzeptionsbegriff an dendrei Stufen: „ . Der Maler als Anfänger lebt von den Einfällen, die der fall-Idee-Konzeption“ Konvention entsprechen. Gelingt esdemMaler, mehrere Einfälle zuverdichten und ein „dauerhaftes Bild der Wirklichkeit herauszuarbeiten, das neuen Erfahrungen standhält, bildet sich eine Idee. Sie ist Ausdruck einer gereiften Schau. Freilich auf 427 Ebenda, S. 87. 428 Ebenda, S. 68, 30, 39, 35.

136

Teil II

demBoden der unbewußten Konventionen des Sehens undFormens. Erst wenn diese Konventionen selbst auf demBoden eines individuell gereiften Sehens kritisch undselbstkritisch erkannt undgeformt werden, wenndietiefsten unbewußten kollektiven Mythen umgearbeitet werden, bildet sich Konzeption. Sie dringt ordnendeinbis indieverborgenen Schichten desinneren undäußeren Seins. Es gibt in diesem Sinne nureine künstlerische, existentielle, soziale, geschichtliche Konzept429WieBoehm dazuanmerkt, beschreibt ion, nämlich diederIdentität allen Seins.“ visuelle Identität „ eine ursprünglichere Dimension vonLeben, eine Unteilbarkeit desSeins ... . Visuelle Identität, imBilde vollzogen, markiert eine ursprünglichere Zusammengehörigkeit desMenschen mitderNatur, nach derer kein Fremder und Entfremdeter auf der Erde undkein Fremdling zu Ding, Pflanze undTier sein 430 muß.“

Wie das bildnerische Denken von Jochims offenlegt, vertritt er mit seiner Kunst, ebenso wieKandinsky, Klee undBeuys, einen Universalanspruch, derunser Die Identität desBildes ist Versöhnung von Bewußtsein verändern soll. Jochims: „ Mensch undNatur, von organischer undtechnischer Welt undaller abendländischen Dualismen wie Subjekt undObjekt, Rationalität undMystik, Notwendigkeit undFreiheit, Individuum undGesellschaft. Die visuelle Identität symbolisiert in derEinheit vonRaum, Licht undZeit die Einheit desvisuellen Bewußtseins.“431Im Bild –in jedem realisierten Kunstwerk –sind die Polaritäten von Intuition und Ratio, als dieübergeordneten Dimensionen derpolaren Gegensätze, aufgehoben in eine höhere Einheit –die visuelle Identität. In dieser Identität liegt auch die Das neue Sehen“ , das innovative und Erkenntnisleistung der Kunst begründet. „ progressive Künstler wie z.B. Cézanne oder Kandinsky praktizieren, meint „ im Sinne der Identitätskonzeption ... individuell selbstbestimmte, geschichts- und gesellschaftbezogene visuelle Realitätserkenntnis und-formung im Rahmen allgemeingültiger, flexibler, anthropologisch begründeter visueller Strukturen. Ohne solche generellen Strukturen, die die visuellen Künste entwerfen, degeneriert das gesellschaftliche Sehen zu Bewußtlosigkeit undBarbarei ... Realisation im Sinne Cézannes undder Nachfolger bedeutet Bewußtwerdung der Prozeßhaftigkeit des Sehens undhumaner Gestaltungsmöglichkeiten im sozialen undhistorischen Zusammenhang.“432 Mit diesen Gedanken, in denen Jochims denhohen Stellenwert der Kunst im geistigen Haushalt der Menschheit sichert, tut sich kund, daß das künstlerische , wie Mahlow Denken „Grundzüge einer autonomen moralischen Qualität enthält“ feststellte. Ausdiesem Grund kanndaskünstlerische Denken wichtige Anstöße zur Bewußtwerdung dringlicher Probleme des Menschen geben und durchaus Lösungsvorschläge anbieten. In diesem Verständnis erscheint künstlerisches Denken grundsätzlich politisch“.433 „ 429 Ebenda, S. 39, 41– 43. 430 Ebenda, Gottfried Boehm: Nachwort, Die Ursprünglichkeit desBildes, S. 230. 431 Ebenda, S. 230. 432 Ebenda, S. 89. 433 Dietrich Mahlow inKatalog: Nürnberg, Künstler-Theorie-Werk, S. 10.DerBegriff „politisch“ Parteipolitik“verstanden, wird hier ausdrücklich nicht im Sinn von ideologisch geprägter „

7. Konzeptionelle

Malerei als visuelle Realitätserkenntnis

–Visuelle Identität

137

sondern in der Bedeutung vonGesellschaftsveränderung, d.h. es gilt verkrustete Strukturen aufzubrechen und„ mehrDemokratie zuwagen“ , wieeine Losung Willy Brandts lautete. In einem Gespräch antwortete Beuys auf die Frage, ob die Vorwürfe gegen ihn mit einer Politisierung“seiner Kunst zusammenhingen, daßeine „ „ Politisierung ... garnicht angestrebt ist. Ichwillja, imGegenteil, dieEliminierung desBegriffs Politik. Dennauch er ist traditionell undfaßt nichts anderes ins Auge, als die bestehenden Machtverhältnisse im Staat undin der Wirtschaft zuerhalten.“Amine Haase: Gespräche mitKünstlern, Kölno.J., S. 28– 30, Zitat S.

29.

Wenn „Parteipolitik“in erster Linie nurnoch darauf zielt, die eigene Macht zuerhalten und immer weiter auszudehnen, wieRichard vonWeizsäcker zuRecht kritisiert hat, dannwirdeine solch begriffene „ Politik“für viele fragwürdig oder bedenklich und dann sind gerade die „ Intellektuellen“ , auchdieKünstler gefordert, als Korrektiv tätig zuwerden. Daichineinigen Überlegungen Richard vonWeizsäckers eine gleichsam posthume Genugtuung undBestätigung der„ politischen“Position sehe, die Beuys schon vorfast zwanzig Jahren vertreten hat, erlaube ichmir, hier einige Kernsätze vonWeizsäckers aufzuführen: WennmanimGrundgesetz liest, „ die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“ , erklärt Weizsäcker, „ unddies mit der tatsächlich eingetretenen Wirklichkeit unseres Verfassungslebens vergleicht, dannkommen demeinem dieTränen derRührung, undbeianderen schwel-

lendieZornesadern. Unddasbekommt aufdieDauer unserer Demokratie

gerade deshalb nicht

gut, weil wir die Parteien brauchen. Die Parteien haben sich zu einem ungeschriebenen sechsten Verfassungsorgan entwickelt, dasaufdieanderen fünf einen immer weitergehenden, zumTeil völlig beherrschenden Einfluß entwickelt hat.“(S. 139, 140) „Nach meiner Überzeugung ist unser Parteienstaat vonbeidem zugleich geprägt, nämlich machtversessen auf den

Wahlsieg undmachtvergessen bei der Wahrnehmung der inhaltlichen undkonzeptionellen politischen Führungsaufgabe.“(S. 164) Und auf die Frage, was er von den Intellektuellen DerGeist könnte in unserer Zeit einen wichtigen Beitrag zur erwarte, antwortete Weizsäcker: „ Erkenntnis leisten, wieesdennheute mitMacht undMachtausübung inderDemokratie bestellt ist. Fast alle schon behandelten Fragen gehören dazu. Ich wiederhole: Machtversessenheit in bezug auf Wahlkampferfolge, Machtvergessenheit oder, besser gesagt, Ohnmacht, was die Konzeption unddengewaltigen Orientierungsbedarf in unserer Zeit anbetrifft. Wennwireine politisch sehr machtbewußte Politikerschicht inunserem Landhaben, dieaber zuwenig leistet, wenn es um die Substanz und die Übersicht über die großen Fragen geht, dann könnten Intellektuelle ruhig hörbarer mitstreiten undetwas machtvolleren, politischen Geist zunächst selber beitragen unddann einfordern. Wenn in derPolitik zuviel Macht angesammelt ist und wennes zuMißbräuchen in ihrer Anwendung kommt, dann meldet sich derGeist mitseiner Kritik –zu Recht. Wenn aber das politische Mandat gar nicht zurkonzeptionellen Führung benutzt wird, wennalso eingeistig-politisches Machtvakuum entsteht, warum schweigen dann dieIntellektuellen dazu? ZurZeit nehme ichbeimGeist eherDistanz undzuweilen Resignation gegenüber der politischen Macht wahr, dagegen weniger kritische und vitale Beteiligung. Jedenfalls hates Zeiten gegeben, indenen mansich inderPolitik weit stärker herausgefordert fühlte durch den Geist, kritisch oder konstruktiv, oder beides.“(S. 178, 179) Richard von Weizsäcker im Gespräch mit Gunter Hofmann undWerner A. Perger, Frankfurt a.M. 1992. (= Weizsäcker imGespräch). Beuys hatalsKünstler undalsDenker zweifelsohne zudengroßen Herausforderern derPolitik Aufruf zurAlternative“ , veröffentgehört, dieWeizsäcker heute vermißt. Siehe z.B. Beuys’„ licht in derFrankfurter Rundschau am23.12.1978, abgedruckt in: Harlan: Soziale Plastik, S.

129 ff. ZumThema Beuys unddiePolitik siehe dieposthumen Veröffentlichungen: Joseph Beuys: Ein kurzes erstes Bild vondemkonkreten Wirkungsfelde der Sozialen Kunst. Einführungsrede beimöffentlichen Podiumsgespräch zwischen Joseph Beuys undMichael Ende inWangen am 10.02.1985, Wangen 1989, 2. Aufl. ... der soziale Künstler wird sich mehr als jeder andere Tätige auf einen Stand Beuys: „ oberhalb desGemüts indemvollen Bewußtseinsfelde begeben müssen, indemGedankengän-

Teil II

138

Bildnerisches Denken ist also weder weltfremd nochabgehoben vonderWirklichkeit, sondern es ist, wie die Bilder als Realitätserkenntnis, „ Welt“konstituierend, indem esWeltentwürfe konzipiert unddies mitethischem Anspruch. Jochims macht imHinblick aufWerk undTheorie Piet Mondrians selbst aufdiese Dimension aufmerksam: „Mondrian ging es nicht umRaster undMaterialgerechtigkeit, umGrundfarben undSimplizität, sondern umVersöhnung vonMaterie undGeist, von Innerlichkeit undÄußerlichkeit, von Ethik undÄsthetik. Es ging ihm umeine neue Lebensform, unddasmacht seine Bilder undseine Theorie sounbequem, für dasallgemein herrschende Bewußtsein so schwierig undgrundwichtig. Seine Idee der Reinheit ... ist Ausdruck einer Anstrengung, das Geschichtliche mit dem Absoluten zuversöhnen, diehöchste humane Wirklichkeit zuleben ...“ .434 Das unleugbare ethisch-moralische Anliegen der modernen Kunst offenbart sich sowohl in denWerken, diein ihrer dasKonventionelle sprengenden Neuartigkeit Stachel für schläfrige Augen sind, als auch in den Künstlertheorien, die, frei von denrationalistischen Zwängen sogenannter Wissenschaftlichkeit –deswegen , Erkenntnisse hervorbrinsind die Theorien ebenso provozierend wie die Werke – gen, die, weil sie auf der Imagination als der Ein-Bildungskraft des Künstlers basieren, sonst nirgendwo gewonnen werden können. Wennmanalso wieJochims dasBildalseine Formvisueller Erkenntnis begreift, sokannmandasGedankenbild (das bildnerische Denken) als „imaginative“Erkenntnis verstehen, weil dasDenken des Künstlers untrennbar ist von seiner Fähigkeit zur Realisation, als die künstlerische Kompetenz, die die Vision in ein Bild (Imago) umsetzen oder verwirklichen kann. Weil das bildnerische Denken auf der Fähigkeit des Bildens gründet, ist es einkreatives Denken, dasdieErkenntnis derWelt vermehrt. Bildnerisches Denken ist nurin diesem positiven Sinn imaginative Erkenntnis als konkrete Erkenntnis, weil sie andie Gestaltungskraft gebunden ist. Diese Sichtweise der Problematik von Denken und Bilden teilt auch Jochims, DasDenken spielt in dervisuellen Erkenntnis dersich wiederum auf Klee beruft: „ ... eine wesentliche Rolle, denn es entwickelt die Gesetze der Gestaltung. Klee spricht vonbildnerischem Denken. Die Entwicklung desdiskursiven Bewußtseins kann also derEntwicklung desvisuellen zugute kommen undumgekehrt, d.h. neue begriffliche Theorien können der Kunst neue Wege eröffnen, und neue visuelle Vorstellungsweisen können der Wissenschaft neue Gegenstandsbereiche erschließen oder neue Verifikationsmöglichkeiten geben. ... Der Künstler zeichnet sich nicht durch eine besondere anschauliche Begabung aus, sondern neben demtheoretischen Interesse vorwiegend durch die Fähigkeit zu realisieren.“Bezugnehmend

ge in logischen

Schritten immer unter jeweils klarer Kontrolle gegangen werden müssen,

um

denrichtigen Begriff zufinden, umihnimDenken schon bereits zueiner geistigen Wirklichkeit zu bringen undihn dann in die Tat zuüberführen.“(S. 21). Nurin diesem Sinn hatBeuys gesagt, daßer sich vordenBegriffen verneigt! Dieobengenannte Podiumsdiskussion istdokumentiert inderVeröffentlichung: Joseph Beuys, Michael Ende: Kunst undPolitik: einGespräch, Wangen 1989.

434 Jochims: Visuelle Identität, S. 53. Zu Mondrians Denken Abstraktion undRealität.

siehe Dittmann: Geometrische

7. Konzeptionelle

Malerei als visuelle Realitätserkenntnis

–Visuelle

Identität

139

auf Fiedler ist für Jochims: „ ... das Bild Resultat visueller Erkenntnis, die sich in der materiellen Realisation manifestiert undmitteilt. Das Bild ist nicht als ästhetisches Resultat entscheidend, sondern für denAutor als konkretisierte Erkenntnisanstrengung undfür den Adressaten als Motor des Erkenntnisnachvollzugs. Die Verselbständigung des Bildes zumästhetischen Objekt verdirbt seine Erkenntnisfunktion. DasBild ist also konkretisierter Prozeß, seine Dauer ist die Zeit, in deres beim Rezipienten neue visuelle Bewußtseinsstrukturen einübt...“.435 Diese Gedanken Jochims stehen ganz inderTradition vonKlees bildnerischem Denken. Wenn Klee in seiner „ schöpferischen Konfession“postuliert: „ Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar“ , dann bedeutet das, daß die Kunst uns neue visuelle Strukturen vermittelt, die wir noch nicht wahrgenommen haben. Genau in dem Sinne meint Klee, daß wir mit den Formelementen der Graphik „ eine kleine Reise ins Land der besseren Erkenntnis ..., da wo größere Erkenntnis zufinden“ist, machen können. Bessere, größere Erkenntnis bei Klee ist eben jene intuitive oder anschauliche Erkenntnis der Kunst, die Jochims visuelle Erkenntnis nennt. Und wie für Jochims, ist auch für Klee das Bild wesentlich konkretisierter Prozeß. Klee: „ Auch das Kunstwerk ist in erster Linie Genesis, niemals wird es (rein) als Produkt erlebt. ... Auch des Beschauers wesentliche Tätigkeit ist zeitlich. Derbringt Teil für Teil in die Sehgrube, undumsich auf ein neues Stück einzustellen, mußer das alte verlassen. Einmal hört er auf undgeht; wie der Künstler. Hält er’s für lohnend, kehrt er zurück; wie der Künstler. Dem gleich einem weidenden Tier abtastenden Auge desBeschauers sind imKunstwerk Wege eingerichtet. ... Dasbildnerische Werk entstand ausderBewegung, ist selber festgelegte Bewegung und wird aufgenommen in der Bewegung (Augenmuskeln).“436

Nicht nur wegen solcher Analogien im Denken von Klee und Jochims, die erkennen lassen, wie konsequent Jochims auf denKünstlertheorien derklassischen Moderne aufbaut437, wurde die Künstlerästhetik Jochims in diese Untersuchung 435 Ebenda, S. 129, 130. 436 Klee: Kunst-Lehre, S. 61, 63. 437 Siehe dazu Lorenz Dittmann: Zur Leiblichkeit der Farbe, in Raimer Jochims: Bilder und 86. Mit Texten vonVolker Bauermeister, Ulrich Bischoff, Lorenz DittPapierarbeiten 1974– mann, Gerhard Hoehme, Jenns Howoldt, Gert Reising, Eberhard Simons, Thomas H. Winkler 34. (= Katalog: Jochims, undArbeitsnotizen von Raimer Jochims, Klagenfurt 1987, S. 24– Bilder undPapierarbeiten). Dittmann zeigt auf, wie tief Jochims, trotz aller Differenzen, in der Farben- undGestaltungsKandinsky betonte, daß die, ‚natürlichen Zutheorie Kandinskys verwurzelt ist. Dittmann: „ sammenhänge der‚zeichnerischen‘ und der ‚malerischen‘ Elemente, die wir heute bis zu gewissen Grenzen erkennen können, füreine künftige Kompositionslehre voneiner unermeßlichen Wichtigkeit‘sind. ‚Nuraufdiesem Wege können planmäßige, exakte Experimente indie Konstruktion gemacht werden ...‘. Raimer Jochims hatsich aufdiesen Wegbegeben.“(S. 28). Diese Publikation über Raimer Jochims enthält auch eine Bibliographie über die wichtigsten Schriften zuJochims undeine Liste seiner Veröffentlichungen undseiner kunsttheoretischen Vorlesungen. Wie zuerwarten ist, findet sich hier eine ganzer Vorlesungszyklus über Künstlertheorien im 20. Jahrhundert. Behandelt wurden: Concept-art, Beuys, Ad Reinhard, Albers, Duchamp, Mondrian, Klee, Kandinsky, Malewitsch, Magritte, Matisse undBrancusi. (S. 163).

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Teil II

einbezogen, sondern auch weil sich hier erweist, daß dem Denken Klees und Kandinskys keine nur für ihre Entstehungszeit, also historische Bedeutung zukommt, wie gerne behauptet wird, sondern eine grundlegende, überzeitliche. Darüber hinaus hat Jochims deutlich gemacht, daß Cézanne nicht nur mit seiner wahrlich revolutionären Malerei eine derwichtigsten kunsthistorischen Schwellenfiguren zur Kunst des 20. Jahrhunderts hin ist, sondern daß er auch als einer der entscheidendsten Väter des Bildnerischen Denkens anzusehen ist, weil er auf die notwendigen Polaritäten vonTheorie undPraxis, Sehen undReflektieren, Realisierungsvermögen undgedanklicher Durchdringung undRechtfertigung deskünstlerischen Schaffens aufmerksam gemacht hat. Damit ist Cézanne, zumindest ideell gesehen, dergeistige Vater jenes für die Kunst des20. Jahrhunderts so charakteristischen bildnerischen Denkens, versteht mandarunter wieMahlow „ dieReflexion desKünstlers über dasWie, Warum undWozuseines eigenen Tuns hinsichtlich der Sinngebung, dieer derkreativen Gestaltung undUmgestaltung dervonihmvorgefundenen Umwelt –Realität unterlegt. Dieser Reflexionsprozeß vollzieht sich in der Konzeptfindung vor Beginn seiner gestalterischen Arbeit, im ständigen Wechselbezug während seiner gestalterischen Arbeit, undim Nachdenken nach deren Vollendung.“438 Dieses bildnerische Denken kann sich aphoristisch äußern, wie beispielsweise bei Cézanne undPicasso, es kann sich aber auchzutheoretischen unddidaktischen Systemen verdichten wie bei Klee undKandinsky, bei Beuys undJochims, woes als Künstlerästhetik mit philosophischem Anspruch undphilosophischer Relevanz auftritt.

8. Die Soziale Plastik als unsichtbares Kunstwerk – der Erweiterte Kunstbegriff als eine Figuration desDenkens „ Durch Menschen bewegen sich Ideen fort, während sie in Kunstwerken erstarren und schließlich zurückbleiben.“ Joseph Beuys439

Im Rahmen dieser Untersuchung kann die Kunsttheorie Raimer Jochims –wieja die vonKandinsky, Klee undBeuys auch –nurfragmentarisch behandelt werden. Ich möchte aber dennoch auf einen Hinweis eingehen, denJochims gibt, wenn er seine Vorstellung einer konzeptionellen Malerei vonder sogenannten concept-art unterscheidet. Dieser Hinweis zeigt einmal mehr das gedankliche Beziehungsgeflecht von Kandinsky bis Beuys. Für Jochims ist die seit 1961 aufgekommene concept-art „Kunst als Konzept ohne Realisation oder ohne notwendige Realisation. Durch Verzicht auf Realisation zieht sich derAutor vondervisuellen Gestal-

438 Dietrich Mahlow in Katalog Nürnberg: Künstler-Theorie-Werk, S. 10. Joseph Beuys“ , München 1988, S. 2. Zitiert nach: Rainer E. 439 Künstler Kritisches Lexikon „ Rappmann (Hrsg.): Joseph Beuys. Kunst = Kapital. Achberger Vorträge, Wangen 1992, S. 11.

8. Die Soziale Plastik als unsichtbares

Kunstwerk

141

tung der Welt zurück, während konzeptionelle Kunst immer Einheit von Sein und Bewußtsein, von Konzept undRealisation ist.“ 440 Aber an Stelle der visuellen, der sichtbaren Gestaltung der Welt, tritt eine ideelle, nur retinal unsichtbare Gestaltung der Welt. In diesem Vorgang ist eine Erweiterung des traditionellen Kunstbegriffes zu sehen unddie Frage ist, wie sich diese erklärt. Jochims gibt eine mögliche Antwort: „ ImVerzicht auf Realisation (in derconcept-art) sehe ich denzeitweiligen Protest dessich konzentrierenden Geistes gegen die Fetischisierung der Materie.“ 441Diese Erklärung Jochims ist plausibel

440 Jochims: Visuelle Identität, S. 30. 441 Ebenda, S. 105. ZumPhänomen der concept-art siehe die „Künstlertexte zumveränderten Kunstverständnis nach 1965“ , indeVries: Über Kunst. Dort schreiben die britischen Künstler derArt& Language Gruppe in ihrer Einleitung: „ Inerster Instanz scheint es derkonzeptionellen Kunst darum zugehen, die Forderung in Frage zustellen, die offenbar die Form bildender Kunst so unnachgiebig beherrscht: daßbildende Kunst visuell bleibe.“(S. 29) „ Innerhalb des Rahmens ‚konzeptuelle Kunst‘ sind die Anfertigung von Kunst und die Anfertigung einer bestimmten Art von Kunsttheorie häufig ein undderselbe Vorgang.“(S. 33) Joseph Kosuth schreibt inseinem Beitrag „Kunst nachderPhilosophie“ :„ Das20. Jahrhundert führte eine Zeit herauf, die ‚dasEnde derPhilosophie undderBeginn derKunst‘heißen könnte. Ichmeine das selbstverständlich nicht imwortwörtlichen Sinn, sondern verstehe darunter eher die ‚Tendenz‘ In dieser Menschheitsepoche kann Kunst nach Philosophie und der Situation.“(S. 139) „ Religion möglicherweise ein Unterfangen sein, das befriedigt, wasein anderes Zeitalter vielleicht ‚die geistigen Bedürfnisse des Menschen‘nannte. Oder, anders ausgedrückt: es könnte sein, daß sich Kunst analogisch mit dem Zustand der Dinge, ‚jenseits der Physik‘ befaßt, worüber früher die Philosophie Feststellungen zu treffen hatte. Und die Stärke der Kunst besteht darin, daß noch der vorige Satz eine Behauptung ist und sich nicht durch Kunst verifizieren läßt. Der einzige Anspruch der Kunst gilt der Kunst. Kunst ist die Definition von Die ‚reinste‘ Definition von konzeptueller Kunst wäre die, daß sie eine Kunst.“(S. 159) „ Untersuchung der Grundlagen des Begriffs ‚Kunst‘ist, wieer heute verstanden wird.“ (S. 161). Sol LeWitt schreibt inseinem Beitrag „Paragraphen über konzeptuelle Kunst“ Bei konzeptu:„ eller Kunst ist dieIdee oder die Konzeption derwichtigste Aspekt derArbeit. ... DieIdee wird zueiner Maschine, die die Kunst macht. Diese Art vonKunst ist nicht theoretisch undkeine Illustration vonTheorien; sie ist intuitiv, schließt alle Typen geistiger Prozesse mitein undist ohne Zweck. ... Es ist das Ziel des Künstlers ... seine Arbeit in geistiger Hinsicht für den Betrachter interessant zumachen ... .“ (S. 177) „Konzeptuelle Kunst hatnicht wirklich viel mit Mathematik, Philosophie oder irgendeiner anderen geistigen Disziplin zu tun. ... Die Philosphie der Arbeit liegt in der Arbeit beschlossen und ist keine Illustration irgendeines phiGesetzt denFall, daßderKünstler seine Idee durchführt undin losphischen Systems.“(S. 179) „ sichtbare Form bringt, dann sind alle Stadien in dem Prozeß wichtig. Die Idee selbst, auch wenn nicht in sichtbare Formgebracht, ist ebenso ein Kunstwerk, wieirgendein abgeschlossenes Produkt. Alle Zwischenstadien –erstes Gekritzel, Skizzen, Zeichnungen, mißlungene Arbeiten, Modelle, Studien, Gedanken, Gespräche –sind vonInteresse. Die, diedengedanklichen Prozeß des Künstlers anzeigen, sind manchmal interessanter als das Endergebnis.“(S. Ein Kunstwerk läßt 181) „Konzeptuelle Kunst ist nurdanngut, wenndieIdee gutist.“(S. 185) „ sich als Verbindung zwischen demGeist des Künstlers unddemdes Betrachters verstehen. Wenn Aberes erreicht vielleicht niedenBetrachter, oder verläßt niedenGeist desKünstlers.“„ Wörter benutzt werden, undsie ausGedanken über Kunst hervorgehen, dann sind sie Kunst Die Konventionen vonKunst werden durch Kunstwerke verändert.“ undnicht Literatur ... .“„ (S. 189). Das ist Kunst, wasmitästhetischen Mitteln bestehende Peter Roehr schließlich schrieb 1967: „

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Teil II

undsie läßt sich auch bis zu Kandinsky zurückverfolgen. Kandinsky, der schrieb: „ derGeist bestimmt dieMaterie undnicht umgekehrt“442,verachtete jede Formdes Materialismus undglaubte andieExistenz einer übersinnlichen, unsichtbaren Welt. Roethel hat als einen grundlegenden Zugimgesamten Werk Kandinskys erkannt, daß das zunächst Sichtbare nur die Brücke ist, um Unsichtbares mitzuteilen.“443 „ Kandinsky, unzweifelhaft beeinflußt von derPhilosophie Rudolf Steiners undder Theosophie Blawatzkys444, glaubte, daßdie Kunst ein Mittel zurErkenntnis höheästhetische und soziale Zustände verändert. Somit ist das Kunst, was die jeweils bisherige Definition derKunst inFrage stellt.“(S. 247). 442 Kandinsky: Gesammelte Schriften, S. 164. 443 Roethel: Kandinsky, S. 26. 444 Siehe dazu Sixten Ringbom: The sounding cosmos. A study in the spiritualism of Kandinsky andthe Genesis of abstract painting, Abo 1970. Sixten Ringbom: Kandinsky unddasOkkulte, und: Die Steiner-Annotationen Kandinskys, inKatalog: Kandinsky undMünchen, S. 85– 105. Hubertus Gaßner undWolfgang Kersten: Physikalisches Weltbild undabstrakte Bildwelten bei Wassily Kandinsky, in Monika Wagner (Hrsg.): Moderne Kunst, Das Funkkolleg zumVerständnis der Gegenwartskunst, 2 Bde., Reinbek bei Hamburg 1991, S. 265– 287. (= Wagner: Moderne Kunst). Gaßner und Kersten versuchen an Hand einer Analyse von Kandinskys „ Komposition IV“ , 1911, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, nachzuweisen, wiestark Kandinsky in seiner Farben- undFormensprache voneiner theosophischen Weltsicht beeinflußt war. Sie zeigen „Kandinskys Bemühungen umbildliche Umsetzung derdrei von... Rudolf Steiner gewiesenen Abstraktionsstufen auf demWegzurErkenntnis ‚höherer Welten‘. Diese Stufen, wieSteiner sie versteht, sind selber ja nichts weiter als Entwicklungsschritte der Wahrnehmung vomMateriell-Gegenständlichen zumGeistig-Abstrakten.“(S. 267) „ WieSteiner durch die Meditation, so will Kandinsky durch die Abstraktion diesen Verkehr mit der höheren Wesenheit desGeistes eröffnen.“(S. 268) Dennoch mußmitRoethel „ betont werden, daß Kandinsky weder Anhänger der Theosophie noch der Antroposophie warunddaß seine eschatologischen Gemälde nicht ausschließlich durch denEinfluß der Bücher vonBlavatsky oder durch die Vorträge vonSteiner erklärt werden können. Kandinsky waralles andere als ein Sektierer, was nicht zuletzt durch seine im ‚Geistigen‘ ausgesprochene Meinung über die Theosophie deutlich wird, wo er sagt, daß er nicht an unfehlbare Rezepte undAllheilmittel glaube.“(Roethel: Kandinsky, S. 22). Zum Verhältnis Kandinskys zur Theosophie und zu Rudolf Steiner siehe auch folgende Untersuchungen: Ulya Vogt-Göknil: Ein Deutungsversuch von Kandinskys Kunsttheorie. In Gotthard Jedlicka. Eine Gedenkschrift. Beiträge zurKunstgeschichte des 19. und20. Jahrhun134. (= Vogtderts. Hrsg. von Eduard Hüttinger undHans A. Lütthi, Zürich 1974, S. 127– Göknil: Kandinskys Kunsttheorie). Kandinsky „fühlte sich in seinem künstlerischen Ziele durch dieGedankengänge vonH.P. Blavatzky undR. Steiner geistig bestätigt. Dies ergab ihm wohl auch den Impuls, seine Auffassung vonder neuen Kunst schriftlich zu formulieren.“ 1921 gehalten hat, Vogt-Gökil vermutet, daß Steiner in seinen Vorträgen, die er von 1918– Über das Geistige“beeinflußt war, auch wenn Steiner seinerseits von Kandinskys Buch „ Kandinskys Namen nirgends erwähnt. (S. 129). Mit den Beziehungen zwischen der modernen Kunst und der Theosophie sowie anderer Geheimlehren beschäftigt sich Friedhelm Wilhelm Fischer: Geheimlehren undmoderne Kunst. Zurhermeneutischen Kunstauffassung vonBaudelaire bisMalewitsch. In: FindeSiècle. Hrsg. 377. (= Fischer: Geheimlehren). Fischer von Roger Bauer u.a., Frankfurt a.M. 1977, S. 344– vertritt folgende These: „ Grundsätzlich wichtig ist allerdings, daßderDurchbruch zurabstrakten Malerei bei verschiedenen Künstlern mit Geheimlehren zusammenhängt. Und was die gegenstandslose Kunst angeht, so möchte ich hier den generellen Verdacht äußern, daß sie nichts anderes ist als die konsequente Fortführung des symbolistischen Traums vonder Über-

8. Die Soziale Plastik als unsichtbares

Kunstwerk

143

rerWelten ist. In derTheosophie saher „eine dergrößten geistigen Bewegungen“ , , dasie sich „aufdemWege derinneren Erkenntnis ... die „zeigt undHilfe bietet“ den Problemen des Geistes zu nähern“versucht, mit demZiel „ewigwährender .445DaßKunst für Kandinsky aufdenmetaphysischen Bereich bezogen Wahrheit“ ist, zeigen die schon 1910 geschriebenen Sätze: „ Das Sprechen vomGeheimen durch Geheimes. Ist dasnicht derInhalt? ... Mensch spricht zumMenschen vom Übermenschlichen –die Sprache derKunst.“ 446Darüber hinaus berichtet Roethel voneinem Brief Kandinskys anArnold Rönnebeek vom25.02.1913, in demKandaß es möglich sein müsse, eines Tages Bilder dinsky die Meinung vertreten habe, „ nicht mit Pinsel undLeinwand zu schaffen, sondern kraft geistiger Ausstrahlung 447–Das unsichtbare Kunstwerk. allein.“ Ohne nundie Brechstange einer teleologischen Kunstgeschichte ansetzen zu wollen, sokannmanaberdochlegitimerweise indieser Äußerung Kandinskys eine ideelle Vorwegnahme undVorbereitung jener „ unsichtbaren Skulptur“sehen, die Beuys proklamierte. In einem Gespräch mitKindern führte Beuys dazu aus: „ Und dann mußich natürlich meine Kunstwerke machen, unddiese Kunstwerke sind manchmal unsichtbare Kunstwerke, dasistdasTolle! Dennicharbeite ja dafür, daß es später anderen Kindern besser geht! ... Ideen! Ideen sindja unsichtbare Kunstwerke, aber sie sindja auchganzwirklich! Wennmansich etwas vorstellt, dannhat dasja eine Form. Ihr könnt euchja ein Dreieck vorstellen, z.B. dasDreieck ist ja garnicht da,esistja nurinderVorstellung da.Aberdieses Dreieck existiert nicht so

wie dieses Glas da, das ist eine unsichtbare Plastik. Alle Vorstellungen, Gedanken undIdeen, auch Träume sind unsichtbare Bilder undunsichtbare Plastiken. Das heißt, für euch sind sie sichtbar, aber nicht in einer festen Form. Das ist eine Vorstellung.“448Für Beuys sind Ideen, Gedanken, Denken ebenso wirklich und wirksam wieretinal sichtbare, materielle Dinge. Undgerade die Kunst ist dadurch ausgezeichnet, daß sie auf Unsichtbares, Metaphysisches, Geistiges aufmerksam machen kann. In einem Gespräch mit Heiner Bastian undJeannot Simmen über der Materie. In alchemistischer Terminologie ausgedrückt hieße das: die gegenstandslose Kunst ist dergefundene Stein derWeisen, derStoff inGeist verwandelt. Undetwas strenger gefaßt kann die Sache auch bedeuten: Reduktion derSchöpfung aufs Absolute.“(S. 362). Fischer begründet seine These mitMondrian, Kandinsky undMalewitsch. Kandinsky: ÜberdasGeistige, S. 42, 43. DieStelle, aufdiesich Roethel inobiger Anmerkung wohl bezieht, lautet: „ Undjedenfalls, wennauch dieNeigung derTheosophen zurSchaffung einer Theorie unddieetwas voreilige Freude, baldAntwort aufdieStelle desewigen immensen Fragezeichens stellen zu können, leicht den Beobachter etwas skeptisch stimmen kann, so bleibt doch die große, doch geistige Bewegung da, welche in der geistigen Atmosphäre ein starkes Agens ist unddieauchindieser FormalsErlösungsklang zumanchem verzweifelten in Finsternis undNacht gehüllten Herzen gelangen wird, doch erscheint damit eine Hand, die zeigt undHilfe bietet.“(S. 43). Kandinsky im Katalog zur 2. Ausstellung der Neuen Künstlervereinigung München, 1910, abgedruckt inGollek: Münter-Haus, S.28. Roethel: Kandinsky, S. 22. Roethel zitiert die Stelle in Kandinskys Brief, der sich in The Beinecke Library, Yale Universtiy, NewHaven, Conn. befindet, leider nurindirekt, aber ich habe keinen Zweifel anderAuthentizität dieser Aussage. Beuys: Gespräche, S. 21, 22. DasGespräch fandimJanuar 1983 statt. windung

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Teil II

seine Zeichnungen hat sich Beuys dazu dezidiert geäußert: „ ... ich mußsagen, es gibt eine sichtbare und es gibt eine unsichtbare Welt. Zur unsichtbaren Welt gehören die nicht wahrnehmbaren Kraftzusammenhänge, Formzusammenhänge undEnergieabläufe; gehört auch das, was mangewöhnlich das Innere des Menschen nennt. DasInnere desMenschen schließt sich nicht hinter seiner Hautab ... Auch die Seele ist Außenwelt, ist nicht sichtbar. Sie mag größer sein als jede Dimension, die irgendein Astronom ausloten kann, sie ist ja gerade ein Element, 449Undauf die Frage, wasdenn dasUnsichtbare in seinen das weltumfassend ist.“ Ja, es sind diese Kräfte-Zusammensetzungen Zeichnungen sei, antwortet Beuys: „ als Formverläufe, es sind unsichtbare Kräfte, es sind ... unsichtbare Formen. Diese unsichtbaren Formen sind nurso lange unsichtbar, so lange ich kein Auge habe, kein Organ habe, das bildhaft wahrzunehmen fähig ist. Für denjenigen also, der sich ein Wahrnehmungsorgan schafft, fürdensind diese Formen wahrnehmbar.“ Über ein sensibilisiertes Auge undmitderKraft vonImagination undIntuition kann der Betrachter die unsichtbaren Formen als Kraftzusammenhänge wahrnehmen. AmBeispiel seiner Tierzeichnungen weist Beuys konkret aufdiesen Sachverhalt hin: Die Linien und Formen versuchen „Kraftzusammenhänge, unsichtbare Figurationen, aber auch im Zusammenhang mit sichtbaren zu erfassen. Das kann sich in vielen Gegenständen zeigen, anhand eines Baumes oder eines dahinlaufendenTieres. DerBetrachter sagt, aha, dasist einhirschartiges Tier, aber andemTier oder in derFormgebung dieses Tieres ist noch etwas anderes, wassich mit Krafteinwirkung auseinandersetzt. Unddann ist auch noch dieser Zusammenhang wichtig: wie auch derMensch mitdiesem Tier zusammenhängt, beispielsweise, daßein

449 Joseph Beuys: Wennsich keiner meldet, zeichne ich nicht, in Katalog: Beuys, Zeichnungen, S. 29. Wie Kandinsky, so warauch Beuys vonIdeen Rudolf Steiners beeinflußt, wie die gerade eben zitierte Stelle über die „ Seele“belegt. Bei Rudolf Steiner: Die Erkenntnis derSeele und desGeistes. Fünfzehn öffentliche Vorträge, gehalten zwischen dem10.Oktober 1907 unddem 14. Mai 1908 in Berlin undMünchen, Dornach 1965 (= Steiner: Erkenntnis der Seele), lesen wir: „ So sehen wir, wieGeist undLeib oder auch Geist undMaterie zwei Wesenheiten, wenn wirso sagen dürfen, sind, wovon aber die eine Wesenheit imGrunde genommen dasselbe ist wiedie andere, nurin anderer Form. Sie sind in derWelt überhaupt nurvoneinander verschiedenwieEis undWasser. Sie sind verschieden, trotzdem sie dasselbe sind. Undmitten drinnen (S. 82). steht die Seele. Sie ist dasVerbindende vonGeist undLeib.“ Beuys war seit 1973 undoktrinäres Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft. Kunst, Wissenschaft, Religion undSchule (Universität) sollen grundsätzlich vomPrinzip derFreiheit Dreigliederung des bestimmt sein, das ist die Leitidee, die Beuys von Steiner bezieht. Die „ sozialen Organismus“in Staat (Recht), Wirtschaft undGeistesleben soll vondenIdealen der Gleichheit vorStaat undRecht, Brüderlichkeit in französischen Revolution bestimmt werden: „ derWirtschaft undFreiheit desGeistes.“(Stachelhaus: Beuys, S. 47). Siehe auch Diether Rudloff: Leuchtfeuer in finsterer Zeit. Ein Nachruf auf Joseph Beuys, in Eva, Wenzel undJessyka Beuys: Joseph Beuys. Block Beuys. MitFarbaufnahmen vonClaudio 405. (= Block Abate im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt, München 1990, S. 404– Schon sehr früh, als junger Mensch, hatte er die Anthroposophie Beuys). Rudloff schreibt: „ kennengelernt undsahsie alseinzigartige Möglichkeit, diedurch denMaterialismus notwendigerweise auseinandergerissene Dreiheit des Geisteslebens vonKunst, Wissenschaft undReligion aus modernem Bewußtsein wieder neuzuknüpfen.“

8. DieSoziale Plastik als unsichtbares

Kunstwerk

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Tier nicht wie eine Außenwelt gesehen wird ...“450Für Beuys, undnicht für ihn allein, ist das Tierreich, z.B. „ ein Hase –undmit ihm die Natur –ein Organ des Menschen, ohne dasderMensch nicht leben kann. Dasheißt, derMensch braucht als Lunge denWald als Sauerstoffquelle. Er braucht ... als Nahrung dasKorn. So braucht er die vielfältige Tierwelt zur Fruchtbarkeit, zum Fruchtbarwerden der Erde.“Der Mensch braucht „diese Natur unddas Tier, wie er sein Herz braucht. Also kann maneinen Hasen als ein Außenorgan desMenschen nehmen.“ Beuys sieht denMenschen in unmittelbarer Beziehung zumTier- undNaturreich; beide sindihmnicht einfach Gegenstandsbereiche, sondern gehören zuseiner inneren Welt. Undin seinen Zeichnungen, die, wie er sagt, nicht „vordergründig verständlich vomrein intellektuellen Beschreiben“sind, dort treten diese Reiche von denen der Mensch meint, sie gehören in ein hohes Prinzip von ihm, auf, „ vielleicht in ein Prinzip über ihm ..., so, wie er sich eigentlich daran gewöhnt hat, von den Tieren zu vermuten, daß sie einem Reich angehören, das unterhalb des Menschen steht. Mankönnte dasja verlängern indiePflanzenwelt, indiemineralische Welt undin diegeologische Unterlage dieses Planeten, aufdemdieMenschen stehen. Alles dieses habe ich den Menschen zugehörig erklärt, von Anfang an.“ Beuys will demMenschen sagen, daß er mit einem Tier, auch mit Pflanzen und

Böden immer schon in einem Dialog steht, auch wenner diesen nicht wahrnehmen will. „ Der Mensch kann aber auch mit Wesen sprechen, die höher sind als sein kurzfristiger, rein intellektueller Verstand. Er kann mit einem Engel sprechen ... Unddamit ist ja das Bild des Menschen bis zu demGottesbegriff groß. Undich möchte es nicht so klein halten, wie es der Materialismus hat schrumpfen las451In diesem geistigen Kontext müssen die Aussagen von Beuys gesehen sen.“ werden, daßer Unsichtbares, unsichtbare Kräfte darstellen will. Denn Beuys stellt fest, „ was uns als klotzige Wirklichkeit im Auge steht, sind nicht diese unsichtbaren Formen, die über die Wirklichkeit überhaupt erst eine Aussage geben könnten. Wirdenken meistens nurandie imVordergrund stehende physische Wirklichkeit, also an den retinalen Bereich, der alles retinal wie ein Photoapparat aufnimmt; wenn ich also mit weiteren Erkenntnis- oder Wahrnehmungsorganen etwas erfassen kann, dann gehört das ebenso zurWirklichkeit und ich fühle mich einfach intendiert, ja verpflichtet, dieser Sache nachzugehen, denn 452UndWirklichdannist manimGespräch mitdem,wasmanWirklichkeit nennt.“ keit ist für Beuys eben nicht nur die harte Materie, sondern auch die unsichtbare Wie Idee oder die nicht mehr sichtbare Aktion. Angesprochen auf seine Aktion „ mandemtoten Hasen die Bilder erklärt“von 1965 unddaßdiese Aktion vorüber, also nicht vonDauer sei, sagte Beuys: „Nein, dasbestreite ich, dennwirsprechen ja immer noch davon, obschon die Aktion jetzt ja schon bald zwanzig Jahre her ist. Dasheißt, die Sache lebt doch–alsInformation. Sie ist docheingeprägt. Ist es denn nicht wahr, daß die Gedanken der Menschen Wirklichkeit sind? Sind wir schon so weit vonderWirklichkeit unddemMenschenverständnis weg, daßwirGedanken 450 Beuys: Wenn sich keiner meldet, zeichne ich nicht, S. 29, 30. 451 Beuys: Gespräche, S. 133, 135, 136. 452 Beuys: Wennsich keiner meldet, zeichne ich nicht. In Katalog: Beuys, Zeichnungen, S.30.

Teil II

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undTaten der Menschen als ‚Unwirklichkeiten‘ bezeichnen? Sind denn gedachte Dinge oder ausgesprochene Dinge oder vollzogene Dinge in derGeste oder in der Bewegung aus der Welt verloren? Oder ist es nicht so, daß nur sie die Welt in der Entwicklung weiterbringen? Gesten undBewegungen gibt es auch in der Kreativität der Technik.“UndBeuys verweist auf die folgenreiche Erfindung des Dieselmotors. „ Wir müssen doch also die Formen des Denkens, die inneren Formen des Denkens, als die Voraussetzung für alle weiteren Verkörperungen ansehen. Aus diesem Grund sehe ich mich veranlaßt zu sagen, daß das Denken des Menschen selbst schon eine Skulptur ist unddaßes darauf ankommt, ob dieses Denken eine Formbekommt, damit sie auch inderphysischen Welt eine Formverkörpern kann. Sehen wir denn nicht denZusammenhang zwischen den inneren Kräften unddaß alles auf die inneren Kräfte und ihre Qualität ankommt, damit in den äußeren Lebensverhältnissen derMenschen vernünftige Einrichtungen zustande kommen? So, wie es bei der Kunst ist, ist es eigentlich allgemein in der menschlichen Arbeit.“453

Im Denken des Künstlers Beuys konfiguriert sich eine Idee, die „unsichtbare Skulptur“ . Die hier zu diskutierende These ist, daß das Bildnerische Denken ein „ unsichtbares Bild“ , ein Denk-Gebilde hervorbringt. Das bildnerische Denken = Denk-Kunst. Das denkerische Bilden = Bild-Kunst. Denk-Kunst undBild-Kunst sind korrelativ undbeide sind wirklich undfolgenreich undalso gleich wichtig.454 453 Beuys: Gespräche, S. 138. 454 Vgl. Gerhard Baumgärtel: Denk-Kunst undBildnerisches Denken. Kritik der Concept Art. In 111. Baumgärtel lehnt es entschieden ab,den Kunstforum International, Bd. 12, 1974/75, S. 88– Begriff des„bildnerischen Denkens“auch fürdie Künstlertheorien derConcept Artisten gelten Die Doppelbegriffe Denk-Kunst und bildnerisches Denken haben den Begriff zu lassen: „ DENKEN gemeinsam. DaßDenken undKunst etwas miteinander zutunhaben, ist keine neue oder garrevolutionäre Erkenntnis. Es ist aber dieFrage, undichmöchte untersuchen, inwieweit sich eine Kunst, welche das Denken ausdrücklich in den Mittelpunkt ihrer Selbstdefinition stellt –etwas pauschal Concept Art genannt –von einer ‚traditionellen‘ Kunst abhebt, für welche Denken Voraussetzung und Bestandteil des Werkes ist. ... So adäquat der Begriff Bildnerisches Denken Klees komplexes Denken erfaßt, fand undfindet er in der Folge auch Anwendung auf Künstlertheorien schlechthin –mitRecht, doch nicht ohne Begrenzung. Und diese liegt in der näheren Bestimmung desDenkens als bildnerisches Denken, als Frage nicht nurnachdemWesen derKunst, sondern darüber hinaus alsDenken innerhalb desBildes undin Bezug aufdasBild (allgemeiner: Werk). Daßdiese einschränkende Definition gemacht werden muß, liegt inderZeitsituation begründet. DenndasistdieFrage: IstConcept Artdie–vielleicht radikalisierende, aber die wesentlichen Momente doch beibehaltende –Fortsetzung der Kunst, welche darauf bestand, aufgrund eines Konzeptes zuarbeiten? Sie ist es erklärtermaßen nicht.“ daß (S. 88, 89). In derDenk-Kunst werde demDenken die primäre Stellung eingeräumt, so „ sich dasKonzept nicht mehraufdieAusführung eines Werkes bezieht, sondern aufsich selbst, daßes sich selbst zur‚Kunst‘erklärt. ... Einer (fragwürdigen) Deklarierung des Denkens zur Philosophie, Kunst steht eine Verwandlung des Denkens in Kunst zur Seite ... .“(S. 89). „ enger gesagt Theorie oder Konzept sind nicht nurlegale, sondern sogar notwendige Elemente derKunst. Aber sie sind nicht gleichzusetzen mitKunst.“(S. 95). Baumgärtel spielt also dasDenken des noch bildenden Künstlers gegen dasDenken des nicht

mehr, weniger oder seltener bildenden Künstlers aus. So logisch Baumgärtel seine Kritik auch führt, sie trifft denSachverhalt aber nicht, weil Baumgärtel eine unleugbare Erweiterung des

8. Die Soziale Plastik als unsichtbares

Kunstwerk

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DerBegriff der„unsichtbaren Skulptur“ist gleichsam das Bild fürden„erweiterten Kunstbegriff“ bei Beuys. Die „unsichtbare Skulptur“ist die „soziale Plastik“ oder die „soziale Kunst“ ,455 denn hier ist die konzeptuelle Idee der positiven Umgestaltung dergesellschaftlichen Verhältnisse dieHauptsache, aberdasaufdem Weg über die Kunst. Etwa vier Wochen vor seinem Tod am23. Januar 1986 gab Beuys sein letztes Interview anläßlich derAusstellung „ Palazzo Regale“in Neapel. In diesem kurzen Interview hat Beuys in aller Deutlichkeit seine Grundposition vermächtnishaft noch einmal dargelegt: „ Wenn es umdie Kunst geht, muß man sich auf einen Begriff beziehen, derdie gesamte kreative Tätigkeit des Menschen umfaßt, der sich nicht nurmit demKunstbegriff imengeren Sinne begnügt. Wenn es so wäre, würde die Kunst Gefahr laufen –wiees derPhilosophie schon wider, in denkältesten Akademismus zuverfallen.“Inderheutigen Situation fahren ist – wirdes zunehmend notwendiger, diealten politischen, ökonomischen, philosophi„ schen undkünstlerischen Schemata zu überwinden. Zuerst müssen wir einsehen, daßdervonuns so genannte Fortschritt eine Falle ist, eine falsche Vorstellung ist, nachdem alles vonoben herbestimmt wird. Wennichdie Hypothese derSelbstbestimmung aufstelle, wende ich mich vor allem gegen Egoismus undProfitdenken. ... Das Problem mußgelöst werden imHinblick aufdie geistigen Bedürfnisse des Menschen undnicht mitRücksicht aufdiemateriellen Vorteile, dieerreicht werden könnten. Dieser neue Begriff ist die letzte Möglichkeit, die demMenschen offen steht, um seine geistigen Fähigkeiten zu entwickeln und in der Folge auch die Qualität seiner eigenen Produkte zu verbessern. So ist die Kunst, im Sinne des 456 erweiterten Begriffs, die letzte Chance, die uns geblieben ist.“ ... mich interessiert an der Und 1983 formulierte Beuys in einem Gespräch: „ Kunst ein erweiterter Kunstbegriff, dersich auf die Umgestaltung derGesellschaft bezieht. Also hiermit erscheint eine neue Kunstdisziplin, mankönnte sie auch eine soziale Kunst nennen. ... Ich versuche, Gestaltungen im gesellschaftlichen Raum zuvollziehen. ... dietraditionelle Kunst ... hatsicherlich ihre Wichtigkeit. Ichhabe aber versucht, eine Erweiterung zuvollziehen, indem eine soziale Kunst inErscheinung tritt, also eine ganz neue Disziplin, nicht Bildhauerei, nicht Malerei, nicht Musik, nicht Dichtung, sondern soziale Kunst, undnurunter dieser Voraussetzung Kunstbegriffs außer Acht läßt. Die Erweiterung besteht in einem Aspekt darin, daßneben das Werk die Theorie, das Konzept, eben das bildnerische Denken tritt. Kandinsky undKlee sind hier die wegweisenden Künstler, die eine Entwicklung einleiten und voran treiben, die im „ unsichtbaren Kunstwerk“eines Beuys oder in der Concept Art gipfelt. So wie auf bildneriFunktion dienenden“ scher Ebene um1910 dieBildfarbe autonom wird, weil sie auseiner nur„ herausgelöst wird, umdann in monochromen Bildern derNachkriegszeit erst einmal nurnoch sich selbst darzustellen, so kann maninanaloger Weise dazuauch ein „Autonomwerden“des Bildnerischen Denkens konstatieren, das, auch ohne Realisierung in einem sichtbaren Werk, gewichtiger Bestandteil derKunst ist.

455 Siehe Frank Meyer: Sichtbare Skulptur –unsichtbare Skulptur. Der Energieplan vonJoseph Beuys, in: Die unsichtbare Skulptur. Zumerweiterten Kunstbegriff von Joseph Beuys, hrsg. vonderFIU-Kassel, Stuttgart 1989, S. 91–104. (= Beuys: Unsichtbare Skulptur). 456 Joseph Beuys imGespräch mitMichele Bonuomo, in Katalog: Beuys zuEhren. Zeichnungen, Skulpturen, Objekte, Vitrinen, hrsg. von Armin Zweite, München, Städtische Galerie im 93. (= Katalog: Beuys zuEhren). Lenbachhaus, 1986, S. 92–

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kann gesagt werden, weil jeder Mensch potentiell daran teilhaben kann, daßjeder 457Wenn Beuys sagt, daß er mit seiner „unsichtbaren Mensch ein Künstler ist.“ Skulptur“die soziale Wirklichkeit gestalten will, dann heißt dasvor allem, daßer mit seinem Bildnerischen Denken, ebenso wie mit seinen Skulpturen, Objekten, Zeichnungen und Aktionen, einen entscheidenden Bewußtseinswandel in Gang setzen möchte. Die Grundintention des erhofften understrebten Bewußtseinswandels ist gleich derKandinskys: wegvomVerhaftetsein imvordergründig Materiellen, hin zurspirituellen Komponente, d.h. zudengeistigen Bedürfnissen des Menschen. Insofern hatdie „soziale Kunst“letztlich eine starke religiöse Dimension. In einem Gespräch, das derJesuitenpater Friedhelm Mennekes mit Beuys 1984 über Fragen derReligion, des Christentums, derKunst undderKirche geführt hat, wird derreligiöse Aspekt, überhaupt derhohe Stellenwert, denBeuys seinem „erweiterten Kunstbegriff“ zusprach, besonders evident.458 Auf die Frage: „ In welchem Werk sehen Sie Ihren wichtigsten Beitrag zum Christusbild?“antwortet Beuys: „ Der erweiterte Kunstbegriff. Ganz einfach. ... Dieser Kunstbegriff ist keine Theorie, er ist eine Figuration des Denkens, aber natürlich keine, die irgendwo anderWandhängt. Es gibt Formen, die anderWand hängen, weil sie ausgewissen Seminaren über dieses Thema hervorgegangen sind, wie z.B. dieses ‚Kapital‘, das in Schaffhausen hängt. Es entstehen ja dauernd Figuren aus den Diskussionen über dieses Prinzip, Niederschläge auf schwarzen Tafeln, auf Papier, in Form von Aktionen, auf Tonbändern, das Zeug verkörpert sich ganz von selbst. ... Es ist der erweiterte Kunstbegriff, der mir am besten gelungen ist. Auch genau dieser Begriff, derwieeine Formel ist. Diese Grundformel ist aussich selbst heraus wahr. Unter diese Grundformel läßt sich alles andere unterordnen wassonst noch anDetailnotwendigkeiten herangeschafft werden muß.

457 Joseph Beuys imGespräch mitGünther Nennig, 1983, in Beuys: Gespräche, S. 56 und57. 458 Friedhelm Mennekes: Beuys zuChristus. Eine Position im Gespräch, 2. Aufl. Stuttgart 1990. (= Mennekes: Beuys zu Christus). Das Gespräch wurde auf Tonband mitgeschnitten unddie getippte Fassung vonBeuys handschriftlich überarbeitet undmitfolgender Notiz anMennekes Lieber Herr Mennekes, wieder ein Beweis dafür, daß nicht jedes Gespräch, zurückgesandt: „ auch wenn es beimSprechen gut ist, auch schon druckreif wäre. Ich habe unser Gespräch, das mir große Freude gemacht hat undmich mit Ihnen wirklich verbunden hat, sprachlich so überarbeitet, daßesjetzt in gedruckter Form wiederum besser ist als es bei unserem Sprechen gut war. Es grüßt Sie freundschaftlich Joseph Beuys.“(S. 66). (Hervorhebungen von Joseph Beuys). Diese Notiz zeigt nicht nurdiemenschliche Wärme, dieBeuys Mennekes entgegenge, dessen Vertreter Katholische Kirche“ bracht hat, obwohl er den Machtapparat: Institution „ Mennekes immerhin ist, in schärfster Form kritisiert undkategorisch abgelehnt hat, sondern sie zeigt auch ganz bildlich, wie Beuys de facto das Sprechen, das heißt hier das Denken als skulpturalen Prozeß verstanden hat, indem er wie in der Plastik, Material (Wörter, Begriffe) wegnimmt (durchstreicht), ersetzt undandere hinzufügt. Denken ist Gestalten mitIdeenmaterial, unddie sorgfältige Überarbeitung, die Beuys demText hat zukommen lassen, belegt die große Bedeutung, die Beuys demunsichtbaren Bild: Bildnerisches Denken, zugemessen hat. Es ist dasVerdienst vonMennekes, in einer Neuausgabe dasGespräch als „faksimile“herausgebracht zu haben, „ umdie Differenz zwischen gesprochenen undschriftlich überarbeiteten Aussagen auchplastisch vorAugen treten zulassen unddaspersönliche Ringen vonBeuys um , wieMennekes schreibt. (S. 8). Präzisierung zudokumentieren“

8. Die Soziale Plastik als unsichtbares

Kunstwerk

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... Dererweiterte Kunstbegriff ist keine Theorie, sondern eine Vorgehensweise, die sagt, daßdas innere Auge sehr viel entscheidender ist als die dann sowieso entstehenden äußeren Bilder. Viel besser fürdie Voraussetzung guter äußerer Bilder, die dann m.E. in Museen hängen können, ist, daßdas innere Bild, also die Denkform, die Form des Denkens, des Vorstellens, des Fühlens, die Qualität haben, die man voneinem stimmenden Bild haben muß.Also ichverlagere dasBild schon anseine Ursprungsstätte. Ich gehe zurück aufdenSatz: ImAnfang wardas Wort. Das Wort ist eine Gestalt. Das ist das Evolutionsprinzip schlechthin. Dieses Evolutionsprinzip kann nunaus demMenschen quellen, es kann aus demMenschen hervorbrechen, denn die alte Evolution ist bis heute abgeschlossen. Das ist der Grund der Krise. Alles was an Neuem auf der Erde sich vollzieht, muß sich durch den Menschen vollziehen. Es wird sich aber nicht vollziehen können, wenndie Quelle verstopft ist, d.h. wenn der geistige Anfang formlos ist. Also ich verlange eine 459Hier nun folgt im bessere Form des Denkens, des Fühlens und des Willens.“ unmittelbaren Anschluß eine besonders interessante Textpassage, die Beuys bei seiner Überarbeitung desTextes durchgestrichen hat, die miraber wichtig ist, weil sie zeigt, wie intensiv sich das Denken Beuys’ auf die Ästhetik des deutschen Idealismus bezieht –bei aller scheinbaren Neuartigkeit seines ästhetischen DenIch komme auf die schönen alten Ideale der Ästhetik vomvorigen kens. Beuys: „ Jahrhundert zurück, wo keiner heute noch was mit anfangen kann: Wahrheit, Schönheit, Güte. Sie sind die wirklichen ästhetischen Kriterien. Aber sie sind nicht nurbei denäußeren Formen zubeurteilen, sie sind schon imInneren desMenschen selbst zubeurteilen undwerden danndaanschaubar. Dannbegriffen wiraufeinmal auch, daß wirgeistige Wesen sind, unddaßdas, wasinunsimGeiste anschaubar ist undbildhaft wird undseine innere höhere Mathematik hat, daßdasunsdie Fähigkeit bringt, auch die Christuskraft wahrzunehmen. Denn dasistja die evolutionäre Kraft, dasistja dasEvolutionsprinzip, dasheute ausdemMenschen herauskommt. Also muß man den Vorgang weiter zurückverfolgen, da wo er noch gar kein äußeres Bild ist, aber durchaus Bild. Also die Idee. Die Idee ist ja nicht einfach nichts, sondern die Idee ist ein Begriff, und der hat auch ein Bild zu seiner Voraussetzung. Diese Art von Gewissenhaftigkeit ist heute sehr viel wichtiger geworden als je zuvor. Denn dadurch erweitert der Mensch das Verständnis von sich selbst und erkennt sich als den Träger geistiger Kraftzusammenhänge, der auch, wenner sie spürt, Verantwortung übernehmen kann. Viele Menschen wollen heute Verantwortung übernehmen, aber sie wissen nicht, mit welchen Mitteln. Sie können immer nur Verantwortung übernehmen für ein Schweinekotelett, d.h. für 460 irgend etwas Physisches. Aber so kann mankeine Verantwortung übernehmen.“ 459 Ebenda, S. 60, 62. Das Kapital 460 Ebenda, S, 62, 64. Beuys bezieht sich in demZitat auf seine Rauminstallation „ 77“ , daser 1984 indenHallen fürneue Kunst, Schaffhausen, aufgebaut hat. Siehe Raum 1970– dazudie Veröffentlichung: Joseph Beuys unddasKapital. Vier Vorträge zumVerständnis von Joseph Beuys undseiner Rauminstallation ‚Das Kapital Raum 1970– 77‘indenHallen für neue Kunst, Schaffhausen, ergänzt durch Erläuterungen vonJoseph Beuys undseinen ‚Aufruf zur Alternative‘, hrsg. vonChristel Raussmüller-Sauer, Schaffhausen 1988. (= Beuys: DasKapital Raum).

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Die ganz bewußt so ausführlich zitierte Textpassage zeigt, wie organisch der Gedankenfluß Beuys’sich darstellt. Darüber hinaus handelt es sich umdie zentrale Stelle zumVerständnis deserweiterten Kunstbegriffs, diediegroße geistige Spannweite dieser Künstlertheorie offenbar macht, und schließlich kann hier erkannt werden, welche außerordentliche Bedeutung Beuys demBildnerischen Denken als qualitative Voraussetzung für ein stimmiges Bild einräumt. Dies verbindet ihn mit Klee unddasberechtigt uns, denBegriff des„Bildnerischen Denkens“auch fürdie Reflexionen vonBeuys zureklamieren.461 Undzwar denBegriff desbildnerischen Denkens nicht nurin demSinn, wiewirihnbisher charakterisiert haben, sondern in einer anderen, tieferen Sinndimension, einer ethischen. So wiewirdie Denkfiguration Kandinskys, sein „Prinzip der inneren Notwendigkeit“als ein ethisches und letztlich religiöses Prinzip erkannt haben, das als solches ein Postulat der Freiheit , so können wir das gleiche moralische ist –mithin also ein humanes Urprinzip – Anliegen auch im Denken von Klee, Mondrian undam radikalsten vielleicht bei Beuys, erkennen. Damit ist eine wesentliche Aussage zurQualität dieses Denkens gemacht, denn dasbildnerische Denken der Künstler ist nicht identisch mitjenem einseitigen, rationalen, kalten, kristallinen undletztlich todbringenden Denken, das die positivistischen Naturwissenschaften weitgehend determiniert undauf dessen negative Auswirkungen undGefahren Beuys immer wieder hingewiesen hat, sondern es ist ein positives, intuitives, warmes, formbares, zukunftsweisendes und Leben“erhaltend ist. Im Zusammenhang mit seiner kreatives Denken, das somit „ Es kommt alles auf 7000 Eichen“hat Beuys es auf denPunkt gebracht: „ Aktion „ den Wärmecharakter imDenken an. Dasist die neue Qualität desWillens.“462 Der Begriff des „Bildnerischen Denkens“ist deswegen so passend undkennzeichnend fürdie Künstlerreflexionen, weil er die Wörter Bild (Imago) undBilden als imaginieren, vorstellen undhervorbringen inkorporiert unddamit aufdieschöpferische Leistung dieses Denkens hinweist. Ausdengenannten Gründen ist auch jene häufig vorgebrachte Angst vor einer Suprematie der Theorie gegenüber der Praxis unbegründet, denneine solche Angst läßt diebesondere Qualität desBildnerischen Denkens unberücksichtigt undidentifiziert fälschlicherweise das intuitive Denken des Künstlers mit demrationalen Denken einer positivistischen, an mate-

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77. Strategien zur Siehe auchFranz-Joachim Verspohl: Joseph Beuys. DasKapital Raum 1970– DasKapital Reaktivierung derSinne, Frankfurt a.M. 1984. UndMario Kramer: Joseph Beuys „ 77“ , Heidelberg 1991. Dieser Bandenthält ein informatives Interview mitBeuys Raum 1970– 41). zuseiner Arbeit. (S. 9– Joseph Hier finde ich mich in Übereinstimmung mit Karin von Maur, die in ihrem Beitrag „ So aktuell undflexibel anwendbar seine plastische Beuys undderChristusimpuls“schreibt: „ Theorie sein mag, so tief ist Beuys zugleich in der europäischen Kultur und speziell der deutschen Geistesgeschichte verwurzelt, die vomtranszendentalen Idealismus undHegel über dieRomantik zuMarxundzudengesamtkünstlerischen Strömungen umdieJahrhundertwende bis hin zum ‚Blauen Reiter‘ führt. So lassen sich zumBeispiel durchaus Beziehungen zum bildnerischen Denken vonPaul Klee nachweisen, derja nicht nurdiekosmische Verwobenheit, sondern auch dasgenetische Bewegungsprinzip des Kunstwerks betonte.“In Katalog: Beuys, Skulpturen undObjekte, S.55. Katalog: Beuys zuEhren, S. 91.

9. Theorie undPraxis, Begriff undImagination als Parallelprozeß

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riellen Zielen orientierten Naturwissenschaft. Es gilt sich diese grundlegende Differenz derbeiden geschilderten Denkmodelle, unter Anbetracht derhier aussystematischen Gründen notwendigen Schwarzweißmalerei, immer imBewußtsein zuhalten. Undgenau in diesem Sinn betont Beuys, daßsein Kunstbegriff keine Theorie, sondern eine Figuration des Denkens selbst ist, umdie Leitgedanken des obigen Zitates nochmals zubetonen. Dererweiterte Kunstbegriff ist keine Theorie, sonderneine Vorgehensweise, diedasinnere Bild, also dieDenkform oderdiebildliche Idee als qualitative Voraussetzung für ein stimmiges, realisiertes Bild (Werk) annimmt.

9. Theorie undPraxis, Begriff undImagination als Parallelprozeß – Visible undinvisible Einheit Wer nicht denken will fliegt raus. „ Sich selbst.“ Joseph Beuys463

Wie Klee, so verfolgt auch Beuys das Bild zurück an seine Ursprungsstätte und Im Anfang war das Wort. Das Wort ist eine Gestalt.“464Klee schreibt in sagt: „ , nachdem er dieunendlichen Möglichkeiten in Schöpferischen Konfession“ seiner „ der Kombination der graphischen Elemente und ihre anschaulichen Charaktere Durch solche Bereicherung der formalen Sinfonie wachsen die beschrieben hat: „ Variationsmöglichkeiten und damit die ideellen Ausdrucksmöglichkeiten ins Ungezählte. Im Anfang ist wohl die Tat, aber darüber liegt die Idee. Und da die Unendlichkeit keinen bestimmten Anfang hat, sondern kreisartig anfangslos ist, so magdie Ideefür primär gelten. ImAnfang wardas Wort, übersetzt Luther.“465Der Gedanke, dieIdee als inneres Bild, beziehungsweise dasVermögen desMenschen, in Bildern zudenken, dieImagination, liegt allen menschlichen Hervorbringungen zugrunde. Wie Intuitionen undInspirationen, so sind besonders Imaginationen für die haben denBegriff desBildes doch Beuys höhere Formen vonDenken, denn „ unmittelbar imBegriff. Denn‚Imagination‘heißt: dasBild, dasImago, ja? Daß das Denken so bildhaft werden kann, das mußdoch einmal diskutiert werden. Das hat doch gar nichts damit zutun, daßich ein individuelles Werk vonmirinterpretiere. Aber auf diese allgemeine Wichtigkeit von Kunst, da muß ich doch darauf zu 466Gleichsam ineinem Parallelprozeß müssen dieBegriffe, die sprechen kommen.“ das Denken verwendet, durch die Imagination ernährt werden. Das gilt für die Wissenschaft wiefürdieKunst. Beuys initiierte eine Revolution derBegriffe, denn

463 Joseph Beuys.

Multiplikationen. Druckgraphik undSerienobjekte aus derSammlung vander Grinten, Joseph-Beuys-Archiv desLandes Nordrhein-Westfalen Kranenburg, 1992, S. 67. 464 Mennekes: Beuys zuChristus, S. 62. 465 Klee: Kunst-Lehre, S. 62. 466 Beuys: Gespräche, S. 137.

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er war sich gewiß, daß eine

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sinnvolle Evolution der Kunst nur mittels klarer

Begriffe möglich ist. Ohne fundierte Begriffe, unddas heißt ohne ein intensives Bildnerisches Denken warihm die bildnerisch-künstlerische Tätigkeit obsolet und regressiv. Indiesem Sinn verneigte er sich vordenBegriffen, aber seine Wertschätzung derMacht des Bildes, sein Respekt vor demsprachlich nicht einzuholenden Sinnüberschuß desImagos warnoch relevanter, denn sonst wäre er nicht bildender Künstler, sondern vielleicht Philosoph geworden. Eine Passage ausdemGespräch, dasBeuys mitFrans HaksüberdieAufgaben desMuseums führte, expliziert diesen Sachverhalt. Beuys definiert den Künstler als einen Menschen, „ der wirklich die individuellen Fähigkeiten hat, mit Imaginationen zu arbeiten, wie das ja ... der Maler, derBildhauer, derKomponist, derDichter, ... derSchriftsteller haben, dieja ungeheuer wichtig sind, damit Gestaltungsprozesse ihr Leben bekommen.“ 467Bei seinen Gestaltungsprozessen, fordert Beuys, muß der Künstler „ zweigleisig fahren“ . Er sollte in einem Parallelprozeß Begriff und Imagination, Bildnerisches Denken unddenkerisches Bilden verknüpfen. Beuys: „ Ichmußabundzunicht nur die gedankliche Form vorstellen, also die Theorie, sondern ich mußauch das Bild vorstellen, d.h. ein imaginäres Gebilde herstellen, wasvon seinem eingenen Ausdruck her ein bißchen davon spüren läßt, wie die Welt in der Zukunft vielleicht aussieht.“Bevor der Maler zu Pinsel undFarbe greift, mußer seine Malerei oder , „mußer aufeinem anderen Gleise rund Skulptur „ miteiner neuen Basis versehen“ umdasganze Problem herumfahren undalle anderen Fragen desGesellschaftskörpers vor Augen haben. Erst dann hat er eigentlich ein Recht undeinen wirklichen Grund undhateine Kraft, überhaupt etwas zumachen. Sonst ist alles, waser macht,

pseudohaft, reduziert.“Der Künstler sei gefordert, die „ umliegenden Probleme“zu erfassen, damit seine Produkte ausder„absoluten Isolierung“innerhalb derGesellschaft befreit werden. Nachderreflexiven, begrifflichen Klärung, nach derkonzeptuellen Vorbereitung, ist die Imaginationsfähigkeit des Künstlers gefragt. Denn, so Beuys: „ Wenn nurBegriffe einen Wert hätten, dannbrauchte manüberhaupt keine Farben, keine Bilder, keine Zeichnungen, keine Imaginationen, Skulpturen, Klänge, Musik, Tanz, Theater, nichts! Alles könnte sich rein wissenschaftlich durch Begriffe verbalisieren. Aber Begriffe bieten einfach nunmal die Strukturen, die auch wichtig sind. Aber wenn sie einseitig auftreten, sind sie natürlich derabsolute Todjedes kulturellen Lebens, oder es gibt ein fehlendes feedback für die Begriffe. Die Begriffe werden nach einem halben Jahr überhaupt absolute Leichen sein, wenn sie nicht ernährt werden durch die Imagination, d.h. durch die gotischen Dome, die Kathedralen, die Symphonien vonBach, Beethoven, Mozart, durch die Bilder von Rembrandt usw. Durch die Bilder vonRembrandt bekommt die Sprache, bekommen dieBegriffe überhaupt erst ihrLeben. Auchdie rationalen Begriffe derPhysik bekommen imGrunde erst ihreigentliches Leben durch die Imaginationen, weil dieImaginationen viel tiefer indieevolutionäre Wurzel hineinfassen und 468 sozusagen dasLeben für die Sprache erst anliefern.“

467 Joseph Beuys: DasMuseum. EinGespräch überseine Aufgaben, Möglichkeiten, Dimensionen. Wangen 1993, S. 29, 30. (= Beuys: Museum). 32. 468 Ebenda, S. 30–

9. Theorie undPraxis, Begriff undImagination als Parallelprozeß

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Die Begriffe, die Beuys in seinem Bildnerischen Denken herausstellt, sind notwendig korrelativ zu seinem bildnerischen Werk. Denken (in Begriffen) und Bilden (von Werken) sind parallel verlaufende Prozesse. Bildnerisches Denken und denkerisches Bilden konfiguriert in einem „ Parallelprozeß“ . Die Ideenarbeit des Künstlers undseine handwerkliche, bildnerische Arbeit sind sinnvoll aufeinander bezogen. Zu diesem Thema hat sich Beuys in einem weiteren Gespräch dezidiert geäußert. Wir erlauben uns den Gedankengang, aus dem schon an anderer Stelle Teile zitiert wurden, im Zusammenhang zu referieren. Beuys berichtet, daß ihm von Anfang an daran gelegen gewesen sei, „ mir eine Erkenntnistheorie über das, wasich tue, aufzubauen. Ich habe mich gefragt, wassind die Begriffe, mit denen ich hier operiere. Ich habe kein Verhältnis dazu, naiv undspontan irgend etwas zu machen, etwas zuproduzieren, umdaran Freude zuhaben, sondern ich habe immer dasInteresse gehabt, zukontrollieren, wases seinem Wesen nacheigentlich ist. Ich wollte über Plastik nachdenken unddarüber, wases heißt, wenn manvonPlastik 469Undgleichzeitig hat ihn auch die „Entwicklung des Denkens“interesspricht.“ siert, so daß er bei seinem Nachdenken „über Denken undüber Plastik“zu dem Wenn ich danach frage, was Plastik ist, komme ich an Ergebnis gekommen ist: „ dengleichen Punkt, als würde ich fragen, was Denken seiner Natur nach sei. Ich komme an einen Punkt, den ich nicht weiter zurückverfolgen kann, sondern da entsteht einfach etwas durch das Denken, unddas ist neu. Ich kann nicht sagen, daß es abhängig ist von irgendeinem Umweltsverständnis. Hier tritt auch der Begriff ‚Freiheit‘auf. DerPunkt, andemPlastik entsteht, liegt fürmich so weit zurück, als würde ichsagen, Denken ist schon Plastik. ... Michhatbei derPlastik derFreiheitspol interessiert, unddiesen wollte ich herausarbeiten. Wenn der Mensch nämlich gebunden ist, könnte er praktisch nichts Neues machen. Hier handelt es sich umden Freiheitsbegriff, und da fällt für mich Denken und Plastik zusammen. In dem Augenblick, da der Mensch denkt, ist er derjenige, der an einer Schwellensituation steht undetwas Neues auf die Welt bringt, wasvorher nicht dawar. Dann überträgt es sich auf die Organe undauf die Physis. Wenn derMensch spricht, dannbewegt er seinen Kehlkopf. DasSprechen undderKehlkopf sindfürmich schon elementare Plastik. Die Sprache formt ja. Wennichspreche, dannkommen immer –dassehe ich direkt vormir–Blasen heraus, jedenfalls Formen, Schallwellen usw. Wenn ich schreibe, dann geht es über in meine Organe insofern, als ich einen Buchstaben hinsetze, undderBuchstabe ist auch eine Form. Wennich energischer werde, dann greife ich zu Ton oder Lehm und mache daraus eine Figur. Dieser Prozeß der Entstehung hat mich interessiert. ... Wenn ich sage, Denken ist ein plastischer 470 Prozeß, dann ist Denken prinzipiell auch ein Kunstwerk undeine Plastik.“ Das Kunstwerk nimmt also seinen Ausgangspunkt im Denken, das Begriffe bildet. DieBegriffe bilden einen Gedankenzusammenhang, derausgesprochen oder Bildes“als Zeichnung, niedergeschrieben wird, oder imnonverbalen Medium des„ AusGemälde oder Plastik seinen Niederschlag findet. Kunstwerke hält Beuys für„ 469 Beuys im Gespräch mitRolf-Gunter Dienst, in: Noch Kunst. Neuestes ausdeutschen Atleliers 47, Zitat S. 34. (= Beuys: Noch Kunst). vonRolf-Gunter Dienst, Düsseldorf 1970, S. 26– 470 Ebenda, S. 35, 38.

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471, denn „ das erste Produkt menschlicher Kreativität scheidung von Gedanken“ [ist] der Gedanke. ... Und ich möchte ihn regelrecht objekthaft den Menschen sichtbar machen, seinen Entstehungsprozeß. ... Gedanken wirken inderWelt unter Umständen natürlich viel vehementer alseinPlastik, diesich nurabgeleitet hatund in gewisser Weise sich verstofflicht hatin einObjekt hinein. Aber dasist eine freie Entscheidung, wie mansich dann verhält. Ich glaube, manmüßte beides praktizieren. Man müßte verstofflichen, und man müßte viele Dinge einfach gedanklich erhalten. Mankann nicht jeden Gedanken verstofflichen, also zueiner Plastik im 472Beides praktizieren, Denken undBilden, sichtbare undunRaum ausbilden.“ sichtbare Kunstwerke herstellen, dasist dernotwendige Parallelprozeß derkünstlerischen Tätigkeit. Beuys hält es für wichtig, „ daßeine Lehre ausgebildet wird über diese Dinge. Ich mache immer zu dem, was als plastisches Phänomen oder als räumliches Phänomen dasteht, einen Parallelprozeß mit, der sich in Begriffen äußert undunter Umständen auch wieder meineigenes Produkt in Frage stellt. Ich binjedenfalls grundsätzlich bereit, meine Resultate ganz in Frage zustellen. Wenn sie nicht mehr ausreichen, dann werden sie verbessert. ... Ich erhebe nicht den Anspruch, daßes sich umgewaltige Kunstwerke handelt. ... Die Qualität ist dann gegeben, wenn manein Maximum an Information erreicht. Die klar verständliche Information muß sogar untergehen, denn es handelt sich dabei nicht um eine verbale Äußerung, um ein Nacheinander von Erklärungen, die man in einem philosophischen Akt darlegen könnte, sondern es handelt sich umein ganz komplexes, zusammengestauchtes Etwas, wasnatürlich Gedanken auf demWegder Plastik vermitteln muß oder informiert wie durch ein Bild. Ein Bild kann nicht sprechen. Ein Bild mußsich ganz anders mitteilen. Es müssen Kräfte davon ausgehen, die ganz andere Informationen davon abgeben können als zumBeispiel erklärende Sprache. Es ist wirklich Imagination im Spiel, undImagination verstehe ich nicht als etwas Unklares, sondern als ein Mittel, etwas viel Komplexeres auszusagen, als einen Gedanken, der mehr oder weniger logisch aufgebaut sein muß. Ich komme also insofern durch meine [plastische] Arbeit immer ein Stück über mein Denken hinaus. In der Arbeit werden mir selbst Probleme für mein Denken gestellt. Ich gehe immer ausvondem, wasichüberschauen kann, trotzdem interessiert es mich nur, eine neue Plastik zu machen, wenn diese neue Plastik auch für mich selbst 473 wieder eine Frage beinhaltet.“ DasBildnerische Denken unddasbildnerische Werk kontrollieren sich gegenseitig, eines istjeweils Korrektiv desanderen. Beuys: „ Ich suche nach Möglichkeiten, immer einen neuen Gedanken darzustellen. ... Es ist sehr wichtig, daß Menschen nicht nur denken, nicht nur reden undnicht nur irgendwelche Programme undTheorien aussich herausstoßen, sondern sie müssen dasineine sinnliche Form bringen. Ich mußdiese sinnlich sichtbaren Produkte vonZeit zuZeit auf denTisch

471 Beuys imGespräch mitHelmut Rywelski, in: Joseph Beuys:

Heute istjeder Mensch Sonnenkönig. Einzelheiten. Art Intermedia, Buch 3, Köln 1979, o.S. (= Beuys: Jeder Mensch Sonnenkönig). 472 Beuys: Selbstdarstellung, S. 33. 473 Beuys: Noch Kunst, S. 36.

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stellen können, da dies eine wichtige Kontrolle ist. An diesen Dingen kann ich sehen, ob sie überhaupt komplett sind. Wenn diese Dinge nicht mehr überzeugen, nicht mehr prägnant sind oder nicht mehr mit demübereinstimmen, wasich sage, sind meine Gedanken auch nicht mehr richtig. Das Produkt, das aus demDenken entsteht, muß kontrolliert werden dadurch, daß es sinnlich sichtbar wird. Ein Techniker sollte auch nicht nur denken, sondern er sollte sein Denkergebnis an Hand von sichtbaren Modellen, die jeder sehen undkontrollieren kann, darstel474Bilden undDenken, sichtbare undunsichtbare Kunstwerke sind gleichbelen.“ rechtigte Partner, sie stehen nicht in Konkurrenz sondern kooperieren. Deswegen hat Beuys, der sich immer gegen den Vorwurf, er sei zu „theorielastig“ , heftig gewehrt hat, bis zumEnde seines Lebens nicht darauf verzichtet, sichtbare Kunstwerke herzustellen, umdemBetrachter die Möglichkeit zu geben intuitiv-rational Wer sich darauf festlegt, daß Bildsich mit ihnen auseinanderzusetzen. Beuys: „ hauer Skulpturen machen müssen, derkann sich schwer damit abfinden, daßauch unsichtbare Skulpturen existieren können. ... Ich bin aber der letzte, der sagen würde: Skulptur oder Malerei sind sinnlos geworden. Ich will sie nur auf einen anderen Boden stellen, damit dieEntwicklung überhaupt einen sinnvollen Fortgang nehmen kann. Sonst wird eines Tages gar keine Skulptur mehr entstehen, keine Musik, kein Tanz, kein Sprache im künstlerischen Sinn. Dann wird alles im Sinn vonRationalisierung, Errechenbarkeit undderwirtschaftlich-materialistischen Systeme funktionieren. Aber in Richtung Mensch undGeist oder auch Natur wird , von dem Beuys spricht, ist die nichts mehr passieren.“Der „andere Boden“ Erweiterung des Kunstbegriffes, die besagt, daß neben das traditionelle Werk die Theorie tritt, konkret: einBildnerisches Denken, dasaufdenDaseinssinn derKunst imHinblick aufdie notwendige Entwicklung desMenschen reflektiert. Die Erweiterung des Kunstbegriffes besagt nicht, daßdie Kunst überwunden oder aufgelöst wird, sondern: „ Ichsetze ja nurneueBegriffe neben diealten, unddamit werden die alten in Frage gestellt. Im Vergleich zeigt sich, daß die alten Begriffe gegenüber denneuen unzulänglich sind. Es ist ein Ablösungsprozeß, ein schrittweise evolutionärer Umwandlungsprozeß. Aufgelöst wird nichts.“Unddaher behalten auch die Für die sichtbaren Kunstwerke ihre hohe und traditionelle Wertigkeit. Beuys: „ Objekte steht allerdings die Formfrage dann doch im Mittelpunkt. Das ist ja das Fatale: Dadurch, daßich denKunstbegriff erweitert habe, schauen die Leute nicht mehr darauf, wasich mache, oder manchmal zuwenig. Aber tatsächlich sind doch die Formfragen die entscheidenden bei Kunst überhaupt. Schon bei meinen ganz frühen Objekten, die ich aus Filz und Fett gemacht habe, muß man sich doch fragen: Warum sehen die Formen so aus, wassind dasfürMaterialien, warum sind sie benutzt worden, wasprovozieren sie, wasentsteht durch sie? Bei mir läßt sich nunwirklich alles vonder Formherleiten, vonden Objekten. ... Ich glaube, daßich heute noch genauso Skulpturen mache, wieamAnfang. NurihrCharakter hatsich gewandelt. Skulpturen mache ich sowieso. Undich zeichne oft, wenn ich spreche. Zeichnungen sind eine andere Form von Sprache. Es gibt inzwischen viele Diagramme auf Tafeln, die ich auf keinen Fall ‚unter dem Strich‘ bewertet wissen 474 Ebenda, S. 44, 46.

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möchte. Sie gehören zuderEntwicklung meines Verständnisses vonSkulptur, sind also eine Konsequenz aus Sachen, die davor entstanden. Ich glaube, daß in der Sache eine Einheit ist, undgerade die ist sicherlich überzeugend daran. Ich sehe keinen Grund, von der Kunst auch nur den geringsten Abstrich zu machen. Im Gegenteil, ich will derKunst noch sehr viel mehr Verantwortung zusprechen als sie jemals gehabt hat. Dasbedeutet: Mankann alles mitder Kunst machen, mankann die ganze Welt mit ihr verändern, mankann neue Planeten mit der Kunst bauen. Deswegen ist mein Ausgangspunkt die Kunst, unddieEntwicklung führt nicht von 475 derKunst weg, sondern direkt auf sie zu.“ Die Einheit vonTheorie undPraxis, vonBildnerischem Denken undbildnerischem Gestalten, von Imagination und Realisation, von Inspiration undAusführung, vonIntuition undRatio ist überzeugend, in derWeise, wieBeuys sie vorgelebt hat. Materielle undspirituelle, sichtbare undunsichtbare Einheit warsein Ziel. Neben die visuelle Einheit desBildes oder derPlastik mußdie invisible Einheit der Reflexion treten. In diesem Sinn kann Beuys behaupten, daßDenken einskulpturaler, gestaltender Prozeß ist, dessen Ergebnis eine unsichtbare Skulptur ist, also auch Kunst, aber im erweiterten Begriffssinn. Und das gilt in erster Linie für das qualitative, kreative Denken: dasBildnerische Denken. Daraus folgt, daßdasBildnerische Denken ein unsichtbares Bild hervorbringt, unddeswegen Denk-Kunst ist in dem Verständnis, daß es wesensmäßig undnotwendig zur Kunst dazugehört – , unddaß somit Bildnerisches Denken in all seinen vielwill diese kreativ sein – schichtigen Dimensionen kein beliebiges undüberflüssiges Anhängsel derWerke ist, sondern eine prinzipielle Voraussetzung undein wesentlicher Bestandteil. Die Künstlerästhetiken von Kandinsky und Klee, Beuys undJochims stützen die These, daßeine profunde Kunst immer nurals „konzeptionelle“Kunst möglich ist undsie offerieren der Kunstgeschichte ein Angebot, sich voneiner unzureichenden Unterscheidung zwischen Theorie undPraxis freizudenken.476 475 Haase: Gespräch mitBeuys, S. 29, 30. 476 Exkurs: Theorie undPraxis Bei der philosophischen Einordnung der Künstlertheorien in ihrem Verhältnis zur Ästhetik bezieht sichjüngst Heinz Paetzold auf Raimer Jochims. Heinz Paetzold: Ästhetik derneueren Moderne. Sinnlichkeit undReflexion in der konzeptionellen Kunst derGegenwart, Stuttgart Das Werk von Raimer 1990. (= Paetzold: Ästhetik der neueren Moderne). Siehe S. 76 ff.: „ Jochims als Herausforderung fürdiephilosophische Ästhetik“ . daßKunst heute nuralskonzeptionelle Kunst möglich ist. InderZeit Paetzold gehtdavon aus, „ vorder klassischen Moderne ergab sich demKünstler derExistenzsinn vonKunst zwanglos. Die Gesellschaft war verständig darüber, was Kunst sein sollte. Die Bilderfahrungen hatten ihren normativen Hintergrund in denalltäglichen Seherfahrungen. Diese gaben denverbindlichen Maßstab für dasab, wasvisuelle Evidenz war. Seit derklassischen Modern ist es damit vorbei. Visuelle Evidenzen sind weder demalltäglichen Sehen noch derTradition derMalerei normativ zuentnehmen. Dadaismus, Kubismus usw. haben zueinem Errosionsprozeß geführt: Kunst wurde als bloße Setzung entlarvt. Aber die klassische Moderne revoltierte noch gegen eine überkommene undinsofern faktisch geltende Tradition. Die neuere Moderne hat diese Tradition nicht mehr im Rücken. Sie ist zur Gleichgültigkeit verurteilt, wenn es ihr nicht gelingt, gegen die Versuchungen des Kunstmarktes, gegen die politische Indienstnahme wie auch gegen die Einhegung in die Zone des Kunstkontextes Korrektive einzubauen. Solcher Widerstand kann nurderkonzeptionellen Orientierung erwachsen. Konzeptionelle Kunst klärt

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also denDaseinssinn vonKunst. Dasandere Moment konzeptionellen Kunstschaffens besteht darin, eine letzte Klarheit über die Elemente der Kunst –in unserem Falle: der Malerei –zu erreichen. Das betrifft die Bildidee ebenso wiedie Grunddaten derMalerei, also Farbe, Form,

Material.“(S.76). Daß Kandinsky und Klee, Beuys undRaimer Jochims bemüht sind, in ihrem bildnerischen Denken denDaseinssinn vonKunst zubegründen gilt zweifelsohne. Aber differenzieren muß mandieThese, daßdieneuere Moderne keine Tradition mehr imRücken hat, dennwiegezeigt, stehen Beuys undJochims gerade inderTradition derklassischen Moderne – ja istohnediese undenkbar –undzwar in der Tradition ihres bildnerischen Denkens. Wenn Paetzold auf die konkreten inhaltlichen Bezüge imDenken dergenannten Künstler auch nicht eingeht, so sieht eraberdocheine Entwicklungslinie innerhalb derKünstlertheorien des20. Jahrhunderts, wenn er feststellt, daß„dieTradition desBauhauses inJochims’Arbeit einNachfolge gefunden“hat. Während jedoch die Kleeschen undAlbersschen theoretischen Schriften die eigenen Maler„ fahrungen verallgemeinern, so gibt es innerhalb der Bauhaus-Tradition auch die etwa durch Kandinsky repräsentierte Linie. Bei ihm sind die theoretischen Schriften zwar auch aus der konkreten künstlerischen Tätigkeit hervorgegangen. Aber sie weisen eine davon unabhängige Struktur auf, die ohne Rekurs auf die Bilder verstehbar ist. Bei Jochims kommt eine neue Facette hinzu: Jochims spricht neben der Sprache des Hochschullehrers auch die Sprache der Philosophie. Sein Buch über ‚Visuelle Identität‘versucht neben deneigenen Erfahrungen aus künstlerischer Arbeit auch theoretische Erwägungen vonFiedler u.a. zurGeltung zu bringen. Dennoch wäre es falsch, zu sagen, die theoretischen Äußerungen von Jochims seien genuin philosophisch. Will mantheoretische Äußerungen vonKünstlern idealtypisch klassifizieren, so mußmansie einerseits von kunsttheoretischen Erwägungen der Kunstwissenschaftler (etwa Panofsky) wie auch von philosophischen Theorien andererseits unterscheiden. Der genuine Typus vontheoretischen Äußerungen vonKünstlern (im 20. Jahrhundert etwa Klee, Kandinsky, Malewitsch, Mondrian, Baumeister, AdReinhard, Bill u.a.) ist die Künstlerästhetik. Hierbei handelt es sich umdurchaus verallgemeinerungsfähige Evidenzen, die ihren Ursprung in derkünstlerischen Arbeit haben. EinAbgrenzungskriterium zurKunsttheorie derKunstwissenschaft ist darin zu sehen, daß die kunstwissenschaftliche Theorie den Geltungsansprüchen wissenschaftlicher Theoriebildung unterliegt. Bei der Künstlerästhetik ... spielt der existentielle personale Hintergrund eine nicht zu vernachlässigende Rolle.“(S. 77). Gerade der letztgenannte Aspekt ist fürdie Kunsttheorie vonBeuys, wiewirgleich sehen werden, vonbesonderemGewicht. Die Facette der kunsttheoretischen Arbeiten vonJochims besteht fürPaetzold „präzise gesagt darin, daß sie zwischen dem Typus der Künstlerästhetik undder philosophischen Ästhetik . (S. 77). changieren“ DieMöglichkeit, daßdaskünstlerische Denken denRang undvielleicht die Stelle derPhilosophie einnehmen kann, zur Denkkunst wird, stützt meine obige Hypothese, daß der reflexive Teil der künstlerischen Tätigkeit sich imLaufe des 20. Jahrhunderts in einen Emanzipationsprozeß vondembildnerischen Teil begeben hat. Dieser führte zueiner stärkeren Gewichtung undSelbständigkeit desBildnerischen Denkens. Eine Konsequenz davon ist, daßdieKunst und mit ihr das Bildnerische Denken in Konkurrenz zurPhilosophie treten kann, wenn es darum geht, Impulse füreine sinnvolle undhumane Zukunft zugeben. In diesem Sinn hatHeidegger Die Philosophie ist amEnde.“Undunter Bezugnahme auf ein Gespräch mit dem gesagt: „ französischen Dichter René Char über die Allmacht der Technik stellte Heidegger fest, daß die Entwurzelung des Menschen, die da vor sich geht ... das Ende [ist], wenn nicht noch „ einmal Denken undDichten zurgewaltlosen Macht gelangen.“Dasmaßgebende Handeln, das Das ist eben die große Frage: Wosteht die .„ heute gefordert ist, sei „ dasDenken undDichten“ , Nur noch ein Gott kann uns retten“ Kunst? Welchen Ort hat sie?“(Martin Heidegger: „ Spiegel-Gespräch mit Martin Heidegger am23. September 1966, posthum veröffentlicht in: 219, (= Heidegger: Spiegel-Gespräch.) Heidegger hat das Der Spiegel, 31. Mai 1976, S. 193– Wegweisende der modernen Kunst nicht sehe(n)“können, wie er in dem Gespräch einge„ stand, aber daß vonder Kunst die entscheidenden Impulse ausgehen müssen, warihmoffen-

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Teil II sichtlich bewußt. Beuys hat versucht, die „große Frage“zu beantworten, wodie Kunst steht undwelchen Ortsie hat. Die Antwort ist eindeutig: NurvonderKunst –imerweiterten Begriff –kann eine Veränderung der bestehenden undzumTode führenden Verhältnisse ausgehen. Das Zeitalter der Philosophie als Methode der Erkenntnis ist vorbei“ Beuys: „ , und es ist notwendig, erweiterte Begriffe, auch desDenkens, auszubilden. „ Bewußtseinserweiterung ... ist heute ein Bedürfnis. Hier setzt Kunst ein. Ich sage nicht, Kunst kann das besser als Philosophie, aber sie kann Anreize geben, weil sie ihr Bewußtsein am weitesten entwickelt

hat.“(Heute amTelefon: Joseph Beuys. Interview, Kölner Stadt-Anzeiger, 14.06.1969, zitiert nachLothar Romain: Franz Marc undJoseph Beuys. ZurWiederkehr desRomantischen inder deutschen Moderne. In: Romantik undGegenwart. Festschrift für Jens Christian Jensen zum 60. Geburtstag, hrsg. von Ulrich Bischoff, Köln 1988, S. 197– 207, Zitate S. 198, 201. (= Bischoff: Romantik undGegenwart). Heidegger hatinseinem Vortrag: „ DieHerkunft derKunst unddieBestimmung desDenkens“ , den er 1967 in Athen gehalten hat, (abgedruckt in: Distanz und Nähe. Reflexionen und Analysen zur Kunst der Gegenwart, hrsg. vonPetra Jaeger undRudolf Luthe, Walter Biemel 22, (= Heidegger: Die Herkunft der zum 60. Geburtstag gewidmet, Würzburg 1983, S. 11– Kunst), erneut die Frage gestellt: „ Wie steht es mit der Kunst innerhalb der Industriegesellschaft, deren Welt eine kybernetische zuwerden beginnt? ... Erscheint die moderne Kunst als eine Rückkoppelung vonInformationen imRegelkreis derIndustriegesellschaft undder wissenschaftlich-technischen Welt?“(S. 19). Oder: „ Mußdas Werk nicht als Werk in das dem Menschen nicht Verfügbare, in das Sichverbergende zeigen, damit das Werk nicht nursagt, wasmanschon weiß, kennt undtreibt? MußdasWerk der Kunst nicht dasbeschweigen, was sich verbirgt, wasalsdasSichverbergende dieScheu wachruft imMenschen vordem, wassich weder planen noch steuern, weder berechnen noch machen läßt?“(S.21). Laut Heidegger bedrängen unsdiese Fragen undsie „versammeln sich ineiner einzigen die lautet: Wie steht es mitderEingeschlossenheit desMenschen inseiner wissenschaftlich-technischen Welt? Waltet indieser Eingeschlossenheit vielleicht die Verschlossenheit desMenschen gegenüber dem, was den Menschen erst in die ihm eigentümliche Bestimmung schickt. ... Nötig ist, erst einmal diese Verschlossenheit als solche zubedenken, d.h. demnachzudenken, was in ihr waltet. ... Nötig bleibt die Einsicht, daß ein solches Denken kein bloßes Vorspiel zum Handeln ist, sondern die entscheidende Handlung selbst, durch die dasWeltverhältnis desMenschen überhaupt erst beginnen kann, sich zu wandeln. Nötig ist, daß wir uns von einer seit langem unzureichenden Unterscheidung zwischen Theorie undPraxis frei denken.“(S. 19, 20). Die Künstler haben sich mit ihrem bildnerischen Denken von dieser unzureichenden Unterscheidung zwischen Theorie undPraxis freigedacht unddie willkürliche Trennung zwischen dem, was sie bilden undwas sie denken ad absurdum geführt. In diesem Sinn sagt Beuys, Denken ist bereits Plastik, ist Anstoß undAntrieb zur Umgestaltung einer von Naturwissen), indiederMensch Todeszone“ schaft, Technik undIndustrie determinierten kalten Welt (die „ eingeschlossen undverschlossen ist. 75) Auch Daniel Buren hat sich in seinem Text: „Achtung!“(in de Vries: Über Kunst, S. 51– Mankönnte mitEntschiedenheit gegen eine Trennung vonTheorie undPraxis ausgesprochen. „ sich fragen, warum so viele Vorsichtsmaßregeln ergriffen werden müssen, statt daß man normal seine Arbeit präsentiert, ohne Kommentar, unddiese Sorge den‚Kritikern‘undanderen professionellen Widerkäuern überläßt. Ganz einfach: weil allein ein totaler Bruch mit der Kunst –wie mansie sieht, wie mansie kennt, wie mansie praktiziert –zurmöglichen Frage geworden ist, einWegohne Umkehr, aufdensich dasDenken einlassen muß;unddaserfordert einige Erklärungen. Dieser Bruch erfordert als erste undwesentliche Aufgabe, die Kunstgeschichte, wiemansie normalerweise kennt, neuzusehen, oder, wennmanso will, sie radikal auseinanderzunehmen. ... Mankann behaupten, daßdie gesamte Kunst bis auf denheutigen Tag einerseits nur empirisch geschaffen wurde undandererseits aus idealistischem Denken heraus. Wenn es möglich wäre, noch einmal zu denken oder zu denken und theoretisch/ wissenschaftlich zu schaffen, wird der Bruch erreicht werden, und dadurch wird das Wort Kunst seine –zahlreichen undvoneinander abweichenden –Bedeutungen verloren haben, die

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10. Klee und Beuys – Eine Wunde, diemanzeigt, kann geheilt werden „ Leben heißt, sich angesichts des Todes bewähren.“ Antoine de Sainte-Exupéry

DieTragik desLebens führt zumkünstlerischen Schaffen „ Piet Mondrian477

... .“

„ ... unddanndie Wunde, mehr gibt es nicht.“ Gottfried Benn

Andieser Stelle ist es ausmehreren Gründen unerläßlich, aufdensein Lebenswerk und seine Grundgedanken präzise zusammenfassenden Vortrag einzugehen, den Beuys auf Einladung des Kulturreferates derStadt München in derReihe: „ Reden über daseigene Land: Deutschland“am20. November 1985, also zwei Monate vor seinem Tod, auf dem„ Münchner Podium in denKammerspielen“gehalten hat.478 Vomkurz bevorstehenden Todgezeichnet479 unddiesen wohl auch vorhersehend, beginnt Beuys seinen Vortrag mitderFeststellung, daßerauchjetzt wieder „ mitder Wunde“anfangen möchte. Die „ Wunde“ist für Beuys kennzeichnend für Anfang und Ende des Lebens, denn er beginnt seinen „ Lebenslauf/Werklauf“in seinem Geburtsjahr 1921 mitdemSatz: „ Kleve Ausstellung einer mitHeftpflaster zusam.480 Mit dem Hinweis auf die „ mengezogenen Wunde“ Wunde“deutet Beuys die ständige Todesbedrohung desMenschen als eines materiell vergänglichen Wesens an.481 Leiden undTodwerden vonBeuys in seinen Überlegungen nicht ausgeblenbisheute anihmhaften. Wirkönnen aufderBasis desVorhergegangenen sagen, daßderBruch, wenn es einen geben wird, nurepistemologisch sein kann/wird. Dieser Bruch ist/wird sein die logische Folge einer theoretischen Arbeit, in demAugenblick, wo die Kunstgeschichte (die noch zu machen ist) undihre Praxis theoretisch betrachtet werden: die Theorie, undnur sie allein, kann, wie wir wissen, tatsächlich eine revolutionäre Praxis ermöglichen. Andererseits ist/wird sein die Theorie nicht nur untrennbar mit ihrer eigenen Praxis verbunden, sondern kann/wird können wieder andere originelle Praktiken hervorrufen. Was letztlich unsbetrifft, mußmanklarsehen, daßwennmansich alsProduzent/Schaffender mitTheorie beschäftigt, nur das präsentierte Resultat/Bild Theorie oder praktische Theorie ist, oder wie Althusser es definiert: ‚Theorie: eine spezifische Form vonPraxis‘.“(S. 73, 75).

477 Mondrian: Neue Gestaltung, S. 8. 478 Siehe Beuys: Reden über daseigene Land. 479 Siehe die Photos, die anläßlich des Vortrags von Beuys aufgenommen wurden. In Katalog: 34. Beuys zuEhren, S. 32– 480 Beuys schrieb diesen „Lebenslauf/Werklauf“fürdas Programmheft des Aachener „Festivals derneuen Kunst“imJahre 1964. 1969 hater ihnvervollständigt undseine FrauEvaBeuys hat ihnvon1970 anbiszuseinem Todfortgeführt. Eristveröffentlicht inKatalog: Beuys zuEhren, 263. Dieses Dokument bekundet denErnst, mitdemBeuys Kunst undLeben alsEinheit S. 251– verstanden wissen wollte.

481 Siehe Stachelhaus: Beuys, S. 26 undS. 63 ff. Beuys, dessen Gesundheit immer gefährdet war, hatdemTodwährend seines Lebens zweimal insAngesicht geblickt: bei seiner lebensgefährlichen Verletzung nach demAbsturz als Kampfflieger imZweiten Weltkrieg imWinter 1943 undin derZeit seiner schweren Depression in derMitte derfünfziger Jahre.

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det. Beide werden bewußtgemacht; so erklärt Beuys in einem Gespräch, „ daßman denToderproben, die Phase desTodes durchlaufen muß“ . Ohne dasElement des Todes sei der Mensch nicht imstande, bewußt zu leben. „ Wenn ich mit meinem Kopf gegen eine harte Kante stoße, dann wache ich auf. Mit anderen Worten, der Todhält mich wach. ... Ich sage, daßich aufwache, indem ich mitdemTodringe, doch beinhaltet der Begriff des Aufwachens etwas Lebendiges. Der Tod ist ein Mittel, umdasBewußtsein zuentwickeln, umzueinem höheren Leben vorzudringen: einem höheren Leben, dasist wichtig.“482 In derMünchner Rede fährt Beuys in diesem Sinn fort, daß, wenner physisch zusammenbricht und „ in ein Grab hineingehen müßte, so gäbe es dennoch aus . Undwaszudieser Auferstehung führen würde, diesem Grabe eine Auferstehung“ dassei das „Benutzen derdeutschen Sprache“ , miteinander ins Sprechen zukommen. „ Wir würden im Formen dieser Sprache erkennen, daß sich durch ihren bewußten Gebrauch die Begriffe ergäben, dieWelt, dasheißt, dasVorgegebene, so krank es auch sei, mit wesensgemäßen Begriffen so zu beschreiben, daß eine Heilung möglich wäre. Wennich hier über daseigene Land spreche, kann ich mich aufnichts Jüngeres undUrsprünglicheres berufen als aufunsere Sprache.“483Wenn Beuys hier von deutscher Sprache redet, dann impliziert das natürlich auch die Denktradition derdeutschen Philosophie, dennSprechen ist Denken. Steht letztlich nicht hinter derÜberlegung Beuys’dieKantische Aufforderung, denMutzuhaben, sich seines eigenen Verstandes zubedienen, d.h. selbst zudenken unddasGedachte in der Sprache, undzwar nicht nurin derverbalen, sondern auch in einer bildneriWie existentiell bedrohlich diese Depression war, berichtet Stachelhaus: „Einmal schließt er sich wochenlang inderHeerdter Wohnung seines Dichterfreundes AdamRainer Lynen ein, der zuderZeit verreist ist. Freunde brechen durchs Fenster in die Wohnung ein, finden Beuys in einem total verdunkelten Zimmer, er hat bereits Wasser in denBeinen undsagt, er wolle sich auflösen. Auf demBoden verstreut liegen zerrissenen Zeichnungen. Er brauche nichts mehr, sagt er, nureinen Rucksack. Indieser Phase läßt er sich voneinem Klever Schreiner eine Kiste aus Holz machen. Schön glatt gehobelt soll sie sein, das hat Beuys ausdrücklich gewünscht. Dannbeschmiert er diese schöne Kiste vollständig mitTeer undbringt sie insein Atelier nach Heerdt. Seine Vorstellung, daran erinnert er sich später genau, warfolgende: Die Kiste sei ein schwarzer, leerer, isolierter Raum, in demUntersuchungen stattfinden undneue Erfahrungen gemacht werden können. Er habe denZwang gespürt, sich indiese Kiste zusetzen, nicht mehr dazusein, einfach mitdemLeben aufzuhören ...“(S. 63, 64). 482 Joseph Beuys: Der Tod hält mich wach. Ein Gespräch mit Achile Bonito Oliva, 1973. In 82, Zitate S. 79, 81. Katalog: Beuys zuEhren, S. 72– Wichtig ist, hier anzumerken, daßBeuys denBegriff des Todes nicht nurauf deneinzelnen Menschen bezieht, sondern auch in einem übertragenen Sinn auf die geistesgeschichtliche Situation der Menschheit im 20. Jahrhundert. Beuys sieht die Entwicklung vonChristentum undPhilosophie hinzuNaturwissenschaft, Materialismus unddemheutigen Wissenschaftsbegriff als einen Todesprozeß, denes zuüberwinden gilt. „ DasChristentum hatsich entwickelt, indem es dieBegriffe Wissenschaft undMaterialismus verwirklichte, unddies ist einRasen in denTod, in die Abstraktion, in die Entfernung vomMenschen.“(S. 80). Beuys nennt diesen . „Unser Materialismusbegriff verweist auf einen toten Prozeß eine „ Reduktion des Lebens“ Materialismus, aufdiechemische Analyse, aufMeßwerte: dassindalles tote Größen, Abstraktionen.“(S. 81). 483 Beuys: Reden über daseigene Land, S. 37, 38.

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zuartikulieren? DieMünchner Rede läßt ganz deutlich werden, wiewichtig ihmdie Sprache selbst, d.h. dasDenken, für seine Kunst war. Beuys: „Mein Weg ging durch die Sprache, so sonderbar es ist, er ging nicht von der sogenannten bildnerischen Begabung aus.“Nachdem Beuys sein naturwissenschaftliches Studium abgebrochen hatte, er hatte kein Interesse, Spezialist in irgendeinem Zweig derNaturwissenschaft zuwerden, sondern derumfassende Anstoß interessierte ihn, umnach derpersönlichen Erfahrung desZweiten Weltkrieges einen Bewußtseinswandel auszulösen484, entschied er sich auf dem Weg über die Sprache für die Daß dieses auch der einzige Weg sei, um alle noch im Rassistischen Kunst. „ treibenden Umtriebe, schrecklichen Sünden, nicht zu beschreibenden schwarzen Male zu überwinden, ohne sie auch nur einen Augenblick aus demBlickfeld zu verlieren, ließ mich entscheiden fürdie Kunst.“485 Diese Passage zeigt in aller Dramatik, daß die gesamte Beuyssche Kunst als eine dezidierte Antwort auf die menschenverachtenden Ungeheuerlichkeiten des erweiterte Kunstbegriff“ Dritten Reiches angesehen werden muß, unddaßder„ , aus „ innerer Notwendigkeit“erwachsen, wie Beuys betont hat486, eine unabwendbare Reaktion auf dasentsetzliche historische Faktum desNazi-Deutschland ist. Damit hatBeuys dasberühmte Diktum Adornos korrigiert, daßmannach Auschwitz nicht mehr „Dichten“könne; denn die Frage ist nun, wie dieses „Dichten“heute aussehenkönnte!487 schen,

seine Rede wie folgt: „ Die Ursachen für zwei Weltkriege liegen in der Versklavung des Geistes unter Staat und kapitalistischer Wirtschaft. Für die menschliche Freiheit ist kein Organ entwickelt, fürdasKreative ist kein Organ entwickelt, fürdenKunstbegriff nach der Moderne ist kein Organ entwickelt, auch alle die, die die Kunst so gerühmt haben, die sogenannten Connoisseurs, hatten kein Organ entwickelt, weder fürdie Kunst, noch für die Zusammenhänge, die sich vollziehen im Anwachsen der Katastrophe auf denErsten Weltkrieg hin als auch auf denZweiten Weltkrieg hin. Undes wird mitSicherheit dendritten geben, wenn wir keinen neuen Anfang machen bei der Freiheitswissenschaft, in der J eder Mensch ist ein Künstler’ gilt, bei dem Sich-selbst-sein und bei dem Insistieren auf‘ dem Souverän, der injedem Menschen steckt.“Ebenda, S. 52. 485 Ebenda, S. 38. 486 Beuys in Harlan: Soziale Plastik, S. 123. 487 „Dichten“wird hier ineinem weitesten Sinne imVerständnis vonHeidegger als künstlerische Ausdrucksfähigkeit ineiner verbalen oder nonverbalen Sprache verstanden. Siehe: Heidegger: Kunstwerk, S. 82ff. Während die Situation Kunst nicht Übrigens hatAdorno sein Diktum später selbst revidiert. „ , mehr zuläßt –darauf zielte derSatz überdieUnmöglichkeit vonGedichten nach Auschwitz – bedarf sie dochihrer. Denndiebilderlose Realität istdasvollendete Widerspiel desbilderlosen Zustands geworden, indemKunst verschwände, weil die Utopie sich erfüllt hätte, die injedem Kunstwerk sich chiffriert. Solchen Untergangs ist die Kunst vonsich aus nicht fähig. Darum verzehren sich aneinander die Künste.“Th.W. Adorno: Die Kunst unddie Künste, in: Ders.: 192, Zitat S. 192. Ohne Leitbild. Parva Aesthetica, Frankfurt a.M. 5. Aufl., 1973, S. 168– DerSatz, nachAuschwitz lasse keinGedicht mehrsichschreiben, gilt nicht blank, gewiß aber, „ daßdanach, weil es möglich warundbis insUnabsehbare möglich bleibt, keine heitere Kunst mehr vorgestellt werden kann.“Th.W. Adorno: Ist die Kunst heiter? In: Ders.: Noten zur Dasperennierende Leiden hatsoviel 606, Zitat S. 603. „ Literatur, Frankfurt a.M. 1981, S. 599– Recht auf Ausdruck wie der Gemarterte zu brüllen; darum mag falsch gewesen sein, nach Auschwitz ließe kein Gedicht mehr sich schreiben.“Th.W. Adorno: Negative Dialektik,

484 Beuys beschließt

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Beuys betont, daßer sich für eine Kunst entschieden habe, die ihn „ zueinem Begriff des Plastischen geführt hat, der im Sprechen undDenken beginnt, der im Sprechen erlernt, Begriffe zu bilden, die das Fühlen und Wollen in die Form bringen können undbringen werden, wenn ich dort nicht nachlasse, wenn ich also streng dabei bleibe, werden sich mir die zukunftsweisenden Bilder zeigen unddie Begriffe sich bilden. Für mich wurde es zu einer Voraussetzung für das Werden einer Skulptur, daß zuerst eine innere Form im Denken und Erkennen zustande käme unddiese dann ausgesprochen werden könne inderPrägung desmateriellen Stoffes, eines festen Stoffes, wie er nunda steht in der Arbeit, die Herr Dr. Kolbe 488Beuys bezieht sich auf seine Rauminstallation „ Zeige deine angesprochen hat.“ , die von der Städtischen Galerie im Lenbachhaus 1979 angekauft wurde. Wunde“ Jürgen Kolbe hatte bei seiner Vorrede zuBeuys’Vortrag auf denProtest undden politischen Wirbel hingewiesen, den dieser Ankauf in München ausgelöst hat. Wenn Beuys also zu Anfang seiner Rede von der „Wunde“spricht, dann geschieht dies auch in dem Sinnzusammenhang mit seiner Arbeit „ Zeige deine Wunde“ , diewiekaumeinanderes Werk voneiner Todesschwere bestimmt ist. Das Motiv des memento mori ist hier unverkennbar.489 Damit ein Künstler ein solches unter die Haut gehendes Werk schaffen kann, in Materie prägen kann –wenn die ausderAuswahl unddembewußten Arrangement ausranPrägung hier auch „nur“ gierter Gebrauchsgegenstände wiez.B. derLeichenbahren besteht – , dazubedarf es zuerst einer inneren Form im Denken undErkennen. Oder anders formuliert, es bedarf einer tiefgreifenden intellektuellen Motivation undIntention des Künstlers, , demhier zweifelsohne ein hoher moralies bedarf des „Bildnerischen Denkens“ scher undtherapeutischer Anspruch inhärent ist. Aufgefordert, denTitel derArbeit „ Zeige deine Wunde“zuerklären, antwortet Beuys ineinem Zeitungsinterview von 1976: „ Er spricht an, daßdie Menschen ganz ohne Hemmungen, ohne zu warten, bis sie eine wünschenswerte Fähigkeit erreichen, mir ihren eigenen Fähigkeiten beginnen, etwas zu tun. Sie sollen offenstehen. Das ist das Grundprinzip der Kreativität: keine Angst vor Unfähigkeit, es gibt keine wirkliche Unfähigkeit.“ Und: „Dann ist natürlich der traumatische Charakter angesprochen. Eine Wunde, die man zeigt, kann geheilt werden. Natürlich ist alles gemeint, was Menschen 490Ist nicht die beschäftigt, was sie wollen, vielleicht nicht aussprechen können.“ Wunde, die geheilt werden soll, das Trauma Auschwitz und der gegenwärtige Zustand derMenschheit, der, wennnicht geändert, zumglobalen Tode führt? Im Gespräch mit Irmeline Lebeer beschreibt Beuys „Zeige deine Wunde“ C’est une histoire très misérable, absolue pauvreté est exactefolgendermassen: „

488 489 490

Frankfurt a.M., 3. Aufl., 1982, S. 355. DieZusammenstellung dieser Textstellen verdanke ich Andreas Hochholzer. MitderProblemstellung, wiedie Kunst aufdie Schrecken dieses Jahrhunderts reagiert, befaßt sich: Matthias Bunge: Kunst der Nachkriegszeit –Kunst nach Auschwitz. Erscheint in der Reihe: Eichstätter Beiträge, Bd.VI: Nachkriegszeit, Regensburg 1996. Beuys: Reden über daseigene Land, S. 38. Siehe denText vonLaszlo Glozer: Zeige deine Wunde, in Schmied: Zeichen desGlaubens, S. 208, 209, undJosehp Beuys: Zeige deine Wunde. Katalog derStädtischen Galerie imLenbachhaus, München 1980, 2 Bde., Band 2. Reaktionen, o.S. (= Beuys: Zeige deine Wunde). Abgedruckt in ebenda, o.S.

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ment ce que j’ai voulu faire. Une représentation radicale de ce qu’on pourrait appeler notre situation actuelle. Alors que beaucoup de gens croient que nous avons atteint un degré de développement prodigieux, il suffit d’observer pour constater quela réalité ressemble à cellelà. Et lorsque je dis‚Montre cela!‘–montre cette plaie que nous nous sommes infligés aucours denotre développment – , c’est que la seule manière de progresser est d’en prendre conscience. De la montrer. Voilá uneinterprétation possible –bien queje n’aime pasinterpréter.“S ’agit-il de la mort, du refoulement de la mort dans notre société? Beuys: „Oui, la mort y 491 occupe uneposition centrale.“ Caroline Tisdall hatzurecht darauf hingewiesen, daßfürBeuys diegegenwärtigeSituation desMenschen vomTrauma Auschwitz nicht getrennt werden kannund daßauch dasWerk „Zeige deine Wunde“in diesem Kontext gesehen werden muß. Tisdall: „Individual andcollective sickness is taken as symptomatic of the profound alienation of thecontemporry human condition, a kind of death, inflicted in turn by manontheentire natural universe.“492Die traumatische Erfahrung desKrieges hat bei Beuys zueiner tiefen psychischen undphysischen Krise geführt. Ausdieser zog The positive aspect of this is the start of a newlife. The Beuys folgende Lehre: „ whole thing is a therapeutic process. For meit wasa time when I realized the part the artist can play in indicating the traumas of a time and initiating a healing 493Anläßlich seiner Ausstellung im Solomon R. Guggenheim Museum in process.“ NewYork 1979 hatBeuys mitscharfen Worten die Kontinuität beschrieben, dieer von Auschwitz bis in die Gegenwart walten sieht: „ Die Lage, in der sich die Menschheit befindet, ist Auschwitz, unddas Prinzip Auschwitz wird in unserem Verständnis von Wissenschaft und politischen Systemen, in der Delegation von Verantwortung anSpezialisten undimSchweigen derIntellektuellen undKünstler fortgeführt. Ich mußte mich ständig mit dieser Situation und ihren historischen Wurzeln auseinandersetzen. Ich meine zumBeispiel, daß wir heute Auschwitz in seiner zeitgenössischen Ausprägung erleben. Dieses Mal werden Körper von außernkonserviert (kosmetische Mumifizierung), nicht vernichtet, dafür wirdanderes ausgemerzt. Talent undKreativität werden ausgebrannt: eine Art Hinrichtung im geistigen Bereich, eine Atmosphäre der Furcht wird geschaffen, die durch ihre 494 Subtilität eher noch gefährlicher ist.“ Diese Diagnose der Zeitsituation läßt an Drastik nichts zu wünschen übrig. Beuys stellt sie, umzu irritieren undzu provozieren. Eines zeigt sie aber in aller Die IntelDeutlichkeit, daß nämlich, mit denWorten Richard von Weizsäckers: „ lektuellen und Künstler ... im übrigen das lebendigste Beispiel dafür [sind], wie 495 unmöglich es ist, die Debatte über die Vergangenheit rasch zubeenden.“

491 Ebenda, o.S. 492 Tisdall in ebenda, o.S. 493 Beuys zitiert nach Caroline Tisdall: Joseph Beuys, NewYork 1979, S. 21. (= Tisdall: Beuys). 494 Beuys in ebenda, S. 23. Zitiert wurde nach der Übersetzung in: Beuys vor Beuys. Frühe Arbeiten ausderSammlung vanderGrinten. Zeichnungen, Aquarelle, Ölstudien, Collagen, mit Textbeiträgen von Klaus Gallwitz u.a., Köln 1987, S. 233, 234. (= Beuys vor Beuys).

495 Weizsäcker imGespräch, S. 55.

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An dem konkreten Beispiel „Zeige deine Wunde“wird besonders deutlich, ohne daß weitere Interpretationen notwendig sind, daß das bildnerische Denken oder die reflexive Leistung desKünstlers deranschaulichen Gestalt desKunstwerkes undderAutonomie seiner Ausdrucksstärke keinerlei Abbruch tut, sondern eine

wesentliche Voraussetzung fürdasGelingen eines Werkes ist undmithin logischerweise auch eine wesentliche Voraussetzung für ein hinreichendes Verständnis seitens des Betrachters darstellt.496 Damit ist nicht gesagt, und das muß immer wieder ausdrücklich betont werden, daßzwischen Bildnerischem Denken undBild ein spiegelbildliches Verhältnis bestünde oder daßdasBild nureine visuelle Übersetzung des Bildnerischen Denkens sei und das bildnerische Denken nur eine verbale Übersetzung des Bildes. Die Anschaulichkeit des Bildes läßt sich eben nicht in Worte übersetzen, denn das Bild spricht seine eigene, unübersetzbare bildnerische Sprache. Aber dennoch gehören bildnerisches Denken undBild eng zusammen, sind notwendig voneinander abhängig. Nicht nurweil in derMünchner Rede vonBeuys derethische Anspruch seines Werkes besonders evident wirdunder klar zumAusdruck bringt, wie wichtig und wesentlich das Denken für denkünstlerischen Prozeß ist, sondern vor allem auch deswegen gilt es diese Rede zuberücksichtigen, weil Beuys hier ausderGeschichte derdeutschen Kunst im20. Jahrhundert nurdrei Künstler nennt, nämlich „Kandinsky, Lehmbruck, Klee“ , die sehen lassen „was in der Moderne an signalhaftem Charakter enthalten ist, der auf eine Zukunft weist.“497 Daß Beuys neben dem Bildhauer die Maler Kandinsky und Klee nennt und nicht z.B. Ernst Ludwig Kirchner oder Franz Marc, ist gewiß kein Zufall. Beuys warsich offensichtlich der überragenden Rolle, die Kandinsky undKlee als Maler undDenker fürdie weitere klassische moderne“Kunst vonKanEntwickung der Kunst spielen, bewußt. Die „ dinsky, Lehmbruck und Klee habe „ wichtige Signale gesetzt“ , die „ als Symbole . Aber dieser „große signalhafte und Rätsel den Menschen gezeigt worden sind“ Charakter“habe „ die große Mehrheit der Menschen alleine gelassen“ . Die einfachen Menschen hätten diese zukunftsweisende Kunst nicht verstehen können und .498 darin sieht Beuys eine „Tragik“ Paul Klee hat diese „Tragik“selbst erlebt undausgesprochen. 1924, als arrivierter Meister amBauhaus, beendet er seinen Vortrag „ Über die moderne Kunst“ mit der ernüchternden Begründung, warum er sein geträumtes „Werk von einer ganz großen Spannweite durch dasganze elementare, gegenständliche, inhaltliche undstilistische Gebiet“noch nicht realisieren könnte: „Wirhaben noch nicht diese letzte Kraft, denn: uns trägt kein Volk. Aber wir suchen ein Volk, wir begannen damit, drüben am staatlichen Bauhaus. Wir begannen da mit einer Gemeinschaft,

496 Dagegen meint Armin Zweite: „Immer wieder plädiert er [Beuys] dafür, an die Stelle der falschen die richtigen Begriffe zusetzen, Begriffe, die Einmaliges, Authentisches, Spontanes undKonkretes beschreiben. Das notwendig Vokabular unddie umfassenden Ziele liefert zu einem großen Teil die Anthroposophie, so daßder Theoretiker Beuys nicht selten Gefahr läuft, uvres in durch verbalen Obskurantismus die ästhetisch verschlüsselte Botschaft seines Œ Frage zustellen.“Z weite in Beuys: Zeige deine Wunde, o.S. 497 Beuys: Reden überdaseigene Land, S. 39. 498 Ebenda, S. 39.

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an die wir alles hingeben, was wir haben. Mehr können wir nicht tun.“ 499Der resignative Grundton ist nicht zu überhören. Die Tragik der fehlenden Akzeptanz durch ein „ Volk“mündet zwangsläufig in eine politische „ Tragik“ , die letztlich zumTode Klees führt. Nach derMachtergreifung derNazis imJahre 1933 verliert Klee seine Professur anderDüsseldorfer Akademie –ein folgenschweres Ereignis. Obwohl Klee auch schon vor 1933 denmenschenverachtenden Angriffen derNazis ausgesetzt war, gibt es nun aber für diesen humanen, sensiblen und mit einer erstaunlichen intellektuellen Bildung ausgestatteten Künstler keinen Platz mehr in Deutschland, das Kunst verfemt undals „ entartet“diffamiert. Klee mußDeutschlandverlassen undgeht ineine innere undäußere Emigration. Inseinem Geburtsort Bern beantragt er die Schweizer Staatsbürgerschaft, erlangt sie aber zu Lebzeiten nicht mehr.500 Klee hat endgültig „ Heimat“und„ Volk“verloren. Die psychische Wunde, die die Nazis Klee geschlagen haben, löst eine physische Wunde aus, die nicht mehr heilt und schließlich zum körperlichen Zusammenbruch führt. Nur eineinhalb Jahr nach seiner erzwungenen Emigration bricht Klees Krankheit aus.501 499 Klee: Kunst-Lehre, S. 85. 500 Siehe dazu O. K. Werckmeister: Vonder Revolution zumExil, in Katalog: Klee, Leben und Werk, S.31– 55. Werckmeister zitiert folgenden Brief Klees andie Städtische Einwanderungskommission Bern vom28. Juni 1939 als Antwort aufdieFrage, warum er sein Gesuch erstjetzt In Beantwortung Ihres geschätzten Schreibens teile ich Ihnen mit, daß ich nach einreiche. „ meiner Rückkehr indieSchweiz die verschiedensten Versuche gemacht habe, meinEinbürgerungsgesuch in die Wege zuleiten. Es wurde aber zurückgewiesen. Die Niederlassung erhielt ich im Mai 1939. Vondiesem Zeitpunkt anbeauftragte ich Herrn Fürsprech Dr. Fritz Trüssel mit der Einreichung meines Einbürgerungsgesuches.“(S. 55, Anm. 133) Obwohl Klee in der Schweiz geboren wurde, hatte er als Sohneines deutschen Staatsbürgers diedeutsche Staatsangehörigkeit. Werckmeister: „ So kehrte er 1933 als ausländischer Einwanderer in die Schweiz zurück. ... Klee reichte bald sein Einbürgerungsgesuch ein, doch wurde es aufgrund des sogenannten Berlin-Abkommens vom4. Mai 1933 abgelehnt, nach demdeutsche Staatsbürger erst dann umdasSchweizer Bürgerrecht einkommen durften, wennsie fünf Jahre ‚ununterbrochen undmit Erlaubnis‘ in der Schweiz gelebt hatten. Klee fand sich damit ab, diese Zeit abzuwarten und beauftragte zugleich seinen Anwalt Fritz Trüssel aus Bern, sein Einbürgerungsgesuch erneut einzureichen, wasdieser am24. April 1939 tat. Am 11. Juli 1939 wurde Die Lösung meines Klee vorgeladen. Bei dieser Gelegenheit gab er die ... Erklärung ab: „ Dienstverhältnisses in Düsseldorf erfolgte wegen der deutschen Revolution. Da ich vom deutschen Staat nichts mehr zu erwarten hatte, fühlte ich mich frei von den Bindungen zu diesem Staat undberechtigt zueinem Abbruch derBeziehungen.“(S. 51, 52) Am 19. Dezember 1939 erhält Klee die eidgenössische Bewilligung seines Einbürgerungsantrags. Daraufhin mußte Klee die Zuerkennung des Bürgerrechts durch die Gemeinde Bern beantragen, waser am 15. Januar 1940 tat. Am5. Juli 1940, eine Woche nach seinem Tod, sollte über denAntrag entschieden werden, derdamit hinfällig war. 501 Siehe dazudie ausführliche Biographie (1933–1941) in demAusstellungskatalog: Paul Klee. Das Schaffen imTodesjahr. Hrsg. vonJosef Helfenstein undStefan Frey, Stuttgart 1990, S. 132. (= Katalog: Klee, Todesjahr). ImAugust 1935 erkrankt Klee zuerst aneiner Bronchi111– tis, die sich zueiner Lungenentzündung ausweitet, die auch sein Herz schwächt. Ab Oktober bricht dann eine Krankheit aus, die zuerst fälschlicherweise als Masern diagnostiziert wurde. (S. 133) Er leidet an Sklerodermie, einer chronischen Erkrankung des GefäßbindegewebsSystems, beideres zueiner wachsartigen Verhärtung derHautkommt undzueiner Versteifung der Finger. Schließlich werden auch innere Organe wieSpeiseröhre, Magen undzuallerletzt , die das Herz von der Krankheit ergriffen. Doch entscheidend ist die „versteinerte Haut“

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Wie ausauthentischen Quellen zuentnehmen ist, erlebte Klee die Vertreibung aus Deutschland als die tiefgreifende Zäsur seines Lebens undals Erschütterung seines Selbstwertgefühls. Wennmanberücksichtigt, daßKlee mitBriefeschreiben nicht gerne Zeit verlor, wie Grohmann anmerkte, „ ... er begnügte sich meist mit 502, dann gewinnen die Anspielungen, die der Adressat eben verstehen mußte“ wenigen privaten Worte Klees umso stärkeres Gewicht. Am22. Dezember 1933 schreibt Klee aus Düsseldorf an seinen Sohn Felix: „ ... ich binjetzt ausgeräumt. Morgen Abend verlasse ich wahrscheinlichst diesen Ort. Es kommen dann die schönen Weihnachtstage, wo in jedem Kindskopf Glocken läuten. Ich bin in den letzten Wochen etwas älter geworden. Aber ich will nichts vonGalle aufkommen lassen, oder nurhumorvoll dosierte Galle. Das gibt’s bei Männern leicht. Frauen 503Undin zwei Briefen vomJanuar und pflegen in solchen Fällen der Thränen.“ Mai 1934 schreibt Klee aus Bern an Grohmann: „ ... Wir selber haben ja auch allerhand erfahren; aber wir versuchen nach vorn zu blicken, haben uns auch so weit gefunden, daß es gelingen wird, das Zurückliegende als Geschehen oder als ein Stück unserer Geschichte zu notieren, es aus dem Bereich unseres Tuns zu eliminieren. Nicht daßwir schon ‚täten‘, das hatnoch einige Weile. Nurdas kann man nicht vergessen, was mit Freunden Schweres geschieht. Und es wäre sehr notwendig, sich zusehen undzusprechen –aber wann? Hoffentlich in absehbarer Zeit. Etwas mußunströsten können, daßwiralle fürdasgeistige Vaterland leiden *, unddaraus kann sich neue Kraft bilden ... * Das ist vielleicht der Gesichtspunkt, Ihr umfrei zu werden von allzugroßer Beschwerung.“Im Mai schreibt Klee: „ Artikel hat mich besonders gefreut, er ist ein so warmer Gruß, undich will gerne daran glauben, daß nicht Sie allein so denken. Die große Stille zwischen mir und Deutschland ist ja auch zu unheimlich, um für bar genommen zu werden. Daß persönliche Beziehungen latent sind, liegt ja zwar an mir, da ich meine Existenz 504 dislozieren mußte.“ Wie tief Klee die Zwangsemigration verwundete undkränkte belegt auch ein Augenzeugenbericht, den Alexander Zschokke, der gleichzeitig mit Klee an der Düsseldorfer Akademie Professor für Bildhauerei war, überliefert hat. Klee „‚litt unsäglich unter den rohen und besonders widerlichen Machenschaften der neu entstandenen Umwelt‘. UndalsderBildhauer aufderBahnfahrt nachBasel zufällig

gleichsam zum Symbol der isolierten Künstlerpersönlichkeit wird, die abgeschnitten von einem sie akzeptierenden Publikum existieren muß.Zumfortgeschrittenen Krankheitsbild ge, wiees fürKlee inseinen letzten Lebensjahren charakterihört auch dassog. „Maskengesicht“ stisch ist. Siehe dazudiePortraitphotographien anläßlich Klees 60. Geburtstag am18. Dezember 1939, inebenda, S. 40, 41. ZuPaul Klees Krankheit siehe auchgleichnamige Notiz im„Haller Tagblatt“vomMontag, 20. Juni 1988, diemirfreundlicherweise eine Studentin zurVerfügung stellte. Hierwirdvoneinem Vortrag eines Arztes, Dr. G. Danzer aus Berlin-Neukölln, auf dem Internistenkongress in Wiesbaden berichtet, der die Wechselbeziehung zwischen biographischen Ereignissen und Charakter sowie Krankheitsentstehung und-verlauf darstellt. 502 Siehe Grohmann: Künstler schreiben, S. 72. 1940, hrsg. vonFelix Klee, 2 Bde., Köln 1979, 2. Bd., 503 Paul Klee: Briefe andie Familie, 1893– S. 1240. (= Klee: Briefe an die Familie). 504 In Grohmann: Künstler schreiben, S. 77, 78.

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Klee in demZugtraf, derihnnachderSchweiz zurückführte, meinte er bitter: ‚Daß mein bester Schüler mich verraten hatundzumeinen Feinden überlief, umwieder Blümchen undZiegen zumalen, ist bodenlos.‘Dasrötliche, flimmernde Auge war voneiner leichten Trauer verschattet undschien eine versinkende, verlorene Welt, 505 seine Welt, zu suchen.“ Gleichzeitig mitderäußeren Emigration indieSchweiz geht Klee auch ineine , wie Max Huggler es formulierte. Obwohl Klee von einem innere Emigration“ „ kleinen Kreis verständiger Freunde und Bekannter umgeben war, „stellten sich Beziehungen zumallgemeinen Leben undderKultur weder inBern nochüberhaupt . Klee fandsich ineiner „abseitigen Stellung“ in derSchweiz ein“ , dennseine Kunst stand inkeinem Zusammenhang mitderkünstlerischen Überlieferung derSchweiz, „ unddas Ziel das er verfolgte, hatte keinerlei Vorbereitung erfahren: gleich einem erratischen Block wardas Werk da. ... DenZoll, denKlee derZeit entrichtete, in derer stand, wardievolle Einkehr in sich selber, derletzte Rückzug aufdasIchund das Schicksal, dasjeden Einzelnen in derselben Weise erwartet.“506Manmußalso annehmen, daß die noch heute rätselhafte Krankheit der Sklerodermie, die im Sommer 1935 „ ausihrer vermutlich schon länger angelegten Latenz“507heraustrat, vor allem auf psychosomatischen Gründen beruht. Klee hat die Tragik seines Lebens, vertrieben undvoneiner breiteren Öffentlichkeit nicht verstanden zusein, seelisch und körperlich nicht verkraften können. Aber Klee resigniert nur auf physischer Ebene, nicht aufgeistiger, künstlerischer. Nachdem seine schöpferische Produktion imJahr 1936 fast aufdenNullpunkt sank, überwindet Klee 1937 diese Krise undbildet ausseinem Leiden eine neue, verblüffend produktive Kraft. Inden drei Jahren, die Klee noch bleiben, entsteht sein reiches undinnovatives Spätwerk. Klee ermüdet undwiederholt sich nicht, wie so mancher Künstler in dendreißiger Jahren, sondern er legt einbildnerisch progressives undradikales Spätwerk vor, das viele Wege für die Kunst der zweiten Jahrhunderthälfte öffnet.508 Nurdie Arbeit hält Klee amLeben. Im November 1939 schreibt er an Grohmann: „ Wenn die Freude zu leben heute manches Hindernis erfährt, so kann man sie vielleicht auf demUmweg über die Arbeit rekonstruieren? Mir kommt das so vor, undich glaube, es glückt auch bis zueinem gewissen Grad. Dadie Arbeit gute Zeiten haben kann, stellt sich manchmal eine Art Glück ein. Neue Wege –ein Gleichnis zurSchöpfung.“UndimJanuar desTodesjahres hält Klee Rückblick auf das Vorjahr: „Natürlich komme ich nicht von ungefähr ins tragische Geleis, viele meiner Blätter weisen darauf hin undsagen: es ist an der Zeit. ... Das Jahr war 505 Zitiert nach Max Huggler: Paul Klee. Die Malerei als Blick in denKosmos, Frauenfeld und Stuttgart, 1969, S. 145. (= Huggler: Klee). 506 Ebenda, S. 156, 157. 507 Werner Haftmann: Verfemte Kunst. Bildende Künstler derinneren undäußeren Emigration in derZeit desNationalsozialismus, Köln 1986, S. 117. (= Haftmann: Verfemte Kunst). 508 Siehe Tilman Osterwold: Paul Klee. Spätwerk, hrsg. vom Württembergischen Kunstverein Beeindruckt Stuttgart 1990 zur gleichnamigen Ausstellung. (= Osterwold: Klee, Spätwerk). „ voneiner schweren Krankheit undindemWissen umdenherannahenden Todsetzte einWerk ein, dasdie autobiographischen Züge in eine universelle weltanschauliche Dimension stellte.“ Osterwold, S. 8.

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bildnerisch reich. So viel habe ich nie gezeichnet, undnie intensiver ...“.509 Wie NurderTodhält mich wach.“Undwie für Beuys, so ist auch für Klee sagt Beuys? „ Tod und Leiden dem Leben immer zugehörig. Petra Petitpierre hat eine dieses Thema ansprechende Aussage Klees überliefert, die er allerdings wohlgemerkt schon einige Zeit vordemAusbruch seiner Krankheit machte: „ DerTodist nichts Schlimmes, damit habe ich mich längstens abgefunden. Weiß man denn, was wichtiger ist, dasLeben jetzt oder das, waskommt? Vielleicht ist dasandere Leben wichtiger, aber darüber weiß mannichts Näheres. Ich sterbe gern, wenn ich noch 510 einige gute Arbeiten geschaffen haben werde.“ Marcel Franciscono stellte in seinem Aufsatz „ Klees Krankheit und seine Bilder desTodes“fest, derTodist „ bei Klee ein ständiger Begleiter, derin vielen Verkleidungen anderGanzheit derExistenz teilhat.“„ Derneue, emotional vertiefte Ausdruck würde allein schon genügen, die nach 1937 entstandenen Arbeiten herausragen zulassen. Aber sie sind mehr als nureinfach neuartig. Die gesteigerte Kraft ihres Ausdrucks macht Klee zu einem der großen Darsteller des Todes, vielleicht sogar zumgrößten vonallen.“511 Dieser Exkurs zur „Wunde“Klees soll deutlich machen, wie eng Leiden und Tat, Leben undKunst, Leib undGeist miteinander verzahnt sind. Manwird dem Phänomen Kunst nicht gerecht, läßt mandiese menschlich-persönliche Ebene und ihre ethische Qualität außer acht. Dieses Insistieren aufdem„ Wärmecharakter“der Kunst, wieBeuys sagen würde, ist mirwichtig. Immer mehr macht sich auch unter denKunsthistorikern ein „Managertyp“breit, derin rationalistischer Abgeklärtheit undpositivistischer Kühle über Kunst reden zukönnen glaubt. VomWesentlichen derKunst, ihrem engen Bezug zurexistentiellen Problematik desMenschen, erfährt man wenig. ZumWesen der Kunst gehört was Klee die „menschliche Urtragik“ nennt, die „ Tragik der Geistigkeit“ . Der Mensch besitzt die Fähigkeit, „geistig Irdisches und Überirdisches beliebig zu durchmessen im Gegensatz zu seiner physischen Ohnmacht. ... Die Folge dieser gleichzeitigen Ohnmacht des Körpers undder gleichzeitigen geistigen Beweglichkeit ist die Zwiespältigkeit des menschlichen Seins. Halb Gefangener halb Beflügelter kommt jedem der beiden Teile durch die Wahrnehmung seines Partners die Tragik seiner Halbheit zumBewußt512Klee schreibt dies schon imApril 1922. In seinem Spätwerk schöpft er aus sein.“ demLeiden anseiner physischen Ohnmacht eine unbändige Produktionskraft. Hier findet sich nochmals eine treffende Übereinstimmung miteinem Gedanken Picassos: „ Ich halte die Kunst füreine Emanation vonTrauer undSchmerz. Die Trauer 513 eignet sich zurMeditation, undderSchmerz liegt demLeben zuGrunde.“

509 Grohmann: Künstler schreiben, S. 81, 84. 510 Petra Petitpierre: AusderMalklasse vonPaul Klee, Bern 1957, S. 65. (= Petitpierre: Malklasse Klees).

25, Zitat S. 17. 511 In Katalog: Klee, Todesjahr, S. 13– 512 Klee: Beiträge zurbildnerischen Formlehre, Vortrag vom03.04.1922, zitiert nachKlee: KunstLehre, S.235. 513 Worte des Malers Pablo Picasso, miteinem Nachwort vonApollinaire, ausgewählt vonJosef Haase, Zürich 1970, S. 7.

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Für Beuys wardie „Ohnmacht“dasentscheidende Charakteristikum der LeiDasLeiden ist dasAusgeliefertsein andiePassivität.“Die Christusgestalt denden. „ daß gerade das Leiden demMenschen hilft. Der im Leiden verharrt, zeigt auf, „ auch derführt die Welt selbstverständlich weiter, er bereichert die Welt dennoch. Es wäre eine große Frage, werdieWelt mehr bereichert: die Aktiven oder diejenigen, die leiden? Ich habe ja immer entschieden: die Leidenden. Der Aktive mag etwas Positives fürdie Welt erreichen. Aber ein krankes Kind, dassein Leben lang im Bett liegt undgar nichts tunkann, das leidet underfüllt durch sein Leiden die Welt mit christlicher Substanz. Denn durch das Leiden wird die Welt real mit christlicher Substanz erfüllt. Also hat das Leiden eine wichtige Funktion. Übrig bleibt, wenn mandas in eine Formel bringt, daßdemMenschen nurzwei Weisen seines schöpferischen Verhaltens gegeben sind, unddasnatürlich in allen Abschattierungen, injeder Biographie in einer anderen Mischung: daseine ist dasTun, das andere ist dasErleiden. Beide Schicksale führen dieBereicherung derWelt hinauf, undbeide Funktionen garantieren die menschliche Zukunft.“514Klee undBeuys haben in ihrem Lebens-/Werklauf Zeugnis abgelegt fürdieWahrheit dieser Reflexionen. Kehren wirnoch einmal zuBeuys’Münchner Rede zurück, in derer Kandinsky, Lehmbruck undKlee nennt, die denMenschen mit ihrer Kunst Symbole und Rätsel gezeigt haben, die einen großen signalhaften Charakter für die Zukunft des Menschen enthalten. Aber die große Mehrheit derMenschen habe tragischerweise Für waswardenn eine solche Tätigkeit ein Signal, das Signal nicht verstanden.515 „ mußte ich mich fragen, hier wurde dasKunstwerk zumRätsel, für dasderMensch selbst die Lösung sein mußte: das Kunstwerk ist das allergrößte Rätsel, aber der Mensch ist die Lösung. Hier ist die Schwelle, die ich kennzeichnen will als das Ende derModerne, dasEnde aller Traditionen, wirwerden gemeinsam densozialen Kunstbegriff entwickeln als ein neugeborenes Kind ausdenalten Disziplinen.“516 DasKunstwerk ist dasallergrößte Rätsel, aberderMensch ist dieLösung, bedeutet, wie Beuys an anderer Stelle bemerkte, daß es „ die Aufgabe der Kunst ist, dem 517„Nach demZeitalter Menschen einBild seines eigenen Wesens zuvermitteln ... .“ desWeges durch die Analyse zumMaterialismus kommt dasZeitalter derSynthese zumgeistigen Menschen. Dermußgefunden werden. DaßderSinn desLebens also derGeist ist, dasist sehr wichtig, unddaßderMensch versteht, in diesen geistigen Energien zu leben und sich auch davon zu versorgen ...“518Den Menschen zu

erinnern, daßernicht nureinmaterielles, sondern vorallem eingeistiges Wesen ist. Das ist das Signal, das Kandinsky, Lehmbruck undKlee mit ihrer Kunst gesetzt haben, unddeshalb bezieht sich Beuys in seiner Rede gerade auf diese Künstler. In seinem Gespräch mit Mennekes führte Beuys aus, daßdurch die Entwicklung hin zur Vorherrschaft des Materialismus „eine völlige Abnabelung vomSpirituellen“

514 Beuys inMennekes: Beuys zuChristus, S. 40, 42, 44. 515 Beuys: Reden über daseigene Land, S. 39. 516 Ebenda, S. 39. 517 Beuys: Gespräche, S. 137. 518 Beuys: Museum, S. 33.

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erfolgte unddaß als Reaktion darauf „wieder eine Anknüpfung an das Spirituelle gefunden werden“muß.519 Kandinsky, Klee undLehmbruck haben in Wort und Bild diese Anknüpfung geleistet, Beuys auch.

11. Farbe und Bild – Die Einheit vonAnschauung undBegriff „ Aber wennsich ein Mensch inderZukunft ... überdie imaginäre, spirituelle, mystische oder geistige Seite derFarbe –informieren will, mußer ins Museum gehen, weil dader Ort ist, wo diese Dinge ihren Tempel haben. ... Also können ... die Menschen ruhig wieder dahingehen, wiesie zueiner religiösen Tätigkeit gehen, daßsie sagen: Hierbefasse ich mich mit der geistigen Seite des Menschen, die ganz spirituell, ganz religiös ist, die demMenschen überhaupt erst seine Menschenwürde gibt. Unddann wissen die Menschen, daßdie Farbe daskann. Deswegen gehen sie dann andenOrt, andiesen Tempel zurück, weil daderTempel fürFarbe ist.“

Joseph Beuys520

Wie tief die Trauer war, die Klee wegen seiner Vertreibung undder verlorenen Akzeptanz empfunden hat, offenbart ein Bild ausdemJahr 1933, demer denTitel „VonderListe gestrichen“gegeben hat.521 (Siehe Abb. 7) Indiesem Bild zeigt Klee seine Wunde, gibt ihr bildnerischen Ausdruck. Mit denbildnerischen Elementarmitteln „ Linie, Helldunkel und Farbe“visualisiert Klee in einem Imago seine Trauer undsein Leid. Denn Klee hat ausdrücklich betont, daß aus den genannten , dasheißt ausdenunendlichen Variationskategorialen „ Dimensionen desBildes“ möglichkeiten von Linie, Helldunkel undFarbe die „inhaltliche Dimension“des Bildes resultiert, wobei jede Teiloperation der bildnerischen Elementarmittel für spezifischen Dimensionen des Stückwelten des Inhaltes“steht.522 Klee hat den „ „ Bildnerischen“eine bestimmte Rangfolge gegeben, in derdie Farbe einen ausgezeichneten Platz einnimmt. So ist es nur logisch, daß bei der Frage nach der Sinndimension eines Bildes derFarbe eine besondere Gewichtung undWertigkeit VonderListe gestrichen“ineine braune Trauerfarzukommt. Weil Klee sein Bild „ bigkeit einstimmt, umdenanschaulichen Charakter desElegischen zuimaginieren, ist es geboten, auf den Konnex vonbildnerischen undinhaltlichen Dimensionen einzugehen, denn so wird sich einmal mehr zeigen, wieengBildnerisches Denken undbildnerisches Gestalten ineinander verschränkt sind. DieLinie ist fürKlee eine „Angelegenheit desMaßes“unddas„Ordnungssymbol vomWesen derreinen Linie ist derlineare Maßstab mit seinen verschiedenen Längen“ . Die Tonalitäten oder Helldunkeltöne dagegen sind die vielen möglichen 519 Mennekes: Beuys zuChristus, S. 20. 520 Beuys: Museum, S. 48. 521 Ölfarben auf transparentem Wachspapier, 31,5 x 24 cm, Bern, Sammlung Felix Klee. Farbab1940, Köln 1990, S. 72. (= Partsch: Klee). bildung in Susanna Partsch: Paul Klee. 1879– , zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, S. 80, 522 So Klee in seinem Vortrag: „Über diemoderne Kunst“ 81.

11. Farbe undBild –Die Einheit vonAnschauung undBegriff

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Abstufungen zwischen Weiß undSchwarz. „ Bei diesem zweiten Element handelt es sich um Gewichtsfragen. Der eine Grad ist dichter oder lockerer an weißer Energie, einanderer Gradist mehroderweniger schwarzbeschwert. DieGrade sind unter sich wägbar. ... Das Symbol vom Wesen des reinen Helldunkel ist die Gewichtsskala mit ihren verschiedenen Stufen zwischen Weiß undSchwarz.“Ge-

genüber der Linie unddemHelldunkel weisen die Farben noch besondere Eigenschaften auf. „Denn mankommt ihnen weder mit Messen noch mit Wägen ganz bei: Da, wo mit Maßstab undmit Waage keine Unterschiede mehr festzustellen sind, zumBeispiel voneiner rein gelben zu einer rein roten Fläche von gleicher Ausdehnung undgleichem Helligkeitswert, bleibt immer noch dieeine wesentliche Verschiedenheit bestehen, die wir mit denWorten Gelb undRot bezeichnen. So wie manSalz undZucker vergleichen kann bis aufihrSalziges undihr Süßes. Ich 523 möchte daher die Farben Qualitäten nennen.“ DieFarben sinddeswegen Qualitäten, weil ihre Eigenschaften überdasQuantifizierbare hinausgehen. Dieses Nichtquantifizierbare nennt Goethe in seiner Farsinnlich-sittliche Wirkung der Farbe“ , ihren Symbolwert.524 Kanbenlehre die „ dinsky spricht in diesem Zusammenhang vomspezifischen „ inneren Klang“einer jeden Farbe.525 Aufgrund ihrer Wesensmerkmale behauptet die Farbe nicht nur einen hohen Platz „ in der Reihe der uranfänglichen Naturerscheinungen“, wie Goethe feststellte,526 sondern auch in derReihe derbildnerischen Elementarmittel. Die Farbe ist erstens Qualität. Zweitens ist sie Gewicht, denn sie hat nicht Klee: „ nureinen Farbwert, sondern auch einen Helligkeitswert. Drittens ist sie auch noch Maß, denn sie hataußer denvorigen Werten noch ihre Grenzen, ihren Umfang, ihre Ausdehnung, ihr Meßbares. Das Helldunkel ist erstens Gewicht, und in seiner Ausdehnung beziehungsweise Begrenzung ist es zweitens Maß. Die Linie aber ist nurMaß.“Klee nennt die Farbe die größte Schachtel, in die Helldunkel undLinie jeweils in kleineren Schachteln verschachtelt sind. Mit anderen Worten heißt das, die Farbe ist das primäre Medium des Bildes, durch das alle sichtbaren Daten des Bildes hindurch müssen. Ist derMaler inderLage, sich aufderelementar-formalen Ebene zu orientieren, beherrscht er also die bildnerischen Mittel, kann er ein Bild konstruieren. Klee: „ Hier liegt derSchwerpunkt unseres bewußten Schaffens. Hier 523 Ebenda, S. 74, 75. 524 Johann Wolfgang Goethe: Farbenlehre. Mit Einleitungen undKommentaren vonRudolf Steiner, hrsg. vonGerhard OttundHeinrich O. Proskauer, 3 Bde., Stuttgart 1980, 2. Aufl., S. 275 Aus der sinnlichen undsittlichen Wirkung der Farben sowohl ff. (= Goethe: Farbenlehre). „ einzeln als in Zusammenstellung, wie wir sie bisher vorgetragen haben, wird nun für den AllegoriKünstler die ästhetische Wirkung abgeleitet.“(848.) S. 294. Unter derÜberschrift: „ 915. Es ist oben scher, symbolischer, mystischer Gebrauch der Farbe“schreibt Goethe: „ umständlich nachgewiesen worden, daß eine jede Farbe einen besonderen Eindruck auf den Menschen mache unddadurch ihrWesen sowohl demAuge als Gemüt offenbare. Daraus folgt sogleich, daßdie Farbe sich zugewissen sinnlichen, sittlichen, ästhetischen Zwecken anwendenlasse. 916. Einen solchen Gebrauch also, dermitderNatur völlig übereinträfe, könnte man densymbolischen nennen, indem die Farbe ihrer Wirkung gemäß angewendet würde unddas wahre Verhältnis sogleich die Bedeutung ausspreche.“(S. 309). , S. 66 ff. VI. Formen- undFarbensprache“ 525 Kandinsky: ÜberdasGeistige, siehe Kap. „ 526 Goethe: Farbenlehre, 758., S. 275.

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Teil II

verdichtet sich unser professionelles Tun. Hier ist es kritisch.“ 527Denn hier und jetzt mußderKünstler seinen Erkenntnisanspruch einlösen undoffenlegen, ob der

begrifflichen Durchdringung der künstlerischen Gestaltung anschauliche Tatbestände –Bilder entsprechen. Hier wird es nicht nur kritisch, sondern eigentlich „ kritizistisch“ , denn derHauptsatz deskantischen Kritizismus lautet: „Anschauung undBegriffe machen also dieElemente aller unserer Erkenntnis aus, so daßweder Begriffe, ohne ihnen aufeinige Artkorrespondierende Anschauung, nochAnschauungohne Begriffe, eine Erkenntnis abgeben können. ... Ohne Sinnlichkeit würde unskein Gegenstand gegeben, undohne Verstand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind. Daher ist es ebenso notwendig, seine Begriffe sinnlich zumachen (d.i. ihnen denGegenstand in derAnschauung beizufügen), als, seine Anschauungen sich verständlich zumachen (d.i. sie unter Begriffe zu bringen). Beide Vermögen, oder Fähigkeiten, können auch ihre Funktionen nicht vertauschen. DerVerstand vermag nichts anzuschauen, unddie Sinne nichts zudenken. Nurdaraus, daßsie sich vereinigen, kann Erkennt-

nis entspringen.“528 Kandinsky, Klee und Beuys erheben mit ihrer Kunst den Anspruch auf Erkenntnis zuRecht. Einerseits sind sie in herausragender Weise fähig, ihre Begriffe sinnlich zu machen, d.h. ihnen ein visuell wahrnehmbares Bild beizufügen, und andererseits können sie sich ihre bildnerischen Anschauungen reflexiv verständlich machen, d.h. sie unter Begriffe bringen. In derEinheit vonBildnerischem Denken undWahrnehmen, vonReflexion undSinnlichkeit gründet ihre Erkenntnisleistung. , (Siehe Abb. 7) dasbezeichnenderIn seinem Bild „Vonder Liste gestrichen“ weise in einem „ Zwischenreich“ , nämlich zwischen Abstraktion undGegenständlichkeit, schwebt, gestaltet Klee das Antlitz eines Gezeichneten. Trotz des abstrak-

tenFormenvokabulars erkennen wirunschwer denSchädel eines Menschen. WähManverläßt die rend desersten Weltkrieges, 1915, notiert Klee in sein Tagebuch: „ diesseitige Gegend undbaut dafür hinüber in eine jenseitige, die ganzja sein darf. Abstraction. Die kühle Romantik dieses Stils ohne Pathos ist unerhört. Je schrekkensvoller diese Welt (wie gerade heute) desto abstrakter die Kunst, während eine glückliche Welt eine diesseitige Kunst hervorbringt.“529Das bildnerische Phänomender„Abstraktion“steht also bei Klee ineinem eindeutigen Zusammenhang mit einer bedrückend empfundenen Lebenssituation. Der Künstler, der mit einer abstrakten Formensprache eine intakte, jenseitige Welt –jenseits unserer Erscheinungswelt –konstruiert, begeht aber nicht Weltflucht, wieihmhäufig vorgeworfen wird, sondern er erzeugt vielmehr einGegenbild imSinne vonBeuys. Mankannin Klees Tagebucheintrag zur„Abstraktion“eine unmittelbare Analogie zuderErklärungBeuys’sehen, daßer mitseiner Kunst „eine lichte Welt, eine klare lichte Welt, durch eine unter Umständen eine übersinnlich geistige Welt ... provozieren“will, „ Sache, die ganz anders aussieht, eben durch ein Gegenbild.“530

527 Klee: Kunstlehre, S. 75, 76. 528 Immanuel Kant: Kritik derreinen Vernunft, Einleitung: Idee einer transzendentalen Logik, in Kant: Werke, Bd. 3, S. 97, 98. 529 Klee: Tagebücher, Nr.951, S. 365. 530 Beuys: Multiplizierte Kunst, o.S.

11. Farbe undBild –Die Einheit vonAnschauung undBegriff

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DasBild„ VonderListe gestrichen“hält dieBalance zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, zwischen einer dunklen materiell beschwerten diesseitigen Welt undeiner lichten, geistig leichten jenseitigen Welt. Es ist einerseits Ausdruck derTrauer unddes Leidens eines erdgebundenen Menschen, andererseits visualisiert es in seiner Schönheit und im Zeichen des Kreuzes die Hoffnung auf ein sprirituelles Dasein. Das Bild ist resignierend undrebellierend zugleich. Klee gibt ganz bewußt das„gegenständliche Jawort“ , wieeres nennt: „ Ichhabe dieBerechtigung des gegenständlichen Begriffes im Bilde zugegeben und damit eine neue Dimension erhalten.“Es ist die Dimension des Menschlichen. Denn jede Gestaltung, jede Kombination derbildnerischen Elemente: Linie, Helldunkel undFarbe wird ihren besonderen konstruktiven Ausdruck haben, jede Gestalt ihr Gesicht, „ ihre Physiognomie“ . In seinem Jenaer Vortrag, ausdemwirhier zitieren, also neunJahre bevor Klee dasebengenannte Bild malt, spricht er ansein Publikum folgendes: „ Undmanfreut sich zugestandenermaßen unter Umständen sehr, wenn wie vonselber im Gebilde ein uns vertrautes Gesicht auftaucht. Die gegenständlichen Bilder blicken uns an, heiter oder streng, mehr oder weniger gespannt, trostreich oder furchtbar, leidend oder lächelnd. In allen Gegensätzen aufderpsychisch-physiognomischen Dimension blicken sie uns an, die sich bis auf die Tragik und die Komik erstrecken können.531 Das mit dem Andreaskreuz gezeichnete Gesicht des Bildes von 1933 schaut unsstreng undgespannt, furchtbar undleidend an, es ist nicht bloß Abbild der persönlichen Tragik Klees, sondern Urbild der menschlichen Tragik schlechthin. Klee malt aus seiner historischen Situation heraus ein Selbstbildnis, das aber gleichzeitig einprophetisches Bild desMenschen unter derKnute desNationalsozialismus darstellt. In diesem Zusammenhang ist ein Gedanke Klees zummenschMancher wird nicht die Wahrheit meines lichen Bildnis von hohem Interesse: „ Spiegels erkennen. Er sollte bedenken, daich nicht dazu dabin, die Oberfläche zu spiegeln (das kann die photographische Platte), sondern ins Innere dringen muß. Ich spiegele bis ins Herz hinein. Ich schreibe die Worte auf die Stirn undumdie Mundwinkel. Meine Menschenbilder sind wahrer als die wirklichen. Wenn ich ein ganzwahres Selbstporträt malen sollte, sosähe maneine merkwürdige Schale. Und drinnen, müßte manjedem klar machen, sitze ich, wie der Kern in einer Nuß. 532 Allegorie derÜberkrustung könnte mandieses Werk auch nennen.“ Es geht Klee also nicht umdie Darstellung deräußeren Erscheinung, sondern , umdie Darstellung der inneren, seelischen Qualität des Menschen. Die „Worte“ die Klee auf die Stirn seines Selbstbildnisses „Vonder Liste gestrichen“schreibt, sind das schwarze Kreuzzeichen, als Sinnbild desLeidens Christi, modifiziert zum Andreaskreuz, wodurch Klee eine direkte Identifikation mit dem Leiden Christi vermeidet und möglicherweise auf eine Analogie zum Leiden der Märtyrer anum die Mundwinkel“schreibt, sind eindeutig. Die spielt. Die Worte, die Klee „ Lippen sind zueiner schwarzen, dreieckigen Form zusammengepreßt. Die Mundwinkel hängen bis zur Kontur des Kinnes herab. Klee faßt die Mund- undNasen531 Klee: Kunst-Lehre, S. 78–81. 532 Klee: Bildnerisches Denken, Vorspann S. 8.

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partie in einer nach oben weisenden keilförmigen Passage zusammen, die von der Horizontalen derAugen undStirn abgeschnitten wird. Die Augen sind maskenartig zuschwarzen Schlitzen verdichtet, dieNase ist aufzwei schwarze Löcher reduziert. Dasgroße schwarze X hateinen Schnittpunkt aufderHöhe derStirn, ist aber nach links verschoben undteilt so denweitausladenden Hinterkopf vonderGesichtsvorderseite. Der Kontur des Kopfes, in seiner Gleichzeitigkeit von Rundung und Eckigkeit, gemahnt aneinen Totenschädel. „ Allegorie der Überkrustung“ , sagt Klee, müßte manein ganz wahres Selbstbildnis vonihmnennen. Die schalenartige Überkrustung, hinter dersich Klees Ich verbirgt, zeigt sich im Bild in der reliefartigen Spachtelung der Ölfarbe, die nur partiell pastos aufgetragen ist undanvielen Stellen so dünn gestrichen ist, daßein heller oder dunkler Grund durch diejeweilige Deckfarbe scheint. DieOberflächenbeschaffenheit ist also Farbkruste imwahrsten Sinne desWortes. Ist es zugewagt, wennmanin dieser Verkrustung der„ Bildhaut“ eine Vorwegnahme derVerhärtung

vonKlees Haut sieht? In diesem Bild Klees ist auf jeden Fall nichts mehr vonjener „humorvoll dosierten Galle“zu spüren, von der er in demBrief an seinen Sohn spricht. Der Ausdruck derleidvollen Verbitterung ist nicht zuübersehen. Inkubistischer Manier teilt Klee die Bildfläche in ineinander verschachtelte Facetten auf, füllt die Teilflächen mit Farbtönen des Duals Grau-Braun undkombiniert diese mit gebrochenen Rot-, Orange- und Ockergelbtönen, wodurch er darauf aufmerksam macht, daß Braun, dieFarbe, diedieses Bild alsGesamtton dominiert, verdunkeltes Rot ist, das aus der faktischen Mischung von Rot undSchwarz entsteht. Klee hat sich selbst nicht zursinnlich-sittlichen Wirkung derFarbe Braun geäußert, dochgilt Braun seit alters heralsTrauerfarbe. Karl Borinski, dersich mitdiesem Phänomen beschäftigte, eruierte: Braun ist die „Farbe desgeronnenen Blutes, desSchattens unddadurch . Braun als „die positive Färbung des Dunklen“ist des Abschiedes und Todes“ , weil es eine . Braun ist für Borinski deswegen „positiv“ „ umflorte Lebensfreude“ negativen“ Mischung ausderwarmen undpositiven Farbe Rot mitderkalten und„ Farbe Schwarz ist. Die „negative Färbung des Dunklen“geschieht mittels Grau. nur noch ‚nüchtern‘. Das ‚braun‘ Buntfarben mit Grau herabgestimmt wirken „ dagegen zeigt sinnfällig jene Mittelstellung anzwischen Licht undFinsternis, Tod undLeben, die dieser Farbe auch sonst in dermythischen Symbolik eignet undsie zur passenden Farbe der trauernden Überlebenden macht.“533 Braun vermittelt zwischen Rot-Orange-Gelb und zwischen den bunten und unbunten Farben, „ Schwarz-Grau“ . Zwischen Blau und Grün und den unbunten Farben dagegen vermittelt Grau.534 Klee, der sich persönlich in einer Situation zwischen Licht und Finsternis, zwischen Hoffnung undVerzweiflung befindet, wählt wohl ganz be533 Karl Borinski: Braun als Trauerfarbe. In: Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-philologische und historische Klasse, Jg. 1918, 10. AbhandDie sinnlich-sittliche Wirlung, München 1918, S. 14, 18. Siehe auch Bunge: Liebermann, „ 93. , S. 91– kung derFarbe Braun“ 534 Eckhart Heimendahl: Licht undFarbe. Ordnung undFunktion derFarbwelt, Berlin 1961, S. 67, 68. (= Heimendahl: Licht undFarbe).

11. Farbe undBild –Die Einheit vonAnschauung undBegriff

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wußtdasBraun zurbilddominanten Farbe. So löst Klee das„Problem derÜbereinstimmung vonInnen undAußen. Dasist kein formales Problem, sondern die Frage nach der seelischen Ganzheit, dem geistigen Inhalt“ 535, wie er seinen Schülern einmal erklärte. Braun, dasausErden gewonnen wird, steht fürdiefeste, materielle Realität, für erdhafte Schwere unddamit auch für dasdiesseitige Gebundensein des Menschen in seiner leiblichen Existenz. Braun „vermittelt zwischen denFarben des starken, brennenden Lebens, Rot undGelb unddemSchwarz desausgeglühten Lebens, so wiees die Haut bräunt, aber auch dassterbende Herbstlaub färbt undbis zurFarbe des Moors die ganze Skala des Holzes umfaßt, sein Leben undSterben bis zur 536Diese phänomenologische FarbenbeurBraunkohle undimSchwarz untergeht.“ teilung Heimendahls ist zuergänzen durch Beobachtungen Kandinskys undBeuys’. DaBraun ausdenKomponenten RotundSchwarz zusammengesetzt ist, sehen wir erst zu, wie Kandinsky diese Farben charakterisiert: „Undwie ein Nichts ohne Möglichkeit, wie ein totes Nichts nach demErlöschen der Sonne, wie ein ewiges Schweigen ohne Zukunft undHoffnung klingt innerlich dasSchwarz. ... DasSchwarz ist etwas Erloschenes, wie ein ausgebrannter Scheiterhaufen, etwas Unbewegliches, wie eine Leiche, waszuallen Ereignissen nicht fühlend steht undalles von sich gleiten läßt. Es ist wie das Schweigen des Körpers nach dem Tode, dem Schwarz als Gewand der größten, tiefsten Abschluß des Lebens.“Daher wurde „ Trauer undals Symbol desTodes“ausgewählt. ImGegensatz dazuist dasRot eine grenzenlose, charakteristisch warme Farbe, wirkt innerlich alseine sehr lebendige, „ lebhafte, unruhige Farbe, die aber nicht denleichtsinnigen Charakter dessich nach allen Seiten verbrauchenden Gelb besitzt, sondern trotz aller Energie undIntensität eine starke Note vonbeinahe zielbewußter immenser Kraft zeugt. Es ist in diesem Brausen und Glühen, hauptsächlich in sich und sehr wenig nach außen, eine sozusagen männliche Reife ...“ . Treffen nundieFarbe desTodes unddieFarbe der DasVertieVitalität aufeinander unddurchdringen sich, ereignet sich folgendes: „ fen durch Schwarz ist gefährlich, dadas tote Schwarz die Glut löscht undauf das Minimum reduziert. Esentsteht aberdabei dasstumpfe, harte, wenig zurBewegung fähige Braun, in welchem das Rot wie ein kaum hörbares Brodeln klingt. Und trotzdem entspringt diesem äußerlich leisen Klang ein lauter gewaltsamer innerer. Durch notwendige Anwendung des Braun entsteht eine unbeschreibliche innere 537 Schönheit: dasHemmen.“ Beuys, derdieFarbe Braun besonders bevorzugt hat, kommt zuvergleichbaren Charakterisierungen des Braun wie Kandinsky. Für Beuys ist Braun eine „verAuchBraun ist ein sehr zugedeckt“ist. „ schwundene“Farbe, in derdieHelligkeit „ stark abgedecktes Rot, der Wille, plastisch zu sein. Braun ist Erde undgestaute Urfarbe Rot, erdige Wärme, eingetrocknetes Blut. Durch die Stauung werden aber dieLichtfarben oder Spektralfarben als Gegenbilder geradezu hervorgetrieben.“538

535 Petitpierre: Malklasse Klees, S. 12. 536 Heimendahl: Licht undFarbe, S. 199. 537 Kandinsky: Über das Geistige, S. 98–101. 538 Beuys in: Caroline Tisdall: Joseph Beuys. Coyote, München, 3. Aufl., 1988, S. 14.

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In einem seiner kosmogenetischen Kreisbilder „ Schwere Kreise“von 1927539 (siehe Abb. 2) hat Kandinsky in einem Parallelprozeß zu seinem bildnerischen Denken das brodelnde Rot im Braun unddas Hemmen der Buntfarbigkeit durch Schwarz dargestellt. Wenn manbedenkt, daß dieses Bild gut siebzehn Jahre nach demErscheinen der Schrift „Über dasGeistige in der Kunst“entstanden ist, dann zeigt dies, daß die Theorie sehrwohl der Praxis vorausgehen kann, daß Schreiben undMalen bei Kandinsky eine Einheit bilden, wasKlee apodiktisch ausgesprochen hat: „ Schrift und Bild, das heißt Schreiben und Bilden, sind wurzelhaft eins.540 Nach dem Umzug des Bauhauses von Weimar nach Dessau schreibt Kandinsky 1925 an Grohmann die prophetischen Worte: „Hier habe ich auch endlich ein spezielles Zimmer für meine Schriftarbeiten undhabe schon angefangen, an meinemBuch [„ Punkt undLinie zuFläche“ ] zuarbeiten. Die Verbindung des theoretischen Denkens mit der praktischen Arbeit ist für mich zu manchen Zeiten eine Notwendigkeit und eine große Freude zugleich. Ich bin auch sicher, daß diese Verbindung der richtigste Weg in die Zukunft ist –manfährt weiter bestimmt .541Dennoch ist dasBildin seiner anschaulichen Intensität, Unmitzweispännig ...“ telbarkeit undDichte der Farbwirkung, durch deneigenen, elementaren Wert der Farbe demWort immer überlegen. Die herausragende Position der Bildfarbe als „ideelles Mittel“der künstleriIdeelle Mittel sind zu bevorzugen.“542–bekundet sich schen Gestaltung –Klee: „ auch in dem Ordnungssymbol, das sowohl Klee als auch Kandinsky der Farbe Wieeingroßer Kreis, wieeine sich in zusprechen: demKreis. Kandinsky schreibt: „ den Schwanz beißende Schlange (das Symbol der Unendlichkeit und Ewigkeit) stehen vor unsdie sechs Farben, die in Paaren drei große Gegensätze bilden. Und rechts undlinks diezwei großen Möglichkeiten desSchweigens; dasdesTodes und das der Geburt.“(Siehe Abb. 3)543 Kandinsky ordnet die drei Primärfarben Gelb, Rot undBlau unddie drei Sekundärfarben Orange, Grün undViolett in komplementärer Spannung auf einem Kreis an, eingespannt zwischen die Pole derGeburt unddesTodes, Weiß undSchwarz. Aber Kandinsky weiß umdie Unvollkommenheit und letzlich Unmöglichkeit seines Versuches, das Phänomen der Farbe begrifflich oder schematisch zufixieren. „ Es ist klar, daßalle diegebrachten Bezeichnungen dieser nureinfachen Farben sehr provisorisch undgrob sind. So sind auch 539 Farbabbildung in Roethel: Kandinsky, S. 133.

540 Klee: Bildnerisches Denken, S. 17. 541 Kandinsky in Grohmann: Künstler schreiben, S. 48. 542 Klee: Bildnerisches Denken, S. 17: „ DerBereich derdabei behandelten bildnerischen Mittel ist zu begrenzen nach der ideellen Seite. Die Wahl der Mittel ist in letzter Beschränkung vorzunehmen. Dasermöglicht geordnete Geistigkeit besser alsdieFülle derMittel. Materielle Mittel (Holz, Metall, Glas, usw.): Materielle Mittel in Massigkeit sind vorallem hier zu vermeiden. Ideelle Mittel (Linie, Helldunkel, Farbe): Ideelle Mittel sind zubevorzugen. Sie sind nicht frei von Materie, sonst läßt sich nicht damit ‚schreiben‘. Wenn ich das Wort Wein mit Tinte schreibe, so spielt die Tinte dabei nicht die Hauptrolle, sondern ermöglicht die dauernde Fixierung des Begriffes Wein. Also Tinte verhilft zu Wein auf Dauer. Schrift undBild, das heißt Schreiben undBilden, sind wurzelhaft eins.“ , S. 105. 543 Kandinsky: Über das Geistige, S. 103, „Tabelle III“

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die Gefühle, die als Bezeichnungen der Farben gebracht wurden (wie Freude, Trauer, usw.). Diese Gefühle sindauchnurmaterielle Zustände derSeele. DieTöne der Farben, ebenso wie die der Musik, sind viel feinerer Natur, erwecken viel feinere Vibrationen der Seele, die mitWorten nicht zubezeichnen sind. Jeder Ton kann sehr wahrscheinlich mit der Zeit einen Ausdruck auch im materiellen Wort finden, es wirdaberimmer nocheinübriges bleiben, wasvomWorte nicht vollständigausgeschöpft werden kann, wasaber nicht eine luxuriöse Beigabe desTones ist, sondern gerade das Wesentliche in demselben. Deswegen sind undbleiben Worte nur Winke, ziemlich äußere Kennzeichen derFarben. In dieser Unmöglichkeit, das Wesentliche der Farbe durch das Wort undauch durch andere Mittel zu ersetzen, liegt die Möglichkeit der monumentalen Kunst.“544 Jedes künstlerische Medium spricht seine eigene, autonome Sprache, die sich nicht übersetzen läßt. Aber in der Vereinigung der verschiedenen Künste zum Gesamtkunstwerk, zur monumentalen Kunst, entsteht eine polyphone Dichte, die nicht außerhalb des Lebens steht, sondern den einheitlichen Ursprung und die ursprüngliche Einheit desmenschlichen Handelns bezeugt. 1938 schreibt KandinsDie ‚Mauern‘zwischen denverschiedenen Künsten sind amverschwinden – ky: „ , und die dicke Mauer zwischen der Kunst und der Wissenschaft Synthese – schwankt –‚Die Große Synthese‘ . 545 “ Kandinsky verwendet den Kreis in seiner Theorie als Ordnungssymbol der Farben, aber er verwendet ihnauch in derPraxis „ formal“ , wieer in einem Brief an Grohmann schreibt; denn der Kreis ist für ihn „ eine Verbindung mit demKosmiSchwere Kreise“(Siehe Abb. 2) das schen“ . Durchdringen sich in einem Bild wie„ Urphänomen Farbe und der Kreis als zusammenschließende Kraft, gelingt Kankosmischer Urkräfte“ dinsky eine bildliche Visualisierung „ , wenngleich er solche Titel bewußt vermeidet, umdenBetrachter in seiner Phantasie nicht einzuschränFür mich sind aber hochtrabende Titel ein Ekel. Gewöhnlich ist ken. Kandinsky: „ jeder Titel mireinunvermeidliches Übel, daer immer begrenzt, statt zuerweitern – genau wie der ‚Gegenstand‘. Ich spreche vonmeinen Malereien, wodie Exaktheit der Formen die Phantasie des Beschauers genügend leitet.“546Das Bild „Schwere Kreise“offenbart eine solche exakte Formen- undFarbensprache undjeder einigermaßen imSehen geschulte undsensibilisierte Betrachter wirddiese Sprache unmittelbar verstehen. Die Assoziation vonkosmischen Gestirnen in unendlicher Bewegung, von Raum, Zeit undKraft ist unvermeidlich. Roethel hat das Bild treffend Rätselhafte Bewegungen undVerwandlungen bestimmen denChabeschrieben: „ rakter dieses Bildes. Eine Anzahl planetenhafter Einheiten, manche von ihren eigenen Satelliten umgeben, scheinen im lichtlosen Dunkel eines unbekannten Kosmos zukreisen. Sonnen undMonde, auchirdisch anmutende Gestirne scheinen in einem ewigen Wandel begriffen. Obwohl im Gemälde kein greifbarer Hinweis auf eine wirkliche Bewegung besteht, gewinnt mancher denEindruck, als ob eine 544 Ebenda, S. 104. , inKandinsky: Essays, S. 246. 545 „ DerWert eines Werkes derkonkreten Kunst“ 546 Kandinsky inBriefen anGrohmann von 1930 und1928. In Grohmann: Künstler schreiben, S. 56, 54.

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Stille unbestimmter Dauer eingetreten sei. Keiner der Kreise besitzt eine aus sich selbst gespeiste zentrifugale oder zentripedale Kraft. Es ist eine ebenso streng wie

subtil gebaute Komposition mitfreischwebenden Formen.“ 547 Woraus resultiert die Exaktheit derFormen- undFarbensprache Kandinskys? Sie gründet in dergedanklichen Konzeption desKünstlers, imgenauen Durchdenken der bildnerischen Elementarmittel undihren Wirkungsmöglichkeiten. Das ist der Anteil derRatio, derin derpraktischen Genesis desWerkes vonderIntuition „chwere Kreise“bewahrheitet sich ein kompletiert wird. Im Angesicht des Bildes S Diktum Kandinskys in besonders aufschlußreicher Weise: „ Das Malen ist ein donnernder Zusammenstoß verschiedener Welten, die in und aus dem Kampfe miteinander die neue Welt zu schaffen bestimmt sind, die das Werk heißt. Jedes Werk entsteht technisch so, wiederKosmos entstand –durch Katastrophen, dieaus demchaotischen Gebrüll derInstrumente zumSchluß eine Symphonie bilden, die Sphärenmusik heißt. Werkschöpfung ist Weltschöpfung.“548 Beim Malen, also in der Genesis des Werkes, treffen die Welt der Ratio und die Welt der Intuition aufeinander, verschränken sich Sinnlichkeit undReflexion, Anschauung undBegriff, Konzeption und Realisation zur visuellen Identität, die das Kunstwerk ist. Wie fest verankert bei Kandinsky die malerische Praxis in derbildnerischen Theorie ist, zeigen seine Reflexionen zumKreis. Kandinsky begründet: „Warum mich 1. diebescheidenste derKreis fesselt?“Zuerst in formaler Hinsicht: DerKreis ist: „ Form, aber rücksichtslos sich behauptend, 2. präzis, aber unerschöpflich variabel, 3. stabil undunstabil gleichzeitig, 4. leise undlaut gleichzeitig, 5. eine Spannung, die zahllose Spannungen in sich trägt. Der Kreis ist eine Synthese der größten Gegensätze. Er verbindet dasKonzentrische mitdemExzentrischen ineiner Gestalt im Gleichgewicht. Unter dendrei primären Formen ist er die klarste Wendung zur Schwere Kreise“verbildlicht Kandinsky die vierte Divierten Dimension.“549In „ mension in einer Verschmelzung derKreisform als Symbol derUnendlichkeit und ewigen Dauer derDynamik derroten, gelben undbraunen Farbklänge (Sphärenmusik), die als kosmische Töne voreinem unauslotbaren Finsternisgrund schweben.

547 Roethel: Kandinsky, S. 132.

548 Kandinsky: Gesammelte Schriften, S. 41. 549 Kandinsky in einem Brief an Grohmann 1930, also drei Jahre, Kreise“entstanden ist. Grohmann: Künstler schreiben, S. 56.

Schwere nachdem sein Bild „

12. DieWelt klingt –Romantik oder das„Zwischen“ -Spiel Gottes

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12. Die Welt klingt – Romantik oder das„Zwischen“ -Spiel Gottes Aber dieser ganze Zusammenhang ist fast ein mystischer –würde ich sagen –oder ein „ religiöser Zusammenhang. Undandiesem religiösen Zusammenhang binich inhöchstem Maße interessiert, daßdieMenschen einganzanderes Verhältnis zuihrem Leben bekommen.“ Joseph Beuys550

Soweit zur formalen Ebene, aber nach derÜberzeugung Kandinskys gibt es keine Form ohne Inhalt. Die Form ist nurdie äußere Schale eines inneren Wesens. Daher hatsich Kandinsky mitschroffen Worten dagegen gewehrt, seine Kunst nurformalistisch zu interpretieren, wofür ein Brief von 1925 beredtes Zeugnis ablegt: „ Ich möchte tatsächlich, dass manendlich das sieht, washinter meiner Malerei steckt (weil mich ausschließlich undgerade das interessiert: die ‚Formfrage‘ spielte für mich stets nureine untergeordnete Rolle –siehe den‚Blauen Reiter‘!!!) undsich nicht mitderFeststellung davon begnügt, dass ich Dreiecke oder Kreise verwende. Ich weiss, der abstrakten Kunst gehört die Zukunft, undes ist mir schmerzlich, wenn die anderen Abstrakten sich so viel undoft ausschließlich mitdenFormfragenbegnügen. ... Es mußendlich verstanden werden, dass die Form für mich nur ein Mittel zum Zweck ist und dass ich mich mit der Form auch theoretisch so eingehend undviel abgebe, daich in dasINNERE derForm eindringen will undes auch vor anderen Menschen klar, sehr klar legen will. Sie liessen einmal dasWort ‚Romantik‘fallen undich habe mich gefreut. Ich will nicht mitTränen undumder Tränen willen malen, ich magdas Süsse wirklich nicht, aber die Romantik geht weit, sehr, sehr weit über dieTränengrenzen. Heute gibt es eine ‚neue Sachlichkeit‘ –es soll ruhig eine (oder die) neue Romantik geben. Ich hatte einmal Lust, darüber zu schreiben undwollte ein Kapitel derneuen Auflage des ‚Über dasGeistige‘der Romantik widmen. Seitdem hatsich aber meinBuchplan geändert undes erscheint in Form einzelner Bücher –‚Punkt, Linie auf Fläche‘ist derAnfang. Es kann also evtl. lange dauern, bis ich zurRomantik komme. Wasich aber auch weiss, ist die unbewusste Sehnsucht des heutigen Menschen nach der Romantik. Es ist besonders interessant, dass gerade der Deutsche so eine Angst (A-n-g-s-t!) vor diesem Wort hat. Und auch der Russe. In diesem Punkt läßt sich die teils versteckte innere

Verwandtschaft derbeiden Völker durchtasten. Der Sinn, der Inhalt der Kunst ist Romantik unddasist unsere Schuld, wennwireine Zeiterscheinung fürdenganzen Begriff halten. Bitte sagen sie mirnicht, dass ich diesen Begriff zu sehr ausdehne. Oder wollen Sie mir nicht in diesem Sinne erwidern? Dann würden wir uns glänzend verstehen. Ich glaube, 1910 habe ich eine ‚Romantische Landschaft‘ gemalt, die mit der früheren Romantik nichts zu tun hatte. Ich habe die Absicht, wieder malsoeine Bezeichnung zuverwenden. Bisjetzt nannte ichmanche Sachen ‚Lyrisches Dreieck‘ (wofür ich unglaubliche Beschimpfungen hören musste –in derPresse), ‚Lyrischer Aufbau‘usw. Die alte Kluft zwischen diesen beiden Begrif-

550 Beuys: Museum, S. 32.

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fen ist nicht mehr da: wo sind die Grenzen zwischen Lyrik undRomantik? Der Kreis, den ich letzte Zeit so viel verwende, kann manchmal nicht anders als ein romantischer bezeichnet werden. Unddie kommende Romantik ist tatsächlich tief, schön (es soll das ‚veraltete‘Wort ‚schön‘gebraucht werden), inhaltsvoll, beglükkend –sie ist ein Stück Eis, in demeine Flamme brennt. Wenn die Menschen nur dasEis spüren unddieFlamme nicht, desto schlimmer fürsie. Abermanche werden 551 es bald lernen.“ Das sprachliche Bild der brennenden

Flamme im Eis, das Kandinsky hier benutzt, findet seine bildnerische Entsprechung in derFarbgestaltung des Werkes „ Schwere Kreise“ , auch wenn dieses Bild wieder erst zwei Jahre nach demeben zitierten Text entsteht. Das „ Hemmen“derBunt- undLichtintensität von Rot und Gelb durch Schwarz undBraun verhüllt nurdie Leuchtkraft der Buntfarben (ihre Flamme), aber löscht sie nicht. Farblicht undFarbdunkel sind polar aufeinander bezogen undin dieser Spannung, undauch in dermit densich überschneidenden Kreisen, konstituiert sich eine Identität von Farbraum und Farbzeit.552 So stellt Kandinskys Bild eine Welt auf als Kosmos, dasheißt als farbig geordnete Einheit, wenn auch entstanden ausdemChaos. 1938 schreibt Kandinsky: „ZumAusdruck wird beijedem neuen echten Werk eine neue, noch nie dagewesene Welt gebracht. Also ist jedes echte Werk eine Neuentdeckung –neben die bereits bekannten Welten wird eine neue, bis dahin unbekannte Welt gestellt. Darum sagtjedes echte Werk ‚Da bin ich!‘ ... Wie dies geschieht, ist eine komplizierte Frage. Ich könnte nur eins sagen: Meiner Überzeugung nach soll dieser schöpferische Weg ein synthetischer sein. Dasheißt, Gefühl (‚Intuition‘) undKopf (‚Berechnung‘) arbeiten unter gegenseitiger ‚Kontrolle‘. Dies kann auch verschieden gemacht werden. Was mich anlangt, ziehe ich vor, während derArbeit nicht zu‚denken‘. Es ist nicht ganz unbekannt, daßich nicht wenig antheoretischen Kunstdingen ‚geprüft‘habe. Aber: wehe demKünstler, dersein ‚inneres Diktat‘während derArbeit ‚kopfmäßig‘stört. So stellt die abstrakte Kunst neben die ‚reale‘Welt eine neue, die äußerlich nichts mit der ‚Realität‘zutunhat. Innerlich unterliegt sie denallgemeinen Gesetzen der ‚kosmischen Welt‘. So wird neben die ‚Naturwelt‘eine neue ‚Kunstwelt‘gestellt – eine ebenso reale Welt, eine konkrete. Deshalb ziehe ich persönlich vor, die soge553 nannte ‚abstrakte‘Kunst Konkrete Kunst zunennen.“ ? Denn KandinsWas ist nunandieser konkreten Welt derKunst „romantisch“ . Wie Klee, soversteht auch kysagtja, derSinn, derInhalt derKunst ist „Romantik“ , wieer sich beispielsweise für Stilbegriff“ Romantik“nicht als engen „ Kandinsky „ die Malerei Friedrichs oder Runges eingebürgert hat, sondern er versteht wahrscheinlich „ Romantik“im Sinne einer philosophischen Welt-Anschauung, die wie bei Schelling vomGedanken einer Einheit vonGeist undNatur geleitet wird und die das Universum als beseelt begreift. Für Kandinsky, Klee undBeuys ist Kunst , weil sie das Geistige, das Unsichtbare, das Absolute, die göttliche „ romantisch“

, aufdiesich Kandinsky Romantische Landschaft“ Künstler schreiben, S. 49. Die „ bezieht, befindet sich in derStädtischen Galerie imLenbachhaus, München. 552 ZudenBegriffen Farbraum undFarbzeit siehe Bunge: Wirklichkeit desBildes, S. 175 ff, 182. , inKandinsky: Essays, S. 224, 225. 553 „abstrakt oder konkret?“

551 Grohmann:

12. Die Welt klingt –Romantik oderdas„Zwischen“ -Spiel Gottes

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Unendlichkeit sichtbar machen kannindervisuellen Identität desKunstwerkes, die die Gegensätze vonRealem undIdealem, Natur undGeist, Materie undSpirituellem in einer „Spannungsharmonie“hält und anschaulich macht.554 In solcherart gegenstrebiger Harmonie“ „ , die auch die Mitanwesenheit der „Verborgenheit“in der „Sichtbarkeit“umfaßt, entwickelt das Kunstwerk „ dasVermögen zurDarstellung von ‚Welt‘ “.555 Ich denke, nurwenn manKandinskys Rede von „Romantik“im Zusammenhang mit Schellings Identitätsphilosophie begreift, wird man dem Anspruch gerecht, denKandinsky mitseiner neuen „ romantischen Malerei“gestellt hat. Lorenz Dittmann hat mit folgenden Leitgedanken die Kunstphilosophie Schellings beschrieben: „ Undnurweil dasKunstwerk Einigung undEinheit desSubjektiven und Objektiven, des Bewußten undUnbewußten, des Geistes undder Natur, der Freiheit undderNotwendigkeit ist, vermag es dasAbsolute, mit sich selbst Identische, das ewige Eine Wesen, widerzuspiegeln. Nur insofern das Kunstwerk Einigung

aller Widersprüche, vollendete Synthesis ist, kann sich in ihmdasAbsolute offenDerSinn derKunst ist es, diese Verbundenheit vonMensch undWelt, die baren.“„ kosmische Weite des Menschen und die menschliche Bedeutsamkeit der Welt, diesen übergreifenden Zusammenhang der göttlichen Schöpfung zur Darstellung zu bringen.“„Offenbarung der Einheit von Materie undGeist, Natur undSeele, Hinweisung auf das diese Einheit begründende Identische, Absolute: auf Gott, ist

Sinn undZiel der Kunst.“556

554 Der Begriff „Spannungsharmonie“stammt vonKurt Badt: Raumphantasien undRaumillusionen. Wesen derPlastik, Köln 1963, S. 146. Siehe auch Kurt Riezler: Traktat vomSchönen. Zur Ontologie der Kunst, Frankfurt a.M. 1935. (= Riezler: Traktat vomSchönen). FürdenPhilosogegenstrephenRiezler, denSchwiegersohn MaxLiebermanns, istdasKunstwerk durch eine „ . (S. Einheit einer Spannung“ bige Harmonie“imSinne Heraklits charakterisiert, es zeigt die „ 32, 216, 33). Die Spannungsharmonie des Kunstwerkes bekundet sich laut Riezler in einem „ , d.h. zwischen Ruhe undBewegung, zwischen schwer undleicht, zwischen heiter Zwischen“ undleidvoll, zwischen maßlos undmaßvoll, zwischen harmonisch undzerrissen (S. 35, 36), oder übertragen auf die bildnerischen Elementarmittel: zwischen Punkt undLinie, zwischen Linie undHelldunkel, zwischen Helldunkel undFarbe, zwischen Hell undDunkel, zwischen Farbe und Farbe, zwischen Farbe und Nichtfarbe, zwischen warm und kalt, trüb und rein, Lebendigkeit“des Kunstwerkes zwischen Fläche undRaum, Zeit undÜberzeit entsteht die „ undberuht seine konkrete Realität. Ganz in diesem Sinne führte Kandinsky aus: „Gegensätze und Widersprüche –das ist unsere Harmonie. Auf dieser Harmonie fußende Komposition ist eine Zusammenstellung farbiger undzeichnerischer Formen, die als solche selbständig existieren, vonder inneren Notwendigkeit herausgeholt werden undim dadurch entstandenen gemeinsamen Leben ein Ganzes bilden, welches Bild heißt.“(Über dasGeistige, S. 109). Zur„Spannungsharmonie“siehe auch Lorenz Dittmann: Der Begriff des Kunstwerkes in der 88, besonders S. deutschen Kunstgeschichte, in Dittmann: Kategorien undMethoden, S. 51– Die Einheit des Kunstwerkes als Spannungsharmonie“, S. 81, 82. UndBunge: Liebermann, „ 147 ff. 555 Dittmann: Kategorien, S. 82. 556 Lorenz Dittmann: Schellings Philosophie derBildenden Kunst, in: Probleme derKunstwissen82. schaft, 1. Bd., Kunstgeschichte undKunsttheorie im 19. Jahrhundert, Berlin 1963, S. 38– Zitate auf den S. 53, 62, 70. (= Dittmann: Schellings Philosophie). Siehe F.W.J. Schelling: Texte zurPhilosophie derKunst, ausgewählt undeingeleitet vonWerner Beierwaltes, Stuttgart 1982.

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Genau indieser philosphischen Denktradition steht Kandinsky, der 1912 schrieb: „ Die Welt klingt. Sie ist ein Kosmos der geistig wirkenden Wesen. So ist die tote 557Zwei Jahre zuvor, 1910, stellte Kandinsky in poetiMaterie lebendiger Geist.“ schen Worten fest: „ Leidende, Suchende, gequälte Seelen mit tiefem Riß, durch

Zusammenstoß desGeistigen mitdemMateriellen verursacht. DasGefundene. Das Lebende der lebenden undder ‚toten‘Natur. Der Trost in denErscheinungen der Welt –äußerer, innerer. Ahnen derFreude. DasRufen. Das Sprechen vomGeheimen durch Geheimes. Ist das nicht der Inhalt? Ist das nicht der bewußte oder unbewußte Zweck des zwingenden Schaffensdranges? Schade umden, welcher die Macht hat, in den Mund der Kunst die nötigen Worte zu legen, undes nicht tut. Schade umden, welcher sein Seelenohr vomMunde derKunst abwendet. Mensch 558 In spricht zum Menschen vom Übermenschlichen –die Sprache der Kunst.“ romantische“Kunstauffassung oder besser diesen Sätzen haben wir Kandinskys „ Kunstphilosophie in nuce. DerZweck der Kunst ist für Kandinsky das geheimnisvoll Übermenschliche, also dasjenseitig Göttliche oder dasunsichtbar Verborgene, das Metaphysische zu offenbaren. Auch hier läßt sich eine gedankliche Parallele Kandinskys zur „Ontologie der Nie noch hatKunst etwas anderes offenbart, als Kunst“Kurt Riezlers ausmachen: „ ein Geheimnis, das Geheimnis blieb und bleiben sollte.“Aber warum will es Die Verborgenheit mußinder Sichtbarkeit mitanwesend sein, Geheimnis bleiben? „ weil das Ganze des Seins, umdessen Sichtbarkeit es geht,‚zwischen‘Sichtbarkeit undVerborgenheit ist. Es ist selbst auch in diese Fuge gefügt –dasGeschehen von Kunst, die Selbstbewegung derSeele in ihr, führt ausderVerborgenheit des Seins in seine Sichtbarkeit. Daher mußdieses Sein als ein wesentlich verborgenes sichtbarwerden undist ohne dieMitanwesenheit seiner Verborgenheit nicht es selbst.“559 Im Zusammenhang mit diesem Gedankengang Riezlers gilt es sich nochmals derReflexion Klees zuerinnern, derdarauf insistiert, daßaufdemGebiet derKunst wasderZweck desSichtbarmachens ist. Obnur strikt unterschieden werden muß, „ Gesehenes zur Erinnerung notiert ist oder auch Nichtsichtbares zu offenbaren. Dann sind wir, wenn wir diesen Unterschied festhalten und erspüren, auf dem prinzipiellen Punkt der künstlerischen Gestaltung angelangt.“560 In dem Spannungszustand zwischen Sichtbarem undUnsichtbarem, zwischen Anschaulichkeit undVerborgenheit gründet dasGeheimnis unddie Rätselhaftigkeit der Kunst und damit auchderReiz, densie unabläßlich aufdenMenschen ausübt unddies ineiner Die Kunst hat es mit einem „ spielerischen“Weise, wie Riezler herausstellt. „ Scheine zu tun, welcher die Wahrheit, mit einem Spiele, welches Ernst meint. ... Offenbar sind auch diese vier Seinsweisen derSeele, Fugen ihres Seins. ‚Zwischen‘ Wahrheit undSchein, Ernst undSpiel ist das Lebendige lebendig. Offenbar spielt die Kunst umdieses ‚Zwischen‘ willen, auf daß es sichtbar werde, mitdiesen vieren.

557 Kandinsky: Über dieFormfrage, in: DerBlaue Reiter, München 1912, zitiert nach Kandinsky: Essays, S. 40. 558 Kandinsky im Katalog zur 2. Ausstellung der Neuen Künstlervereinigung München 1910, zitiert nach Gollek: Münter-Haus, S. 28. 559 Riezler: Traktat vomSchönen, S. 201. 560 Klee: Bildnerisches Denken, S. 454.

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... DasScheinhafte ist nicht mehrMangel. Dies ist derFall derKunst. Dakanndas Scheinhafte selbst, insoferne es im ontischen Sinne unwahr ist, Erscheinung werden eines höheren Wahren. ... Zwischen der Sichtbarkeit undVerborgenheit des Seins im Ganzen bewegt sich hin und her der erkennende und sich wieder im Schein bergende Mensch. Beide, die Verborgenheit unddie Sichtbarkeit desSeins im Ganzen, sind Seinsweisen seiner Welt. ... Das Spiel der Kunst ist nicht nur Spiel. ... Woaber dasSpiel derKunst nicht nurSpiel ist, wird imScheine desnur Spielerischen ihrErnst doppelter Ernst. ImScheine wirddanndietiefere Wahrheit, im Spielen der tiefere Ernst als verborgen sichtbar. Solche Meisterschaft nennen wir ‚göttlich‘–in der Ahnung, unser Ernst könne Gottes Spiel sein. ... In Schein undWahrheit vonSpiel undErnst, in Spiel undErnst vonSchein undWahrheit – die vier in Wandel undÜbergang vertauschend undineinander verbergend stellt 561 unsdie Kunst zwischen denSchöpfer unddas Geschöpf, welche beide wir sind.“ Die Metapher „Spiel“benutzt auch Klee. „ Die Kunst spielt mit den letzten Dingen einunwissend Spiel underreicht sie doch!“Die Kunst „ verhelfe dir ... dich .562 In der ersten Fassung seiner „ Schöpferischen auf Momente Gott zu wähnen“ , die unter dem Titel „Graphik“bekannt ist, ist obige Textpassage Konfession“ Die Kunst geht über denGegenstand hinaus, über den modifiziert underweitert: „ realen, sowie über denimaginären. Sie spielt mit denDingen ein unwissend Spiel. So wieein Kind imSpiel unsnachahmt, ahmen wir imSpiel denKräften nach, die die Welt erschufen underschaffen.“563 Wie Kandinsky, Klee undBeuys, so spielt auch Riezler auf die Gottebenbildlichkeit desMenschen unddamit desKünstlers an.DerErnst derKunst, indereine höhere Wahrheit sichtbar wird, die unsbewegt, ist das Spiel Gottes in uns. Dabei handelt es sich nicht umkünstlerische Hybris, wie gerne unterstellt wird, sondern das angemessene Bild vom wie Hochholzer im Blick auf Beuys feststellt, kann „ Menschen ... ohne seine Gottebenbildlichkeit überhaupt nicht erfaßt“werden.564 nurvonGleichem werde Gleiches erkannt“undGoethe DennwieGoethe betonte, „ drückt dies, mit Hinweis auf den Mystiker Jakob Böhme, in Reimen folgendermaßen aus: Wär’nicht dasAuge sonnenhaft, „ Wiekönnten wirdasLicht erblicken? Lebt’nicht inunsdesGottes eigne Kraft, Wie könnt’unsGöttliches entzücken?“565

Weder Goethe noch Beuys wollen den Menschen, sich selbstüberschätzend und blasphemisch, mit Gott gleichsetzen, wenn auch bei Beuys bei allzu flüchtiger

561 Riezler: Traktat vomSchönen, S. 185, 187, 188, 189, 190. 562 Klee: Kunst-Lehre, S. 66. 563 Zitiert nach Felix Klee: Paul Klee. Leben undWerk in Dokumenten,

564 565

ausgewählt aus den nachgelassenen Aufzeichnungen unddenunveröffentlichten Briefen, Zürich 1960, S. 215. (= Felix Klee: Dokumente). ZumThema: der Künstler als Fortführer undVollender der Schöpfung, werden wirunsunten noch ausführlich äußern. , S.166 ff. Kreativität“ Hochholzer: Evasionen, S. 170. Siehe dazubesonders dasKapitel „ , zitiert nach Goethe: Farbenlehre Bd. 1,S. 57. In: Einleitung zum„Entwurf einer Farbenlehre“

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Lektüre leicht dieser Eindruck entstehen kann. Deshalb ist es notwendig, genau hinzusehen undsich nicht vonder drastischen Sprache, dieja wie seine bildnerische Kunst provozieren, irritieren undaufrütteln will, denBlick aufdieDifferenzierungen versperren zu lassen. Beuys war sich umden provokativen Charakter des Faktums bewußt, daß er seine Kunst undseine Kunsttheorie auf ein christliches Fundament gebaut hat. In einem Gespräch von 1972 sagte er: „ Heute wird manja ausgelacht, wennmanzumChristentum positiv Stellung nimmt.“ 566Aber Beuys hat sich davon in keiner Weise beeinflussen lassen, denn wie er 1970 in einem Gespräch klarstellte, warer„ zudemErgebnis gekommen, daßkeine Spiritualität soan der Spitze der Entwicklung liegt wie das Christentum. Trotz der Vielheiten des Christentums, die sich imLaufe derGeschichte zeigten, unddem, wasalles unter demZeichen des Kreuzes geschehen ist, bin ich nicht derAnsicht, daßdas Christentum amEnde ist. ImGegenteil, auch nacheingehendem, langjährigem Studium asiatischen Denkens –sei es Buddhismus, Konfuzianismus, Zenoder andere Arten asiatischer Philosophie –binich zudemErgebnis gekommen, daßdasChristentum trotzdem der vorderste Entwicklungspunkt ist. ... Ich habe ... immer im Auge behalten, daß mich doch etwas Christliches interessiert als Zielpunkt oder rote 567Vor diesem Hintergrund sehen wir unten näher zu, wie Beuys die GottLinie.“ ebenbildlichkeit des Menschen denkt.

13. Alles menschliche Wissen stammt aus der Kunst – Materie undGeist als komplementäre Einheit „ ImGrunde aber, obwohl ausderMaterie geboren, bekämpft die Kunst dieMaterie.“ Piet Mondrian568

Ästhetik ist der daßjeder Mensch ein Künstler ist“oder „ Wenn Beuys postuliert, „ , dann will er damit sagen, „daß Kunst undKreativität das eigentMensch selbst“ .569 Manmußdiesen Beuysschen Grundsatz als liche Kapital der Menschheit ist“ Ergebnis seiner „Geschichtsanalyse“570verstehen, die für ihn als intensives Stu566 Gespräch zwischen Joseph Beuys undHagen Lieberknecht, in Joseph Beuys: Zeichnungen 20, Zitat S. 16. (= Beuys imGespräch mitLieberknecht). 59, I, Köln 1972, S. 7– 1947– 567 Beuys: Noch Kunst, S. 31, 32. 568 Mondrian: Neue Gestaltung, S. 36. Es handelt 569 Beuys: Gespräche, S. 57, 84, 36. Vgl. dazuRiezler: Traktat vomSchönen, S. 103: „ sich doch umdenMenschen, allein umihn, umsonst nichts. Die Lebendigkeit, die Seele, von derdieRede ist, ist seine Lebendigkeit, seine Seele. DasSeinkannnurseinDasein meinen. Der Mensch allein hat Kunst, alle seine Kunst dreht sich umihnselbst.“ Wie 570 Beuys: Jeder Mensch einKünstler, S. 94. „Geschichtsanalyse betreiben“heißt fürBeuys: „ ist es gekommen, daßwirin diese Situation hineingekommen sind, d.h. unsere gegenwärtige Zivilisation, aus welchen Kräften setzt sie sich zusammen? Unddann kommt manzu einer Erkenntnis. Dann kann man zum Beispiel ein Bewußtsein bekommen: was ist denn der vorherrschende Wissenschaftsbegriff, denmanauch als DIE Wissenschaft bezeichnet? Ist das denn schon die ganze Wissenschaft? Oder ist es nurein Aspekt vonWissenschaft?“

13. Alles menschliche Wissen stammt ausderKunst

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dium der Evolution des menschlichen Geistes unbedingt zumGeschäft des Künstlers dazugehörte. Für Beuys steht fest: „ ... alles menschliche Wissen stammt aus der Kunst. Jede Fähigkeit stammt aus der Kunstfähigkeit des Menschen, das heißt: kreativ tätig zusein. Woher soll es anders stammen können? DerWissenschaftsbegriff ist erst eine Abgablung von demallgemeinen Kreativen.“ 571Diesen Leitgedanken hat Beuys in einem Gespräch von 1977 weiter differenziert unddabei auf die ursprüngliche Einheit von Kunst, Wissenschaft und Religion hingewiesen: „ Mankönnte eigentlich sagen, Wissenschaft ist eine Abzweigung vonder Kunst. DennimUrsprung ist die Kunst fürdenMenschen Religion undBild, Ästhetik und Technologie. Das ist nachweisbar.572 Das schlägt sich alles nieder im Bild. Es ist ungeteilt. Man kann eine solche kulturelle Haltung nur als einheitliches Prinzip sehen, während später sich die Dinge differenzieren.“573Aber auch heute, sagt Beuys, „kann mannicht Kunst betreiben ohne Erkenntnis. Daswäre eine einseitige

Deklaration, die heißt, Kunst nur aus den Emotionen zu erklären. Nur ist die Erkenntnismethodik sicher eine andere bei der Kunst.“Die Erkenntnismethodik, also das Verfahren, nach dem die Kunst arbeitet, ist „rein imaginativ“.574 Das kulturelle Bedürfnis desMenschen läßt sich fürBeuys „ eigentlich in drei Strömen

571 Ebenda, S. 68. 572 Beuys denkt hier sicher an Leonardo da Vinci, der für ihn ein „Modell“ , das heißt ein musterhaftes Vorbild fürdie eigene künstlerische Tätigkeit war. In einem Gespräch von 1979 antwortet Beuys auf die Frage, welche Bedeutung Leonardo heute für ihn habe: „ Eine sehr große. Er istja immer fürmicheine sehr wichtige Persönlichkeit gewesen, weil erja auch inso einer historischen Situation gelebt hat, diedenBlick inseiner Person nach zwei Seiten gerichtet hatte. Einerseits ist Leonardo einer derallerersten Menschen, die die technologische Entwicklung eingeleitet haben, also eine analytische Methodik besaßen, die später aufgegriffen wurde vonGalilei undradikaler wird, aberer hatte gegenüber Galilei natürlich nochdie Fähigkeit, in die ganzen mythologischen Zusammenhänge zuschauen. Diese Zweiseitigkeit hat mich sehr interessiert, die ganz komplexe, ganzheitliche Figuration hat mich fasziniert, ebenso die Vereinbarkeit vonKunst undWissenschaft. Da liegt einModell vorinLeonardo.“Ausstellungskatalog: Joseph Beuys. Spuren in Italien, Kunstmuseum Luzern 1979. Mit Texten undeinem Gespräch vonMartin Kunz mit Beuys, aus demhier zitiert wurde, o.S. (= Beuys: Spuren in Italien). Vgl.: Bunge: Beuys undLeonardo. 573 Beuys: Abendunterhaltung. Dieses Gespräch führte Beuys am5. März 1977 in Hamburg nach derVerleihung des Lichtwark-Preises mitJournalisten undWissenschaftlern. Peter Schata hat ineiner Vorbemerkung zudemGespräch aufdenzentralen Platz desBildnerischen Denkens im Œ uvre vonBeuys hingewiesen. Das Wort, sagt Schata, „ ist nicht Beiwerk, nicht intellektuelle Verbrämung, sondern unverzichtbares Element innerhalb des Ganzen, ist Mittel zum Ausdruck solcher Zusammenhänge, die anders nicht präzise genug ‚bezeichnet‘werden könnten. ... Die Beuysschen Arbeiten bedürfen nicht der verbalen Erklärung, um in ihrer Qualität erkannt werden zukönnen. Das vonBeuys verwendete Wortist auch niemals Interpretation im vordergründigen Sinne. Er benutzt die Gelegenheit vonGesprächen, umHinweise zu geben, umBezüge undVerbindungen offenzulegen, umHintergründe anklingen zulassen. Manchmal uvre immer mehrzuverlieren, scheint sich imLaufe eines solchen Gesprächs derBezug zumŒ umsich dannaber, nachdem eingroßer Bogen geschlagen ist, umsodeutlicher darzulegen.“(S. 1).

Es gibt dochaucheine Wissenschaft, z.B. Alchimie, diepraktisch nachdenVerfahren 574 Beuys: „ derKunst arbeitet, also rein imaginativ.“Ebenda, S. 17. Hier sei nurdaran erinnert, daßes der Alchimie immerhin gelang, Alkohol, Phosphor undPorzellan zuentdecken.

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zeigen, in drei Hauptströmen das ist die wissenschaftliche, die religiöse und die künstlerische Methodik; und das war im Anfang ungeteilt, so daß man es nur begreifen konnte unter demBegriff ‚Kunst‘“.575 Durch denSiegeszug deranalytischen, naturwissenschaftlichen Methodik wurdendie Bereiche vonReligion undKunst undihre spezifischen Erkenntnismethodenimmer mehr in denHintergrung gedrängt undzumPrivatvergnügen oder zur Freizeitkultur abgewertet. Die Vorherrschaft desMaterialismus aufallen Gebieten des Lebens hat zu einer Abnabelung vom spirituellen Bereich der Welt geführt. Eine der Hauptintentionen der Beuysschen Kunst besteht also darin, sichtbar zu machen, daßwieder ein Anschluß andasSpirituelle gefunden werden muß. Aufdie Frage, welche Rolle spielt bei Ihnen dieMetaphysik, antwortet Beuys: Wenn manvon Geist spricht, dann ist das sicherlich nach alter philosophischer „ Terminologie eine Frage nacheiner metaphysischen Dimension. Unsere Kultur hat sich ganz demStofflichen zugewandt. DerMaterialismus wendet sichja derLeiblichkeit zu, den Stoffen. Alles, was nicht unter demAnfaßbaren, demMeßbaren, Wägbaren, Mathematisierbaren zuerfassen ist, wirdja nicht mehralsWissenschaft angesehen. Aus diesem Grund gibt es auch kein Menschenbild.“576Beuys unterstellt oder verkennt keineswegs, daß auch die Naturwissenschaft nach geistigen Ideenmäßiges“ist, –auch die „ Mathematik ist freie Prinzipien funktioniert, etwas „ , aber dieentscheidende Frage sei, ob „der Schöpfung des menschlichen Geistes“– Geist in derMaterie noch erkannt“wird? Die Verbindung zwischen beiden Gebieten, zwischen Materie und Geist „wird doch nicht mehr bewusst, nicht bewusst gemacht in unserem Wissenschaftsbegriff“ . Die „materialistische Methodik, die in , wendet sich eindeutig nur noch „den Positionen von sich natürlich geistig ist“ Weltinhalten“zu, „ die materiellen Charakter haben! Dieser Vorsatz, sich nicht mehr an das Jenseits zu wenden oder an die übersinnliche Welt ..., sondern sich immer eindeutiger der Materie zuzuwenden –wie sich das ja ab Aristoteles im Abendland vollzieht in einer immer stärkeren Verengung auf diesen Kulturbegriff , zeigt doch einfach an, daß sukzessive alle Gesichtsals materialistische Kultur – punkte, die metaphysischen Charakter haben, die also noch eine Beschreibung der Gesamtevolution im Sinne eines Gesamtweltbildes haben, abgeschnitten werden. Übrig bleibt doch nur noch das Anwenden mathematischer Gesetzmäßigkeiten, also imGrunde logischer Systeme zurErschließung vonMateriegesetzen.“577 Was die Materie ist, weiß die Naturwissenschaft nicht. Mankann zwar mit ihr eine technische Evolution vollziehen undbeispielsweise zumMond fliegen, also , aber dasWesen derMaterie hat „ dasmechanistische Fahrstuhlprinzip erweitern“ sie nicht erkannt. Der gegenwärtige Kulturbegriff ist folglich für Beuys „nicht in . Daher muß der Kultur- und Kunstbegriff der Lage, das Ganze zu ergreifen“ , der sich nicht nur auf den Künstler Gestaltungsbegriff“ erweitert werden als „ bezieht oder denkreativen Wissenschaftler, sondern generell auf denMenschen – . Während heute eine Wissenschaft „denMenschen nurrein die „Soziale Plastik“ 575 Ebenda, S. 17, 18. 576 Ebenda, S. 4. 577 Ebenda, S. 4, 5.

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, will Beuys einen umfassenderen Begriff vomMenschen biologisch gelten lässt“ geltend machen und „ ein neues Menschenbild liefern“ , das in der Zukunft fähig wird, „ die Probleme des irdischen Lebens einst zu erfassen undunter Umständen auch Fragen des überirdischen Lebens einzubeziehen. Beim Energieproblem kann mansagen: Die eine Seite derEnergiefrage ist sicher die materielle Energiefrage, daß mansie wirklich braucht. Aber es gibt auch eine seelisch-geistige Energiefrage, undwie ist derÜbergang voneiner seelisch-geistigen Energie zudemPol hin, der materiell ist? Also auch ich würde nicht den Unterschied zwischen Geist und Materie machen zunächst als einfaches Auseinandergerissensein im dualistischen , aber denevolutionären Übergang in denverschiePrinzip –hier Stoff, hier Geist – denen Zuständigkeiten, so daß man sagen könnte: Materie ist eine bestimmte Konditionierung von Geist.“578 Zwischen die Pole Materie undGeist stellt Beuys vermittelnd die Energie als Kraft des Menschen. In der irdischen, materiellen Welt ist eine Information zwischen denMenschen als denkenden Wesen nurmittels Sprache möglich. „Sprache ist materiell, denn sie benutzt ja die eigene Körperlichkeit. Sie transportiert sich zwischen Sender und Empfänger mittels Schallwellen. Information im irdischen Zustand ist also nurmöglich, indem mandieMaterie zurInformation benutzt, unter Umständen seine eigene Leiblichkeit benutzt, um zu informieren. Also ist die eigene Leiblichkeit im Grunde Außenwelt für denSender undfür denEmpfänger. Wer sind nun aber Sender und Empfänger? Sind sie überhaupt Bestandteil des irdischen Inventars, oder sind sie nicht an einer Schwellensituation zwischen der Energie, die zudemeinen Pol–sagen wirzumgeistigen Pol –tendiert undauf der anderen Seite zumimmer stärker werdenden materiellen Pol tendiert? Das ist also die Frage nach denMöglichkeiten desMenschen, nach denKräften, die er hat, also überhaupt nach dem, wasderMensch ist.“ Wenn Beuys hier von „Sprache“redet, dann meint er damit nicht nur die verbale Sprache als primäres menschliches Kommunikationsmittel, sondern auch die nonverbale Sprache der Kunst, die sich in einer bestimmten Form des Kunstwerkes ausdrückt. Undgerade das Kunstwerk markiert eine Schwellensituation, indem es ansichtig macht, wie etwas Ideelles übergeht in Materielles. Folgen wir derBeuysschen Argumentation: Sprachen sind der„Abdruck vonFormen ineinem . Daraus ergibt sich die „erkenntnistheoretische Frage: Ist bestimmten Material“ Form nicht überhaupt etwas Ideelles, also etwas Geistiges, undist nicht das, was wir gewohnt sind als irdische Sprache zu benutzen, die immer Abdruckcharakter hat in einem bestimmten Material, nurder Abdruck einer ideellen Form in einem den Begriff ‚Sprache‘ zurückführen auf den materiellen Bild?“Man muß also „ Begriff ‚Form‘“ . „Dann ist alles Sprache.“Undso „mußmanauch vonderSprache der Natur sprechen. Dann mußmansagen: Der Baum spricht eine Sprache; und zwar spricht dieBuche eine andere Sprache als dieTanne. Dannist manimGrunde bei dem Begriff der Form. ... Und Form ist aber doch jetzt eigentlich nichts Materielles mehr in diesem ganzen Zusammenhang. Wenn ich bereits festgestellt habe, daß ich das ‚Miteinander-Verkehren‘, das ‚Sich-gegenseitig-Informieren‘ 578 Ebenda, S. 6.

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zurückführen mußan eine Schwellensituation, woetwas rein ideell Formenmäßiges die Materie ergreift, Abdruckcharakter hat, unddann in Bewegung versetzt wirdzumRezipienten –also einfach dasSender- undEmpfängerprinzip – , sind das nicht zwei Grenzpunkte, die genau wieder die Linie bezeichnen, woetwas Ideelles übergeht in Materielles?“Aberjetzt ergibt sich die zwingende Frage, werhat die Formen, die „ materiellen Abdrücke, die als Tanne, als Elefant, als Löwe undsoweiter in der Welt existieren unddie die Sprache der Natur darstellen“gemacht? Wares derMensch, haterdasgemacht? Vielleicht „nachderMethode, wieersonst Sprache schafft, denAbdruck formend, wobei er vomIdeellen ausgeht undes in eine Materie informiert, Information als Abdruck. Im echten Sinne muß der Rezipient das wieder herausnehmen, was abgedrückt ist, es anschauen und wieder erkennen und zwar auch im Ideellen. Ist nicht da genau eine Schwellensituation gekennzeichnet, woetwas rein Ideelles übergeht in Materielles?“Aber ist denn der Mensch das einzige Wesen in der Welt, das denken unddas schaffen kann? „ Das wird dann jetzt eine alles andere überragende Frage.“Wenn man konsequent meditiert, sagt Beuys, dann könnte der Mensch z.B. eine Tanne gemacht haben. „ Aber nicht allein. Er muß eine Hilfestellung gehabt haben.“579 Denn nach der Methode wie er ein Haus baut oder ein Brot backt, kann er keine Tanne erzeugen. Gut, er kanneine Samenkorn setzen, aber dieTanne wächst selbst, auseigenen, aus Urkräften, über die derMensch nicht verfügt. Dasgleiche gilt auch fürdie menschliche Frucht, wenn auch ausmännlichem Sperma undweiblicher Eizelle in einem Willensakt gezeugt, wächst das Kind aus eigener Energie, unddie Frau kann nur hoffen, daßihrLeib dienötigen Kräfte hatumdasKindauszutragen. Will derFötus nicht mehrweiterleben undweiterwachsen, geht er ab,undderWille desMenschen kann es nicht verhindern. Bevor wirmitderDarstellung derEntwicklung desMenschenbildes bei Beuys fortfahren, müssen wir noch einmal einige grundsätzliche Reflexionen Paul Klees dazwischen schalten, denn so wird derenge gedankliche Konnex zwischen Beuys und Klee auf organische Weise deutlich. Wie Beuys, so setzt auch Klee das Formprinzip derKunst, verstanden als Gestaltungsprinzip, inAnalogie zumSchöpfungsprinzip der Natur undbeide beziehen sich damit auf Goethes MetamorphoderBegriff“ ist, wie Klee senlehre.580 Klee denkt wie Beuys in Polaritäten, denn „

579 Ebenda, S. 6, 12, 13. 580 Siehe Lichtenstern: Metamorphosenlehre Goethes, S. 80 ff und S. 143 ff. Siehe auch Volker Harlan: Die Kraft desSchöpferischen. Zumtheoretischen Werk desMalers Paul Klee, in: Die 31. Harlan schreibt: „ In einem Zeitalter, in demderGlaube Drei, 42. Jg., Heft 1, 1972, S. 29– allgemein wird, daßalles, wasinderWelt ist, mitdenMethoden derPhysik darstellbar sei, ist es eine Freude, einem Denker zu begegnen, derdiesem erkenntnistheoretischen Irrtum nicht , S. 29. (= Harlan: Kraft des Schöpferischen). unterliegt. Solch ein Denker ist Paul Klee ... .“ Wirerinnern uns, Klee will: „ VomVorbildlichen zumUrbildlichen! ... bisineinige Nähejenes geheimen Grundes dringen, wodasUrgesetz die Entwicklungen speist. Da, wodasZentralorgan aller zeitlich-räumlichen Bewegtheit, heiße es nun Hirn oder Herz der Schöpfung, alle Funktionen veranlaßt, wermöchte da als Künstler nicht wohnen? Im Schoße der Natur, im Urgrund derSchöpfung, wodergeheime Schlüssel zuallem verwahrt liegt?“(Kunst-Lehre, S. 83) Umnundie Bezugnahme Klees auf Goethe nicht nurbei derBenennung zu belassen, sei

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sagt, „ ohne Gegensatz nicht denkbar“ .„ Es gibt keinen Begriff an sich, sondern meistens nur Begriffspaare. Was heißt ‚oben‘, wenn kein ‚unten‘ vorliegt? Was heißt ‚links‘, wenn kein ‚rechts‘ vorliegt? Was heißt ‚hinten‘, wenn kein ____ ‚vorn‘ vorliegt? Jedem Begriff steht sein Gegensatz gegenüber, etwa wie: Satz Gegensatz, dazwischen ist die Linie länger oder kürzer, je nach derGröße der ____ Gegensätzlichkeit.“Als weitere Chaos Kos____Beispiele für Begriffspaare nennt Klee „ , „Unordnung , „gut“ mos“ O_rdnung “ _ _und _ „böse“. Man könnte __ als Begriffspaare hinzufügen: Materie Geist, Natur IdeeundMensch Gott. Klee: „ Die gegensätzlichen Orte sind nicht fest, sie gestatten eine gleitende Bewegung. Fest ist nureinPunkt, derMittelpunkt, in demdieBegriffe schlummern.“„ DerDualismus [soll] nicht als solcher behandelt [werden], sondern in seiner komplementären Einheit. Ruhe undUnruhe als wechselnde Elemente desmalerischen Vortrages.“581 WieBeuys undKandinsky geht auchKlee voneinem gleitenden Übergang von Geist undMaterie aus. Im Hinblick auf denWasserkreislauf in der Natur, wodas Wasser „ flüssig vom Himmel“kommt und„gasförmig zumHimmel“aufsteigt – „ Das Wasser kommt vomHimmel als Regen undsteigt zumHimmel als Dunst“–

wenigstens Goethes Brief über die „ Urpflanze“zitiert, denn in derBegegnung derTexte von Klee undGoethe bekundet sich dieEinheit derDenkrichtung derbeiden Künstler. Goethe, Neapel, den 17. Mai 1787: „ Ferner mußichdirvertrauen, daßich demGeheimnis der Pflanzenzeugung und -organisation ganz nahe bin, und daß es das Einfachste ist, was nur gedacht werden kann. Unter diesem Himmel kannmandieschönsten Beobachtungen machen. DenHauptpunkt, woderKeim steckt, habe ichganz klar undzweifellos gefunden, alles übrige seh’ich auch schon imganzen, undnurnoch einige Punkte müssen bestimmter werden. Die Urpflanze wird das wunderlichste Geschöpf vonderWelt, umwelches mich die Natur selbst beneiden soll. Mitdiesem Modell unddemSchlüssel dazukannmanalsdann nochPflanzen ins Unendliche erfinden, die konsequent sein müssen, dasheißt: die, wenn sie auch nicht existieren, doch existieren könnten undnicht etwa malerische oderdichterische Schatten undScheine sind, sondern eine innerliche Wahrheit undNotwendigkeit haben. Das Gesetz wird sich auf alles übrige Lebendige anwenden lassen.“G oethe: Italienische Reise, hrsg. undkommentiert vonHerbert vonEinem, München 1985, (Hamburger Ausgabe, Bd. XI), S. 375. ZurNaturmetapher Goethes siehe Norbert Knopp: ZuGoethes Hymnus VonDeutscher Baukunst. D.M. Ervini a Steinbach, in: Deutsche Vierteljahresschrift fürLiteraturwissenschaft und 650. Knopp hat darauf hingewiesen, daß Geistesgeschichte, Jg. 53, 1979, Heft 4, S. 617– Er löst denVergleich mitdem Goethe „ die Naturmetapher in einem neuen Sinn“verwendet. „ Naturgebilde vondemAspekt äußerer Formähnlichkeit undmacht ihn zueinem Sinnbild der Gestalt dieser Architektur unddes Kunstwerkes überhaupt. Dementsprechend ahmt das Genie nicht die äußere Erscheinung der Natur nach, sondern schafft wie die Natur, ist selbst schaffende Natur.“(S. 637, 638). Siehe dazu folgende Stelle aus Goethes Hymnus: „Denn in demMenschen ist eine bildende Natur, die gleich sich tätig beweist, wann seine Existenz gesichert ist. Sobald er nichts zu sorgen undzufürchten hat, greift der Halbgott, wirksam in seiner Ruhe, umher nach Stoff, ihm seinen Geist einzuhauchen.“Z itiert nach Knopp, S. 641. FürGoethe ist derKünstler Erwin ein , und „das Werk des Genius“wird „mit der von Gott Halbgott, „ ein gottgleicher Genius“ , wie Knopp anmerkt. (S. 643, 647) Am geschaffenen erhabenen Natur in Parallele gesetzt“ Ende seiner Schrift setzt Goethe Erwin als Künstler mit dem Halbgott Prometheus gleich. Sein Prometheus hadert mit den Göttern, weil er sich ihnen ebenbürtig fühlt als Knopp: „ (S. 649). Schöpfer. ... Erwin wirdgeradezu mitdemSchöpfergott gleichgesetzt ... .“ 581 Klee: Bildnerisches Denken, S. 15, 16.

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stellt Klee fest: „Nimmt manendlich einen recht erhabenen, entfernten Gesichtsanundsagt sich: So bewegt sich nundasWasser, jahraus, jahrein, zwischen Erde und Atmosphäre, dann degradiert man die höhere Gliederung wieder zur strukturalen. Und wenn man sich so weit entfernt, daß sie mikroskopisch wird, dann spricht manvon Chemie, vomMagnetischen oder vomGeistigen, vondem mannicht recht weiß, ob es noch Materie ist oder nicht.“582In Analogie zu dieser Beobachtung in derNatur ist nundie Form in der Kunst für Klee wie für Beuys eigentlich nichts Materielles, sondern sie kennzeichnet jene Schwellensituation, wo etwas rein Ideelles inMaterielles übergeht. Daher nennt Klee, wieschon gehört, die bildnerischen Medien Linie, Helldunkel undFarbe die zubevorzugenden „ Ideellen , obwohl sie „nicht frei vonMaterie“sind.583 Der Mensch, als inkarniertes Mittel“ Wesen, mußsich imMaterial ausdrücken, wenner anderen etwas mitteilen möchte, er haucht, wieGoethe sagt, demStoff seinen Geist ein.584 Ausdiesem Grund gibt es für Kandinsky, Klee undBeuys keine Form ohne ideellen, geistigen Ursprung und punkt

582 Paul Klee: Unendliche Naturgeschichte. Prinzipielle Ordnung der bildnerischen Mittel, verbunden mit Naturstudium undkonstruktive Kompositionswege. Form- undGestaltungslehre Bd. II, hrsg. undbearbeitet vonJürg Spiller, Basel/Stuttgart 1970, S. 93, 95. (= Klee: Unendliche Naturgeschichte). Die von Spiller herausgegebenen Bände: „ Das bildnerische Denken“unddie „Unendliche Naturgeschichte“sind direkt nach Klees bildnerischen Werken und den Tagebüchern die Primärquellen derKlee-Forschung, auch wenndieArtderHerausgabe zuRecht heftig umstrittenist. Wirkönnen diesen Streit hier nicht thematisieren, dennerträgt zumSachverhalt unserer Behandlung nurwenig bei. Dennoch sei auf folgende Literatur hingewiesen: Max Huggler: Die Kunsttheorie von Paul Klee. In Festschrift Hans R. Hahnloser zum 60. 441. (= Huggler: Geburtstag, hrsg. von Ellen J. Beer u.a., Basel und Stuttgart 1961, S. 425– Klees Kunsttheorie). ZurKritik Hugglers anSpillers Edition siehe S. 429 ff. Festzustellen ist: Huggler sieht bei Klee einen einheitlichen Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis –übrigens ganz im Sinne von Klees Denken in polaren Begriffen, die zwar : „Eine Entsprechung, die äußerlich gegensätzlich aber innerlich zusammengehörend sind – mehr ist als äußere Parallele, verbindet denGedanken mitdemschöpferischen Vorgang, geht ihm zeitlich voran oder folgt ihm nach als Vorbereitung oder Rechtfertigung demeigenen Urteil gegenüber.“(S. 429). Siehe auch die Rezension von Ernst Strauss: Paul Klee: Unendliche Naturgeschichte, in: 456. Strauss kritisiert an Spillers Edition, daßderganze Band Pantheon, XXIX, 1971, S. 454– mit Abbildungen von Werken viel späteren Datums durchsetzt ist. „Hierbei erhöht sich die Gefahr, aus demjeweils abgebildeten Gemälde, ohne Rücksicht auf die Originalität seiner Gesamtkonzeption, unter allen Umständen als erstes eine Bestätigung der Theorien Klees herauslesen zu wollen, undumgekehrt die Theorien auf dasMaßbefolgbarer ‚Anweisungen‘ einzuschränken, unter Verkennung ihres geistigen undpoetischen Eigenwertes.“(S. 455). Diese Kritik von Strauss zeigt, wie schwer sich die Kunstgeschichte tut, die komplementäre Einheit vonbildnerischem Denken undbildnerischem Gestalten adäquat darzustellen, denn Strauss warklar, daß„ imSchaffen Paul Klees ... dasmalerische unddaszeichnerische Werk, Kunsttheorie undKunstlehre insoenger Wechselbeziehung wiebeikeinem anderen führenden Meister der Moderne“stehen. Ernst Strauss: Rezension: Paul Klee, Handzeichnungen I – Kindheit bis 1920, hrsg. von Jürgen Glaesemer, Bern 1973, in: Pantheon, XXXII, 1974, S. 212. 211– 583 Klee: Bildnerisches Denken, S. 17. 584 Siehe Anm. 580.

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damit letztlich auch keinen Menschen ohne Gott. Alle drei hätten wohl ohne Zögern Goethes Diktum unterschrieben: „ Wir sind naturforschend Pantheisten, dichtend Polytheisten, sittlich Monotheisten.“585 Doch zurück zuKlee, bei demwirlesen: „Also nicht anForm denken, sondern an Formung. Festhalten am Weg, am ununterbrochenen Zusammenhang mit der ideellen Ursprünglichkeit. Vonhier ausnotwendig denFormungswillen weiterfüh586WiederKünstler inder ren, bis Teilchen undTeile vonihmdurchdrungen sind.“ formenden Gestaltung Materie-Teilchen mit Idee durchdringt, hat Klee an der Materie Sand beschrieben: „ Manbestreut eine dünne Holz- oder Metallplatte mit feinem Sand. Durch Bestreichen desPlattenrandes miteinem Violinbogen versetzt man die Platte in schwingende Vibration. Dieser Anlaß zur Vibration nun ist das wesentliche Geschehen. Er veranlaßt dieMaterie (Sand) zueiner gewissen rhythmischen Schwingungsgliederung, unddies veranlaßt denSand endlich, sich in einer entsprechenden rhythmischen Ordnung zu gliedern. Also zuletzt Anstoß zumVibrieren oder Wille oder Bedarf zur Lebendigkeit, dann Umsetzung in materielles Geschehen undzuletzt sichtbarer Ausdruck hiervon in aufgeschichteter neuer Materie. Wir sind der Bogen, wir sind Äußerungswille, die Materie ist Mittler, die Sandfiguren sind letztes formales Ergebnis. Der Hauptzusammenhang ist Bogen (Schwingung) undMaterie. Es ist, als ob die Materie befruchtet würde unddann unter diesem Diktat einArtEigenleben erhielte. DerSandist Annex, Außenschicht, Nebenschicht.“Die Wellenlinie, „also diese Wellenstruktur“stellt Klee als „ Symbol der kleinteiligen Belebung“fest. „Soll die Materie davon ergriffen werden, so mußsie sich dazueignen, undes kanndannmitvereinten Kräften zumFunktionieren kommen. ... Wie soll nun die Materie von dieser ersten Lebensäußerung ergriffen werden? Frage nach dem Ursächlichen? Bei einer sehr porösen und lockeren Zusammensetzung einer Materie wiedemMeersand, kannmansehr schön beobachten, wie sich dieser Prozeß abspielt. Die streichende Luft teilt sich mitund formt kleinere undgrößere Wellen. DasbeiEbbe abfließende Wasser zeichnet sich in seinem ganzen Zusammenhang des‚Strömens‘miteiner verblüffenden Feinheit und Bestimmtheit ein. Man sieht hier lineare und plastische Gebilde, die der Inbegriff des Strömens sind. Mankann sich in diesem Falle Richtlinien des Angriffs auf die Materie vorstellen. Es braucht aber nicht so scharf zu sein, es kann eine Materie schon im Wachsen, im Werden sich klein auf klein einer lebendigen Idee anpassen, sich danach formen, solange sie noch weich undeindrucksfähig ist. Diese Disposition, die Eignung der Materie, besteht in einer bewegungsfreundlichenHaltung derkleinen Teile. Diese kleinen Teile passen sich denRichtlinien des lebendigen Angriffes an und formen sich zu kleineren Gebilden, die man als Kanäle, Röhrchen bezeichnen kann. In dieser Weise: zuerst das Leben, dann das Haus, so geht es schon im Allerkleinsten zu.Diefrühe anpassende Vereinigung von Idee undMaterie ergibt die belebte Materie.“587

585 Goethe: Taschenlexikon, S. 259. 586 Klee: Unendliche Naturgeschichte, S. 67. 49. 587 Ebenda, S. 44–

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Klee veranschaulicht die Durchdringung der Materie mit Ideellem an dem „ Spielraum“ , dendasgraphische Element, dieLinie zurVerfügung stellt.588 (Siehe Abb. 20) UndKlee konstatiert, daß„ jede Materie ... eine Durchdringung imSinne dieses Spielraumes, aber nicht immer in einer für uns wahrnehmbaren Weise“ gestattet. AlsBeispiel hierfür wählt Klee denmusikalischen Ton: „ Nehmen wirdie Wellenbewegung ganz klein und noch kleiner, so ist sie wohl noch da, aber nicht mehr wahrnehmbar. Dermusikalische Tonist ansich schon Wellenbewegung, aber nicht wahrnehmbare. Das hinzutretende Vibrato macht sie wahrnehmbar. Jede Materie gestattet diesen Spielraum, aber nicht jede Materie gestattet ihn für uns wahrnehmbar. Demwird abgeholfen durch die Übertragung dieser Bewegung auf etwas größere, wahrnehmbare Dimensionen. Sie haben vielleicht schon beobachtet, wie der Ton eines Sängers oder Streichers bebt, vibriert oder tremoliert. Das ist dasselbe. Der Tonan sich ist schon ein Vibrieren derLuftmaterie, aber ein so feines Vibrieren, daßes an sich nurals höherer oder tieferer Ton wahrzunehmen ist. Ein solch melodisches Musizieren würde als unbelebt empfunden werden. Diesem kalten Eindruck aber hilft eben jenes Vibrato ab.“ Die Materieteilchen, ob Sandkorn, Linie oder Tonsind „ also bewegungsfähig zuformen undleitfähig. Denndas Teilchen ist kein Ding an sich, sondern Stütze einer größeren Funktion. Es ist Vermittler, dasheißt Mittelglied, welches aufnimmt undweitergibt. Es dient einem entwicklungsfähigen, höheren Geschehen, es ist Baustein zueiner höheren Gliede589 rung undvermittelt diese nach mehreren Seiten, ins Räumliche hinüber.“

14. Wachstum regt sich – Bewegung liegt allem Werden zugrunde „ Ohne die Rose tunwir’s nicht, da können wir gar nicht mehrdenken.“

Joseph Beuys590

Die Funktion der einzelnen Bauteile einer höheren Gliederung erläutert Klee gra.591 Die phisch und verbal an der „ Fischreusen oder Bungen“ Pflanze“und in „ Pflanze wächst, bewegt sich, stirbt ab undkommt wieder neuhervor –„Wachstum Bewegung liegt allem Werden regt sich“ , betitelt ein Bild aus dem Jahr 1938.592 „ 588 Ebenda, Abbildungen S. 47– 51. 589 Ebenda, S. 51, 53. 590 Joseph Beuys. documenta-Arbeit. Hrsg. von Veit Loers undPia Witzmann. Museum Fridericianum Kassel, Stuttgart 1993, S. 113. (= Beuys: documenta-Arbeit). 61. Zudieser Thematik siehe denAusstellungskatalog: Paul Klee: Wachstum 591 Ebenda, S. 53– regt sich. Klees Zwiesprache mit der Natur. Hrsg. vonErnst-Gerhard Güse, München 1990. Neben Texten vonPaul Klee enthält der Katalog die Aufsätze: Ernst-Gerhard Güse: Klees Zwiesprache mit derNatur, Richard Verdi: Die botanische Bildwelt in der Kunst Paul Klees, Lorenz Dittmann: ‚Wachstum‘imDenken undSchaffen Paul Klees. (= Katalog: Klee, Wachstumregt sich). 592 Ebenda, Abb. S. 225.

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lautet derKernsatz vonKlees bildnerischer undphilosophischer Kosmozugrunde“ gonie. „ Wenn ein Punkt Bewegung undLinie wird, so erfordert dasZeit. Ebenso, wenn sich eine Linie zur Fläche verschiebt. Desgleichen die Bewegung von Flächen zu Räumen. ... Also, Spielraum: Zeit. Charakter: Bewegung. Zeitlos ist nur der an sich tote Punkt. Auch im Weltall ist Bewegung das Gegebene. Ruhe auf Erden ist zufällige Hemmung derMaterie. Dies Haften für primär zunehmen eine Täuschung. ... Das bildnerische Werk entstand aus der Bewegung, ist selber festgelegte Bewegung und wird aufgenommen in der Bewegung (Augenmuskeln).“593 Die Bewegung der Pflanze zeigt sich in ihrem funktionalen Wachstum. Klee: Wachstum ist Fortbewegung derMaterie durch Neubildung zuStehenbleibendem „ hinzu. Bewegung im irdischen Bereich erfordert Energie. Analog verhält es sich mit dem Strich, der Linie und unseren anderen bildnerischen Elementen, wie 594Wo aber kommt die Energie des SchöpferiFläche oder Ton undFarbe usw.“ schen her? Das ist die entscheidende Frage! Die „ganz primären Energien der Formgestaltung“entwickelt Klee andergraphischen Gestaltung derPflanzenblätter. „ Ein Blatt ist ein Teil vomGanzen. Ist derBaum Organismus, so ist dasBlatt Organ. Diese kleinen Teile vomGanzen sindinsich wieder gegliedert. Es walten in dieser Gliederung Ideen und Verhältnisse der Gliederung, die im Kleinen ein Abbild derGliederung desGanzen sind. DieGliederung desGanzen heißt: Wurzel, Stamm, Krone. Die Gliederung der Krone heißt: Ast, Zweig, Blatt, Blüte, Frucht. Die Gliederung des Blattes heißt: Stiel, Rippen undBlattgewebe.“Dabei ist die Mittelrippe des Blattes Fortsetzung des Blattstiels. Und von der Mittelrippe zweigen nach links undrechts neue Blattrippen ab, die die Fläche desBlattes gliedern. Linien. Klee beschreibt ausführEnergie geladene“ Diese Rippen versteht Klee als„ lich, wievielfältig dielinearen Gliederungsmöglichkeiten eines Blattes sind. Grundlegend ist aber die „ , Auffassung derRippen als konstruktive, gliedernde Energien“ unddasbringt es mitsich, „ denWerdegang desBlattes (imbildnerischen Sinn) nun als eine Auseinandersetzung zwischen linearer Energie oder Besonderheit und flächiger Massigkeit oder Vielheit zu denken. Die flächige Massigkeit ist das Element, welches demAuge nicht mehr linear erscheint. ... Die entstehende Flächenform ist nunabhängig vonder eingreifenden linearen Strahlung. Undwo die lineare Macht endet, bildet sich die Kontur, die Grenze der Flächenform. Diese Grenze ist, wennmansie verfolgt, aucheine Linie, aber sie hatmitderstrahlenden Energie derinneren Liniengebilde als Element einen neuen Charakter. Sie ist nicht aktiv, sie handelt nicht, sondern istpassiv, sie wird erlitten. Als Leidensform aber gibt sie Reflexe der linearen Angriffsformen. Je schärfer die Strahlen, wie beim Ahorn- oder beim Platanenblatt, hinausstechen, desto spitziger die Winkel der Grenzlinie. Vollzieht sich aber die Energieentfaltung geschlossener, so wird die Konturlinie ruhiger verlaufen.“Dieaggressive Energieentfaltung derlinearen Blattrippen als Strahlen hat Klee in zwei Zeichnungen (siehe Abb. 19) dargestellt und dazu geschrieben: „Alle drei Strahlen schieben die gegebenen Flächenmaße über

593 Klee: Schöpferische Konfession, zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, S. 62, 63. 594 Klee: Unendliche Naturgeschichte, S. 3.

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die normale Grenze hinaus, infolgedessen reicht zwischen denStrahlen der Stoff nicht mehr aus, und es buchtet die Grenzlinie zurück. Bei besonders scharfer Energie desStrahlens aber gibt es einen Riß bis zurStrahlenbasis.“595 Dieses Zitat macht deutlich, wie intensiv Klees Zwiesprache mit denGestaltungsprinzipien derNatur ist unddaßderVergleich desKünsters mitdemSchöpfer derNatur keine leichtfertige Rede ist. Zudem ist es notwendig, so ausführlich auf Klees Beispiele einzugehen, weil ohne diese zurKenntnis zunehmen, Begriffe wie primäre Energie der Formgestaltung“oder „ „ die Kraft des Schöpferischen“leer bleiben. Entweder muß man solche Begriffe mit der Anschaulichkeit der Bilder oder mitderKlarheit unddemReichtum desBildnerischen Denkens füllen. Klee beschränkt sich nicht damit, die Energien der Formgestaltung nuraufzuzeigen, sondern er fragt weiter nach ihrem Ursprung und will auf „ihre nahe Nachbarschaft zurursprünglichen Idee der Gestaltung“aufmerksam machen. Dazu DasSamenbedient er sich desBeispiels eines Samenkorns. (siehe Abb. 18) Klee: „ korn ist trotz primitiver Kleinheit ein höchst geladenes Kräftezentrum. In ihm ist derbestimmte Anstoß eingeschlossen, ganz ausgesprochene verschiedenartige Formenergebnisse zuzeigen. Ausdemeinen wirdeinVeilchen, ausdemanderen eine Sonnenblume, und zwar nicht zufällig, sondern je nach seiner Herkunft immer wieder ein Veilchen undimmer wieder eine Sonnenblume. ... Ein gewisser Anlaß von außen, die Beziehung zu Erde und Atmosphäre, erzeugt die Fähigkeit zu wachsen. Der schlummernde Formungs- und Gliederungswille erwacht in seiner genauen Bestimmtheit, der Bestimmtheit mitBezug auf die zugrunde liegende Idee, auf demLogos oder wie übersetzt wurde: Das Wort, welches amAnfang war. Das Wort als Voraussetzung, als Idee zur Genesis eines Werkes. Abstrakt gedacht, haben wir hier dengereizten Punkt als latente Energie.“596 Daß Klee hier mit dem Begriff Logos auch dessen theologische Bedeutung als Gott, bzw. als die Vernunft Gottes als Weltschöpfungskraft impliziert, darf vorausgesetzt werden. Nicht nur Klee, sondern auch Beuys beruft sich auf den Begriff Wie ist dieWelt zustandegekommen? Dagibt es bestimmte, Logos. Beuys fragt: „ ich nenne sie einmal ‚Schwellenzeichen‘ oder ... zumBeispiel bei Johannes heißt es, ‚Am Anfang war das Wort ...‘, im Sinne dieses Begriffes ist das Wort der Logos. Wasmacht der Logos? Er beginnt denEvolutionsprozeß. Wie wird schließlich auseinem Wort oder ich nenne es auch ein Schwellenzeichen, wie wirddaraus Materie, wie wird daraus ein richtiger lebender Mensch? Dassind für mich wichtige Fragen; ... Mit Hilfe einer phänomenologischen Methode, d.h. durch sachbezogene ideologiefreie Beobachtung, Forschung, kann er [der Mensch] über die Erscheinung hinaus dasWesen derDinge erkennen. In denvorurteilsfreien Wahrnehmungen derPhänomene [ent-]steht die Frage nach der Uridee, die denErscheinun597Der Logos, die Uridee als Wille undmenschgewordenes gen zugrunde liegt.“ Wort Gottes in derPerson Jesu ist gemeinsame Basis für die Entstehung derNatur Nurder undderKunst. MaxLiebermann hatdies mitdenWorten ausgesprochen: „ 21. 595 Ebenda, S. 5– 596 Ebenda, S. 25, 29. 597 Beuys: Multiplizierte Kunst, o.S.

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Ursprung der Kunst ist göttlicher Natur, während dem vollendeten Werke, als einem Menschenwerke peinlicher Erdenrest anhaftet.“ 598 Das Kunstwerk ist ambiguos. Weil es vomMenschen ausderMaterie geformt ist, verkörpert es sich in derMaterie undgleichzeitig weist es über dieselbe hinaus auf seinen immateriellen Ursprung hin. Denn um noch einmal Liebermann zu Nur der Geist erzeugt Geist: Nurder Geist des Künstlers kann die tote bemühen: „ Form lebendig machen.“599 Doch zurück zum Samenkorn, zum gereizten Punkt als latente Energie in bildnerischer Funktion. (Siehe Abb. 18) Klee: „ Der Punkt im Begriff, bei dem geringsten Anlaß aus seiner Bewegungsverborgenheit hervorzutreten, sich fortzubewegen, eine Richtung oder Richtungen anzunehmen. Linear zuwerden. Konkret bildlich: Das Samenkorn treibt Wurzel, die Linie richtet sich zunächst erdwärts, aber nicht, um da zu leben, sondern um da Kräfte zu holen zum Aufbau ins Luftreich. Die nächste Wirkung derVerbindung mitdemErdreich ist eine Hebung des Samenkorns, welcher in vielen Fällen bald eine Teilung folgt (Dikotyledonen). Undausdieser Teilung entwickelt sich danndieweitere Bewegung nach oben. Der Nervus dieser Formbildung ist linear. Umsich auszubreiten undMacht über größere Räumlichkeit zuerlangen, verzweigt sich die lineare Einzelheit. Der Strom teilt sich, umzubewässern. Raumhunger ist dieTriebkraft, Raumhunger als Safthunger in der Erde undRaumhunger als Luft- undLichthunger in der Atmosphäre. Die Ausdehnungen im Luftraum undim Erdreich sind voneinander abhängig, wie die Funktionen derErnährung undAtmung bei entwickelteren Lebewesen ineinandergreifen. Größere Ernährungsbasis kann größere Atmungsorgane hervorbringen, größerer Atemraum bringt größere Ernährungsorgane (Gegenseitigkeit, Reziprozität). Die Konkurrenz anderer Lebewesen oder der Kampf ums Dasein, wie das Schlagwort heißt, drängt zu gesteigerter Kraftentfaltung. Dabei spielt, was den Lichtkonsum betrifft, die Höhe eine gewisse Rolle. Der Ursprungspunkt zwischen Erd- undLuftreich streckt sich, undaus der allgemeinen Pflanzengestalt wird die Baumgestalt, Wurzel, Stamm, Krone. Dabei vermittelt der Stamm das Ansteigen derSäfte ausdemBoden in diehohe Krone. Die linearen Energien sammeln sich in ihm zum kräftigen Strom und strahlen aus, um den Luftraum in freier Höhe zu erfüllen. Die Gliederung ist vondaannaturgemäß vielverzweigt, locker, ummöglichst viel Luft undLicht auszunützen. Die Blätter sind flache Lappen, das ganze lungenartig, kiemenartig, porös geteilt zumselben Zweck. Dieser ganze Organismus, einFormgebilde, welches voninnen nach außen oder umgekehrt funktioniert, möge unsnunein Beispiel sein. Wir wollen lernen: Die ganze Form resultiert auf einer Basis, der Basis aus innerer Notwendigkeit. Es liegt Bedarf zugrunde. Es ist kein eitles Spiel gegeben mitResultaten, sondern ein aktiver notwendiger Wegzur Form (innerer Aufbau).“600 Wie das funktionale Wachstum derPflanzen, so entsteht auch das Kunstwerk aus ideeller Ursprünglichkeit undinnerer Notwendigkeit. Daher mußder Künstler

598 Liebermann: Schriften, S. 189. DasZitat stammt auseiner Eröffnungsrede zurAusstellung der Akademie der Künste in Berlin 1921. 599 Ebenda, S. 196. Rede von 1923, demselben Jahr, ausdemauch Klees Text stammt. 35. 600 Klee: Unendliche Naturgeschichte, S. 29–

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laut Klee die Dinge in derNatur auf ihr Inneres untersuchen, auf ihre Funktion und ihrWesen, wiees sich inderErscheinung bekundet. „ DasImaginäre ist unumgänglich. Wirwollen nicht Form, sondern Funktion. ... Die lebendigen Grunddinge sind prinzipiell an sich vorhanden, ihre Wesenheit ist exakte Funktion, sozusagen bei ‚Gott‘(wie man immer noch sagen darf). Menschliches Ermessen führt in gewisse Nähen. ... Grenzen stellen sich jedenfalls bald ein. Die Formel der Funktion ist weit, aber sie ist als quellender Urpunkt irgendwo. ... Kunst als Entsendung von Phänomenen, Projektion aus demüberdimensionalen Urgrund, Gleichnis zurZeugung, Ahnung, Geheimnis. ... Der Eingeweihte ahnt den urlebendigen Punkt, besitzt ein paar lebendige Atome, besitzt fünf lebendige, ideelle bildnerische Elementarpigmente, weiß nunumeine kleine graue Stelle, vonderausderSprung aus demChaos in die Ordnung glückt. Er ahnt die Zeugung. ... Denn vordemBereich des Geheimnisses bleibt die Analyse verlegen stecken. Aber das Geheimnis ist, mitzugestalten durch Vordringen bis zuseinem Siegel.“ Wenn derKünstler wiedieNatur schafft, kann er imProzeß derSchöpfung bis

zum„göttlichen“Urpunkt vordringen unddasGeheimnis sichtbar machen. Dabei ist der künstlerische Antrieb und Anspruch ausschlaggebend, der bei Klee sehr hoch war. Alles wasvomvergänglichen Leben bleibe, sagt Klee, ist dasGeistige. „ Das Geistige in der Kunst, oder nennen wir es einfach das Künstlerische. Bei allem, waswirtun, ist die Forderung nach demAbsoluten gleichbleibend.“601Aber Klee hat in keiner Weise denAnspruch, dasgeheimnisvolle Rätsel desLebens und der Kunst zu lösen, denn dann wäre es hinfällig, sondern er will mit seinen bildnerischen Werken undmitseinem bildnerischen Denken aufdasletztlich UnbeDie Kraft des Schöpferischen kann nicht genannt werden. greifliche hinweisen. „ Sie bleibt letzten Endes geheimnisvoll. Doch ist es kein Geheimnis, was uns nicht grundlegend erschütterte. Wir sind selbst geladen von dieser Kraft bis in unsere feinsten Teile. Wir können ihr Wesen nicht aussprechen, aber wir können dem Quell entgegen gehen, so weit es eben geht. Jedenfalls haben wir diese Kraft zu offenbaren in ihren Funktionen, wie sie in uns selbst offenbar ist. Wahrscheinlich ist sie selbst eine Form von Materie, nur als solche nicht mit denselben Sinnen wahrnehmbar wie die bekannten Arten der Materie. Aber in den bekannten Arten derMaterie mußsie sich zuerkennen geben. Mit ihr vereinigt mußsie funktionieren. In der Durchdringung mit der Materie muß sie eine lebendig-wirkliche Form eingehen. Dadurch bekommt die Materie ihr Leben und ordnet sich von ihren kleinsten Teilchen anvonuntergeordneten Rhythmen biszuhöheren Gliederungen. In den Partikeln resoniert es vom Ursprünglichen her. Sie schwingen von der einfachsten Weise an bis zu kombinierten Ordnungen hinauf. Die Notwendigkeit 602 mußdurchdringend sich äußern.“ 601 Klee: Bildnerisches Denken, S. 59, 60, 461. , sagt Konrad Fiedler, 602 Klee: Unendliche Naturgeschichte, S. 63, 66. „Bedeutende Künstler“ sind immer sehr exakte Geister.“AmDenken Klees bewahrheitet sich dieser Ausspruch. Daß „ Klee in seinem Denken von Ideen Fiedlers undHenri Bergsons angeregt wurde, ist leicht nachzuweisen. Siehe Stelzer: Vorgeschichte der abstrakten Kunst, S. 201 ff. Hier auch das sichtbarzumaFiedler-Zitat S. 203. Klee, derseine Hauptaufgabe als Künstler darin sah, etwas „ , wasmansonst nicht sieht, fühlte sich, wieKandinsky auch, bestimmt vonFiedlers Satz chen“

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Wie Beuys, so kommt es auch Klee auf ein Sichtbarmachen unsichtbarer Kräftezusammenhänge an,undaufdie Kräftekonstellationen, indenen derMensch in der Welt steht. Wieso der Künstler dazu fähig ist, hat Klee wiederum mit einer das Gleichnis vomBaum“–zuerläutern versucht. Diesmal wird Naturmetapher –„ nicht die Genesis eines Kunstwerkes mitdemWachstum eines Baumes ausinnerer Notwendigkeit in Analogie gesetzt, sondern der Künstler undseine Tätigkeit wird mitdenverschiedenen Funktionen derTeile eines Baumes verglichen. Klee: „ Der Künstler hat sich mitdieser vielgestaltigen Welt befaßt, under hat sich, so wollen wires annehmen, in ihreinigermaßen zurechtgefunden; in aller Stille. Er ist so gut orientiert, daß er die Flucht der Erscheinungen und der Erfahrungen zu ordnen vermag. Diese Orientierung indenDingen derNatur unddesLebens, diese vielverästelte verzweigte Ordnung, möchte ichdemWurzelwerk desBaumes vergleichen. Vondaher strömen demKünstler die Säfte zu, umdurch ihn unddurch sein Auge hindurchzugehen. So steht er anderStelle desStammes. Bedrängt undbewegt von derMacht jenes Strömens, leitet er Erschautes ins Werk. Wie die Baumkrone sich zeitlich undräumlich nach allen Seiten hin sichtbar entfaltet, so geht es auch mit demWerk. Es wird niemand einfallen, vomBaum zuverlangen, daßer die Krone genau so bilde wie die Wurzel. Jeder wird verstehen, daßkein exaktes Spiegelverhältnis zwischen unten und oben sein kann. Es ist klar, daß die verschiedenen Funktionen in verschiedenen Elementarbereichen lebhafte Abweichungen zeitigen müssen. Aber gerade dem Künstler will man zuweilen diese schon bildnerisch notwendigen Abweichungen von den Vorbildern verwehren. Man ging sogar im Eifer so weit, ihn derOhnmacht undderabsichtlichen Fälschung zuzeihn. Under tut an der ihm zugewiesenen Stelle beim Stamme doch garnichts anderes, als aus der Tiefe Kommendes zu sammeln undweiterzuleiten. Weder dienen noch herrschen, nurvermitteln. Er nimmt also eine wahrhaft bescheidene Position ein. Und die Schönheit derKrone ist nicht er selber, sie ist nurdurch ihngegangen.“603 Der Künstler als Mittler ist der Träger jener Energie, die wie bei Beuys zwischen den Polen Geist und Materie vermittelt, und die als Kraft des Schöpferi-

603

in welches nicht mehr das angesprochen, nachdem es ein „ Reich der Sichtbarkeit“gäbe, „ Auge, sondern nurdie Sichtbares gestaltende Tätigkeit vordringen kann.“(S. 208). Auch Klees Insistieren auf der Kraft des Schöpferischen, die als Energie alle Materie durchélan vital“ , der als Lebensdringt, läßt sich in Parallele setzen zuHenri Bergsons Idee eines „ drang die schöpferische Entwicklung des Universums bestimmt. (siehe Stelzer, S. 222 ff.) Nach Bergson ist das organische Werden undGestalten der Natur nich kausal determiniert, , der als „schöpferische Grundkraft“im Ringen sondern entfaltet sich durch den „ élan vital“ mitderMaterie immer neue Gebilde hervorbringt. „Dieser dynamische Grund als ‚unaufhörliches Leben, Schöpfung, Freiheit‘ ist Gott; aber nicht der Gott der ‚statischen Religion‘ ..., sondern der Gott der Mystik. In der mystischen Erfahrung vollendet sich die Intuition, die in den‚ungeteilten Strom desBewußtseins hinabtaucht‘.“Hermann Noack: Die philosophischen Bemühungen des 20. Jahrhunderts, Darmstadt 1976, S. 89, 90. (= Noack: Philosophische Bemühungen). Dieser Hinweis aufvergleichbare Positionen inderLebensphilosophie Henri Bergsons schmälert in keiner Weise die denkerische Leistung Klees, die darin besteht, solche Reflexionen de facto auf die Dimension desBildnerischen übertragen zuhaben. , zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, S. 71, 72. Über diemoderne Kunst“ Klee: „

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schen bei Klee dieMaterie in derFormung mitIdeellem zudurchdringen weiß. Der Künstler leitet die unsichtbaren Kräfte, die von unten aus der Erde durch ihn aufsteigen unddie vonoben ausdemHimmel in ihneinströmen weiter ins Werk. Hier durchdringen sie sich mit der sichtbaren Erscheinung eines Gegenstandes (Materie) undseiner Verinnerlichung (Wesen). Die bildnerischen Resultate dieses Schöpfungsprozesses weichen vondenVorbildern dersichtbaren Natur (dem sog. Motiv) erheblich ab. In der modernen Kunst von Kandinsky bis Beuys sind diese „ Vorbilder“oftmals nicht wiederzuerkennen. Eine „ wissenschaftliche Kontrollierbarkeit aufNaturtreue“ist nicht mehrangestrebt, sondern Klee fordert fürsich das Recht aufeine Freiheit, bildnerisch „ ebenso beweglich zusein, wiediegroße Natur beweglich ist. Vom Vorbildlichen zum Urbildlichen! ... tief hinunter zum Ur604Der Künstler soll nicht „ grund.“ beim Bodengestrüpp dertäglichen Erscheinun604 Ebenda, S. 83. Siehe dazu den Aufsatz von Tilman Osterwold: Paul Klee. Vom Vorbildlichen zum Urbildlichen, in Ausstellungskatalog: Paul Klee. Vorbild-Urbild. Frühwerk-Spätwerk, 28. (= Osterwold: Vorbild-Urbild). Salzburg 1986, S. 7– Klees Ausspruch: „Kunst gibt nicht Sichtbares wider, sondern macht sichtbar“ , räumt laut Osterwald „ mitdergängigen Vorstellung [auf], Kunst habeAbbild dersichtbaren Welt zusein, ihre Qualität sei nach der Fähigkeit zur Nachahmung zu beurteilen“ . Klee sucht mit seiner Kunst „ die Tiefe desUnbekannten, Unsichtbaren, Hintergründigen imBekannten, Sichtbaren . Dieser Kleesche Impetus zeigt sich auch in seiner Begriffswelt. OsterundVordergründigen“ wald hat eine ganze Anzahl vonKlees „ Ur-Begriffen“zusammengestellt: „ Ur-, Urbewegung, Urzustand, Urzelle, Uranfang, Urgrund, Urtiefe, Urgesetz, Ursache, Ursächliches, Urvater, Urwege, Urlebendiges, Urvorgang, Ursymbolik, Urtragik, Urform, Urpunkt, Urelement, Ureigentum, urweiblich, urmännlich, Urwelt, Urweltpaar, Urtriebe, Ursprung, Ursprünglichkeit, Ur-Bild, Urbildliches, ...“ . (S. 8). Allein diese Auflistung macht deutlich, wieeng Klee die Kunst amMythos, als Sage vonden Urerlebnissen des Menschen, weiß. Klee hates ausgesprochen: „ Alle Kunst ist Erinnerung an das Uralte, Dunkle, von demFragmente im Künstler immer noch leben.“(zitiert nach Haftmann: Verfemte Kunst, S. 122). Zum„Urbildlichen“hat sich Klee einmal ausführlicher vor seinen Schülern geäußert. Siehe Selbst in abstraktesten Gebilden könnte man noch den Petitpierre: Malklasse Klees, S. 35: „ Faden zum Urbildlichen spüren. Allerdings gehört dann eine spezifische Art von Erfahrung dazu. Aber manchmal ist schon aufdenersten Blick dasUrbild desAbstrahierten zueruieren.“ DasMythische inderKunst Klees ist als „Naturmythos“zufassen, so wieereinBild von 1918 „Blumenmythos“nennt. (Sprengel Museum, Hannover, Abb. in Katalog: Klee: Wachstum regt sich, S. 12). Mythisch ist die Genesis des Werkes als bildnerischer Prozeß in Analogie zur Genesis der Natur. Der Prozeß der Naturentstehung entspricht demProzeß der Werkentste, stellte Gottfried Boehm imHinblick aufdas DieNatur ist identisch mitihrem Werden“ hung. „ natura naturata“zu einer Spätwerk Claude Monets fest. Hier ist der Übergang von einer „ „ natura naturans“vollzogen. Klees „ Satz, die Kunst gebe nicht das Sichtbare wider, ist erst sinnvoll, wennsich eine Erfahrung vonNatur als natura naturans völlig durchgesetzt hat. Nur unter diesen Bedingungen ist ein zugleich abstraktes undradikal poetisches Bildverständnis sinnvoll. Deroffene Prozeß derNatur wirdBildderNatur ohnedasSchema derLandschaft und ohne Abbildlichkeit.“Gottfried Boehm: Das neue Bild derNatur. Nach demEnde derLand110, Zitate schaftsmalerei, inManfred Smuda (Hrsg.): Landschaft, Frankfurt a.M., 1986, S. 87– S. 92, 104. (= Boehm: Bild der Natur). Siehe auch Gottfried Boehm: Mythos als bildnerischer Prozeß, in: Mythos und Moderne. Begriff undBild einer Rekonstruktion, hrsg. vonKarl Heinz Bohrer, Frankfurt a.M., 1983, S. 544. (= Boehm: Mythos). „Beuys: derSpurenleger undSpurenleser, dasMedium undder 528–

14. Wachstum regt sich –Bewegung liegt allem Werden zugrunde

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gen“ , beim Motiv hängen bleiben, denn: „Die Genesis als formale Bewegung ist das Wesentliche am Werk. Im Anfang das Motiv, Einschaltung der Energie, Sperma. Werke alsFormbildung immateriellen Sinne: urweiblich. Werke alsform605 bestimmendes Sperma: urmännlich.“ Klee benutzt das „Gleichnis vomBaum“mit seiner betonten Asymmetrie von Wurzel undKrone, umzuzeigen, „ wieso derKünstler oft zueiner solchen scheinbar willkürlichen ‚Deformation‘ der natürlichen Erscheinungsform kommt“ . Klee Realitäten“der natürlichen Erscheinungsformen „ fühlt sich an die „ nicht so sehr gebunden, weil er andiesen Form-Enden nicht dasWesen des natürlichen Schöpfungsprozesses sieht. Denn ihm liegt mehr an denformenden Kräften als an den . Je tiefer derKünstler mit „durchdringendem Blick“die Naturdinge Form-Enden“ desto mehr prägt sich ihm an der Stelle eines fertigen Naturbildes das besieht, „ allein wesentliche Bild der Schöpfung als Genesis ein. Er erlaubt sich dann auch den Gedanken, daß die Schöpfung heute kaum schon abgeschlossen sein könne, und dehnt damit jenes weltschöpferische Tun von rückwärts nach vorwärts, der Genesis Dauer verleihend“.606 Klees bildnerisches Denken und Gestalten kreist also umjene schöpferische Energie, die die Weltentstehung, das Naturwachstum unddenWerdeprozeß eines Kunstwerkes gleichermaßen ermöglicht. DerKünstler setzt mit den ihm eigenen Mitteln die Genesis fort, verleiht ihr Fortdauer, nicht Sowie ein Kind imSpiel unsnachahmt, ahmen wirim Spiel den Abschluß. Klee: „ Kräften nach, die die Welt erschufen underschaffen.“607In diesem gedanklichen Ingres soll die Kontext mußman auch Klees Tagebuchnotizen von 1914 lesen: „ Ruhe geordnet haben, ich möchte über das Pathos hinaus die Bewegung ordnen. (Die neue Romantik).“608DieBewegung, dieallem Werden zugrunde liegt, unddie einer Energie als Ursache bedarf, soll bildnerisch geordnet, daß heißt sichtbar gemacht werden.

605 606 607 608

Schamane, erneuert verdrängte Erfahrungen mit der Natur. Er erneuert sie in mythischen Bildern. ... Der freie Umgang mit dem künstlerischen Mythos, seine Anerkennung als eine genuine Erkenntnisform und als substantieller Erfahrungsgehalt, bedarf des bildnerischen Prozesses.“(S. 542, 543). Klee: Bildnerisches Denken, S. 17. , zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, S. 81, 82. Über diemoderne Kunst“ Klee: „ Klee zitiert nach Osterwald: Vorbild-Urbild, S. 11. Klee: Tagebücher, S. 363, Nr.941. Siehe dazuAndeheinz Mösser: DasProblem derBewegung bei Paul Klee, Heidelberg 1976.

200

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15. Wege desNaturstudiums – Zwiesprache mit der Natur „ IchbinNatur.“

Jackson Pollock609

DerMensch ist Schöpfung undderKünstler istSchöpfer. Deswegen bleibt fürKlee „ die Zwiesprache mit der Natur“für den Künstler conditio sine qua non. „ Der Künstler ist Mensch, selber Natur undein Stück Natur im Raume der Natur.“ 610 Auf welchen Wegen die Zwiesprache mit der Natur –das Naturstudium –des Künstlers verläuft, hat Klee sorgfältig herausgearbeitet undin einem graphischen Schema veranschaulicht. (Siehe Abb. 5). Diese Zeichnung Klees, die wir im folgenden interpretieren, verdient besondere Beachtung, weil Klee hier sowohl das bildnerische Medium derZeichnung alsauchdasgeschriebene Wort–dasBildnerische Denken –in einem Bild kombiniert unddamit auf die ursprüngliche Einheit von Theorie und Praxis hinweist. Genau in diesem Sinn hat auch Beuys sein Plastische Theorie“(siehe unten), in ZeichBildnerisches Denken, das ist seine „ nungen visualisiert.611 (Siehe Abb. 22). Im „Gleichnis vom Baum“hatte Klee festgestellt, daß dem Künstler aus der umdurch ihnunddurch sein Wurzel desBaumes dieSäfte undKräfte zuströmen, „ Erschautes . AnderStelle desStammes leitet derKünstler „ Augehindurchzugehen“ weiter insWerk“ . DasAuge, dassowohl nach innen als auch nach außen gerichtet ist, ist dasZentralorgan desKünstlers. DasAuge, dassich selbst nicht sieht –außer , das aber die Außenwelt aufnimmt und damit die Innenwelt im Spiegelbild – erschließt. DasAuge ist sich selbst unsichtbar, aber imBlick sieht es dieWelt und Bei derKunst macht sie sichtbar. In diesem Sinn schreibt Klee in sein Tagebuch: „ ist das Sehen nicht so wesentlich wie dasSichtbarmachen.“612Will sagen, das Auge des Künstlers sieht nicht mechanisch die Außenwelt wieein Fotoapparat, sondern es bringt organisch seine Innenwelt mitein, wennes dievisuellen Daten zueinem Bild formt und eine Synthese aus Innerem und Äußerem sichtbar macht. Max Dasäußere Gesicht muß Liebermann hatdies mittreffenden Worten ausgedrückt: „ zum inneren Gesicht sich verdichten: es darzustellen, ist der Lebenszweck des Künstlers. ... In der Nachahmung der äußeren Natur folge der Künstler seiner inneren Natur –wasLessing wunderbar in die Worte kleidet: ‚Der Künstler wird der Natur am nächsten kommen, der sich am meisten von der Kopie der Natur entfernt‘. 613Das sture Hinsehen auf die Natur führt nicht zur Kunst, das innere “ Auge undder glückliche „Augenblick“mußhinzukommen, damit ein Werk ge-

Maurice Tuchman: DasGeistige in derKunst. Abstrakte Malerei 1890– 1985, Stuttgart 1988, S. 292. 610 Klee: Wege desNaturstudiums, zitiert nachKlee: Kunst-Lehre, S. 67. 611 Siehe Harlan: Soziale Plastik, S. 58: Eine Photographie zeigt Beuys miteinem Stück Kreide voreiner Schultafel beiderArbeit, wieerredend, gestikulierend, schreibend undzeichnend in

609 Pollock zitiert nach:

erläutert. Plastische Theorie“ einem Bild seine „ 612 Klee: Tagebücher, S. 471, Nr. 1134. 613 Akademierede 1931, inLiebermann: Schriften, S. 263.

15. Wege desNaturstudiums –Zwiesprache mitderNatur

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lingt. Das „Auge“ist also unverzichtbar. Liebermann: „ Wie die Kunst nurausder sinnlichen Anschauung entsteht, sosollen wirsie auchgenießen: durch dasAugein denSinn! Das Auge ist dasOrgan, womit Goethe, wieer sagt, die Welt erfaßte.“614 DasAuge ist kreisrund undkonsequenterweise wählt Klee als Grundform für sein kosmologisches Schema zuden„Wegen desNaturstudiums“einen Kreis, der gleichzeitig Symbol des Erdballs unddes Weltalls ist. (Siehe Abb. 5). Offensichtlich spielt Klee mit seiner graphischen Darstellung auf das philosophische Makrokosmos/Mikrokosmos-Modell an. Der Makrokosmos ist der allen Lebewesen gemeinsame Bereich der physikalischen Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit, von dem wirnurdurch dieErscheinungen derGegenstände, diealsReize aufunsere Sinnesorgane treffen, Kunde erhalten. DerMensch alsMikrokosmos ist Teil desUniversumsals Makrokosmos. Als eine Welt im Kleinen ist derMensch Abbild der Welt im Großen. Der Mensch ist Sinnmittelpunkt –„Centrum“(Klee) –der Welt als Schöpfung im Sinne von Kosmos, d.h. Welt als eine geordnete Einheit gedacht. Zwischen Mikrokosmos undMakrokosmos, zwischen Teil undUniversum besteht in den grundlegenden Strukturen eine solche Ähnlichkeit, daß Analogieschlüsse vomTeil auf das Ganze undumgekehrt möglich sind, so daß sich die Menschen untereinander über die Gegenstände (Teile) derWelt verständigen können.615 Wie gestaltet nunKlee solcherart angenommene Analogie zwischen Teil und Ganzem, zwischen dem Auge des Künstlers und dem Gegenstand der Natur, zwischen Subjekt und Objekt? Der große Kreis, in den Klee links oben „Welt“ , Makrokosmos“ schreibt, undderdenUmriß derZeichnung bildet, bezeichnet den„ als das Gesamte der Bezüge, in denen der Mensch auf der Erde undin der Welt Bezugsganze des Daseinsentwurfs“ . steht. „ Welt“ist also wie bei Heidegger das „ Welt ist nicht die Summe dervorhandenen Dinge, sie „ ist nie ein Gegenstand, der vorunssteht undangeschaut werden kann. Welt ist dasimmer Ungegenständliche, demwir unterstehen, solange die Bahnen von Geburt undTod, Segen undFluch 616 unsin dasSein entrückt halten.“ Demgroßen Kreis der „Welt“setzt Klee unten undmittig einen kleinen Kreis . Der Erdball, auf demwir leben, ruht auf dem ein undbeschriftet ihn mit „Erde“ Weltkreis auf und gleichzeitig kann er, wie eine Kugel im Kugellager, an der Innenseite der Peripherie des Kreises wie auf einer Umlaufbahn rotieren. Bewegung liegt also nicht nurallem Werden zugrunde, wieKlee sagt, sondern: „Auchim Weltall ist Bewegung das Gegebene. Ruhe auf Erden ist zufällige Hemmung der Materie. Dies Haften fürprimär zunehmen eine Täuschung.“617 Klee zentriert die „Erde“durch einen schwarzen Punkt, über dener „Centrum“ schreibt. DerPunkt steht fürdenMikrokosmos unddasist derMensch als SinnmitCentrum“markiert denFußpunkt einer stehentelpunkt des ganzen Kosmos. Das„

614 Ebenda, S. 266. 615 Siehe dasStichwort „Mikrokosmos“in: Philosophisches Wörterbuch, S. 443 f. Und: „Makrokosmos/Mikrokosmos“in: Historisches Wörterbuch derPhilosophie, hrsg. vonJoachim Ritter, Bd. 5, S. 640 ff. (= Historisches Wörterbuch der Philosophie). 616 Heidegger: Kunstwerk, S. 45 undGadamers Einführung, S. 108.

, zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, S. 63. 617 „Schöpferische Konfession“

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denEllipse, die Klee demWeltkreis soeinfügt, daßsie oben dieKreislinie tangiert undunten dergestalt dieErdkugel überschneidet, daßsie deren Äquator bildet. Auf derÄquatorlinie wirddurch dendicken, nach oben gerichteten schwarzen Pfeil die Bewegungsrichtung des „ Centrums“angegeben. Der Punkt wird Linie undBewegung. Klee: „ Über den toten Punkt hinweggesetzt sei die erste bewegliche Tat (Linie). Nach kurzer Zeit Halt, Atem zu holen.“ 618Seine Rast findet der auf der Linie der Ellipse in Bewegung gesetzte Punkt als Pupille des „Auges“ , das Klee stellvertretend für denKünstler einsetzt. Hier mußmanunweigerlich anCézannes berühmten Ausspruch denken, „ ... Monet sei nur ein Auge, aber was für ein .619 Auge“

DerKünstler wirdmitdemAuge identifiziert, weil dasAuge dasOrgan ist, mit demder Künstler die Welt im kosmischen Sinne erfaßt undnicht nurdie irdische Natur als sichtbare Außenwelt. In einer überarbeiteten Tagebuchnotiz von 1916, in der Klee seinen eigenen künstlerischen Standpunkt gegenüber demjenigen von Franz Marc vertritt, hat er seine Präferenz des „ Weltgedankens“mit Nachdruck Ich suche einen entlegenen schöpfungsursprünglichen Punkt, woich eine betont: „ Art Formel ahne für Mensch, Tier, Pflanze, Erde, Feuer, Wasser, Luft undalle kreisenden Kräfte zugleich. Der Erdgedanke tritt vor dem Weltgedanken zurück. Die Linie ist fern undreligiös. ... Der Mensch meines Werkes ist nicht Spezies, sondern kosmischer Punkt. Mein irdisch Auge ist zu weitsichtig und sieht meist durch die schönsten Dinge hindurch. (‚Er sieht ja die schönsten Dinge nicht‘, heißt es dann oft von mir.)“620„Kunst ist ein Schöpfungsgleichnis. Gott gab sich auch 621 nicht mit denzufällig gegenwärtigen Stadien besonders ab.“ Diese Reflexionen Klees, die er mehrfach variiert ausgesprochen hat, gehen Schema“ein. Hier ist der Künstler als kosmibildnerisch undschriftlich in sein „ scher Punkt imAugedesWeltalls zentriert. (Siehe Abb. 5). Klee stellt denKünstler alsTeil derErde undals Teil derWelt dar. AusderErdkreislinie heraus entwickelt sich nach links oben eine Linie, die, nachdem sie eine Form umschlossen hat, wieder in die Konturlinie der „ Erde“einmündet. Diese Form ist eine Durchdringung von Dreieck und Kreis und erinnert an eine umgekehrte Tropfen- oder Fischblasenform. Klee läßt sie organisch aus der Erde erwachsen under gibt ihr Substanz, indem er amKontur entlang strichelt. In dashalbkreisförmige Haupt der , dener ganz fein punktet und Form setzt Klee konzentrisch denKreis des„Auges“ 618 Ebenda, S. 61. 619 Zitiert nach Boehm: Bild der Natur, S. 90. Vgl. Doran: Gespräche mit Cézanne, S. 151: Aber Monet ist ein Auge, daswunderbarste Auge, seit es Maler gibt.“ Cézanne zuGasquet: „ Laut Boehm sieht Monet in der Natur „nicht nur das Faktische, sondern das Wirkende: das Licht, seine Dichte undTransparenz, in demsich die Dinge lösen, die Farbe ohne Formwert, die vielfach überlagert –die Erscheinung derNatur bewerkstelligt. Die Natur wird zu einem Ereignis desAuges. Das Sehen, seine Reflexion, der vonihmvollzogene Prozeß werden zum Drehpunkt der Malerei.“(S. 90). 620 „ Der eigene Standpunkt“ , zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, S. 59, 60. 621 Klee: Tagebücher, S. 518. Für Otto Zoff hat Klee 1919 seine Tagebuchnotiz von 1916 (Nr. 402) komprimiert und pointiert. Das letzte Zitat hat er abschließend 1007 und 1008, S. 400– hinzugefügt.

15. Wege desNaturstudiums –Zwiesprache mitderNatur

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mitdemschwarzen Punkt derPupille zentriert. In denKreis schreibt Klee „Auge“ , Ich“ unddarunter in Klammern undin kleinerer Schrift „ darunter „ Künstler“ . So konsequent, wie Klee in Polaritäten denkt, entspricht demIch des Künstlers Du“ eines „ Gegenstands“ das „ , erfordert dasSubjekt ein gegenüberstehendes Objekt. Die Form des „Gegenstand-Du“bildet Klee fast genauso wie diejenige des Künstlers; auch sie entwächst organisch der Erde, aber sie ist etwas magerer und unregelmäßiger unddamit ist das„ nicht symmetrisch zum„ Du“ Ich“ . Künstler und Gegenstand sind sich eben nurähnlich, sie sind nicht identisch. In diesem sichtbaren Sachverhalt wird deutlich, wie präzise Klees bildnerisches Denken sich gestaltet.

Drei dicke schwarze Pfeile weisen aufdasAuge desKünstlers. DerMensch ist kosmischer Punkt, der Künstler ist Mittelpunkt der Welt, denn in seinem Auge laufen alle Erkenntniswege zusammen. Dergeläufige Erkenntnisweg desNaturstuderalltäglichen Wahrnehmung. Klee kennoptisch-physische Weg“ diums ist der„ zeichnet ihn durch den waagerechten Pfeil, der gleichsam als optischer Reiz aus demInnern des„Gegenstandes“undvonseiner „Erscheinung“abgeschossen wird. Umdies zu verbildlichen, bedient sich Klee eines doppelsinnigen Bogens, dener vor den „Gegenstand“zeichnet. Er fungiert zumeinen als „Bogen“ , der denPfeil abschießt undzumanderen als Schutzschild vor demBlick des Auges, das an der Erscheinung“des Gegenstandes hängenbleibt. Klee bezieht sich damit äußeren „ , die herausarbeitet, daßwirnicht das„Ding auf Kants „Kritik derreinen Vernunft“ , wiees unabhängig voneinem erkennenden Subjekt fürsich selbst besteht, ansich“ . Dieempirischen GegenstänErscheinungen“ erkennen können, sondern nurseine „ de, die unsbegegnen, sind nurErscheinungen eines „wahren“Seins, dasverborgen zugrunde liegt. Wirkönnen ein Objekt als Gegenstand unserer Wahrnehmung nur so erkennen, wie er unsim Raum undZeit erscheint. Die Korrelation vonSubjekt und Objekt ist nicht zu durchbrechen. So zeichnet Klee vor die geschwungenen Bogenenden zwei kleine Pfeile Richtung Auge, schreibt „Erscheinung“davor und läßt diese obenundunten in zwei Geraden indasAuge desKünstlers münden. Aber Klee will sich nicht mit der äußeren Erscheinung eines Gegenstandes begnügen, wiees vordergründig gesehen die traditionelle Malerei getan hat. Deren Naturstupeinlich differenzierten dium ist für Klee dadurch gekennzeichnet, daßes in einer „ IchundDu,derKünstler undsein GegenErforschung derErscheinung“bestand. „ stand suchten Beziehungen aufdemoptisch-physischen Wegdurch dieLuftschicht, welche zwischen Ich undDuliegt. Aufdiesem Wegwurden ausgezeichnete Bilder dervonderLuft gefilterten Oberfläche desGegenstandes gewonnen unddamit die Kunst des optischen Sehens ausgebaut, gegenüber welcher die Kunst desBetrachtens unddes Sichtbarmachens unoptischer Eindrücke undVorstellungen vernachErforschung lässigt zurückblieb.“622Klee unterschätzt dieErrungenschaften dieser „ der Erscheinung“der traditionellen Malerei aber keineswegs, sondern er will sie entspreche nicht mehrdemgegenwärtigen , denndieser eine „Weg“ nur„erweitern“ . Genau diesen Standpunkt einer „Erweiterung“derFunktion der ganzen Bedarf“ „ Kunst des Sichtbarmachens haben auch Kandinsky und Beuys mit Vehemenz 622 Klee: Wege desNaturstudiums, zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, S. 67.

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vertreten. Klee: „ Der heutige Künstler ist mehr als verfeinerte Kamera, er ist komplizierter, reicher undräumlicher. Er ist Geschöpf aufderErde, undGeschöpf innerhalb des Ganzen, das heißt Geschöpf auf einem Stern unter Sternen.“Der Mensch ist Teil einer kosmischen Ganzheit, so wie Klee es in seinem „ Schema“ (Siehe Abb. 5) darstellt, der„Gegenstand“desKünstlers also auch. Daher ist es für Klee notwendig, „ daßinderAuffassung desnatürlichen Gegenstandes eine Totalisierung eintritt, sei dieser Gegenstand Pflanze, Tier oder Mensch, sei es im Raum des Hauses, der Landschaft oder im Raum der Welt undso, daß zunächst eine räumlichere Auffassung desGegenstandes ansich einsetzt. Der Gegenstand erweitert sich über seine Erscheinung hinaus durch unser Wissen umsein Inneres. Durch das Wissen, daß das Ding mehr ist, als seine Außenseite zuerkennen gibt.“623Um dies anschaulich zumachen, schreibt Klee indieGegenstandsform seines Schemas „ sichtbare Verinnerlichung“hinein. DerMensch seziert dieDinge, sei es miteinem scharfen Messer oder einem Mikroskop und schaut in sie hinein. Ihr Inneres veranschaulicht er an Schnittflächen, z.B. einer durchgeschnittenen Zwiebel oder Das ist die sichtbare Verinnerlichung, eines durchgesägten Baumstammes. Klee: „ teils durch das Mittel deseinfach scharfen Messers, teils mit Hilfe feinerer Instrumente, welche die materielle Struktur oder materielle Funktion klar vor Augen zu bringen vermögen. Die so gemachten Erfahrungen befähigen in ihrer Summe das IchzuSchlüssen vonderoptischen Außenseite aufdasgegenständliche Innere, und zwar intuitiv, indem schon aufdemoptisch-physischen Wege derErscheinung das Ich zu gefühlsmäßigen Schlüssen angereizt wird, die, je nach dereingeschlagenen Richtung, mehr oder weniger vielverzweigt denErscheinungseindruck zufunktioneller Verinnerlichung steigern können.“Früher sei der Künstler in seiner Vorge, d.h. zergliedernd gewesen, jetzt sei er „mehrphysiohensweise eher „ anatomisch“ logisch“ , d.h. auf die Lebensvorgänge undZusammenhänge im Organismus hin orientiert. Von der Analyse zur Synthese, vonderZergliederung in Einzelteile zu einer Verknüpfung derTeile zueiner Ganzheit. Umzueiner kosmischen Ganzheit zugelangen, mußder Künstler bei seinem Naturstudium noch andere Wege gehen , der zu einer „verinnerlichenden Anschauals nur den „optisch-physischen Weg“ , die sie die „nicht optischen Wege“ nennt Klee führt. ung des Gegenstandes“ bilden. Diese nicht optischen, metaphysizusammen den „ metaphysischen Weg“ zueiner Vermenschlichung desGegenstandes ..., die schen Wege führen laut Klee „ das Ich zum Gegenstand in ein über die optischen Grundlagen hinausgehendes Resonanzverhältnis bringen.“624 Klee bezieht sich hier auf die auch von Kandinsky geteilte Auffassung, daß jeder Gegenstand einen „inneren Klang“hat, der„ vomäußeren Sinn unabhängig“ Die Welt klingt. Sie ist ein Kosmos dergeistig wirkenden Wesen. So ist die tote ist. „ 625Eine vergleichbare Position vertritt auch Beuys, der Materie lebender Geist.“ 1968 auf einer Holzplatte ein Telefon installiert, dessen Kabelschnur in einen

623 Ebenda, S. 67, 68. 624 Ebenda, S. 68. , 1912, zitiert nachKandinsky: Essays, S. 39, 40. 625 „Über dieFormfrage“

15. Wege desNaturstudiums –Zwiesprache mitderNatur

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Lehmklumpen mit Gras führt. Diese Skulptur, die Beuys „ Erdtelefon“626 nennt, will auf die „Geistigkeit von Materie“627hinweisen unddarauf aufmerksam machen, daßderMensch mitdenNaturreichen unter undüber sich „sprechen“kann, daßer mitErde undHimmel, mitTieren undEngeln ineinen Dialog kommen kann. Für Beuys war es „ das Allerwichtigste“ , daß sich der kreative Mensch „ in der Klangwelt bewegt“ , daßer „ausderWelt desKlanges etwas herunterholen möchte unddenMenschen vermitteln möchte“.628 Damit der Künstler mit seinem Gegenstand, damit „ Ich“und „ Du“in ein Resonanzverhältnis treten können, dafür werden von Klee zwei mögliche Wege Erstens der nicht optische Weggemeinsamer irdischer Verwurzelung, angezeigt: „ der dem Ich von unten ins Auge steigt, und zweitens der nicht optische Weg kosmischer Gemeinsamkeit, der von oben einfällt. Metaphysische Wege in ihrer Vereinigung.“In seinem Schaubild (Siehe Abb. 5) zeigt Klee die Vereinigung dieser Wege durch dieEllipse, deren Linie durch die„ , den„Gegenstand“und Erde“ die Pupille des „Auges“hindurch läuft und die Mensch und Natur ursächlich miteinander verbindet und im Welt-Kosmos einbettet. Mit einer geschweiften Klammer faßt Klee graphisch die beiden nicht optischen Wege links vom Auge

gemeinsamer irdischer Verwurzelung“steigt von unten, zusammen. Der Weg „ kosmischer markiert durch einen dicken schwarzen Pfeil, ins Auge auf. DerWeg „ Gemeinsamkeit“fällt von oben, gleichfalls markiert durch einen dicken Pfeil, ins Auge ein. Unten aufderErde, woalles demGesetz derSchwerkraft gehorcht, trägt Klee das Gebiet der „Statik“ein. Hier ist der Idealzustand, ruhend im Gleichge„ynamik“ein, wo , trägt Klee das Gebiet der D wicht zu sein. Oben, im „ Himmel“ Auf demunteren, im ErdzenTriebkraft undBewegtheit schlechthin herrschen. „ trum gravitierenden Wegliegen die Probleme desstatischen Gleichgewichtes, die mitdenWorten: ‚Stehen trotz allen Möglichkeiten zufallen‘zukennzeichnen sind. Zu denoberen Wegen führt die Sehnsucht, vonder irdischen Gebundenheit sich zu lösen, über Schwimmen undFliegen zumfreien Schwung, zurfreien Beweglich629

keit.“

626 627 628 629

Siehe Abb. in Katalog: Beuys. Skulpturen undObjekte, S. 197. Beuys: Multiplizierte Kunst, o.S. Beuys: Gespräche, S. 140, 135. , zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, S. 68, 69. Wege des Naturstudiums“ „

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16. VomChaos zumKosmos – vomGraupunkt zumKanon der farbigen Totalität NurausdemChaos kannetwas kommen. Aberdasisteinpositiver Begriff vonChaos ... „ Es mußsich ausdiesem Energetischen etwas inBewegung setzen unddannzueiner Form kommen ... Das ist Kreativität.“

Joseph Beuys630

DenPolaritäten „Statik undDynamik“kommt in Klees bildnerischem Denken eine gewichtige Bedeutung zu. In seinen Vorlesungen vomFebruar bis Juli 1924 hat Klee sich speziell mitderLehre vomGleichgewicht undderBewegung derbildnerischen Elemente befaßt. In den noch nicht veröffentlichten Texten des schriftlichen Nachlasses zudiesen Vorlesungen nennt Klee die Lehre vonderBewegungsgestaltung „ Bildnerische Mechanik undStillehre“.631Wie Klee es in seinem Schema zu „Wege des Naturstudiums“(Siehe Abb. 5) dargestellt hat, ist der irdischkosmische Zusammenhang, das Verhältnis von Erde undWelt, Mensch undKosmos bestimmt durch die Pole „Statik“und„Dynamik“ . Die gegensätzlichen Begriffe oder Begriffspaare „Chaos-Kosmos“und„Dynamik-Statik“sind „wichtige Ka, denn ‚„Wachstum‘ vollzieht sich im tegorien der Kleeschen Naturauffassung“ , wieDittmann feststellte.632 Chaos Spannungsfeld dieser Dimensionen vonNatur“ als Unordnung undKosmos als Ordnung sind für Klee eng mit demBegriffspaar Statik und Dynamik verknüpft. Damit aus dem Chaos die Welt entstehen kann, Unendliche NaturgeDynamik“als einer zeugenden Urkraft. Die „ bedarf es der „ .633 Für Klee ist das schichte“basiert auf dem „ Wirken der lebendigen Kräfte“ „Chaos ein ungeordneter Zustand der Dinge, ein Durcheinander. ‚Weltschöpferisch‘ (kosmogenetisch) ein mythischer Urzustand der Welt, aus dem sich erst allmählich oder plötzlich, aus sich selbst oder durch die Tat eines Schöpfers, der geordnete Kosmos bildet.“634Im Urzustand des Chaos herrscht „ Gravitationslosigkeit“ . Klee fragt: „ ImAnfang waswar? Es bewegten sich dieDinge sozusagen frei, weder in krummer noch in gerader Richtung. Sie sind urbeweglich zudenken, sie gehn wohin sie gehn, umzugehn, ohne Ziel, ohne Willen, ohne Gehorsam, nurals Selbstverständlichkeit, sich zu bewegen, als urbeweglicher ‚Zustand‘. Es ist zunächst nurein Prinzip: Sich zubewegen, also kein Bewegungsgesetz, kein besonderer Wille, nichts Spezielles, nichts Geordnetes. Chaos und Anarchie, trübes Wallen. Ungreifbares. ... Nurein etwas: Die Beweglichkeit als Vorbedingung zur Veränderung ausdiesem Urzustand. Obes so war, ist nicht erwiesen, ist hoffentlich

630 Beuys in: Harlan: Soziale Plastik, S. 22. , dieengmitder„Stillehre“ 631 Die „Bildnerische Mechanik“als Lehre von„Statik undDynamik“ verknüpft ist, „ warvonKlee zurVeröffentlichung inderReihe derBauhausbücher vorgesehen undwurde 1925 vomBauhausverlag mehrfach angekündigt.“S iehe die Einführung vonJürg Spiller zuKlee: Unendliche Naturgeschichte, S. 23, 24. 632 Lorenz Dittmann: ‚Wachstum‘imDenken undSchaffen Paul Klees, in Katalog: Klee. Wachstumregt sich, S. 39 ff. 633 Klee: Bildnerisches Denken, S. 3. 634 Ebenda, S. 9.

16. VomChaos zumKosmos –vomGraupunkt zumKanon derfarbigen Totalität

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wahr, ist jedenfalls denkbar und denkbar ist Tatsache und ist brauchbar.“Klee braucht das„ Chaos“als gegensätzlichen Begriff zum„ Kosmos“ .„ Es ist außerdem brauchbar, weil als Gegensatz gestaltbar.“ 635Klee hat die Unordnung als chaotisches Urknäuel unddie Ordnung als kosmisch gewickelte Kreise (Spirale) graphisch dargestellt (Siehe Abb. 17)636 unddamit die bildnerische Brauchbarkeit und Notwendigkeit dieses fundamentalen Gegensatzes klar herausgestellt. „ Also ist es doch dasChaos, nicht dasunbegreifliche Chaos, sondern dasChaos als Begriff, als Logos. Damit ist gesagt, daß das Chaos als Begriff nicht für sich allein besteht, sowenig als Kosmos getrennt vonChaos begriffen werden kann. Sondern sie sind beide als Begriffspaar wechselseitig vorhanden.“ Für Klee herrscht also amAnfang eine chaotische Urbeweglichkeit. Aber was geschah dann? fragt Klee und antwortet: „ Gravitation (Schwerkraft)“ . „Dinge, wahrscheinlich gasförmige Verdichtungen, verdichteten sich als Ansammlung und Näherung ihrer kleinen Teile. Einige Teilchen zogen sich an und bildeten als Gruppe einen Herdzuweiterer Anziehung. Angezogen bildeten sie eine Herrschaft fürsich undgegenüber anderen Teilen, dieindenAnziehungsbereich gelangten. ... Von einem Hauptkern aus (einem Zentrum) regelte sich diese gestufte Machtausübung durch Anziehung, wobei der Kern das Ganze beherrschte.“637„ Aus der Art derGruppierung umdenKern herum entstehen dieLagen. DieArtderGruppierung (näher oder ferner am Kern) hängt ab von der Intensität des Angezogenwerdens oder des Dranges nach einer Richtung. Wir nennen das ‚Schwere‘‚also hängt die Art der Verdichtung um einen Kern von der Schwere ab. Je schwerer, desto 638 williger, zumKern zugelangen.“ Wege desNaturstudiums“ Konsequenterweise hatKlee in seinem Schema zu„ (Siehe Abb. 5) aufderErde miteinem „Punkt“ ein„Centrum“markiert, dasaufden „ Hauptkern“derErde alsGravitationszentrum hinweist. Klees Kosmogonie thematisiert also die Spannung von Statik undDynamik, von Gravitation undGravitationslosigkeit als irdisch-kosmische Spannung. Die „Unendliche Naturgeschichte“ ist ein „Kreislauf, wodie Bewegung Norm ist unddie Frage nach seinem Anfang infolgedessen dahinfällt“ . Daher sagt Klee, wardasChaos alsAnfang vielleicht nur „ eine Pause im Geschehen, eine Zäsur im Kosmischen, das zwar weder Anfang noch Ende hat, aber Pausen, Zäsuren, Lockerungen“.639 Das „eigentliche Chaos“ kannnicht bestimmt werden. „ Es kannNichts sein oderschlummerndes Etwas, Tod oder Geburt, je nach demVorwalten vonWillen oder vonWillenlosigkeit, Wollen oderNichtwollen.“Der„Graupunkt“istdasbildnerische Symbol fürdiesen „Unbe. Der griff“ . Der „Graupunkt“ist der„Schicksalspunkt fürWerden undVergehen“ Punkt ist grau, weil er weder oben noch unten, weder weiß noch schwarz, weder heiß noch kalt ist. Er ist „undimensionaler Punkt, als Punkt zwischen denDimen-

635 Klee: Unendliche Naturgeschichte. Einführung, S. 13, 15. 636 Klee: Bildnerisches Denken, S. 2. 637 Klee: Unendliche Naturgeschichte. Einführung, S. 15, 17. 638 Klee, zitiert nachdemAusstellungskatalog: Klee. ‚Kunst isteinSchöpfungsgleichnis‘, Galerie Beyeler Basel, 1973, o.S. Siehe darin Reinhold Hohl: DasWerkPaul Klees –eine bildnerische Kosmogonie, o.S. 639 Klee: Unendliche Naturgeschichte. Einführung, S. 17, 15.

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Teil II

. Jetzt ist für Klee der „kosmogenetische Moment“da. „ sionen“ Die Feststellung eines Punktes im Chaos, der, prinzipiell konzentriert, nurgrau sein kann, verleiht diesem Punkte konzentrischen Urcharakter. Von ihm strahlt die somit erweckte Ordnung nach allen Dimensionen aus. Die Erhebung eines Punktes zu zentraler Geltung bedeutet den kosmogenetischen Moment. Diesem Vorgang entspricht die 640 Idee allen Anfanges (z.B. die Zeugung) oder besser derBegriff Ei.“ Daß Klee demkosmogenetischen „Schicksalspunkt“die Farbe Grau zuschreibt, resultiert natürlich aus seiner Erfahrung als Maler, denn im Grau ist potentiell alle Farbigkeit enthalten undverschwindet aber auchjede Farbigkeit. Schon Delacroix, aufdessen Farbenlehre Klee sich ausdrücklich bezieht, hatineinem schematischen Dreieck die drei Primärfarben Rot, Gelb und Blau und die drei Sekundärfarben Grün, Violett undOrange so angeordnet, daßdie Komplementärfarbenpaare, deren faktische undoptische Mischung jeweils Grau ergibt, sich in diagonaler Spannung gegenüber liegen. DasZentrum desBuntfarben-Dreiecks bildet also einals Grauzu denkendes kleineres Dreieck.641 Badt, derselbst gemalt hat, kommt Klee ganz nah, wenner feststellt: „ AmEnde derFarbigkeit steht dasGrau–dieletzte Einfachheit. ... Grau ist ein Orgelpunkt, vondemalles Farbige sich abhebt –als Urgrund, aus dem alle gegensätzliche Farbigkeit entspringt. Das Grau ist das Geheimnis der Malerei, weil es alle Gegensätze vonRotundGrün, Blau, Gelb, Schwarz undWeiß 642 in sich trägt.“

Klee wählt aus innerer Notwendigkeit den „Graupunkt als totales Zentrum“ der Farbenkugel.643 (Siehe Abb. 10, 11) Der Graupunkt ist das Zentrum des , nimmt man den spektralen Farbkreis „als waagerechte spektralen Farbkreises“ „ Schnittscheibe durch den Äquator der Farbkugel“undgleichzeitig bildet der GrauOrdnungssymbol“ punkt die Mitte zwischen denPolen Schwarz undWeiß.644 Das„ . vom „Wesen der reinen Farbe“ist für Klee die „durchkonstruierte Kreisfläche“ Diese Form ist fähig, „über die gegenseitigen Beziehungen der Farben Wesentliches auszusagen. Sein klares Zentrum, dieEinteilungsfähigkeit seiner Peripherie in sechs Radienlängen, das Bild der drei durch diese sechs Schnittpunkte gelegten Durchmesser: damit sind die besonderen Örtlichkeiten auf dem Schauplatz der farbigen Beziehungen gegeben. Diese Beziehungen sind erstens diametrale, undso wiees hier drei Diameter gibt, sindauchandiametralen Beziehungen hauptsächlich 640 Klee: Bildnerisches Denken, S. 3, 4.

. DieFarbenlehre“ 641 Siehe KurtBadt: Eugène Delacroix. Werke undIdeale, Köln 1965, S. 46 ff: „ Eine umgezeichnete Abbildung des Farbendreiecks Delacroix’ bildet Thomas Lersch ab: Reallexikon zurdeutschen Kunstgeschichte, Lieferung 74/75, München 1974, Stichwort: Farbenlehre, Sp. 157 ff, Sp. 252. 27, Zitat auf 642 Kurt Badt: Einfachheit inderMalerei, in Badt: Kunsttheoretische Versuche, S. 9– 1930! S. 13. Badts Aufsatz entstand indenJahren 1925– 643 Klee: Bildnerisches Denken, S. 500, 508, mitAbbildungen. 644 Ebenda, S. 470, mitAbbildungen. Klee betont, daßer sich bei seiner „Ordnung aufdemGebiet Umeinige der Farben“auf die „Gedanken vonLeuten vomFach undvonanderen“stützt. „ wenige Namen herauszugreifen, nenne ichGoethe, Philipp Otto Runge, dessen Farbkugel 1810 (S. 467) Siehe dazu publiziert wurde, Delacroix undKandinsky ‚DasGeistige in derKunst‘.“ auch die Anmerkung Spillers S. 521, 522.

16. VomChaos zumKosmos –vomGraupunkt zumKanon derfarbigen Totalität

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drei zu erwähnen, welche heißen: Rot/Grün, Gelb/Violett undBlau/Orange (oder

die wichtigsten komplementären Farbpaare). Der Peripherie entlang wechselt je

eine Haupt- undPrimärfarbe miteiner derwichtigsten Misch- oder Sekundärfarben ab,wobei diese Mischfarben (drei anderZahl) zwischen ihre zugehörigen Komponenten oder Hauptfarben zuliegen kommen: Grünzwischen Gelb undBlau, Violett zwischen RotundBlau undOrange zwischen Gelb undRot. DiemitDurchmessern verbundenen komplementären Paare zerstören sich farbig, wenn sie sich nach der diametralen Richtung zuGrau mischen. Daßdasfüralle drei gilt, besagt derallen drei Durchmessern gemeinsame Schnittpunkt und Halbierungspunkt, das graue Zentrum des Farbkreises.“645 Klees Interesse gilt besonders denBewegungsvorgängen aufderFarbkreisfläche. Hier gibt es die diametralen undperipheralen Farbbewegungen. Klee hatsich

in seinen Übungen undin seinen Bildern intensiv mit solchen „Farbgängen“beschäftigt.646 Also auch auf demGebiet derFarbe, die als bildnerisches Mittel über die größte Gestaltungspotenz verfügt, ist Bewegung (Dynamik) die Norm. Klee Kanon derfarbigen Totalität“(Siehe Abb. 14), derausderperipheraspricht vom„ len Bewegung der drei Grundfarben entsteht. Rot, Gelb und Blau bilden eine . „Kanonartig setzen dieStimmen untereinander ein. Bei dreistimmige Bewegung“ „ jedem derdrei Hauptpunkte kulminiert eine Stimme, setzt eine andere Stimme leise ein undverklingt eine dritte Stimme.“647Klee bleibt aber nicht bei denBewegungenderFarben aufderKreisfläche stehen, sondern strebt auchbei derOrdnung der Farben eine „ Räumliche“überzugehen. Totalisierung“an unddas bedeutet, ins „ „ Die letzte Kraft bringt eine räumliche Synthese, die die stärksten Punkte, die Totalitätspunkte Weiß, Blau, Rot, Gelb, Schwarz erreicht, als des Gebietes der dieTopographie derFarben insRäumliche“ , reinen Farbordnung.“Klee erweitert „ indem er denSpektralfarbkreis als Äquatorschnittfläche derkosmischen Farbkugel desHelldunkels, zwischen Licht undFinsternis, unheimichen Pole“ zwischen die „ Weiß oben undSchwarz unten, einspannt. Dadurch werden diemöglichen FarbbeBewegung derBuntfarben polare“ wegungen umeine dritte erweitert, nämlich die„ Das räumliche Gleichgewicht ist sinn- und zu den Polen Schwarz und Weiß. „ kraftvolle Stellungnahme auf dem totalen Gebiet der farbigen und helldunklen Mittel. Die Komplementärfarben bewegen sich umdie Hauptpunkte Weiß, Blau, Rot, Gelb undSchwarz undbewegen sich auf sämtlichen drei räumlichen Dimensionen, während flächiges Gleichgewicht sich aufeine sinnvolle Stellungnahme auf der spektralen Ebene beschränkt.“648

645 646 647 648

, zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, „ Überdie moderne Kunst“ Siehe Klee: Bildnerisches Denken, S. 572 ff. Ebenda, S. 489, 494. Ebenda, S. 508.

s. 76, 77.

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Teil II

17. Licht undFinsternis als Pole der natürlichen undkünstlichen Ordnung –Der Künstler ahmt im Spiel den Kräften nach, diedieWelt erschaffen „ Zwischen den Polaritäten Licht und Finsternis spielt sich ja die ganze Farbigkeit ab. Ohnedieabsolute Polarität gäbees dieFarbigkeit nicht oderwieGoethe sagte: ‚dieFarben sinddieLeidenswege desLichtes‘.“ Joseph Beuys649

Unendliche Bewegung undGleichgewicht“ „ , Statik undDynamik, bestimmen die Ordnung der Farben bei Klee.650 Die Analogien, die zwischen der Farbkugel und der Erdkugel mit dem gemeinsamen kosmogenetischen „Graupunkt“und dem kosmologischen Schema Klees zu „ Wege des Naturstudiums“(Siehe Abb. 5) bestehen, sindkeinZufall, sondern sie sindeinBeleg dafür, mitwelcher stringenten Kohärenz Klee sein Gedankengebäude (sein „ Bildnerisches Denken“ ) errichtet. Alles ist miteinander verzahnt. Indem Klee die Buntfarben zudenPolen Licht und Finsternis in derräumlichen Synthese derKugel in Spannung setzt, verbildlicht er den kosmischen Gesamtzusammenhang. Bei Goethe heißt es: „ Die Farben sind 651Sine sole nihil, ohne Licht herrscht die Taten des Lichts, Taten undLeiden.“ , dieandenEnden der Finsternis. Daher spricht Klee vonden„ unheimlichen Polen“ Jede lebenskräftige Auseinandersetzung Helldunkelskalen zu liegen kommen.652 „ aufdemhelldunklen Gebiet ist in irgendeiner Weise andiebeiden gegensätzlichen Pole Schwarz undWeiß gebunden. Sie geben demSpiele der Kräfte der schwarzweißen Stufenleiter die Spannung, auch wenn sie sich direkt nicht daran beteiligen undnurausfernem Reservoir denihnen verwandten Abteilungen energische Kräfte 653(Siehe Abb. 9) zuleiten.“ , das sowohl der Kunst Die Polarität vonLicht undFinsternis ist ein „Gesetz“ als auch derNatur zugrunde liegt. Klee hebt aber ausdrücklich hervor, daßer keine „ Gesetze ... an Stelle vonWerken“geben will, sondern daßes zubegreifen gilt, „ daßGesetze nurzugrunde liegen sollen, damit es auf ihnen blühe. Daßmannach Gesetzen nurforscht, umWerke zuprüfen, wiesie vondennatürlichen Werken um uns, vonLand, Vieh undLeuten abweichen, ohne darum unvernünftig zuwerden. 654Genau im Daß Gesetze nur gemeinsame Grundlage für Natur undKunst sind.“ ihm selben Sinn hatKandinsky ausgeführt, daßderAufbau eines abstrakten Bildes „ nicht von ‚Naturausschnitten‘ diktiert“wird, „sondern von denNaturgesetzen im Ganzen, von den Naturgesetzen, die über demKosmos regieren. ... unddeshalb bekommt dersehende Beschauer nicht selten einen ‚kosmischen‘Eindruck vonden abstrakten Bildern. ... die abstrakte Kunst kommt ohne ‚Natur‘aus, sie unterliegt

649 Beuys in: Katalog: Schwarz, S. 135. 650 Lorenz Dittmann: ‚Wachstum‘imDenken undSchaffen Paul Klees, in Katalog: Klee. Wachstumregt sich, S. 42. 651 Goethe: Farbenlehre, Bd. 1, S. 45. 652 Klee: Unendliche Naturgeschichte, S. 309. 653 Ebenda, S. 385. 654 Klee: Bildnerisches Denken, S. 499.

17. Licht undFinsternis als Pole dernatürlichen undkünstlichen Ordnung

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aber denGesetzen derNatur. Ihre Stimme zuhören, ihrzugehorchen, ist für den 655Noch pointierter hat Kandinsky diese GrundüberKünstler das höchste Glück.“ zeugung imInterview mitKarl Nierendorf ausgedrückt. AufdieFrage: „ Es wirdoft behauptet, die abstrakte Kunst hätte nichts mehr mit der Natur zu tun. Finden sie das auch?“antwortet Kandinsky mitaller Vehemenz: „Nein! Undnochmals nein! Die abstrakte Malerei verläßt die ‚Haut‘derNatur, aber nicht ihre Gesetze. Erlauben Sie mir das ‚große Wort‘, die kosmischen Gesetze. Die Kunst kann nur dann groß sein, wenn sie in direkter Verbindung mitkosmischen Gesetzen steht undsich ihnen unterordnet. Diese Gesetze fühlt manunbewußt, wennmansich nicht äußerlich der Natur nähert, sondern –innerlich –manmußdie Natur nicht nur sehen, sondern erleben können. WieSie sehen, hatdasmitdemBenutzen des‚Gegenstandes‘nichts zu tun. Absolut gar nichts! ... Wenn der Künstler äußere undinnere Augen fürdieNatur hat, bedankt sie sich bei ihmdurch ‚Inspiration‘. ... Jedenfalls kommt die Kunst ohne ein ‚inneres Diktat‘nicht zurWelt. ‚Intuition‘! 656Erinnern “ wir uns in diesem Zusammenhang, daß Beuys auf Imagination, Intuition und Inspiration als höheren Formen desDenkens insistiert hat. Es sindjene Formen des Denkens, die als Bildnerisches Denken die Genesis undGestalt desWerkes determinieren. Die Polarität von Licht undFinsternis, von Hell und Dunkel ist ein solches , daseine gemeinsame Grundlage fürNatur undKunst bildet. kosmisches Gesetz“ „ Am Beispiel des „Hell-dunkels“als bildnerisches Medium verdeutlicht Klee den Natürliche Ordnung“von Zusammenhang von Natur und Kunst, indem er eine„ Künstlichen Ordnung“unterscheidet. Die„natürliche Ordnung“steht fürden einer „ Begriff der Belichtung in der Natur (Lichtform). Das naturhafte, ungegliederte „ Crescendo oder Diminuendo. Über die unendlich zahlreichen, feinen Nuancen zwischen Weiß und Schwarz. Das natürliche Ineinanderströmen der HelldunkelTonalitäten, ein Vibrato zwischen Hell undDunkel. Die Gegensätze fliessen ineinander über (Lichtform). Nur in der Bewegung ist die Vielfalt der Nuancierung analytische Gliederung zur möglich.“Die „künstliche Ordnung“steht für die „ Meßbarkeit vonHell undDunkel. Gliederung derHelldunkel-Bewegung aufGrund einer Skala mitmeßbaren Mischungsverhältnissen.“(Siehe Abb. 9)657 Klee benutzt also die „künstliche Ordnung“zu einer analytischen Darstellung der „natürlichen Ordnung“ .658 Im ungeordneten Zustand des Chaos herrscht das Grau. Dagegen ist der „Naturzustand einer Bewegung vonWeiß nach Schwarz ... nicht ungeordnet, aber ungegliedert. Geordnet ist er imGegensatz zumChaos, woLicht undFinsternis noch nicht geschieden sind. Geordnet ist er im natürlichen Sinne eines feinen Fließens voneinem Pol zumanderen.“ In dem Moment, in dem die Polarität von Statik und Dynamik, Licht und natürliche Ordnung imKosmos, Finsternis, Erde undWelt einsetzt, beginnt die „ d.h. natürlicher Ausgleich in derNatur. DasTeilgebiet vonHell zuDunkel bewegt

, 1935, in Kandinsky: Essays, S. 194. 655 „Zwei Richtungen“ 656 Ebenda, S. 213, 214. Das Interview wurde imJahr 1937 geführt. 657 Klee: Bildnerisches Denken, S. 8, Abb. S. 10. 658 Vgl. Dittmann: ‚Wachstum‘imDenken undSchaffen Paul Klees, in Katalog: Klee. Wachstum regt sich, S. 40.

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Teil II

sich zwischen denPolen Weiß undSchwarz auf undnieder. In derNatur hatWeiß sicher an Ursprünglichkeit derAktivität denVorrang zubeanspruchen. Das Weißgegebene ist das Licht an sich. Aller Widerstand ist zunächst tot unddas Ganze ohne jede Bewegung, ohnejedes Leben. Da heißt es denn Schwarz entgegensetzen undzumKampf auffordern. Die gestaltlose Übermacht des Lichts bekämpfen. Es kommen also fürunsoffensive unddefensive Energien nacheinander odermiteinanderzurAnwendung. Wirhaben unumgänglich die Aufgabe eines lebendigen Ausgleichs zwischen beiden Polen.“(Siehe Abb. 9). Dagegen ist die „ künstliche Ordnung zwar verarmt, aber in der Wahrnehmbarkeit verdeutlicht. Gliederung der Helldunkel-Bewegung bei meßbaren Übergängen vonPolzuPol. Zunächst interessiert unsin denHelldunkel-Skalen diegroße Fülle vonTonwerten zwischen beiden Polen. Ausder Tiefe zur Quelle des Lichtes hin aufsteigend, empfinden wir eine nicht zu überbietende Größe undWeite der Steigerung vonPol zu Pol. Unten ein finsteres unterirdisches Rollen, mitten eine schattige Dämmerung wieunter Wasser undoben das scharfe Zischen der Überhelle.“659 Mit solcherart ausder scharfen Beobachtung der natürlichen undkünstlichen Ordnungen gewonnenen „ Gesetzen“hat sich Klee bildnerisch in vielen Werken , wieKlee oben blühe“ beschäftigt, undzwardergestalt, daßes aufdiesen Gesetzen „ Gesetze“umihrer selbst betont hat. Dasheißt, Klee will niemals in seinen Bildern „ willen darstellen, denn daswürde zulebloser Erstarrung führen. Aber das ist nicht Diegrundlegende Lebendigkeit als die energiegeladene Klees künstlerisches Ziel. „ Kraft des Schöpferischen darf dabei nicht zu kurz kommen. ... Diese Kraft zeigt sich in ihren Funktionen, sie formt sich lebendig inderDurchdringung derMaterie. Sie belebt die Materie, bringt sie nach bestimmter Ordnung, nach bestimmten Rhythmen in Bewegung (Klangfiguren). Die Partikel werden in ein Resonanzverhältnis zur Ursprungskraft gebracht. Das gibt ihnen die Notwendigkeit, sich zu ordnen, so wie der Sand sich zu Klangfiguren ordnet, wenn seine Unterlage in Schwingung versetzt wird. DerBogen, welcher aufderPlatte streicht unddiePlatte in Schwingung versetzt, hatbei vielen Ihrer Arbeiten gefehlt. [Sagt Klee zuseinen Schülern]. Mansahwohl einResultat, aber keine Begründung. Keine Genesis. Dies ist überhaupt derBegriff des Starren, ein Nichtfunktionieren desWerdeprozesses: Die Loslösung eines Resultates von seinen Voraussetzungen. Die Form an sich. Man kann sie auch die tote Form nennen, als Form, die nicht mehr funktioniert ....“ 660

Klees künstlerisches Ziel wares, lebendiges Wachstum, Genesis, als Werdeprozeß derBelebung derMaterie sichtbar zumachen. Umdaszuerreichen, läßt er in Bildern wie „Scheidung abends“oder „Wachstum der Nachtpflanzen“, (Siehe Abb. 8) beide von 1922661, die bildnerischen Medien Helldunkel undFarbe inein659 Klee: Bildnerisches Denken, S. 9, 10. 660 Klee: Unendiche Naturgeschichte, S. 293.

abends“ , Aquarell, „Diametral-Stufung Blauviolett-Gelborange“, Farbabb. in Ka, ÖlaufKarton, Farbabb. Wachstum derNachtpflanzen“ talog: Klee. Leben undWerk, S. 188. „ 1922, hrsg. von Armin Zweite, in Ausstellungskatalog: Paul Klee. Das Frühwerk von 1883– München 1979, S. 547. (= Katalog: Klee. Frühwerk). Siehe darin denAufsatz vonMarianne L. Teuber: Zwei frühe Quellen zuPaul Klees Theorie derForm. Eine Dokumentation, S. 261 ff.

661 „Scheidung

17. Licht undFinsternis als Pole der natürlichen undkünstlichen Ordnung

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anderübergehen; „ natürliche“und„ künstliche Ordnung“der Bewegung vonLicht zu Finsternis durchdringen sich mit „Farbgängen“ , auf daß es blühe in solchen

Bildern.

Aus ökonomischen Gründen können wir leider nicht näher auf die BeziehungenvonBild undTheorie eingehen, denn dasHauptanliegen dieser Untersuchung ist, die hohe Authentizität unddie komplexe Dichte des Bildnerischen Denkens aufzuweisen. Im Verhältnis zu Kandinsky undBeuys ist Klee in seinem Bildnerischen Denken, wasdie Analogisierung vonNaturprozessen undbildkünstlerischer Gestaltung betrifft, sicherlich amweitesten fortgeschritten. Ausdiesem Grund wird Klees Denken hier so viel Platz eingeräumt, auch weil er denAnspruch vertritt, mit seinem Bildnerischen Denken undSchaffen das„ Ganze“zu umfassen, undzwar in allen seinen Differenzierungen. Die 4000 Blatt seines schriftlichen Nachlasses legen beredtes Zeugnis seiner angestrebten „ Totalisierung“ab. Klee ist nicht nur Künstler, er ist auchNaturforscher undPhilosoph inPersonalunion, wieKandinsky undnoch mehr Beuys letztlich auch. In seinem Jenaer Vortrag hat Klee sich auch dazu bekannt, als er verkündete, daß der Künstler, der mehr an den „formenden natürlichen Schöpfungsprozesses“interessiert ist „ Kräften“des „ als andenForm, „vielleicht, ohne es gerade zuwollen, Philosoph“ist.662 Enden“ Gerade die auführlich zitierten Passagen Klees zu Chaos undKosmos, Licht undFinsternis, führen plastisch vorAugen, daßBildnerisches Denken derKünstler die Erkenntnis der Welt vermehrt. Klees Anführungen zu der „natürlichen“und „ künstlichen Ordnung“der Helldunkelbewegung im Kosmos, als Kampf von Schwarz und Weiß als widerstreitende Energien, zeigen nicht nur die bildhafte Ausdruckskraft undpoetische Schönheit seiner Sprache, sondern auch das Eingebettetsein jeder denkerischen undbildnerischen Teilhandlung ineinem kosmischen Gesamtzusammenhang. Klee stellt dies in einer resümierenden Vorlesung vom9. Januar 1924 klar heraus: „ Bei allen Teilungen, die ich vornehme, wie gerade jetzt wieder bei denTeilungen in Linie, Helldunkel, Farbe, undbei allem Nacheinander undNebeneinander in derDarstellung ‚desGanzen‘bitte ich zubedenken, daßdies ein allerdings notwendiger Notbehelf ist. Die Lehren vomSchöpferischen, vonden Proportionen, von den bildnerischen Mitteln und später von den Stilen bestehen nicht einzeln für sich, sondern diese Lehren wirken zusammen zumGanzen.“663 Will manalso Klees Bildnerisches Denken angemessen würdigen, ist es unumgänglich, das„ Ganze“seines bildnerischen Weltentwurfs in denBlick zunehmen. Dabei bietet es sich an, immer wieder zu Klees Zeichnung zurückzukehren, in der einMikrokosmos / Makrokosmos-Modell veranschaulicht ist. (Siehe Abb. 5). Klee beschreibt hier denKünstler als Mittler zwischen unten undoben, zwischen „Erde“ , weil inseinem „Auge“alle WegedesNaturstudiums zusammenlaufen. Welt“ und„ Klee hat erkannt, daß die „metaphysischen Wege“der „gemeinsamen irdischen kosmischen GemeinsamStatik“undder „ Verwurzelung“durch das Gebiet der „ Dynamik“zueiner „Vermenschlichung des Gegenstankeit“durch dasGebiet der„ führen. In vielen Bildern hat Klee die Identifikation vonMensch undpflanzdes“

, zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, S. 82. 662 „Über die moderne Kunst“ 663 Klee: Unendliche Naturgeschichte, S. 281.

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Teil II

licher Natur thematisiert. So wie der Mensch die Sehnsucht hat, sich aus seiner statisch-irdischen Gebundenheit zulösen, so will auch diePflanze in ihrem Wachstumaus demInnern der irdischen Dunkelheit nach oben zumLicht. In demschon erwähnten Bild „Wachstum der Nachtpflanzen“664 (Siehe Abb. 8) hat Klee dies dargestellt. „ Aus abgründiger Finsternis steigen die Pflanzen empor, langsam, in Stufen, zueiner magischen Helle“ , wieDittmann es treffend beschreibt. „Orientiert sich menschliches Dasein amBeispiel des stillen Lebens pflanzlicher Natur, so wird dieses doch auch verwandelt durch die Entgrenzung irdischer Gebundenheit: Der ‚Vernatürlichung‘ des Menschen entspricht eine ‚Vermenschlichung‘ der Natur.“665

Die „Vermenschlichung des Gegenstandes“geht einher mit einer Inbezugsetzung des Menschen zur„ . Dasist derneue „Stil“ Welt“ , die „neue Romantik“ , die Klee propagiert hat. Damit steht Klee inderDenktradition derromantischen Naturphilosophie Herders, Goethes, Novalis’ und Schellings. Bei diesen verbindet sich „ die Klage über dasdurch die Naturwissenschaften verlorene ‚Innere‘der Natur ... mit Versuchen, der Entmenschlichung des Kosmos undEntweltlichung des Menschen entgegenzuwirken, mindestens aber eine die Naturkomponente einbegreifende Anthropologie zuentwickeln.“Herder sieht sich durch die mechanische Natur-

Ähnlichkeit mit uns zu fühlen“ erklärung veranlaßt, überall in der Natur „ Ich .„ fürchte mich also gar nicht vor demalten Ausdruck, daßder Mensch eine kleine Welt sei, daßunser Körper Auszug alles Körperreichs, wie unsre Seele ein Reich aller geistigen Kräfte, die zu unsgelangen, seyn müsse, unddas schlechthin, was wirnicht sind, wirauch nicht erkennen undempfinden können.“666 derGedanke, daßdieWelt imMenschen zentriert und Bei Goethe findet sich „ Wir wissen von keiner Welt als im Bezug auf den .667 „ zugleich er ihr Entwurf ist“

664 Mit denWachstumsprozessen derPflanzen in derDunkelheit beschäftigt sich auch Beuys. Im Gespräch mit Antje von Graevenitz anläßlich seiner Ausstellung eines schwarzen „ Ofenlo... blau istja aufdemWege ches“inderStädtischen Kunsthalle Düsseldorf 1981erklärte er: „ zu schwarz, denn es liegt auf der Seite des Spektrums, woes immer dunkler wird, wo sehr intensive Prozesse stattfinden, mitWachstumsprozessen verbundene Wirkungen. BeiderPflanze oder bei der Fotosynthese z.B. spielen diese Polaritäten, eingespannt zwischen Licht und Finsternis, eine große Rolle. ... Wie könnte es anders sein, daß diese Prinzipien an der untersten Basis allen Lebens, aller kosmischen Verhältnisse liegen? Schwarz, die Dunkelheit, ist nicht verbunden mit Kälte, sondern mit einer großen Kraft. ... Das kann mansehr schön verbildlichen: wenn manin einem dunklen Raum Kartoffeln ruhen läßt, kriechen die Keime weiter ... Das liegt daran, daßsich dasWachstumsprinzip verselbständigt undeben nicht die FormderKartoffelpflanze. Wirkt aberdasLicht darauf, danngibt es eine Form, einbestimmtes Bild. DasLicht staut dieWachstumsprozesse undbewirkt eine spezielle Form. ImGrunde ist es das Prinzip der Krebskrankheit. Krebs ist eine abgelöste Wucherungsform, die immer weiter wächst, ichmeine, sie entsteht da,woes eine Dunkelheit miteinseitiger Schwarzwirkung gibt.“ gewaltige Urbilder“(S. 137), die Katalog: Schwarz, S. 136. Beuys nennt Licht undFinsternis „ wiebei Klee, dasWachstum bei Pflanze undMensch in analoger Form determinieren. 665 Dittmann: ‚Wachstum‘imDenken undSchaffen Paul Klees, in Katalog: Klee. Wachstum regt sich, S. 40, 49. 666 Siehe das Stichwort: Makrokosmos/Mikrokosmos in: Historisches Wörterbuch der Philoso647. phie, Bd. 5, Sp. 645– 667 Ebenda, Sp. 645.

17.Licht undFinsternis als Pole dernatürlichen undkünstlichen

Ordnung

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Menschen; wir wollen keine Kunst, als die ein Abdruck dieses Bezugs ist.“ 668Die Reflexionen Goethes haben ineinem besonderen Maßediedenkenden Künstler des frühen 20. Jahrhunderts beeinflußt. Goethes Zusammenschau vonNatur undKunst, Mensch und Welt, Natur und Gott hat nicht nur Kandinsky, Klee und Beuys geprägt, sondern z.B. auch MaxLiebermann. Auch hier hat Goethe ein geistiges Fundament gelegt, aufdasspätere aufgebaut haben. Klee notiert 1902 in sein Tagebuch: „Überhaupt ist Goethe der einzige erträgliche Deutsche (so deutsch möchte ich vielleicht selber ganz gern sein).“Aber nicht in der Nationalität liegt Goethes Wert begründet, sondern, so Klee: „Selbst in der Gegenwart gibt es höhere Werte. Es ist der wache menschliche Geist, nicht der großer Ratlosigkeit“ träumerische.“In einem Zustand „ , wo er sich künstlerisch Insolchem Zustand gibt es schöne Mittel, hinbewegen soll, stößt Klee aufGoethe. „ Gebete zumGlauben andie Kraft. Auch Göthes italienische Reise gehört hier her. ... Anderpantheistischen Ehrfurcht Göthes kann mansich wohl stärken.“669 DasSchöne ist FürGoethe ist dieKunst die„würdigste Auslegerin“derNatur. „ eine Manifestation geheimer Naturgesetze, die unsohne dessen Erscheinung ewig wären verborgen geblieben.“„ WennKünstler vonNatur sprechen, subintelligieren sie immer dieIdee, ohne sich’s deutlich bewußt zusein.“„Natur undIdee läßt sich Wirkönnen 670„ nicht trennen, ohne daßdie Kunst sowie dasLeben zerstört werde.“ der uns Vorstellung nicht erwehren, daß bei derBetrachtung desWeltgebäudes ... demGanzen eine Idee zumGrunde liege, wonach Gott in derNatur, die Natur in Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit, Schaffen undWirken möge. Anschauung, Betrachtung, Nachdenken führen unsnäher anjene Geheimnisse. Wirerdreisten uns undwagen auch Ideen; wirbescheiden unsundbilden Begriffe, die analog jenen 671(Genau in diesem Sinn sprach Klee vom„Chaos als Uranfängen sein möchten.“ Die Kunst ruht aufeiner Artreligiösem Sinn, Begriff, Logos“.672) Weiter Goethe: „ auf einem tiefen, unerschütterlichen Ernst; deswegen sie sich auch so gern mitder Die Natur wirkt nach Gesetzen, die sie sich in Eintracht mit Religion vereinigt.“„ demSchöpfer vorschrieb, die Kunst nach Regeln, über die sie sich mitdemGenie Die Natur verbirgt Gott!‘–Aber nicht jedem! WerdieNatur ‚„ einverstanden hat.“ als göttliches Organ leugnen will, derleugne nurgleich alle Offenbarung. Kepler sagte: ‚Meinhöchster Wunsch ist, denGott, denichimÄußeren überall finde, auch innerlich, innerhalb meiner, gleichermaßen gewahr zu werden.‘ Der edle Mann fühlte, sich nicht bewußt, daß eben in dem Augenblicke das Göttliche in ihm mit 673„Gerade das, demGöttlichen des Universums in genauster Verbindung stand.“ wasungebildeten Menschen amKunstwerk als Natur auffällt, dasist nicht Natur 674 (von außen), sondern der Mensch (Natur voninnen).“

668 Goethe: Maximen undReflexionen, zitiert nach: Goethes Werke, Bd. XII, Hamburger be, München 1973, S. 467. (= Goethe: Hamburger Ausgabe). 669 Klee: Tagebücher, Nr. 375, S. 115, Nr.294 und295, S. 86, 88. 670 Goethe: Hamburger Ausgabe, Bd. XII, S. 467, 490, 491. , 1820, zitiert nachGoethe: Taschenlexikon, S. 165, 166. 671 „Bedenken undErgebung“ 672 Klee: Unendliche Naturgeschichte. Einführung, S. 15. 673 Goethe Werke, Bd. 6, S.510, 518. 674 Goethe Hamburger Ausgabe, Bd.XII, S. 478.

Ausga-

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Max Liebermann, den Klee geschätzt hat675 und den er in seinem Jenaer Vortrag mit dem „ Wort“zitiert hat, „ daß Zeichnen die Kunst des Weglassens 676, woraus man schließen darf, daß Klee mit den Schriften Liebermanns sei“ , hatGoethes Postulat einer Synthese voninnerer undäußerer Natur, vertraut war– von „Selbst“(Klees Künstler-“ Ich“ , siehe unten) und „Welt“in der Kunst, zu seinem Anliegen gemacht. FürLiebermann beruht alle Kunst „ auf derNatur, und alles Bleibende in ihr ist Natur. Nicht die den Künstler umgebende Natur nur, sondern vor allem seine eigene Natur.“Die äußerlich sichtbare „ Natur ist nurder äußere Anlaß für das Werk“ .„ Der Künstler sieht die Gegenstände durch seine Phantasie.“Wobei Liebermann unter „ Phantasie“die Ein-Bildungskraft als die Fähigkeit zur Imagination versteht. Der Künstler „ sieht, was er zu sehen sich einbildet, oder wie Goethe es ebenso treffend wie schön ausdrückt: Wer die Natur schildert, schildert nur sich –und die Feinheit und Stärke seines Gefühls“ . Zugespitzt hat Liebermann formuliert: „ Der Inhalt der Kunst ist die Persönlichkeit des Künstlers. ... Natura sive deus! Gott schuf denMenschen nach seinem Ebenbilde: der Künstler schafft nach seinem Ebenbilde die Welt!“677 Alles Vergängliche ist nurein Gleichnis. 1917 notiert Klee in sein Tagebuch: „ Was wir sehen ist ein Vorschlag, eine Möglichkeit, ein Behelf. Die wirkliche Wahrheit liegt zunächst unsichtbar zuGrunde.“ Die „wirkliche Wahrheit“ , dassind Goethes „ geheime Naturgesetze“ , wie sie sich in den Urphänomenen wie Farbe, Licht undDunkel bekunden. „Abmalen“ , sagt Klee, läßt sich derflüchtige Moment der Bewegung von Licht undSchatten in der Natur nur schwer. „ Es muss in die Seele dringen. Das Formale muss mit der Weltanschauung verschmelzen. ... Wir forschen imFormalen umdesAusdrucks willen, undderAufschlüsse die sich über unsere Seele dadurch ergeben. Die Philosophen haben eine Neigung zur Kunst, anfangs war ich erstaunt, was sie alles sahen. Denn ich hatte nur an die Form gedacht, das Übrige hatte sich vonselber ergeben. Daserwachte Bewusstsein dies Übrigen hatmirindessen viel genützt undgrössere Variabilität imSchaffen ermöglicht. Ich konnte nunsogar wieder zumIllustrator vonIdeen werden, nachdem ich mich formal durchgerungen hatte. Undnunsahichgarkeine abstracte Kunst mehr. Nurdie Abstraction vomVergänglichen blieb. Der Gegenstand wardie Welt, wenn auch nicht diese sichtbare.“678 Nicht nurdaß Klee hier bekennt, wiewichtig für seine künstlerische Entwicklung die denkerische Durchdringung der Kunst ist, daß neben der Beschäftigung mitdemFormalen eine Beschäftigung mitphilosophischen Problemen geboten ist, d.h. daßdas„Formdenken“679durch ein Sinndenken zuergänzen ist, sondern Klee 675 Siehe Klee: Tagebücher, Nr.765 und812. 676 Klee: Kunst-Lehre, S. 75. 677 Liebermann: Schriften, S. 41, 58, 59, 46, 47. „Wieer, der Künstler, die Welt anschaut, mit seinen inneren undäußeren Sinnen –das nenne ich seine Phantasie –die Gestaltung dieser seiner Phantasie ist seine Kunst.“(S. 41). Liebermann, 1916. 678 Klee: Tagebücher, S. 440. ) für die 679 In seiner Rezension (der „Ausstellung des Modernen Bundes im Kunsthaus Zürich“ aus Die Alpen“aus demJahr 1912 vertritt Klee die Auffassung, daß die Kunst „ Zeitschrift „ Formfragen besteht“ . Die „spekulativen Naturen unter denKünstlern“nennt Klee „Formphilo-

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bringt auch klar zumAusdruck, daßeine „ Weltanschauung“imSinne einer „ Idee“ von der Welt, d.h. eine Vorstellung wie die „Welt“konstruiert ist, notwendig ist, damit ein Werk formal gelingen kann. Die Idee, von der Klee andeutungsweise spricht unddie er „ illustrieren“will, ist seine Vorstellung von„ Welt“als Kosmos, die einer einheitlichen Ordnung untersteht und sich um einen Sinnmittelpunkt dreht. DerGegenstand seiner Kunst istnicht dasvergängliche Erscheinungsbild der sichtbaren Natur, sondern ihre bleibenden, kosmischen Zusammenhänge, „ das Ganze“ , die„Welt“ . Wenn das „Formdenken“sich mit einer „Weltanschauung“durchdringt, entsteht dasBildnerische Denken in unserem Verständnis, dasdie Sinndimension der Kunst immer impliziert.

18. Welt undSelbst als fundamentale Wesenheiten der Kunst – Die künstlerische Welt ist Funktion der Selbstwerdung des Ich „ Die Erfindung des Künstlers ist die Entdeckung seines Selbst.“ MaxLiebermann680

„ Das(wirklich exakte) Kunstwerk ist einGleichnis desUniversums mitkünstlerischen Mitteln.“ Theo vanDoesburg681

Wie imersten Teil dieses Buches schon kurz angesprochen682, hat Kurt Badt, etwa zehn Jahre nachdem Klee sein Schema zu „ Wege des Naturstudiums“gezeichnet hat, in seinem Aufsatz: „ Die Idee der Welt und das Selbst als fundamentale Wesenheiten bildender Kunst“aus der Sicht des Kunsthistorikers das Verhältnis vonWelt undKünstler als Fundamentalproblem derbildenden Kunst erkannt. Ob Badt Klees Zeichnung zurKorrelation vonErde undWelt, Künstler undKosmos, gekannt hat, ist ungewiß, aber durchaus denkbar, da sie im Rechenschaftsbericht desBauhauses von 1923 veröffentlicht war.683 Die kunsttheoretischen Reflexionen , wozuer die Kubisten zählt. Die kristalline Struktur derBilder Delaunays sieht Klee sophen“ . Klee: Kunst-Lehre, S. 52. als „ die natürliche Folge deskubistischen Formdenkens“ 680 Liebermann: Schriften, S. 274, (1921). 681 vanDoesburg: Grundbegriffe, S. 33. 682 Siehe oben, Teil I, Kapitel 3. 1923, hrsg. vomStaatlichen Bauhaus in Weimar undKarl 683 Staatliches Bauhaus Weimar 1919– Nierendorf, Weimar, München 1923, Reprint München 1980, S. 24, 25. (= Staatliches Bauhaus). : Walter Gropius schreibt in seiner Einleitung: „Idee undAufbau des Staatlichen Bauhauses“ „ Die Idee der heutigen Welt ist schon erkennbar, unklar undverworren ist noch ihre Gestalt. Das alte dualistische Weltbild, das Ich –im Gegensatz zum All –ist im Verblassen, die Gedanken an eine neue Welteinheit, die denabsoluten Ausgleich aller gegensätzlichen Spannungen insich birgt, taucht anseiner Statt auf. Diese neuaufdämmernde Erkenntnis derEinheit aller Dinge undErscheinungen bringt aller menschlichen Gestaltungsarbeit einen gemeinsamen, tief in unsselbst beruhenden Sinn. Nichts besteht mehr ansich, jedes Gebilde wird zum

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des Kunsthistorikers ergänzen dasKonzept Klees, so wiedasBildnerische Denken Klees denkunsthistorischen Horizont wesentlich erweitert. Nicht umdenAufweis von Abhängigkeiten geht es hier, sondern um den Hinweis auf die Einheit der Denkrichtung.

Für Badt ist der geistige Ort der Kunst und ihre Gültigkeit dadurch bestimmt, daßinderKunst „Welt“nicht nureine „Denknotwendigkeit“undeine „Notwendigkeit des Glaubens“ist –wie in denanderen Gebieten desgeistigen Lebens auch – , sondern daß in der Kunst „ Welt“als „Verwirklichung erwiesen“ist. Und zwar Welt“in derBedeutung desBegriffes „Kosmos“ „ , derdieWirklichkeit nach einer gesetzmäßigen Ordnung auffaßt, „ die sie als Einheit verstehen läßt; dabei ist wiederum unter Wirklichkeit verstanden: dasAußen inderNatur unddasimInnern des Menschen Wirkende. Welt (Kosmos) ist ein Bild, das in seiner Gesetzmäßigkeit die Natur und das erblickende Ich mit umfaßt. Die Idee des Kosmos übergreift notwendigerweise Makrokosmos, Mikrokosmos unddieÜbereinstimmung derbeiden, die Identität desAußen unddesInnen in einer Gesetzmäßigkeit.“684 gesetzmäßige“Übereinstimmung vonMensch undNatur, Künstler und Diese „ Gegenstand, Äußerem undInnerem in einem „ Kosmos“hat Klee in seinem „ Weltbild“(Siehe Abb. 5) dargestellt. Darüber hinaus hat er versucht zu erklären, wieso desKünstlers fähig ist, eine Verwirklichung von„Welt“imKunstwerk zu das„Ich“ , sagt Klee, sowohl der „metaphysiWege des Naturstudiums“ leisten. Sämtliche „ treffen sich imAuge desKünstals auch der„optisch-physische Weg“ sche Weg“ lers „ undführen, von ihrem Treffpunkt aus in Form umgesetzt, zur Synthese von äußerem Sehen und innerem Schauen. Von diesem Treffpunkt aus formen sich manuelle Gebilde, dievomoptischen Bild eines Gegenstandes total abweichen und doch, vom Totalitätsstandpunkte aus, ihm nicht widersprechen.“Je intensiver die

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Gleichnis eines Gedankens, der aus uns zurGestaltung drängt, jede Arbeit zurManifestation unseres inneren Wesens.“(S. 7). , die Gropius als Idee vorschwebt, hat Klee in seinem Schema (Siehe Die neue „Welteinheit“ Abb. 5) dargestellt unddabei dieFunktion desKünstlers, dernach außen sieht undnach innen im Raum der Welt“eine „räumlichere Auffassung“des schaut, beschrieben. Klee wollte „ Wege desNaturstudiums“bekannte. UndbeiGropius lesen Gegenstandes erreichen, wieer in„ wir: „Alle bildnerische Arbeit will Raum gestalten. ... Urelemente desRaums sind: Zahl und Bewegung. ... Die Kraft, die wir Bewegung nennen, ordnet die Zahlen. Beides, Zahl und Bewegung, ist eine Vorstellung unsres endlichen Gehirns, das denBegriff des Unendlichen nicht zufassen vermag. Wir erleben wohl denunendlichen Raum kraft unserer Zugehörigkeit zumAll, aber wirvermögen Raumnurmitendlichen Mitteln zugestalten. Wirempfinden den Raum mit unserem ganzen unteilbaren Ich, zugleich mit Seele, Verstand undLeib undalso gestalten wir ihn mit allen leiblichen Organen. Der Mensch erfindet durch seine Intuition, durch seine metaphysische Kraft, die er aus demAll saugt, den stofflosen Raumdes Scheins und der inneren Schauung, der Visionen und Einfälle; er fühlt die Zusammenhänge seiner Erscheinungsmittel, der Farben, Formen, Töne und versinnlicht mit ihnen Gesetze, Maße, Zahlen. Aberdieser RaumderSchauung drängt zurVerwirklichung inderstofflichen Welt; mit Geist- und Handwerk wird der Stoff bezwungen. ... Im künstlerischen Raum finden alle Gesetze derrealen, dergeistigen undderseelischen Welt eine gleichzeitige Lösung.“(S.8,9). Diegedankliche Nähedieser Überlegungen Gropius’zuKlees „Weltbild“istoffenbar. Badt: Kunsttheoretische Versuche, S. 33, 30.

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Zwiesprache des Künstlers mitderNatur ist, und„ je mehrer zurWeltanschauung , umso befähigter ist er „zurfreien Gestaltung abstrakter Gebilde, die empordringt“ über das Gewollt-Schematische hinaus eine neue Natürlichkeit, die Natürlichkeit desWerkes, erlangen. Er schafft danneinWerk, oder er beteiligt sich amErschaf685DasWerk Gottes ist fenvonWerken, die einGleichnis zumWerke Gottes sind.“ die Welt, die er als Weltschöpfer geschaffen hat. In der Welt hat er nach seinem Ebenbilde denMenschen geformt, als Teil derNatur, in derer sich zeigt –innere und äußere Natur. In Analogie dazu schafft der Künstler in der Synthese von Innerem undÄußerem ein Kunstwerk, dasein „ Welt-Bild“ist. , daßdie „nuraussich schafWerdegang“ Kandinsky schrieb 1913 in seinem „ fende Künstlerseele“„ vonvornherein bestimmt, geheimnisvoll befohlen“ist, „ihre ganze Kraft restlos, d.h. ihr ganzes Licht nach einer Seite zu werfen, nureinem . In der„Kunst ist ... dasSchaffen unddie schöpferische Kraft einzigen Punkt zu“ nicht derWillkür unterworfen. Nicht derMensch lenkt diese Kraft. Sondern diese Der Kern der Seele ist göttlichen Ursprungs und .„ Kraft lenkt den Menschen“ Die Entstehung des Werkes ist kosmischen Charakters. Der Urheber des geistig.“„ Werkes ist also der Geist.“„Werkschöpfung ist Weltschöpfung.“„ Und das ist die kosmische Tragik, in der das Menschliche nur ein Klang ist, nur eine einzige mitsprechende Stimme, undinderdasZentrum ineine Sphäre verschoben wird, die 686 sich demGöttlichen nähert.“ dieganze ‚Welt‘alseine insich geschlossene kosmische Kandinsky betrachtet „ Komposition“ . Dennoch hat der Künstler nicht die Möglichkeit, die „Kompositionsgesetze der Natur“äußerlich nachzuahmen, sondern er hat nur die Möglichdiejenigen der Kunst entgegenzustelNaturgesetzen“undihren Mitteln „ keit, den„ . Äußerlich sind die Gesetze undMittel von Natur undKunst gegensätzlich, len“ Die aufdiese Weise .„ zueinem Punkt“ aber innerlich sind sie parallel, streben sie „ abgesonderten und selbständig lebenden Gesetze der beiden großen Reiche der Kunst undderNatur –werden schließlich zumVerständnis desGesamtgesetzes der Weltkomposition führen unddieselbständige Betätigung derbeiden aneiner höheren synthetischen Ordnung –Äußeres + Inneres –klarlegen.“687 Wie Klee, so strebt auch Kandinsky eine Synthese von äußerem Sehen und dieganze Natur, dasLeben unddieganze denKünstler innerem Schauen an,denn„ umgebende Welt, sowie das Leben seiner Seele, sind die einzige Quelle jeder Kunst. Es ist zu gefährlich, den einen Teil (das äußere, umden Künstler herum existierende Leben) oder den anderen Teil dieser Quelle (das innere Leben) zu daslogische unterdrücken.“Dernureinseitige, „äußere Blick“ist für Kandinsky „ . Daher Resultat des ‚reinen Materialismus‘–dieMaterie ließ denGeist vergessen“ ist es für Kandinsky Aufgabe der Kunst, „noch eine andere Richtung“einzuschlagen, die „ ein logisches Resultat derinneren Wendung“ist, diedieMalerei vordem DerSinn dieser Richtung ist eindoppelter: 1.Erwachen Ersten Weltkrieg vollzog. „ undEntwicklung des ‚inneren Blickes‘unddadurch 2. dasErleben dergroßen und

, zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, S. 69, 70. 685 „Wege desNaturstudiums“ 686 Kandinsky: Gesammelte Schriften, S. 51, 53, 41, 57. 687 Kandinsky: Punkt undLinie, S. 38, 116, 124, 117.

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derkleinen Zusammenhänge, diemikro- undmakrokosmischer Artsind. Synthese.“ Kandinsky geht davon aus, daßjedes Ding, jeder Gegenstand ein „ inneres Wesen“ und„eine geheime Seele“hat, dieklingt unddiemanhören kann. „Dieses Erleben der ‚geheimen Seele‘dersämtlichen Dinge, die wirmitunbewaffnetem Auge, im Mikroskop oder durch das Fernrohr sehen, nenne ich den ‚inneren Blick‘. Dieser Blick geht durch die harte Hülle, durch die äußere ‚Form‘zumInneren derDinge hindurch und läßt uns das innere ‚Pulsieren‘ der Dinge mit unsren sämtlichen Sinnen aufnehmen. Unddiese Aufnahme bereichert denMenschen undspeziell den Künstler, weil sie bei ihmzumKeimseiner Werke wird. Unbewußt. So erzittert die ‚tote‘Materie. Undnoch mehr: die inneren ‚Stimmen‘dereinzelnen Dinge klingen Sphärenmusik‘.“ 688Durch nicht isoliert, sondern harmonisch alle zusammen –die ‚ die Bewegung der Planeten entsteht das kosmische Tönen, die Welt klingt. Der Künstler mußsich alle Erkenntniswege, physische undmetaphysische, offenhalten, wie Klee es dargestellt hat. (Siehe Abb. 5). Klee: „ Es ist heute möglich, daß die Klangwelt eine Synthese eingehen kann mit derErscheinungswelt.“689UmKlangundErscheinungswelt in der„Welt“desBildes zuvereinen, bedarf es des äußeren Intuition“eine besondere Sehens unddes inneren Schauens.690 Dabei kommt der„ die gemeinsame Quelle aller Künste“ Bedeutung zu, denn sie ist laut Kandinsky „ . „ Die Kunst ist kosmischen Gesetzen unterworfen, die durch die Intuition des 691 Klee hat Künstlers aufgedeckt werden. ... Es ist ein rätselhafter Vorgang.“ versucht, diesen rätselhaften Vorgang derWerkentstehung mitWorten zubeschreiEin gewisses Feuer, zu werden, lebt auf, leitet sich durch die Hand weiter, ben: „ strömt auf die Tafel und auf der Tafel, springt als Funke, den Kreis schließend, woher es kam: zurück ins Auge undweiter (zurück in ein Zentrum der Bewegung, des Wollens, der Idee).“692Im Kreisrund des „Auges“des Künstlers (Siehe Abb.5) Ich“ schließt sich der Kreis undhier liegt auch das Zentrum der Bewegung, das „ des Künstlers, dasin derWerkgestaltung „eine Synthese zwischen der Wirklichkeit unddemIch, zwischen denErlebnissen des ‚Äußeren‘unddes ‚Inneren‘ vollzieht “unddas unddamit eine „Welt“statuiert, umnochmals auf Badts „Idee der Welt

Diesen rational nicht vollziehbaren Vorgang Selbst“zurückzukommen. Badt: „ verwirklicht die Kunst; ihre Werke sind Darstellungen einer Wirklichkeit und Darstellung des darstellenden Ich in der einen und unauflöslichen Einheit des persönlichen Stiles, d.h. unter einer Gesetzlichkeit.“Indem die künstlerische Dar, dasschaffende IchzumSelbst“ hervorbringt, verwandelt sich„ Welt“ stellung eine „

, 1935, zitiert nach , und „Zwei Richtungen“ 688 „ Die Kunst von heute ist lebendiger denn je“ Kandinsky: Essays, S. 167, 192, 193. 689 Klee: Bildnerisches Denken, S. 521. 690 Inwieweit Kandinskys „innerer Blick“oder Klees „inneres Schauen“mit Edmund Husserls Phänomenologie“zusammenhängen, wäre näher zu Wesensschau“der„ Begriff derintuitiven „ Wesensschau ist vonwissenschaftlicher Erkenntnis unabhängig; sie geht ihr als untersuchen. „ das in derursprünglich gegebenen Anschauungsfülle Liegende voraus.“Siehe die Stichworte Intuitionismus“in: Historisches Wörterbuch derPhilosophie, Bd. 4, Sp. 536, „ Intuition“und„ 541. 691 Kandinsky: Essays, S. 148, 242. , zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, S. 63. 692 „Schöpferische Konfession“

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denn „ die Welt ist stets nurKorrelat des Selbst“ . (Dilthey). „ Die rational unvollziehbare Identifizierung desIch mitderWirklichkeit wird sichtbar in derKunst als Gewinnung einer Welt zugleich mit derGewinnung eines Selbst. In Kunstwerken erscheint zugleich eine Darstellung desSchöpfers, die mit dessen Abbild sowenig wie mit dessen psychololgischer Wirklichkeit zu tunhat, hineingenommen in die dargestellten Dinge unddennoch ausihnen heraus wahrnehmbar, die künstlerische Persönlichkeit (wie wirgewöhnlich sagen), in Wahrheit das in derWelt verwirklichte Selbst des Künstlers.“„ Welt“ist „ eine Gestaltung aus Wirklichkeit und Selbst-sein: notwendigerweise Bild, aber nicht Abbild der wirklichen Dinge, son693 dern Bild vomIn-der-Welt-sein desSelbst.“ Der Gedanke derEinheit des persönlichen Stils, derdas Selbst des Künstlers im Kunstwerk erkennen läßt, hat auch Klee umgetrieben. 1902 notiert er in sein Träume mich selbst zu meinem Modell. Projiziertes Ich. Erwachend Tagebuch: „ 694Im Kunstwerk konstituiert sich erkenne ich die Wahrheit. ... Ich binmein Stil.“ das Subjekt, das Ich des Künstlers zumSelbst, wird Objekt als „Verherrlichung des .695 Selbst“ , wieer inderKunst ansichtig Badt hatsich bemüht, diesen Begriff des„Selbst“ Selbst meint das Seins-Verständnis des Ich, die wird, näher zu beschreiben. „ Sinngebung derganzen Ich-Erscheinung alsWesen einer in ihmselbst ausgedrückten Ordnung. Selbst meint kein handelndes, fühlendes, wollendes Ich, sondern einzig und allein das zur Gestaltung einer Welt in deren Anschauung undin der Selbst-Anschauung (einschließlich des eigenen Fühlens, Wollens, Handelns) fähig gewordene Ich.“Das „ Selbst-sein“ , das im Kunstwerk erfahrbar ist, erweist sich .„ Der „ alsdiedurch Spontaneität ausgezeichnete Verhaltungsweise desGestaltens“ Mikrokosmos des Selbst existiert nicht als isolierter Ordnungsbezirk in irgendwelcher Übereinstimmung mit demMakrokosmos ‚draußen‘, sondern nurim Vollzug des Kosmos an der Wirklichkeit, er wird erfahrbar nicht in irgendeiner einzelnen Strukturform fürsich, sondern vollzogen imKunstwerk.“DasWesen desgestaltenDie künstlerische Welt ist Funktion der den Ich bestimmt die Welt-Gestaltung. „ InderKunst geht Selbstwerdung desIch, sie ist Subjektivität imbesonderen Sinne.“ . „Kunst die „Subjektivität“der„Objektivität als Bedingung ihres Werdens vorher“ bedarf also zwar dervollen Subjektivität, schafft aber eine Objektivität ... ausder Übereinstimmung von Selbst-sein und Erfahrung in der Welt, die sich in ihr gesetzmäßig konstituiert. Kunst besitzt daher volle Objektivität. ... Diese in der Kunst gestaltete objektive Welt ist Funktion der Selbstwerdung des Ich. Es erscheint daher injedem Kunstwerk Welt nurals Funktion dersich verwirklichenden einzelnen Persönlichkeit.“696 Aus diesem Grund besitzt auch die scheinbar „subjektive“Bild-Welt Paul Klees, die nurallzugern zur„individuellen Mythologie“verharmlost undverniedlicht wird, volle objektive Gültigkeit für die Totalität des geistigen Lebens. Klees 693 694 695 696

Badt: Kunsttheoretische Versuche, S. 32, 33. Klee: Tagebücher, Nr.425, S. 154. Ebenda, Nr. 68, S. 34. Badt: Kunsttheoretische Versuche, S. 34, 35.

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Bild- und Gedankenwelt steht also weder für „ Weltflucht“noch für Abkoppelung vom „Leben“ . Klee hat sich wie kaum ein zweiter Künstler dieses Jahrhunderts Rechenschaft abgelegt über denProzeß derkünstlerischen Selbstwerdung des Ich. Darüber hinaus ist er ein Paradigma dafür, daß seine Bild-“ Welt“Funktion einer sich verwirklichenden Persönlichkeit ist. Dasist derSinn desSatzes: „ Ichbinmein Stil.“Stil undSelbsterkenntnis sind für Klee engzusammengehörig. SelbsterkenntderWeg zumStil“hat„nichts mit dermodernen Selbstfindung zu tun, sie nis als „ zielt vielmehr auf die Eigentümlichkeit desjeweiligen Selbst, die das eigene KönnenundNicht-anders-Können betrifft“.697 DenProzeß derSelbstwerdung desIch dokumentiert Klee nicht nurim Mediumseiner Bilder, sondern auch imMedium derSchrift unddavorzüglich in seinen . Die Schrift gilt seit alters her als „ „ Tagebüchern“ ein Akt der Meditation, eine Übung desDenkens, derReflexion überdasSelbst unddieTätigkeit desSelbst“ .698 Die Selbstwerdung des Ich“ Man könnte Klees Tagebüchern den Titel geben: „ . Klee bezeichnet sich als „Selbstbiograph“unddas bedeutet ihm „ Selbstanalyse“ , wieer 1904 in sein Tagebuch schreibt.699 EinJahr später garfragt er, wennauch mit Aufrecht erhält Dich das Interesse ... wie O Autobioselbstironischem Unterton: „ graph, das Verhältnis des Menschen zumKünstler sich mit der Zeit gestaltet? ... Die Autobiographie Dein Hauptwerk????“700

Aber Klee meint dies keineswegs nurironisch, denn derunmittelbar folgende Vage Ironie ist ziemlich verbreitet. DasLeben nicht ernst, dieKunst Eintrag lautet: „ nicht heiter. Ein gewisses Schweben desAusdrucks. Vielleicht mache iches mirzu 701Unabläßlich ist Klee in seinen prüfenden Selbstgesprächen auf der schwer?“ . Die Ansprüche, , nach seinem eigenen „Stil“ Selbst“ Suche nach seinem wahren „ die er an sich stellt, sind hoch. Nicht „Primitivität“ist angesagt, sondern „letzte professionelle Erkenntnis“ . „Wenn bei meinen Sachen manchmal ein primitiver Eindruck entsteht, so erklärt sich diese ‚Primitivität‘ aus meiner Disciplin auf wenige Stufen zu reduzieren. Sie ist nur Sparsamkeit, also letzte professionelle 702 Erkenntnis. Also dasGegenteil vonwirklicher Primitivität.“ Kunst für eine sehr gemacht, die er und hat nicht leicht Klee hat es sich also gehalten, Malerei eine prädomider wobei er Angelegenheit wesentliche ernste und nante Rolle zugesprochen hat. Nach einer Goethe-Lektüre reflektiert Klee über das Das Wortist doch recht weit vomMysterium weg, Verhältnis vonWort undBild: „

. ZumVerhältnis vonKunst undLebenskunst bei Ich binmein Stil“ 697 Siehe Wilhelm Schmid: „ Paul Klee. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift füreuropäisches Denken, Heft 9/10, 45. Jg., 1991, 959, Zitat auf S. 955. (= Schmid: Lebenskunst bei Klee). S. 954– 698 Ebenda, S. 956. 699 Klee: Tagebücher, Nr. 553, S. 183. 700 Ebenda, Nr. 692, S. 224. 701 Ebenda, Nr.697, S. 225. DieNatur kannsich Verschwendung inallem erlauben, derKünstler 702 Ebenda, Nr.857, S. 294. „ mußbis insletzte sparsam sein. ... Wille undDisciplin ist alles. Disciplin imHinblick aufdas ganze Werk, Wille imHinblick aufseine Teile. Wille undKönnen sind dasehr eins, wernicht kann, kannhier nicht wollen. DasWerk vollendet sich dannausdiesen Teilen durch die aufdas Ganze gerichtete Disciplin.“(S. 292).

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Ton undFarbe an sich schon Mysterium. Was für ein anziehendes Schicksal, heute die Malerei zu beherrschen, (wie ehedem für den Musiker).“703Das Bild in der Farbe ist durch das Wort nicht zu ersetzen, weil das Imago näher amreligiösen Geheimnis desUrsprungs weilt, aber dennoch ist dasWort als Logos bei derSuche nach der Klärung desSelbst für Klee unverzichtbar. Mankann also denWert von Klees Tagebuch –seiner Selbstschrift –gar nicht hoch genug einschätzen. Huggler hatrichtig erkannt, daßdiedortniedergelegten frühesten theoretischen Reflexionen wiediegedankliche Klärung, dietheoretische Überlegung unabhängig von zeigen, „ einem Lehrzweck das praktische Schaffen von früh an begleitete, von diesem angeregt sich entwickelte und rückwirkend die Produktion selber befruchtete“ . Klees „Aufzeichnungen der inneren Erfahrung und Entwicklung“machen die zueinem derbedeutendsten Zeugnisse derKünstlerpsychologie“. Autobiographie „ 704Diese Einschätzung „ Im Tagebuch liegt die Theorie in statu nascendi vor.“ ideologiekritischen“Klee-Forschung umstritten. Bis heute Hugglers ist in der „ noch glaubt man, Klee denVorwurf der Selbststilisierung undSelbstinszenierung machen zu müssen, die es zuenthüllen gelte. Diese Kritik ist nicht weiter ernst zu nehmen, denn sie läßt das fundamentale Faktum außer Betracht, daßdie Tagebücher einen wesentlichen Bestandteil vonKlees Bildnerischem Denken ausmachen und damit gleichzeitig einen unabtrennbaren „Bestandteil seines künstlerischen DieAutobiographie, dieSchrift desLebens, daser lebt unddas Aktes“darstellen. „ er selbst schreibt, ist ein Bestandteil des Kunstwerks, das er herstellt.“„Klee konstruiert, kritisiert und korrigiert sein Selbst in diesen Tagebüchern, und er stilisiert es endgültig, als er deren Reinschrift unternimmt. Er trägt in diese Bücher ein, wasnurin irgendeiner Weise Bezug aufdasSelbst undseine Gestaltung haben kann.“705

Ich“eine zentrale Rolle spielt, sind eine Klees Tagebücher, in denen das „ Ich bin mein Stil“.706 Selbst-Stilisierung“in dempositiven Sinne von: „ „ Ichs“in der Chronologie inneren „ Geschichte eigenen Klees des Folgen wir Ganz sicher habe ich in productiven Momenten dengrosseiner Autobiographie: „ senVorteil, ganz Ruhe zusein, ganz nackt vormirselber, kein Ich desTages, ganz Ich-Summe, ganz Werkzeug. Ein Ich dasZuckungen unterworfen ist, mindert den Stil herab, undtritt im steifen HutausdemRahmen heraus. Guten Tag Monsieur Ich, washaben sie heute für eine Krawatte umgebunden? möchte manmanchmal , notiert Klee 1905.707 In derGestaltung desKunstwereinem ‚Kunstwerk‘zurufen“ , verwandelt sich das Ich desTages“in die „Ich-Summe“ kes verwandelt sich das„ Ich zum Selbst, das über die Darstellung der eigenen Persönlichkeit hinausgeht. Subjektives weitet sich zuObjektivem. Die Individualität ist nichts Elementares, sondern einOrganismus. Elementa„ re Dinge unterschiedlicher Art wohnen daunteilbar zusammen. Wenn manteilen 703 704 705 706 707

Ebenda, 1918, Nr. 1121, S.460. Huggler: Klees Kunsttheorie, S. 427, 428, 431. Schmid: Lebenskunst bei Klee, S. 957. Klee: Tagebücher, Nr.425, S. 154. Ebenda, Nr. 605, S. 207.

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wollte stürben die Teile ab. Mein Ich ist beispielsweise ein ganzes dramatisches Ensemble.“Die Ich-Summe. „ Datritt ein prophetischer Urvater auf. Dabrüllt ein brutaler Held. Da räsoniert ein alkoholischer Bonvivant mit einem gelehrten Professor. Da himmelt eine chronisch verliebte Lyrica. Da tritt der Papa pedantisch entgegen. Davermittelt dernachsichtige Onkel. Datratscht dieTante Schwätz. Da kichert die Zofe schlüpfrig. Undich schaue zumit erstaunten Augen, die gespitzte Feder in der Linken. Eine schwangere Mutter will auftreten. Bscht! rufe ich, du gehörst nicht hierher. Dubist teilbar. Undsie verblasst.“ 708 Klee beschreibt hier mit bildhaftem Witz die polyphone „Ich-Summe“als Blick in das innere Ich, aus dem die gespitzte Feder intuitiv schöpft. Das Ich ist nicht ein- sondern mehrdimensional. Das Ich enthält den „Urvater“ , den „Held“ , , den„Professor“inPotentialität. den„Bonvivant“ 1911 hält Klee Rückschau auf seinen künstlerischen Weg: „ Ich wardas Abbild eines Stückes Kunstgeschichte, bewegte mich zumImpressionismus undüber ihn hinaus. ... ZurZeit geht mirüber vanGogh mancherlei auf. Ich fasse mitanHand seiner Briefe, die ich in Auswahl besitze mehr undmehr Vertrauen zu ihm. Er konnte tief, tief! in seine Brust greifen. An solchem Markstein wird überhaupt kaumeiner so leicht vorbeistürmen, denndiehistorische Uhrgeht inderGegenwart härter als in der kunstgeschichtlichen Betrachtung. ... In hellen Momenten überblicke ich nun zuweilen zwölf Jahre Geschichte des eigenen inneren Ichs. Das krampfige Ich zuerst, jenes Ich mit grossen Scheuklappen, dann der Wegfall der Scheuklappen unddes Ichs, jetzt allmählich wieder ein Ich ohne Scheuklappen. Gut dass mandas alles nicht vorauswusste.“709DerWegderSelbstwerdung des Ich ist unberechenbar; entscheidend ist der Blick nach innen, wie Klee amBeispiele van Goghs aufzeigt, und das Hören auf die „innere Stimme“ , wie Kandinsky sagen würde.

Es 1914, während einer Tunis-Reise, hat Klee sein farbiges Initialerlebnis: „ so tief undmildin michhinein, ichfühle dasundwerde sosicher, ohne Fleiß. Die Farbe hatmich. Ichbrauche nicht nach ihrzuhaschen. Sie hatmich fürimmer, ich weiss das. Das ist der glücklichen Stunde Sinn: ich unddie Farbe sind eins. Ich bin Maler.“710Die Einheit von Ich undFarbe, zu der Klee hier gelangt, ist von gravierender Bedeutung, dennmitderFarbe hatKleejenes bildnerische Medium an dringt

derHand, mitdemderdie angestrebte „Synthese“von„Kunst/Natur/Ich“gestalten undin welcher sich das Ich zumSelbst verwandelt. Aber Klee wird in unbeschreiblichen“Schönheit der Natur, die er Afrika auch bewußt, daß er der „ dort erlebt, mitdenherkömmlichen, imitativen Mitteln nicht beikommen kann, und Der Abend ist unbeschreiblich. daß er noch auf demWeg zu seinem „Stil“ist. „ ZumÜberfluss geht auch noch der Vollmond auf. Louis reizt mich: ich sollte es malen. Ich sage: Es wirdhöchstens eine Übung. Natürlich versage ichdieser Nacht gegenüber. Aber ich weiss doch etwas mehr, als vorher. Ich weiss die Strecke von kann711,

708 Ebenda, Nr. 638, S. 214. 709 Ebenda, Nr. 889, S. 315, 316. 710 Ebenda, Nr.9260, S. 350. 711 Ebenda, Nr. 926f, S. 340.

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meinem Versagen bis zurNatur. Dasist eine innere Angelegenheit fürdienächsten Jahre. ... Es darf nicht eilen müssen, wenn manso viel will. Der Abend ist tief in mirdrin fürimmer. Mancher blonde Mondaufgang desNordens wirdals gedämpftesSpiegelbild michleise mahnen, undimmer wieder mahnen. Er wirdmeine Braut sein, mein anderes Ich. Mich zufinden einAnreiz. Ich selber aber binderMondaufgang des Südens.“712 In dieser Textpassage beschreibt Klee die notwendige Verschmelzung von äußerer undinnerer Natur, d.h. zu demergreifenden äußeren Erlebnis der Natur mußdie adäquate innere Disposition desIchgefunden werden, damit eine befriedigende Gestaltung gelingen kann. Kunst undLeben sind also aufdasengste miteinander verknüpft, denn die Fähigkeit zurbildnerischen Gestaltung wächst mit der Selbstwerdung des Ich.

Das Ich hat bei Klee auch eine religiöse Dimension, die auf den Gott im Dann verteidigte ich das Ich, unterMenschen hinweist. 1915 notiert Klee dazu: „ scheidend zwischen einem selbstsüchtigen und zwischen einem göttlichen Ich. Dies Ich erklärte ich als das einzig verlässliche an der ganzen schöpferischen Kunstangelegenheit, underklärte weiter, mein Vertrauen zuandern beruhe nurauf dem gemeinsamen Gebietsteil zweier Ich. Dabei gebrauchte ich als Illustration zwei sich schneidende Kreise.“713(Siehe Abb. 6) Das göttliche Ich im Künstler ist die gottebenbildliche Schöpferkraft des Menschen. Die Selbsterkenntnis des Ich führt zur Gotteserkenntnis in mir. Was berechtigt uns zu dieser Schlußfolgerung? Wie in derZeichnung zu„Wege desNaturstudiums“(Siehe Abb. 5) stellt Klee das IchdesKünstlers auch imTagebuch alsAugedar, alseinKreis miteinem zentrierten Punkt, der Pupille. Das Auge, das in die Außen- und Innenwelt blickt, ist das zentrale Erkenntnismittel des Künstlers. In Platons Dialog zwischen Sokrates undAlkibiades, den ich im folgenden paraphrasiere, macht Sokrates darauf aufmerksam, daßdasAuge auch soetwas wie ein Spiegel ist. Wennjemand in ein Auge hineinsieht, erscheint sein Gesicht in der gegenüberstehenden Pupille wieineinem Spiegel, diewirdeshalb auchdas„Püppnennen, daeseinAbbild desHineinschauenden ist. Daraus schließt Sokrates, chen“ daßeinAuge, welches einAugebetrachtet undindashineinschaut, wasdasEdelste darin ist und womit es sieht, sich also selbst sieht. Wenn ein Auge sich selbst schauen will, mußes in die Pupille eines Auges sehen, weil in der Pupille die Bild“derSelbsterkenntnis desAuges eigentliche Tugend desAuges sitzt. Dieses „ überträgt Sokrates nunaufdie Seele. Auch die Seele, die sich selbst erkennen will, mußin denTeil derSeele sehen, wodie Tugend derSeele wohnt, unddasist die Weisheit, denn in der Seele gibt es nichts göttlicheres als das Wissen und die Vernunft. „ DemGöttlichen also gleicht dieses in ihr, undwer auf dieses schaute undalles Göttliche erkennte, Gott unddie Vernunft, derwürde so auch sich selbst ambesten erkennen.“714 712 Ebenda, Nr. 926k, S. 344. 713 Ebenda, Nr. 961, S. 370, S. 371 faksimilierte Seite aus Klees Tagebuch mit der Zeichnung der sich schneidenden Kreise. 714 Platon: Werke in 8 Bänden, hrsg. vonG. Eigler, Darmstadt 1977, Bd. 1, S. 627, 629.

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Teil II

Der Künstler, der sich selbst im Spiegelbild erkennt, erkennt in sich das Göttliche. Klee: „ Wenn auch nur Widerhall, nur Gottes-Spiegel, so doch Gottes Nähe, Tropfen vonTief, Licht ansich.“ 715

19. Der Künstler als Kreator – Die Gottebenbildlichkeit desKünstlers auf demZeitband der Geschichte

Gott istja auch nichts anderes als ein Künstler. Ererfand dieGiraffe, denElefanten und „ die Katze. Genaugenommen hater keinen Stil. Er versucht immer neue Dinge.“ Pablo Picasso716

Vom Beginn seiner künstlerischen Entwicklung an ist Klee auf der Suche nach Gott. Der Weg der Selbstwerdung des Ich, der zum Stil führt und damit zur Fähigkeit der Gestaltung, beginnt mit der zwiespältigen Erkenntnis, einerseits Gott“zu sein undandererseits noch nicht gestalten zukönnen. 1901 notiert Klee: „ „ Ich bin Gott. So viel desGöttlichen ist inmirgehäuft, dass ich nicht sterben kann. Mein Haupt glüht zumSpringen. Eine derWelten, die es birgt will geboren sein. Nunaber muss ichleiden vordemVollbringen.“717DieKopfgeburt bereitet Schmerzen. „Über den Sternen will ich meinen Gott suchen. ... Wie kann ich ihn erkenSchrei nach demgerechten Gott.“ „ AufdemWeg nen? Lächeln muss er wohl... .“ zu demgerechten Gott: „Begegnung mit Prometheus.“718Klee vergleicht sich mit dem mythischen Halbgott, der der Überlieferung nach den ersten Menschen aus Lehm gebildet hat und damit ein Urbild des schöpferischen Künstlers darstellt. Prometheus, derZeus dasFeuer entwendet hat undes denMenschen auf die Erde bringt, womit dieEntwicklung derKultur beginnen kann. Goethe hatdieses mythologische Ereignis in einem Gedicht gewürdigt: „ Ließ nicht Prometheus selbst diereine Himmelsglut auf frischen Tonvergötternd niederfließen? Undkonnt er mehr als irdisch Blut durch die belebten Adern gießen?719

Klee sieht sich als „eine ArtPrometheus. Ichtrete vorDichZeus, weil ichdie Kraft habe dazu. Du hast mich bevorzugt, das zwingt mich zu Dir. Weise genug Dich hinter allem zu vermuten, such ich nicht denmächtigen, sondern denguten Gott. Nunhöre ich Deine Stimme ausderWolke: Duquälst Dich, Prometheus. Qualen waren stets meinLos, daichzurLiebe geboren bin. Ofthobichfragend-bittend den Blick zuDir: vergebens! So poche denn anDeine Türdie Grösse meines Hohnes. Wenn ich nicht genüge, lass ich Dir diesen Stolz. Gross bist Du, gross ist Dein 715 Klee: Tagebücher, (1914), Nr. 948, S. 364, 365. 716 Picasso: Über Kunst, S. 75. 717 Ebenda, Nr. 155, S. 65. 718 Ebenda, Nr. 176, 177, S. 72. 719 Ilmenau, 3./X. 1783, zitiert nach Goethe, Taschenlexikon, S. 275.

19. Der Künstler als Kreator

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Werk. Aber nurgross imAnfang, nicht vollendet. EinFragment. Vollende! ... Nur derMensch, welcher ringt hatmeinJa. UndderGrösste unter ihnen binich, dermit derGottheit ringt. Ummeiner undvieler Schmerzen willen richt ich Dich, dass Du nicht vollbrachtest. Dein bestes Kind richtet Dich, Dein kühnster Geist, verwandt zuDir undabgewandt zugleich.“720 Klee derGottsucher will wiePrometheus nicht nurgeschehen lassen, sondern mitgestalten. Er will die unvollendete Schöpfung, die nur Fragment und nicht abgeschlossen ist, fortsetzen; „ der Genesis Dauer verleihend“ , dehnt der Künstler jenes weltschöpferische Tunvonrückwärts nach vorwärts“ „ , wie Klee in seinem Jenaer Vortrag bekannte.721 Derim Bild des Prometheus mitGott ringende Künstler ist die Metapher dermenschlichen Kreativität: Jeder Mensch ist ein „Künstler“ , weil das Ich an der göttlichen Schöpfungskraft partizipiert. Das ist das „ göttliche , das Klee (siehe oben) als daseinzig verläßliche anderganzen schöpferischen Ich“ Kunstangelegenheit bezeichnet. Klee verfällt also nicht der Hybris, sich mit Gott gleichzusetzen, sondern er fühlt sich zu ihmverwandt; aber diese Verwandtschaft ist keine exklusive, sondern eine, die ihn mit seinen Mitmenschen verbindet, wie derfolgende Tagebucheintrag erkennen läßt, denKlee unterstreicht, wohlumseine Relevanz hervorzuheben, dennUnterstreichungen finden sich nuranwenigen StelIch suche mirbei Gott einen Platz für mich, undwenn ich zu len des Tagebuchs. „ Gott verwandt bin, will ich mir nicht einbilden, dass meine Brüder nicht auch zu mirverwandt seien; doch ist dasihre Sache.“722 Dieses Zitat stammt aus demText, den Klee anläßlich des Todes von Franz Marc 1916 geschrieben hat. „Wenn ich sage werFranz Marc ist muss ich zugleich bekennen wer ich bin, denn vieles woran ich teilnehme gehörte auch ihm.“Aber Klee stellt vor allem die Unterschiede seiner „Weltanschauung“zu derjenigen Marcs heraus, so daßderText zuseinem Selbstbekenntnis wird. Die Bedeutung, die Klee diesem Bekenntnis gegeben hat, bemißt sich auch daran, daß er den Tagebucheintrag Nr. 1008 auf zwei linken Seiten des Manuskriptes durch einen zusätzlichen Text ergänzt hat, um seinen eigenen Standpunkt klarer herauszustellen. Diese beiden Texte nehmen also eng aufeinander Bezug, was in der folgenden er liebt wärmer, , sagt Klee, „ menschlicher“ Zitierung berücksichtigt ist. Marc sei „ ausgesprochener. ZudenTieren neigt er sich menschlich. Er erhöht sie zusich. Er . „Meiner Kunst fehlt löst nicht sich zuerst als zum Ganzen zugehörig auf ...“ leidenschaftliche Art der Menschlichkeit. Ich liebe Tiere und sämtliche Wesen nicht irdisch herzlich. Ich neige mich weder zu ihnen noch erhöhe ich sie zu mir. Ich löse mich ins Ganze auf und stehe dann auf einer brüderlichen Stufe zum nicht nur mit Tieren, nächsten, zu allen irdischen Nachbarn.“Klee will sich „ sondern auch mit Pflanzen undSteinen auf einer gleichen Stufe“sehen. Bei Klee Der Erdgesteht also die kosmische Verbundenheit aller Dinge im Vordergrund: „ In Marc steht derErdgedanke vordem danke tritt vordemWeltgedanken zurück.“„ Weltgedanken ... DasFaustische in ihm, dasUnerlöste. Ewig fragend. Ist es wahr? 720 Klee: Tagebücher (1901), Nr. 180, S. 72, 73. 721 Klee: Kunst-Lehre, S. 82. 722 Klee: Tagebücher (1916), Nr. 1008, S. 402.

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Teil II

Das Wort Irrlehre gebrauchend. Nicht aber die stille Zuversicht des Glaubens.“ Meine Liebe ist religiös. Alles Faustische ist mir Dagegen Klees Standpunkt: „ fremd, tausend Fragen sind in Erlösung verstummt. Ich kenne weder Lehren noch Irrlehren. Nurdie Zuversicht des Glaubens stützt mich.“„ Ich suche mir bei Gott einen Platz für mich ...“Nur hier ist es für Klee möglich, sich aus der irdischen Gebundenheit zu lösen undsich ins Ganze aufzulösen –der Weltgedanke: „ Ich suche hierin einen entlegeneren, schöpfungsursprünglicheren Punkt, wo ich eine Art Formel ahne für Tier, Pflanze, Mensch, Erde, Feuer, Wasser, Luft undalle

kreisenden Kräfte zugleich.“ Marc dagegen sei noch ein „Mensch“gewesen, derin seiner Erdgebundenheit, voneinem „Rest vonRingen“gefesselt war, undKlee fürchtet gar, Marc hätte sich nach dem Krieg wieder „irdischer Schlichtheit“zuwenden können, unddas heißt für Klee zu den traditionellen, „naturalistischen“Formen der bildnerischen Spra, wie Klee selbst es in che. „Nicht aus Totalitätsabsichten diese Welt mitberühren“ seinen Bildern getan hat, würde Marc, „sondern ganz in sie zurückkehren aus . „Marc war noch Species nicht Neutralgeschöpf.“Klee: „Meine Menschenliebe“ Glut ist mehr von der Art derToten oder der Ungeborenen. Kein Wunder dass er „ Mein Licht mehr Liebe fand. Edle Sinnlichkeit zog wärmend ziemlich viele an.“ ist zuweißglühend umallzuvielen warm zuscheinen. Also finde ich auch nicht die Liebe vieler. Keine noch so edle Sinnlichkeit brückt zuihnen. Ich bin kosmischer Wege des Anhaltspunkt, nicht Species.“So wie Klee es auf der Zeichnung zu „ Naturstudiums“(Siehe Abb. 5) dargestellt hat. DasIch desKünstlers ist als Augen, der im Augenblick der bildnerischen punkt –der kosmische Anhaltspunkt – ... ich möchte Schöpfung die kosmischen Bewegungen anhält undordnet. Klee: „ über das Pathos hinaus die Bewegung ordnen. (Die neue Romantik.)“ unddas Neutralgeschöpf“ Klee will nicht menschliche Spezies sein ‚sondern „ Mein irdisch Auge ist manchmal kosmischer Anhaltspunkt“fungieren. „ heißt, als „ sehr zerstreut. Ich sehe durch die schönsten Dinge (‚Er sieht sie nicht‘ heißt es Marc warnoch Species nicht Neutraldann.) [Aber] Kunst ist ideelle Schöpfung.“„ geschöpf. Icherinnere mich seines Lächelns wennmeinem Auge irdische Momente 723 entgingen. Kunst ist wie Schöpfung, undgilt amersten undamletzten Tag.“ Klee verstand seine künstlerische Funktion als Mittler, als Mittler zwischen Erde undWelt, zwischen Mensch undGott, zwischen Gestern undHeute, zwischen Welch ein beträchtliches Hüben und Drüben, zwischen Diesseits und Jenseits. „ Schicksal, Waage zusein zwischen Hüben undDrüben, Waage aufderGrenze des Gestrig-heutigen.“724WieKlees Selbstbekenntnis offenbar macht, schlägt dieWaage mehr inRichtung nach derSehnsucht aus, sich ausdermenschlichen ErdgebundenIch bin gewappnet, ich bin nicht hier, ich bin in der Tiefe, bin heit zu befreien. „ , notiert Klee zwei Jahre vor seinem Text über fern. ... Ich glühe bei denToten.“ Marc undsich in sein Tagebuch.725 Die jenseitige Welt der Toten, die Klee hier

, S. 363. Die Unterstreichungen sind von 403. DasZitat zur„neuen Romantik“ 723 Ebenda, S. 400– Klee.

724 Ebenda, Nr.957, S. 368. 725 Ebenda, Nr.931, S. 362.

19. Der Künstler als Kreator

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anspricht, ist es die griechisch-mythische Unterwelt, dasPurgatorium, in derman glüht oder derchristliche Himmel?726 Klee läßt dasbewußt offen, dennes geht ihm ja nicht umeinreligiöses Bekenntnis zueiner bestimmten Konfession. Er will auch nicht Zeugnis ablegen über seine Frömmigkeit oder Nichtfrömmigkeit. Klee will lediglich bewußt machen, daß für ihn als Künstler der Glaube an einen Schöpfergott, zu dessen Schöpferkraft er sich in Analogie setzen kann, etwas Unverzichtbares ist. Badt hat in seinem Versuch, eine Geschichte derIdee vonderGottebenbildlichkeit desKünstlers zuschreiben, aufgewiesen, daßdieIdee derbesonderen Nähe desKünstlers zuGott ihre Wurzeln inantikem, jüdischem undchristlichem Denken hat, unddaßgerade indieser Kombination einWesensmerkmal jener Idee vonder Gottbegabtheit der Künstler zu sehen ist. Klee läßt sich amehesten in die Reihe der nach ihrer Meinung wirkt Gott, dessen zeitloser Pantheisten einordnen, denn „ Schöpfungsakt ja nieendet undderüberall in derWelt schöpfend weiterwirkt, stets alles, wasEr undwie Er kann, umseine eigene Vollendung zuerreichen. Das in dieser Vorstellung enthaltene Evolutionsmoment, derGedanke eines sich verwirklichenden Gottes, hatoffenbar fürdieVorstellung vommodernen Menschen undvor 727In dieser allem vom modernen Künstler eine eminente Bedeutung erhalten.“ gestanden under hat es auf denPunkt Tradition hat z.B. auch Max Liebermann gebracht, was demKünstler an der Idee des Pantheismus so wesentlich ist. „ Die Nachahmung derNatur seitens desKünstlers ist immer eine Nach- undNeuschöpfung, die in derDarstellung dessen besteht, waser, undzwar das, waser undkein Andrer in die Natur hinein oder aus der Natur heraussieht. Aber künstlerisches Sehen heißt nicht nuroptisches Sehen, sondern auch Erschauen der Natur.“Diese Synthese vonäußerem Sehen undinnerem SchauUnterscheidung entspricht Klees „ ist es ein Anderes mitdenAugen desKam. Daher, sagt Liebermann weiter, „ en“ merdieners ... oder mitdenAugen des Künstlers dieWelt anzusehen: nurwersie als ein lebendiges Ganzes anschaut, ist ein Künstler. NurwerdenOdemGottes in der Natur spürt, wird in Wirklichkeit lebendig gestalten können, nurder Pantheist, und darin scheint mir der Grund für die unbegrenzte Verehrung zu liegen, die Goethe zeit seines Lebens für Spinoza empfunden hat. Der Künstler erfaßt die Wirklichkeit als Werdendes, nicht als Gewordenes. ... Nicht das Was, auch nicht das Wie, den Begriff der lebendigen Natur zu gestalten, macht den Künstler.“728 Die natura naturans ist das Ziel des Künstlers, nicht die natura naturata. Wie der , bestimmt seine Kunst, denn Weltanschauung“ Künstler die Welt anschaut, seine „ mit innerer Notwendigkeit zurManifestation da- oder sie drängt, wie Klee sagt, „ dorthin“.729

726 Ebenda, Nr. 1121, S. 460. 1918 schreibt Klee: „Köpfe grinsen drumherum, teufliche Masken gucken zumFenster herein. DieBestien genießen. Irgendeinen Sinn mußes doch haben, dass ummich immer ein Stück Hölle ist. Unddiese ist wenigstens ganz sanft. NureinReflex der wirklichen.“

, inBadt: Kunsttheoretische Versuche, S. 92. DerGott undderKünstler“ 727 „ 728 Liebermann: Schriften, S. 37. 729 Klee: Kunst-Lehre, S. 93.

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Teil II

Aber nicht nur mit pantheistischem Gedankengut läßt sich Klees Denken in einem sinnvollen Zusammenhang sehen, sondern auchmitBemühungen dermittelalterlichen Philosophie, das Wesen der Gottheit zu erfassen. Wie Badt aufgezeigt hat, wurde im Mittelalter „ die Vorstellung des schaffenden Gottes philosophisch ausgebildet, auf welcher ruht, waswirschließlich als die Lehre vomGenie verstehen gelernt haben“ . Bei Thomas von Aquino lesen wir: „Alle natürlichen Dinge sind vondergöttlichen Kunst –ab arte divina –hervorgebracht, woher sie gewissermaßen Kunstwerke aus der Hand Gottes selbst sind.“ 730Gott besaß die „ ars“ , das heißt dasWissen umdas Machen, undeine „Idee“vonjedem zu schaffenden Ding. Indem Gott „ mit ideenhaft vorausgesehenen Bildern ... arbeitet, zeigt sich Gott schon sehr nahe dem schaffenden Künstler, dessen Produzieren auf genau dieselbe Weise erklärt wird. Auch er schaut, intuiert, Ideen; er entwirft Ideenskizzen, undnach ihnen arbeitet er ...“ . Gottes „arsaeterna“ist Ausfluß seiner Güte, die wirken will undmuß. Vergleichbar ist der nicht zu hemmende innere Drang des Künstlers, sich in Werken mitzuteilen. Undso „ wie ein Künstler seinen Werken den Stempel seines Geistes aufdrückt, so hat Gott seinen Werken die Wahrheit, Güte undSchönheit seines ewigen Seins mitgeteilt“ . Bei Robert Grosseteste ist Gott die vollkommendste Vollendung, undso gilt er die schönste denkbare Form“ als „ . In Analogie dazu hat sich in späterer Zeit der Gedanke vomMenschen entwickelt, „ derinwendig voll schöner Formen sei, Spiegelungen der ursprünglichen göttlichen Schönheit, die er außen in Kunstwerken 731Noch bei Liebermann findet sich dieser Gedanke: „Natura sive verwirkliche.“ deus! Gott schuf denMenschen nach seinem Ebenbilde: Der Künstler schafft nach seinem Ebenbilde die Welt!, was Goethe in die schönen Worte kleidet: ‚Wie köstlich ists, wenn ein herrlicher Menschengeist ausdrücken kann, wassich in ihm bespiegelt.‘ 732 “ Indermittelalterlichen Philosophie gilt Gott nicht nurals dievollendetste Form undhöchste Schönheit, sondern zugleich auch als „ derInbegriff desWahren“ . Auf Grund dieser ursprünglichen Zusammengehörigkeit von Schön undWahr gelangt der gottebenbildliche Mensch dazu, „ in seinen schönen Formideen Wahres zu schauen“ . Damit ist der wesentliche Bezug der Kunst zur Erkenntnis hergestellt. Bei Thomas vonAquino „enthält dasSchöne eine Kraft derEinsicht“ . Das Schöne wird bezogen auf die Erkenntniskraft undder Künstler, der fähig ist, Schönes zu gestalten, hat auf ganz besondere Weise an der Erkenntniskraft teil. Badt: „ Er gelangt nicht durch logisches Denken, durch Vernunft undVerstand, zumErkennen, sondern durch ein unmittelbares Schauen des Wesens derDinge. –Wasimmer dies Wesen sein möge, derKünstler, demdie Gabe zugeschrieben wird, Wesen der Dinge in seinen Werken zu erkennen, verdankt diese Bestimmung demVorbilde 733 dergöttlichen Natur.“ Mit demBeginn derRenaissance werden die Eigenschaften Gottes ausdrückEs begann derbis gegen lich aufdie Person desschaffenden Künstlers übertragen. „ 730 Zitiert nach Badt: Kunsttheoretische Versuche, S. 91. 731 Ebenda, S. 93. 732 Liebermann: Schriften, S. 47. 733 Badt: Kunsttheoretische Versuche, S. 93, 94.

19. Der Künstler als Kreator

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das Ende des 19. Jahrhunderts dauernde Prozeß der Säkularisierung des Gottesbegriffes zumKünstlerbegriff des Genies.“In der Kunst der Renaissance in Italien wird die virtuose Schaffenskraft solcher Künstler wieLeonardo, Michelangelo und Raffael bewußt undsie wirdinAnalogie zurgöttlichen Schöpferkraft gesetzt. Aber nicht nur mit ihren überragenden bildnerischen Werken haben die RenaissanceKünstler Zeugnis abgelegt von ihrer genialen, gottähnlichen Begabtheit, sondern auch in Wort undSchrift. In derRenaissance liegt daher derentscheidende Anfang der Künstlerästhetik, die bis zumBildnerischen Denken Klees undderPlastischen Theorie Beuys’ihre kontinuierliche Fortsetzung findet. Dabei bleibt die Idee oder besser der Leitgedanke der Gottebenbildlichkeit des Künstlers immer präsent. Bereits in den Schriften des Leonardo wird der Künstler, so Badt, „ganz mit der Terminologie desmittelalterlichen Schöpfergottes beschrieben: In seiner Phantasie besitzt er die Ideen, undseine Hände erschaffen, souverän, wie Gottes Hände, auf Grund derselben harmonischen Schönheiten, die Gott einst den Harmonien des 734 Kosmos zugrunde legte.“ Bei Leonardo selbst lesen wir: „ Das göttliche Wesen der Wissenschaft des Malers bewirkt, daß sich sein Geist in ein Abbild göttlichen Geistes verwandelt; frei schaltend undwaltend, schreitet er zur Erschaffung mannigfacher Arten verschiedener Tiere, Pflanzen, Früchte, vonDörfern, Land, herabstürzenden Bergen, angst- und schreckenerregenden Orten, die demBetrachter Grauen einjagen, und auch von angenehmen, lieblichen undreizenden Wiesen mit bunten Blumen, die von sanften Lüften leicht gewellt dem von ihnen scheidenden Wind nachblik735Im folgenden beschreibt dannLeonardo die sich austobenden Naturgewalken.“ tenvonWindundWasser, diederKünstler allesamt dauerhaft darstellen unddamit , sagt Leonardo, kann derMaler hervorbrinerschaffen kann. Als „Herr undGott“ genwaser will. „ Ohwunderbare Wissenschaft, duerhälst die hinfällige Schönheit der Sterblichen amLeben, die dadurch dauerhafter wird als die Werke derNatur, denn diese unterliegen demunablässigen Wechsel derZeit undwerden notgedrungen alt. Die Wissenschaft (die Malerei) verhält sich zumgöttlichen Wesen wie ihre Werke zu den Werken dieses Wesens, unddeshalb wird sie angebetet.“736 Mit anderen Worten, die Malerei verhält sich zu Gott wie die Kunstwerke zu Die Natur ist schöpferisch und wir sind den Naturwerken. Bei Klee heißt das: „ 737„Kunst verhält sich zur Schöpfung gleichnisartig. Sie ist jeweils ein Beies.“ 738Was soll mit dieser spiel, ähnlich wiedas Irdische ein kosmisches Beispiel ist.“ Textsynopse ausgesagt werden? Unser Hinweis auf die Kunsttheorie Leonardos führt vorAugen, wietief ebendasbildnerische Denken Klees inderGeschichte der Künstlertheorien verwurzelt ist. Die unbezweifelbare Kontinuität derGrundgedanken der Künstlerästhetiken wirft auch ein erhellendes Licht auf die Wertigkeit dieses Phänomens.

734 Ebenda, S. 95.

735 Leonardo: Schriften, S. 165, 166.

736 Ebenda, S. 146.

737 Klee: Unendliche Naturgeschichte, S. 259. , zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, S. 65. 738 „Schöpferische Konfession“

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Teil II

Wie Felix Klee bezeugt hatundwie manunschwer ausdenPersonenregistern zudenTagebüchern unddenBriefen andie Familie ersehen kann, warsein Vater äußerst belesen, mandarf wohldavon ausgehen, daßKlee diese Dinge gekannt hat. Aber wie Leonardo im übrigen auch, hat Klee es als denkender Künstler nicht für nötig gefunden, seine Quellen zu benennen. Das ist kein Manko, denn Literaturnachweise hätten demGanzen den Anstrich von„ Wissenschaftlichkeit“gegeben,

einen Eindruck, denKlee unbedingt vermeiden wollte, auch wäre seinem schriftlichen Werk der poetische „Kunstcharakter“abhanden gekommen, den Klee aber, wie die Überarbeitung seiner Tagebücher beweist, bezweckt hat.739 In diesem Zusammenhang gilt es auch zu berücksichtigen, daß Klee sein Gesamtwerk als Synthese aus „ Lebenskunst“ , Dichtkunst, Philosophie undBildender Kunst ver-

standen hat.740 Wir müssen nochmals auf Badts Ausführungen zumVerhältnis vonGott und Künstler zurückkommen, dennBadt hatnoch aufandere Aspekte hingewiesen, die auch für Kandinsky, Klee undBeuys vonBelang sind. Die „vollständige Säkularisation des Gottesbegriffs ins Künstlerische“sieht Badt in den Persönlichkeiten Michelangelos undRaffaels vollzogen. Die Virtuosität undErhabenheit ihrer Werke brachte es dazu, „daßan diesen beiden Künstlern der Genius als der imMenschen wirkende Gott, als Gottinkarnation, aufgefaßt wurde“ . Während man in terribilità“anhing, eine Verwandtschaft zu dem Michelangelo, demder Ruf der „ Furchtbaren des weltschaffenden Gottes des Alten Testamentes konstatierte, fand maninRaffael dasmilde Wesen desschaffenden Gottes wieder. Vasari bezeichnete , weil er die Imaginaihn als „sterblichen Gott“under galt deswegen als „divino“ die höchsten geistigen Werte, Personen, Ideen, wieGlaube, tionsfähigkeit besaß, „ .741 Philosophie, Dichtung, in die Sichtbarkeit zubringen“ Ohne Beuys undRaffael damit künstlerisch irgendwie aufeine Stufe stellen zu wollen, so gilt es aber ideengeschichtlich bewußt zumachen, daßes ein zentraler Gedanke der Beuysschen Kunsttheorie ist, daßderMensch sich seines göttlichen Wesens wieder bewußt wird in demSinne, daßer über ungeahnte Fähigkeiten und Kräftepotentiale verfügt, dieletztlich göttlichen Ursprungs sind. Umdies zuexemplifizieren, ist die Figur des Künstlers besonders geeignet, denn für Beuys wares die „Aufgabe der Kunst ... aus einem übersinnlichen Bereich etwas herunter [-zu holen], was die Verhältnisse verändert“742, unddasheißt etwas sonst Unsichtbares in derGestaltung desWerkes sichtbar zumachen. die Originalität als MitderHochblüte derKünstler derRenaissance tritt auch „ konstituierender Wert eines Kunstwerkes“in denVordergrund. Auch darin ist eine WieGott imAkte derWeltschöpfung Annäherung desKünstlers anGott zusehen. „ einmalig undewig gewesen war, so galt nunjeder bedeutende Künstler aus der Originalität seiner Werke heraus als einmalig, ursprünglich undals von zeitloser redigiert undins Reine geschrieben hat, weist Christian Geelhaar nach: Journal intime oder Autobiographie? Über Paul Klees Tagebücher, in Katalog: Klee, 259. Frühwerk, S. 246– 740 Klee: Tagebücher, Nr. 137, S. 60. 741 Badt: Kunsttheoretische Versuche, S. 95, 96. 742 Beuys: Selbstdarstellung, S. 50.

739 DaßKlee seine Tagebücher

19. Der Künstler als Kreator

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Gültigkeit. Undzwar: zufolge der in seinen Werken sich zeigenden Selbstoffenbarung, zufolge seines persönlichen Stiles, denals Selbstoffenbarung zuverstehen doch nurmöglich warausderÄhnlichkeit, die dasBild des schöpferischen Künstlers mitdemWeltenschöpfer gewonnen hatte. Alsdiese Fähigkeit zurSelbstoffen743 Während das Talent, das jeder barung wurde nun das Geniale erkannt. ...“ Künstler benötigt, eine menschliche Anlage ist, die zu schulen undzuentwickeln möglich sein kann, ist dasGenie eine göttliche Begabung, theologisch Begnadung. Wieschon einmal angesprochen, hält Klee anderIdee desGenies fest undzwar im Zusammenhang mit demBegriff der „Intuition“ . Ohne „Intuition“ , sagt Klee, kannman„nichts zuwahrhaftigem künstlerischen Leben erwecken“ , ohne Intuition gelangt (man) nicht zurTotalisation“undohne Intuition fehlt „ „ dasGeniale“ . Aber „ Genie ist nicht Fleiß“ , „Genie ist Genie, ist Begnadung, ist ohne Anfang undEnde. Ist Zeugung. Genie schult mannicht, weil es nicht Normist, weil es Sonderfall ist. (Es ist unerwartet.) Mit demUnerwarteten ist schwer zurechnen. Unddoch ist es als Führer in Person immer weit vorne dran.“744 Ein Jahr, bevor Klee seinen Exakte Versuche imBereiche derKunst“veröffentlicht, malt er 1927 ein Aufsatz: „ Bild mitdemTitel: „Grenzen des Verstandes“.745(Siehe Abb. 21) DieGleichzeitigkeit von Bildnerischem Denken und denkerischem Bilden wird offenbar. Vor einem gelblich-rotorange schimmernden Lichtgrund, derdie unendliche Weite des Kosmos uns nahe rückt, konstruiert Klee im unteren Bildteil (die Erde) mit dem , filigrane „Luftarchitektur“, in deren Zentrum ein Gesicht irrationale“ Lineal eine „ mit Augen, Nase und Mund zu erraten ist. Dieses semiabstrakte Gesicht steht stellvertretend für den Menschen, der als Wissenschaftler mit Argus-Augen die Natur erforscht, rational analysiert undsich eine kristalline Umwelt, ein einengenGedesGehäuse konstruiert. AusdenLinien des Oberteils dieses verräumlichten „ , wo mangewöhnlich das Denkvermögen ansiedelt, führen zerbrechliche sichtes“ Leiterchen wie eine Treppe nach oben, hin zu einem rötlichen, kreisförmigen Gestirn, das farblich dasganze Bild in einer Tönung dominiert undselbst wie von einem Glorienschein umgeben ist. Unterhalb dieser idealen Kreisform, die seit jeher als Symbol des Göttlichen gilt, macht sich eine atmosphärisch verdichtete Schattenzone breit. Vordieser Barriere bricht dieHimmelsleiter abrupt abundführt wieder nach unten. Aber wie an einem seidenen Faden hängt der verschlossene WegderErkenntnis aneiner geraden Linie, die Klee bis andie Kontur desKreises zieht. Zwei Jahre, ehe Klee sein Bild malt, schreibt er in seinem „Pädagogischen , „die :„ Die reinste Bewegungsform“–dasist derrotierende Kreis – Skizzenbuch“ kosmische, entsteht aber erst durch die Aufhebung der Schwerkraft. (Durch den Alles menschliche Trachten, so Klee, strebt Wegfall irdischer Gebundenheit.)“746„ 743 Badt: Kunsttheoretische Versuche, S. 96, 97. 90. , zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, S. 87– 744 „Exakte Versuche imBereiche derKunst“ 745 Wasserfarben aufgrundierter Leinwand, 56,3 × 41,5 cm, Staatsgalerie moderner Kunst, München. Eine gute Farbabbildung findet sich in: Kulturstiftung der Länder –Patrimonia 65, Staatsgalerie moderner Kunst München: Paul Klee. Wachstum derNachtpflanzen. Vogelgarten. München 1992, S. 56. 746 Klee: Pädagogisches Skizzenbuch, S. 43.

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Teil II

nun‚nach derÜberwindung derleidigen irdischen Gebundenheit, umsich dereinst im All in der geräuschlosen selbstverständlich reinen Dynamik erlöst zu hof747DieReise indieses dynamische LandderMetaphysik führt aber nicht über fen‘.“ die Wege der Ratio, sondern über die der Intuition. Klee: „ Wir konstruieren und

konstruieren, unddoch ist Intuition immer noch eine gute Sache. Mankann ohne sie Beträchtliches, aber nicht alles.“Die Intuition ist durch dieRatio nicht ganz zu Konstruktion des Geheimnisses“ ersetzen. Denn die rationale „ , sagt Klee, ist zum Lachen. „ Sancta ratio chaotica!“„ Aber beruhigen wir uns, Konstruktiv gilt nicht fürTotal.“Ohne Intuition wirdkein Kunstwerk geboren, wird„nichts zuwahrhaftigem künstlerischem Leben erweckt“.748 Sowohl mit seinem Bild als auch mit seinem Denken weist Klee die einseitige Verstandeserkenntnis in ihre Schranken, zeigt, wiederBildtitel besagt, die „Grenzen des Verstandes“auf. Schon neun Jahre zuvor hatte Klee erkannt, daßdieAnalyse derbildnerischen Mittel, also diegedankliche Durchdringung deskünstlerischen Handwerkszeuges füreinen Maler unverzichtbar ist, aber allein noch nicht zur Kunst führt. Er benennt sogar wörtlich den oberen Kreis, dasrote Gestirn desBildes ausdemJahre 1927. 1918 schreibt er: „ ... all dies sind hohe Formfragen, ausschlaggebend für die formale Weisheit, aber noch nicht Kunst im obersten Kreis. Imobersten Kreis steht hinter der Vieldeutigkeit ein letztes Geheimnis, und das Licht des Intellekts erlischt kläglich. ... Die 749 Kunst spielt mit denletzten Dingen ein unwissend Spiel underreicht sie doch!“ Dasunwissend Spiel, die Intuition unddasGeniale waren für Klee notwendig, um „vom Vorbildlichen zum Urbildlichen“vorzudringen.750 Badt hat aufgezeigt, daß seit der Renaissance das Genie als eine Kraft verstanden wurde, die fähig ist, zumWesen derDinge vorzudringen. „Hatte einst Plato gelehrt, in denüberhimmlischen Ideen seien die Urbilder wahrhaft seiend aber verborgen, sie manifestieren sich als Bilder in denDingen derirdischen Welt, undhatte er dieWerke der Kunst alsunvollkommene Abbilder dieser Bilder erklärt undingewissem Sinne verurteilt, so erhob sichjetzt derGedanke, daskünstlerische Genie dringe gerade umgekehrt vondenBildern unserer Welt zuihren Urbildern zurück. Damit wurde sein persönliches Wesen als gottgleich verstanden, als ein Gott, der geruhte, den Weg der einstigen Weltentstehung rückläufig zumachen. Jedoch, dies warkein griechischer Gott; denn wie gezeigt worden ist, gab es keinen griechischen Gott-Weltenschöpfer. Es war derjüdisch-christliche Gott vomAnfang der Bibel. So gewagt dieser Gedanke zu sein scheint, er ist unabweislich und immer verborgen anwesend, verborgen mitgedacht, solange davon gesprochen wird, daßdasGenie dasWesen 751Damit hatBadt denGrund angegeben, warum derDinge erkenne unddarstelle.“ Klee, wenn er der Genesis Dauer verleihen will undzudenUrbildern der Schöpfung zurückdringen will, an der Idee des christlichen Schöpfergottes gar nicht

747 Klee zitiert nach: Peter-Klaus Schuster: Staatsgalerie gang durch die Sammlung, München 1987, S. 67. 90. 748 Klee: Kunst-Lehre, S. 87– 749 Klee: Schöpferische Konfession, ebenda, S. 65, 66. , S. 83. 750 Ebenda, „Über die moderne Kunst“ 751 Badt: Kunsttheoretische Versuche, S. 97.

moderner Kunst, München.

Ein Rund-

19. DerKünstler als Kreator

235

vorbei kommt. Neben die Götter der Griechen tritt zwangsläufig der Gott der Genesis. WieGoethe, sohatte auch Klee damit keinerlei Probleme, „dennGenie ist zum Dogma oftmals Ketzer“.752 Über die Dogmen seiner Amtskirche, Klee war Protestant, setzt er sich bewußt hinweg, dennDogmen können demgenialen Künstler nicht Gesetz sein, da sie nurFesseln sind, die es zu sprengen gilt. In diesem geistigen Zusammenhang mußmanauch Klees Gedicht von 1920 lesen undinterpretieren, das er als „ religiöses“Bekenntnis für einen Ausstellungskatalog geschrieben hat: Diesseitig bin ich garnicht faßbar. Denn ich wohne grad so gutbei denToten, wiebei denUngeborenen. Etwas näher dem Herzen der Schöpfung als üblich. Undnoch lange nicht nahe genug.

Geht Wärme vonmiraus? Kühle?? Das istjenseits aller Glut gar nicht zuerörtern.

AmFernsten bin ich amfrömmsten.

Diesseits manchmal etwas schadenfroh. Dassind Nüancen fürdieeine Sache. Die Pfaffen sind nurnicht fromm genug, umes zusehn. Undsie nehmen ein klein wenig Ärgernis, die Schriftgelehrten.753

Klee will sich als Künstler nicht aufdiediesseitige Welt desIrdischen oder aufeine Konfession festlegen lassen. Er sieht sein Zuhause sowohl bei denToten, die nicht tot sind, im christlichen Himmel, als auch bei den noch Ungeborenen der mythiFrömmigkeit“ schen Unterwelt. Das sind für Klee nurNuancen seiner „ . In seiner „Schöpferischen Konfession“hat Klee es als „Effekt“und „Heil“der daß Symbole den Geist trösten, damit er einsehe, daß für ihn Kunst bezeichnet, „ nicht nur die eine Möglichkeit des Irdischen mit seinen eventuellen Steigerungen besteht. Daßethischer Ernst waltet undzugleich koboldisches Kichern über Doktoren und Pfaffen. Denn auch gesteigerte Wirklichkeit kann auf die Dauer nicht frommen. Die Kunst spielt mitdenletzten Dingen ein unwissend Spiel underreicht sie doch! Auf Mensch! Schätze diese Villegiatur, einmal denGesichtspunkt wie die Luft zuwechseln unddich in eine Welt versetzt zusehen, die ablenkend Stärkung bietet für die unvermeidliche Rückkehr zumGrau des Werktags. Noch mehr, sie 754 verhelfe dir, die Hülle abzulegen, dich auf Momente Gott zuwähnen.“ So wie der geniale Künstler im Schaffensakt des Werkes seine menschliche Hülle ablegt und seiner göttlichen Begabung freien Lauf läßt, so soll auch der Betrachter sich seiner alltäglichen Verstrickung entledigen undsich in der Erfahrung der Kunst sein spirituelles Bedürfnis befriedigen. Wenn Klee ironisch zugePfaffen undSchriftgelehrten“nicht fromm genug seien, spitzt formuliert, daßdie „ umseine undogmatische „Frömmigkeit“zuerkennen, dannkanndaraus wohl nicht geschlossen werden, Klee sei „antichristlich“eingestellt undgar „ Atheist“gewe752 Klee: Kunst-Lehre, S. 89. 753 Klee: Gedichte, S. 7. 754 Klee: Kunst-Lehre, S. 65, 66.

236

Teil II

sen.755 Klee, der sich als Künstler über die Schranken einer konfessionalisierten Religiosität hinweggesetzt hat, warwieKandinsky undBeuys nicht minder religiös in derursprünglichsten Bedeutung desWortes, weil er aneine reale Rückbindung (religio) des Menschen an Gott geglaubt hat. An den oben zitierten Sätzen aus Klees Tagebuch: „ NurdieZuversicht desGlaubens stützt mich“ , „Meine Liebe ist religiös“und „ Ich suche mir bei Gott einen Platz für mich ...“läßt sich nicht

sie sind eindeutig. Klee, der sich, wie die Tagebücher belegen, in seiner Frühzeit mit Nietzsches Philosophie beschäftigte756, hat denradikalen Schritt Nietzsches nicht vollzogen, daß nämlich „ nur der künstlerische Genius ... zu einer Sinngebung des ganzen Weltgeschehens“fähig ist, so daß„ die Stelle Gottes vomKünstler eingenommen“ wird, wasunter anderem zur Konsequenz hat, daßNietzsche Gott für tot erklärt.757 Klee hat sich nicht mit Gott identifiziert, sondern er hat sich ihm nur „verwandt“empfunden, sich „ auf Momente Gott gewähnt“ , wie er unmißverständlich geschrieben hat. „ Achdass mannur Mensch geworden ist, halb Gesindel undnur halb Gott. Ein tragisch reiches tiefsinniges Schicksal.“758Es ist das Schicksal des Künstlers, das Göttliche in sich zu spüren, das die Sehnsucht nach demÜberirdischen weckt. Wie an anderer Stelle schon erwähnt, hat Klee die Tragik des Künstlers in einer Vorlesung von 1922 als die „menschliche Urtragik“bezeichnet, und . Im Gegensatz zuseiner physischen Ohnmacht die Tragik derGeistigkeit“ das ist „ kann der Mensch Kraft seines Geistes „Irdisches und Überirdisches“beliebig Die Folge dieser gleichzeitigen Ohnmacht des Körpers und der durchmessen. „ gleichzeitigen geistigen Beweglichkeit ist die Zwiespältigkeit des menschlichen Seins. Halb Gefangener halb Beflügelter kommt jedem der beiden Teile durch die Wahrnehmung seines Partners die Tragik seiner Halbheit zumBewußtsein.“759 Diese Zwiespältigkeit des menschlichen Seins und die daraus resultierende Sehnsucht nach dem Göttlichen ist Klee besonders in der Erfahrung des Ersten Weltkrieges bewußt geworden. 1918 schreibt er an Lily: „ Wie hundsföttisch benimmt sich doch die feiggrausame Gattung Mensch, wo man auf sie stößt. Ich entferne mich immer mehr von ihr, undimmer näher komme ich zu denGöttern, Ferngrüße tauschend. ... Graphisch besonders fallen jetzt reife, erstaunliche Früchte ab. Meine Hand ist ganz Werkzeug einer fernen Sphäre. Mein Kopf ist es auch nicht, wasdafunktioniert, sondern etwas anderes, einHöheres, Ferneres, Irgendwo. Ich mußdagroße Freunde haben, helle aber auch dunkle. Das ist gleich, ich finde 760Wie diese Briefstelle belegt, glaubt Klee an die sie alle von großer Güte.“ Inspiration auseiner nicht irdischen Sphäre. Mankann daraus denSchluß ziehen, herumdeuten,

9. 755 Siehe Chapeaurouge: Klee, S. 7– 756 Klee: Tagebücher (1899), Nr.69, S. 34 undNr.415, S. 151. Klees Eintrag Nr. 155 von 1901, S. Ich binGott“ 65: „ , legt eine Identifizierung Klees mitNietzsches Gedankengut nahe. Klee hält aber anderApodiktik dieses Satzes nicht fest, sondern wandelt sich, wiegezeigt, zum„Gottsucher“ . 757 Badt: Kunsttheoretische Versuche, S. 101, 85. 758 Klee: Tagebücher (1918), Nr. 1116, S. 457. 759 Klee: Kunst-Lehre, S. 235. 760 Klee: Briefe andie Familie, S. 908.

20. Vonder Lebenskunst zurKunst-Wissenschaft

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daß für Klee die Intuition als die unmittelbare Wesensschau der Dinge, unddie Inspiration als die göttliche Begnadung, wesentliche Voraussetzungen derImagination sind, und zwar der Imagination, verstanden als die befähigende Ein-Bildungskraft, die „ mit den passenden bildnerischen Mitteln“„geheim Erschautes sichtbar machen“kann.761 Wenn Klee so häufig seine Sehnsucht nach demÜberirdischen bekundet, dann bedeutet das nicht eine Tendenz zur Weltflucht, wie häufig eingeworfen wurde, sondern er bringt damit zum Ausdruck, daß für ihn eine würdige Existenz des Menschen ohne die Dimension des Spirituellen nicht möglich und daß es die Aufgabe der Kunst ist, den Menschen diese Dimension als unverzichtbaren Bestandteil desLebens vorAugen zuführen. DasInsistieren auf dem„ Geistigen“als wesentlichem Bestandteil der Kunst unddes Lebens verbinden Kandinsky, Klee undBeuys, wenn sie auch mitihren Werken zuganz unterschiedlichen Lösungen gefunden haben, umjenes „ Geheimnisvolle“sichtbar zumachen.762

20. Vonder Lebenskunst zur Kunst-Wissenschaft – Ein Erweiterter Kunstbegriff fordert einen erweiterten Wissenschaftsbegriff „ Denn–vergessen wires nicht –wirsindaneinem Wendepunkt derKultur, amEnde alles Alten: die Scheidung ist absolut unddefinitiv.“

Piet Mondrian763 „ DasZeitalter derPhilosophie als Methode derErkenntnis ist vorbei. Bewußtseinserweiterung aber ist heute einBedürfnis. Hier setzt die Kunst ein. Ich sage nicht: Kunst kanndas besser als Philosophie, aber sie kann Anreize geben, weil sie ihr Bewußtsein heute am weitesten entwickelt hat.“ Joseph Beuys764

DasAnliegen vonBeuys, Kunst undLeben engmiteinander zuverbinden, sowieer

es in seinem „Lebenslauf/Werklauf“auf denBegriff

gebracht hat, bestimmte auch Tagebücher“ , die die Geschichte schon Klees künstlerischen Werdegang. Klees „ derSelbstwerdung desIch zum„Stil“dokumentieren, zeigen ganz deutlich, daßes Klee umeine Kunst geht, die vomLeben nicht zu trennen ist765, unddaß er sein eigenes Leben zumGegenstand derReflexion undderGestaltung gemacht hat. Das Leben ist für ihn die Kunst, das Leben zu meistern. Klee sieht sein Leben als ein künstlerisches Projekt, das es zu realisieren gilt. 1899 notiert er im Tagebuch:

, zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, S. 84. 761 „Über diemoderne Kunst“ 762 Zum„Geistigen“als eine zentrale Kategorie der Kunst des 20. Jahrhunderts, seinen bildnerischen Ausdrucksmöglichkeiten undgeistesgeschichtlichen Quellen siehe: DasGeistige in der 1985, hrsg. vonMaurice Tuchman undJudi Freeman, Stuttgart Kunst: Abstrakte Malerei 1890– 1988.

763 Mondrian: Neue Gestaltung, S. 10. 764 Beuys: Heute amTelefon, o.S. 765 Siehe auch Schmid: Lebenskunst bei Klee, S. 958, 959.

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Inspektion meiner selbst, ganz vor mir, derLiteratur derMusik Valet gesagt. ... „ An die bildende Kunst denke ich kaum, ich will nur an meiner Persönlichkeit arbeiten. Dabei mußich konsequent sein undjegliche Audienz vermeiden. Daßich dann wohl Ausdruck in derbildenden Kunst finden werde ist noch amwahrschein-

lichsten.“766 Daher sagt Klee 1902, daß er den„ Begriff Lebenskunst“vorläufig dasLeben zu meistern“ist ihm „eine Grundbedingung fesselnder findet767, denn „ für produktive Äußerungen“.768 Das Material, das Klee in der „Lebenskunst“ bearbeitet, ist seine eigene Existenz. Dafür hat er 1901 in seinem Tagebuch „ folgendes Programm“aufgestellt: „ Zuoberst die Kunst des Lebens, dann als idealer Beruf: Dichtkunst und Philosophie, als realer Beruf: die Plastik, und zuletzt in Ermangelung einer Rente: die Zeichnungskunst (Illustration).“769 Wenn man dieses Kleesche „Programm“näher in den Blick nimmt, dann drängen sich Analogien zurBeuysschen Kunsttheorie regelrecht auf,ja mankönnte sogar vermuten, Beuys habe dieses Programm zu seinem eigenen gemacht. Klee benutzt nicht, wie zu erwarten wäre, den Begriff „ Maler“als anvisierten realen Beruf, sondern „ die Plastik“ . Plastik, d.h. mitdenHänden weiches Material modellieren, formen. Das menschliche Leben ist das zu Formende, darin besteht Kunst. ein Synonym für das Menschliche“und„ Bei Beuys ist „Plastik“„ ein Begriff für denMenschen selbst, der objektiven Charakter hat“ . „Ästhetik-Mensch“, schreibt Beuys oben aufdieTafel, undunter dieser Überschrift erläutert er seine „ Plastische Theorie“in einer Kreidezeichnung an derFigur eines liegenden Menschen, der in sich diePole von„Chaos“und„bestimmter Form“vereinigt. (Siehe Abb. 22). Über denherzzentrierten Leib desMenschen schreibt Beuys „Bewegung, Seele, Empfin, die den Ausgleich zwischen den Polen ermöglichen.770 Man kann eine dung“ Textstelle ausKlees „ Schöpferischer Konfession“unmittelbar mitderBeuys-Zeichnung Plastik: Mensch zusammenlesen: „ Ein schlafender Mensch, der Kreislauf seines Blutes, die gemessene Atmung der Lungen, die zarte Funktion der Nieren, im Kopf eine Welt von Träumen, mit Beziehung zu denSchicksalsgewalten. Ein 771 Gefüge vonFunktionen zurRuhe geeint.“ ... die Hauptintentionen meiner Arbeit ... berücksichtigen Beuys erklärte: „ auch das ganze menschliche Leben, nicht nurdas, sondern sie berücksichtigt auch die Zukunft des Menschen, sie versucht, sie zu berücksichtigen oder sie versucht, dieFrage zubeantworten, woher kommt derMensch, wohin geht er, also sie gehen 772Wie diese Erklärung erkennen sogar über das Leben [auf derErde] hinaus... .“ läßt, stehen die Kleesche „ Plastische Theorie“in Lebenskunst“unddieBeuyssche „ einem gedanklichen Zusammenhang. Für beide ist der Mensch das zu formende Material, wenngleich Beuys diesen Gedanken in den gesellschaftlichen Bereich notwendig erweitert in dem Sinne, daß der Mensch als Plastiker, als Gestalter

766 Klee: Tagebücher, Nr.83, S. 41. 767 Ebenda, Nr. 412, S. 150. 768 Klee, zitiert nach Schmid: Lebenskunst bei Klee, S. 958. 769 Klee: Tagebücher, Nr. 137, S. 60. 770 Harlan: Soziale Plastik, S. 58. Näheres zur„Plastischen Theorie“siehe unten. 771 Klee: Kunst-Lehre, S. 65. 772 Harlan: Soziale Plastik, S. 90.

20. VonderLebenskunst zurKunst-Wissenschaft

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vernünftige soziale Verhältnisse schaffen soll –„ Soziale Plastik“ . Beuys: „Verändern wiralso danndie menschliche Natur!“ 773 Wie Klee und Beuys, so hat auch Kandinsky mit seiner abstrakt-konkreten ganze menschliche Leben“im Auge gehabt, das sich aus materiellen Kunst das „ undspirituellen Dimensionen zusammensetzt. 1937 schrieb Kandinsky: „ Die Zeit derTechnik“bestimmt dasheutige Leben. DieErrungenschaften derTechnik sind Was können dagegen die ‚Wunder der Kunst‘?“„Logik. Matheallgegenwärtig. „ matik-Kalkulation.“Das sind die Zauberwörter des menschlichen Fortschritts – noch heute! Die „gemeinsame Quelle aller Künste“ist für Kandinsky die „Intui. Aber nicht Intuition ineinem dieLogik ausschließenden Sinn: „Kein ‚entwetion“ der-oder‘, sondern ‚und‘. 774Rational undintuitiv gestaltet derKünstler sein Werk. “ Neben die Berechnung mußdie Empfindung unddasHören aufdie innere Stimme Man muß nur zu ‚hören‘ verstehen, das heißt wenn die Stimme klingt. treten. „ Wenn nicht, dann ist es aus mit der Kunst.“Genauso wie der Künstler, sagt Er braucht nicht zuhören, haben. „ Kandinsky, mußauch derBetrachter ein „Ohr“ waserst entstehen soll, aber den‚Klang‘desbereits entstandenen Werkes mußer hören können.“Da aber das „Ohr“ des Betrachters vomGetöse der „Technik“zu oft betäubt ist, hört er nichts mehr. „ Das‚reale Leben‘hatihngeblendet. Hier liegt

derGrund derheutigen Behauptung, die Kunst hätte die Beziehungen zumLeben verloren. Nein. Nicht die Kunst hatdie Beziehungen zumLeben verloren, sondern dieMenschheit imganzen. DieBeziehungen nicht zumLeben, sondern zumLeben. DasLeben besteht nicht nuraus‚Realitäten‘. Wowürde danndasUnreale bleiben? Wowürde dannderTraum einen Platz fürsich finden. ... DerTraum der‚unrealen‘ Welt, die mit derrealen Welt zusammen die Welt bildet. Der ‚geistige‘Mensch ist kastriert worden, nur ein Halbwesen steht an der Stelle des Ganzen.“ Der geistig kastrierte Mensch, der „alles in der Welt rein materialistisch“ Riß‘zwischen auffaßt, ist nicht mehr in der Lage, der Kunst zu folgen. Dieser ‚„ da istfürKandinsky allerdings nureine Übergangserscheinung, „ Kunst undLeben“ Seite einzigen einer mit nur sich stets ist, Endes nicht fähig dazu letzten Mensch der zubegnügen, daihmeinBedürfnis angeboren ist, auch nach der‚anderen Seite‘zu hungern und zu dürsten. Diese andere Seite ist eben die Kunst, die allein die Fähigkeit und die Kraft in sich trägt, das sagen zu können, was das Leben notgedrungen verschweigt. Und: nur diese beiden zusammen –Leben und Kunst – 775 erfüllen dasLeben. Unddiese beiden zusammen lassen dasLeben erraten.“ Materie undGeist, diesseits undjenseits, Irdisches undÜberirdisches, Sichtbares undUnsichtbares, Mensch undGott als komplementäre Einheit machen das Ganze desLebens ausunddie Kunst, die aufdiese ursprüngliche Ganzheit hindeu, wie tet, hat darin ihren maßgeblichen Sinn, weil sie die „fatale Einseitigkeit“ realen“Lebens aufeinen materiellen Pol hinnicht anerkenKandinsky sagt, des „ nen will. Das ist dergrundlegende Sinn vonderoftmals geschmähten Rede „Über , oder wenn Klee als „Dichter“verkündet, daß er das Geistige in der Kunst“ 773 Beuys zitiert nach: Szeemann: Gesamtkunstwerk, S. 426. 774 Kandinsky: Essays, S. 203, 148, 126. 207. 775 Ebenda, S. 204–

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diesseits gar nicht faßbar ist. Klee hat erkannt, daß die „sichtbaren Dinge“nur relativ sind und daß „ das Sichtbare im Verhältnis zum Weltganzen nur isoliertes Beispiel ist und daß andere Wahrheiten latent in der Überzahl sind.“„ In dieser ausgeformten Gestalt ist sie [die Welt] nicht dieeinzige aller Welten!“DadieWelt als Schöpfung (Genesis) nicht abgeschlossen ist, sagt sich Klee: „diesseits bleibend: Es sah diese Welt anders aus, undes wird diese Welt anders aussehn. Nach jenseits tendierend aber meint er: Auf anderen Sternen kann es wieder zu ganz anderen Formen gekommen sein.“Wenn dem Künstler „ eine Verbindung von Weltanschauung undreinlicher Kunstübung“glückt, konstatierte Klee: „ Dann werTraum, Idee, Phantasie“ ] zuRealitäten, zuRealitäten derKunst, denjene Kuriosa [„ welche das Leben etwas weiter machen, als es durchschnittlich scheint.“776Und Der Wert eines Werkes der konkreten Kunst“ darin lag für Kandinsky „ . „Fragen Sie sich, wenn Sie wollen, ob Sie dieses Werk ‚entführt‘hat in eine Ihnen bisher 777 unbekannte Welt. Wennja, waswollen Sie mehr?“ Aus diesen Erkenntnissen hat Kandinsky einen Rat für den Kunstbetrachter abgeleitet und gleichzeitig einen Appell an den Kunstwissenschaftler gerichtet: „ Mißtrauen Sie derreinen Vernunft inderKunst undversuchen Sie nicht, die Kunst zu ‚verstehen‘, indem Sie dem gefährlichen Weg der Logik folgen. ... ständige Korrekturen von seiten des ‚Irrationalen‘ sind unerläßlich. Das ‚Gefühl‘ ist es, welches das‚Hirn‘korrigiert.“Jede „Kunstepoche“besitzt ihre besondere „ Physiognomie“ , denn sie „zeigt einen neuen geistigen ‚Inhalt‘, den sie durch genaue und überzeugende Formen ausdrückt. Diese Formen sind neu, unerwartet, überraschend unddeshalb herausfordernd: manwidersetzt sich allgemein gegen diese herausfordernden Formen, weil sie einen neuen Geist ausdrücken, einen Geist, der der bequem gewordenen Tradition feindlich ist. Denn nur langsam gewöhnt sich die Menschheit an den Wechsel geistiger Inhalte.“Die „ Physiognomie“des Gesamtwerkes eines Künstlers „ ist nur der Ausdruck einer bis dahin unbekannten Welt, 778 welche durch die Intuition des Künstlers entdeckt wurde.“ Ein Kunstwerk, daswesentlich durch Intuition aber auch durch Ratio entsteht, kann folglich nicht nurdurch die Ratio erschlossen werden, sondern fordert auch vomBetrachter undvomKunsthistoriker einen intuitiven Zugang. Werdiesen nicht besitzt unddie Intuition, inklusive Inspiration undImagination nicht als der Ratio ebenbürtig anerkennt, fürdenmußdieKunst zueinem rein materiellen Gegenstand werden, der sich „ wissenschaftlich“verwalten läßt. Gleichzeitig wird der denkende und dichtende Künstler als „Simulant“enttarnt, der Kontakte zum „Übersinnlichen“nurvortäuscht.779 , „derLogik in derKunst zumißtrauDoch folgen wirlieber Kandinskys „Rat“ , nämlich aufdemGebiet derKunstwissenschaft. en. Undauch anderswo vielleicht“ 776 777 778 779

Klee: Kunst-Lehre, S. 63, 83, 84. Kandinsky: Essays, S. 233, 247.

Ebenda, S. 233, 243. ... daßdieÄußerungen Klees, Chapeaurouge: Klee undderchristliche Himmel, S. 7, vermeint „ dieüberirdische Kontakte mitdemJenseits nahelegen, alsganzbewußte Inszenierung einer nur denDurchschnitt überragenden Figur des Künstlers zuverstehen wären. Zweifellos hat Klee vonjeher seine Maler-Existenz so sehr miteinem Schleier vonGeheimnis überdeckt ... .“

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Nachdem Kandinsky in einem Seitenblick auf die Physik darauf aufmerksam macht, daßauch hier das„Ungenügen der ‚positiven‘Methoden“erkennbar gewordensei, stellt er in seiner „Eigenschaft als Nicht-Gelehrter, sondern als Künstler“ die Frage: „Sind wir am Vorabend des Bankrotts der rein ‚positiven‘Methoden angelangt? Zeigt sich nicht die Notwendigkeit, sie durch unbekannte (oder vergessene) Methoden zuvervollständigen, durch Methoden, die das ‚Unterbewußte‘, das ‚Gefühl‘rufen, die manoft ‚mystische‘nennt? In dieser Eigenschaft als unverantwortlicher Künstler erlaube ich mir eine bejahende Aussage: die ‚Mauern‘ zwischen den verschiedenen Künsten sind am verschwinden –Synthese – , und die dicke Mauer zwischen der Kunst und der Wissenschaft schwankt –‚Die Große Synthese‘. Versuchen wir also nicht, in Kunstfragen Methoden anzuwenden, die in der Wissenschaft ihren Wert zuverlieren beginnen.“780Sollte die Kunstgeschichtswissenschaft nicht diese Überlegung Kandinskys in ihrer notwendigen Methodenreflexion berücksichtigen? Ineinem Brief anGrohmann von 1927 antwortet Kandinsky aufdessen Bericht voneiner Dissertation, die „sich zumeinem Standpunkt in derKunst negativ stellt (nur seltene ausnahmen sind in diesem falle aufzuweisen!)“Kandinsky erklärt, daß junge gelehrte“seinen Standpunkt nicht verstehen kann, weil er schon die der „ es handelt sich nicht umdie frage, entscheidende Frage grundsätzlich falsch stellt. „ ob manohne gegenstand in dermalerei auskommen kann undsollte, sondern um eine totale innere umstellung –vomrationalistischen standpunkt, vonderrationalistischen weltanschauung zurseelischen, geistigen, irrationalen, wobei derrationalismus nicht vollkommen über bord geworfen wird ... also synthese. kein ‚entweder-oder‘, sondern ‚und‘. ... ohne diese umstellung gibt es kein ‚morgen‘, sondern nur ‚heute‘. ... wenn sie das demjungen gelehrten sagen undwenn er plötzlich hinter diesen worten etwas ahnt, wirder sein buch anders schreiben, wasvielleicht der universität weniger gefällt. weil die heutige universität sich auch vollkommen 781 umstellen soll ... .“ Kandinsky fordert also eine totale innere Umstellung deruniversitären Kunstgeschichte, wegvoneiner pseudo-positivistischen Methode hinzueiner umfassenderen underweiterten Methode, die demWesen der Kunst entspricht. Bisher ist diese Forderung Kandinskys von der Kunstgeschichte eher selten aufgegriffen worden. Ein anderer Künstler hatsie zuseiner Lebensaufgabe gemacht. Bei Beuys sind endgültig die Mauern zwischen Wissenschaft undKunst, Kunst undLeben gefallen. Die Kunstgeschichtswissenschaft hat, ob sie es will oder nicht, zur Kenntnis zu nehmen, daß einem solcherart „erweiterten Kunstbegriff“unmittelbar ein erweiterter Kunst-Wissenschaftsbegriff folgen muß. Ein wesentlicher Aspekt dieser Erweiterung besteht darin, das Bildnerische Denken der Künstler als einen Also, wenn ich einen erweifundamentalen Bestandteil ihrer Kunst zubegreifen. „ terten Kunstbegriff fordere, fordere ichdamit einen erweiterten Kunstwissenschafts782Beuys hat seine Kunst (= plastische Theorie + bildnerische Praxis) als begriff.“

780 Kandinsky: Essays, S. 245, 246. ... diekleinen buchsta781 Grohmann: Künstler schreiben, S. 52. Kandinsky, Dessau 16.07.1927:“ . . klein manchmal. zur.abwechslung bensindmanchmal dochrecht bequem undichschreibe 782 Joseph Beuys ineinem Interview mitRobert Filliou. In Robert Filliou: Lehren undLernen als



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Wissenschaft imerweiterten Sinn verstanden. AufdieFrage nachseinem künstlerischen Anliegen antwortet Beuys: „ Das Ganze läuft hinaus auf ein umfassendes Erkennen unserer Lebensgrundlagen, auf eine neue Methode des Denkens, der Philosophie, die ich den‚erweiterten Kunstbegriff‘nenne.“ 783 Dererweiterte Kunstbegriff impliziert also einen erweiterten Wissenschaftsbegriff undes ist vonInteresse zuverfolgen, wieBeuys zudieser fürseine Kunsttheorie grundlegenden Einsicht gelangt ist. Vorab kannschon festgehalten werden, daß es Beuys’Hauptanliegen ist, gegen dieSuprematie derRatio derIntuition zuihrem Recht zuverhelfen. Wie Kandinsky, so will auch Beuys denpositivistischen Wissenschaftsbegriff keineswegs abschaffen, sondern er will ihn mit den genuinen Mitteln der Kunst erweitern undergänzen, umzueiner ganzheitlichen Auffassung vomMenschen zurückzufinden. Im Gespräch mit Rywelski berichtet Beuys, daßer als Jugendlicher zuHause kein Atelier gehabt habe, sondern ein Labor, in demer physikalische undandere Experimente durchführte. „ Und ich hatte mir wirklich vorgenommen, daß ich Naturwissenschaften studiere, undich habe es auch angefangen; gegen Ende des Krieges habe ich mich anders entschieden, nachdem ich einiges darüber erfahren hatte, nachdem ich eine Übersicht oder ein Bewußtsein ... von dembekommen hatte, was der Wissenschaftsbegriff ist, war ich daran interessiert eben diesen 784 Wissenschaftsbegriff zuerweitern, undzwar ganz vonaußen her ... .“ Von außen her, d.h. für Beuys nicht als Naturwissenschaftler, sondern als Künstler, genauer als Bildhauer, suchte er deneinseitigen Wissenschaftsbegriff zu erweitern. Den Anstoß dazu gab das visuelle Initialerlebnis einer Skulptur von Wilhelm Lehmbruck. Beuys: „[Ich] sah eine Skulptur von Wilhelm Lehmbruck, und unmittelbar ging mir die Idee auf, eine Intuition also: Skulptur –mit der rief mirquasi dieses Bild zu.Und Skulptur ist etwas zumachen. Alles istSkulptur – in dem Bild sah ich eine Fackel, sah ich eine Flamme und ich hörte: ‚Schütze die Flamme!‘“ Dieses Erlebnis hätte ihn durch den Krieg hindurch begleitet und lief also parallel zuseinem naturwissenschaftlichen Studium, daser nach demKrieg zugunsten der„Plastik“aufgab. Während seines Studiums dannanderAkademie, berichtetBeuys, hätte er sich gefragt, obdennirgendein anderer Bildhauer wie„HansArp oder Picasso oder Giacometti oder irgendein Rodin“diese Entscheidung zurKunst in ihm herbeigeführt hätte? „Nein, –denn das außergewöhnliche Werk Wilhelm Lehmbrucks rührt eine Schwellensituation des plastischen Begriffes an. Er treibt die Tradition, die in demErleben des Räumlichen am menschlichen Körper, am menschlichen Leibe besteht, bis zu einem Punkt hin, auf einen Höhepunkt, der einen Rodin nochübertrifft.“Lehmbruck istüberdasRäumliche, dasRaumausgreifende dertraditionellen Plastik hinausgegangen, hinzu auf dasGeistige, Seelische

165, Zitat S. 161. (= Beuys: Interview mit S. 160– Filliou). 783 Joseph Beuys: Jeder kriegt sein Fett weg. Interview mitLieselotte Millauer in: Cosmopolitan, 33, Zitat S. 30. (= Beuys: Jeder kriegt sein Fett weg). 4, 1985, S. 28– 784 Beuys: Jeder Mensch Sonnenkönig, o.S. Aufführungskünste, Köln/New York 1970,

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im menschlichen Körper, auf einen „Höhepunkt, deretwas Innerliches meint; das heißt, seine Skulpturen sind eigentlich gar nicht visuell zuerfassen. Mankann sie nurerfassen miteiner Intuition, wobei einem ganz andere Sinnesorgane ihr intuitivesToroffen machen, unddasist vorallen Dingen dasHörende –dasHörende, das Sinnende, das Wollende, d.h. es sind Kategorien in seiner Skulptur vorhanden, die niemals vorher vorhanden waren.“ Mit diesen Kategorien befaßt sich Beuys währen seines Studiums undstößt an das Denkende, an denDenksinn“ dabei auf die Fragen, die „ , derin denPlastiken liegt, rühren.785 Durch das Studium der Skulptur Lehmbrucks gewinnt Beuys die 785 Joseph Beuys: „Schütze die Flamme!“Vom Wärmecharakter des Menschen. In: die Drei, Zeitschrift für Wissenschaft, Kunst undsoziales Leben, 56. Jg., März 1986, S. 209– 211. (= Beuys: Schütze die Flamme). Exkurs: Beuys undLehmbruck Dieser Text Beuys’ist seine letzte, vermächtnishafte Ansprache, dieer anläßlich desFestaktes zur Verleihung des Wilhelm Lehmbruck-Preises im Wilhelm Lehmbruck-Museum der Stadt Duisburg am 12. Januar 1986, elf Tage vor seinem Tod, gehalten hat. Diese menschlich bewegende Rede vonBeuys ist eine Danksagung anseinen „ ideellen“Lehrer Lehmbruck, der 1919 –Beuys ist Jahrgang 1921 –durch Freitod ausdemLeben schied. In seiner Rede bezieht sich Beuys nicht nuraufdenbildenden Künstler Lehmbruck, sondern auchaufdendenkenden, wasfürdasAnliegen dieser Schrift, nämlich die Kontinuität derGrundgedanken desBildnerischen Denkens aufzuweisen, von besonderem Interesse ist. Beuys erwähnt, daß Lehmbruck „ der Satz, daß Plastik alles ist, daß Plastik schlechthin das Gesetz der Welt ist, ja nicht fremd war.“(S. 209). Paul Westheim hat in seinem Buch: Wilhelm Lehmbruck, Berlin 1919, unter der Überschrift , Dichtungen undReflexionen Lehmbrucks ausdemNachlaß veröffentlicht. (S. Meditationen“ „ 55 ff) Zweifelsfrei ist Beuys vondiesen Meditationen Lehmbrucks, die sich umGott unddie Natur, um Liebe und Tod drehen, tief beeindruckt gewesen. Wir beschränken uns hier auf Lehmbrucks Visionen einer kommenden Kunst undsein existentielles Bekenntnis zurSkulpIch glaube, daßwirwieder einer wirklich großen Kunst entgegengehen, und tur. Lehmbruck: „ daß wir bald den Ausdruck unserer Zeit finden in einem monumentalen, zeitgemäßen Stil. Zeitgemäß mußsie sein, nicht einWiederaufgreifen alter Stile, denn niemals hatmaninguten Kunstepochen einen Stil aus früheren Jahrhunderten wieder aufgenommen. ... Die Skulptur, wiejede Kunst, ist der höchste Ausdruck der Zeit. Einjedes Kunstwerk mußetwas vonden ersten Schöpfungstagen haben, von Erdgeruch, man könnte sagen: etwas Animalisches. ... Voller Intensität, nichts leer, voller Wärme, voller Tiefe! Ich finde beieinigen jungen Künstlern ausdenverschiedensten Ländern dieses allgemeine Gefühl, trotzdem sich ihre Werke untereinander ganz verschieden darbieten, unddieses Gefühl wird sie leiten zueinem neuen zeitgemäßenAusdruck: Zueinem Stil unserer Zeit.“Unddann kommt derSatz, deraufBeuys wieeine Skulptur ist das Wesen der Dinge, das Wesen der Natur, das, was Verheißung gewirkt hat: „ ewig menschlich ist. –„(S. 61). Lehmbruck, mit demBeuys offenbar durch eine tiefe Geistesverwandtschaft verbunden sich fühlte, ist andenGrausamkeiten desKrieges zerbrochen, einSchicksal, demBeuys nurknapp entkommen ist. ImJanuar 1918 schreibt Lehmbruck folgendes Gedicht: (S. 62)

Werist noch da? Werblieb nochdavondiesen Morden, Werbleibt ausdiesem blut’genMeer? Ich schreite über dieses Schnittfeld Undschau ummich, woliegt dieMahd

Vom Morde gräßlich hingeschlachtet.

Teil II

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DieFreunde liegen still umher, DieBrüder sindnunnicht mehrda. DerGlaube, Liebe, alles hin, UndTod, er liegt aufallen Wegen, aufjeder Blüte. O Fluch, o tausendfacher Fluch! Habtihr, diesoviel Todbereitet, Habtihrnicht auchdenTod Fürmich? Sterbender Krieger“und„Sitzender Jüngling“ IndenSkulpturen wiez.B. „ , (Siehe Abb. 24, 25) diezwischen 1915 und1918 entstanden sind, hatLehmbruck diephysische Ohnmacht unddie geistige Agonie desMenschen angesichts desTodes dargestellt. KurtBadthatineinem frühen Aufsatz: Die Plastik Wilhelm Lehmbrucks, in: Zeitschrift für Bildende Kunst, Neue Folge, 31, 182, schon erkannt, daßLehmbruck „ 1920, S. 169– in seiner Kunst sein Schicksal dargestellt [hat], undnunnicht nurderäußeren Gestalt nach, sondern weitergehend, indem er ausschließlich aus seinem eigenen Lebenslauf schöpfte“ . (S. 172). Erinnern wirunsandasPhänomen, daßBeuys seinen Lebenslauf mitseinem Werklauf identisch setzt. denwillen- undsinnlos gewordenen Menschen Indenbeiden genannten Skulpturen sieht Badt„ ... als Denkmal des Krieges gegeben“ .„ Die Erschütterung des Menschen hat die formende Kraft desKünstlers gestärkt.“(S. 180). Denken wirauchhier anBeuys, dervonderÜberzeugunggetragen war, daßdieLeidenden dieWelt bereichern! In der Skulptur „Sitzender Jüngling“(Siehe Abb. 25) assoziiert Badt: „ Der Gejagte ist auf einem Sitze in sich zusammengesunken. Indem die Statue vomBewegt-Momentanen zum Ruhend-Bleibenden übergeht, verstärkt sie dentragischen Ausdruck: DerimTode Stürzende warseiner Erlösung nahe, dieser Sitzende aber ist ans Leben gebunden. Das Schicksal des Menschen, imKriege derGegenwart willenloses, gefesseltes Tier zusein, ist ihrganzer Sinn ... (S. 182). .“

Sitzender Jüngling“eine schreckliche Prophetie: Sie Darüber hinaus aber ist die Plastik „ gemahnt andiebestialisch geschundene menschliche Kreatur, anjene ausgemergelten menschlichen Gestalten zwischen Leben und Tod, wie sie den Alliierten bei der Befreiung der Konzentrationslager derNazis begegnet sind. Es sindjene alptraumartigen Bilder, wiemansie ausdenDokumentarfilmen kennt, die einem, zeitlebens unvergeßlich, vordeminneren Auge als Menetekel derUnmenschlichkeit erscheinen. In seinem letzten veröffentlichten theoretischen Bekenntnis hatKandinsky 1942 die Gabe der Kunst zur Prophetie besonders betont. „ Aber die Kunst besitzt außerdem noch eine ihr ausschließlich zugehörige Qualität, nämlich die, im ‚Heute‘ das ‚Morgen‘ zu erraten –eine (Essays, Jede geistige Epoche, S. 149). In der Skulptur schöpferische undprophetische Kraft.“ des „Sitzenden Jünglings“hatLehmbruck denBeweis derRichtigkeit vonKandinskys These erbracht, wennes auch eine negative Prophetie ist undKandinsky mehr diepositive prophetische Kraft derKunst imAuge hat. Beuys erkennt den menschlichen Grundimpuls in der Skulptur Lehmbrucks unddie Tragik seiner Existenz, die, wie Klee es genannt hat, die menschliche Urtragik ist, die Tragik der Geistigkeit ineiner nicht mehrlebenswürdigen Welt, anderLehmbruck zerbrochen ist. Daher hält es Beuys fürdiezukunftsweisende Botschaft Lehmbrucks, dieWelt wieder menschlich zu sozialen Plastik“ . Beuys wirdin seinem Vorhaben noch machen unddasist dasHauptziel der„ bestärkt, alserentdeckt, daßLehmbruck zudenersten Komiteemitgliedern gehörte, dieRudolf Steiners „ Aufruf andasdeutsche Volk unddie Kulturvölker“von 1919 unterstützten. Steiner der Ohnmacht des Geisteslebens“undwollte sieht die Gründe für denErsten Weltkrieg in „ . AlsderAufruf erscheint, istbereits „ einKreuz „ einen neuen sozialen Organismus begründen“ hinter Wilhelm Lehmbruck, d.h. er mußdiesen Willen, diese Flamme, die er weiterreichen wollte, im letzten Augenblick seines Lebens, als er durch das Tordes Todes seiner eigenen Skulpturen hindurchgegangen war, gemacht haben.“Beuys erkennt darin seine Lebensaufgain be, diese Flamme, die Lehmbruck an ihn weitergereicht hat, seinerseits weiterzureichen „ eine Bewegung hinein, dieauch heute noch notwendig ist unddieauchheute viele Menschen

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Erkenntnis, daß „ das Denken schon als Plastik bezeichnet“werden kann, „weil Plastik dengenetischen Ursprung bezeichnet“ , woetwas Inneres, Ideelles, GedachIn demAugenblick, daderMensch denkt, ist tes, in Materie übergeführt wird.786 „ er derjenige, der an einer Schwellensituation steht undetwas Neues auf die Welt 787Beuys versteht Denken schon als Plastik, d.h. bringt, wasvorher nicht dawar.“ alseine freie Schöpfung desMenschen, weil „ dasDenken nicht aufetwas Weiteres zurückgeführt werden kann. ... Denn da wo Denken ist, kann nichts anderes stattfinden. Das kann nur in mir selber sein. Es kann sozusagen nur von einem Kreationspunkt ganz neuin dieWelt hineinkommen. Es wird hier also gesagt, daß durch das Denken der Mensch etwas ganz Neues in die Erde hineinführt. Also etwas Freies. Das ist der Begriff Plastik ... .“Auch die Sprache ist schon Plastik, ein plastischer, formender Prozeß, in demsich „ das Denken verstofflicht“durch dasVibrieren derKehlköpfchen. Sprache ist ein „Kreationsprozeß“, dersich innerhalb derMaterie desmenschlichen Körpers vollzieht. Deneigenen Körper versteht Beuys demDenken gegenüber schon als Umwelt. „Denken mußsoweit zurückverfolgt werden, bis es außerhalb des Körpers steht. Bis der Mensch sich sozusagen vonaußen sehen kann. Daßer sich sieht alseinen Fremden. Daßer sieht, dabinich, also ichbinimGrunde dahinten inmeinem Denken.“ImMenschen ist dasDenken ich selbst verkörpere schon als Stoff nichts in die Erde hineingekommen, denn „ . Als denkendes Wesen setzt sich der Mensch mit seiner anderes als die Erde“ Umwelt auseinander, dieimeigenen Körper beginnt. Meinen Körper, Beuys nennt , „den muß ich aufgrund meines Denkens bewegen“ . Bei der ihn seinen „Sarg“

wahrnehmen sollten als eine Grundidee zurErneuerung des sozialen Ganzen, die zursozialen Skulptur führt.“ Raumbegriff“ VonLehmbruck lernt Beuys, daßdertraditionelle „ der Plastik erweitert werden . Mitdem„Wärmebegriff“meint Beuys nicht physimußumeinen „Zeit- undWärmebegriff“ sche Wärme, sondern diemenschliche Wärme als dieFähigkeit zurLiebe undNächstenliebe. meint Beuys hier die zukunftsweisende Kraft der Kunst. Auch LehmMit dem„ Zeitbegriff“ Skulptur ist dasWesen derDinge, das Wärme“undpostulierte: „ Liebe“und„ bruck forderte „ Wesen derNatur, das, wasewig menschlich ist.“(siehe oben) Hier haben wirdenZeitfaktor. In diesem Weitergeben desplastischen Prinzips aneinen Impuls, derdenWärme- und Beuys: „ Zeitcharakter als plastisches Prinzip füralles Weitere zurUmgestaltung des sozialen Ganzen nimmt, mitdemwiralle gemeint sind, dahatLehmbruck dieFlamme anunsweiter gegeben. Ichhabe sie gesehen.“ Beuys, wie Lehmbruck als er Steiners Aufruf unterzeichnete, kurz vor demTor des Todes , stehend, sieht „ die weitere Entwicklung desplastischen Prinzips als Zeitprinzip schlechthin“ Dasmeint, Plastik ist einBegriff derZukunft schlechthin, undwehe als dasGebot derStunde. „ Ich möchte also mich auf „ denjenigen Konzeptionen, denen dieser Begriff nicht zueigen ist.“ die Seite stellen, auf der Wilhelm Lehmbruck gelebt hat undgestorben ist undwoer jeden einzelnen Menschen versehen hat mit dieser inneren Botschaft: ‚Schütze die Flamme, denn schützt mandie Flamme nicht, ach eh man’s erachtet, löscht leicht der Wind das Licht, das er entfachte. Brich’dannDuganzerbärmlich Herz, stumm vorSchmerz.‘–Ichmöchte demWerk vonWilhelm Lehmbruck seine Tragik nicht nehmen.“(Beuys: Schütze die Flamme, S. 210,

211).

786 Beuys: Interview mitFilliou, S. 163. 787 Beuys: Noch Kunst, S. 35.

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Teil II

Bewegung desKörpers entsteht Sprache undmitseiner Sprache greift derMensch verändernd in die Umwelt ein. Beuys’ Interesse konzentriert sich also auf den „Entstehungsprozeß“ ,„ da wo der Mensch wirklich frei ist, woer nicht abhängig ist voneiner Objektwelt außerhalb, sondern woer selbst Dinge schaffen kann. Dann ist selbstverständlich Handeln Plastik. Der Gedanke greift nicht nurbis in die Sprache hinein, sondern der Gedanke wird u.U. zumBeispiel Schrift. UmBuchstaben zu machen, mußich ja handeln, zumindest einen Füllhalter nehmen. Also Schreiben ist schon Plastik durch denHandlungscharakter. Ichkannnatürlich auchTonoder Fett nehmen oder Erde formen. Dasist wasmanimkonventionellen Sinn als Plastik bezeichnet. Da erreicht mandenPunkt, an demdie Menschen verstehen, daßes sich umPlastik handelt. ... dasist eine Plastik, aber nurauseinem konventionellen Verständnis. Im Grunde ist der Entstehungspunkt für eine Plastik interessanter als die Plastik selber.“788

der sich grundsätzlich auf den Kunst (= Plastik) ist für Beuys ein Begriff, „ Menschen bezieht. Er ist identisch mit dem, was man unter Schöpferkraft des Menschen versteht“.789 Der Entstehungspunkt für die Schöpferkraft des Menschen liegt imDenken, imBewußtsein, dasBeuys vonderIntuition herbegreift.

21. Intuition alsAnschauende Urteilskraft – Zur Aktualität des Deutschen Idealismus für das Bildnerische Denken „ DasDenken ist also nicht nurdaswelterkennende, es ist dasweltschaffende Prinzip.“ Joseph Beuys790

Dieser Begriff Intuition ist aber nichts anderes als waswirunter Denken verstan„ denhaben. Seine höhere Form, Intuition ist, wenn manes konsequent durchdenkt, auch wennmanes erfährt, indem mansich immer wieder intensiv mitdemDenken selbst befaßt, nichts anderes, als die höhere Form des Denkens. Das, was die Menschen heute immer so als Parole rausbrüllen: erweitertes Bewußtsein. Das erweiterte Bewußtsein ist Intuition. Also ist es dasDenken, wassich selbst erkennt. Der Kreationspunkt. Intuition ist das, waserkennt, daß der Mensch frei ist. Das ist eigentlich nur mittels des Denkens möglich, als das Denken, das sich selbst als 791 Denken erkennt.“

788 Beuys: Interview mit Filliou, S. 163, 164. , in: 789 Beuys in einem Interview mit Frank Meyer undEivind Olsen: „Kunst gleich Kapital“ . Dreizehn Interviews ausdemUmkreis derAnthropo„ Abenteuer desLebens unddesGeistes“ 91, Zitat S. 87. (= Beuys: Interview sophie, hrsg. vonRamon Brüll, Frankfurt a.M., 1985, S. 85– mitMeyer/Olsen). 790 Beuys, unveröffentlichtes Manuskript ausdemNachlaß, zitiert nach: MaxReithmann: Beuys 48, Zitat S. 43. unddieSprache, in: Beuys-Tagung, S. 39– 791 Beuys: Interview mitFilliou, S. 165.

21. Intuition als Anschauende Urteilskraft

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Mit seinem Begriff der „Intuition“stellt sich Beuys in die Denktradition des Deutschen Idealismus, der eine „ terminologische Umänderung des Begriffs ‚Intuition‘in den der ‚intellektuellen Anschauung‘ propagierte.792 Während für den „ kritischen“Kant eine „ intellektuelle Anschauung “ “als „nichtsinnliche Anschau„ schlechterdings außer unserem Erkenntnisvermögen liegt“ ung“ , ist fürJ.G. Fichte undF.W.J. Schelling die „intellektuelle Anschauung“die zentrale Kategorie ihrer Philosophie, mit der sie das Absolute erkennen will.793 Für Fichte ist das, wasuns als Welt erscheint, „ nurein Bild, das der Mensch aus sich hinausstellt; es ist der Weltentwurf des schöpferischen Ich in seiner Freiheit“ . Daher bildet, laut Weischedel, „Fichtes Denken denAnfang des Deutschen Idealismus. Denn der Grundgedanke desIdealismus ist: Es existiert nurdasIdeelle, dasGeistige, dasIchin seiner Freiheit. Die Realität derWelt dagegen ist nurin unseren Vorstellungen gegeben; ... Alle Wirklichkeit wirdihmzurTatdesIch. ... Dennwahrhaft seiend ist nurdas Ich in seiner Freiheit; umdieser Freiheit willen ist es dasabsolute Ich.“794 Hier haben wirdengeistigen Ursprung für denBeuysschen „Kreationspunkt“ , die Intuition als das Denken, das sich im Denken selbst erkennt und sich dabei seiner schöpferischen Freiheit bewußt wird. Daher ist für Beuys der Begriff „ Pla, der den „genetischen Ursprungspunkt bezeichnet“(siehe oben), nicht vom stik“ Begriff der „ Freiheit“zu trennen. Beuys: „ Undich rede von morgens bis abends eigentlich nur über die Freiheit. Ich versuche auch Freiheit immer wieder zu beweisen.“DenBeweis derFreiheit liefern dasDenken unddie Schöpfungen der Kunst, die der „produktiven Einbildungskraft“entspringen, denn der Gedanke ist daserste Produkt menschlicher Kreativität. DerKreationspunkt ist dasIch, dassich selbst denkt. „ Da wo der Mensch also wirklich nicht abhängig ist von seiner äußeren Objektwelt, also von seiner Umwelt; sondern ganz unabhängig ist auf Grund seines Denkens undseines Freiheitsbegriffs.“795 Fichte fand in Kants Erkenntnis –dem„ Ich denke, dasalle meine Vorstellungen begleiten muß“ –die Ausgangsposition, „das Ich zumPrinzip, zumEinheitsgrund aller Philosophie zu erheben. Dem schließt Schelling sich an.“ 796Auch bei Schelling muß sich das Ich „durch sein Denken selbst hervorbringen“ .„ In der Selbsterfassung desdenkenden Ichliegt derEinheitsgrund alles Wissens beschlossen. Das Ich ist jedoch Einheitsgrund nicht nur des Wissens, sondern darüber hinaus des theoretischen undpraktischen Vermögens überhaupt.“Voraussetzung 792 Siehe dasStichwort „Intuition“in: Historisches Wörterbuch derPhilosophie, Bd. 4, Sp. 532. 793 Siehe dasStichwort „Anschauung, intellektuelle“inebenda, Bd. 1, Sp. 349, 350. 794 Fichte oderDieRebellion derFreiheit, inWilhelm Weischedel: Diephilosophische Hintertreppe, München, 10. Aufl. 1983, S. 196. 795 Beuys: Interview mit Filliou, S. 163. ZumBegriff „produktive Einbildungskraft“siehe Dittmann: Schellings Philosophie derbildenden Kunst, S. 52. Bezugnehmend aufKants Kritik der Urteilskraft schreibt Dittmann: „ Dieproduktive Einbildungskraft istdaskünstlerische Schaffen ermöglichende Vermögen. Einbildungskraft ist das synthesisvollziehende Vermögen über-

796

haupt. ... Produktive Einbildungskraft vollzieht die Synthesis zwischen Sinnlichkeit, Verstand und Vernunft. Sie ist das Vermögen der Darstellung der ästhetischen Ideen ..., dichtende Einbildungskraft.“ Dittmann, ebenda, S. 39, 40.

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für das praktische Vermögen aber ist die Freiheit. Schelling geht es umdie Erkenntnis, „ daß wahre Philosophie nur mit freien Handlungen beginnen könne“ . „Der 797 Anfang unddasEnde aller Philosophie ist –Freiheit.“ Auch der Beuyssche Gedanke, daß das Ich, das sich selbst denkt, von einer äußeren Objektwelt unabhängig ist, findet sich in Schellings Philosophie, denn „ in

der Selbstbestimmung des freien Ich ist dasUnbedingte erreicht. Das Unbedingte ist das Undingliche. ... Deshalb ist das Ich nicht begrifflich bestimmbar“ , wie Dittmann resümiert. Das Ich kann für Schelling niemals Objekt werden undkann folglich auchnicht sinnlich angeschaut werden, sondern esistnur„ ineiner intellektualen Anschauung bestimmbar“ .„ WoObjekt ist, daist sinnliche Anschauung, und umgekehrt. Wo also kein Objekt ist, d.i. im absoluten Ich, da ist keine sinnliche Anschauung, also entweder gar keine, oder intellektuale Anschauung.“798 Beuys benutzt nicht Fichtes oder Schellings Begriff der „intellektuellen An, der aber, wie gezeigt, auf die selbe , sondern denBegriff der „Intuition“ schauung“ erkenntnis-theoretische Grundproblematik zielt. Undaneiner anderen Stelle seines Denkweges bezieht sich Beuys auf Goethes Begriff der „ anschauenden Urteilskraft“ , mitwelchem Goethe Kants Bedenken bezüglich eines intuitiven Verstandes im Bereich des Menschlichen zerstreuen will, um die intellektuelle Anschauung auch fürdenMenschen geltend zumachen. Auf die Frage, ob er „durch analytisches, beweiskräftiges Denken? Durch Versenkung oder wodurch?“zuseiner Erkenntnis gelange, antwortet Beuys: „ Nicht etwa durch Grübeln. Sondern durch die Wahrnehmung der Wirklichkeit, Wahrnehmung in der Wirklichkeit. Die Dinge selbst, sagt Goethe, sind die Lehre. Das Billigen Sie sich die auch zu?“ Beuys: bedeutet: anschauende Urteilskraft.“Frage: „ 799 Unbedingt. Es ist nicht dieses intellektuelle verkopfte abstrakte Tun gemeint.“ „ Beuys ist vonder„ Wichtigkeit des Denkens“überzeugt, aber er wehrt sich gegen ein einseitiges „theoretisches“Denken. Die Theorie muß von der Praxis, das Es kommt eigentlich darauf Denken vondertatkräftigen Handlung begleitet sein. „ an, denMenschen das, wonach sie selbst ein Bedürfnis haben, ..., durch ein gutes Beispiel näher zu bringen. ... Es ist meines Erachtens unerläßlich, daß dieses Vorbild produziert wird. ... DennDenken heißt ja nicht, daßmandauernd theoreti800DaßBeuys sich sieren soll, sondern manmußdiese wahren Bilder entwickeln.“ mitdiesen Gedanken aufGoethe bezieht, ist naheliegend, dennwennes fürirgenddaßerst ‚Denken und einen Denker gilt, so gilt es fürihn, wieErnst Cassirer sagte, „ .801Goethe war Tun, Tun undDenken vereint die Summe aller Weisheit‘bilden“ bekanntlich stolz darauf, daßHeinroth sein Denkvermögen als ein gegenständlich 797 Ebenda, S. 40, 41. Alle Schelling-Zitate nach Dittmann. 798 Schelling, zitiert nach ebenda, S. 42. Die Mysterien finden im Hauptbahnhof statt.“Spiegel-Gespräch mit Joseph 799 Joseph Beuys: „ Beuys über Anthroposophie unddie Zukunft derMenschheit. In: DerSpiegel, Nr.23, 1984, S. 186, Zitat S.179. (= Beuys: Spiegel-Gespräch) 178– 800 Beuys: Interview mitMeyer/Olsen, S. 87. 801 Ernst Cassirer: Freiheit undForm. Studien zurdeutschen Geistesgeschichte, Darmstadt 1961, 3. Aufl., S. 244. (= Cassirer: Freiheit undForm). Auch im Hinblick auf Klees „Unendliche Naturgeschichte“ist Cassirers Kapitel überGoethe (S. 171ff) besonders instruktiv.

21. Intuition als Anschauende Urteilskraft

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tätiges bezeichnete, unddas bedeutet für Goethe, „ daß mein Denken sich vonden Gegenständen nicht sondere; daßdie Elemente derGegenstände, die Anschauungenin dasselbe eingehen undvonihmaufdasinnigste durchdrungen werden; daß .802In einem mein Anschauen selbst ein Denken, mein Denken ein Anschauen sei“ handschriftlichen Manuskript von Beuys lesen wir: „ Wahrnehmen und Denken (durch dasSehen wahrnehmen u.durch dasSehen denken).“ 803Goethe nennt dieses anschauende Denken „gegenständliches Denken“ , weil es kein abstraktes Denken ist, dasvondenGegenständen wegführt, sondern weil es einkonkretes Denken ist, das auf die Wahrnehmung der Wirklichkeit hinführt. Für Goethe gibt es kein . „Denndasbloße Anblicken einer Sache kannunsnicht „ Beschauen ohne Denken“ fördern. Jedes Ansehen geht über ineinBetrachten, jedes Betrachten ineinSinnen, jedes Sinnen in ein Verknüpfen, undso kann mansagen, daß wirschon beijedem aufmerksamen Blick in die Welt theoretisieren. Dieses aber mit Bewußtsein, mit Selbstkenntnis, mit Freiheit undumunseines gewagten Wortes zubedienen, mit Ironie zu thun und vorzunehmen, eine solche Gewandtheit ist nötig, wenn die Abstraktion, vorderwirunsfürchten, unschädlich unddasErfahrungsresultat, das wir hoffen, recht lebendig und nützlich werden soll.“804 In Konsequenz bedeutet das für denKünstler, der mit seinem Auge die Welt anschaut undmittels seiner Einbildungskraft in ein Bild formt, daßseine anschauende Tätigkeit immer auch schon ein Denken ist, und daß folglich Bilden und Denken, Theorie undPraxis nicht zu trennen sind. Goethe hat erkannt, „ daß alle Versuche, dieProbleme derNatur zulösen, imGrunde nur‚Konflikte derDenkkraft mitdemAnschauen‘ sind“unddaß wirErkenntnis derWelt unddes eigenen Ich nicht durch Betrachtung allein, wohl aber durch Handeln erlangen können. „ Theorie und Erfahrung (Phaenomen) stehen gegeneinander in beständigem Conflikt. Alle Vereinigung in derReflexion ist eine Täuschung; nurdurch Handeln können sie vereinigt werden.“805Der Künstler aber ist derHandelnde schlechthin, dersich durch seine künstlerische Tat–dasSchaffen –bestimmt. Undtrotz aller Wertschätzung, dieBeuys der„ unsichtbaren Skulptur“zugesprochen hat, so hater bis ansein bildnerische Tat“nicht verzichtet. Denn das künstlerische Schaffen Ende auf die „ ist gleichsam die Verkörperung der idealen „scientia intuitiva“Spinozas, in der in derAnschauung desBesonderen undEinzelnen Transformierung Goethes, die „ , wie Cassirer konstatierte.806 Dadie Erkenntnis des Allgemeinen gewinnen will“

802 Goethe: Bedeutende Fördernis durch eineinziges hilfreiches Wort. Zitiert nach: Goethe Werke, Bd. 6, S.438. 803 Transkription des Verf. nach derReproduktion der Beuysschen Handschrift in: Stachelhaus: Beuys, S. 81 804 Goethe: Einleitung indieFarbenlehre, zitiert nach Cassirer: Freiheit undForm, S. 235, 236. 805 Goethe: Maximen undReflexionen, zitiert nachebenda, S. 206, 207. 806 Cassirer: Freiheit undForm, S. 261. Goethe an Jacobi, 5. Mai 1796: „Wenn du sagst, man könne anGott nurglauben, so sage ichdir, ichhalte viel aufs Schauen, undwennSpinoza von der Scientia intuitiva spricht undsagt: ‚Hoc cognescendi genus procedit ab adaequata idea essentiae formalis quorundam Dei attributorum adadaequatam cognitionem essentiae rerum; so geben nurdiese wenigen Worte Mut, mein ganzes Leben der Betrachtung der Dinge zu widmen, die ich reichen undvonderen essentia formali ich mireine adäquate Idee zubilden

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Teil II

herbezieht sich Beuys imSpiegel-Gespräch aufGoethes Terminus „ Anschauende Urteilskraft“ , umsein Verständnis vomDenken als Intuition zubestimmen. In seinem Aufsatz von 1820 nimmt Goethe mit seinem Titel „Anschauende Urteilskraft“unmittelbar Bezug auf Kants „Kritik der Urteilskraft“ , § 77. Eingangs weist Goethe darauf hin, daß Kant zwar einerseits das Erkenntnisvermögen „ auf eine reflektierende diskursive Urteilskraft“einzuschränken bemüht sei, daßer aber andererseits auch über die selbstgezogenen Grenzen dasmenschlichen Verstandes „ miteinem Seitenwink hinausdeutete“ . Dazuzitiert Goethe folgende Stelle Kants: „ Wirkönnen unseinen Verstand denken, der, weil er nicht wiederunsrige diskursiv, sondern intuitiv ist, vom synthetischen Allgemeinen, der Anschauung eines Ganzen als eines solchen, zumBesonderen geht, das ist, vondemGanzen zuden Teilen. –Hierbei ist gar nicht nötig zu beweisen, daß ein solcher intellectus archetypus möglich sei, [das ist derVerstand, derdie Urbilder schaut], sondern nur, daßwirinderDagegenhaltung unseres diskursiven, derBilder bedürftigen Verstandes (intellectus ectypus), und der Zufälligkeit einer solchen Beschaffenheit, auf

jene Idee eines intellectus archetypus geführt werden, diese auch keinen Wider-

spruch enthalte.“ Dann stellt Goethe folgende Überlegung an: „Zwar scheint derVerfasser hier aufeinen göttlichen Verstand zudeuten, allein wirja imSittlichen, durch Glauben an Gott, Tugend undUnsterblichkeit unsin eine obere Region erheben undan das erste Wesen annähern sollen: sodürfte es wohl imIntellektuellen derselbe Fall sein, daß wir uns, durch das Anschauen einer immer schaffenden Natur, zur geistigen Teilnahme an ihren Produktionen würdig machten. Hatte ich doch erst unbewußt undaus innerem Trieb aufjenes Urbildliche, Typische rastlos gedrungen, wares mir sogar geglückt, eine naturgemäße Darstellung aufzubauen, so konnte mich nunmehr nichts weiter verhindern, dasAbenteuer der Vernunft, wiees derAlte vom Königsberge selbst nennt, mutig zubestehen.“807 Auf das Vermögen dieser „anschauenden Urteilskraft“imGegensatz zurdisUrbilder“inderNatur schauen kursiven, berufen sich die Künstler, die intuitiv die „ undmittels ihrer Einbildungskraft darstellen können. Rekapitulieren wir: DasDenken, dasein Anschauen unddasAnschauen, dasein Denken ist, bestimmt Goethe , unddieses „gegenständliche Denken“entspricht als „gegenständliches Denken“ demBildnerischen Denken der bildenden Künstler, das von seinem Gegenstand, dem „Bild“ , als Gestaltetes, als schöpferische Zeugung, als Produkt der Imagination, nicht getrennt werden kann.808 Imago ist Kreation, Bild ist Schöpfung. Im „ Bild“(Eikon) ist die Synthesis von Urbild (Idea) undAbbild (Eidos) vollzogen.

hoffen kann, ohne michimmindesten zubekümmern, wieweitichkommen werde undwasmir (Cassirer, S. 210). zugeschnitten ist.“ Bei Spinoza baut die „scientia intuitiva“auf den durch imaginatio und ratio gewonnenen Sie schreitet von der adäquaten Idee der formalen Wesenheit „ Allgemeinbegriffen“auf. „ einiger Attribute Gottes fort zuderadäquaten Erkenntnis derWesenheit derDinge.“Die vom göttlichen Wissen abgeleitete intuitive Erkenntnis ist „Wesenerkenntnis“ . Siehe dasStichwort „ Intuition“in: Historisches Wörterbuch derPhilosophie, Bd. 4, Sp. 529, 530. 434. 807 Anschauende Urteilskraft, Goethe Werke, Bd. 6, S. 433– 919. 808 Siehe dasStichwort „Bild“in: Historisches Wörterbuch derPhilosophie, Bd. 1, Sp. 913–

21. Intuition als Anschauende Urteilskraft

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Für Beuys hat der „skulpturale“ , d.h. Bild hervorbringende Vorgang „AbdruckchaDas Hineindrücken einer TatindieMaterie.“Abervor . Dasbedeutet ihm: „ rakter“ plastischen Vorgang“liegt „ diesem tatsächlichen „ noch ein anderer plastischer , nämlich dasDenken. Dennhier liegt derUrsprung, wodieEntscheidung Vorgang“ für die Form des Abdruckcharakters fällt, so daß Beuys, wie er vorträgt, „ dem Denken selbst schon diesen plastischen Charakter zuschreiben kann, daß er also sagen kann, bereits im Denken liegt der Formvorgang gegründet, der dann durch meine Leibesorgane undandere Werkzeuge als Abdruckcharakter in die Welt und dort zu einer Form kommt, die informiert, Information gegenüber einem anderen Wesen, wasBedarf andieser Information als Produkt hat ...“ . DieInformation, die , sie hat der Künstler in das Material drückt, ist für Beuys ein „Weltentwurf“ „ Ideencharakter“.809Daher sind „ Bilder“„ nicht einfache Abbilder einer vorhande, so Cassirer, sondern vielmehr erscheint in jedem Bild „ nen Wirklichkeit“ ein geistiger Gehalt, deranundfür sich über alles Sinnliche hinausweist“.810In diesem Sinn sagt Beuys: „ FORM = übersinnlich“.811 Wenn Beuys sich zurCharakterisierung seines bildnerischen Denkens auf den Begriff der„Intuition“undauf Goethes „anschauende Urteilskraft“beruft, so darf mandaraus nicht denirrigen Schluß ziehen, Beuys habe einem naiven „Intuitionisdas Wort geredet. Im Gegenteil, er bestand immer darauf, daß neben der mus“ denMenauch die Logik nicht ausgeschaltet bleiben“darf, wenn man„ Intuition „ , schen als ein denkendes Wesen ansprechen“will, unddaßmandann „intensive“ Gedankengänge“vollziehen“muß.812 Ein Beispiel für solch intensive diskursive „ Eintritt in Gedankengänge, für logisches Denken, gibt Beuys in seinem Vortrag „ . Ein zentrales Anliegen ist ihm hier „die Frage nach der Freiheit“ ein Lebewesen“ der künstlerischen Tätigkeit. Wenn der Künstler eine ideelle Information in eine zu begründen als ein Vormaterielle Form hineinprägt, ist dann diese Handlung „ gang, der aus der freien Entscheidung, der Freiheit dieses Wesens stammt?“Um

Experimente“mit operationelle“Denk-“ diese Frage zu klären ist es notwendig, „ er operationell Wie wählt. Beuys Das zu machen. ist die die selbst Methode, sich denZusammenhang vonWahrnehmen, Denken undBegriff, vonTunundFreiheit durchdenkt, wird in Kürze referiert: Was passiert, wenn man anschaut, was in Was ist das, dieses Wahrnehmen?“Wer mit seiner Umgebung vorgegeben ist? „ passiv“seine Umgebung vorurteilslos“beobachtet, wieer „ bewußter Anstrengung „ Bild“ anschaut, kommt zu der Feststellung, daß in dem Wahrgenommenen ein „ vorliegt, „ daßbei seiner Betrachtung nichts anderes hergibt, als ein unzusammen. Umdiese hängendes Chaos, das heißt, solange ich passiv mich dem aussetze“ einer großen Energie“undeine „allergrößte Passivität“herzustellen, bedarf es „ „ .„ ImAnschauen ist also schon Wille darin, dasheißt Willensanstrengung ist nötig“ er ist immer bereit, er ist immer aufderSuche, Details ausdiesem Chaos herauszu-

809 Beuys: Eintritt ineinLebewesen, Vortrag, zitiert nach Harlan: Soziale Plastik, S. 125, 126. 810 Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, zitiert nach demStichwort „Bild“in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1, Sp. 917.

811 Beuys in: Stachelhaus: Beuys, S. 80. 812 Beuys: Gespräche, S. 136, 137.

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schneiden, also bewußt auszugliedern.“Indiesem „Willensimpuls“ist dieIntention enthalten, dieeinzelne Wahrnehmung auf„ dieIdee oderdenBegriff“ zurückzuverweisen, „ also aufeine Denkkategorie, inderimDenken gehandelt wird. Denken ist Tat.“ Daraus ergibt sich dieFrage: „ Wiehängen Begriff undWahrnehmung zusammen?“Umdas zuerkennen, ist es notwendig, eine „ Energie in sich“wahrzunehmen, „ die es möglich macht, über das Denken selbst, eine Aussage zu machen, nicht nurdarüber, wie imDenken die Begriffsinhalte denAusscheidecharakter im Wahrnehmen herstellen ...“ . Mittels dieser Kraft wird die „Trennungslinie zwischem demideellen Begrifflichen unddemwahrgenommenen Objekt“überwundenunddannvereinigt derseine Denktätigkeit Reflektierende „bewußt diezusammengehörigen Pole vonWahrnehmungen undDenken undüberwindet so Subjekt und Objekt. ... Durch die Ausschaltung der Inhalte des Denkens wird der aktive Wille im Denken zur Wahrnehmung. Wenn ich festgestellt habe, daß das Wahrgenommene auch begriffen werden muß, so mußauch diese Kraft, die ich wahrnehmenkann, als die Betätigung undSelbsttätigkeit meine freien Ichs zumBegriff der Freiheit werden“ . Der Künstler, der schöpferische Mensch, erweitert sein Wahrunderkennt, wie Innen undAußen zusammenhängen, nehmungsfeld nach innen „ unddaßsein eigener Leib, ja seine Gefühle imVerhältnis zudiesem Quellpunkt der Freiheit Außenwelt sind“ . Die „freie Eigentätigkeit“des sich selbst denkenden als reine Aktivität, ein plastischer Vorgang, in Denkens kann begriffen werden „ Er weiß jetzt, daß er selbst der Schöpfer ist, nicht nur .„ demder reine Wille wirkt“ Geschaffener, sondern auch Schaffender dessen, was in der Welt das ‚was ist zu tun‘? genannt werden kann.“Der denkende Mensch erkennt also, daßer in einer Ein Welt lebt, in der er sich seinem Willensimpuls folgend frei betätigen kann. „ lebendiges Denken ist Erfahren, ist durch die operationellen Schritte in einen Zuammenhang gebracht worden mitderphysischen Wirklichkeit.“813 Wie dieser Gedankengang Beuys’ offenlegt, ist der Zugang zur physischen Wirklichkeit gebunden an die Erschließung der geistigen Wirklickeit im Menschen.814 Alle Wirklichkeit wird ihmzur freien Tat des denkenden Ich. Beuys sah

813 Beuys in Harlan: Soziale Plastik, S. 125, 126, 127. 814 Der Philosoph Walter Warnach, ein Schüler Nikolai Hartmanns, dersich aber selbst Heideggers Philosophie näher stehend bezeichnet, hatte anderDüsseldorfer Akademie seit 1960 eine Professur für Philosophie inne –Beuys wurde 1961 auf denLehrstuhl für Monumentalbildhauerei berufen. In einem Interview mit Stephan von Wiese auf dem Jahr 1987 berichtet ... das Wichtigste istfür ihndie geistige Realität“. Warnach, daßBeuys betont hat: „ „ Ich [Warnach] habe einen Vortrag vor der Kant-Gesellschaft über Objektivität undRealität gehalten. Objektivität ist derGegenstand dersystematischen Philosophie seit demMittelalter. UndRealität ist genau das, wassich in Objektivität nicht aufheben läßt. Beuys warbei diesem Vortrag, derin derAkademie stattfand, anwesend. In derDiskussion, dashabe ich noch heute in Erinnerung, hater einen eindeutigen kantischen Standpunkt eingenommen, er kamnämlich auf seine Erkenntnistheorie zurück, wobei er wahrscheinlich unter dem Einfluß von Rudolf Bei Steiner gibt es auch Steiner gestanden hat. Dazuhater sich auchbekannt.“AufdieFrage: „ Ja, ganzeindeutig sogar inderFortsetzung von denkantischen Zugriff?“antwortet Warnach: „ Kant, nämlich vonFichte.“Damit ist derBogen, vonKant über Schelling undFichte, Steiner unddenNeukantianern zuBeuys geschlagen. Wir-Philososoziale Plastik“viel mitseiner „ Warnach hatherausgestellt, daßdie Beuyssche „

21. Intuition als Anschauende Urteilskraft

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es als seine Aufgabe an, die Menschen anzuregen, sich in „meditativer Weise“ selbst zubetrachten. „ Dannwürden sieerleben, daßdasWichtigste anihrem Wesen übersinnlich ist. Denn wasamMenschen wirklich entscheidend ist, hat nichts mit der Sterblichkeit des Fleisches zu tun. Es ist das Denken. Das Denken des Menschen ist so groß wie die Welt. Größer sogar. Das heißt, alles, was an der Welt überhaupt vorstellbar ist ... wird bei weitem überholt durch die Dimension des menschlichen Denkens. Aber das Denken ist nicht an das Leben gebunden, es ist eine rein übersinnliche Daseinsform. ... Mansagt immer: DasGehirn denkt. Als ob dasGehirn ... denken könnte. DasGehirn kannmanbeimMetzger kaufen. Es liegt imKühlschrank. UndwennderMensch stirbt, ist dasGehirn nichts weiter als eben das. Natürlich ist dasGehirn eine körperliche Realität desLebens, sonst könnte der Geist desMenschen nicht aufderErde erscheinen. Der Mensch ist ein übersinnliches Wesen, doch in irdischen Verhältnissen mußer sich einen Körper schaffen. Eine körperliche Bodenstation. Diese istjedoch ausdemGeist entstanden undnicht darwinistisch.“815

Aus diesem Grunde hat Beuys darauf bestanden, „ den Geist als Basisprodukti,816 on anzusehen“ oder wie er sich an anderer Stelle ausgedrückt hat, „das Geistige“ist „primäres Produktionsmittel“.817 Der „Geist“ist das einzige „Kapital“des Menschen. Folglich sindfürBeuys diewichtigsten Produktionsstätten nicht die, die „ materielle Güter produzieren, sondern diejenigen, die rein geistig produzieren, Schulen, Hochschulen, Universitäten sind die wichtigsten Unternehmen im Produktionsbereich der Gesellschaft. Dort wird das konkrete Kapital gebildet: die Fähigkeit“.818Die Fähigkeit zudenken, Gedankengänge zu vollziehen, will Beuys zureflektieZusammenhänge zwischen Geist undStoff“ dafür genutzt wissen, die „ daßnicht nurNaturwissenschaftler Wirklichkeit ren, damit gesehen werden kann, „ entdecken. Ihre Erkenntnisse müssen mitdemIdealismus eines Hegel zusammengebracht werden. Das ist immer noch dasHauptproblem der Philosophie. Wieder Stoff die Konsequenz des Geistes ist, damit beschäftigt sich keiner. Wenn wirüber

zutunhat. Sein Kasseler Vortrag von1977, derhieß: „Wissenschaft und/oder Mitwissenphie“ Soziale Plastik hat , habe weitestgehende Bestätigung durch Beuys erfahren. Warnach: „ schaft“ ja nicht einen fertigen Gegenstand, sie vollzieht sich in diesen Aktivitäten. Das würde ich auch sagen: Wirklich ist nurwashandelt. ... DieGemeinschaft selbst ist dasZiel, keine festgelegte Gemeinschaft, sondern je offener, desto wirklicher. Je unmittelbarer der Mensch auf den anderen angewiesen ist, in dem Maße erfüllt sich dann auch das Wirkliche. Es ist keine Wirklichkeit neben derWirklichkeit, derObjekt-Wirklichkeit, wiemansagen müßte, sondern es ist dieWirklichkeit.“Denken ist Tat, diegeistige Wirklichkeit istdiejenige, diezählt. Walter Warnach: Die Philosophie derWir-Wissenschaft unddie soziale Plastik, in Ausstellungskata1987, Kunstmuseum Düsseldorf 1987, (bearbeitet vonStelog: Brennpunkt Düsseldorf 1962– 89. Zu Warnachs Philosophie siehe Walter Warnach: Wege im phan von Wiese), S. 86– Labyrinth. Schriften zurZeit. Vorwort vonHeinrich Bill, hrsg. vonKarl-Dieter Ulke, Pfullingen 1982. 815 Beuys: Jeder kriegt sein Fett weg, S. 31. 816 Beuys: Interview mitMeyer/Olsen, S. 85. Junge, warderMarx bekloppt!“ , Interview mitJoseph Beuys vonGerhard KrugundThomas 817 „ Schröder, in: Welt amSonntag, 3.10.1976, S. 30. Zitiert nach Bojescul: Beuys, S. 82. 818 Beuys: Spiegel-Gespräch, S. 184.

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das Ofenloch sprechen, meinen wir nicht den Kanal im Haus, sondern vor allem, wie der Geist darin inkarniert ist und die Materie durchdringt. Das ist wirklich ökologisch: das Zusammenwirken aller Seinsbestände herauszufinden undsich zu fragen, wie sie zusammenwirken. Die Logik kann es sich nicht leisten, den Geist vomStoff abzuziehen.“819Eindeutig bekennt sich Beuys hier zurDenktradition des deutschen Idealismus und der Romantik. Dies bedeutet aber nicht, daß er sich gegen die Aufklärung richtet, ganz imGegenteil. „ Ich sehe mich als ein Künstler deserweiterten Kunstbegriffs, als ein Vorreiter, als einAufklärer wahrer Zusammenhänge inderWelt. DerKünstler mußnichts erfinden, sondern Zusammenhänge 820Auf die Frage, ob er sich in der Tradition der Romantik sehe, entdecken.“ antwortet Beuys differenziert: „ Aber ich sehe mich nicht zur Gänze als einen Romantiker, denn ich kann nicht so symbolisch denken. Ich meine, es ist einseitig, dieHelligkeit nurals einWunschbild derAufklärung zusehen, unddieDunkelheit als das der Romantik. Die Aufklärung müßte doch wohl darin bestehen, daß die Prinzipien von Tag und Nacht oder die von Licht und Finsternis gemeinsam aufgeklärt werden. Sie erschöpfen sich doch nicht nurim Symbol. Sonst schneidet manja die Hälfte derWelt praktisch abundklärt dieBedeutung vonSchwarz nicht mit auf. Es istja heute so, daßmandas sogenannte Mystische undalle übersinnlichenDimensionen abschneidet, umineinem Materialismus undineinem Positivismustätig zusein. Nurglaube ich, daßdasdasGegenteil vonAufklärung war, dieser einseitige Rationalismus: daß mannurnoch das nehmen will, das manabmessen, aufdieWaage legen undanalysieren kann. Dieses einseitige analytische Prinzip ist ja das Gegenteil von Aufklärung, mit all denFolgen, die wir heute haben. Diese Aufklärung war ja keine, sondern brachte uns an den Rand des Grabes. Die Romantik undderIdealismus waren aufdieganzen komplizierten Zusammenhänge gerichtet, sie wollten ja nichts abschneiden, sondern sich in die Schwierigkeiten hineinbegeben, die man natürlich erweitert, wenn man von solchen gewaltigen 821 Urbildern ausgeht wie Licht undFinsternis.“ Mit aller Entschiedenheit vertritt Beuys dieGrundansicht vonderProduktivität , einrußgeschwärztes Lochin desmenschlichen Geistes. Seine Skulptur „Ofenloch“ der Wand, das durch ein Ofenrohr in den Außenraum führt, ist ein „Bild“der geistigen Produktion, der denkenden Hervorbringung. Das Thema ist „ Schwarz“ . der eigentlich Nacht, Dunkelheit, die sondern Farbe, keine Schwarz ist für mich „ Ofenloch“weist Innenraum, in den kein Licht fällt oder nurpartiell.“Mit dem„ Beuys auf das Urphänomen derPolarität vonLicht undFinsternis hin. Wenn man sich eingehend mitderAnschaulichkeit dieser Plastik beschäftigt, dann sieht man, sagt Beuys, „ daist ein Raum, einLoch, Schwarz, Dunkelheit wiein derNacht. Bei mir ist es innen dunkel, Adern sind dunkel usw. Dann kommt unwillkürlich das Gegenbild: einhell, Licht als Gegenpol. Daskannjemandem indenSinn kommen, der darüber meditiert, sich mit der Sache befaßt und sie nicht nur oberflächlich ästhetisch aufnimmt. Man sollte auf die Gestalt der Sache eingehen und ohne , in Katalog: Schwarz, S. 138. 819 „Beuys’Gedankengang zueinem Ofenloch“ 820 Beuys, ebenda, S. 137. 821 Beuys, ebenda, S. 137.

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Vorurteile aufihre Wesensbestandteile hinbearbeiten, ohne Ideologie einzuschmuggeln. Es handelt sich also umeine Artphänomenologische Methode undnicht um eine assoziative.“822 VonderUrpolarität vonHell undDunkel kommt Beuys, wieKlee, zwangsläufig zudenFarben. Klee sprach vom„Graupunkt“ , wodieScheidung derDimensionenin Licht undFinsternis, vonChaos undKosmos noch nicht erfolgt ist undder Urcharakter“hat. Klee: „ deswegen „ DerEingeweihte ahntdenurlebendigen Punkt, besitzt einpaar lebendige Atome, besitzt fünf lebendige bildnerische Elementarpigmente, weiß nun umeine kleine graue Stelle, von der aus der Sprung aus dem Chaos in die Ordnung glückt. Er ahnt die Zeugung.“823 Bei Beuys lesen wir: „Zwischen denPolaritäten Licht undFinsternis spielt sich ja dieganze Farbigkeit ab.Ohnedieabsolute Polarität gäbe es dieFarbigkeit nicht oder wie Goethe sagte: ‚die Farben sind die Leidenswege des Lichtes.‘ F arben entstehen ja erst dadurch, daß die Dunkelheit demLicht Widerstände entgegensetzt, so daßsich dasLicht hindurch zwängen muß, sonst gäbe es denRegenbogen nicht, also nicht die Zerstreuung desabstrakten weißen Lichtes. Ein Innenraum ist also nichts passives, auch in seinen Gradationen nicht. Beispielsweise auch in der Luft: dieLuft istblauundblauistja aufdemWege zuschwarz, dennes liegt aufder Seite des Spektrums, wo es immer dunkler wird, wo sehr intensive Prozesse stattfinden, mit Wachstumsprozessen verbundene Wirkungen. Bei derPflanze oder bei derFotosynthese z.B. spielen diese Polaritäten, eingespannt zwischen Licht und Finsternis, eine große Rolle. Beim Rot entstehen Wärmeprozesse, beim Blau dagegenchemische Prozesse unddiese nicht unbedingt imSinne vonKälte. Wiekönnte es anders sein, daß diese Prinzipien an der untersten Basis allen Lebens, aller kosmischen Verhältnisse liegen? Schwarz, die Dunkelheit, ist nicht verbunden mit Kälte, sondern mit einer großen Kraft.“824 In diesem Zusammenhang sei nochmals auf Klees Bild „Wachstum derNachtpflanzen“(Siehe Abb. 8) verwiesen, wo der Wachstumsprozess zwischen den unheimlichen Polen dargestellt ist. Es zeigt sich also, daß Klee und Beuys ein intensives anschauliches Studium derNaturphänomene betrieben haben unddaßsie daszuderGoetheschen Erkenntnis geführt hat, daßalles Faktische schon Theorie ist und „ daß wir uns durch das Anschauen einer immer schaffenden Natur, zur geistigen Teilnahme anihren Produkten würdig machten“ . (Siehe oben). Ofenloch“zurück, dasauf die kosmogenetiKehren wirnochmals zuBeuys’„ sche Urpolarität von Licht undFinsternis hinweist, aber auch auf die Durchdringung vonMaterie undGeist, denn Beuys setzt dendunklen Innenraum des Rohrganges inBezug zum„ . DerBegriff „Gedankengang“bedeutet ihm Gedankengang“ Ich grenze dann meinen „ dem Gedanken eine bestimmte Richtung“zu geben. „ Gedankengang vonallen anderen, möglichen ab. Es mußja eine ArtTunnel sein, damit ein bestimmter Gedankengang voll zum Tragen kommt. Wir bilden ihn immer wieder, daserfordert einen Willensprozeß. DerTunnel ist nicht einfach da,

822 Beuys, ebenda, S. 135. 823 Klee: Bildnerisches Denken, S. 3, 4, 60. 824 Beuys in Katalog: Schwarz, S. 135, 136.

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sondern mußpraktisch durch einen Willensakt immer wieder hergestellt werden. Und gerade beim Willen hat man es wohl psychologisch auch wieder mit der Dunkelheit zutun. Er ist eine erotische Urkraft, dieerst ineine bestimmte Richtung gebracht werden muß. ... Zwar ist auch derdurch denWillensakt gebildete Tunnel

eine Form, wenn auch dunkel, aber prozessual kommt dies eigentliche ‚imago‘ heraus, also die eigentliche Gestalt. Ich sage ‚imago‘, denn es ist ja wie bei der Entstehung des Schmetterlings auch so, daßdie Made erst in einem Tunnel liegt. Da ist alles dunkel undabgeschlossen undauf einmal erscheint ein ‚imago‘ am Ende desProzesses.“825 Beuys setzt also dieprozessuale Entstehung eines Gedanken-Bildes imGedankengang in Analogie zumbildnerischen Formprozeß, andessen Ende eine Gestalt als „Bild“steht. Und wie Klee vergleicht er die Genesis eines Bildes mit den Wachstumsprozessen in der Natur, wo das Bewegungselement dominiert. Nur bildet sich in uns eine schöpferische Disposition. durch Bewegung, sagt Klee, „ Manist bewegt undsetzt daher leichter inBewegung. DieVorbewegung inuns, die tätige, werkliche Bewegung vonuns, in der Richtung des Werkes unddie weitere Fortführung der Bewegtheit im Werk auf andere, auf die Beschauer des Werkes, das sind die Hauptabschnitte desschöpferischen Ganzen, als Vorschöpfung, Schöpfung undNachschöpfung. Die Vorbewegung führt als Drang zurProduktion. So wie in der Natur, so steht es auch mit uns. Die Natur ist schöpferisch und wir sind

es.“826 Während Beuys denWillen als Drang zur Produktion vonBildern, als „ erotiIm Anfang das Motiv, Einschaltung sche Urkraft“bezeichnet, heißt es bei Klee: „ der Energie, Sperma. Werke als Formbildung im materiellen Sinne: urweiblich. Werke als formbestimmendes Sperma: urmännlich.“Die Urpolarität vonmännlich undweiblich ist Voraussetzung derschöpferischen Zeugung. Imago“undbestimmt Bild als „ Beuys unterscheidet „ . Gestalt“ Form“von „ Beuys: „ Bild ist geformte Farbigkeit.“827Auch hier trifft er sich mit Klee:‚„Gestalt‘(gegenüber Form) besagt außerdem etwas Lebendiges. Gestalt ist mehr eine Form mit zugrunde liegenden lebendigen Funktionen. Sozusagen Funktion aus Funktion. Die Funktionen sind rein geistiger Natur. Bedarf nach Ausdruck liegt , fordert Klee, mußdie „Kraft In derDurchdringung mit derMaterie“ zugrunde.“„ , die rein geistiger Natur ist, „eine lebendig wirkliche Form des Schöpferischen“ .828 eingehen“ Der Künstler ist Schöpfer, das Produkt seines Schaffens ist das ‚Imago‘, das Bild alseingestaltetes. Diewesentliche Tätigkeit desKünstlers istBilden unddiese Fähigkeit zu Bilden speist sich ausjenem anschaulichen Denken, das Beuys mit Goethe „anschauende Urteilskraft“nennt, oder das Klee undKandinsky mit dem erreigeistigen Ort“ begriff „Intuition“bezeichnen. Werner Haftmann wollte den„ Das wäre dann chen, vondemdie Bilder unddasBilden ihren Ausgang nehmen: „

825 Beuys, ebenda, S. 136. 826 Klee: Unendliche Naturgeschichte, S. 255, 259. 827 Handschrift vonBeuys, zitiert nach Stachelhaus: Beuys, S. 80. 828 Klee: Bildnerisches Denken, S. 17.

21. Intuition als Anschauende Urteilskraft

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dieser Punkt des Werdens, vondemauseine Menschlichkeit ansHandeln gerät und schöpferisch wird durch den Einsatz einer besonderen Intelligenz, die ich das bildnerische Denken nennen möchte. Auch dieses bildnerische Denken ist ein Aneignungs-, Ordnungs-, Verwirklichungs- undAusdrucksverfahren desinsGanze derWelt gestellten menschlichen Geistes. Es bedient sich besonderer Sprachmittel, im Falle der Malerei der farbigen Formen, undes hat seine genaue Logik. Die Wege, diedieses bildnerische Denken nimmt, schreiten recht eigentlich diegeistige Monographie eines Menschen aus, wenner nuneinmal alsMaler indiese Welt trat undsie vondiesem Standpunkt ausarbeitend erfuhr und,sofern erbegnadet genug war, bewältigte. Auch als Betrachter mußmansich erst einmal in der Richtung dieser Wege in Bewegung bringen, erst dann wird mandie innere Notwendigkeit desWachstumsprozesses eines künstlerischen Werkes erfahren können.“829 Die besondere geistige Fähigkeit, die Haftmann mit guten Gründen im Hinblick auf Klee das „Bildnerische Denken“nennt, hat Goethe als „eine exakte sinnliche Phantasie“bezeichnet, „ohne welche doch eigentlich keine Kunst denk. Cassirer merkt dazu an, daß„nicht dasAuge allein, sondern diese exakte bar ist“ sinnliche Phantasie ... das Organ [war], durch welches Goethe die Welt besaß. Beides warfür ihnnicht geschieden; –wieer selbst einmal gesagt hat, daß, wenn Künstler vonderNatur sprechen, sie, ohne sich’s deutlich bewußt zu sein, immer die‚Idee‘subintelligieren, so‚subintelligierte‘er, wennervonseinem Auge sprach, immer die innere Tätigkeit desBildens. In ihr allein fander die wahre Vermittlung 830Daher hat zwischen Subjekt undObjekt, zwischen sich selbst undder Natur.“ Klee allen Grund, in seiner schematischen Zeichnung zu „Wege des Naturstudiden Künstler als „Auge“darzustellen, denn das Auge steht für die innere ums“ Im Auge spiegelt sich von außen die Welt, von Tätigkeit des Bildens. Goethe: „ innen der Mensch. Die Totalität des Inneren und Äußeren wird durchs Auge vollendet.“831 Cassirer hataufgewiesen, daßfürGoethe dieechte Produktivität desKünstlers die und Forschers niemals gegen die Natur gerichtet ist, sondern daß sie ihm „ Fortsetzung und Vollendung der Produktivität der Natur selbst“ist.832 Klee und Der Beuys haben diese Grundidee Goethes ausdrücklich aufgenommen. Beuys: „ Mensch als Vollender der Schöpfung –dasheißt, derMensch ist auch ein Gott, eine bestimmte Sorte Gott, –eben Mensch. Dasist auch ein Gott. Es ist aber kein Gott, es ist einMensch. Aberer kanndasmachen, ermußdasmachen, er mußdasselbst

829 Werner Haftmann: Paul Klee. Wege Bildnerischen Denkens, 1. Aufl., München 1950, zitiert nach der3. Aufl. 1957, S. 8. (= Haftmann: Klee). Haftmanns Buch wardieerste „vollwertige“ Veröffentlichung über Klee nach demKrieg. Siehe Hopfengart: Klee, S. 156 ff. Daß Beuys dieses Buch in derZeit, als er auf der Suche nach seinem künstlerischen Selbst war, gelesen hat, ist wahrscheinlich. Dafür spricht auch, daß Haftmann 1950 das selbe sprachliche Bild Klee hateine Fackel benutzt, dasBeuys 36 Jahre später in seiner Lehmbruck-Rede verwendet: „ angezündet, die weitergereicht werden muß!“ 830 Cassirer: Freiheit undForm, S. 235. 831 Goethe: Paralipomena zurFarbenlehre, zitiert nachHaftmann: Klee, S. 131. 832 Cassirer: Freiheit undForm, S. 238.

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machen. Das ist das Geheimnisvolle.“833Dieses Geheimnisvolle nennt Klee „ die Kraft desSchöpferischen“ , die nicht genannt werden kann, die er aber „sozusagen bei ‚Gott‘ ahnt. „Denn vor dem Bereich des Geheimnisses bleibt die Analyse verlegen stecken. Aber dasGeheimnis ist, mitzugestalten durch Vordringen bis zu “ seinem Siegel.“834Undnochmals Beuys: „ Wirkönnen sagen, daßderMensch ein Gott ist, oderjedenfalls eine Verlängerung vonGottes Finger, ein Helfer.“835 Wie Goethe in seinem Kommentar zuKant erklärte, hater sich zugetraut, „ das Abenteuer der Vernunft“mutig zu bestehen. Und so wird ihm schließlich die produktive Einbildungskraft, die „ exakte sinnliche Phantasie“zur ‚„ Vernunft‘ . Goethe stellt „neben Sinnlichkeit, Verstand undVernunft diePhantaschlechthin“ sie als ‚vierte Hauptkraft unseres geistigen Wesens‘auf“ . Diese Einbildungskraft ist gleichsam das Medium, in dem alle anderen Kräfte leben und weben“ „ , fügt Cassirer hinzu. „ Die Sinnlichkeit reicht ihr rein umschriebene, gewisse Gestalten, der Verstand regelt ihre produktive Kraft und die Vernunft gibt ihr die völlige Sicherheit, daßsie nicht mitTraumbildern spiele, sondern aufIdeen gegründet sei.“ Daher stellt Cassirer fest, ist die produktive Einbildungskraft als Goethes „ Grundkraft“gleichsam die „‚bildende‘Kraft schlechthin“ , auf derjede künstlerische oder wissenschaftliche Genialität beruht. DaßGoethe zueiner solchen inneren „Harmoniezwischen Phantasie undVernunft, zwischen derkünstlerischen unddertheoretischen Idee“fähig ist, beruht laut Cassirer darauf, „ daß es der eigenste Begriff der Vernunft ist, das Sein aus einem statischen Ganzen in ein dynamisches Ganzes . DieVernunft geht „überall aufdasWerden selbst zurück. DieGottheit aufzulösen“ –sagt Goethe zuEckermann –ist wirksam imLebendigen, aber nicht imToten; sie ist im Werdenden undsich Verwandelnden, aber nicht im Gewordenen undErstarrten. Deshalb hat die Vernunft es in ihrer Tendenz zum Göttlichen nur mit dem .836 Lebendigen undWerdenden ... zutun“

22. Bewegung als dieunendliche Kraft –Der Christusimpuls / Das Bewegungselement –Die Christuskraft Also komme ich nicht aufdenMenschen, in dessen Urbild die Ästhetik ruht, werde „ keinerlei Fortschritte machen inBezug aufdie Umgestaltung derWelt.“ Joseph Beuys837

ich

Aufdiese Goethesche Position, daßdasGöttliche sich nurimWerdenden undsich Verwandelnden zeigt unddaßderKünstler nurin seiner Tat, inseiner bildnerischen Aktivität, sich diesem Göttlichen nähern kann, haben sich Klee undBeuys bezogen. Für beide ist „Bewegung“sowohl im denkerischen als auch im bildnerischen 833 Beuys in Harlan: Soziale Plastik, S. 18. Vgl. dazu Hochholzer: Evasionen, S. 170: „magnum . miraculum est homo“ 834 Klee: Bildnerisches Denken, S. 17, 60. 835 Beuys: DerTodhält mich wach, in Katalog: Beuys zuEhren, S. 81. 836 Cassirer: Freiheit undForm, S. 238, 239, 245. 837 Beuys: Documenta-Dokumente, S. 50.

22. Bewegung als die unendliche Kraft –DerChristusimpuls

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Bereich die zentrale Kategorie. Undes ist auch die Kategorie, die ins „göttliche“ Gebiet führt. Klee: „ Bewegung liegt allem Werden zugrunde.“Der Mensch ist derirdischen Gebundenheit sich zulösen, über beherrscht vonderSehnsucht, aus„ Schwimmen undFliegen zumfreien Schwung, zurfreien Beweglichkeit“ . „Diese Gebärde will in Stößen vonder Erde weg, die nächste erhebt sich in Wirklichkeit über sie. Sie erhebt sich über sie unter demDiktat von Schwungkräften, welche über die Schwerkräfte triumphieren. Lasse ichendlich diese erdfeindlichen Kräfte besonders weit schwingen, bis hinzumgroßen Kreislauf, so gelange ich über den pathetisch-drangvollen Stil hinaus zujener Romantik, die imAll aufgeht.“ 838 Auch hier sei nochmals auf Klees schematische Zeichnung zu „Wege des Naturstudiums“(Siehe Abb. 5) hingewiesen, auf der der Künstler als rotierender Punkt zwischen Erde und Welt-All in ständiger Bewegung befindlich ist. Der romantische“Stil, denKlee fürsich geltend macht, ist nicht zutrennen vondieser „ größtmöglichen Beweglichkeit. Klee hat in dem Teil seines Bildnerischen Den„ildnerische Mechanik oder Stillehre“nennt, „ kens, dener B Ausblicke ins Gebiet Der Stil ist imGrunde die menschliche Einstellung zudiesen des Stils“geworfen. „ Fragen des Diesseitigen und des Jenseitigen. Demnach gibt es auch auf dem Stilgebiet zwei Hauptteile. Aufdemersten ähneln sich derstatische Begriff undder klassische, auf dem zweiten sind Dynamik undRomantik miteinander verwandt. Zwischen beiden Begegnungen, statisch-klassisch unddynamisch-romantisch, liegt ein Zwischengebiet, wodie Statik sich nach derdynamischen Freiheit sehnt. Das Pathos äußert sich imBildnerischen als einmotorisches Antreiben in nicht lotrechter Richtung oder als ein Neigen oder Brechen desLotes.“Veranschaulichung von Auf mehr ideellen Dynamik war eine der bildnerischen Hauptintentionen Klees. „ Gebieten der Kunst wieMalerei ist natürlich diegrößte Beweglichkeit ein richtiger Wechsel vomStatischen ins Dynamische möglich.“D agegen sieht Klee die Archiauf demschwermateriellen bildnerischen Gebiet“angesiedelt, woein „rein tektur „ dynamischer Stil bis dahin ein Widerspruch bleibt undjedenfalls zunächst noch . Auf dem statischen Gebiet der Architektur, die sich dem traumhaft fern liegt“ das rein dynamische Kunstwerk Dynamischen nur zuneigen kann, müssen wir „ .839 Utopie sein lassen“

838 Klee: Kunst-Lehre, S. 62, 69, 81. 839 Klee: „Beispiele füreine solche Utopie. ANatur. Dasganze große Hausderirdischen Geschöpfe, dieErde imGanzen. Woes auchkein ObenundUnten gibt, aufdersich z.B. dieMenschen antipodisch gegenüberstehen. B Der Palast derFische, ein zwischen Spiegel undGrund leicht auf- undniederschwebendes Gebilde, daskein ObenundUnten hat, sondern leicht sich dreht, höchstens eine Art vonZentrum in seiner inneren Konstruktion aufweisen kann, im übrigen aber nach rein dynamischem Gesetz sich konstruiert. C Irgend einaristophanisches Luftschloß (für Flieger oder fürBallone).“ Zitiert nach einem Vorabdruck ausdembisher unveröffentlichten Bd. III derGesamtausgabe des schriftlich pädagogischen Nachlasses von Paul Klee, in Ausstellungskatalog: Paul Klee, Kunsthalle Basel 1967, o.S. (= Katalog: Klee, Basel). Zu Klees „Bildnerischer Mechanik“undseiner Lehre vom „Stil“siehe Christian Geelhaar: Paul Klee unddasBauhaus, Köln 1972, S. 31, 157 ff. Geelhaar zeigt anvielen Bildbeispielen auf, wie Klee die „reine Dynamik“veranschaulicht hat.

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Teil II

„ Das Ganze (die Welt) ist dynamischer Natur“ , stellt Klee fest, „statische Probleme treten erst an gewissen Teilen des Weltganzen auf, bei ‚Gebäuden‘, auf der Rinde der einzelnen Weltkörper. Unser Stocken an der äußeren Erdrinde darf unsnicht hindern, daszuerkennen. Dennwirwissen, daßeigentlich alles nachdem Erdzentrum hinmüßte. Verkleinert mandenGesichtspunkt nocheinmal insMikroskopische, sokommt manwieder aufdasdynamische Gebiet, zumEi undzurZelle. Demnach gibt es ein Makroskopisch-Dynamisches undein Mikroskopisch-Dynamisches. Dazwischen steht der statische Sonderfall, allerdings der Sonderfall unseres menschlichen Daseins undseiner Formen. Also ‚Wir‘als unter gebieterischen,

strengen Zwang stehende Episode innerhalb des Ganzen. Uns zwingt das Lot als einGebot, dassich löst indenRichtungen nachEi undTod. Derstatische Imperativ in unserem irdischen Dasein.“840 Diesen statischen Imperativ zuüberwinden wardaserklärte bildnerische Ziel Klees. Die Sehnsucht nach demJenseitigen, nach der freien Beweglichkeit, nach dem Göttlichen, hat Klee schon frühzeitig ausgesprochen. 1903 notiert er in sein Tagebuch: „ Zwei Berge gibt es auf denen es hell ist undklar, denBerg der Tiere unddenBerg derGötter. Dazwischen aber liegt dasdämmerige Tal derMenschen. Wenn einer einmal nach oben sieht erfasst ihn ahnend eine unstillbare Sehnsucht, ihn, der weiss, dass er nicht weiss, nach ihnen die nicht wissen, dass sie nicht 841Die Sehnsucht nach der wissen und nach ihnen, die wissen dass sie wissen.“ freien Beweglichkeit ist die Sehnsucht nach demGöttlichen. Das Dynamische ist Die örtlich teilweise Möglichkeit zurrein dynamischen Handlung das Göttliche. „ ist die Geistige.“Im bildnerischen Denken undim denkerischen Bilden ist freie

Bewegung, reine Dynamik möglich. „Kosmisch betrachtet, ist die Bewegung überhaupt das Gegebene, und sie Das Penbedarf als unendliche Kraft keines besonderen energischen Anstosses.“„ .„ , sagt Klee, ist „ Das Pendel ist ein sehr sinnreiches kleines Instrument“ del“ Symbol der Vermittlung zwischen Statik und Dynamik, zwischen Schwere und Schwung, zwischen Ruhe undBewegung.“(Siehe Abb. 15). „ Mankann sagen, ein Pendel beginne zuschwingen unddie Schwerkraft werde plötzlich aufgehoben und es trete an ihre Stelle die Schwungkraft. Die ausgleichende Vereinigung von Bewegung undGegenbewegung führt zur Pendelbewegungsform bei festem Führungspunkt. ... Läßt die motorische Kraft nach, so gewinnt die Schwerkraft ihr Recht zurück. Das Pendel ist auch Ausdruck der Zeiteinheit.“„Unterliegt die Schwerkraft, so tritt durch den Wegfall irdischer Gebundenheit sofort die kosmische Bewegungsform ein: Das Pendel wird im Kreis herumschwingen, welcher die reinste derbewegten Formen ist.“ Wie die bildnerische Dynamik auf dasGebiet des Göttlichen führt, beschreibt Klee an denBewegungen derFarben auf dem„spektralen Farbkreis“(siehe Abb. 12, 13). „ Die kosmische Angelegenheit der reinen Farben hat die ihr gemässe Wirverlassen dasmenschliche Gebiet, das Darstellung auf demKreis gefunden.“„ überanimalische Gebiet, das pathetische, das sterbende, das geistkörperliche, das 840 Klee: Bildnerisches Denken, S. 5. 841 Klee: Tagebücher, Nr. 539, S. 180.

22. Bewegung als dieunendliche Kraft –DerChristusimpuls

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halbruhige undhalbbewegte Gebiet desZwischenreiches mit demDreiecks-Symbol, wodie reinen Farben nurhalb zuHause sind. Wirbefreien unser Pendel von der Schwerkraft, wir lassen es sausen, umauf das göttliche Gebiet zugelangen, auf das schwingende, das dynamische Gebiet, auf das Gebiet der Geistigkeit, der vollendeten Drehung undganzen Bewegung, mit demKreissymbol, wodie reinen Farben in Wahrheit zuHause sind.“ 842 Die Bewegung als unendliche Kraft ist die göttliche Kraft, die Beuys den „Christusimpuls“oder die „Christuskraft“nennt. Die „ christliche Substanz“ , sagt Beuys, die kann derMensch sich nicht hervorzaubern. Geistige undübersinnliche Kräfte „ müssen dasein, obinderAußenwelt, derInnenwelt oderimübersinnlichen Gebiet“ .843Von dieser Voraussetzung geht Beuys aus. „ Das kann keine Glaubensfrage sein, das mußeine Frage der Erkenntnis sein. Denn wenn ich daran lediglich glauben würde, schlösse dies dieRealität aus. Wennwirnicht davon ausgehen, daß wir außersinnliche Begebenheiten in Wirklichkeit erleben undkontrollieren können, dann brauchen wirunsgarnicht zuunterhalten.“844 „ Der Mensch hatso viel Ich-Kraft, daßer die religio, d.h. die Wiederanknüpfung an den gesamten geistig-spirituellen Zusammenhang von sich aus leisten kann.“Die Kraft dazu zieht er aus dem „Christusimpuls“ , der für Beuys eine ‚Siehe, ichbinbei spirituelle Tatsache“ist. Wennwahrist, wasgeschrieben steht: „ „ euch alle Tage, bis an der Welt Ende‘ (Matth. 28, 20). Dann lebt Christus im Jesus ist fürmich derMensch, undChristus ist die Person, die Menschen selbst.“„ Doppelfigur, woderMensch Gott geworden ist, also eine völlige Transformation. Wer also keinen Sinn mehr für dieses Wunder hat, das man tatsächlich Wunder nennen kann, der wird niemals hinter dieses Geheimnis steigen. Damit ist schon angedeutet, daßsich hier mitnaturwissenschaftlichen Kriterien nichts machen läßt. Der Zugang zu dieser Substanz läßt sich über das naturwissenschaftliche Denken, also überhaupt über die herrschenden Wissenschaften, auf keinen Fall erreichen. Derherrschende Wissenschaftsbegriff ist nureinTeilaspekt unserer Welt. Undwir leben in einer Zeit, wodieser Teilaspekt vonWelt, derherrschende Wissenschafts845 begriff, alles überwältigt undzurpolitischen Repression wird.“ Auch die Kunstwissenschaft steht, wie gezeigt wurde, unter der Repression dieses einseitigen Wissenschaftsbegriffes. Folgt daraus nicht, daß nicht die Theorien der Künstler obsolet sind, sondern der Wissenschaftsbegriff der Kunstge-

842 Klee: Bildnerisches Denken, S. 191, 357, 386, 387, 393, 397, 471. WennKlee hier dieFarben als demGebiet derGeistigkeit zugehörig denkt, mußmanauch aufCézanne hinweisen, derim Gespräch mitGasquet sagte: „ ... ichstelle mirmanchmal dieFarben vorals große, noumenale Entitäten, als leibhaftige Ideen, Wesen derreinen Vernunft, mitdenen wirin Beziehung treten könnten. Die Natur ist nicht an der Oberfläche, sie ist in der Tiefe. Die Farben sind der Ausdruck dieser Tiefe anderOberfläche. Sie steigen ausdenWurzeln derWeltauf. Sie sind ihr Leben, dasLeben derIdeen.“Doran: Gespräche mitCézanne, S. 153. WennderGeist nachaußen geht, dannerscheint eralsFarbe, als Rudolf Steiner schreibt 1907: „ Ton. Nichts anderes ist Farbe undTon als lauter Geist, ganz dasselbe, waswirin unsselber finden, wenn wirunsrichtig verstehen.“Steiner: Erkenntnis derSeele, S. 71. 843 Beuys in Schwebel: Glaubwürdig, S. 16, 18. 844 Beuys: Jeder kriegt sein Fett weg, S. 31. 845 Beuys in Schwebel: Glaubwürdig, S. 21, 31.

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schichte, derdies unterstellt?846 Beuys hates als dieHauptintention seiner theoretischen Arbeit verstanden, demMenschen bewußt zumachen, daßes notwendig ist, „Gewißheit“zu bekommen „ in der Entwicklung des Denkens, in dem der freie schaffende Wille wirkt undin demdie Trennung vonSubjektivität undObjektivität als Ideologie des Materialismus entlarvt ist“ .847Umzudieser Gewißheit zugelangen, hat Beuys „Geschichtsforschung“als „ das Wichtigste von Allem“erachtet. „ Mankann kein geschichtliches Phänomen verstehen, wenn mannicht jeden einzelnen Moment auf demZeitband sieht. Ein Phänomen, das 1805 auftritt ist etwas anderes als dasgleiche Phänomen, betrachtet 1880.“Aber dennoch ist Beuys „ von derWichtigkeit jedes menschlichen Denkvorganges überzeugt. Allerdings kommt nicht jeder Gedanke zuunmittelbarer Wirksamkeit. Vieles wird–oft fürlange Zeit –abgewiesen. Ein Vorgang, den manmit dempositivistischen Wissenschaftsbegriff rational kaumfassen kann. Daraus ist fürmich zuschliessen, daßes außer dem Menschen noch andere Acteure gibt, dieeiner gedachten Sache denVortritt lassen können, weil sie sozusagen an der Reihe ist. Eine Weltlenkung, die ich nicht fatalistisch auffasse, sondern als Cooperative zur menschlichen Inititative, die bestimmte Impulse nachvorn läßt, andere Ideen zurückhält. DasAktuellwerden des deutschen Idealismus derFrühromantik heute kannmanso verstehen. Auch Goethes Auffassung vonder Naturwissenschaft mußte vor derWirkung Newtons zurücktreten. Ohne daßGoethes Denken zuNewton ausunserer Sicht imWiderspruch steht. Vielleicht ist es eher die andere geistige Hälfte zu dem Wissenschaftsbegriff, der sich wandelt unddas Abgewiesene in Zukunft wieder aktualisiert.“848 Beuys hat sich also mit aller Deutlichkeit zur Aktualität des Deutschen IdealismusundzumWissenschaftsbegriff Goethes bekannt, wonach Kunst die „Wissenschaft zur Tat gewendet“ist unddas „Tat-Denken“ , wie Haftmann es genannt hat, dasMittel zurWelterkenntnis ist.849 Beuys waraneiner vordergründigen Originalität seines Denkens nicht interessiert, sondern er bezog sich auf das Notwendige, was ihm auf demZeitband der Geschichte von aktueller Relevanz erschienen ist. „ Ich habeja nie bestritten, daßGoethe zumBeispiel längst dasfestgestellt hat, was ich auch festgestellt habe. ‚Kunst und Wissenschaft scheinen sich zufliehen und haben sich, eh mansichs versieht, gefunden‘(Goethe), dasheißt, daßGoethe diese Forderung nach einem erweiterten Wissenschaftsbegriff ja auch stellt, daßWissenschaft undKunst in einen größeren Zusammenhang gehören. Ich erhebe nicht so sehr den Anspruch auf Originalität, sondern es kommt mir darauf an, daß diese Dinge Wirklichkeit werden, und zwar bis in die politischen Verhaltensweisen hinein, d.h. bis indieBereiche deskulturell freiheitlichen Raums, in diedemokratische Rechtsstruktur undindenWirtschaftsbereich, d.h. daßdieBegriffe sich fassen 846 So will Zweite imbildnerischen Denken Beuys’„obsolete Momente konservativer Provenienz, arkane undchristliche Traditionen, Anleihen beiRomantik undvorallem Anthroposophie und manche überholten Denkfiguren...“sehen. Katalog: Beuys, Natur-Materie-Form, S. 21. 847 Beuys in Schwebel: Glaubwürdig, S. 32, 33. 848 Beuys imGespräch mit Hans vanderGrinten, in: Ausstellungskatalog: Joseph Beuys. Zeich1970 ausderSammlung vanderGrinten, Stockholm 1971, o.S. (= nungen undObjekte 1937– Beuys: Gespräch mitvander Grinten). 849 Haftmann: Klee, S. 131.

22. Bewegung als die unendliche Kraft –DerChristusimpuls

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lassen unter dendrei Begriffen derfranzösischen Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Dagehe ich allerdings einen anderen WegwieGoehte. Fürihnwar es dieFrage nachWissenschaft undKunst, es warnicht sosehr dieFrage nach der Verbindung zurGesellschaft.“850 Die Konsequenz, dieBeuys ausdemGoetheschen Ansatzpunkt zieht, nämlich Wissenschaft und Kunst zu verbinden, heißt „ Soziale Plastik“ , als erweiterter Kunst- undWissenschaftsbegriff. Ausgehend von Lehmbruck wollte Beuys „ zu einer ganz neuen Theorie des zukünftigen plastischen Gestaltens“gelangen. „ Als ich anein plastisches Gestalten dachte, dasnicht nurphysisches Material ergreift,

850 Beuys in Götz Adriani, Winfried Konnertz, Karin Thomas: Joseph Beuys. Leben undWerk, Köln 2. Aufl. 1981, S. 80 (= Adriani: Beuys). In denGesprächen, die Beuys mitdenAutoren geführt hat, und die in dem Buch zitiert werden, hat er sich Beuys dezidiert zu seinem Wissenschaftsbegriff geäußert, deres verbietet, ihnals romantischen Schwärmer oder konservativen Utopisten abzutun. Beuys: „ Nicht Regression ist es, sondern daseinzige, wasin Frage kommt, ist Progression unddurch welche Methodologie mandie Progression fördert, darauf kommt es mir an. Ich möchte nochmals betonen, daß es mir nie darum gegangen ist, den positivistischen oder materialistischen Wissenschaftsbegriff abzuschaffen, im Gegenteil, es läßt sich nachweisen, daßichihnsogar feiere: daßichihnaber nurfeiern kannalsDurchgangssituation in seinem sektorenhaften Dasein, in seiner Einseitigkeit und in den Ergebnissen natürlich, daßer immerhin Glanzvolles erreicht hat. Wenn ich sowohl denWissenschaftsbegriff in seinen notwendigen Reduktionscharakter, wie auch die Demokratie als gegenwärtige Gesellschaftsform, die sich ja parallel zueinander gebildet haben, mit Bildern unter Kritik nehme, die ihrem Phänotypus nach schon früher undunter anderen Voraussetzungen erschienensind, so will ich nicht wegvonmodernen Errungenschaften, sondern ich will hindurch, ich will erweitern, indem ich versuche, eine größere Basis desVerständnisses zuschaffen. Wenn ich einen Wissenschaftsbegriff erweitern will, will ich ihndoch nicht abschaffen. Ich will doch nurauf seine sektorenhafte Existenz hinweisen, aufdenReduktionscharakter; undgleichzeitig weise ichdarauf hin, wienotwendig es war, daßdieser Reduktionscharakter stattgefunden hat. Denndadurch wurde derMensch ineine Denkdisziplin hineingebracht, dieseine Eigentätigkeit so stark angeregt hat, daß das ein Befreiungsprozeß ist, d.h. daß er sich darin findet als unabhängig von Gott, von allen Zusammenhängen, daß er diese Verbindungen auf einer höheren Ebene, nachdem er sich sozusagen befreit hat, wieder finden muß, das ist eine ganz klare Tatsache. Das Problem ist, daß man die fragwürdige sektorenhafte Existenz eines Wissenschaftsbegriffs methodologisch dadurch beleuchtet, indem man im Phänotypus Bilder derVergangenheit vorführt, umdaran klarzumachen, daßes andere Bezüge gibt, viel größere Zusammenhänge. Das Problem ist nur zu lösen, indem man immer wieder fragt, welche Methodik ist geeignet, diese ganzen Fragen als Komplex, erstens hervorzurufen undzweitens die Zentren anzusprechen, die anzusprechen sind. Hätte ich das alles nurin erkenntnismäßig logischen Sätzen ausgedrückt, in einem Buch, wäre es untergegangen, weil derMensch in der Gegenwart dahin tendiert, nurseinen Intellekt zubefriedigen undalles vondenGesetzen der Logik her zuverstehen. Aber mirlag nicht daran, die Logik weiterhin einseitig anzusprechen; mirlagdaran, daßalle imUnterbewußtsein vorhandenen Residuen aufgebrochen undinForm eines chaotisch lösenden Vorgangs regelrecht in Turbulenz versetzt werden, dennderAnfang 86). des Neuen findet stets im Chaos statt.“(S. 83– Informationen von ästhetischen Produkten Dazu erhellend die folgende Interview-Passage: „ brauchen keine Begriffe. Aber weil heute schon die Kinder imnaturwissenschaftlich-positivistischen Materialismus erzogen werden, liefere ich Theorie undBegriffe mit. Ein begabter Mensch aber versteht spontan.“Beuys imGespräch mitArmin Halstenberg inKölner Stadtanzeiger, 14.06.1969, Heute amTelefon: Joseph Beuys (= Beuys: Heute amTelefon).

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sondern auch seelisches Material ergreifen kann, wurde ichzuderIdee dersozialen Plastik regelrecht getrieben. Ich halte dies auch für eine Botschaft von Wilhelm 851 Lehmbruck ... .“

Vordiesem geistesgeschichtlichen Kontext mußmandenBeuysschen „Gottes-

begriff“ sehen, der sich auf Goethes Vorstellung bezieht, daß sich das Göttliche im Werdenden undWandelnden, also in dernatura naturans offenbart. Die „ Christus-

kraft“ ist fürBeuys überall wirksam, imMenschen, inderNatur undim„übersinnlichen Gebiete“ .„ Sie ist präsent.“Aber derMensch ist nicht als vonGott abhängig zudenken, denn„dannwärederwichtigste christliche Ausspruch ‚Ichwill euchfrei machen‘unsinnig. UndFreiheit ist nurmöglich durch eigene, freie Aktivität.“Man darf das Christentum nicht mißdeuten „ als Ermunterung des Menschen zu einer passiven Hingabe an irgendeinen Gott, der einem irgendetwas gibt. Das ist aber nicht möglich, denn die Götter geben einem gar nichts ohne eigene Tätigkeit. Sie Die ganze Verantwortung hängt jetzt vomMenhaben schon genug investiert.“„ schen ab.“ Für Beuys enthält das Christentum eine klare „Botschaft zur Aktivität“ , wenn auch „eine geistige Kraft in derEvolution ... zuerst gehandelt“hat. „Aber werist jetzt der Fortführer oder der Beteiligte am Weltprozeß? Was ist das Wesen des Schöpferischen im Menschen? Es muß doch das Wesen des Schöpferischen im Menschen eingleiches Wesen sein wiedasSchöpferische in Gott. ... Das Schöpferische kann immer nur verstanden werden durch Aktivität. Ohne Aktivität gibt es Das Schöpferische ist das Göttliche, das heißt, das, was nichts Schöpferisches.“„ denFortgang derDinge in derWelt entwickelt, sowohl in Zeit undRaum, als auch über Zeit undRaumhinaus.“ Das „Erfahren vongeistigen Kräften in derWelt“undd.h. „ die Erfahrung der , sagt Beuys, „ist mir erfahrbar durch innere christlichen Substanz in der Welt“ Aktivität, indem ich mit anderen Menschen rede, indem ich lese, indem ich mich informiere über die Geschichte des Christentums, indem ich meine Arbeitspflicht im Leben erfülle, auf diesen Punkt hinarbeite, auch durch besondere Übungen, Meditationsübungen, Konzentrationsübungen, usw. Manmußan einen Punkt herankommen, womanunmittelbar die Dinge an sich erfährt, weil sie real vorhanden sind, so natürlich, wiejeder feste Gegenstand vorhanden ist“ . Jesus Christus ist die „ Verbindung Gott-Mensch“ . „Dasselbe setzt sich bis heute fort, weil Christus bis ansEndederTage dasein wird. Dieser Zusammenhang zwischen Geist undMensch, zwischen einem geistigen Wesen undeinem im Körper lebenden Geist ist etwas einmaliges, und das nennt man Mensch.“Christus kann man sich nicht einfach verschwunden vorstellen. „ Wo ist denn Christus jetzt? Der ist doch irgendwo! Wenn ich sage, er ist überall vorhanden, er ist sogar im Menschen selbst, also überall präsent, dann heißt das, er ist da. Dann kann mannatürlich von Christus nicht annehmen, daß er inaktiv ist. Er warja aktiv, undzwar in allen möglichen Formen des Aktivseins undauch desErleidens. Warum sollte er heute nicht mehr aktiv sein? Also ist er ein Kooperator, ein Mitarbeiter. Deshalb wird der Mensch

851 Beuys: Schütze dieFlamme, S. 210.

22. Bewegung als dieunendliche Kraft –DerChristusimpuls erfahren müssen, daßes noch andere Mitarbeiter

852 gibt.“

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andermenschlichen Entwicklung

Auf die Frage, woChristus jetzt ist, geht Beuys im Gespräch mit Mennekes näher ein. Die historische Figuration des „ Christusbildes“hat sich bei Beuys in ein Gewebe vonKraftzusammenhängen in derWelt. Dieses Bild transformiert „ vonChristus kannja heute nicht mehr mitäußeren Augen wahrgenommen werden, sondern es mußmiteinem inneren Auge wahrgenommen werden. ... Wermitdem inneren Auge zu sehen sucht, der sieht, daßer längst wieder da ist. Nicht mehr in einer physischen Form, aber in der bewegten Form einer für das äußere Auge unsichtbaren Substanz. Das heißt, er durchweht jeden einzelnen Raum undjedes einzelne Zeitelement substantiell. Also ist er ganz nah da. Unddie Schwelle zum Einbruch in denMenschen ist so gewaltig, wienie in derGeschichte. Nur: es fehlt noch die offene Zuwendung daszuerleben undsich dann als Mensch vonGrund aufzuverändern.“ Auf die Frage, wie er diese Nachricht vermitteln, wie er diesen Gedanken Ein Stichwort mußals erstes fallen: das der umsetzen wolle, antwortet Beuys: „ Bewegung. Es mußdas Bewegungselement sehr stark betont werden. Wie mandas jeweils macht, ist eine andere Frage. Die wahre Begründung der Aktionskunst ist das Bewegungselement. Undzwar nach Möglichkeit überall hin. Es ist auch das Moment derBewegung gemeint, wennBäume gepflanzt werden, nämlich daßsich ein Zeitwesen, ein Lebenszeitwesen, eine Zeitmaschine, wie es ein Baum ist, in jeder Sekunde bewegt gegenüber einem starren Gebilde. Dersteht ja auchdaneben, derStein. Derruht, aber sein Wesen daneben verändert sich, vomWindbewegt. Ist anfällig, auch hinfällig gegenüber höheren Einflüssen. Wichtig ist vor allem das Bewegungselement. Die Form, wiediese Verkörperung Christi sich in unserer Zeit vollzieht, ist das Bewegungselement schlechthin. Der sich Bewegende. Die rein geistige Gestalt.“ , denn in der „ Das Element derBewegung zuvermitteln ist die Hauptaufgabe“ in seiner seelischen Konfiguration in einer Gegenwart sieht Beuys denMenschen „ . Umdiese Erstarrung zu überwinden bedarf es der Bewegung tiefen Erstarrung“ und die kommt durch eine „Provokation“zustande, „durch eine Initiation zum Zwecke derBewegung. Manruft etwas hervor, dasBewegungsprinzip selbst. Und hier zeigen sich andere Pole, zeigt sich derPol des Willens, derEnergie –daßman weiß, woher dieBewegung ihre Nahrung hat–undes zeigt sich sofort derFormpol, d.h. daßes sich darum handelt, für alle Menschen etwas zugestalten. Unddasist eine andere Gestalt als die alte. Es ist also das Auferstehungsprinzip: die alte Gestalt, die stirbt oder erstarrt ist, in eine lebendige, durchpulste, lebensfördernde, seelenfordernde, geistfördernde Gestalt umzugestalten. Das istdererweiterte Kunst-

“853 , , die„Plastische Theorie“ , die„Soziale Plastik“ Der„Erweiterte Kunstbegriff“ , sind folglich ohne den„Christusimpuls“als BewedieBeuyssche „Aktionskunst“

begriff.

41. 852 Beuys in Schwebel: Glaubwürdig, S. 32, 33, 35, 37– 60. 853 Beuys in Mennekes: Beuys zuChristus, S. 54–

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gungselement gleichsam eine blutleere Angelegenheit. An der Christuskraft im Menschen hängt die ganze Beuyssche Kunsttheorie. Beuys spielt oben auf seine „ Aktion 7000 Eichen“an, die unter dem Motto stand, „ Lieber Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ , unddie er für die Dokumenta 7 durchführte. Jeder gepflanzte Baumbekam einen urzeitlichen Findling als Wächter zurSeite gestellt. Deruralte Stein steht fürdie Vergangenheit, derwachsende Baum für die Zukunft.854 Die Aktion der Pflanzung markiert einen ganz bestimmten Zeitpunkt auf demunendlichen Zeitband, dasüber unsere Vorstellung vonRaumundZeit, die durch unsere Lebenszeit bestimmt ist, hinausweist aufden Gegenraum“und die „ „ Überzeit“ , unddas ist für Beuys das „Leben nach dem . DieBaumpflanzung istgleichsam einAktionsbild dafür, daßderMensch, der Tod“ einen bestimmten Zeitpunkt festlegt undeinen Ortschafft, der„ Erzeuger derZeit“ undder„Überzeit“ , der„Erzeuger desRaumes“unddes„Gegenraumes“ist. (Siehe Abb. 23). Mitdieser Problematik hatsich Beuys inseiner Aktion von 1965: „Undin uns ... unter uns ... landunter“in „ 24 Stunden“ , beschäfigt. ImWesentlichen geht es in dieser Aktion umdie „Sichtbarmachung des Dehnungscharakters der Zeit“ . Beuys: „Hier geht es über denphysikalischen Bereich hinaus, es geht in denBegriff Plastik, insofern als das Moment der dehnbaren Bewegung als Erlebniszustand in Zeit undRaumgegeben ist, unddasheißt: Ausdehnung indengeistigen Raum.“ Der Mensch soll sich als „Quellpunkt der Zeit“begreifen, der in der Lage ist, „ die spirituelle Dimension“zuerzeugen.855 DerChristusimpuls hilft ihmdabei.

854 Siehe: Bäume. EinPodiumsgespräch anderHochschule fürangewandte Kunst in Wien, 1983, in Beuys: Gespräche, S. 63 ff. Unter dem Eindruck des Waldsterbens will Beuys für die Documenta eine Aktion durchführen, die die urbane Lebensqualität verbessern soll. Beuys: „ Ich werde 7000 Eichen pflanzen. Zudiesen 7000 Eichen werde ichaberje einen Stein setzen, damit der historische Zeitpunkt für alle Zeiten, das heißt mindestens für die Epoche, für die Lebensspanne einer Eiche –unddiebeträgt bekanntlich bis zu800 Jahren –festgehalten wird, daßdies derZeitpunkt ist, wodieMenschen beginnen, nachdengewaltigen ‚Vertotungsprozessen‘, die sie bewirkt haben ... allmählich den ‚Aufrichteprozeß‘, das heißt den ‚Verlebendigungsprozeß‘sowohl derNatur als auch des sozio-ökologischen, dasheißt dessozialen Organismus zubewirken. Dazu brauche ich denStein.“(S.67, 68). DieAktion „7000 Eichen“ist dieBeuyssche „ Zeitskulptur“schlechthin undsie ist eines seiner komplexesten Kunstwerke, dasnatürlich noch viele andere Sinndimensionen beinhaltet. Siehe dazu die ausführliche Dokumentation: 7000 Eichen. Joseph Beuys, hrsg. vonFernando Groener undRose-Maria Kandler, Köln 1987. Und: Johannes Stüttgen: Zeitstau. Im Kraftfeld des Zeitsubstanz und erweiterten Kunstbegriffs von Joseph Beuys, Stuttgart 1988, S. 117 ff.: „ Soziale Skulptur“ . 152. Hier 855 ZuderAktion: „ Undinuns... unter uns... landunter“siehe Adriani: Beuys, S. 147– sind auch die Äußerungen Beuys’zuderAktion aufgeführt. DerText derAktion (Siehe Abb. 22) ist abgebildet inIngrid Burgbacher-Krupka: Prophete rechts, Prophete links. Joseph Beuys. 93. Nürnberg 1977, S. 59 ff. Siehe auch: Schneede: Aktionen, S. 84–

23. Die elementare Lehre vomSchöpferischen unddie Plastische Theorie

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23. Dieelementare Lehre vomSchöpferischen unddiePlastische Theorie –Durch das Bewegungsprinzip zur Wärmeplastik Sowohl diePhilosophie wiedieKunst drücken dasUniverselle gestaltend aus, erstere als „ Wahrheit, letztere als Schönheit. Da imGrunde Wahrheit undSchönheit nurEines sind, wäre es nicht logisch, die augenscheinliche Verwandtschaft beider Gestaltungen zuleugnen. Kunst ist nurderplastische Ausdruck des Menschen in seiner Totalität, –also kann “ nichts fehlen. –

Piet Mondrian856

DasBewegungselement unddasBewegungsprinzip führen unsin dasZentrum der Beuysschen Kunsttheorie, die er selbst die „ plastische Theorie“genannt hat, und die wir bisher nur gestreift haben. Zum Schluß kommend, sei die „plastische Theorie“näher in denBlick genommen. Dazuwirdein letztes Mal Klees Bildnerisches Denken als Ausgangspunkt gewählt, denn die plastische Theorie Beuys’läßt sich als Fortschreibung vonKlees „elementarer Lehre vomSchöpferischen“begreifen. In Klees Theorie undPraxis desSchöpferischen spielt dasBewegungselement, undder diesem inhärente Zeitfaktor die zentrale Rolle.857 Nur wo die Bewegung Normist, sagt Klee, „bildet sich inunseine schöpferische Disposition“ , dieunszur Der Weg zur Form, welcher vonirgendeiner inneren oder Formung“befähigt. „ „ äußeren Notwendigkeit diktiert sein soll, steht überdemZiel, überdemEnde dieses Weges. Der Weg ist wesentlich undbestimmt den einmal abzuschließenden und einmal abgeschlossenen Charakter des Werkes. Die Formung bestimmt die Form und steht daher über ihr. Form ist also nirgends undniemals als Erledigung, als Resultat, als Ende zubetrachten, sondern als Genesis, als Werden, als Wesen. Form als Erscheinung aber ist ein böses, gefährliches Gespenst. Gutist Form als Bewegung, als Tun, gut ist tätige Form. Schlecht ist Form als Ruhe, als Ende, schlecht ist erlittene, geleistete Form. Gut ist Formung. Schlecht ist Form; Form ist Ende, ist Tod. Formung ist Bewegung, ist Tat. Formung ist Leben. In diesen Sätzen konzentriert sich die hier mitten durchdrungene elementare Lehre vomSchöpferischen. Ihre Bedeutung ist grundsätzlich, und ich glaube, diese obigen Sätze nicht oft 858 genug wiederholen zukönnen.“ Auch hier denkt Klee in polaren Begriffen: Bewegung Formung Leben Genesis Werden

Tun

– – – – – –

Ruhe Form

Tod Resultat

Ende Erleiden

Die grundsätzliche Bedeutung von Klees Theorie des Schöpferischen findet ihre plastischen Theorie“Beuys’. In einem Satz hat Beuys die Bestätigung in der „ 856 Mondrian: Neue Gestaltung, S.21. 857 Zur „Zeitproblematik“bei Klee siehe Gudula Overmeyer: Studien zur Zeitgestalt in der Malerei des20. Jahrhunderts. Robert Delaunay –Paul Klee, Hildesheim 1982, S. 97 ff. 858 Klee: Unendliche Naturgeschichte, S. 255, 263, 269.

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DasPlastische ist als LebenseleHauptintention seiner Theorie zusammengefaßt: „ ment imMenschen selbst. Das will ich klarmachen.“859 Klee betonte, daß er an den „Form-Enden“der sichtbaren Realität „nicht das Wesen desnatürlichen Schöpfungsprozesses sieht“ , sondern daßihm„mehranden Imgleichen Sinn stellt Beuys liegt.860 Form-Enden “ den an als Kräften formenden Form“ als solche beschäftigt, sondern: „Michinteresheraus, daßihnweniger die„ 861Dieplastische Theorie sieren mehrdieKräfte, dieandieser Sache beteiligt sind.“ thematisiert das Wechselspiel zwischen denpolaren Kräften: auf der einen Seite Chaotisch-Willensmäßige“undaufderanderen Seite das„ steht das„ Gedanklich, aufderlinken Seite steht das„Organische“undaufderrechten Seite Formmäßige“ . Dieses Modell veranschaulicht also auch die Urpolarität von das „Kristalline“ Materie undGeist.862 In zahlreichen Beispielen stellte Beuys seine plastische Theorie in Zeichnungen, bzw. Schriftbildern, dar.863 (Siehe Abb. 22). Amunteren Bildrand liegt eine stilisierte menschliche Gestalt aufdemRücken, links dieFüße, rechts derKopf, in der Mitte das Herz. Dieser Topographie lassen sich eine Reihe von Begriffen zuordnen, diealle ausÄußerungen vonBeuys stammen unddieichzurÜbersicht in einem Schema zusammengestellt habe: Ratio

Intuition

Wille

Imagination Inspiration Fühlen Empfindung

Denken Verstand

Seele Chaos amorph Energie / Kraft organisch

Bewegung

Fett

flüssig beweglich Zirkulation Blutkreislauf Herzkraft

unbestimmt

Leben Wärme

Rhythmus

Form kristallin Erstarrung geometrisch feste Fettecke hart, bestimmt

Tod Kälte

859 Beuys: Heute amTelefon, o. S. 860 Über diemoderne Kunst, zitiert nach Klee: Kunst-Lehre, S. 82. 861 Beuys: Jeder Mensch Sonnenkönig, o.S. 862 Adriani: Beuys, S. 8. 863 Siehe: Joseph Beuys: Denken ist bereits Plastik. Zeichnungen zurPlastischen Theorie ausder Sammlung vanderGrinten, Katalog derAusstellung Langen, 1991. Zudieser Thematik siehe auchdenVortrag aufdemKranenburger Beuys Symposium: MatthiasBunge: Bildnerisches Denken unddenkerisches Bilden –DiePlastische Theorie alsintegrierender Bestandteil der Beuysschen Kunst. Erscheint in: Joseph-Beuys-Symposium-Kranenburg, hrsg. vonInge Lorenz, Wiese Verlag, Basel 1996. Während Theodora Vischer in ihrem Buch: Joseph Beuys. Die Einheit des Werkes, Köln 1991, eine grundlegende Differenz zwischen derPlastischen Theorie unddenBildern vonBeuys sieht, weil siedieTheorie alsTeil der Wirklichkeit, die Bilder aber als anschauliche Deutungen vonWirklichkeit bestimmt (S. 248,

23. Dieelementare

Lehre vomSchöpferischen unddie Plastische Theorie

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Wie Beuys zu seiner Plastischen Theorie gekommen ist, berichtet er in einem Gespräch von 1970: „ ... daßichja imPrinzip nichts anderes mitdemFett gemacht habe, als Aktionen imRaum, die mehr oder weniger auf dieFettecke hintendieren als ein bestimmtes Prinzip innerhalb dieser Aktionen mit diesem Material; dieser Bestandteil der Theorie hat auf der einen Seite das, was ich gebraucht habe, das chaotische, undifferenzierte Energiepotential, was sich dadurch aushebt, daß Fett sehr anfällig ist gegen Temperatur, also wasich dannauch unter Wärmekategorien bezeichnet habe, woichgesagt habe, hier handelt es sich umeine Wärmekategorie, umeine Wärmeplastik, wenn ich einen solchen chaotischen Energieschub aufgefangen habe, zumBeispiel durch eine Filzplatte, dann handelt es sich hier umdas. Also jedenfalls zurück: Der vollkommen undifferenzierte Energieschub war für mich notwendig, umzumEntgegengesetzten zu kommen, so daßalso das Fett in einer annähernden Tetraederform oderineiner angeschnittenen Kubusform ineiner Ecke auftrat. An dieser Stelle hat das Fett eine ganz andere Information als an dieser. Weiter eine andere Information, wenn es durch die Mitte läuft. Wenn es durch die Mitte läuft, provoziert es den Bewegungscharakter; eigentlich läßt sich aus dieser Konstellation, von diesem Energiepunkt aus –mankann ihn auch den Willenspol nennen –zumFormpol oder zumDenkpol, hier spielt sich das Bewegungsprinzip ab.Daßalso etwas transportiert wird, inKlammern: Vehicle Art. Und in diesem so blaß aussehenden Schema äußert sich oder begründet sich derganze Aktionscharakter. Eigentlich wird damit etwas Radikales ausgesagt über den Begriff Plastik, der im konventionellen Sinne ja einfach übernommen wird, in der Weise, daß manmeint, man wüßte, was es ist; dieser Begriff wird aufgespalten, also regelrecht gespalten in seine Bestandteile. Indem manden Begriff Plastik in seine Bestandteile aufspaltet, kommt manzurAktion; das ist das Gesetz.“864 Beuys ist also an den Kräftekonstellationen im Menschen interessiert, die zur Gestaltung eines Bildes befähigen undauch hier wird dasBewegungsprinzip, das Tätigsein, dasAktionale, alsdiezentrale Kategorie erkannt, dasie vomchaotischen Willenspol als Energieschub zumformbestimmenden Denkpol führt. (Siehe Abb. 22) Den Energieschub verbildlicht Beuys als zielgerichtete Bewegung in einer Pfeillinie, dieüber demEmpfindungsbereich imBauch einen Kreis beschreibt. Der wie Vater des Bewegungsgeschosses, des Pfeils, sagt Klee, ist der Gedanke: „ erweitere ich meine Reichweite dorthin? ... Der Vater ist ganz Geist, ganz Idee, Die Urpotenz desMenschen ist aber nicht nur eben ganz Gedanke“.865UndBeuys: „ seine körperliche Fleisch- undKnochenhaftigkeit, seine Physiologie, sondern das ist seine Kreativität, sein Geist, seine Fähigkeit undseine Arbeit, die zuProdukten führt.“866

249), versuche ichdiese Differenz zwischen Bilden undDenken, zwischen Bild undTheorie, in ihrer Fragwürdigkeit aufzuweisen undauf ihre ursprüngliche Einheit hinzudeuten. Denngerade dasplastische Denken vonBeuys, dassich in derPlastischen Theorie in einem anschaulichen Gedankenbild konkretisiert, deutet die Wirklichkeit undfordert zu ihrer Umgestaltung auf. 864 Beuys: Jeder Mensch Sonnenkönig, o.S. 865 Klee: Kunst-Lehre, S. 234, 235. 866 Beuys: Gespräche, S. 70.

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Teil II

Über seine Zeichnung zur „plastischen Theorie“(Siehe Abb. 22) schreibt Ästhetik=Mensch“ Beuys: „ . „Ästhetisch“erklärt er an anderer Stelle, „ist immer etwas, woStoffliches durchsetzt ist mit etwas Geistigem, wowieder beide Geistzustände sich gegenseitig durchdringen“ .„ Materie ist eine bestimmte Konditionierung vonGeist.“ „ Damit ist auch ein Zusammenhang dergestalt hergestellt, daßdie Dinge eine Dimension haben, die bis in die ideelle Welt zurückverfolgt werden kann, undmannach Gestaltungsprinzipien oder nach den Kräften oder nach den Persönlichkeiten fragt, die gestalten, wo man einfach fragen muß, ist denn der 867 Mensch hier alleine tätig, oder gibt es noch Kooperateure ... .“ Beuys sieht also den Menschen nie nur in seiner irdischen, physiologischen Determiniertheit, sondern behält auch immer denBezug zurideellen Welt imAuge. Der Plastik-Begriff wird so erweitert, daß „Plastik auch direkt sozusagen auf den Menschen projiziert werden kann, unddaßmanplastische Vorgänge imMenschen selbst findet; also hier beispielsweise im Denken“ . Das ist die Bedeutung der Gleichungen: „Plastik=Mensch oder Plastik=Denken“ . Diese Gleichsetzungen laufen endlich mal einen Verstand zu bekommen, was Plastik zu leisten darauf hinaus „ vermag“ . Mit demerweiterten Plastikbegriff ist für Beuys „die Schizophrenie von ... übersinnlicher Gegebenheit undphysischer Gegebenheit“überwunden unddann .868 Kandinsky verstand sich als eine neue Kulturepoche ansteuern“ können wir „ Vorarbeiter zudieser neuen Kulturepoche undnannte sie die „ Epoche desgroßen utopisch denkt“ , stellt Beuys fest, der „denkt“überhaupt Geistigen“.869Nur wer „ erst. In der neuen Epoche soll der Mensch undseine spirituellen Bedürfnisse im DerMensch mußdenInnenraum erobern, so Zentrum aller Überlegungen stehen. „ wie die Astronauten den Weltraum erobern.“870Dann ist der Mensch selbst die Die Ästhetik ist eine Begleiterscheinung jeder menschlichen Ästhetik undes gilt: „ Tätigkeit.“871 Nurkonsequent, versteht Beuys sein Schema zur „plastischen Theorie“auch . (Siehe Abb. 22). Der menschliche Wille als „ ein psychologisches Grundschema“ ist „alles das, wasder Energieschub ist. Hier in derMitte habe ich das charakterisiert mitBewegung. Wie kommt Bewegung in die Welt? Dann als Drittes habe ich mirdiesen Pol sozusagen als das menschliche Denken bezeichnet, so daßich hier also regelrecht denMenschen reinklappen kann, hier hätte ich dann beispielsweise

867 Beuys: Abendunterhaltung, S. 6, 16. 868 Beuys: Jeder Mensch Sonnenkönig, o.S. 869 Kandinsky: Über das Geistige, S. 143. 870 Beuys: Heute amTelefon, o. S. 871 Joseph Beuys: ZurIdealen Akademie. Gespräch mitFriedrich W.Heubach in: Interfunktionen, 62. Beuys: „ So wirdletzten Endes, wennmanutopisch denkt (besser gesagt Heft2, 1969, S. 58– überhaupt denkt), die ganze Welt zur Akademie.“In diesem Zusammenhang mußauch die Utopie“gesehen werden –ein Utopie, deren Erfüllung wir uns nur wünschen Beuyssche „ nach dem können –dasMuseum zu„einem Ortderpermanenten Konferenz“zumachen, wo„ die kulturell-geistigen Auseinandersetganzen Sinnzusammenhang“geforscht wird undwo„ . zungen stattfinden, ohne sich vondenanderen Kraftfeldern derGesellschaft abzuschneiden“ Joseph Beuys: Das Museum –ein Ort der permanenten Konferenz, in Horst Kurnitzky 74, Zitate S. 70. (= (Hrsg.): Notizbuch 3, Kunst, Gesellschaft, Museum, Berlin 1980, S. 47– Beuys: Museum –Ortderpermanenten Konferenz).

23. Die elementare

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den Kopf, und hier hätte ich die Zirkulation die sich ausdrückt im Blutkreislauf jeder anderen physiologischen Bewegung im Menschen, undhier hätte ich, hier unten ... das, was man den Willenspol nennt. Das betrifft die Extremitäten, die Geschlechtsorgane, dieganze willensmäßige Ausstattung, dieebenderMensch hat. Also das ist auch wieder schematisch, undich bin mir dessen bewußt, aber es kommt mir darauf an, hier das in Deckung zubringen, so daßder Begriff Plastik 872 wirklich gleich Mensch ist, daßPlastik gleich Mensch ist.“ In einem anderen Interview hat sich Beuys näher zu seinem „Chaosbegriff“ geäußert: „ ... mein Chaosbegriff ist einsehr ursprünglicher. Alles kommt ausdem

Chaos. Die Einzelformen kommen auseinem komplexen Ungerichteten. Dasmuß mansich vorstellen wieeine zusammenhängende, sehr komplexe Energie, die aber keine bestimmte, sondern eine unbestimmte Stoßrichtung hat. DasWörtchen ‚unbestimmt‘paßt sehr gut auf denChaosbegriff, wie ich ihn anwende. Unddann sind alles andere Bestimmungen davon. NurausdemChaos kannetwas kommen. Aber das ist ein positiver Begriff vonChaos. ... Es mußsich ausdiesem Energetischen etwas in Bewegung setzen unddann zueiner Form kommen, undzwar zu vielen Formen, speziellen Formen. Das ist Kreativität. Ausdemallgemeinen Unbestimmten muß etwas zurBestimmtheit kommen. ... Form ist so betrachtet ein Gegenpol zumBegriff Chaos. Das ist ein polarischer Prozeß. Wärme undKälte sind polarische Prozesse unddas Moment, welches vermittelt, ist das Moment der Bewegung. Es verläuft ein Prozeß vom Unbestimmtheitspol zumBestimmtheitspol.“Als Beispiel für Chaos implastischen Prozeß nimmt Beuys einen Klumpen Ton, derzwar schon ein „ ist undein Volumen hat, deraber noch ganz unbestimmt Massebegriff“ Unddannmußderdurch Bewegung, d.h. durch Aktivitäten entweder mitseiner ist. „ , zu Handoderauchmitseinem Denken –dasganze spielt sich auchimDenken ab– Formen kommen. Dann wird manja sehen, wo sein Formprinzip steht. Steht das sehr stark auf der Formseite, oder tendiert es mehr zur Chaosseite hinüber, oder steht es in einer relativ harmonischen Mitte? Ist es zustark formbetont, dannwirkt es kalt, erkältend.“ , der zur polarischen Prozeß“ Skizzierend erklärt Beuys (Siehe Abb. 22) den „ Da ist ja auch meine Form geht, in einer Bewegung von links nach rechts. „ Fettecke. Das Fett macht ja auch genau diesen Prozeß durch in meinen Aktionen. Hier ist Wärme (links), undhier ist Kälte (rechts). Ich könnte sagen, das ist eine generelle Partitur für fast alle Aktionen, die ich gemacht habe.“Dann erläutert Rechts ist derintellektuelle Grenzpunkt ..., derPol zur Beuys näher denDenkpol: „ Intellektualität, zur Vereisung oder Versalzung.“Das ist das kristalline Prinzip, Dafür steht geometrisch geformt, in polarer Spannung zum amorphen Chaos. „ symbolisch amEnde derAktion eine Fettecke als Tetraeder, die sich rekrutiert aus einer chaotischen Wärmekondition. Mankannalso sagen: Überschreitet derMensch andieser Grenzsituation eine gewisse Schwelle, dannfällt er ganz ausdemSystem MankanndieMenschen indiesem „psycholgischen Diagramm“„ziemlich heraus.“ klar unterbringen, wiesie in ihren seelischen Kräften konditioniert sind, obsie sich mehr den Wärmekräften, den allgemeinen chaotischen Willenskräften zuordnen

872 Beuys: Jeder Mensch Sonnenkönig, o.S.

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Teil II

lassen, ob sie sich denmittleren Empfindungs- oder Herzkräften zuordnen lassen (Mitte), oder ob sie ihre Kreativität aus den verstandesmäßigen Grundimpulsen 873 herholen, wiedasheute bei Theoretikern ja sehr stark überwiegt.“ Der erweiterte, unddas bedeutet im engeren Sinne, der „anthropologische“ Kunstbegriff, hat zumZiel, daß‚jeder lebende Mensch auf derErde, ein Gestalter, ein Plastiker, ein Former amsozialen Organismus werden“kann. „Dann ist man aber auch aneiner Stufe vonKunstentwicklung angelangt, die viel spiritueller ist als jede Kunstentwicklung zuvor.“Denn diese „soziale Skulptur“zielt auf die erstarrten zwischenmenschlichen Verhältnisse imZeitalter desMaterialismus. Um diese Erstarrung zuüberwinden, bedarf es einer „ lebendigen, fließenden Substanz“ , die „Wärmecharakter“hat, aber keine physikalische Wärme ist gemeint, sondern .„ Es ist wohl haargenau dasselbe, wasdie eigentliche Liebessubsoziale Wärme“ „ Liebessubstanz“ist nicht stanz ist. Sie hat sakramentalen Charakter.“Diese „ irgendeine Spekulation, so Beuys, sondern es ist „ eine reale Substanz. Es ist eine ImGrunde ist das höhere Form vonWärme, es ist eine evolutionäre Wärme ... .“ die alte Streitfrage zwischen Goethe undNewton. ... Bei Goethe ist derLichtbe„ griff ja auch ethisch-moralisch, d.h. ein anderer Substanzbegriff, undbei Newton ist es dasmaterielle, physikalische Licht. Sie haben sich gestritten, aber sie hatten dennoch beide recht. Nur, Goethe arbeitet mit einem anderen Lichtbegriff, der spiritueller ist. Wenn ich daseinmal transponiere, wasGoethe meint, könnte man sagen: evolutionäres Licht, evolutionäre Wärme, physische Wärme, physisches Licht. Das ist die Perspektive.“874 In der Aktion von 1965 „Wieman demtoten Hasen die Bilder erklärt“weist Beuys auf die Gefahren hin, die auseiner Überbetonung des intellektuellen Formpols, der Vorherrschaft der „ kalten“Ratio, drohen, und die zumTod der Natur (Hase undMensch) führen.875 Später erläutert Beuys folgendes zu dieser Aktion, die sich nicht nurdurch ihren Handlungscharakter auszeichnet, sondern auch durch ihren bildhaften Charakter, wie die suggestiven Fotos von dieser Aktion belegen. Mit anderen Worten, umdies wenigstens anzureißen, Beuys hatsich nicht nurvor den Begriffen verneigt, sondern vielmehr vor den Bildern, dem sprachlich nicht Imago“ .„ Mit demHonig auf demKopf tue ich natürlich etwas, was einholbaren „

873 Beuys in Harlan: Soziale Plastik, S. 22, 23. 874 Ebenda, S. 20. 155. „Beuys, dessen Kopf mitHonig undGoldblättern bedeckt ist, hält 875 Adriani: Beuys, S. 152– einen toten Hasen imArmundträgt ihn, durch dieAusstellung spazierend undmitihmredend, von Bild zu Bild, läßt ihn die Bilder mit den Pfoten berühren, setzt sich, nachdem der inunverständlichen Rundgang beendet ist, aufeinen Stuhl undbeginnt, demHasen dieBilder“ . Lauten zuerklären, „ weil ichsie denLeuten nicht erklären mag“ Eine Sinndimension dieser Aktion ist sicherlich, daßBeuys ein „Gegenbild“zuderrationalnaturwissenschaftlichen „ Kommunikation“mit der Naturwelt manifestieren will unddaß er darauf aufmerksam machen will, daß es an der Zeit ist, wieder eine Sprache zu finden, mit Tieren (Göttern) undEngeln, wie er mehrfach in Gesprächen wiederholt hat, in Kontakt zu kommen. Bei dieser Aktion handelt es sich umeine dertypischen Beuysschen Provokationen und Irritationen, die den Betrachter veranlassen soll, seine Denkfähigkeit in Bewegung zu setzen.

23. Dieelementare

Lehre

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mit Denken zu tun hat. Die menschliche Fähigkeit ist nicht, Honig abzugeben, sondern zu denken, Ideen abzugeben. Dadurch wird der Todescharakter des Gedankens wieder lebendig gemacht. Denn Honig ist zweifellos eine lebendige Substanz. Der menschliche Gedanke kann auch lebendig sein. Er kann aber auch intellektualisierend tödlich sein, auch tot bleiben, sich todbringend äußern etwa im politischen Bereich oder derPädagogik.“876 Dieser Todescharakter, derausdemeinseitigen positivistisch-naturwissenschaftlichen Denken resultiert undzurseelischen Erstarrung desMenschen führt, soll in der„sozialen Plastik“überwunden werden durch die „Liebessubstanz“ , die mitder Da, wo gegenwärtig die Entfremdung zwiChristussubstanz“gleichzusetzen ist. „ „ schen denMenschen sitzt –mankönnte fast sagen als eine Kälteplastik – , damuß eben die Wärmeplastik hinein. Die zwischenmenschliche Wärme mußda erzeugt werden. Das ist die Liebe. Das ist das, was in diesem geheimnisvollen Christusbe877 griff steckt.“ Inder„plastischen Theorie“Beuys’hatderBegriff Energie eine ganzwesentliche Funktion. Beuys spricht von der „Christuskraft“ , von „Energiepotential“, von , von„Kräftekonstellationen“, usw. Die Transmission derEnergie Energieschub“ „ erfolgt durch die Bewegung, durch die vomWillen angetriebene Aktivität. Das Produkt, dasdabei herauskommt, ist die Form oder genauer gesagt die Gestaltung Bildes“ . Dieses Bild kann eine Skulptur imtraditionellen Sinn, eine Zeicheines „ Bilnung, ein Gedankenbild (Idee) oder eine lebenswerte Gesellschaft sein. Die „ , die Beuys auf diese Weise geschaffen hat, sind ganz konkrete Bilder, die er der“

Meine Arbeit ist nicht symbolisch. nicht als Symbole verstanden wissen wollte. „ Sie ist praktisch nie symbolisch. Ich habe immer die entsprechenden Formen, Grössen, Materialien ausgewählt, die nach meiner Meinung den Energiezusammenhang beleuchten, die Konstellationen derEnergie, ob sie alsBewegung auftritt, als Wärmeenergie, als chaotische Allgemeinheit, ausderdanndasSpezielle kommt wie bei der Fettecke, wo das Material dann prismatisch, geometrisch auftritt; es sind also immer dieFormen selbst, dieMaterialien, diedenEnergiezusammenhang unmittelbar darstellen –als Formen undnicht als Symbole. ... Energie ist ja ein allgemeiner Begriff. Aber wie sind die verschiedenen Arten der Energie? Meine

108. Schneede hatdokumen876 Beuys, ebenda, S. 155. Siehe auch: Schneede: Aktionen, S. 102– tiert, wieBeuys bei dieser Aktion aufdie suggestive Wirkung derBilder gesetzt hat. In einem Teilnehemerbericht heißt es: „ Auch wenn niemand verstand, was es bedeutete –es war atemberaubend.“(S. 107) WiederKommentar Beuys’zuseiner Aktion zeigt, warer sich der Die Idee, einem Intensität seiner lebenden Bilder, die er demPublikum vorführte, bewußt. „ , so Beuys, „fördert den Sinn für das Geheimnis der Welt undder Tier etwas zu erklären“ Dies warwohl die Aktion, die die Existenz, der die Imagination anspricht.“(S. 106). Und: „ Imagination derLeute amstärksten inAnspruch genommen hat. ... nocheintotes Tier bewahrt stärkere Kräfte derIntuition als manche menschlichen Wesen mitihrem unerbittlichen Rationalismus. DasProblem liegt imWort ‚verstehen‘undseinen vielen Schichten, dienicht aufdie

877

rationale Analyse beschränkt werden können. Imagination, Inspiration, Intuition undSehnsucht lassen die Leute spüren, daßdiese anderen Schichten auch eine Rolle beim Verstehen spielen. Das mußdie Wurzel der Reaktionen auf diese Aktion sein. ... Ich versuche, die Komplexität derschöpferischen Bereiche ansLicht zubringen.“(S. 103). Beuys in Harlan: Soziale Plastik, S. 21.

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ganzen Aktionen hatten für mich einen Sinn, um einen weiteren Kunstbegriff auszubilden, der anthropologische Wirkung haben sollte, der unter Energie nicht etwas Allgemeines versteht, sondern etwas sehr gegliedertes. DasGrundmodell der Aktionen mit Fett, Filz undKupfer [Fett=Lebensenergie, Filz wärmt undschützt die Energie, Kupfer leitet sie] ist ja dasDarstellen vondrei wichtigen Positionen: erstens die chaotische, nach allen Seiten hin wirkende Energie als eine Art Ursprung, vonderalles ausgeht, dann dasBewegungselement unddasFormelement. Diese drei Positionen habe ich die plastische Theorie genannt. Sie ist an undfür sich interessant, umeinhöheres Bewußtsein über dasWesen derPlastik zubekommen. Aber sie ist natürlich noch interessanter, wenn mandie Plastik überträgt auf denMenschen, dann findet mandie Kräfte auch in dermenschlichen Energie nicht nurimSinn vonLebenskraft, daßderMensch lebt –dastutdasTier unddiePflanze , sondern auchwenner totist; dasist aucheine Energie, nurist eseine anders auch– gerichtete Energie. Aber auch sein Seelenleben ist Energie, ebenso seine motorischen Bewegungseigenschaften. Er ist ein Sinneswesen, also eingespannt in diese drei Bezüge, die in den Aktionen eine wichtige Rolle spielen, ein Wesen von ursprünglicher evolutionärer Wärme in bezug auf die unbestimmte Energie, die, weil sie chaotisch ist, auch nicht geformt undentsprechend auchdunkel ist; daaber kann der Wille viel bewirken. Aber die Mittelposition, die nundavon ausgeht und alles bewegt und zum Formpol führt, das ist das Gefühlsleben. Das andere ist denkerisches, begriffliches, sinnliches Erfassen durch Formen, also hat man den Formpol, denBewegungspol unddenWillenspol. Dann hat manaber schon eine Art von Grundlage für die Anthropologie in bezug auf die Energie. Mir ist die geistige Seite der Energie wichtiger als die andere. Alle Energien, die sonst noch auftreten, z.B. Druckenergie, Gravitation oder statische Energie, also Energien, über die die Physik redet, lassen sich dahineinbauen. Ich meine, wasPlato meint, wenn er sagt, die eigentliche Wirklichkeit liege in derIdee; dann wirdderZusam878 menhang allmählich klar.“ Das Modell derplastischen Theorie ist also eine differenzierte Gliederung der , denen Chaos-Bewegung-Form“ menschlichen Energie in die Grundpositionen: „ und im Fühlen im Willen, im Kreativitätspotentiale: wichtigen ganz drei „ die EnerDenken“entsprechen. Diese Grundstruktur desMenschen nennt Beuys den„ gieplan“ , der den einseitigen Wissenschaftsbegriff in der eng gefaßten Form des Verstandes (Rationalismus) erweitern soll. Dazugehört auch, daßmansich aufdie „ Energie der Sinnesorganisation“konzentriert, wasfür die Kunst besonders wichtig ist, „also sehen, hören, Gleichgewicht, was es alles gibt. Das gehört für mich alles in deneigentlichen Energieapparat hinein. Es ist viel da, aber nichts davon

wird genutzt.“879

Der Künstler, der seinen komplexen „Energieplan“beherrscht –Klee würde , ist fähig einen Beitrag zurErkenntnis der sagen: „ die bildnerische Polyphonie“– 878 Joseph Beuys imGespräch mitErika Billeter in: Mythos undRitual inderKunst der70er Jahre, 92, Zitat S. Ausstellungskatalog Kunstverein Hamburg 1982, Kunsthaus Zürich 1981, S. 89– 90, 91. 879 Beuys in: Adriani: Beuys, S. 359, 360.

23. Dieelementare Lehre vomSchöpferischen unddiePlastische Theorie

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Welt zu liefern, weil er Dinge sichtbar machen kann, die sonst niemand sieht. Er vomVorbildlichen zumUrbildlichen“dringen, „ kann „ in einige Nähejenes geheimenGrundes ..., wodasUrgesetz dieEntwicklungen speist“.880Beuys drückt den selben Sachverhalt etwas nüchterner aus: „ Das, wasein Künstler imBild darstellt, hateinen ganzgroßen wissenschaftlichen Wert unter Umständen, weil er dieKräfte vielleicht richtiger anordnet, auch in ihrer Topographie oder auch in ihrer Hierar881Das entspricht chie, Ikonographie, als ein Wissenschaftler das überhaupt kann.“ auch genau der Position Kandinskys, der den intuitiven Zugang dem rationalen gleichsetzt. Wie Kandinsky geht auch Beuys davon aus, daßer den„ Geist“in der Natur hören kann. Beuys: „ Das ist meine Wahrnehmung: auf einmal erscheint irgendwo ein Geist, ich sage bewußt Geist, weil es mitIntuition zutunhat, mitder inneren Stimme, mit der Inspiration. Da komme ich in eine Art kollegiales Gespräch mitderNatur. Ich binja derMeinung, daßderGeist in derNatur (quasi als Persönlichkeit) vorhanden ist. DasGespräch ist möglich. Dasist fürmich dieForm eines neuen Materialismus, der sich mit der Natur versteht, der in einem organischen Zusammenhang mitder Natur lebt unddenkt. Mir geht es umdiesen neuen Materialismus, aber vor allen Dingen auch umeinen wirklich neuen Idealismus, wenn man darunter den Umgang mit Ideen versteht, die nicht an die Materie

gebunden sind. Ich binja nicht derMeinung, dasalles nurausMaterie besteht. Ein Teil besteht ausMaterie, ist soverdichtet, daßmanvonMaterie sprechen kann, von Geist in materieller Form.“882 Auch dieser Gedankengang Beuys’zeigt noch einmal, daßdasGrundanliegen seiner Kunst integer undernstzunehmen ist, es gehtihmnämlich umdenErhalt, die Rettung derNatur als unserer Lebensgrundlage, diewirnicht leichtfertig verspielen dürfen, weil daseiner Selbsttötung gleichkommt. Daher verbietet es sich Beuys, , undsetzt dem„posiden„heutigen Wissenschaftsbegriff einfach [zu] akzeptieren“ , dieser „positivistischen Kultur zunächst einmal ein Bild tivistischen Weltbild“ gegenüber voneiner Welt, die nach derherrschenden Meinung überlebt ist. Meines Erachtens ist sie nicht überholt, sie wirdsogar etwas Hochaktuelles, wennmansich In das moderne selbstbewußte Denken des ihr auf dem richtigen Weg nähert.“„ freien Individuums müsste dasMythische gewandelt integriert werden in das, was heute gesagt, getan, geschaffen wird. ... Auf diese Weise werden alte mythische , den Beuys fordert, ist das Mythische in neuen Idealismus“ Inhalte aktuell.“Im „ einer aktuellen Form präsent. Aber Beuys beruft sich nicht einfach aufmythisches , dem , das mit dem „Urwort“ Urbildliche“ Denken, sondern wie Klee auf das „ Logos in christlicher Vorstellung eng verknüpft ist. Nicht nur Klee, sondern auch , , „Urfisch“ Ur-“undhat Bildtitel wie „Urtiere“ Beuys bevorzugt die Vorsilbe „ , „Urmensch“geprägt. Darauf angesprochen, gibt Beuys folgende Urschlitten“ „ Der Begriff Ur... bedeutet zumBeispiel auch, was C.G. Jung Urbild Auskunft: „ nennt. Womit nicht unbedingt etwas Altes gemeint ist, sondern einArchetypus, also etwas durchaus Aktuelles. ImSinne dessen, wasmandasUrwort nennt: desLogos.

880 Klee: Kunst-Lehre, S. 65, 83.

881 Beuys: Abendunterhaltung, S. 23. 882 Beuys: Museum –Ortderpermanenten

Konferenz,

S. 63.

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Teil II

WennmandenLogos in Zusammenhang bringt mitderchristlichen Terminologie, versteht mandarunter etwas ganz Bestimmtes. Es istja einSchlüsselzeichen für die Evolution überhaupt. In diesem Sinne als ein Schlüsselzeichen für die Evolution gebrauche ich das Wort Ur.“ 883Im gleichen Sinn sprach Klee vom „Chaos als Begriff, alsLogos“ .„ Die ‚Wesenheit (der lebendigen Grunddinge) ist exakte Funktion, sozusagen bei Gott. ... Die Formel der Funktion ist weit, aber sie ist als quellender Urpunkt irgendwo!“884 Diese Reflexionen der Künstler finden gelegentlich eine Entsprechung in den Überlegungen der Kunsthistoriker. Lorenz Dittmann kommt das Verdienst zu, diese Gesamtproblematik erkannt zuhaben. Er hates als einHauptwesensmerkmal

der Kunst des 20. Jahrhunderts bezeichnet, daßsie die „Natur als Wesen eigener Mächtigkeit ... wiederzuentdecken“trachtet. „ Mythische Erfahrung heute ist Kritik Je andere Horizonte des Mythischen, derEinheit technischer Naturausbeutung.“„ des ‚Subjektiven‘ und ‚Objektiven‘, ‚Ideellen‘ und ‚Materiellen‘, entdecken und vergegenwärtigen Maler unserer Zeit, so einer unverfügbaren Natur erinnernd –im Widerstand gegen die der wissenschaftlich-technischen Welt inhärenten Ausbeutung der Natur. Immer leuchtet dabei auch etwas auf vomnuminosen Wesen, das dennicht in ihrem Eigen-Sinn, ihrer Selbstverfangenheit beharrenden Kulturen als Göttliches galt.“885

883 Beuys: Gespräch mitvanderGrinten, o.S. 884 Zum„Logos“ -Begriff bei Klee undseinen theologischen undphilosophischen Implikationen, siehe die gründliche Untersuchung vonHans-Martin Schweizer: Die Immanenz des Transzendenten in der Kunsttheorie von Paul Klee, in: Festschrift für Georg Scheja, hrsg. von A. 261, Zitate S. 239, 257. Wenn Klee von „Chaos als Leuteritz u.a., Sigmaringen 1975, S. 237– Begriff, als Logos“spricht, dann versucht er mitrationalen Mitteln etwas Unbegreifliches in denGriff zu bekommen. Dadurch weist er auf die Vergeblichkeit dieses Tuns hin. „Dieser Schritt, dersich als Gegenwärtigkeit des‚Unbegreiflichen‘ imEndlichen –als Immanenz des Transzendenten –darstellt, wird mit Hilfe dercoincidentia oppositorum erreicht undverleiht auch demLogos-Begriff Klees jenen metaphysischen Hintergrund, mitdessen Hilfe er aufdie Unfaßlichkeit desTranszendenten hinzuweisen trachtet.“(S. 240). 885 Lorenz Dittmann: Horizonte des Mythischen in ungegenständlicher Malerei, in Schmied: 64, Zitate S. 58, 64. GegenwartEwigkeit, S. 55–

Nachwort 886Diese Erkenntnis, mitder Sollte alles denngewußt sein? Ach, ichglaube nein!“ „ Paul Klee sein Leben beschließt, gilt umsomehr für eine kunsthistorische Abhandlung, die versucht, denKünstlern insLandderbesseren Erkenntnis zufolgen. Aus einer Kurzreise wurde eine lange Exkursion. Dabei mußte vieles unberücksichtigt bleiben, wasberichtenswert ist. Durch diebegrenzt verfügbare Zeit sindSchranken gesetzt, die manbeim besten Willen nicht überspringen kann, so daß eine Beschränkung desHorizontes unvermeidbar ist.So konnte auch bei weitem nicht alle

relevante Literatur angemessen berücksichtigt undeingearbeitet werden. Jede Untersuchung überPhänomene derKunst bleibt zwangsläufig fragmentarisch. Sowohl Bilder als auchdasBildnerische Denken widersetzen sich einer erschöpfenden und endgültigen Behandlung. Das Fragment ist folglich kein Defizit, sondern eine Notwendigkeit, die aber in der Natur der Sache, dem Sinnüberschuß der Kunst begründet ist. Eines istjedoch gewiß, die vorliegenden Überlegungen werden nicht die letzten Worte zumBildnerischen Denken sein, das sich bei Joseph Beuys zu einem genuin Plastischen Denken weitet. Wir beginnen gerade erst zu ahnen, welch ungeheures Kräftepotential in einem anthropologischen Kunstbegriff schlummert. Beuys hatunseinen Kunstbegriff präsentiert, derin seiner Tragweite undin seinem ethischen Anspruch im 20. Jahrhundert singulär dasteht. Die Kunstwissenschaft kann nicht umhin, sich mit derSozialen Plastik auseinanderzusetzen, will sie denn überhaupt noch am lebendigen Geschehen der Kunst partizipieren und nicht in Regression erstarren. Kandinsky, Klee undLehmbruck haben eine Fackel angezündet undanBeuys weitergereicht. Beuys hatunsdieFackel gezeigt undes liegt anuns, ihrem Licht zu

folgen.

886 Zitiert nachKatalog: Klee, Basel, o. S. WieFelix Klee berichtet, schrieb Paul Klee diesen Satz aufsein letztes unvollendetes Bild.

Literaturverzeichnis In dieser Bibliographie sind nurdie Schriften verzeichnet, ausdenen zitiert wird oder die in einem

gedanklichen Zusammenhang mit demThema der Arbeit stehen. Das Literaturverzeichnis strebt also ausdrücklich keine Vollständigkeit an,weder imHinblick aufdieeinzelnen Künstler noch auf

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4. 5.

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7.

, 1919 Versunkenheit“ „ Aquarellierte Lithographie, 25,6x 18cm, Bern, Sammlung Felix Klee AusKatalog: Klee, Leben undWerk, S. 165. Wege desNaturstudiums“ , 1923 Figur zu„ AusKlee: Schriften, Abb. 60. Seite 169 ausdemTagebuch, 1915 Aus Klee: Tagebücher, S. 371. , 1933 VonderListe gestrichen“ „ Ölfarben auf transparentem Wachspapier, 31,5x24 cm, Bern, Sammlung Felix

Klee AusPartsch: Klee, S. 72. , 1922 8. „Wachstum derNachtpflanzen“ Öl auf Karton, 46x33 cm, Staatsgalerie moderner Kunst, München AusHaftmann: Klee, S. 145. 9. Die „natürliche“und„künstliche“Helldunkelbewegung Aus Klee: Bildnerisches Denken, S. 10. Die Farbkugel“ 10. „ Aus Klee: Bildnerisches Denken, S. 508. Der spektrale Farbkreis“ 11. „ AusKlee: Bildnerisches Denken, S. 470. Die unendliche Bewegung, farbig“ 12. „ AusKlee: Pädagogisches Skizzenbuch, S. 50. 13. Wie 12., S.51. Der Kanon derfarbigen Totalität“ 14. „ AusKlee: Bildnerisches Denken, S. 488. Das Pendel“ 15. „ Aus Klee: Pädagogisches Skizzenbuch, S. 42. Der Pfeil“ 16. „ Aus Klee: Pädagogisches Skizzenbuch, S. 44.

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Abbildungen

17. „Chaotisch“–„Kosmisch“ AusKlee: Bildnerisches Denken, S. 2. 18. „ Dergereizte Punkt als latente Energie“ AusKlee: Unendliche Naturgeschichte, S. 29. 19. „ DerRiß bis zurStrahlenbasis“ Aus Klee: Unendliche Naturgeschichte, S. 21. 20. „ Die Wellenstruktur als Symbol derkleinteiligen Belebung“

AusKlee: Unendliche Naturgeschichte, S. 47, 49. 21. „Grenzen desVerstandes“ Wasserfarben aufgrundierter Leinwand, 56,3x41,5 cm,Staatsgalerie

moderner Kunst, München Aus: Staatsgalerie moderner Kunst München. EinRundgang durch dieSammlung. Hrsg. von denBayerischen Staatsgemäldesammlungen, München 1987,

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