Zur Bedeutung des Regeltatbildes bei der Bemessung der Strafe [1 ed.] 9783428487110, 9783428087112

Ausgehend von der Feststellung, daß Umstände, die "regelmäßig" im Falle der Deliktsverwirklichung mitgegeben s

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German Pages 353 Year 1996

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Zur Bedeutung des Regeltatbildes bei der Bemessung der Strafe [1 ed.]
 9783428487110, 9783428087112

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CHRISTIAN FAHL

Zur Bedeutung des Regeltatbildes bei der Bemessung der Strafe

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Schmidhäuser em. ord. Professor der Rechte an der Universität Harnburg

und Dr. Friedrich-Christian Schroeder ord. Professor der Rechte an der Universität Regensburg

in Zusaounenarbeä mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 96

Zur Bedeutung des Regeltatbildes bei der Bemessung der Strafe Von

Christian Fahl

Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Werner Beulke, Passau

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Fahl, Christian: Zur Bedeutung des Regeltatbildes bei der Bemessung der Strafe I von Christian Fahl. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Strafrechtliche Abhandlungen ; N.F., Bd. 96) Zugl.: Passau, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08711-9 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 3-428-08711-9

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 @

Vorwort Die vorliegende Arbeit hat der Juristischen Fakultät der Universität Passau im Wintersemester 1994 I 95 als Dissertation vorgelegen. Das Manuskript ist im Sommer 1994 abgeschlossen worden. Später erschienene Literatur ist, soweit erreichbar, noch in den Fußnoten berücksichtigt. Mein ganz besonderer Dank gilt Prof. Dr. Werner Beulke, der das Thema angeregt und die Entstehung der Arbeit stets gutwillig befördert hat. Dank schulde ich aber auch dem Zweitgutachter Prof. Dr. Martin Fincke, an dessen Lehrstuhl ich während der Zeit, in der diese Arbeit entstand, als Mitarbeiter arbeiten durfte. Für die Hilfe bei der Erstellung der Reinschrift und der Korrektur bedanke ich mich bei Frau Gabriele Sicklinger, Alexandra Horschitz, Bettina Runge, Bernhard Böllinger und Corinna Wegener sowie bei Bodo Wiegand für die Hilfe bei der Formatierung. Schließlich habe ich der Konrad-Adenauer-Stiftung für die Aufnahme in die Promotionsförderung zu danken sowie den Professoren Dres. F. - C. Schroeder und Schmidhäuser für die Aufnahme der Arbeit in die von ihnen betreute Reihe. Gewidmet ist die Arbeit meinen lieben Eltern. Rostock, im Juli 1995

Christian Fahl

Inhaltsverzeichnis Einleitung .............. .. .... ...... ..... .. ........ ........................................... ........

11

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzwnessungslehre Erstes Kapitel

Vereinbarkeil des Regeltatbildes mit Umfang und Grenzen des DVV nach § 46 Abs. 3 StGB I.

Entstehungsgeschichte .......... .. .................... .... .. ....................... ...... ..... 15

II. Geltungsgrund ................ ........ .................... .. .. ....................... .... ....... 18 1. Das DVV als Mißgriff des Gesetzgebers .............. ...... .............. .. .... .... . 18

2. Das DVV als materiell-rechtliche Konsequenz des Grundsatzes "ne bis in idem" ............ ... ...... .... ...... .. ........ .. .... ..... ...................... .... .. ...... ... 20 3. Das DVV als Ausfluß der Arbeitsteilung von Gesetzgeber und Richter .. ..... 22 4. Das DVV als "Verstoß gegen die Notwendigkeit individueller Tatschuldwertung" ............. .... .... .. ......................... ................ ... ... .. .. ..... ...... 23

5. Das DVV als "generalisierender Anwendungsfall der materiell-rechtlichen

Begründungspflicht" ...... ....... ..... ..... ... .... .............. .... ....... ..... ...... ..... 24

6. Das DVV des § 46 III StGB als schlichtes logisches Prinzip ........... ....... .. 27 111. Zur Reichweite des DVV ...... ..................................................... ........ . 29 1. Tatbestandsmerkmale und deren Konkretisierungen und Modalitäten .. .. .... . 29

2 . Exkurs: Ungleichwertige Tatbestandsalternativen ........................ ........ .. 39 3. "Tatbestandsähnliche" Merkmale von (benannten) besonders schweren und minder schweren Fällen ..... ............. ..... .. ........................ .. ... ... .. .... ... 45 4. Die Geltung des DVV bei unbenannten besonders schweren und minder schweren Fällen .................... .. ................... .. ............................ .. .. . 48

5. Rechtswidrigkeits- und schuldbegründende sowie sonstige unrechts-

begründende Merkmale... .. .............. ........................................ ...... .. 53

6. Gesetzeszweck, kriminalpolitischer Grundgedanke, gesetzgebensehe Intentionen und Motive des Gesetzgebers .. ................................ .... ...... 57 a) Die ältere Rechtsprechung .. .. .. .. .... ................. .. .... ...... ........... .. .. .. . 57

8

Inhaltsverzeichnis b) Die Entscheidung BGH MDR 1953, 148 ... . ... .. ......................... .. ... . . 60 c) Stellungnahme ............. ... ...................... ....... ..................... ..... .. . 63 7 . Die regelmäßigen oder typischen Begleitumstände und Tatfolgen (Regeltatbild) ... .................. ....................... ... .. ...................... ... .... .. 68 Bisherige Rechtsprechung .. .. .... ................. .. .... .................. .. ... ... .. . 68 Bisherige Literatur ................................ .. .. .... .................. ... . .. ... .. 77 Das 2. Samenergußurteil .............................................. .. ........ .... . 79 Die Literatur zur Neubestimmung der Grenzen des DVV ....... .... .... .. .. . 84 Problemstellung .. ... .. ................. ... .... .... ........... ............. ..... .. .. ... . 85 f) Stellungnahme . ........................ .. ....... ........................... . .... ........ 92

a) b) c) d) e)

IV. Zusammenfassung .................. ........... ..... ....... .............. ....... ... ............ 96

Zweites Kapitel

Die Stellung des "Regeltatbildes" in einem mehrphasigen Modell der Strafzumessung I.

Die Strafzumessungsmodelle ... .. ...................... .. ......... . .. ........ .. ............ 100 1. Reale, finale und logische Strafzumessungsgründe ............. .. ................. 100

2 . Das Fünfstufen- bzw. SiebenstufenmodelL ......... .. .... ....... . .. ... ... .......... . 104 3. Kritik am Fünf-Phasen-Modell .. .... ...... .. .... .. .. ....... ..... .. ........ ... .. ........ 110 II.

Das "Regeltatbild" auf der 3. Stufe ............................................ ...... ..... 112 1. Die Kategorie der schlicht-relevanten Umstände .. ..................... ........... 112

2 . Die Problematik strafzumessungsrechtlicher Relationsbegriffe ...... .... ...... . ll5 3. Kandidaten für den Ausgangspunkt der Bewertungsrichtung ...... .. ... .. .... .. 119 a) Die Extreme: Tatbestandliebes Minimum und Maximum .. .. .. .. .. .. .. .. .... 119 b) Die Fälle: Normativer Normalfall, Regelfall und Ankerfall .... .. .. .. .. ..... 121 aa) Regel- und Normalfall ....... .. ................. .... .............. .. .... ....... 121 bb) Das Konzept der Benutzung von Ankerfällen .............. .. .. .. .... .... 130 c) Die Wertung: das Regeltatbild ......................................... . .... ..... .. 132 4. Anwendung, Funktion und Grenzen des Regeltatbildes am Beispiel der bisherigen Rechtsprechung, insbesondere des Samenergußurteils ... .. ...... .. 138 a) Der Umstand der ungeschützten Durchführung des Geschlechtsverkehrs ..... .. ... ... ... ..... ... ....................................... .. .. ... ...... ..... 138 b) Der Samenerguß in die Scheide .... .. ..... .. ........................ .... .... ...... . 141 c) Der Streit um die "Vorsatzformen" ....................... .... .. ...... ..... ....... 150 d) Die Vorstrafenfrage ... ... .. ... ....... .... ...................... .. ... .. .. ............. 155 5. Zum Fehlen eines Strafmilderungsgrundes als Strafschärfungsgrund und umgekehrt ............ .. .... .. .......... ... .... ... ..... ......... ... ......... ........... 162

Inhaltsverzeichnis a) b) c) d)

9

Der Grundsatz in Literatur und Rechtsprechung bis zum Jahre 1987 . .. .. 162 Die Plenarentscheidung des Großen Senats .... .... ........... ..... . .. ....... ... 166 Folgen und Reaktionen ............. ... ......... ...... ... ... ..... .. .... ... .. ... .. .... 170 Stellungnahme ............................. .. ........... ........ ...... .. ..... ... ..... .. 172

6. Zum Problem "negativer" Formulierungen .... .. ... ..................... . .... .. .. .. 174 III. Das "Regeltatbild" auf der 5. Stufe .................. ... ..... ................. . ...... .... . 180 1. Die Rationalität der "Umwertung" ................ .... .... ................ . ....... .... 180 2 . Die Theorie von der kontinuierlichen ("ungefähren") Schwereskala .. ... ... . . 182 3. Einwände gegen die Theorie der kontinuierlichen Schwereskala .... ......... . 186 a) Das Problem der Extrempositionen ......... ...... .. .................. . ..... ...... 186 b) Andere Motive für die Aufstellung der Strafrahmen ............. .... ...... .. . 188 c) Überproportionales Ansteigen des Strafleidens mit zunehmender Dauer .. .. ....... ... ....... ... ........... .................... ...... ..... ...... ..... .. ..... 189 d) Historischer Wandel. .... ...... ... .. .. .. .. ........... ......... ... ....... . .. . .... .. ... . 190 e) Änderungen des Strafrahmens .......... ..... .. .. ... .... .............. .. .. ....... .. 192 f) Strafrahmenlogik ........ ..... ......... ................................................ 193 g) Zirkelhaftigkeit .......... .. ... ...... .............. .. ... ........ ...... ... ........ ....... 197 4. Die Suche nach der "Einstiegs stelle" ..... .. ........ ... .. .... .......... ... ...... .... .. 198 a) Die Entscheidung BGHSt 27,2 (4) .................... .......... .. .. .. . ..... ..... 198 b) Der theoretische (denkmäßige, gedankliche) Durchschnitts fall .... ..... .. .. 203 c) Der praktische (tatsächliche, statistische) Durchschnitts fall ........ ....... .. 206 d) Das "Regeltatbild" als Einstiegsstelle ..... ... . ..... ..... ... ....... . .............. .214 5. Stellungnahme zum Streit um die "richtige" Einstiegsstelle ...... ... ... .... ..... 219 a) Zum Wert einer "Einstiegsstelle" ........ .. .... ..................... .... ... ....... .219 b) Ablösung der "Einstiegsstelle" durch Wertgruppen ....... .. .............. .... 224 IV. Zusammenfassung ................. ............. . ... ............. .. .... ........ ... . ......... .. 230

Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre Erstes Kapitel

Die Verwandtschaft von Strafzumessungslehre und Konkurrenzentscheidung I.

Strafzumesssung und Strafbemessung .. ........ ....... ...... .... .. ... ..... .. ....... ..... .238

II. Die Problematik der Mehrfachverwertungen ... ..... .... ........ ....... . .. . ..... .. .. ... 240 111. Das Grundproblem von Kern- und Randzone .... .... .... ... .... ....... ...... .. .. ... ... 244

Inhaltsverzeichnis

lO

Zweites Kapitel

Die Lehre von der Gesetzeseinheit I.

Der Begriff ...................... .. ....... ...... ............ ............. ....... .. .. ... .... .. ... 250

li. Generalisierende und individualisierende Theorie ...... .. .................... ... ...... 253

111. Einheits- und Differenzierungstheorie .......... ... ... .. ................. ....... ..... ... .. 257 IV. Die begriffslogische Struktur ..... ...... ...... ...... ....... .......... .. ..... ..... .. ... .. ... . 261 1. Heterogenität. .... .... ... ...... .. .. ................... .. ...... ..................... .... ... .. 261

2. Identität. .................. ....... ........ ................. ....... .................. .. .. .... .. 267 3. Subordination ................. ... .......................... ...................... .......... 269 4. Interferenz .................................................... .. ................. ...... .... .278 V. Das ungelöste Problem der Konsumtion ................. .. ....... .. ... ........ ... .... ... 287 1. Die begriffslogische Struktur der Konsumtion ....... .............. ... ... .. ........ 287

2. Das wertende Prinzip in der Konkurrenzlehre ........ .. ............... .. .......... 293 3. Vergleich von strafzumessungs- und konkurrenzrechtlichem Regeltatbild ... 303 4. Konsequenzen für die Systematisierung der Gesetzeskonkurrenz ... ........... 305 VI. Die Rechtsfolgen der Gesetzeseinheit ... ... ..................... .... ......... ... ......... 308 1. Ausgangspunkt ........... ................. .. .. ..... .... ...................... .... .... ..... 308 2. Meinungsstand ............. ................................ ........ ............ ............ 310 a) Die Lehre von der absoluten Deliktsexklusion ........ ....... .. .... ............ 310 b) Die heute h.L. und Rspr ...... .... ... ....... ....... ... ...... .. ... ........ ... ... ......311 c) Die Meinung von Puppe .. ........... .... ........ .. .. ...... .... ... ........ ........... 314 d) Die Lehre von Geerds .............. ...... ..................... .. ........ ............ 316 e) Der Standpunkt von Maurach ...... ..... ............................... ...... .... ..317 f) Der Meinungsstand in Österreich ...................................... ........... 318 3. Stellungnahme ............................... ..................... ............. ............ 319 a) b) c) d) e)

Der Einwand der Gleichbehandlung mit der Idealkonkurrenz ... ........... 319 Das "Schlechterstellungsargument" ... .... .. ........... .... .. ... .. ... .... ......... 320 Der Einwand des Doppelverwertungsverbotes .... .. .... ... .. ... ............... 322 Folgerungen aus dem Regeltatbild ... .. .... .... .. .. .. ........... ..... .... .. ....... 328 Fazit .............. .. ................... ....... .. .... ............... ... ... ...... .. ......... 330

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse ...... ....... .. ....... ......... 333 Literaturverzeichnis .... .. ............................ ................................ .... 339

Einleitung Das "Regeltatbild" ist nicht neu. Seit langem kursieren in der Rechtsprechung eine ganze Reihe ähnlicher Umschreibungen: Regelbild, 1 übliches, 2 regelmäßiges3 oder typisches Tatbild, 4 regelmäßiges Erscheinungsbild, 5 gewöhnliches Bild. 6 Auch vom normalen Erscheinungsbild/ bzw. dem "Normalbild "8 ist die Rede. Der Begriff "Regeltatbild" taucht zuerst auf bei Holtz. 9 Begriff und Fundstelle werden in die 2. Auflage des Bruns'schen Leitfadens übernommen, die 1985 erscheint. 10 Anläßlich dieser Entscheidung setzt sich Hettinger kritisch damit auseinander. 11 Frisch erhebt es zu einem terminus technicus, zu einem eigenen "Topos" . 12 So findet der Begriff auch Eingang in die Kommentarliteratur.13 Im seihen Jahr wie Frisch diskutiert auch Streng das "Regeltatbild" unter einer Reihe anderer Begriffe, im Ergebnis lehnt er es ab. 14 Dennoch

BGH StV 1982, 70. 2

BGH bei Theune, NStZ 1986, 157.

3

Mösl, DRiZ 1979, 168.

BGH bei Mösl, NStZ 1982, 152. Z.B. BGH StV 1986, 430; BGH bei Mösl, NStZ 1982, 152; 1983, 164; bei Theune, NStZ 1987, 163; 1987, 495; beiDener, NStZ 1990,177. 4

6

OLG Düsseldorf, StV 93, 76.

7

Z.B. BGH , NStZ 1985, 215 = 1. Samenergußurteil.

8

OLG Düsseldorf, StV 1993, 76.

9 BGH bei Ho/Jz, MDR 1978, 985; aus neuerer Zeit z.B. BGH bei Dener, NStZ 1990, 177.

Bruns, 1985, S. 133. Heninger, DVV, S. 155; ders. später noch einmal abl. zu dem Begriff, StV 1987, 148 u. 149. 12 Frisch, GA 1989, 361 ff. 13 Dreher I Tröndle, § 46 Rdnr. 36; Lackner, § 46 Rdnr. 32; Schönke I SchröderStree, vor§ 38 Rdnr. 42. 14 Streng, NStZ 1989, 396. 10

11

12

Einleitung

widmet er ihm kurz darauf ein eigenes Unterkapitel in seinem Lehrbuch. 15 Auch Detter trennt neuerdings in seiner Übersicht zum Strafzumessungsrecht, die zweimal jährlich erscheint und die Rechtsprechung auf diesem Gebiet zusammenstellt, auswertet und kommentiert, Doppelverwertungsverbot und "Regeltatbild" . 16 Ursprünglich von der Rechtsprechung zur Ausdehnung bzw. Absicherung des Doppelverwertungsverbotes (DVV) benutzt, wird es von der Literatur bald auch zur Kennzeichnung bestimmter, mit dem DVV zusammenhängender, aber nicht mehr damit identischer Fragen benutzt. Bevor es aber wirklich zu einem eigenständigen "Topos" werden kann, muß es zu seinem Ursprung zurückverfolgt werden. Bei Neuentwicklungen dieser Art, nicht nur auf dem Gebiet des Strafzumessungsrechts, besteht stets die Gefahr unnützer Verkomplizierung und "Verwissenschaftlichung" . 17 Schon deshalb ist es an der Zeit für eine Bestandsaufnahme. Ausgangspunkt der Überlegungen ist ein Fall, den der Bundesgerichtshof 18 am 14. 8. 1990 entschieden und der großen Widerhall in der Literatur gefunden hat. 19 Es ging dabei um eine Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1 StGB). Die Instanzgerichte hatten dazu festgestellt, daß es zum Samenerguß in die Scheide gekommen war und daß der Täter kein Kondom benutzte. Beide Umstände hat der BGH zu Lasten des Täters als strafschärfend verwertet. Der 1. Senat setzt sich damit von der Rechtsprechung eines anderen Senates ab, der im Jahre 1985 in einem ganz ähnlichen Fall entschieden hatte, daß dieselben Umstände die Strafe nicht schärfen könnten. 10 Zur Begründung stellte der 3. Senat damals darauf ab, daß sie "zum normalen Erscheinungsbild" des vom Tatbestand der Vergewaltigung erfaßten Unrechts gehörten und sah in ihrer Verwertung deshalb einen Verstoß gegen das "Doppelverwertungsverbot" (§ 46 15 Streng, Strafrecht!. Sanktionen, S. 206, wo das Regeltatbild sogar gleichrangig neben dem allgemeinen Doppelverwertungsverbot - gemeint ist § 46 Abs. 3 StGB steht. 16 Vetter, NStZ 1990, 177; 1991, 274; 1991, 475 - inzwischen allerdings bereits wieder aufgegeben. 17 So der Vorwurfvon Bruns, JR 1985, 174 an eine Arbeit, die sich ebenfalls mit dem Doppelverwertungsverbot befaßte. 18 BGHSt 37, 153 = MDR 1990, 1127; NJW 1991, 185; NStZ 1991, 33; StV 1991,225.

19 BGH bei Vetter, NStZ 1991, 274; bei Miebach, NStZ 1993, 225; Anm. Neumann, StV 1991, 255; Anm. Weßlau, StV 1991, 259; Anm. Grasnick, JZ 1991, 933; Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 514 u. 624.

10

BGH NStZ 1985, 215 = MDR 1985, 284.

Einleitung

13

Abs. 3 StGB). Der § 46 Abs. 3 StGB verbietet, "Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind" bei der Strafzumessung (doppelt) zu berücksichtigen. Man sagt, sie würden "doppelt" berücksichtigt, weil der Gesetzgeber sie bereits einmal berücksichtigt hat, als er einen Strafrahmen dafür vorgab, zum Beispiel bei der fahrlässigen Tötung von einem Monat bis zu fünf Jahren (§§ 222, 38 Abs. 2 StGB). Darum wäre es falsch, straferschwerend zu berücksichtigen, daß der Täter "ein Menschenleben" ausgelöscht hat, denn das ist ja schon Tatbestandsvoraussetzung. In dem dem Samenergußurteil zugrunde liegenden Fall ist das freilich nicht so eindeutig: Nach dem Wortlaut des Tatbestandes ist der Samenerguß nicht vorausgesetzt. Hinge das Doppelverwertungsverbot davon ab, was der Wortlaut als Tatbestandsmerkmal nennt, dann fiele der Samenerguß nicht darunter. Noch schlechter sieht es aus, wenn man die Auslegung der Tatbestandsmerkmale durch die Rechtsprechung heranzieht. Nach ständiger, aber umstrittener Rechtsprechung soll dafür nicht einmal erforderlich sein, daß das männliche Glied auch wirklich in die Scheide eindringt, sondern ausreichen, daß das Glied nur den sog. Scheidenvorhof penetriert. 21 Legte man diese Auslegung dem DVV zugrunde, dann stünde § 46 Abs. 3 StGB nicht entgegen. Nur wenn man das "regelmäßige, typische Erscheinungsbild", das gewöhnliche, normale "Tatbild" der Vergewaltigung miteinbezieht, dann greift das von § 46 Abs. 3 StGB aufgestellte Verbot Platz. Die Vorschrift ist deshalb daraufhin zu untersuchen, ob sie über das Minimum dessen hinaus, was gerade schon zur Verwirklichung des Tatbestandes ausreicht, auch die Verwertung von Umständen verbietet, die "normalerweise" oder "typischerweise" mitverwirklicht werden und auf diese Weise zum "Regeltatbild" eines Delikts gehören. Dabei wird sich zeigen, daß wir es mit einer Konstellation zu tun haben, deren Besonderheit darin besteht, daß nicht rein logische Erwägungen zum Ziel führen, sondern - ähnlich wie bei der Gesetzeskonkurrenz mit der Konsumtion - wertende Betrachtungen angestellt werden müssen, die es zwar nicht ausgeschlossen aber doch unbillig erscheinen lassen, eine schärfere Strafe daran zu knüpfen, daß der Täter ein Delikt nicht nur begangen, sondern dabei Umstände verwirklicht hat, die dem "Regeltatbild" dieses Delikts entsprechen. 21 Seit BGHSt 16, 175 ständige Rspr. und h.M., vgl. nur LK-Dippel, § 173 Rdnr. 9; krit. dazu jedoch Schönke I Schröder-Lenckner, § 173 Rdnr. 3.

14

Einleitung

Das Problem ist vermutlich so alt wie das Strafrecht und stellt sich heute in allen Rechtsordnungen, die eine Strafzumessung kennen; die Untersuchung beschränkt sich jedoch aus Anlaß der genannten deutschen Entscheidungen auf die Auswertung des - erfreulicherweise - immer umfangreicher werdenden deutschen Schrifttums. Sollte sich ergeben, daß Konstellationen wie diese vom Geltungsbereich des DVV umfaßt sind, so müßte dem BGH, der dieses Prinzip allem Anschein nach zugunsten eines weiteren tatrichterlichen Ermessens zurückdrängen will, widersprochen werden. Aber auch wenn das nicht der Fall sein sollte, muß der Entscheidung doch im Ergebnis nicht zugestimmt werden und ein solcher Umstand, der dem "Regeltatbild" entspricht, noch nicht Anlaß zur Strafschärfung bieten. Die Antwort ist dann in einem anderen Stadium der Strafzumessung zu suchen, nämlich in der Folgeentscheidung, wie ein verwertbarer Umstand zu bewerten ist, ob "strafschärfend", "strafmildernd" oder ob er auch "strafzumessungsneutral" sein kann, und wie ein Fall, der dem entspricht, in den gesetzlichen Strafrahmen eingeordnet werden muß. Auch dann verlöre das "Regeltatbild" nicht an Gewicht.

Erster Teil

Das Regeltatbild in der Strafzumessungslehre Das "Regeltatbild" ist kein Unbekannter mehr. Es ist aber wohl auch noch kein selbständiger "Topos". Erst allmählich beginnt es sich von seinem Ursprung, dem Doppelverwertungsverbot, zu lösen, wobei bislang noch unsicher ist, ob es sich auf eigenen Beinen wird halten können. Darum zuerst eine Auseinandersetzung mit Umfang und Grenzen des DVV, von dem die Überlegungen zum Regeltatbild notwendig ihren Ausgangspunkt nehmen.

Erstes Kapitel

Vereinbarkeit des Regeltatbildes mit Umfang und Grenzen des DVV nach § 46 Abs. 3 StGB I. Entstehungsgeschichte Dazu ist zunächst ein Blick auf die geschichtliche Entwicklung hilfreich. Obwohl das Problem sicher nicht erst in diesem Jahrhundert aufgetaucht ist, spätestens mit der Etablierung des Nullum-Crimen-Dogmas irgendwie hat gelöst werden müssen, ist das Doppelverwertungsverbot in seiner gesetzlichen Form erst eine Errungenschaft der jüngeren Zeit. Der wortgleiche Vorgänger des§ 46 Abs. 3 StGB, der § 13 Abs. 3 StGB a.F., ist, durch Art. 105 Nr. 2 des 1. StRG vom 25.6.1969 1 eingeführt, erst am 1.4. 1970 in Kraft getreten. Lange bevor es darin seinen gesetzlichen Niederschlag gefunden hat, ist es in dieser Form schon vom Reichsgericht richterrechtlich entwickelt und angewandt worden. Bereits in seiner Entscheidung RGSt 57, 379 aus dem Jahre 1923 stellt das Reichsgericht lapidar fest: "Dagegen kann nicht gebilligt wer1

BGBI I 1969, S. 645.

16

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

den, daß die Strafkammer bei der Strafzumessung zum Nachteil des (wegen einer fahrlässigen Tötung gemäß § 222 StGB) Angeklagten erwogen hat, seine Handlungsweise habe den Tod eines Menschen zur Folge gehabt. Sie hat damit ein Tatbestandsmerkmal, das bereits bei Aufstellung des gesetzlichen Strafrahmens berücksichtigt ist, als Straferhöhungsgrund verwertet. Daß dies unzulässig ist, hat das Reichsgericht schon wiederholt hervorgehoben." Es folgt eine Liste von Entscheidungen, die bis in das Jahr 1908 zurückreicht. Das Doppelverwertungsverbot blieb aber nicht auf Tatbestandsmerkmale im engeren Sinne begrenzt. Bereits das Reichsgericht hatte das DVV in der berühmten Schlingenstellen-Entscheidung2 auf tatbestandsähnliche Merkmale von besonders schweren Fällen (hier das Schlingenstellen i. S. v. § 292 Abs. 2 StGB) ausgedehnt. Schon in einer früheren Entscheidung3 hatte es den Grundsatz auch auf die dahinterstehenden gesetzgebensehen Erwägungen angewendet, die den Gesetzgeber zur Aufstellung des Tatbestandes bestimmt hätten und daher gleichfalls nicht die Erhöhung des Strafmaßes rechtfertigen könnten. Das Doppelverwertungsverbot wurde damit in der Geschichte der Revisibilität des Strafmaßes zum "entscheidenden Stoßkeil, der die ersten und bedeutsamsten Breschen in das Dogma vom irrevisiblen tatrichterlichen Ermessen schlug". 4 Während des III. Reiches diente es dem Reichsgericht zuletzt auch dazu, dem Übereifer einiger nationalsozialistischer Juristen auf dem Feld der Rassenschutzbestimmungen Einhalt zu gebieten, die zum Nachteil der jüdischen Seite bei der Strafzumessung wegen Rassenschande auch den der Nürnberger Rassenschutzgesetzgebung zugrundeliegenden Gedanken noch einmal in Rechnung stellen wollten. 5 Der Bundesgerichtshof hat die Rechtsprechung des Reichsgerichts fortgeführt und verfeinert. Aus dem Verbot der strafschärfenden Berücksichtigung wurde das Verbot der Berücksichtigung von Tatbestandsmerkmalen als Strafzumessungsgrund. Ebensowenig wie daraus ein Schärfungsgrund hergeleitet werden dürfe, könne daraus ein Strafmilderungsgrund abgeleitet werden. 6 Es RGSt 70, 223. RGSt 59, 426.

Zipf, Strafmaßrevision, S. 97. Freister, DStR (GA) 1936, 391 f; zust. Peters, ZStW 57 (1937), S.78, Fn.55; Niederreuther , DJ 1938, 419. 4

6

BGHSt 19, 116.

Erstes Kapitel: Umfang und Grenzen des DVV

17

folgten Erweiterungen auf rechtswidrigkeits- und schuldbegründende Umstände7 sowie - und das markiert den Abschluß der bisherigen Entwicklung - auf die regelmäßigen Begleitumstände eines Deliktes wie im 1. Samenergußurteil aus dem Jahre 1985.8 Auch die Ausnahmen hat der BGH vom Reichsgericht übernommen: So soll es ausnahmsweise gestattet sein, die Tatbestandsmerkmale der schwerer wiegenden Alternative zur Strafschärfung heranzuziehen, wenn der Tatbestand zwei ungleichwertige Alternativen enthält. 9 Bei unbenannten Strafänderungsgründen, z.B. den besonders schweren und minder schweren Fällen, soll das DVV ganz außer Kraft gesetzt sein. 10 Der Gedanke an eine gesetzliche Regelung dieses "ersten, geradezu klassischen Revisionsgrundes auf der Strafzumessungsebene" 11 kam erstmals in der Großen Strafrechtskommission auf, die ihre Arbeit 1954 aufnahm. Von der Unterkommission wurde ein Satz vorgeschlagen: "Bei der Zumessung der Strafe wägt der Richter ab, welche Umstände, die nicht zum gesetzlichen Tathestand gehören, gegen und für den Täter sprechen." 12 Die GrStK übernahm diesen Leitsatz.' 3 In dieser Fassung gelangte die Vorschrift als § 62 in den E 1959 I, wo sie heftig diskutiert wurde. 14 In ihren Stellungnahmen zu § 62 E 1959 I hielten die Justizministerien der Länder den Paragraphen teilweise für überflüssig, wie Hessen, teilweise für falsch. Niedersachsen bemängelte, daß die Art der Verwirklichung der Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, sehr wohl zu berücksichtigen sei. 15 Während sich die Länder teilweise für die Streichung aussprachen, hielt das BMJ an einer in der Formulierung geänderten Fassung in § 62 Abs. 2 fest: "Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab, soweit sie nicht schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes

8 9 10

8GH bei Dallinger, MDR 1971, 363. 8GH NStZ 1985, 215. Z.8. 8GH NJW 1980, 1344; so schon RG GA 56 (1909), 96. 8GHSt 26, 312 mit Verweis auf die Übernahme des alten Rechtszustandes.

11

Bruns, 1985,5.132.

12

Ndschr., 8nd.1, Anhang 8 Nr.5, S. 342.

Ndschr., 8nd. l, Anhang 8 Nr.6, S. 342; krit. zu diesem Gesetzesvorschlag Sauer, GA 1957, S. 132, Fn. 3: "Der Relativsatz sollte daher als überflüssig, ja irreführend fallen." 13

14

Vgl. Ndschr., 8nd. 12, S. 469 f.

15

Ndschr., 8nd.l2, S. 469; so schon Sauer, GA 1957, S. 132, Fn. 3.

2 Fahl

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

18

sind." 16 Damit sollte den Bedenken der Länder Rechnung getragen und zugleich klargestellt sein, daß es weiterhin erlaubt sein sollte, die konkrete Art zu berücksichtigen, in der die Tatbestandsmerkmale im Einzelfall verwirklicht seien. Weil in der Praxis allzuoft dagegen verstoßen werde, konnte man sich aber nicht dazu entschließen, den Satz ganz fallen zu lassen. 17 So wurde die Vorschrift nach einiger Diskussion um ihre Nützlichkeit schließlich beschlossen und in den E 1959 II aufgenommen. Als § 60 Abs. 2 wurde sie in den E 1960 und später mitsamt Begründung in den E 1962 übernommen, wo die Vorschrift erneut umgestellt wurde. Danach wurde der alte § 60 zum neuen § 13 StGB. Das DVV bildete darin einen eigenen Absatz 3, womit lediglich klargestellt sein sollte, daß der Katalog des § 13 Abs. 2, des heutigen § 46 Abs. 2 StGB, keine Ausnahme vom DVV sei. 18 Auch der Alternativentwurfvon 1966 enthielt in § 59 Abs. 1 Satz 2 eine Formulierung, wonach "gesetzliche Tatumstände nicht mehrfach verwertet werden dürfen". Die Begründung macht sich insoweit die Argumentation der amtlichen Entwürfe zu eigen und spricht von einem "unabdingbaren Prinzip der Strafzumessung" ! 9 Im Zuge der Reformen durch das 2. StRG, das ursprünglich schon 1973 in Kraft treten sollte, dann aber erst am 1.1.1975 in Geltung gesetzt werden konnte, wurde der § 13 Abs. 3 a. F. aus systematischen Gründen im Zusammenhang mit der Neuregelung des AT zusammen mit dem gesamtem Abschnitt über die Rechtsfolgen der Tat erneut umgestellt und bildet nunmehr den § 46 Abs. 3 StGB.

II. Geltungsgrund l. Das DVV als Mißgriff des Gesetzgebers

Über den Geltungsgrund des Doppelverwertungsverbotes ein Wort zu verlieren, mag manchem überflüssig erscheinen. Abgesehen davon, daß es nun seit gut zwanzig Jahren "klipp und klar" 20 gesetzlich geregelt ist, galt es doch schon lange zuvor als bare Selbstverständlichkeit, geradezu als "strafrecht-

16

17 18 19

20

Ndschr., Bnd.12, Anhang A, Umdruck II J 1 Nr.19, S. 465. Vgl. Ndschr., Bnd.l2, S. 470. Vgl. Horstkotte, Prot.V, S. 2792. AE, AT, 1. Aufl., S. 109; ebenso die 2. Aufl., S. 115. Grasnick, JZ 1991,933 zum 2. Samenergußurteil.

Erstes Kapitel: Umfang und Grenzen des DW

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liehe Binsenwahrheit". 21 Trotzdem sind Verstöße gegen das DVV häufig, "kommen geradezu am laufenden Bande vor". 22 Man braucht nur die zahlreichen Entscheidungen zum BtmG in Erinnerung zu rufen, in denen der BGH wiederholt feststellen mußte, daß das Gewinnstreben bereits subjektives Tatbestandsmerkmaldes Handeltreibens sei. 23 Aus Erfahrungen wie diesen ist geschlossen worden, daß die Tatrichter für die entsprechenden Strafzumessungsecwägungen wenig Verständnis hätten. 24 Sie stehen nicht alleine da: Seebald äußert den Verdacht, die heutige Handhabung des DVV behindere die schuldgerechte Strafzumessung eher, als es sie fördere. 25 Er liegt damit auf der Linie von Jagusch, dessen Rechtsgefühl sich gegen das Verbot der Doppelverwertung sträubt und meint, eine solche Theorie könne nicht richtig sein und verdiene keine Befolgung. 26 Aus jüngster Zeit ist etwa Lampe zu nennen, der zu dem Schluß kommt, daß die psychischen Voraussetzungen für das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB in der Person der Richter nicht vorhanden sind, "die gesetzliche Regelung also verfehlt ist". 27 Peters meinte, der Gedanke könne "nicht in vollem Umfang aufrecht erhalten werden". 211 Auch Niederreuther meinte damals, man könne in derartigen Fällen kaum von einer unzulässigen Strafzumessung sprechen. "Allerdings", so fährt er fort, "sind die herangezogenen Umstände bereits bei der Aufstellung des Strafrahmens mitberücksichtigt. "29 Später beklagte Peters die "Fragwürdigkeit eines Verfahrens, in dem die Fehlerhaftigkeit der Strafzumessung aus einem Einzelumstand hergeleitet" würde, womit das DVV gemeint war. Solche Bemühungen brächten nicht Dreher, JZ 1957, 155. Bruns, 1985, S. 132. 23 Dazu ausführlich Schoreit, NStZ 1982, 65 m.w.Nachw.; Schmidt, MDR 1989, 1036 f ebenfalls m.w.Nachw. aus der Rechtsprechung; aus jüngster Zeit etwa: BGH StV 1993, 29. 21

22

Bruns, 1985, S. 132. Seebald, GA 1975, 232. 26 Jagusch, LM zu § 44 StGB Nr.10 mit dem Zusatz, möge sich auch schwer nachweisen lassen, wo der Denkfehler liege und wo er außerdem gesteht, er habe dem Grundsatz "noch nie richtig getraut". 27 Lampe, Noll-FS, S. 240. 211 Peters, ZStW 57 (1937), S. 78, Fn. 55 unter Bezug auf Freister, DStR (GA) 1936, 385 ff. 29 Niederreuther, DJ 1938, 419. 24

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

"wirkliche Lösungen". 30 Sauer hielt das DVV für "irreführend, wenn nicht unrichtig". 31 Vorbehalte äußerte auch Else Koftka, die für eine "elastische Handhabung" plädiert. 32 Bei Sarstedt I Gage scheint das DVV ebenfalls nicht sehr hoch im Kurs zu stehen, wenn es da heißt: Wer einem betrunkenen Kraftfahrer für eine fahrlässige Tötung eine mäßige Geldstrafe gebe und dabei strafschärfend berücksichtige, daß der Unfall ein Menschenleben gekostet habe, dem fehle vielleicht die Übung im Schreiben von Strafzumessungsgründen; mit dem Angeklagten sei er vielleicht zu milde, aber nicht zu hart verfahren. 33 Das DVV erscheint hier als eine bloße Frage der Übung und des Geschicks, als ein Mißgriff in der Formulierung eher denn als ernstzunehmender sachlicher Fehler. Hettingerw hält es nach Durchsicht dieser und ähnlicher Äußerungen für euphemistisch, wenn gesagt wird, die gesetzliche Regelung des DVV habe letzte Zweifel behoben. Auch das Verstummen der kritischen Stimmen, das Seebald35 konstatieren zu dürfen geglaubt habe, ist nach Meinung Hettingers weniger auf die Klarheit der gesetzlichen Regelung als vielmehr darauf zurückzuführen, daß man sich damit abgefunden habe und die Diskussion darüber deshalb schlicht zum Erliegen gekommen sei. 2. Das DVV als materiell-rechtliche Konsequenz des Grundsatzes "ne bis in idem"

Führt man sich die bis an die Wurzeln des Rechtsstaats heranreichende Bedeutung des Doppelverwertungsverbotes vor Augen, so ist nicht erstaunlich, daß sein eigentlicher Geltungsgrund gelegentlich in dem Satz "ne bis in idem" gefunden wurde. Bereits 1925 setzt sich Brandt mit dem vom Reichsgericht entwickelten Verbot der Verwertung von Tatbestandsmerkmalen bei der Strafzumessung auseinander und kommt zu dem Schluß: "Der Grundsatz: "Ne bis in idem" gilt auch für die Strafzumessung". 36 Unter der Herrschaft des Art. 103 Abs. 3 GG, wird man sich heute schwerer damit tun, das einfachge30 31

32 33

Peters, Strafzumessung, in: Handwörterbuch der Kriminologie, 1979, S.136. Sauer, GA 1957, 134. Ko.ffka, JR 1955, S. 323, Fn. 6. Sarstedt I Gage, Die Revision in Strafsachen, S. 264 f.

Hellinger, DVV, S. 51. Hier bezieht sich Heltinger auf Seebald, GA 1975, 230, der deshalb freilich selbst keineswegs mit Kritik spart. 34

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36

Brandt, JW 1925, 2720.

Erstes Kapitel: Umfang und Grenzen des DVV

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setzliehe Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB als eine Ausprägung des dort niedergelegten "Doppelbestrafungsverbots" zu sehen. Art. 103 Abs. 3 GG lautet: "Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden". Darunter wird allgemein nur verstanden, daß nicht ein neues Verfahren mit dem gleichen Gegenstand eröffnet werden darf. Insofern enthält der Satz "ne bis in idem" keinerlei Aussage darüber, welcher Gegenstand in welcher Weise im Verfahren selbst zur Sprache kommen darf. Damit hat er nichts zu tun; vor dem Ausweg, einfachgesetzliche Streitigkeiten mit dem Verfassungsrecht auszutragen, kann nicht eindringlich genug gewarnt werden. Auch Bruns meint, der Grundsatz enthalte nur eine Aussage zum Problem der Rechtskraft von Entscheidungen; des Rückgriffs auf den Gesichtspunkt "ne bis in idem", wie er früher gelegentlich, jedoch zu Unrecht, zur Rechtfertigung des DVV herangezogen worden sei, bedürfe es dafür nicht. 37 Eine Ausnahme macht Montenbruck, der es für erwägenswert hält, ob nicht doch der Verfassungssatz "ne bis in idem" eingreift. Er bezieht sich dabei zwar nicht in erster Linie auf das DVV von Tatbestandsmerkmalen, sondern auf die Problematik der Gesetzeskonkurrenz. Allerdings meint er, der Weg zum Doppelverwertungsverbot sei gleichfalls offenkundig. 38 Interessanterweise hat es nämlich im Bereich der Gesetzeskonkurrenz schon früher den Versuch gegeben, sie als "materielle Konsequenz des Grundsatzes ne bis in idem" aufzufassen. 39 Ebensowenig wie jemand wegen derselben Tat - nacheinander - mehrfach bestraft werden könne, dürfe das Gericht das Verbalten des Täters im gleichen Verfahren doppelt verwerten. 40 Wenn man auch der Herleitung aus dem Verfassungsrecbt, mit der Konsequenz, daß ein Verstoß dagegen die Verletzung eines Grundrechts bedeuten und vor dem BVerfG angegangen werden könnte, nicht folgen mag, so ist eine gewisse Parallelität, insbesondere auch zu der Erscheinung der Gesetzeskonkurrenz, die noch weiterzuverfolgen sein wird, doch unverkennbar.

37

Bruns, 1974, S. 393.

38

Montenbruck, Strafrahmen, S. 181. Z.B. Honig, S. 30. So ausdrücklich Mattil, BayZRPfll927, 134.

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40

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

3. Das DVV als Ausfluß der Arbeitsteilung von Gesetzgeber und Richter

Herkömmlicherweise wird der Geltungsgrund des Doppelverwertungsverbotes aus der "Arbeitsteilung von Gesetzgeber und Richter" hergeleitet. 41 Danach hat der Gesetzgeber durch die Aufstellung der Tatbestände mit den dazugehörigen Strafandrohungen schon einen Teil der Strafzumessungsarbeit "vorweggenommen". Deshalb dürfe der Richter diese Umstände nicht nochmals bei der eigentlichen Strafzumessung in die Waagschale werfen. Sie seien insofern für die richterliche Tätigkeit "verbraucht". 42 So heißt es im Lehrbuch von Maurach I Gössel I Zipf, die Begründung für das Doppelverwertungsverbot ergebe sich aus dem arbeitsteiligen Zusammenwirken und der Aufteilung der Verantwortung für die richtige Strafe zwischen Gesetzgeber und Richter. Den Teil der Stratbemessung, den bereits der Gesetzgeber in genereller Weise gelöst habe, nämlich die Vertatbestandlichung, dürfe der Richter nicht mehr für sich bei der konkreten Strafbemessung in Anspruch nehmen. 43 Auch die amtliche Begründung des E 1962, ebenso wie schon vor ihm der E 1960, sowie der E 1958 nimmt darauf Bezug: Umstände, die bereits Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes seien, hätten den Gesetzgeber bei der Aufstellung des Strafrahmens geleitet und seien daher auf der ganzen Breite dieses Rahmens bereits berücksichtigt. 44 Um die Aufhellung der Zusammenhänge hat sich vor allem Hettinger bemüht. Er konstatiert, daß die Stellungnahmen der h.M. bis in die Begründung des Verbots hinein weitgehend aus der Argumentation der Rechtsprechung abgeleitet und an ihr orientiert seien, den Fundus an Argumenten aber kaum erweitert hätten. 45 Seine Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Für den Gesetzgeber ist eine Vorgehensweise charakteristisch, bei der eine Vielzahl von Fällen ohne Rücksicht auf den Einzelfall abstrakt-generell geregelt werden. Die Tatbestandsmerkmale dienen ihm dazu, das allen diesen Fällen 41 Auf dieser Grundlage hat sich in Deutschland letztlich auch die terminologische Unterscheidung von richterlicher "Strafzumessung" einerseits und gesetzlicher "Strafbemessung" andererseits herausgebildet, vgl. Bruns, 1974, S. 36 ff; ders., 1985, S. 4; Jescheck, AT,§ 82 I 1; Hettinger, DVV, S. 24 f. 42 H.M ., vgl. nur Bruns, 1985, S. 133; ders., 1974, S. 363; Jescheck, AT§ 82 V 1; Hirsch, LK 10. Aufl., § 46 Rdnr. 99; Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 625; Sarstedt, 41. DJT, D 48; vgl. auch Maiwald, Gallas-FS, S. 148. 43

44 45

Maurach I Gössel I Zipf, AT, § 63 Rdnr. 60. Vgl. E 1962, S. 181; E 1960, S. 171; E 1958, S. 62. Vgl. Hellinger, DVV, S. 47 u. 51.

Erstes Kapitel: Umfang und Grenzen des DVV

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Gemeinsame zu beschreiben. Darum könnten sie in dieser allgemeinen Form bei der Strafzumessung im konkreten Fall keine Berücksichtigung mehr finden. Was auf der Ebene der Strafbarkeilsvoraussetzungen als gleichwertig erscheine, könne auf der Ebene der Strafzumessung aber verschiedenes Gewicht haben. Dieses Gewicht im Einzelfall festzustellen, sei Aufgabe des Richters. Dabei sei es ihm verwehrt, auf die Tatbestandsmerkmale in ihrer vom Gesetzgeber verwendeten Funktion zurückzugreifen. Nur in dieser Funktion seien sie verbraucht. Sie haben aber noch eine andere Funktion: Sie Jassen sich nämlich, so weist Hettinger nach, regelmäßig in Maßbegriffe (Steigerungsbegriffe) überführen, die einer inhaltlichen und wertenden Betrachtung zugänglich sind. 46 Eine Körperverletzung kann mehr oder weniger schwer wiegen, der Wert einer gestohlenen Sache kann geringer oder höher sein. In dieser Funktion sind sie erste und wichtigste Strafzumessungsfaktoren für den Richter. 47 Auf diese sog. Doppelfunktion von Tatbestandsmerkmalen und insbesondere die Entdeckung ihrer Steigerbarkeil wird zurückzukommen sein. Im Ergebnis bestätigt Hettinger den Standpunkt der h.M. von der Kompetenzaufteilung zwischen Gesetzgeber und Richter. 48 4. Das DVV als "Verstoß gegen die Notwendigkeit individueller Tatschuldwertung"

Etwas anders als die herrkömmliche Begründung, aber durchaus auf dem Boden der h.M., deutet Zipf das Doppelverwertungsverbot: Er wiederholt zunächst das gängige Argument von der Arbeitsteilung zwischen Gesetzgeber und Richter, meint dann aber, die Mißachtung des DVV ließe sich am treffendsten als "Verstoß gegen die Notwendigkeit individueller Tatschuldwertung" beschreiben. 49 Er führt das DVV damit auf den Grundsatz schuldangemessenen Strafens zurück, der es gebiete, bei den abstrakten Wertungen des Gesetzgebers nicht stehenzubleiben, wie sie sich im gesetzlichen Tatbestand 46 Wimmer, MDR 1948, 73 spricht von "Aktualisierung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale".

Vgl. nur die zusammenfassenden Thesen von Heninger, DVV, S.153- 163. So auch Bruns, JR 1985, 173 in seiner Besprechung der Arbeit; dazu ders., 1985, s. 133. 49 Zipf, Strafmaßrevision, S. 98; ders. , in: Maurach I Gössel I Zipf, AT, § 63, Rdnr. 62. 47 48

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

ausdrücken, sondern zu der individuellen Wertung der Tatschuld im konkreten Einzelfall vorzudringen, um Tat und Täter gerecht zu werden. Den Tatbestandsmerkmalen komme ein Aussagewert für den Unrechts- und Schuldgehalt der individuellen Tat aber dann nicht mehr zu. 50 Zipf hat damit einen neuen Aspekt eingebracht, der von Timpe aufgenommen wurde. Dennoch soll bereits an dieser Stelle auf den Einwand Heltingers aufmerksam gemacht werden, wonach § 46 Abs. 3 StGB zwar ein Verbot enthält, sich ein Gebot, wie es die Pflicht zur individuellen Tatschuldwertung wäre, daraus aber nicht entnehmen läßt. Heltinger meint daher, die Formulierung Zipfs sei "zumindest mißverständlich". 51 Zipf selbst hat diesen Ansatz aber nicht weiterverfolgt. Am Ende, nachdem er klargestellt hat, daß das "Wesen" des DVV mit dem Verstoß gegen die Notwendigkeit individueller Tatschuldwertung erklärt werden könne, heißt es auch bei Zipf: "Es läßt sich am knappsten als Ausbrechen des Srafzumessungsrichters aus dem Rahmen des arbeitsteiligen Zusammenwirkens und Übergriff in das exklusiv dem Gesetzgeber zustehende Gebiet bezeichnen. 52 S. Das DVV als "generalisierender AnwendungsfaD der materiell-rechtlichen Begründungspflicht"

Ganz anders als die h.M. hat Timpe das Doppelverwertungsverbot zu erklären versucht. 53 Die Vorstellung von einem arbeitsteiligen Vorgehen von Gesetz und Richter gehe von einem antiquierten autldärerischen Gewaltenteilungsschema aus. Dahinter stehe der Gedanke, daß der Richter nur vollziehe, was ihm der Gesetzgeber vorgegeben habe. Er glaubt, die Diskussion über Geltungsbereich und Geltungsgrund des DVV gehe damit an der methodischen Erkenntnis vorbei, daß Rechtsanwendung nicht bloße Reproduktion, sondern selbständige Produktion von Norminhalten sei, die vom Rechtsanwender in weitem Umfang eigene Wertungen verlange. Die lückenlose, fertige Rechtsnorm, unter die man nur zu subsumieren brauche, gebe es nicht. 50 Zust. Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 626, die meinen, das DVV werde über den Aspekt der Arbeitsteilung von Gesetzgeber und Richter hinaus auch aus dieser Quelle gespeist; krit. indessen Hettinger, DVV, S. 127 f; sowie Bruns, 1974, S. 374 bei Fn. 12. 51

52

53

Hettinger , DVV, S. 127. Zipf, Strafmaßrevision, S. 100. Timpe, S. 44 ff.

Erstes Kapitel: Umfang und Grenzen des DVV

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Die strenge Trennung von gesetzgebender und richterlicher Funktion sei daher Illusion. Ein qualitativer Unterschied zwischen der Tätigkeit des Gesetzgebers und der des Richters, der das DVV zu fundieren vermag, besteht dann nicht. Das Modell der Arbeitsteilung zwischen Gesetzgeber und Richter hält er deshalb fiir gescheitert. 54 Während es die h.M. dem Richter erlaube, seine Entscheidung hinter dem Gesetz zu verstecken, das er exekutiere, will er den Gesetzesanwender aufrufen, die außerrechtlichen, rechtspolitischen Entscheidungsgründe offenzulegen. Hier sieht Timpe den wahren Grund fiir das strafzumessungsrechtliche DVV: Für ihn ist es ein generalisierender Anwendungsfall der materiell-rechtlichen Pflicht zur Begründung der Strafzumessungsentscheidung. Diese Pflicht, die dem Revisionsgericht die Überprüfung ermöglichen soll, laufe leer, wenn es dem Richter gestattet sei, seine Entscheidung im Strafmaß mit Argumenten zu belegen, die fiir alle unter einen bestimmten Tatbestand subsumierbaren Sachverhalte gleichermaßen gelten. 55 Er faßt seine Überlegungen wie folgt zusammen: Bestehe gerade bei der Strafzumessung ein wechselseitiger Zusammenhang zwischen der Begründung einer Entscheidung und ihrer rechtlichen Nachprüfbarkeit, derart, daß sich die Richtigkeit nicht allein voi Ergebnis her beurteilen läßt, sondern auch der Weg dahin nachvollziehb~ sein müsse, 56 dann stehe dem Fehlen einer Begründung eine Begründung gleich, mit deren Hilfe der "Weg" zum Strafmaß nicht kontrollierbar sei, eine Begründung durch bloße Wiederholung der Tatbestandsmerkmale. 57 Der in § 46 Abs. 3 StGB enthaltene materielle Begründungszwang stellt danach neben der in § 267 Abs. 3 StPO ausgedrückten prozessualen Begründungspflicht den zweiten wichtigen Garant für ein "Mindestmaß an Kontrolle und Schutz vor Willkür in der Strafzumessung" dar. 58 Über das grundsätzliche Bestehen einer zweiten, materiell-rechtlichen Begriindungspflicht besteht in der strafzumessungsrechtlichen Literatur durchaus Einigkeit. 59 Auch daß allein mit den Tatbestandsmerkmalen das Strafmaß im 54 55

Timpe, S. 32 ff. Timpe, S. 45.

56

Für diesen Gedanken beruft sich Timpe auf Zipf, Strafmaßrevision, S. 78.

51

Timpe, S. 53 f.

Timpe, S. 54. Vgl. nur Bruns, 1974, S. 128 f; ders., 1985, S. 264 f; Schäfer, Praxis der StrZ, S. 218 f, Rdnr. 575; Warda, Dogmat. Grundlagen des richterl. Ermessens, S. 187 ff. 58

59

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

konkreten Einzelfall nicht begründet werden kann, wird allgemein herausgestellt. 60 Trotzdem ist der Erklärungsversuch Timpes nicht auf breite Anerkennung gestoßen. 61 Dabei bestehen durchaus Berührungspunkte zur h.M.: Wenn Zipf, vom Boden dieser Meinung aus, das DVV mit der Notwendigkeit individueller Tatschuldwertung erklärt wissen will, dann deutet sich darin bereits die Entwicklung vom Verbot zur Pflicht an. Insofern erscheint es nur folgerichtig, wenn Timpe am Ende seiner Darstellung auf Zipf verweist. 62 Es ist sogar behauptet worden, die abweichende Begründung Timpeslaufe "der Sache nach" auf dasselbe hinaus. 63 Jedenfalls schließe TimpesDeutung des DVV die eingespielten Begründungsmuster nicht aus. 64 Bruns meint, die Arbeit von Timpe lasse "merkwürdige Vorstellungen von Sinn und Grenzen des DVV erkennen"; jedenfalls sei doch im Ergebnis so gut wie nichts gewonnen, weil der Rechtsfehler, daß das Strafmaß nicht in generalisierender Betrachtung gewonnen werden dürfe, gleich bleibe. 65 Auch Lampe hält das Ergebnis für "wenig plausibel "66 - allerdings mit der ebenfalls wenig plausiblen Begründung, eine solche Umdeutung fordere von dem Richter, er solle seiner rationalen Begründung andere Kriterien zugrunde legen als jene, welche für die letzthin vom Rechtsgefühl gesteuerte Fällung der Entscheidung maßgeblich waren. Es fragt sich, was daran verkehrt sein soll? Dagegen ist Bergmann der Meinung, Timpes Erklärung stelle die Gegebenheiten "nachgerade auf den Kopf". 67 Die materiell-rechtliche Begründungspflicht diene dazu, die Beachtung des Doppelverwertungsverbotes sicherzu-

60 Vgl. Schönke I Schröder-Stree, § 46 Rdnr. 45: Unzulässig sei es nach dem DVV, Tatbestandsmerkmale "als Argument" für die Erhöhung oder die Reduzierung der Strafe zu verwenden.

61 Zust. wohl Schönke-Schröder-Stree, § 46 Rdnr. 45 a a.E., der für die Grenzen des DVV auf Heninger, für die Begründung aber auf Timpe verweist; Hauser, Verknüpfungsproblematik, S. 71 scheint die Bedenken Timpesjedenfalls ernst nehmen zu wollen; teilw. zust. Neumann , StV 1991, 257; sowie Alberts, S. 116; krit. insbes. Bruns, JR 1985, 173 f; ders., 1985, S. 132 u. 150. 62

63

Timpe, S. 54, Fn. 153. Schall I Schirrmacher, Jura 1992, S. 626, Fn. 65.

64

Neumann, StV 1991, S. 257.

65

Bruns, 1985, S. 132. Lampe, Noll-FS, S. 240, Fn. 13 a. Bergmann, Die Milderung der Strafe, S. 23.

66

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Erstes Kapitel: Umfang und Grenzen des DVV

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stellen68 - und nicht umgekehrt. Darin scheint in der Tat der entscheidende Einwand gegen Timpe zu liegen. Es ist schon schwer, sich den Anwendungsfall einer Pflicht als ein Verbot vorzustellen. 69 Aber Timpe verkennt auch den Charakter der Begründungspflicht: Der prozessuale Begründungszwang bezieht sich auf die Wiedergabe der wahren Gründe, der materiell-rechtliche Begründungszwang fordert vom Richter die Angabe hinreichender Gründe; die Anführung überzeugender Gründe hat keine der beiden im Auge. Mit der Stichhaltigkeit der Argumentation hat die Begründungspflicht gerade nichts zu tun. 10 Das Doppelverwertungsverbot soll aber nicht bloß sicherstellen, daß die Strafzumessungsentscheidung "richtig begründet" ist, wie Timpe71 meint, sondern soll dazu beitragen, daß die Strafe selbst richtig ist. 72 6. Das DVV des § 46 111 StGB als schlichtes logisches Prinzip Für die naheliegendste und einfachste Erklärung hat sich Bergmann ausgesprochen: Bergmann will den normtheoretischen Hintergrund des DVV weniger im Prinzip der Gewaltenteilung und der daraus resultierenden "Arbeitsteilung von Gesetzgeber und Richter" sehen, als vielmehr in den "Gesetzen der Logik", an denen sich jede normkonforme Entscheidung unabhängig von allen sonstigen Erfordernissen auszurichten habe. 73 Ein Merkmal, das an jeder Stelle des Strafrahmens vorausgesetzt ist, kann schon aus Gründen der Logik nicht dazu dienen, eine konkrete Strafe innerhalb dieses Rahmens zu finden. 74 Für ihn sind Tatbestandsmerkmale "klassenbildende Merkmale", innerhalb einer Klasse kann aber das gemeinsame klassenbildende Merkmal nicht zur Differenzierung beitragen: "Denn ein derartiger Gesichtspunkt beherrscht das 68 So wie die prozessuale Begründungspflicht nach § 267 III StPO dazu dient, dies auch zu überprüfen, siehe Streng, Strafrecht!. Sanktionen, S. 213. 69

So formuliert Hettinger, GA 1993, S. 12, Fn. 59.

10

Vgl. Bruns, 1985, S. 265.

71

Vgl. T1111pe, S. 89.

72

So auch Bergmann, Die Milderung der Strafe, S. 23.

73

Bergmann, Die Milderung der Strafe, S. 23; zust. SK-Horn, § 46 Rn. 150.

Auf die Logik beruft sich auch Dreher, JZ 1968, 213; ders., JZ 1957, 156dort spricht er von einem "logisch zwingenden Satz" ; Bruns, Mayer-FS, S. 353 meint, das DVV erscheine "logisch unanfechtbar"; Hauser, Verknüpfungsproblematik, S. 71 will den Gedanken ebenfalls als "logische Folgerung" anerkennen; vgl. auch Jagusch , LM zu§ 44 StGB Nr. 10, der daran allerdings die Bemerkung knüpft, diese "Logik de lege lata" versage praktisch. 74

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

Strafminimum, das Maximum und alle dazwischenliegenden Größen unterschiedslos in gleicher Weise. "75 Beispielhaft: Ein Meineid kann nicht mit einer bestimmten Größe aus dem dafür vorgesehenen Strafrahmen belegt werden, "weil es eben ein Meineid ist". 76 Das wäre schlicht unlogisch. Darum hat Bruns recht, wenn er sagt: "Tatbestandsmerkmale sind eben keine Srafzumessungsgründe für den Richter!"n So betrachtet, ist das Verbot der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen tatsächlich eine Banalität. 711 Der Richter darf, soweit es das DVV angeht, jeden Grund, der ihm einfällt, zum Strafrumessungsgrund machen, und mag er noch so unsachlich oder falsch sein. Nur eines geht nicht: Aus Gründen der Logik ist es ihm dabei verwehrt, ein gemeinsames klassenbildendes Merkmal zu benutzen. Das ist das Verbot, das § 46 Abs. 3 StGB aufstellt. Ein Gebot kann darin nicht erblickt werden, weder das Gebot, die Entscheidung wahr oder hinreichend zu begründen, noch das Gebot, sich an seinen arbeitsteiligen Kompetenzbereich zu halten. Irreführend ist daher auch der Name: Mit einer doppelten Verwertung, nämlich durch den Gesetzgeber bei der Schaffung der Strafrahmen einerseits und durch den Richter bei der Findung der konkreten Strafe aus diesem Strafrahmen andererseits, hat das DVV in Wahrheit wenig zu tun. 79 Es gilt unabhängig von der Arbeitsteilung von Gesetzgeber und Richter. Sonst wäre es in der Tat schwer zu erklären, warum das DVV auch für solche Tatbestandsmerkmale gilt, vor allem die sog. offenen oder wertausfüllungsbedürftigen Tatbestandsmerkmale, bei denen der Gesetzgeber wenig oder nichts vorweggenommen, jedenfalls genausowenig vorentschieden hat wie bei den besonders schweren und minder schweren Fällen, bei denen das DVV deshalb nicht 15 Dieser Begründung folgen seit Beling, IW 1924, 1721 z.B.: Bruns, 1974, S. 363; ders., 1985, S. 133; Dreher, IZ 1957, 155; ders., IZ 1968, 213; Neumann, StV 1991, 257; vgl. auch die amtlichen Begründungen E 1958, S. 62; E 1960, S. 171; E 1962, S. 181.

76 Bergmann, Die Milderung der Strafe, S.23 unter Verweis auf BGHSt 17, 321 (324), wo es wortwörtlich so steht (!); um einen Meineid ging es auch schon bei der Anmerkung Betings, IW 1924, 1721; und immer wieder: z.B. BGH bei Dallinger MDR 1953, 148.

n Bruns, 1974, S. 364; ders. , 1985, S. 133; ders. schon, Mayer-FS , S. 356.

Bergmann, Die Milderung der Strafe, S. 23; Bruns, Mayer-FS, S. 353: ein Rechtssatz, der jedermann alsbald einleuchten müsse; Dreher, IZ 1957, 155: eine "strafrechtliche Binsenwahrheit" . 711

79 Bergmann, Die Milderung der Strafe, S. 23 möchte es daher am liebsten in Anführungszeichen setzen - Sauer, GA 1957,134 setzt es wirklich in Anführungszeichen.

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gelten soll. 80 Insofern ist der Kritik Timpes an dem Erklärungsmodell der h.M. die Berechtigung nicht ganz abzusprechen. Im folgenden soll nun, nachdem mit der schlichten logischen Erklärung gleichsam der "kleinste gemeinsame Nenner" gefunden ist, untersucht werden, welche Auswirkungen die verschiedenen Sichtweisen des DVV für die hier interessierende Frage seiner Reichweite haben.

111. Zur Reichweite des DVV 1. Tatbestandsmerkmale und deren Konkretisierungen und Modalitäten

Die Geltung des Doppelverwertungsverbotes für Tatbestandsmerkmale ist spätestens seit Einführung der gesetzlichen Regelung unbestritten. Schließlich heißt es in § 46 Abs. 3 StGB in einer Weise, "die an Klarheit nichts zu wünschen übrig läßt": 81 Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden. Für die h.M. -das sei noch einmal wiederholt - hat das seinen Grund darin, daß Tatbestandsmerkmale "antizipierte Strafzumessungsgründe" 82 sind. Die gesetzlichen Tatbestände stellen demnach im Grunde schon "einen großen Katalog von Strafzumessungsgründen"83 dar, in denen der Gesetzgeber bereits einen Teil der Strafrumessungsarbeit "vorweggenommen" hat. 84 Aber die Geltung des Prinzips für Tatbestandsmerkmale wird ja auch von den anderen Meinungen nicht in Frage gestellt. Beispiele für Verstöße, in denen ein Gericht wirklich einmal ein Tatbestandsmerlemal und nichts weiter als ein Tatbestandsmerkmal bei der Strafzumessung erneut berücksichtigt hätte, sind allerdings rar. Da gibt es zwar die Entscheidung zu § 222 StGB, in der das Reichsgericht rügt, die Strafkammer habe bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten erwogen, daß seine Handlungsweise "den Tod eines Menschen" zur

80 Hier bezieht sich Timpe, S. 42 auf eine verbreitete Meinung, die das DVV bei unbenannten Strafrahmenänderungsgründen nur eingeschränkt gelten lassen will indessen unnötigerweise, denn es gilt hier wie dort gleichermaßen, vgl. Hettinger, S. 211 ff, insbes. S. 215 f.

81 Seebald, GA 1975, 230. 82 So z.B.: Zipf, Strafmaßrevision, S. 3; Calliess, JZ 1975, 116; Schall I Schirrm-

acher, Jura 1992, 626 83 Nagler, GS 94 (1927), 84. 84

Bruns, 1974, S. 363.

30

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

Folge gehabt habe. 85 Mehr erfährt man dort leider nicht über die Zumessungserwägungen des Ausgangsgerichts, aber das wird ja wohl nicht alles gewesen sein. Daß bei einem Tötungsdelikt in den Urteilsgründen tatsächlich lediglich die Tatsache strafschärfend berücksichtigt würde, daß der Täter einen Menschen getötet hat, ist ein LehrbuchfalL In der Praxis klingt das anders: Da ist die Rede davon, daß "ein junger Mensch sein Leben verloren" hat und "ein junges Mädchen schwer verletzt worden ist", 86 daß der Täter "den Tod eines erst lO Monate alten Menschen verursacht", 87 ein "junges Menschenleben", 88 einen Menschen "in jungen Jahren", 89 ein "junges, hoffnungsvolles Menschenleben",90 ein "junges, blühendes Leben" 91 ausgelöscht, bzw. "einengesunden Menschen in den besten Lebensjahren" , KojJka,

Ndschr., Bnd. 12, S. 59.

121 Streng,

Strafrecht!. Sanktionen, S. 205. auch Seebald, GA 1975, 230; vgl. Bruns, JR 1980, 338: Das DVV sei "im Kern berechtigt" und werde "durch die Anerkennung der Modalitäten" der Tatbestandsverwirklichung als Strafzumessungsgrund "in vernünftigen Grenzen" gehalten. 122 So

123 Hettinger,

124 Schäfer,

125 Bruns, 126 Siehe

DVV, S. 98 ff u. 123 ff.

Praxis der StrZ, Rdnr. 304.

1985, S. 136; ders., Mayer-FS, S. 361; ders., 1974, S. 369.

Schönke I Schröder-Stree, § 46 Rdnr. 48.

127 Bruns,

1985, S. 136; ders. , Mayer-FS, S. 362; ders., 1974, S. 369.

128 Seebald,

GA 1975, 232.

Erstes Kapitel: Umfang und Grenzen des DVV

35

Bedenken gegen die Verwendung von "Normalfällen" hat. 129 Genauso selbstverständlich ist die Grenze demjenigen, der im DVV einen Anwendungsfall der materiell-rechtlichen Begründungspflicht sieht: Ein Richter, der ein bestimmtes Strafmaß mit dem Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals begründet, argumentiert nicht, der "redet" nur. 130 Sobald er aber die konkreten Ausprägungen heranzieht, beginnt er zu begründen. Aber soviel ist auch schon aus Gründen der Logik einsichtig: Wenn es in den Urteilsgründen heißt, strafschärfend (im Verhältnis wozu?) sei zu berücksichtigen gewesen, daß der Täter den Tod eines Menschen "verursacht", 131 "sich über das Leben eines anderen hinweggesetzt", 132 ein Menschenleben "ausgelöscht" habe, 133 dann ist das schon aus logischen Gründen ungeeignet, daran eine Differenzierung anzuknüpfen, weil es doch an einem Vergleichsfall fehlt, in dem das nicht so wäre. Setzt der Richter aber hinzu, daß ein besonders junges, hoffnungsvolles Menschenleben vernichtet wurde, oder nimmt er sonst irgendwie auf die Persönlichkeit des im Einzelfall getöteten Menschen Bezug134 - es genügte schon die Angabe des Namens -, dann ist es nicht mehr unlogisch, deshalb auf eine höhere Strafe zu erkennen. Es ist möglicherweise falsch, aber kein Verstoß gegen das DVV: denn darin unterscheiden sich die Fälle, die unter den Tatbestand fallen, durchaus. Daß Modalitäten, Steigerungen und Abstufungen, herangezogen werden dürfen, ist aus Gründen der Logik geradezu selbstverständlich, es folgt aber auch aus dem Gesetz. Die meisten der oben angesprochenen Beispiele sind Fällen der fahrlässigen Tötung entnommen, am Beispiel der Fahrlässigkeit läßt sich das auch besonders gut nachweisen: Der Grad der Fahrlässigkeit kann erheblich variieren, ihn zu berücksichtigen, widerspricht nicht der Logik. Das Doppelverwertungsverbot erlaubt esns - § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB verlangt es sogar: Dort heißt es ausdrücklich, das Maß der Pflichtwidrigkeit

129 Hettinger, 130 Neumann,

DVV, S. 135 ff. StV 1991,257.

131 So in BayObLG, NJW 1974, 250; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 303 spricht hier von Ausdrücken, die den tatbestandsmäßigen Erfolg nur "umschreiben".

132 Vgl. 133 Vgl.

BGH StV 1982, 166- allerdings für den Fall des vorsätzlichen Mordes.

BGH VRS 5, 213. 134 Insofern richtig: RG, Das Recht 1906, Nr. 1861 . 135 Auch das steht schon in RG, Das Recht 1906, 759 Nr. 1861.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

sei zu berücksichtigen. Die Absätze zwei und drei waren im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens ausdrücklich vertauscht worden, damit der Katalog von Zumessungsgesichtspunkten nicht als eine Ausnahme vom DVV erschiene. 136 Dasselbe gilt von der "Art der Ausführung", wie es in § 46 Abs. 2 StGB heißt und womit die Modalitäten der Tatbestandserfüllung angesprochen sind. Aber mit der Anerkennung dieser "Einschränkung" des DVV beginnen die Probleme für die h.M. erst: Eine scharfe Abgrenzung der "gerade noch" und der "schon nicht mehr" von dem Verbot der DV erfaßten Fälle sei "nicht immer leicht", 137 "oft kaum möglich" . 138 Abgrenzungsschwierigkeiten blieben natürlich. 139 In "Grenzfällen" würde das Doppelverwertungsverbot leicht übersehen. 140 In der Tat sei die "richtige Bestimmung der Stelle" 141 problematisch, an der das generelle Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes durch die besondere Art seiner Verwirklichung "so individuelles Gepräge gewinnt", 142 daß die Berücksichtigung bei der Strafzumessung zulässig wird. Darin wird überhaupt der "wunde Punkt" der Lehre vom DVV gesehen. 143 Indessen zu Unrecht: Problematisch wird die Abgrenzung erst, wenn man über den Wortlaut des § 46 Abs. 3 StGB hinaus beginnt, neben den Umständen, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind (Mensch, tot, Sache, fremd, beweglich, Wegnahme) auch die Verwertung von Umständen auszuschließen, die die Tatbestandsmerkmale im konkreten Fall "ausfüllen" 144 oder "ausschmücken"14s und damit stets bereits Konkretisierungen (Ausprägungen, Modalitäten) für den Einzelfall enthalten. Das Schwurgericht hatte in Rechnung gestellt, "daß der Angeklagte seinen tiefen Haß gegen seine Ehefrau auf das unschuldige Opfer übertrug, daß es ihm völlig gleichgültig war, daß dafür ein anderer Mensch sterben" mußte. 136 So jedenfalls Horstkone, Prot.V, S. 2792 - auf diese Weise löst sich auch der Widerspruch auf, den Krauß, Bruns-FS, S. 28 zu sehen glaubt. 137 Koffka, LK 9. Aufl. , § 13 Rdnr. 89. 138 Jagusch, LK 8. Aufl., vor§ 13, 8 111d. 139 Bruns, 1985, S. 137. 140 Streng , Strafrechtl. Sanktionen, S. 206. 141 Bruns, 1974, S. 370. 142 Dreher, JZ 1957, 155. 143Jagusch, LK 8. Aufl., vor§ 13 8 II ld. 144 So 8GH bei Dallinger, MDR 1971 , 16. 14sSo formuliertAlberts , S. 114.

Erstes Kapitel: Umfang und Grenzen des DVV

37

Der BGH führte dazu aus, Tatumstii.nde, die lediglich ein Tatbestandsmerkmal "ausfüllten", dürften nach § 46 Abs. 3 StGB nicht strafschärfend verwertet werden. 146 Das steht aber nicht in § 46 StGB, Mordmerkmal und damit für die Zwecke der Strafzumessung ausscheidendes Tatbestandsmerkmal wäre allein das normative und insofern wertausfüllungsbedürftige Tatbestandsmerkmal "aus niedrigen Beweggründen" gewesen} 47 Die konkrete Art der Verwirklichung dieses Mordmerkmals ("aus Haß") ist davon nicht erfaßt und steht der Strafzumessung prinzipiell zur Verfügung. Wenn darin trotzdem ein Fehler gesehen werden soll, so muß der Fehler anderswo gesucht werden, etwa weil der tiefe Haß im Vergleich zu den anderen Mordmerkmalen weder besonders schwer noch besonders leicht ins Gewicht tällt, oder weil die Tatsache, daß ihm der Tod eines anderen Menschen gleichgültig war, regelmäßige oder typische, wenn auch nicht notwendige, Erscheinung des Mordbildes ist und von daher nicht verwertet werden darf. Das sind aber hier nicht die Fragen, ein Tatbestandsmerkmal, wie § 46 Abs. 3 StGB es meint, ist damit jedenfalls nicht verwertet worden. Hettinger hält freilich schon die Formulierung des § 46 Abs. 3 StGB für mißlungen, richtigerweise würden auch und gerade die Tatsachen ausgeschlossen, die ein Tatbestandsmerkmal im konkreten Einzelfall "repräsentierten" } 48 Wie sich das mit der nach h.M. und von ihm selbst vertretenen149 erlaubten Verwertung der konkreten Modalitäten der Tat verträgt, ist unklar. Zuzugeben ist, daß die Formulierung des § 46 Abs. 3 StGB Probleme bereitet: "Umstände" sind nicht "Merkmale" des gesetzlieben Tatbestandes, sondern können als Tatsachen nur zum Lebenssachverhalt gehören. In ihrer konkreten Ausprägung "repräsentieren" sie vielmehr, soweit sie einem Tatbestandsmerkmal unterfallen, dieses im Einzelfall. Die gleiche Ungereimtheit haftet auch § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB an. 150 Wollte man den § 46 Abs. 3 StGB 146 BGH

bei Dallinger, MDR 1971 , 16.

147 Vgl.

zu den normativen Tatbestandsmerkmalen und zu der Tatsache, daß die Geltung des DVV in diesen Fällen mit der Arbeitsteilung von Gesetzgeber und Richter allein nicht recht plausibel zu machen ist, 1impe, Strafmilderungen des AT, s. 42. GA 1993, S. 8, Fn. 37- darum sei nicht herumzukommen, die wahre Bedeutung erschließe sich daher nur aus der Entstehungsgeschichte. 148 Herringer,

149 Hettinger,

GA 1993, 9.

GA 1993, 7 - Richtig dagegen § 267 Abs.1 Satz 1 StPO: "Tatsachen ... , in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden", mit dem § 46 Abs. 3 StGB nicht genügend abgestimmt worden sei. 150 Hellinger,

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

aber so verstehen, als seien damit stets diejenigen Tatsachen ausgeschlossen, die im Fall die Tatbestandsmerkmale repräsentieren, so wäre damit auch die konkrete Art der Verwirklichung dieser Tatbestandsmerkmale, also ihre Ausprägungen und Modalitäten, stets von der Verwertung in der Strafzumessung ausgeschlossen. Denn schließlich können auch nur die konkreten Umstände der konkreten Tat die Tatbestandsmerkmale "repräsentieren". Ihnen haftet umgekehrt das gleiche Manko an wie jenen: sie können niemals Tatbestandsmerkmale "sein". Aus diesem Dilemma kann man sich in der Tat nur unter Rückbesinnung auf den Gesetzeszweck befreien. 1s1 Mit den "Tatbestandsmerkmalen" will § 46 Abs. 3 StGB nämlich gerade die Umstände ausschließen, die notwendig auf alle Deliktsverwirklichungen der betreffenden Art zutreffen, weil solche Umstände stets nur zu dem Strafrahmen zurückführen, den man mittels der Subsumtion unter diese Tatbestandsmerkmale aufgefunden hat, und weil daran deshalb aus logischen Gründen keine Differenzierung innerhalb dieses Rahmens geknüpft werden kann. Deshalb ist jede konkrete Ausprägung eines Merkmals, die den Einzelfall von anderen Fällen abhebt, unter dem Gesichtspunkt des DVV eine erlaubte Strafzumessungserwägung. Es gibt insoweit insbesondere keine etwa erst noch zu übersteigende Grenze der "individuellen Prägung" 1s2 , die ein Merkmal erst noch gewinnen müßte. Modalitäten, Ausprägungen und Konkretisierungen sind per se erlaubte Strafzumessungsfaktoren. Beispielhaft sei die folgende Entscheidung angeführt, m bei der es um eine fahrlässige Tötung in Tateinheit mit Trunkenheit am Steuer ging: "Zu Unrecht rügt die Revision, das LG habe bei den Strafzumessungserwägungen Merkmale der gesetzlichen Tatbestände als strafschärfend herangezogen und hierdurch gegen § 13 Abs. 3 StGB verstoßen. Das LG hat nicht nur dargelegt, der Angeklagte habe trotz reichlichen Alkoholgenusses nicht die Hände vom Steuer gelassen, sondern in diesem Zusammenhang festgestellt, daß er mindestens 18 Glas Bier getrunken habe, um damit die große Menge des Bieres, das er zu sich genommen hatte, hervorzuheben. Es hat auch nicht allein ausgeführt, daß sich der Angekl. unter Mißachtung aller allgemeinen Warnungen tst So

auch Heninger, GA 1993, S. 7, Fn. 37.

1s2 Dreher,

ts3 0LG

StGB.

JZ 1957, 155.

Koblenz VRS 1973, 75- heute würden wir sagen: im Verkehr, vgl. § 316

Erstes Kapitel: Umfang und Grenzen des DVV

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vor dem Alkoholgenuß als Kraftfahrer in seinen Wagen gesetzt habe, sondern hinzugefügt, daß er die Heimfahrt über eine weite und kurvenreiche Strecke angetreten habe und mit einer unangemessenen, zu hohen Geschwindigkeit gefahren sei. Es hat auch nicht lediglich herangezogen, daß zwei Menschen getötet, bzw. verletzt worden seien, sondern im selben Satz ausgeführt ... " , daß "einjunges Menschenleben ausgelöscht und ein anderer junger Mensch erheblich verletzt wurde ... In allen diesen Überlegungen hat das LG - entgegen der Auffassung der Revision - nicht lediglich Merkmale des gesetzlichen Tatbestands strafschärfend verwertet. Es hat vielmehr die Tatfolgen nur im Zusammenhang mit besonderen straferhöhenden Einzelumständen gewürdigt. " 154 Dem ist, soweit es das DVV betrifft, voll zustimmen. Im Ergebnis bestehen allerdings gewichtige Bedenken unter dem Aspekt des Gleichheitssatzes des Art. 3 GG gegen die strafschärfende Berücksichtigung des Lebensalters und unter dem Aspekt des "Regeltatbildes" hinsichtlich der sonstigen Erwägungen. 2. Exkurs: Ungleichwertige Tatbestandsalternativen Eine echte Ausnahme vom Verbot der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen besteht nach h.M.m in einem Fall: Dann nämlich, wenn ein Straftatbestand mehrere Alternativen vorsieht, die einander ungleichwertig sind, sollen die bloßen Tatbestandsmerkmale innerhalb des aufgestellten Strafrahmens noch einmal berücksichtigt werden dürfen. 156 Anderer Ansicht ist, soweit erkennbar, nur Timpe: 157 Gemessen am Wortlaut des § 46 Abs. 3 StGB sei das Doppelverwertungsverbot in diesen Fällen verletzt - was ja die h.M. durchaus genauso sieht - und auch nach dem materiellen Gehalt des Doppelverwertungsverbotes als generalisierendem Anwendungsfall der sachlichrechtlichen Begründungspflicht sei die Verwertung der Tatbestandsmerkmale zur Begründung der Strafzumessungsentscheidung falsch. - Hier allerdings scheiden sich die Geister, denn die h.M. will ja hier eine Ausnahme zulassen. 154 0LG 155 Z.B.

Koblenz VRS 1973, 75 (Hervorhebungen im Orginal).

Kojjka, LK 9. Aufl, § 13 Rdnr. 87; Hirsch, LK 10. Aufl., § 46 Rdnr. 101; ähnl. Schönlee I Schröder-Stree, § 46 Rdnr. 47; Schdfer, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 305; siehe auch Bruns, 1974, S. 368 f; ders., 1985, S. 136; Mayer-FS, S. 391. 156 So ausdrücklich OLG Bremen, NJW 1952, 158: "darf, obwohl Tatbestandsmerkmal, als Strafzumessungsgrund berücksichtigt werden". 151 Timpe, S. 49, Fn. 122.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

Ein Beispiel: § 1 Abs. 2 StVO lautet, jeder Verkehrsteilnehmer hat sich so zu verhalten, daß kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. In Verbindung mit § 49 Abs. 1 Nr. 1 StVO stellt er eine Ordnungswidrigkeit dar. Wird nun bei einem Verkehrsunfall jemand geschädigt, dann wiegt das schwerer, als wenn er nur gefährdet worden wäre. Insoweit wird argumentiert: Die Schädigung sei zwar Tatbestandsmerkmal und unterläge damit eigentlich dem Doppelverwertungsverbot Ihre Berücksichtigung als Strafzumessungsgrund sei aber gleichwohl "gerechtfertigt", weil § 1 StVO neben der Schädigung anderer auch deren bloße Behinderung, Belästigung oder Gefährdung unter Strafe stelle. 158 In einem anderen Fall 159 ging es um die Beteiligung an einer Schlägerei, damals sagte man Raufhandel (§ 227 StGB). Das Reichsgericht argumentierte: Zwar gehöre die Verursachung des Todes eines Menschen durch die Schlägerei zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 227 StGB. Allein, der Tod sei nicht "unbedingtes Tatbestandserfordemis"; es genüge auch schon die Verursachung einer schweren Körperverletzung. Die Strafkammer habe lediglich bemerklich machen wollen, daß hier der im Gesetz vorgesehene schwerere Erfolg eingetreten sei, die Sache für den Beschuldigten also ungünstiger liege, als wenn es bei der zweiten gesetzlichen Möglichkeit, bloße schwere Körperverletzung, sein Bewenden behalten hätte. tro Dies liefe im Ergebnis auf die Unterscheidung zwischen "unbedingten Tatbestandsmerkmalen", für die das Doppelverwertungsverbot Geltung hätte, und "bedingten Tatbestandsmerkmalen" hinaus, für die das DVV keine Geltung beanspruchen könnte. 161 Beide Argumentationen sind falsch.

158 0LG

Bremen, NJW 1952, 158. GA 56 (1909), 95. troSo RG GA 56 (1909), 95; zust. Bruns, 1985, S. 136; ders., 1974, S. 368; ders., Mayer-FS, S. 361; Hirsch, LK 10. Aufl., § 46 Rdnr. 101; krit. Hettinger, DVV, S. 42, Fn. 78 - allerdings nicht zur Möglichkeit der strafschärfenden Berücksichtigung ungleichwertiger Tatbestandsalternativen, sondern weil objektive Strafbarkeilsbedingungen unter dem Blickwinkel des Schuldprinzips außer Betracht zu bleiben hätten. 159 RG

161 Vgl. RG GA 56 (1909), 95: Es sei nicht rechtsirrtümlich, bei Verurteilung aus § 227 StGB die Verursachung des Todes eines Menschen bei der Strafzumessung in Betracht zu ziehen, "weil dieses Tatbestandsmerkmal kein unbedingtes ist." (Leitsatz)

Erstes Kapitel: Umfang und Grenzen des DVV

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Weder können Tatbestandsmerlemale ausnahmsweise ("gerechtfertigt") einen Strafzumessungsgrund abgeben, noch handelt es sich dabei um eine Qualität von Tatbestandsmerlemalen (bedingt I unbedingt), die sie von anderen unterscheidet. Im Hinblick auf das Doppelverwertungsverbot sind alle Tatbestandsmerlemale gleich. Das meint wohl auch Timpe, der jedoch zu Unrecht von einer Verletzung des Doppelverwertungsverbotes in diesen Fällen ausgeht. 162 Dabei scheint gerade unter dem Blickwinkel der materiellen Begründungspflicht ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot eher zweifelhaft. Offenbar läßt sich das konkrete Strafmaß in diesen Fällen mit den Tatbestandsmerlemalen ja doch ganz vernünftig begründen. Vom Standpunkt der Logik aus kann jedoch zwischen den Tatbestandsmerlemalen kein Unterschied bestehen. Als solche sind sie eben keine Strafzumessungsgründe für den Richter.163 Bei näherem Hinsehen zeigt sich indes, daß es nur scheinbar die Tatbestandsmerkmale sind, die nochmals verwertet werden. In Wahrheit werden nicht die Tatbestandsmerlemale verwertet, sondern die Tatsache, daß sie zu zwei oder mehreren Tatbeständen (Alternativen) gehören, die in einem einzigen Straftatbestand zusammengefaßt sind. Das ist aber etwas ganz anderes. Dieser Umstand wird nämlich kein zweites Mal, sondern erstmals jetzt bewertet, wo es darauf ankommt, ob zwischen beiden Tatbestandsalternativen in der Strafzumessung ein Unterschied besteht. Deshalb: "ungleichwertige Tatbestandsalternativen •. 164 Darum ist es auch unstreitig ohne Verstoß gegen das DVV möglich, zu berücksichtigen, daß der Täter mehrere (gleichwertige oder ungleichwertige) Alternativen eines Tatbestandes auf einmal verwirklicht hat: Diese Tatsache ist ja ebenfalls vorher noch nicht verwertet worden. 165 Was auf der Ebene der Strafbarkeitsbegründung gleich erscheint - ob ein Täter nun eine Waffe benutzt oder die Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung begeht, beides ist nach § 223 a StGB strafbar-, kann auf

162 Timpe,

S. 49, Pn. 122.

163 So der Ausspruch von Bruns, 1974, S. 364- wiederholt in Bruns, 1985, S. 133. 164 So nennt sie Bruns, 1985, S. 136. 165 Vgl. BGH bei Dallinger, MDR 1971, 363; BGH bei HolJz, MDR 1976, 986; BGH GA 1980, 470; zust. Schönlee I Schröder-Siree, § 46 Rdnr. 47; Hettinger, DVV, S. 158 - allen feinsinnigen Differenzierungen zum trotz meint BGH MDR 1992, 17 freilich, bei § 223 a StGB müsse das Tatgericht nach Bejahung der einen die andere Alternative gar nicht mehr prüfen, weil der Strafrahmen, aus dem die Strafe zuzumessen sei, ohnehin derselbe sei.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

der Ebene der Strafzumessung durchaus unterschiedliches Gewicht haben. 166 Die eine Alternative könnte dort schwerer wiegen als die andere. 167 Deshalb darf die Verwirklichung der schwerwiegenderen Tatbestandsalternative (nicht: der Tatbestandsmerkmale!) als Strafschärfungsgrund herangezogen werden. 168 Denn dann muß der gemeinsame Strafrahmen ja auch die leichtere "decken". 169 Zu Ende gedacht, bedeutet das, dem Richter steht nach Bejahung des Tatbestands einer der beiden Alternativen nicht der gesamte Strafrahmen zur Verfügung, sondern nur ein engerer, der jeweiligen Alternative angemessener Strafrahmen. Denn mindestens die Strafen an der Obergrenze müßten ja der schwereren Alternative, die an der Strafrahmenuntergrenze der leichteren Alternative vorbehalten sein, wenn die Alternativen auf der Rechtsfolgenseile nicht "deckungsgleich" sein sollen. Innerhalb dieses engeren Strafrahmens gilt aber das DVV in genau gleicher Weise wie sonst auch: 110 die Umstände, die schon Tatbestandsmerkmale sind, treffen innerhalb dieses Rahmens unterschiedslos auf alle Größen gleichermaßen zu. Von einem Verstoß gegen das DVV könnte daher in Wahrheit nur die Rede sein, wenn ein Tatbestandsmerkmal innerhalb dieses Rahmens noch einmal berücksichtigt würde, das will aber auch die h.M. nicht tun, sie fordert lediglich dazu auf, innerhalb des für beide Alternativen gedachten Gesamtstrafrahmens den engeren, der jeweiligen Alternative angemessenen Strafrahmen aufzufinden. Dazu können die Tatbestandsmerkmale aber selbst nach Meinung Timpes herangezogen werden. 171 Nur sagt es die h.M. nicht so, weil sich der engere, der jeweiligen Alternative angemessene Strafrahmenausschnitt freilich auch kaum willkürfrei

166 So

auch Hettinger, DVV, S. 159, Fn. 25.

ist die Argumentation von Freister, DStR (GA) 1936, 391 f so abwegig nicht, wenn er meint, daß der gesetzliche Strafrahmen "zwei nicht wesensgleiche" Tatbestände decken muß - allein, die Ungleichbehandlung von Juden und arischen Deutschen war nicht hinnehmbar, Art. 3 Abs. 2 GG. 167 Darum

168 So richtig: Bruns, 1985, S. 136; ders.,1914, S. 368; Mayer-FS, S. 361.- Eine Ausnahme ist allerdings fl.ir solche Fälle zu machen, in denen zwei Alternativen regelmäßig zusammen verwirklicht werden, z.B. wenn bei § 223 a StGB Schußwaffenbenutzung und lebensgefährliche Behandlung zusammenfallen, hier verdient der Täter vielmehr Milderung, wenn die regelmäßige Folge der Benutzung von Schußwaffen im Einzelfall einmal nicht eintritt.

169 Bruns,

1985, S. 136.

auch Timpe, S. 49 , Fn. 122. 171 Vgl. Timpe, a.a.O.: Die Wiederholung der Tatbestandsmerkmale tauge nur, einen engeren Strafrahmen innerhalb des weiten Gesamtstrafrahmens zu begründen. 110 So

Erstes Kapitel: Umfang und Grenzen des DVV

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festlegen ließe. 172 Das alles macht weiterhin nur Sinn, wenn der vom Gesetzgeber vorgesehene, einheitliche Strafrahmen wirklich nicht für beide Alternativen gleichermaßen paßt. Darum heißt es ja auch, die "Vorfrage", ob es sich wirklich um ungleichwertige Tatbestandsalternativen handele, sei besonders gründlich zu prüfen. 173 In dem oben gebildeten Beispiel für die Modalitäten der gefährlichen Körperverletzung soll sie z.B. zu verneinen sein. 174 - Mit Rücksicht auf die Arbeitsteilung von Gesetzgeber und Richter müßte man sich in der Tat fragen, ob der Gesetzgeber hier wirklich nichts "vorweggenommen" hat - oder ob er nicht doch dem Richter diese Bewertung schon dadurch abgeschnitten hat, daß er solche Alternativen einem Straftatbestand und damit einem, demselben, Strafrahmen unterstellte. Er hätte ja auch verschiedene Straftatbestände, eine Qualifikation oder einen besonders schweren Fall daraus machen können, womit der der jeweiligen Tatbestandsalternative angemessene Strafrahmen abgesteckt gewesen wäre. Schließlich ist auch bei § 1 StVO zweifelhaft, ob die Schädigungsvariante wirklich in allen Fällen - also schon abstrakt - schwerer wiegt als die Variante der Gefährdung. Vergleicht man die Gefährdung eines Menschen mit der Schädigung eines Fahrrades, dann ist das nämlich nicht mehr selbstverständlich. Wenn auch in aller Regel der Verwirklichung der schwereren Variante ein höherer Unwertgehalt zukommen wird, so muß dies doch nicht immer so sein. Es ist eben nicht so, daß der denkbar leichteste Fall der schwereren Alternative immer schwerer wiegen müßte als der denkbar schwerste Fall der leichteren Alternative175 Das wäre aber Voraussetzung dafür, allein in der Tatsache, daß die abstrakt schwerere Alternative verwirklicht wurde, auch konkret einen Strafschärfungsgrund zu sehen. Im Ausgangsfall zu § 1 Abs. 2 StV0 176 ist in Wahrheit weder ein Tatbestandsmerkmal doppelt, strafschärfend, herangezogen worden noch wollte das

172 Wenn man an die besonders schweren und minder schweren Fälle denkt, dann könnte es sogar einen Bereich geben, in dem sich die beiden Strafrahmen überlappen. 173 Bruns, 1985, S. 136; ders., 1974, S. 368. 174 Ebenso bei den beiden Alternativen der Untreue, den beiden Formen der Eidesleistung, mit und ohne religiöse Bekräftigung, vgl. Bruns, 1974, S.368 -gegen BGH NJW 1958, 1833, das die religiöse Beteuerung bei§ 154 StGB als besonders verwerflich ansehen wollte.

175 So

gen".

176 S.

auch Hettinger, DVV, S. 158 mit der Warnung vor "pauschalen Wertuno. OLG Bremen, NJW 1952, 158.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

Gericht eigentlich die eine Tatbestandsalternative mit der anderen vergleichen. Gemeint ist lediglich, daß die Schädigung des Rechtsgutes im konkreten Fall schwerer zu Buche schlagen mußte, als wenn dasselbe Rechtsgut nur gefährdet worden wäre. Das ist aber eine bare Selbstverständlichkeit, eine solche Überlegung wäre auch dann richtig, wenn der Tatbestand dafür nicht zwei Alternativen vorsähe. Man sieht: Es handelt sich nicht um eine spezifische Frage des DVV. Darum ist auch im umgekehrten Falle mit der Argumentation mit dem DVV nichts zu gewinnen. Das gilt z.B. gegenüber der Entscheidung des OLG Koblenz StV 1983, 507, wo es hieß: Die Strafzumessungserwägung, der Angeklagte habe mit dem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln "eine der gravierendsten Begehungsformen" der Vergehen gegen das BtMG begangen, verstoße gegen das Doppelverwertungsverbot des§ 46 Abs. 3 StGB. Ein Verstoß gegen das DVV kann darin gerade nicht gesehen werden. Worüber man streiten kann, ist die ganz andere Frage, ob die Tatbestandsvarianten des § 29 I Nr. 1 BtMG wirklich einen unterschiedlichen Schweregrad aufweisen und deshalb ungleichwertig sind. Da war BGH NJW 1980, 1344 freilich anderer Ansicht und setzte hinzu: Deshalb ist es zulässig, wenn der Tatrichter als ein bei der Findung der konkreten Strafe belastendes Moment wertet, daß der Täter mit dem Handeltreiben eine der schwereren Tatbestandsvarianten verwirklicht hat. m Dem gleichen Denkfehler unterliegt auch BGH VRS 45, 363, wo der Tatrichter bei § 316 a StGB zugunsten des Angeklagten berücksichtigen wollte, daß sich der Angriff "nur" gegen die Entschlußfreiheit des Kraftfahrers gerichtet hatte. Darauf glaubte der BGH erwidern zu können, in § 316 a StGB sei der Angriff auf die Entschlußfreiheit dem auf Leib oder Leben des Opfers gleichgestellt. Das ist zwar richtig, besagt aber nichts über die Gleichwertigkeit der Alternativen auf der Rechtsfolgenseite. 178

m Genauso falsch der Hinweis auf das DVV in OLG Hamm NJW 1952, 518: Das Tatgericht hatte strafschärfend berücksichtigen woUen, daß der Angeklagte bei der Hehlerei nach§ 259 StGB a. F. nicht nur nach den Umständen annehmen mußte, sondern eindeutig wußte, daß die Sache aus einer rechtswidrigen Vortat stammte. Damit sei ein subjektives Tatbestandsmerkmal noch einmal als Strafzumessungsgrund herangezogen worden. In Wahrheit ging es um die Frage, ob die beiden Alternativen ungleichwertige Tatbestandsalternativen waren; richtig insoweit BGH bei Dallinger, MDR 1969, 17; vgl. dazu auch Bruns, 1974, S. 369. 178 So auch Hetringer, DVV, S. 159, Pn. 25.

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3. "Tatbestandsähnliche" Merkmale von (benannten) besonders schweren und minder schweren FäDen

Obwohl als Doppelverwertungsverbot von Tatbestandsmerkmalen Gesetz geworden, wurde das DVV schon vom Reichsgericht über die eigentlichen Tatbestandsmerkmale hinaus auf die Merkmale von besonders schweren Fällen ausgedehnt, die im Gesetz beispielhaft umschrieben sind. 179 Meistens geschieht dies nach der Regelbeispielmethode (berühmtestes Beispiel: § 243 StGB). Dabei handelt es sich nach h.M. 180 nicht um Tatbestandsmerkmale, sondern um Strafzumessungsregeln, die allerdings "den Tatbestandsmerkmalen angenähert" ; 81 bzw. "tatbestandsähnlich" 182 sind. Auch unter der Herrschaft des § 46 Abs. 3 StGB ist diese Erweiterung über den Wortlaut der Norm hinaus nie bestritten worden: "Tatbestandsmerkmale" i.S. von § 46 Abs. 3 StGB seien auch die "tatbestandsähnlich umschriebenen" Umstände der sog. Regelbeispiele. 183 So sieht es auch der BGH. 184 Tatsächlich wäre es unlogisch, wenn das Gericht zuerst wegen der Anwendung von Schlingen (§ 292 Abs. 2 StGB) einen besonders schweren Fall der Jagdwilderei annehmen und dann innerhalb des (freilich nur im Mindestmaß) gegenüber dem Abs.l erhöhten Strafrahmens erneut strafschärfend berücksichtigen wollte, daß der Täter zum Zwecke der Wilderei Schlingen gelegt hat. 185 Dagegen wäre unter dem Blickwinkel des Doppelverwertungsverbotes nichts dagegen einzuwenden, wenn das Gericht wegen der Verwendung von Schlingen von einer gewerbs- oder gewohnheitsmäßigen Jagdwilderei ausginge, demgemäß den § 292 Abs. 3 StGB bejahte und dann aus demselben Grund die Strafe dem Sonderstrafrahmen für besonders schwere Fälle des § 292 Abs. 3, 2. Halbsatz StGB entnähme. Denn die mehrfach verwertete Tatsache (Schlingenstellen) ist nur ein Merkmal des § 292 Abs. 2 und nicht des § 292 Abs. 3 StGB. Obwohl sie erst zu § 292 Abs. 3 StGB führte, kann sie daher dort nicht an allen Stel179 RGSt

70,220: ''Schlingenstellen".

nur Schönke I Schröder-Stree, vor§ 38 Rdnr. 44; Dreher I Tröndle, § 243 Rdnr. 1; Jescheck, § 26 V 2; Wesse~, BT 2, § 3 I 2 - a. A. Callies, JZ 1975, 117 m.w.Nachw. 180 Vgl.

181 Schönke

I Schröder-Stree, vor§ 38 Rdnr. 44.

182 Bruns,

1985, S.134.

183 Bruns,

1985, S.134.

184 BGH

475.

StV 1983, 14; 1982, 70; zuletzt StV 1993, 302 = bei Dener, NStZ 1993,

185 Beispiel

nach RGSt 70, 220.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

len des Strafrahmens wirksam sein - kann also dabei helfen, die richtige Stelle zu fmden. Anders gewendet: Es widerspricht eben nicht den Gesetzen der Logik, wenn zuerst die Tatsache verwertet wird, daß der Wilderer gewohnheitsmäßig handelte und dann die Tatsache, daß er Schlingen legte. Mag dabei auch die Schlingenlegerei Indiz für die Gewohnheitsmäßigkeit gewesen sein. 186 Zu den Gesetzen der Logik stünde es aber im Widerspruch, das Merkmal des besonders schweren Falles innerhalb des dafür vorgesehenen Strafrahmens erneut zur Strafschärfung zu verwenden. Für die h.M. erklärt sich das freilich aus der Arbeitsteilung von Gesetzgeber und Richter: Auch das Beispielsmerkmal sei "nach Sinn und Zweck des Gesetzes" als typisierter Strafzumessungsgrund strafrahmenbildend, es habe in seiner generellen Form als Strafzumessungsgrund auszuscheiden (Verbrauch), nur noch die konkrete Art seiner Verwirklichung dürfe die Endstrafzumessung beeinflussen. 187 Das gilt von allen Merkmalen für besonders schwere Fälle - gleich, ob es sich dabei um sog. Regelbeispiele oder um Beispiele handelt, die, weil der Zusatz "in der Regel" fehlt, keine Regelbeispiele im eigentlichen Sinne darstellen. 188 Der damit verbundene Streit, ob in solchen Fällen zwingend ein besonders schwerer Fall anzunehmen ist oder ob, wie bei den Regelbeispielen auch, auf Kontraindizien zu achten ist, kann daher dahinstehen. 189 Das gleiche gilt - unter umgekehrten Vorzeichen - selbstverständlich auch für die Merkmale von minder schweren Fällen, wenn und soweit der Gesetzgeber sie beispielhaft umschrieben hat. 190 186 Beispiel nach RGSt 70, 93; vgl. dazu auch Bruns, 1974, S. 377, wo der Fall aber insofern komplizierter lag, weil dieselbe Tatsache auch noch dazu herhalten sollte, die dem Sonderstrafrahmen zu entnehmende Strafe zu erhöhen - auch das wäre vom DVV her erlaubt, ist aber eine Frage, die mit dem Problem der sog. unbenannten Strafrahmenänderungsgründe zusammenhängt, dazu anschließend. 187 Vgl.

Bruns, 1985, S. 134; und ausf. Heninger, S. 215 ff.

188 Außer

StGB.

§ 292 II StGB betrifft das z.B. auch die §§ 293 II, 129 IV und 24la IV

189 So auch Heninger, DVV, S. 217; vgl. zum Streit Schönke I Schröder-Eser, § 292 Rdnr. 22; sowie Lackner, § 46 Rdnr. 11 für die Gegenmeinung mit der Folge, daß es sich dann bei den Merkmalen des § 292 Abs. 2 StGB um "gewöhnliche Tatbestandsmerkmale" handeln soll, für die das DVV dann ohnehin gelten würde.

190 Z .B. § 213 StGB, dort wäre es unzulässig, dem Täter strafmindernd zu Gute zu halten, er sei provoziert worden, weil das bereits die Voraussetzung für die Anwendung des gemilderten Strafrahmens gewesen ist und damit für das Strafmaximum ebenso wie für das Strafminimum auf der ganzen Länge des Rahmens gleichermaßen zutrifft. Auch hier ist unerheblich, ob es sich um Regelbeispielsmerkmale oder Merk-

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Im Originalfall hatte der Tatrichter allerdings darauf abgestellt, "daß das Schlingenstellen eine besonders rohe und hinterhältige Art der Wilderei" sei. 191 Das wäre an sich nicht zu beanstanden, denn § 292 Abs. 2 StGB zählt eine ganze Reihe von Beispielen auf, z.B. daß die Tat zur Nacht- oder Schonzeit oder in nicht weidmännischer Weise begangen wurde. Unter diesen Möglichkeiten wäre es vorstellbar, daß das Schlingenstellen besonders schwer wiegt. Damit würde aber nicht ein insoweit den Tatbestandsmerkmalen gleichgestelltes Beispielsmerkmal verwertet, sondern die Tatsache, daß der Täter dieses und nicht ein anderes Beispiel erfüllte. Entscheidend ist wie bei den echten Tatbestandsalternativen, ob die verschiedenen Möglichkeiten gleichwertig oder ungleichwertig sind. Das hätte das Reichsgericht auch aussprechen müssen. Statt dessen hat das Reichsgericht entgegengehalten, diese "an sich durchaus zutreffende" Erwägung habe den Gesetzgeber bestimmt, die Wilderei unter Anwendung von Schlingen überhaupt unter die besonders schweren Fälle einzureihen. Abgesehen von dem Hinweis auf die Motive des Gesetzgebers, auf die noch gesondert einzugehen sein wird, bietet sich daher noch eine andere Interpretationsmöglichkeit: Man könnte sich auf den Standpunkt stellen, daß es unter den Merkmalen von Strafzumessungsbeispielen anders als bei tatbestandliehen Alternativen - nach dem Willen des Gesetzes gerade keine Unterschiede geben soll, was die Bewertung in der Strafzumessung angeht. Ein besonders schwerer Fall sei wie der andere: nämlich besonders schwer. Die Frage ist- soweit erkennbar- noch nie behandelt worden. Dafür könnte sprechen, daß es sich bei Regelbeispielen und sonstigen Beispielen immerhin um Strafzumessungsregeln handelt -Regeln mithin, mit denen der Gesetzgeber entgegen seiner Art bereits in die richterliche Strafzumessung eingegriffen und einen weiteren Teil der Arbeit an sich gezogen hat, die eigentlich dem Richter vorbehalten gewesen wäre. Entsprechend geringer wäre der Raum, der dem Richter bliebe, solche Gesichtspunkte bei der eigentlichen Strafzumessung zu verwenden. Diese Argumentation würde dem Gedanken der Arbeitsteilung von Gesetzgeber und Richter entgegenkommen. Unter logischen Gesichtspunkten ist dagegen kein Unterschied zwischen echten Tatbestandsalternativen und alternativen Regelbeispielen auszumachen, male von zwingenden Beispielen handelt, da das DVV für beide gilt; vgl. zum Streit bei § 213 StGB: SK-Horn, § 213 Rdnr.lO sowie Schönke I Schröder-Eser, § 213 Rdnr. 2 einerseits; Lackner, § 213 Rdnr. 2; Dreher I Tröndle, § 213 Rdnr. 2 sowie BGHSt 25, 222 andererseits. 191

RGSt 70, 223.

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die als bloße Strafzumessungsregeln ausgestaltet sind. Einer Argumentation mit der Schwere der einen Alternative im Verhältnis zur anderen, steht das Doppelverwertungsverbot niemals entgegen. Tatsächlich wäre es auch unter dem Aspekt der materiell-rechtlichen Begründungspflicht widersinnig, einer "vernünftigen" Begründung die Berechtigung abzustreiten. Wenn es richtig ist, daß Tatbestandsalternativen unterschiedlich schwer wiegen können, obwohl der Gesetzgeber sie unter einen Strafrahmen gestellt hat, dann ist nicht einzusehen, warum nicht auch Beispielsformen ein unterschiedliches Gewicht haben sollten. Freilich kann man auch dort der Ansicht sein, der Gesetzgeber habe die Argumentation mit gleichwertigen oder ungleichwertigen Tatbestandsalternativen durch die Unterstellung unter einen gemeinsamen Strafrahmen bewußt abschneiden wollen - das gilt hier wie da, ist aber eine andere Frage. Das DVV steht demjedenfalls nicht entgegen. Nur eines geht sicher nicht: Es kann keinen Vergleich zwischen einer benannten und einer unbenannten Alternative eines besonders schweren oder minder schweren Falles geben. Es kann also nicht argumentiert werden, der Strafrahmen müsse ja für beide Alternativen, bei § 213 StGB z.B. außer für die Provokation auch für einen "sonstigen" minder schweren Fall (oder bei § 292 Abs. 2 StGB außer für die Schlingenstellerei auch für die Wilderei "in anderer nicht weidmännischer Weise") ausreichen. Denn hier sollen die benannten Fälle ja gerade als Anhaltspunkt für die unbenannten dienen. Es ist daher ausgeschlossen, daß einer schwerer wiegt als der andere. 192

4. Die Geltung des DVV bei unbenannten besonders schweren und minder schweren Fällen

Mit tatbestandsähnlichen Umschreibungen von besonders schweren und minder schweren Fällen durch Beispiele und Regelbeispiele hat der Gesetzgeber dem Richter wenigstens einen Anhaltspunkt dafür gegeben, wann der Ausnahmestrafrahmen eingreifen soll. Anders ist es aber in den Fällen, in denen der Gesetzgeber offen gelassen hat, wann der Richter einen besonders schweren oder minder schweren Fall annehmen soll. Im StGB gibt es eine zu dieser Funktion von Beispielen und Regelbeispielen Hirsch , LK 10. Aufl., vor § 46 Rdnr. 52; i. ü. ist insbesondere bei den Regelbeispielen vieles streitig, vgl. Schönke I Schröder-Stree, vor § 38 Rdnr. 44 c, der zwar die "Leitbildfunktion" verneint, aber doch fordert, die Umstände müßten "in ihrem Gewicht" den Beispielen entsprechen. 192 Vgl.

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ganze Reihe von Vorschriften, die lediglich anordnen, daß in besonders schweren 193 oder minder schweren 194 Fällen der geänderte Strafrahmen eingreifen soll, ohne zugleich einen Anhaltspunkt dafür zu geben, wann das der Fall sein soll. Man spricht hier von "unbenannten" Strafrahmenänderungsgründen. Unbenannt sind sie insofern, als sie die Voraussetzungen nicht näher bezeichnen, unter denen die Strafrahmenänderung in Kraft treten soll. 195 Hier tut sich die h.M. natürlich schwer mit der Erklärung des Doppelverwertungsverbots aus der Arbeitsteilung von Gesetzgeber und Richter - hat doch der Gesetzgeber hier gerade soviel vorherbestimrnt, als wenn er gar nichts gesagt und statt dessen einen erweiterten Gesamtstrafrahmen zur Verfügung gestellt hätte. Daß die minder schweren Fälle am unteren Ende und die besonders schweren am oberen Ende des Strafrahmens anzusiedeln gewesen wären, hätte der Richter ohnedies gewußt. Was also soll der Gesetzgeber hier vorherbestimmt haben, das deshalb vom Doppelverwertungsverbot erfaßt würde? 196 Timpe hat wegen solcher und anderer Einwendungen gegen die her193 Z.B.

§§ 212 Abs. 2; 263 Abs. 3; 267 Abs. 3 StGB.

194 Z.B.

§§ 177 Abs. 2; 249 Abs. 2; 250 Abs. 2 StGB.

195 Zum

"Benanntsein" von schweren und minder schweren Fällen fehlt es an einer einheitlichen Terminologie, vgl. Hettinger, DVV, S. 202: "unbenannt", weil die Folge nach der Methode der Regelbeispiele nicht zwingend ist - das haben sie mit den sog. fakultativen Rahmenmilderungsgründen i.S.v. § 49 Abs. 2 StGB gemein, z.B. den §§ 13 II, 17 S. 2, 21, 23 II, 35 I Satz 2 StGB, über deren Eingreifen nach der Rspr. und der dort gleichermaßen umstrittenen Gesamtbetrachtungslehre ebenfalls eine Gesamtbetrachtung entscheiden soll; SK-Horn, § 46 Rdnr. 154 fftrennt daher "obligatorische", wozu z.B. auch die minder schweren Fälle zählen sollen, von "fakultativen Strafrahmenverschiebungen", zu denen er auch die Regelbeispiele zählt; ähnl. Wessels, Maurach-FS, S. 296: Regelbeispiele "als Kombination von unbenannten und benannten, jedoch nur fakultativ geltenden Erschwerungsgründen"; Lackner, § 46 Rdnr. 11 und Hirsch, LK 10. Aufl., vor § 46 Rdnr. 48 sprechen bei Regelbeispielen und anderen tatbestandsähnlich umschriebenen Beispielen von "Mischformen" zwischen benannten und unbenannten Strafanderungsgründen; wie hier Maiwald, NStZ 1984, 435; Huber, Jus 1990, 112. 196 Vgl. Timpe, S. 42 zur Kritik am Argument der Arbeitsteilung von Gesetzgeber und Richter; Maurach, BT, 5. Aufl. 1969, S. 214, Nachtrag 1970, S. 17 meinte, der Gesetzgeber habe "die arbeitsteilige Verantwortung weitgehend von sich ab- und auf den Richter übergewälzt"; vgl. fiir die Regelbeispiele auch Maiwald, Gallas-FS, S. 159: " ...weil der Gesetzgeber hier nichts vorentschieden hat. Man könnte sagen, er habe die Wertung im Sinne des Typus "ein bißchen" vorentschieden, denn er hat mit den Beispielen immerhin "Vermutungen" geliefert" - kaum verwunderlich, wenn angesichts solcher Unbestimmtheit Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit unbenannter Strafrahmenänderungsgründe aufgekommen sind, dazu BVerfG JR 1979, 28 zu § 212 4 Fahl

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kömmlichen Erklärungsversuche gemeint, man müsse das DVV als einengeneralisierenden Anwendungsfall der materiell-rechtlichen Begründungspflicht verstehen. 197 Für die h.M. kommt noch ein weiteres Problem hinzu. Einer verbreiteten Ansiche 911 zufolge soll nämlich die Entscheidung darüber, ob der Regel- oder der Ausnahmestrafrahmen eingreift, im Wege einer "Gesamtbetrachtung" getroffen werden, d.h. es muß geprüft werden, ob "die Tat unter Berücksichtigung aller Umstände die erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden und deshalb vom Gesetz für den Spielraum des ordentlichen Strafrahmens schon bedachten Fälle an Strafwürdigkeit so übertrifft, daß der ordentliche Strafrahmen nicht ausreicht" . 199 Hat der Richter aber nun alles, was der konkrete Fall an Erwägungen hergibt, schon für die Strafrahmenentscheidung verwertet, so fällt ihm für die Begründung der Strafhöhe, die schließlich ebenfalls eine "Ganzheitsbetrachtung von Tatgeschehen und Täterpersönlichkeit":m erfordert, natürlich nichts Neues mehr ein: er wiederholt sich. :lDI Dies erklärt das Bedürfnis, das DVV durch Formeln zu verwässern wie die, daß der Richter "auf die bei der Findung des Strafrahmens verwerteten Gesichtspunkte zurückkommen"202 dürfe. Für Koffka und Hirsch ist völlig unstreitig, daß Doppelverwertung hier zulässig sei.:lD3 Nach Bruns204 gilt das DVV von Haus aus II StGB m. Anm. Bruns; zur Verfassungsmäßigkeit der Regelbeispiele im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot vor allem Calliess, JZ 1975, 112 ff. 191 Timpe, S. 44 ff. 198 Z.B. Hirsch, LK 10. Aufl., vor§ 46 Rdnr. 45; Schönlee I Schröder-Stree, vor§ 38 Rdnr. 47 f; Jescheck, § 82 I 2; krit. zu dieser Formel Lackner, § 46 Rdnr. 7. 199 St. Rspr: vgl. nur BGHSt 5 , 130 für § 142 III StGB a.F.; BGH GA 1976, 304 für § 177 II StGB; BGH bei Dallinger, MDR 1976, 16 f für §§ 263 III und 266 II StGB; BGH bei Dener, NStZ 1991, 475 für§ 266 II StGB; sowie BGHSt 26, 311 fallerdings für die Milderung der Strafe nach § 49 Il StGB. :mBGHSt 26, 311 f. :lDI So SK-Horn, § 46 Rdnr. 157; zur Kritik der Gesamtbetrachtung speziell unter dem Gesichtspunkt des DVV ders. , Kaufmann-FS, S. 583. 202 So BGHSt 26, 311 fmit dem bezeichnenden Hinweis, "die neuerdings eingefügte Vorschrift des § 46 Abs. 3 StGB, wonach Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt werden dürfen", habe daran nichts ändern wollen. Ersichtlich habe hierdurch "nur ein von jeher bestehender Rechtszustand ausdrücklich im Gesetz festgelegt" werden sollen, nicht aber die Strafzumessung in den genannten Fällen gegenüber dem bisherigen Recht eingeschränkt werden sollen. :lD) Ko.ffka, LK 9. Aufl., § 13 Rdnr. 91 f; Hirsch, LK 10. Aufl., § 46 Rdnr. 105 f.

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nicht für die Heranziehung von Strafzumessungstatsachen zum Zweck der Strafrahmenfindung: Die Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen und die mehrfache Berücksichtigung nicht tatbestandsmäßiger oder tatbestandsähnlicher Tatsachen seien ganz verschiedene Dinge. Letzteres sei als "doppelte Buchführung" erlaubt. Diesen Begriff will Bruns immer verwenden, wenn aus ein und demselben Sachverhalt mehrere Folgerungen nacheinander gezogen würden. Das sei nicht generell verboten. Einen allgemeinen Strafzumessungsgrundsatz, wonach es unzulässig sein sollte, Strafzumessungstatsachen, doppelt, erneut, mehrfach zu berücksichtigen, gebe es nicht. Entsprechende DVVe seien deshalb die Ausnahme und bedürften einer besonderen Begründung. 205 Das ist gegen alljene gemünzt, die dem § 46 Abs. 3 StGB einen allgemeinen Grundsatz entnehmen zu können geglaubt hatten206 - insbesondere aber gegen Dreher, der bereits lange vor der gesetzlichen Regelung gefordert hatte, das DVV aus Gründen der Logik auf sämtliche strafrahmenbildenden Umstände auszudehnen, 201 und daran auch festhielt. 208 Stree209 schließt sich der These von der erlaubten "doppelten Buchführung" mit der Bemerkung an: Schließlich werde mit der Gesamtbetrachtung nur festgestellt, daß der Regelstrafrahmen zur Sühne nicht ausreiche. Diese Feststellung kläre ja noch nicht, welches Gewicht den Umständen nun im einzelnen zukommen solle. Darin wird das ganze Dilemma der Gesamtbetrachtungslehre sichtbar. Wäre es dem Richter nicht erlaubt, auf diese Umstände noch einmal zurückzukommen, so wären alle besonders schweren Fälle gleich. Egal, wie verschieden die zu204 Bruns,

Mayer-FS, S. 371 f; ders. , 1974, S. 377; vgl. auch dens., 1985, S. 139. JR 1985, 173; ders., StV 1982,19. 206 Vgl. z.B. Lackner, § 46 Rdnr. 46: Abs. 3 gehöre in den Zusammenhang "der umfassenderen Problematik der Doppelverwertung von Strafzumessungstatsachen"; ebenso Streng, Strafrechtl. Sanktionen, S. 203 ff, bei dem dieser Gedanke schon in den Kapitelüberschriften zum Ausdruck kommt; vgl. auch SK-Horn, § 50 Rdnr. 2: Das Doppelverwertungsverbot werde durch § 50 StGB "konkretisiert" auf bestimmte strafrahmenbildende Faktoren; Bruns, 1985, S. 140 selbst will dagegen in § 50 StGB eine "Ausnahme" vom Grundgedanken des § 46 111 StGB sehen, wonach doppelte Buchführung erlaubt sein soll. 205 Bruns,

207 Dreher, JZ 1957, 155 f: "Im Ergebnis läuft das auf das allgemeine Prinzip hinaus: Es ist verboten, Umstände, die zur Bildung des Strafrahmens geführt haben ... nochmals zu verwerten" (S. 155), und weiter: "Mir erscheinen diese Folgerungen schlechthin zwingend, aber bereits hier bewegt man sich auf wenig durchforschtem, unsicheren Gelände" (S. 156). 208 Siehe Dreher, JZ 1968, 213 gegenüber der Kritik von Bruns. 209 Schönke I Schröder-Stree, § 46 Rdnr. 49.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

grundeliegenden Lebenssachverhalte auch gewesen sein mögen - alle Betrachtungen hätten nur dazu getaugt, festzustellen, daß es sich um einen besonders schweren Fall handelte. Das wäre kein Problem, wenn dafiir auch nur eine Strafe in Betracht käme. Beim Totschlag ist das z.B. der Fall (§ 212 Abs. 2 StGB). Wer aber die besonders schweren Fälle anband des Gesamtbildes aller Umstände bestimmt und dieser Merkmale auch bedarf, um die Strafe innerhalb des gewählten Strafrahmens zu fmden, der muß das Doppelverwertungsverhot scheinbar außer Kraft setzen. 210 Die Rechtsprechung hat stets offengelassen, ob ihrer Meinung nach eine Ausnahme vom DVV darin zu erblicken ist, daß der Richter auf die bei der Strafrahmenwahl verwendeten Umstände bei der Strafzumessung erneut zurückkommen darf oder ob das DVV hier von vornherein (aus welchen Gründen?) nicht gilt. Bezeichnend BGH bei Holtz, MDR 1980, 453: Das Ausgangsgeeicht hatte -wohl aus Furcht, gegen das DVV zu verstoßen - bei der Bemessung der dem § 226 Abs. 2 StGB zu entnehmenden Strafe solche Umstände, die zur Annahme eines minder schweren Falles gefiihrt hatten, nicht noch einmal berücksichtigt. Der Tatrichter war jedoch, so fiihrte der BGH aus, nicht daran gehindert, auch solche Gesichtspunkte zu erwägen - im Gegenteil: er hätte es sogar müssen. Das Urteil wurde aufgehoben. Es sei nicht angängig, "Umstände nur deshalb unberücksichtigt zu lassen, weil sie bereits bei der Findung des Ausnahmestrafrahmens verwertet" worden seien. 211 An anderer Stelle heißt es einfach, es sei nicht zu beanstanden, daß das Gericht bei den eigentlichen Strafzumessungserwägungen auf die Gründe zurückkomme, die zur Annahme eines besonders schweren Falles, hier der Unfallflucht (§ 142 Abs. 3 StGB a. F.), geführt hatten: "Es verwendet damit nicht in unzulässiger Weise Tatbestandsmerkmale bei der Strafzumessung. "212 Selbst Dreher hat darin eine "nicht nur gebotene, sondern auch gerechtfertigte Ausnahme vom Verbot der Doppelverwertung" sehen wollen. 213

210 So Montenbruck, Strafrahmen und Strafzumessung, S. 111; vgl. auch Arzt, JuS 1972, 519 "unerfreulich, aber unvermeidlich" ; Maurach I Gössel I Zipf, AT, § 62 Rdnr. 40 plädieren daher für das Konzept eines "gegliederten Gesamtstrafrahmens" die Frage des DVV stelle sich dann gar nicht. 211 Das ist der einzige Hinweis auf das Doppelverwertungsverbot, i.ü . fmdet sich noch ein Verweis auf die oben zitierte Entscheidung BGHSt 26, 312. 212 BGH VRS 9, 350. 213

Dreher, JZ 1957, 158.

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Beides ist falsch: Es handelt sich weder um eine Ausnahme vom Verbot der Doppelverwertung (worin sollte auch die Rechtfertigung bestehen?), noch ist das Doppelverwertungsverbot unanwendbar. Nicht einmal eine doppelte Verwertung liegt vor: Dem Doppelverwertungsverbot ist genüge getan. 214 Nach den Gesetzen der Logik darf die Tatsache, daß - aus welchen Gründen auch immer - ein besonders schwerer oder minder schwerer Fall vorliegt, als solche nicht noch einmal verwertet werden. Sie allein ist strafrahmenbildend. Von einem Verstoß gegen das DVV könnte daher in Wahrheit nur die Rede sein, wenn der für die Rahmenentscheidung maßgebende Sachgrund, also nach Gesamtbetrachtungslehre z.B. die Tatsache, daß der vorliegende Fall im Lichte der Gesamtbetrachtung von den Fällen abweicht, für die der Gesetzgeber den Regelstrafrahmen als ausreichend betrachtet hat, im Rahmen der anschließenden Strafzumessung noch einmal herangezogen würde. 215 Anders gewendet: Der Richter müßte schon die Strafe für einen besonders schweren Fall mit der Begründung erhöhen, es handele sich um einen besonders schweren Fall. 216 Dazu fordert indessen auch die Gesamtbetrachtungslehre nicht auf. 217 5. Rechtswidrigkeits- und schuldbegründende sowie sonstige unrechtsbegründende Merkmale

Hatte sich das Wortlautargument schon in mehrfacher Hinsicht als brüchig erwiesen, weil das DVV eben doch nicht auf Tatbestandsmerkmale im strengen Sinne begrenzt werden konnte, so erstaunt es nicht, daß nicht gezögert wurde, das DVV auch auf rechtswidrigkeits- und schuldbegründende Umstände auszudehnen. 218 Unzulässig, weil unlogisch wäre es z.B., die Strafe mit der Begründung zu erhöhen, der Täter habe schließlich gewußt, daß er die Hand-

214 Das hat Hettinger, DVV, S. 211 ff überzeugend nachgewiesen; ohne substantielle Kritik daran Alberts, Gesetz!. Strafmilderungsgründe, S. 118. 215 So auch Hettinger, DVV, S. 202; ebenso Frisch I Bergmann, JZ 1990, 945. 216 Hettinger, DVV, S. 215; Lac/cner, § 46 Rdnr. 10a.

217 Verkannt

von Alberts, Gesetz!. Strafmilderungsgründe, S. 119.

vgl. Dreher I Tröndle, § 46 Rdnr. 40; Schönke I Schröder-Stree, § 46 Rdnr. 45 b; Hirsch, LK 10. Aufl., § 46 Rdnr. 100; Bruns, 1985, S. 133; ders. , 1974, S. 363; ders., Mayer-FS, S. 356; Schall I Schirnnacher, Jura 1992, 626; zust. Hettinger, DVV, S. 159; aus der Rspr. OLG Stuttgart MDR 1976, 690. 218 H.M .,

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lung nicht habe vornehmen dürfen. 219 Denn hätte er es nicht gewußt und hätte er diesen Irrtum auch nicht vermeiden können, dann hätte er nach § 17 Satz 1 StGB schuldlos gehandelt. 220 Daß er aber schuldhaft handelte, ist an jeder Stelle des Strafrahmens eines Deliktes Voraussetzung und kann daher nicht dazu dienen, innerhalb dieses Rahmens zu differenzieren. 221 Dasselbe wie für schuldbegründende gilt auch für rechtswidrigkeilsbegründende Merkmale. Beanstandet wurde daher beispielsweise die strafschärfenden Erwägung, "daß der Angeklagte die festgestellte Gefahrensituation auf andere, das Leben (des Getöteten) schonende Weise hätte abwenden können", nachdem das Tatgericht Notwehrlage und Verteidigungswillen festgestellt, die Verteidigungshandlung aber nicht für erforderlich gehalten und daran die Notwehr hatte scheitern lassen. 222 Hätte der Angeklagte die Gefahrensituation nicht auf andere Weise abwenden können, so hätte er in Notwehr gehandelt. Hier handelt es sich um ein die Rechtswidrigkeit begründendes Merkmal in dem Sinne, daß die Tat "nicht rechtswidrig" (vgl. § 32 Abs. 1 StGB !) gewesen wäre, wenn er in Notwehr gehandelt hätte. Daß die Tat rechtswidrig war, ist aber an jeder Stelle des Strafrahmens vorausgesetzt. Bekanntlich geht die Lehre von den negativen

219 Beispiel nach Schönke I Schröder-Stree, § 46 Rdnr. 45 b-in dem dort zitierten Fall, BGH bei Dallinger, MDR 1974, 366, lag es insofern etwas anders, als dort ein minder schwerer Fall des § 176 I StGB abgelehnt worden war mit der Begründung, der Täter habe "gewußt, daß er die Kinder nicht unzüchtig anfassen durfte" .

220 Hätte er den Irrtum vermeiden können, so hätte nach§ 17 Satz 2 StGB ebenfalls nicht dieser, sondern ein ganz anderer Strafrahmen gegolten - allerdings handelt es sich dabei nur um eine sog. fakultative Strafrahmenverschiebung, über deren Eingreifen nach umstrittener aber ständiger Rechtsprechung eine Gesamtbetrachtung entscheiden soll. Der einzige Fall, der auch zum vorliegenden Strafrahmen geführt hätte, wäre danach der, daß der Täter nicht gewußt hätte, Unrecht zu tun, daß dieser Irrtum vermeidbar war und die Gesamtbetrachtung ergeben hätte, daß eine Milderung gern. § 49 StGB ausscheidet. Mit diesem Fall wäre ein Vergleich sinnvoll, da der eine Strafrahmen ja beide decken muß. Es käme darauf an, ob dieser stets weniger schwer wiegt als jener, vgl. dasselbe Prinzip bei Tatbestandsalternativen und alternativen Regelbeispielen. 221 Ebenso BGH bei Detter, NStZ 1991, 274- dort allerdings fälschlich unter das "Regeltatbild" loziert: die Erwägung, der Täter habe beim Kauf der Waffe "bewußt die Rechtslage ignoriert", hebe zu Unrecht darauf ab, daß der Angeklagte "nicht im Verbotsirrtum" gehandelt habe. 222 BGH

bei Dallinger, MDR 1972, 750.

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Tatbestandsmerkmalen223 sogar davon aus, daß die Rechtfertigungsgründe negativ formulierte Tatbestandsmerkmale seien. Von daher ergäbe sich die Geltung des Doppelverwertungsverbotes ohnehin von selbst. Im Hinblick auf das DVV kann es aber keinen Unterschied machen, ob man von einem zwei- oder mit der h.M. vom dreistufigen Deliktsaufbau ausgeht, denn alle Deliktsebenen sind für den Strafrahmen gleichermaßen konstitutiv und können daher aus logischen Gründen nicht zur Findung der richtigen Strafe innerhalb dieses Rahmens beitragen. In einem anderen Fall hatte der Richter dem Angeklagten angelastet, daß dieser "ohne jede Vorwarnung" schoß. 224 - Hätte er sein späteres Opfer vorgewarnt und erst nach Erfolglosigkeit dieser Warnung geschossen, so wäre er durch Notwehr gerechtfertigt gewesen. Die Berücksichtigung eines solchen Umstandes, fand der BGH, sei aber" ebensowenig zulässig wie" die Verwertung eines Tatbestandsmerkmals- das ist richtig. Das DVV gilt aber nicht nur für rechtswidrigkeits- und schuldbegründende Umstände, sondern für alle im weitesten Sinne unrechtsbegründenden Umstände, gleichviel welche Stellung ihnen im Deliktsaufbau zukommt. 225 Denselben, aus dem DVV herzuleitenden Bedenken begegnet daher die strafschärfende Erwägung in einem Vergewaltigungsfall, daß der Angeklagte das "von mehreren Einzelhandlungen geprägte Tatgeschehen - Verbringen der Geschädigten in einen Nebenweg, Entkleidung, Afterverkehr, dann Geschlechtsverkehr - nicht abgebrochen hat, bevor es zum Geschlechtsverkehr kam". 226 Der BGH entgegnete, damit werde dem Angeklagten angelastet, daß er die Tat begangen habe. 227 Hätte er "das von mehreren Einzelhandlungen geprägte Tatgeschehen" an dem Punkt aufgegeben, als er das Opfer in den Nebenweg verbrachte, so wäre ein strafbefreiender Rücktritt nach § 24 I Satz 1 1. Alt. StGB in Betracht gekommen. Daß er es nicht tat, ist Voraussetzung der Versuchsstrafbarkeit. Auch dies darf dem Angeklagten deshalb nicht strafschärfend an-

223 Eine krit. Würdigung jener Lehre fmdet sich bei Schönke I Schröder-Lenckner, vor § 13 Rdnr. 15 ff. 224 BGH bei Dallinger, MDR 1975, 195.

225 Zu

eng daher Dreher I Tröndle, § 46 Rdnr. 40; OLG Stuttgart MDR 1976, 690 "rechtswidrigkeits- und schuldbegründende"; richtig dagegen: Schönke I SchröderStree, § 46 Rdnr. 45 b: "sonstige unrechts-und schuldbegründende Merkmale". 226 BGH bei Dener, NStZ 1993, 177. 227 Ebenso schon BGH bei Dener, NStZ 1990, 177: "daß er die Tat überhaupt begangen hat, anstatt von ihr Abstand zu nehmen".

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

gelastet werden - unabhängig davon, ob es sich dabei um einen Schuldausschließungs- oder einen Strafaufhebungsgrund handelt. 228 Unter dem Gesichtspunkt des DVV macht es keinen Unterschied, ob es sich um schuld-, rechtswidrigkeits- oder sonst unrechtsbegründende Merkmale handelt. Solche Faktoren haben alle dazu beigetragen, daß dieser und nicht ein anderer oder gar kein Strafrahmen anwendbar ist. In diesem Sinne waren alle diese Umstände "strafrahmenbildend". Begreift man die Auftindung des anwendbaren Strafrahmens als ersten Akt, so sind sie für den anschließenden zweiten Akt der (End-)Strafzumessung aus logischen Gründen verbraucht nach anderer Ansicht deshalb, weil der Gesetzgeber diese Gründe bereits durch Aufstellung unterschiedlicher Strafrahmen fiir bestimmte Fälle, z.B. durch Verweis auf§ 49 StGB, berücksichtigt und damit einen Teil der Strafzumessung bereits "vorweggenommen" hat. Diese Erweiterung ist offenbar als so selbstverständlich empfunden worden, daß sie in manchen Lehrbüchern gar nicht gesondert aufgeführt oder auch nur diskutiert wird - ohne daß indessen daraus zu schließen wäre, daß die Autoren der Rechtsprechung insoweit nicht folgen wollten. 229 Sucht man nach einer Erklärung dafür, so fallt sofort auf, daß Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld zwar die drei klassischen Ebenen des dreistufigen Deliktsaufbaus darstellen; daß man vom "Tatbestand" aber auch als einem die drei Ebenen umfassenden Begriff sprechen kann. So will wohl Bruns den Begriff der "Tatbestandsmerkmale" in § 46 Abs. 3 StGB verstehen, wenn er sagt: Das DVV gilt fiir "sämtliche Tatbestandsmerkmale, gleich ob sie Unrechts- oder Schuldelemente umschreiben". 230 Das muß er auch, denn bekanntlich lehnt Bruns die Erweiterung des DVV auf "parallele strafrechtliche 228 So auch BGH StV 1983, 237- allerdings ohne Bezug auf§ 46 III StGB: Das LG hatte als strafschärfend gewertet, der Angekl. habe "bis zuletzt die Tat ausführen wollen" und sei "nur durch das Eingreifen der Polizei von einem Weiterhandeln abgehalten worden" . -Hätte er von sich aus von der weiteren Tatausführung Abstand genommen, so hätte der persönliche Strafaufhebungsgrund des Rücktritts vorgelegen, antwortete der BGH; zum Streit über die Rechtsnatur des § 24 StGB Schönke I Schröder-Eser, § 24 Rdnr. 4. 229 Z.B. Streng, Strafrechtl. Sanktionen, S. 205 f; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 301, wo allerdings wie selbstverständlich von einer Geltung "auch für sonstige strafrahmenbestimmende Umstände" gesprochen wird; ähnl. SK-Horn, § 46 Rdnr. 151, aber: "auch nur für Umstände, die die Festsetzung der Strafhöhe betreffen".

230 Bruns,

Mayer-FS, S. 365; ders. ,1914, S. 363; ders., 1985, S. 133.

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Konstruktionen" 231 strikt ab und hält auch nichts davon, der Vorschrift einen allgemeinen Grundsatz zu entnehmen. Andernorts wurde die Miteinbeziehung von rechtswidrigkeits- und schuldbegründenden Merkmalen dagegen als Ausweitung des DVV über die Tatbestandsmerkmale hinaus aufgefaßt. 232 Auch ein allgemeiner, die Ausweitungen in verschiedene Richtungen erklärender Grundsatz ist durchaus aufgestellt worden: Das DVV gilt nämlich für sämtliche Umstände, "die bei allen Delikten der betreffenden Art notwendig vorkommen müssen". 233 Das trifft auf alle bisher behandelten Konstellationen zu und legt den Schluß nahe, daß der Geltungsgrund des Doppelverwertungsverbotes eben doch in einem logischen Prinzip gesehen werden muß. Denn ob ein Element notwendiges Element einer Menge ist oder nicht, hat mit der Arbeitsteilung von Gesetzgeber und Richter nichts zu tun. 6. Gesetzeszweck, kriminalpolitischer Grundgedanke, gesetzgeberische Intentionen und Motive des Gesetzgebers

a) Die ältere Rechtsprechung

Bereits in der mehrfach erwähnten Schlingenstellen-Entscheidung führte das RG aus, es sei rechtlich nicht angängig, zu verwerten, daß das Schlingenstellen "eine besonders rohe und hinterhältige Art der Wilderei" sei: Denn gerade diese - an sich zutreffenden- Erwägungen hätten den Gesetzgeber "bestimmt", die Wilderei unter Anwendung von Schlingen unter die besonders schweren Fälle des § 292 Abs. 2 StGB einzureihen. 234 Ähnlich hatte es schon in einer früheren Entscheidung des Reichsgerichts geheißen: "Zum Wesen der Abtreibung gehört, daß sie eine zerstörende Wirkung auf die Sittlichkeit und Kraft des Volkes ausübt und aus diesem Grund eine gemeine Gefahr für das Volk bedeutet. Erwägungen dieser Art haben den Gesetzgeber bestimmt, den Tatbestand der Abtreibung mit Strafe zu bedrohen. "235 Das Landgericht Ansbach hatte zuungunsten der Angeklagten hauptsächlich verwertet, daß ihre Bruns, 1985, S. 138; ders., 1974, S. 301; ders. schon, Mayer-FS, S. 354. Stuttgart MDR 1976, 690: "Das Verbot der Doppelverwertung nach § 46 III gilt nicht nur für Tatbestandsmerkmale, sondern auch ftir rechtswidrigkeits- und schuldbegründende Umstände." 233 Koffka, LK 9. Aufl., § 13 Rdnr. 86; vgl. auch Seebald, GA 1975, 230. 234 RGSt 70, 223. 235 RGSt 59, 426. 231

232 0LG

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Handlung "weil die Sittlichkeit und Kraft des Volkes verderbend, gemeingefährlich gewesen sei". Das verstieß nach Meinung des Reichsgerichts gegen den von ihm "in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsatz", daß es unzulässig sei, "Tatbestandsmerkmale, die zur Bildung des verbotenen Tatbestandes selbst dienen und demgemäß bereits bei der Aufstellung des gesetzlichen Strafrahmens berücksichtigt sind, bei der Bemessung der Strafe als strafschärfend zu verwerten." -In Wahrheit war das aber gar nicht der alte Grundsatz, daß Tatbestandsmerkmale bei der Strafzumessung nicht nochmals, weder schärfend noch mildernd, verwertet werden durften, sondern eine Erweiterung dieses Grundsatzes über die Tatbestandsmerkmale hinaus auf die dahinterstehenden gesetzgebensehen Motive und Intentionen. 236 Sogar Bruns meint hier, daß das DVV nicht auf Tatbestandsmerkmale "im engeren Sinne" beschränkt bleiben darf, sondern auf sämtliche Erwägungen ausgedehnt werden muß, "die den Gesetzgeber bereits bei der Normierung eines bestimmten Tatbestandes geleitet haben". 237 Spätere Rechtsprechung238 und Literatur239 haben sich dem angeschlossen, wenn auch nicht immer so scharf zwischen Tatbestandsmerkmalen auf der einen und dem Gesetzeszweck auf der anderen Seite getrennt wurde. 240 Als Beispiele aus der Rechtsprechung seien genannt: die "Schädigung der Währung und des Volkswohls" bei Devisen- und Steuerstraftaten, 241 die "Sicherheit des Zahlungsverkehrs" bei Geldfälschung,242 die Notwendigkeit eines "energischen Schutzes fiir Vollstreckungsbeamte" bei § 113 StGB, 243 das "öffentliche Interesse an der Rein-

So auch Hettinger, DVV, S. 43. Bruns, Mayer-FS, S. 358 (Hervorhebung im Original); ders. , 1974, S. 366; ähnl. ders. , 1985, S. 134 238 Siehe sogleich im Text. 239 SK-Horn, § 46 Rdnr. 150: "Erwägungen, die den Gesetzgeber zur Ausformulierung eines bestimmten Tatbestandes geführt haben" ; Schönke I Schröder-Stree, § 46 Rdnr. 46: "gesetzgeberische Intention eines Tatbestandes insgesamt"; Hirsch, LK 10. Aufl., § 46 Rdnr. 100: "kriminalpolitischer Grundgedanke und gesetzgebensehe Intentionen"; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 301: "kriminalpolitischer Grundgedanke" ; Lackner, § 46 Rdnr. 45: "gesetzgeberischer Zweck, der einem Tatbestand im ganzen zugrundeliegt". 240 Z.B. Dreher I Tröndle, § 46 Rdnr. 37. 241 RG JW 1935, 1939. 242 BGH NStE Nr. 20 = StV 1988, 341. 243 KG JW 1928, 1070. 236 237

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erhaltung der Verwaltung und des Beamtenturns", 244 der "drohende Schaden für die Rechtspflege durch wahrheitswidrige Zeugenaussagen" bei § 153 StGB, 245 die "hervorragende Bedeutung des Eides für die Rechtspflege" bei § 154 StGB, 246 das "Interesse der Öffentlichkeit an einer sauberen Rechtspflege" bei § 356 StGB, 247 der Gesichtspunkt der Bekämpfung "des Schlepperunwesens" bei §§ 47, 47 a AuslG a. F., 248 die "Möglichkeit, mit der Waffe tödliche Wirkungen zu erzielen" bei Taten nach dem WaffG, 249 das "Hinwegsetzen über die Eigentumsordnung" beim Diebstahl, 250 das "berechtigte Interesse der Bevölkerung an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung" beim Raub/51 die vom Rausch ausgehende Gefährlichkeit bei § 323 a StGB/52 die mögliche Störung der Entwicklung junger Menschen im sexuellen Bereich bei § 176 StGB, 253 das Freihalten des Kindes vor sexuellen Übergriffen durch die Familie auch bei § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB, 254 der Übergriff auf das Selbsbestimmungsrecht der Frau bei der Vergewaltigung. 255 -In all diesen Entscheidungen bemängelte das Revisionsgericht, die Tatrichter hätten den "allgemeinen Gesetzeszweck" zu Lasten des Angeklagten noch einmal verwertet, auf die "gesetzgeberischen Motive" und "Intentionen" zurückgegriffen, die den Gesetzgeber bereits bei der Aufstellung des Strafrahmens bestimmt und ihn dazu veranlaßt hätten, solche Vergehen überhaupt unter Strafe zu stellen, oder den "kriminalpolitischen Grundgedanken" verwertet, von dem er sich dabei leiten ließ. Solche Erwägungen gehörten in die Motive zu den betreffenden Gesetzesparagraphen, aber nicht ins Urteil. 256 Maßt sich der Richter Erwägun-

244 RG

JW 1931, 1568.

245 OLG

Düsseldorf NJW 1985, 277.

246 BGHSt

17, 324; BGH NJW 1958, 1832; BGH NJW 1966, 1276; BGH bei Dallinger MDR 1953, 148; RG HRR 37, Nr. 616. 247 BGH,l. StR 549/65 bei Dreher I Tröndle, § 46 Rdnr. 37. 248 0LG Köln, StV 1992, 233 = sLSK-Horn, § 46 Rdnr. 18, Nr. 48. 249 BGH StV 1991, 558 =bei Vetter NStZ 1991, 477. 250 BGH bei Vetter, NStZ 1990, 177. 251 BGH bei Dallinger MDR 1966, 26. 252 BGH bei Mösl, NStZ 1984, 495 . 253 BGH

StV 1986, 149; BGH StV 1987, 146; BGH StV 1988, 250.

254 BGH

StV 1991, 207.

255 BGH

bei Theune NStZ 1987, 164; BGH beiDetter, NStZ 1991,274. schon Jung, JR 1931, 18 -Seibert, MDR 1959, 259, ein erfahrener Revisionsrichter, meint, es gehöre eben zu den Spielregeln, die Gründe, die den Gesetzge256 So

60

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

gen dieser Art an, so liegt darin ein Übergriff auf die Kompetenz des Gesetzgebers. Deutet man das DVV als Ausfluß dieser Arbeitsteilung, so ist die Ausdehnung des Geltungsbereichs des DVV auf diesen Bereich daher nur konsequent. 257 Die Häufigkeit der Entscheidungen, in denen gerade hierin der Aufhebungsgrund gesehen wird, zeigt, daß die Praxis große Schwierigkeiten damit hat. Das liegt aber nicht so sehr daran, daß den Richtern das arbeitsteilige Vorgeben nicht beizubringen wäre, sondern vielmehr darin begründet, daß es die behauptete Arbeitsteilung zwischen Gesetzgeber und Richter hier in Wahrheit gar nicht gibt. Selbstverständlich soll es dem Richter nach der Rechtsprechung - unter bestimmten, hier nicht näher zu erörtenden Voraussetzungen erlaubt sein, die Strafe aus generalpräventiven Gründen zu schärfen. 258 Das sind aber genau die Gründe, die den Gesetzgeber schon bei Aufstellung des Tatbestandes geleitet haben. In vielen Fällen kommt der Richter gar nicht umhin, das Gesetz nach Sinn und Zweck der Vorschrift auszulegen. Was "hier und heute" der kriminalpolitische Grundgedanke einer Norm ist, kann der Richter kaum je der gesetzgebensehen Vorentscheidung entnehmen. 259 Obliegt es dem Richter aber nicht selten, den Sinngehalt einer Vorschrift erst festzulegen, so fehlt es an der Arbeitsteilung von Gesetzgeber und Richter. "Dem Richter kann dann aber mangels einer "Arbeitsteilung" nicht stets verboten sein, wegen eines Verstoßes gegen das "arbeitsteilige Verhältnis von Gesetz und Richter" den ermittelten Sinngehalt, den kriminalpolitischen Grundgedanken der Vorschrift etc., bei der Strafzumessung einzusetzen". 260 b) Die Entscheidung BGH MDR 1953, 148 Diese inneren Widersprüche sind nicht folgenlos geblieben. Zu vorübergehenden Irritationen hat die Entscheidung BGH MDR 1953, 148 geführt: Danach soll es kein Fehler sein, wenn der Richter "zum Ausdruck bringt, er haber veranlaßten, einen bestimmten Strafrahmen aufzustellen, nicht nochmals als straferschwerend heranzuziehen. 257 Vgl. Heninger, DVV, S. 160 f: "in sich schlüssig und vom Ausgangspunkt des DVV her gesehen auch folgerichtig" . 258 Das ist freilich eine in der Literatur nach wie vor äußerst umstrittene und höchst diffizile Frage; vgl. nur Schönke I Schröder-Stree, § 46 Rdnr. 5. 259 So auch Timpe, S. 43. 260 So Timpe, S. 43; ähnl. S. 55.

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be bei den Etwägungen über die Strafzumessung den Grundgedanken der verletzten Strafvorschrift nicht aus den Augen verloren". 261 Das LG hatte ausgeführt, das öffentliche Interesse verlange zum Schutz der Allgemeinheit schwerste Bestrafung von Gewaltverbrechen. Gemessen an den eigenen, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen hätte hierin ein Verstoß gegen das DVV erblickt werden müssen. Statt dessen argumentierte der 1. Senat, mit dem Satz habe das Gericht "ersichtlich" nur gegenüber einer in der Praxis bei der Strafzumessung für Gewaltverbrechen zu beobachtenden ungerechtfertigten Milde darauf hinweisen wollen, welchen Zweck das Gesetz bei der Aufstellung des Strafrahmens für solche Verbrechen verfolgt wissen will. Das sei aber kein Verstoß. Ein Fehler wäre es "nur dann, wenn den Strafzumessungsgründen, anders als im vorliegenden Falle, die Gewißheit oder auch nur die Möglichkeit zu entnehmen wäre, daß das Gericht sein Unwerturteil nicht allein nach dem richtig verstandenen Zweck des Strafgesetzes, sondern irrtarnlieh unter doppelter Heranziehung eines der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale gebildet hat." Daß in der Heranziehung eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals ein Verstoß gegen das DVV liegt, steht heute im Gesetz, war aber auch damals bekannt. Das hätte das Gericht also nicht festzustellen brauchen. Statt dessen hätte es klären müssen, ob von demselben Grundsatz auch die Heranziehung des Grundgedankens der Norm, seine kriminalpolitische Intention, die Verwertung des Gesetzeszweckes verboten ist, darauf geht das Urteil aber mit keinem Wort mehr ein. 262 Sarstedt I Gage meinten damals, Abschied nehmen zu müssen von einem Satz, "der noch zur Zeit des Reichsgerichts als unverbrüchlich galt" 263 und glaubten aus dem Urteil schließen zu können, "daß der BGH seit dieser Entscheidung die straferschwerende Berücksichtigung solcher Gesichtspunkte nicht immer mehr mit Aufhebung beantwortet". 264 Koffka hatte von einer "elastischeren Handhabung" gesprochen. 265 Hettinger sieht in

261

BGH bei Dallinger, MDR 1953, 149.

262 So

auch die Kritik von Bruns, 1974, S. 372.

263 Sarstedt

I Gage, Die Revision in Strafsachen, 4. Aufl., S. 263.

264 Sarstedt

I Gage, a.a.O., Fn. 43 .

265 Ko.fjka,

JR 1955, S. 323, Fn. 6; zust. zu einer "das DVV in diesem Punkt lockemden und elastisch handhabenden Rechtsprechung" auch Zipf, Strafmaßrevision, S. 99; vgl. aber auch Ko.ffka, LK 9. Aufl., § 13 Rdnr. 89, wo sie sich von ihrer früheren Interpretation des Urteils mit der nicht recht einleuchtenden Begründung distanziert, nachdem das DVV legalisiert sei, sei den Bedenken zu folgen, die gegen

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der "vieldiskutierten Entscheidung" einen Grenzfall. 266 Bruns meinte, die Entscheidung habe ein Moment der Unsicherheit in die weitgehend gefestigte Rechtsprechung getragen, dessen Tragweite im dunkeln liege. u? So verwundert es auch nicht, daß das Urteil, dessen Veröffentlichung der BGH selbst nicht für nötig erachtete, in der Rechtsprechung unterschiedlich aufgenommen wurde: Das OLG Köln zog daraus in der Tat den Schluß, der Richter könne "ohne Rechtsfehler in gewissem Umfang den Grundgedanken der verletzten Strafvorschrift im Rahmen der Strafzumessung nochmals (!) berücksichtigen".268 Anders das OLG Hamm: Zwar sei es kein Fehler, wenn der Tatrichter zum Ausdruck bringe, er habe bei den Erwägungen über die Strafzumessung den Grundgedanken der verletzten Norm nicht aus den Augen verloren. Es sei aber nach derselben Entscheidung ein Fehler, wenn den Strafzumessungsgründen die Gewißheit oder auch nur die Möglichkeit zu entnehmen sei, "daß das Gericht sein Unwerturteil nicht allein nach dem richtig verstandenen Zweck des Strafgesetzes, sondern irrtümlich unter Heranziehung eines der gesetzlieben Tatbestandsmerkmale oder - wie binzuzufügen ist - eines Umstandes, der auf jede Straftat derselben Art zutrifft oder des die Strafnorm rechtfertigenden Grundes gebildet hat. "269 - Da tauchen die "Hintergründe der Norm" unversehens wieder auf- in einem Zusatz zum BGH-Urteil. Daß eine derartige Einschränkung vom BGH auch gar nicht beabsichtigt war, hat er selbst später klargestellt. 270 Im "Recht der Strafzumessung" erwähnt Bruns die Entscheidung zwar noch im Zusammenhang mit gewissen Abgrenzungsschwierigkeiten, die durch das Urteil vorübergehend erhöht worden seien, meint aber, die Rechtsprechung sei schon bald zur früheren Linie zurückgekehrt. 271 Auf diese Sicht sind auch die meisten Kommentare eingeschwenkt, in

Versuche einer gewissen Einschränkung erhoben worden sind. -Denn in § 46 Abs. 3 StGB ist nach wie vor bloß von Umständen die Rede, die schon "Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes" sind. 266 Heninger,

DVV, S. 45 .

u Bruns, 1974, S. 371; ders., Mayer-FS, S. 364: Wenn dies eine Abkehr von der bisherigen Linie sein solle, so bliebe jedenfalls unklar, wo sie beginnt und wo sie aufhören soll. 268 0LG Köln, NJW 1963, 775. 269 0LG Hamm, DAR 1955, 284. 270 Das entnimmt Hettinger, DVV, S. 45 der unveröffentlichten Entscheidung BGH 1. StR 583/60; daraufbezieht sich auch Bruns, 1985, S. 137. 271 Bruns, 1985, S. 137. 1

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denen das Urteil mehr oder weniger zusammenhanglos neben andere Entscheidungen gestellt wird. 212 c) Stellungnahme

Fraglich ist, ob man es sich damit nicht zu einfach macht: Immerhin hatte schon Zipf darauf hingewiesen, daß die Erweiterung auf die "Hintergründe der Strafnormierung" in der Praxis auf unvermeidliche Schwierigkeiten stoßen müsse und heute den "neuralgischen Punkt" der ganzen Lehre darstelle. 273 Sei schon die Bestimmung der Stelle problematisch, an der das generelle Merkmal des Tatbestandes im konkreten Sachverhalt so individuelles Gepräge gewinne, daß die Berücksichtigung bei der Strafzumessung zulässig werde, so seien die Grenzen hier "völlig fließend". 274 Um die Norm richtig handhaben zu können, müsse der Richter hinter sie blicken. Der Grundgedanke sei dabei "zulässiges und sogar unentbehrliches Hilfsmittel" auch in der Strafzumessung. 275 Und Timpe hat sich dem angeschlossen: Es sei zulässig, den Zweck der Strafvorschrift oder die generelle Bewertung der Strafwürdigkeit in den Entscheidungsgründen zu nennen - aber nicht trotz des Doppelverwertungsverbotes, "sondern weil das Doppelverwertungsverbot als generalisierender Anwen212 Vgl. Schönke I Schröder-Stree, § 46 Rdnr. 48, wo die Entscheidung nicht bei der Frage der Zulässigkeil oder Unzulässigkeil der Berücksichtigung gesetzgebenscher Intentionen (Rdnr. 46) zitiert wird, sondern unter dem Stichwort "Grenzen des DVV" bei der "konkreten Ausgestaltung eines (welches?) Tatbestandsmerkmals"; vgl. auch Hirsch, LK 10. Aufl., § 46 Rdnr. 103: in der Rubrik "Abgrenzungsschwierigkeiten" . 273 Zipf, Strafmaßrevision, S. 98; noch deutlicher ders. , in Maurach I Gössel I Zipf, AT, § 63 Rdnr. 65: "Sind diese Fallgruppen allgemein anerkannt, so tritt das Doppelverwertungsverhot in seine kritische Phase, wenn es nicht mehr um das einzelne Tatbestandsmerkmalals solches, sondern um die Hintergründe und Grundgedanken der verletzten Vorschrift geht. Hier liegt die heute flüssige und umstrittene Grenzzone des Doppelverwertungsverbots." 214 Zipf, Strafmaßrevision, S. 99; das gibt auch Bruns, 1974, S. 374 zu, von dem das Zitat von der problematischen Stelle ja stammt, vgl. Bruns, 1974, S. 370; sowie dens., Mayer-FS, S. 363. 275 Zipf, Strafmaßrevision, S. 99: unzulässig und untauglich sei er nur zur konkreten Tatschuldwertung; vgl. auch Maurach I Gössel I Zipf, AT, § 63 Rdnr. 65: Einerseits erscheine es durchaus sachgerecht, daß sich der Richter die Grundgedanken der verletzten Norm vor Augen hält, andererseits liege damit die Gefahr (?) nahe, daß der Richter auf Erwägungen zurückgreift, die den Gesetzgeber bei der Schaffung der Strafdrohung selbst schon geleitet hätten.

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dungsfall der materiell-rechtlichen Begründungspflicht nur für Tatbestandsmerkmale und nicht auch für die sonst gewöhnlich dem § 46 Abs. 3 StGB subsumierten Fallgestaltungen gilt" . 276 Timpe hat recht damit, daß die Erweiterung des Doppelverwertungsverbotes auf den kriminalpolitischen Grundgedanken, die gesetzgebensehen Motive und Intentionen und den Strafzweck aus dem arbeitsteiligen Verhältnis von Gesetzgeber und Richter nicht plausibel zu machen ist. m Die Stimmen in der Literatur und der Schlingerkurs der Rechtsprechung bestätigen es. Der "beim heutigen Entwicklungsstand brauchbarste" Abgrenzungsversuch, "stets exakt darauf zu achten, ob der herangezogene Gesichtspunkt der Konkretisierung an Hand des Einzelfalles zugänglich ist oder eine, auch nur verkappte Erwähnung allgemeiner, vom Gesetzgeber schon veranschlagter Gesichtspunkte darstellt, "278 gibt in Wahrheit keinen Aufschluß. Gegenüber der Einbeziehung der gesetzgebensehen Motive ist größte Vorsicht geboten. Insbesondere in Fällen, in denen es der Heranziehung der gesetzgebensehen Motive gar nicht bedarf, um einen Verstoß gegen das DVV festzustellen, sollte damit nicht argumentiert werden. Das zeigt ein Beispiel, das im Kommentar von Schänke I Sehröder als Erläuterung für die Unzulässigkeil der Verwertung gesetzgebenscher Intentionen angeführt wird. Dort heißt es: Bei den Trunkenheitsdelikten (§§ 315 c, 316 StGB) sei es unzulässig, zu berücksichtigen, daß der Straßenverkehr durch fahruntaugliche Fahrer erheblich gefährdet werde. In der Tat ist es unzulässig, das zu verwerten. Aber dafür bedarf es nicht des Hinweises auf die gesetzgebensehen Intentionen. Jedes dieser Merkmale ist schon Tatbestandsmerkmal: Der Straßenverkehr ("Wer im Straßenverkehr... ", bzw. "Wer im Verkehr... "); die Fahruntauglichkeit ("ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen") und schließlich die Gefahr (bei § 316 die abstrakte, und bei § 315 c StGB die konkrete Gefahr); bei § 315 c StGB sogar die Erheblichkeil dieser Gefahr ("und

216 Timpe, Strafmilderungen des AT, S. 57 f- allerdings will auch er wegen Verstoßes gegen das DVV aufheben, "wenn sich die Begründung auf die Benennung des Zweckes der Strafvorschrift beschränkt, oder wenn die Begründung durch erlaubte Strafzumessungsgründe im übrigen nicht hinreichend ist", vgl. S. 62, Fn. 188, wo er auch konstatiert, "Zweifelsfalle" blieben. mso 1impe, s. 54. 278 Maurach I Gössel I Zipf, AT, § 63 Rdnr. 66; zust. Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 626.

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dadurch Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert getährdet"). 279 Wenig hilfreich ist auch die Formel der Rechtsprechung, ein Gesichtspunkt, den der Gesetzgeber bei der Aufstellung eines bestimmten Strafrahmens bereits berücksichtigt hat, dürfe bei der Bemessung der Strafe innerhalb dieses Rahmens "nicht lediglich unter Heranziehung der Tatbestandsmerkmale" strafschärfend verwertet werden. 280 Damit wird das Problem nur verschleiert, es stellt sich die Frage, ob ein solcher Gesichtspunkt denn ohne Heranziehung der Tatbestandsmerkmale verwertet werden dürfte? Das Problem besteht doch darin, daß der Richter gar nicht wissen kann, was den Gesetzgeber bei der Aufstellung des Strafrahmens bewogen haben mag. 281 Dennoch sollen die Richter sich mit einer Verwertung auch von solchen Dingen zurückhalten, die der Strafvorschrift "unausgesprochen" zugrunde liegen. 282 Hier wird man sich auf den Ausgangspunkt besinnen müssen. Im anfangs zitierten Lohnabtreibungs-Urteil bat das Reichsgericht selbst den Schlüssel zur Lösung geliefert: "Erwägungen dieser Art haben den Gesetzgeber bestimmt, den Tatbestand der Abtreibung mit Strafe zu bedrohen", hieß es da. Und weiter: "Der angeführte Strafzumessungsgrund trifft daher gleichermaßen auf alle Abtreibungshandlungen, nicht nur auf die vorliegende zu; er kann daher in einem Einzelfall kein besonderes Merkmal bilden, das eine Erhöhung der Strafe rechtfertigen könnte". 283 Der unsicheren Abgrenzung nach der Kompetenzaufteilung von Gesetzgeber und Richter bedarf es dazu nicht. Man braucht auch über den kriminalpolitischen Hintergedanken, die gesetzgebensehen Motive und Intentionen nicht nachzugrübeln. Es ist nur zu fragen, ob der in Rede stehende Gesichtspunkt auf sämtliche den Tatbestand erfüllende Handlungen zutrifft oder nicht. Dann droht auch nicht, was 279 Vgl. Schönke I Schröder-Stree, § 46 Rdnr. 46; das gleiche gilt für die dort angeführte Berücksichtigung der Gefahrdung von Menschenleben bei§ 306 StGB. 280 BGHSt 17, 324 (Leitsatz); vgl. auch KG VRS 9, 218; OLG Neustadt, DAR 1957, 236. 281 So schon Müller, BayZRPt11905, 343 gegen das RG: "Ferner hat der Gesetzgeber bei Fassung der strafrechtlichen Normen deren gesetzgebensehen Grund nicht zum Ausdruck gebracht, so daß dieser nur vermutet werden kann, nicht aber mit Sicherheit immer und jedenfalls nicht ohne weiteres und ohne Heranziehung der Motive ersichtlich ist. Der Grund ist nirgends zur Rechtsnorm erhoben." 282 Bruns, 1985, S. 134; ders., 1974, S. 366; ders. , Mayer-FS, S. 358. 283 RGSt 59, 426.

5 Fahl

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Zipf befürchtet, daß "das DoppelveiWertungsverbot als erster wirklicher Durchbruch rationaler Durchleuchtung der Strafzumessung selbst in Gefahr kommt, der rationalen Kontrolle und Beherrschung zu entgleiten" . 284 Nur wenn die fragliche Wendung auf alle unter den Straftatbestand subsumierbaren Handlungen zutrifft, kann man nämlich sagen, dieser Umstand beherrsche "das Strafminimum, das Maximum und alle dazwischen liegenden Strafgrößen in gleicher Weise" . 285 Nur dann ist es auch gerechtfertigt, die "unausgesprochenen" Hintergründe der Norm den Tatbestandsmerkmalen gleichzustellen, obwohl sie nicht aus dem Gesetz ersichtlich sind. Denn die Prüfung, die der Richter anstellen muß, ist ebenso einfach wie bei den Tatbestandsmerkmalen selbst. Auch Zipf meinte schließlich: "Der Ausgangspunkt ist durchaus überzeugend: Ein auf jede Straftat derselben Art zutreffender Gesichtspunkt rechtfertigt ebensowenig wie ein Tatbestandsmerkmal eine Erhöhung der Strafe". 286 Eine pauschale Berufung auf den kriminalpolitischen Hintergrund, den Grundgedanken und die Motive und Intentionen wegen Verstoßes gegen das DVV reicht dafür nicht. Es kommt darauf an, ob es wirklich keinen Fall gibt, auf den die beanstandete Formulierung nicht zutrifft. Deshalb ist es unter dem Blickwinkel des DVV nicht fehlerhaft, bei der Vergewaltigung die Gefahr ungewollter Schwängerung zu berücksichtigen. Solche EIWägungen haben zwar den Gesetzgeber bei Aufstellung des Straftatbestandes geleitet. 287 Sie liegen der Norm folglich als gesetzgeberisches Motiv unausgesprochen zugrunde, bilden sozusagen den kriminalpolitischen Hintergrund, den Grundgedanken der verletzten Norm und sind dennoch vetWertbar. Denn nach§ 177 StGB ist ohne Zweifel auch der Täter strafbar, der eine Frau vergewaltigt, bei der die-

284

Zipj, Strafmaßrevision, S. 99.

JW 1924, 1721 damals für die Erwägung: "Bei beiden Angeklagten war das öffentliche Interesse an der Hochachtung und Heilighaltung des Eides, dem letzten Mittel der Gerichte zur Ermittlung der Wahrheit, auf dem letzten Endes die Tätigkeit der Gerichte beruht, in Betracht zu ziehen." - Das RG meinte dagegen, das sei zwar an sich ein Fehler, aus dem Zusammenhang ergebe sich aber eine andere Beurteilung, nämlich ähnlich wie bei BGH MDR 1953, 148, "daß der allgemeine Strafzweck lediglich im Hinblick auf die besonderen Auswirkungen der Straftaten der Beschwerdeführerin hervorgehoben werden sollte." 286 Zipf, Strafmaßrevision, S. 98; vgl. auch Bruns, 1974, S. 366- zugleich der Leitsatz von BayObLG NJW 1951 , 547. 287 BGH NStZ 1985, 215 (1. Samenergußurteil) hatte unabhängig davon entscheiden wollen. 285 Beling,

Erstes Kapitel: Umfang und Grenzen des DVV

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se Gefahr nicht besteht, weil sie wegen Alters oder Krankheit empfängnisunfähig ist oder weil sie empfängnisverhütende Mittel nimmt. 288 Auf dieselben Bedenken stößt die Formulierung, die "Möglichkeit einer konkreten Gefahr für die Entwicklung des Kindes" sei das Motiv des Gesetzgebers bei § 176 StGB gewesen und dürfe "schon aus diesem Grunde" nicht strafschärfend herangezogen werden. 289 Zweifelhaft ist dies nicht nur, weil es so scheint, als ob nicht über die Möglichkeit der Gefahr hinaus auch die Gefahr selbst und sogar die Realisierung dieser Gefahr gesetzgeberisches Motiv gewesen wäre, sondern vor allem, weil auch eine Handlung nach § 176 StGB strafbar wäre, bei der diese Gefahr von vomherein ausgeschlossen wäre. 290 Schließlich liegt auch kein Verstoß gegen das DVV vor, wenn der Tatrichter zu Lasten des wegen Diebstahls Angeklagten berücksichtigt, daß der polizeiliche Fahndungsapparat in Bewegung gesetzt wurde, daß die Eigentümer seelisch belastet gewesen seien und daß sie Geldeinbußen haben befürchten müssen, selbst wenn die gestohlenen Sachen ihnen zurückgegeben werden konnten. 291 Dieses Beispiel ist zwar nie unter dem Gesichtspunkt der gesetzgeberischen Motive und Intentionen, dem kriminalpolitischen Grundgedanken des Diebstahls und den Hintergründen der Norm diskutiert worden, aber könnte man allen Ernstes sagen, der Gesetzgeber habe nicht auch den Schutz des Eigentümers vor seelischen Belastungen intendiert? Warum sollte er sich nicht auch davon unausgesprochen haben leiten lassen? Solche Fragen zu stellen ist sinnlos, weil es auf die gesetzgebensehen Motive usw. in Wahrheit nicht ankommt. Für die Motive des Gesetzgebers gilt nichts anderes als für alle Erweiterungen des Doppelverwertungsverbotes: Entscheidend ist allein, ob die entsprechende Strafzumessungserwägung ausnahmslos auf alle dem Straftbestand unterfallenden Sachverhalte zutrifft und daher aus logischen Gründen an allen Stellen des Strafrahmens vorausgesetzt ist oder nicht. In den angeführten Beispielen ist das nicht der Fall - gleich, was die Gedanken des 288 Vgl. Schönke I Schröder-Lenckner, § 177 Rdnr. 2 a. E.; das sieht auch Weßlau, StV 1991, 260, ohne indes daraus die Konsequenzen zu ziehen. 289 BGH StV 1988, 250. 290 Tatsächlich haben BGH StV 1986, 149 sowie BGH StV 1987, 146 auch nicht allein auf das gesetzgebensehe Motiv abgestellt, sondern auch den "normalen Durchschnittsfall" herangezogen und gesagt, es gehöre zu den "regelmäßigen Tatfolgen" des § 176 StGB, daß der Mißbrauch eines Kindes Spuren in dessen Entwicklung hinterläßt. 291 BGH bei Dallinger, MDR 1958, 565; bei Hirsch, LK 10. Aufl., Rdnr. 100; SKHorn, § 46 Rdnr. 153.

s•

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

Gesetzgebers gewesen sein mögen. Ein Verstoß gegen das DVV ist von daher nicht festzustellen. Möglicherweise ist ein Verstoß gegen das DVV in all diesen Fällen aber unter einem anderen Gesichtspunkt zu bejahen - deshalb nämlich, weil die Gefahr der Schwängerung bei § 177 StGB, die Möglichkeit einer Störung der sexuellen Entwicklung des Kindes bei § 176 StGB, die seelische Belastung des Bestohlenen sowie der Einsatz des polizeilichen Fahndungsapparates bei § 242 StGB dermaßen deliktstypisch sind, daß sie von daher dem DVV unterfallen.

7. Die regelmäßigen oder typischen Begleitumstände und Tatfolgen (Regeltatbild)

a) Bisherige Rechtsprechung Der Begriff taucht im Zusammenhang mit dem Doppelverwertungsverbot zuerst auf bei Holtz: 292 In dem zugrundeliegenden Fall ging es um eine Trunkenheitsfahrt nach § 315 c StGB, bei der das LG zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt hatte, "daß die Fahrt in gar keiner Weise notwendig war". Der BGH meinte, dieser Umstand gehöre zum "Regeltatbild" des § 315 c StGB und hob den Strafausspruch unter Berufung auf § 46 Abs. 3 StGB auf. Fraglich ist aber, ob es dazu des "Regeltatbildes" bedurft hätte. Schließlich war in der Rechtsprechung bereits anerkannt, daß auch unrechts- und schuldbegründende Merkmale dem Verbot der Doppelverwertung unterliegen. Dreht man den beanstandeten Satz probeweise einmal um, so zeigt sich, daß die "Notwendigkeit" zur Fahrt im Rahmen des § 315 c StGB möglicherweise einen Rechtfertigungsgrund (§§ 32, 34 StGB) oder einen Entschuldigungsgrund (§ 35 StGB) abgegeben hätte. In dieser Funktion ist die entsprechende Erwägung fiir die Strafzumessung aber verbraucht, weil die Abwesenheit von "Not" fiir Rechtswidrigkeit und Schuld konstitutiv war und folglich an jeder Stelle des Strafrahmens vorausgesetzt ist. Solche (negativen) Merkmale sind, wie die Tatbestandsmerkmale selbst, strafrahmenbildend und können aus logischen Gründen nicht zur Findung der richtigen Strafe innerhalb dieses Rahmens beitragen.

292 BGH bei Holtz, MDR 1978, 985; zu der Entscheidung auch Hettinger, DVV, S. 155; erwähnt bei Bruns, 1985, S. 133; Dreher I Tröndle, § 46 Rdnr. 37.

Erstes Kapitel: Umfang und Grenzen des DVV

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Die Fälle der Not waren aber offensichtlich nicht gemeint. Offenbar wollte der Tatrichter etwas anderes ausdrücken, nämlich daß die Fahrt auch hätte verschoben werden können, daß der Täter auch Taxi oder Bus hätte benutzen können. Dann hilft auch die Ausdehnung auf rechtswidrigkeits- und schuldbegründende Merkmale nicht weiter. Genausowenig lohnt es, über die Hintergedanken des Gesetzgebers bei Aufstellung der Norm zu spekulieren. Wenn es auch sein Motiv gewesen sein mag, vornehmlich unnötige Fahrten zu verhindern, so war es doch sicher auch sein Ziel, zum Schutze anderer Verkehrsteilnehmer jedwede Trunkenheitsfahrt zu verhindern. Vor allem aber ist das wichtigste Kriterium nicht erfüllt: Man kann nicht sagen, daß es ausnahmslos auf alle Trunkenheitsfahrten zuträfe, daß sie in diesem Sinne unnötig wären. Vielleicht waren Taxi und Bus wirklich nicht verfügbar. Trotzdem sind auch solche Fahrten mit Strafe bedroht. Die "Crux" ist aber die, daß die allermeisten Trunkenheitsfahrten unnötig sind, weil man fast immer sagen kann, der Angetrunkene hätte genausogut sein Auto stehenlassen und zu Fuß gehen oder auf ein anderes Transportmittel ausweichen können. Das ist eben "typisch" für Trunkenheitsfahrten. Insofern gehört es zum "Regeltatbild" des § 315 c StGB. Ob es damit dem Doppelverwertungsverbot unterfällt, ist freilich eine andere Frage. Die Rechtsprechung meinte ursprünglich, solche Umstände fielen ebenfalls unter § 46 Abs. 3 StGB - wenn auch die Terminologie nicht immer einheitlich war. In derselben Entscheidung ist zum Beispiel auch die Rede davon, daß Umstände, die im "Regelfall" einer Tatbestandsverwirklichung vorliegen, nicht strafschärfend berücksichtigt werden dürften. Dabei wird auf eine ältere Entscheidung des BGH293 verwiesen, in der sich derselbe Satz wiederfindet. In einem Verfahren wegen Beischlafs unter Verwandten hatte der Tatrichter dem Angeklagten, der die Abwesenheit seiner Frau ausnutzte, den Vertrauensbruch gegenüber der Ehefrau strafschärfend angerechnet. Der BGH hielt dem entgegen, so geschehe es im "Regelfall" der Blutschande. Gemeint war, daß dieser Umstand "regelmäßig oder typischerweise" vorliegt, und deshalb vom DVV gleichsam "miterfaßt" würde. 294 Man muß sagen "regelmäßig" oder "typischerweise", weil es auch hier denkbar ist, daß ein Elternteil bereits verstorben ist, daß die Eltern in Scheidung leben, oder nie verheiratet waren, und ein "Vertrauensbruch" gegenüber dem Ehegatten von daher ausscheidet. Häufig stellte der 293 BGH

bei Dallinger, MDR 1971, 362. einer anderen Bedeutung des "Regelfalls" siehe Hettinger, DVV, S. 147 ff; sowie Frisch, GA 1989, 350 und unten. 294 Zu

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

BGH auch auf die "regelmäßigen Tatfolgen" ab: Regelmäßige Tatfolgen dürften dem Angeklagten nicht strafschärfend angelastet werden. Dazu gehöre bei § 176 StGB, daß die Tat Spuren in der Entwicklung des Kindes hinterläßt. Notwendig ist das nicht; in Ausnahmefällen mag die Tat ohne negative Folgen für die Entwicklung des Kindes bleiben. Dennoch handelt es sich um regelmäßige oder typische Tatfolgen. Das hat der 2. Senat in drei aufeinanderfolgenden Jahren Gelegenheit gehabt, fast wortgleich zu wiederholen. 295 Der einzige Unterschied von "Begleitumständen" und "Tatfolgen" ist der, daß die einen mit der Deliktsverwirklichung einhergehen, die anderen zeitlich nachfolgen - ähnlich wie bei der Gesetzeskonkurrenz zwischen Begleittaten einerseits und mitbestraften Nachtaten andererseits unterschieden wird. Einen sachlichen Unterschied hat der BGH daraus nie abzuleiten versucht. Deshalb ist es gerechtfertigt, beide im Begriff des "Regeltatbildes" zusammenzufassen, das sowohl die Umstände erfassen soll, die die Tat begleiten, wie auch solche, die ihr vorausgehen oder ihr nachfolgenden, sofern sie nur regelmäßig oder typisch sind für Fälle dieser Art. Sieht man genauer hin, so nimmt der 2. Senat in keiner einzigen der drei angesprochenen Entscheidungen auf § 46 Abs. 3 StGB Bezug. 296 Daß die Richter trotzdem an das Doppelverwertungsverhot gedacht haben müssen, ergibt sich daraus, daß zur Begründung der Unzulässigkeil der Verwertung "regelmäßiger Tatfolgen" die Motive des Gesetzgebers bei der Schaffung der Norm herangezogen werden. Die Gefahr für die Entwicklung des Kindes sei schon das gesetzgebensehe Motiv gewesen, heißt es in allen drei Entscheidungen - eine Fallgruppe, die, wenn auch in dieser Pauschalität zu Unrecht, üblicherweise unter das DVV gefaßt wird. Unglücklicherweise heißt es in derselben Entscheidung auch noch, es kennzeichne den "normalen Durchschnittsfall" des Tatbestands, daß mit der Tatbestandserwirklichung die psychische Schädigung des Kindes einhergehe.297 Der Begriff des Durchschnittsfalls ist aber, ebenso wie der des Regelfalls, durchaus belegt und betrifft die ganz andere Frage der Einordnung des Falles in den Strafrahmen, 298 bzw. nach anderer Ansicht auch die Festlegung der Be295 BGH

StV 1986, 149; BGH StV 1987, 146; BGH StV 1988,250.

296 Nur

einmal erwähnt ihn die Redaktion der Zeitschrift in der Überschrift zu BGH StV 1987, 146- deshalb moniert der 1. Senat in BGH JR 1987, 120 nicht ganz zu Unrecht, es werde häufig "stillschweigend oder auch ausdrücklich" auf § 46 Abs. 3 StGB Bezug genommen. 297 BGH StV 1987,146; ebenso BGH StV 1986, 149. 298 Vgl.

BGHSt 27, 2.

Erstes Kapitel: Umfang und Grenzen des DVV

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Wertungsrichtung gern. § 46 Abs. 2 StGB. Mit dem Doppelverwertungsverbot sollte man aber solche Fragen nicht vermengen. Bei Umständen, die dem DVV unterfallen, bedarf es einer Festlegung der Bewertungsrichtung gar nicht mehr, sie scheiden von vornherein für die Strafzumessung aus, sprechen also weder "für noch gegen" den Täter. Darin kommt eine gewisse Unsicherheit zum Ausdruck, die dazu geführt hat, daß manche Entscheidung hinsichtlich ihrer Einordnung unter das DVV oder unter einen anderen Fragenkomplex zweifelhaft geblieben ist. Die meisten Fälle zu der Frage, ob das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes ein Strafschärfungsgrund sein kann, gehören genauso dazu wie die oft nur unter dem Stichwort der negativen Formulierung besprochenen Fälle. Ein gutes Beispiel dafür ist BGH JR 1980, 335, wo der BGH zunächst auf die Problematik eingeht, ob das Fehlen eines Umstandes, der einen Strafmilderungsgrund abgeben würde, schon umgekehrt ein Strafschärfungsgrund sein kann und dann zu dem Schluß kommt: Die strafschärfende Erwägung, daß der wegen Vergewaltigung Angeklagte sich "in keinem sexuellen Notstand" befunden habe und "zu Hause eine junge hübsche Frau" hatte, mit der er geschlechtlich hätte verkehren können, wenn er es gewollt hätte, bedeute (ist?) hier deshalb im Ergebnis (nicht von Anfang an?) eine unzulässige Doppelverwertung eines Tatbestandsmerkmals (welches?). In Wahrheit ging es doch wieder um die Frage, ob Umstände des Regeltatbildes dem DVV unterfallen, obwohl sie nicht notwendig in allen Fällen der Tatbestandsverwirklichung vorliegen, sondern nur typischerweise. Fast immer wird man sagen können, der Täter hätte auch auf andere Weise sexuellen Verkehr finden können, wenn nicht bei der eigenen Frau, dann in der käuflichen Liebe. 299 So ist der beklagenswerte Zustand entstanden, daß für eine relativ klar umrissene Fallgruppe eine ganze Reihe von Umschreibungen kursieren, die dasselbe Problem in immer neuem Gewande erscheinen lassen. Außer den genannten ist hier hinzuweisen auf: das Regelbild, 300 das übliche, 301 regelmäßige302 oder typische Tatbild, 303 das normale304 oder regelmäßige Erscheinungs299 Auf

diese Möglichkeit weist auch Bruns, JR 1980, S. 338, Fn. 15 in seiner Bespr. hin; vgl. auch Bruns, 1974, S. 21 zur Frage, ob man dem Sittlichkeitsverbrecher vorwerfen kann, das er das nicht getan hat. 300 BGH

StV 1982, 70. bei 1heune, NStZ 1986, 157. 302 Mösl, DRiZ 1979, 168. 301 BGH

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

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bild, 305 das gewöhnliche Bild306 und das Normal bild. YJ? Das mag an den unzulänglichen Möglichkeiten sprachlicher Darstellung liegen, erschwert aber die Verständigung. Der Sache nach geht es immer wieder um die Berücksichtigung von Umständen, die anders als die Tatbestandsmerkmale nicht notwendigerweise, sondern nur regelmäßig oder typischerweise mit der Tatbestandsverwirklichung verbunden sind, ihr vorausgehen oder ihr nachfolgen. Sie alle kennzeichnen das "Regeltatbild". Aus der umfangreichen Judikatur zu diesem Thema seien einige wenige markante Beispiele herausgegriffen, die die Rechtsprechung zum Teil bis in die jüngste Zeit hinein beschäftigt haben. Immer wieder mußte sich die Rechtsprechung mit dem Einsatz von Waffe oder Scheinwaffe befassen: 308 "Die vom Einsatz einer Waffe ausgehenden sehr gefahrdrohenden und auf das heftigste ängstigenden Wirkungen" gehörten zum "Regelbild" des schweren Raubes in der Begehungsform des § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB. 309 Der Umstand, daß das Raubopfer in eine von ihm subjektiv empfundene lebensgefährliche Situation gebracht wird, rechtfertige es "in der Regel" überhaupt erst, einen Raub bei der Verwendung einer Scheinwaffe als schwer einzustufen, weshalb dieser Umstand bei der Strafzumessung nicht zu Lasten des Angeklagten verwertet werden dürfe. 310 Ebenso gehöre es zum "Regeltatbild", daß die Betroffenen die objektive Ungefährlichkeit der Scheinwaffe nicht erkennen, sondern um ihr Leben fürchten. 311 Der Einsatz der Waffe als Drohmittel gehöre "so sehr zum Regelfall der Tatbestandsverwirklichung", daß er grundsätzlich keinen selbständigen Strafschärfungsgrund YJ38GH bei Mösl, NStZ 1982, 152. 304 BGH

NStZ 1985, 215. StV 1986, 430; BGH bei Mösl, NStZ 1982, 152; 1983, 164; bei Theune, NStZ 1987, 163; 1987, 495; bei Detter NStZ 1990, 177. YJ5 BGH

306

OLG Düsseldorf StV 1993, 16.

YJ? OLG

Düsseldorf StV 1993, 76.

308 Zu

der ganz anderen Frage, ob die sog. Scheinwaffe nach Sinn und Zweck des Gesetzes überhaupt unter§ 250 Nr. 2 StGB fällt, vgl. Schönke I Schröder-Eser, § 250 Rdnr. 15 fm.w.Nachw. 309 BGH StV 1982, 71 - übersehen wiederum die Möglichkeit, daß die eine Begehungsform schon abstrakt schwerer wiegen könnte als eine andere - anerkannt z.B. ftir das Verhältnis von § 250 Nr. 1 StGB zu Nr. 2, vgl. Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 305. 310 BGH

StV 1986, 342.

BGH bei Detter, NStZ 1990, 177; ähnl. BGH bei Detter, NStZ 1990, 485: daß der Täter das Opfer mit einer Scheinwaffe in Angst um sein Leben versetzt hat. 311

Erstes Kapitel: Umfang und Grenzen des DW

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abgeben könne. 312 - Anders aber, wenn die Opfer in "erhebliche Angst" und "erheblichen Schrecken" versetzt würden oder mehrere Personen bedroht werden. 313 - Ebensowenig wie der Einsatz soll nach § 46 Abs. 3 StGB berücksichtigt werden können, daß sich der Täter vorher mit der Waffe "versorgt" hat, 314 oder "daß der Angeklagte schon bewaffnet zum Tatort gegangen ist". 315 Daß es sich bei einem Überfall nicht um eine Spontantat handelte und daß der Angeklagte "penibel darauf bedacht war, sein Äußeres so zu verändern, daß er unbekannt bleiben mußte". 316 Räuber versorgen sich nun einmal regelmäßig mit einer Waffe, ebenso wie sie sie zum Tatort mitnehmen, und zwar geladen, 317 wo sie dann auch eingesetzt wird, und verändern dabei ihr Äußeres so, daß sie unerkannt entkommen können. Sie wären dumm, wenn sie es nicht täten. Die strafschärfende Erwägung, daß der Angeklagte die Tat, eine Sexualtat, an einem "einsam gelegenen Ort" durchgeführt hat, wo für das Opfer kaum Möglichkeit bestand, von Dritten Hilfe zu bekommen, ist nicht "bedenklich", wie der BGH318 meinte, sondern unsinnig: auf der Rolltreppe im Einkaufszentrum und zur Hauptgeschäftszeit kommen Vergewaltigungen nicht vor! Daß sich der Räuber eine Tankstelle und nicht eine Bank aussuchte, "weil diese weniger stark abgesichert ist und damit das Tatrisiko vermindert erschien", ist kaum ein Strafschärfungsgrund: Dem geringeren Risiko steht die niedrigere Beuteerwartung gegenüber. Wer gerade mal 3000,- DM benötigt, um den "sehnlichsten Wunsch" der Ehefrau nach einer "Trauung in Weiß" zu erfüllen, wird nicht gleich die Bank von England ausrauben. 319 Es ist nun einmal so, daß Räuber "die Taten generalstabsmäßig planen und sie profihaft kaltblütig auch ausführen". 331 Ebenso wie Hehler dem Täter eine Absatzmög312 BGH NJW 1990, 2570; wiederholt in BGH StV 1991, 106 - zu der Frage der Vereinbarkeil mit der im 2. Samenergußurteil vorgegebenen Linie, s.u.

313 BGH

NJW 1990, 2570 = bei Vetter, NStZ 1990, 485.

314 BGH 315 BGH

StV 1982,417 = BGH bei Mösl, NStZ 1983, 164. StV 1991, 63 hinsichtlich eines Verstoßes gegen das WaffG.

316 BGH

StV 1991, 106- ohne ausdrücklichen Bezug auf§ 46111 StGB, von sLSK-

318 BGH

bei Vetter, NStZ 1993, 475.

Horn, § 46 Rdnr. 18, Nr. 45 aber dort eingeordnet. 317 Dazu BGH bei Ho/Jz, MDR 1992, 932. 319 Das

meint wohl auch BGH StV 1991, 107. einmal BGH StV 1991, 107; insoweit auch bei Vetter, NStZ 1991, 477 abgedruckt und zutreffend unter das "Regeltatbild" loziert- die kurze Zeit nach dem 331 Noch

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

lichkeit für die gestohlene Ware eröffnen und Diebstähle daher erst "lukrativ erscheinen" lassen. 321 Der Hehler bietet nun einmal "mit seiner Bereitschaft zur Abnahme oder zum Absatz der Diebesbeute einen ständigen Anreiz zur Verübung von Diebstahlsdelikten". 322 Betrüger nutzen eben typischerweise die Gutgläubigkeit und Unerfahrenheit ihrer Opfer "schamlos" aus. 323 Diebe nehmen dafür Sachen "dreist" weg. 324 Geldfälscher "pflegen nun einmal ihre Tätigkeiten an ihnen als geeignet erscheinenden Objekten planmäßig-raffiniert zu entfalten" .325 Nur, daß der Tatrichter hier Merkmale des gesetzlieben Tatbestandes im Rahmen der Strafzumessung zuungunsten der Angeklagten berücksichtigt hätte, wie der BGH326 meinte, läßt sieb gerade nicht sagen, auch nicht "befürchten". Um Tatbestandsmerkmale handelt es sich dabei gerade nicht, die Diskussion um leere Ausschmückungen und die Hinzufügung von formelhaften Redewendungen, Phrasen, Adjektiven und Adverbien, 327 die die Entscheidung über einen Verstoß "nicht unproblematisch" 328 machen, hat hier ihren wahren Standort - und ebenso das Problem von Urteilsgründen, die den tatbestandsmäßigen Erfolg oder das tatbestandsmäßige Verhalten nur "umscbreiben" 329 (soweit die Umschreibung nicht schon auf sämtliche Tatbestandsverwirklicbungen zutrifft), z.B. beim Betrug die Erwägung, daß es der Angeklagte "verstanden

2. Samenergußurteil ergangene Entscheidung des 4. StR, auf die sie mit keinem Wort eingeht, erweist sich im übrigen als wahre Fundgrube: in derselben Entscheidung ist von Umständen die Rede, die "regelmäßig" mit der Tatbestandsverwirklichung verbunden sind, vom "Normalfall", von dem die Tat nicht abweiche, und vom "Regelfall", zu dem der Einsatz der Waffe als Drohmittel gehöre. 321 BGH bei Mösl, NStZ 1983, 164. 322 BGH

bei Mösl, DRiZ 1979, 169.

323 OLG

Düsseldorf StV 1993, 76.

324 Beispiel

nach Bruns, 1974, S. 369.

wörtlich BGH bei Dallinger, MDR 1973, 728; wiederholt bei Bruns, 1985, S. 134: Der Tatrichter hatte dem Schriftsetzer A und dem Buchdrucker B angekreidet, daß sie sich ein besonders geeignetes Objekt, nämlich die US-amerikanische 20Dollar-Note, ausgesucht hatten, weil diese einfacher zu fälschen war als andere gängige Banknoten. Das Tatgericht sah darin "eine gewisse Raffinesse". 325 So

326 BGH

bei Dallinger, MDR 1973, 728.

nochmals Hirsch, LK 10. Aufl., § 46 Rdnr. 100; Sarstedt I Gage, Die Revision in Strafsachen, 4. Aufl., S. 263. 328 So Bruns, JR 1980, S. 336 mit Fn. l. 327 Vgl.

329 Dazu

Schtifer, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 303.

Erstes Kapitel: Umfang und Grenzen des DVV

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habe, seine Unterhaltspflicht gegenüber den Kindem für längere Zeit auf die Inhaberin des Kinderheimes abzuwälzen". 330 Damit sei lediglich hervorgehoben, daß der Angeklagte einen Betrug begangen habe, um seinen Kindem den notwendigen Lebensunterhalt zu verschaffen. Die Erfüllung des gesetzlichen Tatbestandes könne aber kein strafschärfender Gesichtspunkt sein. Indessen: Von den Kindern, der Inhaberin eines Kinderheimes und dem "Abwälzen" der Unterhaltspflicht liest man nichts im Gesetz. Genausowenig, wie da steht, daß die Ausführung des Betruges, der Geldfälschung, der Hehlerei und des Diebstahls "generalstabsmäßig-geplant", "profihaft-kaltblütig", "planmäßig-raffiniert" oder auch nur "dreist" sein müßte, wozu Bruns bemerkte: Werde strafschärfend berücksichtigt, daß die Sache "dreist" weggenommen worden ist, so liege ein Strafzumessungsfehler nicht vor. Obwohl diese Vereinfachung dem wirklichen Problemgehalt der Sache "nicht ganz gerecht" werde, sei der Hinweis "im Kern" natürlich berechtigt. 331 Es stimmt, um die unzulässige Verwertung von Tatbestandsmerkmalen, handelt es sich nicht. Die Tatricbter, die so verfuhren, zogen unerlaubterweise Umstände heran, die das "Regeltatbild" des betreffenden Deliktes kennzeichnen: Denn es gehört zum "gewöhnlichen Bild" des Betruges, daß die Gutgläubigkeit und geschäftliche Unerfahrenheit ausgenutzt wird. "Ebenso typisch ist das "schamlose" Verbalten bei der Begehung strafbarer Handlungen überhaupt und bei der Verwirklichung des Betrugstatbestandes insbesondere". 332 Dasselbe gilt für die Eigenschaftsworte "gefährlich", "ekelerregend" und für die Worte "gröblich", "verwerflich"333 oder "bedenkenlos". 334 Immer wieder ging es um die Berücksichtigung des Gewinnstrebens bei Delikten, bei denen der finanzielle Gewinn typischerweise Beweggrund ist. 330 BGH bei Dallinger, MDR 1957, 17, der dazu nicht nur anmerkte, die Entscheidung sei ein gutes Beispiel dafür, "wie schnell eine unbedachte Wendung ein vielleicht sonst gutes Urteil zu Fall bringen kann", so zit. bei Seibert, MDR 1959, 259, sondern auch dafür "wie leicht der Strafrichter bei der schriftlichen Begründung der Entscheidung das Opfer eines Denkfehlers werden kann" . 331 Bruns, 1974, S. 369; ders., Mayer-FS, S. 362. 332 So OLG Düsseldorf StV 1993, 76. 333 Beispiele nach Kolfka, LK 9. Aufl., § 13 Rdnr. 89; Hirsch, LK 10. Aufl., § 46 Rdnr. 103. 334 In BGH bei Detter, NStZ 1991, 274: bedenkenloses Hinwegsetzen über das sexuelle Selbstbestimmungsrecht des anderen bei der Vergewaltigung.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

Mösl schreibt, daß das Bestreben, beim Rauschgifthandel einen Gewinn zu erzielen, nicht verwertet werden dürfe, sollte sich allmählich herumgesprochen haben. 335 Und zwar unabhängig davon, wie es sonst noch umschrieben wird, sei es als Handeln "ausschließlich um des finanziellen Vorteils willen" oder als "reine Geschäftemacherei". 336 Daß der Angeklagte seine Heroingeschäfte "wegen des finanziellen Gewinns" betrieben habe, klinge "zwar sehr nach Verwertung eines Tatbestandsmerkmals, wurde aber noch hingenommen". 337 Die Irritationen hängen mit der Ansicht des BGH zusammen, daß "Gewinnstreben" und "Gewinnsucht" zwar subjektives Merkmal des Handeltreibens i. S. von § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG seien, nicht aber ein Gewinnstreben, das als "Profitgier" bezeichnet werden könne. 338 Wenn schon nicht Tatbestandsmerkmal, so kennzeichnet es doch das "Regeltatbild", zumal beim Rauschgifthandel. Insofern darf auch das "eifrige" Bemühen beim Verkauf nicht berücksichtigt werden. 339 Bei Betrug und Untreue ist zu unterscheiden: 340 Bei § 263 StGB kann damit das (subjektive) Tatbestandsmerkmal der "Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen" angesprochen und von daher ein Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB zu bejahen sein. Bei der Untreue gibt es ein entsprechendes Tatbestandsmerkmal nicht. 341 Hier kann man zu einem Verstoß nur gelangen, wenn man solche Umstände miteinbezieht, die "regelmäßig mit der Verwirklichung eines Tatbestandes verbunden und daher für dessen Unrechtsgehalt mitbestimmend sind" . 342

335 Mösl,

NStZ 1982, 152.

336 Schoreil, 337 Mösl,

NStZ 1982, 65 m. Nachw. der Fundstellen.

NStZ 1984, 162.

338 Zusammengfaßt in BGH NJW 1980, 1344 ff; ein weiteres Beispiel für diese Rechtsprechung: BGH bei Schmidt, MDR 1989, 1036; zur Geldfalschung bemerkte BGH NStZ 1987, 323, hier liege es nicht besonders "nahe", daß die Tat "ohne Profitstreben" begangen werde- so kann man es auch formulieren. 339 So

auch BGH StV 1984, 205.

340 Zu

pauschal daher BGH NStZ 1981, 343, wo das Handeln "mit Gewinnstreben", da im "Regelfall" zu Betrug und Untreue gehörig, wegen Verstoßes gegen § 46 Abs. 3 StGB beanstandet wurde. 341 So richtig Hettinger, GA 1993, S. 17, Fn. 87. 342 Dort

richtig eingeordnet von Lackner, § 46 Rdnr. 45.

Erstes Kapitel: Umfang und Grenzen des DVV

77

b) Bisherige Literatur

Die h.M. in der Literatur folgte der Rechtsprechung, 343 wenn auch häufig lediglich unter Wiedergabe der einschlägigen Entscheidungen: Dreher schreibt, unter das DVV fielen Tatbestandsmerkmale sowie die "regelmäßigen Tatfolgen". 344 Bei LackDer steht, dasselbe wie für Tatbestandsmerkmale müsse auch für solche Umstände gelten, "die regelmäßig mit der Verwirklichung eines Tatbestandes verbunden und daher für dessen Unrechtsgehalt mitbestimmend sind". 345 Bei Hirsch heißt es wie selbstverständlich und ohne daß dafür überhaupt eine Fundstelle angegeben wird, das DVV gelte auch "für sonstige Umstände, die regelmäßige Begleitumstände des Delikts sind". 346 Die Begriffsverwirrungen, die die Rechtsprechung angerichtet hat, setzen sich in der Literatur fort. Schäfer meint, es entspreche "gesicherter Rechtsprechung", daß regelmäßige ("tatbestandstypische") Tatfolgen oder regelmäßige ("tatbestandstypische") Verhaltensweisen bei der Tatbestandserfüllung ebenfalls dem DVV unterlägen. 347 Stree spricht - sachlich gleichbedeutend - in der Kommentierung zu § 49 Abs. 3 StGB in einer eigens eingefügten Randnummer von Umständen, die für die Durchführung der Tat "typisch" sind und von den "regelmäßigen Begleitumständen". Beide unterfielen dem Doppelverwertungsverbot Andererseits ergebe das Fehlen "typischer Begleitumstände" noch keinen Strafmilderungsgrund. 348 Theune, 349 Mösl350 und Detter,351 die die Rechtsprechung des BGH regelmäßig, meist zweimal jährlich, in einer Übersicht zum Strafzumessungsrecht zusammenstellen, haben sich ebenfalls angeschlossen. Theune hat die Rechtsprechung des BGH folgendermaßen zusammengefaßt: "Voraussetzung für die Verwendung eines Umstandes in der Strafzumessung ist eine Vorentscheidung über die Frage, ob er nach dem vorgegebenen Inhalt der anzuwendenden

343 Vgl.

schon Seebald, GA 1975, S. 231.

Dreher I Tröndle, § 46 Rdnr. 37 unter Berufung auf BGH StV 1987, 154. § 46 Rdnr. 45. 346 Hirsch, LK 10. Aufl., § 46 Rdnr. 100. 347 Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 307. 348 Schönke I Schröder-Stree, § 46 Rdnr. 45a. 349 Z .B. Theune, Pfeiffer-FS, S. 453 . 350 Z.B. Mösl, DRiZ 1979, 168. 351 Vgl. Detter, NStZ 1991, S. 274 u. 475 . 344

345 Lackner,

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

Strafvorschriften Bestandteil der regelmäßigen Tatbestandsverwirklichung ist." In diesem Fall dürfe er weder zugunsten noch zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden. Für ihn gelte§ 46 Abs. 3 StGB "entsprechend" . 352 Damit könnte eine Analogie gemeint sein. In der Tat hat der BGH nicht immer klar ausgesprochen, ob er seine Beanstandungen überhaupt auf § 46 Abs. 3 StGB, auf§ 46 Abs. 3 direkt oder auf§ 46 Abs. 3 StGB analog stützt. In den Urteilen ist die Rede von "ähnlichen" oder "gleichen, aus § 46 Abs. 3 abzuleitenden Bedenken". Da heißt es, eine Erwägung "laufe im Ergebnis auf einen Verstoß gegen das DVV hinaus", 353 "komme einem Verstoß gleich" 354 oder "beinhalte" einen solchen. 355 Analogien zugunsten des Angeklagten sind im Strafrecht möglich. Metbodologisch wäre allerdings Voraussetzung, daß tatsächlich eine "Lücke" besteht. Dette~56 bat, wie Streng, 357 seit neuestem die Trennung von Doppelverwertungsverbot und Regeltatbild eingeführt. 358 Bruns hatte dem Begriff des "Regeltatbildes" ein gewisses Gewicht verliehen, indem er es zusammen mit der Fundstelle in die 1985 erschienene zweite Auflage des Leitfadens übernahm. Er sieht darin einen "verkappten" Verstoß gegen das DVV, und meint damit solche Fälle, in denen der Verstoß "nicht immer so klar zutage" tritt. 359 Streng widmet dem "Regeltatbild" ein eigenes Unterkapitel in seinem Lehrbuch. 360 Er nennt es ein "eng mit dem DVV verwandtes, nämlich daraus abgeleitetes Prinzip", daß Umstände, die zwar nicht zum gesetzlieben Tatbestand gehören, aber dennoch den "Normalfall" oder das "Regeltatbild" des entsprechenden Delikts charakterisieren, weder straferhöhend noch strafmildernd berücksichtigt werden dürften. Er selbst steht der Regeltatbild-Argumentation allerdings skeptisch gegenüber und warnt vor unrealistischen Erwartungen, die sich mit dem Regeltatbild verbinden, meint aber auch, es sei eine "Möglichkeit, ein352 Theune, 353 Z.B.

Pfeiffer-FS, S. 454.

BGH NStZ 1985, 215; NStZ 1982, 463; BGH bei Mösl, NStZ 1984, 162.

354 BGH

bei Mösl, NStZ 1982, 152.

355 BGH

StV 1990, 160.

356 Detter, NStZ 1990, 177; NStZ 1990, 485; NStZ 1991 , 274; NStZ 1991, 475; NStZ 1992, 171.

357 Streng,

Strafrecht!. Sanktionen, S. 205 f.

358 0ffenbar

aber auch wieder aufgegeben seit NStZ 1992, 478; vgl. auch NStZ 1993, 177 und NStZ 1993,475, wo es wieder fehlt. 359 Bruns, 1985, S. 133. 360 Streng ,

Strafrechtliche Sanktionen, S. 206.

Erstes Kapitel: Umfang und Grenzen des DVV

79

zeine bereits verbrauchte Strafzumessungsbegründungen auszuschließen". Die größten Chancen erblickte wohl Horn in der Entwicklung. Auch er bat der Frage eine eigene Randnumme?'1 vorbehalten: Die umfangreiche obergerichtliebe Rechtsprechung zeige, daß das größte Problem derzeit die Beschreibung des "gesetzlichen Normalbildes" sei. Dabei spielten die tatsächlichen Erwägungen des bistorisehen Gesetzgebers noch die geringste Rolle. 362 Für ihn ist die Frage der Doppelverwertung in diesen Fällen vielmehr eine "Domäne teleologischen Denkens": 363 Ist die seelische Belastung des Bestohlenen dem Diebstahl "eigentümlicb"?364 Gehört die bewußte Schwangerschaftsgefährdung zur Vergewaltigung? Das sah nach einer richtungweisenden Zukunftsperspektive für das "Regeltatbild" aus. Es versprach, der revisionsrechtlichen Kontrolle einer immer noch mit dem Geruch des "freien tatrichterlieben Ermessens" behafteten Strafzumessung neuen Auftrieb zu verleihen. c) Das 2. Samenergußurteil Mit alledem bricht die Entscheidung des 1. Senats für Strafsachen, die ihrer grundsätzlichen Bedeutung wegen in die amtliebe Sammlung aufgenommen wurde. 365 Und zwar ganz bewußt, um einer "bis ins einzelne gehenden revisionsrechtlichen Kontrolle" den Riegel vorzuschieben. Das steht zwar so nicht in dem Urteil. Der Große Strafsenat hatte es aber kurz zuvor in einem nicht minder aufsehenerregenden Beschluß366 auf eine Vorlage desselben 1. Senats bin genauso ausgesprochen, bei dem dieser sich gegenüber der abweichenden Meinung der anderen, insbesondere des 2. Senats, durchsetzen

361

SK-Horn, § 46 Rdnr. 46.

aber zu Unrecht, Streng, Strafrecht}. Sanktionen, S. 206, der meint, hinter dem Regeltatbild stehe der Gedanke, daß diejenigen Überlegungen, welche den Gesetzgeber zur Schaffung des Straftatbestandes veranlaßt haben, schon abgegolten sind. 362 Anders,

363 SK-Horn,

§ 46 Rdnr. 135.

hatte es BGH bei Dallinger, MDR 1958, 565 fonnuliert; dazu auch Bruns, Mayer-FS, S. 359; ders., 1974, S. 367. 364 So

36!5BGHSt 37, 153 = MDR 1990, 1127; NJW 1991, 185; NStZ 1991, 33; StV 1991,225. 366 BGHSt

34, 345 ff

= JZ 1988,157 = NJW 1987, 3014.

80

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

konnte und auf den er sich nunmehr beruft. 367 Damals, in seinem Vorlagebeschluß, hatte es der 1. Senat dahinstehen lassen, ob das "regelmäßige Erscheinungsbild" eines Delikts vom Verbot der Doppelverwertung umfaßt sei. Er stellte lediglich fest, mit diesem oder ähnlichen Ausdrücken, von denen mitunter die Rede sei, werde "stillschweigend oder auch ausdrücklich auf § 46 Abs. 3 StGB Bezug genommen". Der Senat bezweifelte, "ob diese Auffassung der Bestimmung und Bedeutung von § 46 Abs. 3 gerecht" werde, hielt eine Entscheidung darüber aber nicht für nötig. 368 Knapp vier Jahre später stand die offengelassene Frage zur Entscheidung an. Die Gelegenheit bot sich auf eine Revision des Angeklagten in einem Vergewaltigungsfall hin. Das LG München I hatte zum Nachteil des Angeklagten zwei Umstände berücksichtigt: erstens, daß es zum Samenerguß in die Scheide gekommen war und zweitens die Tatsache, daß der Täter kein Kondom benutzte (sog. ungeschützter Geschlechtsverkehr~. Das waren exakt die Umstände, die den 3. Senat fünf Jahre zuvor- also noch vor der angesprochenen Plenarentscheidung310 - dazu veranlaßt hatten, ebenfalls in einem Vergewaltigungsfall, auf die Revision des Angeklagten hin, den Strafausspruch des LG Mannheim aufzuheben. 371 In Übereinstimmung mit der damaligen Rechtsprechung und der h.M. in der Lehre hatte der 3. Senat damals auf das "normale Erscheinungsbild des vom Tatbestand der Vergewaltigung erfaßten Unrechts" rekurriert. Dazu gehöre es eben auch, "daß der Täter den gewaltsamen Ge-

367 BGHSt 37, 156 - was das methodische Vorgehen angeht jedoch zu Unrecht, meint Weßlau, StV 1991, 259; zur Verbindung von Plenarentscheidung und Samenergußurteil auch Hettinger, GA 1993, 1 ff.

368 BGH

1. StR JR 1987, 120.

369 Zu

diesem Umstand, nunmehr auf der Linie des 1. StR, BGH 2. StR bei Detter, NStZ 1992, 478. 3111 Der 3. Senat hat auf Anfrage des 1. Senats mitgeteilt, daß er im Hinblick auf die Entscheidung des Großen Senats fiir Strafsachen an seiner früheren Rechtsprechung, jedenfalls in dieser "allgemeinen Form"(?), nicht festhalte, BGHSt 37, 157; dazu Helringer, GA 1993, S. 23 mit Fn. 107; krit. zur Notwendigkeit einer Kursänderung aufgeund der Plenarentscheidung Weßlau, StV 1991, 259; vgl. auch die Einschätzung Neumanns, StV 1991, 256, daß die Entscheidung des Großen Senats die bisherige Linie nicht grundsätzlich in Zweifel gezogen habe.

371 BGH 3 . StR NStZ 1985, 215; bei Müller, NStZ 1985, 161; bei Ho/Jz MDR 1985, 283; zust. Maurach I Gössel I Zipf, AT, § 63 I Rdnr. 66; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 307; ebenso Bruns, 1985, S. 135 mit ausdrücllichem Hinweis auf das "Regeltatbild" - bis heute dieser Meinung: Schönke I Schröder-Stree, § 46 Rdnr. 45 a.

Erstes Kapitel: Umfang und Grenzen des DVV

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schlechtsverkehr mit einer empfängnislahigen Frau auch bis zum Samenerguß ausführt" . 372 Zum Unterlassen von Vorkehrungen gegen eine ungewollte Schwangerschaft führte der 3. Senat aus: Der Vergewaltiger, der in der vom LG erwogenen Richtung Rücksicht walten lasse, möge im Einzelfall Strafmilderung verdienen. 373 Ein Grund zur Schärfung liege darin nicht. Damit war der ebenfalls bis zur Plenarentscheidung anerkannte Grundsatz angesprochen, daß die Abwesenheit eines Strafmilderungsgrundes keinen Strafschärfungsgrund und umgekehrt das Fehlen eines Strafschärfungsgrundes noch keinen Milderungsgrund abgebe. Genausogut hätte der 3. Senat hierfür auf das "Regeltatbild" der Vergewaltigung abstellen können. Streng glaubt, die strafschärfende Berücksichtigung des Fehlens eines Strafmilderungsgrundes gelte sogar als "klassischer Verstoß" gegen das Regeltatbild-Prinzip (wenngleich ihm selbst die RegeltatbildArgumentation hier letztlich überflüssig erscheint). 374 Zipf meint, der Grundsatz, daß das bloße Fehlen eines Strafmilderungsgrundes nicht strafschärfend veranschlagt werden dürfe, beruhe jedenfalls auf "ähnlichen Erwägungen" wie das DVV. 375 Denn zum Regeltatbild der Vergewaltigung gehört sicher nicht, daß der Vergewaltiger ein Kondom benutzt, nach Weßlau ein "eher theoretischer Fall". 376 Wenn die Partner eine Absprache über die Vorkehrungen gegen die Schwängerung treffen, dann ist das vielmehr das Verhalten, das man vom Normalbürger erwartet, aber nicht vom Sexualstraftäter. Bei beiden Erwägungen hätte es sich auch angeboten, auf die gesetzgebensehen Motive zurückzugreifen, die den Gesetzgeber bei der Aufstellung des Strafrahmens "geleitet" haben und nach h.M. schon von daher für die richterliche Strafzumessung verbraucht sind. Die Gefahr der Schwängerung war für den Gesetzgeber sicherlich ein entscheidendes, wenn nicht das entscheidende Motiv. Warum sonst hat er die sexuelle Selbstbestimmung des Mannes nicht in gleicher Weise geschützt? Beide Umstände, sowohl der Samenerguß als auch der Verzicht auf ein Kondom, tragen zu der spezifischen Gefahr bei der 372 BGH

3. StR NStZ 1985, 215. WeßltJu, StV 1991, 261. 374 Vgl. Streng, Strafrecht!. Sanktionen, S. 206. 373 Zust.

Gössel I Zipf, AT,§ 63 I Rdnr. 64. StV 1991, 261 - nach Greger, MSchrKrim 1987, 270 immerhin in 4 von 171 im Jahre 1982 in Bayern statistisch erfaßten Verurteilungen; vgl. auch BGH bei Theune, NStZ 1987, 163, wo es einmal so war: Der Täter hatte die Frau auf ihren Wunsch sogar zum Bahnhof gefahren. 375 MaurachI 316 WeßltJu,

6 Flhl

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

Vergewaltigung bei. 317 Umgekehrt wäre die Gefahr ungewollter Schwangerschaft ausgeschlossen oder doch erheblich verringert worden. Dem 3. Senat erschien diese Möglichkeit wohl zu unsicher, denn er hob ausdrücklich hervor: "Dies gilt unabhängig davon, ob die Gefahr der Schwängerung ein wesentlicher Grund für den gegenüber der sexuellen Nötigung erhöhten Strafrahmen" war. 378 Damit räumt der 1. Senat bei dieser Gelegenheit radikal auf und bricht so mit einem bis dahin in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsatz: Die Strafzumessungsrelevanz könne Umständen nicht abgesprochen werden, nur weil sie den einem Tatbestand zugrundeliegenden gesetzgebensehen Zweck kennzeichneten. 379 Zur Begründung heißt es nunmehr: "Auch der gesetzliche Zweck findet seinen Ausdruck im Tatbestand und seiner Auslegung durch die Rechtsprechung. • Verbraucht sind die gesetzgeberieben Motive und Intentionen danach nur in dem Umfang, in dem sie Tatbestand geworden sind. Also gerade nicht über den Tatbestand hinaus. Das ist eine Absage an all jene, die den Geltungsbereich des DVV über die Tatbestandsmerkmale hinaus auf die Hintergründe der Norm ausdehnen zu können geglaubt hatten und damit den § 46 Abs. 3 StGB gerade auf solche Erwägungen erstrecken wollten, die dem Gesetz "unausgesprochen" zugrunde liegen. 380 Der BGH verweist sie nunmehr auf das, was in der Norm "ausgesprochen" ist. Die Formel: "Gesetzgeberischer Zweck nur im Rahmen des Tatbestandes" ist in Wahrheit die Aufgabe des gesetzgebensehen Zweckes im Rahmen des DVV. Sein Hauptaugenmerk richtete er aber auf den Begriff des "normalen Erscheinungsbildes". 381 Zutreffend referiert der 1. Senat die bisherige anderslautende Rechtsprechung des BGH, insbesondere des 3. Senates- sowie die h.M. im Schrifttum, wie man hinzufügen möchte - dahingehend, daß derlei Umstände durch das DVV von der Strafzumessung ausgeschlossen würden. Wie er es bereits in seinem Vorlagebeschluß aus dem Jahre 1986 angedeutet hatte, 317 So

auch Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 626. 3.StR NStZ 1985, 215. 379 BGHSt 37, 156 f. 380 Anders die Deutung von Hettinger, GA 1993, S. 25 f, der die Bemerkung als "ganz im Sinne der ständigen Rechtsprechung" interpretiert. 381 BGHSt 37, 155: "gleichbedeutend: Normalfall, Regeltatbild, regelmäßiges Erscheinungsbild", wie es da in einem Klammerzusatz ungeachtet der Tatsache heißt, daß die Begriffe durchaus nicht alle gleichbedeutend gebraucht worden sind und werden, vgl. Frisch, GA 1989,338 ffu. 361 ff. 378 BGH

Erstes Kapitel: Umfang und Grenzen des DVV

83

will er diese Auffassung verwerfen. Sie verkenne die Grenzen des § 46 Abs. 3 StGB. Der Grund, weshalb Tatbestandsmerkmale für die Strafzumessung nicht verwendet werden dürften, sei darin zu sehen, daß diese Umstände auf der ganzen Breite des Strafrahmens bereits berücksichtigt seien und so vorausgesetzt würden. 382 Bei § 177 StGB ist es der Beischlaf, der an allen Stellen des Strafrahmens vorausgesetzt ist. Wann dieses Tatbestandsmerkmal verwirklicht sei, habe die Rechtsprechung in Auslegung der Vorschrift festgelegt: Mit dem Eindringen des Gliedes in den Scheidenvorhof. Alle Täter, die dieses Merkmal verwirklicht haben, seien sich in einem gleich. Sie werden - im Normalfall383 - mit Freiheitsstrafe zwischen zwei und fiinfzehn Jahren bestraft; denn sie haben alle das gleiche getan: den Tatbestand des § 177 StGB vollendet. Diese Gemeinsamkeit ende indessen, "sobald mehr ins Spiel kommt, als nur die bloße Vollendung des Tatbestands". 384 Man hat das den "Vollendungsansatz" genannt, 385 weil die Grenzen des strafzumessungsrechtlichen DVV danach mit der Grenze zwischen tatbestandlieber Vollendung und bloßem Versuch zusammenfallen. Zum Regeltatbild sagt der BGH: Alles, was die Tat im übrigen begleite oder sonst präge, sei nicht mehr bloße Tatbestandserfüllung, sondern Art der Ausführung, die nach§ 46 Abs.2 StGB sogar namentlich für die Strafzumessung in Betracht komme. Um "ungeschriebene Tatbestandsmerkmale" handele es sich dabei nicht. Wäre das der Fall, so hinge die Vollendung davon ab, daß sie vorlägen. Deshalb kommt der Senat zu dem Schluß: "Darüber hinaus bietet das Gesetz keine Handhabe, andere - mehr oder weniger häufig oder auch regelmäßig vorkommende, die Straftat in ihrer Ausgestaltung mit prägende Umstände den Merkmalen des gesetzlichen Tatbestands (§ 46 Abs. 3 StGB) als ungeschriebene gleichzusetzen. "386 Daß hier das Gebiet des § 46 Abs. 3 StGB "verlassen" sei, zeige gerade der Satz in früheren Entscheidungen, namentlich der des 3. Strafsenats, wonach der Vergewaltiger "im Einzelfall" Strafmilderung verdiene, wenn er Vorsicht walten lasse. Für solche Ausruh382 BGHSt 383 Hier

37, 154 unter Berufung auf E 1962 und E 1956.

meint der BGH freilich nicht den soeben verworfenen Normalfall, sondern den Fall, der kein minder schwerer Fall i. S. von § 177 II StGB ist. 384 Soweit BGHSt 37, 154. 385 Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 625. 386 BGHSt 37, 155. 6•

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

rungen sei im Rahmen des § 46 Abs. 3 StGB kein Raum: "Es gibt kein "Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes", das zwar strafmildernd, nicht aber strafschärfend wirken könnte. "387 Positiv wie negativ - zumessungserheblich könne nur sein, was nicht mehr vom Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB erfaßt sei. 388 - Diese Konsequenz ist in der Tat zwingend.

d) Die Literatur zur Neubestimmung der Grenzen des DW In der Literatur ist die Entscheidung daher nicht nur auf Ablehnung gestoßen. So wollen Schall I Schirrmacher dem 1. Senat bei der Neubestimmung des Umfangs des DVV folgen, ob sich daraus jedoch eine straferschwerende Wirkung ableiten lasse, bleibe an dieser Stelle freilich offen. 389 Die Auffassung, daß auch die regelmäßigen oder typischen Begleitumstände gleichsam vom "Bannstrahl" des DVV miterfaßt werden müßten, sei allem Anschein nach von der Befürchtung getragen, daß diese Begleitumstände ansonsten zwingend schärfend zu Buche schlagen müßten, dem sei aber nicht so. 390 Ähnlich sieht es Grasnick in seiner Urteilsbesprechung: Zutreffend trenne der 1. Senat das Gebiet des § 46 Abs. 3 StGB von dem Anwendungsbereich des § 46 Abs. 2 StGB. Ohne mit einem Wort auf die gegenteilige, früher immerhin h.M. einzugehen, zieht er die Grenzlinie, wie der BGH, bei der Tatbestandsvollendung: "Jedes Mehr aber, alles was darüber hinaus geht, fällt im Gegensatz hierzu in den Bereich des§ 46 Abs. 2 StGB. "391 Nur: Die zweifellose Bejahung der Strafzumessungsrelevanz besage noch nichts darüber, welche Bedeutung der Durchführung des ungeschützten Verkehrs letztlich zukomme. Die Gleichung "strafzumessungsrelevant = strafschärfend" stimme jedenfalls nicht. 392 Im Ergebnis gibt er der früheren Entscheidung recht, die darin keinen Schärfungsgrund sah: "Nur folgt dieses Ergebnis, darin ist dem heute erkennenden Senat zuzustimmen, nicht aus einer Anwendung des § 46 387 BGHSt 388 BGHSt

37, 155. 37, 156.

389 Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 626; vgl. auch Neumann, StV 1991, 258, der das Zwischenergebnis des BGH hypothetisch akzeptieren will.

I Schirrmacher, Jura 1992, 627. Grasnick, JZ 1991, 933; ebenso Heninger, GA 1993, 11. 392 Grasnick, JZ 1991, 933: Der Schluß vom einen auf das andere sei erkennbar falsch. Deshalb heißt es am Anfang der Besprechung: "Glasklare Deduktionen allein verbürgen noch kein richtiges Ergebnis." 390 Schall

391

Erstes Kapitel: Umfang und Grenzen des DVV

85

Abs. 3 StGB. Damit hat es wirklich nichts zu tun. "393 Dagegen halten Neumann394 und Weßlau395 an dem alten, in zahlreichen Entscheidungen des BGH vertretenen und im Schrifttum gebilligten Standpunkt fest, daß das DVV auch die regelmäßigen Begleitumstände sowie die unausgesprochenen Tatbestandsmerkmale erfasse, wie er auch in der 1. Samenergußentscheidung vertreten worden war. In den Kommentaren wird die Entscheidung zur Kenntnis genommen, aber selten in ihrer vollen Reichweite gewürdigt: Dreher referiert das Ergebnis der neuesten Entscheidung mitsamt den ablehnenden Besprechungen von Neumann, Weßlau und Grasnick; die abweichende Meinung des 3. Senats sei aufgegeben. 396 Urteil und Besprechungen sind auch bei Horn aufgenommen. 397 Im Kommentar von Schönke I Sehröder wird zuerst die alte Entscheidung genannt, der Hinweis auf die abweichende Meinung des 1. Strafsenats findet sich im Klammerzusatz für die andere Ansicht. 398 Bei Lackner erscheint nur das neue Urteil, ohne eigene Stellungnahme, dafür aber der Hinweis "streitig". 399 e) Problemstellung Kritik an der Einbeziehung des "Regeltatbildes" in den Geltungsbereich des DVV hat es schon vorher gegeben. Bereits Hettinger hatte die RegeltatbildArgumentation verworfen. Er schrieb dazu: "Mißverständlich erscheint es allerdings, wenn der BGH die Verwertbarkeit zum "Regeltatbild" gehörender Umstände verneint." -Gemeint war die Entscheidung BGH bei Holtz MDR 1978, 985, in der es darum ging, daß die Trunkenheitsfahrt "in gar keiner Weise notwendig war". Der Fehler liege hier nicht im Verstoß gegen das DVV, sondern darin, daß das LG das Fehlen von Umständen straferhöhend verwertet habe, deren Vorbandensein einen Strafminderungsgrund dargestellt hätten. 400 Frisch, immerhin ein engagierter Protagonist des "Regeltatbildes", meinte, der Grundsatz, daß Umstände, die das Regeltatbild verkörpern, als 393 Grasnick, JZ 1991, 936. 394 Neumann, StV 1991,256. 395 Weß/ou, StV 1991, 259. 396 Dreher I Tröndle, § 46 Rdnr. 37. 397 sLSK-Horn, § 46 Rdnr. 18, Nr. 42. 398 Schönke I Schröder-Stree, § 46 Rdnr. 45 a. 399 Lackner, § 46 Rdnr. 45. 400 Hettinger, DVV, S. 155.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

Strafzumessungsfaktoren für den Einzelfall auszuscheiden hätten, set zwar richtig - der in diesem Zusammenhang oftmals genannte § 46 Abs. 3 StGB tauge als Begründung aber nicht. 401 Timpe wollte die "regelmäßigen Begleitumstände" aus dem Anwendungsbereich des DVV verbannen - "weil das Doppelverwertungsverbot als generalisierender Anwendungsfall der materiellrechtlichen Begründungspflicht nur für Tatbestandsmerkmale und nicht auch für die sonst gewöhnlich dem § 46 Abs. 3 StGB subsumierten Fallgestaltungen gilt". 402 Der Versuch, die Ausweiterung des DVV auf die regelmäßigen Begleitumstände der Tat aus der Arbeitsteilung von Gesetzgeber und Richter zu erklären, hieße die Möglichkeiten des Gesetzgebers weit zu überschätzen: "Denn vermag der Gesetzgeber schon bei der Tatbestandsbildung nicht in die Zukunft zu sehen und jedes Verbrechen in seinen unendlich mannigfachen, eben darum keinem endlichen Verstande vollständig zu erschöpfenden, möglichen Verschiedenheiten zu verfolgen, wie soll er dann erst die regelmäßigen Begleitumstände voraussehen und schon bei der Bildung der Strafrahmen berücksichtigen können?" 403 Neumann warnt vor einer "subjektivierenden, auf mutmaßliche Vorstellungen des Gesetzgebers bezogenen Argumentation •. 404 Man müßte dann zu ergründen versuchen, was sich der einzelne Abgeordnete unter einer Vergewaltigung und deren Begleitumständen vorstellte, als das Gesetz verabschiedet wurde: Kam ihm der Samenerguß dabei in den Sinn? Wenn man sich schon auf die "problematische Frage" nach den Vorstellungen des Gesetzgebers einlasse, meint Neumann, dann liege eine Einbeziehung regelmäßiger Begleitumstände "eher näher" . 405 Freilich betont auch die h.M., die Abgrenzung zwischen dem, was der Gesetzgeber bereits bedacht habe und dem, was der Richter noch verwerten dürfe sei "nicht immer leicht" . 406 Darin wird überhaupt der "wunde Punkt" der Lehre gesehen. 407 Hier bietet der Vollendungsansatz des 1. Senats den Ausweg: Abgrenzungsschwierigkeiten zwiFrisch , GA 1989, S. 361, Fn. 93. S. 57 f; vgl. aber auch Neumann, StV 1991, 258, der diese Konsequenz aus dem DVV als Anwendungsfall der materiell-rechtlichen Begründungspflicht jedoch nicht für zwingend hält. 401

402 Timpe,

403 Timpe,

S. 44- unter Berufung auf Feuerbach.

404 Neumann,

StV 1991,257.

StV 1991, 257. LK 9. Aufl., § 13 Rdnr. 89. 407 Jagusch, LK 8. Aufl., vor§ 13 B II 1 d.

405 Neumann , 406 KoJ!ka ,

Erstes Kapitel: Umfang und Grenzen des DVV

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sehen der gerade noch und den schon nicht mehr vom Doppelverwertungsverbot erfaßten Fälle, wie sie die h.M. hatte, entfallen. Tatsächlich ist der sog. Vollendungsansatz zur Bestimmung der Reichweite des DVV keineswegs neu. Im Schrifttum hatte vor allem Hettinger bereits Jahre zuvor den Weg bereitet. Sein Ausgangspunkt war der Nachweis von "steigeruogsfähigeo Tatbestandsmerkmaleo". Wenn das DVV seineo Geltungsgrund in der Arbeitsteilung von Gesetzgeber und Richter hatte, dann mußte es mit der Gesetzgebungsmethode und damit zusammenhängen, daß der eine generell-abstrakt und der andere individuell-konkret vorging. Daraus, daß Tatbestandsmerkmale selbst nicht, wohl aber in ihrer konkreten Ausprägung berücksichtigungsfähig sein sollten, folgerte er, Tatbestandsmerkmale müßten eine "Doppelfuoktioo" haben. 408 Dabei war es dem Richter nur erlaubt, sie in ihrer individualisierend-konkretisierenden Funktion zu benutzen, aber nicht in der Funktion, wie sie der Gesetzgeber benutzte. Deshalb suchte er nach konkretisieruogs-,40'J bzw. steigerungstähigeo410 Tatbestandsmerkmalen. Er fand sie z.B. in § 223 Abs.l StGB: Körperliche Mißhandlung i. S. des § 223 Abs. 1 Alt. 1 StGB ist nach h.M. 411 eine üble und unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden "nicht nur unerheblich" beeinträchtigt wird. Diese Einschränkung zeige bereits, daß es sich bei der Mißhandlung um einen Maßbegriff handele, der erst von einer gewissen Quantität an erfüllt ist. 412 Ebenso verhalte es sich bei dem Begriff des Beschädigens i.S.v. § 303 StGB, der nach allgemeiner Meinung voraussetzt, daß die bestimmungsmäßige Brauchbarkeit durch die Einwirkung des Täters "nicht nur geringfügig" beeinträchtigt wird. 413 Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Der Befund ist derselbe bei allen Tatbeständen, die die Rechtsprechung mit einer derartigen Minimaklausel versehen hat, z.B. auch bei der Freiheitsberaubung nach § 239 StGB, wo die Qualität von einer gewissen Mindest-

«18 Hettinger,

DVV, S. 103 ff.

40'JHettinger, DVV, S. 94 ff. 410 Hettinger, DVV, S. 91 ff. 411 Vgl.

412

nur BGHSt 25, 277.

Hettinger, DVV, S. 91; k.rit. dazu Hauser, Verknüpfungsproblematik, S. 74: die

Existenz von steigerungsfähigen Tatbestandsmerkmalen werde dadurch nicht schlüssig nachgewiesen, es handele sich nicht um Maßbegriffe, sondern um juristisch unbefriedigende Formulierungen. 413 Vgl.

nur Schönlee I Schröder-Stree, § 303 Rdnr. 8 a.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

dauer abhängen soll. 414 Erst dann schlägt die Quantität der mehr oder weniger großen Beeinträchtigung in eine neue Qualität um: die Freiheitsberaubung. 415 Selbst der ~Beischlaf" in § 177 StGB ist, wie der BGH demonstriert, ein steigerungsfähiges Tatbestandsmerkmal, nach Art und Dauer - bis hin zum Samenerguß.416 Von hieraus führt nun der Gedanke zum Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB. Maßbegriffe haben auf der Ebene des Tatbestandes strafbarkeitsbegründende Funktion, d.h. ein bestimmtes, jeweils erst zu ermittelndes ~Mindestmaß~ führt zum Eingreifen des ihnen zugeordneten Strafrahmens. 417 "Erst dieses Mindestmaß an Intensität (Quantität) gibt ihnen die Qualität, in concreto strafrahmenbegründend zu sein. Soweit nun die Quantität das insoweit Notwendige übersteigt, ist sie wichtiger Strafzumessungsfaktor. "418 - Das ~insoweit Notwendige~ ist aber nichts anderes als die Tatbestandsvollendung, die der 1. Senat nunmehr zur Grenze erhoben hat. Hettinger nennt es treffender das "Mindestmaß~ des zur Tatbestandserfüllung Notwendigen oder die Mindestbedingung der vollendeten Tat. 419 Man könnte auch vom ~Minimum"-Ansatz sprechen. Und auch in der Rechtsprechung ist der Minimum-Ansatz keineswegs neu. In der ersten, überhaupt zum DVV veröffentlichten Entscheidung des Reichsgerichts431 finden sich bereits klare Anklänge daran: Es ging um eine Verurteilung aus dem Tatbestand des gewerbsmäßigen Glücksspiels (§ 284 StGB), der damals etwas anders formuliert war und nicht das Veranstalten, sondern das Spielen selbst unter Stafe stellte. Der Vorderrichter hatte in der Strafzu414 Siehe Schönke I Schröder-&er, § 239 Rdnr. 4. Alle Beispiele nach Hettinger, DVV, S. 91 f. 416 Ebenso Lackner, § 46 Rdnr. 45; ähnl. Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 626, die Gefahr ungewollter Schwangerschaft sei dadurch "natürlich deutlich gesteigert"; krit. dagg. Weßklu, StV 1991 , 260 f: Die Gefahr der Schwängerung als steigerungsfähige Tatbestandsmodalität anzusehen, wirke "sehr künstlich"; dagg. wieder Hettinger, GA 1993, S. 25, Fn. 24. 417 Frisch, GA 1989, 370 spricht vom "tatbestandlichen Schwellenwert" , von dem aus sich alle praktisch vorkommenden und für die Strafzumessung interessanten Sachverhalte als Steigerungen darstellten. 418 Hettinger, JZ 1982, 850; ähnl. schon ders., DVV, S. 93 f- bezogen auf die Vergewaltigung ders. , GA 1993 , 26. 419 So Hettinger, GA 1993, 26 in seiner Bespr. des 2. Samenergußurteils. 431 RG GA 56 (1909), 73; vgl. dazu auch Hettinger, DVV, S. 42 und den Hinweis in RGSt 57, 379, das sie als früheste Entscheidung nennt. 415

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messungzum Nachteil des Angeklagten dessen "Gewinnsucht" verwertet. Ein besseres Beispiel für einen regelmäßig vorhandenen, typischen Begleitl.lmstand, der insofern das "Regeltatbild" des Glücksspiels, zumal des gewerbsmäßigen, kennzeichnet, läßt sich kaum denken. Immer wieder hat der BGH daher entsprechende Erwägungen beanstandet, z.B. mit der Bemerkung, daß es bei der Geldfälschung nicht besonders nahe liege, daß der Täter ohne "Profitstreben" handele. 421 Nur: Das Gericht hatte früher bereits ausdrücklich festgestellt, daß "Gewinnsucht" bei der Verurteilung wegen gewerbsmäßigen Glücksspiels nicht notwendige Voraussetzung ist!22 Deshalb argumentierte das RG nun: "Nur der Wille, beim Spiel zu gewinnen, bildet ein begriffliches Erfordernis der Gewerbsmäßigkeil des Glücksspiels, denn ohne diesen Willen ist eine auf fortgesetzte Erwerbstätigkeit gerichtete Absicht nicht denkbar. Gewinnsucht im Sinne eines Bestimmungsgrundes für die Ausübung der Spieltätigkeit oder eines hierbei vom Spieler verfolgten Endzwecks wird dagegen zum Tatbestande des § 284 StGB nicht erfordert. Eben darum steht aber nichts im Wege, die Gewinnsucht da, wo sie den notwendigen Merkmalen des gewerbsmäßigen Glücksspiels noch hinzutritt, bei Abmessung der Strafe erschwerend zu berücksichtigen". 423 Besser kann man den Minimum-Ansatz nicht beschreiben. Zu dieser Linie kehrt der 1. Senat nun zurück. Zugleich wird darin aber deutlich, welche Gefahr dem Doppelverwertungsverbot von Seiten der Rechtsprechung her droht. Wenn das DVV nur das jeweilige Mindestmaß erfaßt, das die Rechtsprechung einem Tatbestandsmerkmal durch Auslegung gibt, dann kann das DVV einfach dadurch ausgehebell werden, daß man die Anforderungen an den Tatbestand schrittweise auf ein niedrigeres Maß zurückschraubt. Das DVV verläuft dann "zwangsläufig symmetrisch"!24 Reicht ein Weniger aus, um den Tatbestand zu bejahen, dann weicht auch das DVV zurück, und der Weg ist frei zur Verwertung in der Strafzumessung. Am Beispiel der Vergewaltigung: Daß der Samenerguß dafür nicht Voraussetzung ist, hat die Rechtsprechung schon früh entschieden. 425 Geht man vom Tatbestandsmerkmal des Beischlafs in § 177 StGB aus und nimmt man dem 421 BGH

NStZ 1987, 323.

422 RGSt

33, 238.

423 RG

GA 56 (1909), 73. 424 So auch Neumann, StV 1991, 257. 425 RGSt 4, 23.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

natürlichen Wortsinn nach zunächst an, daß darunter die "naturgemäße Vereinigung der Geschlechtsteile" zu verstehen ist, 426 dann wäre eben dies von der Verwertung in der Strafzumessung ausgeschlossen. Verlagert man nun mit der Rechtsprechung die Vollendung auf den Zeitpunkt vor, in dem das männliche Glied in den sog. Scheidenvorhof eindringt, 427 dann kann dieselbe Tatsache nun verwertet werden: Das Glied penetriert zuerst den Scheidenvorhof, d.h. den Raum vor der den Scheideneingang abschließenden Jungfernhaut - tatbestandliehe Vollendung - dann erst dringt es in den eigentlichen Scheideneingang ein. Das ist demgegenüber bereits ein "Mehr", also verwertbar428 was oft übersehen wird und bedeutet, daß zukünftig bei der Vergewaltigung nicht nur der Samenerguß, sondern auch die Tatsache strafschärfend herangezogen werden könnte, daß das Glied in die Scheide eingedrungen ist - genau wie jeder weitere Zentimeter, den das Glied vordringt, auch verwertbar wäre, wenn man es denn nur so genau feststellen könnte. 429 Ein anderes Beispiel: 430 Das Gericht hatte zu Lasten des wegen schweren Raubes Verurteilten bei der Strafzumessung berücksichtigt, daß er eine Waffe "eingesetzt" hatte. Das ist bei den Begehungsformen des § 250 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB keineswegs vorausgesetzt. Liest man im Gesetz nach, so ist die Tathandlung dort nur die, daß der Täter die Waffe "bei sich fiihrt", nicht daß er sie auch "einsetzt". Dem Juristen wird der Unterschied sofort einleuch-

426 So noch BGH NJW 1959, 1091 und heute noch Schönke I Schröder-Lenckner, § 173 Rdnr. 3. 427 BGHSt 16, 175 gegen BGH NJW 1959, 1090, wo es noch ausdrücklich geheißen hatte, der Eintritt des Gliedes in den Scheidenvorhof genüge gerade nicht. 428 So muß man BGH 1. StR NJW 1991, 185 wohl verstehen. 429 Unklar deshalb BGH 4. StR StV 1993, 132: Die Tatsache, daß es zu einem "vollendeteten" Geschlechtsverkehr gekommen ist, dürfe nicht strafschärfend berücksichtigt werden -das ist richtig, was die "Vollendung" angeht, gleichzeitig ist unwahrscheinlich, daß das Glied dabei nur bis in den Scheidenvorhof vorgedrungen ist; richtig dagegen BGH 3. StR bei Deller, NStZ 1993, 473, Fn. 42: eine "entwürdigende Behandlung" ginge über das hinaus, was zur Tatbestandserfüllung von§ 178 StGB erforderlich ist, und dürfe deshalb ohne Verstoß gegen § 46 111 StGB berücksichtigt werden; richtig wohl auch BGH 2. StR bei Dener, NStZ 1992, 171: Wenn das Tatgericht von einem freiwilligen Rücktritt ausgeht, dann kann natürlich auch der Versuch, das Geschlechtsteil "in die Scheide" einzuführen, nicht strafschärfend gewertet werden. 430 Nach BGH NJW 1990, 2570 = BGH bei Deller, NStZ 1990, 177; BGH bei Mösl NStZ 1983, 164; BGH StV 1982, 70 f = JZ 1982, 868; m. Bespr. Heltinger, JZ 1982, 849.

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ten. "Beisichführen" ist eben etwas anderes als "Einsetzen". Früher war hier wegen Verstoßes gegen das DVV aufgehoben worden. Dem LG Dortmuod, das dem Täter bei jeder einzelneo Tat angelastet hatte, daß er die Waffe nicht nur bei sich führte, sondern sie auch einsetzte, hatte der BGH noch unter Verweis auf seine ständige Rechtsprechung ins Stammbuch geschrieben, daß der Einsatz der Waffe "so sehr zum Regelfall der Tatbestandsverwirk.lichung" gehöre, daß er grundsätzlich keinen Schärfungsgrund abgeben könne. 431 In einer anderen Entscheidung - beide vom 4. Strafsenat - heißt es unter ausdrücklichem Hinweis auf§ 46 Abs. 3 StGB sogar, dies gehöre zum "Regelbild" des schweren Raubes. 432 Ausgehend vom Mindestmaß wäre das heute anders zu beurteilen. Denn dafür ist nur erforderlich, daß der Täter die Waffe bei sich führt. Setzt er sie ein, so tut er mehr. 433 Der 1. Strafsenat hat seinen Ansatz unlängst selbst am Beispiel der Scheinwaffenproblematik demonstriert. Im Gegensatz zur bisherigen Rechtsprechung dieses434 und anderer Senate435 argumentierte er nun, die §§ 255, 249, 250 StGB seien schon mit einer Drohung gegen die körperliche Unversehrtheil erfüllt. Darum sei es nicht rechtsfehlerhaft, wenn berücksichtigt werde, daß die Geschädigten in Todesangst gerieten (also: um ihr Leben fürchteten) . Der § 46 Abs. 3 StGB sei durch die nur die Art und das Ausmaß der Drohung kennzeichnenden Erwägungen "nicht berührt". 436 Bedenkt man, daß es für das "Beisichführen" u.U. schon ausreichen kann, wenn der Täter die Waffe in unmittelbarer Nähe des Tatorts im Auto zurück.läßt, 437 dann eröffnen sich ganz neue Perspektiven: Da man vom jeweiligen, nach dem Stand der Rechtsprechung gerade erreichten Minimum dessen auszuge431

BGH NJW 1990, 2570.

BGH StV 1982, 71. So schon damals Hettinger, JZ 1982, 851 -anders, nämlich wie früher, aber ohne Auseinandersetzung mit dem 1. StR, wieder BGH 4. StR StV 1991, 106. 434 Z.B. BGH 1. StR GA 1990, 316; zuletzt noch BGH 1. StR bei Vetter, NStZ 1992, 478, Fn. 31. 435 Z.B. BGH 4. StR StV 1986, 96. 436 BGH bei Vetter, NStZ 1992, 478 - mit der Bemerkung Vetters , es erscheine fraglich, ob die anderen Strafsenate dieser Entscheidung folgen würden; BGH 4. StR bei Vetter, NStZ 1993, 475, Fn. 39 hat es jedenfalls nicht getan; BGH 3. StR MDR 1993, 1040 hat sich jedoch unter ausdrücklicher Ablehnung von § 46 Abs. 3 StGB dem 1. Senat angeschlossen. 437 0ffengelassen in BGH GA 1971, 82; von BGHSt 31, 105 bei einer Entfernung von200m verneint; zum Ganzen Schönke I Schröder-Eser, § 244 Rdnr. 6. 432 433

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hen hätte, was zur Erfüllung des Tatbestandes gerade so ausreichte, stünde nichts entgegen, in der Strafzumessung nicht nur zu berücksichtigen, daß ein Täter die eigens mitgebrachte Waffe auch eingesetzt hat, geschweige denn, daß er sich zuvor damit "versorgt" hat, 438 sondern auch: daß er die Waffe schlicht dabei hatte und sie nicht im Auto zurückließ. 439 Vergegenwärtigt man sich die Konsequenzen, so ist einsichtig, warum die Literatur entgegen dem Widerstand der Rechtsprechung am Doppelverwertungsverbot festhält. Neumann spricht von einer "restriktiven lnterpretation" 440 und stellt ihr seine eigene ausweitende Interpretation gegenüber: Die Argumentation des 3. Senats sei konsequent, wenn man die Reichweite des Doppelverwertungsverbotes entsprechend dem Wortlaut des § 46 Abs. 3 StGB auf Tatbestandsmerkmale i.e.S. reduziere. Wenn man das DVV dagegen auf die regelmäßigen Begleitumstände erstrecke, dann stehe auch nichts entgegen, die Grenze abweichend von der Vollendung zu ziehen. Die Argumentation setze also voraus, was zu begründen wäre. 441

f) Stellungnahme Die Begründung ist- wenn sie denn wirklich noch nicht im Urteil enthalten ist - nachzureichen. Es ist ja keineswegs so, daß das DVV in Zukunft auf die Tatbestandsmerkmale beschränkt bleiben sollte, dafür besteht kein Anlaß. Man wird es auch zukünftig auf Regelbeispielmerkmale, auf rechtswidrigkeits- und schuldbegründende Merkmale, sowie unter gewissen Vorbehalten auch auf gesetzgebensehe Motivationen, den Grundgedanken der Norm und den Strafzweck erstrecken können, aber eben nur in dem Umfang, in dem sie notwendige, d.h. ausnahmslos für sämtliche Tatbestandsverwirklichungen gleichermaßen zutreffende Erwägungen darstellen. Nur dann stimmt, daß der betreffende Umstand auf alle Stellen des Strafrahmens, auf "das Strafminimum, das Maximum und alle dazwischen liegenden Strafgrößen unterschiedslos in gleicher Weise" zutrifft. 442 Lange bevor das DVV Gesetz wurde, ist Vgl. BGH bei Mösl, NStZ 1983, 165 = StV 1982,417. Anders, aber nach dem Minimum-Ansatz zu Unrecht, BGH 2. StR StV 1991, 63: der Umstand, daß der Angeklagte "schon bewaffnet zum Tatort gegangen ist", dürfte wegen Verstoßes gegen das DVV nicht verwertet werden. 438

439

StV 1991, 257. Neumann, StV 1991,257. 442 Schon erkannt von Beting, JW 1924, 1721. 440 Neumann,

441

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darin bereits das entscheidende Kriterium gesehen worden. Darum kann auch der Auffassung Neumannos nicht beigepflichtet werden, daß die historische Interpretation eher für eine ausdehnende Anwendung des DVV spreche. 443 Dies gilt für Tatbestandsmerkmale, für sonstige "strafrahmenbegründende", überhaupt für alle Umstände und Erwägungen, die auf sämtliche Fälle der betreffenden Art zutreffen. Das rechtfertigt es, sie den Tatbestandsmerkmalen gleichzustellen. Auf Begleitumstände, die nur "regelmäßig" oder "typischerweise" mit der Deliktsverwirklichung verbunden sind und so das "Regeltatbild" kennzeichnen, trifft das definitionsgemäß nicht zu. Der Strafrahmen muß ja nicht nur Fälle decken, die dem Regeltatbild entsprechen, sondern auch den vom Regeltatbild abweichenden Fall noch verarbeiten. 444 Deshalb paßt§ 46 Abs. 3 StGB weder dem Wortlaut noch seinem allgemeinen Prinzip nach: Denn "es handelt sich ja gerade nicht um eine für alle im Rahmen erfaßten Fälle gleichermaßen geforderte Bedingung". 445 Aus den gleichen Gründen ist auch die Möglichkeit einer Analogie zu § 46 Abs. 3 StGB zu verneinen, wie sie Theune446 vorgeschlagen hat: Es fehlt hier gerade die Vergleichbarkeit von geregeltem und ungeregeltem Sachverhalt. Wenn Neumann meint, unter Rückgriff auf Sinn und Zweck des DVV sei eine restriktive Interpretation "eher unplausibel" und sich dabei auf die Parallele zur Erscheinung der Konsumtion bei der Verwirklichung mehrerer Straftatbestände stützt, 447 dann zeigt er damit bereits, daß er das eigentliche Prinzip aufgegeben hat. Man kann das DVV nicht auf derlei Umstände ausdehnen, ohne das zugrundeliegende logische Prinzip zugunsten eines wertenden Prinzips aufzugeben, das Horn als die "Domäne teleologischen Denkens" beschrieben hat. 448 Das erkennt auch Neumann: Es sei richtig, daß ein Gesichtspunkt, der auf alle Elemente einer Klasse zutrifft, untauglich zur Differenzierung zwischen diesen Elementen sei, und richtig sei auch, daß die Situation bei der Be443 Neumann,

StV 1991, 257 mit Blick nur auf die Gesetzgebungsgeschichte, wo die frühere weitere Auffassung nicht in Frage gestellt worden sei. 444 Vgl. schon Manil, BayZRPfl 1927, 134: "Endlich dürfen Tatumstände besonders berücksichtigt werden, die zwar die regelmäßige, aber nicht die notwendige Folge eines gesetzlichen Tatbestandes bilden" - die Beispiele, an die er dabei denkt, gehören freilich eher zur Problematik der ungleichwertigen Tatbestandsaltemativen. 445 So

Frisch, GA 1989, S. 361, Fn. 93.

1heune, Pfeiffer-FS, S. 454. StV 1991,257. 448 SK-Horn, § 46 Rdnr. 153. 446

441 Neumann,

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

rücksichtigung nur typischerweise, aber nicht zwangsläufig vorliegender Tatumstände "insofern anders ist, als hier eine Differenzierung jedenfalls möglich" sei. 449 Ob man aber einen Gesichtspunkt, der in nahezu allen Fällen der Tatbestandserfüllung vorliege, als Argument für die Differenzierung akzeptiere oder nicht, sei "letztlich eine Frage der Dezision". Man habe es mit dem "Grenzfall eines Arguments" zu tun. 450 Dem kann so nicht gefolgt werden: Das zugrundeliegende Prinzip logischer Stringenz würde aufgegeben, wenn es sich um eine Frage der Dezision handelte.451 Der Boden des DVV wäre verlassen. Verneint man das hinter § 46 Abs. 3 StGB stehende logische Prinzip, so wären auch alle anderen, auf diesem Prinzip beruhenden Erweiterungen des Geltungsbereichs des DVV über dessen Wortlaut hinaus nicht mehr zu haben. Es bliebe dann nur die eng dem Wortlaut verhaftete Interpretation und die Begrenzung auf die reinen Tatbestandsmerkmale. Auch insofern muß Neumann widersprochen werden, daß aus dem Wortlaut der Vorschrift kein Argument für die eine oder andere Auffassung gewonnen werden könne. 452 Dort ist ganz klar nur von dem die Rede, was die Dogmatik Tatbestandsmerkmale nennt. 453 Eine grammatikalische Interpretation würde also erst recht zur Beschränkung des DVV auf die Tatbestandsmerkmale i. e. S. führen, die manangesichtsder Mühen, die es gekostet hat, erste "Breschen" 454 in den irrevisiblen Bereich tatrichterlichen Ermessens bei der Strafzumessung zu schlagen, kaum für wünschenswert halten kann. Darum ist dem 1. Senat zuzustimmen: Für das Regeltatbild ist im Rahmen des DVV "kein Raum". 455 Für das DVV gilt das Minimumprinzip. Auch darin ist dem BGH zuzustimmen. Der Richter muß sich stets fragen, ob auch ein "Weniger" zur Tatbestandserfüllung ausgereicht hätte. Wenn ja, steht das DVV einer Verwertung in der Strafzumessung nicht entgegen. Darum ist auch 449 Neumann,

StV 1991, 257.

450 Neumann, StV 1991, 258: Das DVV stehe deshalb "nicht zwingend entgegen" . 451 Ähnl. Hettinger, GA 1993, S. 13, Fn. 60: Eine Begründung gebe Neumann da-

für nicht; sie dürfte in diesem Zusammenhang auch unmöglich sein: Die Kluft vom logisch Notwendigen zum faktisch Häufigen lasse sich durch eine solche Dezision eben nicht schließen. 452 Neumann,

StV 1991,257.

453 Vgl. die ganz ähnliche Fonnulierung in§ 16 Abs. 1 StGB.

454 Zipf,

Strafmaßrevision, S. 97.

455 So BGH NJW 1991, 185.

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dem LG Frankfurt im Streit mit dem 2. Senat um die Berücksichtigungstähigkeit der Apothekereigenschaft bei § 96 Nr. 12 AMG nachträglich recht zu geben.456 Das LG führte aus: "Damit würde nach Ansicht der Kammer - anders als der BGH in seinem Beschluß vom 19. 11. 1981 - 2. StR 589 I 81 457 ausgeführt hat - auch nicht gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB verstoßen. Zwar wird es sich i.d.R. um Apotheker handeln, die von der Vorschrift des § 96 Ziff. 12 AMG erfaßt werden. Jedoch liegt dies daran, daß diese Berufsgruppe am häufigsten verschreibungspflichtige Armeimittel abzugeben hat, nicht daran, daß diese Norm eine Sondervorschrift für Apotheker ist. Vielmehr kann ... jeder Täter sein, der solche Armeimittel in einer Apotheke ohne Verschreibung abgibt, beispielsweise eine zum Verkauf berechtigte pharmazeutisch-technische Assistentin, eine sonstige in der Apotheke beschäftigte Person oder ein Nichtapprobierter, der sich widerrechtlich als Apotheker ausgibt. "458 Die Argumentation des LG ist, trotzzweierentgegenstehender BGH-Urteile, richtig. Sie zeigt im übrigen, daß auch die Instanzgerichte schon vor der 2. Samenergußentscheidung einen Minimum-Ansatz vertreten haben. Eine einzige Ausnahme reicht aus, damit eine Erwägung nicht mehr auf alle dem Tatbestand subsumierbaren Sachverhalte gleichermaßen zutrifft und folglich auch nicht mehr vom DVV erfaßt wird. Das Minimum-Prinzip gilt für alle Bereiche des DVV, es gilt für die Tatbestandsmerkmale ebenso wie für die Merkmale von Regelbeispielen, für unrechts- und schuldbegründende Umstände und insbesondere auch für die Hintergründe der Norm, den Strafzweck, die Grundgedanken, gesetzgebensehe Motive und Intentionen. Dort wurde besonders deutlich, daß das DVV, der erste und vielleicht der wichtigste Meilenstein auf dem Weg zu einem rationaleren Strafmaß, sonst selbst der 456 Zur Vorgeschichte: Das LG Frankfurt hatte berücksichtigen wollen, daß den "durch eine intensive universitäre Ausbildung auf den Berufvorbereiteten Apothekern eine außerordentlich hohe Verantwortung für die Volksgesundheit übertrtagen" sei. Der 2. Senat hob mit der Begründung auf, solche Erwägungen verstießen gegen das DVV, weil sie sich mit den Überlegungen deckten, die den Gesetzgeber dazu veranlaßt hätten, solche Taten überhaupt unter Strafe zu stellen, abgedruckt in BGH NStZ 1982, 113. 457 BGH NStZ 1982, 113. 458 Die Erwiderung des LG Frankfurt ist wörtlich wiedergegeben in BGH NStZ 1982, 463 - der 2. Senat hielt jedoch an seier früheren Rechtsprechung fest und hob erneut auf.

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rationalen Kontrolle zu "entgleiten" drohte, 459 weil sich damit "alles und nichts" begründen ließe. Aus logischen Gründen scheidet nur das absolute Minimum dessen, was zur Erfüllung des Tatbestandes gerade so nötig ist oder, ohne nötig zu sein, ausnahmslos und stets anzutreffen ist, bei der Entscheidung über die Strafzumessung aus. Alles andere kann aus logischen Gründen in der Strafzumessung verwertet werden. Für das komplementäre, das wertende Ausschlußprinzip, muß ein anderer Standort im Ablauf der Strafzumessung gefunden werden. Das DVV betrifft nur das zwingende, eben das logische Ausschlußprinzip.

IV. Zusammenfassung Die in der Literatur schon teilweise lange vor der Schaffung der gesetzlichen Regelung gegen das richterrechtlich entwickelte Verbot der Verwertung von Tatbestandsmerkmalen geäußerten Bedenken und der praktisch seit dieser Zeit währende Streit um den Geltungsgrund des DVV haben gezeigt, daß es nicht einfach war, das Doppelverwertungsverbot auf einen gemeinsamen Nenner zurückzuführen. Die naheliegendste und einfachste Erklärung, daß es sich dabei um ein schlichtes logisches Prinzip handelte, ergab sich zugleich als der kleinste gemeinsame Nenner und hat sich auch bei der Durchleuchtung einzelner Fallgruppen, die nicht schon dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung unterfallen, als tragfähig erwiesen: So konnte damit zwanglos die Ausdehnung des DVV auf die Merkmale von Regelbeispielen und sonstige benannte minder schwere und besonders schwere Fälle, sowie auf rechtswidrigkeits- und schuldbegründende und sämtliche unrechtsbegründende Merkmale, z.B. beim Versuch, erklärt werden. Vermeintliche Ausnahmen vom DVV, wie die strafschärfende Berücksichtigung von Tatbestandsmerkmalen bei der Erfüllung mehrerer Alternativen eines Tatbestandes oder die angebliche Nichtgeltung des DVV bei unbenannten besonders schweren und minder schweren Fällen, konnten ebenfalls auf das zugrundeliegende logische Prinzip zurückgeführt und mit seiner Hilfe befriedigend geklärt werden. Mehr noch: Sie konnten als in perfekter Übereinstimmung mit dem DVV befindlich von der Liste der Ungereimtheiten gestrichen werden, die die Kritiker zuweilen gegen das DVV ins Feld zu führen versucht haben.

459

Zipj, Strafmaßrevision, S. 99.

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Andererseits mußten aber auch Einschränkungen der Reichweite des DVV vorgenommen werden bei Fallgruppen, die herkömmlich, wenn auch recht undifferenziert und nicht ohne Widerspruch zu erregen, unter das DVV subsumiert worden waren, das sich als Auffangbecken für eine im Ergebnis zu Recht für unzulässig gehaltene Strafschärfung anzubieten schien, seinem wahren Geltungsgrund nach dafür aber ungeeignet war. Das galt vor allem für die Unzulässigkeil leerer Phrasen und Formeln in den Urteilsgründen und die Zusätze von Adjektiven und Adverbien zu den Tatbestandsmerkmalen, die schon immer ein Problem bereitet hatten und gelegentlich wegen eines Verstoßes gegen das DVV aufgehoben worden waren, wodurch das DVV in der Meinung mancher bereits zu einer bloßen Formulierungsfrage geworden war. Der Fehler konnte hier nicht im Verstoß gegen das DVV gesehen werden, sondern, wenigstens zum Teil, als Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes gekennzeichnet werden. Dies stand beispielhaft für die Möglichkeit, auch weitere vermeintliche Verstöße gegen das DVV auf andere Ursachen zurückzuführen, die die Unzulässigkeil der Verwertung in der Strafzumessung plausibel machen. Bedenken mußten auch gegenüber der Ausdehnung des DVV auf die Hintergründe der Norm, ihren Grundgedanken, den Strafzweck, die gesetzgebensehen Motive und Intentionen erhoben werden, soweit sie nicht zwingend und ausnahmslos für sämtliche dem Straftatbestand unterfallenden Deliktsverwirklichungen zutreffen. So waren nicht wenige der üblicherweise in dieser Fallgruppe lozierten Entscheidungen zweifelhaft. Darum ist Vorsicht geboten, wenn der Erweiterung des DVV auf solche Erwägungen im Prinzip auch zugestimmt werden kann. All das ließ sich teilweise auch mit der h.M. durch die richtig verstandenen Arbeitsteilung von Gesetzgeber und Richter erklären - aber nur unter gelegentlichen Anfechtungen, die die Erklärung aus dem logischen Prinzip heraus jener überlegen erscheinen lassen. Der Streit um den Geltungsgrund des DVV mußte in der Frage der Einbeziehung von regelmäßigen oder typischen Begleitumständen kulminieren, die das "Regeltatbild" kennzeichnen. Dazu ist mit dem 2. Samenergußurteil eine Entscheidung ergangen, die eine Umkehr in der Rechtsprechung andeutet, wenn es auch Anzeichen gibt, daß die anderen Senate ihre Argumentation nicht grundsätzlich umstellen. Vom Standpunkt der Arbeitsteilung von Gesetzgeber und Richter her hätte darin Stellung zu der drängenden Frage bezogen werden müssen, wieviel der Gesetzgeber wirklich vom "Regeltatbild" schon "vorweggenommen" hat. Bei dieser "sub7 Fohl

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jektivierenden, auf die mutmaßlichen Vorstellungen des Gesetzgebers bezogenen Betrachtung", zu der Rechtsprechung und b.L. praktisch seit Einführung der Vorschrift neigen, hätte eine Einbeziehung der Begleitumstände in den Bereich des DVV "eher" näher gelegen. 460 Tatsäeblich und, wie sich herausstellt, zu Recht hat sich das Gericht darauf nicht eingelassen. In strikter Anwendung des Minimum-Prinzips hat der Senat seinen sog. "Vollendungsansatz" entwickelt, der auch schon vorher, selbst vom Ausgangspunkt der Arbeitsteilung von Gesetzgeber und Richter aus, in der Literatur vertreten worden war, der in Wahrheit aber auf die Anerkennung des logischen Prinzips im Rahmen des DVV hinausläuft. Bei Zugrundelegung des logischen Prinzips war die Entscheidung folgerichtig, wie selbst die Kritiker zugestehen, und unausweichlich. Der unübersehbare Vorzug des logischen Prinzips liegt darin, daß es dem DVV eine klare und unanfechtbare Grenze setzt: eben das tatbestandliehe Minimum, das Mindestmaß, die Tatbestandsvollendung. Abgrenzungsprobleme zwischen den gerade noch und den schon nicht mehr vom Doppelverwertungsverbot umfaßten Fällen, die Rechtsprechung und Lehre immer wieder vor Schwierigkeiten gestellt und zu vagen, um nicht zu sagen "schwammigen", Formulierungen wie der geführt hatten, eine bestimmte beanstandete Erwägung "komme einem Verstoß gegen das DVV gleich" , 461 "liefe im Ergebnis auf einen Verstoß gegen das DVV hinaus"462 usw., entfallen. Ebenso klar tritt der Nachteil zutage: Es ist einzuräumen, daß bei dieser Sicht nicht viel übrig bleibt vom einstigen Einflußbereich des DVV. Verstöße, in denen wirklich nur ein Tatbestandsmerkmal und nichts weiter als ein Tatbestandsmerkmal in den Strafzumessungsgründen herangezogen wird, sind selten, kommen praktisch nicht vor. Die größte und in der täglichen Gerichtspraxis häufigste Gruppe von Verstößen gegen das DVV, die strafschärfende Berücksichtigung von Umständen, die zum "Regeltatbild" gehören, soll völlig aus dem Anwendungsbereich des DVV herausgenommen werden. Mehr noch: Man muß befürchten, das DVV werde gleichsam von innen ausgehöhlt. Bei Aufgabe des "Regeltatbildes" entfällt zwar ein Abgrenzungsproblem, aber dadurch droht das Doppelverwertungsverbot auch Ieerzuauch Neumann, StY 1991, 257. 461 So BGH bei Mösl, NStZ 1982, 152. 462 Z.B. BGH NStZ 1982, 463; BGH bei Mösl, NStZ 1984, 162; so auch BGH 460 So

NStZ 1985, 215 (1. Samenergußurteil).

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laufen. Umgehungsmöglichkeiten werden offenbar, denen mit dem "Regeltatbild" im Rahmen des DVV früher wirksam Einhalt geboten werden konnte. Es überrascht daher nicht, wenn der Versuch unternommen wird, das DVV gleichsam wiederzubeleben, ihm seinen Anwendungsbereich zu erhalten, der "restriktiven Interpretation" der Rechtsprechung eine neue "ausdehnende Interpretation" entgegenzusetzen und dem logischen das wertende Prinzip zur Seite stellen. Aber das ist nicht möglich: Man kann das DVV nicht auf die Begleitumstände erweitern, ohne das zugrundeliegende Prinzip aufzugeben. In Wahrheit verlöre man das einheitliche Prinzip, daß dem DVV logische Stringenz verliehen und es zu einem absolut zwingenden, unanfechtbaren Grundsatz gemacht bat und von einer gutmeinenden Rechtsprechung und mit Billigung der b.M. im Schrifttum ohne Not verlassen worden war, als sie begann, den "Bannstrahl" des DVV auch auf das Regeltatbild eines Delikts zu erstrecken. Damit ist der Endpunkt der Entwicklung in bezugauf das "Regeltatbild" aber noch nicht erreicht. Es zeigt sich nur, das sich das "Regeltatbild", weil es auf einer anderen Grundlage beruht, allmählich von dem DVV zu lösen beginnt, aus dem heraus es entstanden ist. Zugleich bat die Diskussion offenbart, daß es mehr denn je nötig ist, für das wertende Prinzip, das im "Regeltatbild" verkörpert ist, einen neuen Standort zu finden und auf diese Weise die Lücke zu füllen, die es im Doppelverwertungsverbot hinterlassen bat. Denn eines ist anband der Beispiele auch deutlich hervorgetreten: daß das Ergebnis, solche Umstände immer auch strafschärfend - zu Lasten des Angeklagten - zu verwerten, nicht bingenommen werden kann.

Zweites Kapitel

Die Stellung des "Regeltatbildes" in einem mehrphasigen Modell der Strafzumessung I. Die Strafzumessungsmodelle 1. Reale, rmale und logische Strafzumessungsgründe

Spendet, der damals kaum geahnt haben mag, daß ausgerechnet dieser Teil seiner Vorschläge so verbreitete Anerkennung finden würde, 1 bemüht sich im letzten Teil seiner 1954 erschienenen Habilitationsschrift "Zur Lehre vom Strafmaß" um die Klärung des Strafzumessungsgrundes: Es sei eigenartig, daß die Jurisprudenz, die sich so gerne ihrer scharfen Distinktionen und Definitionen rühme, keine exakte Bestimmung des grundlegenden Begriffs "Strafzumessungsgrund" kenne. 2 Einmal könne damit der mit der Strafe verfolgte Zweck gemeint sein; in diesem Sinne hat Strafzumessungsgrund die Bedeutung von Zweckgrund: Der Richter verhängt eine bestimmte Strafe, weil damit die Schuld gesühnt, das Unrecht vergolten, der Täter abgeschreckt, gebessert oder erzogen werden soll. Das ist der "finale Strafzumessungsgrund" (causa finalis), bei Spendet in erster Linie Vergeltung. 3 Aber auch alle anderen Strafzwecke fallen in diese Kategorie. Letztlich kann der ganze Schulenstreit um absolute (Repression), relative (Prävention) und Vereinigungstheorien (additive und dualistische) hier eingeordnet werden. 4 Zweitens, Spendel erwähnt ihn als erstes, ohne daß mit der Reihenfolge inhaltliche Unterschiede

Bruns, 1974, S. 52. Spendel, Zur Lehre vom Strafmaß, S. 191. Spendel, Zur Lehre vom Strafmaß, S. 192. 4 Einen guten Überblick verschafft Roxin, Strafrecht, AT I, S. 26 ff, insbes. S. 38 zur "dialektischen Vereinigungstheorie"; dazu ders.schon, JuS 1966, 387. 2

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

101

verbunden wären,S kann damit der Realgrund gemeint sein (causa essendi): "Reale Strafzumessungsgründe" sind nach Spendet die tatsächlichen Vorgänge und Gegebenheiten, auf die sich die Strafzumessung stützt (Strafzumessungssachverhalt), z.B. der Wert der gestohlenen Beute, das Ausmaß des angerichteten Schadens, die Brutalität der Ausführung usw. Hier schaut der Richter auf das, was sich wirklich ereignet hat, auf die Tat als geschichtliches Ereignis. Er verhängt eine hohe Strafe, "weil" der Schaden besonders hoch ist. Drittens kann "Strafzumessungsgrund" verstanden werden als Erkenntnisgrund, als innerer, gedanklicher oder "logischer Strafzumessungsgrund" (causa cognoscendi). Das ist die schwierigste der drei Kategorien, weil sie bei Lichte betrachtet überhaupt keinen eigenen Bezugspunkt hat, sondern nur in der Verknüpfung der beiden anderen hervortritt: Der Richter verhängt eine bestimmte Strafe, weil (das ist der gedankliche Grund) bei der Schwere der Tat (realer Grund) das Sühne- oder Vergeltungsprinzip (finaler Grund) eine empfindliche Strafe gebietet und eine niedrigere Strafe keine angemessene Sühne der Schuld, keinen gerechten Tatausgleich darstellen würde. 6 Es kommt hier darauf an, eine Strafzumessungstatsache zu einem Strafzumessungszweck in die richtige Beziehung zu setzen; logischer Strafzumessungsgrund ist die richtige Kombination der beiden anderen. Strafzumessungsgrund bedeutet hier soviel wie "Begründung". 7 Man spricht im Anschluß an Wimmer8 auch von "Strafzumessungserwägungen", die der Richter anstellen muß. Die Einteilung, von der Bruns sagt, sie habe sich leider noch nicht genügend durchgesetzt,9 war nicht ohne Vorgänger: Bereits 1910 hatte Friedrich eine derartige Unterteilung der "Motive" der Strafzumessung aufgezeigt. 10 Spende} selbst knüpft an die heute noch gängige11 Unterscheidung von Wimmer an. Der hatte die strikte Trennung von Strafzumessungstatsachen und

5 So auch Streng, StrZ u. relat. Gerechtigkeit, S. 45, Fn. 155; in der Reihenfolge wie hier: Bruns, 1974, S. 55. 6 Spendet, Zur Lehre vom Strafmaß, S. 193. 7

Spendet, Zur Lehre vom Strafmaß, S. 193. Siehe im Text.

Bruns, 1974, S. 53. ° Friedrich , Die Bestrafung der Motive und die Motive der Bestrafung, S. 249 f. 11 Siehe Dahs I Dahs, Die Revision im Strafprozeß, Rn. 77; vgl. auch Bruns, 1974, s. 51. 9

1

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

StrafzumessungseiWägungen angemahne 2 und dazu bemerkt: "So führt nur von klar und vollständig festgestellten Zumessungstatsachen der Weg über systematisch richtige und geschlossene Zumessungserwägungen zum richtigen Strafmaß. "13 Zumessungstatsachen seien die tätsächlichen Vorgänge und Gegebenheiten, Erwägung sei "alles, was daraus durch bloße Geistesarbeit gemacht wird" . 14 Dahinter steht nichts anderes als die Aufforderung, zwischen Tatsachengrundlage und Bewertung möglichst scharf zu trennen. 15 Spendet stellt den beiden Kategorien eine dritte, die finalen Srafzumessungsgründe, zur Seite. Aus der ursprünglichen Zweiteilung ist so in der modernen Lehre die Dreiteilung der Strafzumessungsgründe geworden. Zu einem praktikablen Modell der Strafzumessung ist sie damit aber noch nicht gediehen, wie die Einordnung des "Doppelverwertungsverbotes" zeigt. Spendel 16 selbst ordnet es als eine Frage des "Verstoßes gegen die Denkgesetze" den "logischen Strafzumessungsgründen", den "Strafzumessungserwägungen" im Sinne von Wimmer, zu. Das wäre aber nur dann einsichtig, wenn der Fehler wirklich nur in der (falschen) Verknüpfung eines (richtigen) realen Strafzumessungsgrundes mit einem (anerkannten) fmalen Strafzumessungsgrund läge. Wenn man aber davon ausgeht, daß Tatbestandsmerkmale von vornherein keine Realgründe sind, 17 dann kann der Fehler darin nicht gesehen werden. Deshalb ordnet Bruns die Problematik der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen in seiner Besprechung der Arbeit Spendeis auch als eine Frage der "realen" Strafzumessungsgründe ein: "Was", d. h. welche Umstände, dürfen bei der Strafzumessung überhaupt berücksichtigt werden und welche nicht? 18 Unter diesen Umständen ist es auch nicht erstaunlich, daß Spendet sich genötigt sieht, mehrmals auf das Doppelverwertungsverbot zu-

12 Wimmer, NJW 1947 I 48, 126; NJW 1947 I 48, 316; SJZ 1948, Sp. 68 f; MDR 1948, 72 f; DRZ 50, 269; sowie das auf seinen Gedanken beruhende Urteil des OLG Köln, NJW 1947/48, 26. 13

Wimmer, SJZ 1948, Sp. 69.

14

Wunmer, NJW 1947 /48, 316.

So geht jeder Gutachter vor, sei er Richter, Lehrer, Vorgesetzter oder Sachverständiger, vgl. Montenbruck, Abwägung u. Umwertung, S. 18 f zur Zweiteilung von Wunmer. 15

Spende/, Zur Lehre vom Strafmaß, S. 64. Vgl. Bruns, 1985, S. 133 mit dem Satz: "Tatbestandsmerkmale sind eben keine Strafzumessungsgründe für den Richter!" 16

17

18

Bruns, NJW 1956, 243.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

103

rückzukommen, 19 u. a. wenn es darum gebt, die Merkmale des Tatbestandes von den realen Zumessungsgründen abzugrenzen.lD Dieselben Einordnungsschwierigkeiten scheint auch Wimmer zu haben. 21 Ganz ähnlich sieht es mit dem "Regeltatbild", einem den "Pionieren.n der Bemühungen um die Systematisierung der Strafzumessung selbstverständlich noch nicht geläufigen Topos, aus: Ist damit eine fehlerhafte Strafzumessungserwägung (logischer Strafzumessungsgrund) oder eine fehlerhafte Strafzumessungstatsache (realer Strafzumessungsgrund) angesprochen? Mit anderen Worten: Durfte der Umstand, daß es bei der Vergewaltigung zum Samenerguß gekommen ist, schon gar nicht als realer Strafzumessungsgrund verwendet werden oder durfte er bloß nicht auf diese Weise, nämlich nicht strafschärfend verwertet werden (falsche Verknüpfung)? Es ist kein Fehler des Spendelseben Systems, daß über die Zuordnung keine Klarheit besteht. In der Tat kann man, nachdem ein Verstoß gegen das DVV verneint worden ist, für die anschließende Frage des "Regeltatbildes" verschiedene Standorte ausmachen. Allerdings ist die Lehre von den Strafzumessungsgründen zu grob, als daß man dem Problem damit näher käme. Die Schwäche des Modells liegt darin, daß sich daraus noch keine aufeinander folgenden selbständigen Gedankenoperationen ableiten lassen, sondern alle drei Gründe praktisch gleichzeitig betrachtet werden müssen, weil sie sich gegenseitig bedingen. Das gilt in besonderem Maße für den logischen Strafzumessungsgrund, der überhaupt erst in der Verknüpftlog der beiden anderen Konturen gewinnt; das ist aber auch bei den realen Strafzumessungsgründen so, die schließlich unter dem Gesichtspunkt der finalen Strafzumessungsgründe daraufhin geprüft werden müssen, ob sie als Realien taugen. In Wahrheit bedeuten die drei Kategorien die "drei untrennbar zusammenhängenden und in gegenseitiger Wechselbeziehung stehenden Elemente eines einheitlichen Ganzen". 2l So betrachtet kann der Versuch, den genauen Standort eines Problems festzulegen, gar keinen Erfolg haben. Kritiker wie Streng24 bezweifeln deshalb, daß die Einteilung, wie Spende! meint, über die Schaffung begrifflicher 19

Spende/, Zur Lehre vom Strafmaß, S. 36, 51, 56, 64, 231 f.

lD Spende/, Zur Lehre vom Strafmaß, S. 231.

Vgl. Wunmer, SJZ 1948, Sp. 70, Fn. 3; sowie dens., DRZ 1959, 269. zz So nennt sie Ganther, JZ 1989, 1026. 2l Spende/, Zur Lehre vom Strafmaß, S. 199.

21

24

Streng, StrZ u. relat. Gerechtigkeit, S. 45.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

Klarheit und Ordnung hinaus auch "eine rational kontrollierte und kontrollierbare Strafmaßbestimmung" ermöglicht.lS Er rügt, die Benennung der Wertungsvorgängeals "logische" Gründe verspreche Rationalität, löse dieses Versprechen aber nicht ein. 26 2. Das Fünfstufen- bzw. Siebenstufenmodell

Bruns hat das Spendeische System von den drei Strafzumessungsgründen zu einem 5-Phasen-Modell ausdifferenziert und erweitert, das vielen27 heute als die zutreffendste Darstellung des gesamten Strafzumessungsvorganges erscheint. Danach stellen sich die aufeinanderfolgenden Stufen (Phasen) der Strafzumessung wie folgt dar: :zs 1) Ausrichtung an den gesetzlichen Strafzwecken, 2) Ermittlung der Strafzumessungstatsachen, 3) Festlegung ihrer "Bewertungsrichtung", 4) Abwägung aller gewonnenen Strafzumessungstatsachen gegeneinander, 5) Einordnung in den gesetzlichen Strafrahmen ("Umwertung"). In der 1. Phase erkennen wir die "finalen Strafzumessungsgründe" Spendeis wieder, d. h. die Strafzwecke. Sie stehen notwendig an erster Stelle. Denn die für den Strafrichter entscheidende Frage, welche Strafe für die Tat die angemessene Rechtsfolge ist, setzt notwendig einen Maßstab voraus, mit Hilfe dessen er die nachfolgenden Strafzumessungsfragen, insbesondere die Auswahl der Strafzumessungstatsachen und deren Bewertung, überhaupt erst

2S

Spendet, NJW 1964, 1760.

Streng, StrZ u. relat. Gerechtigkeit, S. 45. Vgl. Frisch, Revisionsrechtl. Probleme, S. 8 ff; Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 515; Hettinger, GA 1993, 2; sowie Günther, Göppinger-FS, S. 453 ff; ders. , JZ 1989, 1025 ff mit einer Zusammenfassung der systematischen Grundlagen der Strafzumessung, auf die auch Grasnick, JA 1990, S. 88, Fn. 80 verweist; teilw. zust. auch SchiJfer, Praxis der StrZ, Rdnr. 464; Ansätze dafür auch bei Hirsch, LK 10. Aufl. 1985, § 46 Rdnr. 116-119. 26

27

:zs Bruns, 1985, S. 6; ders. , ZStW 94 (1982), 115; vgl. bereits Bruns, 1974, S. 47- 51; verhaltener noch die Rspr. zu den Systematisierungsansätzen, aber immerhin: der Tatrichter habe "die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen", BGHSt 34, 349; ebenso BayObLG, VRS 1988, 356.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

105

beantworten kann. 29 Die 2. Phase, also die Ermittlung der ("relevanten"~ Strafzumessungstatsachen, entspricht den "realen Strafzumessungsgründen • von Spendet, bzw. den "Strafzumessungstatsachen" bei Wimmer, der damit interessantetweise auch schon ein "Stufenmodell" verband: "Zumessungstatsachen und Etwägungen können mehraktig in Stufen angeordnet sein, also eine auf der anderen aufbauen." Und etwas später: "Unser Beispiel zeigt, daß es notwendig und möglich is!, zum Zwecke ihrer Feststellung die Zumessungstatsachen den Zumessungsetwägungen klar gesondert voranzustellen. "31 Was die Reihenfolge betrifft, so bezweifelt Streng, ob denn die Bestimmung der Strafzwecke wirklich vor der Ermittlung der Realgründe stattfindet oder ob dies nicht vielmehr umgekehrt ablaufen muß. 32 Der Vetweis auf Spendet stützt diese These indes nicht: Zwar geht Spendet am angegebenen Ort33 nacheinander zuerst auf die realen, dann auf die fmalen und schließlich auf die logischen Gründe ein, doch ist mit der Art der Darstellung noch nicht gesagt, daß damit auch die Reihenfolge festgelegt sein soll. An anderer Stelle weist er hingegen darauf hin, daß durch die gegenseitige Abhängigkeit der drei Strafzumessungsgründe voneinander Gesetzmäßigkeiten ins Spiel kommen, die eine Reihenfolge nahelegen. Er sagt: "Wie sich aus dem bisher Dargelegten ergibt, bedarf es zunächst der Klarstellung von welchem Strafrechtssystem (gemeint sind Repressions- oder Präventionsstrafrecht) man ausgeht, bevor Klarheit über die Rangordnung der realen und finalen Strafmaßgründe gewonnen werden kann. "34 Inhaltlich geht es in der 2. Phase um die Aussonderung von "irrelevanten" Tatsachen aus dem Strafzumessungssachverhalt, die unter keinem denkbaren Strafzweckgesichtspunkt Bedeutung erlangen können. Ob ein äußerer Umstand (Strafzumessungstatsache) wirklich Bedeutung gewinnt und in welcher Richtung, ob strafschärfend oder strafmildernd, ist Frage der 3. Phase. Hier taucht zuerst ein terminologisches Problem auf: Bruns

29

So auch Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 516.

So heißt es im Original bei Bruns, 1985, S. 6; Ganther, JZ 1989, 1028 spricht von "Auswahl" der relevanten Strafzumessungstatsachen. 30

31

Wimmer, SJZ 1948, Sp. 69 und 70.

32

Streng, Strafrecht!. Sanktionen, S. 191. Spendel, NJW 1964, 1759 f. Spendel, NJW 1964, 1761.

33 34

106

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

weist auf eine ältere Lehre35 hin, die das Begriffspaar "strafschärfend I strafmildernd • für die gesetzlichen Strafänderungen (besonders schwere und minder schwere Fälle) vorbehielt, während das Gegensatzpaar "straferhöhend I strafmindemd" für die richterliche Tätigkeit reserviert war. Bruns selbst entscheidet sich für den umgekehrten Sprachgebrauch, wenngleich er die Begründung für "nicht gerade zwingend" hält. 36 Er rügt die Verwirrung der Begriffe, die in der Kombination von Erhöhungs- mit den Milderungsgründen und Schärfungs- mit den Minderungsgründen zum Ausdruck kommt, weist aber daraufhin, daß sämtliche Variationen dieser Wortkoppelungen verwendet werden und auch die Rechtsprechung nicht einheitlich ist. 37 Man wird Bruns vor allem darin recht geben müssen, daß es bei alledem "wohl weniger um eine Frage der Richtigkeit als vielmehr der Verständlichkeit, der rhetorischen Praktikabilität" und damit letztlich des persönlichen Geschmacks geht. 38 Das weitere Problem, ob neben diesen beiden Alternativen noch eine dritte Möglichkeit anzuerkennen ist, die sich mit dem Begriff der neutralen oder "schlicht-relevanten" Strafzumessungstatsachen verbindet, soll der späteren Diskussion vorbehalten bleiben. 39 Die dritte und alle nachfolgenden Phasen waren bei Spendel noch in der Kategorie der "logischen Gründe" 40 zusammengefaßt und deshalb einigermaßen unhandlich. Hier setzt die Differenzierung von Bruns ein, die zur Authel-

35 Nämlich von Liszt I Schmidt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 420; Spende/, NJW 1964, 1764; aus neuererZeitwieder Heninger, DVV, S. 28. 36 Bruns, 1974, S. 37 f unter Verweis auf Beling, ARWP 15, 270 der sagte, wunderlicherweise sei es früher einmal einem Schriftsteller eingefallen, bei der Strafänderung von Schärfung bzw. Milderung zu reden - aus Willkür oder Saloppheit -, und dies Verfahren habe Schule gemacht, was sich aber nicht halten lasse. 37 Bruns, 1974, S. 38; vom Standpunkt der älteren, umgekehrten Doktrin aus stellt schon Hälschner, Das preußische Strafrecht, Teil 2, 1853, S. 467 dieselben Verwirrungen fest. 38 Bruns, 1974, S. 38 - von alledem ist denn auch bei Bruns, 1985, S. 4 nur ein bescheidener Nebensatz übriggeblieben; Heninger, DVV, S. 28 f widmet der Terminologie indessen ein eigenes Kapitel, in dem er auch auf diese Frage eingeht. 39 Deshalb soll einstweilen auch auf den Begriff der "relevanten" Strafzumessungstatsachen in der 2. Phase ganz verzichtet werden, bei dem die Bewertungsrichtung im Sinne der Relevanz in der einen oder anderen Richtung bereits mitgedacht ist, vgl. Frisch, ZStW 99 (1987), 795. 40 Wie Bruns, 1988, S. 63 zugibt, ein "semantisch einigermaßen mißverständlicher Oberbegriff', den er aber in Erinnerung an die grundlegende Habilitationsschrift von Spende/ nicht korrigieren möchte.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

107

lung der unter dem Begriff der logischen Strafzumessungsgründe verborgenen Vorgänge der Gewichtung, Abwägung und Umwertung wesentlich beitragen. Sie alle stehen unter dem Oberbegriff der gedanklichen Verknüpftlog und brauchten deshalb von Spendel nicht gesondert hervorgehoben zu werden. In der 4. Phase erfolgt die Gesamtabwägung aller strafzumessungsrelevanten Umstände - aber erst nachdem diese zuvor in der 3. Phase isoliert betrachtet wurden und, jeder für sich, einzeln bewertet worden ist. Dagegen wäre es methodologisch verfehlt, anstatt zunächst bei jeder einzelnen Strafzumessungstatsache die "Bewertungsrichtung" festzulegen, sogleich in eine Gesamtabwägung einzutreten. 41 Zutreffend wird diesbezüglich darauf hingewiesen, daß eine Abwägung der für und gegen den Täter sprechenden Umstände (§ 46 Abs. 2 Satz 1 StGB) nach den Gesetzen der Sprache voraussetzt, daß man sich zuvor klar geworden ist, welche Umstände den Täter belasten und welche ihn entlasten. 42 Das entspricht der ganz h.M. in der Literatur und sollte sich eigentlich von selbst verstehen. Man kann dafür auch das Bild der Waage bemühen: Bevor man etwas abwiegt, muß man es in die eine oder andere Waagschale legen, mit anderen Worten, "sich für Gewicht und Gegengewicht entscheiden". 43 Die 5. Phase besteht darin, die Tat in den konkreten Strafrahmen einzuordnen. Es ist der letzte Akt der Strafzumessung i.e.S. Dazu muß das bisher gewonnene Abwägungsergebnis in ein Strafmaß umgesetzt, die relativen Größen in absoluten Zahlen ausgedrückt werden. Bruns bat dafür den Ausdruck "Umwertung"44 geprägt und damit angedeutet, daß dieser fünfte und letzte Strafzumessungsschritt sich nicht in einer bloßen rechnerischen Umwandlung erschöpft, sondern selbst noch einmal eine "Wertung" erfordert. Wie alle anderen Phasen auch, darauf kann nicht oft genug hingewiesen werden, ist die Strafzumessung zuallererst ein Akt der Wertung - und wird es auch bleiben, solange wir den Menschen in der Strafzumessung nicht durch den Computer ersetzen können oder wollen. 45 41 So auch Günther, JZ 1989, 1028; vgl. auch Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 517; beide im Gegensatz zum Vorlagebeschluß des 1. Senats, JR 1987, 119, 120 f. 42 So auch Grasnick, JZ 1988, 158. 43 Bruns, NStZ 1987, 452.

44 Vgl. den Titel der neuesten Monographie von Montenbruck: Abwägung und Umwertung, Berlin 1989, die danach benannt ist. 45 Krit. zu den Versuchen der Automatisierung Hassemer, Die Formalisierung der Strafzumessungsentscheidung, ZStW 90 (1978), 64 ff; mit einer Absage an den

108

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

Bruns nennt die letzte Phase der Umwertung in absolute Zahlen die "entscheidendste Phase des gesamten Strafzumessungsvorgangs". 46 Zugleich ist sie aber auch "der schwierigste Teil der Strafzumessung" .47 Was manchmal von der Strafzumessung insgesamt gesagt wird, daß sie die "Krönung der strafrichterlichen Tätigkeit" sei, 48 trifft von allen Phasen der Strafzumessung auf die abschließende Umwertung am meisten zu. Hier heißt es Farbe bekennen! Was nützen all "die feinsinnigen Differenzierungen und Systematisierungen", hat Frisch einmal gefragt, "wenn man hinterher in der Höhenfrage so klug ist wie zuvor"?49 Auf das Grundproblem kann hier nur hingewiesen werden. Denn was da umgerechnet, umgewandelt, "umgewertet" werden soll, ist vordergründig klar: Schuld in Strafe. -Nun sind die beiden aber "inkommensurabel"; sie lassen sich nicht umrechnen. Am einprägsamsten hat Ostermeyer das grundlegende Problem umschrieben: Schuld lasse sich in Strafe ebensowenig ausdrücken wie Schönheit in Zentimetern. so Bei diesem Befund ist es nicht erstaunlich, wenn alle Anstrengungen noch keine Methode hervorgebracht haben, mit der sich eine Zahl in Monaten und Jahren exakt bestimmen und auf den Tag genau revisionsrechtlich auch nachprüfen ließe. Die fünf Phasen sind denn auch "keine Meßgeräte mit eingebauter Gerechtigkeitsskala, wohl aber Wegweiser zum richtigen Strafmaß" . ~ 1 Bemerkenswert ist unter diesen Umständen vielmehr, daß wir überhaupt schon soviel zu erkennen imstande sind: daß die Strafzumessung nicht mehr, wie noch zu den Zeiten eines Franz von Liszt, "ein Griff ins Dunkle" ist! ~2 Aber: "solange nicht nachprüfbar ist, welche Umstände der Richter unter dem Aspekt der finalen Strafzwecke für relevant gehalten, welche Bewertungsrichtung und welches Gewicht er ihnen auf jeder der drei Ebenen beigemessen "menschlichen Computer" auch Bruns, 1985, S. 3; gegen alle Versuche der "Mathematisierung", die sich mit dem Stichwort der Pönometrie verbinden auch SchiJfer, Praxis der SrZ, Rdnr. 466. - "Pönometrie" war das Schlagwort der 70er Jahre, später Titel eines Hefts der Schriftenreihe des Instituts für Konfliktforschung, Köln 1977, mit Beiträgen von Grasnick, Haddenhorsl, Dreher, Petersohn, Roxin u. Schünemann. 46 Bruns, 1985, S. 259. 47 Weigend, Uni-Köln-FS, S. 601. 48

Spende/, NJW 1964, 1758.

49

Frisch, ZStW 99 (1987), 739.

so Ostermeyer, Strafunrecht, S. 78. ~ 1 Bruns, ZStW 94 (1982), 115.

~2 von Liszt, Strafrecht). Aufsätze u. Vorträge, Bnd. 1, S. 393.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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und wie er schließlich sein Abwägungsergebnis gefunden hat, dürfte eine rationalere Strafzumessung kaum erreichbar sein. "53 Andere Autoren gehen zum Teil von sieben54 (statt von fiinf) Phasen aus oder unterscheiden gar acht Phasen. 55 Ein sachlicher Unterschied ist damit nicht verbunden. 56 Es handelt sich dabei um Erweiterungen des Modells in die eine oder andere Richtung, bei denen als weitere Schritte noch die Strafrahmenwahl und die Strafzumessung im weiteren Sinne einbezogen werden. Damit sind die Folgeentscheidungen angesprochen, also vor allem die Entscheidung zwischen Geld- und Freiheitsstrafe (§§ 47, 40 Abs. 2 Satz 1 StGB) sowie die Entscheidung über die Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung einschließlich der Erteilung von Auflagen und Weisungen (§§ 56 ff StGB). Zur Srafzumessung i.w.S. gehört auch die Verhängung von Maßnahmen der Besserung und Sicherung(§§ 61 ff StGB). Was die Strafrahmenwahl anbelangt, so ist der Ausdruck freilich einigermaßen mißverständlich gewählt. Die einzige "Wahl", die hier in Betracht käme, bestünde bei fakultativen Strafrahmenänderungsgründen. Bei den obligatorischen Strafrahmenänderungsgründen (z.B. §§ 27 Abs. 2 Satz 2 StGB, der für die Beihilfe bestimmt, die Strafe "ist" nach § 49 Abs. 1 zu mildem) kann von einer Wahl ohnehin nicht gesprochen werden. Hier wäre" Aufsuchen" das richtige Wort. Eine wirkliche Wahl, an die man denken könnte, wäre die zwischen dem sog. Regel- und dem Ausnahmestrafrahmen für besonders schwere und minder schwere Fälle. Genau diese Problematik ist aber nicht gemeint, wenn die Strafrahmenwahl als erste Phase logisch vorangestellt wird. Denn ob letztlich eine Modifizierung in Form eines besonders schweren oder minder schweren Falles in Betracht kommt, kann erst nach Ermittlung und Abwägung aller Strafzumessungstatsachen entschieden werden. 57

53 54

55

••

Lackner, Uber neue Entwicklungen in der Strafzumessungslehre, 1978, S. 30. Schall I Schirnnacher, Jura 1992,515. Günther, JZ 1989, 1026.

Vgl. Schall I Schirnnacher, Jura 1992, 514 ff, insbes. S. 515, Fn. 9 . So auch Schall I Schirnnacher, Jura 1992, 515, vgl. auch Günther, JZ 1989, 1029; anders Frisch, Revisionsrechtl. Probleme, S. 9, der allerdings zugibt, daß der Richter dann spätere Phasen weitgehend vorwegnehmen muß. 56 57

110

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

Ob schließlich noch eine achte Stufe der Strafzumessung anzuerkennen ist, wird noch diskutiert. 58 Gemeint ist die unausgegorene Frage, ob zwischen der Festsetzung der Strafhöhe und der anschließenden Folgeentscheidung noch Wechselwirkungen denkbar sind, also eine Rückwirkung der Strafzumessung i.w.S. auf die Strafzumessung i.e.S. in Form einer abschließenden "Gesamtkorrektur" in Betracht kommt. 59 3. Kritik am Fünf-Phasen-Modell An dem Modell ist aber auch Kritik aufgekommen. Am schärfsten hat Streng das Phasenmodell der Strafzumessung kritisiert. Die Befragung von Richtern und Staatsanwälten zeige, daß in der forensischen Praxis wenigstens teilweise bei gleich "guten" Urteilen ganz anders verfahren werde. Man müsse der Praxisrelevanz des Phasenmodells daher "faktisch wie normativ recht skeptisch gegenüberstehen". 60 Doch gegenüber der Berufung auf die Gerichtspraxis ist Vorsicht geboten. Dort wird nur allzu häufig "über den Daumen gepeilt". 61 Grundsätzlicher ist der folgende Einwand Strengs: Das Modell helfe die Probleme zwar darzustellen, man überfordere das System aber eindeutig, wenn man erwarte, "daß es die Probleme, die es darzustellen hilft, auch noch lösen soll. "62 Montenbruck hält die Kritik zu Recht für "etwas überzogen"; jede sachgerechte Systematik und insbesondere jedes Mehrphasenmodell fördere das Nachdenken über die Probleme auf der jeweiligen Stufe. Und: Die entsprechenden Erwägungen des Tatrichters würden dann, wenn man sie einordnen kann, nachvollziehbarer und kontrollierbarer. 63 Wie jede Systematik trägt sie ihren Wert letztlich in sich selbst, indem sie den einzelfallbezogenen Wertungen ihren formalen Bezugspunkt zuweist. 64 Sie klärt da58

Zweifelnd Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 519.

Beispielsweise wegen der Verhängung einer Maßname der Besserung und Sicherung, etwa der Entziehung der Fahrerlaubnis bei einem Busfahrer, das Strafmaß verringert werden sollte, vgl. Günther, JZ 1989, 1030. 59

60

Streng, Strafrecht!. Sanktionen, S. 192.

61

So hat es jüngst Wesel, Fast alles, was Recht ist, S. 193, ausgedrückt.

62 Streng, StrZ u. relat. Gerechtigkeit, S.46; in diese Richtung auch Hettinger, GA 1993, 2. 63 Montenbruck, Abwägung und Umwertung, S. 21. 64 Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 514 ff demonstrieren das eindrucksvoll am Beispiel des 2. Samenergußurteils.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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mit - besonders wichtig für das "Regeltatbild" -, ob und welche Wertungen überhaupt erforderlich sind. 65 Streng selbst gesteht immerhin zu, daß der Vorgang "abstrakt zumindest ansatzweise wohl so beschreibbar" sei und ein geeignetes Ordnungsprinzip für die Darstellung von Strafzumessungsfragen liefere. 66 Nicht zuletzt folgt sie aber auch aus dem Gesetz: § 46 Abs. 2 Satz 1 StGB schreibt vor, daß das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, bei der Zumessung gegeneinander abwägt. Mit der Abwägung ist die 4. Phase angesprochen. Nimmt man sie zum Ausgangspunkt, so ist klar, daß zuvor logisch zwingend eine isolierte Betrachtung der abzuwägenden Umstände stattgefunden haben muß, nämlich entschieden worden sein muß, welche "für und gegen" den Täter sprechen. Das ist die 3. Phase (Festlegung der Bewertungsrichtung). Sie setzt wiederum voraus, daß die relevanten Umstände zunächst einmal gesammelt worden sind: 2. Phase. Das aber geht nur, wenn es Kriterien gibt, nach denen sie aus der Fülle von Umständen und Gegebenheiten ausgewählt werden können. Darum stehen die Strafzwecke am Anfang - 1. Phase. Davor mag man noch den gesetzlichen Strafrahmen als Ausgangspunkt aufsuchen. Am Ende steht jedenfalls ein Ergebnis, ausgedrückt in Zahlen, die 5. Phase: Umwertung in das Strafmaß. 67 Die flammendste Rede für die Phasentheorie der Strafzumessung hat wohl in neuester Zeit Günther68 vor der Juristischen Fakultät der Universität Warschau gehalten: "Sie ermöglicht dem urteilenden, oft zweifelnden Richter eine Selbstkontrolle, lenkt sein Judiz in geordnete Bahnen, bindet seine Entscheidungen an das Gesetz. Sie macht dem Angeklagten und der Öffentlichkeit die Strafzumessungsentscheidung plausibel. Sie gewährleistet in Grenzen eine revisionsrechtliche Überprüfung. Kurzum: Sie dient obersten Zielen jeder Strafzumessung wie des Strafverfahrens schlechthin, nämlich dem Ideal einer gleichen, gerechten und gesetzlich bestimmten Strafe. "

65 So Günther, JZ 1989, 1025 - Sie schützt auf diese Weise vor dem Herumwerteln mit "vulgär-moralisierenden Wertungen", das Stratenwerth, Tatschuld, S. 4 und Schaffstein, Gallas-FS, S. 111 rügen. 66 Streng, Strafrecht!. Sanktionen, S. 192. 61 Soviel ist dem Gesetz zu entnehmen - das alles verstünde sich aber auch ohne das Gesetz von selbst, siehe Grasnick, JZ 1988, 158 mit der Bemerkung, schließlich sei ja schon so verfahren worden, bevor es den§ 46 StGB, bzw. dessen wortgleichen Vorgänger, überhaupt gab .

68

Abgedruckt in JZ 1989, 1025.

112

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

II. Das "Regeltatbild" auf der 3. Stufe l. Die Kategorie der schlicht-relevanten Umstände

In der 3. Phase nach dem Brunsschen Fünf-Phasen-Modell der Strafzumessung, geht es um die Festlegung der Bewertungsrichtung. Auch der BGH praktiziert das: "Qualifizierung der einzelnen ordnungsgemäß festgestellten Faktoren als strafschärfende oder strafmildemde Umstände". 69 Im Gesetz ist von Umständen die Rede, die "für und gegen" den Täter sprechen (§ 46 Abs. 2 Satz 1 StGB). Strittig ist, ob es darüber hinaus noch eine dritte Kategorie von Umständen gibt, die weder für noch gegen den Täter sprechen, also "neutral" sind. Der Wortlaut des Gesetzes gibt darüber keinen Aufschluß, denn natürlich kommen für die Abwägung, von der§ 46 Abs. 2 Satz 1 StGB spricht, nur die Umstände in Betracht, die entweder als strafschärfend oder als strafmildernd qualifiziert wurden. Sie legen das Gewicht der Tat fest, gleichgerichtete Umstände addieren sich, entgegengesetzte Umstände können sich gegenseitig aufheben. Sie müssen daher "gegeneinander" abgewogen werden. "Neutrale" Umstände verändern das Gewicht der Tat dagegen nicht. Darum brauchen sie in die Abwägung natürlich nicht einbezogen und im Gesetz nicht eigens erwähnt zu werden. Insofern versteht es sich von selbst, daß das Gesetz darüber schweigt. Der Gedanke stammt vom Vater des Modells selbst. 10 Er hat ihn wie folgt zusammengefaßt: Die gesetzliche Gegenüberstellung von Strafzumessungstatsachen "für oder gegen" den Täter werde allgemein dahin ausgelegt, daß es sich um die Kategorien der Strafmilderung und Strafschärfung handele. Wer in diesem Zusammenhang an die Tatbestandslehre denke und sich die Dreiteilung der besonderen persönlichen Merkmale in strafbegründende, schärfende und mildemde vor Augen hielte(§ 28 StGB), der müsse auf die Frage stoßen, ob man dies nicht auf die Strafzumessungslehre übertragen könne. 71 Viele gelangen so zu einer Dreiteilung von Strafzumessungsumständen, die "schärfend oder mildernd wirken oder als zumessungsneutral anzusehen sind", 72 die dem Unwertgehalt "entsprechen, ihn steigern, ihn mildem", 73 die "strafmildernd, 69

BGH NStZ 1987, 405.

10

Bruns, JR 1987, 93 .

71

Bruns, JZ 1988, 1058 erwähnt ebenfalls den Vergleich zu§ 28 StGB. Dreher, Rationalere Strafzumessung?, S. 39. Günther, Göppinger-FS, S. 460.

72 73

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

113

strafschärfend oder indifferent" sind. 74 Der Einwand dagegen stammt ebenfalls von Bruns, er fragt: ·soll es wirklich nicht, d.h. weder strafschärfend noch -mildernd, berücksichtigt werden dürfen, daß das Opfer nur geringfügige, also keine schweren Verletzungen erlitten hat?" Solche Tatsachen könnten "ja doch offensichtlich für das Strafmaß nicht völlig irrelevant bleiben". Es empfehle sich deshalb, so schloß er seinen Beitrag damals, zu diskutieren, "ob es richtig ist, dann und deshalb jegliche Strafzumessungsrelevanz dieser (neutralen?) Tatsachen zu verneinen. "15 Das Problem spitzt sich zu, wenn es um einen der Umstände geht, die§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB ausdrücklich als für die Strafzumessung "namentlich in Betracht" kommend bezeichnet, wie z.B. auch die verschuldeten Auswirkungen der Tat (Ausmaß der Körperverletzung, Umfang des Schadens), das Vorleben des Täters (Vorstrafen) oder seine wirtschaftlichen Verhältnisse (Geldnot). In der Diktion von Bruns und anderen stand fest, daß diese Gesichtspunkte für die Strafzumessung "relevant" waren. 76 Das Gesetz hatte sie aufgestellt und damit ihre "Relevanz" herausgestellt. Wie also sollten sie dann "neutral" sein können? Konnte es eine "strafzumessungsneutrale Normalausprägung" solcher Umstände dann überhaupt geben? Der Satz, daß das Fehlen eines Milderungsgrundes noch keinen Schärfungsgrund abgeben könne, schien deshalb in unlösbare Schwierigkeiten zu führen: "Daß ein Strafmilderungs- oder -schärfungsgrund, wenn (weil) er fehlt, nicht berücksichtigt werden darf, ist selbstverständlich. Wenn sein Fehlen aber niemals (umgekehrt!) strafschärfend oder -mildernd Beachtung finden dürfte, müßten die entsprechenden Tatsachen als Strafzumessungsgründe schlechthin entfallen? Das kann ja wohl nicht richtig, oder nur dann vertretbar sein, wenn man ihnen jegliche Strafzumessungsrelevanz abspricht, was nach den Umständen des Einzelfalls abhängt. • n In seinem 1985 erschienenen "Recht der Strafzumessung" bezeichnet Bruns die Problematik als "noch nicht genügend ausgelotet. 78 Die Lösung schien in dem Begriff der "schlicht-relevanten" Strafzumessungstatsachen zu liegen. 79 Theune, Pfeiffer-FS, S. 455 . Bruns, JR 1980, 338. 76 Bruns, 1974, 382; 1985, S. 129 f. n Bruns, NStZ 1981, 61. 78 Bruns, 1985, S. 249. 79 Bruns, 1985, S. 249; ders., JR 1987, 94. 74

15

8 Fohl

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

Sprach man von der 3. Kategorie zwischen den strafschärfenden und den strafmildemden Umständen als "neutralen" Umständen, so implizierte das, daß sie für die Strafzumessung nicht "relvant" würden. Sprach man dagegen von "schlicht-relevanten" Umständen, so war damit gesagt, daß sie zwar "relevant" waren, aber die Strafe trotzdem nicht schärften oder milderten. Bruns faßte seine Überlegungen wie folgt zusammen: An sich seien drei Kategorien zu unterscheiden, nämlich: a) die strafzumessungsbegründenden = schlicht strafzumessungs-relevanten, b) die strafmildemden und c) die strafschärfenden Tatsachen. Diese "heuristische" Unterscheidung ändere aber nichts daran, daß innerhalb der strafzumessungsrelvanten Umstände für die Fixierung der Bewertungsrichtung nur die beiden Alternativen b) und c) in Betracht kämen. 111 Damit war das Problem vorverlagert in eine andere Phase der Strafzumessung, nämlich in die 2. Phase, die jetzt beißen mußte: Ermittlung der "relevanten Strafzumessungstatsacben". 81 In der Tat liest man bei Bruns, daß bereits auf dieser Ebene die Gruppe der sog. sachfremden oder unzulässigen Strafzumessungsgründe auszuscheiden seien, zu denen auch die "irrelevanten" Tatsachen gehörten. 82 - "Stets aber müssen Relevanz und Bewertungsrichtung sauber getrennt werden. "83 Der Einwand dagegen liegt auf der Hand: Beschränkt sich die 2. Stufe nicht auf das Herausfiltern der Strafzumessungstatsacben, die "potentiell" strafzumessungsrelevant sind, sondern bedeutet sie auch schon, daß diese "relevant" werden müssen in dem Sinne, daß sie das Ergebnis nach oben oder unten verändern, dann ist die nachfolgende dritte Phase der Strafzumessung eigentlich überflüssig. Die Festlegung der Bewertungsrichtung ist dann kein eigenständiger Gedankenakt mehr, sondern ergibt sich zwingend aus der vorherigen Feststellung ihrer Relevanz. Nachdem feststeht, daß solche Tatsachen einen Ausschlag geben, wäre es nur noch eine Pflichtübung, auszusprechen, in welche Richtung sie ausschlagen. 84 Bruns erwiderte: "Daß eine besondere Lehre von den schärfenden oder mildemden Umständen eigentlich überflüssig sei, würde ich so nicht sagen, obwohl auch nach meiner Ansicht die Bewer111 81

Bruns, JR 1987, 94. Vgl. Bruns, 1985, S. 6.

Bruns, 1985, 129. Bruns, Welzel-FS, S. 757. 84 Frisch, ZStW 99 (1987), 795: "Eine so verstandene Bewertungsrichtung ist in der Feststellung der Relevanz stets schon mitgedacht, ist deren Grund - und damit als eigene Kategorie überflüssig". 82 83

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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tungsrichtung in der Feststellung der Relevanz schon mitgedacht ist. "85 Er konsentiert sogar: "Aber damit wird die entsprechende Arbeit nur vorverlegt". 86 Es bietet sich aber noch eine andere Interpretation der "Relevanz" an, wenn man auf der Auswahlebene nicht ganz auf den Begriff verzichten will: Relevanz kann auch verstanden werden als bedeutsam im Hinblick auf die Strafzwecke statt im Hinblick auf das Ergebnis. Das ist deshalb sinnvoll, weil das Ergebnis nicht vorweggenommen, sondern nur auf eine vorausgehende Phase zurückgegriffen würde. Dagegen wäre methodologisch nichts einzuwenden. Ermittlung der relevanten Strafzumessungstatsachen würde dann bedeuten, die Tatsachen herauszusuchen, die in dem Sinne bedeutsam sind, daß sie Einfluß auf die Strafzumessung haben könnten. "Irrelevant" wären dann nur die Umstände, von denen feststünde, daß sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt (Strafzweck) Bedeutung erlangen können. Alle anderen wären "relevant", ohne daß sie deswegen auch schon schärfend oder mildernd wirken müßten. 81 Angesichts der Irritationen, welche Bruns' Vorschlag einer Anerkennung von schlicht-relevanten Strafzumessungstatsachen ausgelöst hat, 88 ist es nicht weiter verwunderlich, daß der Große Senat für Strafsachen der dritten Kategorie der schlicht-relevanten Strafzumessungstatsachen eine klare Absage erteilt hat. 89 Offenbar hat er unter den Beteiligten damit aber nur neue Verwirrung gestiftet. 90 2. Die Problematik strafzumessungsrechtlicher Relationsbegriffe

Ausgangspunkt der Diskussion um die "neutralen" oder "schlicht-relevanten" Tatumstände muß die Tatsache sein, daß es sich bei dem Begriffspaar 85 Bruns, Neues Strafzumessungsrecht?, S. 64 auf die Kritik von Frisch, ZStW 99 (1987), 795.

Bruns, Neues Strafzumessungsrecht?, S. 64. So verstehen Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 516 die Relevanz; ebenso Ganther, Göppinger-FS, S. 455. 86

87

Von "Irritationen" sprichtjedenfalls Streng, NStZ 1989, 399. BGHSt 34, 345 = NStZ 1987, 451 m. Anm. Bruns. 90 Bruns NStZ 1987, 452 meinte dazu, wenn er die kurzen Ausfiihrungen des Großen Senats zu dieser Frage richtig verstanden habe, dann solle die Strafzumessungsrelevanz erst mit ihrer Auswertung "für und gegen" den Täter beginnen. Das ließe sich durchaus vertreten, müsse aber stärker als "neue Einsicht" herausgestellt werden, die dann natürlich für alle Zumessungsumstände gelten müßte und "erhebliche Konsequenzen" hätte. 88

89

8•

116

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

"strafschärfend I strafmildernd" um Relationsbegriffe handelt, d.h. um Komparative, die die Frage indizieren, im Verhältnis wozu denn hier die Schärfung oder Milderung eintreten soll. 91 Das ergibt sich schon aus den Regeln der Sprache. Andernfalls hätten die Begriffe überhaupt keinen Aussagewert. 92 Schlimmer noch: Gäbe es den nach den Regeln der Sprache vorausgesetzten Bezugspunkt nicht, so wären die Begriffe austauschbar. 93 Denn was von dem einen Standpunkt aus als "strafschärfend" erschiene, müßte von einem anderen Standpunkt aus "strafmildernd" sein. Beide Betrachtungsweisen könnten für sich behaupten, den Sachverhalt "richtig" darzustellen. 94 Eine Diskussion darüber wäre sinnlos. 95 Mißt dasselbe Gericht so, daß ein und derselbe Umstand bald strafschärfend und bald strafmildernd erscheint, so bat die Rechtsprechung gelegentlich wegen Widerspruchs gegen die Denkgesetze aufgehoben. 96 Solange die Gerichte den Bezugspunkt ihrer Bewertung aber nicht angeben, fehlt dem Obergericht schon die Grundlage, um auch nur zu prüfen, ob das Tatgericht auch nur am eigenen Ausgangspunkt gemessen bestimmte Umstände widerspruchsfrei, nämlich am gleichen (dem nicht benannten) Ausgangspunkt, gemessen hat. 97 Darum ist es wichtig, nicht nur einen Vergleichspunkt zu haben, sondern diesen auch offenzulegen. Anders ist eine Verständigung gar nicht möglich. Er muß aufgedeckt und bei Divergenzen oder Lücken - beides wäre sonst gar nicht zu erkennen - zur Diskussion gestellt werden. 98 Anders können inhaltliche Streitfragen gar nicht ausgetragen werden; das Messen mit einem "gehei91 Ebenso Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 517 mit Fn. 26; Hettinger, GA 1993, 15; Ganther, Göppinger-FS, S. 459, ders. , JZ 1989, 1028; auch Horn , StV 1986, 168; eingehend Frisch, GA 1989, 345 ffm .w.Nachw.

92

se".

So auch Frisch, GA 1989, 346: Solche Aussagen würden "zur sinnlosen Phra-

So schon Frisch, ZStW 99 (1987), 792; ders., GA 1989, S. 346, Fn. 40. So auch Frisch , GA 1989, 346: Solche Aussagen könnten "richtig oder falsch sein oder werden" , "je nachdem welchen Bezugspunkt man in sie hineinliest". 95 So auch Frisch, GA 1989, 346: "von vornherein nur sinnvoll, wenn man zugleich den Bezugspunkt kennt oder benennt oder dieser selbstverständlich ist"; zust. Hettinger, GA 1993, 15. 93

94

96 BGH MDR 1978, 459; MDR 1980, 813; StV 1982, 166; zum Ganzen ausf. Bruns, 1985, S. 303 ff. 97 So auch Frisch, GA 1989, 347. 98 So auch Frisch, GA 1989, S. 345, Fn. 31; Streng, NStZ 1989, 398, spricht von einem "pseudoargumentativen Spiel mit verdeckten Karten".

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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men Metermaß", das Dreher99 der Rechtsprechung immer vorgeworfen hat, ist also auch noch aus einem ganz anderen Grunde bedenklich. Es bedeutet nämlich, daß "vergleichbare Sachverhalte ganz unterschiedlich und unterschiedliche gleich etikettiert zu werden "100 und - man möchte hinzusetzen - auch behandelt zu werden drohen. Ließe man den Ausgangspunkt der Bewertungsrichtung im unklaren, dann machte eine eigenständige Lehre von der Bewertungsrichtung kaum Sinn. Dreher war so optimistisch, darin einen entscheidenden Beitrag zur Rationalisierung der Strafzumessung zu sehen: 101 Hier sei Verifizierung in dem Sinne möglich, daß man von einer bestimmten Antwort feststellen könne, ob sie "richtig oder falsch" sei. Er meinte sogar, ein Blick in einen beliebigen Kommentar zeige, wie weit die Rationalisierung bei den Strafschärfungs- und Strafmilderungsgründen schon vorangetrieben worden sei, wenn auch in vielen Fällen um die Einordnung noch Streit bestehe. 102 Das setzt aber einen Bezugspunkt schon voraus, solange dieser von einem zum anderen Mal wechselt, wird man einem beliebigen Umstand niemals das Prädikat "schärfend" oder "mildernd" geben können. 103 Auch Bruns meint ja, daß eine besondere Lehre von der Bewertungsrichtung sinnvoll bleibe104 -ist aber, was den Wert eines Vergleichspunktes angeht, offenbar anderer Ansicht: 10s Eine "neutrale Marke" zu finden, sei "weder möglich noch nötig", man brauche nicht erst einen allgemein gültigen Maßstab zu entwickeln, um sagen zu können, daß z.B. ein Geständnis oder die bisher straffreie Lebensführung strafmildernd, der Rückfall oder die Verursachung eines großen Schadens strafschärfend ins Gewicht fielen. 106 99

Dreher, MDR 1961, 344.

100

So Frisch, GA 1989, 347. Dreher, Rationalere Strafzumessung?, S. 39.

101

102 Dreher, Rationalere Strafzumessung?, S. 39. - Außer Streit stehe jedenfalls, daß in diesem Bereich Antworten eraroeitet werden könnten, die das Prädikat "richtig" oder "falsch" verdienten. 103 Kein Wunder, daß Dreher selbst drei Kategorien aufzählt: Es gehe darum, inwieweit diese "schärfend oder mildernd wirken oder als zumessungsneutral anzusehen sind", so Dreher, Rationalere Strafzumessung?, S. 39. 104 Bruns,

Neues Strafzumessungsrecht?, 1988, S. 64.

tos Bruns, JZ 1988, 1053 ff. 106 Bruns, JZ 1988, 1058 mit einer ausdrücklichen Absage an die Parallele zu § 28 StGB; vgl. auch Foth, JR 1985,397 f mit dem sprichwörtlichen, aber aus grundsätzlichen methodologischen Erwägungen falschen Satz: "Was die Strafe nicht mildert,

118

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

Der Ausdruck "neutrale Marke" stammt von Frisch, der dazu bemerkte: Verstehe man bestimmte Zumessungstatsachen (z.B. besonders große Beute) schärfend, andere (nur kleine Beute) mildernd, "so ist bei solchem Denken ja offensichtlich eine neutrale Marke als Ausgangspunkt vorausgesetzt", nämlich eine, "von der ab dann Steigerungen schärfend und Abstriche mildernd ins Gewicht fallen" . 107 Man kann von "schärfend" oder "mildernd" gar nicht reden, ohne daß darin der Ausgangspunkt nicht mitenthalten wäre. Wer, wie Bruns, 108 die straffreie Lebensführung als mildernd bezeichnet, sagt damit, Vorstrafen seien der "Normalfall". Dort setzt er die "neutrale Marke" an. Daß er dann nicht gleichzeitig sagen kann, einschlägige Vorstrafen wirkten strafschärfend, 109 steht auf einem anderen Blatt. Wer umgekehrt die "Vorbestraftheit" strafschärfend werten will, der gibt damit zu erkennen, daß er seine "neutrale Marke" bei der Unbestraftheit ansetzt, nur verschweigt er das. Frisch nennt das "ein bestimmtes unartikuliertes Vorverständnis" vom Bezugspunkt, .das auch der BGH und all jene haben müßten, die die Notwendigkeit eines Bezugspunktes leugneten. 110 Aus dem Charakter der Relationsbegriffe folgt zunächst einmal nur, daß es einen wie auch immer beschaffeneo "neutralen" Bezugspunkt geben muß, von dem aus Abweichungen nach oben strafschärfend und strafmildernd nach unten ins Gewicht fallen. Welcher Vergleich als Ausgangspunkt hergenommen werden soll, darin ist Frisch recht zu geben, 111 darüber besagt das Modell nichts. Denn alle bisherigen Überlegungen erschöpfen sich in einer relativen Betrachtung. Am Beispiel der Vorstrafen: Man kann die Tatsache einschlägiger Vorstrafen als Strafschärfungsgrund sehen (und wenn man das tut, dann nimmt man sich damit den unvorbestraften Täter zum Ausgangspunkt). Geschärft sie." -Siehe auch Streng, NStZ 1987, 397 ff, der ebenfalls auf einen "externen" Vergleichspunkt verzichten zu können glaubt. 107 Frisch, ZStW 99 (1987), 792; vgl. auch Kunst, ÖJZ 1972, 538: "Denn am Übergang vom eindeutigen Plus- zum eindeutigen Minusbereich liegt eben allemal eine indifferente Nullzone" - daran ist festzuhalten. 108 Bruns, JZ 1988, 1058. 109 So aber wohl Bruns, JZ 1988, 1058 mit der Bemerkung, der "Rückfall" wirke strafschärfend.

°

11 Frisch, GA 1989, S. 346, Fn. 37 - Speziell zu Bruns: Daß er und Bruns sich über die Bewertung bestimmter Sachverhalte einig seien, zeige nur, daß sie insoweit offenbar gleiche Maßstäbe besäßen. Zugleich beweise der gesamte gegenwärtige Streit aber, daß die Einigkeit nicht sehr weit gehe, Frisch, GA 1989, S. 344, Fn. 31. 111 Frisch, GA 1989, 367.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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nausogut könnte man aber auch darauf verzichten, ihm in diesem Fall einen Strafmilderungsgrund gutzubringen und eben dies in dem milder zu bewertenden Fall tun, in dem der Täter sich bisher straffrei geführt hätte (dann aber hat man sich für den vorbestraften Täter als Ausgangspunkt entschieden). Beides wäre modellkonform. Fest steht nur, daß man einen Ausgangspunkt für die Bewertungsrichtung braucht. 3. Kandidaten für den Ausgangspunkt der Bewertungsrichtung112

a) Die Extreme: Tatbestandliches Minimum und Maximum

Man könnte zunächst daran denken, die Bewertung von den Extrempunkten her anzugehen, also bei der schwächsten unrechts- und schuldrelevanten Ausprägung eines Strafzumessungsfaktors anzusetzen (Minimum) oder bei der Ausprägung mit dem größten Unrechts- und Schuldgehalt (Maximum). Beschreitet man den ersten Weg, so liefe das auf ein System der Schärfungsgründe hinaus, da jede Abweichung nur eine Steigerung sein könnte. 113 Geht man den umgekehrten Weg, so stellt sich jede Abweichung als Verringerung des Unrechts- und Schuldgehalts dar. Verglichen mit dem Ausgangspunkt istjede andere Ausprägung als die "normale" eine Abschwächung. Am Ende steht ein System von Strafzumessungsgründen, das nur aus Milderungsgründen besteht. 114 Strafschärfungsgründe wären in diesem System nicht denkbar. Wo man einen solchen entdeckte, würde er nur zur Heraufsetzung des Ausgangspunktes führen. 115 Die Rechtsprechung scheint, in erster Linie weil sie den Begriffen "strafschärfend" und "strafmildernd" von vornherein die Bedeutung abspricht, den ersten Weg gehen zu wollen. Wenn der 1. Senat im Samenergußurteil aus dem Nichteingreifen des DVV folgert, daß der Samenerguß strafschärfend zu 112 So

nennt sie Frisch, GA 1989, 346. Frisch, GA 1989, 348.

113 Vgl. 114 So 115 So

auch Frisch, GA 1989, 348.

ließe sich entgegen Frisch, GA 1989, 349, der darin eine unüberwindliche Schwierigkeit sieht, auch die systemimmanente Schwäche überwinden, daß der Ausgangspunkt kaum formulierbar wäre, weil sich bei vielen Merkmalen immer eine noch schwerere oder noch mildere Ausprägung denken ließe: Der Familienvater stiehlt, um seine ein-, zwei- oder dreiköpfige Familie zu unterhalten; bei einem Bombenattentat kommen drei, vier oder fünf Menschen ums Leben.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

Buche schlagen müßte, dann kann das nur bedeuten, daß er auch für diese Frage das Tatbestandsminimum zugrundelegt, das damit zugleich die Grenze des DVV und den Ausgangspunkt der Bewertung bilden soll. Fraglich ist aber, ob die Rechnung "strafzumessungsrelevant = strafscbärfend" 116 aufgehen kann. Dagegen spricht, daß das logische Prinzip, auf dem das DVV beruht, und das wertende Prinzip, das der 3. Stufe den Namen ("Bewertungsrichtung") gegeben hat, sinnvollerweise nicht vom seihen Ausgangspunkt ausgehen können. Dagegen spricht vor allem, daß solcher Strafzumessung die Akzeptanz in der Bevölkerung fehlen müßte. 117 Hier ist an den Nachweis steigerungsfähiger Tatbestandsmerkmale durch Heltinger zu erinnern: Der Prototyp eines solchen, in einen "Maßbegriff" übersetzbaren Tatbestandsmerkmals war die Körperverletzung i. S. von § 223 Abs. 1 Alt. 1 StGB, die praktisch bis zur tödlichen Folge (§ 226 StGB) steigerbar ist und darüber hinaus, um in concreto strafbarkeilsbegründend zu wirken, die Schwelle der "Geringfügigkeit" erst einmal überschreiten muß. Eine einfache Ohrfeige118 kann bereits genügen, muß aber nicht. Ein "paar blaue Flecken" hat die Rechtsprechung nicht als ausreichend angesehen; ein kaum bemerkbares Ansengen des Kopfhaares ebenfalls nicht. 119 Man kann eine kräftige Ohrfeige, die den tatbestandliehen Schwellenwert nach h.M. gerade überschreiten soll, in den Urteilsgründen nicht als Strafschärfungsgrund "präsentieren" / 211 soll das Urteil nicht an Akzeptanz verlieren. Dafür könnte angesichts der gravierendsten Formen der Mißhandlung, die ebenfalls unter den Tatbestand der einfachen Körperverletzung fallen, nur Unverständnis aufgebracht werden. Sie muß daher, auch im Urteil, was das Ausmaß des Schadens bzw. Art und Umfang der Verletzung anbelangt, als vergleichsweise harmlos und damit als "Strafmilderungsgrund" bezeichnet werden dürfen. 121 Beide Modelle, die Bewertung vom Maximum wie die vom Minimum aus, widersprechen darüber hinaus dem Gesetzeswortlaut - jedenfalls dann, wenn

116 Formulierung

117 So 118

von Grasnick, JZ 1991, 933.

auch Frisch, GA 1989, 349.

Vgl. BGH bei Dallinger, MDR 1973, 901.

119 Unveröffentlichte 131 Frisch,

Entscheidungen bei Dreher I Tröndle, § 223 Rdnr. 4 u.S. GA 1989, 349.

121 Auf die Wertvorstellungen der Rechtsgemeinschaft, denen auch die Darstellung des Urteils genügen muß, stellen im Anschluß an Frisch auch Schall I Schirnnacher, Jura 1992, 629 ab.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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man die Formulierung in § 46 Abs. 2 Satz 1 dahin versteht, daß es sowohl Milderungsgründe als auch Schärfungsgründe geben müßte. Denn in dem einen Modell fehlen denknotwendig die einen, im anderen die anderen. Vergegenwärtigt man sich die Konsequenzen der reinen Schärfungs- oder Milderungsmodelle, dann leuchtet ein, daß dies ernsthaft und ausdrücklich nie favorisiert worden ist. 122 Daraus ergibt sich aber, daß der Bezugspunkt "irgendwo zwischen den Extremen" 123 zu suchen ist. Nicht das "Mindestmaß" wird gesucht, sondern ein "gedachtes Grundmaß" . 124 Entgegen der Meinung von Bruns125 ist bei solchen Tatbestandsmerkmalen tatsächlich noch eine weitere "gesteigerte Wirkungsschwelle" zu überschreiten, unterhalb derer zwar der Tatbestand erfüllt, aber noch kein Strafschärfungsgrund gegeben ist.

b) Die Fälle: Normativer Normalfall, Regelfall und Ankerfall aa) Regel- und Normalfall

Nach einer besseren Bezugsgröße wird unter verschiedenen "Chiffren" 126 gefahndet: "Durchschnittsfall der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle", der "Fall mittlerer Schwere", "Regelfall", "Normalfall" (auch "Idealfall" genannt) etc. 127 Strukturieren läßt sich die verwirrende Vielfalt nur, indem man sich die beiden Pole vergegenwärtigt, die die Diskussion prägen. Die Pole im Streit um die richtige Bestimmung des Ausgangspunktes sind dann einmal ein statistischer, das andere Mal ein normativer Wert. 128 Für das erste steht der

122 So

auch Frisch, GA 1989, 349.

GA 1989, 349. Mösl, NStZ 1981, 133, der allerdings von einem "Grundmaß der Strafe" spricht, von dem aus der Richter nach oben oder unten fortzuschreiten gezwungen sei, während die Ausprägungen steigerungsfähiger Tatbestandsmerkmale mit dem Strafmaß zunächst einmal nichts zu tun haben, weil der Ausprägung nur eines Faktors natürlich noch keine Strafgröße zugeordnet werden kann. 125 Bruns, JR 1987, 94. 126 Neumann, StV 1991, 258. 123 Frisch, 124 Vgl.

127 Auch hier wird immer wieder sprachliche und definitorische Ordnung reklamiert: Hettinger, StV 1987, 149; Bruns, JZ 1988, 1054; SK-Horn, § 46 Rdnr. 88; Schall I Schirnnacher, Jura 1992, 627 mit Fn. 76: "bis zur Sprachverwirrung führende Uneinheitlichkeit der Terminologie", "Begriffsreigen". 128 So

auch Schall I Schirnnacher Jura 1992, 628.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

Regelfall, 129 für das zweite der Normalfall - dem dann die Attribute "normativ", "gedanklich", "denkmäßig", "fiktiv" 130 und "dogmatisch" 131 vorbehalten bleiben sollten. 132 Ersterer wird auch "tatsächlicher" ("faktischer", "erfahrungsgemäß vorkommender") Durchschnittsfall genannt, 133 sein Gegenstück bildet der "theoretische" ("denkmäßige" oder "gedankliche") Durchschnittsfall.134 Die Vertreter des nonnativen Ansatzes wollen unter Rückgriff auf die Erfahrungswirklichkeit aus dem Gesetz und der höchstrichterlichen Rechtsprechung135 einen idealtypischen Normalfall gewinnen, an dem gemessen werden soll. Konkretisieren ließe er sich durch die vielfältigen nonnativen Vorgaben des Gesetzes, wie man sie als deliktsübergreifende Regeln des Allgemeinen Teils (z.B. in den§§ 17, 21, 24, 32-35 StGB) vorfmde, sowie in deliktsspezifischen oder systematischen Wertentscheidungen des Besonderen Teils (z.B. §§ 157, 160, 211, 212, 226 a, 248 a StGB) und unter dem vonjeder Gesetzesauslegung her bekannten Rückgriff auf die Basisannahmen des Gesetzes, zu denen beispielsweise auch das Rechtsgut und die Qualifikationsgründe (z.B. Modalitäten des Ortes, der Zeit, der Mittel, der Beteiligung usw.) gehören sollen.' 36 Aber das alles steht auch schon im Gesetz und wird von niemandem bestritten. 137 Sobald es um Konkretes geht, bleibt der nonnative Ansatz die Antwort schuldig. Immer wieder wird eingewendet, die "normale" Schadenshöhe, z.B. bei der Körperverletzung,' 38 beim Betrug139 oder Diebstahl 140 sei nicht be129 Den man zur besseren Kennzeichnung einen "statistischen" nennen mag, vgl. z.B. Schall I Schirnnacher, Jura 1992, 628. 130 Zipj, Strafmaßrevision, S. 79 spricht vom "fiktiven Normalfall". 131 Theune, StV 1985, 168 spricht vom "dogmatischen Normalfall". 132 Vgl. aber Neumann, StV 1991, 258 mit der Gleichsetzung "tatsächlichen Normalfall" = "statistischer Regelfall"; vgl. auch Theune, NStZ 1988, 174, der von "normativen Regelfällen" spricht. 133 Streng , NStZ 1989, S. 369, Fn. 31 meint, Regelfall und tatsächlicher Durchschnittsfall seien "zumindest eng veiWandt"; unglücklich Pallin, Strafzumessung, S. 72: "Durchschnitt der Regelfälle". 134 Hettinger, StV 1987, 148 spricht hier von Synonymen- zum Ausgangspunkt der Begriffe: BGHSt 27, 2, 4. 135 Für die Einbeziehung der Judikatur Theune, StV 1985, 205. 136 So Schall I Schirnnacher, Jura 1992, 628. 137 So die Kritik von Horn, StV 1986, 168. 138 Streng, NStZ 1989, 369. 139 Foth, 1985, 398.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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stimmbar, und die Frage gestellt: "Welche Schadenshöhe ist "normal", trennt also den Milderungs- vom Schärfungsgrund, 100 DM, 1000 DM, 10.000 DM?" 141 Was ein "mittlerer" Schaden sei, wird gesagt, sei theoretisch oder abstrakt überhaupt nicht bestimmbar - hier sei allenfalls empirisch, nicht aber "normativ" voranzukommen. 142 Die Kritik ist indessen etwas überzogen: Immerhin läßt sich sagen, daß ein mittlerer Schaden weder besonders hoch ist noch besonders niedrig. Das ist nicht viel, aber es erlaubt doch, die Schadenshöhe einzugrenzen. Ein "mittlerer Schaden" sind weder 50 DM noch 50 Millionen, darüber wird Einigkeit zu erzielen sein, und so könnte man weiter vorgehen. Der Wert, der die Grenze markiert, ist nicht schwieriger festzustellen als die Auslegung des Merkmals der Geringwertigkeit im Gesetz selbst, etwa in §§ 243 Abs. 2, 248 a StGB. 143 Der Unterschied ist allenfalls ein gradueller, aber nicht prinzipieller Natur, und so mag man beides auch "normativ" nennen. So löst sich auch die Ausgangsfrage, die Bruns am Anfang der Diskussion gestellt hatte: Soll es wirklich nicht, d.h. weder schärfend noch mindernd ins Gewicht fallen, daß das Opfer nur geringfügige, also keine schweren Verletzungen erlitten hat? 144 Schon die Frage ist falsch formuliert. So wie sie gestellt ist, kann die Antwort nur lauten: Schwere Verletzungen werden strafschärfend, geringfügige strafmildernd zu Buche schlagen. Wie sollte es denn wohl sonst sein? "Geringfügig" und "schwer" beinhalten diese Wertungen ja schon. Man setze an ihre Stelle die konkrete Verletzung: einen Beinbruch. 145 Hält man ihn für schwer, dann wirkt er strafschärfend, hält man ihn für geringfügig, wirkt er strafmildernd. "Neutral" wäre ein Schaden, von dem man weder das eine noch das andere sagen könnte. In § 224 StGB zählt das Gesetz immerhin einige überzeugende Beispiele für besonders schwere Körperschäden auf. Der Verlust der Niere, die sich angeblich nicht unter die Vorschrift subsumieren läßt, 146 gehört jedenfalls im Rahmen des § 223 StGB zu t«>zipf, Strafmaßrevision, S. 78. JR 1985, S. 398, Fn. 21. 142 Streng, NStZ 1989,396. 143 Vgl. zur umfangreichen Judikatur vom Würstchen für 23,- DM bis zum ehristbaumschmuck für 52,85 DM: Schönke I Schröder-&er, § 248 a Rdnr. 9. 141 Foth,

144

Bruns, JR 1980, 338 von Grasnick, JZ 1991, 935, der darin gerade einen mittleren Schaden

145 Beispiel

sieht.

146 Vgl.

zum Streitstand Dreher I Tröndle, § 224, Rdnr. 4.

124

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

den schwerwiegenderen Schäden. Dagegen ist eine bloße, allerdings kräftige Ohrfeige wohl unstreitig als leichte Körperverletzung einzustufen. Dazwischen muß es aber doch noch andere Größen geben. Man denke nur an den genannten Beinbruch, das wäre dann ein "mittlerer" Schaden. 147 So könnte man Schritt für Schritt weitergehen, um aus dem Gesetz unter Weglassung aller Besonderheiten den normativen Normalfall eines Delikts zu gewinnen. Dem hafte unübersehbar "die Blässe des Konstrukts" an, sagen die Gegner.148 Er sei "gänzlich blutleer", "völlig unbrauchbar" und "schon im Ansatz fehlerhaft" 149; "blaß", eine "Kunstfigur", "funktionslos" und "erlaube keine Orientierung" . 150 - In Wahrheit sei damit nichts fiir die Praxis, d.h. weder fiir den Tat- noch fiir den Revisionsrichter etwas gewonnen. Ein solcher Fall • stehe nur auf dem Papier", gehöre •der Studierstube und nicht dem Leben" an. 151 Die Kritik kulminiert schließlich in der Feststellung: den "normativen Normalfall" gebe es nicht. 152 Eine, wie Grasnick meint, "ebenso zutreffende, wie irrelevante" Feststellung, da es sich dabei um ein gedankliches Gebilde handelt. 153 Er sieht die These vom normativen Normalfall durch den Bundesgerichtshof abgelehnt, aber nicht widerlegt. Wer behaupte, es gebe den normativen Normalfall eines Delikts, verfechte ja nicht die These von der Existenz abstrakter Entitäten, sondern reklamiere "typologisches Denken" . 154 Handgreiflicher als der Normalfall erscheint da der Regelfall als "der statistisch häufigste Fall" . 155 Der durchschnittliche Schaden beim Betrug oder beim Diebstahl ließe sich natürlich schon errechnen - einfach indem man alle 147 So auch Grasnick, JZ 1991, 935 - freilich ist auch beim Beinbruch zu unterscheiden, ein mehrfacher, komplizierter Bruch, der längere Krankenhausaufenthalte nötig macht, ist nicht gemeint. 148 Frisch, GA 1989, 350. 149 SK-Horn, § 46 Rdnr. 94. 150 Horn, StV 1986, 170. 151 Hettinger, DW, S. 146; ders. , StV 1987, 148. 152 Zuerst BGHSt 34, 351; im Anschluß daran BGH NJW 1991, 185 (2. Samenergußurteil); zust. Bruns, JZ 1988, 1055. 153 Grasnick, JZ 1991, 934: "Natürlich gibt es ihn nicht, das heißt nicht so wie den Federhalter, mit dem und das Papier, auf dem ich gerade schreibe, ein Schicksal, das er im übrigen zum Beispiel mit der Wahrheit und der Gerechtigkeit teilt ... " 154 Grasnick, JZ 1988, 158. 155 So Horn, StV 1986, 170 mit dem optimistischen Satz: "Die Zukunft gehört dem RegelfalL"

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

125

innerhalb eines Zeitraums festgestellten Schäden addiert und dann durch die Anzahl der Fälle dividiert. - Man könnte sogar an eine bereinigte Statistik denken, etwa indem man "Ausreißer" nach oben oder unten nicht miteinbezieht. - So ergäbe sich die mittlere Schadenshöhe, die als Ausgangspunkt dienen könnte, beispielsweise 227,50 DM. 156 Was die Hoffnung seiner Befürworter nährt, dieser Fall könne in der Praxis je einem Richter zu Gesicht kommen, 157 wird jedoch ihr Geheimnis bleiben. Der rein statistische Ansatz begegnet aber noch weiteren Bedenken. Er stellt im Kern auf ein bloßes - noch dazu veränderliches - Faktum ab. 158 Das ist im Mindesten ungewöhnlich für den ansonsten nur dem Gesetz verpflichteten Richter. Der normative Ansatz behauptet immerhin sein Ergebnis aus dem Gesetz herzuleiten, der statistische Ansatz müßte wenigstens erklären, warum es ohne Gesetzesänderung möglich sein soll, heute so und in zehn Jahren - allein aufgrund veränderter statistischer Daten - anders zu entscheiden. Nimmt man ihn zum Ausgangspunkt der Entscheidung über die Bewertungsrichtung eines bestimmten strafzumessungserbeblichen Umstandes, so besteht außerdem die Gefahr der Perpetuierung richterlicher Vorurteile, wie sie gerade in Vergewaltigungsfällen in der Vergangenheit häufig sichtbar geworden sind. 159 Schließlich muß der rein statistische Ansatz dort versagen, wo eine statistische Auswertung noch nicht zur Verfügung steht - und sie steht so gut wie nirgends zur Verfiigung160 - oder wo sie gar nicht zur Verfügung stehen kann, wie bei neuen, gerade erst eingeführten Strafvorschriften. 161 Da nützt es auch nichts, sich mit Bruns darauf zurückzuziehen, es gehe nicht eigentlich um eine statistische Erfassung, der "Regelfall" ergäbe sich

156 Auch Hettinger, StV 1987, S. 147, Fn. 11 meint für die Beurteilung der Einkommensverhältnisse und die Frage, ob der Täter es nötig hatte zu stehlen, sei das Durchschnittseinkommen aller Bürger (oder vielleicht besser: aller Diebe?) freilich schon errechenbar, aber eben ohne jede Relevanz für die Strafzumessung.

157 Vgl.

Horn, StV 1986, 169: das "tägliche Brot der Strafzumessungspraxis". dazu Frisch, ZStW 99 (1987), 791 mit der Frage, was eigentlich dazu berechtige, auf ein "bloßes Faktum" abzustellen. 159 Darauf weisen Schall I Schirnnacher, Jura 1992, 628 hin; Stratenwerth, Tatschuld, S. 4 spricht von "vulgär-moralisierenden Wertungen"; ebenso Schaffstein, Gallas-FS, S. 111. 160 Auch Horn, StV 1986, 170 räumt ein, was der statistisch häufigste Regelfall, etwa eines Diebstahls, sei, wäre "jedenfalls erst noch zu eruieren". 161 So auch Schall I Schirnnacher, Jura 1992, 628. 158 Krit.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

vielmehr "aus den praktischen Erfahrungen mit der Alltagskriminalität" . 162 Der Hinweis, daß der Tatrichter den Regelfall des jeweiligen Delikts schon kenne, hilft bei neueingeführten oder selten vorkommenden Delikten, also dort, wo keine oder nur eine schmale Erfahrungsbasis besteht, natürlich auch nicht weiter. 163 Der Rückgriff auf den nicht statistisch zu bestimmenden • Alltagsfall" läßt außerdem erkennen, daß der Begriff des "Regelfalls" keineswegs einheitlich gebraucht wird. 164 Während es keineswegs unmöglich erscheint, einen Regelfall aus den statistischen Durchschnittswerten einer Vielzahl von Strafzumessungsfaktoren (z.B. Schadenshöhe von 227,50 DM) zusammenzusetzen, sieht Streng 165 folgende Schwierigkeit bei der Bestimmung des "tatsächlich am häufigsten vorkommenden Falles": "Am häufigsten" sei eben die Tatbestandsverwirklichung selbst. Innerhalb des Tatbestandes gebe es aber regelmäßig mehrere gleich häufige Fallkonstellationen, so daß daraus kein klar konturierter Fixpunkt gewonnen werden könne. Das zeugt von einem grundsätzlich anderen Verständnis von der Konstruktion des Regelfalls. Frisch sieht den Regelfall - genau wie den Normalfall auch166 - schon durch "das Fehlen auch nur exemplarischer Beschreibungen" diskreditiert und erkennt darin einen "symptomatischen Beleg für die Verlegenheit der Vertreter dieses Ansatzes, ihr Konstrukt inhaltlich zu füllen •. 167 Zu einem guten Teil hängen die Schwierigkeiten damit zusammen, daß beide, Regel- und Normalfall, ursprünglich ganz anders gedacht waren. Entwickelt wurden sie als sog. "Einstiegsstelle" 168 in den Strafrahmen in einer viel späteren Phase der Strafzumessung. Auf der Suche nach einem geeigneten Vergleichspunkt für die Relationsbegriffe der Bewertungsrichtung verfiel man auf den Gedanken, die herkömmlich erst im Zusammenhang mit der endgültigen Fixierung der Strafe diskutierten Vergleichsfälle aus der Endphase der 162 Bruns,

Neues Strafzumessungsrecht?, 1988, S. 69 f; ders., JZ 1988, 1057. 1heune, StV 1985, 209; Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 628; Frisch, GA 1989, S. 352, Fn. 63. 164 Dazu auch Frisch, GA 1989, S. 353, Fn. 60. 165 Streng, NStZ 1989, 369; ders., Strafrecht!. Sanktionen, S. 215. 166 Seine Prüfung aller denkbaren ausdrücklich benannten Ausgangspunkte endet damit in einem Dilemma: keiner eJWeise sich als wirklich tragfähig, so Frisch, GA 1989, 353. 167 Frisch, GA 1989, 352. -Er spricht vom "nebulosen Regel- oder Durchschnittsfall", siehe Frisch, GA 1989, 792. 168 Dazu sogleich. 163 Vgl.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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Strafzumessung in die Phase der Bewertungsrichtung herüberzutransportieren.169 Das war ein neuer Vorstoß und interessanter Vorschlag, weil sich gemessen am jeweiligen Vergleichsfall natürlich ganz unterschiedliche Ergebnisse der Bewertung eines bestimmten Umstandes einstellen müßten-zumal den Fällen ja auch noch ganz unterschiedliche Stellen im Strafrahmen zugeordnet wurden. So soll der "Regelfall" im unteren Drittel des Strafrahmens anzusiedeln sein. 110 Dort müßten natürlich ganz andere Gründe schärfend oder mildernd ins Gewicht fallen, als in der Mitte oder auch im oberen Drittel des Strafrahmens. 171 Umso größer war die Überraschung, als sich dieselben oder ähnliche Ergebnisse einstellten, sich der Unterschied zwischen beiden als viel geringer erwies als erwartet. Denn schon beginnen manche auch Gemeinsamkeiten zwischen Regelfall und Normalfall zu erkennen. tn Abgesehen davon, daß Untersuchungen über den Regelfall oder Normalfall eines Deliktes regelmäßig fehlen, ist auch keineswegs ausgemacht, warum nicht die normative Normalkonstellation im Einzelfall nicht auch einmal die statistisch häufigste sein sollte. Daß dem nicht so ist, ist ja allenfalls eine Erkenntnis der bisherigen Erfahrung, könnte sich aber jederzeit ändern. Die viel grundsätzlichere Frage ist aber, ob es sinnvoll ist, die Bewertungsrichtung anband von Fällen zu messen. Vom Begründer des Phasenmodells, von Bruns, wird ein solches Vorgehen abgelehnt. Er selbst räumt dem sog. Regelfall die größten Zukunftschancen ein, 173 die Bewertungsrichtung fiir die Gewichtung der einzelnen Strafzumessungstatsachen sei allerdings vorher und nach anderen Gesichtspunkten zu klären. 174 Ebenso sieht es Grasnick, einer 169 Dazu Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 518 u. 627; vgl. auch Günther, Göppinger-FS, S. 459 f; dort werden sie nunmehr auch diskutiert von: Frisch, GA 1989, 350 ff; Streng, NStZ 1989, 395 ff; Heninger, StV 1987, 148; Horn, StV 1986, 169 Bruns, JZ 1988, 1057 meint, gewisse Hinweise von Horn könnten dahin "mißverstanden" werden. 110 Vgl. BGHSt 27, 2, 4, ausführlich zu dieser Entscheidung unten. 171 Vgl. für den Regelfall Horn, StV 1986, 170 mit der Diskussion, welche Umstände die Strafe "im unteren Strafrahmenbereich" zu schärfen oder zu mindern vermögen; erst recht gilt das natürlich für die Befürworter der Bildung von bestimmten "Ankerfällen", die sich über den gesamten Strafrahmen verteilen, vgl. Streng, NStZ 1989, 367 f.

tnSiehe Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 628 mit der Bemerkung, die tatsächliche Polarität erweise sich als geringer als von den jeweiligen Protagonisten behauptet. 173 Bruns, JR 1987, 92; ders., JZ 1988, 1057. 114 Bruns, JZ 1988, 1057.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

der engagiertesten Vertreter der Gegenseite und des normativen Normalfalles- wozu nach seiner Ansicht auch gehört, daß der Täter bei einer Vergewaltigung kein Kondom benutzt, 17s oder daß der Dieb es nicht nötig hat zu stehlen. 176 Zu der Frage aber, ob es strafschärfend bewertet werden dürfe, daß der Täter nicht in wirtschaftlicher Not war und es absolut nicht nötig hatte zu stehlen, meinte er, daß die Antwort darauf klar auf der Hand liege: Sie könne nur "Ja" lauten. m Wer argumentiert wie Grasnick, gibt die dritte Kategorie der "neutralen" Umstände voreilig auf, um auf sein Ziel, den ebenfalls "wertneutralen" Normalfall 1711 zuzusteuern und setzt sich damit dem Vorwurf falschen methodologischen Vorgehens aus, weil er einen Bezugspunkt der Bewertungsrichtung nicht hat179oder ihn verschweigt. Dasselbe gilt für Bruns, der die Antwort auf die Frage schuldig bleibt, nach welchen Kriterien denn dann die Bewertungsrichtung festzulegen ist. Ebensowenig angängig erscheint es indes, die auf einer ganz anderen Ebene entwickelten und dort auch ihre Funktion erfüllenden "Fälle" aus dem Zusammenhang zu reißen, in dem sie entwickelt worden sind. Das geht schon deshalb schlecht, weil ein wie auch immer definierter Fall als aus unzähligen Strafzumessungstatsachen zusammengesetzt gedacht werden muß. Von dem "normativen Normalfall" einer Tatsache zu sprechen, ist deshalb nicht nur sprachlich fragwürdig, 180 sondern zeigt auch, daß sich der Normalfall eben nicht ohne Schaden von der einen in die andere Phase verschieben läßt. Das-

17sGrasnick,

JZ 1991,936. JZ 1988, 158. m Grasnick, JZ 1988, 158: Natürlich dürfe es bei der Strafzumessung erschwerend gewertet werden, daß der Dieb es absolut nicht nötig hatte zu stehlen, und er setzt hinzu: "Wie denn auch nicht! Ich kenne keinen Richter, der anders verführe. Niemand leugnet im Ernst, daß es einen Unterschied macht, ob ein Nabob stiehlt oder ein armer Schlucker" - der einen Richter fmden wird, "welcher bereit ist, das so zu werten, wie jeder vernünftige Mensch, also - um es endlich einmal mit den Worten des Gesetzes zu sagen - als einen der Umstände, diefür den Täter sprechen". 176 Grasnick,

1111 Grasnick, JZ 1991, 935 spricht sogar vom "strafzumessungsneutralen Tatbild"; unter Verweis auf Streng, NStZ 1989, 396, der es allerdings genau wie das "Regeltatbild" für ungeeignet hält. 179 Wie Folh, JR 1985, 398 mit dem sprichwörtlichen, aber aus grundsätzlichen methodologischen Erwägungen falschen Satz: "Was die Strafe nicht mildert, schärft sie, und umgekehrt." 180 Daraufweist

Bruns, NStZ 1987, 452 hin; ders., JR 1987, 92.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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selbe gilt für den Regelfall und alle anderen als komplexe Gebilde von Strafzumessungstatsachen gedachten Fälle. 181 Man könnte daran denken, aus einem vorgegebenen Ausgangsfall i.S. einer Gesamtheit bestimmter Faktoren die Einzelfaktoren im Wege analytischer Spaltung zu extrahieren und auf diese Weise die Normalform eines Umstandes zu gewinnen, aber das wäre doppelte Arbeit. 182 Der Normalfall müßte ja erst aus Einzeltatsachen zusammengesetzt werden (Ort, Zeit, Tatmodalitäten, Tatmittel usw.) - nur um danach wieder in seine Bestandteile zerlegt zu werden.183 Es bliebe, den "Normalfall" i.S. einer Normalausprägung eines bestimmten Umstandes zu verstehen. Gegen dieses Verständnis des Normalfalles wäre zwar nichts einzuwenden. Mit dem ursprünglichen Normalfall, von dem man meinte, ihm eine Stelle im Strafrahmen exakt zuordnen und ihn so als Einstiegshilfe für andere Fälle benutzen zu können, hätte dieser Normalfall aber nur noch den Namen gemein. Denn wie sollte der "Normalausprägung" eines Umstandes auch eine Stelle auf dem Strafrahmen zuzuordnen sein? Der einzelne Umstand könnte praktisch an jeder Stelle des Strafrahmens "normal" ausgeprägt sein. 184 Schließlich ist gegen die Verwendung sämtlicher in Frage kommender Fälle aus der Schlußphase der Strafzumessung einzuwenden, daß man eben damit diese Schlußphase vorwegnimmt (oder mindestens präjudiziert) und somit das Modell einer phasenweisen Abarbeitung der Strafzumes-

181 Auch Frisch, GA 1989, 353 sieht deshalb Regel- und Normalfall für die Zwecke der Festlegung der Bewertungsrichtung diskreditiert. 182 Noch drastischer Frisch, GA 1989, 352: diesen Ansatz könne man vergessen, und man müsse dem BGH dankbar sein, daß er ihn nicht verfolgt hat. 183 Daß ein "komplexer" Fall, sei es der Normalfall, Regelfall oder Durchschnittsfall, für die Festlegung der Bewertungsrichtung eines Umstandes nicht erforderlich ist, ergibt sich für Streng, NStZ 1989, 397 bereits daraus, daß auch die gesetzlichen Milderungen sich durchgängig darauf stützen, daß ein konkretes, isotierbares Merkmal (z.B. §§ 17, 20, 21 StGB) in einer kategorial reduzierten und derart gesetzlich beschreibbaren Form vorliegt. Daraus will Streng schließen, daß der jeweilige Vergleichsfall der "ansonsten gleich gelagerte Fall" (interner Vergleichsfall), also doch wieder ein kompletter "Fall", ist. 184 Das sieht auch Neumann, StV 1991, 259: der Normalfall, wie er ihn versteht, leide an dem komplementären DefiZit, ebensowenig wie dem idealen Strafmaß ein Fall, könne dem idealen Fall ein präzise defmiertes Strafmaß zugeordnet werden; Schall I Schirrmacher, Jura 1992, S. 629, Fn. 89 lassen das Problem, an welcher Stelle des Strafrahmens der Normalfall anzusiedeln wäre, von vomherein ausgespart. 9 Fohl

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

sungsprobleme verläßt. 185 Wer sich bei der Festlegung der Bewertungsrichtung für den Normalfall entscheidet, kann bei der Umwertung schlecht für eine Orientierung am Regelfall plädieren. Aus der bloßen Qualifizierung von Umständen als strafschärfend oder mildernd folgt aber weder die Richtigkeit und Brauchbarkeit des einen noch des anderen für die Einordnung in den Strafrahmen, und es erscheint auch unnötig, beide gegeneinander auszuspielen. bb) Das Konzept der Benutzung von Ankerfällen Dasselbe gilt für das Konzept der Herausarbeitung und Orientierung an bestimmten "Ankerfällen". 186 Auch der Ankerfall dient primär der Einordnung des konkreten Falles in den Strafrahmen und gehört damit eigentlich einer anderen Phase der Strafzumessung an. Er muß aber hier angesprochen werden, weil er auf die Festlegung der Bewertungsrichtung von Umständen zurückwirken soll. Man hat sich das etwa so vorzustellen: Anband gewisser Leitmerkmale werden unter Vernachlässigung der fallspezifischen Besonderheiten gewisse Standardfälle i. S. von Grundtypen (" Ankerfälle") gewonnen, über deren Bewertung ("Skalierung") sich ein Expertenkreis aus Fachleuten einigt, dem nach der Vorstellung Haags nicht nur Strafjuristen, sondern auch Soziologen, Psychologen, Theologen und Philosophen angehören sollen. 187 Stimmt eine individuelle Straftat, deren Tatschuldgehalt ein Gericht zu beurteilen hat, nicht zufällig mit dem Sachverhalt eines schon bewerteten Standardfalles überein, so muß das Gericht "interpolieren", d.h. es muß die Lücken zwischen den Standardfällen und ihren "Ankerwerten" ausfüllen. Dazu wird der fragliche Fall in ein durch zwei Ankerwerte begrenztes Intervall eingeordnet. 188 Auf den ersten Blick hat das mit der Festlegung der Bewertungsrichtung von Strafzumessungsfaktoren wenig zu tun. Um die genaue Position des zu beurteilenden Falles innerhalb des Intervalls zu bestimmen, schlägt Haag vor, eine Schätzung ("rating") so durchzuführen, daß man fragt: Wenn im Ankerfall A eine Strafe a angemessen ist, welche Strafe x ist dann im Fall X

185 Vgl. Bruns, JR 1987, 92 mit der Ermahnung, diesachgebotene Gliederung nach dem 5-Phasen-Modell unbedingt einzuhalten.

186 Dazu Haag, Rationale Strafzumessung, S. 70 f; SchlJch, Strafzumessungspraxis, S. 76; Bauer, Stufenweise Konkretisierung, S. 194 ff. 187 Haag, Rationale Strafzumessung, S. 86. 188 Haag,

Rationale Strafzumessung, S. 92.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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angemessen? 189 Dies kann aber nur in der Weise geschehen, daß man die Fallspezifika vom Ankerfall aus mißt. Der Vergleichspunkt für die Bewertungsrichtung strafmindernd I strafschärfend ist dann ein "Ankerfall". Das führt zu dem schon früher von Dubs190 vorgeschlagenen und heute von Streng u.a. 191 vertretenen Modell einer zweistufigen Strafzumessung, bei dem der konkret zu beurteilende Fall in einem ersten Schritt zunächst anband seiner "Leitmerkmale" grob ln den Strafrahmen eingeordnet wird ("Grobabstimmung", "Basisbeurteilung", "Einrasterung"). Erst von diesem Bezugspunkt aus wird dann die Bewertungsrichtung der übrigen Tatumstände festgelegt ("Feinabstimmung"). Dies bedeutet aber, daß es einen immer gleichen Ausgangspunkt fiir die Festlegung der Bewertungsrichtung nicht gibt. Er wäre abhängig davon, wohin die "BasisbeurteiluQ.g" geführt hätte. Was von dem einen • Ankerfall" aus als Strafschärfungsgrund erschiene, wäre ein andermal, von einem anderen Ankerfall aus, als Strafmilderungsgrund zu qualifizieren. Damit verlöre diese Qualifizierung aber, weil nicht allgemeingültig, jede Orientierungsfunktion fiir die Zukunft. Eine Lehre, die hier, nach Delikten unterscheidend, der Frage nachginge, ob ein bestimmter Faktor schärfend oder mildernd ins Gewicht fällt, wäre zweifellos zum Scheitern verurteilt, die wissenschaftliche Diskussion, Kommentarliteratur und die Auseinandersetzung mit gerichtlichen Entscheidungen sinnlos. Dies wäre ebenso zweifellos ein Rückschritt auf dem Wege zur Rationalisierung der Strafzumessung -und ein großer Nachteil dieser Auffassung. Ob er durch den Vorteil (genauere Einordnung in den Strafrahmen) aufgewogen wird, ist zweifelhaft. Abgesehen davon bleibt unerfmdlich, wie denn die "Basisbeurteilung" vorgenommen werden soll, wenn nicht anband von Strafschärfungs- und Strafmilderungsgründen, für die ein Bezugspunkt dann freilich fehlt. Auch dieses Modell kommt bei Lichte betrachtet um die Fixierung eines Ausgangspunktes, an dem der erste Vergleich ansetzen soll, nicht herum. 192

189 Haag,

Rationale Strafzumessung, S. 93.

190 Dubs,

Festgabe zum Schweizer Juristentag, S. 9 ff; zusammengefaßt in Dubs, ZStW 94 (1982), S. 172, Fn. 14. 191 Streng, NStZ 1989, 396 ff; ders., Strafrecht!. Sanktionen, S. 216 f; Frisch, GA 1989, 372 ff; Lackner, § 46 Rdnr. 32; Bauer, Stufenweise Konkretisierung, S. 196 ff. 202 ff. 192 So auch Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 628.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

c) Die Wertung: das Regeltatbild

Anstatt einen vorgegebenen Fall, sei es den Regelfall oder den Normalfall, zu zerkleinem und daraus die "neutrale Marke" für den Bezugspunkt der Bewertungsrichtung zu gewinnen, muß umgekehrt vorgegangen werden: Aus dem Charakter der Relationsbegriffe "strafschärfend" und "mildernd" folgt nicht nur, daß es einen Vergleichspunkt geben muß, sondern auch, wie dieser Vergleichspunkt beschaffen sein muß, nämlich "neutral". Von den Umständen, die in diese Kategorie fallen, steht ebenfalls eines fest: daß sie weder für noch gegen den Täter sprechen. Theune: Nicht jeder Umstand, der für die Strafzumessung zur Verfügung steht, wird schon dadurch zu einem strafmildemden oder straferhöhenden Faktor: "Er kann vielmehr auch wertneutral sein. "193 Er definiert: "Wertneutral ist ein Umstand, wenn er nach gesetzlich bestimmten oder von der Rechtsprechung entwickelten Wertvorstellungen den Schuldgehalt der Tat nicht verändern könnte. "194 Gefragt ist also eine Wertentscheidung. 195 Ehrlicherweise sollte man sich auch nicht hinter dem einen oder anderen angeblich vorgegebenen, aber niemals nachprüfbar ausgewiesenen Fall verstecken, der doch letztlich nur die eigene Wertentscheidung wiederspiegelt Beim normativen Normalfall besteht die Gefahr, die eigenen Wertvorstellungen in den Gesetzgeber oder, schlimmer noch, in das Gesetz selbst hineinzuprojizieren. Derselbe Verdacht entsteht, wenn die an sich bei der Arbeit mit dem Regelfall vorausgesetzte statistische Erhebung unterbleibt und die Zahlen gar nicht ermittelt, sondern mehr oder minder nur aus dem eigenen Erfahrungsbereich hochgerechnet werden. 196 Theune glaubte sogar sagen zu können, zu der Frage, welche Tatsachen generell oder bei einzelnen Taten "strafmildernd, strafschärfend oder indifferent" -sprich: neutral - zu bewerten seien, habe sich eine umfangreiche Rechtsprechung entwickelt. 197 Damit spielt er auf die Entscheidungen zu dem bereits mehrfach angesprochenen und nachfolgend gesondert zu behandelnden Theune, Pfeiffer-FS, S. 454; ders. , NStZ 1987, 163. Pfeiffer-FS, S. 455. 195 Vgl. noch Theune, NStZ 1988, 174: über die Zuordnung entschieden "rechtliche Wertungen" . 1116 Der Grund daffir ist, auf die Zahlen kommt es in Wahrheit nicht an, so auch Hettinger, StV 1987, S. 146, Fn. 11: Welchen Aussagewert hätte schon das Durchschnittseinkommen der Bundesbürger ffir den Unrechtsgehalt des Diebstahls? 197 Theune, Pfeiffer-FS, S. 455. 193 Vgl.

194 1heune,

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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Grundsatz an, daß die Abwesenheit eines Schärfungsgrundes noch keinen Milderungsgrund abgibt und umgekehrt. Denn wenn ein Schärfungs- oder Milderungsgrund fehlt und das nicht verwertet werden darf, dann ist daraus natürlich auch ablesbar, was die Rechtsprechung als "wertneutral" empfindet. 198 Beispielhaft dafür steht die folgende Entscheidung: Danach ist es rechtsfehlerbaft, bei der Bestrafung wegen Vollrauschs strafschärfend zu berücksichtigen, "daß kein besonderer Grund vorlag, sich an dem Tage derartig zu betrinken" . 199 Der BGH meinte dazu: Das Vorbandensein eines besonderen Grundes zum Trinken möge im Einzelfall strafmildernd wirken. Das reiche aber nicht aus, um das Fehlen eines solchen Grundes strafschärfend zu bewerten. Der Kernsatz lautet: "Es witre lediglich neutral. "200 Es muß schon nachdenklich stimmen, wenn aus derselben Rechtsprechung einmal gefolgert wird, darin werde der normative Normalfall erkennbar2111 - das andere Mal, daß daraus der Regelfall abgelesen werden könne. 312 Sieht man genauer bin, so heißt es: Hier könne "gelegentlich abgelesen werden, welche Art von Umständen nach dem Urteil der Revisionsrichter zum Regelfall des jeweiligen Delikts gehören soll"! So könne z.B. das Urteil, es sei beim Diebstahl zulässig zu berücksichtigen, daß der Täter nicht aus wirtschaftlicher Not gehandelt habe, bedeuten, daß wirtschaftliche Not "als Regelfallkriterium beim Diebstahl nicht mehr durchweg anerkannt wird". 203 Es kommt also gar nicht darauf an, was der Regelfall ist, sondern was dazu gehören "soll": was man als den Regelfall "anerkennt" - oder was man für den Regelfall "hält". 204 Das ist aber ganz etwas anderes: Das erste wäre eine Frage von richtig und falsch, das zweite ist eine Wertentscheidung! 198

Vgl. Theune, NStZ 1987, 163.

199 BGH

VRS 23 (1962), 43, 46; dazu Bruns, JR 1980, 337 f. auch BGH StV 1993, 128: "... als gleichsam "neutraler" Umstand zu gelten hätte, also nicht wenigstens einen Straferschwerungsgrund abgeben würde". 7D1 Theune, StV 1985, 205. mSK-Horn, § 46 Rdnr. 90; zust. Bruns, JZ 1988, 1057. iD3 SK-Horn, § 46 Rdnr. 90. 200 Vgl.

204 Vgl. auch Horn, StV 1986, 169: "Hält der Richter den Ladendiebstahl, der aus wirtschaftlicher Not begangen, wird für den Regelfall ... "; aus der Rspr. BGH StV 1986, 430: "Geht der Tatrichter davon aus, daß eine persönliche Bereicherung des Täters zum regelmäßigen Erscheinungsbild der strafbaren Untreue gehört, ist es zulässig, einem Angeklagten zugute zu halten, daß er sich - abweichend vom Normalfall der gewöhnlich vorkommenden Untreuedelikte - durch die Tat nicht persönlich bereichert hat." (Leitsatz)

134

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

Diese Sicht wird durch ein weiteres Zitat bestätigt, wonach es dabei "weniger auf absolute Unanfechtbarkeil als auf Plausibilität, vor allem aber auf Klarheit und Stetigkeit" ankommen soll.:w Weiter heißt es da: Der Regelfall sei ein "auszulegender" Rechtsbegriff - also keine vorgegebene Wahrheit, sondern eine Frage der Interpretation. Darum soll er auch dem Beweis oder der Statistik nicht zugänglich sein. 2116 Dasselbe trifft übrigens ganz genauso auf den normativen Normalfall zu. Noch einmal Theune: "Es handelt sich somit um vergleichende rechtliche Wertungen, bei denen der zum Vergleich herangezogene sogenannte Normalfall oder Regelfall dieses Prädikataufgrund einer rechtlichen Bewertung erhalten hat .•m Im konkreten Falfllll ging es nicht um eine Trunkenheitsfahrt wie in BGH bei Holtz, MDR 1978, 985, wo das "Regeltatbild" entwickelt wurde, sondern um die Bestrafung wegen Vollrauschs(§ 330 a StOB a.F.). Trotzdem ist die Ähnlichkeit in dem entscheidenden Punkt unverkennbar: Daß kein Grund für die Trunkenheitsfahrt bei § 315 c StOB oder daß bei § 330 a StOB a.F. kein Grund dafür bestand, sich überhaupt zu betrinken, ist niemals Tatbestandsmerkmal- und auch kein Umstand, der wie ein Tatbestandsmerkmal notwendig und ausnahmslos bei allen Deliktsverwirklichungen der jeweiligen Art vorzuliegen bräuchte, sondern gehört zum "Regeltatbild". Es mag durchaus einen verständlichen Grund geben, zu trinken und zu fahren. Aber das ist eben die Ausnahme. Regelmäßig oder typischerweise wird es so liegen, daß ein guter Grund dafür nicht bestand. Daß es die Täter trotzdem taten, ließ sie strafbar werden. So zeigt schon dieser Fall - und eine nähere Überprüfung der umfangreichen Rechtsprechung zum Fehlen von Strafmilderungsgründen als Strafschärfungsgrund wird diesen Befund bestätigen -, daß die Rechtsprechung bei der Einordnung des "Regeltatbildes" schon immer zwischen der Erweiterung des DVV auf der einen und der Einordnung in die dritte, "neutrale" Kategorie der Bewertungsrichtung auf der anderen Seite geschwankt hat.

;wSK-Horn, § 46 Rdnr. 90; zust. Bruns, JZ 1988, 1057. § 46 Rdnr. 89; Bruns, JZ 1988, 1057. mTheune, NStZ 1988, 174. DBGH VRS 23 (1962}, 43.

206 SK-Horn,

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

135

Hettinge~ hat es in die Diskussion geworfen und angenommen, daß der

BGH "das Naheliegende tun" und es aufgreifen würde. Er sah darin einen "in der Rechtsprechung inzwischen gängigen" weiteren Begriff, der "eine zunehmend größere Rolle spielt und den Regelfall bisheriger Provenienz zu verdrängen beginnt". Nach dieser Rechtsprechung sei es unzulässig, einen Umstand schärfend oder mildernd heranzuziehen, der bei Straftaten der jeweiligen Art regelmäßig vorliegt, der so zum "normalen Erscheinungsbild" des Delikts gehöre. Mit anderen Worten: es "soll Umstände geben, seien es solche, die Tatbestände im konkreten Fall repräsentieren, seien es solche, die zu den den Tatbestand verwirklichenden Tatsachen hinzukommen, die für die Strafzumessung nicht weiter verwertbar sind; und zwar deshalb nicht, weil sie schon neutralisiert oder eben, da regelmäßig vorhanden, per se neutral sind •. 210 Auch Streng211 erwägt das "Regeltatbild • als Ausgangspunkt der Relationsbegriffe strafschärfend und strafmildernd, spart aber auch nicht mit Kritik: Es lasse sich "aus dem Gesetz nur als Art Hülse entnehmen" , 212 sei inhaltsleer213 und als "nacktes" gesetzliches Tatbild untauglich, einen Anknüpfungspunkt für die Strafmilderungs- oder Strafschärfungsbewertung zu bieten.214 Bruns meint dagegen, das "Denkmodell des sogenannten Regeltatbildes", das häufig herangezogen werde, um die Tragweite des Doppelverwertungsverbotes zu klären,215 habe mit den Einstufungsbegriffen strafschärfend und strafmildernd nichts zu tun. 216 An anderer Stelle hatte er bereits betont, daß 7119 Hettinger, StV 1987, 148- daß Frisch sein "Regeltatbild" von Heltinger übernommen haben könnte, ergibt sich aus Frisch, GA 1989, S. 340, Fn. 11. 210 Heltinger, StV 1987, 148. 211 Streng, NStZ 1989, 396. 212 Dagg. wieder Grasnick, JZ 1991, 935: "Entscheidend ist die nun wirklich nicht neue Einsicht in die Möglichkeit, die gleichsam "leere Hülse", die uns der Gesetzge-ber in die Hand gibt, mit Inhalten zu füllen .. . ". 213 Ähnl. Streng, Strafrecht!. Sanktionen, S. 216: "konturloses gesetzliches Tatbild"; krit. auch Hettinger, StV 1987, 149 mit der Befürchtung, es gehe doch letztlich wieder bloß um eine "normativ-theoretische Kunstfigur, der kein Richter in seinem Leben jemals begegnet". 214 Streng, NStZ 1989, 396 mit dem nicht recht einleuchtenden Zusatz: Sobald man es aber mit konkreten Merkmalsausprägungen anzufüllen beginne, verliere man den Anspruch, einen "normativen Normalfall" (!)darzustellen. 215 Auf diese Hauptfunktion weist auch Streng, NStZ 1989, 396 hin. 216 Bruns, JZ 1988, 1056.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

das "regelmäßige Erscheinungsbild" nicht zum Ausgangspunkt der Bewertungsrichtung gemacht werden dürfe: Soweit in der Rechtsprechung im Zusammenhang mit solchen Fragen der § 46 Abs.3 StGB herangezogen worden ist, handele es sich um andere Erwägungen, die mit jenem Thema nichts zu tun hätten, aber zusätzlich in Betracht kämen, "allerdings gelegentlich, z.B. in MDR 1985, 284, 217 vielleicht jedoch nicht genügend auseinander gehalten worden sein", wie er selbst zugibt. 218

Demgegenüber sieht Frisch in Hettingers "Ansätzen zur Fruchtbarmachung des Regeltatbildes" den richtigen Weg. 219 Zunächst lehnt er wie Hettinger Regel- und Normalfall als Ausgangspunkte der Bewertungsrichtung ab; 2111 seine Überprüfung aller denkbaren und ausdrücklich benannten Orientierungspunkte zur Festlegung der Bewertungsrichtung endet damit in einem Dilemma: Keiner der geprüften Anknüpfungspunkte erweise sich als wirklich tragtähig.221 An dieser Stelle erlange nun das "Regeltatbild" Bedeutung. Nach Frisch verkörpert es jenen Kreis von Umständen, "die bei oder im Falle der Verwirklichung eines bestimmten Deliktstatbestandes so sehr typisch und mitgegeben sind, daß sie adäquaterweise als stillschweigende Basisannahmen der Bewertung fungieren und man sie daher sinnvollerweise nicht mehr neben den wirklich individuellen Umständen als den Einzelfall charakterisierend und seine Bewertung erklärend verwenden kann. "222 Das ist gewissermaßen die negative Funktion des Regeltatbildes: "Umstände, die in diesem Sinne das Regettatbild verkörpern, scheiden als Strafzumessungsfaktoren fiir den Einzelfall aus". 223 Die andere, die positive Funktion, ist folgende: Für die Strafzumessung im Einzelfall relevant seien die Abweichungen vom Regeltatbild. "Ihnen gegenüber bildet das Regeltatbild den geborenen Bezugspunkt fiir die richtungsund gewichtmäßige Bewertung: Umstände, die in kategorialer Hinsicht hinter 217 Dies ist das 1. Samenergußurteil. 218 Bruns, JR 1987, 92. 219 Frisch, GA 1989, S. 357, Fn. 76- von Heltinger aber so nicht gemeint, vgl. Hettinger, GA 1993, S. 21, Fn. 100.

2111 Frisch, GA 1989, 350 ff- dessen ungeachtet behauptet BGH NJW 1991, 185 weiterhin, "Normalfall" und "Regeltatbild" seien Synonyme. 221 So Frisch, GA 1989, 353 in einer "Zwischenbilanz". 222 Frisch,

223 Frisch,

GA 1989, 361. GA 1989, 361.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

137

dem die grundsätzliche Pönalisierung und höhenmäßige Bewertung tragenden Tatbild zutÜckbleiben, wirken sich sachlogisch mildernd aus; solche, die insoweit eine deutliche Steigerung beinhalten, sind SchärfungsgtÜnde. "224 Ganz ähnlich gehen Schall I Schirrmacher vor, wenn sie anhand des "idealtypischen Normalfalles" einzelne Strafzumessungstatsachen "als typisch oder aber als deutlich abweichend und damit als strafmildernd bzw. straferschwerend einordnen" wollen.:m Auch dafür bedarf es ja weniger eines kompletten, aus sämtlichen Strafzumessungsumstinden in ihrer normativen Normalausprägung schon zusammengesetzten Falles als vielmehr eines Bildes von der Tat, eben dem Tatbild! So verwundert es auch nicht, daß allenthalben davon die Rede ist: Grasnick nimmt das "strafzumessungsneutrale Tatbild" von Streng auf. 226 Bei Schall I Schirrmacher ist vom "Deliktsbild" der Vergewaltigung die Rede. zz1 Neumann erwägt den "durch das Tatbild definierten Regelfall" wie auch den "über das Tatbild definierten Normalfall". 228 Horn spricht vom "Regelbild".Z29- Dabei ergibt sich gleichsam nebenher die Lösung für das derzeit noch umstrittenste Problem dieser Phase, ob für den gesuchten Bezugspunkt der Bewertungsrichtung eine normative (Normalfall) oder eine faktisch-statistische Betrachtung (Regelfall) maßgeblich ist. Im "Regeltatbild" sind beide vereint: Die zum "Regeltatbild" gehörenden Umstände sind beschrieben worden als Umstände, die eben nicht notwendig (sonst wären sie vom DVV erfaßt), sondern "regelmäßig oder typischerweise" mitverwirklicht sind. Das erste stellt auf die statistische Häufigkeit, das zweite auf den normativen Typus ab, beides hat darin seinen Platz. 230

GA 1989, 362. 22S Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 629.

224 Frisch,

JZ 1991,935. zz1 Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 630. m Neumann, StV 1991, 258 u. 259. 729 Horn, StV 1986, 170; an anderer Stelle fragt er, ob es zum "Regelfall-Bild" der Vergewaltigung gehöre, daß beim Täter ein Triebstau vorliege, daß das Opfer bei § 176 StGB psychische Schäden erleide usw. - alles Fälle, die bereits im Rahmen des DVV und dort unter dem Stichwort "Regeltatbild" diskutiert worden sind, vgl. SKHorn , § 46 Rdnr. 90. 230 Vgl. auch Lackner, § 46 Rdnr. 32 a.E., der meint, die Wertung orientiere sich sowohl an normativen, im Gesetz vorfindbaren Maßstäben als auch an den Erfahrungen der Praxis. 226 Grasnick,

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

4. Anwendung, Funktion und Grenzen des Regeltatbildes am Beispiel der bisherigen Rechtsprechung, insbesondere des Samenergußurteils

a) Der Umstand der ungeschützten Durchführung des Geschlechtsverkehrs

Ein Beispiel, in dem beides zusammentrifft, ist der Umstand der ungeschützten Durchführung des Geschlechtsverkehrs bei der Vergewaltigung. Darum ist zwischen der Frage des Samenergusses und der Frage der ungeschützten Durchführung des Geschlechtsverkehrs zu trennen. 231 Rein statistisch ist die Anzahl der Vergewaltigungen, bei denen der Täter (nicht das Opfer) Vorkehrungen zur Empfängnisverhütung trifft, verschwindend gering, beispielsweise in 4 von 171 Fällen, die im Jahre 1982 in Bayern zur Verurteilung standen. 232 Daraus ergibt sich, daß im statistischen "Regelfall" keine empfängnisverhütenden Maßnahmen getroffen werden, so daß dieser Umstand auch nicht strafschärfend berücksichtigt werden dürfte, sondern vielmehr ein Strafmilderungsgrund gegeben ist, wenn der Täter im Einzelfall Rücksicht in dieser Richtung walten läßt. 233 In normativer Hinsicht wird dieses Ergebnis durch die Vorgaben des Gesetzes über die Wiedergutmachung des Schadens in §§56 b Abs. 2 Nr. 1, 46 Abs. 2 Satz 2 StGB sowie § 153 a Abs. 1 Nr. 1 StPO (vgl. auch § 34 Nr. 14 öStGB) bestätigt. Wenn schon das nachträgliche Bemühen des Täters, den Schaden wiedergutzumachen, zu seinen Gunsten wirkt, dann muß diese Wertung erst recht fiir ein Täterverhalten gelten, das von Anfang an auf Verringerung des Schadens ausgerichtet ist. 234 Eine weitere normative Stütze fiir diese Bewertung findet sich in § 24 StGB, wonach die freiwillige Nichtvollendung oder die Verhinderung des Erfolgs zur Straflosigkeit fiihrt. 235 Schließlich können Rechtsgut und Schutzzweck des § 177 StGB herangezogen werden, wozu 231 Weitere Gründe nennen Schall I Schimnacher, Jura 1992, 629: Ein Grund ist die sachlogisch gebotene isolierte Betrachtung eines jeden Einzelumstandes vor der anschließenden Abwägung anstelle einer aus grundsätzlichen methodologischen Erwägungen verfehlten sofortigen "Gesamtbetrachtung". 232 Greger, MSchrKrim 1987, S. 270, Tab. 9. 233 Zu diesem Ergebnis kam auch BGH NStZ 1985, 215 im 1. Samenergußurteil. 234 So auch Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 629: argurnenturn a maiore ad minus. 235 Ebenso Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 629; nicht zu diesem Fall, aber ebenfalls zur Parallele zu Wiedergutmachung, Rücktritt und tätiger Reue: Frisch, GA 1989, 357.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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zumindest auch, aber nicht allein, 236 der Schutz der Frau vor ungewollter Schwängerung gehört. So besehen handelt es sich nur um den "Normalfall", wenn der Täter eben dieses Schutzgut verletzt und gerade die Gefahr hervorruft, deretwegen solches Verhalten inkriminiert ist. 237 Komplettiert wird das Urteil schließlich durch die Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft: Von dem vorherrschenden Bild der Vergewaltigung weicht nicht die ungeschützte Durchführung des Geschlechtsverkehrs ab, als ungewöhnlich und von diesem Bild abweichend würde es vielmehr empfunden werden, wenn der Täter vorausschauend genug wäre, Vorkehrungen gegen unerwünschte Schwangerschaft zu treffen. 238 Regel- und Normalfall stimmen in ihren Ergebnissen überein. Damit schwindet die Polarität zwischen Regel- und Normalfall, die die Diskussion bislang geprägt hat. 239 Selbstverständlich führt auch das "Regeltatbild" in einer solchen Situation zu keinem anderen Ergebnis, nur ermöglicht es auch, auf beide Kriterien abzustellen, die insoweit zusammenfallen. Das muß aber nicht so sein: Sollte sich zum Beispiel ergeben, daß bei der Rauschgiftkriminalität oder beim illegalen Waffenhandel die Überwachung durch V-Leute der Polizei derart zunimmt, daß statistisch häufig eine Gefährdung der Allgemeinheit durch solche Geschäfte weitgehend ausgeschlossen wäre, so nimmt das dem Milderungsgrund nicht das Gewicht. 240 Dafür, daß es dadurch zum strafzumessungsneutralen Regeltatbild aufrückte, fehlt es schon an den für das "Regeltatbild" maßgeblichen richtungsweisenden Vorstellungen in der Rechtsgemeinschaft. 241 Umgekehrt wird eine als verwerflich einzustufende Modalität nicht dadurch "neutral", daß sie etwa in Folge der Ausbreitung schwerer Kriminalität häufig oder regelmäßig anzutreffen ist. 242 Letztlich bleibt das "Regeltatbild" -darin liegt gerade der Unterschied zum DVV - Wertungsfrage. Inhaltlich läßt sich meist, jedenfalls wenn die Dinge

236 Vgl.

Schönke I Schröder-Lenckner, § 177 Rdnr . 1. auch Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 629. 238 So auch Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 629 f; zur Bedeutung dieses Kriteriums s.o. 237 So

239 Längst

auch erkannt von Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 928.

240 BGH

StV 1988, 60 = NStZ 1988, 133; dazu Theune, NStZ 1988, 174; Frisch, GA 1989, 365; vgl. auch bei Schmidt, MDR 1989, 1036. 241 So

auch Frisch, GA 1989, 365.

242 So

auch Theune, NStZ 1988, 174.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

nicht so klar auf der Hand liegen wie bei der Frage der ungeschützten Durchführung des Geschlechtsverkehrs bei der Vergewaltigung, über das "Regeltatbild" eines Delikts, etwa der Vergewaltigung oder des Diebstahls, durchaus streiten. Da es sich um ein Werturteil handelt, sind unterschiedliche Ansichten möglich, ja zwangsläufig. Ein Beispiel: Hettinger hatte beim Diebstahl unter Verweis auf das "Regeltatbild" argumentiert, so gesehen trete dem Betrachter, wenn eine schuldmindernde Notlage fehle, nichts anderes entgegen als ein "typischer" Diebstahl. Dessen Verwerflichkeit werde aber nicht dadurch gesteigert, daß er begangen wurde, obwohl etwa der Täter sich das Gestohlene unter Einsatz eigener Mittel hätte kaufen können: "Daß er nicht so verfuhr, ließ ihn eines Diebstahls schuldig werden. "243 Frisch kommt zum umgekehrt~n Ergebnis, nämlich daß es zum "Regeltatbild • des Diebstahls gehöre, daß er aus der Not heraus begangen werde. Tatsächlich sei es gerade nicht das Regeltatbild der Eigentums- oder Vermögensdelikte, daß man auf Gegenstände zurückgreife, die man sich problemlos legal verschaffen könne. Das regelmäßig vorauszusetzende Tatbild sei vielmehr eine "Spannungslage" . 244 Daher sei evident, daß das Gesetz diese regelmäßig vorhandene Lage oder Motivation nicht als Milderungsgrund bewerten könne. 245 Horn bezweifelt indes, ob es "zum Regelbild" von Eigentumsdelikten heute tatsächlich noch gehört, daß aus Not (und nicht eher, daß "aus Sport") gestohlen würde.246 Man könnte es gegen das "Regeltatbild • zu wenden versuchen, daß darüber gestritten werden kann, was denn nun das Regeltatbild des Diebstahls oder der Vergewaltigung ist. Dieser Einwand wäre aber von vornherein nur stichhaltig, wenn man über den Regel- oder Normalfall nicht genausogut streiten könnte. Derzeit deckt noch der theoretische Streit zwischen den beiden die inhaltliche Unklarheit bei einem jeden von ihnen zu. Aber wenn Horn247 bereits StV 1987, 148. besteht eine Parallele zur Konsumtion, für die ja ebenfalls ein Maßstab aus der Kriminologie, genauer: der Kriminalphänomenologie, maßgeblich sein soll. 245 Frisch, GA 1989, 368: "Es geht nicht an, jene Lage, aus der heraus bestimmte Delikte typischerweise begangen zu werden pflegen und die in diesem Sinne die typische Motivation prägt, zugleich als den Einzelfall charakterisierenden Milderungsgrund einzustufen. Die entsprechende Spannungslage und die daraus resultierende Motivation charakterisiert vielmehr das Regeltatbild und ist daher als Strafzumessungstaktor adäquaterweise neutral." 246 Horn, StV 1986, 170. 241 SK-Horn, § 46 Rdnr. 89. 243 Hettinger,

244 Hier

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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dazu aufruft, den Regelfall wie einen Rechtsbegriff auszulegen, dann sind Meinungsunterschiede vorprogrammiert. Nichts anderes wäre vom normativen Normalfall zu erwarten, über dessen Inhalt gestritten würde, sobald man sich entschlösse, damit auch praktisch umzugehen. Möglicherweise besteht ein Widerspruch des "Regeltatbildes" aber darin, daß es zwei konträre Ansätze, den Regelfall und den Normalfall, in sich vereinigt. Aber auch darin ist eher ein Vorteil zu sehen als ein Nachteil. Auch der angeblich normative Normalfall kommt ja nicht ohne den Rückgriff auf die üblichen erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle aus (sog. Bodenkontakt248). In Wahrheit ist das "Regeltatbild" als einziges geeignet, die Widersprüche, die ja durchaus gesehen werden,249 auch befriedigend zu erklären, indem es sich als Wertung zu erkennen gibt.

b) Der Samenerguß in die Scheide Fielen statistischer Regelfall und normativer Normalfall in der Frage der Benutzung von Kontrazeptiva zusammen, so liegen die Dinge bei dem Umstand komplizierter, der gleich zwei höchstrichterlichen Entscheidungen den Namen gegeben hat. Statistisch betrachtet haben offenbar die Mehrzahl der Sexualtäter mit Erektionsschwierigkeiten zu kämpfen und sind von daher zu einem Samenerguß nicht selten gar nicht in der Lage. 250 Geht man von diesem empirischen Befund aus, so kann man nicht sagen, der Samenerguß sei ein Umstand, der "regelmäßig" mitverwirklicht würde. Fraglich ist, ob er denn so "typischerweise" zur Vergewaltigung dazugehört, daß er von daher dem strafzumessungsneutralen Regeltatbild entspricht. Damit ist das normative Element des "Regeltatbildes" angesprochen. In den Reaktionen auf das Urteil wird nahezu einhellig die Ansicht vertreten, daß auch dieser Umstand zum "normativen Normalfall" gehöre. 251 Schall 2411 Dazu Grasnick, JZ 1988, 158; Neumann, StV 1991, 258; Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 628. 249 Siehe Schall/ Schirrmacher, Jura 1992, 628 mit Fn. 82 u. 83. 250 Vgl. Schall/ Schirrmacher, Jura 1992, 630.

251 So ausdr. Schall/ Schirrmacher, Jura 1992, 631; weniger eindeutig, weil Samenerguß und Nichtbenutzung eines Kondoms nicht trennend, Grasnick, JZ 1991 , 936; sowie Neumann, StV 1991, 258; im Ergebnis auch Weßlau, StV 1991,260 f- allerdings unter dem Gesichtspunkt einer verbotenen Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

und Schirrmacher, die als einzige versuchen, das auch zu begründen, stellen insoweit auf dieselben Gründe ab wie bei der Unterlassung von Vorkehrungen gegen eine ungewollte Schwangerschaft, also hauptsächlich auf den Schutzzweck des § 177 StGB, der gerade in dem Schutz vor ungewollter Schwaogerschaft bestehe, sowie auf die normativen Vorgaben in den Vorschriften über die Wiedergutmachung des Schadens, denen zufolge die von vornherein intendierte Verringerung des Schadensrisikos durch eine vorzeitige Interruption des Geschlechtsverkehrs als strafmildernd erscheinen müßte, und den Rücktritt vom Versuch. 252 Für die Bewertung als strafzumessungsneutral spricht außerdem die vorherrschende Vorstellung der Rechtsgemeinschaft von der Durchführung des Beischlafs, auf die abzustellen das "Regeltatbild" als einziges nicht nur erlaubt, sondern auch fordert, wonach zum Beischlaf auch der Samenerguß des Mannes gehört, und zwar deshalb, weil er diesen als Höhepunkt und sexuelle Befriedigung im Unterschied zu anderen sexuellen Äußerungen von vornherein intendiert. 253 Für die Zugehörigkeit zum "Regeltatbild" würde das weiterhin ausreichen. Bei einigen Strafzumessungsfaktoren ist allerdings nach Ansicht von Frisch nicht vom "Regeltatbild" als Bezugspunkt der Relationsbegriffe schärfend und mildernd auszugehen, sondern von den Extremen, also entweder vom Minimum ("tatbestaodlicher Schwellenwert"2S4) oder vom Maximum ("Vollform"255). Nach Frisch ist das "Regeltatbild" beim Diebstahl zwar geeignet festzustellen, welche Motivationslage strafschärfend (etwa: "aus Sport"), welche strafmindernd ("Notlage") und welche adäquaterweise neutral ("Spaonungslage") zu beurteilen ist. 256 Insofern dient es auch nach Frisch ausdrücklich als Bezugspunkt für die Festlegung der Bewertungsrichtung. 257 Es ist aber nicht generell in allen Bereichen und bei allen Strafzumessungsfaktoren als Ausgangspunkt der Bewertungsrichtung geeignet. Nach Frisch:zss gibt es einen "thematischen Bereich, für den die Verwendung des Regeltatbildes überhaupt sinnvoll erscheint" -dazu sollen jene Strafzumessungsfaktoren nicht gehören, 252 Vgl. Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 630. 253 So auch Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 630. 2S4 Frisch, GA 1989, 370. 255 Frisch, GA 1989, S. 348, Fn. 43; ders., ZStW99 (1987), 796. 256 Vgl. Frisch , GA 1989, 367 ff. 251 Frisch , GA 1989, 368. :zss Frisch, GA 1989, 362.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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"wo von einer regelmäßig gegebenen Lage nicht gesprochen werden kann, weil der je strafzumessungsrelevante Faktor in den unterschiedlichsten Ausprägungen gegeben zu sein pflegt und es auf genau diese Ausprägungen auch nonnativ ankommt". 259 Das soll beim Diebstahl beispielsweise hinsichtlich der Deliktsbeute, im übrigen beim Maß der Verletzungen, dem Grad der Gefiihrlichkeit und insbesondere bei allen "steigerungsfähigen" Tatbestandsmerkmalen der Fall sein. 2l() Warum das "Regeltatbild" dort nicht weiterhelfen können soll, ist nicht recht einzusehen. Fast alle Tatbestandsmerkmale - darunter viele, von denen man es gar nicht erwartet - lassen sich bei näherem Hinsehen in steigerungsfähige "Maß"-Begriffe übersetzen: Das Merkmal "Beischlaf" in § 177 StGB scheint auf den ersten Blick nicht steigerungsfähig zu sein. Die Rechtsprechung hat daraus aber einen Maßbegriff gemacht. Nunmehr kann "Beischlaf" in ein mehr oder weniger weites Eindringen des männlichen Gliedes in die Scheide übersetzt und die Gefahr der Schwängerung vom ersten Eindringen bis hin zum Sameuerguß gesteigert sein. 261 Es wäre widersinnig, die Frage der An- und Abwesenheit eines Umstandes (Samenerguß, Spannungslage beim Diebstahl) anband des "Regeltatbildes", steigerungsfähige unterschiedliche Ausprägungen (Grad des Eindringens, Ausmaß der Not- oder Spannungslage) aber nicht anband des "Regeltatbildes" beurteilen zu wollen - beides läßt sich ja, da prinzipiell in das andere übersetzbar, gar nicht voneinander trennen. Was die Notlage beim Diebstahl anbelangt, so kann diese von einer gravierenden Notlage über eine einfache Spannungslage bis hin zur bloßen Abwesenheit einer solchen und zum Umschlagen in ganz andere Motive ("aus Sport") reichen. So gesehen handelt es sich um Abschwächungen, in umgekehrter Reihenfolge um Steigerungen. 262 Richtig ist, daß die Motivationslage beim Diebstahl kein Tatbestandsmerkmal ist. 263 Ob aber danach unterschieden wer-

259 Frisch,

GA 1989, S. 362, Fn. 94. 2l()Frisch, GA 1989, S. 362, Fn. 94. 261 Hettinger, DVV, S. 94 ff spricht hier von "konkretisierungsfähigen" Tatbestandsmerkrnalen, die zwar nicht selbst steigerungsfähig sind, aber mittels einer Konkretisierung in steigerungsfähige Maßbegriffe übersetzt werden können - dagegen, in der Schwängerungsgefahr eine steigerungsfähige Tatmodalität erblicken zu wollen, aber Weßlau, StV 1991, 260; dagg. wieder Hettinger, GA 1990, S. 25, Fn. 119. 262 Zur Steigerbarkeil gerade der Notlage beim Diebstahl nach § 248 StGB a.F. Hettinger, DVV, S. 91. 263 Man muß sagen: "nicht mehr ist", wenn man an§ 248 StGB a.F. denkt.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

den sollte, ob ein steigerungsfähiger Strafzumessungstaktor Tatbestandsmerkmal ist (dann: kein "Regeltatbild") oder nicht (dann: "Regeltatbild"), erscheint eher fraglich -jedenfalls ist nicht erkennbar, warum das eine sachgerechte Differenzierung sein sollte. Frisch meint, solche Merkmale könnten "über die Denkfigur einer Abweichung vom Regeltatbild "264 nicht sinnvoll erfaßt werden. Für das "Regeltatbild" sei dort kein Platz, wo "weder die Auslegung des anzuwendenden Tatbestands Anhaltspunkte dafür gibt, daß bestimmte Faktoren sinnvollerweise vorauszusetzen sind, noch diese Faktoren in der Rechtsgemeinschaft auch, ja gerade im Falle fehlender Erwähnung ohne weiteres als bei der Bewertung stillschweigend vorausgesetzt betrachtet zu werden pflegen. "265 Dabei zeigen gerade die beiden in der Samenergußentscheidung maßgeblichen Umstände, Nichtbenutzung eines Kondoms einerseits und Samenerguß andererseits, daß beide über die Abweichung vom Regeltatbild gut erfaßt werden und daß insoweit auch Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft ausgemacht werden können- das alles, obwohl der eine (Nichtbenutzung eines Kondoms) geradezu ein Paradebeispiel fiir die von Frisch vorgegebene Definition, das andere (Samenerguß) aber gerade ein steigerungsfähiges Merkmal repräsentiert. Fiele das "Regeltatbild" als Bezugspunkt der Relationsbegriffe bei den steigerungsfähigen Tatbestandsmerkmalen weg, so bliebe nur die Bewertung von den Extremen und das hieße letztlich vom tatbestandliehen "Schwellenwert", also vom Minimum aus. 266 Es ist indessen nicht einzusehen, wie die oben geäußerten Bedenken gegen ein solches Vorgehen hier plötzlich zerstreut werden könnten. 267 Frisch meint, dies sei das allein sachgerechte Verfahren, wenn die "zu bewältigende Aufgabe darin besteht, den Sachverhalt im Spannungsfeld unterschiedlicher Richtpunkte (gemeint sind Strafrahmenobergrenze und -untergrenze) zu plazieren" - und zwar: "im Idealfall durch quantitative Begriffe". Eben darum gehe es bei den steigerungsfähigen Tatbestandsmerkmalen.268

264 Frisch,

GA 1989, 369.

265 Frisch,

GA 1989, 365.

266 Dafür

in der Tat Frisch, GA 1989, 371: was zunächst als Schwäche anmute, entpuppe sich in genauerer Analyse als sachgerechte Kennzeichnung. 267 Insofern nicht überzeugend Frisch, GA 1989, 371 ff.

268 Frisch, GA 1989, 372.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

145

Aber darum geht es doch - nicht nur bei den steigerungsfähigen Merkmalen- letztlich immer. Am Schluß muß der bewertete und gewichtete Sachverhalt in den Strafrahmen, und das heißt zwischen dessen Ober- und Untergrenze, eingepaßt werden. Vorher geht es aber darum, die Bewertungsrichtung festzulegen: also einen Umstand der konkreten Tat als schärfend, als mildernd oder im Falle der Übereinstimmung mit dem "Regeltatbild" als strafzumessungsneutral zu kennzeichnen. Gerade bei den steigerungsfähigen Merkmalsausprägungen kommt dem "Regeltatbild" die wichtige Funktion zu, für die Reduktion des Doppelverwertungsverbotes durch den Minimum-Ansatz der Rechtsprechung sinnvollen Ausgleich zu schaffen. Auch die gesteigerte Form eines Tatbestandsmerkmals kann wertungsmäßig als neutral erscheinen und aus diesem Grund für die weitere Strafzumessung ausscheiden. Nach Frisch ist das "Regeltatbild" dagegen ein wesentlich "merkrnalsänneres Substrat" , 269 zu dem die steigerungsfähigen Tatbestandsmerkmale gerade nicht gehören. Solche Tatbestandsmerkmale hätten (nämlich dem Grade ihrer Ausprägung vom Minimum bis hin zum Maximum des tatbestandliehen Erfolges nach) im Rahmen der Strafzumessung eine Art "Führungsfunktion" bei der allerersten "Einrasterung" des Falles in die Skala denkbarer tatbestandsmäßiger Geschehen. 210 Erst von diesem Bezugspunkt aus wird dann bei den übrigen Tatumständen die Möglichkeit ihrer Einordnung als schärfend oder mildernd eröffnet.27t Damit ist man freilich wieder bei dem von Streng272 u. a. vorgeschlagenen "Modell einer zweistufigen Strafzumessungsbegründung" angelangt, der auf einen allgemeinen und definierbaren Nullpunkt zur Festlegung der Bewertungsrichtung und schließlich auch auf eine dritte, "neutrale" Kategorie der Strafzumessungsfaktoren ganz verzichten273 und statt dessen von gewissen "Ankerfällen", nämlich einem nur anband der "Leitmerkmale" definierten "Basisfall", ausgehen will (sog. "interner Vergleichsfall "). 274 Das aber widerspricht der Idee einer phasenweise gegliederten Strafzumessung, in der zu269

Frisch, GA 1989, 361.

210 Frisch, GA 1989, 372. 271 Vgl. Frisch, GA 1989, 373 f; siehe auch Lackner, § 46 Rdnr. 32, der hier von einer "Basisbeurteilung" spricht, mit der die sog. "Einstiegsstelle" konkretisiert werden könne. 272 Streng,

NStZ 1989, 397.

273 Streng,

NStZ 1989, 399.

214 Streng,

NStZ 1989, 398.

10 Fahl

146

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

nächst für alle Faktoren die Bewertungsrichtung festgelegt werden könnte, bevor der gesamte Fall mit allen seinen abschließend bewerteten und gewichteten Faktoren in der Endphase der Strafzumessung schließlich in den Strafrahmen "eingepaßt" wird. Es ist daher nur folgerichtig, daß Frisch und Streng dieses Fünf-Phasen-Modell ablehnen. 275 An seine Stelle will Frisch ein "adäquates Strukturmodell" setzen. 276 Die Diskussion um ein neues Strafzumessungsmodell kann und braucht hier nicht vertieft zu werden. Auch ein neues Modell müßte die Frage beantworten, wie für die Herausnahme des Regeltatbildes aus dem Bereich des DVV Ausgleich geschaffen werden soll. Daher ist festzuhalten: Als wertendes Prinzip verstanden, sind der Anwendung des "Regeltatbildes" und damit der Wertung eines Umstandes oder einer Ausprägung eines Umstandes als "strafzumessungsneutral" keine Grenzen gesetzt. Insbesondere macht es auch nicht vor den steigerungsfähigen Tatbestandsmerkmalen halt, wie Frisch meint. Diese Einsicht öffnet die Augen für die Hauptfunktion des "Regeltatbildes" in der Strafzumessung: Seine wichtigste Aufgabe - neben der Bereitstellung eines geeigneten Maßstabs der Bewertungsrichtung, die als die positive Funktion des Regeltatbildes bezeichnet werden kann -ist es, bestimmte Umstände, die zwar nicht zwingend, aber doch "sinnvollerweise" nicht mehr zum Argument der Strafzumessung gemacht werden können, als "adäquaterweise neutral" auszuscheiden (negative oder auch Ausschlußfunktion). Daraus rührt die enge Verwandtschaft mit dem DVV her, die immer wieder Schwierigkeiten bei der Einordnung dieses Prinzips gemacht und die Frage hervorgerufen hat, ob das wertende Prinzip dem § 46 Abs. 3 StGB unterstellt werden oder ihm zur Seite gestellt werden muß. Besonders deutlich wird der Zusammenhang bei Günther, der nicht zu einer an § 28 StGB angelehnten Dreiteilung, sondern zu vier denkbaren Kategorien von Strafzumessungsumsländen gelangt: Gemessen an einem bestimmten Vergleichsfall könne eine unrechtsrelevante Strafzumessungstatsache vier Ergebnisse zeitigen: Sie könne dem Unrechtsgehalt des Vergleichsfalls "entsprechen, ihn steigern, ihn mildem oder als Verkörperung eines Merkmals des ge-

215 Frisch, GA 1989, 374 spricht von einem "Irrglauben", einer "Fiktion" und meint insgesamt, das Modell sei "nicht haltbar" - anders noch ders. , Revisionsrechtl. Probleme, S. 8 ff. 276 Frisch,

GA 1989, 375.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

147

setzliehen Tatbestandes fiir die Strafzumessung bereits verbraucht sein. "277 Die ersten drei sind die schon erwähnten Kategorien "strafschärfend", "strafmildernd" und "neutral", bzw. "schlicht-relevant" in der Terminologie von Bruns, auf die auch Günther verweist. 278 Aufmerksamkeit verdient die vierte Kategorie, die Günther den drei anderen zur Seite stellt: Letztere treffe auf alle Faktoren zu, die "in die Reichweite des Doppelverwertungsverbotes" gerieten. 279 Das ist etwas unglücklich formuliert: Selbstverständlich reicht es nicht aus, daß die Umstände nur in die "Reichweite" des Doppelverwertungsverbotes geraten, um fiir die Strafzumessung "verbraucht" zu sein, sie müssen schon positiv davon erfaßt sein. Aber damit können alle Tatsachen, von denen in § 46 StGB die Rede ist, in ein einheitliches System gebracht werden: diejenigen, die für den Täter sprechen; die, die gegen den Täter sprechen; jene, die weder für noch gegen den Täter sprechen, und solche, die ausscheiden, weil sie Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind. Daraus ergeben sich nun wichtige Aufschlüsse über die Konstruktion von § 46 StGB und das Verhältnis von § 46 Abs. 3 zu Abs. 2 StGB: Im zweiten Absatz werden nämlich einige, immer wieder vorkommende Gesichtspunkte beispielhaft aufgezählt ("kommen namentlich in Betracht"). Der Katalog ist aber nicht abschließend- gerade weil auch andere, dort nicht aufgezählte Umstände als Strafzumessungstatsachen in Betracht kommen, bedarf es der Festschreibung des Doppelverwertungsverbotes in Absatz 3: Von allen Umständen, die außerdem noch herangezogen werden könnten, scheiden diese von vornherein aus. Alle anderen sind nach § 46 Abs. 2 StGB zu beurteilen, wobei sich nun die Frage stellt, ob sie alle einer der beiden in § 46 Abs. 2 Satz 1 StGB ausdrücklich erwähnten Kategorien zugeordnet werden müssen und damit stets entweder strafschärfend oder strafmildernd zu Buche schlagen - wie bereits dargelegt, ist das zu verneinen. Die in § 46 Abs. 2 StGB aufgezählten Gesichtspunkte können, genau wie die dort nicht erwähnten, aber trotzdem von Rechtsprechung und Lehre anerkannten Kriterien, auch noch eine dritte Kategorie ausfüllen: die "schlicht-relevanten", bzw. "neutralen" Strafzumes277 Günther, Göppinger-FS, S. 460; vgl. auch Theune, Pfeiffer-FS, S. 454, der ebenfalls meint, zuvor sei eine Vorentscheidung darüber zu treffen, ob ein Umstand nicht "Bestandteil der regelmäßigen Tatbestandsverwirklichung" ist, für den § 46 Abs. 3 StGB entsprechend gelte; falls nicht, könne er schärfend oder mildernd oder neutral sein. 218 Günther, Göppinger-FS, S. 460, Fn. 39. 279 Günther, Göppinger-FS, S. 460.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

sungstatsachen. Damit bietet sich außer dem DVV in§ 46 Abs. 3 StGB noch eine zweite Möglichkeit, Strafzumessungstatsachen auszuschließen. Sie tritt dem Doppelverwertungsverbot ergänzend hinzu. Der betreffende Umstand kann entweder verbraucht sein, oder er kann "neutral" sein, d.h. er kann von der Wertung, mit deren Hilfe man den Vergleichspunkt gefunden hat, abweichen oder nicht davon abweichen, dann bleibt es bei der Wertung, mit der man den Vergleichspunkt gefunden hat. 280 Das eine betrifft das logische, das andere das wertende Ausschlußprinzip! Das Bedürfnis dafür ist umso dringender, je mehr der Anwendungsbereich des Doppelverwertungsverbotes eingeengt und auf das ursprünglich zugrundeliegende strikt logische Prinzip reduziert wird. Dann entsteht nämlich die geschilderte besorgniserregende Situation, daß plötzlich das Beisichführen einer Waffe am Tatort bei § 244 I Nr.1 und § 250 I Nr.1 oder bei § 177 StGB strafschärfend berücksichtigt werden dürfte, daß das Glied in die Scheide eingedrungen ist. Diese Ergebnisse würden ermöglicht durch das Zusammenspiel von Tatbestandsuminterpretation und Minimum-Ansatz. Das DVV stünde dem, da es insoweit symmetrisch verläuft, nicht entgegen und schützte nicht vor Ergebnissen, die zwar logisch möglich, aber doch wertungsmäßig nicht vertretbar und mit den Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft nicht vereinbar sind. In der Rechtsprechung ist das Problem längst erkannt worden. In der Entscheidung BGH NJW 1980, 1344, die nahezu alles zum DVV enthält, was es dazu zu sagen gibt - von den sog. ungleichwertigen Tatbestandsalternativen bis zur Frage der Verwertung von Tatbestandsmodalitäten - ging es einmal mehr um die Berücksichtigungsfähigkeit des Gewinnstrebens beim Tatbestand des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln. 211 Der 3. Senat referiert zunächst die bisherige Rechtsprechung, wonach Gewinnstreben subjektives Merkmal des Handeltreibens ist und von daher, anders als ein zur "Profitgier" übersteigertes Gewinnstreben, dem DVV des § 46 Abs. 3 StGB unterfällt. In diese Rechtsprechung war Bewegung geraten, als der 1. Senat entschied, daß eigennütziges Verhalten und damit "Handeltreiben" auch dann vorliege, wenn der Täter sieb nicht vom Streben nach finanziellem Gewinn

280 Auch Streng, NStZ 1989, 399 geht, freilich bei völlig anderem Ausgangspunkt, von der Existenz einer "dritten, nämlich neutralen Kategorie" aus, will diese aber verstanden wissen als "Neutralität im Sinne einer bloßen Bestätigung der bisherigen Wertung" . Dagegen ist- auch in diesem Modell- nichts einzuwenden. 211 § 11 I Nr. 1 a. F. = § 29 I Nr. 1 BtmG n. F.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

149

leiten lasse, sondern andere Vorteile, etwa auf sexuellem Gebiet, erstrebe. 282 Folgerichtig, so muß der Generalbundesanwalt argumentiert haben, 283 könne das Gewinnstreben dann auch nicht mehr vom Doppelverwertungsverbot erfaßt sein. Nach dem Minimum-Ansatz zu Recht: Wenn das Minimum dessen, was zur Tatbestandsverwirklichung unbedingt erforderlich ist, herabgesetzt wird, dann läuft das Doppelverwertungsverbot notwendigerweise parallel! Auf das Doppelverwertungsverbot geht der Senat mit keinem Wort ein. Für die Frage, ob das Gewinnstreben beim Betäubungsmittelhandel einen zulässigen Strafschärfungsgrund bilde, wie der Generalbundesanwalt behauptet hatte, sei die Entscheidung des 1. Senats ohne Bedeutung. Damit werde lediglich eine "als atypisch zu bezeichnende Fallgruppe" in den Anwendungsbereich der Vorschrift miteinbezogen, wie das in anderen Entscheidungen auch schon geschehen sei. Die entscheidende Passage lautet im Wortlaut: "Es wäre bedenklich, eine atypische Fallgestaltung des Betäubungsmittelhandels (das Streben nach irgendwelchen nicht geldwerten Vorteilen) gleichsam zur gesetzlichen Regel zu erheben und den wirklichen "Regelfall" (das Streben nach finanziellen Vorteilen und Gewinn) als demgegenüber erschwerte Erscheinungsform mit der Folge anzusehen, daß sie zugleich Anlaß für eine Schärfung sein könne. "284 Der BGH kam deshalb zu dem Ergebnis, daß kein Schärfungsgrund darin liege, daß der Täter beim unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nach Gewinn strebe. 28S Aber zu dem Ergebnis kann nur der gelangen, der die Schärfuogsgründe, anders als beim Doppelverwertungsverbot, nicht vom Minimum her mißt. Genauso verhält es sich mit dem Samenerguß bei der Vergewaltigung: Legte man das Tatbestandsmerkmal "Beischlaf" in § 177 Abs. 1 StGB unvoreingenommen, d.h. den allgemeinen Vorstellungen von einem Beischlaf entsprechend, aus, so müßte auch der Samenerguß des Mannes hinzugehören. 286 Da das statistisch gesehen bei Vergewaltigungen eher selten ist, kämen praktisch nur Verurteilungen wegen versuchter Vergewaltigung in Betracht(§§ 177 I, 282 BGH NJW 1980, 1344 zitiert dafür die unveröffentlichten Entscheidungen BGH 1. StR 643 /78; BGH 1. StR 324/79. 283 Genauere Informationen enthält das Urteil leider nicht. 284 So

BGH NJW 1980, 1345. von BGH NJW 1980, 1344. 286 Schall I Schirrmacher, Jura 1992, S. 630, Fn.106 versäumen nicht, darauf hinzuweisen, daß eine solche Auslegung trotz der Vorstellungen der Rechtsunterworfenen verfehlt wäre. 285 Leitsatz

150

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

22, 23 I, 12 I StGB). Will man dieses Ergebnis vermeiden, so bietet sich eine andere Auslegung der Tatbestandsmerkmale an. Um immer mehr vom "Regeltatbild" der Vergewaltigung abweichende Fallgestaltungen ebenfalls unter den Tatbestand der vollendeten Vergewaltigung fassen zu können, müssen die Anforderungen an die Tatbestandsmerkmale schrittweise zurückgenommen werden. Zunächst hatte das RG entschieden, daß dafür kein Samenerguß erforderlich sei. 287 Bis 1961 war dann die "naturgemäße Vereinigung der Geschlechtsteile" maßgeblich, 288 worunter das Eindringen des männlichen Gliedes in die Scheide verstanden wurde. Schließlich genügte bereits, was bis dahin ausdrücklich289 für nicht ausreichend gehalten wurde: der Eintritt des männlichen Gliedes in den sog. Scheidenvorhof, das ist der Raum vor dem den eigentlichen Scheideneingang abschließenden Hymen. 290 Das Doppelverwertungsverbot nach § 46 Abs. 3 StGB verläuft, wie oben bereits ausführlich dargelegt, zwangsläufig parallel. Umstände, die davon einmal erfaßt wurden, sind nunmehr zur Verwertung in der Strafzumessung freigegeben, am "Regeltatbild" der Vergewaltigung ändert sich indessen nichts. Solche Umstände bleiben praktisch ausgeschlossen und haben keinerlei Einfluß auf das Ergebnis - aber nicht aus logischen Gründen, weil sie etwa "verbraucht" wären, sondern aufgrund des im "Regeltatbild" verkörperten wertenden Prinzips, weil sie "per se neutral" sind. "291 c) Der Streit um die "Vorsat?,{ormen"

Außer den steigerungsfähigen Tatbestandsmerkmalen, bei denen von den Extremen, also vom tatbestandliehen Schwellenwert, auszugehen sei, kennt Frisch noch andere Merkmale, bei denen es auf das "Regeltatbild" nicht ankommen und statt dessen von der "Vollform" im Sinne eines direkt aus dem Gesetz ablesbaren Ausgangspunktes auszugehen sein soll. 292 Beispiele293 für die "Vollform" als gesetzlichem Ausgangspunkt seien etwa die volle Schuld287 RGSt

288 So

4, 23. noch BGH NJW 1959, 1091; bis heute: Schönlee I Schröder-Lenckner, § 173

Rdnr. 3. 289 BGH NJW 1959, 1090. 290 Seit 291

BGHSt 16, 175 st. Rspr. und h.M., vgl. nur LK-Dippel, § 173 Rdnr. 9 .

Formulierung von Hettinger, StV 1987, 148.

292 Frisch,

GA 1989, S. 348, Fn. 43; ders. schon, ZStW 99 (1987), 796.

293 Beispiele

nach Frisch, ZStW 99 (1987), 796.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

151

rahigkeit (§§ 20, 21 StGB), volle Unrechtskenntnis (§ 17 StGB294). Das steht allerdings im Gesetz, der wertenden Betrachtung bedarf es daher nicht. Ein Gericht, das dies übersehen und einen solchen Umstand, der zwingend auf der gesamten Breite des Strafrahmens vorausgesetzt ist, fälschlich zur Zumessung innerhalb dieses Rahmens heranziehen würde, verstieße nach der hier vertretenen Ansicht ohnehin gegen das DVV, das nämlich auch für unrechts- und schuldbegründende Merkmale gilt. Ein Bereich, in dem die Argumentation mit der gesetzlichen "Vollform" neue Aufschlüsse verspricht, sind die Vorsatzformen: Gemeint ist die umstrittene Frage, ob eine Strafschärfung mit der Begründung zulässig ist, daß der Angeklagte mit direktem Vorsatz gehandelt hat oder ob man vom direkten Vorsatz als der gesetzlichen "Vollform" auszugehen hat. 295 Mit der Problematik sind die Senate des BGH wiederholt befaßt worden. Der 3. Strafsenat neigt dazu, die Frage am DVV des § 46 Abs. 3 StGB festzumachen und die strafschärfende Berücksichtigung des direkten Vorsatzes von daher für verboten zu halten. 296 Aber das ist nicht richtig: 297 Zu den Tatbestandsmerkmalen, die von der Doppelverwertung ausgeschlossen sind, gehören zwar auch die subjektiven. Subjektives Tatbestandsmerkmal des Vorsatzdeliktes ist aber nicht der "dolus directus", sondern der Vorsatz an sich. Erforderlich und ausreichend ist dolus in allen seinen Formen. Welche Vorsatzform verwirklicht ist, wäre sonach als konkrete Art der Tatbestandserfüllung ("Modalität") berücksichtigungsfähig. 298 Bemerkenswert ist die Argumentation des 3. und 4. Senats, daß die Vorsatzform "für sich genommen" nichts über das Ausmaß der Tatschuld aussage. Eine bedingt vorsätzliche Tötung aus nichtigem Anlaß könne schwerer wiegen als eine mit direktem Vorsatz verübte Tat, die auf immerhin verständlichen Beweggründen beruhe. 299 Die Argumentation erinnert an die bereits oben dargestellte Diskussion um die sog. "ungleichwertigen Tatbestandsaltemativen" im Rahmen des DVV. 294 Dazu der Hinweis in BGH NStZ 1988, 175: Das Strafrecht eröffne bei Fehlen der Unrechtseinsicht die Möglichkeit der Strafmilderung nach § 17 StGB, nicht aber als Folge der Rechtskenntnis des Täters die Möglichkeit der Strafschärfung. 295 Siehe dazu Bruns, JR 1987, 93 gegen Foth, JR 1985, 398; Dreher I Tröndle, § 46 Rdnr. 31; Lackner, § 46 Rdnr. 33; LK-Hirsch, § 46 Rdnr. 72. 296 Vgl.

BGH bei Dener, NStZ 1991, 274; bei Theune, NStZ 1987, 494.

auch Bruns, 1974, S. 555, Fn. 18; ders., JR 1981, 513. auch Bruns, JR 1981, 513. 299 BGH bei Maller, NStZ 1985, 161. 297 So 298 So

152

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

Danach soll es möglich sein, strafschärfend heranzuziehen, daß von mehreren Tatbestandsalternativen die schwerer wiegende (und nicht die leichtere) verwirklicht worden ist. Dafiir müßte aber festgestellt sein, daß die eine stets und in allen Fällen, d.h. schon abstrakt schwerer wiegt als die andere, was, so könnte man aus den Erwägungen des BGH schließen, bei den verschiedenen Vorsatzformen, zu denen ja auch noch die Absicht als größtmögliche Form des Vorsatzes hinzukommen würde, nicht der Fall ist. Handelte es sich aber wirklich um "gleichwertige" Tatbestandsaltemativen, so könnte natürlich auch der Eventualvorsatz nicht strafmildernd und die Absicht nicht strafschärfend herangezogen werden. Die Ausführungen des BGH lassen aber noch eine andere Deutung zu: Die Vorsatzform, so heißt es da, sei "daher regelmäßig als selbständige Strafzumessungstatsache ungeeignet" und bedürfe der "Würdigung im Zusammenhang mit den Vorstellungen und Zielen des Täters". 300 Das läßt die Befiirchtung aufkommen, daß der BGH entgegen der eigentlich gebotenen isolierten Würdigung jeder einzelnen Strafzumessungstatsache auf eine "Gesamtwürdigung" abstellt, die freilich erst in der darauffolgenden Phase der Strafzumessung vorgenommen werden darf. Immer wieder hat der BGH auch bemerkt, daß das Handeln mit direktem Vorsatz der "Regelfall" der Tatbegehung sei. 301 In Einzelrallen haben die Strafsenate des BGH allerdings die Hervorhebung des Umstandes, daß der Täter mit direktem Vorsatz gehandelt hat, als bloßen Hinweis302 auf dessen verbrecherische Energie aufgefaßt und als verkürzte Bezugnahme "auf den gesamten subjektiven Bereich "303 oder mit Rücksicht darauf für unbedenklich erklärt, daß es nicht auf die Vorsatzform als solche, sondern "deren Würdigung im Zusammenhang mit den Vorstellungen und Zielen des Angeklagten" insgesamt ankomme. 304

300 BGH 3. StR 353 I 84 bei Ho/Jz, MDR 1984, 980 mit wörtlichem Zitat aus BGH 4. StR 51 I 84; beide auch bei Müller, NStZ 1985, 161. 301 BGH 5. StR bei Ho/Jz, MDR 1984, 276; BGH 3. StR StV 1984, 114 - dort i.S. von BGH 27, 2, 4 gemeint, woraufverwiesen wird, vgl. auch bei Detter, NStZ 1990, 177, dort auch richtig unter das "Regeltatbild" loziert.

302 Ein "Hinweis" darauf ist nach BGH bei Hohz, MDR 1984, 267 unbedenklich; ebenso OLG Düsseldorf MDR 1990, 564. 303 BGH

l.StR bei Müller, NStZ 1985, 161; vgl. auch bei Detter, NStZ 1990, 177. bei Detter, NStZ 1990, 177; danach will ~rkennbar auch BGH 3 . StR bei Detter, NStZ 1991, 274 differenzieren, aus dem Urteilszusammenhang müsse deutlich werden, was der Tatrichter gemeint habe. 304 BGH

Zweites Kapitel: Die Steilung des "Regeltatbildes"

153

Der 2. Senat faßt diese Rechtsprechung zusammen -nur um danach offen zu lassen, ob diesen Entscheidungen gefolgt werden könne; als selbständiger Strafschärfungsgrund dürfe das Handeln mit direktem Vorsatz jedenfalls nicht gewertet werden. 305 Auch der 1. Senat gibt zunächst einen Überblick über die uneinheitliche Rechtsprechung zu diesem Punkt und interpretiert sie dann unter Hinweis auf die von ihm herbeigeführte Plenarentscheidung306 des Großen Senats so, daß die Frage nicht von einer schematischen, formalen Betrachtungsweise abhängig gemacht werden dürfe, sondern daß es auf den Einzelfall ankomme. In Übereinstimmung mit der im Samenergußurteil vorgezeichneten Linie grenzt er dabei den Bereich verbotener Doppelverwertung nach § 46 Abs. 3 StGB von dem Bereich erlaubter Berücksichtigung der • Art der Ausführung" nach § 46 Abs. 2 StGB ab und kommt zu dem Schluß, daß das Tatgericht im vorliegenden Fall sehr wohl berücksichtigen durfte, daß der Täter "nicht nur mit dolus eventualis, sondern mit dolus directus" gehandelt habe. 307 Nach dem von ihm propagierten Minimum-Ansatz mit Recht: Da die Grenze des DVV zugleich den Beginn der Strafschärfungsgründe darstellen soll, ist es folgerichtig, den Umstand strafschärfend zu berücksichtigen, daß der Täter mit direktem Vorsatz handelte. Im Verhältnis zum dolus eventualis ist auch direkter Vorsatz ein Schärfungsgrund. Es handelt sich wiederum um einen bis zur Absicht i. S. zielgerichteten Willens steigerungsfähigen Maßbegriff. 308 Anstelle der Bewertung vom Minimum aus könnte man an die Bewertung von der "Vollform", also dem "vollen" Vorsatz her denken, von wo aus nur Abstriche denkbar sind und alle Abweichungen sich folglich als Milderungen gestalten. 309 Darauf wollte die Rechtsprechung ja offenbar hinaus: Direkter Vorsatz (und Absicht) neutral, alle Abweichungen Milderungsgründe. Theune meint, die Rechtsprechung ließe sich damit begründen, daß der dolus directus "normatives Regelmerkmal" sei. 310 Bruns, der eine dritte, neutrale Kategorie von Umständen nicht kennt, behilft sich mit dem Hinweis auf die unzulässi305 BGH

2. StR bei Detter, NStZ 1990, 177.

306 BGHSt

34, 345.

307 BGH

1. StR. bei Hollz, MDR 1992, 633 = bei Detter NStZ 1992, 113 - dort aber falschlieh wieder unter "Doppelverwertungsverbot" loziert. 308 Daraufweist 309 Vgl.

auch Foth, JR 1985, 398 hin. Frisch, ZStW 99 (1987), 796.

310 1heune,

NStZ 1987, 494.

154

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

gen (irrelevanten, sachfremden) Strafzumessungsgründe, die zu wenig beachtet würden. Ihnen fehle schon die Strafzumessungsrelevanz, weshalb ihre Bewertungsrichtung überhaupt nicht geprüft werden dürfe. Damit erledige sich die Frage nach den Vorsatzformen. 311 Das ist, mit Foth gesprochen, indes in hohem Maße zweifelhaft. 312 Sachfremd ist die Erwägung ja nun ganz sicherlich nicht. m Wie sich an der mit so viel Aufwand betriebenen Abgrenzung des dolus eventualis zur bewußten Fahrlässigkeit zeigt, steht das eine einem sehr viel weniger strafwürdigen - man denke nur an die um das Dreifache höhere Strafandrohung des § 212 im Vergleich zu § 222 StGB -und häufig straflosen (§ 15 StGB) Verbalten nahe. Umgekehrt schärft beispielsweise § 225 StGB (bei dem die "Absicht" schon in der Überschrift steht, wenn damit auch nach h.M. 314 nur der direkte Vorsatz gemeint ist) ganz eindeutig die Strafe gegenüber dem ansonsten gleichgelagerten Fall des § 224 StGB. Riebtigerweise handelt es sieb bei der Begehungsform mit direktem Vorsatz um das "Regeltatbild" eines Vorsatzdelikts315 - also um einen Umstand, der zwar nicht notwendig und zwingend, aber doch so regelmäßiger- bzw. typischerweise mit der Tatbestandsverwirklichung verbunden ist, daß er von daher wertungsmäßig nicht zum Gegenstand der Strafzumessung gemacht werden kann, sondern als "neutral" ausscheidet. 316 Wohl aber kann der Eventualvorsatz strafmildernd und die Absicht schärfend317 berücksichtigt werden, wie 311 Bruru, JR 1987, 93- demgegenüber hatte Bruru, JR 1981, 513 die Strafzumessungsrelevanz der Vorsatzformen noch ausdrücklich bejaht; interessant vor diesem Hintergrund auch der Vergleich Bruns, 1974, S. 555 f mit Bruru, 1985, S. 213.

312 Foth,

JR 1985,398.

313 Vgl.

auch Krauß, Bruns-FS, S. 28, der davon spricht, daß auch Vorsatz und Fahrlässigkeit in § 46 Abs. 2 in einer etwas anderen Nomenklatur wieder aufgegriffen würden und das unter dem Gesichtspunkt des DVV damit erklärt, daß ihnen Indizfunktion für die individuelle Tatschuld zukomme 314 Vgl.

nur Schönke I Schröder-Stree, § 225 Rdnr. 2.

die Einordnung bei Dener, NStZ 1990, 177; vgl. auch Heninger, GA 1993, S. 18, Fn. 91, der das normale Erscheinungs- oder Regeltatbild immerhin für geeignet hält, dem Tatrichter zu sagen, welche Umstände, z.B. auch der direkte Vorsatz beim Totschlag, für die konkrete Endstrafzumessung keinen Aussagewert haben. 316 Und zwar "nicht in erster Linie deshalb, weil diese Voraussetzungen faktischstatistisch regelmäßig erfüllt sind", sondern weil es "keine deliktsspezifischen Gründe gibt, den aus den allgemeinen Normierungen ersichtlichen Ausgangspunkt zu desavourieren", Frisch, GA 1989, 360. 317 Anders BGH NJW 1981, 2204 = JR 1981, 512 unter Verweis auf Jescheck, AT, § 29 111 3 a und mit dem Argument, eine vergleichbare Schuldabstufung wie zwi315 Richtig

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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es allein sachgemäß ist, denn die Bewertungsrichtung dieser Umstände richtet sich ja nach dem "Regeltatbild". Einer "Vollform" bedarf es auch hierfür nicht. 318 d) Die Vorstrafenfrage

Ähnlich verhält es sich, um ein weiteres Beispiel Frischs herauszugreifen, mit der Frage, wie das Fehlen von Vorstrafen, also die bisherige Straffreiheit des Täters, zu bewerten ist- eine Frage, die Frisch ebenfalls nicht anband des "Regeltatbildes" mißt, die aber gleichfalls darüber gelöst werden kann. Praktisch seit dem letzten Jahrhundert wird darüber gestritten. Amtsrichter Sorof schrieb 1887: "Ist Jemand bereits wegen gleichartiger Vergehen wie des zur Aburteilung stehenden vorbestraft, so ist dies ein erheblicher Straferhöhungsgrund. Deshalb darf aber keineswegs das Fehlen solcher Vorstrafen als etwas Außergewöhnliches und als ein so besonders schwerwiegender Strafminderungsgrund angesehen werden, daß schon sein Vorhandensein die Annahme mildemder Umstände rechtfertigen könnte. Wollte man dies dennoch annehmen, so müßte man zweifellos auch die nothwendige Konsequenz daraus ziehen, zu erklären, daß die Eigenschaft der Vorbestraftheit für den Menschen das Normale, Unbestraftheit das Anormale sei. "319 Den gegenteiligen Standpunkt vertrat das RG 320 und später der BGH321 den Tatrichtern wollte das offenbar weniger einleuchten. Das zeigt eine Entscheidung aus dem Jahre 1967: Das Gericht argumentierte, bisherige Straflosigkeit sei nicht zu berücksichtigen, "da diese selbstverständlich von jedem sehen dolus eventualis und dolus directus gebe es zwischen dem direkten Vorsatz und der Absicht nicht; zust. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 500, Fn. 93 a - in Wahrheit zeigt aber die darin vorgeschlagene Unterscheidung nach der Verwerflichkeit der Endziele, die hinter der Absicht stehen, daß bei der Festlegung der Bewertungsrichtung falschlieh wieder eine "Gesamtbetrachtung" von Vorsatzform und Endzweck angestellt wird, die den Blick für die klar zutage tretende "isolierte" Bewertung des Umstandes Absicht versperrt. 318 Die man im übrigen nach der Defmition von Frisch , ZStW 99 (1987), 396- wenig zweckmäßig - bei der Absicht als der Form ansetzen müßte, über die hinaus keine Steigerungen denkbar sind. 319 Sorof, 320 RG

1814. 321

GA 35 (1887), 295.

HRR 1936, Nr. 512; HRR 1937, Nr. 1062; RG JW 1937, 1804; 1938,

BGHSt 8, 188; BGH NJW 1966, 894.

156

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

Bürger erwartet wird und daher auch nicht im Falle der ersten Straffälligkeit besonders honoriert werden kann". 322 Der BGH hob - in Übereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung - auf: Diese Auffassung sei "rechtlich nicht haltbar". 323 Dallinger meinte dazu: Die Entscheidung verdiene Zustimmung, die Erfahrung zeige, "daß die Straflosigkeit eben nicht selbstverständlich ist, daß vielmehr zahlreiche Menschen die von der Gesellschaft in sie gesetzten Erwartungen enttäuschen und straffällig werden" .324 Aus dem Jahre 1981: Wieder hatte es das Landgericht abgelehnt, das Fehlen von Vorstrafen als Strafmilderungsgrund anzuerkennen, "weil grundsätzlich erwartet werden dürfe, daß sichjedermann rechtmäßig verhalte". -Das sei schon für sich gesehen bedenklich, wurde aber noch unter einem anderen Aspekt zurückgewiesen. 325 Im darauffolgenden Jahr werden gleich zwei Urteile des Landgerichts Frankfurt aufgehoben, am 26.5. das erste326 und, auf den Tag genau einen Monat später, das zweite. 327 In beiden Fällen hatte es die Strafkammer abgelehnt, das Fehlen von Vorstrafen zugunsten der Angeklagten ins Gewicht fallen zu lassen, und zwar jeweils mit der Begründung, angesichts der Lebensumstände, "die sich lange Zeit in nichts von denen vieler seiner Landsleute in der Bundesrepublik unterschieden" hätten, müsse Rechtstreue "als selbstverständlich vorausgesetzt" werden und stelle deshalb "kein besonderes Verdienst" dar. Die straffreie Lebensführung unberücksichtigt zu lassen, sei nach der "feststehenden Rechtsprechung" des BGH unzulässig, dazu wird auf die oben genannten Entscheidungen verwiesen. Derselbe 3. Strafsenat hatte allerdings früher auch entschieden, daß das Fehlen eines Strafschärfungsgrundes noch kein Milderungsgrund sei und von daher nicht mildernd berücksichtigt werden dürfe, daß "der Angeklagte in 322 Bei

Dallinger, MDR 1969, 194. bei Dallinger, MDR 1969, 194, wo auch noch ein zweiter Pali zu diesem Thema geschildert wird, in dem das Tatgericht meinte, das "im wesentlichen" straffreie Vorleben eines Angeklagten könne deswegen nicht strafmildernd berücksichtigt werden, weil es "dem Normalverhalten eines jeden Bürgers" entspreche- das sei "bedenklich". 323 BGH

324 Dallinger,

MDR 1969, 194.

325 BGH

StV 1981, 236.

326 BGH

3.StR NStZ 1982, 376.

327 BGH

3.StR StV 1983, 237. -Die Aufhebungen tragen die aufeinanderfolgenden Aktenzeichen 110/82 und 111/82.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

157

strafrechtlich beachtlicher Zeit nicht in Erscheinung getreten und auch sonst nicht erheblich vorbestraft" sei. 328 Besonders kontrovers wurde die Frage für Beamte diskutiert. Schon in der Weimarer Zeit schrieb ein Berliner Landgerichtsrat: "Daß nach dem geltenden Gerichtsgebrauche bei der Beurteilung der Straffrage die bisherige Straflosigkeit des Angeklagten mildernd und dessen Vorbestraftheil erschwerend ins Gewicht fällt, braucht nicht weiter dargelegt und begründet zu werden. Immerhin scheint es mir erforderlich, darauf hinzuweisen, daß es von diesen Grundsätzen auch Ausnahmen gibt: Zunächst erscheint es mir nicht angängig, bei Beamtendelikten die bisherige straffreie Lebensführung des Angeklagten mildernd zu berücksichtigen; denn es ist davon auszugehen, daß jemand, der Beamter ist, sich bisher straffrei geführt hat. "329 Für einen deutschen Beamten sei es "eine Selbstverständlichkeit, daß er sich keine strafbaren Handlungen zuschulden kommen lasse", sonst sei er eben "nicht würdig und fähig , ein Beamter zu sein" schrieben die Tatrichter ins Urteil. Das Reichsgericht erwiderte, das sei in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht unrichtig und hob auf. 330 Der Bundesgerichtshof hat sich angeschlossen. 131 Hätte das Tatgericht wirklich gemeint, daß ein deutscher Beamter niemals vorbestraft sei, weil er nämlich sonst kein Beamter mehr sei, dann würde nach der hier vertretenen Auffassung schon das Doppelverwertungsverbot eingreifen: § 46 Abs. 3 StGB gilt eben nicht nur für Tatbestandsmerkmale sondern darüber hinaus für alle Merkmale, die in allen Fällen der betreffenden Art notwendig vorliegen. Daran kann eben aus logischen Gründen keine unterschiedliche Behandlung festgemacht werden. Deshalb stellte das Reichsgericht zu Recht heraus, daß auch Beamten vorbestraft sein können, "besonders wegen Fahrlässigkeitsvergehen" .332 Darum geht es indessen hier gar nicht! Das meinten die Richter nämlich nicht, wenn sie von einer reinen Selbstverständlichkeit für einen Beamten sprachen. Von einer "Selbstverständlichkeit" für alle Bürger war ja auch in dem bei Dallinger, MDR 1969, 194 geschilderten Fall die Rede- aber nicht, 328 BGH 3 . StR 186/73 bei Bruns, JR 1980, 337; gegen die Geltung dieses Grundsatzes für das straffreie Vorleben OLG Düsseldorf StV 1993, 311. 329 Jung,

JR 1931 , 19.

RG HRR 1936, Nr. 512; ebenso HRR 1937, Nr. 1062 = JW 1937, 1840. 331 BGHSt 8, 188; BGH GA 1956, 154; BGH MDR 1969, 195 m.w.Nachw. 332 RG JW 1937, 1804. 330

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

weil der Richter damit sagen wollte, es gäbe keine vorbestraften Landsleute. Niemand wüßte das besser als ein Strafrichter. Die Richter, die sich darauf beriefen, trafen ein Werturteil. Nicht die Logik sagte ihnen, daß Beamte ein straffreies Vorleben geführt haben mußten, sondern sie kamen durch ihre Wertung dazu, das für selbstverständlich anzusehen. Das ist aber etwas ganz anderes. Darum läßt sich dem auch nicht, wie RG HRR 1936, Nr. 512 dies tut, mit der Bemerkung entgegnen, es sei tatsächlich möglich und rechtlich denkbar, daß Beamten vorbestraft sind. Deshalb setzt RG JW 1937, 1804 hinzu, ein Beamter könne "wie ein anderer in Versuchung kommen, das Strafgesetz zu übertreten", und es sei auch bei ihm anzuerkennen, wenn er immer die Kraft aufgebracht hat, der Versuchung zu widerstehen und sich von strafbarem Tun freizuhalten. Das ist die andere, die Wertungsebene. Beide sind nicht immer sauber genug auseinandergehalten worden, was der Vorschlag von der Trennung von Doppelverwertungsverbot und "Regeltatbild" nicht nur ermöglicht, sondern auch verlangt. Das DVV beruht auf einem strikt logischen Prinzip. Anband dieses Prinzips kann ohne jeden Akt der Wertung entschieden werden, ob ein Umstand für die Strafzumessung "verbraucht" ist oder zur Verfügung steht. Ob die straffreie Lebensführung einen Milderungsgrund oder die Vorbestraftheil ein Schärfungsgrund darstellt, wird sich aber niemals mit einer logischen, sondern nur mit wertender Betrachtung klären lassen. Hier kann man durchaus unterschiedlicher Meinung sein, wie die Stellungnahmen von Bruns333 und Frisch334 beweisen. Eine treffende Analyse enthält ein Urteie35 des 1. Senats: Der Überlegung, bisherige straffreie Lebensführung müsse bei der Strafzumessung unberücksichtigt bleiben, weil sie den Normalfall darstelle und insofern "von jedem Bürger erwartet" werden dürfe, wäre allenfalls dann näherzutreten, wenn es einen solchen Normalfall gäbe und der Richter ihn als für die Strafzumessung

333 Bruns, 1985, S. 228: Unbestraftheit zwar nicht schlechthin ein Milderungsgrund, aber auch nicht allgemein auszuschließen; ders., JZ 1988, 1058: Man brauche keinen Maßstab, um sagen zu können, daß straffreie Lebensführung strafmildernd ins Gewicht falle. 334 Frisch, GA 1989, S. 358, Fn. 82. 335 BGH

StV 1988, 60.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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unerheblich zu behandeln hätte. 336 In diesem Fall könne die Meinung vertreten werden, ein strafloser Lebenswandel sei der gesetzliche Normalfall und bleibe deshalb außer Betracht. Im konkreten Fall kam es darauf nicht an, denn das Tatgericht hatte geschrieben, zugunsten des Angeklagten sei zu werten, daß er bisher weder in Deutschland noch in den Vereinigten Staaten von Amerika vorbestraft sei, jedoch dürfe diese Tatsache "auch nicht überbewertet werden, da an sich von jedem Bürger erwartet werden darf, daß er sich straffrei führt". 337 - Die Erwägung, von jedem Bürger dürfe erwartet werden, daß er sich straffrei führe, sei zwar bedenklich. Denn diese "an sich richtige" Auffassung ändere nichts daran, daß bisherige Straffreiheit einen Milderungsgrund darstelle. Das habe das LG jedoch nicht verkannt, sondern die straffreie Lebensfiihrung des Angeklagten (richtig) zu seinen Gunstengewertet und nur eine (falsche) "Überbewertung" dieser Tatsache abgelehnt. Das sei nicht zu beanstanden. Man sieht: Es handelt sich um Wertungsfragen. Eine "Überbewertung", also eine Bewertung, die über die richtige und vertretbare hinausginge, kann natürlich niemals richtig sein. 338 Davon abgesehen hat der Senat recht damit, daß es nur diese beiden Möglichkeiten gibt: Entweder ist "das Normale" ,339 an dem die Relationsbegriffe "schärfend" oder "mildernd" gemessen werden, die Vorstrafenfreiheit - dann sind Vorstrafen ein Schärfungsgrund -oder man nimmt sich den bereits vorbestraften Täter zum Vergleichspunkt, dann ist "bisherige Unbestraftheit" ein Strafmilderungsgrund. Indessen spricht für eine solche, den vorbestraften Täter zum Ausgangspunkt nehmende Betrachtungsweise nichts. Im Gegenteil: Mit ihr würde anstelle eines klaren und den Wertvorstellungen der Bevölkerung entsprechenden Maßstabes ein vager, höchstpersönlicher Maßstab ge-

336 Diesen lehnt BGH 1. StR StV 1988, 60 freilich in Übereinstimmung mit der von ihm herbeigeführten Plenarentscheidung BGHSt 34, 351 ab; unter Verweis darauf und zur straflosen Lebensführung auch OLG Düsseldorf StV 1993, 311. 331 LG Nümberg I Fürth in BGH StV 1988, 60. 338 So auch BGH StV 1988, 60. -Zweifel erregt eher der folgende Satz: Das LG habe eben der im anhängigen Verfahren abzuurteilenden Tat mehr Bedeutung für die Strafzumessung beigemessen als dem früheren Verhalten des Täters. Man fragt sich, ob der BGH meint, es dürfe auch einmal anders sein? 339 Siehe dazu Frisch, GA 1989, 358: "Auch hier wärees-so wie beim Vorlebenabwegig, den Normalfall, gar in Bezug auf Vorstrafen, zu diskutieren. Das Gesetz hat einen bestimmten Ausgangspunkt- nur in diesem Sinne ist die "Norm" und das "Normale" zu verstehen."

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

setzt. 340 An welchem Maß von Vorbestraftheit sollte auch gemessen werden? Außerdem könnten die Vorstrafen, da Ausgangspunkt der Komparative, auch nicht mehr als Schärfungsgrund herhalten. Diese Konsequenz zieht die Rechtsprechung indessen nicht. In der Bemerkung Jungs kam es ja bereits zum Vorschein: "Nach geltendem Gerichtsgebrauche" sollte bisherige Straflosigkeit mildernd, Vorbestraftheit erschwerend ins Gewicht fallen. 341 Eine Studie von Greger belegt diese Praxis. 342 Mit dem sog. Regelfall oder dem Normalfall ist ebenfalls nicht weiterzukommen. Ob die meisten Straftäter, um das Beispiel aufzugreifen, vorbestraft sind oder nicht, spielt dafür keine Rolle. So müßte man aber fragen, wenn man den sog. statistischen Regelfall zum Ausgangspunkt nähme, möglicherweise je nach Delikt verschieden. 343 Daß der Täter, von dem das Gesetz ausginge, unvorbestraft sei, ließe sich zwar behaupten (und man müßte es auch behaupten, wenn man den sog. normativen Normalfall zugrunde legen wollte)- ist aber theoretisch wohl nicht genügend zu unterfüttern. Frisch verweist für seine (rein normative) Betrachtung auf das Gesetz, das lange Zeit für den Rückfalltäter allgemeine oder spezielle Vorschriften bereithielt und dadurch zeige, daß sein Ausgangspunkt der unvorbestrafte Täter sei. 344 Aber müßte man aus dem Wegfall dieser Vorschriften dann nicht das Umgekehrte schließen? Insofern ist dem BGH durchaus beizupflichten, 340

So auch Frisch, GA 1989, S. 358, Fn. 82; ihm zust. Lackner, § 46 Rdnr. 38.

JR 1931, 19. MSchrKrim 1987, S. 261 ff: Darin wurden sämtliche im Jahre 1982 in Bayern statistisch erfaßten Verurteilungen wegen Vergewaltigung, im Ganzen 171 Fälle, auf die Strafzumessung hin untersucht, in 89 Fällen wurde die Vorstrafenbelastung des Täters strafschärfend, in 82 Fällen das Fehlen von (erheblichen) Vorstrafen strafmildernd gewertet. Bei den Strafschärfungsgründen standen die Vorstrafen an dritter Stelle, ein wesentliches Ergebnis war, daß sich die Vorstrafen im Strafmaß wesentlich, d.h. im Durchschnitt um 1 Jahr und 3 Monate, auswirkten. Von den Milderungsgründen wurde die Vorstrafenfreiheit sogar am häufigsten herangezogen und sogar dann berücksichtigt, wenn es in den Strafzumessungsgründen nicht ausdrücklich erwähnt war. Rechnet man beide Gruppen zusammen, dann ergibt sich genau die Summe von 171 Verurteilungen, d.h. für die Tatrichter ist weder das eine noch das andere das "Normale", sie werten es in jedem Fall entweder schärfend oder mildernd; differenzierter Bruns, 1985, S. 228: es sei unzulässig in der Unbestraftheit schlechthin einen Milderungsgrund zu sehen; ähnl. Schäfer, Praxis der StrZ, Rdnr. 275: die Praxis verfahre "zu pauschal". 341 Jung,

342 Greger,

343 In der von Greger, MSchrKrim 1987, S. 261 ff vorgenommenen Untersuchung waren beispielsweise 89 Täter vorbestraft, gegenüber 82 Tätern, die nicht erheblich vorbestraft waren- Reicht der Unterschied von 7 aus, um da den Vergleichspunkt zu setzen? Wie, wenn die Gruppen genau gleichgroß wären?

344 Frisch,

GA 1989, 358.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

161

der gesetzliche Strafrahmen ist für beide, den vorbestraften wie den Ersttäter, da. 345 Die Wertung befiehlt, daß vom Ersttäter ausgegangen wird. Das "Regeltatbild" ist weder der statistische Regelfall noch der normative Normalfall, sondern die Verkörperung dieser Wertentscheidung. Frisch will das Regeltatbild auf einen engeren Bereich "tatbestandsspezifischer Aussagen" beschränken. 346 Das "Regeltatbild" erweist sich aber als sehr viel tragfähiger als das: Mit ihm können nicht nur Umstände erfaßt werden, die nur bei der Vergewaltigung (Kondom, Samenerguß) oder nur beim Diebstahl (Geldnot) oder nur bei Betrug und Untreue (Ausnutzen der geschäftlichen Unerfahrenheit) usw. eine Rolle spielen, sondern auch deliktsübergreifende Gesichtspunkte beurteilt werden (Vorstrafen, Vorsatzformen). Es gibt keine Gründe, bezüglich einzelner Faktoren auf die Extreme (steigerungstähige Tatbestandsmerkmale), auf die "Vollform" (Unrechtskenntnis, Schuldfähigkeit, Vorsatz) oder auf einen wie auch immer gearteten "gesetzlichen Ausgangspunkt" (Vorstrafen) zurückzugreifen. Die von Frisch selbst aufgestellte Definition, daß es sich beim "Regeltatbild" um Umstände handelt, die bei oder im Falle der Deliktsverwirklichung "so sehr typisch und mitgegeben sind, daß sie adäquaterweise als stillschweigende Basisannahmen der Bewertung fungieren "347 ist tatsächlich so weit, daß darunter nicht nur die damit ausdrücklich gemeinten deliktsspezifischen (aber nicht schon ausdrücklich tatbestandlieh geforderten) Folgen und Motivationen fallen, sondern auch diese Frage einer Lösung zugeführt werden kann, und zwar deshalb weil sie nur im Wege einer Wertung entschieden werden können, die das "Regeltatbild" verkörpert. 348 Man kann es so zusammenfassen: Das "Regeltatbild" gibt in erster Linie den Revisionsgerichten, aber nicht zuletzt auch der Forschung und der Lehre die Möglichkeit, den Tatrichtern zu sagen, welche Umstände eines Falles (weil regelmäßig oder typischerweise bei Straftaten einer bestimmten Art, 345 BGH

StV 1988, 60.

346 Frisch,

GA 1989, 361.

347 Frisch,

GA 1989, 361.

348 Frisch,

GA 1989, S. 361, Fn. 92 gibt zu: "Sachlich läßt sich der Terminus des Regeltatbildes natürlich auch mit Bezug auf jene schon aus allgemeinen Regeln folgende Ausgangspunkte (gemeint sind etwa: das aktuelle Bewußtsein der Verbotenheit der Tat (§ l7 StGB), die uneingeschränkte Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB), das Alleinverschulden, die Vorstrafenfrage usw.) verwenden, die in den einzelnen Delikten einfach übernommen sind." II Fahl

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

aber nicht notwendig nur dieser bestimmten Art vorkommend) nicht als konkret mitbestimmend vetwertet werden dürfen. 349 5. Zum Fehlen eines Strafmilderungsgrundes als Strafschärfungsgrund und umgekehrt

a) Der Grundsatz in Literatur und Rechtsprechung bis zum Jahre 1987 Einfacher als das "Regeltatbild" jedesmal neu zu entwickeln, wäre es, wenn man auf bereits Vorhandenes zurückgreifen und nach dem einfachen Grundsatz vorgehen könnte: Das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes ist kein Strafschärfungsgrund! Man bräuchte dann nur noch herauszufinden, ob die Gerichte in einem bestimmten Umstand, z.B. in der Benutzung eines Kondoms bei der Vergewaltigung oder in der Tatsache, daß der Täter die Tat vor dem Samenerguß abgebrochen hat, einen Strafmilderungsgrund gesehen haben. Wenn ja, dann stünde fest: Das Fehlen eines solchen Umstandes (der Täter hat keine Vorkehrungen gegen eine ungewollte Schwängerung getroffen, der Täter hat die Tat tatsächlich bis zum Samenerguß ausgefiihrt) könnte die Strafe nicht schärfen. Tatsächlich gibt es einen solchen Grundsatz, nur bereitet er Schäfer zufolge "große Schwierigkeiten". 3~ Bruns bemängelt, daß die Frage, die den Revisionsgerichten so viel zu schaffen mache, trotzihrer großen praktischen Bedeutung im Schrifttum "so gut wie gar nicht" behandelt werde, offensichtlich deshalb, weil der Grundsatz "zu simpel, geradezu selbstverständlich" erscheine. 351 Interessantetweise wurde er immer wieder mit dem DVV in Verbindung gebracht. 352 In diesem Zusammenhang etwähnt ihn Streng: Der Verstoß dagegen gelte geradezu als klassischer Verstoß gegen das "Regeltatbild", das wiederum eng mit dem DVV verbunden, nämlich daraus abgeleitet sei. 353 Zipf meint immerhin, der Grundsatz, daß das bloße Fehlen eines Strafmilderungs349 So

drückt es Hettinger, GA 1990, 18 aus. Praxis der StrZ, Rdnr. 457.

3~ Schi:Jjer,

351 Bruns, JR 1980, 336, vgl. auch Frisch, ZStW 99 (1987), 792: ein "Trivialsatz"; ähnl. Horn, StV 1986, 168: eine "an sich spontan einleuchtende Regel". 352 Siehe Mösl, DRiZ 1979, 168; ebenso Schönke I Schröder-Stree, § 46 Rdnr. 45 b; vgl. auch Hettinger, StV 1987, 147 353 Streng, Strafrecht!. Sanktionen, S. 206, wenngleich er selbst die RegeltatbildArgumentation hier für überflüssig hält

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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grundes nicht strafschärfend veranschlagt werden dürfe, beruhe auf ähnlichen Erwägungen wie das DVV. 354 Hettinger geht in seiner Arbeit zum DVV nur beiläufig darauf ein. Dem BGH, der das "Regeltatbild" in den Geltungsbereich des DVV einbeziehen wollte,m widerspricht er. Der Entscheidung sei aber im Ergebnis zuzustimmen, "denn selbstverständlich ist das Fehlen eines Strafminderungsgrundes kein Straferhöhungsgrund". 356 Bruns hat die weitgehend unveröffentlichten Entscheidungen des BGH zu diesem Thema anläßlich eines Urteils aus dem Jahre 1979 zusammengestellt, in dem das Gericht den Strafausspruch wegen Verstoßes gegen das Doppelverwertungsverhot aufhob: Die Strafkammer hatte in einem Verfahren wegen einer Vergewaltigung strafschärfend verwertet, daß der Angeklagte "zu Hause eine junge hübsche Frau" hatte, "mit der er geschlechtlich hätte verkehren können, wenn er es gewollt hätte" und sich von daher "in keinem sexuellen Notstand" befand.m Der BGH führte aus, ein Triebstau, der sich für den Angeklagten als sexueller Notstand dargestellt hätte, hätte zwar ein Strafmilderungsgrund sein können. Das bloße Fehlen eines solchen Umstandes sei aber nicht umgekehrt schon ein strafschärfender Gesichtspunkt. Im Ergebnis sah er darin einen Verstoß gegen das D VV. 358 Der BGH selbst macht sich nicht die Mühe zu begründen, welches Tatbestandsmerkmal des § 177 StGB hier in unzulässiger Weise doppelt verwertet worden sein soll, sondern drückt sich verschwommen aus: Die tatrichterlichen Erwägungen "bedeuteten" hier "im Ergebnis" einen Verstoß gegen das DVV. Andere haben versucht, das damit zu erklären, daß hier der freiwillige dem gewaltsamen Geschlechtsverkehr gegenübergestellt werde, der bei § 177 StGB Voraussetzung sei. 359 Nun ist aber auch die Gegenüberstellung noch keine doppelte Verwertung. Zu einem Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB kann nur der gelangen, der das DVV auf Umstände erstreckt, die regelmäßig oder typischerweise bei einer Straftatbegehung vorliegen, wie z. B. die gewaltlose Er-

Gössel I Zipf, AT, § 63 Rdnr. 64; vgl. auch Weßlau, StV 1991, 260, wonach das Prinzip unmittelbar mit dem DVV zusammenhängt. 354 MaurachI

355 BGH

bei Ho/tz, MDR 1978, 985.

356 Hettinger, 357 BGH

DVV, S. 155; anders aber jetzt ders., GA 1993, 1 ff.

JR 1980, 335m. Anm. Bruns, JR 1980, 336 ff. 358 Wie davor schon: BGH bei Mösl, DRiZ 1979, S. 168, Fn. 40; danach: BGH NStZ 1984, 359; und zuletzt: BGH bei Detter NStZ 1993, 177. 359 Huber, JuS 1990, S. 114, Beispiel 52.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

reichbarkeil von geschlechtlichem Verkehr bei der Vergewaltigung, also auch das "Regeltatbild" in den Geltungsbereich des DVV miteinbezieht.:lal Das hat der BGH, wenn auch unausgesprochen, getan. Bruns äußert sich zum DVV in aller Kürze, das "hier lediglich nochmals an einem interessanten", aber wegen der Adjektive "nicht unproblematischen" Beispiel demonstriert werde, um sogleich auf den Grundsatz einzugehen, daß die Abwesenheit eines Milderungsgrundes keinen Schärfungsgrund bilden könne. In seinem Fünf-Phasen-Modell ordnet er ihn auf der dritten Stufe ein, und hier gehört er auch hin. 361 Von dem DVV ist er sauber zu trennen, damit hat er nichts zu tun, sondern gilt völlig unabhängig davon. Auch wenn es kein Doppelverwertungsverbot gäbe, wäre der Satz immer noch richtig, daß das Fehlen eines Milderungsgrundes kein Schärfungsgrund und ebenso dessen Kehrseite, daß die Abwesenheit eines Schärfungsgrundes noch keinen Milderungsgrund darstellt. 362 Streng meint, die "Nicht-Minderbarkeit" von Strafe sei schon begrifflich nicht gleich "Erhöhbarkeit" der Strafe. 363 Noch plastischer Dreher: Allein deshalb, weil sich in die Waagschale der Milderungsgründe kein ihr Gewicht erhöhender Umstand legen läßt, liegt ja noch kein gegen den Täter sprechender Umstand vor, der in die Waagschale der Schärfungsgründe zu legen wäre. 364 Beispiele für die unzulässige Berücksichtigung des FehJens eines Strafmilderungsgrundes waren: fehlende Reue;36!1 Fehlen eines ernstzunehmenden Grundes oder Tatanlasses; 366 das Fehlen eines verständlichen Motivs367 - und

360 Vgl. die Formulierung bei Schönlee I Schröder-Stree, § 46 Rdnr. 45 a: "Andererseits ergibt das Fehlen typischer Begleitumstände noch keinen Strafmilderungsgrund." 361 Bruns, JR 1980, 336; ebenso ders., 1985, S. 249. 362 Interessant in diesem Zusammenhang, daß derselbe Grundsaz bei Schönlee I Schröder-Stree, § 46 Rdnr. 57 a ein zweites Mal, diesmal als eigenständiger Grundsatz, auftaucht. 363 Streng, Strafrecht!. Sanktionen, S. 206. 364 Dreher I Tröndle, § 46 Rdnr. 36 a. 36!1BGH 4. StR 440 /70. 366 BGH 1. StR 506179. 367 BGH 3. StR 85 I 19- alle Beispiele, auch die vorherigen, bei Bruns, JR 1980, 337; weitere unveröffentlichte Beispiele bei Foth, JR 1985, 397; weitere Beispiele bei Frisch, GA 1989, S. 338, Fn. 3; sowie bei Mösl, NStZ 1981, 333; 1982, 151; 1983, 163; 1984, 161.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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immer wieder: das Fehlen einer wirtschaftlichen Notlage; 368 das Handeln ohne wirtschaftliche Not; 369 daß der Angeklagte sich weder in wirtschaftlicher Notlage noch in fmanzieller Zwangslage befand; 3'lll daß die Taten keiner besonderen Notlage entsprangen, der Angeklagte vielmehr, gesund, kräftig, intelligent, ohne weiteres den Lebensunterhalt durch redliche Arbeit hätte erwerben können; 371 daß er zur Tatzeit in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebte;312 bei Betäubungsmittelstraftaten daß weder eine besondere Notsituation noch eigene Drogenabhängigkeit bestand; 313 der Angeklagte selbst nicht süchtig war314 - und wieder: daß er sich keinesfalls in finanzieller Notlage befand.375 Beispiele für die Kehrseite des Grundsatzes, die ebenfalls unzulässige Verwertung des Fehlens eines Strafschärfungsgrundes: daß der Polizeibeamte nicht schwer verletzt wurde - wäre dem so, so läge ein Strafschärfungsgrund vor, sagte das Gericht, das Fehlen eines solchen sei aber kein Milderungsgrund;376 daß der Täter beim sexuellen Mißbrauch eines Kindes keine Gewalt angewendet und dem Opfer keine körperlichen Verletzungen zugefügt hatte317 und gelegentlich: die Nicht-Vorbestraftheit, daß der Täter nicht einschlägig in Erscheinung getreten und auch sonst nicht erheblich vorbestraft ist. 318 Besonders aufschlußreich zum Verhältnis dieses Grundsatzes zum "Regeltatbild": Der Tatrichter wollte zugunsten des Angeklagten berücksichtigen, daß er sich durch die Untreue nicht persönlich bereicherte. In der Revision rügte die StA die Verletzung des Grundsatzes, daß das Fehlen eines Strafschärfungsgrundes nicht strafmildernd berücksichtigt werden dürfe. Aus dem Urteil: 379 Die beanstandete Strafzumessungserwägung sei auch nicht deshalb fehlerhaft, weil der BGH 2. StR 262167; BGH 2. StR 191178; Beispiele bei Bruns, JR 1980, 337. BGH 4. StR NStZ 1981, 343. 3'lllBGH 2. StR 263182. 371 BGH 2 . StR 631183. 312 BGH 2. StR 800 I 82- alle Beispiele, das vorige und die folgenden, bei Foth, 368

369

JR 1985, 397. 313 BGH 2. StR 34182. 374 BGH 2. StR 92 183. 315 BGH 4. StR 568 I 83. 376 BGH 3. StR 369 175 bei Bruns, JR 1980, 337. 317 BGH 4. StR 2181 82 bei Foth, JR 1985, 397. 318 BGH 3. StR 168173 bei Bruns, JR 1980, 337. 379 BGH 2. StR StV 1986, 430.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

gesetzliche Tatbestand der Untreue keine persönliche Bereicherung des Täters voraussetze. 380 Daraus folge nämlich nicht, daß eine durch Untreue erzielte persönliche Bereicherung des Täters stets ein Strafschärfungsgrund sein müsse. 381 Gehe der Tatrichter davon aus, daß eine persönliche Bereicherung zum "regelmäßigen Erscheinungsbild" der strafbaren Untreue gehöre, so sei es auch zulässig, dem Täter zugute zu halten, daß er sich abweichend davon nicht bereichert habe. b) Die Plenarentscheidung des Großen Senats

In diese, durchaus als "ständig" zu bezeichnende, 382 jahrelang vertretene383 Rechtsprechung ist durch die Vorlage des 1. Senats an den Großen Strafsenat Bewegung geraten. In einem vor dem 1. Strafsenat anhängigen Revisionsverfahren ging es um die strafschärfende Erwägung des LG Passau, daß der Angeklagte "nicht in Geldnot" war und im Falle der anderen beiden Angeklagten, daß sie es bei ihren Verdienstmöglichkeiten "absolut nicht nötig hatten zu stehlen". Der Generalbundesanwalt hatte auf die Revision der Angeklagten hin beantragt, den Strafausspruch im Beschlußverfahren aufzuheben. In seinem Aufhebungsantrag vertrat der GBA die Auffassung, das LG Passau habe damit gegen den in ständiger Rechtsprechung praktizierten Rechtssatz verstoßen, daß das bloße Fehlen eines Strafmilderungsgrundes nicht straferschwerend berücksichtigt werden dürfe. 384 Der 1. Senat entsprach dem Antrag auf Erledigung im Beschlußverfahren nicht, sondern fragte - nach Durchführung der Hauptverhandlung - bei den anderen Senaten des BGH nach, ob die von ihm beabsichtigte Entscheidung, die Revision der Angeklagten zu verwerfen, in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senates abweiche.

380 Setzte

er sie voraus, so würde das DVV des§ 46 Abs. 3 StGB eingreifen! aber der Minimum-Ansatz des 1. Senats! 382 BGH NStZ 1984, 358 bezeichnet sie jedenfalls als "ständige" Rspr.; weitere Nachweise aus unveröffentlichten Entscheidungen bei Foth, JR 1985, S. 397, Fn. 1; Schäfer, Praxis der StrZ, Rdnr. 457 setzt vielsagend den Ausdruck "ständig" in Anführungszeichen und Klammern. 381 So

383 Bruns, JR 1987, 89, der die unveröffentlichten Entscheidungen dazu zusammengestellt hat, spricht von 20 (!)Jahren.

384 BGHSt 34, 346- offenbar änderte der GBA seine Meinung aber später, vgl. die davon abweichende Stellungnahme zum Vorlagebeschluß, BGHSt 34, 347.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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Der 2. Senat teilte mit, die beabsichtigte Frage berühre Rechtsfragen, die er abweichend entschieden habe, und ließ wissen, daß er beabsichtige, an seiner bisherigen Rechtsprechung festzuhalten. 385 Schließlich hatte derselbe Senat noch kurz zuvor, sogar im selben Monat, folgende Urteile gelallt: Am 3.10.1986, daß die fehlende Betroffenheit des Angeklagten über die Auswirkungen seiner Tat nicht strafschärfend berücksichtigt werden dürfe, weil das Fehlen eines Milderungsgrundes kein Schärfungsgrund sei. Noch am 17.10.1986 sogar, daß dem Angeklagten deshalb auch nicht angelastet werden dürfe, daß seine finanzielle Bedrängnis "nicht die Intensität einer Notlage" erreicht habe. 386 Der 4. Senat meinte ebenfalls, daß die Rechtsprechung einen entsprechenden Rechtssatz aufgestellt habe, die Frage, ob aber gerade die betreffende Erwägung darunter fiele, sei unklar - er neige dazu, sie zu verneinen. 387 Zu recht ist damals bemerkt worden, daß die Antworten der anderen Senate "etwas orakelhaft" ausgefallen seien und die Rechtsfrage darin fast "bis zur Unkenntlichkeit vernebelt" würde. 388 Der 3. und der 5. Senat teilten mit, sie sähen darin letzlieh eine terminologische Frage, der 5. Senat außerdem, daß entsprechende tatrichterliche Wendungen von ihm bisher nicht beanstandet worden seien. 389 Der 1. Senat legte dem Großen Senat für Strafsachen mit Beschluß vom 29.10.1986390 darauthin folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vor: Darf der Umstand, daß der Angeklagte nicht in Geldnot war oder daß er es bei seinen Verdienstmöglichkeiten absolut nicht nötig hatte zu stehlen, strafschärfend gewertet werden? - Bruns bemerkte dazu, wer die Vorgeschichte nicht kenne, werde sich sicher wundem, daß eine scheinbar so leichte Frage mit ohne weiteres einleuchtender Lösung zum Gegenstand einer Plenarentscheidung gemacht wurde. 391 - Mit Beschluß vom 10.4.1987392 antwortete der Große Senat:

385 BGHSt 386 BGH

34, 347.

bei 1heune, NStZ 1987, S. 163, Fn. 27 u. 28. 387 So wird er im Vorlagebeschluß zitiert, JR 1987, 121. 388 Hettinger, StV 1987, 147. 389 Vgl. zu dieser Praxis des 5. Senats, mit der er die Revisionsanwälte schier zur Verzweiflung trieb, Hamm, StV 1987, 265; sowie das im Vorlagebeschluß, JR 1987,121 zitierte Urteil des 5. Senats. 390 NStZ 1987, 119 = JR 1987, 119m. Anm. Bruns, JR 1987, 89; Bespr. Hettinger, StV 1987, 147; Bespr. Hassemer, JuS 1987, 660. 391 Bruns, NStZ 1987,450.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

Die Vorlagefrage könne "nicht allgemein beantwortet" werden. Ob solche tatrichterlichen Erwägungen von Rechts wegen hinzunehmen oder zu beanstanden seien, entscheide sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles. 393 Zur Begründung führte er aus, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters könnten die Tat "als mehr oder weniger verständlich, als unverständlich, ja als verwerflich" kennzeichnen. Einen normativen Normalfall (der nicht zu verwechseln sei mit dem "Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle"394), gebe es nicht. 395 Der Große Senat schloß sieb damit der im Vorlagebeschluß zum Ausdruck gebrachten Meinung des 1. Senats an, in dem dieser bezweifelte, daß es eine "Normalausprägung" der wirtschaftlichen Verhältnisse gebe, und meinte, es sei schwer vorstellbar, daß es einen "Normalfall der wirtschaftlieben Verhältnisse" überhaupt geben könne. 396 Darin hatte es auch geheißen, einen "Regelfall" und eine ihm angemessene Normalstrafe" kenne das Gesetz nicht. 397 Als Argument gegen den normativen Normalfall nennt der Große Senat die Vielfältigkeit der Umstände im Einzelfall. 398 Ein Gegenargument ist daraus indes 34, 345 = MDR 1987, 772 = NStZ 1987, 450 m. Anm. Bruns = JZ 1988, 155 m. Anm. Grasnick. 393 Was dem Tatrichter aber nach Huber, JuS 1990, 115 auch "nicht viel hilft"; Hettinger, StV 1987, S. 147, Fn. 16 hatte schon zum Vorlagebeschluß angemerkt, mit Antworten, die auf ein relativierendes "Es kommt darauf an" hinauslaufen, sollte es nicht sein Bewenden haben. 392 BGHSt

394 BGHSt 34, 351 unter Vetweis auf BGHSt 28, 318, 319- nicht aber auf BGHSt 27, 2, 4, auf die sich jene Entscheidung bezieht und die das den "Regelfall" genannt hatte; so bleibt der Sinn dieses Hinweises unerfmdlich, da auch jener Durchschnittsfall jedenfalls nicht zum Vergleich herangezogen wird, so auch Schall I Schirnnacher, Jura 1992, S. 518, Fn. 28; Heltinger GA 1993, 17 meint, der GSSt habe sich dadurch möglicherweise "den Zugriff auf die Schablone des Regeltatbilds" erhalten wollen. 395 Hier bezieht sich der Große Senat ausdrücklich auf die von Horn, StV 1986, 170 und zuvor schon von Foth, JR 1985, 397 geäußerte Kritik gegenüber dem "gedanklichen" oder "normativen Normalfall" von Theune, StV 1985, 162, 168, 205; zuletzt noch NStZ 1987,494 und Mösl, z.B. NStZ 1981, 133.

396 So auch Streng, NStZ 1989, 399 mit dem Argument, er müßte dann bei jeder Deliktsart und -form individuell defmiert werden: "ein unmögliches Unterfangen!"

397 Streng, NStZ 1989, 399 macht angesichts dieser begrifflichen Vielfalt eine "nachgerade babylonische Sprachverwirrung" als die Ursache allen Übels aus; so schon Frisch, GA 1989, 347; bereits zum Vorlagebeschluß Hettinger, StV 1987, 149: Vor allem eines sei im Interesse aller vom BGH zu fordern: Klärung der Begriffe! 398 BGHSt 34, 352.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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nicht abzuleiten: Die Vielzahl der Strafzumessungsfaktoren erschwert vielleicht die Konstruktion des Normalfalls, ist aber kein grundsätzliches Argument gegen ihn. 399 Die Schwierigkeiten, die der BGH hat, liegen vielmehr in der aus grundsätzlichen methodologischen Erwägungen verfehlten "Gesamtbetrachtung" aller Strafzumessungsfaktoren anstelle der vorab gebotenen "isolierten Bewertung" jeder einzelnen Strafzumessungstatsache. 400 Außerdem sieht der BGH darin einen Widerspruch zur Systematik des deutschen Strafrechts, das dem Richter weite Strafrahmen zur Verfügung stelle. 401 Darin zeige sich, daß das Gesetz selbst "von jedem Schematismus, der mit der Auffassung notwendig oder jedenfalls mit großer Wahrscheinlichkeit verbunden wäre", weit entfernt sei. 402 Wenn das wirklich zuträfe, wäre es zwar alles andere als erfreulich - zumindest aber könnte es den Juristen doch nicht daran hindern, nicht doch zu versuchen, ein Schema hineinzubringen. Auch das weitere Argument, das der 1. Senat403 später nachschob, es sei davon auszugehen, daß der gesetzliche Strafrahmen gleichermaßen für den unbestraften wie für den mehr oder weniger vorbestraften- für denjenigen Täter, der in Geldnot handelte, wie für den, der in auskömmlichen Vermögensverhältnissen lebte- die angemessene Ahndung vorsieht, ist nicht recht verständlich. Schließlich bestreitet das niemand. 404 Die Annahme eines normativen Normalfalles, wandte der Große Senat noch ein, würde "im übrigen zwangsläufig zu einer bis ins einzelne gehenden revisionsrechtlichen Kontrolle der Strafzumessung" führen. 405 Im Unterschied zum BGH halten dies viele für ausgesprochen wünschenswert. 406 Abge399 So

auch Frisch, GA 1989, 343. BGHSt 34, 352 mit dem Hinweis auf die "Wechselwirkungen", die die Konstruktion eines Normalfalls erschwerten; siehe auch schon die auf die "gebotene Gesamtbetrachtung" abstellende Stellungnahme des GBA, BGHSt 34, 348. 400 Vgl.

401 Zu weite Strafrahmen, wie viele meinen, die "Regelfall" und "Normalfall" gerade als Gegengewicht zu den zu weit geratenen Strafrahmen verstehen.

402 BGHSt 403 BGH 404 So

34, 351. StV 1988, 60.

wohl auch Frisch, GA 1989, S. 358, Fn. 83: ein "unbrauchbares Argument". 34, 351.

405 BGHSt

406 Z.B. Grasnick, JZ 1988, 158; Neumann, StV 1991, 259 meint, "eine bis ins einzelne gehende revisionsrechtliche Kontrolle" sei immer noch besser als ein "Rückfall" in die Lehre vom revisionsrechtlich nicht überprüfbaren tatrichterlichen Ermessen; vgl. auch Heninger, StV 1987, 148: es sei mühsam genug gewesen, "Pfade in dem so unbegehbar erscheinenden Gelände der Strafzumessung anzulegen" , als daß man es

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

sehen davon ist die Argumentation aber auch unschlüssig, denn was das Rechtsmittelrecht für die Strukturen und Inhalte des materiellen Rechts beweisen soll, ist schon "im Ansatz nicht verständlich" .407 c) Folgen und Reaktionen

Viel Klarheit hat der Beschluß des Großen Senates damit nicht geschaffen. 408 Nicht einmal, ob es den früheren Grundsatz noch gibt, geht daraus mit letzter Sicherheit hervor. Schäfer, selbst Richter am BGH, entschuldigt das damit, daß die Antwort des Großen Senats entsprechend der beschränkten Fragestellung "eher zurückhaltend ausgefallen" sei. 409 Theune, ebenfalls Bundesrichter, kann für seine vom Großen Senat zurückgewiesene Meinung auf Urteile verweisen, die auch nach dem Beschluß verfuhren wie gehabt. 410 Frisch bezeichnet es als symptomatisch für den Zustand der Rechtsprechung, daß andere Senate, ohne den Vorlagebeschluß überhaupt zu erwähnen, 411 an der alten Rechtsprechung festhielten. 412 Auch die Untergerichte halten an dem Grundsatz fest, ein Richter des Landgerichts, das den Streit hervorgerufen hatte, meint auch weiterhin, es sei grundsätzlich fehlerhaft, das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes als strafschärfend zu verwerten, auch wenn der Große Senat anders entschieden habe. 413 Dreher faßt das Urteil dahingehend zusamzulassen könne, aus der revisionsrechtlichen Kontrolle ein Stück herauszubrechen, und der deshalb die falsche Prognose wagte, es sei daher kaum anzunehmen, daß der Große Senat dieses Gebiet wieder räumen werde. 407 So Frisch, GA 1989, S. 343, Pn. 3: "ein geradezu klassisches Beispiel eines Trugschlusses. 408 Vgl. Frisch, GA 1989, 340: "Verschärfung der Unklarheiten"; vgl. auch Theune, NStZ 1987, 495: Problem damit nicht gelöst, nur auf eine andere Ebene verlagert. 409 Schllfer, Praxis der StrZ, Rdnr. 457: Dort wird der Grundsatz jedenfalls mit eigener Randnummer und Überschrift aufgeführt und zur Einhaltung gemahnt, wenn auch die Formulierungsfreiheit des Tatrichters einen kleinen Spalt breit geöffnet worden sei. 410 BGH bei Theune, NStZ 1987,495. 411 Zuletzt BGH 4. StR bei Dener, NStZ 1993, 177: beim Verbrechen der Vergewaltigung könne ein Strafmilderungsgrund darin liegen, daß der Täter aufgrund des Verhaltens der Prau mit einem einverständlichen Geschlechtsverkehr gerechnet habe. Das Fehlen eines solchen auf einer Ausnahmesituation beruhenden Strafmilderungsgrundes dürfe jedoch nicht strafschärfend gewertet werden. 412 Frisch, GA 1989, 339. 413 Huber, JuS 1990, 115.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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men, daß der früher in ständiger Rechtsprechung praktizierte Satz vom Fehlen eines Strafmilderungsgrundes "keine Anerkennung als ausnahmslos geltender Rechtssatz gefunden • habe. 414 Die Folge ist, daß Tat- und Revisionsrichter sich nunmehr genausogut für den Grundsatz wie auch für eine Ausnahme davon entscheiden können. Dementsprechend ist es dem 2. Senat ohne Schwierigkeiten möglich, auch nach der Entscheidung des Großen Senats bei einem Täter, der nicht aus einer Notlage heraus gehandelt hatte, noch festzustellen, "daß die finanzielle Situation des Angeklagten nicht derart war, daß sie Anlaß zu einer Straferhöhung hätte geben können". 4 IS Daß der 2. Senat so verfahren würde, jedenfalls daß das durch die nun für maßgeblich erklärte Würdigung des Einzelfalls nicht ausgeschlossen sein würde, war schon vorher gemutmaßt worden. 416 Und in der Frage der strafschärfenden Berücksichtigung des ungeschützten Geschlechtsverkehrs bei der Vergewaltigung entscheidet er: Daß der Beischlaf ungeschützt stattfand, könne bei der Strafzumessung zu Lasten des Täters berücksichtigt werden. Eine strafschärfende Wertung hänge "aber im Einzelfall davon ab, ob dem Täter aus dieser Art der Tatausführung ein erhöhter Schuldvorwurf unter dem Gesichtspunkt der Gefahr unerwünschter Zeugung und I oder einer HIV-Infektion gemacht werden kann. "417 Dem Wortlaut nach folgt der 2. Senat damit der Rechtsprechung des 1. Senats in der Samenergußfrage, in Wahrheit bedeutet der Hinweis auf den "Einzelfall" aber eine Abkehr davon: Denn selbstverständlich bedeutet der ungeschützte Beischlaf stets eine Erhöhung der Schwängerungs- und/oder AIDS-Gefahr - etwas anderes ist gar nicht denkbar.

414 Dreher

I Tröndle, § 46 Rdnr. 36 a. 2 . StR StV 1987, 453- umgekehrt BGH 4 . StR StV 1992, 145 f: Das Bemühen des Täters, den Schaden wiedergutzumachen, sei ein nach § 46 Abs. 2 Satz 2 bei der Abwägung der für und gegen den Täter sprechenden Umstände zu beachtender Umstand. Wie der Umstand der fehlenden Schadenswiedergutmachung zu bewerten sei, sei Frage des Einzelfalls - es folgt ein Hinweis auf den Plenarentscheid - im vorliegenden Fall begegne die strafschärfende Bewertung der fehlenden Wiedergutmachung in Anbetracht der Tatsache, daß der Angeklagte ein monatliches Nettoeinkommen von rund 3000 DM habe, jedenfalls keinen rechtlichen Bedenken. 4 ISBGH

416

Bruns, NStZ 1987,452. 2. StR bei Vetter, NStZ 1992, 113.

417 BGH

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

d) Stellungnahme

Die Rechtsprechung ist dadurch nicht vorbersebbarer geworden. 418 Sie ist darüber binaus auch falsch. Bei Lackner beißt es in Anlehnung an die "logischen Strafzumessungsgründe" Spendels, der Satz, daß das bloße Fehlen eines Milderungsgrundes nicht strafschärfend und das bloße Fehlen eines Schärfungsgrundes nicht strafmildernd bewertet werden dürfe, sei "schon aus Gründen der Logik" nicht bezweifelbar. 419 Auch Bruns fand, der Grundsatz sei ja nicht schlecht gewesen, insbesondere nicht rechtsdogmatisch angreifbar, er habe nur den Mangel gehabt, daß er nicht hinreichend mit dem Hinweis auf die Gesetze der Logik begründet worden sei. 431 Schon früher hatte er darin "ein streng logisches Prinzip" gesehen, meinte aber, die Denkweise der dem praktischen Leben mehr verbundenen Tatrichter sei "nicht stets streng logisch ausgerichtet". 421 Im Gegenteil, die beanstandeten Wendungen der Richter könnten in der Öffentlichkeit weitgebend auf Beifall und Verständnis rechnen. "Vielleicht", so gab Bruns damals zu bedenken, sei die reine Logik "nicht der Weisheit letzter Schluß •. 422 Horn empfiehlt, den Ausgangspunkt zu überprüfen, der ein Ergebnis, mit dem "etwas nicht stimmen" könne, über die "reine" Logik zu erzwingen scheine. 423 Aber an der Logik liegt es nicht. Gibt man mit der neueren Rechtsprechung die Idee eines neutralen Nullpunktes auf, dann kann der nach den Gesetzen der Sprache vorausgesetzte Bezugspunkt der Relationsbegriffe auch nicht mehr in einer idealen Nullinie, sondern nur noch im komplementären Fall des Nichtvorliegens desselben Umstandes gesehen werden. Mit anderen Worten: "Was die Strafe nicht mildert,

418 Vgl. zu derselben Situation vor Anrufung des Großen Senats aus anwaltlieber Sicht Hamm, StV 1987, 265. 419 Lackner, § 46 Rdnr. 32; ähnlich, nämlich mit Blick auf die "Gesetze der Logik", Günther, JZ 1989, 1028; auch Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 630 sehen darin ein "logisches Prinzip"; ebenso Streng NStZ 1989, 399.

420 Bruns, NStZ 1987, 452: "für die Bejahung eines Revisionsgrundes würde das nach wie vor ausreichen" - unklar ist, wie sich das mit der folgenden Äußerung verträgt, siehe im Text; krit. zum früheren Grundsatz auch Bruns, 1985, S. 249 f. 421

Bruns, JR 1980, 337.

JR 1980, 338; darauf anspielend Horn, StV 1986, 168: "Logik statt Weisheit?"; und noch einmal, diesmal unter Berufung auf Horn, Bruns, JR 1987, 91. 422 Bruns,

423 Horn, StV 1986, 168; krit. zur Logik des Grundsatzes auch Hellinger, GA 1993, S. 3, fn. 10.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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schärft sie und umgekehrt". 424 Die strafschärfende Berücksichtigung des FehJens eines Strafmilderungsgrundes ist in diesem Modell logisch notwendig. 425 Die strafschärfende Berücksichtigung der Nichtbenutzung eines Kondoms sagt dann nicht mehr aus als: Hätte der Täter eine Kondom benutzt, so wäre die Strafe milder ausgefallen. Unlogisch ist das nicht, höchstens selbstverständlich. So will Hettinger426 das Urteil verstanden wissen, und so muß man auch Streng verstehen: Im Vergleich zu einer aus Not begangenen und daher sehr leichten Tat wiegen gute wirtschaftliche Verhältnisse erschwerend. Als Wertung sei das "an sich" nicht zu beanstanden. 427 Die Urteilsbegründung dient aber nicht dem Ziel, über das Verhältnis der ausgeworfenen Strafe zu einer für einen hypothetischen, den entgegengesetzten Fall angenommenen Strafe zu informieren, sondern der Rechtfertigung der tatsächlich verhängten Strafe.428 Unlogisch ist etwas ganz anderes: Selbst wenn es den vom Großen Senat abgelehnten "Normalfall" nicht gibt, dann folgt daraus doch zunächst nur, daß er als Bezugspunkt für die Entscheidung über die Bewertungsrichtung ausscheidet. Dann muß ein anderer Maßstab her! Theune hatte bereits bemerkt, daß offen bleibe, welche Kriterien denn dann dafür herangezogen werden sollten. 429 Heltinger äußerte zum Vorlagebeschluß, er zeige, "wie schwankend der Boden ist, auf dem Tat- und Revisionsgericht stehen, daß eben die Bezugsbasis schwimmt". 430 Welche Bezugsgröße auch immer man wählt - der Große Senat lehnt sie bekanntlich alle ab-, hat man sich erst einmal für eine entschieden, dann allerdings ist richtig: "Der bloße Fortfall dessen, was gemessen an einem bestimmten Vergleichssachverhalt eine Milderung begründet, führt zunächst nur zum Vergleichssachverhalt zurück". 431 Dann muß man 424 So

Foth, JR 1985, 398.

425 So

auch Neumann, StV 1991, S. 259, Fn. 30.

426 Hettinger ,

GA 1993, 19.

NStZ 1989, 399; ähnl. Horn, StV 1986, 169: Dann stehe zwar im Urteil: "Strafschärfung, weil ohne Not", gemeint sei aber: Ohne Not, also kein (milderer) Regelfall, also höhere Strafe (als für den Regelfall). 427 Streng,

428 Ebenso Neumann, StV 1991, 259.

NStZ 1987,495. Heltinger, StV 1987, 146; nochmals ders., GA 1993 , 1. 431 Frisch, GA 1989, S. 366, Fn. 106 mit der Bemerkung, das und allein das sei der mit logischen Erwägungen entscheidbare Teil des Problems; ebenso auch Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 630. 429 17zeune, 430

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

sich entscheiden, ob das Vorliegen eines Umstandes zu Lasten oder sein Nichtvorliegen zugunsten des Täters sprechen soll. 432 Dann erscheint es auch als "ein logischer Bruch", wollte ein Gericht die Strafe bei Wegfall eines Strafmilderungsgrundes und sonst gleichen Tat- und Tätervoraussetzungen nicht nur um die Abweichung nach unten zurücksetzen, sondern sie darüber hinaus, zusätzlich, auch noch um dieselbe Abweichung nach oben heraufsetzen, nur weil ein Milderungsgrund fehlt. 433 Aus Mangel an einem anderen Ausgangspunkt den Einzelfall selbst zum Maßstab zu erheben, verbietet sich allerdings von selbst: Damit würden auch noch Bewertungsmaßstab und Bewertungsgegenstand verwechselt. 434 Natürlich kommt es auf den Einzelfall an, aber wie dieser Einzelfall mit all seinen Eigenarten zu bewerten ist, "läßt sich nicht durch ein noch so langes Versenken in die Details und Wechselwirkungen des Einzelfalles beantworten", sondern nur dadurch, "daß man den Einzelfall an den je relevanten Bewertungsmaßstäben mißt" . 435 Darum ist der Grundsatz, wie ihn die Rechtsprechung vor dem Plenarentscheid und allen voran der 2. Senat vertreten hat, richtig. Er ist es auch dann, wenn man nicht die aus dem "Regeltatbild" gewonnene neutrale Zone zum Bezugspunkt nimmt. Voraussetzung ist nur, daß man überhaupt einen Bezugspunkt für die Relationsbegriffe hat, mit denen man die Bewertungsrichtung von Strafzumessungstatsachen festlegt. 6. Zum Problem "negativer" Formulierungen Häufig wird in diesem Zusammenhang auch vor der Benutzung negativer Formulierungen gewarnt. 436 Negative Formulierungen in Urteilen finden sich erstaunlich häufig. In der Vorlage an den Großen Senat ging es um die Erwägung, daß sich der Angeklagte "nicht" in einer fmanziellen Notlage befand, daß er es "absolut nicht" nötig hatte zu stehlen. Im Samenergußurteil war es 432 So 433 So

auch Weßlau , StV 1991, 260. auch Günther, IZ 1989, 1028.

434 So auch Frisch, ZStW 99 (1987), S. 792 f, Fn. 23; ders., GA 1989, 344: "in der Methodik des Gedankenganges verfehlt", "unschlüssig", "unhaltbar und zeugt nur davon, wie weit die Konfusion ... inzwischen gediehen ist" . 435 Frisch,

GA 1989, 344.

NStZ 1981, 60; Mösl, NStZ 1981, 133; Huber, JuS 1990, 115; Bruns, 1985, S. 250; Schäfer, Praxis der StrZ, Rdnr. 457 a .E.; vgl. auch Frisch, ZStW 99 (1987), 792. 436 BGH

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die Erwägung, daß der Täter "kein" Kondom benutzt hatte. "Negativ" sind solche Formulierungen, weil sie in die Form der Negation (Verneinung) gekleidet sind. Negative Formulierungen sind so zum Stich- und inzwischen auch Reizwort geworden. 437 Wenn die Tatrichter in ihren Urteilsgründen vermehrt zu negativen Formulierungen griffen, so hatte das ursprünglich seinen guten Sinn: In seinem Vorlagebeschluß an den Großen Senat bemerkte der 1. Senat, die Tatrichter seien darauf gekommen, daß keine Aufhebung zu befürchten sei, wenn sie dieselben Gründe, die sie vorher als "strafschärfend" gewertet hatten, nun als "nicht strafmildernd" bezeichneten, ohne daß sich indessen an der Strafzumessung etwas geändert hätte. 438 Daraus folgerte er, daß der Gebrauch der Worte "strafschärfend" und "strafmildernd" sowie ihrer Synonyme für sich genommen wenig sachlichen Gehalt habe. Ob all das bedeute, daß es sich um eine "bloße Formulierungsfragen" handele, ließ der Senat vielsagend offen. Es sei für die Vorlage deshalb belanglos, weil der 2. Senat mitgeteilt habe, die Entscheidung berühre Rechtsfragen, die der 2. Strafsenat abweichend entschieden habe. 439 In Wahrheit hatte sich der 1. Senat die Frage selbst schon beantwortet: Wenn es stimmte, daß die Worte wenig sachlichen Gehalt hätten, dann ist nicht einzusehen, wie es sich um etwas anderes als eine "bloße Formulierungsfrage" handeln könnte. Um eine Rechtsfrage würde es nur gehen, wenn die Worte auch sachlichen Gehalt hätten. Nur: Für die Vorlage an den Großen Senat, die beide wollten, war Voraussetzung, daß eine Rechtsfrage vorlag(§ 136 Abs. 1 GVG). Deshalb drückte sich der 1. Senat so zurückhaltend aus. 440 Die Frage wird durch den Pienarbeschluß kaum als geklärt angesehen werden können. Die Rechtsfrage ist, ob die Abwesenheit eines Strafschärfungsgrundes einen Milderungsgrund und umgekehrt die Abwesenheit eines Straf437 Vgl. Bruns, "Die Bewertungsrichtung negativ formulierter Strafzumessungsgründe" , JR 1987, 89 ff; Montenbruck, Abwägung und Umwertung, S. 34 f mit der Überschrift: "Entlastende Umstände als negativ formulierte belastende Umstände". 438 BGH 1. StR, JR 1987, 121; zu dieser Passage auch Hassemer, JuS 1987, 661: die Tatrichter wollten ihre Urteile damit "revisionssicher" machen; Horn, StV 1986, 168 nennt das "Kinkerlitzchen". 439 BGH 440 Vgl.

1. StR, JR 1987, 121.

zu den Tücken der Abgrenzung zwischen Rechts- und Formulierungsfrage in der Frage des FehJens von Strafmilderungsgründen aus der Sicht des Revisionsanwalts Hamm, StV 1987, 265.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

milderungsgrundes einen Schärfungsgrund darstellt. Nur ist diese Rechtsfrage, so wie der 1. Senat es formulierte, nicht berührt. Die Tatrichter, die so verfahren, halten sich gerade an die Vorgaben in der Rechtsfrage: Wollte man strafschärfend berücksichtigen, daß der Angeklagte genügend Geld hatte, dann würde man die Abwesenheit eines Milderungsgrundes zum Strafschärfungsgrund machen. Denn das Gegenteil von "genügend Geld", Geldnot, wäre ein Milderungsgrund. 441 Formuliert man dagegen: Es könne dem Angeklagten "nicht strafmildernd" angerechnet werden, daß er sich in Geldnot befand, so ist das nicht zu beanstanden. Denn er befand sich nicht in Geldnot! Die Abwesenheit eines Milderungsgrundes wird damit nicht zu einem Schärfungsgrund gemacht. 442 Geldnot wäre ein Milderungsgrund gewesen, sagt das Gericht damit, aber er liegt nicht vor. Also: "nicht strafmildernd". Damit würde lediglich die Abwesenheit eines Strafzumessungsgrundes festgestellt. Das mag überflüssig sein, ist aber nicht falsch. Genausogut könnte das Gericht fest-stellen, daß es dem Angeklagten nicht zugute gehalten werden konnte, daß er eine schwere Kindheit gehabt oder die Arbeit verloren hat oder kein Dach über dem Kopf habe. Denn das alles ist nicht der Fall. - Natürlich kann es deswegen auch nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt werden. Es ist nicht falsch, das festzustellen, aber es trägt auch umgekehrt nichts zur Urteilstindung bei. Denn: was fehlt, ist eben nicht vorhanden. Der Tatrichter darf aber der Strafzumessung nur vorhandene Tatsachen zugrunde legen, meint Hettinger. 443 Freilich gibt es nach ständiger Rechtsprechung auch Umstände, deren Nichtvorhandensein nicht übersehen oder ungewürdigt gelassen werden darf: die Vorstrafen. 444 441 Völlig unverständlich daher auch der Hinweis in BGHSt 34, 350: "Die Feststellung, daß der Angeklagte nicht in Geldnot war oder es bei seinen Verdienstmöglichkeiten absolut nicht nötig hatte zu stehlen, wird ebenso wie andere, ähnlich lautende Formulierungen häufig dahin zu verstehen sein, der Angeklagte habe in auskömmlichen wirtschaftlichen Verhältnissen gelebt.. . " - natürlich ist das so zu verstehen, wie sonst sollte man es verstehen? Es ist schlicht dasselbe! 442 So wie der 1. Senat es formulierte, stand damit fest, daß die eine Formulierung sachlich richtig, die andere dagegen sachlich falsch war, das sieht auch das Gericht, nur meint es, das könne nicht sein, weil es sich auf das Strafmaß nicht ausgewirkt habe. 443 Heninger, 444 Siehe

StV 1987, 148.

BGH bei Ho/tz, MDR 1980, 628: Das LG hatte ausgeführt, Umstände zugunsten des bisher Unbestraften habe es "nicht fmden können" - diese Formulierung gab dem BGH zu dem Verdacht Anlaß, daß die Strafkammer die bisherige Straflosigkeit des Angeklagten übersehen habe; vgl. schon RG HRR 1937, Nr. 1062, wo das

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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So wird auch verständlich, wie der 3. Senat zu seiner Differenzierung kam: Der 3. Senat445 und ihm folgend der 4. Senat446 wollten danach differenzieren, ob sich negativ formulierte Erwägungen der Sache nach im Rahmen der gebotenen Abwägung der für und gegen den Täter sprechenden Umstände hielten, dann seien sie nicht zu beanstanden, oder ob es sich etwa um "fiktive Erwägungen über hypothetisch erdachte Umstände" handelte, "die zu dem Lebenssachverhalt, wie er sich tatsächlich abge-spielt hat, keinen Bezug haben". Bloß fiktive Erwägungen dürften für die Strafzumessung keine Rolle spielen. 447 - Ein einfacher und schlicht formulierter Gedankengang, der eine saubere Abgrenzung der ins Auge gefaßten Alternativen ermöglichen, insbesondere überzeugend erklären würde, warum es im gegebenen Fall anders sein soll, sei das wohl kaum, fand Bruns. 448 Das Gericht traute der eigenen Abgrenzung wohl ebenfalls nicht recht über den Weg, denn es meinte, negativen Formulierungen machten es dem Revisionsgericht oft schwer, zweifelsfrei zu klären, welche der beiden gegenübergestellten Fallgruppen vorliege. Es rät daher, solche Strafzumessungsecwägungen doch lieber positiv zu umschreiben und negative Formulierungen "nach Möglichkeit" ganz zu vermeiden. 449 Aber an der negativen Formulierung, also an der Vemeinung, kann es nicht liegen. Die deutsche Sprache, derer sich die Tatrichter bei der Darstellung ihrer Urteilsgründe bedienen müssen, hält dafür mehr Variationen bereit, als man denkt. 450 Unzählige Worte (keinerlei, keineswegs, keinesfalls, mitnichten, ebensowenig, nichtsdestoweniger, niemals, nimmer, ohne usw.), Silben: a(in amoralisch), ab- (in abnorm), auf- (in aufgeben), aus- (in ausbleiben), de-, des- und dis- (in: disqualifizieren, Desinteresse, Defizit), ent-, ein- und fehlTatgericht angab, Milderungsgründe seien "nicht zu fmden" angesichtsder Tatsache, daß ein Justizangestellter selbstverständlich nicht vorbestraft sei. 445 BGH

3. StR NJW 1980,2821 = NStZ 1981,60 m. Anm. Bruns.

446 Vgl.

BGH 4. StR bei Mösl, NStZ 1981, 133. 447 Zust. Dreher !TriJndle, § 46 Rdnr. 36; ebenso Heninger, DVV, S. 155 f. 448 Bruns,

NStZ 1981,61.

449 BGH

3. StR NStZ 1981, 60- womit das Problem aus der Welt geschafft, aber nicht gelöst wäre, meint auch Bruns, NStZ 1981, 61. 450 Der § 184 des Gerichtsverfassungsgesetzes lautet bekanntlich: "Die Gerichtssprache ist deutsch." Als ob dieses Deutsch so einfach wäre! - Wolf Schneider, Deutsch für Profis, 11. Aufl., Harnburg 1984, S. 147, dem die folgenden Beispiele entnommen sind, zählt nicht weniger als "73 Möglichkeiten, nein zu sagen".

IZ Fahl

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

(in: entbehren, einbüßen, fehlschlagen), i-, im- und in- (in: ignorieren, immobil, indiskutabel), miß-, ohn-, unter- (in: Mißgriff, Ohnmacht, Unterlassen usw.) und Nachsilben: -frei, -leer und -los (in: sorgenfrei, inhaltsleer und mittellos) drücken Vemeinungen aus. Vemeinungen erfreuen sich offenbar einer großen Beliebtheit. 451 Darunter befinden sich auch solche, deren verneinender Charakter auf den ersten Blick gar nicht leicht zu erkennen ist: "Mangel, Flaute, Fehler, Schwund" sind solche Beispiele. Schlimmer noch: "Unkosten" sind dasselbe wie "Kosten"- ganz zu schweigen davon, daß "Untiefe" sowohl eine besonders tiefe wie eine besonders flache Stelle bezeichnen kann. Manchen Sätzen scheint es völlig gleichgültig zu sein, ob man sie verneint oder nicht: "Etwas braucht uns nicht zu interessieren, bis wir wissen, ob ... " Die Aussage bleibt gleich, wenn man ein "nicht" einschiebt: "bis wir nicht wissen, ob er kommt". Gleiches gilt für das Wörtchen "ehe" ("ehe wir nicht wissen" oder "ehe wir wissen, daß ... "), seltsamerweise aber nicht für das Wort "solange". Der Satz: "was ihn nicht daran hinderte, es nicht doch zu versuchen" kommt ohne das zweite "nicht" aus, aber nicht ohne das erste. Hinzu kommt die doppelte Vemeinung, die es selbst Kennern nicht immer leicht macht, den wahren Sinn herauszuschälen. 452 Wahre Dechiffrierarbeit verlangt ein Satz wie der folgende: "Auch die nicht strafmildemde Berücksichtigung bisheriger Straffreiheit kann im Einzelfall, namentlich mit Rücksicht auf den kurzen Aufenthalt des Angeklagten in der Bundesrepublik, gerechtfertigt sein. "453 Die nicht strafmildemde Berücksichtigung der Straffreiheit ist vielleicht doch bloß die strafschärfende Berücksichtigung der Vorbestraftheit? - Das wäre zwar richtig, ist aber nicht gemeint, vielmehr soll die Unbestraftheit grundsätzlich ein Milderungsgrund sein, das sagt der Satz. Ob umgekehrt die Vorbestraftheil einen Schärfungs451 Vgl.

auch Bruns, JR 1987, S. 90, Fn. 11 zur großen Beliebtheit, derer sich negative Formulierungen im Alltagsgebrauch erfreuen. 452 Beispiel: "Er ist nichts weniger als glücklich" ; Beispiel für eine dreifache Verneinung: "Niemand leugnet im Ernst, daß es keinen Unterschied macht"; außerdem § 118 BGB mit dem Rekord einer fünffachen Verneinung: "Eine nicht ernstlich gemeinte Willenserklärung, die in der Erwartung abgegeben wird, der Mangel der Ernstlichkeil werde nicht verkannt werden, ist nichtig." (W'trd sie dagegen nicht in der Erwartung abgegeben, die Unernstlichkeit werde erkannt werden, oder ist sie gar nicht unernstlieh gemeint, dann ist sie auch nicht nichtig.) 453 Schoreil, NStZ 1982, 66 - ähnlich eingängig BGHSt 8, 188: Die Auffassung, daß es für einen Beamten keinen strafmildernden Umstand bedeute, wenn er unhestraft sei, sei nicht unbedenklich.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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grund abgibt, sagt der Satz nicht, ist aber zu vermuten. Nur soll das alles in diesem speziellen Fall nicht gelten, weil die Person noch nicht lange genug in der Bundesrepublik war. Angenommen in den Urteilsgründen steht nun: "Strafschärfend wirkt, daß der Täter über ausreichendes Vermögen verfügte." Das bedeutet dasselbe wie: "Strafschärfend ist, daß der Täter nicht in Geldnot war." Dies ist eine doppelte Vemeinung, deshalb führt sie zum Ausgangssatz zurück. Der Satz ist aber inhaltlich falsch, denn Geldnot wäre ein Strafmilderungsgrund. Wenn er fehlt, gibt das noch keinen Strafschärfungsgrund ab. Richtig ist dagegen der Satz: "Es kann dem Täter nicht strafmildernd zugute kommen, daß er nicht in Geldnot handelte." (Das ist die Formulierung, auf die der 1. Senat anspielte, als er meinte, die Tatrichter hätten entdeckt, daß sie ihre Entscheidungen durch Verwendung negativer Formulierungen revisionsfest machen könnten.) Obwohl verneint, ist an dem Satz nichts auszusetzen. Nur handelt es sich dabei nicht um eine einfache, sondern um eine doppelte Verneinung: Streicht man in einem der beiden Sätze ein "nicht", so wird die Aussage in ihr Gegenteil verkehrt, der Satz wird falsch. Man streiche aber beide "nicht" und erhalte den richtigen Satz: "Strafmildernd kann dem Täter zugute gehalten werden, daß er in Geldnot handelte." Auf die positive oder negative Formulierung kommt es, wie man sieht, nicht an. Die Aussage, die dahinter steht, kann richtig oder falsch sein oder werden, je nachdem, wie viele Verneinungen der Satz enthält und was verneint wird. Mit dem "Regeltatbild" hat das wenig zu tun, schon gar nicht kann daraus ein Argument gegen das "Regeltatbild" abgeleitet werden. Entscheidend ist der sachliche Gehalt. Auf die "mehr oder weniger zufällige" positive oder negative Formulierung kommt es niemals an. 454 Aufgabe des Revisionsgerichts istes-darin ist dem Großen Senat455 zuzustimmen- den "sachlichen Gehalt der Urteilsgründe festzustellen und hierbei nicht an der negativen oder positiven Formulierung zu haften".

454 So

auch Lackner, § 46 Rdnr. 32.

455 BGHSt 12•

34, 350.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

111. Das "Regeltatbild 11 auf der S. Stufe 1. Die Rationalität der "Umwertung" In der fiinften und letzten Phase nach dem Bruns'schen Fünf-Phasen-Modell geht es um die Umsetzung des bisher gewonnenen Ergebnisses in "absolute Zahlen". 456 Das heißt: die richtig herausgefilterten, "isoliert" bewerteten und gegeneinander abgewogenen Strafzumessungstatsachen müssen schließlich in ein konkretes Strafmaß "umgewertet" werden. Diese Phase ist, schon weil sie den Vorgang abschließt und Korrekturen nachfolgend daher nur noch schwer möglich sind, zu Recht die "schwierigste" genannt worden. 457 Bruns nennt sie die "entscheidendste Phase des gesamten Strafzumessungsvorganges. 458 Für Frisch sind Abwägung und Umwertung die Kernphasen der Strafzumessung. 459 Auch Theune spricht davon, die Umformung der Schuldschwere in Zahlen sei "ein fiir die Strafzumessung besonders kritischer Bereich". 460 An ihr entzündet sich auch die Krititik: Trotz aller vorherigen feinsinnigen Differenzierungen sei man "hinterher in der Höhenfrage" so klug wie zuvor.461 Bruns sieht im Höhenproblem die "Gretchenfrage". 462 So könnte das "Regeltatbild" die HoffDung wecken, auch bei dieser Phase Hilfestellung zu leisten, wenigstens indem es sagte, wie denn ein Fall einzuordnen wäre, der bis in alle Einzelheiten voll dem Regeltatbild entspräche. Dabei unterscheidet sich die letzte Phase der Strafzumessung von allen vorherigen Phasen dadurch, daß die Fragen hier nicht mit "richtig" oder "falsch" beantwortet sind, sondern Antwort auf die Frage gegeben werden muß, wieviel. Das macht die Schwierigkeiten aus, denn Schuld ist eben schlecht quantifizierbar. Man ist sich heute weitgehend einig darüber, daß alle Versuche ei456 Bruns,

1985, S. 259.

Uni-Köln-FS, S. 601: der schwierigste Teil der Strafzumessung; Maurach I Gössel I Zipf, AT, § 63 Rdnr. 205: "Es läßt sich auch nicht leugnen, daß hier die schwierigste Stelle im gesamten Strafzumessungsvorgang ist". 458 Bruns, 1985, S. 259. 459 Frisch, ZStW 99 (1987), 794; vgl. den gleichnamigen Titel der neuesten Monographie von Montenbruck, "Abwägung und Umwertung", Berlin 1989. 451 Weigend,

Pfeiffer-FS, S. 450. 461 Frisch, ZStW 99 (1987), 793 - bei Frisch hat das dazu geführt, das Fünf-Phasen-Modell ganz umzustürzen, vgl. Frisch, Revisionsrechtl. Probleme, S. 8 ff einerseits und Frisch, GA 1989, 374 andererseits. 462 Bruns, Neues Strafzumessungsrecht?, S. 63. 460 1heune,

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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ner Mathematisierung der Strafzumessung gescheitert sind. 463 Dabei hat es an Einfällen- auch an originellen Vorschlägen- nicht gefehlt, z.B.: (Grundfaktor x Multiplikator) + 1- Opferfaktor = Endstrafe. 464 Es ist sogar versucht worden, die Kosten-Nutzen-Optimierung aus der Unternehmensforschung ("Operations Research") auf die Strafzumessung zu übertragen: Gehe es dort um die Optimierung wirtschaftlichen Gewinns bei beschränkter ökonomischer Kapazität, so komme es hier auf die Verhütung von Straftaten bei beschränkten Möglichkeiten der Verbrechensbekämpfung an. 465 Spendet meinte, die ganze Formalisierung und Mathematisierung spiegele eine Exaktheit vor, die in Wahrheit angesichts der Fragwürdigkeit der Ausgangspunkte gar nicht bestehe. 466 Tatsache ist aber, daß umgerechnet werden muß und darum ist noch immer wahr, was Franz von Liszt Anfang unseres Jahrhunderts sagte, daß die Strafzumessung ein "Griff ins Dunkle" bleibe. 467 Daß Strafzumessung "rational" sein müsse468 und daß sie es noch nicht ist, darüber sind sich die Gelehrten einig - eine Aufzählung von Bruckmann über Bruns, Frisch, R. von Hippel, Ostermeyer, Roxin, Spendet und Würtemberger bis bin zu Zipf findet sieb bei Hassemer. 469 Die Liste derer, die die Irrationalität der Strafzumessung rügen, ließe sich verlängern, z.B. um Kunz, 410 der bemerkte, eine Strafzumessungsdogmatik, die entgegen ihres erklärten Anliegens zur Entscheidungstindung wenig oder gar nichts beizutragen habe, gerate zwangsläufig in ldeologieverdacbt471 - streng genommen stehe die Zumessungstheorie noch gar nicht auf der Entwicklungsstufe einer anwendungs-

463 Maurach I Gössel I Zipf, AT, § 63 Rdnr. 194; Bruns, Neues Strafzumessungsrecht?, S. 742 f; ders. , 1985, S. 3; ders., NJW 1979, 289; Pallin, Strafzumessung, Rdnr. 101; krit. auch Spendel, ZStW 83 (1971), 203 ff. 464 Bruckmann, ZRP 1973, 33. 465 Haag, Rationale Strafzumessung, S. 15; dazu Spendel, ZStW 83 (1971), 241: Bei aller Anerkennung für die Originalität des Denkansatzes lasse sich ein gewisses Unbehagen nicht unterdrücken. 466 Spendel, ZStW 83 (1971), 241. 461 von

468 Vgl.

Liszt, Strafrechtl. Vorträge, S. 393.

den Titel von Heft 3 der Schriftenreihe des Instituts für Konfliktforschung, 1977: "Pönometrie- Rationalität oder Irrationalität der Strafzumessung". 469 Hassemer , ZStW 90 (1978), 71. 410 Kunz, Entwicklungslinien, S. 29 ff. 471 Kunz, Entwicklungslinien, S. 30.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

bezogenen Theorie. 4n In dieser Situation kann allenfalls das "Unbehagen bei der Strafzumessung" gelindert werden. 473 Was das Gesetz dafür an Hilfe anbietet, ist spärlich und wäre "ebenso wie die strafrichterliebe Handhabung offenkundig - verfassungswidrig, gäbe es bessere Alternativen". 474 Aber wir leben "mit ihnen derzeit besser als ohne sie". 415 2. Die Theorie von der kontinuierlichen ("ungefähren") Schwereskala

"Der gesetzliche Strafrahmen enthält eine relative Strafenschichtung nach leicht und schwer und gibt durch diese ungefäbre Schwereskala zu erkennen, welche Strafen der Gesetzgeber dem Richter je nach Schuld und Unrechtsgehalt vorschreibt. An diese Wertung ist der Richter gebunden", so das OLG Stuttgart in seiner grundlegenden Entscheidung aus dem Jahre 1960. 476 Dreher gestand dazu: 477 "Selten hat mir eine höchstrichterliche Entscheidung soviel Freude gemacht wie diese" - kein Wunder, ging die Entscheidung doch auf Gedanken zurück, die dieser maßgeblich mitgeprägt hatte, wie ein knapper Hinweis im Urteil zeigt. 478 Von ihm stammt nämlich der Gedanke, daß die gesetzlichen Strafrahmen keineswegs das sind, fiir das sie fälschlich gehalten wurden: ein Rahmen, innerhalb dessen der Tatrichter frei "schalten und walten" 479 konnte- mit anderen Worten: ein "Tummelplatz fiir tatrichterliches Ermessen". 480 Während man dem Strafrahmen früher lediglich die Funktion von Grenzwerten beilegte, die der Tatrichter nicht über- oder unterschreiten durfte, sah Dreher darin

4n Kunz,

Entwicklungslinien, S. 30.

die bezeichnenden Aufsatztitel von Ostenneyer, NJW 1966, 2301 und Schoene, NJW 1967, 1118: "Die Regelstrafe. Ein Versuch zur Linderung des Unbehagens bei der Strafzumessung". 473 Vgl.

414 Montenbruck, 415 Montenbruck,

Abwägung und Umwertung, S. 16. Abwägung und Umwertung, S. 17.

476 0LG Stuttgart, MDR 1961, 343- zu den möglichen Auswirkungen der Schwere-skalatheorie, insbesondere des daraus abgeleiteten Normalfalls auf das Verständnis des Doppelverwertungsverbotes Hetlinger, DVV, S. 134 ff.

Dreher, MDR 1961, 343. Stuttgart, MDR 1961, 343 mit dem Verweis auf Dreher, JZ 1956, 682. 479 Dreher, JZ 1968, 212. 480 Grasnick, Über Schuld, S. 257. 477

478 0LG

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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die Endpunkte einer "unsichtbaren" Schwereskala.481 Der Vergleich der Strafrahmen unterschiedlicher Delikte zeige, daß sie nach Schuld- und Unrechtsschwere gestaffelt seien. 482 Darüber hinaus müssen dieselben Gesichtspunkte aber auch innerhalb des einzelnen Strafrahmens eine Rolle spielen, "denn es wäre widersinnig, die Stafrahmen untereinander primär nach Unrechts- und Schuldschweregesichtspunkten zu bestimmen, innerhalb der Rahmen selbst dann hingegen andere Gesichtspunkte dominieren zu lassen". 483 Folglich stellen Strafrahmenober- und -untergrenze gleichzeitig auch "Schweregrenzwerte"484 dar, zwischen denen sich eine "parallel" zum Strafrahmen verlaufende relative Schwereskala aller denkbaren Fälle erstreckt, angefangen von den denkbar leichtesten bis hin zu den denkbar schwersten, dem Straftatbestand noch unterfallenden Fällen, die jedem dieser Fälle eine seinem Standort auf der Skala entsprechende Strafgröße zuweist. Man verfährt etwa folgendermaßen: Man greift zwei beliebige Fälle aus der Vielzahl denkbarer Deliktsverwirklichungen heraus und vergleicht sie; der vergleichsweise schwerere verdient eine höhere, ein gleichschwerer die gleiche und ein vergleichsweise leichterer eine niedrigere Strafe. Dieses Verfahren ließe sieb ad infinitum fortsetzen. So würde jedem Fall seine relativ zu allen anderen Fällen "richtige" Stelle in' einer Kette von Fällen zuweisen. 485 Diese Kette aller denkbaren Fälle muß dann, um im Bild zu bleiben, auf Strafrahmenlänge auseinandergezogen oder gestaucht werden. Auf diese Weise entstünden zwei von leicht nach schwer geordnete gleichlange Reihen, die Abfolge aller Größen des Strafrahmens und eine ihr paralell laufende, kontinuierliche Schwerefolge aller Fälle. Hält man sie aneinander, so ist daraus für jeden Fall ein Strafmaß ablesbar. 486 Insofern ist der Strafrahmen nichts weiter 481 Dreher, Gerechte Strafe, S. 61 ff; ders., JZ 1966, 682; ders., MDR 1961, 344; ders., JZ 1968, 211; ders., Bruns-FS, S. 149 ff; sowie Dreher/ Tröndle, § 46 Rdnr. 14. 482 Vgl. auch Hettinger, DVV, S. 82- dazu, daß Schuld und Unrecht quantiflzierbare Größen sind, ders. , a.a.O., S. 111 ff. 483 Dreher, Bruns-FS, S. 149. 484 Dreher, Bruns-FS, S. 149. 485 Montenbruck, Strafrahmen, S. 34 f vergleicht dieses Verfahren mit dem Vorgehen eines Juweliers, der eine Perle in eine konisch verlaufende Perlenkette einreiht. Seine Kritik: Dazu müßten erst einmal alle Perlen vorliegen, außerdem müssen alle Perlen die gleichen Eigenschaften aufweisen, dem Juwelier werde es beispielsweise Schwierigkeiten machen, bizarre Flußperlen einzureihen. 486 Vgl. Frisch, Revisionsrechtl. Probleme, S. 163 f.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

als ein "Surrogat für ein Bündel absoluter Strafandrohungen, die, von leicht nach schwer ansteigend, jeder Deliktsverwirklichung eine bestimmte Strafgröße zuordnen würden". 487 Damit wäre es zum Beispiel unvereinbar, wenn der Richter für einen Fall mittlerer Schwere die Mindeststrafe, 488 für einen schweren Fall eine mittlere Strafe oder für einen leichten Fall eine hohe Stafe verhängen wollte. Andersberum ausgedrückt: Schwere Fälle müssen mit einer hohen, leichte mit einer niedrigen und mittlere mit einer mittleren Strafe belegt werden. Das ist nun wahrlich keine erstaunliche Erkenntnis, wenn man es nur einmal nüchtern betrachtet. Entsprechend breite Zustimmung hat dieser Gedanke im Schrifttum489- auch im Ausland490 - gefunden. Allerdings ist er auch vor Kritik nicht verschont geblieben. 491 Es ist sogar gesagt worden, die Richter fühlten sich offensichtlich an den gesetzlieben Strafrahmen im Sinne einer Skala, in der jede Straftat ihren vom Gesetz gewollten Platz bat, nicht gebunden. 492 Grasnick bestätigt diese Einschätzung. Er widerspricht Äußerungen, denen zufolge die 487 Frisch, Revisonsrechtl. Probleme, S. 162- zur Vereinbarkeit mit einem von der Spielraumtheorie vorausgesetzten Spielraum gleich angemessener Strafgrößen vgl. Dreher, Bruns-FS, S. 153 ff einerseits und Frisch, Revisionsrechtl. Probleme, S. 164 ff, insbes. S. 167 andererseits. 488 So in dem OLG Stuttgart, MDR 1961, 343 zugrundeliegenden Fall: die Strafkammer hatte gegen einen llmal mit Freiheitsstrafe von insgesamt mehr als drei Jahren einschlägig vorbestraften Angeklagten wegen Rückfalldiebstahls die unter Zubilligung mildemder Umstände mögliche Mindeststrafe von drei Monaten Gefängnis mit der Begründung verhängt, die Mindeststrafe sei "für den diesmaligen Fall an sich schon relativ hoch". 489 Bruns, 1979, S. 81 ff; ders., 1985, S. 60 ff; ders., JR 1977, 165; Frisch, Revisionsrechtl. Probleme, S. 161 ff; Frisch I Bergmann, JZ 1990, 947; Hellinger, DVV, S. 131; Alberts, Gesetz!. Strafmilderungsgründe, S. 92 ff; Meine, Steuerhinterziehung, Rdnr. 118; Henkel, Die richtige Strafe, S. 21; Kaiser I Schöch, StrZ, Rdnr. 29; teilw. einschr. Montenbruck, Strafrahmen, S. 33 ff; ders., Abwägung und Umwertung, S. 36; Bergmann, Die Milderung der Strafe, S. 25 ff; LK-Hirsch, § 46 Rdnr. 119; SK-Horn, § 46 Rdnr. 51 ; Lackner, § 46 Rdnr. 48; Schönke I SchröderStree, vor§ 38 Rdnr. 42; vgl. auch Maurach I Gössel I Zipf, AT, § 62 Rdnr. 38 : eine "an sich nicht bestrittene Grundprämisse". 490 Siehe für Österreich z.B. Pallin, Strafzumessung, Rdnr. 107; Burgstaller, ZStW

94 (1982), 147.

491 Vgl. Frank, NJW 1977, 686 f; Haegert, JR 1965, 132; Streng, StrafZ und relat. Gerechtigkeit, S. 42 f; ders. , Strafrecht!. Sanktionen, S. 187 f; Bergmann, Die Milderung der Strafe, S. 27 ff; Montenbruck, Strafrahmen, S. 32 ff; Rolinski, Prägnanztendenz, S. 96 f. 492 Kogge, JR 1949,543.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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Vorstellung, daß dem Strafrahmen lediglich die Bedeutung zukäme, das tatrichterliche Ermessen nach oben und unten zu begrenzen, "heute schon lange, auch in der Praxis, als unhaltbar aufgegeben" sei. Die Erfahrung mit einigen, leider nicht ganz wenigen, unbelehrbaren Richtern der Instanzgerichte lehre das Gegenteil. 493 Der Bundesgerichtshof hat die Theorie der Schwereskala jedoch wiederholt bestätigt, und zwar im Rahmen seiner Rechtsprechung zur Strafzumessung in Fällen mittlerer Schwere. Grundlegend: die Entscheidung BGHSt 27, 2 ff, der wir auch die Begriffe "Regel-" und "Normalfall" 494 verdanken. Nach der Ablehnung zumindest des letzteren durch den aufsehenerregenden Entscheid des Großen Senats im Jahre 1987495 war natürlich auch die Theorie der Schwereskala in Gefahr, die sich mit der Existenz eines solchen Normalfalls aufs engste496 verknüpfte, deren natürlicher "Dreh- und Angelpunkt" er war. 497 Umso wichtiger war die klarstellende Entscheidung des l. Senats, der die Irritationen hervorgerufen hatte. Das Urteil, das sich selbst als Fortbildung von BGHSt 27, 2 ff bezeichnet, 498 erwähnt zwar den Gedanken der kontinuierlichen Schwereskala mit keinem Wort, und selbst die Anwendung der von BGHSt 27, 2 (4) aufgestellten Prinzipien auf den vorliegenden Fall wird gerade verneint, da sie nur für den Normalstrafrahmen gelten und nicht auch für den Ausnahmestrafrahmen für besonders schwere oder minder schwere Fälle. 499 Dennoch steht damit fest: Die Richter wollten sich keineswegs von BGHSt 27, 2 ff und der damit verbundenen Anerkennung einer kontinuierlichen Schwereskala (jedenfalls fiir den Normalstrafrahmen) verabschieden. Sie gilt auch weiterhin - für den Regelstrafrahmen, übrigens auch für den Ausnahmestrafrahmen. (Wie sollte es auch anders sein?) Auch dort sind schwerer wiegende Fälle am oberen und leichter am unteren Ende des 493 Grasnick,

Über Schuld, S. 257, Fn. 36 gegenüber Bruns, 1985, S. 260.

494 Den

der BGH selbst freilich noch anders, nämlich als "gedanklichen Durchschnittsfall" tituliert hatte, vgl. Grasnick, Über Schuld, S. 258, Fn. 42; ders., JZ 1991, 934. 495 BGHSt

34, 345 ff. Bruns, JR 1977, 165. 497 Grasnick, Über Schuld, S. 258. 498 BGH NStZ 1988, 86 (Klammerzusatz). 499 Meyer, NStZ 1988, 87 ist in seiner Anmerkung zu dem Urteil daher nicht einmal verständlich, warum der BGH diesen Fall überhaupt zum Anlaß nimmt, BGHSt 27, 2 fortzubilden. 496 So

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

(Ausnahme-)Strafrahmens einzuordnen. Lediglich die Erfahrungsregel, daß die meisten der dem Ausnahmestrafrahmen unterfallenden Fälle im unteren Drittel des Strafrahmens einzuordnen sind, soll dort nicht gelten. 500 3. Einwände gegen die Theorie der kontinuierlichen Schwereskala

a) Das Problem der Extrempositionen Zunächst erscheint es unmöglich, dem Strafrahmenminimum und -maximum den "denkbar leichtesten" und den "denkbar schwersten" Fall zuzuordnen, weil sich ein solcher schon theoretisch gar nicht fmden läßt. Immer läßt sich noch ein leichterer, bzw. schwererer Fall denken.so1 Bei Erfolgsdelikten läßt sich schlicht durch Verdoppelung oder Halbierung des Erfolgs stets ein noch leichterer oder schwererer Fall bilden: statt der Entwendung einer Mark der Diebstahl von 50 Pfennigen, 25 Pfennigen usw., anstelle der Tötung vieler Hundert Menschen durch die Herbeiführung eines Flugzeugabsturzes der Tod vieler Tausend Menschen durch die Sabotage eines Staudamms. 502 Das gilt genau besehen nicht nur für die Extrempositionen, sondern für jeden Punkt der Skala. SOJ Es sind ohne weiteres Fälle denkbar, die zwar streng genommen nicht den gleichen Unwertgehalt haben, deren Differenz aber derart gering erscheint, daß sie einen Unterschied im Strafmaß nicht rechtfertigt. So müßte bei im übrigen gleicher Sachlage der Diebstahl von 100 DM schwerer wiegen als der von 99 DM, was aber in Strafquanten nicht ausdrückbar ist. 504 Das liegt ganz einfach daran, daß das Leben mehr Sachverhaltsvarianten kennt, als ein Strafrahmen Strafgrößen hat. Unter diesen Voraussetzungen kann schon theoretisch nicht jedem Pfennig eine andere Strafgröße entsprechen. sos Aber das Problem ist in den Griff zu bekommen: Schon Dreher mein-

500 BGH

NStZ 1988, 86.

auch Timpe, S. 70 f; Zipf, Strafmaßrevision, S. 79; Hettinger, DVV, S. 131; Alherts, Gesetzliche Strafmilderungsgründe, S. 93; Burgstaller, ZStW 94 (1982), S. 147, Fn. 84; Sarstedt, 41. DJT, D 46. SOl So

502 Beispiele

nach Timpe, S. 70. so3 Das hat Hettinger, DVV, S. 132 nachgewiesen. von Hettinger, DVV, S. 132. sosDas gilt selbst dann, wenn, wie immer wieder betont wird, beispielsweise der Betrugstatbestand mehr als eine Million möglicher Strafen vorsieht - diese Zahl nennt 504 Beispiel

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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te, man dürfe die Grenzwerte des Strafrahmens nicht "theoretisch ausgeklügelten" leichtesten und schwersten Fällen vorbehalten, sondern müsse sie jeweils einer ganzen Gruppe von Fällen zuordnen, die besonders leicht oder besonders schwer wiegen. S06 Wenn man allerdings bedenkt, daß sich an den Grenzen dann Fälle stauen, die durchaus nicht gleichwertig sind (Tod Hunderter von Menschen; Tod Tausender von Menschen), dann gerät damit natürlich auch "die Eignung der Grenzmaße als exakte Fixpunkte einer Schwereskala ins Wanken", wie Dreher selbst eingesteht. SO? Bergmann hält es für diskutabel, die Endpunkte aus diesem Grund ganz unbesetzt zu IassenSOI - was aber praktisch auch nur dazu führte, daß man sich fragen müßte, wie denn die neuen Endpunkte zu besetzen seien. Wollte man darüber hinaus Raum lassen für zukünftige noch schwerere und noch leichtere Fälle, so fragte sich, wie groß dieser Raum beschaffen sein müßte. Bei Vergehen kommt hinzu, daß sie häufig eher einstellungswürdig als strafwürdig sind (§ 153 StPO). Von daher könnte man dafür plädieren, sie ganz aus der Schwereskala herauszunehmen und die niedrigste Strafe Fällen vorzubehalten, die schon oberhalb dieses Bereichs lägen. Auch das ist diskutiert worden. 509 Damit würde aus den fakultativen Einstellungsmöglichkeiten der §§ 153 ff StPO aber obligatorische gemacht, da der Strafrahmen eine Strafe dafür dann nicht mehr vorsähe. Das kann nicht sein. Allenfalls könnte man daran denken, die Strafrahmenuntergrenze auch aus dieser Überlegung heraus unbesetzt zu lassen. Teilweise ist versucht worden, den theoretisch denkbaren die "praktisch vorkommenden" schwersten und leichtesten Fälle gegenüberzustellen und mit ihnen die Endpunkte der Schwereskala zu besetzen. 510 Es sei unwahrscheinlich, daß der Gesetzgeber mit den Strafrahmen alle möglichen FallgestaltUDgen habe erfassen wollen. 511 Plausibler sei die Annahme, daß "unter Verzicht auf das Unpraktische aber Denkbare, das nach der kriminologischen ErfahGrasnick, Über Schuld, S. 263; Bruns, NJW 1979, 289 kommt auf "mehrere Millionen"; bei Henkel, Die richtige Strafe, S. 21 sind es gar 7 bis 8 Milliarden. S06 Dreher, Bruns-FS, S. 160. so? Dreher, Bruns-FS, S. 160. .501 Bergmann,

Die Milderung der Strafe, S. 30.

Bruns-FS, S. 160; Bergmann, Die Milderung der Strafe, S. 30; dazu auch Streng, StrZ u. relat. Gerechtigkeit, S. 44, Fn. 145. 509 Dreher, 510 Vgl.

511 So

dazu Theune, StV 1985, 209.

ausdrücklich Alberts, Gesetzl. Strafmilderungsgründe, S. 93.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

rung praktisch Vorkommende geregelt werden sollte. 512 Zumindest ist gefordert worden, der Gesetzgeber solle sich nicht um die denkbaren, sondern um die praktisch vorkommenden Fälle kümmern. 513 Aber das ist gefährlich: Die Erfahrung lehrt, daß kein Fall so theoretisch oder unwahrscheinlich ist, daß er nicht doch vorkommt. Auch er unterfällt dann dem Tatbestand. Zum Beispiel die Sabotage am Staudamm, auch dafür muß der Strafrahmen eine Strafe bereit halten. Vom Gesetzgeber, der sogar abstrakt-generell vorgehen muß, ist auch nicht zu erwarten, daß er, wie der Richter, nur das praktisch Vorkommende vor Augen hat. Im übrigen ist die Beschränkung der Skala auf "die praktisch vorkommenden Fälle" Augenwischerei. Sie löst das Problem nicht wirklich; immer würde der Verdacht bleiben, daß ein noch leichterer oder noch schwererer Fall auch "praktisch vorkommen" wird. Eine ganz andere Frage ist, ob die Höchst- oder Mindeststrafe nicht auch in einem praktisch vorkommenden Fall verhängt werden darf, obwohl ein noch schwerer oder leichterer Fall denkbar ist. Das ist zu bejahen, weil eine solche Strafe sonst praktisch nie verhängt werden könnte. Das kann nicht im Sinne des Gesetzgebers gewesen sein. Andererseits kann es hingenommen werden, daß ein Täter, der noch schlimmeres angerichtet hat, zu milde beurteilt wird (weil eine schwerere Strafe über das Höchstmaß hinaus nicht verhängt werden kann), oder daß ein späterer noch leichterer Fall ebenfalls mit der Mindeststrafe (weil eine noch mildere Strafe nicht existiert) geahndet wird. b) Andere Motive für die Aufstellung der Strafrahmen

Auf einen weiteren möglichen Einwand hat Frisch hingewiesen, daß für den Gesetzgeber bei Aufstellung der Strafrahmen nämlich gar nicht Schweregrenzen entscheidend waren, sondern vielmehr systematische Erwägungen. 514 So zu verfahren, steht dem Gesetzgeber frei. Aber es steht der These der gleichzeitig damit zum Ausdruck gebrachten Schwereskala auch nur dort entgegen, wo nachweisbar wäre, daß der Gesetzgeber lediglich aus systematischen Gründen über das hinausgegangen wäre, was ihm selbst angemessen er512 1impe, S. 71; zust. Alherts, Gesetz!. Strafmilderungsgründe, S. 93; vgl. auch Dreher, MDR 1961, 344 mit der Bemerkung, "rein theoretische Fälle" könnten wohl ausgeschieden werden. 513 Sarstedt, 41. DJT, D 46. 514 Wie der Wunsch, nicht allzu viele unterschiedliche Strafrahmentypen zu besitzen, Frisch, Revisionsrechtl. Probleme, S. 162.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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schien. 515 Dasselbe ist auch dem gelegentlich geäußerten Einwand 516 entgegenzuhalten, die Strafrahmen, insbesondere ihre Obergrenzen, seien gar nicht nach Unrechts- und Scbuldgesichtspunkten, sondern vielmehr an den Bedürfnissen der Generalprävention ausgerichtet, um potentielle Täter abzuschrecken, hätten also in erster Linie Drohcharakter, 517 und taugten von daher nicht für eine echte Schwereskala. c) Oberproportionales Ansteigen des Strafleidens mit zunehmender Dauer

Gegen das Bild einer kontinuierlichen Schwereskala soll auch das "allgemein anerkannte" Phänomen sprechen, daß das Strafleiden mit zunehmender Dauer überproportional ansteige, daß 4 Jahre Freiheitsstrafe eben gerade nicht doppelt soviel wögen wie 2 Jahre und nicht halbsoviel wie 8 Jahre. 518 Ob es sieb dabei wirklich um einen allgemein akzeptierten Erfahrungssatz handelt, kann offenbleiben. 519 Daß einer Strafeinheit ein unterschiedliches Gewicht zukommen könnte, je nachdem ob die Strafe insgesamt sehr hoch oder niedrig ist, ist jedenfalls nicht ganz von der Hand zu weisen und auch von anderen Autoren schon verschiedentlich vorgebracht worden. 520 Indessen sprechen solche Überlegungen nicht gegen das Modell der Schwereskala als solches, sondern allenfalls gegen die Art ihrer Berechnung. Dem Grundsatz nach kommen auch diese Autoren zum gleichen Ergebnis. 521 Allerdings liegt ihr Durchschnittsfall - je nach Art der Berechnung - entweder niedriger522 als der nach 515 So

auch Frisch, Revisionsrechtl. Probleme, S. 162.

516 Rolinski,

Prägnanztendenz, S. 96. 0ffenbar eine verbreitete Meinung, vgl. Giehring, Pongratz-FS, S. 193: "aus general-präventiven Gründen symbolisch überhöhte Strafandrohungen"; Pallin, Strafzumessung, Rdnr. 108 spricht von einer intendierten "Signalwirkung zum Schutze idee1er Güter", die die Strafrahmen unrealistisch sein ließen. 517

518

Frank, NJW 1977, 686; zust. SK-Horn, § 46 Rdnr. 86.

Haag, Rationale Strafzumessung, S. 76: genausogut wäre eine Abstumpfung mit zunehmender Dauer denkbar. 519 Krit.

520 Rolinski, Prägnanztendenz, S. 94; Medem, GS 26 (1874), 594 f; Durchho/z, GA 35 (1887), 273; Graßberger, ÖJZ 1961, 176 f; Kunst, ÖJZ 1972,541.

auch Montenbruck, Strafrahmen, S. 32; Bergmann, Die Milderung der Strafe, S. 29. 521 So

522 So nach der von Graßberger, ÖJZ 1961, 176 f, vorgeschlagenen Berechnung nach dem sog. Weber-Fechnerschen Gesetz über den Reizzuwachs, wonach eine Reizschwelle in der Empfmdung erst dann überschritten wird, wenn die strengere Strafe die mildere in ihrer Dauer um ein Viertel übersteigt; ihm folgend Lampe, Noll-

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

dem arithmetischen Mittel gebildete gedankliche Durchschnittsfall von Brunsm und Dreher524 oder auch darüber. 525 d) Historischer Wandel

Wenn gesellschaftliche Entwicklung und die zum Strafrahmen geronnenen Strafwürdigkeitsvorstellungen des historischen Gesetzgebers auseinanderfallen, weil sie den sozialpsychologischen Realitäten nicht mehr entsprechen, dann würde den Richter auf die Schwereskala verpflichten zu wollen bedeuten, "ihn sehenden Auges unangebrachte Strafen verhängen zu lassen". 526 Wer, wie Dreher, 527 selbst die Auffassung vertritt, daß der Strafrahmen auch den Sinn habe, Raum fiir geschichtlichen Wandel zu schaffen, der könne den Richter schlecht an die (möglicherweise bereits veraltete) Schwereskala des Strafrahmens binden. 528 Denn Strafrahmen altem, so die Hypothese. Besteht die Bedeutung weiter Strafrahmen aber darin, diesem geschichtlichen Wandel Rechnung zu tragen, dann müßte sich die gesamte Schwereskala und mit ihr der Mittelpunkt im Laufe der Zeit verschieben. 529 Der Fall mittlerer Schwere müßte umso weiter weg von der Mitte liegen, je älter der Strafrahmen ist und FS, S. 242; Burgstaller, 'ZStW 94 (1982), 149; krit. dazu Kunst, ÖJZ 1972, 541; Pallin, Strafzumessung, Rdnr. 100; sowie Spendet, 'ZStW 83 (1971), 239 mit dem Argument, daß dann die Erhöhung des gesetzlichen Höchstmaßes keinen fühlbaren Einfluß auf die als geometriches Mittel berechnete Normalstrafe hätte, beispielsweise die Erhöhung des Strafmaximums bei der fahrlässigen Tötung im Vergleich zur fahrlässigen Körperverletzung um 2 Jahre nur eine Erhöhung der Normalstrafe um 10 Tageein allem Anschein nach untragbares Ergebnis! 523 Bruns,

1985, S. 61.

524 Dreher,

Gerechte Strafe, S. 63 . übersehen - z.B. auch von Montenbruck, Strafrahmen, S. 29 -Medern, GS 26 (1874), 594 f: "dem Strafmaximum näher als dem Strafminimum"; richtig SKHorn, § 46 Rdnr. 94. 525 Häufig

Streng, Strafrechtl. Sanktionen, S. 188. JZ 1967, 43. 528 Frank, NJW 1977, 686; Schöch, Strafzumessungspraxis, S. 21; Montenbruck, Strafrahmen, S. 32. 529 Vgl. schon Wunmer, JR 1947, 137 f, wonach sich "die statistische Durchschnittsstrafe" unter Wahrung der Kontinuität nach unten oder oben verschieben, sich aber nicht sprunghaft verändern dürfe; vgl. auch Exner, Strafzumessungspraxis, S. 103, der es einen "kaum erträglichen" Rechtszustand nennt, wenn die Rechtsprechung anders verfahren wäre und die gesetzlichen Strafmaße auch in späteren Zeiten "noch wortgetreu angewendet" hätte. 526 So

527 Dreher,

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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je mehr sich die Anschauungen der Gesellschaft seitdem gewandelt hätten. 530 In der Vergangenheit sei das anband inzwischen ganz aufgehobener Strafandrohungen wie etwa fiir Ehebruch, Gotteslästerung oder (einfache) Homosexualität531 deutlich geworden: "Sollte hier etwa", so fragt Frank, "die Normalstrafe bis zum Tage vor dem Wegfall der Strafbarkeit in der Mitte des Strafrahmens anzusiedeln gewesen sein?"532 Wenn es stimmte, daß Strafrahmen diese Funktion hätten, dann gäbe es zwar noch eine Schwereskala, aber sie verliefe nicht mehr zwischen den Endpunkten des Strafrahmens, ja sie könnte daraus überhaupt nicht abgelesen werden, weil man stets davon ausgehen müßte, daß ihre tatsächlichen Endpunkte schon "gewandert" wären. Nur wüßte man nicht, wo sie in einem beliebigen Zeitpunkt nach der Aufstellung des Strafrahmens genau lägen. Daß Strafrahmen wirklich diese Bedeutung haben, ist freilich nicht unbestritten. Man kann auch der Meinung sein, daß nicht der Richter, sondern der Gesetzgeber berufen ist, den Wandel der Anschauungen festzustellen und ihm durch Änderung der Gesetze Rechnung zu tragen. 533 Das hieße in der Tat: Die Schwereskala verschiebt sich keinen Millimeter, sondern bleibt bis zum Tag ihrer Außerkraftsetzung an Ort und Stelle. 534 Auch wenn man der "Revolution" des Richters gegen überalterte Strafrahmen aus rechtspolitischen Gründen die Berechtigung nicht grundsätzlich absprechen darf, 535 so bleibt es doch eine

530 Frank, NJW 1977, 686. 531 Dasselbe gilt heute für den § 175 StGB n.F., mit dessen baldiger Autbebung nach Lackner, § 175 vor Rdnr. 1, zu rechnen ist. 532 Frank, NJW 1977, 686. - Eindrucksvolles Beispiel ist die mutige Entscheidung des LG Hamburg, NJW 1951, 853 zu§ 175 StGB a.F., wo das Gericht unter Hinweis auf die Straflosigkeit in anderen Ländern und allgemeinen Erwägungen zur Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit solchen Verhaltens auf die gesetzlich zulässige Mindestgeldstrafe von 3,- DM erkannte- letztlich weil es das Gesetz für verfehlt hielt. 533 So auch Sarstedt, 41. DJT, D 41 gegen Krumme, DRiZ 1955, 210. 534 Darum ist das Urteil LG Hamburg, NJW 1951, 853 zwar verständlich aber dennoch verfehlt, vgl. zu diesem Urteil auch Sarstedt I Gage, Die Revision in Strafsachen, S. 257, Fn. 8 mit dem Hinweis auf die (unveröffentlichte) gegen dieses Urteil gerichtete Entscheidung des BGH; sowie die krit. Anm. von Cüppers, NJW 1951,

853.

535 So Dreher, JZ 1967, 43 -zur "Revolution der Richter gegen den Strafrahmen" auch Dreher, JZ 1968, 212.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

Revolution gegen bestehendes Recht, an das er - wie sonst auch - gebunden ist. 536 Der Einfluß gewandelter Anschauungen auf den Strafrahmen wird jedoch zu einseitig beurteilt. Er muß nicht unbedingt zur Folge haben, daß die gesamte Schwereskala sich bewegt. Geänderte Wertvorstellungen können ja auch dazu führen, daß die gleiche Tat, die früher als besonders schwer beurteilt wurde und deshalb oben auf der Schwereskala zu liegen kam, heute leichter bewertet und auf derselben Skala deshalb niedriger angesiedelt wird, ohne daß sich die Skala deshalb verschoben hätte. 531 Das ist in der Tat viel plausibler als die Vorstellung, der Gesetzgeber hätte mit zu weiten Strafrahmen für die Ewigkeit bauen und fiir Generationen vorsorgen wollen. Wieviel Raum nach oben oder unten sollte er denn gelassen haben, oder hat er etwa nur nach einer Seite hin Spielraum vorgesehen? Und sollte das etwa bedeuten, daß die Mindeststrafe nach Einfiihrung eines neuen Straftatbestandes deshalb nicht verhängt werden dürfte, weil sie erst im Laufe der Zeit (möglicherweise) aktuell werden sollte? e) Änderungen des Strafrahmens

Auf eine weitere Konsequenz hat Dreher hingewiesen. 538 So müßte jede Strafrahmenänderung auch zur Änderung der Strafe in jedem einzelnen Falle führen. Würde etwa die Strafrahmenobergrenze heraufgesetzt, so müßte sich die gesamte Schwereskala nach oben verschieben und die gleiche Tat käme nun an höherer Stelle zum Liegen. Umgekehrt müßte der Richter nach Herabsetzung der gesetzlichen Höchststrafe fiir dieselbe Tat eine niedrigere Strafe zumessen. Nach eigenem Bekunden hat Dreher fiir diese Konsequenz im Sonderausschuß des Bundestages für die Strafrechtsreform nicht immer Verständnis gefunden. 539 Auch der Bundesgerichtshof hat sich nicht immer daran ge536 So im Prinzip auch Frisch, Revisionsrechtl. Probleme, S. 163, Fn. 220; noch drastischer Hassemer, ZStW 90 (1978), 78 gegen Exner, Strafzumessungsprax.is, S. 103: Mit dieser Argumentation würde die Bindung des Richters an das Gesetz schlicht aufgehoben.

537 Auf diese Möglichkeit weist zu Recht Frisch, Revisionsrechtl. Probleme, S. 169 hin; ebenso Bergmann, Die Milderung der Strafe, S. 30, Fn. 176; weniger eindeutig Dreher, Bruns-FS, S. 161 f.

538 Dreher,

JZ 1956, 682; ders., Bruns-FS, S. 150.

539 Dreher,

Bruns-FS, S. 150.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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halten, wenn man Dreher Glauben schenken darf. 540 Dennoch handelt es sich um eine unabweisliche Konsequenz aus der Theorie der Schwereskala - daß sie nicht beachtet wird, diskreditiert weniger die Theorie als deren Anwender. f) Strafrahmenlogik

Der schwerwiegendste Einwand gegen das Modell der kontinuierlichen Schwereskala ist aber ein anderer. Er hängt mit den Unzulänglichkeiten der gesetzlichen Strafrahmen selbst zusammen, schon Frank hat darauf hingewiesen. 541 Dreher mußte zugeben, daß seine These davon abhinge, daß der Gesetzgeber diese Grundsätze bei der Aufstellung der Strafrahmen auch im Auge behielte und nach ihnen verfahre, das sei leider nicht immer der Fall. 542 Wenn das Höchstmaß des Regelstrafrahmens und des Ausnahmestrafrahmens für einen minder schweren Fall gleich ist, wie z.B. in § 224 Abs. 1 und Abs. 2 StGB, dann sei das ein "eklatanter Verstoß" gegen diese Prinzipien. 543 Da das Höchstmaß des Regelstrafrahmens dem denkbar schwersten Fall vorbehalten ist, kann es nicht zugleich für einen minder schweren Fall taugen. Ähnlichen Bedenken begegnen auch § 83 Abs. I Satz I und 2 StGB, wo das Mindestmaß für den minder schweren Fall dasselbe sein soll wie für den dem Regelstrafrahmen unterfallenden Fall. 544 Häufig decken sich auch das Höchstmaß von besonders schwerem Fall und Regestrafrahmen, 545 so daß man sich fragen muß, ob tatsächlich nicht einmal der schwerste unter den besonders schweren Fällen eine höhere Strafe verdient als sie der Regelstrafrahmen für einen schweren, aber eben keinen besonders schweren Fall androht. 546

540 Dreher, Bruns-FS, S. 150 verweist auf unveröffentlichte Entscheidungen, wie sie bei Einführung des EGStGB vorgekommen sind , wo sich ein Strafrahmen zwischen tatrichterlichem Urteil und Revisionsentscheidung geändert hatte. 541 Frank,

NJW 1977, 687.

542 Dreher,

Bruns-FS, S. 150.

543 Dreher,

Bruns-FS, S. 151.

544 Dreher,

Bruns-FS, S. 151.

545 Z.B.

in§ 176 Abs. 1 und Abs. 3, in§ 223 b Abs. 1 und 2; § 292 Abs. 1 und 2 StGB. Eine Aufstellung sämtlicher Fälle findet sich bei Montenbruck, Strafrahmen, s. 70. 546 Vgl. Dreher, Bruns-FS, S. 151; ebenfalls krit. Hettinger, DVV, S. 219 f; Maurach I Gössel I Zipf, AT, § 62 Rdnr. 42. 13 Fahl

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

Völlig ungeklärt ist, wie sich dies mit der gängigen Definition der Rechtsprechung für einen besonders schweren Fall verträgt. Danach soll ein besonders schwerer Fall dann zu bejahen sein, "wenn die Tat die erfahrungsgemäß vorkommenden und deshalb vom Gesetzgeber für den Spielraum des ordentlichen Strafrahmens schon bedachten Fälle an Strafwürdigkeit so übertrifft, daß der ordentliche Strafrahmen zur Sühne nicht ausreicht". 547 Wenn Höchstmaß von Regel- und Ausnahmestrafrahmen für besonders schwere Fälle sich decken, dann reicht doch offenbar der eine Strafrahmen genausogut hin wie der andere und dürfte es den besonders schweren Fall gar nicht geben. In einer solchen Situation ist die Formel des BGH eindeutig unbrauchbar. 548 Davon abgesehen ist die Formel aber noch aus einem anderen Grunde bedenklich: Wenn die Rechtsprechung vom Richter fordert festzustellen, daß der ordentliche Strafrahmen zur Sühne nicht ausreicht, dann kann dieser über die angemessene Ahndung Auskunft gebende Maßstab unmöglich die für die Schwereeinschätzung eines Falles maßgebliche kontinuierliche Schwereskala sein. 549 Denn damit kann man niemals zu dem Ergebnis gelangen, daß der vorhandene Strafrahmen zu eng sei. Der Richter kann dazu überhaupt nur kommen, wenn er einen anderen, nicht dem Gesetz entnommenen Maßstab anlegt, den Dreher das "geheime Metermaß" 550 genannt hatte und von dem die Lehre von der Schwereskala ihn durch die enge Bindung seiner Wertungen an den Strafrahmen gerade befreien wollte. m

547 Ständige Rspr.; vgl. nur BGH NJW 1952, 234; BGH NJW 1953, 1481; BGHSt 5 , 130; 12, 256; 29, 322; die Formulierung läßt sich bis in die Motive des StGB für den Norddeutschen Bund zurückverfolgen, vgl. dazu Maiwald, NStZ 1984, S. 435, Fn. 22 und findet sich schon in der Rspr. des Reichsgerichts: vgl. nur RGSt 73 , 176; 76, 52. 548 Vgl. zu dem gleichen Widerspruch im Überschneidungsbereich von Regel- und Ausnahmestrafrahmen auch Maiwald, NStZ 1984,436; Frisch I Bergmann, JZ 1990, S. 948 sowie S. 946, Fn. 26: Wie soll denn der ordentliche Strafrahmen "zur Sühne nicht ausreichen", wenn letztlich doch eine innerhalb des Normalstrafrahmens liegende Größe gewählt wird? 549 So auch Frisch I Bergmann, JZ 1990, 947; vgl. schon Bergmann, Die Milderung der Strafe, S. 32 m.w.Nachw. 550 Dreher, MDR 1961,344. 551 Die Formel der Rechtsprechung ist deshalb mit der Schwereskala unvereinbar, was manche Autoren bereits befürchten läßt, es könnte die Rechtsprechung dazu veranlassen "eher dieses von der Theorie übernommene und vielleicht nur halbherzig geliebte Modell aufzugeben, als auf die bequeme These von der Gesamtbetrachtung zu verzichten", Frisch I Bergmann, JZ 1990, 948.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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Selbst wenn sich Strafrahmenober- oder -untergrenze nicht decken, ist die Lage keineswegs glücklicher. In den allermeisten Vorschriften überschneiden sich Regel- und Ausnahmestrafrahmen dann über weite Strecken, 552 was unter dem Gesichtspunkt der dem Strafrahmen parallel verlaufenden Schwereskala nicht weniger bedenklich erscheint: 553 "Wie soll man einem unbefangenen Beurteiler verständlich machen", fragt Dreher, "daß das Mindestmaß der Freiheitsstrafe für einen einfachen Diebstahl bei einem Monat liegt, hingegen bei einer Tat, deren Gewicht eine Freiheitsstrafe von 3 Monaten rechtfertigt, schon ein besonders schwerer Fall gegeben sein kann?" 554 Dabei ist doch klar, daß alles, was in diesem unteren Bereich von unter 3 Monaten liegt, ohnehin nicht die besonders schweren Fälle sein könnenm - der Strafrahmen für den einfachen Diebstahl reicht bis zu 5 Jahren. 556 Daß umgekehrt der Bereich darüber eben den besonders schweren Fällen und nicht den leichten oder mittleren Fällen zugedacht ist, hätte der Richter auch dann bemerkt, wenn der Gesetzgeber es nicht ausdrücklich hineingeschrieben hätte. 557 In dem Überschneidungsbereich ist es dem Richter nun möglich zu argumentieren, der Angeklagte habe einen recht schwerwiegenden Fall einer "normalen" Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 1 StGB begangen, so daß man doch schon an die obere Grenze des Normalstrafrahmens herangehen müsse: 4 Jahre Freiheitsstrafe. Der Richter kann aber ebensogut sagen, es liege ein verhältnismäßig leichter Fall unter den besonders schweren Fällen vor, weshalb sich die Strafe mit 4 Jahren noch im unteren Drittel des hierfür geltenden Ausnahmestrafrahmens bewege.s.ss Welche Argumentation soll der Richter 552 Ausnahme: § 250 Abs. 1 und 2 StGB, wo beide ohne Überschneidung aneinander anschließen; eine Zusammenstellung aller b.s.F. mit ihren Strafrahmen im Verhältnis zum Normalstrafrahmen gibt Montenbruck, Strafrahmen und Strafzumessung, s. 69.

mSo auch Dreher, Bruns-FS, S. 151. Bruns-FS, S. 151. mSo auch Maiwald, NStZ 1984, 436 zu§ 176 StGB; ebenso Mauroch I Gössel I Zipf, AT, § 62 Rdnr. 42. 556 Eine Höchststrafe, die übrigens immer wieder als unrealistisch genannt wird, vgl. Dreher, Bruns-FS, S. 152; Sarstedt, 41 . DJT, D 45; Bergmann, Die Milderung der Strafe, S. 30; Streng, Strafrecht!. Sanktionen, S. 189. 551 Maiwald, NStZ 1984, 436. 558 Beispiel nach Maiwald, NStZ 1984, 435. 554 Dreher,

!3•

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

wählen? Und vor allem: Welchen Sinn hat es dann überhaupt, vom Tatrichter zu verlangen, er möge darlegen, ob die Strafe tür einen schwerwiegenden Normalfall oder einen leicht wiegenden besonders schweren Fall ausgesprochen wird? 559 Was ist davon zu halten, wenn ein Richter die einfache Urkundenfälschung mit 4 Jahren (nicht einmal die Höchststrafe) bestraft und nebenan tür eine besonders schwere Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 3 StOB die Hälfte (nicht einmal das Mindestmaß) verhängt wird? Welchen Sinn soll es haben, wenn der Richter entweder einen schweren Fall "verneinen oder aber sagen kann, nun gut, es ist ein schwerer Fall, aber ich bestrafe ihn nicht schwerer?"S6l Maiwald kommt zu dem Schluß, daß die Figur der besonders schweren Fälle ein Fehlgriff gewesen ist. 561 Dreher meint, die Theorie von der Schwereskala funktioniere abstrakt einwandfrei, mit ihrer Hilfe ließen sich auch praktische Ergebnisse erreichen.562 Er will seine Thesen darum aufrecht erhalten, "auch wenn das Gesetz ihnen in einzelnen Fällen nicht Rechnung trägt. "563 Nicht die Theorie, sondern das Gesetz selbst sei falsch. 564 Bergmann hält die Einwände Franks565 und anderer damit tür überzeugend widerlegt. 566 Aber ein Modell, das sich zu dem in Widerspruch setzt, was es erklären soll, bleibt fragwürdig. Zu seiner Rechtfertigung läßt sich nur vorbringen, was Montenbruck schon über den gesamte Vorgang gesagt hat: All die gesetzlichen Vorgaben wären ebenso wie die strafrichterliche Handhabung - offen-

559 So fragt Maiwald, NStZ 1984, 436. -Der Richter muß sich stets ffir einen Strafrahmen entscheiden und darf auch die Frage nicht mit der Begründung offen lassen, die konkret festgesetzte Strafe liege innerhalb beider möglicher Strafrahmen, siehe OLG Schleswig NStZ 1986, 511. S«J Sarstedt, 41. DJT, D 50.

561 Maiwald, NStZ 1984, 436; ähnl. schon ders., Gallas-FS, S. 160 ff mit dem einzig vernünftigen Vorschlag, zunächst einen Strafrahmen ffir das einfache Delikt zu schaffen, der auch ffir verhältnismäßig gravierende Fallgestaltung noch angemessen erscheint, sodann sei ffir besonders schwere Fälle ein Strafrahmen anzuschließen, dessen Untergrenze von der Höchststrafe ffir das einfache Delikt gebildet wird. 562 Dreher, 563 Dreher,

Bruns-FS, S. 160.

Bruns-FS, S. 152. Dreher, Bruns-FS, S. 151. 565 Frank, NJW 1977, 686. 566 Bergmann, Die Milderung der Strafe, S. 29, Fn. 167.

564 So

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kundig - verfassungswidrig, gäbe es bessere Alternativen. Nur, mit ihnen leben wir derzeit besser als ohne sie. 567 g) Zirkelhaftigkeit Strengs Vorwurf an die Schwereskalatheorie ist der, daß es sich um einen unnützen "Zirkelschluß" handele. 568 Die Vorstellung, fiir den konkreten Fall sei eine Strafe angemessen, die in der Mitte des fraglichen Strafrahmens liegt, führe dazu, die Tat als mittelschwer einzustufen. Der Richter gewinne auf diese Weise nur seine eigene, subjektive Wertung zurück. Damit erfülle das Modell nicht seinen Zweck, den Richter an die Wertung des Gesetzgebers zu binden: "der Regelungseffekt der Schwereskala liegt folglich bei Null". 569 Ganz ähnlich der Vorwurf des Zirkelschlusses bei Montenbruck: Wer die Schwere einer Tat im Sinne der kontinuierlichen Schwereskala ermittelt habe, der habe bereits schon die Strafe zur Hand, die fiir die Tat angemessen ist. Das eigentliche Problem, die Schwere der Tat zu bemessen, sei auf diese Weise nicht zu lösen. 570 Der Vorwurf, der sicher nicht ganz von der Hand zu weisen ist, ist auch aus anderem Zusammenhang bekannt. Daß die Richter zuerst auf das Ergebnis sehen, um dann die Einsatzwerte zu bilden, ist zum Beispiel bei der Bildung der Gesamtstrafe nach § 54 StOB schon immer vermutet worden,571 und auch bei der Tatbestandsauslegung liegt ja der Verdacht nahe, daß schon hier auf das Ergebnis geschielt wird. Berühmtestes Beispiel: der § 211 StOB mit seiner häufig fiir verfehlt gehaltenen lebenslänglichen Freiheitsstrafe und die daraus resultierenden Umgehungsversuche. Der Vorwurf trifft aber weniger das Modell als seine Handhabung durch den Richter. Auch wenn man ihren Wert nicht besonders hoch einschätzt, so kann man doch den Gedanken einer in das Gesetz "eingebauten"m Schwereskala nicht völlig ablehnen. Soviel gesteht auch Montenbruck zu: "Unbestreitbar richtig ist zunächst Drehers Ausgangspunkt, daß der Strafrahmen sich unterteilen lasse in eine Abwägung und Umwertung, S. 17. StrafZ und relat. Gerechtigkeit, S. 43; ders. , Strafrechtl. Sanktionen, S. 187; ähnl. Montenbruck, Strafrahmen, S. 34. 569 So Streng, Strafrechtl. Sanktionen, S. 187; ebenso schon ders., StrZ und relat. Gerechtigkeit, S. 43 570 Montenbruck, Strafrahmen, S. 34. 571 Vgl. dazu nur Bruns, 1974, S. 475. mBruns, 1974, S. 84. 561 Montenbruck,

568 Streng,

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

kontinuierliche Strafenskala nach Maßgabe der Schwere der Tat .• m Daß sie für sich genommen nicht schon mit letzter Genauigkeit die "richtige" Strafe hervorbringt, hat Dreher selbst mit den Worten zugegeben, daß die Schwereskala nur ein "relatives Ungefähr" liefere. 574 Auch Streng spricht dem Modell nicht jede Berechtigung ab, konsentiert vielmehr, daß die Lehre "sehr begrenzte Hilfen für den überaus bedeutsamen richtigen Einstieg in den Strafrahmen bieten kann". 515 4. Die Suche nach der "Einstiegsstelle"

a) Die Entscheidung BGHSt 27, 2 (4) Als Meilenstein bei der Bewältigung der letzten Phase der Strafzumessung und als Bestätigung der Theorie Drehers von der kontinuierlichen Schwereskala wird die Entscheidung BGHSt 27, 2576 gehandelt. Bruns sieht darin "ein erfreuliches Zeichen für die Aufgeschlossenheit der Rechtsprechung für solche, scheinbar theoretische, Probleme". 577 In der amtlichen Sammlung ist sie überschrieben mit dem Stichwort: "Zur Strafzumessung bei Fällen mittlerer Schwere". Die Strafkammer stimmte mit dem Verteidiger nach Abwägung aller Umstände darin überein, daß es sich bei dem vorliegenden Fall um einen "etwas herausgehobenen Durchschnittsfall" handele und maß dafür - entgegen der Intention des Verteidigers - eine Strafe zu, die exakt dem rechnerischen Mittel des Strafrahmens entsprach, dieser legte Revision ein. Der Strafausspruch wurde aufgehoben. In der Entscheidung bekennt sich der 3. Senat zur Schwereskala: Dem Strafausspruch der Kammer liege die zutreffende Vorstellung zugrunde, daß die nach dem gegebenen Strafrahmen zulässigen Strafen eine "Stufenfolge" bilden, "denen die konkret zu beurteilende Tat bei der

513 Montenbruck,

s. 36.

Strafrahmen, S. 33; ähnl. ders., Abwägung und Umwertung,

514 Dreher, Bruns-FS, S. 160; vgl. auch dens., Bruns-FS, S. 154: "Wir haben die Meßlatte (nämlich: die dem Strafrahmen entnommene Schwereskala), aber uns fehlt die Waage (um die Schwere zu wiegen!)." 515 Streng,

s. 45.

Strafrechtl. Sanktionen, S. 188; ders., StrZ u. relat. Gerechtigkeit,

576 NJW 1976, 2355; MDR 1976, 1032; JZ 1977, 68; mit Anm. Bruns, JR 1977, 164; Anm. Hassemer, JuS 1977, 267; Anm. Frank, NJW 1977, 686. sn Bruns, 1985, S. 61.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

199

Strafzumessung zugeordnet werden muß, und daß ein Fall mittlerer Schwere seine Entsprechung auch etwa in der Mitte dieser Stufenfolge, also in der Mitte des Strafrahmens haben wird" . 518 Indes habe die Strafkammer klarzumachen versäumt, "von welchem Begriff des Durchschnittsfalls" sie ausgegangen sei. Mit Recht habe die Revision darauf hingewiesen, daß man die Schwere eines Falles sowohl an den denkbaren als auch an den praktisch am häufigsten vorkommenden Fällen messen könne. 519 Damit war das Problem des richtigen Einstiegs in die Schwereskala angesprochen. Erstmals werden die Begriffe des "Durchschnitts-" und des "Regelfalls" auch in der Rechtsprechung erwähnt und voneinander abgegrenzt: Der denkmäßige (theoretische, gedankliche) Durchschnittsfall, der später zum normativen Normalfall wurde und dessen Strafwürdigkeit der mathematischen Mitte des Strafrahmens entspreche, sei zu unterscheiden vom tatsächlichen (statistischen) Durchschnittsfall, dem sog. Regelfall, der weit darunter liege: "Falsch wäre es dagegen, eine Strafe aus der Mitte des Strafrahmens zu wählen, wenn die Schwere der Tat im mittleren Bereich der erfahrungsgemäß immer wieder vorkommenden Fälle liegt. Denn die große Mehrzahl der Straftaten erreicht schon wegen der weiten Fassung der gesetzlichen Tatbestände nur einen verhältnismäßig geringen Schweregrad. Verwendet man diese zahlreichen Fälle zusammen mit den bei weitem weniger häufigen schweren und schwersten Fällen bei der Ermittlung des Durchschnittswertes der Tatschwere, so muß dieser Wert, der den Regelfall kennzeichnet, notwendig in einem Bereich unter der Mitte der vom Gesetzgeber ins Auge gefaßten Tatbestandsverwirklichungen, die er sämtlich mit der durch Höchst- und Mindeststrafe begrenzten Strafandrohung treffen will, liegen.• sso Auch diese Unterscheidung, sowie die Begründung dafür, geht auf Überlegungen von Dreher zurück. Man könne behaupten, schrieb Dreher, daß der tatsächliche Durchschnittsfall stets unterhalb der Mitte zu finden sei: "Denn es liegt im Wesen des Menschen, daß er kleine Schritte vom Wege leichter

518 BGHSt

27, 4. 27, 4. - Unverständlich daher, wie derselbe Fehler keine sechs Jahre später dem LG Limburg erneut unterlaufen konnte, das auf das arithmetische Mittel des Strafrahmens in einem Totschlagsfall erkannte, weil die Tat ihrem Gewicht nach als "durchschnittlicher" Fall zu werten sei, ohne anzugeben, von welchem Begriff des Durchschnittsfalls es ausging - der BGH wiederholte seine Ausführungen, BGH NStZ 1984, 20. 579 BGHSt

580 BGHSt

27, 4.

200

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

geht als große, und es ist eine Binsenwahrheit, daß der Umfang der kleinen Kriminalität den der großen bei weitem übertrifft" - woraus er folgert, "daß notwendigerweise der Durchschnittsfall aller vorkommenden Fälle des gleichen Delikts schweremäßig unter der Mitte des denkmäßigen Durchschnittsfalles liegen muß". 581 Darauf haben auch Bruns und Sarstedt hingewiesen: "Es ist ja nicht so, daß der Fall, der an Schwere und Bedeutung in der Mitte zwischen dem leichtesten und dem schwersten denkbaren Fall liegt, statistisch der häufigste, der Regelfall sein müßte". 582 Ähnliche Gedanken finden sich bei Ostermeyer. 583 Bei Ostermeyer584 stößt man auch auf den Ausdruck, der den Bemühungen um die Einstiegsstelle den (häufig eher mit negativen Konnotationen verbundenen) Namen "Nullpunktlehren" eingetragen hat. 585 Mit dem theoretischen Durchschnittsfall und dem davon abzugrenzenden praktischen Durchschnittsfall hatte man zwei Fälle, deren Standort auf der Schwereskala vermeintlich feststand und zu denen man einen konkret zu entscheidenden Fall dann in Beziehung setzen konnte. Auf diese Weise sollten sie als "Einstiegsstelle" 586 in den Strafrahmen dienen. Aber die Sicherheit war trügerisch: Da war der denkmäßige (theoretische, gedankliche) Durchschnittsfall in der Mitte des Strafrahmens, gegen den all die Einwände zutrafen, die schon gegen die Schwereskala als solche aufgekommen waren: Wie sollte man die Mitte des Strafrahmens errechnen? Lag er im arithmetischen oder im geometrischen Mittel des Strafrahmens?587 Genau in der Mitte oder "etwa" in der 581 Dreher,

Gerechte Strafe, S. 63.

582 Sarstedt,

41. DJT, D 47; wörtlich wiedergegeben bei Bruns, 1974, S. 85.

Strafunrecht, S. 88; ders., NJW 1966, 2302: "Die Mitte des Strafrahmens entspricht dem mittleren Durchschnitt der denkbaren, aber nicht der vorkommenden Fälle." 583 Ostermeyer,

584 0stermeyer, Strafunrecht, S. 88 und S. 80, wo das Fehlen eines "Nullpunktes" für die Bewertungsrichtung schärfend I mildernd als das Grundübel herausgestellt wird; vgl. auch Ostermeyer, NJW 1966, 2302 f, wo beides ebenfalls nicht sauber getrennt wird und von "Nullwert" die Rede ist. 585 Montenbruck, Strafrahmen, S. 30; Bruns, JZ 1988, 1057; Grasnick, Über Schuld, S. 259; Hettinger, DVV, S. 134. 586 Der Ausdruck hat sich eingebürgert: z.B. Bruns, JR 1977, 165 in der Anm. zu BGHSt 27, 2; Pallin, Strafzumessung, Rdnr. 107, 108; Grasnick, Über Schuld, S. 259; Henkel, Die richtige Strafe, S. 22; Schöch, Strafzumessungspraxis, S. 9; Kaiser I Schöch , StrZ, Rdnr. 29; Frisch, GA 1989, 350; Lackner, § 46 Rdnr. 48, 32. 587 Dazu

der Streit, ob das Strafleiden mit zunehmender Dauer überproportional ansteigt oder vielmehr aufgrund der Gewöhnung abnimmt, Haag, Rationale Strafzumessung, S. 76.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

201

Mitte?588 Warum überhaupt die Mitte? Denkbar wäre ja auch, daß der Gesetzgeber bei diesem oder jenem Delikt der Meinung gewesen ist, es kämen dort mehr außergewöhnliche Konstellationen vor als bei einem anderen und deshalb nach oben mehr Raum gelassen hätte als nach unten oder umgekehrt. 589 Und der Regelfall? Wo genausoll er liegen? Der "Bereich unter der Mitte der vom Gesetzgeber ins Auge gefaßten Tatbestandsverwirklichungen "590 ist weit - ist genau genommen die Hälfte des gesetzlichen Strafrahmens. Teils ist vorgeschlagen worden, den Strafrahmen zur besseren Orientierung zu dritteln: mittleres Drittel theoretischer Durchschnittsfall591 - unteres Drittel Regelfall. 592 Damit wäre, zumindest was den Regelfall anbelangt, der Bereich weiter eingeengt. Ostermeyer meint, man träfe "ungefähr das Richtige, bemißt man die Strafe für den Regelfall eines Delikts auf so viele Monate, wie der Strafrahmen Jahre anordnet. "593 Für eine solche Faustregel gibt es allerdings keinerlei wissenschaftlichen Halt. 594 Das Bedürfnis für einen oder mehrere "Fixationspunkte" neben den Strafrahmenextremen war jedoch groß. Deshalb betrachtete man anfangs beide Einstiegshilfen als durchaus gleichwertige Orientierungspunkte auf der vom Strafrahmen vorgegebenen Schwereskala, wie ein Zitat von Bruns belegt, nach dem beide -je nach Sachlage - bei der Beurteilung derartiger Strafzumessungsfragen häufig Bedeutung gewönnen. 595 Heute lehnt Bruns die Orientierung am "für die Einstufung ungeeigneten gedank-

588 So BGHSt 27, 4- zu dieser Passage Grasnick, Über Schuld, S. 258: "Also möglicherweise auch etwas darüber oder darunter?" - Montenbruck, Strafrahmen, S. 34 meint, der Gedanke einer "herausgehobenen Mitte" widerspreche doch eher der Vorstellung von einem "Strafrahmen". 589 Auf diese Möglichkeit hat schon Exner, Strafzumessungspraxis, S. 60 hingewiesen; vgl. auch Hettinger, DVV, S. 145. 590 So

gibt BGHSt 27, 4 seinen Standort an.

Dreher, NJW 1951, 574; Bruns, 1974, S. 85, Fn. 12; ders., JR 1977, 165. SK-Horn, § 46 Rdnr. 87; sowie Bruns, Neues Strafzumessungsrecht?, S. 64 u. 69: "unter der Mitte des Rahmens, etwa im unteren Drittel"; Pallin, Strafzumessung, Rdnr. 108, 109 plädiert für 1 I 4 der Obergrenze als übliche Einstiegsstelle für die Regelfälle. 591 So

592 So

593 Ostenneyer,

NJW 1966, 2303; ders., Strafunrecht, S. 89.

auch Zipf, Strafmaßrevision, S. 78; Bruns, 1974, S. 87; weniger scharf Schoene, NJW 1967, 1119: "zu schematisch". 595 Bruns, 1974, S. 86; ders., Welzel-FS, S. 759; vgl. auch Bruns, ZStW 94 (1982), 116: Orientierung an beiden. 594 So

202

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

liehen Durchschnittsfall" ab596 und rät nunmehr, sich nur noch am davon zu unterscheidenden Regelfall zu orientieren. 591 Hintergrund für den Anschauungswandel war die bereits erörterte Entscheidung des Großen Senats, in der dieser die Existenz des "normativen Normalfalls" vemeinte. 598 Bruns selbst betont zwar, daß der zur höhenmäßigen Einordnung in den Strafrahmen dienende Begriff des (gedanklichen) Durchschnittsfalles nichts mit dem zur Festlegung der Bewertungsrichtung einzelner Umstände verwendeten Begriff des (normativen) Normalfalles zu tun habe. 599 In der Literatur waren sie jedoch längst gleichgesetzt worden. (00 Die Ablehnung des "normativen Normalfalls" wurde deshalb auch als Abschied vom "gedanklichen Durchschnittsfall" verstanden. 601 Der Hinweis in der Entscheidung, 602 daß der abzulehnende normative Normalfall nicht zu verwechseln sei mit dem "Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle", stützt diese Vermutung, wenngleich hier vieles im unklaren liegt. Teilweise sind beide - Regelfall und Normalfall deshalb ganz aufgegeben worden. 603 Jedenfalls hat die Diskussion um das Ur-

596 Anders noch Bruns, 1974, 85: "Auf ihn ist prinzipiell abzustellen, nicht auf den Regelfall, wenn es darum geht, davon abweichende Fälle in der oberen oder unteren Hälfte des Strafrahmens einzustufen oder dort noch feinere Untergruppen der Strafwürdigkeit zu bilden." 591 Bruns,

JZ 1988, 1057.

598 BGHSt

34, 351. JZ 1988, 1055. (OOVgl. Grasnick, Über Schuld, S. 258, Fn. 42: "Der BGH selbst spricht allerdings nicht vom "Normalfall" sondern vom theoretischen "Durchschnitts fall", den er dem praktisch vorkommenden "Regelfall" gegenüberstellt. Ich halte diese Terminologie nicht für ganz unbedenklich, weil sie -kaum weniger als der "Durchschnittsfall" - zu der Ansicht verleitet, es ginge um den Fall, der sich "regelmäßig" ereignet. Bei der Bezeichnung "Normalfall" wird sich zwar die Assoziation zu "normalerweise" im Sinne von "üblicherweise" auch nicht völlig von der Hand weisen lassen. Doch dürfte es hier näher liegen, an das "Normale" als dasjenige zu denken, das keine Besonderheiten aufweist." 601 Grasnick, JZ 1988, 157; ders., JA 1990, 85 f; ders., JZ 1991, 934; ebenso Schall I Schirnnacher, Jura 1992, 518 f. 602 BGHSt 34, 351. 599 Bruns,

603 Sehr aufschlußreich vor diesem Hintergrund der Vergleich folgender Auflagen von Lackner, StGB: 17. Aufl., 1987, § 46 Anm. 5 b: "Dennoch bieten sie doch eine gewisse Hilfe für das Auffinden der sog. Einstiegsstelle"; 18. Aufl., 1989, § 46 Anm. V 2: "immerhin eine gewisse Hilfe"; 18. Aufl., 1991, § 46 Rdnr. 48: "keinen unmittelbar anwendbaren Maßstab für das Auffmden der sog. Einstiegsstelle" .

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

203

teil, auch schon im Vorfeld, zur Aufspaltung in zwei Lager geführt. 604 Seitdem stehen sich Regelfall und Normalfall als konträre Pole auch und vor allem dort gegenüber, wo es um die Einordnung eines Falles in den Strafrahmen geht. Damit ist die Entwicklung, die von BGHSt 27, 2 gewollt oder ungewollt ausging, ausreichend beschrieben und der Hintergrund vorgezeichnet, vor dem nun das "Regeltatbild" möglicherweise Bedeutung erlangen kann. Freilich sind auch Zweifel daran laut geworden, ob der BGH überhaupt im Sinn hatte, den theoretischen Durchschnittsfall als neuen Topos in die Strafzumessung einzuführen. Man könnte die Entscheidung auch so verstehen, daß das Gericht sich gerade gegen die Einführung dieser Rechtsfigur ohne nähere Erörterung verwahrt. 605 So meinte auch Hettinger, die Entscheidung des BGH betreffe in Wahrheit den einzigen Fall, in dem die Denkfigur vom theoretischen Durchschnittsfall zu einer konkreten Sachaussage führen könne, weil der Richter nämlich offensichtlich verkannt habe, daß "Durchschnittsfall" und "Regelfall" keine Synonyme sind, infolge dieses Irrtums den theoretischen (denkbaren) mit dem praktisch am häufigsten vorkommenden Fall gleichsetzte und hierfür eine (zu hohe) Strafe aus der Mitte des Strafrahmens zumaß. 606 b) Der theoretische (denkmäßige, gedankliche) Durchschnittsfall

Abgesehen von der Berechnung seines Standortes besteht das Hauptproblem des gedanklichen Durchschnittsfalls in seiner Beschreibung. Dazu muß aber zunächst klar sein, was damit gemeint sein soll. Herkömmlich wird er verstanden als der Fall, der genau in der Mitte auf der Strecke vom denkbar leichtesten bis zum denkbar schwersten Fall liegt. Anders muß man freilich definieren, wenn man die Schwereskala nicht zwischen den denkbaren, sondern zwischen den praktisch vorkommenden Fällen sich erstrecken lassen will. 607 Aber das ist nicht das letzte Problem, das bewältigt werden muß, bevor man auch nur den Versuch einer Beschreibung wagen kann. So ist bisher viel zu wenig beachtet worden, daß erst einmal entschieden sein muß, ob dar604 Für

den Nonnalfall: Grasnick, JZ 1988, 157 ff; für den Regelfall: SK-Horn,

§ 46 Rdnr. 87 ff; ders., StV 1986, 169 f; Bruns, JZ 1988, 1057.

Montenbruck, Strafrahmen, S. 31. DVV, S. 144. 607 Vgl. 1heune, StV 1985, 209: "Nach alledem ist der mittelschwere Fall in der Mitte zwischen den tatsächlichen Fällen zu fmden, ffir die bereits eine Mindeststrafe ausreichte, und denen, ffir welche schon die Höchststrafe verhängt werden mußte." 605 So

606 Hettinger,

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

unter ein Fall zu verstehen sein soll, in dem sich Strafmilderungs-und Strafschärfungsgründe "die Waage balten"ros- auch das ist vertreten worden- oder aber der Fall, "bei dem keine schärfenden und keine strafmildemden Umstände vorliegen" . 619 Beide erfüllen die Voraussetzungen an die Denkfigur des gedanklichen Durchschnittsfalls als Mittelpunkt der kontinuierlichen Schwereskala, sie sind aber als Einstiegsstelle in ganz unterschiedlichem Maße geeignet: Ersterer kommt in der Praxis häufig vor, ist allerdings kaum beschreibbar, weil die verschiedensten Strafzumessungsgründe auftreten und sich gegeneinander aufheben können. Diesen Ansatz kann man ausscheiden. Zipf10 bat stellvertretend für eine ganze Reihe von Kritikem611 in aller Deutlichkeit festgestellt, daß "wegen des nichtgeschlossenen Kreises der Strafzumessungsfaktoren und des jeweils völlig unterschiedlichen Gewichts eines Faktors im konkreten Fall ... das Vorstellungsmodell eines Durchschnittsfalles nirgends im Strafzumessungsrecbt wirklich weiterhelfen" kann. Und zwar demonstriert er das am Beispiel des Diebstahls, wo aus der Vielzahl der möglichen Strafzumessungsfaktoren nur zwei herausgegriffen werden: Sei es schon kaum möglich, beispielsweise einen durchschnittlichen Beutewert anzugeben und noch viel weniger möglich, ein durchschnittliches Tatmotiv zu nennen, so werde aber jede Möglichkeit der Bestimmung eines Durchschnittsfalles "eklatant zunichte gemacht, wenn man auch nur aus der Kombination dieser beiden einen Durchschnittsfall ermitteln wollte". 612 - Der Vorwurf ist stets derselbe und kann schon gegen das Modell der Schwereskala an sich erhoben werden: Wenn als Schwerekriterien für die Skala Unrecht und Schuld maßgeblich sein sollen, dann ist schon aus diesem Grunde von Beginn jeglicher Strafzumessung an klar, daß nichtidentische Fälle zum gleichen Punkt der Skala führen, nämlich hohes Unrecht bei geringer Schuld und geringes Unrecht bei hoher Schuld. Der Grund ist, daß derlei Umstände auf der tatsächlichen Seite Variablen darstellen, im Ergebnis

rosSo Grasnick, Über Schuld, S. 254; bereits Hälschner, Das gemeine deutsche Strafrecht, S. 641: "sich das Gleichgewicht halten". 619 So Ostermeyer, NJW 1966, 2302; ders., Strafunrecht, S. 89. 610 Zipj, JR 1976, 514. 611 Z.B. Streng, StrZ u. relat. Gerechtigkeit, S. 43; Hellinger, DVV, S. 143 f. 612 Zipj, JR 1976, 514; ebenfalls anhand des Diebstahls auch Zipf, Strafmaßrevision, S. 78 f.

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aber "auf eine einspurige Skala (den Strafrahmen) projeziert werden müssen". 613 Die andere Möglichkeit, den gedanklichen Durchschnittsfall als den Fall zu definieren, bei dem weder Schärfungs- noch Milderungsgründe vorlägen, läuft, da die völlige Abwesenheit von Strafzumessungsfaktoren kaum vorstellbar ist, auf eine Konstellation hinaus, bei der sämtliche Strafzumessungsfaktoren in ihrem "Nullwert" vorlägen, und ist daher eng mit der Anerkennung einer dritten, der "strafzumessungsneutralen" Kategorie bei der Angabe der Bewertungsrichtung von Strafzumessungumständen verbunden. Ein solcher gedanklicher Durchschnittsfall i.S. des schon erwähnten "normativen Normalfalles" ist zwar konstruierbar, dürfte aber in der Praxis nicht vorkommen und keinem Richter je begegnet sein. 614 Beschreibbar wäre er schon - die Vielfalt der Lebenssachverhalte erschwert vielleicht seine Beschreibung, ist aber kein grundsätzliches Argument gegen ihn. 615 Der so verstandene Durchschnittsfall ist allerdings in besonderem Maße den Vorbehalten ausgesetzt, die schon früher, vor der Entscheidung des BGH, gegen die Vorstellung vom rechnerischen Mittel als Ausgangspunkt der Strafzumessung geltend gemacht wurden. So schrieb bereits 1879 Ernst Rubo, der an der Entstehung des StGB für den Norddeutschen Bund von 1870 beteiligt war: "Irrig und fehlerhaft wäre die Annahme, daß man bei relativen Strafvorschriften zuvörderst die mittlere Strafe, d.h. diejenige Strafe feststellen müsse, welche in der Mitte der vom Gesetzgeber gezogenen Strafgrenzen liegt, und diese Strafe als diejenige zu betrachten habe, von welcher bei der Strafzumessung überhaupt auszugehen sei: indem sie ohne Weiteres gegen solche Handlungen zu verhängen wäre, die unter den strafbaren Handlungen

613 Hettinger, DVV, S. 132 - weshalb Hettinger, von einer "ungefähren" anstelle einer Geweils nur nach einem Gesichtspunkt aufstellbaren) "kontinuierlichen" Schwereskala sprechen will, freilich ohne die Schwereskala selbst deshalb zu verwerfen; zu dem Problem auch Neumann, StV 1991, 258 für das Beispiel "hohe kriminelle Energie und geringer Schaden" und die spielgelbildliche Konstellation. 614 Vgl. die Kritik von Hettinger, DVV, S. 146 m.w.Nachw.: "als nicht nur theoretisches, sondern praktisch nachprüfbares Arbeitsmittel unbrauchbar", "steht nur auf dem Papier", "gehört der Studierstube und nicht dem Leben an"; ähnl. SK-Horn , § 46 Rdnr. 94: "gänzlich blutleer" und "schon deshalb völlig unbrauchbar als Orientierungsmarke"; siehe auch Frisch, GA 1989, 350: ihm hafte "unübersehbar die Blässe des Konstrukts" an. 615 So

auch Frisch, GA 1989, 343.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

darum in der Mitte liegen, weil bei ihnen weder ein Straferhöhungs-, noch ein Strafminderungsgrund vorkomme ... ". 616 Letztlich setzen aber beide Definitionen voraus, daß Milderungs- und Schärfungsgründe von hier aus gemessen werden. Richtig ist dagegen, daß die Festlegung der Bewertungsrichtung und damit von Strafschärfungs- und Milderungsgründen in einer vorausgehenden, davon sauber zu trennenden selbständigen Gedankenoperation (3. Phase) erfolgt. 617 Die Abwesenheit von Strafschärfungs- und Strafmilderungsgründen führt nämlich, ebenso wie das gegenseitige Sich-Aufwiegen von Strafmilderungs- und Schärfungsgründen, nur dann in die Mitte des Strafrahmens zurück, wenn man von da aus auch gemessen hat. Daß man die Strafrahmenmitte zum Maß der Dinge machen muß, ist aber damit weder bewiesen noch ist es überhaupt beweisbar. Schon das Reichsgericht war dieser Vorstellung entgegengetreten und hatte einen auf diese Weise gewonnenen Strafausspruch aufgehoben. 618 Zur Begründung führte das RG an, daß kein Rechtssatz bestehe, "wonach auf das rechnerische Mittel des Strafrahmens . . . zu erkennen wäre, wenn nicht tatsächliche Strafzumessungsgründe eine Abweichung nach oben oder unten angezeigt erscheinen ließen". 619 c) Der praktische (tatsächliche, statistische) Durchschnittsfall

Als Alternative zum theoretischen Durchschnittsfall kommt der tatsächliche Durchschnittsfall in Betracht, auf den auch die Entscheidung BGHSt 27, 2 nach Meinung mancher620 den Schwerpunkt legt. In der Tat kann die Entscheidung dahingehend verstanden werden, daß der BGH den gedanklichen Durchschnittsfall nur dazu benutzt, davon (negativ) den sog. Regelfall abzugrenzen,

616 Rubo, StGB, S. 156; zust. zitiert bei Hettinger, GA 1993, 11 f; anders schon damals Hälschner, Das gemeine deutsche Strafrecht, S. 641; Medern, GS 26 (1874), 605; Durchho/tz, GA 35 (1887), 273. 617 Deshalb nachdrücklich gegen die Vermischung Bruns, JZ 1988, 1053 ff. 618 RG DIZ 1908, Sp. 1108, worauf die Gegner des theoretischen Durchschnittsfalls noch heute gerne verweisen, z.B. Hettinger, DVV, S. 142; Rolinski, Prägnanztendenz, S. 95. 619 Auch die Entscheidung BGHSt 27, 2 selbst kann ja in dieser Tradition gesehen werden, weil sie die auf die Strafrahmenmitte gestützte Berechnung des Strafmaßes im Ergebnis ebenfalls nicht gelten ließ. 620 Montenbruck, Strafrahmen, S. 31.

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und ihm eine andere Funktion auch gar nicht zukommen lassen wollte. Der Vorteil eines solchen Konzepts scheint darin zu liegen, daß damit bestimmte Fälle, eben die am meisten vorkommenden, weitgehend gelöst wären, besondere Probleme bei der Festlegung der Bewertungsrichtung, beim Abwägen und bei der Umwertung also nicht aufträten. 621 Nimmt man den gedanklichen Durchschnittsfall zur Orientierung, so wäre der Abstand zum wirklichen, einzuordnenden Fall notwendigerweise sehr groß, die meisten Fälle sollen ja nach BGHSt 27, 4 bei weitem nicht dessen Gewicht erreichen. Nimmt man sich dagegen den Regelfall vor, so ist der Abstand zwischen Einstiegsstelle und konkret einzuordnendem Fall notwendig geringer, größtenteils würde sich die Einordnung überhaupt erübrigen. Was aber die Beschreibung des "Regelfalls" angeht, so tappen die Vertreter dieses Ansatzes ebenso im dunkeln wie die Gegenseite. 622 Seine Existenz verdankt der "Regelfall" letztlich der immer wieder beobachteten, 623 aber nie befriedigend erklärten Tatsache, daß die aus den gesetzlichen Strafrahmen errechneten Strafen für mittelschwere Fälle mit den in der Praxis tatsächlich verhängten nicht einmal annähernd in Übereinstimmung zu bringen waren. 624 Die tatsächlich ausgesprochenen Strafen fielen am arithmetischen Mittel des Strafrahmens gemessen denkbar niedrig aus, und zwar nicht erst mit zunehmender Überalterung der Strafrahmen, wie teilweise vermutet wurde, 62Ssondern von Anfang an. Schon Medem626 verweist zu Beginn seines Beitrags auf eine allgemeine Verfügung des preußischen Justizministers betreffend eine "dem Ernste des Gesetztes nicht entsprechende und darum für die öffentliche Sicherheit gefährlich werdende Milde in der Strafausmessung" und sieht darin einen sehr üblen, unerträglichen Rechtszustand. 627

621

So auch Frisch, GA 1989, 350.

GA 1989, 352 sieht den Regelfall schon durch das "Fehlen auch nur exemplarischer Beschreibungen" diskreditiert und erkennt darin einen symptomatischen Beleg für die Verlegenheit der Vertreter dieses Ansatzes, ihr Konstrukt inhaltlich zu füllen; ähnl. krit. schon ders. , ZStW 99 (1987), 790 ff. 623 Vgl. schon Exner, Strafzumessungspraxis, S. 57 ff. 622 Frisch,

624 So auch Hettinger, DW, S. 147; vgl. auch Kaiser I Schöch, StrZ, Rdnr. 32: letztlich beruhe der Regelfall auf der "regelbildenden Kraft der Gerichtspraxis". 62SVgl. Dreher, MDR 1961, 344. 626 Medern, GS 26 (1874), 590 f. 627 Medern, GS 26 (1874), 596.

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Daran hat sich - von den teils drakonischen Strafen der Terr01justiz des Dritten Reiches abgesehen, die auf die in der Weimarer Zeit bemängelte "Knochenetweichung" 628 der Strafjustiz folgte - bis heute nichts geändert. 629 Ein Blick in die Strafverfolgungsstatistik zeigt, daß von den nach allgemeinem Strafrecht 1988 wegen einfachen Diebstahls nach § 242 StGB (Strafrahmen: bis 5 Jahre) Verurteilten nur 0,05 % zu Freiheitsstrafen von mehr als zwei Jahren und nur knapp 0,02 % zu mehr als drei Jahren verurteilt worden sind; selbst von den wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall Verurteilten erhielten nur 0,25 % mehr als 5 Jahre, obwohl das Höchstmaß hier bei 10 Jahren liegt.630 Natürlich stellte das auch die Schwereskalatheorie auf die Probe: Wollte man nicht die gesamte gegenwärtige Strafzumessungspraxis als einen einzigen Aufstand gegen das Gesetz und als Revolte gegen den Strafrahmen ansehen, so mußte eine Erklärung für diesen Befund gesucht werden, um nicht zu sagen: eine Rechtfertigung gefunden werden. "In Anbetracht solcher Verhältnisse erscheint der Ausdruck Durchschnittsfall nicht zutreffend", meinte auch Rolinski, "es sei denn, man wollte die gesamte richterliche Strafzumessungspraxis als unangemessen milde und dem Gesetz widersprechend anprangern. "631 Man fand sie, wie etwähnt, in dem Dogma von den kleinen Schritten vom Wege, die den meisten Menschen eher zustoßen als große Verirrungen. 632 Es sei daher ein zu Unrecht gegen die Gerichte erhobener Vorwurf zu großer Milde, meint auch Peters; die meisten Fälle, die unter einen Tatbestand fielen, seien eben leichte Fälle. 633 So wurde der "Regelfall" geboren, dessen Strafwürdigkeit - ebenfalls ein Dogma - deutlich unter der arithmetischen 628 Mit diesem Wort beschreibt Brun.s, 1974, S. 7 u. 307 jedenfalls die damalige Meinung. 629 Vgl. 630 Vgl.

die Untersuchung von Rolin.ski, Prägnanztendenz, 1969, S. 97.

Strafverfolgung 1988, S. 116 f; wiedergegeben bei Streng, Strafrecht!. Sanktionen, S. 189. 631 Rolinski, Prägnanztendenz, S. 97 mit der Folgerung, die Schwereskala könne nicht stimmen. 632 Dreher, Gerechte Strafe, S. 63; Sarstedt, 41. DJT, D 48. 633 So Peters, Strafzumessung, S. 134; vgl. schon Hälschner, Das gemeine deutsche Strafrecht, S. 641: "Es wird hiernach nicht schon an sich als auffallend und ungerechtfertigt betrachtet werden dürfen, wenn sich ergibt, daß die erkannten Strafen viel häufiger unter dem mittleren Maße bleiben als dasselbe überschreiten, vielmehr muß es von vomherein als sehr wahrscheinlich erscheinen, daß die leichteren Fälle eines bestimmten Delictes am häufigsten vorkommen werden."

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Mitte des Straftrahmens liegt. Ist diese Erklärung aber richtig, dann stimmt sie mit der Schwereskala überein, und dann ist nicht einzusehen, warum die Durcbsetzung der Schwereskalatheorie dazu führen sollte, daß sich "das allgemeine Niveau der verhängten Strafen in gewissem Umfang" hebt. 634 Wer eine "rationale" Strafzumessung fordere, müsse sich im klaren darüber sein, daß er damit auch für etwas plädiere, was er möglicherweise gar nicht wolle: nämlich für höhere Strafen, als sie in Wahrheit heute vielfach ausgesprochen würden.635 Solche Bemerkungen zeigen nur, daß ihre Autoren der Rechtfertigung des Regelfalls nicht trauen. Zu Recht: Daß dem nämlich so ist und die Mehrzahl der Fälle tatsächlich dermaßen niedrig anzusetzen wäre, ist nicht schon durch den "Regel fall" bewiesen, sondern wäre im Grunde erst noch zu zeigen. 636 Denn warum sollte es bei außergewönlichen Delikten nicht auch einmal vorkommen, daß die meisten Fälle so schwer wiegen, daß sie mit einer Strafe oberhalb der Mitte oder nahe der Höchststrafe bestraft werden müßten. Als der daraus rechnerisch ermittelte Durchschnitt müßte dann auch der Regelfall nach oben rücken oder zumindest von Delikt zu Delikt unterschiedlich hoch liegen. Diese Konsequenz will die Lehre vom Regelfall aber nicht ziehen, im Gegenteil: Sinn dieses Regelfalls ist es gerade, daß sein Standort nahe der Untergrenze637 des Strafrahmens und damit im mittleren Bereich der von der Praxis ausgeworfenen Strafen festliegt. So kann der Richter, wenn der konkrete Fall keine Besonderheiten aufweist, ohne weiter Begründung außer der, daß der Fall dem Regelfall entspreche, eine Strafe aus dem unteren Drittel des Strafrahmens entnehmen. Die Anforderungen an die Darstellung der Strafzumessungserwägungen und die Begründung der Strafe sind nach der Rechtsprechung dann besonders streng, wenn sie sehr hoch ausfällt, wozu schon eine Strafe aus dem mittleren Bereich des Strafrahmens genügen soll638 (was gerade mal dem gedanklichen Durchschnittsfall -dem sog. Normalfall entspricht !). Im Umkehrschluß folgt MDR 1961, 344 bezeichnet das als eine wichtige Erkenntnis. Grasnick, Pönometrie, S. l.

634 Dreher, 635 So

636 So auch Hettinger, DVV, S. 149; Frisch I Bergmann, JZ 1990, 947- auch Terhorst, JR 1988, 275 und Mösl, NStZ 1984, 161 meinen, die Argumentation würde sich insoweit im Kreis bewegen. 637 Vgl. Bruns, 1985, S. 61 : der Regelfall könne "sehr wohl - seiner Eigenart nach - an der unteren Grenze des Strafrahmens liegen" . 638 BGHSt

14 Fahl

34, 360 = StV 1987, 330; sowie BGH StV 1993, 403 .

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

daraus aber: eine dem Regelfall entsprechende Strafe braucht nicht eingehend begründet zu werden. Dabei ist gar nicht einzusehen, warum das Strafmaß für diesen weniger Begründung erfordert als für jenen, und wenn wirklich beide auf der Schwereskala feststehen, dann müßte auch jedesmal begründet werden, warum der konkrete Fall vom gedanklichen Durchschnittsfall in der Mitte des Strafrahmens streckenmäßig so weit nach unten abweichen soll. Das aber soll gerade nicht nötig sein. Was den Regelfall, den Bruns639 und Hom640 favorisieren, anbelangt, so ist bislang der Tatsache viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden, daß die Definitionen des Regelfalls nicht weniger auseinandergehen als die des gedachten Durchschnittsfalls. 641 Für Bruns ist der Regelfall der in der Praxis am häufigsten vorkommende Fall im Sinne der immer wiederkehrenden Fälle. 642 Der BGH bezeichnet aber gar nicht den "praktisch am häufigsten vorkommenden Fall" als Regel fall, wie Bruns meint. 643 Der Regel fall, wie ihn der BGH definiert, ist aus sämtlichen vorkommenden Fällen, also auch aus den ganz außergewöhnlichen errechnet, die ehenfalls mit in den Durchschnitt eingehen. Folglich müßte dieser Regelfall zwischen dem Regelfall von Bruns und dem gedanklichen Durchschnittsfall, also etwas darüber liegen. 644 - Völlig unabgestimmt ist die Definition des Regelfalls durch den BGH auch mit seiner Rechtsprechung zur Anwendung des Ausnahmestrafrahmens für besonders schwere Fälle. Ein besonders schwerer Fall soll nämlich bereits dann vorliegen, wenn die Gesamtbetrachtung ergibt, daß der Fall vom "Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle" abweicht. 645 Demzufolge wäre ein 639 Bruns,

s. 64.

JR 1987, 92; ders. , JZ 1988, 1057; ders., Neues Strafzumessungsrecht?,

640 Horn,

StV 1986, 170: Die Zukunft gehöre dem RegelfalL Dazu Heninger, DVV, S. 148; sowie Frisch, GA 1989, S. 352 mit Fn. 60- gegen Bruns, Neues Strafzumessungsrecht?, S. 69. 642 Bruns, 1974, S. 85; Bruns, 1985, S. 61; ders., Neues Strafzumessungsecht?, S. 69; der Sache nach genauso Horn, StV 1986, 170: der "statistich häufigste"; noch anders möglicherweise, nämlich i.S. eines "Häufigkeitstypus" Frisch , GA 1989, 352; das ist offenbar auch das Verständnis von Streng, NStZ 1989, 369; ders., Strafrechtl. Sanktionen, S. 215. 641

643 Bruns,

644 So

JR 1977, 165 in seiner Anmerkung zu BGHSt 27, 2 ff.

richtig Hettinger, DVV, S. 148.

645 St. Rspr., z.B. BGHSt 28, 319; 29, 322 - von den "erfahrungsgemäß immer wieder vorkommenden Fällen spricht aber auch BGHSt 27, 4 in bezug auf den sog. Regelfall, dessen Strafwürdigkeit bekanntlich weit unter der Mitte liegen soll.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

211

Fall, für den ein Strafmaß aus der Mitte des Strafrahmens in Betracht käme, schon ein "besonders schwerer Fall" - ein offensichtlich ungewolltes Ergebnis. Denn dort liegt nach BGHSt 27, 4 gerade der Durchschnittsfall unter den "vom Gesetzgeber (für diesen Strafrahmen!) ins Auge gefaßten Tatbestandsverwirklichungen". Der Haupteinwand gegen den wie auch immer zu ermittelnden statistischen Regelfall ist aber der, daß er im Kern auf ein bloßes - noch dazu veränderliches - Faktum abstellt, das nur dann für die Strafzumessung etwas auszusagen vermöchte, wenn es seinerseits eine allgemein akzeptierte Wertung erfahren hätte. 646 Das ist aber nicht der Fall: So müßten in seine Ermittlung all jene, gar nicht so seltenen647 Fälle eingehen, in denen über das Strafmaß eine Verabredung zwischen Staatsanwalt und Verteidigung getroffen wurde- während sicher ist, daß das verhängte und zum Ausgangspunkt für andere Fälle genommene Strafmaß in solchen Fällen gerade nicht Ausdruck der Schwereeinschätzung des Richters ist. 648 Außerdem würden darin alle Fehler und Unzulänglichkeiten der Strafzumessung übernommen, zu deren Vermeidung die Schwereskalatheorie ursprünglich gerade beitragen sollte. Dafür seien beispielhaft die zwei folgenden Stichpunkte genannt. 649 Mit dem Stichwort "Strafzumessungsgeographie" bezeichnet man seit langem die Beobachtung, daß das allgemeine Strafniveau von Bundesland zu Bundesland, aber auch von Landgerichtsbezirk zu Landgerichtsbezirk und sogar von Kammer zu Kammer zum Teil erheblich differiert. 650 Im ersten Bande der Entscheidungen des höchsten deutschen Strafgerichts fmdet sich bereits eine Revision, mit der der Beschwerdeführer rügt, Taten wie die, wofür die Angeklagte in Rheinland-Pfalzein Jahr und zwei Monate Gefängnis erhalten

646 So auch Hettinger, DVV, S. 149; Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 628; Frisch, GA 1989, 353. 647 Vgl. dazu den aufsehenerregenden, unter dem Pseudonym Detlef Deal, Mauschelhausen, veröffentlichten Aufsatz, StV 1982, 545 ff.

648 Darin sieht auch Terhorst, JR 1988, S. 274, Fn. 16 einen wesentlichen Einwand.

beide weist Haddenhorst, Pönometrie, S. 35 unter dem Aspekt der Irrationalität der Strafe hin; vgl. auch Dreher, Pönometrie, S. 48. 649 Auf

650 Haddenhorst, Pönometrie, S. 35; Grasnick, Pönometrie, S. 1; Henkel, Die richtige Strafe, S. 3; von Exner, Strafzumessungspraxis, S. 46 ff schon 1931 dokumentiert; sämtliche neueren deutschen Untersuchungen bestätigen diesen Befund, einen Überblick darüber verschafft Hauser, Verknüpfungsproblematik, S. 122 ff.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

habe, würden am anderen Rheinufer, im benachbarten Hessen, allenfalls mit Geldstrafe geahndet. 6SI Nach einer Untersuchung von Schoene6S2 führte eine Verurteilung wegen § 316 StGB im Bezirk des OLG Karlsruhe beispielsweise in 69 % aller Fälle zu einer Gefängnisstrafe mit Bewährung, im Bezirk des OLG Stuttgart- beide Baden-Würtemberg- dagegen nur in 25 % der Fälle.6S3 Sarstedt berichtet von seiner Erfahrung als Revisionsrichter mit zwei benachbarten Strafkammern, von denen die eine im allgemeinen das Vierfache von dem zu verhängen pflegte, was bei der anderen zu erwarten war. 654 Sog. "Doppelverurteilungen" sind Fälle, in denen der Beschuldigte wegen ein und derselben Tat zweimal rechtskräftig verurteilt wurde. Doppelverurteilungen kommen in allen Kombinationen vor, jeweils durch Strafbefehl, einmal durch Strafbefehl und das andere mal nach Durchführung der Hauptverhandlung oder - unerklärlicherweise - sogar zweimal durch Urteil und nach Durchführung der Hauptverhandlung. Peters hat das umfangreiche empirische Material dokumentiert. 6Ss Da wird derselbe Angeklagte von dem einen Amtsgericht zu drei Wochen Gefängnis und von einem anderen Amtsgericht zu 150,- DM Geldstrafe,6S6 von der Strafkammer eines Gerichts wegen Abtreibung zu zwei Monaten Gefängnis und sechs Wochen später von der Strafkammer eines anderen Gerichts wegen derselben Abtreibung zu 200,- DM Geldstrafe verurteilt. 6S7 Das eine Gericht kommt aufgrund der Hauptverhandlung auf eine Geldstrafe von 120,- DM und ein anderes Gericht - ebenfalls 6SI BGHSt 1, 185. NJW 1967, 1119. 6SJ Zur unterschiedlichen Spruchpraxis der Gerichte bei Trunkenheitsfahrten, die schon Thema des 6. Deutschen Verkehrsgerichtstags war, Haag, Rationale Strafzumessung, S. 14; vgl. auch Rolinski, Prägnanztendenz, S. 101: Es spreche sich herum, daß bestimmte Amtsgerichte bei Trunkenheit am Steuer weder den Führerschein entziehen noch Gefängnisstrafen verhängen, "so daß Sauftouren tunliehst dorthin zu verlegen sind". 654 Sarstedt, 41. DJT, D 39. Wunmer, JR 1947, 137 bemängelte, es dürfte nicht vorkommen, daß sogar im gleichen Gerichtsgebäude links eine "Kammer der barmherzigen Brüder" und rechts das "Blutgericht" tagt. Rolinski, Prägnanztendenz, S. 101 berichtet davon, daß einzelne Kammern eines Landgerichts wegen der allseits bekannten Milde oder Schärfe den Namen "Herz-Jesu-Kammer" oder "Jüngstes Gericht" erhielten - er schließt mit der Bemerkung, man dürfe vorsichtig vermuten, daß das Bedürfnis nach überörtlicher Anpassung insgesamt noch entwicklungsfähig sei. 6SS Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, S. 568, Stichwort: Doppelverurteilungen. 6S6 Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, S. 513, Fall Nr. 267. 6S1 Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, S. 148, Fall Nr. 1120. 6S2 Schoene,

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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aufgrund einer Hauptverhandlung - zu 6 Monaten Gefängnis. 6511 Unter solchen Vorzeichen ist fraglich, ob fiir die Richtigkeit der verhängten Strafen überhaupt ein Indiz spricht. 659 Schließlich muß der Ansatz dort versagen, wo statistische Daten, die fiir seine Berechnung erforderlich wären, fehlen, wie bei neu eingeführten oder seltenen Delikten, oder dem Richter nicht zugänglich sind (weil er nicht den genügenden Überblick bat oder weil die Kriminalstatistiken gar nicht genügend Aufschluß über die verhängten Strafen und den Strafzumessungshintergrund geben). Ein einfaches Zahlenbeispiel belegt, daß die Erfahrung des Richters als Ausgangsbasis Illusion ist: In der alten Bundesrepublik wurden im Jahre 1982 etwa 500 erwachsene Angeklagte von 93 Landgerichten wegen versuchten oder vollendeten Totschlags oder wegen Anstiftung oder Beihilfe hierzu verurteilt, an jedem LG sind mehrere Strafkammern eingerichtet. Man kann sich danach in etwa ausrechnen, wie oft ein Richter mit der Bemessung der Strafe fiir das Delikt des Totschlags zu tun hat und auf wieviele Vergleichsfälle, an denen er selbst mitgewirkt bat, er dabei zurückgreifen kann. 660 Müßte der Richter hier selbst den Regelfall berechnen, so wäre er schon damit eindeutig überfordert. Nicht einmal Beweis dürfte er darüber erheben jedenfalls bislang nicht, da man auf dem Standpunkt steht, daß eine Beweiserhebung zu dem Thema, wie andere Gerichte in vergleichbaren Fällen entschieden haben, unzulässig sei. 1161 Dasselbe müßte auch fiir das Strafmaß im "RegelfaW gelten, zu Recht, denn § 261 StPO will die Bigenverantwortlichkeit richterlieber Überzeugungsbildung. 1162

658 Peters,

Fehlerquellen im Strafprozeß, S. 7, Fall Nr. 792.

659 Sog.

"Indizwirkung des Richterrechts für die richtige Entscheidung", vgl. Schöch, Strafzumessungspraxis, S.76; Theune, StV 1985, S. 207, 209; Streng, Strafrecht). Sanktionen, S. 188. 660 So Theune, StV 1985, 209, der dazu anmerkte, es bliebe häufig verborgen, wie wenig Vergleichsmaterial dem einzelnen Richter eigentlich zur Verfügung stehe; auf die schmale Erfahrungsbasis verweisen auch Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 628; Frisch, GA 1989, S. 352, Fn. 63; Terhorst, JR 1988, 274; Mösl, NStZ 1984, 160. 1161 Vgl. 1162 So

nur BGHSt 17, 28; 25,207 = JR 1974,340 m. Anm. Schroeder.

auch Terhorst, JR 1988, 274 mit dem Hinweis auf den Erfindungsreichtum der Strafverteidiger, die mit Urkunden, Statistiken und Sachverständigen zu beweisen suchen würden, welche Strafe dem Regelfall entspricht.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

d) Das "Regeltatbild" als Einstiegsstelle Was nun das "Regeltatbild" anbelangt, so muß sich, wenn es auf dieser Stufe der Strafzumessung überhaupt eine Funktion haben soll, zunächst einmal ein Standort dafür auf der Schwereskala ermitteln lassen. Die Stellungnahmen der Literatur zu diesem Thema sind, da es sich nicht um einen eingebürgerten Begriff handelt, naturgemäß dürftig, wenn auch ähnliche Begriffe häufig verwendet werden. Für diejenigen, die darin einen anderen Ausdruck für den normativen Normalfall sehen, 1563 steht damit auch der Standort fest: es ist die Mitte des Strafrahmens. In der Tat vertritt ja auch BGHSt 37, 155 (2. Samenergußurteil) die Auffassung, daß es sich um Synonyme handele. Auch Schall I Schirrmacher bringen das "Regeltatbild", weil es normativ geprägt ist, mit dem normativen Normalfall in Verbindung. 664 Leider geben sie nicht an, welches Strafmaß dem normativen Normalfall (und damit auch dem "Regeltatbild") ihrer Meinung nach zukommen soll. 665 Gedacht ist aber wohl an eine Strafe aus der Mitte des Strafrahmens, der sich bei der einfachen Vergewaltigung übrigens zwischen 2 und 15 Jahren erstreckt, §§ 177 Abs. 1, 38 Abs. 2 StGB. 666 Tatsächlich hatte das Landgericht München I, um dessen Entscheidung es im 2. Samenergußurteil ging, nur eine Strafe von 2 Jahren und 6 Monaten ausgesprochen, eine Strafe also, die knapp über dem Mindestmaß des § 177 Abs. 1 StGB und sogar noch knapp unter dem arithmetischen Mittel des für minder schwere Fälle vorgesehenen Strafrahmens liegt - ein Umstand, der Grasnick zu der Bemerkung veranlaßte, daß das Strafmaß mühelos auch ohne den Rückgriff auf einen unzulässigen Strafschärfungsgrund legitimierbar gewesen wäre. 1567 Hettinger nimmt diesen Befund gar zum Argument für die Richtigkeit der Argumentation und die Zulässigkeit der Verwertung zum 663 So wohl Grasnick, JZ 1992, 263 mit der Gleichsetzung '"Normalfall'" gleich '"typisches Erscheinungsbild; auch Streng, Strafrecht!. Sanktionen, S. 206 zieht ja diese Parallele. 664 Vgl. Schall I Schirrmacher, Jura 1992, S. 628, Fn. 79 u. 81. 665 Siehe Schall I Schirrmacher, Jura 1992, S. 629, Fn. 89 - dort ausdrücklich offengelassen. 666 Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 630 wollen nämlich dem Vorwurf ungerechtfertigter Milde gegenüber Sexualstraftätern dadurch zuvorkommen, daß sie vorsorglich darauf hinweisen, daß '"auch der entsprechende Stellenwert des normativen Normalfalls in der Schwereskala des Strafrahmens nicht übersehen werden" dürfe.

1567 Grasnick,

JZ 1991, 936.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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"normalen Erscheinungsbild" gehörender Umstände. 668 Vieles spricht dafür, daß der BGH genauso vorgeht und einen Rechtsfehler dann besonders geneigt ist anzunehmen, wenn die Strafe unangemessen hoch oder milde ausfällt und umgekehrt einen Rechtsfehler eher verneint, wenn er die Strafe insgesamt fiir angemessen hält. 669 Soweit das "Regeltatbild" oder verwandte Begriffe ("Tatbild", "regelmäßiges Erscheinungsbild", "Regelbild") in einem Atemzug mit dem statistischen Regelfall genannt und dafür in Anspruch genommen werden, 610 ergibt sich seine Stellung auf der Schwereskala daraus. Das "Regeltatbild", bzw. der ihm entsprechende Fall, wäre dann in dem (nicht weniger unsicheren) Bereich unterhalb der Mitte, möglicherweise im unteren Drittel, anzusiedeln. Der Möglichkeit, dem "Regeltatbild" überhaupt einen Standort auf der Schwereskala zuzuweisen, widerspricht Bruns. Er sagt, das Denkmodell des sog. Regeltatbildes habe mit den "Einstufungsbegriffen" (gemeint sind der Durchschnitts- und der Regelfall) nichts zu tun. Es diene dazu, die Tragweite des Doppelverwertungsverbotes zu klären, insbesondere deckten sich Regelfall und Regeltatbild nicht und ließen sich auch nicht durch sprachliche Ähnlichkeiten gleichschalten. 671 Folglich kommt dem "Regeltatbild" auch keine Position auf des Schwereskala zu. - Insofern übereinstimmend äußert sich Frisch, der die Weiterentwicklung des Regeltatbildes entscheidend vorangetrieben hat. Das "Regeltatbild", wie Frisch es versteht, dient eben nicht mehr nur zur Absteckung der Reichweite des DVV, sondern tritt als Ausgangspunkt der Bewertungsrichtung in dieser vorausgehenden Phase durchaus in Konkurrenz zu Regelfall und Normalfall. Warum sollte es dann nicht auch in der letzten Phase des Strafzumessungsaktes neben die herkömmlichen Einstiegshilfen treten?

668 Hettinger, GA 1993, 5 f. - Freilich, dann bedürfte es auch des Doppelverwertungsverbotes nicht: Wer einem betrunkenen Kraftfahrer fiir eine fahrlässige Tötung eine mäßige Geldstrafe gebe und dabei strafschärfend berücksichtige, daß der Unfall ein Menschenleben gekostet habe, der sei mit dem Angeklagten vielleicht zu milde, aber nicht zu hart verfahren, meinten schon Sarstedt I Gage, Die Revision in Strafsachen, S. 264 f. 669 Dazu

610 Z.B.

Bruns, 1985, S. 301.

Horn, StV 1986, 170: "Regelbild"; vgl. auch Hetlinger, StV 1987, 148, der meint das "Regeltatbild" beginne den Regelfall bisheriger Provenienz zu verdrängen. 611 Bruns, JZ 1988, 1056 und nochmals S. 1058.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

Dennoch heißt es bei Frisch: ihm, dem Regeltatbild, korrespondiere keine bestimmte Strafgröße, "vielmehr sind die es erfüllenden konkreten Konstellationen auf eine erhebliche, wenn auch im Verhältnis zum gesamten Strafrahmen engere, Bandbreite des Strafrahmens verteilt. "612 Diese Feststellung bedarf der Erklärung: Das "Regeltatbild", insofern ist Streng beizupflichten, ist "eng mit dem Doppelverwertungsverbot verwandt, nämlich daraus abgeleitet". 673 Das Doppelverwertungsverbot, aus dem es entspringt, gilt für Tatbestandsmerkmale und - darüber hinaus - auch für alle sonstigen Umstände, die notwendig und zwingend bei allen Tatbestandsverwirklichungen gegeben sind. Hätte der Richter also einen Fall zu beurteilen, von dem nicht mehr festgestellt wäre als solche Umstände, die bereits vom Doppelverwertungsverbot erfaßt sind, dann ließe sich dafür auf der Schwereskala kein Standort finden. Das war ja gerade der innere Geltungsgrund für das DVV, daß solche Umstände an allen Stellen des Strafrahmens gleichermaßen vorausgesetzt sind. Sie nehmen gewissermaßen die "ganze Breite" des Strafrahmens ein. Einen Fall, der in allen Einzelheiten dem Doppelverwertungsverbot unterfällt, kann es aber nicht geben. Anders beim "Regeltatbild": Hier ist sehr wohl denkbar, daß ein Fall allen gefundenen Strafzumessungsfaktoren nach dem Regeltatbild entspricht (und andere Strafzumessungsumslände nicht zu erkennen sind). Ein solcher Fall müßte in den Strafrahmen eingeordnet werden. Im Unterschied zu dem (allerdings nur hypothetischen) Fall, der nur aus Umständen zusammengesetzt wäre, die vom Doppelverwertungsverbot schon erfaßt würden, kann ein solcher Fall nicht die gesamte Breite des Strafrahmens mit der darin enthaltenen Schwereskala einnehmen. Denn auch der vom Regeltatbild abweichende Fall kann auftreten und muß dann im Strafrahmen verarbeitet werden. 674 Darin liegt der Unterschied zum DVV: Umstände, die vom DVV erfaßt sind treffen auf sämtliche dem Strafrahmen unterfallende Fälle zu, Umstände, die das "Regeltatbild" charakterisieren, nicht. Er wäre aber trotzdem nicht mit Sicherheit an der einen oder anderen bestimmten Stelle auf der Schwereskala einzuordnen. Denn das "Regeltatbild" ist definiert als der Inbegriff solcher Umstände, die zwar nicht notwendig und zwingenderweise bei allen Tatbestandsverwirklichungen, aber doch regelmäßig oder typischerweise mitgege-

672 Frisch, 673 Streng, 674 So

GA 1989, 361. Strafrechtl. Sanktionen, S. 206.

richtig Frisch, GA 1989, S. 361, Fn. 93.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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ben sind. 675 D. h. die allermeisten Fälle auf der Schwereskala entsprechen dem Regeltatbild. Einen entsprechend breiten Raum nimmt das "Regeltatbild", oder besser: nehmen die es erfüllenden konkreten Fallkonstellationen, auf der Schwereskala ein. Praktisch an jeder Stelle des Strafrahmens könnte ein Umstand dem Regeltatbild entsprechend ausgeprägt sein. Einzig und allein zu den Rändern des Strafrahmens hin ist Raum für außergewöhnliche, aus dem "Regeltatbild" herausfallende Konstellationen. Darum kann gesagt werden, es nehme eine "im Verhältnis zum gesamten Strafrahmen engere Bandbreite" ein. 676 Von daher ist das "Regeltatbild" denkbar ungeeignet, einen genauen Standort für einen Fall festzulegen, der ihm in der einen oder anderen Hinsicht entspricht. Das ist auch nicht weiter erstaunlich, wenn man sich Herkunft und Funktion des "Regeltatbildes" bei der Strafzumessung vergegenwärtigt: Ebenso wie das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB ist das "Regeltatbild" dazu bestimmt, bestimmte Umstände aus dem Kreis der Strafzumessungsfaktoren auszuscheiden, die zwar nicht schon aus Gründen der Logik - darin liegt wieder der Unterschied zum DVV - aber aufgrund einer Wertung nicht mehr zum Gegenstand der Strafzumessung gemacht werden können, weil man sie "sinnvollerweise nicht mehr neben den wirklich individuellen Umständen als den Einzelfall charakterisierend und seine Bewertung erklärend verwenden kann. "6n Das "Regeltatbild" formuliert damit, wie das DVV, in erster Linie ein Verbot, bestimmte Umstände für die Strafzumessung zu benutzen. Wie Umstände, die davon nicht erfaßt werden, wie also der Fall im übrigen in den Strafrahmen einzuordnen ist, wird damit nicht gesagt. Damit könnte es sein Bewenden haben, wenn nicht folgende Schwierigkeit bliebe: Was soll denn nun mit einem Fall geschehen, von dem der Richter nicht mehr sagen kann, als daß er in allen seinen Einzelheiten dem "Regeltatbild" voll entspricht? Frisch weicht dem Problem dadurch aus, daß er das "Regeltatbild" auf ein im Vergleich zum "Regelfall" sehr viel merkmalsärmeres Substrat reduziert6711 und den Anwendungsbereich des Regeltatbildes von vornherein auf einen engen thematischen Bereich beschränkt, "für den die

675 Vgl.

auch Frisch, GA 1989, 361.

616 Frisch, 6n

GA 1989, 361. Frisch , GA 1989, 361.

6711 Frisch,

GA 1989, 361.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

Verwendung des Regeltatbildes überhaupt sinnvoll erscheint", 619 wozu etwa die steigerungsfähigen Deliktsmerkmale gerade nicht gehören sollen. 1580 Solche Merkmale stehen dem Richter also in jedem Fall noch für die Einordnung des konkret zu beurteilenden Falles zur Verfügung, ja sie sollen ihm sogar als Leitmerkmale für die richtige Einordnung des Falles in die Schwereskala dienen.681 Den einen, genau dem "Regeltatbild" entsprechenden Fall gibt es also in diesem Modell nicht. Ganz anders sieht es aber aus, wenn man das "Regeltatbild" nicht für auf einen engen thematischen Bereich beschränkt hält, sondern ihm prinzipiell zutraut, zu allen, auch zu den steigerungsfähigen Merkmalen gültige Aussagen zu treffen. 682 Dann allein kann ein Fall auftreten, der wirklich bis in die letzte Einzelheit dem Regeltatbild entspricht. Er kann aber, anders als das bei einzelnen Umständen der Fall wäre, nicht samt und sonders als "strafzumessungsneutral" ausscheiden, sondern muß mit einer Strafe aus dem Strafrahmen belegt werden. Er könnte, wie jeder andere Fall auch, anband der bisher diskutierten Orientierungspunkte, dem Regel- und dem Normalfall, in den Strafrahmen eingeordnet werden. Da das "Regeltatbild" Elemente beider in sich vereinigt, indem es sich aus Umständen zusammensetzt, die "regelmäßig oder typischerweise" bei Delikten der betreffenden Art auftreten und daher wertungsmäßig nicht mehr zum Argument für eine Schärfung oder Milderung gemacht werden können, wäre sein Standort auf der Schwereskala in dem nicht minder ungewissen Bereich zwischen dem Regelfall (unteres Drittel) und dem gedanklichen Durchschnittsfall (etwa die Mitte) zu verorten. Daraus erhellt, daß er als Fixationspunkt im Sinne einer "Einstiegshilfe" für andere Fälle, deren Standort auf der Schwerekala noch viel weniger bekannt ist und der ja mit Hilfe der als Einstiegsstelle in den Strafrahmen gedachten Fälle erst gefunden werden soll, noch viel weniger taugt als jene.

619 Frisch,

GA 1989, 362.

GA 1989, S. 362, Fn. 94. 681 Frisch, GA 1989, 372 ff.

1580 Frisch,

682 Siehe dazu oben S. 113 ff.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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5. Stellungnahme zum Streit um die "richtige" Einstiegsstelle

a) Zum Wen einer "Einstiegsstelle"

Zipf meinte 1969, man sei sich heute darüber einig, daß alle Versuche, den "Einstieg" in den Strafrahmen über einen fiktiven Normalfall als Bezugspunkt zu finden, gescheitert sein. 683 Damit war, so ist es jedenfalls aufgefaßt worden,684 in erster Linie der Regelfall i.S. der Terminologie von BGHSt 27, 4 gemeint - es gilt aber gleichermaßen für den theoretischen Durcbscbnittsfall, den heutigen normativen NormalfalL Wenn Zipf freilich meint, daß darüber Einigkeit bestünde, dann kann dem nicht beigepflichtet werden. Eber das Gegenteil ist der Fall. 685 Angesichts der hier zusammengestellten Kritik an statistischem und gedanklichem Durchschnittsfall kann jedoch nicht zweifelhaft sein, daß sie dem Richter als "Fixationspunkt" kaum anempfohlen werden können. Nicht einmal theoretisch steht fest, was damit gemeint sein soll. Ihr praktischer Wert als "Einstiegsstelle" ist solange gering, wie es an an jeglicher, "auch nur exemplarischer" 686 Beschreibung dafür fehlt. Ist ihre Beschreibung aber nicht möglich oder zu kompliziert, so erweisen sie sich - ganz abgesehen von den Unsicherheiten über ihren Standort - als ungeeignet, die Einordnung anderer Fälle zu erleichtern. Denn diese liegen dem Richter vor, jene nicht. Er kann sich nicht einmal eine Vorstellung davon machen. Solche Anforderungen wären aber an eine "Einstiegsstelle" zu stellen, mit der der Richter etwas anfangen kann. Können sie nicht erfüllt werden, so ist Frank zuzustimmen, der dies einen "nicht ungefährlichen Gewinn an Scheinrationalität" genannt hatte. 687 Denn damit würde ein zum Vergleich geeigneter Ausgangsfall als Arbeitsmittel präsentiert, der realiter nicht konkretisierbar ist. 688 Der Regelfall ist ebenso wie der Normalfall ein Ideal, darum ist auch die Feststel-

683 Zipj,

Strafmaßrevision, S. 79.

684 Vgl. Hettinger, DVV, S. 143.

685 So schon Heninger, DVV, S. 150, Pn. 85 mit der Einschätzung, die Entscheidung BGHSt 27, 2 werde diese Entwicklung noch vorantreiben- seit BGHSt 34, 345, 351 istjedoch eine vorsichtige Umkehr zu verzeichnen. 686 So Frisch, GA 1989, 352 für den Regelfall; für den Normalfall nicht viel positiver, ders., a.a.O., S. 350 f.

NJW 1977, 687. auch Hettinger, DVV, S. 146 - bezogen allerdings auf den theoretischen Durchschnitts fall. 681 Frank, 688 So

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

lung, daß es ihn nicht gibt, ebenso zutreffend, wie neben der Sache liegend. 689 Mögen sie auch als Denkmodell existieren, als Vergleichsfall taugen sie nicht. 690 Für das "Regeltatbild" ergibt sich kein besseres Bild. 691 Als Mischform zwischen diesen beiden ist es noch weniger geeignet als jene, dem Richter im Sinne einer "Einstiegsstelle" als Vergleich zu dienen. Auf der Suche nach einem Standort dafür auf der Schwereskala aller denkbaren, oder doch der praktisch vorkommenden Fälle, erste Voraussetzung für die Tauglichkeit als Einstiegsstelle in den Strafrahmen, stellt sich zunächst das folgende Problem: Als Ausgangspunkt der Bewertungsrichtung von Strafzumessungsumständen, wozu das Regeltatbild dient, ist ein fertiger, komplexer Fall niemals erforderlich. Bei der Einordnung eines konkreten Falles in den Strafrahmen anband eines (oder mehrerer) Fixationspunkte, bedarf es aber nicht nur eines Fallbildes des jeweiligen Delikts, sondern eines, wenn möglich dem Richter auch in all seinen Einzelheiten bekannten, komplexen Falles, dessen Standort auf der Schwereskala feststeht und zu dem man den neu auftretenden und einzuordnenden Fall auf diese Weise in Beziehung setzen kann, um seinen relativ richtigen Standort auf der Schwereskala zu ermitteln. Das "Regeltatbild" erfüllt diese Anforderung nicht. Zu Recht wird ja nicht von der Schwereskla der Tatbilder, sondern von der Schwereskala der denkbaren (oder jedenfalls der praktisch vorkommenden) Fälle gesprochen. Klar sollte also sein, daß es von vornherein nicht um das "Regeltatbild" als solches gehen kann, sondern nur um den oder die das Regeltatbild erfüllenden Fälle. Von einem solchen Fall stünde fest: Er hat in allen seinen Strafzumessungsfaktoren eine Wertung durchlaufen, die ihm das Prädikat "strafzumessungsneutral" verleiht. Wegen Übereinstimmung mit dem "Regeltatbild" soll jeder einzelne Faktor weder schärfend noch mildernd zu Buche schlagen. Eine solche Stelle im Strafrahmen gibt es aber nicht - ein Einwand, der zu der So Grasnick, JZ 1991, 943. Lampe, Noll-FS, S. 239: "wertlos, da weder der Durchschnitts- noch der Regelfall i. S. der Rechtsprechung dem urteilenden Richter bekannt sind oder auch nur bekannt sein können". 689

690 Vgl.

691 So auch Streng, Strafrecht!. Sanktionen, S. 215 f- als "Vergleichsfall" bei der Suche nach der konkreten Einstiegsstelle hält Streng das "Regeltatbild", wie Regelund Normalfall auch, ebenfalls für ungeeignet, und zwar schon deshalb, weil es nicht besser als diese konkretisierbar ist und dem Richter so bei seiner Strafzumessung konkret genug vor Augen stünde.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

221

bekannten Bemerkung geführt hat: Was die Strafe nicht mildert, schärft sie und umgekehrt. 692 Von einem einzelnen Umstand als "strafzumessungsneutral" zu sprechen macht Sinn, wenn und soweit er für die weitere Strafzumessung ausscheidet. Einen ganzen Fall "strafzumessungsneutral" zu nennen macht keinen Sinn: kein Fall, sei er nun im oberen Bereich der Skala, in der Mitte oder im unteren Bereich einzustufen, ist "neutral". Alles, was man von den verschiedenen Fällen sagen kann, ist, daß sie verschieden schwer wiegen. Insbesondere ist nicht einzusehen, warum es die Mitte sein soll, die als "neutral" anzusehen ist. Die Verfechter dieser These, deren Ableitbarkeil aus der Theorie der Schwereskala vielmehr behauptet als bewiesen worden ist, können auf nicht viel mehr verweisen, als auf den natürlichen Sprachgebrauch. 693 Genausogut könnte man sich auf den Standpunkt stellen, der Gedanke einer Mitte widerspreche dem einer vom Minimum zum Maximum fortlaufenden Skala. Nur soviel folgt aus der Theorie der Schwereskala: der mittelschwere Fall muß in der Mitte liegen. "Neutral" wäre der mittelschwere Fall aber nur, wenn von ihm aus gemessen würde, wenn Milderungs- und Schärfunggründe nur dazu da wären, den Abstand zu ihm anzugeben. Das ist aber nicht der Fall. Dem mittelschweren Fall kommt ebensowenig (oder ebensoviel) eine herausgehobene Stellung auf der Schwereskala zu wie dem leichten oder dem schweren Fall, er bezeichnet eine Wertgruppe unter anderen. Strafmilderungs- und Strafschärfungsgründe haben eine andere Funktion: Sie klären, in einer ersten Wertung, die Bewertungsrichtung einzelner Umstände - die "Richtung". Für die Einordnung in den Strafrahmen bedarf es eines weiteren, davon zu unterscheidenden Gedankenakts. Wäre dem nicht so und bedeuteten beide Gedankenoperationen in Wahrheit dasselbe, so wäre eine phasenweise Unterscheidung dieser Strafrumessungsvorgänge in Wahrheit überflüssig. Tatsächlich zeigt sich, daß das "Regeltatbild" und der ihm genau entsprechende Fall gar nicht genau in der Mitte der Schwereskala liegen kann, wenn man der Entscheidung BGHSt 27, 2 folgend den Standort von gedachtem Durchschnittsfall und praktischem Regelfall als feststehend akzeptiert. Auch diese beiden Fälle können ja als aus einer Vielzahl von Einzelumständen zu-

692 Foth,

693 So

JR 1985,398.

auch Montenbruck, Strafrahmen, S. 34.

222

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

sammengesetzt gedacht werden. Allein die Tatsache, daß sie als geeignet angesehen werden, einen Ausgangspunkt für die Bewertungsrichtung einzelner Strafzumessungsfaktoren abzugeben, zeigt es. Der Regelfall wäre zusammengesetzt aus Umständen, die in ihrer statistisch berechneten mittleren Ausprägung vorlägen, der gedachte Durchschnittsfall aus Umständen, die das Prädikataufgrund einer normativen Betrachtung verdienten. Das "Regeltatbild" ist aber nicht lupenrein, sondern vereinigt beide Ansätze in sich. Der ihm entsprechende Fall ist folglich zusammengesetzt aus Umständen, die teils dem Regelfall und teils - in von Delikt zu Delikt verschiedener Zusammensetzung- dem sog. gedachten Durchschnitts- oder normativen Normalfall entliehen sind. Ein von Delikt zu Delikt immer gleicher Standort, der dem Richter zur Orientierung dienen könnte, eignet ihm daher nicht an. Allenfalls könnte das "Regeltatbild" dazu benutzt werden, auf der parallel zum Strafrahmen verlaufenden Schwereskalajenen konkreten, im Verhältnis zum gesamten Strafrahmen engeren Bereich abzustecken, von dem schon die Rede war. Der ließe sich auch beschreiben: Das "Regeltatbild" ist ja zusammengesetzt aus Umständen, die entweder dem Regelfall oder dem Normalfall entliehen sind. Beide Komponenten, die normative wie auch die statistische, sind darin enthalten. Der engere Bereich, in dem das Strafmaß für den dem "Regeltatbild" exakt entsprechende Fall zu fmden ist, erstreckt sich also von der Position für den statistischen Regelfall bis zum Strafmaß für den normativen Normalfall oder gedachten DurchschnittsfalL Die von den Vertretern beider Seiten jeweils nur an der anderen geäußerte Kritik täuscht allzu leicht darüber hinweg, daß von keiner der beiden Seiten dargetan ist, warum es nur eine "richtige" Einstiegsstelle geben soll. Jeder Fall, von dem der Standort auf der Schwereskala bekannt ist, kann zur Orientierung dienen. Das gilt sogar von dem vom Richter benutzten "privaten Testfall", von dem immer wieder vermutet worden ist, daß ihn der Richter zum "Fixpunkt seiner gesamten Strafzumessung" macht, indem er daran alle kommenden Fälle mißt. 694 Wenn dieser Testfall auf der Schwereskala selbst richtig eingeordnet worden ist, so ist dagegen aber überhaupt nichts einzuwenden. Eine ganz andere Frage ist freilich, ob er diesen nur ihm allein bekannten Fall auch zum Ausgangspunkt der Bewertungsrichtung machen darf. Hier muß sauber zwischen Festlegung der Bewertungsrichtung und Einordnung in den Strafrahmen unterschieden werden, wie es der Aufgliederung in

694

Dreher, MDR 1961,344.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

223

Phasen entspricht. Dort hätte die Orientierung an einem allen anderen Beteiligten unbekannten Fall schon deshalb keinen Sinn, weil sie nicht zu intersubjektiv nachvollziehbaren Wertungen gelangen kann. Als Einstieg in den Strafrahmen taugt er aber so gut wie jeder andere Fall, von dem der Standpunkt auf der Schwereskala feststeht, und hätte zudem den entscheidenden Vorteil, daß er dem Richter konkret vor Augen stünde - hat er doch wahrscheinlich selbst als junger Richter, Staatsanwalt oder Referendar an der Strafzumessung dafür teilgenommen. Wie sonst wäre er zum Testfall geworden?695 Dasselbe gilt nun auch vom Regel- und vom NormalfalL Ist die Entscheidung, auf die sich beide stützen, richtig, dann sind von beiden die Standorte bekannt oder mindestens errechenbar. Dann können aber auch beide den Einstieg in die Schwereskala erleichtern. Es wäre dann nicht einzusehen, warum ein etwa zwischen beiden stehender Fall nur mit Hilfe des einen oder des anderen in die Schwereskala eingeordnet werden sollte. Mindestens hier wären beide gleichermaßen zur Auftindung des relativ richtigen Strafmaßes geeignet. Montenbruck bezweifelt deshalb in semem Vergleich mit dem Juwelier, der eine einzelne Perle (einen neu auftretenden Fall) in eine konisch verlaufende Perlenkette (Schwereskala) einreihen soll, daß der Juwelier so vorgehen werde, wie es Dreher vorschwebt, und sich zwingt, sich an die richtige Stelle von der Mitte her, von einer mittleren Perle aus, heranzuarbeiten. Viel näher läge es doch, die Perle zunächst in weitem Abstand neben die gesamte Kette zu halten, sie dann enger neben den Abschnitt zu schieben, in dem sich etwa gleichgroße Perlen befinden, und sie dann neben zwei oder drei fast gleichgroße zu legen und sie dort einzufügen. Er sieht darin ein Gegenargument gegen die Schwereskalatheorie, die den gedanklichen Durchschnittsfall derart zum Ausgangspunkt ihrer Überlegunggen macht. 696 695 Bekanntlich hat Schoene, NJW 1967, 1119 auf den seltsamen Widerspruch hingewiesen, daß sich das in der Theorie so schwierige Problem in der Praxis spielend dadurch löst, daß man - ohne in der Universität oder in der Referendarausbildung darüber je etwas gelernt zu haben - "zu Beginn der Tätigkeit seine Kollegen oder den Abteilungsleiter bei den ersten Fällen um Rat fragt" und deren Strafvorschläge übernimmt. Auf diese Weise verschaffe man sich ein Straffestsetzungsgefiihl, von dem man sich in Zukunft leiten lasse. Schoene leitet daraus den Vorschlag ab , die Richter sollten sich, um zu einer einheitlieberen Strafzumesssung zu gelangen, zu überörtlichen Gesprächskreisen zusammensetzen, zust. Haag, Rationale StrZ, S. 86; ähnl. Rolinski, Prägnanztendenz, S. 101 f. 696 Montenbruck, Strafrahmen, S. 35.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

Wenn Dreher sagt, der gedankliche Durchschnittsfall sei eine zwingende Konsequenz aus der Schwereskala, 697 dann ist dem nur bedingt zuzustimmen. Richtig ist, daß ein "mittelschwerer Fall" in der Mitte des Strafrahmens liegen muß, ebenso wie ein leichter Fall am unteren und ein schwerer Fall am oberen Ende einzuordnen ist. Weniger zwingend ist, daß es sich dabei um den Fall handelt, in dem keine Strafschärfungs- oder Strafmilderungsgründe vorliegen bzw. sich aufwiegen, denn das setzt voraus, daß von da aus gemessen wird, Schärfungs- und Milderungsgründe also den Abstand von der Mitte aus angeben. Tatsächlich könnte ja auch vom Regelfall aus gemessen werden, dann würde ein "mittelschwerer Fall" immer noch in der Mitte liegen. Die Schwereskala als solche sagt auch nichts darüber aus, daß der Mitte eine herausragende Funktion zukommen muß. Ebensogut könnte man argumentieren, der Gedanke einer hervorgehoben Mitte widerspreche gerade dem Wesen eines Rahmens.698 Darum ist es auch nicht richtig zu sagen, wer die Konzeption einer Einstiegsstelle, einer Basisbeurteilung oder einer Einrasterung anband von Wertstufen akzeptiert, könne die des normativen Normalfalls nicht verwerfen. (f}9 Man kann ohne ihn auskommen. b) Ablösung der "Einstiegsstelle" durch Wertgruppen

Es ist das Credo nahezu aller an der Diskussion Beteiligten, daß es auf der Stufe der Umwertung darum gehe, einen groben Fehlgriff, ein Vergreifen "in der Oktave", zu vermeiden. 100 Man vermeidet ihn am besten durch Benennung der Oktaven, wie es Bruns mit der fünffachen Skala vormacht: "ganz leicht,

697 Dreher, 698 So

Bruns-FS, S. 150; ähnl. schon ders., Gerechte Strafe, S. 63.

auch Montenbruck, Strafrahmen, S. 33 f.

(f}9So Neumann, StV 1991, 259; ähnl. Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 628 mit dem Argument, auch diese Modelle kämen um die Fixierung eines Ausgangspunktes, an dem der erste Vergleich anzusetzen hätte, nicht herum. 100 Kaum ein Beitrag, in dem das geflügelte Wort nicht erschiene: Heninger, GA 1993, S. 24 u. S. 6, Fn. 30; Bruns, 1985, S. 61; ders., Neues Strafzumessungsrecht?, S. 68; ders., Welzel-FS, S. 760; ders., 'ZlltW 94 (1982), 122 - das Bild stammt von Schmidt-Leichner, Diskussionsbeitrag, 41. DJT, D 72; vgl. aber Grasnick, JA 1990, S. 84, Fn. 46: einen Beleg habe er dafür noch nicht gefunden; auf ihn beruft sich jedoch Dreher, Pönometrie, S. 47; ders., JZ 1968, 212; Bruns, 1974, S. 84 hat es von Schmidt-Leichner übernommen; Montenbruck, Abwägung u. Umwertung, S. 42, Fn. 9 hat es wiederum von Bruns.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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leicht, minderschwer, schwer, und besonders schwer". 701 Ein Mittelpunkt, von dem dabei auszugehen wäre, fmdet sich darin nicht. Freilich könnte man eine weitere Wertstufe "mittelschwer" darin einfügen. Man könnte auch die Stufe "minderschwer" als "mittelschwer" bezeichnen, 702 weil davon zwei leichtere und zwei schwerere nach oben und unten ausgehen. Aber was sollte das bringen? Man kann auch den gedachten normativen Normalfall in die Mitte und den statistischen Regelfall in die Wertgruppe "leicht" oder "ganz leicht" einstellen. Man kann die Zahl der Wertgruppen erweitern oder verringern, man kann andere Wertgruppen bilden, sie vor allen Dingen auch anders benennen, 703 an dem Grundsätzlichen ändert das nichts. 104 Sie alle sind "Einstiegsstelle" und Orientierung zugleich, und sie alle folgen aus der Theorie der Schwereskala, ohne die im Unterschied zum Durchschnittsfall tatsächlich nicht auszukommen ist. Tatsächlich entsprach dies der ursprünglichen Funktion der Einstiegsstelle-bevor Regelfall und Normalfall den Terminus für sich in Anspruch nahmen. Bruns: Die "erste grobe Einstufung als besonders leicht, leicht, minder schwer, schwer, besonders schwer vermittelt darüber hinaus brauchbare Anhaltspunkte, um die richtige Einstiegsstelle zu finden", und weiter: "Die beiden bekannten und nicht zu verwechselnden Ansatzpunkte des Regelfalls und des Durchschnittsfalls werden dabei zusätzliche Hilfen geben". 70s Das sind sie, nicht mehr: •zusätzliche Hilfen •. Nichts anderes praktizieren die Befürworter einer "zweistufigen Strafzumessungsbegründung", 706 wenn sie vorschlagen, den Fall zunächst anband ge-

701 Bruns, 1974, S. 84; ders., 1985, S. 61; ders. Welzei-FS, S. 759; ders., JZ 1988, 1054; ders., NJW 1974, S. 292, Fn. 35 mit dem Vermerk, daß sie für die Strafzumessung selbstverständlich weiterhin verwendbar blieben; ebenso Meine, NStZ 1994, 162; Schall I Schirrmacher, Jura 1992, 519; selbst bei Kritikern der Schwereskala fmdet sich der Verweis auf diese "Wertstufen": Streng, Strafrecht!. Sanktionen, S. 216; ders., NStZ 1989, S. 398 und 400.

Streng, NStZ 1989, 398. den Hinweis von Meine, Steuerhinterziehung, Rdnr. 130, daß man die Schwerestufen ohne Erschwerung der Handhabung auch lediglich aufsteigend numerieren könnte. 104 So auch Grasnick, Über Schuld, S. 254. 70S Bruns, Welzel-FS, S. 759. 106 Streng, NStZ 1989, 397 ff; ders., Strafrecht!. Sanktionen, S. 216 f mit der Basisbewertung anband derselben 5 Wertgruppen; Frisch, GA 1989, 372 ff; Lackner, § 46 Rdnr. 32. 702 So

703 Siehe

!S Fahl

226

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

wisser "Basismerkmale"107 oder von Merkmalen mit "Führungsfunktion" 708 grob einzupassen und dann darauf eine zweite Stufe der "Feinabstimmung" 709 folgen zu lassen. Nur - das ist der Nachteil - vermischen sie dabei Bewertungsrichtung und Umwertung und geben so das Konzept selbständiger, aufeinander folgender Gedankenoperationen ohne Not und mit dem Effekt auf, daß der Rubrizierung in Strafmilderungs- und Strafschärfungsgründe (und dann auch ihrer Veröffentlichung, der wissenschaftlichen Diskussion darum usw.) keine nachprüfbare Aussagekraft mehr zukäme. Auch wenn es dabei keinen fixen, mathematisch errechenbaren und auch hinlänglich beschreibbaren Vergleichsfall gäbe, so ließen sich immer noch solche oder ähnliche Wertgruppen bilden. Ohne die Gruppe der schwersten und der leichtesten Fälle ist eine zwischen den Strafrahmenextremen liegende Schwereskala gar nicht denkbar. 710 Tatsächlich folgt eine solche Wertgruppenbildung sogar aus dem Gesetz: Ebenso verfahrt, wenn auch wegen der weiten Überschneidungen nicht sehr konsequent und daher nicht sehr überzeugend, der Gesetzgeber in Gestalt der Bildung besonders schwerer und minder schwerer Fälle. 111 Neuerdings hat Grasnick dieses Modell der Schwereskala zu einer "Theorie der begrenzten und differenzierten Wertgruppen" ausgebaut. 712 Er unterscheidet 21 Wertgruppen, nämlich 7 Hauptgruppen- außerordentlich schwer, sehr schwer, schwer, mittelschwer, weniger schwer, leicht, außerordentlich leicht - mit jeweils drei Differenzierungen (Untergruppen). Offenbar liegt auch dem ein Denken zugrunde, das von einer Mitte ausgeht, von der es gleich viele Stufen nach unten geben müßte wie nach oben. Das ist offenbar menschlich, darum enthalten alle Vorschläge eine ungerade Zahl von Wertstufen: drei, fünf, sieben. Die weitere Differenzierung - und nicht nur sie allein - ist dem Schulnotensystem 107 Streng,

Strafrecht!. Sanktionen, S. 216.

7C18 Frisch,

GA 1989, 372.

Strafrecht!. Sanktionen, S. 217; Frisch, GA 1989, 373: "schrittweise Modiflzierung" . 709 Streng,

710 Vgl. auch Zipf, Strafmaßrevision, S. 79 im Anschluß daran, daß alle Versuche, den "Einstieg" in den Strafrahmen über einen fiktiven Normalfall zu fmden gescheitert seien: "Es steht daher für jede Tatschuldwertung der gesamte Strafrahmen als Einordnungsschema zur Debatte, wobei man nur weiß, daß die leichteren Fälle gegen die Untergrenze hin und die schwereren gegen die Obergrenze hin einzureihen sind." 711 So auch Grasnick, Über Schuld, S. 252. 712 Grasnick, JZ 1992, 262; teilw. kritisch dazu Meine, Steuerhinterziehung, Rdnr. 129 f.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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abgeguckt. 713 Jeder Notenstufe entsprechen wieder drei Untergruppen: Jeder Prüfer, Lehrer oder Korrektor einer juristischen Examensarbeit weiß, daß es Arbeiten gibt, die beispielsweise "glatt befriedigend" sind, aber der Bereich umfaßt noch mehr, nämlich auch solche Arbeiten, die schon oder noch befriedigend sind. Trotzdem wird der Lehrer in der Schule nicht von der Note "glatt befriedigend" ausgehen und alle anderen Noten durch die mehr oder weniger große Abweichung davon ermitteln. Er kennt die Notenstufen und wird jede Arbeit, bevor er sie mit einem Plus- oder Minuszeichen versieht (Untergruppe), sogleich in die richtige Wertgruppe einordnen. Das ist seine "Einstiegsstelle", wenn man so will. Wahrscheinlich wäre die Diskussion um die "richtige" Einstiegsstelle nie entstanden, hätte der Gesetzgeber (vielleicht statt die vielgescholtenen besonders schweren und minder schweren Fälle mit einem eigenen Strafrahmen zu versehen) einfach eine allgemeingültige "Notenskala" in das Gesetz hineingeschrieben und auf diese Weise die Zahl der Wertgruppen und den entsprechenden Strafrahmenbereich in etwa vorgegeben.714 Das Beispiel von den Schulnoten ist nicht so weit hergeholt, wie man meinen könnte. 715 Strukturell verfährt jeder Gutachter gleich, sei er Richter, Leb-

113 Vgl.

Grasnick, JZ 1991, 935 f; ausf. dazu Grasnick, Über Schuld, S. 260 f.

714 Grasnick, Über Schuld, S. 263 weist darauf hin, daß man die Anzahl der durch

den Strafrahmen zur Verfügung gestellten Strafquanten auch nicht einfach durch 21 dividieren dürfe, es ließe sich sehr gut denken, daß der Anteil, der auf eine Wertgruppe entfällt, durchaus verschieden hoch ist - und zwar wiederum im Hinblick darauf, daß ein Tag Haft eben nicht soviel zählt wie der andere. 715 Auch Bruns, 1974, S. 84 zieht den Vergleich zur Notengebung; Hassemer, ZStW 90 (1978), 69, fühlt sich bei den Versuchen der Mathematisierung der Strafzumessung an die Praxis der Notengebung im jurist. Staatsexamen erinnert; MüllerDiez, GA 1988, 518 meint der Vergleich mit der Notenskala eröffne verblüffende Perspektiven und gesteht, daß er selbst oft Parallelen zwischen Prüfungsbewertungen und Strafzumessungsakten gezogen hat; auch Monlenbruck, Abwägung u. Umwertung, S. 50 zieht den Vergleich zur Bewertungsskala nach § 5 d DRiG; Bruns, NJW 1979, S. 289, Fn. 5 stellt sogar zwischen den Mathematisierungsbemühungen der Strafzumessung und dem mathematisierten Verfahren von Prüfungsentscheidungen eine Verbindung her. -Möglicherweise kann man die Parallele noch weiter ziehen und die Rechtsprechung des BGH zu den unvertretbar milden und unvertretbar harten Strafmaßen (vgl. dazu Bruns, 1985, 307) mit der Übertretung desselben Toleranzbereichs erklären, der ja auch in der Abweichung zwischen Erst- und Zweitkorrektor bei der Bewertung juristischer Examensarbeiten zugestanden wird. Hier wie da sind Abweichungen innerhalb eines Bereichs, der einer Wertgruppe entspricht, zu tolerieren.

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

rer, Vorgesetzter oder Sachverständiger. 716 Möglicherweise ist alles sogar zum gleichen Teil Zufall, Willkür und ein Griff ins DunkJe. 717 Hier wie dort entscheiden Menschen, gleich ob es um die Notengebung im Examen, den Turniertanz718 oder um die Strafzumessung für den Angeklagten geht. Darum ist die Zahl der noch nachvollziehbaren und vor allem handhabbaren Differenzierung in Wertgruppen begrenzt. 719 Die Schulnotenskala, ebenso wie jede andere Bewertungsskala (man denke an den Preistanz), beschränkt sich auf eine Handvoll Stufen.711J Mehr als der Prüfer dort, vermag auch kein Richter. Seine Entsprechung findet das Phänomen in der in zahlreichen Untersuchungen721 nachgewiesenen Beobachtung der Bevorzugung "runder" Zahlen bei der Strafzumessung: Bei Geldstrafen werden Sprünge von fünf oder zehn Einheiten gewählt, bei Freiheitsstrafen ganze oder halbe Jahresstufen, seltener auch ein Vierteljahr, signifikant öfter ausgesprochen als die dazwischenliegenden Größen. Rolinski, der dem Phänomen eine eigene Untersuchung gewidmet hat, hat ihm einen Namen gegeben: Er spricht von der "Prägnanztendenz" und erklärt sie mit der wahrnehmungspsychologischen Theorie vom "Streben nach der guten Gestalt", d.h. zur einfachen, regelmäßigen, gleichartigen, ausgeglichenen Form unter Vernachlässigung oder Nivellierung der Unterschiede. 172 Aber auch andere Deu-tungen sind denkbar. 723 Möglicherweise liegt die Begründung für die Bevorzugung runder Zahlen einfach in der geringeren Differenzierungsfähigkeit des Menschen, der nun einmal natürliche Grenzen gesetzt sind. Würde man dem Richter die Frage stellen, ob dem Maß der Schuld in 716 Montenbruck, Abwägung und Umwertung, S. 18. 717 Nach dem Wort Franz vonListzts, Strafrecht). Aufsätze, S. 393; vgl. auch Grasnick, Pönometrie, S. 9 zur Benotung juristischer Examensarbeiten und Strafzumessung: Hier wie dort werde ja der Vorwurf der Irrationalität erhoben. 718 Das Beispiel stammt von Grasnick, Über Schuld, S. 251. 719 Deshalb spricht Grasnick, JZ 1992, 262 u. 261 von einer Theorie der "begrenzten" Wertgruppen, er meint, diskutabel sei allein die Einordnung in (maximal!) 21 Wertgruppen- über die Zahlließe sich freilich streiten. 711JVgl. auch Weigend, Uni Köln-FS, S. 592 f über die Strafzumessung im US-Bundesstaat Minnesota: Die Skala dort umfaßt (nur!) zehn Schweregrade. 721 Vgl. Mannheim, ZStW 42 (1921), 46 ff; SchlJch, StrZpraxis u. Verkehrsdelinquenz, S. 113; Lampe, Noii-FS, S. 232 f; Streng, StrZ u. relat. Gerechtigkeit, S. 105; Rolinski, Prägnanztendenz, S. 29 ff. 172 Rolinski, Prägnanztendenz, S. 38 ff. 723 So auch Schöch, Strafzumessungspraxis, S. 39.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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einem gegebenen Fall einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten oder von zehn Monaten und drei Wochen entspricht, so würde er keine Antwort wissen, er würde allenfalls sagen können, daß eine Strafe von neun bis zwölf Monate angemessen sei. 724 In der Praxis haben sich offenbar längst wenige markante Strafstufen herausgebildet. Schöch spricht von einer freiwilligen "Selbstbeschränkung" der Richter auf einen Bruchteil der vom Gesetzgeber vorgesehenen Strafgrößen. m Die Strafzumessungsiebte sei darauf noch zu wenig eingegangen. 126 So muß es zwar nicht die Begrenzung auf die von Grasnick vorgeschlagenen 21 Wertgruppen sein. Aber eine Beschränkung ist nötig und könnte den Regelfall, den Normalfall und was dergleichen Begriffe mehr sind als "Einstiegsstelle" ablösen. Im übrigen ließe sie, da der Strafrahmen eines jeden Delikts de lege lata weit mehr als 21 mögliche Strafgrößen zuläßt, einen genügenden Spielraum zwischen der "schon" angemessenen und der "noch" schuldangemessenen Strafe. 127 Zumindest der von Frisch728 erhobene Einwand, die Theorie der Schwereskala sei mit der Spielraumtheorie des BGH nicht vereinbar, hätte sich dadurch erledigt. Ein Weniger als die vom Gesetzgeber zugelassenen Differenzierungsmöglichkeiten ist hier ein Mehr- und ist tatsächlich mehr, "als 724 So Roxin, Pönometrie, S. 58 mit der Bemerkung, auf kleinere Strafeinheiten spreche das Gerechtigkeitsempfmden nicht an - von Montenbruck, Abwägung und Umwertung, S. 57 hierauf übertragen; vgl. auch Dreher, JZ 1967, 42 mit dem insoweit allerdings wegen § 39 StGB, der eine nach Wochen bemessene Freiheitsstrafe nicht zuläßt, obsolet gewordenen Beispiel, daß niemand im Einzelfall behaupten könne, daß die schuldangemessene Strafe für die Tat des Angeklagten Meier 2 Jahre, 3 Monate und 2 Wochen betrage. m Schöch, Strafzumessungspraxis, S. 40. 126 Schöch, a.a.O., S. 40 meint, es handele sich um eine Erscheinung, die in der Strafzumessungsdogmatik überhaupt kein Korrelat habe - Gewisse Parallelen Jassen sich immerhin zu der Lehre Graßbergers von den 43 möglichen Strafpositionen ziehen, für die er freilich eine ganz unterschiedliche Begründung gibt, die aber auf dieselbe Reduzierung der Kategorien hinausliefe, wenn man ihnen auf der Schwereskala Fälle zuordnen wollte, vgl. Graßberger, ÖJZ 1961, 176 f, wo er bemerkenswerterweise dafür plädiert von diesen 43 dem Richter 20 (!)zur Verfügung zu stellen. 727 Vgl. dazu Grasnick, Über Schuld, S. 262, der darin den "Clou" eines solchen Modells sieht.

Revisionsrechtl. Probleme, S. 167. -Die sog. Spielraumtheorie (BGHSt 7, 28) besagt, daß es nicht nur eine "richtige" Strafe (Punktstrafe) gibt, sondern die richtige Strafe als Strecke "von-bis" zu denken ist, damit wäre die These von einer aus dem gesetzlichen Strafrahmen für jede Tat exakt ablesbaren Strafe natürlich nicht vereinbar. 728 Frisch,

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Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

bis heute in den Gründen auch nur eines Urteils (auch eines, das sich auf den Durchschnitt der denkbaren oder praktisch vorkommenden Fälle beruft) je geleistet worden ist". 729 Denn damit ließe sieb besser argumentieren, als mit der Entfernung zu einem Durchscbnittsfall, der als "Einstiegsstelle" benutzt würde. Wie diejenigen, die statt dessen zu einer in ein "Spracbkleid gebetsmühlenartiger Zumessungsfloskeln" 730 gefaßten bloßen enumerativen Aneinanderreihung von Strafzumessungsgründen731 greifen, überhaupt zu einer nach Jahren, Monaten und Wochen genau bestimmten Strafe kommen, wird das Geheimnis derer bleiben, die so verfabren. 132

IV. Zusammenfassung Nachdem das "Regeltatbild" (gleichbedeutend: regelmäßiges, normales Erscheinungsbild) seinen angestammten Platz im Rahmen des Doppelverwertungsverbotes des § 46 Abs. 3 StGB verloren hat, mußte dafür ein neuer Standort gefunden werden. Das Bedürfnis dafür ergab sich daraus, daß mit dem vom DVV verkörperten logischen Ausschlußprinzip allein nicht auszukommen war. Das "Regeltatbild" hingegen verkörpert das wertende Ausschlußprinzipund ergänzt so das Doppelverwertungsverbot. Um dem "Regeltatbild" seinen dogmatischen Standort zuzuweisen, muß es eingepaßt werden in ein Modell der Strafzumessung. Über das gültige Modell der Strafzumessung besteht allerdings keineswegs Einigkeit; als plausibelstes, wenn auch noch nicht in allen Einzelheiten fertiges Modell der Strafzumessung wird beute das von Bruns entwickelte Fünf-Phasen-Modell der Strafzumessung angesehen, das auf Vorarbeiten von Spendel und dessen Dreiteilung der Strafzumessungsgründe in reale, finale und logische Strafzumessungsgründe zurückgebt und z. T. bereits um eine oder weitere Stufen ergänzt worden ist. Zwar ist auch dieses Modell nicht unangefochten, es ermöglichte aber selbst nach Einschätzung seiner Kritiker die "Lokalisierung und Beschreibung von Strafrumessungsproblemen". 733 Über Schuld, S. 261. Entwicklungslinien, S. 41. 731 Bruns, 1985, S. 256, Fn. 22- der Vorwurf dort ist allerdings auf die vorausgehende und hier ausgesparte Phase der "Abwägungg" gemünzt, vgl. dazu auch Bruns, 1974, s. 640 ff. 132 So schon Grasnick, Über Schuld, S. 253. 733 Streng, StrZ u. relat. Gerechtigkeit, S. 46; ders. , Strafrecht!. Sanktionen, s. 192. 729 Grasnick,

730 Kunz,

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

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Von den fünf Phasen oder Stufen der Strafzumessung springen für das "Regeltatbild" zwei ins Auge: Auf der dritten Stufe des Strafzumessungsgesamtaktes geht es um die Festlegung der sog. Bewertungsrichtung einzelner, in der vorangehenden Phase aus dem komplexen Lebenssachverhalt mit Blick auf die Strafzwecke herausgefilterter Strafzumessungstatsachen. Die Rechtsprechung praktiziert das ständig, und es ist von jeher anerkannt, daß Strafzumessungsfaktoren dabei entweder als strafschärfend oder als strafmildernd klassifiziert werden. Fraglich ist, ob es neben diesen beiden Kategorien noch eine dritte Klasse von Umständen gibt, die weder für noch gegen den Täter sprechen. Um diese "strafzumessungsneutralen" Umstände rankt sich der Streit. Er führt in die Problematik der strafzumessungsrechtlichen Relationsbegriffe, die die Frage indizieren, im Verhältnis wozu denn hier geschärft oder gemildert werden soll. Solche Relationsbegriffe setzen einen Ausgangs- oder Vergleichspunkt voraus, auch wenn dies teilweise geleugnet wird. Um die Festlegung eines Vergleichspunktes ist schon deshalb nicht herumzukommen, weil die Begriffe strafschärfend I strafmildernd sonst bedeutungslos, austauschbar und damit letztlich ohne Aussagewert wären. Den Einzelfall, dessen konkrete Umständedarangemessen werden sollen, selbst zum Ausgangspunkt zu machen, wie es der BGH734 in einer Plenarentscheidung aus dem Jahre 1986 nahezulegen scheint, verbietet sich ebenfalls von selbst. Als Ausgangspunkt für die Bewertungsrichtung von Strafzumessungsfaktoren kommen daher ernsthaft nur die Extreme, das tatbestandliehe Minimum und das Maximum, oder die Heranziehung bestimmter Fälle in Betracht: der sog. Normalfall, der Regelfall oder bestimmte Ankerfälle, wie auch vorgeschlagen worden ist. Letzteres setzt sich aber über das Modell einer phasenweise gegliederten Strafzumessung binweg und scheidet daher aus, wenn man an diesem Modell festhalten will. Die Rechtsprechung und ein Teil der Literatur neigen dazu, vom tatbestandliehen Minimum aus zu messen. Abgesehen davon, daß es dann in praxi nur Strafschärfungsgründe und keine Strafmilderungsgründe gäbe, spiegelte ein solches System exakt die Defizite wieder, die dazu geführt haben, dem im DVV verankerten logischen Prinzip, das sich am tatbestandliehen Minimum orientiert (Minimumansatz), das wertende zur Seite zu stellen. Es bleiben daher nur der jeweils von verschiedenen Seiten favorisierte statistische Regelfall oder sein Gegenpol, der sog. normative Normalfall, der 734 BGHSt

34, 345.

232

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

allerdings in der vieldiskutierten Entscheidung des Großen Senats BGHSt 34, 345 (351) ausdrücklich verworfen wurde. Gegen beide spricht, daß sie ursprünglich gar nicht zur Entscheidungstindung in dieser Phase der Strafzumessung, sondern als Orientierungshilfen auf einer anderen, späteren Stufe entwickelt wurden. So ist auch ihre Verschiebung in die vorangehende Phase nicht unwidersprochen geblieben. Ihr entscheidender Nachteilliegt aber in der Polarisierung zwischen normativem auf der einen und statistischem Ansatz auf der anderen Seite, die dazu führt, Unterschiede künstlich heraufzubeschwören, die in Wirklichkeit so nicht bestehen. Teilweise ist das bereits erkannt worden. In Wahrheit spielen beide Kriterien - in wechselnder Ausprägung für die Bewertung eines bestimmten Strafzumessungsumslandes als "neutral" eine Rolle. Das "Regeltatbild" vereinigt beide Ansätze in sich, indem es fragt, welche Umstände, obwohl sie nicht zwingend miterfüllt sind, (statistisch) regelmäßig oder typischerweise (normativ) mitverwirklicht sind. Das "Regeltatbild" bietet sich damit als der geborene Ausgangspunkt der Entscheidung über die Bewertungsrichtung an: Es war - im Unterschied zum logischen Prinzip des DVV- beschrieben worden als das wertende Prinzip. Eine Wertung ist es, die über die Festlegung der "Bewertungsrichtung" eines Strafzumessungsumstandes entscheidet. Ergibt diese Wertung, daß ein Umstand "sinnvollerweise nicht mehr neben den wirklich individuellen Umständen als den Einzelfall charakterisierend und seine Bewertung erklärend" 735 verwendet werden kann, so scheidet der entsprechende Umstand, zwar nicht aufgrunddes Doppelverwertungsverbotes, wohl aber wegen glatter Deckung mit dem "Regeltatbild" als strafzumessungsneutral aus. Über die Abweichung vom "Regeltatbild" ergibt sich andererseits, welche Bewertungsrichtung einem Umstand, der sich nicht damit deckt, zukommt und ob er im Vergleich dazu als schärfend oder mildernd zu qualifizieren ist. Das "Regeltatbild" übernimmt damit eine doppelte Funktion: Einerseits stellt es dem Doppelverwertungsverbot ein zweites, nunmehr dringend benötigtes wertendes Ausschlußprinzip zur Seite (negative Funktion). Zweitens ermöglicht die Wertung, mit der man das "Regeltatbild" eines Tatbestandes gefunden hat, auch die davon abweichende Umstände richtig zu klassifizieren (positive Funktion).

135 Frisch,

GA 1989, 361.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

233

So ist im "Regeltatbild" der geeignete und von den strafzumessungsrechtlichen Relationsbegriffen bereits vorausgesetzte Ausgangs- und Vergleichspunkt gefunden worden, nach dem in der Literatur gefahndet wurde. Wenn es diesen Ausgangspunkt der Bewertungsrichtung gibt, dann allerdings ist richtig, daß das Fehlen eines Milderungsgrundes noch keinen Strafschärfungsgrund und umgekehrt das Fehlen eines Schärfungsgrundes noch keinen Strafmilderungsgrund abgibt. Das bloße Fehlen des einen fiihrt dann noch nicht zum anderen, sondern fiihrt nur zum Vergleichspunkt zurück, aber nicht darüber hinaus. Die Geltung dieses Satzes, der vom BGH angezweifelt worden war, konnte im Rahmen der Untersuchung noch einmal bestätigt werden, wenn er auch streng genommen nicht von der Anerkennung des "Regeltatbildes" abhängt, sondern lediglich voraussetzt, daß es überhaupt einen Vergleichspunkt gibt, an dem die Relationsbegriffe strafschärfend und strafmildernd gemessen werden können. Demgegenüber wurde die damit zusammenhängende Frage der sog. "negativen" Formulierungen als ein rein sprachliches Problem enttarnt, das zur Verallgemeinerung nicht taugt. Besondere Probleme wirft die fünfte, die Strafzumessung i. e. S. abschließende Phase auf. Es geht dabei um die "Umwertung" der bisher gewonnenen Ergebnisse in ein konkretes Strafmaß. Dies ist zu Recht als der schwierigste Teil der Strafzumessung bezeichnet worden und hat immer wieder dazu geführt, das Fünf-Stufen-Modell insgesamt umzustürzen, in dem jede nachfolgende Stufe erst betreten werden kann, wenn die vorangegangene abgeschlossen ist. Das ist aber nicht Anliegen dieser Untersuchung. Die entscheidende, in ihrer Grundaussage nicht bestreitbare Hilfe für die Umwertung in ein bestimmtes Strafmaß bietet die von Dreher ausformulierte Theorie von der parallel zum Strafrahmen verlaufenden "kontinuierlichen Schwereskala •. Danach soll es theoretisch möglich sein, jedem konkret auftretenden Fall seinen richtigen Standort im Verhältnis zu allen anderen denkbaren oder praktisch vorkommenden Fällen zuzuweisen, dem dann auch ein konkretes Strafmaß (Punktstrafe~ oder jedenfalls ein engerer Spielraum (Spielraumtheorie137) 736 Dahinter verbirgt sich die fast philosophische Frage, ob es die eine schuldangemessene Strafe gibt, die lediglich "infolge unzureichender menschlicher Erkenntnis" nicht genau erkennbar ist, so Artbur Kau.ftnann, Das Schuldprinzip, S. 65, oder ob es schon objektiv mehrere gleichermaßen schuldangemessene Strafen gibt - vgl. zum Streit Dreher, NJW 1967, 41 ff; ders., Rationalere Strafzumessung, S. 42 ff; sowie Dreher I Trondle, § 46 Rdnr. 10 ff mit einer dritten Position, die es freilich dazwischen nicht geben kann, so auch Frisch, NJW 1973, 1346; Grasnick, Über Schuld, S. 15; Schaffstein, Gallas-FS, S. 100, Fn. 4.

234

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

entspricht. Konkret bedeutet das: Einem leichten Fall, am unteren Ende der Schwereskala, ist ein niedriges Strafmaß, einem schweren Fall, oberes Ende, ein hohes Strafmaß zuzuteilen - viel mehr läßt sich kaum sagen. Schon wenn es um den mittelschweren Fall geht, ist die Zuordnung zu dem arithmetischen Mittel des Strafrahmens zweifelhaft, die Mitte könnte auch geometrisch oder noch anders errechnet werden, trotzdem bleibt eine errechenbare Mitte. Ob in dieser Mitte aber der mittelschwere Fall aller denkbaren oder der mittelschwere Fall aller vorkommenden Fälle liegt, für die schon auf die Höchststrafe oder Mindeststrafe erkannt werden darf, hängt davon ab, wie man die Endpunkte der Skala besetzt. Aber auch wenn dies feststünde, ist noch immer nicht klar, was unter dem mittelschweren Fall zu verstehen ist, ein Fall, bei dem sich die Milderungs- und die Strafschärfungsgründe die Waage halten oder der Fall, bei dem weder Milderungs- noch Strafschärfungsgründe überhaupt vorliegen. Rechtsprechung und Literatur haben, ohne diese Fragen endgültig zu klären, den gedanklichen Durchschnittsfall (normativen Normalfall) und den tatsächlichen Durchschnittsfall (statistischen Regelfall) herausgearbeitet und das Dogma aufgestellt: der eine entspreche der Strafrahmenmitte, der andere liege weit darunter. Ersterer ist der eben beschriebene Fall mittlerer Schwere. Letzterer ist ein novum zur Erklärung der Tatsache, daß die Gerichte von jeher Strafen verhängen, die näher am Strafminimum liegen als an der rechnerischen Mitte des Strafrahmens. Die Unklarheiten, die sowohl die Berechnung seines Standortes wie auch die Frage angehen, was man sich konkret darunter vorzustellen hat, sind nicht geringer als beim gedachten DurchschnittsfalL Sicher ist nur, daß dafür eine statistische Betrachtung anzustellen ist. Da es an jeder, auch nur exemplarischen Beschreibung fehlt, eignet ihm dasselbe Defizit an wie dem NormalfalL Das hat zu der resignierenden Feststellung ge137 Ständige Rspr. BGHSt 7, 32; 20, 267; 24, 133: Sie ermöglicht es, die Strafe aufgrund generalpräventiver EIWägungen zu schärfen, ohne dafür den Spielraum schuldangemessener Strafe überschreiten zu müssen und enthält so einen Beitrag zur Lösung der sog. "Strafzweckantinomie", darin liegt ihr eigentlicher Wert, ebenso Bruns, 1985, S. 108; Schaffstein, Gallas-FS, S. 114. - An sich würde aus der Spielraumtheorieauch ein zweistufiges Phasenmodell der Strafzumessung folgen, bei dem in einem ersten Schritt der engere "Schuldstrafrahmen" zwischen der "schon und der noch schuldangemessenen" Strafe aufgesucht werden müßte, bevor dieser in einem zweiten Schritt nach präventiven Gesichtspunkten ausgefüllt würde, zu einem solchen Vorgehen Grasnick, JA 1990, 84, was der BGH aber seltsameiWeise nicht von den Richtern verlangt; ob die Tatrichter der Spielraumtheorie folgen, ist daher ungewiß, vgl. Theune, StV 1985, 164; krit. zum Ganzen auch Schneidewin, JZ 1955, 505 ff.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

235

führt, sowenig einem idealen Strafmaß ein konkreter Fall zugeordnet werden könne, sowenig könne einem idealen Fall ein konkretes Strafmaß zugeordnet werden. 738 Trotzdem wurde von beiden eine Orientierungshilfe beim Einstieg in die Schwereskala in dem Sinne erwartet, daß sie als "Einstiegshilfe" fungieren könnten. Neuere, die Existenz des normativen Normalfalls bestreitende Entscheidungen139 haben zur Aufspaltung der Literatur in zwei Lager geführt, von denen das eine für die Orientierung am Regelfall, das andere weiterhin für die Orientierung am Normalfall eintritt. Dabei ist jedoch nicht einzusehen, warum der eine besser als der andere geeignet sein soll, als Einstieg zu dienen, wenn man sie nicht wegen der gegen beide gleichermaßen sprechenden Einwände ganz aufgeben will. Ein Vorteil des einen gegenüber dem anderen ist jedenfalls nicht erkennbar. Sieht man genauer hin, so hat auch erst die Übertragung dieser als Orientierungshilfen für die Endphase der Strafzumessung konzipierten Fälle in die vorangehende Phase der Bewertungsrichtung dazu geführt, sich nunmehr für den einen oder anderen entscheiden zu müssen. Denn wenn man die Bewertungsrichtung an dem einen ausrichtet, dann führt auch jeder Umstand, der davon nicht abweicht, wieder zu diesem zurück. Am Ende gelangt man so zu dem Fall auf der Skala, den man sich gewählt hat und kann nun bei der Einordnung schlecht für die Orientierung am anderen plädieren. Ganz anders, wenn man als Ausgangspunkt der Bewertungsrichtung das "Regeltatbild" wählt: Das "Regeltatbild" enthält diese Vorentscheidung nicht. Dem "Regeltatbild" ist auch keine bestimmte Stelle auf der Skala zugeordnet. In dem Modell von Frisch kann ihm schon deshalb keine bestimmte Strafgröße korrespondieren, weil es gar keine abschließende Bewertung aller Umstände eines Falles liefert, vielmehr nur in einem engen, thematisch begrenzten Bereich überhaupt anwendbar ist. Wenn man das "Regeltatbild" hingegen nicht auf bestimmte Umstände beschränkt, dann kann der Fall auftreten, der vollständig und in allen Einzelheiten dem "Regeltatbild" entspricht. Es fragt sich, ob dieser Fall als "Einstiegsstelle" in den Strafrahmen taugt. Von ihm steht fest, daß er in allen seinen Strafzumessungsfaktoren "strafzumessungsneutral" ist. Nichts läge näher, als ihm die Mitte auf der Schwereskala und damit die Strafrahmenmitte zuzuweisen. Ein solcher Vorschlag sieht sich aber 738 Vgl.

Neumann, StV 1991, 259.

739 BGHSt

34, 345, 351; 37, 153, 156.

236

Erster Teil: Das Regeltatbild in der Strafzumessung

auch allen Einwänden ausgesetzt, die gegen die Theorie der Schwereskala und die Festlegung eines herausgehobenen Mittelpunktes im besonderen sprechen. Außerdem ist dieser Mittelpunkt in dem gängigen Modell bereits mit dem sog. gedanklichen Durchschnittsfall oder normativen Normalfall besetzt, mit dem der dem "Regeltatbild" voll entsprechende Fall nicht identisch ist. Dafür steht aber die Bandbreite des Strafrahmens fest, innerhalb dessen der dem "Regeltatbild" genau entsprechende Fall zu suchen ist, nämlich zwischen Regelfall und Normalfall, aus denen es zusammengesetzt ist und deren Heranziehung zur Orientierung das "Regeltatbild" auch nicht im Wege steht. Ein Streit um die richtige Einstiegsstelle wäre wahrscheinlich nie entstanden, wenn man nicht gewohnt wäre, immer nur in den zwei Kategorien Strafschärfungs- und Strafmilderungsgründen zu denken. Denkt man nur an diese beiden, so ist man schnell geneigt, den Strafrahmen in zwei Teile zu teilen, deren einer den Strafmilderungsgründen und deren anderer den Strafschärfungsgründen vorbehalten ist, und so macht man sich vorschnell auf die Suche nach dem einen Fall auf der Schwereskala, der an der immer gleichen Schnittstelle liegt. Akzeptiert man dagegen die Idee einer dritten Kategorie von Umständen neben den Strafmilderungs- und Schärfungsgründen, so ist die Vorstellung eines zweigeteilten Strafrahmens plötzlich viel weniger zwingend und man kann sich auch die oben beschriebene Dreiteilung mit einem dritten, neutralen Bereich zwischen Regelfall und Normalfall vorstellen. Als Einstiegsstelle taugt d8s "Regeltatbild" damit freilich nicht, das muß auch klar gesagt werden. Anders als bei der Festlegung der Bewertungsrichtung bedarf es aber bei der Einordnung in den Strafrahmen auch der Festsetzung eines "Nullpunktes" nicht. Da es um die relativ stimmige Einordnung eines Falles im Verhältnis zu allen anderen geht, kann jeder Fall, dessen Standort auf der Schwereskala bekannt (oder von der Rechtsprechung als Fixationspunkt zugelassen) ist, auch der "geheime Testfall" des Richters, zur Orientierung dienen. Der Argumentation mit einem als "Einstiegsstelle" geeigneten Vergleichsfall bedarf es dazu nicht, wohl aber der Argumentation mit Wertgruppen, wie die von Bruns vorgeschlagenen und von Grasnick in 21 Untergruppen ausdifferenzierten schweren, mittelschweren und leichten Fälle. Als "zusätzliche Hilfen" mögen dabei auch der Normalfall in der Mitte "der vom Gesetzgeber ins Auge gefaßten Tatbestandsverwirklichungen" und der praktische Regelfall als Ausdruck der Erfahrungsregel dienen, daß die meisten vorkommenden Fälle in der Praxis nicht das Gewicht erreichen, das der arithmetischen Mitte des Strafrahmens entspricht.

Zweites Kapitel: Die Stellung des "Regeltatbildes"

237

Damit kann das "Regeltatbild" das Hauptproblem, jedem Täter seine gerechte Strafe zuzumessen, nicht lösen. Das war bei allen Unsicherheiten und Irrationalitäten, die bis heute mit dem Akt der Strafzumessung verbunden sind, auch nicht zu erwarten. Erstaunlich ist vielmehr, daß die Rationalisierung der Strafzumessung überhaupt so weit fortgeschritten ist, daß dem "Regeltatbild • in der Strafzumessung auch ein Platz außerhalb des Doppelverwertungsverbotes zugewiesen werden und der Nachweis erbracht werden kann, daß beide, das logische und das wertende Ausschlußprinzip, darin Raum haben. Im folgenden Teil soll nun zur Fundierung dieser beiden Prinzipien ein Blick auf einen Bereich geworfen werden, in dem beide schon lange von Rechtsprechung und Lehre anerkannt sind und in dem man sich das eine ohne das andere heute gar nicht mehr vorstellen kann.

Zweiter Teil

Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre Erstes Kapitel

Die Verwandtschaft von Strafzumessungslehre und Konkurrenzentscheidung I. Strafzumesssung und Strafbemessung Das deutsche Strafgesetzbuch enthält in seinem Allgemeinen Teil fünf Abschnitte, deren dritter überschrieben ist: "Rechtsfolgen der Tat". Der zweite Titel des Abschnitts heißt "Stratbemessung". An der Spitze dieses Titels, der nur sechs Paragraphen umfaßt, steht § 46 StGB -und da ist nun nicht mehr von "Strafbemessung" die Rede, sondern von "Strafzumessung" . 1 Auf dieser terminologischen Grundlage unterscheidet die h.M. in Deutschland zwischen gesetzlicher "Stratbemessung" und richterlicher "Strafzumessung". 2 Damit soll der Gedanke zum Ausdruck gebracht werden, der der h.M. auch zur Erklärung des Doppelverwertungsverbotes dient, nämlich die Arbeitsteilung von Gesetzgeber und Richter. Diese Erkenntnis hängt freilich nicht an der Terminologie. In unserem Nachbarland Österreich sieht man es denn trotzunterschiedlicher Begrifflichkeit genauso. Wie das deutsche StGB kennt das öStGB einen Abschnitt über die "Strafbemessung". Eingeleitet wird er durch eine Bestimmung, die fast wörtlich dasselbe sagt wie § 46 StGB - mit einem kleinen Unterschied, daß 1 In Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift heißt es, die Schuld des Täters sei Grundlage für die "Zumessung" der Strafe, und ebenso lautet die amtliche Paragraphenüberschrift: "Grundsätze der Strafzumessung". 2 Z.B. Bruns, 1974, S. 36 ff; 1985, S. 4; Jescheck, AT, § 82 I 1; Hettinger, DVV, S. 24 f.

Erstes Kapitel: Strafzumessung und Konkurrenz

239

die Schuld des Täters Grundlage für die "Bemessung der Strafe" se1. Das Österreichische Strafgesetzbuch bezeichnet mit dem Ausdruck "Strafbemessung" also das, was bei uns "Strafzumessung" heißt. 3 Auch Jescheck4 weist darauf hin, daß die Unterscheidung zwischen "gesetzlicher Strafbestimmung" und "richterlicher Strafbemessung" gleichbedeutend mit der Unterscheidung von Strafbemessung und Strafzumessung sei, obwohl dort gerade von richterlicher "Strafbemessung" die Rede ist, wo es "Strafzumessung" heißen müßte. Aber auch andere Autoren benutzen den Ausdruck "Strafbemessung" für "Strafzumessung" und umgekehrt.5 Was nun die vorliegende Arbeit und dieses Kapitel im besonderen anbelangt, so ist entscheidend, daß das Gesetz denselben Ausdruck noch an anderer Stelle benutzt: Der dritte Titel des 2. Abschnitts heißt nämlich "Strafbemessung bei mehreren Gesetzesverletzungen". Darin ist die Behandlung der Konkurrenzen geregelt, §§ 52 bis 55 StGB. Auch hierbei handelt es sich also in der Terminologie des Gesetzes um ein Problem der "Strafbemessung". Obwohl üblicherweise nur in der Verbrechenslehre abgehandelt, löst die Konkurrenzentscheidung in Wahrheit auch Strafzumessungsprobleme. Sie gehört sowohl der Lehre vom Verbrechen wie auch dem Gebiet der Strafzumessung an, 6 bildet den "Übergang von Tatbestands- zur Strafzumessungslehre". 7 Zipf hat der "Konkurrenzlehre als Strafzumessungsproblem" eine eigene Überschrift in seinem Standardwerk "Die Strafmaßrevision" gewidmet und dazu bemerkt, ihr drohe eine Annektierung durch die Strafzumessungslehre.8 Insofern ist es nicht erstaunlich, daß das "Regeltatbild" in beiden Zusammen-

So der Hinweis von Burgstaller, ZStW 94 (1982), S. 130, Fn. 12. Jescheck, AT, § 82 I 1, S. 698, Fn. 2. 5 Z.B. Schünemann, Pönometrie, S. 75, 76; Horstkotte , JZ 1970, 124; Lang-Hinrichsen, Engisch-FS, S. 1; Giehring, Pongratz-FS, S. 189, 211; Kunz, Entwicklungslinien, S. 29, 36, 40, 41, 42; Müller-Diez, Probleme der Strafzumessung, S. 54; Sturm, MonKrimPsych 1936, S. 170, 172, 173 - die Liste ließe sich beliebig fortsetzen; noch anders Lackner, § 46 Rdnr. 22: "Stratbemessung" als Synonym für Strafzumessung i.w.S., ebenso Maurach I Gössel I Zipf, AT, §54 Rdnr. 16. 3 4

6

So Maurach I Gössel I Zipf, AT, §54 Rdnr. 16.

Bruns, 1974, S. 462; ders. , 1985, S. 184; Seier, Jura 1983, 226: "die Übergangszone, die Schnittstelle zwischen Verbrechens- und Rechtsfolgenlehre"; R. Schmitt, ZStW 75 (1963), 44: die "Nahtstelle zwischen der Lehre von der Straftat und der Lehre von den Straffolgen" ; Warda, JuS 1964, 81 spricht von einer "eigentümlichen Doppelstellung", aus der sich manche der Schwierigkeiten erklärten. 8 Zipf, Strafmaßrevision, S. 137. 7

240

Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

hängen Bedeutung gewinnt. Das strafzumessungsrechtliche Problem, von dem das "Regeltatbild" seinen Ausgangspunkt nahm, ist das sog. Doppelverwertungsverbot des§ 46 Abs. 3 StGB. Es ist kein Wunder, daß eben dieses Doppelverwertungsverbot gelegentlich auch als entscheidend für die Gesetzeskonkurrenz angesehen wird.

II. Die Problematik der Mehrfachverwertungen Hettinger hat in der Einleitung seiner grundlegenden Arbeit zum Doppelverwertungsverhot darauf hingewiesen, daß Fragen von Doppelverwertungen in den unterschiedlichsten Zusammenhängen auftreten, 9 beschränkt seine Untersuchung aber auf den Geltungsbereich des DVV bei der Einzeltatstrafzumessung und die gesetzlich geregelten Fälle des § 46 Abs. 3 und des § 50 StGB. Dabei klammert er die Erörterung von "echten" und "unechten" Konkurrenzsituationen bei Vorliegen mehrerer Straftaten ausdrücklich aus, in denen "Doppelverwertungen • ebenfalls eine Rolle spielten. 10 Montenbruck sieht nicht nur die enge Verwandtschaft zwischen Doppelverwertungsverbot und der Problematik der Gesetzeskonkurrenz, er meint sogar, in bestimmten Fällen das eine durch das andere ersetzen zu können. 11 Auch andere Autoren 12 erkennen den Zusammenhang, verzichten aber, weil ihr Thema wiederum die Konkurrenzlehre ist, zumeist darauf, die Verbindung zu Fragen der Strafzumessung eingehender darzustellen oder weiterzuverfolgen. Am ausführlichsten geht Jakobs in seinem Lehrbuch zum Allgemeinen Teil des Strafrechts auf die Problematik der "Mehrfachverwertungen • ein, die er zum Ausgangspunkt für sein eigenes System der Konkurrenzen macht, das nur noch die Spezialität als Form der Gesetzeskonkurrenz kennt: Denn "alle Bedingungen für das Ob und das Maß der Strafbarkeit" müßten gegen Mehrfachverwertung abgesichert werden. 13 Die Methode zur Vermeidung von Mehrfachverwertungen bestehe nun darin, nur denjenigen auf den Einzelfall kon9

Hettinger, DVV, S. 20 f.

10

Hettinger, DVV, S. 21.

Montenhruck, Strafrahmen, S. 180: Die Überschrift des III. Abschnitts des 8. Kapitels dort heißt: "Doppelverwertungsverbot und Kombinationstatbestand statt Gesetzeseinheit". 12 Wegscheider, Konkurrenz, S. 211 ff; Burgstal/er, JurBl 1978, 470; von Krog, S. 9; von Heintschel-Heinegg, Rdnr. 733. 13 Jakobs , AT, 31. Abschn. Rdnr. 12. 11

Erstes Kapitel: Strafzumessung und Konkurrenz

241

kretisierten Rechtssatz anzuwenden, der den konkreten Fall im umfassenderen Kontext regele. 14 Auch Puppe macht das "Doppelverwertungsverbot" 15 zum Ausgangspunkt einer neuen Konkurrenzlehre, bei der die Idealkonkurrenz (§52 StGB) die Funktion übernehmen soll, die sonst den Fällen der Gesetzeskonkurrenz zukommt. Ihre Überlegungen werden sogleich im Zusammenhang gewürdigt. Hier interessiert nur, daß auch ihren Gedanken die Vermeidung von unzulässigen Mehrfachverwertungen zugrunde liegt. Ebenso bringt Vogler das "Doppelbewertungsverbot" , wie er es nennt, 16 zur Erklärung der Gesetzeseinheit in die Konkurrenzlehre ein. Vogler spricht anschaulich von dem "Gedanken unzulässiger Doppelbestrafung", 17 der dem unter dem Gesichtspunkt des Gerechtigkeitsempfmdens vorgezeichneten Ergebnis sein dogmatisches Fundament gebe. Dies läßt Erinnerungen an das grundgesetzlich normierte Doppelbestrafungsverbot des Art. 100 Abs. 3 GG wach werden. 18 Schließlich ist auch das DVV gelegentlich daraus abzuleiten versucht worden. 19 Dagegen erhebt Geerds zwar Einspruch, muß aber zugeben, daß •gewisse Parallelen • bestehen. 20 Es ist vorgeschlagen worden, das Doppelverwertungsverbot im Sinne von § 46 Abs. 3 StGB "als Mehrfachverwertungsverbot im vertikalen Sinn • und das Mehrfachverwertungsverbot als Grundlage der Gesetzeskonkurrenz als "Mehrfachverwertungsverbot im hori-

14 Jakobs, AT, 31. Abschn. Rdnr. 12 f; ihm folgend von Heintschel-Heinegg, Rdnr. 733, 739.

Puppe, Idealkonk., S. 19 f; dies., GA 1982, 160 ff; dies. , JR 1984, 233. Vogler, Bockelmann-FS, S. 722, 726, 727, 729- Um eine begriffliche Klärung von "Doppelverwertung" und "Doppelbewertung" bemüht sich Abels, Klarstellungsfunktion, S. 33. 17 Vogler, Bockelmann-FS, S. 721; auch Geppert, Jura 1982, 428 spricht von "Doppelbestrafung wegen letztlich desselben Unrechts"; Wagner, JR 1979, 269 meint, die Annahme von Tateinheit in diesen Fällen laste dem Täter dasselbe Unrecht "im Grunde doppelt" an; aus der Rspr.: BGH MDR 1993 , 663: das in den Bereich der Überschneidung zweier Tatbestände fallende Unrecht dürfe dem Angeklagten "nur einmal angelastet werden". 18 Schon Honig, S. 30 wollte die Gesetzeskonkurrenz als materiell-rechtliche Konsequenz des Grundsatzes "ne bis in idem" ansehen; aus jüngster Zeit wieder: Maurach I Gössel I Zipf, AT, §54 Rdnr. 4 ff. 19 Montenbruck, Strafrahmen, S. 181 meint, der Weg zum DVV sei gleichfalls "offenkundig" . 20 Geerds, Konkurrenz, S. 165, Fn. 83 - er selbst spricht von einer "unzulässigen Doppelbehandlung", a.a.O., S. 184, 165. 15

16

16 Fahl

242

Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

zootaten Sinne" zu bezeichnen. 21 Aber es regt sich auch Widerstand: Ob man so weit gehen könne, das Institut der Gesetzeseinheit allein als Korrelat zum Doppelverwertungsverbot- im Sinne einer unzulässigen mehrfachen Berücksichtigung gleichliegender Unrechtsmerkmale - zu begreifen, sei zweifelhaft. 22 Schon gegen die Benutzung des Wortes werden Bedenken erhoben, weil damit einmal die doppelte Berücksichtigung von Tatbestandsmerkmalen bei der Strafzumessung(§ 46 Abs. 3 StGB), zum anderen die doppelte Berücksichtigung von Milderungsgründen gem. § 50 StGB bezeichnet wird, und dem Begriff nun nicht auch noch zusätzlich eine dritte Bedeutung beigelegt werden sollte. 23 Darum erscheint es zur besseren Unterscheidbarkeil sinnvoll, in diesem Zusammenhang von "Mehrfachverwertung" zu sprechen. 2A Ein sachlicher Unterschied ist damit aber nicht verbunden. 25 Was damit gemeint ist, zeigt folgendes Beispiel: 26 Jemand schießt aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebes, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen auf einen anderen. Das Opfer erliegt seinen Verletzungen im Krankenhaus. Sein Mörder ist wegen "Mordes" zu bestrafen (§ 211 StGB). Das ist keine Frage, so steht es im Gesetz. Gäbe es keine Gesetzeskonkurrenz, so wäre er aber nicht nur deshalb, sondern auch dafür zu bestrafen, daß er einen anderen körperlich verletzt hat (§ 223 StGB), und zwar mit einer Waffe(§ 223 a StGB), und außerdem noch dafür, daß diese Körperverletzung den Tod des Verletzten zur Folge hatte (§ 226 StGB). So müßte man das Gesetz verstehen, wenn man es zum ersten Mal läse. Ein und dieselbe Tatsache, der Schuß auf das Opfer, würde dem Täter mehrfach zugerechnet. Logisch ausgeschlossen ist das nicht, aus einer Handlung mehrere Konsequenzen zu ziehen. Tl Schließlich könnte man sich auf den Standpunkt stellen, der Täter sei für jeden dieser Erfolge gesondert zur Verantwortung zu ziehen: Körperverletzung zum einen, Tod zum anderen. Der Widerspruch tritt offen erst zutage, wenn man sich klarmacht, daß überHuang, Gesetzeseinheit, S. 131, Fn. 187. Seier, Jura 1983, 231. 23 So Maurach I Gössel I Zipf, AT, §54 Rdnr. 13. 2A So auch Hettinger, DVV, S. 20, Fn. 32, wenn er auf die parallele Erscheinung in den Konkurrenzen verweist. 21

22

So auch Jakobs, AT, 31. Abschn. Rdnr. 12. In Anlehnung an Jakobs, AT, 31. Abschn. Rdnr. 11; siehe auch von HeintschelHeinegg, Rdnr. 733. Tl Der§ 52 StGB selbst zeigt es, wie Puppe, ldealkonk., S. 20 richtig bemerkt. 25

26

Erstes Kapitel: Strafzumessung und Konkurrenz

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hauptkein Mord begangen werden könnte, ohne eine ganze Reihe von Delikten zu begehen. Jeder kann es vermeiden, eine Körperverletzung zu begehen (indem er nicht zuschlägt); er kann es auch vermeiden, einen Mord oder Totschlag zu begehen (indem er nicht schießt); er könnte es aber nicht verhindern, einen Mord zu begehen, ohne gleichzeitig einen Totschlag, eine Körperverletzung, eine Körperverletzung mit Todesfolge usw. zu verwirklichen. Ein Weg, diesen Widerspruch zu vermeiden, ist es, Tatbestände so auszulegen, daß einer den anderen ausschließt. Was das Verhältnis von Mord zum Totschlag anbelangt, scheint das Gesetz selbst diesen Weg zu gehen. Dort heißt es nämlich: Wer einen Menschen tötet, "ohne Mörder zu sein". Bekanntlich lehnt die h.M. diesen Weg bei der Körperverletzung im Verhältnis zur Tötung ab und hält daran fest, daß die Körperverletzung das notwendige Durchgangsstadium zum Tode sei (sog. Einheitstheorie). 28 Der richtige Weg zur Vermeidung solcher Mehrfachverwertungen wird überwiegend in der Lösung über die Konkurrenzen gesehen. So lassen sich alle Mehrfachverwertungen im obigen Beispiel auflösen: Der Mord ist als Qualifikation zum Totschlag die speziellere Norm, ebenso ist § 223 a StGB zu § 223 StGB und § 226 StGB zu beiden Iex specialis, allesamt sind als Körperverletzungsdelikte subsidiär zu den Tötungsdelikten. Damit sind bereits zwei von drei Fallgruppen der sog. Gesetzeseinheit ausgemacht, auf die noch näher einzugehen sein wird. Dasselbe Beispiel mag auch zur Illustration im Bereich des strafzumessungsrechtlichen Doppelverwertungsverbotes dienen. Allerdings ist der Mordtatbestand dafür ungeeignet, weil er eine absolute Strafandrohung enthält. Absolute Strafandrohungen, hier die lebenslange Freiheitsstrafe, lassen nämlich keinen Raum für die richterliche Strafzumessung. Hier hat der Gesetzgeber die Strafe bereits bemessen, der mit dem DVV nach h.M. angesprochene Konflikt von gesetzgebenscher Strafbemessung und richterlicher Strafzumessung tritt also gar nicht auf. Hat der Täter in dem Beispielsfall ohne Mordmerkmale getötet, so kann ihn der Richter mit fünf Jahren Freiheitsentzug bestrafen, er kann aber auch doppelt so hoch greifen und sogar das dreifache Strafmaß festsetzen(§ 212 Abs.l i.V.m. § 38 Abs. 2 StGB). Will er die Strafe nicht willkürlich oder zufällig herausgreifen, so muß er Gründe für seine Entscheidung anführen; dabei kann er prinzipiell alle Tatsachen heranziehen, nur eine Gruppe von Tatsachen oder Umständen scheidet logisch zwingend 28

Vgl. zum Streit Schönke-schröder-Eser, § 212 Rdnr. 17 ff.

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Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

aus: diejenigen Tatmerkmale, welche jedes Delikt der betreffenden Art kennzeichnen, beim Totschlag zum Beispiel, daß sich der Täter über ein Menschenleben hinweggesetzt hat. Würden solche Merkmale, die auf jeden Totschlag zutreffen, nun innerhalb des dafür vorgesehenen Strafrahmens erneut, doppelt berücksichtigt, so würde ein und dasselbe Unrecht dem Täter mehrfach zugerechnet - diesmal nicht im Hinblick auf verschiedene Delikte (horizontales Doppelverwertungsverbot}, sondern innerhalb eines Deliktstatbestandes, auf Tatbestandsseite und Rechtsfolgenseite (vertikales Doppelverwertungsverbot). Wieder ist es dieselbe Überlegung wie oben, die eine Mehrfachverwertung unbillig erscheinen läßt: Man kann eben keinen Totschlag begehen, ohne sich über ein Menschenleben hinwegzusetzen. Schließlich kann man beide Konstellationen auch noch kombinieren und fragen, ob der Richter im letzten Beispiel zur Findung der Strafe innerhalb des ffir den Totschlag vorgesehenen Strafrahmens denn wenigstens berücksichtigen darf, daß der Täter nicht nur den Tod des Opfers, sondern als Durchgangsstadium auch seine Körperverletzung mittels einer Waffe verursacht hat. Schließlich handelt es sich dabei nicht um Tatbestandsmerkmale des§ 212 StGB. Es ist auch keine Frage der konkurrierenden Anwendung von Strafgesetzen, denn es soll ja nur das eine Strafgesetz, der § 212 StGB, angewendet und daraus die Strafe zugemessen werden.

111. Das Grundproblem von Kern- und Randzone Zu zeigen ist, daß sich stets dort dieselben Probleme stellen, wo das Prinzip zur Vermeidung solcher Mehrfachverwertungen auf seine natürlichen Grenzen stößt, und - so die Hypothese - daß sie auch auf die grundsätzlich gleiche Weise gelöst werden können. Kann nachgewiesen werden, daß sich in beiden heute immer noch als heterogen angesehenen Gebieten im Hinblick auf das Mehrfachverwertungsverbot strukturell dieselben Probleme stellen, dann müssen sich auch die Lösungen aneinander messen lassen, dann kann die Strafzumessungslehre von der Konkurrenzlehre abschauen. Das aktuelle Samenergußurteil, das beispielhaft ffir die strafzumessungsrechtliche Seite des Problems steht, wäre ja nicht so kontrovers diskutiert worden, wenn die Dinge dort so klar gelegen hätten wie in dem oben gebildeten Fall, in dem der Tod eines Menschen strafschärfend berücksichtigt würde. Das liegt daran, daß der Tod eines Menschen beim Totschlag tatsächlich Tatbestandsmerkmal ist,

Erstes Kapitel: Strafzumessung und Konkurrenz

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der Samenerguß bei der Vergewaltigung hingegen nicht. Tatbestandsmerkmal, für das das Doppelverwertungsverbot nach § 46 Abs. 3 StGB gilt, ist der Beischlaf. Natürlich könnte man dieses Merkmal in dem Sinne auslegen, daß es den Samenerguß zur Voraussetzung hätte. Dann wäre der Samenerguß vom DVV mitumfaßt. Die Rechtsprechung hat diese Auslegung bekanntlich früh verworfen und es abgelehnt, den Samenerguß zur Tatbestandsvoraussetzung zu erheben. In den durch die anerkannten Auslegungsgrundsätze vorgegebenen Grenzen, steht es der Rechtsprechung frei, die Tatbestandsmerkmale zu konkretisieren und den Samenerguß zur Voraussetzung des Beischlafs zu machen oder nicht. Trotzdem ist der Samenerguß ja nicht völlig losgelöst vom Tatbestand zu betrachten, gehört irgendwie noch mit dazu. Die rechtliche Frage ist nun die, wie solche • Anhängsel" des Tatbestandes behandelt werden, die zwar nicht zum Tatbestandskern gehören, die sich aber wie ein weiterer Kreis um den Tatbestand legen und doch auf diese Weise irgendwie mit ihm verbunden sind. Wohlgemerkt, was als der entscheidende Gedanke für die Vermeidung von Mehrfachverwertungen herausgestellt wurde, trifft hier nicht zu: Man kann einen Beischlaf im juristischen Sinne durchführen, man kann auch eine Vergewaltigung begehen, ohne dabei einen Samenerguß zu habenund das kommt auch vor. Ein Täter büßt also nicht doppelt für exakt dieselbe Tatsache, er würde allerdings durch die mehr oder minder künstliche Aufspaltung des Geschehens in zwei Teile "doppelt" belastet: für den Beischlaf bis zum Sameuerguß zuerst, weil er bereits den Tatbestand erfüllt, für den Samenerguß nachher, wenn es um die Rechtsfolge geht. Auch bei der Erscheinung der Gesetzeskonkurrenz liegt es nicht immer so einfach wie in dem Ausgangsbeispiel: Man kann einen Totschlag oder Mord nicht begehen, ohne zugleich (als Durchgangsstadium) eine Körperverletzung zu verwirklichen. Ein Einbrecher wird normalerweise zwar auch ein Türschloß beschädigen oder eine Fensterscheibe einschlagen müssen (§ 303 StGB), um in die Wohnung zu gelangen. Man kann aber einen Einbruchdiebstahl (§§ 242, 243 Nr. 1 StGB) nach dem Gesetz auch begeben, ohne dabei zugleich eine Sachbeschädigung zu verwirklichen - dann nämlich, wenn die Tür nur aufgestoßen werden muß oder wenn das Fenster schon vorher durch einen Sturm eingedrückt war. Ausgeschlossen ist das nicht, wenn auch untypisch und sicher nicht gerade häufig. Ob man ein "Einbrechen" im Unterschied zum bloßen "Einsteigen", das in § 243 Nr. 1 StGB unter anderen Tatmodalitäten ebenfalls geregelt ist, auch dann bejaht, wenn die Tür aus Nachlässigkeit nur angelehnt war oder das

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Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

Fenster einen Spalt breit offenstand, so daß es sich mit Hilfe eines durchgereichten Drahtes oder eines anderen geeigneten Werkzeugs leicht öffnen ließ, ist Frage der Auslegung. Je weniger man für das Einsteigen fordert (Hineinlehnen des Oberkörpers, Überspringen eines Hindernisses), umso weniger wird man auch für das Einbrechen ausreichen lassen. Umso mehr Fälle sind dann denkbar und konstruierbar, in denen es an einer Sachbeschädigung i.S. des § 303 StGB fehlt. Und trotzdem, das ist die Crux, egal wie man den Einbruchdiebstahl rechtlich auslegt: Tatsächlich gehört die Sachbeschädigung doch irgendwie dazu, so daß sich die Frage stellt, ob man dem Täter daraus auch noch einen "Strick drehen" muß oder ob er nicht wegen des Einbruchdiebstahls genug bestraft ist. Genauso entscheidet die h. M.: Die "Aufzehrung" der Sachbeschädigung, übrigens ebenso des Hausfriedensbruchs, durch den Einbruchdiebstahl ist geradezu das Musterbeispiel für Gesetzeskonkurrenz in Form der Konsumtion. Eine Auseinandersetzung mit dieser umstrittensten aller Fallgruppen der Gesetzeskonkurrenz würde der späteren Diskussion vorgreifen. Das ist aber an dieser Stelle zur Verdeutlichung auch gar nicht nötig. Das Beispiel zeigt, welches die Konstellationen sind, in denen das Mehrfachverwertungsverbot an seine Grenzen stößt, und zwar in seiner Ausprägung als strafzumessungsrechtliches DVV genauso wie in der Form der Gesetzeskonkurrenz. Dann fragt sich aber, ob beide Probleme auf eine gemeinsame Struktur zurückgeführt werden können, die erklärt, warum in beiden Bereichen im Hinblick auf die Vermeidung von Mehrfachverwertungen Fragen auftauchen, die ihre Ähnlichkeit nicht verleugnen können. Es ist schon bemerkenswert, daß man auch sprachlich gezwungen ist, bei der Beschreibung auf dieselben Floskeln zurückzugreifen und von der "normalen", "regelmäßigen" oder "typischen" Erscheinungsform zu sprechen. 29 Man fmdet die gemeinsame Wurzel bei Beling. 30 Spendel hat in seiner grundlegenden Arbeit zum Recht der Strafzumessung31 darauf aufmerksam gemacht und ist später noch einmal darauf zurückgekommen. 32 Ausgehend von der berühmt gewordenen Unterscheidung in finale, reale und logische Strafzu29 Vgl. RGSt 60, 122: "regelmäßige Erscheinungsform" in einem Fall der Gesetzeskonkurrenz. 30

31 32

Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 245 ff. Spende/, Zur Lehre vom Strafmaß, S. 232 ff. Spende/, NJW 1964, 1762 ff.

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messungsgründe beschäftigt sich Spendel mit den "realen" Strafzumessungsgründen, den Strafzumessungstatsachen, und legt sich die Frage vor, wie diese abzugrenzen seien von den Merkmalen des gesetzlichen Tatbestandes. Zur Unterstützung seiner These, daß die strafzumessungsrelevanten Tat-Umstände "irgendwie von ihm mitgeformt und mitbestimmt werden müssen", verweist er auf den eigentlichen Schöpfer des Tatbestandes, auf den bedeutenden Dogmatiker Ernst Beting. Dieser hatte bereits auf den "Gegensatz zwischen konstitutiven und bloß straferhöhenden oder -vermindernden Umständen" hingewiesen33 und vor allem folgende Beobachtung gemacht: Es gibt "gewisse außerhalb des eigentlichen Tatbestandes liegende Momente", die dennoch in der Weise zum Tatbestand gehören, "daß sie ihm notwendig als Anhängsel angegliedert werden müssen, weil sie vom Tatbestande mit beherrscht werden." Und, so fährt Beting fort, "sie fallen sozusagen noch in die Interessensphäre des Tatbestandes hinein und bilden mit ihm ein Ganzes. "34 Demgemäß trifft Beting die in dem hier interessierenden Zusammenhang bedeutsame Unterscheidung zwischen einer "Kernzone", dem engeren Tatbestand, und einer "Außenzone mit sekundären Elementen, die sich um den Kern herum legt, und die mit ihm zusammen den weiteren Tatbestand bildet" .35 In dieser Außenzone, der "Interessensphäre des Tatbestandes", findet Beting das, was man heute Strafzumessungstatsachen nennt. 36 Nach Beting läßt sich die Außen- oder Randzone nun weiter aufspalten in Vor-, Nach- und Nebenzone. 37 Beting erläutert: "In die Nachsphäre fallen gewisse Nachhandlungen hinein, die der Vollendung der Tat nachfolgen und sich zweckmäßig als "Nachhandlungen" bezeichnen lassen." Als Beispiel führt er das Verkaufen der gestohlenen Sache beim Diebstahl an. Natürlich sei nicht alles, was Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 291. Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 246; vgl. hierzu und zum Folgenden auch Lang-Hinrichsen, Engisch-FS, S. 352 ff, der sich eingehend mit Beling und Spende/ auseinandersetzt und ihre Thesen zur Grundlage seines "erweiterten Tatbegriffs" für die Strafzumessungslehre macht; sowie Schaffstein, GaUas-FS, S. 112 f. 35 Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 246. 33 34

36 Vgl. Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 246: "nicht juristisch völlig unbeachtlich", z.B. "als eine rechtlich relevante Tatsache für die Strafzumessung". 37 Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 249; vgl. auch Lang-Hinrichsen, EngischFS, S. 359, der die Begriffe allerdings etwas anders gebrauchen will, siehe a.a.O., S. 362.

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Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

der Täter post delictum tue, in den weiteren Tatbestand, in die Außenzone, hineinzunehmen. Er will sie begrenzen durch solche Nachhandlungen, die den Zustand festhalten, befestigen oder verschlinunern. 38 Da haben wir nun - fast mustergültig - die noch heute herrschende Definition der "straflosen" oder "mitbestraften" Nachtat, einer Erscheinung, die unter den Fällen der Gesetzeskonkurrenz mehr oder minder ausdrücklich der Konsumtion zugeschlagen wird. Spendet bemerkt dazu: "Wir sehen also das seither inuner in der Verbrechenslehre nur abgehandelte Problem der straflosen Nachtat auch als ein bedeutsames Strafzumessungsproblem auftauchen. "39 Von der Betingsehen Außenzone ist es allerdings weniger die Nachzone als die von ihm sog. "Nebenzone", für die sich Spendet am meisten interessiert. 40 Es sind Handlungen, "die sozusagen als bloßes Zubehör der Ausführung erscheinen •. 41 Als Beispiele führt Beting an: Der Mörder werde ja bestraft, weil er getötet hat, "nicht weil er sich zuvor einen Revolver gekauft, oder während des tödlichen Stichs sein Opfer festgehalten hat". 42 Das erste ist - in anderem Gewand- die schon im Rahmen des "Regeltatbildes" aufgeworfene Fpge, inwiefern die Tatsache, daß der Täter sich mit einer Waffe versorgt und diese bei sich getragen und auch eingesetzt hat, strafschärfend berücksichtigt werden darf. Das Festhalten des Opfers während des tödlichen Streiches wirft dagegen, sofern es die Tatbestände der §§ 239, 240 StGB erfüllt, ein Konkurrenzproblem auf. In die tatbestandliehe "Nebenzone" gehört zum Beispiel bei der Vergewaltigung auch der Samenerguß. Denn, mit Beling gesprochen, allem solchen Handeln ist gemeinsam, "daß es dem Typus nicht genügt und sonach grundsätzlich straflos ist". Es kann der Tat zwar ihr individuelles Gepräge geben, "ohne den Tatbestandskern aber interessiert es den Strafrichter nicht". 43

Beting, Lehre vom Verbrechen, S. 247. Spende/, Zur Lehre vom Strafmaß, S. 235; ders., NJW 64, 1763: Spende/ zieht daraus den Schluß, daß viele Probleme, mit denen sich die Verbrechenslehre abmüht, "in Wahrheit in den Fragenbereich der Strafzumessung gehören und dort ihre Lösung erheischen", Spende/, Strafmaß, S. 26, worauf er aufS. 235, Fn. 3 verweist. 40 Spende/, Strafmaß, S. 235 f erklärt daran den Unterschied zwischen seinen "realen Strafzumessungstatsachen" und den Tatbestandsmerkmalen. 38

39

Beting, Lehre vom Verbrechen, S. 249. Beting, Lehre vom Verbrechen, S. 249- nach Spende/, Strafmaß, S. 235 freilich ein "etwas verunglücktes Beispiel". 43 Beting, Lehre vom Verbrechen, S. 249. 41

42

Erstes Kapitel: Strafzumessung und Konkurrenz

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Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch gehören, da sie gleichzeitig mit dem Einbruchdiebstahl mitvetwirklicht werden, ebenfalls der "Nebenzone" an. Es handelt sich in der Terminologie der h.M. um "mitbestrafte Begleittaten", die ebenfalls mit der Konsumtion erklärt werden. Der neuralgische Bereich der Mehrfachvetwertungsproblematik scheint also in dem zu liegen, was Beting die Randzone nennt, die sich um den Tatbestandskern herumlegt und mit ihm zusammen den weiteren Tatbestand bildet, in der Umstände und Handlungen enthalten sind, seien es nun Vor-, Nach- oder Nebenhandlungen, die zwar nicht selbst zum Tatbestand gehören, aber ihm doch derart als "Anhängsel" dienen, daß man sich fragen muß, wie sie gegen Mehrfachvetwertung abgesichert werden können, während das Mehrfachvetwertungsverbot bei den eigentlichen Tatbestandsmerkmalen selbst keinerlei Probleme bereitet. Dann fragt sich aber, wer die fiir das Mebrfachvetwertungsverbot so bedeutsame Grenze zwischen Kern- und Randzone zieht. Vordergründig ist es das Gesetz selbst, indem es aus dem Lebenssachverhalt die Charakteristika herauspickt, die das Unrecht am besten beschreiben, und so den (engeren) Tatbestand überhaupt erst entstehen läßt. Es wäre also der Gesetzgeber, dem die Aufgabe zufiele, die Trennlinie durch Aufstellung der Tatbestandsmerkmale zu markieren. In Wahrheit ist das aber eine falsche Sicht der Dinge. In Wirklichkeit wird die Grenze erst von der Auslegung der tatbestandliehen Begriffe her, also vom Richter gezogen. Von diesem Blickwinkel wird auch verständlich, daß beide Beispielställe, Vergewaltigung und Einbruchdiebstahl, hinsichtlich der Reichweite ihrer Talbestandsmerkmale ("Beischlaf" und "Einbrechen") Auslegungsprobleme aufwerfen, die der Feststellung von Mehrfachvetwertung logisch vorangehen. 44 Erst die Auslegung ergibt, daß der Sameuerguß bloß "Beiwerk" und nicht Tatbestand ist. Ebensogut lassen sich durch eine veränderte Auslegung Umstände von der Außenzone in den Kernbereich zurücktransportieren. Vom Ergebnis her gedacht ließen sich damit dieselben Erfolge erzielen wie mit der Etweiterung des Verbotes über den Kreis der Tatbestandsmerkmale hinaus. Mancher mag diesen Weg bevorzugen, um zum "richtigen" Ergebnis im Einzelfall zu gelangen. Um Strafzumessungsprobleme müßte er sich nicht scheren. Das Problem von tatbestandlieber Kern- und Randzone wäre dadurch aber nicht behoben, lediglich die Grenze zwischen ihnen würde verschoben. 44 Es ist sogar der Versuch unternommen worden, die Mehrfachverwertungsproblematik bei der Gesetzeskonkurrenz durch sorgfaltige Auslegung der Tatbestände ganz aufzulösen, sog. Auslegungsansatz, siehe Wegscheider, Konkurrenz, S. 200 ff.

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Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

Darum soll im folgenden auf Auslegungsfragen nur eingegangen werden, wo sie zur Veranschaulichung dienen, im übrigen soll die herrschende Auslegung jeweils als richtig unterstellt und zum Ausgangspunkt der Betrachtungen gemacht werden.

Zweites Kapitel

Die Lehre von der Gesetzeseinheit I. Der Begriff Neben den "echten", in §§ 52, 53 ff StGB geregelten Konkurrenzformen, Real- und Idealkonkurrenz (Tateinheit und Tatmehrheit), ist die "Gesetzeseinheit" in der strafrechtlichen Konkurrenzlehre als drittes, ungeschriebenes Institut allgemein anerkannt, aber schon über den Namen, über ihren Inhalt und selbst über ihre Rechtsfolgen gehen die Meinungen weit auseinander. Ist die Strafzumessung auch heute noch ein weitgehend "unbeackertes" Feld, so ist auf dem Gebiet der Konkurrenzen das Gegenteil der Fall. Hier findet sich Literatur in ungesunder Fülle. "Das praktisch eminent wichtige Gebiet", schrieb Sauer, "gehört zu den uoklarsten und unsichersten des gesamten Strafrechts trotz reichlicher Durchforschung" - weshalb er das Kapitel auch überschrieb: "Konkurrenzlehre. Übersicht und Neubau". 4s Erste Systematisierungsversuche der Erscheinung der Gesetzeskonkurrenz finden sich vor gut einem Jahrhundert bei Binding,46 ein halbes Jahrhundert später war das "Chaos in der Terminologie" bereits perfekt. 47 Daranhat sich

4S Sauer, Allgem. Strafrechtslehre, 3. Aufl., 1955, S. 229, § 27; vgl. R. Schmitt, ZStW 75 (1963), 43, der meinte, als literarisch vernachlässigt könne man das Gebiet nicht bezeichnen. 46

Binding, Handbuch, S. 349-369.

So Hirschberg, ZStW 53 (1934), 34; von Krog, Straflose Vor- und Nachtaten, S. 171 : "terminologische Wirrnis"; Bringewat, Gesamtstrafe, Rdnr. 81 : "bisweilen verwirrende Vielfalt von tennini und Bezeichnungen für teilweise gar sachidentische Fragestellungen"; Hruschka, Strafrecht, S.387: "uneinheitliche, teilweise sogar wider47

Zweites Kapitel: Die Lehre von der Gesetzeseinheit

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bis heute nicht viel geändert. Selbst der Gesetzgeber hat vor der Aufgabe kapituliert: • Angesichts der Vielgestaltigkeit der Verhältnisse ist bewußt darauf verzichtet worden, für die Behandlung der Gesetzeskonkurrenz bestimmte Richtlinien zu geben. Die Frage bleibt in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht der Rechtsprechung überlassen. "48 Der eben genannte, früher gebräuchliche Begriff der "Gesetzeskonkurrenz" 4~ ist weitgehend vom Begriff der "Gesetzeseinheit" verdrängt worden. 50 Das Wesen der "Gesetzeskonkurrenz", so wendete man ein, sei ja gerade der Ausschluß eines der beiden "konkurrierenden" Gesetze. 51 Es handele sich gerade nicht um eine wirkliche Konkurrenz, sondern das Gegenteil einer solchen. 52 Man bevorzugte deshalb den Ausdruck "Scheinkonkurrenz" / 3 "scheinbare Konkurrenz" 54 oder "unech-

spruchliehe Terminologie, die die rationalen Elemente dieser Lehre nahezu völlig verdeckt". 48 E 1962, Begr., S. 191; in dem gleichen Sinne und gegen eine gesetzliche Regelung der Gesetzeskonkurrenz auch Schneidewin, Materialien zur Strafrechtsreform, Bnd. 1, S. 224 f; zust. Schönke I Schröder-Stree, vor § 52 Rdnr. 130; ebenso Jescheck, ZStW 67 (1955), 536; zu Vorschlägen für eine Kodifizierung: R. Schmitt, ZStW 75 (1963), 182. 4~ Aus der Rspr.: RGSt 7, 116; 24, 202; 40, 431; 47, 27; 58, 23; ebenso die ältere Lit.: Preisendanz, vor § 52, Anm. III 1; Frank, § 73 Anm. VII; Honig, S. 3 f; von Hippel, DtStR, § 37; Allfeld, AT, § 42 I 4; Maurach, AT, 2. Aufl., § 55 I B 1; Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 234; Lent, Gesetzeskonkurrenz, S. 5 f. so BGHSt 1, 154 f; 8, 54; 9, 30; 11, 16 f; 18, 27; 25, 373; 28, 19; 31, 380; vgl. aus der Literatur: Kohlrausch I Lange, vor§ 73 Anm. 1: "was das Gegenteil besagt und richtiger ist"; Schütze, GA 3 (1883), 56 f scheint dagegen davon auszugehen, daß sich mit den Begriffen auch verschiedene Gegenstände verbinden, er unterscheidet nämlich zwischen Fällen der "Gesetzeskonkurrenz" und Fällen der "gesetzlichen Einheit".

51 So schon Kohlrausch I Lange, vor§ 73 Anm. I; Schönke I Schröder-Stree, vor §52 Rdnr. 102; Bocke/mann I Volk, AT, § 35 I; Meurer, AT, S. 185; Triffterer, AT, 18. Kap. 111 1; Warda, JuS 1964, 90: Die Bezeichnung sei daher "sinnwidrig" (Graf zu Dohna, ZStW 61 (1941), S. 131 , Fn. 1); "ungenau" (Allfeld, AT, S. 237, Fn. 30); "mißverständlich" (Bocke/mann I Volk, AT, § 35 I); "irreführend" (Baumann I Weber, § 41 II 3 a; Meurer, AT, S. 185).

52 Vgl. Graf zu Dohna, ZStW 61 (1941), S. 131, Fn. 1: Richtig sei allein, jedes Konkurrenzverhältnis zu verneinen; erklärend Sauer, Allgem. Strafrechtslehre, § 27 II A: Es bestehe "Gesetzeseinheit", nur "der äußere Anlaß" sei eine Konkurrenz.

53 Ein verbreiteter Ausdruck vor allem in Österreich, wo die Lage insofern vergleichbar ist, als eine gesetzliche Regelung ebenfalls fehlt: Burgstaller, JurBl 1978, 393; Foregger I Serini, § 28 Anm . V; Leukauf I Steininger, § 28 Rdnr. 23 ; Triffterer, AT, 18. Kap. III 1.

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Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

te Konkurrenz". 55 Dem hielt Hirschberg entgegen, es ginge bei der Gesetzeskonkurrenz ja auch nicht um die konkurrierende Anwendung von Gesetzen, sondern um deren Konkurrenz "um die Anwendung". 56 In Deutschland hat sich aber der Ausdruck "Gesetzeseinheit" durchgesetzt. Damit soll ausgedrückt werden, daß die beiden scheinbar konkurrierenden Gesetze in Wahrheit eine "Einheit" bilden. Ob der Begriff wirklich glücklicher gewählt ist, ist allerdings zu bezweifeln. 57 Der Bundesgerichtshof, 58 so wie schon vor ihm das Reichsgericht, 59 verwendet beide Ausdrücke nebeneinander. Auch in der Literatur sind beide Begriffe geläufig. Der Streit über die richtige Ausdrucksweise ist ebenso unergiebig wie überflüssig. 60 Jeder Jurist weiß, was damit gemeint ist, und dem Laien wird das eine so wenig sagen wie das andere. Was darunter zu verstehen ist, wieviele Formen der "Gesetzeseinheit" es gibt und wie sie zu systematisieren sind, ist freilich noch unklarer als die BegrifflichkeiL In der Sache, 54 Z.B. Wegscheider, Konkurrenz, S. 137 ff; ebenso Geerds, S. 156 ff- dagg. wieder R. Schmitl, ZStW 75 (1963), 45: Von scheinbarer Konkurrenz zu sprechen sei auch falsch, denn die Straftatbestände seien wirklich nebeneinander erfiiUt; krit. auch Lent, Gesetzeskonkurrenz, S. 40: Wenn die Gesetze auf den FaU zu passen schienen, dann nur deshalb, weil ihr wahrer verborgener Sinn nicht beachtet werde. 55 M.E. Mayer, AT, S. 501; Frank, § 73 Anm. VII, § 74 Anm. V; R. Schmill, ZStW 53 (1934), 37; Kienapfel, AT, 4. Aufl., S. 582- dagg. Meurer, AT, S. 185: "gebräuchlich, aber ebenfalls zu vermeiden; krit. auch Sauer, Allgem. Strafrechtslehre, § 27, S. 229: Es fehle die Bezeichnung des wahren, ihres "echten" Sachgehalts.

56 Hirschberg, ZStW 53 (1934), 37; ebenso Jakobs, AT, 31. Abschn. Rdnr. 2; so schon M.E. Mayer, AT, 1923, S. 501. 51 Haft, AT, 12. Teil § 2: trifft das "Wesen der Sache" auch nicht; ähnl. Stratenwerth, AT, Rdnr. 1176: vermittelt ebenfalls keine Anschauung; vgl. auch Hruschka, Strafrecht, S. 393: Alle diese Ausdrücke gäben kaum wieder, was eigentlich gemeint sei, da sie sich aber eingebürgert hätten, werde man sie auch weiter verwenden müssen. 58

Siehe BGHSt 33, 146.

59

Vgl. RGSt 52, 300; 53, 279; 55, 241; 56, 336; 57, 200.

Auch Maurach I Gössel I Zipf, AT, § 55 Rdnr. 6 wollen dem Streit keine Bedeutung (mehr) beimessen; nach Baumann I Weber, AT, § 41 II 3 a handelt es sich ohnehin um Synonyme - ganz abgesehen davon, daß der in beiden Begriffen benutzte Ausdruck "Gesetz" nicht weniger mißverständlich ist als der zweite Wortteil, ausfuhrlieh dazu Lent, Gesetzeskonkurrenz, S. 5 f: Weder kann damit das Gesetz im staatsrechtlichen Sinne, etwa das BGB oder StGB, noch kann damit ein einzelner Paragraph, z.B. § 267 StGB, gemeint sein, der bekanntlich mehrere Alternativen hat, die durchaus in Gesetzeskonkurrenz zueinander treten können. 60

Zweites Kapitel: Die Lehre von der Gesetzeseinheit

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so wird jedenfalls behauptet, bestehe meistens Einigkeit. 61 Andererseits kommt es häufig vor, daß ein und dieselbe Fallkonstellation trotz gleichen Ausgangspunkts in unterschiedliche Kategorien von Gesetzeseinheit oder aber trotz unterschiedlichen Ausgangspunktes in dieselbe Fallgruppe eingeordnet wird, 62 was die Systematisierung nicht gerade erleichtert. Man kann zunächst einmal im Anschluß an Wegscheider die "generalisierende" von der "individualisierenden" Theorie scheiden. 63

II. Generalisierende und individualisierende Theorie Kennzeichnend für die erste ist der Versuch, die Gesetzeskonkurrenz aus einem einzigen Prinzip heraus zu erklären und so zu einem einheitlichen Begriff der Gesetzeskonkurrenz zu gelangen. Dem steht die individualisierende Theorie gegenüber, die auf einer gruppenspezifischen Behandlung der verschiedenen Erscheinungsformen der Gesetzeskonkurrenz beruht, wobei die Frage, wieviele Gruppen es sind und wie man sie weiter ordnen kann, zunächst offenbleibt. Als Vertreter der generalisierenden Theorie wird Geerds64 mit der These von der materiellen Strafberechtigung genannt, von dem Wegscheider freilich selbst meint, daß er dem Anspruch nicht gerecht werde, weil auch er verschiedene Fallgruppen bildet, die er als "Hilfsmittel" bezeichnet. 65 Daß die h.M. eine einheitliche Erklärung für den Begriff der Gesetzeseinheit nicht hat und daß eine solche gemeinsame Grundlage erforderlich ist, betont auch Huang in einerneueren Abhandlung, die sieb stark an der Lehre von Jakobs orientiert. 66 Soweit ein einheitlicher Rechtsgrund für die Gesetzeskonkurrenz gefunden wird, führt das aber meist zur Aufgabe einer oder aller Kategorien der Gesetzeskonkurrenz bis auf eine. 67 Die h.M. geht dagegen von verschiedenen Kate61 Vogler, Bockelrnann-FS, S. 717; von Krog, S. 169; Bringewat, Gesamtstrafe, Rdnr. 84. 62 So Bringewat, Gesamtstrafe, Rdnr. 83.

63 64

Wegscheider, Konkurrenz, S. 168. Geerds, Konkurrenz, S. 146 ff.

65 Siehe Wegscheider, Konkurrenz, S. 169 zu dem Ausweg von Geerds, Konkurrenz, S. 177. 66

Huang, Gesetzeseinheit, z.B. S. 10, 43.

Vgl. Huang, S. 117, der nur bei Spezialität im strengen Sinne Gesetzeseinheit stets bejahen will; Jakobs, AT, 31. Abschn. Rdnr. 12, 17 meint, man könne restlos 67

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Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

gorien der Gesetzeseinheit aus, die als Arten, 68 Formen, 69 Typen10 usw. 71 bezeichnet werden. In der Terminologie Wegscheiders ist das die sog. individualisierende Theorie und überwiegende Meinung. 72 Überwiegend - nach Wegscheider ist das die "nahezu völlig herrschende" Auffassung -werden dazu drei Gruppen gezählt: Spezialität, Subsidiarität, Konsumtion. 73 Unumstritten, jedenfalls in ihrer Existenz, ist nur die erste. 74 Die zweite und dritte werden weniger häufig anerkannt: Bald wird die Konsumtion der Subsidiarität, 15

alle Fälle von Gesetzeskonkurrenz als Spezialität bezeichnen; ähnl. Puppe, Idealkonk., S. 355, die ebenfalls nur noch die Spezialität als einzige Fonn der Gesetzeskonkurrenz anerkennen will.

Baumann I Weber, AT § 41 II 3 b; Geppert, Jura 1982, 421; Tiedemann , JuS 1987, L 18; Schmidhäuser, AT 14 /22; von Heintschel-Heinegg, Rdnr. 734; Meurer, AT, S. 185. 68

69 Bocke/mann I Volk, AT, § 36 II; Maurach I Gössel! Zipf, AT, §55 Rdnr. 14; Stratenwerth, AT, Rdnr. 1178. 10

Burgstaller, JurBI1978, 394.

Leukauf I Steininger, § 28 Rdnr. 28: "Grundtypen"; Dreher I Tröndle , vor§ 52 Rdnr. 17; Benfer, Allgem. Strafrecht, Rdnr. 628: "Erscheinungsformen"; Blei, AT,§ 96 II; von Liszt I Schmidt, §56 II; Foregger I Serini, § 28 V: "Fälle"; Jescheck, AT, § 69 II; Bawnann, MDR 1959, 10: "Fallgruppen"; Maurach, AT, 2. Autl., §55 I B 3 2: "Grundsätze"; SK-Samson, vor § 52 Rdnr. 58: "Begriffe"; Jakobs , AT, 32. Abschn. Rdnr. 17 f; Schönke I Schröder-Stree, vor§ 52 Rdnr. 55 ff; LK-Vogler, vor §52 Rdnr. 105: "Gründe". 71

72 Wegscheider, Konkurrenz, S. 168; siehe dazu aber auch Stratenwerth , AT, Rdnr. 1178: Die Einteilung habe "mehr klassiflkatorische als praktische Bedeutung; in diesem Sinne auch Kienapfel, AT, 4. Autl., S. 582: Letztlich komme es nur darauf an, ob eine Strafvorschrift die andere verdrängt; ähnl. Geerds, Konkurrenz, S. 177: von untergeordneter Bedeutung, welcher Gruppe der einzelne praktische Fall zugeordnet wird. 73 Vgl. Jescheck, AT, § 6911; ders., ZStW 67 (1955), 534; Wessels, AT, § 17 V; Haft, AT, 12. Teil § 2; Kienapfel, AT, S. 582; Blei, AT, § 96 II; ders. , P.d.W. , Nr. 371; Bocke/mann I Volk, AT,§ 3611; Marbe, AT, 13.3.1; Benfer, Allgem. Strafrecht, Rdnr. 628; Fuchs, Gesetzeskonkurrenz, S. 50; Bringewat, Gesamtstrafe, Rdnr. 82; Lent, Gesetzeskonk., S. 17; Lackner, vor § 52 Rdnr. 25-27; Dreher I Tröndle, vor§ 52 Rdnr. 18-20; SK-Samson, vor§ 52 Rdnr. 60, 62 und 71; LK-Vogler, vor§ 52 Rdnr. 105; Geppert, Jura 1982, 418 ff; Kahl, JA 1978, 480; Tiedemann , JuS 1987, L 18 f. 74 Vgl. aber auch Triffterer, AT, 18. Kap. 3 b bb (2a) , der die Spezialität der Subsidiarität zurechnet! 15

Schmidhtiuser, AT, 14/27.

Zweites Kapitel: Die Lehre von der Gesetzeseinheit

255

bald die Subsidiarität der Konsumtion zugeschlagen. 76 Zuweilen wird außer diesen dreien noch eine vierte genannt (Altemativität). 77 Der Bundesgerichtshof78 definiert Gesetzeskonkurrenz wie folgt: Gesetzeseinheit oder Geseteskonkurrenz liegt vor, "wenn der Unrechtsgehalt einer Handlung durch einen von mehreren dem Wortlaut nach anwendbaren Straftatbeständen erschöpfend erfaßt wird. 79 Maßgebend für die Beurteilung sind die Rechtsgüter, gegen die sich der Angriff des Täters richtet, und die Tatbestände, die das Gesetz zu ihrem Schutz aufstellt. 80 Die Verletzung des durch den einen Straftatbestand geschützten Rechtsgutes muß eine -wenn nicht notwendige, so doch regelmäßige - Erscheinungsform der Verwirklichung des anderen sein." -Sieht man genauer hin, so ist der letzte Satz, der hier für die 76 Mezger, StrR, S. 474, Fn. 12; auch M.E. Mayer, AT, S. 502 ffwill nur Spezialität und Konsumtion anerkennen. 77 So z.B. Allfeld, AT, § 42 I 4, S. 238; Honig, S. 4; von Hippel, DStR, § 37 IX 1, S. 523; von Liszt I Schmidt, §56 II im Anschluß an Binding, Handbuch, § 74 IV, S. 349, von dem der Begriff stammt; ebenso Baumann I Weber, § 43 II 3 b - allerdings mit dem Zusatz: wenig sinnvoll. 78 BGHSt 31, 380 f; zuvor schon BGHSt 28, 15; 25, 373; 11, 17; 9, 30; aus der Rspr. der Obergerichte: z.B. OLG Frankfurt, NJW 1970, 1333; BayObLGSt 1956, 288. 79 Wenngleich hier nur vom "Unrechtsgehalt" die Rede ist, so ergibt sich doch aus anderen Entscheidungen, daß damit der "Unrechts- und Schuldgehalt" gemeint sein muß, vgl. BGH StV 1985, 14; BGH JZ 1961, 99- dabei hat die "Erschöpfung" des Unrechtsgehalts in verschiedenen Entscheidungen durchaus verschiedene Bedeutung: teils soll es daffir auf den Vergleich der Höhe der Strafandrohungen von verdrängtem und verdrängendem Gesetz ankommen, teilweise wird sie, wie hier, an den geschützten Rechtsgütern ausgerichtet; wieder anders BGHSt 21, 194 ff: Der Unrechtsgehalt der Tat sei nicht erschöpfend zum Ausdruck gebracht, wenn nur wegen des versuchten schweren Delikts verurteilt wird, obwohl darin das vollendete leichtere Delikt steckt; zum Ganzen Huang, Gesetzeseinheit, S. 16. 80 Zu Recht krit. dazu Huang, Gesetzeseinheit, S. 26. - Beispiel: BGHSt 8, 301 ff meinte, § 153 StGB und § 154 StGB schützten das gleiche Rechtsgut, die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, genausogut kann aber BGHSt 1, 241 ffbei § 154 StGB die feierliche Beteuerungformel als geschützt ansehen - Folge: Gesetzeseinheit läge nicht vor; ein weiteres eindrucksvolles Beispiel bietet Lenckner, JR 1978, 424 zu der Frage, ob die Verletzung des Briefgeheimnisses die Sachbeschädigung konsumiert: § 202 StGB schütze keinesfalls das Eigentum, es könne aber auch nicht die Privatsphäre sein, denn Geschäftsbriefe und Behördenpost seien ebenfalls geschützt, möglicherweise die "Geheimsphäre", aber das Schriftstück, brauche kein Geheimnis zu enthalten, also: die "Unversehrtheit des Verschlusses von Schriftstücken" - ein so verstandenes Rechtsgut ist natürlich nur durch § 202 StGB und durch keine andere Vorschrift geschützt.

256

Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

Definition der Gesetzeskonkurrenz im Ganzen steht, exakt die Umschreibung, die die h.M. für die Definition einer Untergruppe der Gesetzeseinheit, nämlich die Konsumtion, gefunden hat. Nach anderen Entscheidungen liegt Gesetzeseinheit dagegen dann vor, wenn mehrere Strafgesetze denselben Tatbestand aufstellen und sich nur dadurch unterscheiden, daß das eine Gesetz ein Begriffsmerkmal oder mehrere Merkmale "in engerer Begrenzung und besonderer Gestaltung" enthält. 81 Das wiederum ist, fast mustergültig, die Definition der Spezialität. Obwohl die Rechtsprechung Subsidiarität, 82 Spezialität83 und Konsumtion84 anerkennt, ist sie mit der genauen Angabe der gemeinten Kategorie oft recht lax: Allzu häufig wird einfach pauschal auf die Gesetzeseinheit verwiesen und heißt es in den Urteilsgründen bloß, das eine Gesetz werde durch das andere "verdrängt", "aufgesogen", "absorbiert", "aufgezehrt" oder daß Tatbestände "zurücktreten", "verschmelzen", "ineinander aufgehen" usw. 85 Auch in juristischen Kommentaren, Übungsarbeiten und selbst in Musterlösungen ist diese Unsitte verbreitet. 86 Sovielläßt sich nach alledem- auch unter Verzicht auf einen einheitlichen Begriff der Gesetzeskonkurrenz - sagen: Obwohl mehrere Tatbestände durchzugreifen scheinen, wird der Täter ihretwegen doch nicht verurteilt. Ein oder mehrere geprüfte (und bejahte) Tatbestände werden auf der Konkurrenzebene ausgeschieden. Sie tauchen auch im Schuldspruch nicht wieder auf, plastischer gesprochen: werden aufgezehrt, verdrängt, absorbiert, fallen unter den Tisch - jedenfalls im Prinzip, gewisse "Restwirkungen• bleiben nämlich nach herrschender Lehre! Die Gesetzeskonkurrenz wird also über ihr Ergebnis de-

81 So insbesondere das RG in ständiger Rspr.: RGSt 57, 329 ff; 17, 203; 14, 386; 12, 224; 7, 116- vgl. aber auch BGHSt 10, 314. 82

Z.B. BGHSt 1, 135; 1, 152; 16, 122.

83

Z.B. BGHSt 1, 152. Z.B. BGHSt 22, 129

84

85 Vgl. schon RGSt 40, 431 ; 47, 27; 54, 206; aus der Rspr. des BGH: BGHSt 4, 224; 5, 379; 25, 373 f; das wird häufig bemängelt, z.B. von Honig, S. 4 f; sowie von Vogler, Bockelmann-FS, S. 717 -selten aber auch ausdrücklich gutgeheißen, so von Geerds, Konkurrenz, S. 178, Fn. 5: "ein Akt weiser Selbstbeschränkungangesichts der in der Lehre herrschenden Verwirrung" ; so wohl auch Bringewat, Gesamtstrafe, S. 71, der dafür großes Verständnis aufbringt und darüber hinaus auch meint, es sei unschädlich; sowie A.be/s, Klarstellungsfunktion, S. 32. 86 Haft, AT, 3. Aufl., S. 282 nennt es jedenfalls eine "Unsitte".

Zweites Kapitel: Die Lehre von der Gesetzeseinheit

257

finiert. Die Wirkungen rechtfertigen es, den gemeinsamen Oberbegriff zu verwenden und ihn der besseren Anschaulichkeit halber neben Realkonkurrenz und Idealkonkurrenz zu stellen, die ja ebenfalls in ihren Folgen klarer voneinander zu unterscheiden sind als nach ihren Voraussetzungen. Man denke nur an die "natürliche" oder "juristische" Handlungseinheit, den "Fortsetzungszusammenhang"87 usw.

111. Einheits- und Differenzierungstheorie Von größerer systematischer Bedeutung als die Frage nach dem einheitlichen Rechtsgrund für alle Phänomene der Gesetzeseinheit ist die andere Einteilungsmöglichkeit, die Wegscheider vorstellt: die von ihm sog. "Differenzierungstheorie" und die "Einheitstheorie", der er selbst mit Rücksicht auf das Österreichische Recht eher zuneigt, dem die Differenzierung von Handlungseinheit und Handlungsmehrheit fremd ist. 88 Denn um diese Differenzierung geht es: Ausgehend von der durch §§52 ff StGB vorgegebenen Unterscheidung in Handlungseinheit und Handlungsmehrheit, könnte zuerst festgestellt werden, ob eine oder zwei Handlungen vorliegen.89 Geht es um nur eine Handlung, so führt das entweder zur Annahme von Idealkonkurrenz (§ 52 StGB) oder zur Gesetzeseinheit (mit den Unterformen: Spezialität, Subsidiarität und Konsumtion). Gesetzeseinheit ist dann "unechte Idealkonkurrenz". 90 Entsprechend ließe sich von "unechter Realkonkurrenz" sprechen, wenn zwei Handlungen im natürlichen Sinne vorliegen. Also führt die Feststellung von Handlungsmehrheit entweder zur echten Realkonkurrenz(§ 53 StGB) oder zur unechten Realkonkurrenz, nämlich der "Gesetzeskonkurrenz"91 in Form der 87 In Deutschland als eine Sonderform der Idealkonkurrenz verstanden, vgl. nur Schönlee I Schröder-Stree, vor§ 52 Rdnr. 30 ff- in Österreich dagegen überwiegend als eine Form der Gesetzeskonkurrenz betrachtet, vgl. nur Leukauf I Steininger, § 28 Rdnr. 28, 29. 88

Wegscheider, Konkurrenz, S. 165 ff.

Für diese Vorgehensweise z.B. Wessels-, AT, § 17 VII 1; ebenso R. Schmitt, ZStW 75 (1963), 45. 89

90 Nicht zu verwechseln mit "echter" und "unechter" Gesetzeskonkurrenz, vgl. dazu Allfeld, AT, S. 238, Fn. 30.

91 Sofern man den Ausdruck nicht allein den Fällen der "unechten Idealkonkurrenz" vorbehält, so wohl Lackner, vor§ 52 Rdnr. 24; Maurach, AT, 2. Aufl., §55 I B 3.2, S. 591; Maurach I Gc'Jssel I Zipf, AT,§ 55 Rdnr. 8; Baumann I Weber, AT, § 41 li 3 a; Hruschka, AT, S. 349; Wessels-, AT,§ 17 V vor 1; Honig, S. 1, 8, 11 f, 80, 114; von Hippe/, DStR, S. 523, Fn. 2: ein solcher Sprachgebrauch sei als dogma-

17 Fahl

258

Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

mitbestraften Vor- und Nachtaten- wobei im weiteren strittig ist, ob beide der Subsidiarität,92 beide der Konsumtion93 oder die Vortat der Subsidiarität und die Nachtat der Konsumtion zugeordnet werden müssen. 94 Auch daß es sich um eigenständige Rechtsfiguren, also weder um Fälle der Subsidiarität noch der Konsumtion handelt, wird vertreten. 95 Sicher ist nur, daß die Spezialität hier keine Entsprechung hat. 96 Wieder andere zählen auch die sog. Begleittat hierher. Das ist aber nur dann richtig und sinnvoll, wenn man nicht zwischen tateinheitlicher und tatmehrheitlicher Begehung unterscheidet. Eine "tatmehrheitlich" begangene Begleittat, die nicht Vor- oder Nachtat ist, ist dagegen schwer vorstellbar. 97 tischeUnklarheitabzulehnen-wie hier: Schönke I Schröder-Stree, vor§ 52 Rdnr. 5; LK-Vogler, vor§ 52 Rdnr. 102; Bringewat, Gesamtstrafe, Rdnr. 82; Tiedemann, JuS 1987, L 20; Geppert, Jura 1982, 427; R. Schmitt, ZStW 75 (1963), 45; Fuchs, Gesetzeskonkurrenz, S. 66 ff; Montenbruck, Strafrahmen, S. 169; Geerds, Konkurrenz, s. 152. 92 So Schönke I Schröder-Stree, vor § 52 Rdnr. 112, 119; R. Schmitt, ZStW 75 (1963), 55, von Krog, S. 176, 211 -erstere hält er allerdings für überflüssig. 93 So LK-Vogler, vor§ 52 Rdnr. 135, 137; Haft, AT, 12. Teil§ 2.3; Otto, Grundkurs, § 23 111 2; Bocke/mann I Volk, AT, § 36 I; Benfer, Allgem. Strafrecht, Rdnr. 638; Sauer, Allgem. Strafrechtslehre, § 27 II B 1 und § 29 II; von HeintschelHeinegg, Rdnr. 746; Burgstaller, JurBl 1978, 461 u. 463; Bringewat, Gesamtstrafe, Rdnr. 85; Tri.ffterer, AT, Kap. 18 111 3 b cc; Foregger I Serini, § 28 Anm. V 3; Leukauf/ Steininger, § 28 Rdnr. 45 ff; Tiedemann, JuS 1987, L 20; unklar Geppert, Jura 1982, S. 425 einerseits und S. 427 andererseits; verwirrend Schmidhlluser, AT, 14 I 27: mitbestrafte Nachtat zwar ein Fall der Konsumtion, die aber insgesamt der Subsidiarität zugeschlagen wird; wieder anders Blei, AT, § 96113: Vor- und Nachtat Fälle der Konsumtion, für Vortat aber kaum ein Anwendungsbereich, da die meisten Fälle in Wahrheit (?) zur Subsidiarität gehören. 94 Vgl. SK-Samson, vor§ 52 Rdnr. 69 u. 72; Jescheck, AT, § 69 II 2 b und 3 a; ähnl. WesseLs, § 17 VI 1: Vortat entweder subsidiär oder konsumiert, Nachtat konsumiert; zust. Kienapfel, AT, 4. Aufl., S. 584. 95 So Warda, JuS 1964, 92 für die mitbestrafte Nachtat- die Figur der mitbestraften Vortat hält er für entbehrlich; wohl auch Meurer, AT, S. 188; Mezger, StrafR, S. 476: eine "eigenartige Gruppe"; Stratenwerth, AT, Rdnr. 1195: beruht auf einem abweichenden Grundgedanken. 96 So explizit Baumann I Weber, AT, § 41 II 3 b a; R. Schmitt, ZStW 75 (1963), 54; Leukauf I Steininger, § 28 Rdnr. 28. 97 So aber Hruschka, Strafrecht, S. 394; richtig dagegen: Leukauf I Steininger, § 28 Rdnr. 46: typische Begleittat als Fall einer scheinbaren Idealkonkurrenz; ebenso von Heintschel-Heinegg, Rdnr. 746; Blei, AT, § 96 111 3: Begleittat als Fall der Konsumtion bei Handlungseinheit, Vor- und Nachtat bei Handlungsmehrheit; Geppert, Jura 1982, 425: Gesetzeskonkurrenz in der Spielart unechter Idealkonkurrenz nur

Zweites Kapitel: Die Lehre von der Gesetzeseinheit

259

Vom logischen Standpunkt her kann man gegen dieses System nichts einwenden. Es macht deutlich, daß die Gesetzeskonkurrenz nicht einfach als dritte Art der Konkurrenz neben Ideal- und Realkonkurrenz gestellt werden kann, sondern bald als eine Abweichung vom einen, das andere Mal als Abweichung von dem anderen gesetzlich geregelten Prinzip erscheint. 98 Die Einteilung dient aber weder der Präzisierung des Begriffs der Scheinkonkurrenz, noch ist sie diesbezüglich von eigenem Erkenntniswert. 99 Und was die Absicherung gegen "Mehrfachverwertungen" angeht, so spielt es ebenfalls keine Rolle, ob eine Mehrfachverwertung des identischen deliktischen Geschehens durch eine Kumulation der Bewertung voneinander unabhängiger Handlungen einträte (scheinbare Realkonkurrenz) oder bei nur einer Ausführungshandlung (scheinbare Idealkonkurrenz). 100 Ihr größter Nachteil liegt klar in der Kompliziertheit, 101 die der Lehre von der Gesetzeskonkurrenz nicht von ungefähr den Vorwurf unfruchtbarer Begriffsjurisprudenz eingetragen hat. 102 BurgstaUer meint, die Aufspaltung in echte und unechte Ideal- und Realkonkurrenz sei der Hauptgrund des "Terminologiewirrwarrs" . 103 Fuchs hält es für einen "völlig überflüssigen gedanklichen Zwischenschritt", "der noch nicht einmal in das System der Gesetzeskonkurrenz paßt" . 104 Krog nennt sie "verfehlt" . 105 Der Streit um die richtige Systematisierung braucht hier nicht weiterverfolgt zu werden, da es hier nicht um das System, sondern um die den einzelnen Fallgruppen der Gesetzeskonkurrenz zugrundeliegenden Prinzipien mitbestrafte Begleittat; Bringewat, Gesamtstrafe, Rdnr. 80: Gesetzeskonkurrenz in der Spielart unechte Realkonkurrenz nur Vor- und Nachtaten. 98 Vgl. R. Schmill, ZStW 15 (1963), 45, der den Ausdruck "Gesetzeskonkurrenz" deshalb für verfehlt hält, weil er den Unterschied zwischen unechter Ideal- und unechter Realkonkurrenz negiere. So Trijfterer, AT, Kap. 18 1113 a. zu Recht Jakobs, AT, 31. Abschn. Rdnr. 12 hin. 101 So auch Jakobs, AT, 31. Abschn. Rdnr. 12, Fn. 12. 102 So Kek unter der Rubrik "Stimmen aus Praxis und Wissenschaft", DJ 1935, 1061: "blutleere, wirklichkeitsfremde Auseinandersetzungen um rein dogmatische Begriffe". 99

100 Darauf weist

103

Burgstaller, Jur811978, 395.

104 Fuchs,

Gesetzeskonkurrenz, S. 72; vgl. auch von Heintschel-Heinegg, Rdnr. 730: Die Frage, ob ein eine oder mehrere Handlungen, sei nicht vorgreiflieh und erschwere den Einstieg. 105 von

17•

Krog, S. 173.

260

Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

gebt. 106 Allein, es zeigt sich, daß die Kategorien der Subsidiarität und Konsumtion bei der "unechten Realkonkurrenz" wieder auftauchen, also offenbar ähnliche Prinzipien zugrundeliegen. Trotz der in Deutschland anerkannten und gesetzlich fixierten Unterscheidung zwischen Handlungseinheit und Handlungsmehrheit als Grundlage der echten Konkurrenz, ist bei der "unechten" oder scheinbaren Konkurrenz seit Geerds 107 deshalb eine zunehmende Hinwendung zur "Einheitstheorie" zu bemerken. 108 Versucht man mehr Klarheit in das reichlich verworrene Bild von der Gesetzeskonkurrenz zu bringen, so muß man sich auf die Suche nach den zugrundeliegenden Prinzipien begeben. Klug hat das in vorbildlicher Weise getan und damit die Lehre von der Gesetzeskonkurrenz revolutioniert. 109 Nach Gössel soll die von Klug aufgedeckte begriffslogische Struktur sogar zur "Überwindung" der Lehre von der Gesetzeskonkurrenz führen. 110 Hruscbka meint, der Aufsatz von Klug sei in der Strafrechtslehre der Gegenwart bisher noch nicht in genügendem Maße rezipiert worden.' 11 Unbestreitbar richtig ist zunächst sein Ausgangspunkt, trotzdem führt die Lehre in die Sackgasse. Klug untersuchte das Verhältnis der Tatbestände in logisch-analytischer Weise und kam zu dem Ergebnis, daß es fiir das begriffslogische Verhältnis mehrerer Tatbestände zueinander nur eine begrenzte Anzahl von Möglichkeiten gibt. 112 - Das sind: Heterogenität, Identität, Subordination und Interferenz.

106 Vgl. auch Leukauf I Steininger, § 28 Rdnr. 27: Es kommt "nicht so sehr darauf an, ob scheinbare Real- oder Idealkonkurrenz vorliegt: Entscheidend ist vielmehr das jeweilige rechtliche Kriterium, das dafiir bestimmend ist". 107 Geerds, Konkurrenz, S. 152 f.

108 Vgl. Jescheck, AT, § 69; Blei, AT, § 96 I; Haft, AT, 12. Teil § 2; Seier, Jura 1983, 228; LK-Vogler, vor§ 52 Rdnr. 104; widersprüchlich Baumann, MDR 1959, S. 10, Fn.1 einerseits und AT, S. 709 f andererseits; inkonsequent auch Dreher I Tröndle, vor §52 Rdnr. 48 - fiir Österreich bezeichnet Wegscheider, Konkurrenz, S. 174 dagegen die Differenzierungstheorie als herrschend; fiir die Einheitstheorie aber Burgstaller, 1ur811978, 395; sowie Tri.ffterer, AT, Kap. 18 111 3 a. 109 Klug,

ZStW 68 (1956), 403 ff.

Gössel /Zipf, AT,§ 55 Rdnr. 36. Strafrecht, S. 387; ebenso Minas-von Savigny, Negative Tatbestandsmerkmale, S. 59. 112 Klug, ZStW 68 (1956), 403 110 MaurachI

111 Hruschka,

Zweites Kapitel: Die Lehre von der Gesetzeseinheit

261

IV. Die begriffslogische Struktur 1. Heterogenität

Zwei Begriffe sind heterogen113 (disparat, unvereinbar, getrennt), wenn ein Gegenstand, der unter den Begriff A fällt, niemals unter den Begriff B fallen kann und umgekehrt. Zur Veranschaulichung kann man sich, wie in der Mengenlehre, zwei Kreise vorstellen, die nebeneinander stehen, sich aber nicht berühren. Auf gesetzliche Tatbestände übertragen bedeutet das: zwei Tatbestände sind dann heterogen, wenn es keinen Sachverhalt gibt, der sich gleichzeitig unter den einen und unter den anderen subsumieren ließe. Ein Beispiel: Diebstahl (§ 242 StGB) und Unterschlagung (§ 246 StGB) sind heterogen, falls man voraussetzt, 114 daß ein Diebstahl nur verwirklicht ist, wenn der Täter zuvor keinen Gewahrsam hat115 und falls man weiter voraussetzt, daß eine Unterschlagung nur vorliegt, wenn der Täter bereits Gewahrsam an der unterschlagenen Sache hat - so steht es zu Recht im Gesetz, anders sieht es iodessen die h.M. mit der sog. kleinen berichtigenden Auslegung. 116 Dabei kommt es hier nicht darauf an, ob die beiden Tatbestände so zu verstehen sind, sondern allein darauf, was gilt, wenn sie so zu verstehen sind. Da ein Mensch zu einem bestimmten Zeitpunkt nur entweder Gewahrsam oder keinen Gewahrsam an ein und derselben Sache haben kann, ist kein Fall denkbar, der zugleich den einen wie auch den anderen Tatbestand erfüllt. Wer trotzdem behaupten wollte, in einem konkreten Fall seien durch denselben Akt und in Bezug auf dieselbe Sache sowohl Diebstahl als auch Unterschlagung erfüllt, begibt sich in einen eklatanten Selbstwiderspruch. 117 Huang will unter Heterogenität dagegen verstehen, daß zwei Strafnormen kein gemeinsames Tatbestandsmerkmal enthalten. 118 Bei Diebstahl und Unterschlagung ist das nicht der Fall, beide setzen als Objekt eine fremde bewegli-

113 Dazu Klug, ZStW 68 (1956), 403; Huang, Gesetzeseinheit, S. 69; Wegscheider, Konkurrenz, S. 222 114 Klug, ZStW 68 (1956), 404 nennt sie als Beispiel, ohne indes die Voraussetzungen zu nennen, unter denen das gilt- richtig dagegen Hruschka, Strafrecht, S. 389. 115 Nach h.M. genügt bekanntlich auch der Bruch fremden, gleich- oder höherrangigen Mitgewahrsams, vgl. nur Schönlee I Schröder-&er, § 242 Rdnr. 32. 116 Vgl. nur Schänke I Schröder-&er, § 246 Rdnr. 1. 117 Hruschka, Strafrecht, S. 399 f. 118 Huang, Gesetzeseinheit, S. 69.

262

Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

ehe Sache voraus. Zu denken wäre z.B. an Hausfriedensbruch(§ 123 StGB) und Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB). Aber schon hier ist zweifelhaft, ob die beiden Tatbestände wirklich kein gemeinsames Tatbestandsmerkmal enthalten, im Beispiel das Tatbestandsmerkmal "wer", das besagt, daß der Täter ein Mensch sein muß. Auf den Vergleich der Tatbestandsmerkmale (Menge der Merkmale des Tatbestands A und Menge der Merkmale des Tatbestandes B) kann es also kaum ankommen. Klug schlägt vor zu fragen, ob es eine "Tat" gibt, die sich gleichzeitig unter beide subsumieren läßt119 - wobei der Begriff der "Tat" und der "Gleichzeitigkeit" allerdings unklar bleiben. Ein zeitliches Zusammentreffen wäre schon denkbar, dann nämlich, wenn derbetrunkene Fahrer mit seinem Auto in das befriedete Besitztum eines anderen eindringt. Das wäre ein Fall der Idealkonkurrenz (§ 52 StGB). Häufig begegnet der Ausdruck "Altemativität" als (vierte) Form der Gesetzeskonkurrenz. Teilweise, aber keineswegs durchgängig, wird darunter das Entweder-oder-Verhältnis zweier gesetzlicher Tatbestände verstanden: Gesetze, die "wiederstreitende Merkmale" enthalten, schließen sich gegenseitig aus, heißt es da. 1211 Verwendet man den Terminus so, dann liegt nach Klug zwar Heterogenität, aber kein Fall der Gesetzeskonkurrenz vor. 121 Denn Gesetzeskonkurrenz setze voraus, daß sich die Tatbestände wenigstens überschneiden. 122 Überwiegend, nämlich im Anschluß an Binding, 123 der ihn geschaffen hat, wird der Begriff der "Altemativität" aber nicht in diesem, dem richtigen 124 Sprachgebrauch entsprechenden Sinne, sondern anders verwendet. Nach Binding sind nämlich solche Gesetze alternativ, deren Begriffssphären "sich verhalten wie zwei einander schneidende Kreise" . 125 Allernativität soll hier nur bedeuten, daß der Richter "bald das eine, bald das andere, 119 Klug,

ZStW 68 (1956), 403.

1211 von

Liszt I Schmidt, AT, §56 II 4; so wohl auch Hirschberg, ZStW 53 (1933), 48: "Unvereinbarkeit der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale" im Anschluß an Honig, s. 96 ff, 113. 121 Klug, ZStW 68 (1956), S. 402,409 f; ebenso Geerds, Konkurrenz, S. 159 f; Maurach, AT, 2. Aufl., §55 I 8 3 . 1; von Hippe/, DStR, S. 527, Fn.l; M.E. Mayer,

AT, S. 502, Fn. 3: "so ist klar, daß wohl Altemativität, aber von Konkurrenz keine Spur zu finden ist; ebensowenig können § 243 und § 246 in Konkurrenz geraten, denn sie sind alternativ". 122 So

jedenfalls Klug, ZStW 68 (1956), 409 f.

123 Binding,

124 Klug,

Handbuch, S. 349.

ZStW 68 (1956), S. 402,410.

125 Binding,

Handbuch, S. 349.

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und zwar stets das in concreto härtere," Gesetz anzuwenden hat. 126 Dann läge in der Tat Gesetzeskonkurrenz vor. Mayer meinte sogar: "Offensichtlich ist das, was Binding als Alternativität bezeichnet, die echte Gesetzeskonkurrenz wie sie leibt und lebt. " 127 Aber auch dann ist die Kategorie verzichtbar. Alle Fälle, in denen für das Verhältniszweier Tatbestände Alternativität reklamiert wird, können unter eine der drei anderen Fallgruppen der Gesetzeseinheit gefaßt werden. 128 Die vierte Kategorie •Alternativität" ist daher zu Recht aufgegeben.129 Das begriffslogische Verhältnis der Heterogenität, das teilweise mit dem Begriff der Alternativität verbunden wird, führt nicht zu Gesetzeskonkurrenz, sondern zur tatbestandliehen "Exklusivität" . 130 Damit ist gemeint, daß sich zwei Delikte schon tatbestandlieh - und nicht etwa erst auf Konkurrenzebene - gegenseitig ausschließen. Beling131 will von der "Exklusivität" noch die "Neutralität" scheiden: Das Verhältnis der "Exklusivität" soll zwischen zwei Begriffen bestehen, von denen der eine das Gegenteil des anderen besagt, die sich also gegenseitig verneinen, z.B. Leben und Tod, auf dem Gebiet der Tatbestände etwa Diebstahl und Unterschlagung. Dagegen versteht er unter "Neutralität" Begriffe, die sich völlig indifferent gegenüberstehen. Als Beispiel nennt er: Schlafsofa und Bahnhofsrestauration, Sachbeschädigung und Körperverletzung. 132 Auch Trunkenheitsfahrt und Hausfriedensbruch ge126 So Binding, Handbuch, S. 350; krit. dazu von Hippe/, DStR, S. 527, Fn. 1: eine solche Wahlfreiheit gibt es im Strafrecht nicht - noch anders Finger, Compendium, S. 223, der sich zwar auf Binding beruft, unter Alternativität aber Spezialität versteht, was dieser darunter gerade nicht verstanden wissen wollte, vgl. Binding, Handbuch, S. 352, Fn. 8 - zur Uneinheitlichkeit des Begriffes der Alternativität schon Frank, § 73 Anm. VII 3; Burgstaller, JurBl 1978, S. 395, Fn. 13: "einer der vieldeutigsten Ausdrücke in der Konkurrenzlehre überhaupt". 127 M.E. Mayer, AT, S. 502, Fn. 3. 128 Schönke I Schröder-Stree, vor§ 52 Rdnr. 133: entweder Subsidiarität oder SJ» zialität; ebenso von Hippe/, DStR, § 37 IX 5; anders Sauer, Allgem. Strafrechtslehre, § 27 II A 3: Konsumtion oder Idealkonkurrenz. 129 Vgl. Fuchs, Gesetzeskonkurrenz, S. 59 f; Maurach, AT, 2. Aufl., §55 I 8 3 1: "als selbständiger Maßstab wertlos"; Jakobs, AT, 31. Abschn. Rdnr. 12, Fn. 13: "überflüssig"; ablehnend auch: Frank, § 73 Anm. VII 3; Geerds, Konkurrenz, S. 224 ff; von Hippe/, DStR, § 37 IX 5, S. 527; LK-Vogler, vor§ 52 Rdnr. 106; R. Schmin, ZStW 75 (1963), 52; Klug, ZStW 68 (1956), 414; Baumann I Weber,§ 41 II 3 b. 130 Geerds, Konkurrenz, S. 159; Seier, Jura 1983, 226 verwendet Exklusivität und Heterogenität als Synonyme; ebenso Wegscheider, Konkurrenz, S. 222; Hruschka, Strafrecht, S. 389; Minas-von Savigny, Negative Tatbestandsmerkmale, S. 47. 131 Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 282 ff. 132 Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 285.

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hören hierher. Baumgarten gestand dazu, daß er nicht verstehe, warum die "neutralen" Typen einander weniger ausschließen sollen, als die "exklusiven". Die Bahnhofsrestauration deute zwar sowenig etwas von dem Begriff des Schlafsofas an, als von der Turmuhr; aber so wenig als ein Lebendiger tot sei, sei eine Bahnhofsrestauration ein Schlafsofa. 133 Dem ist beizupflichten, beide Begriffe beschreiben lediglich das begriffslogische Verhältnis der Heterogenität, für die Heterogenität ist aber nicht entscheidend, ob die Begriffe in konträrem oder kontradiktorischem Gegensatz stehen. 134 Neben der Exk.lusivität ist die Neutralität so überflüssig wie die Alternativität und nur geeignet, weitere Verwirrung zu stiften. Dennoch weist sie den Weg zu einer wichtigen Erkenntnis. Die allermeisten Tatbestände haben offensichtlich nichts miteinander zu tun, stehen sich völlig indifferent ("neutral") gegenüber, wie z.B. Hausfriedensbruch und Trunkenheitsfahrt. Bei anderen ist das nicht so offensichtlich, z.B. bei Betrug und Diebstahl, Diebstahl und Unterschlagung, Raub und Erpressung. In allen diesen Fällen wird über die Tatbestandsauslegung ein "Exklusivitätsverhältnis" erreicht: Beispielsweise wird für die Erpressung eine Vermögensverfügung gefordert, 135 damit es zwischen Raub und Erpressung nicht zu Überschneidungen kommt. Dieselbe Funktion erfüllt beim Betrug das Merkmal der "Unmittelbarkeit" zwischen Vermögensverfügung und Vermögensschaden, der damit zum Trickdiebstahl abgegrenzt werden soll. 136 Ähnliche Abgrenzungsprobleme stellen sich auch bei Diebstahl und Unterschlagung, wo einerseits das Problem der wiederholten Zueignung137 diskutiert wird, mit der man Diebstahl und Unterschlagung auseinanderhalten will, anderseits aber mit der sog. kleinen berichtigenden Auslegung138 die Grenzen zum Diebstahl wieder eingerissen werden. Neuerdings wird das "Exk.lusivi-

133 Baumgarten,

134 So

S. 81. auch Klug, ZStW 68 (1956), 404.

135 Anders

die Rspr., vgl. zum Streit Schönlee I Schröder-&er, § 253 Rdnr. 8 f. zur Problematik nur Schönlee I Schröder-Cramer, § 263 Rdnr. 63 ff. 137 Str., vgl. nur Schönlee I Schröder-&er, § 246 Rdnr. 19- wenn man dem folgt und auch die wiederholte Zueignung ausreichen läßt, dann freilich ist auch ein Sachverhalt denkbar, bei dem nacheinander Diebstahl und Unterschlagung verwirklicht werden, und dann tritt auch ein Problem der Gesetzeskonkurrenz auf. Wenn man Heterogenität und Gesetzeskonkurrenz als zwei einander ausschließende Begriffe ansieht, dann sind die Tatbestände folglich auch nicht mehr "heterogen" . 138 Dazu Schönlee I Schröder-&er, § 246 Rdnr. 1. 136 Vgl.

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tätsdogma" beispielsweise zwischen Betrug und Diebstahl mit Recht angezweifelt. 139 Tatbestandsprobleme würden dann zu Konk:urrenzfragen. 140 Wenn sich tatbestandliehe Probleme auf diese Weise zu Konkurrenzfragen umformen lassen, dann fragt sich, ob man nicht auch den umgekehrten Weg gehen und sämtliche Probleme der Gesetzeskonkurrenz durch eine exakte Abgrenzung der Tatbestände, nämlich durch Herstellung von Exklusivität auflösen kann. 141 Der radikalste Weg wäre, als negatives Tatbestandsmerkmal in den einen Tatbestand die Abwesenheit des anderen Tatbestandes hineinzulesen. 142 In der Tat scheint das Gesetz selbst diesen Weg einzuschlagen, wenn es zum Beispiel in § 212 StGB formuliert: "ohne Mörder zu sein". Bekanntlich folgert die Rechtsprechung daraus, daß es sich um ein Exklusivitätsverhältnis zwischen Mord und Totschlag handele, indem sie im Mord einen Tatbestand "sui generis" sieht. 143 Viele (ungeschriebene) Tatbestandsmerkmale, die die h.M. im Bereich der Vermögensdelikte zur Erfüllung ihrer Exklusivitätspostulate aufgestellt hat, haben- mehr oder weniger offensichtlich- die Funktion negativer Tatbestandsmerkmale. Nur werden sie nicht so genannt! Versuche, den Betrug (§ 263 StGB) von der Erpressung (§ 253 StGB) abzugrenzen, laufen häufig darauf hinaus, ihm mehr oder minder offen das Merkmal "ohne Drohung" zu substituieren. Das tut vor allem der BGH, indem er die Täuschung im Falle des "Erpressungsbluffs" (der Täter fordert eine Leistung unter der Vorspiegelung, dem Opfer sonst ein Übel zuzufügen, das er ihm gar nicht zufügen kann, weil er das Opfer gar nicht in seiner Gewalt hat) einfach

Puppe, ldealkonk., S. 343 ff; dies., JR 1984, 229. Austauschbarkeit von Tatbestands- und Konkurrenzfragen, "die man mit (fast) demselben Recht auch als Tatbestandsprobleme ansehen könnte" Arzt, Die Strafrechtsklausur, S. 62 f. 141 Bei Lent, Gesetzeskonkurrenz, S. 42 heißt es, daß Gesetzeskonkurrenz "nichts anderes zum Ziel hat, als die Exklusivität der Typen herbeizuführen, die im Wortlaut der Gesetze keinen Ausdruck gefunden hat"; vgl. auch Benfer, Allgem. Strafrecht, Rdnr. 628: bei Gesetzeskonkurrenz schließe das eine Gesetz die Anwendung des anderen Gesetzes aus, das sei "Exklusivität". 142 So Minas-von Savigny, Negative Tatbestandsmerkmale, S. 82 ff. 139 Z.B.

140 Zur

143 Zum

Streit Schönke I Schröder-Eser, vor § 211 Rdnr. 5 f; von Liszt I Schmidt, AT, § 56 II 4 hatten hier interessanterweise "Alternativität" angenommen; vgl. auch auch Lent, Gesetzeskonkurrenz, S. 42: die Tatbestände seien so gefaßt, daß sie keine Gesetzeskonkurrenz zuließen; man bräuchte nur den Bedingungssatz wegzulassen, um daraus einen Fall der Spezialität zu schaffen, die Auslegung würde dann zu demselben Resultate führen, den das Gesetzbuch durch die "Exklusivität" der Typen erreiche.

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fiir unbeacbtlicb erklärt. 144 Aber das kann nicht aufgeben: Der Gesetzgeber gebt davon aus, daß alle Tatbestandsmerkmale unrechtsbegründende Funktion haben. Anders wäre es nicht zu erklären, daß § 16 Abs. 1 StGB bei einem Irrtum darüber die Stafbarkeit ausschließt. Daß die Negation eines Unrechts im Tatbestand des anderen als strafbegründendes Merkmal erscheint, fiihrt zu Friktionen: Irrt der Täter über ein solches, in Abgrenzung zu anderen, verwandten Tatbeständen aufgestelltes negatives Tatbestandsmerkmal, so ist einer der beiden Tatbestände objektiv, der andere subjektiv erfiillt. Der Täter wäre staflos, weil er objektiv mehr Unrecht verwirkliebt hätte, als er begeben wollte - oder mehr Unrecht begehen wollte, als er tatsächlich angerichtet hat. 145 Weniger radikal, aber den gleichen Zweifeln ausgesetzt, ist der Vorschlag Wegscheiders, die Kategorie der Gesetzeskonkurrenz durch Auslegung überflüssig zu machen, sog. Auslegungsansatz. 146 Für ihn ist die gesamte Kategorie der unechten Konkurrenz entbehrlich, Gesetzeskonkurrenz in Wahrheit ein "Fragenbündel des Besonderen Teils" . 147 Wenn man die Normen nur sorgfältig genug auslegte, so das Postulat, dürfte es zu Überschneidungen gar nicht erst kommen. Ähnlich argumentiert Lent: Die Aufgabe, die bei der Gesetzeskonkurrenz dem Ausleger der Gesetze obliege, sei durch das Gesetzbuch zum Teil bereits geleistet (Subsidiaritätsklauseln, Herstellung von Exklusivität). Daraus ergebe sich, daß die Gesetzeskonkurrenz nichts anderes sei als Auslegung der Gesetze. 148 Bezeichnenderweise ist für die "Gesetzeskonkurrenz" der Ausdruck •subsumtionszweifel" vorgeschlagen worden. 149 Jedoch: Tatbestandliehe Exklusivität setzt Heterogenität voraus. Die Erpressung nach § 253 StGB schließt aber schon nach ihrem Wortlaut den vollen Tatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) ein, so daß in jeder Erpressung auch eine Nötigung enthalten ist. Auch durch Auslegung erscheint das begriffslogische Verhältnis der Heterogenität daher kaum herstellbar. An solchen Konstellationen muß

144 Vgl.

BGHSt 11, 67; 23, 296. Widerspruch weist Puppe, JR 1984, 231 hin.

145 Auf diesen

146 Wegscheider,

Konkurrenz, S. 200 ff. Wegscheider, Konkurrenz, S. 202. 148 Lent, Gesetzeskonkurrenz, S. 42. 149 Schatze, ZStW 3 (1883), 55. 141

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auch der Vorschlag Wegscheiders scheitern, die Gesetzeskonkurrenz durch Auslegung überflüssig zu machen. 150 2. Identität

Als zweites begriffslogisch mögliches Verhältnis nennt Klug die Identität151 (Gleichheit, Deckung): Das beißt, jeder unter den Begriff A fallende Gegenstand fällt auch unter den Begriff B und umgekehrt. Es gibt kein Element, daß entweder nur unter den einen oder nur unter den anderen fiele, jedes Element erfüllt immer zugleich beide Begriffe. Im Bild der Mengenlehre handelt es sich um zwei deckungsgleiche Mengen. Auf die Straftatbestände übertragen wäre das der Fall, wenn zwei Tatbestände die exakt gleichen Tatbestandsmerkmale enthielten. Zwar kommt es an sich nicht auf den Vergleich der Tatbestandsmerlemale an, sondern allein auf den Vergleich der sie erfüllenden und daher unter den einen oder anderen Tatbestand subsumierbaren Sachverhalte, aber anders als durch Umschreibung mit identischen Tatbestandsmerkmalen wäre es kaum denkbar, daß ein Sachverhalt stets unter beide und niemals nur unter den einen oder anderen fiele. Nach Klug ist Identität in ein und demselben positiven Strafrechtssystem sinnlos und dürfte daher nicht vorkommen. ts2 Identität habe bereits durch die stillschweigende Voraussetzung als ausgeschaltet zu gelten, daß es sich selbstverständlich immer um voneinander verschiedene Straftatbestände handeln müsse. 153 Ausgeschlossen ist sie deshalb freilich nicht, es handelt sich dann allerdings um eine gesetzgebensehe Fehlleistung, ein Versehen. Wenn sie doch einmal vorkommen sollte, gilt die lex-posterior-Regei. 1S4 Ein Fall der Gesetzeskonkurrenz liegt nicht vor. Identität führt ebensowenig zur Gesetzeskonkurrenz wie Heterogenität. 150 Wegscheider, Konkurrenz, S. 224 meint hingegen, die Auslegung dürfe nicht bei der grammatikalischen Interpretation halt machen, übersieht dabei aber, daß der Wortlaut die äußere Grenze jeder, auch der teleologischen Auslegung markiert. 151 Dazu Klug, ZStW 68 (1956), 404; Huang, Gesetzeseinheit, S. 71.

152 Klug, ZStW 68 (1956), S. 412, 404; so auch Mina.s-von Savigny, Negat. Tatbestandsmerkmale, S. 46: "ungereimt", "überflüssig"; Wegscheider, Konkurrenz, S. 222, Fn. 1 spart sie daher ganz aus; Hruschka, Strafrecht, S. 389 betrachtet ausdrücklich nur "nicht-identische" Tatbestände. tsJ Klug, ZStW 68 (1956), 412.

tS4So schon von Hippe/, DStR, S. 525, Fn. 7.

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Nach Gössel liegt "Identität" vor, wenn eine Handlung mehnnals denselben Tatbestand verletzt. 155 Das ist aber ebenfalls kein Fall der Gesetzeseinheit, sondern der sog. gleichartigen Idealkonkurrenz, § 52 Abs. 1 2. Alt. StGB. Auch Huang bejaht die Möglichkeit der Identität im begriffslogischen Verhältnis der Strafnormen untereinander, allerdings aufgrundeines grundsätzlich anderen Verständnisses der Vergleichsmengen. 156 Verglichen werden -an sich richtig - nicht Mengen von Tatbestandsmerkmalen, sondern die Lebenssachverhalte, die die eine oder andere Strafnorm konkretisieren. 157 Auf diese Weise gelangt Huang dazu, daß "Identität" der Strafnormen in dem Sinne möglich sein soll, daß ein und dieselbe konkretisierte Strafnorm sowohl vollständig unter den einen als auch vollständig unter den anderen gesetzlichen Tatbestand fällt, ohne daß Merkmale übrigblieben, die über den einen oder anderen hinausgingen. Als Beispiel nennt er: körperverletzende Nötigung oder nötigende Körperverletzung. 1sa Für das Verhältnis von Körperverletzung (§ 223 StGB) und Nötigung (§ 240 StGB) ist damit aber nichts gewonnen, denn es sind sowohl Fälle denkbar, die den Tatbestand der Nötigung erfüllen, ohne den Tatbestand der Körperverletzung zu erfüllen, als auch umgekehrt Fälle, die die Körperverletzung erfüllen, ohne zugleich eine Nötigung zu sein, weil die Tatbestandsmerkmale beider eben nicht identisch sind. Letzteres ist freilich nicht unzweifelhaft: Man kann sich auch auf den Standpunkt stellen, daß jede Körperverletzung die Duldung der Körperverletzung durch das Opfer beinhaltet. 159 Dann wäre jede Körperverletzung zugleich eine Nötigung. Aber auch dann läge nicht das begriffslogische Verhältnis der "Identität" vor, weil nicht auch das Umgekehrte gilt. Es handelte sich vielmehr um ein anderes begriffslogische Verhältnis, nämlich das der "Subordination" .

155 MaurachI

Gössel I Zipf, AT, §55 Rdnr. 28.

Gesetzeseinheit, S. 72 - so ganz scheint aber auch er sich seiner Konstruktion nicht sicher zu sein: "theoretisch nicht ausgeschlossen, daß eventuell". 156 Huang,

151 Ausführlich 158 Huang , 159 Vgl.

zu der Methode Huang, Gesetzeseinheit, S. 52 ff. Gesetzeseinheit, S. 72.

dazu Schönke I Schröder-&er, § 240 Rdnr. 40.

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3. Subordination Das begriffslogische Verhältnis der Subordination 16l liegt vor, wenn jeder Gegenstand, der unter den Begriff A tällt, auch unter den Begriff B tällt, ohne daß zugleich das Umgekehrte gilt. In solchen Fällen ist Ader untergeordnete und B der übergeordnete Begriff. Mengentheoretisch: Obermenge und Untermenge. Zu Recht weist Klug 161 darauf hin, daß zwischen Subordination (Unterordnung) und Superordination (Überordnung) fiir das hier interessierende Verhältnis der Tatbestände zueinander kein Unterschied besteht: Superordination ist nur eine andere Betrachtung der Subordination. Dem begriffslogischen Verhältnis der Subordination auf der Ebene der Tatbestände entspricht das Verhältnis der Spezialität auf Konkurrenzebene. 162 Wegscheider meint, das sei allgemein anerkannt163 - weniger allgemein anerkannt ist indes, daß dies auch die allein gültige Definition der Spezialität ist. 164 Für die Subordination paßt das Bild zweier unterschiedlich großer konzentrischer Kreise, das gerne, 165aber oft irrefiihrend166 bemüht wird. Unglücklich ist das Bild schon deshalb, weil die Kreise nicht um den gleichen Mittelpunkt gezogen werden müssen; fiir die begriffslogische Beziehung kommt es lediglich darauf an, daß der größere den kleineren vollständig in sich einschließt - ohne daß beide auch denselben Mittelpunkt haben müßten! Statt "Subordination" wird daher auch der Ausdruck "Inklusion" (Einschluß) benutzt. 167 Die Verhältnisse werden auf den Kopf gestellt, wenn bei der mengentheoretischen Darstellung dem subordinierten (untergeordneten) Tatbestand auch noch der größere und dem superordinierten (übergeordneten) der kleinere Kreis vorbehalten wird. 168 l6lDazu Klug, ZStW 68 (1956), 404; Huang, Gesetzeseinheit, S. 70 f; Wegscheider, Konkurrenz, S. 222, 223; Maurach I Gössel I Zipf, AT, §55 Rdnr. 29; Hruschka, AT, S. 390. 161 Klug, ZStW 68 (1956), S. 405, Fn. 19. 162 Klug,

ZStW 68 (1956), 405.

Wegscheider, Konkurrenz, S. 223, Fn. 6. 164 Anders etwa M.E. Mayer, AT, S. 503: Es sei kaum nötig, noch hervorzuheben, daß alle qualiftzierten und privilegierten Tatbestände in diese Gruppe gehörten, wohl aber, daß sie ganz allein es seien, die der Regel unterfallen. 163

165 Z.B. 166 Z.B.

Hruschka, AT, S. 389; Wegscheider, Konkurrenz, S. 222.

Seier, Jura 1983, 228; ebenso von Heintschel-Heinegg, Rdnr. 740. 167 Z.B. von Wegscheider, Konkurrenz, S. 222; Seier, Jura 1983, 228. 168 So bei Seier, Jura 1983, 228; von Heintschel-Heinegg, Rdnr. 740- richtig dagegen Wegscheider, Konkurrenz, S. 222.

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Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

Das ist nur so zu erklären, daß nicht, wie die begriffslogische Beziehung es voraussetzt, auf die dem jeweiligen Tatbestand unterfallenden Sachverhalte, sondern (fälschlich) auf die Tatbestandsmerkmale abgestellt wird. Zwei Tatbestände stehen nämlich immer dann im Verhältnis der Subordination, wenn eine Strafnorm sämtliche Tatbestandsmerkmale einer anderen und darüber hinaus noch mindestens ein weiteres (sonst: Identität) Tatbestandsmerkmal aufweist. Ein Beispiel: § 223 a StGB enthält alle Merkmale der einfachen Körperverletzung (§ 223 StGB) und darüber hinaus ein weiteres, qualifizierendes Merkmal. Man spricht deshalb von "Grundtatbestand" (§ 223 StGB) und "Qualifikation" (§ 223 a StGB). In einem solchen Fall erfüllt jede Verwirklichung des § 223 a StGB (engerer Tatbestand) zugleich die Voraussetzung des § 223 StGB (weiterer Tatbestand), der wiederum - darüber hinaus auch weitere Sachverhalte erfaßt, die nicht unter § 223 a StGB fallen. Insofern ist § 223 a StGB dem § 223 StGB subordiniert. Wenn man freilich auf Menge und Anzahl der Tatbestandsmerkmale schaut, 169 dann entsteht leicht das umgekehrte Bild (aus dem dann auch noch die falschen Schlüsse gezogen werden 1 ~, bei dem § 223 a StGB, weil er ein zusätzliches Merkmal enthält, den § 223 StGB in sich einschließt. So kommt es zu dem umgekehrten Einschlußverhältnis, das den Blick auf die zugrundeliegende begriffslogische Struktur aber eher versperrt. Daher rührt letztlich das verbreitete Mißverständnis, daß Spezialität nur vorliege, "wenn sämtliche Merkmale der lex generalis (des Grundtatbestandes) in der Iex specialis enthalten sind, außerdem aber noch ein oder mehrere spezialisierende Merkmale"- so die Definition von Honig, 171 die seitdem ständig wiederholt wird 112 und zu echten Scheinproblemen den Anlaß gegeben hat. 173 Richtig ist daran nur, daß in solchen Fällen Subordination und damit 169 Auch Montenbruck, Strafrahmen, S. 168 meint, es komme auf "ein Stufenverhältnis nach Anzahl der Tatbestandsmerkmale" an. 110 1n dem Sinne, daß dies die fiir die Spezialität charakteristische Struktur sei, z.B. Seier, Jura 1983, 228. 171 Honig, S. 113 - wo es freilich nur heißt, daß dann Spezialität vorliegt, aber nicht, daß nur dann Spezialität gegeben ist! 112 Z.B. Jescheck, AT, § 69 II 1 mit Fn. 8; Baumann I Weber, AT, § 41 II 3 a a; Bocke/mann I Volk, AT,§ 35 II 1; Kienapfel, AT, S. 582; Haft, AT, 12. Teil§ 2.1; von Heintschel-Heinegg, Rdnr. 740; Benfer, Allgem. Strafrecht, Rdnr. 629; Mürbe, AT, 13 . 3. 1, S. 159; Meurer, AT, S. 186; SK-Samson , vor§ 52 Rdnr. 60. 173 Siehe schon Hirschberg, ZStW 53 (1933), S. 39 f, der darüber nachdenkt, ob eine Norm auch dann spezieller sein könne, wenn sie zwar eine Alternative des

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Spezialität vorliegt. Das zusätzliche, qualifizierende Merkmal, kann eine Strafrahmenänderung in beide Richtungen bewirken, d.h. zu einem gegenüber dem Grunddelikt erhöhten oder erniedrigten Strafrahmen führen. Nur im ersteren Falle spricht man von Qualifikation, im letzteren von Privilegierung.174 Beispielsweise bei den Tötungsdelikten: § 212 StGB ist der Grundtatbestand, § 211 die Qualifikation, §§ 216 und 217 StGB Privilegierungen. Logisch ist es nicht ausgeschlossen, auch bei privilegierenden Merkmalen von Qualifikationen zu sprechen, weil sie die Qualität verändern, aber es hat sich eingebürgert, das nicht zu tun. Das qualifizierende Merkmal kann ebensogut ein Erfolg sein (sog. Erfolgsqualifikationen: z.B. §§ 224, 226 StGB) oder eine Eigenschaft des Täters (die sog. Amtsdelikte: z.B. § 340 StGB). Viele der Fälle angeblicher "Alternativität" gehören hierher - es drängt sich ja auch auf, dabei an Alternativität zu denken: Natürlich ist der Täter entweder Amtsträger (dann: § 340 StGB), oder er ist es nicht (dann: § 223 StGB). Entweder hat er getötet, "ohne Mörder zu sein" (dann: § 212 StGB), oder er war Mörder (lies: § 211 Abs.2 StGB mit der noch aus der Feder der Nationalsozialisten stammenden Formulierung: "Mörder ist, wer... ") -dann: § 211 StGB! Dieses Entweder-oder-Verhältnis besteht genau besehen in allen Fällen der Qualifizierung eines Grundtatbestandes: Entweder der Täter benutzte ein Messer (dann: § 223 a StGB), oder er benutzte keines (dann: § 223 StGB). Von den beiden Möglichkeiten, Messer oder nicht Messer, verneint die eine die andere. An dem begriffslogischen Verhältnis der Subordination (InkluGrundtatbestandes qualifiziert, der Grundtatbestand aber noch eine zweite Alternative enthält. In diesem Fall könne man streng genommen nicht sagen, daß sämtliche Merkmale der Iex generalis in der Iex specialis enthalten sind. (a.a.O., S. 41)- Würde man fragen, ob alle Fälle, die den Spezialtatbestand erfüllen, auch unter den Grundtatbestand subsumiert werden können, so ergäbe sich die Antwort von selbst; ein weiteres Beispiel eines Scheinproblemes liefert Stratenwerth, AT, Rdnr. 1186: Spezialität könne im Verhältnis zweierTatbeständezueinander sachlich naheliegen, ohne doch vom Gesetzgeber selbst (?) erkannt oder in der Fassung des Gesetzes berücksichtigt worden zu sein. Als Beispiel führt er das Verhältnis von Freiheitsberaubung(§ 239 StGB) zur Nötigung (§ 240 StGB) an. Deshalb frage sich, ob es sinnvoll sei, die Spezialität auf Fälle zu beschränken, in denen sie sich schon nach den Regeln der Logik aus einem abstrakten Vergleich der Tatbestände ergibt. Das bejaht er, weil diese Lösung klarer sei - statt zu fragen, ob jede Freiheitsberaubung auch unter den Tatbestand der Nötigung subsumiert werden kann; vgl. auch Fuchs, Gesetzeskonkurrenz, S. 52 ebenfalls zu §§ 239, 240 StGB: Spezialität könne nur eingreifen, wenn man dafür auf "tatbestandlichen Gleichlauf' verzichte- das lehnt er indessen ab. 174 Entsprechend unterscheidet Geerds, Konkurrenz, S. 195 und 198, zwei Formen der Spezialität; ebenso z.B. Benfer, Allgem. Strafrecht, Rdnr. 632, 633.

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sion) ändert das nichts. Es läßt siCh geradezu notwendig immer so beschreiben. Anders als beim gesetzgebungstechnischen Verfahren der Qualifizierung, also bei Qualifikation und Privilegierung, kommt es für die begriffslogische Beziehung der Subordination aber entgegen der herkömmlichen Sichtweise auf die Tatbestandsmerkmale in Wahrheit nicht an: Subordination setzt nicht voraus, daß alle Tatbestandsmerkmale des einen im anderen Tatbestand enthalten sind. 175 Das begriffliche Verhältnis der Subordination setzt lediglich voraus, daß alle - und zwar ausnahmslos alle - Fälle, die den einen (untergeordneten) Tatbestand erfüllen, auch unter den anderen (übergeordneten) fallen. Richtig daher die Formulierung von Wessels: "Von Spezialität spricht man, wenn eine Strafvorschrift begriffsnotwendig alle Merkmale einer anderen enthält, so daß die Verwirklichung des speziellen Delilastatbestandes zwangsläufig auch den in Betracht kommenden allgemeinen Tatbestand erfüllt. "176 Der zweite Teil ist der entscheidende, darauf, nämlich auf die Subordination, kommt es in Wahrheit an. Wenn der eine, untergeordnete Tatbestand der "engere" ist, so nicht -jedenfalls nicht unbedingt- deshalb, weil er ein zusätzliches Merkmal enthält. Es kann auch sein, daß er ein anderes Merkmal enthält, das zu einem Merkmal des übergeordneten Tatbestands wiederum im Verhältnis der Subordination, d.h. von "Gattung und Art" 177 steht. Spezialität liegt demnach vor, "wenn ein Strafgesetz zu einem anderen allgemeineren Strafgesetz im Verhältnis der Sonderregelung steht, und zwar infolge Verengung des Verbrechenstatbestandes durch Hinzufügung neuer Begriffsmerkmale oder durch Spezialisierung eines Begriffsmerkmals" . 178 Letzteres liegt zum Beispiel im Verhältnis von Vergewaltigung (§ 177 StGB) und sexueller Nötigung (§ 178 StGB) vor. Das Merkmal "außereheliche sexuelle Handlungen • ist in § 177 StGB nicht erwähnt, statt dessen enthält § 177 StGB ein anderes, spezielleres Merkmal, den "außerehelichen Beischlaf". Da aber

175 Mißverstä.ndlich

daher Huang, Gesetzeseinheit, S. 70; richtig dagegen Hrusch-

ka, AT, S. 390; Maurach I Gössel /Zipf, AT,§ 55 Rdnr. 29. 116 Wesse~,

AT,§ 17 V 1.

177 Das

ist besonders in unserem Nachbarland Österreich eine verbreitete Beschreibung, vgl. Leukauf I Steininger, § 28 Rdnr. 42; Foregger I Serini, § 28 Anm. V 6; Wegscheider, Konkurrenz, S. 223; aus der deutschen Literatur: M.E. Mayer, AT, S. 503; Honig, S. 25; vgl. auch Schatze, ZStW 3 (1883), 55, der von Gattungs- und Artdelikt spricht. 178 So

richtig LK-Vogler, vor§ 52 Rdnr. 108.

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jeder Beischlaf auch eine sexuelle Handlung ist, verhalten sich die Tatbestandsmerkmale zueinander wie Gattung und Art. Wenn die Tatbestandsmerkmale im Verhältnis der Subordination zueinander stehen, dann stehen auch die Tatbestände selbst wieder im Verhältnis der Subordination zueinander. Deshalb ist § 177 StOB zu § 178 StOB die speziellere Nonn, obwohl dort nicht dieselben Tatbestandsmerkmale wiederkehren. 179 Subordination, nicht aber "tatbestandlicher Gleichlaut", wie Fuchs meint, 1110 ist dafür Voraussetzung. Wenn sich beispielsweise ergäbe, daß in jeder Vergewaltigung (Merkmal: außerehelieber Beischlaf) oder sexuellen Nötigung (Merkmal: außereheliche sexuelle Handlungen) gleichzeitig ein Beleidigung i.S. von § 185 StOB, nämlich die Kundgabe von Nicht- oder Mißachtung gegenüber der Frau181 (oder etwa gegenüber dem Ehemann oder gar dem Vater?) 182 zu sehen ist, dann wären beide auch in dieser Hinsicht spezieller. 183 Ob es so zu sehen ist, ist nicht die Frage. 184 Hier kommt es nur darauf an, was gilt, wenn man es denn so sehen wollte: Dann wären außereheliche Handlungen und außerehelieber Beischlaf der Beleidigung subordinierte Begriffe, und daraus folgte wieder die Spezialität dieser Tatbestände. Auf 179 H.M., vgl. nur Schönk:e I Schröder-Lenckner, § 177 Rdnr. 15- eine ganz andere Frage ist freilich, in welchem Verhältnis solche Handlungen dazu stehen, die zwar nicht selbst den Tatbestand des § 177 StGB erfüllen, ihm aber regelmäßig vorausgehen, wie z.B. Festhalten (§§ 223, 239 StGB), Auseinanderdrücken der Beine(§§ 223, 240 StGB), Griffe in oder an die Scheide oder Streicheln, Betasten und Küssen (§ 178 StGB), siehe dazu BGH bei Hollz MDR 1993, 8.

180 Fuchs,

Gesetzeskonk:urrenz, S. 52.

181 So

Benfer, Allgem. Strafrecht, Rdnr. 629. 182 Vgl. dazu Schönk:e I Schröder-Lenckner, § 185 Rdnr. 4 a. 183 Alle Beispiele bei LK-Vogler, vor§ 52 Rdnr. 108; für Spezialität der§§ 177, 176 StGB zu § 185 StGB auch Schönke I Schröder-Stree, vor§ 52 Rdnr. 110; vgl. auch BGHSt 8, 359, wonach durch jede Verführung zugleich auch die Geschlechtsehre der Verführten verletzt wird, woraus der BGH schließt: "Die die Ehrverletzung begründenden Umstände sind zugleich Wesensmerkmale der Verführung. Liegt die Ehrverletzung allein in der Ausübung des Geschlechtsverkehrs mit dem Mädchen, so decken sich die Tatbestände", so daß Gesetzeskonkurrenz- genauer: Spezialität- vorliegt - anders freilich, wenn das nicht notwendig immer, sondern nur "regelmäßig oder typischerweise" der Fall wäre, dann wird § 185 StGB konsumiert; für Konsumtion SK-Samson, vor§ 52 Rdnr. 76; sowie Bocke/mann I Volk, AT§ 35 113.

184 Zur Problematik ausf. Schönk:e I Schröder-Lenckner, § 185 Rdnr. 4. - Vor allem ist es auch nicht ausgeschlossen, daß sich die Anschauungen im Laufe der Zeit wandeln, weshalb der Versuch, das Konkurrenzverhältnis ein für allemal festzulegen von vornherein zum Scheitern verurteilt ist.

18 Fahl

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Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

Teilidentität der Tatbestandsmerkmale oder auf "Gleichlaut" kommt es auch hier nicht an. 185 Es kommt sogar vor, daß zwei Tatbestände gleichlautende Tatbestandsmerkmale enthalten, die trotzdem nicht die gleiche Bedeutung haben. Schon deshalb kann es auf den "tatbestandlichen Gleichlaut" nicht ankommen. Zum Beispiel § 249 StGB: "Wer mit Gewalt gegen eine Person ... ". - Infolge der Ausdehnung des Gewaltbegriffs bei § 240 StGB 186 ist nämlich die Situation entstanden, daß bei § 249 ein anderer Gewaltbegriff gilt als bei § 240 StGB. 187 Da aber jede Gewalt im Sinne des § 249 StGB auch Gewalt i.S. von § 240 StGB ist, liegt das Verhältnis der Subordination vor, ist Raub das speziellere Delikt. 188 Der Raubtatbestand zeigt überdies, daß ein Delikt Spezialgesetz (Qualifikation) zu mehreren Delikten (Grundtatbeständen) sein kann. 189 Der Raub ist aus Diebstahl und Nötigung zusammengesetzt: Jede Tat, die ein Raub ist, ist zugleich eine Nötigung und jeder Raub zugleich ein Diebstahl, ohne daß das jeweils Umgekehrte gilt, also Subordination. Darum ist § 249 StGB nicht nur zu § 240 StGB, sondern auch zu § 242 StGB Iex specialis. Dessen Merkmale sind in § 249 StGB vollständig (und gleichbedeutend) enthalten. Darauf kommt es zwar für die Ermittlung der begriffslogischen Struktur im Gunde nicht an, es führt aber doch dazu, daß stets Subordination zu bejahen ist. Dasselbe gilt von allen "zusammengesetzten" Delikten, z.B. von§ 226 StGB, der als aus§ 223 und§ 222 StGB zusammengesetzt gedacht werden kann. Daß § 226 StGB eine Qualifikation (Erfolgsqualifikation) zu § 223 StGB ist, ist allenthalben zu lesen. Dieselben Kommentare, die dies zutreffend feststellen, halten sich aber meist bedeckt, was das Verhältnis zu 185 Richtig insoweit auch von Hippel, DStR, S. 524: Spezialität auch dann, "wenn zwar die verletzten Gesetze teilweise verschiedene Merkmale aufweisen"; We/zel, Das Deutsche Strafrecht, S. 234: daß der "begriffliche Umfang zweier Tatbestände formal einmal auseinanderfallen kann". 186 Zum sog. psychischen Gewaltbegriff vgl. nur Schönke I Schröder-&er, vor § 234 Rdnr. 6 ff, 10. 187 H.M., vgl. nur LK-Herdegen, § 249 Rdnr. 5 - undeutlich BGHSt 23, 126: nur der "körperlich empfundene" Zwang. 188 H.M., vgl. nur Laclcner, § 249 Rdnr. 10 - a. A., nämlich Konsumtion: Maurach, AT, 2. Aufl., S. 593; Hirschberg, ZStW 53 (1933), 44; Dreher I Tröndle, vor§ 52 Rdnr. 20; unentschieden Schönke I Schröder-&er, § 249 Rdnr. 13: einfach "Gesetzeskonkurrenz". 189 Nach Klug, ZStW 68 (1956), 406 war das eine in der Lehre strittige Frage. Das Umgekehrte, daß nämlich ein Grunddelikt mehrere Qualiftkationen haben kann, versteht sich von selbst. Beispiele: §§ 223 a, 223 b, 224, 225 StGB zu§ 223 StGB.

Zweites Kapitel: Die Lehre von der Gesetzeseinheit

275

§ 222 StGB anbelangt. 190 Dort heißt es -wenig aussagekräftig - nur, es bestehe "Gesetzeseinheit", 191 bzw. daß die fahrlässige Tötung von § 226 StGB

"verdrängt" werde. 192 Dabei ist die Entscheidung einfach: Wenn jede Körperverletzung mit Todesfolge zugleich den Tatbestand der fahrlässigen Tötung erfüllt, dann stehen beide Tatbestände im begriffslogischen Verhältnis der Subordination. Daraus folgt notwendig das Konkurrenzverhältnis der Spezialität. Wenn nicht jeder Fall des § 226 StGB zugleich einen Fall des § 222 StGB darstellt, etwa weil § 18 StGB mit der Formulierung "wenigstens Fahrlässigkeit" auch den darüber hinausgehenden Vorsatz nicht ausschließt, und wenn weiterhin nicht jeder Vorsatz wiederum die Fahrlässigkeit in sich einschließt (Subordination dieser Merkmale), dann freilich kann von Subordination und damit von "Spezialität" keine Rede sein! 193 So einfach und so schwierig ist das auch zu beurteilen. 194 Geerds meinte, die Spezialität sei "generell und logisch einwandfrei- überdies in aller Regel einfach" zu beurteilen. 195 Lent meint, sie sei die "häufigste und einfachste Form" der Gesetzeskonkurrenz. 196 Stratenwerth hält sie für "relativ eindeutig umgrenzt" . 197Auch Kühl findet, das Vorliegen dieser Konkurrenzform sei "ziemlich eindeutig" auszumachen. 1911 Die seltene Einigkeit ist 190 Vgl. immerhin den knappen Hinweis bei Geerds, Konkurrenz, S. 195, Fn. 264: Spezialität, wobei gleich sei, ob man die Vorschrift als qualifizierte vorsätzliche Körperverletzung oder als durch die Körperverletzung qualifiZierte fahrlässige Tötung ansehe. 191 Schönke

I Schröder-Stree, § 226 Rdnr. 11. § 226 Rdnr. 5. 193 Dreher I Tröndle, vor § 52 Rdnr. 20 plädiert beispielsweise für Konsumtion; ebenso Benfer, Allgem. Strafrecht, Rdnr. 639. 192 Lackner,

194 Vgl. Hrust:hka, Strafrecht, S. 391: Der Leser möge nicht glauben, die Spezialität sei stets offenkundig. Es sei häufig umstritten und nicht selten wirklich schwierig festzustellen, ob zwei Deliktstatbestände nun im Verhältnis der Subordination zueinander stünden oder nicht, es lohne aber stets den intellektuellen Aufwand, sich darüber Gedanken zu machen. 195 Geerds, Konkurrenz, S. 202, Fn. 309 mit dem bezeichnenden Zusatz: "Anders würde dies sein, wenn wir die regelmäßige Begleiterscheinung ausreichen lassen würden." - Sie wird daher regelmäßig an erster Stelle genannt: vgl. nur J escheck, AT, § 69 II 1; Baumann I Weber, AT,§ 41113 b; Blei, AT,§ 96 II 1; WesseM, AT,§ 17 V 1; Haft, AT, 12. Teil§ 2.1 etc.

196 Lent,

Gesetzeskonkurrenz, S. 9. AT, Rdnr. 1180.

197 Stratenwerth,

198 Kühl,

!8•

JA 1978, 480.

276

Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

letztlich darauf zurückzuführen, daß sie als einzige Form der Gesetzeskonkurrenz "allein nach den Regeln der Logik" zu eimitteln ist. 199 Auf die Logik verweisen auch: Jescheck, Kienapfel, Blei, Burgstaller, Tiedemann. 200 Schon Honig und Mayer meinten, die Spezialität sei "logisch erweisbar". 201 Sie entspricht damit in Struktur und Geltungsgrund dem in § 46 Abs.3 StGB normierten Verbot. Selbst Fuchs, der der Argumentation mit der Logik sonst sehr skeptisch gegenübersteht, gesteht zu, daß sich bei der Spezialität immerhin "Berührungspunkte" zur Logik ergäben. 202 Das setzt allerdings voraus, daß das begriffslogische Verhältnis der Subordination auch eingehalten wird und als spezieller nur solche Tatbestände bezeichnet werden, die wirklich diese Struktur aufweisen. 203 Demgegenüber gibt es in der Literatur Bestrebungen, die Grenzen der Spezialität auszuweiten (hierin besteht eine weitere bemerkenswerte Parallele zum DVV). So wollte von Hippel über den Kreis der Tatbestände hinaus, die die Merkmale eines anderen in sich vereinigen, Spezialität auch dann annehmen, "wenn bei Vergleich der Gesetze der eine Deliktstatbestand nicht begriffsnotwendig und daher ausnahmslos, wohl aber regelmäßig und nonnalerweise einen anderen Tatbestand mit umfaßt". 204 Andere sprechen von einer Spezialität "der Sache nach" , 205 der "Spezialität der gesetzlichen Grundgedanken" 206 oder von "annähernder Spezialität" .207 Jakobs bezeichnet restlos alle Fälle der Gesetzeskon-

199 Seier,

Jura 1983, 228.

ZStW 67 (1955), 534; Kienapfel, AT, S. 582; Blei, AT, § 96 II 1; Burgstaller, JurBI1978, 396; 1iedemann, JuS 1987, L 18. 201 Honig, S. 23; M.E. Mayer, AT, S. 505. 200 Jescheck,

1112 Fuchs, Gesetzeskonkurrenz, S. 21: "Es gibt kein logisches Gesetz, welches besagt, daß das generelle Gesetz neben dem speziellen Gesetz keine Anwendung fmden darf. Das Verhältnis verschiedener Strafrechtsfolgen zueinander hatjedenfalls mit Logik nichts zu tun. Lediglich das Verhältnis gesetzlicher Tatbestände zueinander läßt sich logisch umschreiben, damit ist aber der Anwendungsbereich der Logik schon erschöpft." 203 Das ist häufig gefordert und oft wiederholt worden, z.B. Seier, Jura 1983, 228; Fuchs, Gesetzeskonkurrenz, S. 52 - beide allerdings von einem falschen Verständnis der Spezialität her.

204 So

von Hippe/, DStR, S. 524; ders., Lehrbuch, S. 175

205 Stratenwerth ,

AT, Rdnr. 1188

Das Deutsche Strafrecht, S. 234. ldealkonk., S. 356, die sie freilich nicht als Fall der Gesetzeskonkurrenz anerkennen will; dies., GA 1982, 160. 206 Welz;el,

201 Puppe,

Zweites Kapitel: Die Lehre von der Gesetzeseinheit

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kurrenz (also außer der Spezialität auch Konsumtion und Subsidiarität) als Fälle der Spezialität. Spezialität ist für ihn nur Ausdruck des Satzes, daß die Anwendung der kontextreicheren Regelung den Willen des Sprechenden besser wiedergibt als die kontextärmere. Spezialität will er verstehen als die Form, Subsidiarität und Konsumtion als Gründe für den Vorrang des einen Gesetzes vor dem anderen. 2011 Montenbruck liefert sogar die begriffslogische Begründung: die "Subordination des Unwertgehalts". 209 Dabei ist das Kriterium der Subordination der Spezialität entnommen, die ihm ebenfalls als Vorbild dient. Nur vergleicht er nicht die dem einen oder andem Tatbestand unterfallenden (subsumierbaren) Fälle, sondern "Unwertgehalte". Das ist freilich nicht neu, es hat seinen Vorläufer in dem Vorschlag von Welzel, die "Spezialität des gesetzlichen Grundgedankens" anzuerkennen. Neu ist, daß man dann ebenfalls, und zwar in allen Fällen der Gesetzeskonkurrenz, zum Bild der Inklusion, des Einschlusses, gelangt. Immer schließt das verdrängende Gesetz den Unwertgehalt des verdrängten in sich ein. Es bedarf dann auch begriffslogisch! - nur eines einzigen Falles der Gesetzeseinheit. 210 Gegen die Erweiterung des Spezialitätsbegriffes spricht aber, wie bei den Ausweitungsbestrebungen bei der parallelen Erscheinung des DVV letztlich auch, der Verlust an definitorischer Klarheit und Präzision. 211 Nach beiden Ansichten ließen sich restlos alle Fälle der Gesetzeseinheit als "Spezialität" bezeichnen. Gewonnen wäre damit freilich nichts: Besonders deutlich wird dies am Vorschlag von Jakobs, der ja auch "Gründe" für die Annahme von Gesetzeskonkurrenz (bei ihm: Spezialität) nennt; seine "Spezialität kraft Beschreibungsintensität" ist nichts anderes als die Spezialität im herkömmlichen Sinne, die anderen Formen, "Spezialität kraft Vollendungsdichte, Beteiligungs- und Erfolgsintensität" bzw. "Spezialität zur Begleittat", sind, wie sich aus dem jeweiligen Klammerzusatz unschwer erkennen läßt,

2011 Jakobs, AT, 31. Abschn. Rdnr. 17; ihm folgend von Heintschel-Heinegg, vor Rdnr. 740. 209 Montenbruck, Strafrahmen, S. 165; vgl. auch Abels, Klarstellungsfunktion, S. 38, wonach Gesetzeskonkurrenz letztlich ein "Über- I Unterordnungsverhältnis" sei - mit anderen Worten: Subordination. 210 So

ausdrücklich Montenbruck, Strafrahmen, S. 167. auch Abels, Klarstellungsfunktion, S. 20, Fn. 25: "daß der Begriff unscharf würde und an Präzision verlöre" ; ebenso Stratenwerth, AT, Rdnr. 1186: zweckmäßig, weil klarer, sei doch die andere Lösung. 211 So

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Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

Subsidiarität und Konsumtion - nur unter anderem Namen. 212 Die unbestreitbaren Gemeinsamkeiten zwischen allen Phänomenen der Gesetzeseinheit- sonst wäre schon der Name nicht gerechtfertigt- würden die ebenso zweifellos bestebenden Unterschiede in Struktur und Geltungsgrund nur zudecken. 4. Interferenz Von Interferenz213 (Kreuzung, Überschneidung) spricht man, wenn zwei Begriffe A und B nicht identisch, aber auch nicht heterogen sind, sondern sich teilweise überschneiden, wenn also folgende Bedingungen erfüllt sind: Mindestens ein Gegenstand, der unter den Begriff A lallt, lallt nicht auch unter den Begriff B; mindestens ein Gegenstand, der unter den Begriff B lallt, lallt nicht auch unter den Begriff A und es gibt mindestens einen Gegenstand, der unter beide lallt. Man kann hier das Bild zweier sich schneidender Kreise zeichnen214 - wobei drei Mengen entstehen müssen: die Menge der Gegenstände, die nur A erfüllen; derer, die nur B erfüllen und solcher, die sowohl Aals auch B erfüllen (Schnittmenge). Nach Huang215 liegt Interferenz vor, wenn zwei Tatbestände mindestens ein gemeinsames Tatbestandsmerkmal haben. Wäre das richtig, dann stünden die allermeisten, wenn nicht alle Tatbestände des BT im Verhältnis der Interferenz, weil sie als gemeinsames Tatbestandsmerkmal ("Wer") mindestens voraussetzen, daß ein Mensch gehandelt bat. Beschränkt man den Kreis der Merkmale nicht nur auf die Tatbestandsmerkmale im engeren Sinne, sondern bezieht man alle strafrahmenbegründende Merkmale, also auch noch rechtswidrigkeits- und schuldkonstituierende Merkmale ein, weil auch sie notwendige Voraussetzung der Rechtsfolge sind, um deren Anwendbarkeit es geht, 212 Vgl. Jakobs, AT, 31. Abschn. Rdnr. 19, 26, 30; siehe auch von HeintschelHeinegg, vor Rdnr. 740, 740,745, der "aus didaktischen Gründen", obwohl er Jakobs folgt, sogar an der üblichen Aufteilung festhalten will - in der Einschätzung wie hier Abels, Klarstellungsfunktion, S. 25. 213 Dazu Klug , ZStW 68 (1956), 405; Huang, Gesetzeseinheit, S. 69; Hruschka, AT, S. 390; Maurach I Gössel I Zipf, AT, § 55 Rdnr. 33 ff; Wegscheider, Konkurrenz, S. 222. 214 Seier, Jura 1983, 229; Hruschka , AT, S. 389; VOll Heintschel-Heinegg , Rdnr. 744. 215 Huang, Gesetzeseinheit, S. 69.

Zweites Kapitel: Die Lehre von der Gesetzeseinheit

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so wird der zwischen allen Tatbeständen bestehende Überschneidungsbereich noch größer. So stellen die meisten Autoren hier- anders als bei der Spezialität - auch nicht auf den Vergleich der Tatbestandsmerkmale, sondern auf die dem jeweiligen Tatbestand subsumierbaren Sachverhalte ab. 216 Ein Beispiel bietet das Verhältnis von Betrug(§ 263 StGB) zum Erschleichen von Leistungen(§ 265 a StGB). 217 Es gibt Fälle, die sieb nur unter § 263 StGB subsumieren lassen, weil nicht die Leistung eines Automaten, des Femmeldenetzes, die Beförderung in einem Verkehrsmittel oder der Zutritt zu einer Veranstaltung erschlichen wurde. Dann gibt es Fälle, die sieb nur unter § 265 a StGB fassen lassen, weil niemand getäuscht wurde oder weil es an dem in § 263 StGB vorausgesetzten Irrtum fehlt. Es gibt aber auch Fälle, in denen beide Tatbestände ihren Voraussetzungen nach erfüllt sind, z.B. wenn einer die Beförderung durch ein Transportmittel in der Weise erschleicht, daß er den Fahrkartenkontrolleur täuscht. In solchen Fällen ist § 265 a StGB kraft ausdrücklicher Regelung "subsidiär" (§ 265 a StGB, letzter Halbsatz). Man spricht von "ausdrücklicher" oder "formeller Subsidiarität". Einer vereinzelten Auffassung zufolge liegt zwar Subsidiarität, aber keine Konkurrenzsituation vor, "denn die subsidiären Tatbestände enthalten alle das negative Tatbestandsmerkmal, daß der Haupttatbestand nicht verwirkliebt ist. Hier kann also eine Konkurrenz schlechterdings nicht stattfinden. "218 Zum Teil wird gerade deshalb die Gesetzeskonkurrenz verneint, weil diese durch ein "Machtwort des Gesetzgebers" verhindert werde. Dagegen wendet Geerds zutreffend ein, es sei gerade das Anliegen der Gesetzeskonkurrenz, den Willen des Gesetzgebers zu ergründen. Er will im Gegenteil gerade von diesen Fällen ausgehen, weil dort der Wille des Gesetzgebers am deutlichsten hervortrete. 219 Allerdings geben solche "Subsidiaritätsklauseln" 220 regelmäßig Anlaß zum Streit darüber, wie weit sie gehen und ob sie nur gegenüber ähnlichen, auf das von Heintschel-Heinegg, Rdnr. 744. Standardbeispiel: vgl. Klug, ZStW 68 (1956), 406; Maurach I Gössel I Zipf, AT, §55 Rdnr. 33; sowie Seier, Jura 1983, 229; von Heintschel-Heinegg, Rdnr. 744; Jescheck, AT, § 69 II 2, alle für Subsidiaritit - anders freilich Fuchs, Gesetzeskonkurrenz, S. 56: Konsumtion. 216 Z.B. 217 Ein

Bocke/mann, JZ 1953, S. 235, Fn. 14. Konkurrenz, S. 180, Fn. 180. 220 Zu diesem Ausdruck Geerds, Konkurrenz, S. 180, Fn. 165; Fuchs, Gesetzeskonkurrenz, S. 56 schlägt den Ausdruck "Ausschlußklausel" vor; Abels, Klarste(218 So

219 Geerds,

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Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

gleiche Rechtsgut gerichteten, oder gegenüber welchen anderen Tatbeständen sie noch zum Zuge kommen sollen. 221 Besonders glücklich sind solche Subsidiaritätsklauseln daher nicht. 222 Meist sind sie "das Produkt einer gesetzgeberischen Verlegenheit". 223 Die Praxis deckt eine Strafbarkeitstücke auf, der Gesetzgeber greift ein, um sie zu schließen, ohne indessen eine geeignete Formulierung zu fmden. Der neue Tatbestand greift daher über die Lücke hinaus, die den Anlaß zur Neuregelung gegeben hatte. An den Kleinbuchstaben ist häufig zu erkennen, daß die betreffende Vorschrift nachträglich eingefügt wurde (Beispiele: §§ 248 b, 248 c, 265 a, 145 d StGB). Da der Gesetzgeber es aber, abgesehen von der Schließung der Lücke, beim alten Rechtszustand belassen wollte, fügt er dem neuen Tatbestand eine Subsidiaritätsklausel hinzu.224 Überwiegend werden zwei Fonneo der "Subsidiarität" unterschieden. 225 Neben der ausdrücklichen (fonnellen) Subsidiarität ist als zweite Subsidiarilungsfunktion will ebenfalls auf die Angabe der Kategorie in Zukunft verzichten und von "formeller Gesetzeseinheit" sprechen. zu § 265 a StGB z.B. Lackner, § 265 a Rdnr. 8. wohl die überwiegende Einschätzung, krit. insbes . Schneidewin, Materialien, S. 223 f; vgl. aber auch Geerds, Konkurrenz, S. 181, Fn. 0170, der sie ausdrücklich lobt. - Freilich wird der Überschneidungsbereich dann häufig dadurch klein gehalten, daß man in die Tatbestandsmerkmale doch begriffliche Unterschiede einbaut, beispielsweise reicht bei § 265 a StGB nicht jede unbefugte Inanspruchnahme, wie bei § 263 StGB, sondern soll fiir das "Erschleichen" eine Umgehung von Sicherheitsvorkehrungen gegen unbefugte Benutzung erforderlich sein, h.M., vgl. nur Schönke I Schröder-Lenckner, § 265 a Rdnr. 8. 223 R. Schmin, ZStW 75 (1963), 50. 221 Vgl. 222 So

224 Vgl. R. Schmitt, ZStW 75 (1963), 50; so schon Binding, Handbuch, S. 356: "Die erste Form dankt lediglich der Bequemlichkeit des Gesetzgebers ihr Vorkommen. Und zwar greift die Gesetzgebungstechnik dann zur Aufstellung derart subsidiärer Strafgesetze, wenn sie neue Tatbestände unter Strafe stellt, die sich an ältere eng anschließen, und wenn sie es nun untunlich oder unbequem fmdet, die trennenden Schranken zwischen dem neuen und dem alten höher strafbaren Delikt begrifflich zu ziehen." 225 H.M., vgl. von Hippe/, DStR, § 37 IX 3, S. 525; Baumann I Weber, AT, § 41 II 3 b; Jescheck, AT,§ 69 II 2; Wessels, AT,§ 17 V 2; Blei, AT,§ 96112 a und b; Haft, AT, 12. Teil § 2. 2; Schmidhäuser, AT, Kap. 14 I Rdnr. 25, 26; Stratenwerth, AT, Rdnr. 1191 f; Kienapfel, AT, S. 583; Bocke/mann I Volk, AT, § 35 II 2; Benfer, Allgem. Strafrecht, Rdnr. 635; Meurer, AT, S. 186 f; Geilen, AT, S. 266; Geerds, Konkurrenz, S. 180, 183; LK-Vogler, vor § 52 Rdnr. 118 f; SK-Samson, vor §52 Rdnr. 63; Dreher I Tröndle, vor§ 52 Rdnr. 19; Lackner, vor§ 52 Rdnr. 26; Warda, JuS 1964, 91; Kahl, JA 1978, 480.

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tätsform die sog. stillschweigende (materielle) Subsidiarität weithin anerkannt. 226 Beiden Fällen der Subsidiarität soll gemeinsam sein, daß ein Gesetz gegenüber einem oder mehreren anderen nur "hilfsweise" Geltung beansprucht, also für den Fall zurücktreten will, daß bereits ein anderes Gesetz eingreift: Iex primaria derogat legi subsidiariae. 227 Im einen Fall, so die Vorstellung, hat der Gesetzgeber das bereits bedacht und daher ausdrücklich angeordnet; im anderen Fall hat er es zwar nicht selbst explizit ausgesprochen, es kann aber aus dem Verhältnis der Normen untereinander ermittelt werden, daß es so gemeint sein muß. Insofern ist die Anweisung ganz so im Gesetz selbst enthalten, wie auch eine zivilrechtliche Willenserklärung ausdrücklich oder konkludent ("stillschweigend") abgegeben werden kann. Den beiden Formen entsprechen zwei unterschiedliche, ebenfalls allgemein anerkannte Prinzipien. 228 Das erste ist die sog. • Auffangfunktion" des verdrängten Tatbestandes gegenüber dem verdrängenden. Wenn dieser aus irgendwelchen Gründen nicht durchgreift, soll jener wieder "aufleben". Das entspricht dem Fall der formellen Subsidiarität und dem Charakter solcher Tatbestände als Lückenbüßer. Prüfungstechnisch folgt daraus, daß sie erst an zweiter Stelle, nämlich primär für den Fall geprüft werden, daß nicht schon der ursprüngliche, ältere Tatbestand eingreift. 229 Das zweite, besonders für die materielle Subsidiarität entscheidende Prinzip verbindet sich mit dem Schlagwort vom "Durchgangsstadium •. So definiert Honig: "Mehrere Strafrechtssätze stehen im Verhältnis

226 Eine Ausnahme bildet insoweit Lent, Gesetzeskonkurrenz, S. 39 der die Subsidiarität i.e.S. aus der Gesetzeskonkurrenz ausscheiden will. 227 Der Satz ist dem bekannten "Iex specialis derogat legi generali" nachgebildet, dazu Fuchs, Gesetzeskonkurrenz, S. 1: Soviel sei gewiß, mit lateinischen Rechtssprichwörtern seien die Probleme nicht zu lösen. 228 Vgl. statt vieler LK-Vogler, vor§ 52 Rdnr. 118, 122. 229 Einhellige Meinung, vgl. Wesse~, AT, § 19 II 2 a; Haft, AT, S. 282; Berg, JZ 1953, 28 -bei der Spezialität ist die Prüfungsreihenfolge dagegen umstrittener: Vieles spricht dafür, hier genauso vorzugehen und den spezielleren als den Tatbestand, der das generellere Gesetz verdrängt, zuerst zu prüfen, vgl. Kienapfel, Strafrechtsfälle, S. 126, Fn. 2, sowie Wesse~, AT, § 1911 2 b, z.B. für§ 249 StGB. Da die Qualifikationen aber - anders als bei der Subsidiarität - auf dem Grundtatbestand und häufig sogar aufeinander aufbauen oder ein Delikt aus zwei Bausteinen zusammengesetzt ist, ist es häufig angezeigt, das allgemeiner zuerst und dann das speziellere Gesetz zu prüfen, vgl. Ono, Grundkurs, § 24 111 1 c; Haft, AT, S. 282- teilweise wird auch vorgeschlagen, Grunddelikt und Qualifikation zusammenzufassen, Wesse~. AT, § 19 li 2 c.

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der Subsidiarität zueinander, wenn dasselbe Rechtsgut durch sie in verschiedenen Angriffsstadien geschützt wird; die subsidiäre Strafbestimmung kommt nach Verwirklichung der primären nicht zur Anwendung, weil das zwar notwendigerweise zu durchlaufende, aber weniger gefährliche Angriffsstadium als unbedeutenderes außer Betracht bleibt. "230 Nach h.M. sollen beispielsweise die Körperverletzungsdelikte (§§ 223 ff StGB) subsidiär zu den Tötungsdelikten (§§ 211 ff StGB) sein. Der Grund: Als Durchgangsstadium zur Tötung muß der Körper verletzt werden, anders gebt es nicht. 231 Noch plastischer ausgedrückt: Bevor die Kugel zum Herz vordringt, muß sie - eine "logische" Sekunde vorher - die Haut durchschlagen. Würde sie in diesem Moment aufgehalten, so wäre eine Körperverletzung unbestreitbar bereits erfüllt. Auch die häufig erwähnte Subsidiarität der (konkreten) Gefährdungsdelikte gegenüber dem auf den gleichen Erfolg gerichteten Verletzungsdelikt hat in diesem Gedanken ihren Ursprung. 232 Denn der Verletzung geht notwendig die Gefährdung desselben Rechtsgutes voran wohingegen man dasselbe von den abstrakten Gefährdungsdelikten nicht sagen können soll, weil dort ein anderes Rechtsgut (z.B. die Verkehrssicherheit in § 316 StGB) geschützt sein soll. 233 Auch die Subsidiarität von Versuch und Vorbereitung zur Vollendung gehört hierber. 234 Schließlieb wird hier regelmäßig auch die Subsidiarität der Teilnahme gegenüber der Täterschaft und der 230 Honig, S. 49- ebenso, unter Verweisung auf Honig, auch Jescheck, AT, § 69 II 2; Seier, Jura 1983, 229; Fuchs, Gesetzeskonkurrenz, S. 53. 231 So die sog. "Einheitstheorie", anders freilich die "Gegensatztheorie", zum Streit Schönke I Schröder-Eser, § 212 Rdnr. 17 f. 232 Gegen die Einbeziehung dieser Fallgruppe in die Subsidiarität aber Geerds, Konkurrenz, S. 185 f. 233 So die h.M., vgl. Schönke I Schröder-Stree, vor§ 52 Rdnr. 129; Jescheck, AT, § 69 II 2 b; Stratenwerth, AT, Rdnr. 1193 -zweifelhaft, denn erstens kommt es auf die Identität der geschützten Rechtsgüter nirgendwo bei der Gesetzeskonkurrenz an, mit Recht krit. zu dem Erfordernis der Rechtsgutsidentität Huang, Gesetzeseinheit, S. 27, und zweitens sollen nach h.M. die abstrakten Gefahrdungsdelikte wiederum als "Durchgangsstadium" (!) - subsidiär zu den konkreten sein, Beispiel: § 316 StGB zu§ 315 c I Nr. 1a StGB, vgl. nur Schönke I Schröder-Cramer, § 316 Rdnr. 16; bei Benfer, Allgem. Strafrecht, Rdnr. 637 heißt es immerhin, Getährdungsdelikte seien stets subsidiär gegenüber Verletzungsdelikten I

234 Das Argument, daß der Versuch begrifflich die Nichtvollendung voraussetze, vgl. Maurach, AT, 2. Aufl., S. 608 f; Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 316; Lent, Gesetzeskonkurrenz, S. 22 f - womit dann ein Exklusivitätsverhältnis hergestellt wäre- greift jedenfalls bei verselbständigten Versuchs- und Vorbereitungshandlungen nicht durch; so auch Geerds, Konkurrenz, S. 184, Fn. 194.

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leichteren Form der Teilnahme gegenüber der schwereren (Beihilfe gegenüber der Anstiftung und die wieder gegenüber den täterschaftliehen Begehensformen nach § 25 StGB) genannt. Zwar paßt hier weniger das Bild eines Durchgangs- oder Entwicklungsstadiums, aber doch das der "Stufenfolge" oder "Stufenleiter" der §§ 25- 27 StGB, bei der die jeweils höhere Stufe den Unwertgehalt der vorhergehenden umfaßt. 235 Subsidiarität kommt daher - anders als Spezialität - sowohl als "unechte" Ideal- wie auch als "unechte" Realkonkurrenz, d.h. nicht nur bei Handlungseinheit, sondern auch bei Handlungsmehrheit vor, 236 bei Hirschberg ist dies das entscheidende Kriterium für die Annahme von Subsidiarität überhaupt. 237 Beispiel für ein Durchgangsstadium bei Handlungseinheit ist die Körperverletzung gegenüber der Tötung. Beispiel für ein Durchgangsstadium bei Handlungsmehrheit ist der Versuch gegenüber der Vollendung. So wird auch erklärlich, warum über die Einordnung der "mitbestraften Vortat" 238 in das System der Gesetzeskonkurrenz so große Meinungsunterschiede bestehen. Da jeder Versuch und jede Vorbereitung als "Vortat" begriffen werden kann, 239 müßte man die Vortat als Subsidiarität in Form der unechten Realkonkurrenz werten. Faßt man unter die mitbestrafte Vortat allerdings andere, mehr oder weniger selbständige Delikte, dann freilich kann sieb ergeben, daß die Konkurrenzform der Konsumtion besser paßt. 240 - Insgesamt ist festzustellen, daß 235 Meist werden hier verschiedene Angriffsstadien und verschieden intensive Angriffsarten gegenübergestellt, vgl. nur LK-Vogler, vor § 52 Rdnr. 120; SK-Samson, vor § 52 Rdnr. 68 - beide folgen insoweit dem Prinzip der Steigerung. 236 Übersehen von von Heintschel-Heinegg, Rdnr. 748 ff, der unter unechter Realkonkurrenz nur mitbestrafte Vor- und Nachtat faßt. 237 Vgl. Hirschberg, ZStW 53 (1933), S. 46, 50: Konsumtion und Spezialität nur bei Handlungseinheit, daher Subsidiarität, wenn Handlungsmehrheit. 238 Früher oft weniger glücklich "straflose" Vor- bzw. Nachtat genannt, z.B. RGSt 49, 408; 60, 371; auch BGHSt 5, 295, aus dem Schrifttum: Honig, Straflose Vor- und Nachtat, S. 11; von Krog, Straflose Vor- und Nachtaten, S. 198 ff mit einer Rechtfertigung des Adjektives "straflose" - der Unterschied zeigt sich, wenn die Haupttat aus anderen Gründen nicht bestraft werden kann, dann wird aus der "straflosen" Voroder Nachtat nämlich doch eine strafbare Tat, h.M., vgl. nur Schönke I SchröderStree, vor§ 52 Rdnr. 117- Schorn, DRiZ 1931, 247 plädiert für den Begriff "vorbestrafte Nachtat". 239 Vgl.

Schönke I Schröder-Stree, vor§ 52 Rdnr. 120, 123. AT, § 17 VI 1 ordnet daher die Fälle der "mitbestraften Vortat" teils der Konsumtion und teils der Subsidiarität zu, während auf die "mitbestrafte Nachtat" durchgängig der Gedanke der Konsumtion zutreffe. 240 Wessels,

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Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

die Subsidiarität, wie die h.M. sie versteht, ein sehr uneinheitliches und diffuses Bild ergibt. Die wenigen, hier aufgezählten Beispiele zeigen es. Aber selbst diese wenigen, noch relativ unumstrittenen Fälle reichen aus, um ernsthafte Zweifel daran zu erwecken, ob der Subsidiarität wirklich ein einheitliches Verständnis zugrunde liegt. 241 Man wird sie am ehesten als eine historisch überlieferte Form der Gesetzeskonkurrenz hinzunehmen haben, für die sich ein allgemein anerkannter Name eingeschliffen hat und die aus diesem Grund auf den engen Bereich der Fälle beschränkt bleiben sollte, die ihr jetzt schon angehören. 242 Fuchs meint, in vielen Fällen der formellen Subsidiarität liege bei materieller Betrachtung eher Konsumtion vor. 243 An ihrem Vorbild, der Interferenz, gemessen, stellt sich freilich bald heraus, daß auf viele Fälle der materiellen Subsidiarität eher das für die Spezialität charakteristische Schema der Subordination als das der Interferenz zutrifft. 244 Besonders deutlich wird dies am Beispiel der in die Tötung einmündenden Körperverletzung: Wenn jede Tötung begriffsnotwendig als Durchgangsstadium die Körperverletzung umfaßt, wenn man also kein Tötungsdelikt begehen kann, ohne zugleich ein Körperverletzungsdelikt zu erfüllen, dann liegt eigentlich Subordination und damit Spezialität vor. 245 Dasselbe gilt von allen unter dem Stichwort "Durchgangsstadium" gehandelten Fälle, einschließlich des Versuchs zur Vollendung. So wie die Vorbereitung als Minus im Versuch enthalten ist, ist in der Vollendung als Minus der Versuch enthalten. 246 Richti-

241 Vgl. SK-Samson, vor§ 52 Rdnr. 62: "Fehlen eines gemeinsamen Grundgedankens", "kaum auf einen gemeinsamen Gesichtspunkt zurückzuführen"; ähnl. Puppe, ldealkonk., S. 327: eine "heterogene" Gruppe; vgl. auch Lent, Gesetzeskonkurrenz, S. 18, der daran zweifelt, ob ausdrückliche und stillschweigende Subsidiarität wirklich auf eine Stufe zu stellen seien. 242 Dem Vorschlag von Schmidhäuser, AT, 14 /27; Schönke I Schröder-Stree, vor §52 Rdnr. 131, 107, die Subsidiarität auf Kosten der Konsumtion auszudehnen, muß daher schon an dieser Stelle widersprochen werden, so auch SK-Samson, vor § 52 Rdnr. 65 und 67. 243 Fuchs, Gesetzeskonkurrenz, S. 56. 244 So auch Seier, Jura 1983, 229; ausf. Puppe, ldealkonk., S. 328 ff- ganz anders Lent, Gesetzeskonkurrenz, S. 30: Bei der Subsidiarität bildeten die Tatbestände nicht sich deckende oder sich schneidende Kreise, sondern stünden nebeneinander. 245 So richtig Geerds, Konkurrenz, S. 197.

246 So

auch Haft, AT, 12. Teil§ 2. 2, der hier gleichwohl Subsidiarität annimmt.

Zweites Kapitel: Die Lehre von der Gesetzeseinheit

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ger wäre daher die Annahme von Spezialität. 247 Ebenso steckt in jeder Anstiftung (§ 26 StGB) mindestens auch die psychische Beihilfe (§ 27 StGB), weil sich der Angestiftete der Zustimmung und des Rückhalts des Anstifters während der Tatausführung gewiß sein kann, ohne die er vielleicht doch noch zurückgeschreckt wäre. Liegt bei logischer Betrachtung in vielen Fällen der sog. materiellen Subsidiarität eigentlich Spezialität vor, so gibt es auch anerkannte Fälle der Spezialität, in denen bei materieller Betrachtung ein Durchgangsstadium vorliegt. Beispiel: §§ 153, 154 StGB. Außer in den Fällen des Voreides geht nämlich dem spezielleren Delikt (Meineid) regelmäßig das allgemeinere Delikt (uneidliche Falschaussage) auch zeitlich voran. Insbesondere beginnen sie auch nicht gleichzeitig, da der Versuch des § 154 StGB in diesen Fällen nach h.M. erst mit dem Sprechen der Eidesformel beginnt. 248 Folglich ist die uneidliche Falschaussage ein Durchgangsstadium. 249 Wenn in jeder Vollendung der Versuch, in jeder Verletzung die Gefährdung, in jedem echten Unterlassungsdelikt das unechte und im Vorsatz stets die Fahrlässigkeit250 als Minus enthalten ist, dann sind eben keine Fälle denkbar, die das erste und nicht auch das zweite erfüllen, und dann liegt Subordination und nicht Interferenz vor. Konsequenterweise wäre Spezialität anzunehmen. 251 Als voreilig und falsch erweist sich damit die häufig ausgesproche247 Ausnahme: ein Tatbestand stellt nur bestimmte, nicht notwendige Vorbereitungshandlungen strafbar, dann ist Konsumtion anzunehmen - dazu Puppe, ldealkonk., S. 329.

248 Vgl.

nur Schönke I Schröder-Lenckner, § 154 Rdnr. 15.

249 Daher

nicht verwunderlich, wenn hier häufig auch Subsidiarität angenommen wird, vgl. Lackner, § 154 Rdnr. 13; Schönke I Schröder-Lenckner, § 153 Rdnr. 16; Busch, GA 1955, 262 nimmt sogar mitbestrafte Vortat an; ebenso Schönke I Schröder-Stree, vor § 52 Rdnr. 120 - verwirrend die Grundsatzentscheidung des Großen Senats BGHSt 8, 301, 309, 311: einerseits Grunddelikt und Qualifikation, andererseits subsidiärer Charakter wegen Hilfsfunktion; Dreher I Tröndle, vor§ 52 Rdnr. 20 listet die Entscheidung sogar bei "Konsumtion" auf. 250 Damit sind zwei weitere, relativ unumstrittene Fallgruppen der materiellen Subsidiarität angesprochen, vgl. nur Schönke I Schröder-Stree, vor § 52 Rdnr. 107; SKSamson, vor § 52 Rdnr. 70 - ob es so zu sehen ist, ist hier nicht die Frage, bekanntlich geht der BGH hinsichtlich der Schuldfonneo eher von einem Altemativitätsverhältnis aus, siehe BGHSt 10, 314 zu §§ 223, 230 StGB; anders, nämlich im Sinne eines Plus-Minus-Verhältnisses, Jakobs, GA 1971, 257; für Qualifikation Nowakowski, JurB11958, 380; vgl. auch Schmidhäuser, AT, 7 1122. 251 Diese Konsequenz muß man schon ziehen: Abels, Klarstellungsfunktion, S. 20 f beschränkt sich auf die Feststellung, daß der Spezialität die begriffslogische Struktur der Subordination und der Subsidiarität die Interferenz zugrundeliegt, ebenso Je-

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Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

ne252 und ebenso oft stillschweigend vorausgesetzte Annahme, daß es Spezialität bei Handlungsmehrheit nicht geben könne. 253 Versuch und Vollendimg sind der beste Beleg. 254 Der eigentliche Schwachpunkt der Subsidiarität ist aber nicht, daß vielfach die logische Struktur der Subsidiarität, nämlich die Interferenz, nicht eingehalten wird. Der springende Punkt ist vielmehr, daß nicht wie bei Subordination stets Spezialität, auch bei Interferenz stets Subsidiarität anzunehmen wäre. Davon kann keine Rede sein. Da sämtliche Fälle der Idealkonkurrenz, also des Zusammentreffens mehrerer Straftatbestände in einer Handlung, als "Interferenz" aufgefaßt werden können, muß eine Begründung dafür gefunden werden, daß nicht§ 52 StGB, sondern die Grundsätze der Gesetzeseinheit eingreifen. 255 Kann sie nicht erbracht werden, so muß allerdings § 52 StGB angewendet werden, und dann ist Puppe256 Recht zu geben, die in Fällen, in denen herkömmlich Gesetzeskonkurrenz angenommen wurde, künftig auf § 52 StGB zurückzugreifen will. Als "einzig legitime" Form der Gesetzeskonkurrenz will sie nur noch die Spezialität anerkennen, weil ihr gerade nicht die Interferenz, sondern die begriffslogische Struktur der Subordination zugrunde liegt. Die Bemühungen, eme, wenn möglich eine einzige, Erklärung für die Nichtanwendung der Regeln über die Idealkonkurrenz zu fmden, reichen von der "materiellen Strafberechtigung" von Geerds, 257 über die "Subordination scheck, AT, § 69 II 1 und 2 - wenn sich aus der begriffslogischen Analyse auch eine praktische Handlungsanweisung ergeben soll, dann muß man umgekehrt vorgehen, dann muß nämlich immer wenn Subordination vorliegt auch Spezialität angenommen werden, so richtig Hruschka, Strafrecht, S. 391. 252 R. Schmin, ZStW 75 (1963), 54; Baumann I Weber, § 41 II 3 a; Leukauf I Steininger, § 28 Rdnr. 28; Hruschka, Strafrecht, S. 394; Honig, S. 18. 253 In Wahrheit schon erkannt von Geerds, Konkurrenz, S. 194, Fn. 254. 254 Für Spezialität in diesem Fall auch Jakobs, AT, 31. Abschn. Rdnr. 13; ebenso Puppe, ldealkonk., S. 331 mit der Bemerkung, dafür brauche man das Institut der Subsidiarität nicht. 255 So auch Maurach I Gössel I Zipf, AT, § 55 Rdnr. 34 unter Verweis auf Klug, ZStW 68 (1956), 409. 256 Puppe, ldealkonk., S. 355; dies., GA 1982, 160. 257 Geerds, Konkurrenz, S. 146 ff- Geerds versuchte zu beweisen, daß dem Staat in den Fällen der Gesetzeskonkurrenz nur ein einziger Strafanspruch aus dem primären Gesetz zusteht, weshalb die anderen Gesetze zurücktreten müßten; früher war behauptet worden, die zurücktretenden Gesetze seien gar nicht "verletzt", was auf dasselbe hinausliefe, z.B. Kohlrausch I Lange, vor § 73 Anm. I; aus der Rspr. des

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der Unwertgehalte" bei Montenbruck:zs8 und die Spezialität kraft Beschreibungsintensität, kraft Vollendungsdichte, Beteiligungsintensität usw. bei Jakobs:zs9 bis hin zur Rechtfertigung, die Gössel für die Nichtanwendung der Grundsätze der Idealkonkurrenz im Falle der Subsidiarität gefunden hat: es gelte ein "gewohnheitsrechtlicher Rechtssatz", daß in den Fällen der Subsidiarität die Rechtsfolgenbestimmung der subsidiären Tatbestände keine Anwendung finde. 281 Tatsächlich bedarf es da keiner weiteren Rechtfertigung, wo der Gesetzgeber das Zurücktreten gegenüber einer bestimmten (spezielle) oder allen anderen (absolute Subsidiarität) ausdrücklich angeordnet hat (formelle Subsidiarität). Dort, wo er es nicht ausdrücklich getan hat, da bleibt nichts weiter übrig, als ihm zu unterstellen, daß er es so gemeint hat (stillschweigende Subsidiarität). Aber keinesfalls gibt das rein begriffslogische Verhältnis der Interferenz darüber Aufschluß, ob ein Gesetz zurücktritt oder nicht.

V. Das ungelöste Problem der Konsumtion 1. Die begriffslogische Struktur der Konsumtion

Während die begriffslogische Struktur der Spezialität in der Subordination und die der Subsidiarität in der Interferenz gefunden wurde, ist unklar, welche begriffslogische Beziehung der Konsumtion zugrunde liegt, die als dritte Form der Gesetzeskonkurrenz grundsätzlich anerkannt ist, beispielsweise soll der Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) und die Sachbeschädigung (§ 303 StGB) vom Einbruchdiebstahl (§§ 242 i. V .m. 243 I Nr.1 StGB) "konsumiert" sein. Das Verhältnis von §§ 242, 243 I Nr.1 zu §§ 123, 303 gilt geradezu als Schulfall und Musterbeispiel der Konsumtion. 261 Für viele ist die Konsumtion Reichsgerichts vgl. RGSt 18, 199 f- zu diesem Ergebnis kommt, auf anderem Wege, neuerdings auch wieder Wegscheider, Konkurrenz, S.200 ff mit seinem sog. Auslegungsansatz. 2S8 Montenbruck, Strafrahmen, S. 165 ff. :zs9 Jakobs, AT, 31. Abschn. Rdnr. 18. 281 Maurach I Gössel I Zipf, AT, § 55 Rdnr. 34. 261 Abels, Klarstellungsfunktion, S. 22 nennt es den "Prototyp" der Konsumtion; aus der Literatur: Al/feld, Lehrbuch, S. 239, Fn. 40; Mezger, Strafrecht, S. 475; Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 235; Sauer, Allgem. Strafrechtslehre, § 27 II B 1; M.E. Mayer, AT, S. 503; Stralenwerlh, AT, Rdnr. 1188; Kienapfel, AT, S. 583; Baumann I Weber, § 41 II 3 b b; Wessels, § 17 V 3; Marbe, AT, S. 160; Roxin I Schanemann I Ha.flke, Fall 9, S. 178; Ono, Grundkurs, § 24 III 2; von HeintschelHeinegg, Rdnr. 746; Benfer, Allgem. Strafrecht, Rdnr. 639; Geilen, AT, S. 267;

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Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

(andere Schreibweise: Consumtion, Konsumption262) "ein Wort ohne klaren Inhalt", 263 "unscharf", 264 "ein konturloses, im Einzelfall schwierig zu bandhabendes Gebilde" .26S Baumann I Weber räumen ein, der Begriff sei "außerordentlich unscharf und schillernd". 266 Sauer hat sie die "verworrenste" aller Denkformen der Gesetzeskonkurrenz genannt. 267 Sie ist das "Sorgenkind" der Konkurrenzlebre. 268 Manche meinen, der Konsumtion liege wie der Spezialität das Verhältnis der Subordination zugrunde. 269 Das ist sicher richtig, wenn man mit Montenbruck auf die "Subordination der Unwertsgehalte" abstellt. Der Unwertgehalt des Einbruchdiebstahls schließt den des Hausfriedensbruchs und der Sachbeschädigung dann in sich ein (Inklusion). 270 Das Bild der Inklusion wird auch angestrebt, wenn man formuliert, bei der Konsumtion sei der Einschluß ein "wertender", bei der Spezialität hingegen bestehe ein "logisches" Einschlußverbältnis. 211 Daraus erklärt sich, wie bei DVV und Regeltatbild, die nahe Verwandtschaft zwischen Spezialität und Konsumtion.m

Meurer, AT, S. 188; Blei, AT,§ 96 II 3 a; Jakobs, AT, 31. Abschn. Rdnr. 31; Jescheck, AT,§ 69 II 3 b; ders., ZStW 67 (1955), 535; R. Schmin, ZStW 75 (1963), 50; Hirschberg, ZStW 53 (1933), 43 f; Geerds, Konkurrenz, S. 217; Berg, JZ 1953, 28; Seier, Jura 1983, 230; Geppert, Jura 1982, 425; Kahl, JA 1978, 480; Warda, JuS 1964, 90; Tiedemann, JuS 1987, L 19; SK-Samson, vor§ 52 Rdnr. 76; LK-Vogler, vor§ 52 Rdnr. 132; Schneidewin, Materialien, S. 222; für das österr. Recht: Leukauf I Steininger, § 28 Rdnr. 47; Foregger I Serini, § 28 Anm. V 3; Burgstaller, JurBl 1978, 459; Triffterer, AT, Kap. 18 111 3 b cc (1). 262 So

z.B. Mayerhofer, ÖJZ 1973, 380. Hippe/, Lehrbuch, S. 175. 264 Huang, Gesetzeseinheit, S. 42. 26S Seier, Jura 1983, 230. 263 von

Baumann I Weber, AT,§ 41 113 b. Allgem. Strafrechtslehre, § 27, S. 229- nicht ganz zu Unrecht, wie Jescheck, ZStW 67 (1955), 535 meint; vgl. auch LK-Vogler, vor§ 52 Rdnr. 131: "besonders umstrittene Spielart der Gesetzeseinheit". 268 Fuchs, Gesetzeskonkurrenz, S. 56. 269 So z.B. Sauer, Allgem. Strafrechtslehre, § 29 I 2: "Das Bild der Idealkonkurrenz ist: zwei sich schneidende Kreise; das typische Bild der Konsumtion: ein Kreis als der weite umschließt ganz den anderen, wie bei der Spezialität." 270 Vgl. Montenbruck, Strafrahmen, S. 167. 211 So z.B. Baumann I Weber, AT, § 41 II 3 b. mSiehe Stratenwerth, AT, Rdnr. 1187, sowie Rdnr. 1188: "der Sache nach bestehende Spezialität" 266

267 Sauer,

Zweites Kapitel: Die Lehre von der Gesetzeseinheit

289

Klug hat indessen nachgewiesen, daß man nur mit Hilfe einer besonderen Gedankenoperation zur Subordination gelangen (und damit die Spezialitätsähnlichkeit retten) kann: Man müsse den Tatbestand des §§ 242 i. V .m. 243 I Nr.l StGB für diesen Zweck auf die gewöhnlichen Einbruchsdiebstahlsfälle beschränken und erklären, "nur der in dieser Begrenzung verstandene Tatbestand sei für die Frage, ob Idealkonkurrenz in Betracht komme oder nicht, ausschlaggebend. Dieser engere Begriff steht dann in der Tat im Verhältnis der Subordination, so daß man zu einem Sonderfall der Spezialität kommt, der terminologisch von der üblichen Spezialität durch die Bezeichnung Konsumtion abgehoben werden kann". 273 Wolle man die Situation recht verstehen, meinte Hirschberg, 274 so müsse man sich zu § 123 StGB einen Spezialtatbestand § 123 a hinzudenken, der etwa lautete: "Wer bei einem Einbruchdiebstahl einen Hausfriedensbruch begeht ... ". Dieser Tatbestand wäre Iex specialis zu § 123 StGB; gleichzeitig wäre er Iex specialis zu §§ 242, 243 I Nr.l StGB. - Jede Iex consumens setze sich also aus zwei Ieges speciales zusammen und konsumiere auf diesem Umweg auch den Grundtatbestand. Ganz ebenso könne man sich zu § 303 StGB einen Spezialtatbestand § 303 a ("Wer bei einem Einbruchdiebstahl eine fremde Sache beschädigt ... ") denken und so weiter. 275 Aber gerade dieses Verfahren, das Hantieren mit ungeschriebenen Ieges speciales, zeigt, daß die geschriebenen Tatbestände gerade nicht im Verhältnis der Spezialität, d.h. der Subordination, stehen. Nicht exakt, aber "schon eher" treffe das Bild der Interferenz zu, meinen andere. 276 Es sind nämlich durchaus Fälle denkbar, wenn auch nicht eben häufig, in denen ein Einbruchdiebstahl ohne Hausfriedensbruch (der Sohn des Hauseigentümers, der, um keinen Verdacht auf sich fallen zu lassen, von außen her in die elterliche Wohnung eindringt) und ohne Sachbeschädigung begangen wird (der Hauseigentümer, der sich durch ein zu diesem Zweck eingeschlagenes Fenster Zutritt zur Wohnung des Mieters verschafft). 277 Das sind gewiß untypische, seltene Fälle. In den meisten Fällen des Einbruchdiebstahls liegen auch die§§ 123, 303 StGB vor: Der Einbrecher schlägt ein Fenster ein 273 Klug,

ZStW 68 (1956), 408.

214 Hirschberg,

ZStW 53 (1933), 43.

275 Hirschberg, 276 Seier,

ZStW 53 (1933), 44. Jura 1983, 230; ähnl. von Heintschel-Heinegg, Rdnr. 746.

277 Beispiele

19 Fahl

nach Blei, AT, § 96 II 1.

290

Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

(§ 303 StGB), durchstöbert die Wohnung (§ 123 StGB) und nimmt dann mit, was ihm wertvoll erscheint (§§ 242, 243 I Nr.l StGB). So stellt es sich normalerweise dar. Die Struktur der Interferenz, nämlich die Überschneidung der Tatbestände, sei aber "nicht wegzuleugnen" . 218 Stellt man auf die bloßen Talbestandsmerkmale ab, dann könnte man in vielen Fällen der Konsumtion freilich sogar Heterogenität annehmen. Die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache bat mit dem Eindringen in eine Wohnung nichts gemein. Beim Einbruchdiebstahl kommt hinzu, daß zwar die Wegnahme zum Tatbestand gehört (§ 242 StGB), das Einbrechen, das die Verbindung zum Hausfriedensbruch herstellt, als Merkmal einer bloßen Strafzumessungsregel (§ 243 StGB) aber nicht. 279 Letztlich kommt es darauf nicht an, weil sich bereits aus dem begriffslogischen Zuordnungsmodell selbst ergeben soll, daß es neben Spezialität und Subsidiarität keine dritte Form und damit die Konsumtion gar nicht geben kann. 280 Nach dem begriffslogischen Modell gibt es nur vier Möglichkeiten der Zuordnung - Heterogenität, Identität, Interferenz und Subordination. Davon bleiben für die Gesetzeskonkurrenz nur zwei, da hierfür mindestens Überschneidung erforderlich ist. 281 Damit stehen aber nur zwei Grundformen zur Verfügung: Subordination und Interferenz. 282 Beide sind belegt: die Subordination von der Spezialität und die Interferenz von der Subsidiarität. Für die Konsumtion ist darin folglich kein Raum. In aller Deutlichkeit Hruschka: Soweit daneben noch andere Sorten der Gesetzeskonkurrenz genannt würden, vor allem die sog. "Konsumtion", dann sei es einfach so, daß eine gleichrangige dritte Kategorie nicht gedacht werden könne, weshalb ein Nebeneinander von Spezialität, Subsidiarität und Konsumtion ausgeschlossen sei. 283 Daraus wird nun geschlossen, daß die Konsumtion keine Existenzberechtigung mehr habe. 218 Klug, ZStW 68 (1956), 409; für Interferenz auch R. Schmitt, ZStW 75 (1963), S. 50, Fn. 38. 279 Zur Frage, ob die Umgestaltung des § 243 StGB vom qualiftzierten Delikt zur bloßen Strafzumessungsregel durch die Neufassung der Vorschrift im Jahre 1969 am Konkurrenzverhältnis zu den §§ 123, 303 StGB etwas geändert hat, Roxin I Schünemann I Ha.ffke, Fal19, S. 178. 280 Klug,

ZStW 68 (1956), 405.

Klug, ZStW 68 (1956), 409 f. ZStW 68 (1956), 412. 283 Hruschkß, Strafrecht, S. 393. 281

282 Klug,

Zweites Kapitel: Die Lehre von der Gesetzeseinheit

291

So will Gössel aus der überkommenen Lehre der Gesetzeskonkurrenz nur die Teilstücke von der Subsidiarität und der Spezialität übernehmen, nicht dagegen das Teilstück der Konsumtion. 284 Die Folge ist, daß § 52 StGB Anwendung fmdet, sofern nicht Subordination oder Subsidiarität vorliegen. 285 Puppe will ebenfalls die Regeln über die Idealkonkurrenz auf die Fälle der Konsumtion anwenden. 286 Klug selbst meint, daß die Konsumtion ohne Schwierigkeiten als stillschweigende Subsidiarität verstanden werden könne, da ihr wie der Subsidiarität das Begriffsverhältnis der Interferenz zugrunde liege; den Begriff der Konsumtion hält er, ebenso wie Gössel und Puppe, für überflüssig. 287 Minas-von Savigny,288 Stree289 und Schmidhäuser290 haben sich angeschlossen. Zweifel an der eigenständigen Bedeutung der Konsumtion äußert auch Vogler. 291 Andere wollen ihm nur noch die Funktion eines "Sammelbeckens" zugestehen, in das alle Fälle gehören, die weder Subsidiarität noch Spezialität sind (was es nach dem begriffslogischen Verhältnis freilich gar nicht geben kann). 292 So aufschlußreich die Beschreibung der begriffslogischen Zuordnungsmöglichkeiten für das Verständnis der Konkurrenzlehre auch sein mag, letztlich führt das von Klug vorgeschlagene Modell damit in die Sackgasse. Es kann die Lehre von der Gesetzeskonkurrenz weder überflüssig machen, wie Gössel

284 MaurachI

Gössel I Zipf, AT, §55 Rdnr. 49.

Gössel I Zipf, AT, §55 Rdnr. 51; Maurach, AT, 2. Aufl., §55 I B 3 c selbst hatte freilich noch die Meinung vertreten: "Vielfach, aber zu Unrecht, wird die Notwendigkeit der Konsumtion als eines selbständigen Grundsatzes abgestritten; eine Beurteilung nach Spezialitätsgrundsätzen vermag nicht immer Ersatz zu schaffen". 286 Puppe, ldealkonk., S. 355. 287 Klug, ZStW 68 (1956), 415. 285 MaurachI

288 Minas-von 289 Schönke

Savigny, Negative Tatbestandsmerkmale, S. 59 f.

I Schröder-Stree, vor§ 52 Rdnr. 131.

AT, 14/27 u. Rdnr. 22, Fn. 13. Vogler, Bockelmann-FS, S. 735- Lenckner, JR 1978, 425 will dahingestellt sein lassen, ob die von der h.M. angenommene Konsumtion überhaupt eine selbständige Erscheinungsform der Gesetzeskonkurrenz darstellt; ablehnend auch R. Schmitt, ZStW 75 (1963), 55 für den Bereich der unechten Realkonkurrenz. 290 Schmidhl1user, 291

292 Seier, Jura 1983, 230; Geppert, Jura 1982, 425; Huang, Gesetzeseinheit, S. 111; Fuchs, Gesetzeskonkurrenz, S. 58; vgl. schon von Hippe/, DStR, S. 525: ein Sammelname für Fälle, in denen Gesetzeskonkurrenz aus irgendwelchen anderen Gründen anzunehmen sei. 19*

292

Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

meint, 293 noch kann es die Erscheinungsformen der Gesetzeseinheit vollständig erklären. Noch viel weniger sprechen die Möglichkeiten im begriffslogischen Zuordnungsverhältnis für oder gegen die Anerkennung einer Konkurrenzform. Insbesondere die Konsumtion kann das begriffslogische Zuordnungsmodell nicht erklären. Richtig ist, daß es nach dem begriffslogischen Zuordnungsverhältnis nur zwei Kategorien von Gesetzeskonkurrenz geben kann, die logisch gleichrangig nebeneinander stehen, aber das besagt nicht viel: Mögen sich Konsumtion und Subsidiarität auch nach logischen Kriterien nicht abgrenzen lassen, so sind sie doch nach teleologischen Gesichtspunkten unterscheidbar. 294 Auch Klug und Hruschka erkennen das Bedürfnis für die Gesetzeskonkurrenz in den Fällen der Konsumtion an; nur sehen sie sich genötigt, sie nicht mehr als Konsumtion, sondern als Sonderfall der Subsidiarität zu apostrophieren, weil das begriffslogische Modell nur zwei Formen zur Verfügung stellt. 295 Doch damit ist nichts gewonnen. Der eigentliche Schwachpunkt des Modells liegt in der Gleichsetzung von Subsidiarität und Interferenz. Erstens liegt durchaus nicht allen Fällen, die bisher als Fälle der Subsidiarität begriffen wurden, wirklich das Verhältnis der Interferenz zugrunde. Zweitens baut auch die Idealkonkurrenz auf der Interferenz auf. Selbst wenn man den Begriff der Subsidiarität auf die Fälle wirklicher Interferenz beschränken wollte, so führte Interferenz doch nicht notwendig zur Gesetzeseinheit. 296 Das begriffslogische Modell rechtfertigt in Wahrheit weder Konsumtion noch Subsidiarität. Die einzige Form, die es zu erklären vermag, ist die Spezialität. Ihre logische Struktur erhellt durch den Begriff der Subordination. Alle anderen Möglichkeiten im begriffslogischen Zuordnungsverhältnis (Identität, Heterogenität, Interferenz) zeigen bestenfalls Konstruktionsmöglichkeiten auf, geben

293 Maurach I Gössel/ Zipf, AT, §55 Rdnr. 36: "eine zu ihrer Überwindung führende Weiterentwicklung". 294 So auch Burgstaller, JurBI 1978, 459; Klug, ZStW 68 (1956), 412 selbst meint, die begriffslogische Betrachtung reiche nicht aus, erforderlich sei auch eine teleologische Betrachtung. 295 Vgl. Hruschka, Strafrecht, S. 393: Daß der Leser, wenn es ihm gefalle, beispielsweise die Fälle der stillschweigenden Subsidiarität - also eine Teilkategorie - mit dem Titel "Konsumtion" belegen oder daß er überhaupt die Terminologie ändern könne, sei eine andere Sache. 296 Konsequent insofern Puppe, ldealkonk., S. 355: Interferenz führt dann stets zur Idealkonkurrenz.

Zweites Kapitel: Die Lehre von der Gesetzeseinheit

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aber keine Auskunft über die Gründe, 291 weshalb Gesetzeseinheit und nicht Idealkonkurrenz anzunehmen ist. Dafür müssen - wohl oder übel - die Fallgruppen selbst weiter analysiert werden. Für die Spezialität ist das logische Ausschlußprinzip bestimmend, das ist das wichtigste Zwischenergebnis. Dabei darf jedoch nicht stehengeblieben werden. Es gilt, das wertende Ausschlußprinzip herauszuarbeiten, das das logische ergänzt. 2. Das wertende Prinzip in der Konkurrenzlehre Nach Honig liegt Konsumtion vor, "wenn - bei Identität des geschützten Rechtsgutes - der durch einen Rechtssatz angestrebte Rechtsgüterschutz vollständiger ist als durch einen anderen". 298 Die Definition ist unbrauchbar. Sie ist zu weit, weil sie auch die Fälle der Spezialität deckt, denn der Rechtsgüterschutz der Iex generalis reicht ebenfalls weiter als der der Iex specialis. 299 Wenn Honig weiter meint, der von dem einen Rechtssatz gewährte Rechtsgüterschutz sei "vollständiger" als durch einen anderen, so trifft das auch auf die Fälle der Subsidiarität zu, die doch nach seiner eigenen Definition immer auch mit dem Schutz des Rechtsguts in verschiedenen (verschieden weit fortgeschrittenen) Angriffsstadien verbunden wird. 300 Insofern verwundert es auch nicht, wenn Allfeld 301 sämtliche Formen von Durchgangsstadien (Versuch und Vorbereitung zur Vollendung, Körperverletzung zur Tötung, Gefährdung zur Verletzung) der Konsumtion zuschlägt, während er die Subsidiaritit den ausdrücklich geregelten Fällen (formelle Subsidiaritit) und gewissen Sonderfällen vorbehält, die nicht in das Schema der Durchgangsdelikte passen. 302 Soweit auf die vollständige Aufzehrung des Unrechts- und Schuldgehalts einer

297 Vgl. Jakobs, AT, 31. Abschn. Rdnr. 17, der in der Spezialität die Form sehen will, in der sich der Vorrang eines Gesetzes äußert und in Subsidiarität und Konsumtion die Gründe für den Vorrang eines Gesetzes. 298 Honig, S. 113. 299 So schon Hirschberg, ZStW 53 (1933), 42. 300 Vgl. Honig, S. 113.

Lehrbuch, S. 238 f. die leichtere Form der Teilnahme gegenüber der schwereren, Alifeld, Lehrbuch, S. 238, Fn. 33; ganz ähnl. von Listzt I Schmidt, AT, S. 343; auch bei Bockebnann I Volk, § 35 II 3 tauchen die "Durchgangsdelikte" als Fall der Konsumtion auf. 301 Alifeld,

302 Z.B.

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Norm durch eine andere abgestellt wird, 303 so ist dies das Kriterium für die Gesetzeskonkurrenz im Ganzen und zur Abgrenzung der verschiedenen Formen untereinander ebenfalls untauglich. 304 Tatsächlich ist dem Wort, das übersetzt nichts weiter bedeutet als Aufzehrung oder Verbrauch, noch weniger zu entnehmen als etwa den Namen Spezialität oder Subsidiarität (der immerhin das "hilfsweise" Einspringen anklingen läßt). Es verwundert daher nicht, daß sich mit dem Begriff sehr unterschiedliche Vorstellungen verbinden. 305 Die h. M. bedient sich folgender, vom "Regeltatbild" her bekannter Definition: Konsumtion tritt dann ein, wenn die Verwirklichung des einen Tatbestandes zwar nicht notwenig und ausnahmslos - sonst läge bereits Spezialität vor- die Verwirklichung des anderen voraussetzt, aber doch "regelmiißig und typischerweise" zusammen mit diesem mitverwirklicht ist. 306 Als Beispiele307 werden genannt: die Konsumtion der Sachbeschädigung an den Kleidem des Getöteten durch den Totschlag; die Körperverletzung der Frau nach § 223 StGB (nicht aber des § 226 StGB)308 bei einem Schwangerschaftsabbruch; der Benzindiebstahl (§ 242 StGB) bei der unbefugten Kraftfahrzeugbenutzung (§ 248 b StGB). In alldiesen Fällen kann man nicht sagen, daß ein Tatbestand notwendig den anderen umfaßte: Vorstellbar wäre es schon, daß der unbefugte Kraftfahrzeugbenutzer sein eigenes Benzin mitnimmt und in den leeren

303 Vgl. OLG Frankfurt, NJW 1970, 1333: "Kraft Gesetzeseinheit konsumiert wird dabei ein strafrechtlicher Tatbestand durch einen anderen, wenn der Unrechts- und Schuldgehalt einer Tat - der Begleittat - durch die Bestrafung der Haupttat ... voll mit ausgeglichen wird" . 304 So auch Fuchs, Gesetzeskonkurrenz, S. 57. 305 Das stellt auch R. Schmitt, ZStW 75 (1963), 49 fest; bezeichnend RGSt 24, 202: "Konsumtion der beiderseitigen Strafdrohungen in dem Sinne, daß ihre Tatbestandsmerkmale sich deckten" -das wäre Spezialität, wenn nicht gar Identität; teilweise wird der Ausdruck als andere Bezeichnung für "Gesetzeskonkurrenz" schlechthin gebraucht, siehe Kohlrausch I Lange, vor§ 73 Anm. I; ähnl. weit Binding, Handbuch, § 77 VI. 306 Kienapfel, AT, S. 583; Meurer, AT, S. 187; Mürbe , AT, S. 160; Geilen, AT, S. 266; Mezger, Strafrecht, S. 475; Bocke/mann I Volk, AT, § 36 II 3; Baumann I Weber, AT,§ 41 113 b; R. Schmitt, ZStW 75 (1963), 50.

301 Tiedemann, JuS 1987, L 19 gibt demAnfangerden guten Rat, sich bei der Annahme von Konsumtion auch auf diese wenigen Beispiele zu beschränken. 308 Vgl. BGHSt 28, 11 ff m.w.Nachw. zur vorher anders lautenden Rechtsprechung.

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Tank füllt, bevor er eine Spritztour unternimmt. 309 Üblich ist das nicht. Nicht jede Tötung geht notwendig mit der Beschädigung der Kleider des Opfers einher. Immerhin ist denkbar, daß das Opfer in der Badewanne liegend erstochen wird. Regelmäßig wird das Opfer aber Kleider tragen, die vom Messer oder einer Kugel durchlöchert oder die durch den Aufprall auf den Boden verschmutzt oder mit Blut besudelt werden. Logisch ausgeschlossen ist es also nicht, daran eine höhere Strafe zu knüpfen als für den ansonsten gleichgelagerten Fall ohne die Beschädigung der Kleider, die Frage ist nur, ob das sinnvoll ist. Baumgarten formuliert: "Sollte neben dem Totschlag noch die Sachbeschädigung in Frage kommen? Gibt es auf der ganzen Welt irgend jemand, der zwar nicht zurückschreckt, das Blut eines anderen zu vergießen, aber doch den Kittel desselben um jeden Preis schonen will?" 310 Ebenso typisch ist es für den illegalen Schwangerschaftsabbruch, daß ein Nichtfachman der Frau dabei Verletzungen zufügt, die bei legaler Vomahme des Eingriffs vermieden worden wären. 311 Solche Verletzungen, die bei unsachgemäßer Vomahme regelmäßig vorkommen, aber darüber nicht hinausgehen, sind vom Unrecht des verbotenen Schwangerschaftsabbruchs daher mitumfaßt (vorausgesetzt, man verneint wegen der Geringfügigkeit der Verletzungen am Körper der Schwangeren nicht schon die Tatbestandsmäßigkeit und weiter vorausgesetzt, die regelmäßig in Betracht kommende Einwilligung sei wegen § 226 a StGB unbeachtlich). Denn sie entsprechen dem "Regeltatbild", auch wenn - gerade weil - sie nicht allen Fällen der Abtreibung gemein sind.

So bildet Huang, Gesetzeseinheit, S. 23 das Beispiel- wäre der Tank nicht leer, so würde dem Täter u.U. auch dies nichts nützen, da der andere dann Eigentümer des Benzins würde, so daß ein Diebstahl daran weiterhin möglich bliebe, vgl. §§ 948 II i.V.m. 947 BGB- zu diesem Paradebeispiel einer Konsumtion auch Burgstaller, JurBl 1978, 469; Blei, AT, § 96 II 3 a; LK-Vogler, vor§ 52 Rdnr. 134; SK-Samson, vor §52 Rdnr. 76; Schmidhduser, AT, 14/29. 310 Baumgarten, Konkurrenz, S . 84 - zu diesem Beispiel auch Puppe, GA 1982, 159; Wegscheider, Konkurrenz, S. 242; Honig, S. 14; für Konsumtion: Geerds, Konkurrenz, S. 217; Burgstaller, JurBl 1978, 459; Baumann, MDR 1959, 11; Graf zu Dohna, ZStW 61 (1941), 132; Mayerhojer, ÖJZ 1973, 380; Tritfterer, AT, Kap. 18 III b cc (1); LK-Vogler, vor§ 52 Rdnr. 132; SK-Samson, vor§ 52 Rdnr. 76; Leukauf I Steininger, § 28 Rdnr. 47; Foregger I Serini, § 28 Anm. V 3; dagegen: Sauer, AT, § 29 II 1. 311 Standardbeispiel für Konsumtion, vgl. Tiedemann, JuS 1987, L 19; Jakobs, AT, 31. Abschn. Rdnr. 31; Benfer, Allgem. Strafrecht, Rdnr. 639; Dreher I Tröndle, vor §52 Rdnr. 20. 309

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Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

Konstruktiv liegen die Dinge allerdings viel komplizierter: Wenn der BGH312 davon ausgeht, daß jede zur Abtötung der Leibesfrucht führende Handlung zugleich einen Eingriff in die Gesundheit der Schwangeren bedeutet, schon weil die Leibesfrucht sich dabei vom Körper der Schwangeren ablöse, mit dem sie bis dahin fest verbunden ist, dann könnte man sogar Spezialität der §§ 218 ff StGB zu§ 223 StGB annehmen. 313 Denn dann wäre die Abtreibung stets eine Körperverletzung, und dann läge Subordination und damit Spezialität vor. Freilich gilt auch das nur für die Fälle der Fremdabtreibung. Wenn die Schwangere selbst den Eingriff vornimmt, dann greift § 223 StGB niemals ein. 314 Dann bleibt nur die Konsumtion, um Gesetzeskonkurrenz zu begründen, und es stellt sich die schwierige Frage, ob die Fälle der Selbstabtreibung im Vergleich zur Fremdabtreibung, bei der stets eine Körperverletzung gegeben sein soll, so selten oder ungewöhnlich sind, daß man wirklich noch sagen kann, eine mit der Abtreibung verbundene Körperverletzung sei "regelmäßig" oder "typischerweise" mitgegeben! 315 Ein weiteres Schulbeispiel, das häufig genannt wird, ist die Konsumtion des § 303 StGB durch § 202 Abs. 1 Nr. 1 StGB. 316 Ein "Öffnen" des Briefes 312 BGHSt

10, 314; BGHSt 28, 13.

313 Nach

Haft, AT, 12. Teil § 2.2 sogar Subsidiarität (Durchgangsstadium!); BGHSt 28, 16 äußert sich dazu bedauerlicherweise nicht, sondern beschränkt sich auf die Aussage, der § 218 zehre sowohl § 223 wie auch § 223 a StGB auf. 314 Benfer, Allgem. Strafrecht, Rdnr. 639 stellt nur auf die Fälle des§ 218 II Nr.1 StGB (Schwangerschaftsabbruch gegen den Willen der Schwangeren) ab; Jakobs, AT, 31. Abschn. Rdnr. 38 spricht von einem Fall belastender, beschränkter Spezialität, "also der Spezialität nur einer Fallgruppe eines Delikts" , hier der Fremdabtreibung, er nennt diese Fälle "heikel" . 315 Dasselbe Problem stellt sich auch bei § 248 b StGB: Ist die Benzindiebstahlstheorie des Reichsgerichts richtig, so hilft auch der Verweis auf den Ausnahmefall des mitgebrachten Benzins nicht, denn es bliebe in den Fällen der unbefugten Kraftfahrzeugbenutzung stets der Diebstahl an den Schmiermitteln, d.h. Motoröl, Getriebeöl usw., ohne den eine "Ingebrauchnahme" von Kraftfahrzeugen schlechterdings nicht vorstellbar ist. Das spräche für Spezialität, wenn § 248 b StGB nicht auch die unbefugte Benutzung von Fahrrädern mitumfaßte, bei denen all dies niemals eine Rolle spielt; ähnlich bei § 243 I Nr. 1 StGB: der Nachschlüsseleinbruchdiebstahl führt niemals zur Sachbeschädigung! - deshalb ist die Formel für die Annahme von Konsumtion dahingehend zu korrigieren, daß es sich um eine regelmäßige oder typische Begleiterscheinung bei "Fällen dieser Art" handelt. 316 Ha.ft, AT, 12. Teil § 2. 3; Lenckner, JR 1978, 425 m.w.Nachw.; vgl. schon Binding, Handbuch, S. 369; für Konsumtion auch Lackner, § 202 Rdnr. 8; Schönke I Schröder-Lenckner, § 202 Rdnr. 22 und Dreher I Tröndle, § 202 Rdnr. 17 sagen nur, er "trete zurück", bzw. werde "verdrängt".

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i. S. von § 202 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist vielfach auch ohne Beschädigung möglich, z.B. durch Zusammendrücken des Umschlags, so daß das innenliegende Schriftstück herausgezogen werden kann317- immer abhängig davon, wie hoch oder wie niedrig man die Anforderungen bei einem anderen Tatbestandsmerkmal, nämlich der Tatsache ansetzt, daß der Brief oder das Schriftstück "verschlossen" gewesen sein muß. 318 War der Brief ordentlich verschlossen, dann freilich ist es kaum möglich, ihn zu öffnen, ohne ihn zu beschädigen, und das bedeutet in 999 von 1000 Fällen, wie Graf zu Dohna es ausdrückte, 319 daß gleichzeitig eine Sachbeschädigung vorliegt. 331 Ein anderes Beispiel ist der Brandstifter, der das Mobilar zerkleinert, um Anbrennmaterial für ein Feuer zu gewinnen. In so einem Fall wird die Sachbeschädigung nach § 303 StGB von den §§ 306 ff StGB konsumiert. 321 Es sind alle möglichen Fälle denkbar, in denen eine Sachbeschädigung tatbestandlieh nicht vorliegt, weil der Täter selbst Eigentümer des Mobiliars ist, weil er eigenes Anbrennmaterial heranschafft (nur um es danach zusammen mit dem fremden Mobiliar in den Flammen aufgehen zu lassen!) oder weil er von außen Feuer an das Gebäude zu legen versucht (wenig aussichtsreich!). In dem Moment, wo der Brandstifter aber die in dem Gebäude befmdlichen ihm nicht gehörenden Gegenstände mit Benzin übergießt, um ein Feuer zu entfachen, hat er bereits eine Sachbeschädigung verwirklicht, nur wird sie von dem schwereren Delikt konsumiert. Jedoch ist keines der aufgezählten Beispiele unangefochten: Fuchs argumentiert beispielsweise gegen Geerds, die Brandstiftungsdelikte (§§ 306 ff StGB) seien keine Eigentumsdelikte; die Vernichtung oder Beschädigung der in den Räumen befmdlichen Gegenstände daher vom Schutzbereich der Brandstiftung nicht erfaßt, umso weniger könne das vorbereitende Zerschlagen von 311 So im Fall RGSt 20, 375, wo "die Verschlußkappe des in Rede stehenden Umschlags nur mit der äußeren Spitze festgeklebt war". 318 Dazu

ausf. RGSt 16, 287 f. Graf zu Dohna, ZStW 61 (1941), 136. 331 Zu einem weiteren, allerdings noch strittigeren Fall BGH, JR 1978, 423, wonach die nachfolgende Unterschlagung von§ 202 StGB nicht konsumiert wird, für die Gegenmeinung vgl. die zahlreichen Nachweise dort, m. zust. Anm. Lenckner, JR 1978,424. 321 Geerds, Konkurrenz, S. 214 f; LK-Jagusch, 8. Auß., vor § 73 Anm. C 4; Burgstaller, JurBl 1978, 464; M.E. Mayer, AT, S. 503; Graf zu Dohna, ZStW 61 (1941), 134. 319

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Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

Mobiliar davon aufgezehrt werden. 322 Dagegen: Auf die Identität der Rechtsgüter kommt es bei der Konsumtion so wenig an wie bei der Spezialität oder der Subsidiarität. 323 Das bestätigt der Fall der als Durchgangsstadium zu einem Tötungsdelikt (Rechtsgut: Leben) auftretenden Körperverletzung (Rechtsgut: körperliche Unversehrtheit) genausogut wie der Fall der Abtreibung (Rechtsgüter: körperliche Unversehrtheil der Schwangeren bei § 223 ff StGB I Schutz der Leibesfrucht bei §§ 218 ff StGB) oder des Einbruchdiebstahls (Eigentum in § 242 StGB I Privatsphäre in § 123 StGB). Puppe meint, es sei allerdings absurd, gegen den Totschläger zusätzlich zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren auch noch eine Geldstrafe wegen Sachbeschädigung zu verhängen, weil er die Kleider des Getöteten durchlöchert hat. Die Sachbeschädigung trete aber nicht zurück, weil sie mit dem Totschlag eine wie auch immer geartete Unrechtseinheit bilde, sondern weil sie daneben vemachlässigenswert sei, hier biete § 154 a StPO die geeignete Möglichkeit und zugleich die sachlich richtige Begründung. 324 Auch Vogler meint, die Funktion des Ausscheidens von Unwesentlichem komme in erster Linie dem Prozeßrecht (§§ 153 ff StPO) zu. 32.S Der umgekehrte Weg, nämlich die in der Praxis häufig nur über §§ 153 ff StPO erreichbaren Ergebnisse schon durch eine Ausweitung der Gesetzeskonkurrenz zu erzielen, scheint Baumann vorzuschweben. 326 Beides ist unrichtig: Was das Prozeßrecht für das materielle Recht und seine Konkurrenzen auszusagen vermöchte, ist schon im Ansatz nicht erkennbar. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß die §§ 153 ff StPO nur fakultative Einstellungsmöglichkeiten bezeichnen, die noch dazu in der Hand der Strafverfolgungsbehörde liegen.

322 Fuchs,

Gesetzeskonkurrenz, S. 120. Burgstaller, JurBl 1978, 459; Leukauf I Steininger, § 28 Rdnr. 47; auch Lenckner, JR 1978, 425: Daß verschiedene Rechtsgüter betroffen seien, spreche für sich allein noch nicht gegen Gesetzeskonkurrenz. 324 Puppe, GA 1982, 159; ebenso von Krog, S. 26, Fn. 64. - Dagegen Geerds, Konkurrenz, S. 233, Fn. 496: der richtige Weg zu einem "volkstümlichen und sachgerechten Ergebnis" dürfte der der Gesetzeskonkurrenz sein und nicht der der Einstellung nach § 154 StPO. 323 Richtig:

J2.S Vogler, Bockelann-FS, S. 720 f und S. 736: Aus der Annahme von Idealkonkurrenz ergäben sich auch keine "Unzulänglichkeiten", wenn man die Möglichkeiten des Prozeßrechts mit in Betracht ziehe. 326 Baumann, MDR 1959, 12.

Zweites Kapitel: Die Lehre von der Gesetzeseinheit

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Selbst der Schulfall der Konsumtion des Hausfriedensbruchs und der Sachbeschädigung durch den Einbruchdiebstahl wird keineswegs einheitlich beurteilt: Er taucht auch als Beispiel für Subsidiarität auf, 327 oder für Spezialität, 328 und teilweise wird sogar Idealkonkurrenz angenommen. 329 Solche Meinungsverschiedenheiten sind weniger besorgniserregend, wenn man sich klarmacht, daß es bei der Konsumtion letztlich immer um eine Wertungsfrage geht, eine Frage, wenn man so will, des "juristischen Takts" .330 Soll es dem Täter angelastet werden, daß er die Jacke durchlöchert, daß er das Benzin verbraucht, daß er das Mobiliar zerkleinert hat, nur weil es nicht

schon begriffsnotwendig im Totschlag, in der unerlaubten Kraftfahrzeugbenutzung und in der Brandstiftung vorausgesetzt ist? Wäre es begriffsnotwendig darin enthalten, dann wäre Spezialität anzunehmen und der Täter nur wegen des spezielleren Delikts zu bestrafen. Soll man die Fälle "annähernder Spezialität" 331 nur deshalb anders behandeln, weil die Delikte nicht immer und ausnahmslos zusammen verwirklicht werden, sondern bloß fast immer, nämlich regelmäßig und typischerweise in Fällen dieser Art (d.h. vor allem auch dieser Alternative, also der Fremdabtreibung im Unterschied zur Selbstabtreibung, der Kraftfahrzeugbenutzung im Unterschied zur Fahrradbenutzung, des Einbruchdiebstahls im Unterschied zum Nachschlüsseldiebstahl usw.), zumal es doch jedem einleuchtet, daß diese Delikte "irgendwie" zusammengehören und ihre Verwirklichung daher kaum zu vermeiden ist? Das ist, anders als bei der Spezialität, keine Frage der Logik - die Logik erlaubt es-, sondern eine Wertungsfrage, die all jene genauso entscheiden, die die Spezialität über den engeren Bereich der Subordination hinaus auf alle Fälle ausdehnen, in denen ein Tatbestand "zwar nicht begriffsnotwendig und daher ausnahmslos, wohl aber regelmäßig und normalerweise einen anderen Tatbestand mit umfaßt". 332 Damit würde aber der Begriff der Spezialität bis 327 Dreher I Tröndle, vor § 52 Rdnr. 19; Schönke I Schröder-Stree, vor § 52 Rdnr. 107. 328 Kohlrausch I Lange, vor § 73 Anm. III 1; von Hippel, DStR, S. 524, Fn. 2; ders., Lehrbuch, S. 175, Fn. 2 mit der bezeichnenden Bemerkung: "Wollte man hier Spezialität bestreiten, so wäre Subsidiarität anzunehmen." 329 Honig, S . .5; Frank, § 243 Anm. 111 2 c; Maurach I Gössel I Zipf, AT, §55 Rdnr. 20.

M.E. Mayer, AT, S. 505; Graf zu Dohna, ZStW 61 (1941), 133 . nennt sie Puppe, ldealkonk., S. 356. 332 von Hippel, DStR, S. 524; ders. , Lehrbuch, S. 175. 330

331 So

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Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

zur Unkenntlichkeit verformt. Folgt man dem nicht und begrenzt man den Begriff der Spezialität auf das begriffslogische Verhältnis der Subordination, dann verkörpert die Spezialität zwar das logische Prinzip, umso größer wird dann aber das Bedürfnis nach einem zweiten, dem wertenden Prinzip, das die Konsumtion ausmacht. Daß der Konsumtion das wertende Prinzip zugrunde liegt, ist längst erkannt: In den Fällen der Konsumtion werde ein an sich erfülltes Gesetz "aus wertenden Gründen" von einem anderen aufgezehrt, 333 der Ausschluß ergebe sich aus einer "wertenden Betrachtung" ,334 die Konsumtion sei ein "wertendes Verhältnis" , 335 öffne "sich nur einer wertenden Betrachtungsweise". 336 Da "gibt nicht das logische Verhältnis beider Gesetze zueinander, sondern erst die im Wege der wertabwägenden Auslegung zu gewinnende Sinnermittlung für diesen Ausschluß den rechtfertigenden Grund" .337 Spezialität sei bei logischem Einschluß, Konsumtion bei "wertungsmäßigem Einschluß" anzunehmen.338 Deshalb besteht auch Einigkeit darüber, daß Konsumtion in bestimmten Fällen ausscheidet: So werde man bei Verwundung oder Tötung durch einen Schuß nicht auch Sachbeschädigung annehmen dürfen, wenn der Schuß den Rock durchlöchere; wenn jemand allerdings dadurch an seinem Körper verletzt werde, daß ihm der Rock angezündet werde, dann sei Konkurrenz anzunehmen, denn eine "derartig raffmierte Verbindung beider Delikte" habe das Gesetz nicht durch die einfache Bestimmung über Körperverletzung erledigen wollen. 339 Es macht einen Unterschied, ob der Einbrecher ein Schloß aufbricht oder ob er die ganze Wand sprengt, um an das Innere zu kommen. 340 Schlägt der Einbrecher ein wertvolles Kirchenfenster aus dem 16. Jahrhundert341 ein, um ins Innere zu gelangen, so ist das etwas anderes, als wenn er das Küchen-

333 Blei, AT, § 96 II 3. 334 Warda, JuS 1964, 90; Kühl, JA 1978, 480. 335 Tiedemann, JuS 1987, L 19. 336 Jescheck, ZStW 67 (1955), 535. 337 Mezger, Strafrecht, S. 472. 338 Baumann I Weber, AT, § 41 II 3 ß. 339 Graf zu Dohna, ZStW 61 (1941), 132. 340 Beispiel von Jakobs, 31. Abschn. Rdnr. 30. 341 Beispiel von Burgstaller, Jur811978, 460.

Zweites Kapitel: Die Lehre von der Gesetzeseinheit

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fenster beschädigt; zerschlägt der Dieb aus purem Vandalismus342 oder aus Wut über die geringe Beute343 das Mobiliar, dann scheidet Konsumtion aus, und tritt der Täter der Schwangeren bei einem Schwangerschaftsabbruch in den Bauch, um ihr zusätzliche Schmerzen zu verursachen, 344 dann ist das von §§ 218 ff StGB ebenfalls nicht konsumiert. Verbrennt der Täter den eröffneten Brief, so wird die Sachbeschädigung von § 202 StGB nicht konsumiert.345 Für die Wertung (wie natürlich auch fiir das logische Prinzip) macht es allerdings keinen Unterschied, ob etwa die Sachbeschädigung zum Zwecke des Einsteigens dem Einbruchdiebstahl zeitlich vorausgeht (das Loch schon Tage vorher in den Zaun geschnitten wurde) oder ob sie, wie der Hausfrie.densbruch, zeitlich damit zusammenfällt. 346 Auch im Beispiel der Sachbeschädigung zur Gewinnung von Anbrennmaterial geht diese der Brandstiftung streng genommen voraus. Es spielt auch keine Rolle, ob es sich dabei um ein "Durchgangsstadium" wie bei einem Schuß handelt, der zuerst die Kleidung beschädigt und dann den Körper verletzt, um schließlich den Tod herbeizuführen, oder ob es sich dabei um eine oder um zwei Handlungen handelt, wenn zum Zwecke des Schwangerschaftsabbruchs ein körperlicher Eingriff am Körper der Schwangeren vorgenommen wird. Das alles sind Zufälligkeiten. Das mehr oder minder zufällige Miteinander oder Nebeneinander, ohnehin abhängig vom unscharfen Begriff der Handlungseinheit, kann eine unterschiedliche Behandlung nicht rechtfertigen. 347

342 Marbe, AT, S. 160. 343 So Kienapfel, AT, S. 583; Baumann I Weber§ 41 II 3 ß. 344 Beispiel von Kienapfel, AT, S. 583. 345 Beispiel von Lenckner, JR 1978, 425; zu einem weiteren Beispiel Binding, Handbuch, S. 369: "Fassen wir zunächst die Brieferöffnung ins Auge! Wie das Vergehen formuliert ist, stellt es eine gemilderte Sachbeschädigung dar. Allein nur soweit die Beschädigung der Eröffnung dient, geht sie in letzterem Delikte unter. Schneidet jemand gleichzeitig einen fremden Brief auf und eine darin befmdliche Photographie dabei vorsätzlich durch, so konkurrieren m.E. Brieferöffnung und Sachbeschädigung." 346 Bei Jescheck, ZStW 67 (1955), 535 erscheint die Konsumtion von Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch durch den Einbruchdiebstahl beispielsweise als Beispiel für mitbestrafte Vor- und Nachtat, ohne daß damit indessen ein sachlicher Unterschied verbunden wäre. 347 So auch Baumann, MDR 1959, 11; Honig, S. 79.

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Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

Daraus ergibt sich: Die Unterscheidung in unechte Realkonkurrenz und unechte Idealkonkurrenz hat, was die zugrundeliegenden Prinzipien, hier das wertende Ausschlußprinzip, angeht, keinen eigenen Erkenntniswert. 348 Die Unterteilung in die Konsumtion der Begleittat, der Vor- und der Nachtat ist jedenfalls von daher nicht gerechtfertigt und führt dann zu zusätzlichen Verwirrungen, wenn man meint, sie unabhängig von den zugrundeliegenden Prinzipien allein aufgrund des Vorher oder Nachher auch noch unterschiedlichen Fallgruppen zuordnen zu können. Ob der Täter sich die durch einen Betrug erlangte Sache sofort zueignet oder aber erst später, ist gleichgültig, 349 solange die Zueignungshandlung eben eine typische oder regelmäßige Begleiterscheinung oder Folge der Erlangung der Sache ist; ob mitbestrafte Begleittat oder mitbestrafte Nachtat, ist demgegenüber zweitrangig. Mehr als diese "Typizität"350 ist auch bei den Sicherungs-, Verwertungs- und Bewahrungstaten nicht vorausgesetzt, mit denen der Begriff der mitbestraften (straflosen) Nachtat häufig (und zur besseren Erkennbarkeit) identifiziert wird. 351 Zu weit dürfte es allerdings geben, den Wertungsgedanken zu benutzen, an sieb strafbare Begleittaten zu straffreiem Verbalten als straffrei zu behandeln. Beispiel: 352 Der Diebstahl eines entweichenden Häftlings an der Anstaltskleidung,353 der Verbrauch von Benzin bei der Benutzung eines fremden Rasenmähers oder - parallel zum Kraftstoffdiebstahl - der Verbrauch von Tinte beim Schreiben mit einem fremden Füller. Da es an einem verdrängenden Delikt fehlt, handelt es sich bierbei nicht um ein Konkurrenzproblem. Der 348 Ebenso, wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt aus, Geerds, Konkurrenz, S. 152 f. 349 Beispiel von Baumann, MDR 1959, 11. 350 Wie hier Mayerhofer, ÖJZ 1973, 380; ebenso Jescheck, AT, § 69 II 3 a; Burgstaller, JurBl 1978, 462 meint hingegen, das von der Konsumtion der Begleittat her bekannte "Typizitätserfordemis" bestehe für die Nachtat nicht; ebenso Stralenwerth, AT, Rdnr. 1195; sowie von Krog, S. 176, der gerade deshalb lieber Subsidiarität annehmen will; Geerds, Konkurrenz, S.222 meint, vielfach würden Vor- und Nachtat typische Begleiterscheinungen sein, notwendig sei das aber nicht; vgl. auch LK- Vogler, vor § 52 Rdnr. 139, der zwar meint, die Nachtat brauche keineswegs ein typisches Begleitdelikt zu sein, aber gleichzeitig von einem "typischen" Zusammenhang spricht, ebenso Bringewat, Gesamtstrafe, Rdnr. 86 f. 351 Z.B. von Heintschel-Heinegg, Rdnr. 752. 352 Beispiele von Jakobs, AT, 31. Abschn. Rdnr. 33. 353 Dafür auch Mayerhofer, ÖJZ 1973, 380.

Zweites Kapitel: Die Lehre von der Gesetzeseinheit

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Versuch, die gewünschte Straflosigkeit mit Konsumtionsüberlegungen zu rechtfertigen, muß daher scheitern. 354 Die Beispiele zeigen im übrigen, daß auch für die von Puppe355 für die Fälle der Konsumtion favorisierte Lösung über die §§ 153 ff StPO noch ein genügender Anwendungsbereich verbleibt.356

3. Vergleich von strafzumessungs- und konkurrenzrechtlichem Regeltatbild

Die Parallele in der Funktion des Regeltatbildes hier wie da liegt auf der Hand. Nicht nur, daß es als Verkörperung des wertenden Prinzips ohne das logische Prinzip, verkörpert durch das Doppelverwertungsverbot bzw. die Spezialität, gar nicht denkbar wäre. Es sind auch dieselben beiden Kriterien, an denen sich die Wertung orientiert, statistische Häufigkeit und Typizität. Dafür, wann die Verbiodung zweier Delikte "regelmäßig" oder "typisch" zu nennen ist, steht zwar kein abstrakter, allein der Gesetzessystematik und dem Bau der Deliktstatbestände entnommener Maßstab wie bei Spezialität und Subsidiarität zur Verfügung, wohl aber ein Maßstab aus dem Gebiet der Kriminologie, genauer gesagt der Kriminalphänomenologie. 357 Beim "Regeltatbild" eines Delikts, beispielsweise dem Einbruchdiebstahl, wird nicht wie bei der Spezialität oder beim DVV nach den konstitutiven Elementen, dem Minimum dessen, was zur tatbestandliehen Bejahung Voraussetzung ist, gefragt, sondern nach der "regelmäßigen Erscheinungsform". 358 Gewisse Umstände stellen sich dabei als so häufig oder typisch heraus, "daß sie adäquaterweise als stillschweigende Basisannahmen der Bewertung fungieren und man sie daher sinnvollerweise nicht mehr neben den wirklich individuellen Umständen als den Einzelfall charakterisierend und seine Bewertung erklärend verwenden kann" 359 - gleichviel, ob solche Umstände den Tatbestand

354 So auch Burgstaller, JurBI 1978, 394. 355 Puppe, GA 1982, 158. 356 Was von Krog, S. 26 offenbar bezweifelt. 357 Daraufverweisen: R. Schmin, ZStW 75 (1963), 50; Seier, Jura 1983, 230: "empirische Kriminalphänomenologie; Geppert, Jura 1982, 425: "kriminalphänomenologischer Aspekt"; Tiedemann, Jus 1987, L 19: "Kriminologie der Erscheinungen". 358 Vgl. schon Sauer, AT, § 29 I 1 - im Anschluß an die Formulierung von RGSt

60, 122.

359 So Frisch, GA 1989, 361 zur Definition des Regeltatbildes.

304

Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

eines anderen Deliktes erfüllen oder ob sie lediglich als Strafzumessungsfaktoren in Betracht kommen, gleichgültig auch, ob sie der Deliktsverwirklichung vorangehen, sie begleiten oder ihr nachfolgen. Das war bei der strafzumessungsrechtlichen Problematik des Regeltatbildes, wo eine umfangreiche Rechtsprechung Begleitumstände und Tatfolgen unterscheidet, ebenso festgestellt worden wie auf der konkurrenzrechtlichen Seite, wo bekanntlich die Konsumtion der Begleittat, der Nachtat und der mitbestraften Vortat unterschieden werden. Entgegen der nachlässigen Formulierung bei der Konsumtion ist nicht erforderlich, daß der andere Tatbestand zugleich "regelmäßig und typischerweise" mitverwirklicht sein muß.JC!O Wie bei der Entscheidung über die "strafzumessungsneutralen" Umstände in der Strafzumessung bei der Einzelstraftat reicht im Extremfalle eines von beiden aus. Richtiger ist daher die Formulierung: "regelmäßig oder typischerweise" . 361 Insbesondere sind die beiden Begriffe "regelmäßig" und "typischerweise" auch keine Synonyme, wie manchmal vermutet wurde. 362 Ob ein Delikt "regelmäßig" zusammen mit einem anderen verwirklicht ist, ist eine Frage der statistischen Häufigkeit. 363 Sogar eine Abstufung zwischen regelmäßiger und nur häufiger Mitverwirklichung ist versucht worden. 364 lnwiefern das Zusammentreffen zweier Tatbestände "typisch" ist, ist eine andere Frage. Mit der statistischen Häufigkeit hat sie wenig zu tun, wohl aber mit der anderen Seite des "Regeltatbildes", dem normativen Element, das von Krog richtig beschreibt, wenn er meint, das "Typische" einer deliktstypischen Straftat hänge zusammen mit der •gesetzlichen Unwertschilderung •. 365 Freilieh fallen beide häufig zusammen. So meint Puppe zu Recht, man könne auch fragen, ob "wirklich nur ein statistisches oder auch ein inhaltliches gemeint ist, z.B. eine Mittel-Zweck-Beziehung oder Unrechtsverwandtschaft" - dies werde sich schwerlich klären lassen, da der Grund dafür, daß ein Tatbestand :lC!OSo aber Kienapfel, AT, S. 538; Mezger, Strafrecht, S. 475; Mürbe, AT, S. 160; Meurer, AT, S. 187; Geilen, AT, S. 266; Bocke/mann I Volk, AT, § 36 II 3; Baumann I Weber, AT,§ 41 II 3 ß. 361 So

richtig: Seier, Jura 1983, 230; LK-Vogler, vor§ 52 Rdnr. 132.

362 Daß

sie häufig so verstanden würden, meint Puppe, ldealkonk., S. 322, Fn. 1; vgl. auch von Krog, S. 25, mit dem ausdrücklichen Hinweis, "typisch" dürfe nicht als Synonym für "normal", "gewöhnlich" oder "regelmäßig" verstanden werden. 363 So

auch Tiedemann, JuS 1987, L 19. JuS 1964, 91 -nur die erstere soll für die Konsumtion hinreichen.

364 Warda,

365 von

Krog, S. 25.

Zweites Kapitel: Die Lehre von der Gesetzeseinheit

305

regelmäßig mit einem anderen mitverwirklicht ist, stets auch mit einer inhaltlichen Beziehung der Tatbestände und ihrer Rechtsgüter zusammenhänge. 366 Selbst der Streit über die Aussagekraft des einen oder anderen Kriteriums des "Regeltatbildes" findet sich - freilich in entschärfter Form - hier wieder: So wendet sich von Krog gegen die Benutzung des Wortes "regelmäßig", weil sich aus einem solchen Betreiben von Statistik für die Rechtsanwendung nichts herleiten lasse. 367 4. Konsequenzen rtir die Systematisierung der Gesetzeskonkurrenz

Mit dem logischen Ausschlußprinzip auf der einen und dem wertenden Ausschlußprinzip auf der anderen Seite lassen sich sämtliche Fälle der Gesetzeseinheit erfassen. Schon M. E. Mayer meinte, die Regeln für die Gesetzeskonkurrenz erschienen in der Literatur "in ungesunder Fülle"; immer tänden sich drei, manchmal vier und noch mehr Regeln, während der Stoff in Wahrheit mehr als zwei Grundsätze nicht vertrage. Sie lauteten: Lex specialis derogat legi generali und Iex consumens derogat legi consumptae368 - mit anderen Worten: Spezialität und Konsumtion. Auch in diesem System ist kein Platz für eine gleichgeordnete dritte Kategorie der Gesetzeseinheit, es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder tritt ein Gesetz schon aus logischen Gründen hinter ein anderes zurück, oder die Wertung ergibt, daß es hinter ein anderes zurücktritt. Trifft beides nicht zu, so tritt es überhaupt nicht zurück, dann greifen die §§52 ff StOB ein. Der Vorteil ist aber, daß damit bereits zwei der drei Kategorien der Gesetzeseinheit erklärt werden können, während das begriffslogische Modell in Wahrheit nur die Spezialität erklärt. 369 Fraglich ist, wo die Subsidiarität in einem solchen System steht. Häufig ist zu lesen, sie ergäbe sich, wie die Konsumtion, aus einer wertenden Betrach366 Puppe,

ldealkonk., S. 322, Fn. 1. Krog, S. 25; krit. auch Puppe, ldealkonk., S. 322 sowie Huang , Gesetzeseinheit, S. 22 ff. 368 M.E. Mayer, AT, S. 502 f. 369 So auch SK-Samson, vor§ 52 Rdnr. 67: diese Aufteilung sei vorzuziehen, weil sie die Möglichkeit biete, "neben die Spezialität den zweiten relativ präzise bestimmten Begriff der Konsumtion zu stellen", der den noch nicht genau erfaßbaren Restbereich der Gesetzeskonkurrenz verkleinere, während die Auffassung, die auf die Konsumtion verzichte, nur die Spezialität als genau fixierten Begriff kenne; im gleichen Sinne R. Schmin, ZStW 75 (1963), 50. 361 von

2D Fahl

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Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

tung. 370 Aber das ist zu pauschal: nicht alle Fälle der Subsidiarität erfordern eine Wertung. Teils ergibt sie sich aus dem Gesetz ganz ohne Wertungkraft ausdrücklicher Anordnung (formelle Subsidiarität), teils auf logischem Wege, weil ihr in Wahrheit die begriffslogische Struktur der Subordination zugrundeliegt, wie bei der Spezialität, und teils wertend (materielle Subsidiarität). 371 Sie steht daher zwischen beiden. Ihre eigentümliche Sonderstellung rechtfertigt sich daraus, daß der Gesetzgeber hier ein "Machtwort" gesprochen hat, indem er eine ausdrückliche Regelung getroffen hat, oder daß man ihm doch unterstellen kann, er habe durch die Systematik stillschweigend auch das Konkurrenzproblem mitregeln wollen. Das unterscheidet sie von der Konsumtion. Die für die Subsidiarität charakteristische Frage, ob ein Tatbestand hinter den anderen aus systematischen Gründen zurücktritt (Beteiligungsformen, Verbrechensstadien, Fahrlässigkeit und Vorsatz, echtes und unechtes Unterlassen), kommt mit einer abstrakten Betrachtung aus. m Deshalb kann man sagen, der Gesetzgeber müsse sie bedacht und damit auch stillschweigend mitgeregelt haben. Die Konsumtion dagegen erfordert eine konkrete Betrachtung der Lebenswirklichkeit und Kenntnis des konkreten Tatgeschehens. 373 Unter der Überschrift "Konkurrenzlehre - Übersicht und Neubau" schlägt Sauer als Einteilung die Unterscheidung in "abstrakte" Gesetzeskonkurrenz (wozu Spezialität und Subsidiarität zählen) und "konkrete" Gesetzeskonkurrenz vor, in die die Konsumtion fällt. 374 Innerhalb der Gruppe A sei allein die abstrakt-logische Gesetzesbetrachtung entscheidend, in der Gruppe B bedürfe es im Gegensatz dazu jedesmal der Untersuchung des Einzelfalls, ob Gesetzeseinheit oder etwa Ideal- oder Realkonkurrenz anzunehmen sei. Diesen Un-

370 Jescheck,

ZStW 67 (1955), 534; Warda, JuS 1964, 91.

Richtig: 1iedemann, JuS 1987, L 19; sowie Benfer, Allgem. Strafrecht, Rdnr. 637: die stillschweigende Subsidiarität sei wertend zu ermitteln. mVgl. Geerds, Konkurrenz, S. 193: "Doch ist das rechtliche Verhältnis des betreffenden Gesetzes zu den anderen stets generell bestimmt oder bestimmbar, so daß es auf die konkreten Umstände der Tat( ... ) nicht ankommt". 373 So auch Burgstaller, JurBl 1978, 459; ebenso 1iedemann, JuS 1987, L 19: "Die Wertentscheidung für das Zurücktreten eines an sich verwirklichten Straftatbestandes ergibt sich bei der Konsumtion nicht aus dem äußeren Bau, sondern aus dem inneren Zusammenhang der Tatbestände, wie er sich angesichts der Deliktswirklichkeit darstellt". 314 Sauer, AT,§ 27 II A und B. 371

Zweites Kapitel: Die Lehre von der Gesetzeseinheit

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terschied sieht Triffterer als so entscheidend an, daß er nur noch die Fälle der Subsidiarität (abstrakt) und Konsumtion (konkret) zulassen will. Die Spezialität faßt er folgerichtig, da ebenfalls abstrakt, als einen Unterfall der Subsidiarität auf. 375 Mit dem Gesetzbuch in der Hand läßt sich niemals klären, in welchem Verhältnis der Diebstahl nach § 243 Abs. 1 Nr. 1 StGB und §§ 123, 303 StGB zueinander stehen. Dafür bedarf es schon der konkreten kriminalphänomenologischen Betrachtung. Dem Gesetzbuch ließe sich zwar entnehmen, daß § 248 b StGB subsidiär ist zu § 242 StGB (Beispiel: Der Täter greift sich ein abgestelltes Fahrrad und fährt damit davon, um es zu behalten - in solchen Fällen ist § 248 b kraft ausdrücklicher Verweisung subsidiär, hier paßt sogar das Bild der Interferenz, denn man kann Fahrräder auch in der Weise mitnehmen, daß man sie in ein anderes Fahrzeug verlädt). Die Betrachtung der konkreten Fälle ergibt aber, daß die Konkurrenzentscheidung auch umgekehrt ausfallen kann. Dann nämlich, wenn es um den Diebstahl des Benzins geht, tritt der § 242 StGB hinter § 248 b StGB zurück. 376 Genausowenig kann durch abstrakte Betrachtung entschieden werden, m welchem Verhältnis die§§ 178 und 177 StGB in einem konkreten Fall zueinander stehen. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Auch bei Spezialität und Subsidiarität muß man natürlich die konkreten Fälle kennen, die unter einen Tatbestand fallen. Anders ist Subordination, bzw. Interferenz gar nicht feststellbar. Mit anderen Worten: Man muß die Auslegung kennen, die die Tatbestandsmerkmale erfahren haben. Wenn sich ergibt, daß jeder Beischlaf i.S. von§ 177 StGB auch als sexuelle Handlung i.S. von§ 178 StGB verstanden werden kann, dann liegt insoweit Spezialität vor. Soviel läßt sich immer 315 Trijfterer, 376 Nach

AT, Kap. 18lll 3 b.

h.M. übrigens ein Beleg dafür, daß auch einmal das mit milderer Strafe bedrohte Delikt das mit schwererer Strafe bedrohte verdrängen kann - und zwar sogar entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut, wie § 248 b StGB zeigt; das alles spricht dafür, daß die Benzindiebstahlstheorie des RG, mit der das Gericht für die Straflosigkeit des furtum usus bei Kraftfahrzeugen Ausgleich schaffen wollte, möglicherweise doch nicht richtig war, krit. auch Maurach I Gössel, FuL, S. 203; Vogler, Bockelmann-FS, S. 731 und Lackner, § 248 b Rdnr. 6, die statt dessen eine teleologische Reduktion bei § 242 StGB vornehmen, so daß dieser den Benzindiebstahl schon tatbestandlieh nicht mehr erfaßt; noch anders Ranft, JA 1984, 281 f, der bei § 242 StGB regelmäßig die Zueignungsahsicht verneinen will, weil es dem Täter nicht auf das Benzin ankomme, sich damit aber in Widerspruch zur Rechtsprechung setzt, die Absicht auch dann annimmt, wenn es um ein Zwischenziel des Täters geht - insgesamt ein Beispiel dafür, was der Gesetzgeber mit unbedachten Subsidiaritätsklauseln anrichten kann. 20•

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Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

noch auf abstraktem Wege, d.h. ohne kriminologisches Wissen entscheiden, vorausgesetzt man kennt die Auslegung der Begriffe. Was man nicht kennen muß - und darin liegt der Unterschied zur Konsumtion - ist die Kriminalphänomenologie: Die zeigt nämlich, daß es sexuelle Handlungen i.S. von § 178 StGB gibt, die zwar nicht notwendig mit § 177 StGB zusammenfallen (Auseinanderdrücken der Beine, Entkleiden, Griffe in oder an die Scheide, Streicheln, Betasten oder Küssen), die aber doch so "regelmäßig" und "typischerweise" mit Vergewaltigungen verbunden sind, daß der Tatbestand der sexuellen Nötigung, obwohl erfüllt, von § 177 StGB im Wege der Konsumtion verdrängt wird. m Nur das ist mit konkreter Betrachtung gemeint. Damit sind endlich alle fiir die Gesetzeskonkurrenz bestimmenden Prinzipien herausgearbeitet. Konsumtion und Subsidiarität lassen sich auf diese Weise befriedigend voneinander abgrenzen. Ob man nun die Konsumtion als eine Sammelbecken fiir die Fälle bezeichnet, in denen weder Spezialität noch Subsidiarität vorliege18 oder umgekehrt sagt, ein Tatbestand sei subsidiär, wenn er nicht schon im Wege der Spezialität oder der Konsumtion auszuschließen sei, 379 spielt demgegenüber nur eine untergeordnete Rolle. Von drei Formen, läßt sich jede durch Substraktion der beiden anderen beschreiben, damit ist nichts gewonnen.

VI. Die Rechtsfolgen der Gesetzeseinheit l. Ausgangspunkt

Über die Rechtsfolgen der Gesetzeseinheit besteht ebenfalls Uneinigkeit, sie sind aber fiir das Verständnis des "Regeltatbildes" entscheidend. Dabei ist mVgl. BGH bei Ho/Jz, MDR 1993, 8: "Mitabgegolten" durch die Verurteilung wegen Vergewaltigung sei das, "was typischerweise in Fällen gleichgelagerter Art die Ausübung des erstrebten Geschlechtsverkehrs ermöglicht oder fördert, wie z.B. Festhalten, Auseinanderdrücken der Beine, Griffe in oder an die Scheide oder Streicheln, Betasten und Küssen". 3111 Seier, Jura 1983, 230; Geppert, Jura 1982, 425; von Hippel, DStR, S. 525; ähnl. Blei, P.d.W., S. 260, Nr. 371 : Konsumtion, wenn weder Iex generalis noch Subsidiaritätstatbestand; vgl. auch von Heintschel-Heinegg, Rdnr. 747 mit der Anweisung, stets zuerst Spezialität und Subsidiarität und erst im Anschluß daran die Konsumtion zu prüfen.

379 Vgl. Lent, Gesetzeskonkurrenz, S. 19; sowie R. Schmin, ZStW 75 (1963), 51 mit der Bemerkung, die Subsidiarität sei im wahrsten Sinne des Wortes subsidiär gegenüber den anderen beiden Formen der Gesetzeskonkurrenz.

Zweites Kapitel: Die Lehre von der Gesetzeseinheit

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das Grundprinzip klar: Der Grundgedanke der Gesetzeseinheit ist, "wenigstens in der Theorie", 380 daß das verdrängte Gesetz von dem verdrängenden "ausgeschlossen", "absorbiert", "aufgesogen" wird, mit anderen Worten: es fällt unter den Tisch. 381 Unstreitig ist dabei, daß es im Urteilstenor nicht genannt wird. Einigkeit besteht auch darüber, daß die Hauptstrafen allein dem verdrängenden Gesetz m entnehmen sind. 382 Sein Strafrahmen und nicht der des ausgeschiedenen Gesetzes ist für die Strafmmessung mgrunde m legen. Sieht man aber genauer hin, so ist dieser Grundsatz in der Praxis weitgehend "durchlöchert" . 383 Da entfaltet das mrücktretende Gesetz gewisse "Restwirkungen", 384 "lebt wieder auf". 385 So kann dem verdrängten Gesetz beispielsweise eine Nebenfolge, Nebenstrafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung entnommen werden, die das primäre Gesetz nicht mläßt. Zum Beispiel kann die Einziehung der Fahrerlaubnisaufgrund der §§ 49 StVO, 71 StVZO a. F. (die Subsidiaritätsklauseln dort sind inzwischen abgeschafft) trotz Vorrangs der §§ 222, 230 StGB angeordnet werden. 386 Weitere Beispiele sind: die Einziehung von Hopfen nach § 21 HopfenherkunftsG a.F. 381 trotz Subsidiarität m § 263 StGB; 388 Geldbuße nach § 231 StGB a.F. 389 trotz Verdrängung der §§ 223, 224 durch § 340 StGB. 390 Desweiteren soll das Mindeststrafmaß des verdrängten Gesetzes aucb dann nicht unterschritten werden dürfen, wenn das verdrängende Gesetz eine niedrigere Strafe mläßt, sog. Sperrwirkung des

380 Maurach 381

I Gössel/ Zipf, AT, § 55 Rdnr. 6.

Der plastische Ausdruck stammt von Seier, Jura 1983, 233.

382 Ein Fehler ist wohl RGSt 75, 182 unterlaufen -dazu Seier, Jura 1983, S. 232, Fn. 47. 383 Maurach, AT, 2. Aufl., S. 593. 384 Kienapfel, AT, S. 584. 385 Baumann I Weber, AT, § 41 113 c 386 So BGHSt 7, 312- das BayObLG, NJW 1954, 403 hatte gerade hier noch Tateinheit angenommen, dazu Hartung, NJW 1954, 587. 387 Dessen Subsidiaritätsklausel wurde durch ~GStGB v. 2.3.1974 ebenfalls abgeschafft. 388 BGHSt 8, 52- OGHSt 3, 109 hatte in einem ähnlichen Fall Gesetzeskonkurrenz mit § 263 StGB verneint, weil mit ihr die in § 10 Abs. 5 Opiumgesetz vorgesehene Einziehung entfiele und diese Folge nicht dem Willen des Gesetzes entsprochen haben könne. 389 Durch EGStGB v. 2.3.1974 abgeschafft. 390 RGSt 12, 223 ff.

310

Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

verdrängten Gesetzes. 391 Besonders umstritten ist die (strafschärfende) Berücksichtigung des zurücktretenden Gesetzes in der Strafzumessung. Hier ist ein Meinungsumschwung weg vom Grundsatz absoluter Deliktsexklusion zu verzeichnen. Das "Regeltatbild" zwingt indes zum neuerlichen Umdenken. 2. Meinungsstand a) Die Lehre von der absoluten Deliktsexklusion Die früher ganz h.M. im Schrifttum392 stand auf dem Standpunkt, daß mit dem verdrängten Gesetz auch jede Rechtswirkung entfalle, und das hieß, daß das zurücktretende Gesetz auch hinsichtlich seiner Rechtsfolgen vollständig •außer Betracht • blieb. 393 Das verdrängte Gesetz sei • völlig ausgeschaltet •; es komme überhaupt nur das verdrängende Gesetz "zur Anwendung" -und zwar sowohl was die Schuldigsprechung wie auch was die Strafe oder sonstige Verbrechensfolgen betreffe. 394 Die Exklusion galt "in voller Strenge" . 395 Dies war die nötige Folge daraus, daß die Rechtsprechung ursprünglich allein die vorgehende Strafnorm überhaupt für verwirklicht und die zurückgedrängte gar nicht für verletzt hielt. 396 Während es in RGSt 18, 199 f noch in aller Klarheit hieß, daß im Falle der Gesetzeskonkurrenz nur das nicht ausgeschlossene Gesetz auch "verletzt" sei, was gerade die Gesetzeskonkurrenz von der Idealkonkurrenz unterscheide, bei der mehrere Strafgesetze verletzt seien, spricht das Reichsgericht in anderen Entscheidungen lediglich davon, daß ein Delikt das 391 St. Rspr. und h.M., vgl. nur BGHSt 1, 155 f; 10, 315; 20, 238; BGH GA 1965, 206 f; 1975, 85; aus der Lit.: Jescheck, AT, § 69 IIl 2; Baumann I Weber, § 41 II 3 c; Wessels, AT, § 17 V 4; Haft, AT, 12. Teil§ 2; Kienapfel, AT, S. 584; Stratenwerth, AT, Rdnr. 1198; Bruns, 1985, S. 185; Schönke I Schröder-Stree, vor § 52 Rdnr. 141; Lackner, vor § 52 Rdnr. 29; SK-Samson, vor §52 Rdnr. 78; Dreher I Tröndle, vor §52 Rdnr. 23 -eine Bindung an die Höchststrafe des verdrängten oder außer Betracht gebliebenen Gesetzes besteht dagegen nicht, vgl. BGHSt 30, 166 m. zust. Anm. Bruns, JR 1982, 166. 392 Als solche bezeichnet sie jedenfalls Seier, Jura 1983, 233; vgl. die nachfolgenden Quellen; zur Entwicklung auch Maurach I Gössel I Zipf, § 55 Rdnr. 22. 393 So z.B. von Hippel, DStR, S. 527; ders., Lehrbuch, S. 175. 394 Mezger, AT,§ 69 111 2; ders., JW 1937, 627 f. 395 Frank, vor§ 73 Anm. VII 3; ebenso Mezger, AT,§ 69 III 2. 396 So auch Fuchs, Gesetzeskonkurrenz, S. 125: "jedenfalls im Ausgangspunkt verständlich".

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andere "absorbiere", "rechtlich nur ein Vergehen" vorhanden sei/noder daß ein Strafgesetz durch ein anderes "ausgeschlossen" sei, das "ausschließlich in Wirksamkeit" trete. 398 Die Kehrtwendung erfolgte in RGSt 68, 204 ff: Dort heißt es, daß im Falle der Gesetzeskonkurrenz auch eine Zuwiderhandlung gegen das verdrängte Gesetz anzunehmen sei und nur die Strafe aus dem vorgehenden Gesetz die Bestrafung aus dem anderen Gesetz aufzehre. Damit war erstmals festgestellt, daß auch im Falle der Gesetzeskonkurrenzheide Gesetze verwirklicht sind, und gleichzeitig das entscheidende gedankliche Hindernis beseitigt, das der Berücksichtigung in der Strafzumessung noch im Wege stand. 399

b) Die heute h. L. und Rspr. Demgemäß teilt die heute h.M. den Standpunkt der Rechtsprechung, die die genannten Durchbrechungen des Ausschlußprinzips zuläßt und gewisse "Restwirkungen" des verdrängten Gesetzes anerkennt, weshalb auch der Terminus "Gesetzeskonkurrenz" nach Bockelmann nicht ganz so sinnlos ist, wie vielfach angenommen wird. 400 Dazu gehört auch, daß das verdrängte Gesetz Einfluß auf die Strafzumessung nimmt. 401 Bereits das RG hatte die Berücksichtigung des "ausgeschlossenen" Tatbestands in der Strafzumessung gestattet402 - und zwar bei sämtlichen Formen der Gesetzeskonkurrenz: bei SubsidiaRGSt 24, 272. RGSt 7, 116. 399 So auch Fuchs, Gesetzeskonkurrenz 1 S. 126; vgl. auch Bocke/mann, JZ 1953, 235 mit der Bemerkung, die Plausibilität der Verwertung des verdrängten Gesetzes in der Strafzumessung hänge entscheidend von der Frage ab, ob das zurückgedrängte Gesetz auch verletzt sei. 400 Bocke/mann, JZ 1953, 235. 401 Aus dem Schrifttum: Jescheck, AT, § 69 111 3; Stratenwerth, AT, Rdnr. 1200; Kienapfel, AT, S. 584; Wek:el, Das Deutsche Strafrecht, S. 235; Bruns, 1974, S. 475; ders. , 1985, S. 185; ders., JR 1982, 166; Kohlrausch I Lange, vor§ 73 Anm. 111 3 und 4; Schönke I Schröder-Stree, vor§ 52 Rdnr. 141; LK-Vogler, vor § 52 Rdnr. 117; Dreher I Tröndle, vor § 52 Rdnr. 23; Lackner, vor §52 Rdnr. 29; Fuchs, Gesetzeskonkurrenz, S. 127; A.bels, Klarstellungsfunktion, S. 30; Bringewat, Gesamtstrafe, Rdnr. 90; Zipf, Strafmaßrevision, S. 137 ff; Warda, JuS 1964, 92 mit Fn. 79; Gepperl, Jura 1982, 426; Schneider, JZ 1953, 660; Hartung, NJW 1954, 587; Schorn, DRiZ 1931,248. 402 St. Rspr., vgl. RGSt 26, 199; 26, 314; 33, 402; 59, 148; 62, 63; 63, 424; RG JW 1933, 445; JW 1939, 338. 397 398

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rität, 403 Spezialität404 und Konsumtion. 405 Der BGH hat diese Rechtsprechung übemommen406- wenngleich sich anfangs gewisse Unsicherheiten bemerkbar machten. 407 Die Literatur ist dem gefolgt. Daß es sich dabei um einen konstruktiven Bruch handelte, wird allgemein eingestanden. 408 Man sah sich jedoch aus rechtspolitischen Gründen zu einer Durchbrechung des Grundsatzes gezwungen. Die Begründung für die dem Wesen der Gesetzeseinheit widersprechenden Ausnahmen war das sog. Schlechterstellungsargument 409 Danach darf es dem Täter gegenüber einem anderen Täter, der dadurch vergleichsweise schlechter gestellt wäre, nicht zum Vorteil gereichen, daß er durch seine Tat nicht nur ein Strafgesetz, sondern gleich mehrere Strafgesetze verletzt hat. Die Verletzung des verdrängten Gesetzes sei zwar nicht eigenständig in Ansatz zu bringen. Sie bleibe aber "als Tatsache bestehen" und dürfe den Täter nicht sachwidrig privilegieren. 410 Immerhin lägen zwei normwidrige Rechtsgutsbeeinträchtigungen vor. Diesen Sachverhalt könne kein wie auch immer

403 RGSt

59, 148. JW 1935, 532; RG HRR 1939, Nr. 471. 405 RGSt 63, 424 406 St. Rspr. seit BGHSt 1, 155; 6, 27; 19, 189; 21, 185; 22, 249; 33, 147- aus der Rspr. der Obergerichte: OLG Bremen, GA 1954, 157; BayObLGSt 1960, 287; OLG Celle, NJW 1962, 1833; OLG Hamm, NJW 1973, 1891; vgl. auch OGHSt 1, 114; 2, 328. 404 RG

407 Vgl. BGH DAR 1954, 69, wo der BGH davon auszugehen scheint, daß der damals noch aufgrund ausdrücklicher Subsidiaritit zurücktretende § 49 StVO bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt werden dürfe, dazu Hartung, NJW 1954, S. 588, Fn. 5. 408 Vgl. Maurach I Gössel I Zipf, AT, § 55 Rdnr. 26: kriminalpolitisch vielleicht geboten, konstruktiv aber zweifelhaft; auch Seier, Jura 1983, 232 meint, es scheine konstruktiv unmöglich, von der Sache her aber geboten zu sein; R. Schmin, ZStW 75 (1963), 53 gibt zu, die dogmatische Konsequenz spreche für den gegenteiligen Standpunkt; Kienapfel, AT, S. 584: Dem Grundgedanken der unechten Konkurrenz würde es entsprechen, nur das primäre Gesetz anzuwenden, das verdrängte dagegen gänzlich unberücksichtigt zu Jassen; Kienapfel, AT, S. 584: Rspr. und h.L. seien weit davon entfernt, die Konsequenzen für die unechte Konkurrenz auch wirklich zu ziehen, im Gegenteil; Zipf, Strafmaßrevision, S. 139: Ob die Entwicklung praeter Iegern oder contra Iegern erfolgt sei, lasse sich nicht sagen, er nimmt richterliches Gewohnheitsrecht an. 409 Grundlegend BGHSt 1, 156. 410 BGHSt

1, 156.

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geartetes Verhältnis dieser Tatbestände zueinander beseitigen. 411 Vogler bringt zur Begründung gar das "Doppelbewertungsverbot" ein: Eine Besserstellung des Täters lasse sich daraus gerade nicht herleiten, sondern würde dem Gerechtigkeitsprinzip im Gegenteil zuwiderlaufen. Darum könne und müsse das verdrängte Gesetz bei der Strafzumessung Berücksichtigung finden. 412 Die Gesetzeskonkurrenz wird damit praktisch wie die Idealkonkurrenz behandelt, das entscheidende Urteil BGHSt 1, 156 beruft sich sogar ausdrücklich auf (die zur Idealkonkurrenz ergangene) Grundsatzentscheidung RGSt 73, 148 ff. Der "einzige nennenswerte Unterschied" zwischen beiden liegt darin, daß der verdrängte Tatbestand nicht im Schuldspruch des Urteilstenors erscheint. 413 In den Rechtsfolgen bestehe kein Unterschied mehr zur Regelung der § 52 Abs. 2 - 4 StGB. 414 Gesetzeskonkurrenz und Idealkonkurrenz seien in den Rechtsfolgen "gleichgeschaltet" . 415 Der Unterschied zwischen Tateinheit und Gesetzeseinheit sei im strafrechtlichen Alltag "weitgehend eingeebnet", 416 "entfallen", 417 "beseitigt" 418- man liest sogar: "auf Null reduziert". 419 Der Satz vom Derogationseffekt der Gesetzeseinheit erweise sich als "inhaltsleere Hülse", sei "in sein Gegenteil verkehrt". 4:lD Manche bedauern die Entwicklung, meinen aber, sie sei nicht mehr rückgängig zu machen. 421 Was bleibt, ist reine "Tenorkosmetik" . 422 So ist es auch nicht erstaunlich, daß das OLG Bremen aus der faktischen Wirksamkeit des verdrängten Delikts schließt, daß Gesetzeseinheit nicht mehr sei als eine "Vereinfachung des Urteilstenors" 423 und auch das Schrifttum darin inzwischen den eigentlichen Sinn der ganzen Unter411 Stellvertretend 412 Vogler,

für viele Maurach I Gössel/ Zipf, AT, § 55 Rdnr. 22.

Bockelmann-FS, S . 722.

Haft, AT, 12. Teil§ 2 . 414 Srrarenwerrh, AT, Rdnr. 1177 sieht darin freilich kein Gegenargument, der Feh413 So

ler sei vielmehr in den für die Idealkonkurrenz geltenden Regeln zu suchen. 415

Seier, Jura 1983, 234.

416 Kienapfel,

S. 427.

AT, S. 584; Burgstaller, JurBl 1978, 469; Gepperl, Jura 1982,

I Tröndle, vor§ 52 Rdnr. 23. Schmill, ZStW 75 (1963), 53.

417 Dreher 418 R.

419 Schönke

4:lD Seier, 421 So

I Schröder-Srree, vor§ 52 Rdnr. 103.

Jura 1983, 234.

z.B. R. Schmill, ZStW 75 (1963), 53.

422 Formulierung 423 0LG

von Puppe, ldealkonk., S. 357.

Bremen, GA 1954, 157.

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Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

scheidung zwischen Ideal- und Gesetzeskonkurrenz sieht. 424 Umgekehrt soll deshalb echte Konkurrenz und nicht Gesetzeskonkurrenz anzunehmen sein, wenn der Urteilstenor sonst nicht das volle Unrecht zum Ausdruck bringen würde, das der Täter verwirklicht hat. 425

c) Die Meinung von Puppe Puppe426 entlarvt die Konzeption der h.M. als brüchig: Die Zuweisung der Fälle zur Gesetzeskonkurrenz erweise sich als "Etikettenschwindel". 427 Die mit so viel theoretischem Aufwand betriebene Unterscheidung der Gesetzeskonkurrenz von der Idealkonkurrenz erweise sich im nachhinein als ebenso kompliziert wie überflüssig, weil durch die Hintertür doch wieder die Regeln der Idealkonkurrenz Anwendung fänden. Puppe will deshalb die Idealkonkurrenz auf den Bereich ausdehnen, der herkömmlicherweise von der Gesetzeskonkurrenz beansprucht wird. Deren Regeln seien "elastisch genug". 428 Sie würden ja ohnehin - vielfach sogar ganz offen - analog angewendet. 429 Dabei ist nicht die Rede von der Spezialität: Kein Mensch komme auf den Gedanken, den Grundsatz von der Sperrwirkung des verdrängten Gesetzes wirklich konsequent durchzuführen und stets zu verlangen, daß dessen Mindeststrafe nicht unterschritten werden dürfe. Daß alle gesetzlichen Privilegierungen obsolet würden, wenn der Satz in der Allgemeinheit angewendet würde, in der er von der Rechtsprechung aufgestellt wurde, ließen die Entscheidungen unerwähnt, offenbar im Vertrauen darauf, daß niemand diese Konsequenzen ange-

424 Zust. zu dem Urteil: Dünnebier, GA 1954, 274; Bruns, 1974, S. 465; ders., 1985, s. 186. 425 Sog. Klarstellungsfunktion, dazu Schönke I Schröder-Stree, §52 Rdnr. 2- umso erstaunlicher nun, wenn der BGH andeutet, die tateinheitliche Verwirklichung zweier Tatbestände könne nicht strafschärfend berücksichtigt werden, wenn es sich um einen Fall "nur klarstellender Idealkonkurrenz" handele, während doch sogar im Falle der Gesetzeseinheit das zurücktretende in der Strafzumessung berücksichtigt werden soll; der l.Senat ist dem Urteil des 5 .Senats daher ausdrücklich nicht beigetreten, vgl. BGH bei Hollz, MDR 1994, 129. 426 Puppe, ldealkonk., S. 313 ff; dies., GA 1982, 143 ff. 427 Puppe,

GA 1982, 161. Puppe, ldealkonk., S. 321. 429 Vgl. Gepperl, Jura 1982, 426: §52 Abs. 2 Satz 2 StGB werde auch auf die unechte Idealkonkurrenz "bezogen"; sowie ausdr. Seier, Jura 1983, S. 234 und S. 236: §52 Abs. 2- 4 analog. 428

Zweites Kapitel: Die Lehre von der Gesetzeseinheit

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sichts der damit verbundenen Absurdität auch ziehen werde. 430 Die vollständige Verdrängung des rezessiven Gesetzes könne nur dann zu ungerechtfertigten Vorteilen für den Täter führen, wenn das verdrängte Gesetz im dominanten nicht vollständig enthalten ist, sondern ihm einen, wenn auch noch so geringen Unwertgehalt hinzufügt, "vor allem wenn es eben darum eine höhere Mindeststrafe oder andere Nebenstrafen vorsieht". 431 Das Problem stellt sich vor allem bei der Konsumtion: Die Begründung dieser Konkurrenzform, daß die weitere Rechtsverletzung, die regelmäßig mit dem in einem anderen Tatbestand beschriebenen Verhalten verbunden sei, vom Gesetzgeber bereits bei der Bestimmung des Strafrahmens mitberücksichtigt worden sei, attestiere dem Gesetzgeber unsorgfältige Strafrahmenbildung. Denn nach ihr müßte er jene zusätzliche Rechtsverletzung auch bei der Festsetzung der Mindeststrafe in Rechnung gestellt haben - obwohl eingeräumt ist, daß Verwirklichungendes Tatbestandes möglich sind, bei denen sie fehlt. Also müßte das Gesetz in solchen Fällen zu einer höheren Strafe zwingen, als sie nach dem Urteil des Gesetzgebers selbst angemessen wäre. 432 Um diesen Fehler zu korrigieren, verlange die h.M. die Berücksichtigung des verdrängten Gesetzes in der Strafzumessung. 433 Die mißliche Folge ist, daß es zweierlei Arten von Gesetzeskonkurrenz gibt, die beide zur Folge hätten, daß das verdrängte Gesetz im Urteilstenor nicht zu zitieren ist. Aber nur der erste (höhere) Grad von Gesetzeskonkurrenz führte auch zur Nichtanwendung des verdrängten Gesetzes in der Sache, d.h. zur Irrelevanz für den Strafrahmen (denn die Heraufsetzung der Mindeststrafe des primären Gesetzes auf das Mindestmaß, das für das sekundäre gilt, ist letztlich nichts anderes als eine Strafrahmenmodifikation434), die Nebenfolgen und die Strafzumessung. 435 Damit wäre die Aufspaltung der Gesetzeskonkurrenz nicht nur ihren Voraussetzungen nach durchgeführt, sondern auch von ihren Rechtsfolgen her. Puppe gelingt die Rückführung der Gesetzesein430 Puppe,

ldealkonk., S. 315. Puppe, GA 1982, 161. 432 Puppe, Idealkonk., S. 323- vorausgesetzt freilich, daß die zusätzliche Verwirklichung eines weiteren Tatbestandes wirklich einen Unterschied in bezug auf die Strafwürdigkeit macht und weiter vorausgesetzt, daß keine Stelle des Strafrahmens mit unterschiedlich strafwürdigen Fällen besetzt sein darf. 433 Puppe, GA 1982, 161. 434 Von einer "Strafrahmenmodiflkation" spricht auch Seier, Jura 1983, 234. 435 Puppe, Idealkonk., S. 315. 431

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heit auf eine einheitliche Rechtsfolge und auf das Prinzip der absoluten Deliktsexldusion, indem sie die Grenzen zwischen Gesetzeskonkurrenz und Idealkonkurrenz neu zieht. Dabei ist ein neues Konzept von Idealkonkurrenz unabhängig von Handlungseinheit und Handlungsmehrheit - ihr eigentliches Anliegen. 436 Als einzige Form der Gesetzeseinheit will sie nur noch die Spezialität (im streng logischen Sinne) anerkennen, 437 bei der das ursprüngliche Prinzip des vollständigen Ausschlusses des verdrängten Gesetzes in voller Strenge durchgeführt ist. d) Die Lehre von Geerds

Wie Puppe vertritt auch Geerds438 den Standpunkt von der absoluten Deliktsexklusion für den Bereich der Gesetzeskonkurrenz. Er gründet sich auf seine Lehre von der materiellen Strafberechtigung. 439 Danach soll im Falle der Gesetzeskonkurrenz, die er gerade darum eine "scheinbare" nennt, 440 nur das verletzte Gesetz eine "materielle Strafberechtigung" enthalten. 441 Darunter versteht er "das Recht des Staates zur Strafe", 442 "einen Titel, der gewisse Eingriffe des Staates in die Rechtssphäre des betreffenden Menschen erlaubt". 443 Dieser Rechtstitel, dessen der Staat nach materiellem Strafrecht bedarf, um Strafe zu verhängen, entstehe im Fallezweier in Gesetzeskonkurrenz zusammentreffender Straftatbestände nur einmal. Es besteht also in Wahrheit nur eine einzige Strafberechtigung. 444 Liegt scheinbare Gesetzeskonkurrenz vor, so ist das ausgeschlossene Gesetz aus Gründen des materiellen Rechts un436 Seier, Jura 1983, 231 meint, es falle schwer, gegen Puppe etwas einzuwenden, ihre einengende Theorie der Gesetzeseinheit stehe und falle aber mit ihrem Verständnis von der Handlungseinheit, teile man es nicht, dann werde die Gesetzeseinheit auch nicht von der Idealkonkurrenz her aufgerollt - das ist zwar richtig, aber die Schwächen der h.M. blieben dann ebenfalls bestehen.

Puppe, ldealkonk., S. 355. Konkurrenz, S. 230 ff. 439 Geerds, Konkurrenz, S. 146 ff. 440 Geerds, Konkurrenz, S. 146. 441 von Krog , S. 5, Fn. 9 will zwar den Ausdruck von Geerds, nicht aber dessen Vorstellungen davon übernehmen. 442 Geerds, Konkurrenz, S. 147 mit einem Rekurs auf die Lehre vom Strafanspruch verstanden als subjektives Recht des Staates. 443 Geerds, Konkurrenz, S. 149. 444 Geerds, Konkurrenz, S. 155. 437

438 Geerds,

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anwendbar und damit als solches "in jeder Hinsicht irrelevant". 445 Die Tatfolgen seien ausschließlich dem vorgebenden Gesetz zu entnehmen. Deshalb sei es im Gegensatz zur h.M. unzulässig, das ausgeschlossene Gesetz in der Strafzumessung zu berücksichtigen. 446 Aus denselben Gründen sei die 'Ansicht des BGH abzulehnen, daß das Mindestmaß des in Gesetzeskonkurrenz stehenden Gesetzes nicht unterschritten werden dürfe. 447 Es hat also, so schließt er, "in der Tat im Gegensatz zu wirklich konkurrierenden Gesetzen keinerlei Rechtswirkung". 448 Die Annäherung an die Idealkonkurrenz zeige, daß man beute die Vorgänge bei der Bestrafung und insbesondere bei der Strafzumessung noch nicht entfernt erfaßt habe. 449 Geerds fällt es leicht, diese Position einzunehmen; sie ist eine nötige Konsequenz daraus, daß die ausgeschlossene Vorschrift nach Geerds "nicht wirklich verletzt" ist. 450

e) Der Standpunkt von Maurach Auch das Lehrbuch von Maurach nimmt von jeher einen kritischen Standpunkt zur Frage der Verwertung des zurücktretenden Gesetzes in der Strafzumessung ein: Die praktische Behandlung der Gesetzeskonkurrenz zeige eine bemerkenswerte Wandlung von der völligen Unerheblichkeit der verdrängten Gesetze zu einer gewissen Angleichung ihrer Funktion an diejenige, die im Falle der Idealkonkurrenz geboten wäre, und damit eine Abschwächung des begrifflichen Gegensatzes zwischen Gesetzeskonkurrenz und Idealkonkurrenz. Diese Entwicklung sei nicht zu begrüßen: "An sich sollte das zurücktretende Gesetz materiellstrafrechtlich wie prozessual schlechthin verdrängt, d.b. ausgeschlossen werden: es kann weder den Schuldausspruch mittragen, noch irgendwie bei Strafermittlung und Festsetzung zu Wort kommen. "451 Bezeichnenderweise werde die Frage gerade in den Grenzfällen der Gesetzeskonkurrenz aktuell, bei denen richtigerweise Idealkonkurrenz am Platz sei; als BeiGeerds, Konkurrenz, S. 230. Geerds, Konkurrenz, S. 231 -auch hierin will von Krog, S. 174, Fn. 484 dem Vorbild offenbar nicht folgen. 447 Geerds, Konkurrenz, S. 231. 448 Geerds, Konkurrenz, S. 232; vgl. schon S. 166 f. 449 Bemerkenswert: Geerds, Konkurrenz, S. 232, Fn. 490. 450 Geerds, Konkurrenz, S. 232- zu ihm auch Bruns, 1974, S. 467. 451 Maurach, AT, 2. Aufl., § 55 I B 4; anders ab der 6. Aufl. Maurach I Gössel I Zipf, AT, §55 Rdnr. 22. 445

446

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spiel nennt Maurach das Verhältnis von§ 243 I Nr. 2 zu§ 123 StGB. 452 Auch in diesen Fällen werde man allerdings die Mitberücksichtigung des verdrängten Gesetzes nach der allgemeinen Regel versagen müssen, derzufolge gesetzliche Tatbestandsmerkmale nicht strafschärfend verwendet werden dürfen. 453 j) Der Meinungsstand in Österreich

In Österreich scheinen die Meinungen im Anschluß an Burgstaller454 eher auf eine Nichtberücksichtigung des verdrängten Gesetzes in der Strafzumessung hinauszulaufen. 455 BurgstaUer stellt sich die Frage, ob man dort denselben Weg einschlagen sollte wie in der Bundesrepublik: "Nach längerer Überlegung plädiere ich dafür, die gestellte Frage zu verneinen. Ich bin zur Auffassung gelangt, daß es dem Österreichischen Strafrecht besser entspricht, die Verdrängung eines Delikts im Wege der Scheinkonkurrenz auch für den Sanktionenhereich grundsätzlich durchzuhalten. "456 Das die Gegenposition tragende Argument, es gehe doch nicht an, den Täter dann, wenn er zusätzlich noch ein weiteres Delikt begangen habe, von der Sanktion für ein Delikt freizuhalten, das er ebenfalls begangen habe, klinge zwar bestechend, sei aber keineswegs zwingend. Meist sei die Strafandrohung des verdrängenden Delikts ohnehin die strengere (bei der Konsumtion des § 242 durch § 248 b StGB trifft das freilich nicht zu). Vor allem sei aber daran zu erinnern, daß es im Widerspruch zum Wesen der Scheinkonkurrenz stehe, das verdrängte Delikt in der Strafzumessung doch wieder heranzuziehen; deren Sinn bestehe doch gerade darin, "das Vorliegen mehrerer strafbarer Handlungen als scheinbar zu

AT, 2. Aufl., §55 I B 4- Gössel hat diese Passage, mit Ausnahme allerdings jenen Beispielsfalles, übernommen, vgl. Maurach I Gössel I Zipf, AT, §55 Rdnr. 26. 452 Maurach ,

453 Maurach, AT, 2. Aufl., § 55 I B 4; in der 7. Auflage wird das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB ausdrücklich dazuzitiert, vgl. Maurach I Gössel I Zipf, AT, §55 Rdnr. 26.

454 Burgstaller,

JurBI1978, 468 ff.

AT, Kap. 18 111 2 d: Dementsprechend sei auch eine Sperrwirkung des milderen Gesetzes abzulehnen (a.a.O., Kap. 18 111 2 c); weniger deutlich Leukauf I Steininger, § 28 Rdnr. 23: die Grundsätze des § 28 öStGB fänden keine Anwendung; ebenso Foregger I Serini, § 28 Anm. V, vor 1 - anders jedoch, allerdings für das deutsche Strafrecht, Zipf, Strafmaßrevision, S. 137 f. 456 Burgstaller, JurBI1978, 469. 455 Tri.ffterer,

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entlarven". 451 - In "kritischen Fällen" zu einer echten Konkurrenz zu kommen und damit die Sanktion des eben dann nicht verdrängten Deliktes problemlos zur Verfügung zu haben, erscheine im Vergleich zum Rückgriff auf das verdrängte Delikt jedenfalls als "die saubere Lösung". 458 3. Stellungnahme

a) Der Einwand der Gleichbehandlung mit der Idealkonkurrenz Der Vorwurf von Puppe, Maurach und anderen, die Gesetzeskonkurrenz werde der Idealkonkurrenz auf dem Umweg über die Strafzumessung, quasi durch die Hintertür, doch wieder gleichgestellt ("Etikettenschwindel"), weshalb es ehrlicher sei, die Regeln von der Idealkonkurrenz dort offen anzuwenden und Idealkonkurrenz von vomherein zu bejahen, wo das nötig ist, trifft sicher zu. Man muß sich in der Tat mit Burgstaller fragen, welchen Sinn es eigentlich haben soll, das Vorliegen einer echten Konkurrenz als scheinbar zu "entlarven", wenn daraus danach doch keine Konsequenzen gezogen werden. Er relativiert sich aber, wenn man sich vor Augen hält, daß Idealkonkurrenz und Gesetzeskonkurrenz von jeher gleich behandelt wurden. Keineswegs ist es so, daß Unterschiede "eingeebnet" oder "beseitigt" worden sind. Wer glaubt, die früher gängige Ansicht von der absoluten Deliktsexklusion habe damit die Gesetzeseinheit in ihren Rechtsfolgen deutlich von der Idealkonkurrenz geschieden, unterliegt einem Irrtum. 459 Das Reichsgericht führte anfangs auch das in § 73 StGB a.F. vorgesehene Absorptionsprinzip in voller Strenge durch. Weil dort bestimmt war, daß im Falle der Idealkonkurrenz nur das schwerste Gesetz Anwendung fand, hatte das RG ursprünglich angenommen, daß das ideell konkurrierende Gesetz in jeder Beziehung außer Betracht zu bleiben habe, also auch, soweit es eine höhere Mindeststrafe460 oder Nebenstrafen461 androhte, die das strengere Gesetz nicht vorsah. Nachdem sich gegen diese starre Regel erst die Wissenschaft462 und später der Gesetzgeber463

JurBl1978, 469. JurBI 1978, 470. 459 So auch Seier, Jura 1983, 233. 460 RGSt 16, 301. 461 Entscheidung der Vereinigten Strafsenate RGSt 6, 180. 462 Z.B. Eckstein, GA 60 (1913), 219 f.

451 Burgstaller, 458 Burgstaller,

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gerichtet hatten, gab sie das RG im Jahre 1939 auf. Erstmalig erkannte die Grundsatzentscheidung RGSt 73, 148 ff die sog. "Sperrwirkung des milderen Gesetzes" im Rahmen der Idealkonkurrenz an und sprach sich dafür aus, daß das mildere Gesetz durchaus noch Wirkungen entfalten könne. Die Entscheidung bereitete den Boden für das heute in § 52 Abs. 2 - 4 StGB normierte sog. Kombinationsprinzip. Mit dem bei der Idealkonkurrenz auf breiter Front einsetzenden Umdenkungsprozeß ging zugleich der Meinungsumschwung im Bereich der Gesetzeskonkurrenz einher. 464 Die Entwicklung, die die Gesetzeseinheit genommen hat, verlief also stets parallel zu der der Idealkonkurrenz. Das entscheidende Urteil BGHSt 1, 156, das die Sperrwirkung des milderen Gesetzes auf die Gesetzeskonkurrenz übertrug, beruft sich ausdrücklich auf die zur Idealkonkurrenz ergangene Entscheidung RGSt 73, 148.

b) Das "Schlechterstellungsargument" Der entscheidende Gedanke, daß es dem Täter nicht zum Vorteil gereichen dürfe, wenn er durch seine Tat nicht nur ein, sondern mehrerer Strafgesetze verletzt hat, soll auch hier gelten. 465 Dieses Argument, das auch nach Auffassung BurgstaUers auf den ersten Blick besticht, trifft bei näherer Betrachtung auf die Fälle der Spezialität nicht zu. Der Gedanke der Besserstellung zu demjenigen Täter, der nur das Spezialgesetz verletzt, kann hier gar nicht aufkommen, weil ein solcher Vergleich wegen der zwingenden Mitverwirklichung der allgemeineren Vorschrift gar nicht stattfinden kann. 466 Den Fall, daß der Täter nur die Iex specialis, aber nicht zusätzlich auch die Iex generalis verwirklicht, gibt es nicht. Darum ist für die strafschärfende Berücksichtigung des verdrängten Gesetzes bei der Strafzumessung im Rahmen der Spezialität kein Raum. 467 Damit erledigt sich der Einwand von Puppe, daß alle gesetzlichen Privilegierungen obsolet würden, wollte man die Untergrenze bei der 463 In

§ 418 AO.

464 Zur

Übertragbarkeit der Argumentation von der Idealkonkurrenz auf die Gesetzeskonkurrenz auch Bocke/mann, JZ 1953, 235. 465 BGHSt 1, 156. 466 So auch Seier, Jura 1983, 235. 467 Ebenso Seier, Jura 1983, 235; Fuchs, Gesetzeskonkurrenz, S. 129: Das sei selbstverständlich, beispielsweise käme niemand auf die Idee, dem Täter einer gefährlichen Körperverletzung vorzuwerfen, er habe zugleich eine Körperverletzung nach dem Grundtatbestand begangen, so etwas sei ausdrücklich und mit ernsthafter Begründung nie vertreten worden.

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Spezialität tatsächlich nach dem höheren Strafmaß der Iex generalis bemessen.468 Aber das trifft nicht nur auf Privilegierungen, sondern auf alle Fälle der Spezialität und darüber hinaus auch noch auf die meisten Fälle der Subsidiarität zu, sofern ihnen ebenfalls die begriffslogische Struktur der Subordination zugrundeliegt und man sie nicht deshalb von vornherein der Spezialität zuschlägt. So meint auch Fuchs, 469 das Prinzip der strafschärfenden Berücksichtigung müsse sich bei der Subsidiarität in den Fällen eine Einschränkung gefallen lassen, bei denen das Hauptdelikt notwendig mitverwirklichte Delikte enthält (Subordination!), denn insofern enthielten sie keine weiteren Strafzumessungstatsachen, die nicht schon vollständig im Hauptdelikt berücksichtigt wären. Als Beispiel nennt er die Körperverletzung als Durchgangsdelikt zur Tötung. 410 Während es dort aufgrund der Inklusion gar nicht denkbar ist, daß ein Täter bessergestellt ist als ein anderer, der nur das verdrängte Delikt begangen hat, ergibt sich die Unangemessenheit der strafschärfenden Berücksichtigung des zurücktretenden Deliktes bei der sog. formellen Subsidiarität aus der Erwägung, daß dieses nur "Auffangfunktion" hat. Zwar ließen sich hier zwei Täter nebeneinanderstellen, von denen der eine nur das eine und der andere beide Delikte verwirklicht hat. Eine unterschiedliche Bewertung ist damit aber nicht verbunden. Weil die subsidiäre Vorschrift nur Hilfsfunktion hat, kann ihre Mitverletzung zur Bewertung nichts beitragen. Man kann also ruhigen Gewissens sagen, daß auch im Bereich formeller Subsidiarität das ausgeschlossene Gesetz keinerlei Einfluß auf den Strafausspruch hat. 471 Der Satz von der Sperrwirkung des verdrängten Gesetzes und die These von seiner Anwendbarkeit hinsichtlich sonstiger Rechtsfolgen, die nur aus ihm zu ziehen sind, sowie die Möglichkeit seiner strafschärfenden Berücksichtigung bei der Strafzumessung seien deshalb in der Allgemeinheit, in der sie oft behauptet würden, nicht haltbar, schreibt Warda schon 1964. 472 Er folgert daraus, es sei jeweils im Einzelfall besonders zu prüfen, ob der völlige 468 Auch Triffterer, AT, Kap. 18 III 2 b nennt diese Konsequenz absurd; vgl. auch Bruns, 1974, S. 467, der meint, mit dieser Richtigstellung erledigten sich auch die Einwendungen von Geerds. 469 Fuchs,

Gesetzeskonkurrenz, S. 130.

Gesetzeskonkurrenz, S. 131. auch Seier, Jura 1983, 236; ebenso Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 138. 412 Warda, JuS 1964, S. 92, 93. 410 Fuchs, 471 So

21 Fahl

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Ausschluß des zurücktretenden Gesetzes, an dem auch im Bereich der Straffestsetzung im Prinzip festzuhalten sei, zu sachwidrigen Vorteilen für den Täter führe. Zugleich weist Warda, 473 wie schon Maurach, 474 auf den sich auch Zipf beruft,47s vor ihm und viele andere nach ihm, auf das Doppelverwertungsverbot hin, das einer strafschärfenden Berücksichtigung des zurücktretenden Gesetzes nicht selten entgegenstehe. c) Der Einwand des Doppelverwertungsverbotes

So meinen viele, die die These des BGH zur Berücksichtigungsfähigkeit der Rechtsfolgen des verdrängten Gesetzes im Prinzip unterstützen, die Frage der Verwertung in der Strafzumessung sei nicht eigentlich eine besondere Frage der Gesetzeskonkurrenz, sondern nach der allgemeinen Regel zu beurteilen, wonach Merkmale des gesetzlieben Tatbestandes nicht nochmals als Strafzumessungsgründe verwendet werden dürften. 476 Bei der Frage der Verwertbarkeit des zurückgedrängten Gesetzes in der Strafzumessung geht es allerdings nicht, wie Geerdsm immer wieder betont, um die Berücksichtigung der Begehung einer weiteren Straftat "als solcher", sondern um die Verwirklichung weiterer Strafzumessungstatsacben, nämlich der realen Umstände, 418 die wiederum ein Tatbestandsmerkmal einer anderen, der verdrängten Norm aus-

413 Warda,

JuS 1964, 92.

414 Maurach,

AT, 2. Aufl., § 55 I 8 4, S. 594 - später Maurach I Gössel I Zipf, AT,§ 55 Rdnr. 25. 41sZipj, Strafmaßrevision, S. 138, Fn. 3. 476 So ausdrücklich Jescheck, ZStW 67 (1955), 236. - Auf das DVV weisen in diesem Zusammenhang außerdem hin: Geerds, Konkurrenz, S. 231; Puppe, ldealkonk., S. 315; Zipf, Strafmaßrevision, S. 137 ff; Wegscheider, Konkurrenz, S. 212; Vogler, Bockelrnann-FS, S. 719, Fn. 33; Fuchs, Gesetzeskonkurrenz, S. 128; Abe/s, Klarstellungsfunktion, S. 38; Burgstaller, JurBI 1978, 470; Bruns, 1974, S. 467; ders., 1985, S. 186; Jescheck, § 691113; Jakobs, AT, 31. Abschn. Rdnr. 38; Schönke I Schröder-Stree, vor§ 52 Rdnr. 141. 417 Geerds, Konkurrenz, S. 167, 230, 231.

418 Diesbezüglich meint Geerds, Konkurrenz, S. 167, Fn. 92, zwar dürfe das ausgeschlossene Gesetz "als solches" in der Strafzumessung nicht berücksichtigt werden, die ihm entsprechenden tatsächlichen Umstände, die ausdrücklich oder der Sache nach vom vorgehenden Tatbestand umschlossen werden, seien jedoch im Rahmen desselben zu berücksichtigen - die Umstände, die allerdings nur vom ausscheidenden und nicht vom vorgehenden Tatbestand erfaßt werden und auf die es eigentlich ankäme, sind damit aber wohl gerade nicht gemeint.

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füllen können. 479 So meint auch Jakobs, den Fall der Berücksichtigung des verdrängten Gesetzes neben dem anzuwendenden und nicht als dessen Teil gebe es nicht; nur innerhalb des verdrängenden Delikts, "dort aber genuin und nicht kraft Hinzutritts der verdrängten Norm", sei der deliktische Gehalt des verdrängten Gesetzes strafzumessungsrelevant. 4110 Auch Vertreter des gegenteiligen Standpunktes wie der BGH und die h. L. in Deutschland räumen ein, daß die realen Umstände, die für die formelle Erfüllung eines nicht anwendbaren Gesetzes von Bedeutung sind, im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt werden könnten, sofern derartige Umstände nicht zu den Merkmalen der anwendbaren Vorschrift zählten, sonst freilich stünde das Doppelverwertungsverbot ihrer nochmaligen Berücksichtigung entgegen. 481 Die Auswertung dieses Gedankens enthält nach Zipf die Lösung für die Strafzumessung bei der Gesetzeskonkurrenz. 482 Entsprechend der obigen Klarstellung empfiehlt er, stets danach zu fragen, "ob die verdrängte Norm für die Strafzumessung einen zusätzlichen, in dem anzuwendenden Straftatbestand nicht selbst enthaltenen Gesichtspunkt zur Strafzumessung beitragen kann •. Zur Demonstration wählt er nun folgendes, allerdings besonders ungünstiges (weil hinsichtlich des Konkurrenzverhältnisses umstrittenes) Beispiel einer mittels eines Messers begangenen Körperverletzung, die zu einer schweren Folge i.S. des § 224 StGB führt. 483 Bei der Strafzumessung aus dem Rahmen des § 224 StGB falle nun nicht strafschärfend ins Gewicht, daß zugleich der § 223 a StGB verwirklicht sei, sondern die Tatsache, daß ein Messer benutzt wurde. Das ist eine Tatsache, die § 224 StGB nicht berücksichtigt - gegen das 479 Zur Unterscheidung auch Bruns, 1974, S. 467; Fuchs, Gesetzeskonkurrenz, S. 125 spricht von einer "terminologischen Unschärfe", die hier häufig unterlaufe. 4110 Jakobs, AT, 31. Abschn., Fn. 82 zu Rdnr. 38. 481 Triffterer, AT, Kap. 18 111 2 d.

482 Zipf, 483 Die

Strafmaßrevision, S. 138.

Rspr. nimmt hier meist ohne Angabe der Konkurrenzform Gesetzeseinheit zwischen§ 223 a und§ 224 StGB an, vgl. RGSt 26, 313; 63, 424; OGHSt 1, 113; BGH NJW 1967, 298; BGHSt 21, 194- da die schweren Folgen nicht notwendig auf der in § 223 a StGB beschriebenen gefährlichen Begehungsweise beruhen, scheidet Spezialität aus, so richtig Vogler, Bockelmann-FS, S . 722; in Betracht kommt Konsumtion, dafür: R. Schmitt, ZStW 75 (1963), 50; ebenso Geerds, Konkurrenz, S. 218, Fn. 412; andere plädieren für Idealkonkurrenz, z.B. Schönke I Schröder-&er, vor § 223 Rdnr. 2 und Rdnr. 16 zu § 223 a; Jescheck, AT, § 69 II 1; Vogler, Bockelmann-FS, S. 723 -es geht um die schwierige Frage des Verhältnisses von mehreren Qualifikationen eines Grundtatbestandes zueinander, die nicht aufeinander aufbauen, siehe Tiedemann, JuS 1987, L 20; Jescheck, AT, § 69 111.

zt•

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Doppelverwertungsverbot werde deshalb nicht verstoßen. 484 Des Rückgriffs auf § 223 a StGB, so Zipf, bedürfe es bierfür nicht; man brauche sich dazu nur einmal den § 223 a StGB wegzudenken. Dann würde aus dem antizipierten, vertatbestandlichten Faktor ein richterlicher Strafzumessungsgrund. 485 Die Benutzung eines Messers bei § 224 StGB, der Verkehrsverstoß bei § 222 StGB: all das dürfte ja auch berücksichtigt werden, wenn es die zurücktretenden Tatbestände gar nicht gäbe. 486 OGHSt 2, 328 sagt sogar ausdrücklich, in der Rechtsprechung sei anerkannt, "daß darin nicht die unzulässige Verwertung eines Tatbestandsmerkmals als Strafschärfungsgrund liegt". 487 Dagegen kann der zurückgedrängte Tatbestand des § 223 StGB bei der Strafzumessung im Rahmen des § 224 StGB in keiner Form Berücksichtigung finden: § 223 StGB ist Grundtatbestand und Iex generalis. Er enthält keinerlei Merkmale, die nicht auch in der Iex specialis wiederkehren, und kann von daher keinen neuen Gesichtspunkt zur Strafzumessung beitragen. Er fällt darum für die Strafzumessung völlig aus. 488 Aber hier bringt die Argumentation mit dem Doppelverwertungsverbot nichts Neues, das alles ergab sich auch schon aus der Betrachtung des Schlechterstellungsarguments: In denselben Fällen, in denen eine Schlechterstellung ausgeschossen ist, steht § 46 Abs. 3 StGB der Verwertung in der Strafzumessung entgegen. Viel interessanter sind die Fälle, die Seier als den "neuralgischen Bereich • der Gesetzeskonkurrenz gekennzeichnet hatte489 und wo auch er die Berücksichtigung in der Strafzumessung zulassen will. 490 Gemeint ist die Konsumtion! 484 Wollte man hier die Begehung des § 223 a StGB strafschärfend berücksichtigen, so würde man genau genommen auch die im Tatbestand des § 223 a StGB enthaltene Körperverletzung selbst verwerten, die zugleich Tatbestandsmerkmal des § 224 StGB ist, und schon deshalb gegen das DVV verstoßen, darauf weist zu Recht Fuchs, Gesetzeskonkurrenz, S. 128 hin.

485 Zipj, 486 So

s. 139.

Strafmaßrevision, S. 138. auch Bruns, 1974, S. 468; ders. , 1985, S. 186; Zipf, Strafmaßrevision,

487 Zum Verhältnis § 226 StGB zu § 223 a StGB - die angeführten Rechtsprechungshinweise tragen diese Behauptung allerdings nicht, dort war nur von der Berücksichtigungstähigkeit des verdrängten Gesetzes die Rede, vom Doppelverwertungsverbot hingegen kein Wort. 488 So

auch Fuchs, Gesetzeskonkurrenz, S. 128. Seier, Jura 1983, 231. 490 Seier, Jura 1983, 236. 489

Zweites Kapitel: Die Lehre von der Gesetzeseinheit

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Dies ist der Punkt, an dem die Frage der Berücksichtigung des verdrängten Gesetzes aktuell wird und von dem Mauracb sagte, daß hier bezeichnenderweise Idealkonkurrenz am Platz wäre. 491 Hier kann man nicht sagen, eine "Schlechterstellung" sei nicht denkbar: Es kann durchaus sein, daß ein Täter zwar einen Einbruchdiebstahl nach §§ 242, 243 Abs. 1 Nr. 1 StGB begeht, nicht aber einen Hausfriedensbruch nach § 123 StGB oder eine Sachbeschädigung gem. § 303 StGB. Solche Fälle sind denkbar (Interferenz!), wenn auch nicht gerade typisch und im gerichtlichen Alltag eher selten. Würde in einem solchen Fall der Täter, der die zurücktretenden Delikte mitverwirklicht bat, genauso behandelt wie detjenige, der sie nicht verwirkliebt bat, so wäre dies eine Schlechterstellung. Schon die Tatsache, daß die mitverwirkliebten Delikte nicht im Urteilsspruch erscheinen, ist, wenn der Urteilsspruch überhaupt eine den Täter belastende Bedeutung bat, eine Schlechterstellung anderer Täter, sieht man einmal davon ab, daß der Angeklagte so im unklaren über die Bedeutung der zurücktretenden Vorschriften gelassen wird!92 Fuchs sieht im Schuldspruch immerhin eine Sanktion, "eine Strafe im weiteren Sinne" , 493 die sich an Rechtsstaatsprinzip und Verhältnismäßigkeilsgrundsatz messen lassen müsse und findet darin die Rechtfertigung der Erscheinung der Gesetzeskonkurrenz überhaupt: sie sei Ausfluß der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit, den Täter nicht übermäßig zu bemakeln. 494 Dies wird in der Diskussion indessen vollständig übergangen. Es müßte in der Konsequenz zur vollständigen Angleichung an die Regeln der Idealkonkurrenz und zur Nennung der zurücktretenden Gesetze im Schuldspruch führen, was als konstruktiver Bruch empfunden würde. Statt dessen schließt die h.M. einen Kompromiß: Wenn solche Delikte im Urteilsspruch schon nicht erscheinen, so will man dadurch helfen, daß sie wenigstens in der Strafzumessung zu Lasten des Täters, der mehr verwirklicht hat, Berücksichtigung finden. Darum soll ihre Berücksichtigung in diesen Fällen nicht nur zulässig, sondern geboten sein. Ist ein Gesetz verletzt, das infolge Gesetzeseinheit nicht angewendet wird, so muß es deshalb deonoch festgestellt werden. In HRR 1939, Nr. 471 bat das RG ein Urteil aufge491 Maurach,

AT, 2. Aufl., §55 I 8 4, S. 594.

492 Das

kritisiert Puppe, Jdealkonk., S. 356 - nicht ganz zu Unrecht, wie Baumann I Weber, § 41 II 3 c, Fn. 55 einräumen, allerdings sei dies mehr eine Frage der Verhandlungsführung durch den Richter, als ein Problem der Dogmatik. 493 Fuchs, Gesetzeskonkurrenz, S. 43. 494 Fuchs,

Gesetzeskonkurrenz, S. 46.

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Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

hoben, weil es diese Feststellung nicht enthielt. Das zurücktretende Gesetz außer acht zu lassen, sei ein Rechtsfehler. Es muß daher auch im Gutachten voll durchgeprüft und ggf. bejaht werden. 49~ Während hier also eine Schlechterstellung tatsächlich zu befürchten ist, kann ein Verstoß gegen das DVV des§ 46 Abs. 3 StGB ausgeschlossen werden. Denn das DVV ist genau wie die Konkurrenzform der Spezialität konzipiert. Es saturiert das (begriffs-)logische Ausschlußprinzip - der Arbeitsteilung von Gesetzgeber und Richter trägt es nur insoweit Rechnung, wie es Umstände anbelangt, die zwingend und notwendigerweise immer mit einem Tatbestand zusammen mitverwirklicht werden, gleich, ob es sich dabei um Umstände handelt, die eine weitere Norm erfüllen, die dann im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurückweicht, oder um einfache Strafzumessungstatsachen, gleich auch, ob es sich dabei um Tatbestandsmerkmale i.e.S. handelt, um Strafzumessungsregeln, um Motive und Beweggründe des Gesetzgebers oder um sonstige Hintergründe der Norm- entscheidend ist nur, daß sie stets mitgegeben sind. Denn nur dann sind sie auf der gesamten Breite des Strafrahmens vorausgesetzt. Dann kann - aus logischen Gründen - keine Strafschärfung an das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines solchen Umstandes geknüpft werden. Dagegen werden Umstände, die nur "regelmäßig" oder "typischerweise" mitverwirklicht sind, vom Doppelverwertungsverbot, nicht erfaßt. So liegt es bei der Konsumtion. Ein Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB scheidet daher aus. Anderer Ansicht ist Burgstaller: Das DVV sei "namentlich bei der Spezialität zusammengesetzter Delikte und bei der Konsumtion der Begfeittat gezielt im Auge zu behalten". 496 Derselben Meinung ist, ebenfalls aufgrund eines falschen Verständnisses vom DVV, auch Fuchs. 497 Bei der Konsumtion dürfe der Grundgedanke des § 46 Abs. 3 StGB nicht außer acht gelassen werden: "So gilt das Doppelverwertungsverbot bekanntlich auch für Umstände, die regelmäßig mit der Verwirklichung eines Tatbestandes verbunden und für dessen Unrechtsgehalt mitbestimmend sind." Er zieht daraus den - bei diesem Verständnis vom DVV zutreffenden - Schluß, daß gerade dieser Gesichtspunkt es 495 So richtig Schneider, JZ 1953, 660; J escheck, AT, § 69 111 vor 1; zurückhaltender Arzt, Die Strafrechtsldausur, S. 118; Kienapfel, Strafrechtställe, S. 126, Fn. 2; noch weitergehend gegen eine Prüfung der wegen Gesetzeskonkurrenz zurücktretenden Delikte Schmidhäuser, AT, Anh. /35. 496 Burgstaller, JurBl 1978, 470. 497 Fuchs, Gesetzeskonkurrenz, S. 134.

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ist, der der strafschärfenden Berücksichtigung der Merkmale der zurücktretenden Norm bei der Konsumtion engegenstehe. Ebenso beziehe sich das DVV auch auf die gesetzgebensehe Intention, d.h. auf die Gründe, die den Gesetzgeber veranlaßt haben, bestimmte Verhaltensweisen unter Strafe zu stellen und die bei der Strafzumessung nicht noch einmal verwertet werden dürften. Fuchs meint, wie all jene, die pauschal auf das DVV verweisen, ohne es weiter auszuführen, 498 auch dieser Aspekt könne in den Fällen der Subsidiantät und der Konsumtion Bedeutung gewinnen. 499 Aber die erste Annahme, daß sich das DVV auch auf die regelmäßigen oder typischen Begleitumstände erstrecke, ist falsch, die zweite, was die Hintergründe der Norm, die gesetzgebensehen Motive und Intentionen anbelangt, mit Vorsicht zu genießen und gilt auch nur für solche Strafzumessungsrealien, die notwendig und zwingend in allen Fällen der Tatbestandsverwirklichung gegeben sind. Bei anderer Auffassung über Sinn und Reichweite des DVV ist die Annahme eines Verstoßes gegen das DVV allerdings zwangsläufig und müßte der Berücksichtigung des zurücktretenden Gesetzes in der Strafzumessung in allen Fällen der Gesetzeskonkurrenz, also auch bei Subsidiantät und Konsumtion, entgegenstehen. 500 Erstaunlich ist nur, daß darauf nicht häufiger eingegangen wird, obwohl diese Interpretation des DVV weit verbreitet ist

498 Vgl. Schönlee I Schröder-Stree, vor § 52 Rdnr. 141 : "sofern die Umstände, die die Erhöhung der Strafe begründen sollen, nicht schon zu den Merkmalen des primären Delikts gehören"; ebenso Vogler, Bockelmann-FS, S. 719, Fn. 33 mit dem Hinweis darauf, das sei die h.M.; ähnl. Jescheck, AT, § 69 I 2: "Zum anderen steht der Mitberücksichtigung des ausgeschlossenen Gesetzes bei der Strafzumessung nicht selten(?) die Tatsache entgegen, daß dessen Merkmale im Tatbestand des anzuwendenden Gesetzes bereits enthalten sind (Verbot der Doppelverwertung)"; was der Hinweis von A.bels, Klarstellungsfunktion, S. 30 und Jakobs, AT, 31. Abschn. Rdnr. 38 bedeuten soll, das DVV greife aber dann nicht ein, wenn die Frage der "Quantität" in Rede stehe, bleibt ebenfalls unklar. 499 Fuchs,

Gesetzeskonkurrenz, S. 135. -Wie Fuchs, nachdem er Spezialität, Konsumtion und Subsidiarität praktisch ausgeschieden hat, überhaupt noch zu dem Schluß gelangen kann, das zurücktretende Gesetz dürfe in der Strafzumessung berücksichtigt werden (S. 131) und welche Fälle es sind, in denen das gilt, ist unerfmdlich und nur daraus erklärlich, daß er die Frage, wann das verdrängte Gesetz Berücksichtigung fmdet, nicht als ein primäres Problem der Lehre von der Gesetzeskonkurrenz ansieht, sondern als ein allgemeines Problem der Strafzumessungslehre, in deren Rahmen er es verweist (S. 135). 500 Daß diese Frage der Gesetzeskonkurrenz vom Verständnis des DVV- insbesondere von dessen Reichweite - abhängt, erkennt auch Wegscheider, Konkurrenz, S. 212, Fn. 40.

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Zweiter Teil: Das Regeltatbild in der Konkurrenzlehre

und bis vor kurzem als durchaus herrschend bezeichnet werden konnte. Der Grund dafiir ist wohl, daß hier zwei Sachbereiche angesprochen sind, "die lange Zeit in ihrer Bedeutung nicht genügend erkannt, zum Teil sogar vernachlässigt worden sind". SOl Wer fiir die Berücksichtigungsfähigkeit des zurücktretenden Gesetzes in den Fällen der Konsumtion plädiert, kann dazu überhaupt nur aufgrund eines neuen, die regelmäßigen oder typischen Begleitumstände ausschließenden Verständnisses des DVV kommen, wie es die jüngste Samenergußentscheidung nahelegt. Trotzdem ist die verbreitete Meinung der Rechtsprechung in der Pauschalität nicht haltbar, mit der sie den strafschärfenden Einfluß der zurücktretenden Tatbestände auf die Strafzumessung aus dem primären Gesetz reklamiert. Sie übersieht das Zusammenspiel und die Bedeutung des Regeltatbildes bei der Konsumtion und in der Strafzumessung und zeigt damit, wie Geerds zu Recht bemerkt, 502 daß weder die Vorgänge bei der Strafzumessung noch das Wesen der Gesetzeskonkurrenz bisher deutlich genug erkannt worden sind. d) Folgerungen aus dem Regeltatbild

Die Beachtung des "Regeltatbildes" in der Strafzumessung bedeutet nicht, wie das DVV, daß die davon erfaßten Umstände fiir die Strafzumessung gänzlich ausschieden oder bedeutungslos würden, als Strafzumessungstatsache (Realgrund) bleiben sie bestehen. Es gebietet aber, die Festlegung der Bewertungsrichtung daran zu orientieren. Es setzt damit den "Nullpunkt" der Bewertungsrichtung und erlaubt so, gewisse Ausprägungen von Tatbestandsmerkmalen einerseits und bestimmte Umstände andererseits, die der Tat regelmäßig oder typischerweise vorausgehen, sie begleiten oder ihr nachfolgen, in ihrer Gänze als "neutral" anzusehen. Dies sind aber - wegen Deckungsgleichheil der Definition fiir das strafzumessungsrechtliche "Regeltatbild" und die Konkurrenzerscheinung bei der Konsumtion -exakt die Umstände, die auch die Merkmale des sekundären Gesetzes bei der Konsumtion ausfiillen. Solche "regelmäßig oder typischerweise" mitverwirklichten Delikte sind daher a priori fiir die Strafzumessung neutral. Das gilt einschränkungslos fiir alle konsumierten Begleitdelikte, die im Falle echter Konkurrenz in Tateinheit zu dem primären Delikt stünden, fiir die sog. mitbestraften Vor- und Nachtaten freiSOl Bruns, JR 1982, 166 zu den Auswirkungen der Konkurrenzlehre, genauer der Gesetzeskonkurrenz, auf die Strafzumessung.

502 Geerds,

Konkurrenz, S. 232, Fn. 490.

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lieh nur mit der Einschränkung, daß man dort nicht auf das Typizitätserfordernis verzichtet, wie gelegentlieb vorgeschlagen worden ist. S03 Keinem vernünftigen Richter würde einfallen, sagt Baumann, bei der Strafzumessung wegen Totschlags die Sachbeschädigung an den Kleidem des Opfers strafschärfend zu berücksichtigen.504 - zumindest liest man kein Urteil, in dem das geschehen wäre, obwohl es doch in neunundneunzig von hundert Fällen eine Rolle gespielt haben muß und nach der Rechtsprechung nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten sein soll, dies auch zu berücksichtigen. Warum dem nicht so ist, darüber ist viel spekuliert worden: Honig fragt, ob eine Bestrafung vielleicht deshalb unterbleibe, weil der Ermordete den zur Verfolgung erforderlichen Strafantrag nicht mehr stellen könne und der Gerettete, falls der Schuß nicht tödlich war, den Strafantrag in aller Regel nicht stellt, weil ihm die Beschädigung des Hemdes in Anbetracht der Rettung seines Lebens nebensächlich erscheine. 505 Ein in der Natur der Sache begründeter, nämlich von dem Ablauf und der Struktur der Strafzumessungsentscheidung vorgegebener Grund liegt hier - in der Bedeutung des "Regeltatbildes" bei der Strafzumessung. Einen schweren Denkfehler begeht, wer meint, daß derlei Umstände stets strafschärfend zu Buche schlagen müßten. Das Gegenteil ist der Fall: Sollten solche Umstände, die das konsumierte Delikt ausffillen, bzw. das normalerweise mitverwirklichte Delikt selbst, im Einzelfall einmal fehlen, so wäre das, gemessen am Regeltatbild, strafmildernd zu beurteilen. Das ist in Wahrheit längst erkannt worden: Montenbruck meint, kritisch sei zu fragen, "warum denn die Praxis es bislang nicht als strafmildernd angesehen hat, wenn der Täter einmal die Voraussetzungen des milderen Delikts, das üblicherweise zusammen mit dem schwereren begangen wird, nicht erffillt hat. "506 Er meint, die Mitverwirklichung des Nebenunwertgehalts gehöre "zum typischen Tatbild" des primären Delikts, nur sein Fehlen im Einzelfall könne das Gericht in der Strafzumes-

503 Statt vieler LK-Vogler, vor§ 52 Rdnr. 113 . .504Noch einmal Baumann, MDR 1959, 11. 505 Honig, S. 14. - Baumann, MDR 1959, 11 f und Puppe, GA 1982, 159 verweisen, wie dargelegt, auf die Einstellungsmöglichkeiten der Strafprozeßordnung; Geerds, Konkurrenz, S. 217, Fn. 404 setzt bei seinen Betrachtungen vorsichtigerweise voraus, daß das Opfer vor seinem Verscheiden Strafantrag stellt und außerdem eine Einstellung des Verfahrens abgelehnt wird. 506 Montenbruck, Strafrahmen, S. 172.

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sung berücksichtigen. !IJ? Er denkt dabei vor allem an die Konsumtion, nämlich an den EinbruchdiebstahL sos Dort kommt auch Blei zu dem Ergebnis: Es müsse davon ausgegangen werden, daß die §§ 123, 303 StGB in der Strafdrohung des § 243 Nr.l StGB schon in Ansatz gebracht seien und bei der Zumessung der daraus zu entnehmenden Strafe gegebenenfalls "berücksichtigt werden kann, daß ausnahmsweise einmal einer dieser Tatbestände bei Begehung des Einbruchdiebstahls nicht verwirklicht wurde". !IJ9 Sauer will zwar die Berücksichtigung des ausgeschlossenen Gesetzes in der Strafzumessung zulassen - aber nur, "wenn beim Einbruchdiebstahl die Sachbeschädigung besonders schwer ist". 510 Das liefe auf dasselbe hinaus. Der Unwertüberhang, den Seier in den Fällen der Konsumtion bei dem Täter sieht, der im Vergleich zu einem anderen mehr verwirklicht hat,SII stellt sich bei genauer Betrachtung als ein "Unwertunterhang" bei demjenigen Täter heraus, der ausnahmsweise nicht das zusammengehörende Delikt mitverwirklicht bat. Es macht in puncto Schlechterstellung auch keinen Unterschied, ob man die Verwirklichung zusätzlicher Delikte als schärfend, oder aber im umgekehrten Falle ihr Fehlen als strafmildernd ansehen will. Die befürchtete Schlechterstellung des einen gegenüber dem anderen Täter tritt also nicht ein. e) Fazit So kann schließlich der Satz aufrecht erhalten werden, daß im Falle der Gesetzeskonkurrenz das verdrängte Gesetz keinen Einfluß auf die Strafzumessung nimmt, wie es eingestandenerweise der Dogmatik bei der Gesetzeseinheit besser entspricht. Die Tatsache, daß nicht ein sondern mehrere Gesetze verletzt sind, wirkt sich in der Tat nicht aus. Im Falle der Spezialität folgt dies, wie schon fast allgemein anerkannt ist, aus dem Doppelverwertungsverbot. Im Falle der Konsumtion ergibt es sich aus der Bedeutung des davon verkörperten Regeltatbildes in der Strafzumessung. Auch hier wirkt sich die Tat!IJ? Montenbruck,

Strafrahmen, S. 171.

sosVgl. Montenbruck, Strafrahmen, S. 172- für den Einbruchdiebstahl vorsichtig zustimmend, sonst aber krit. Fuchs, Gesetzeskonkurrenz, S. 133. 509 Blei,

AT, § 96 II 3 a.

510 Sauer, 511 Vgl.

Allgem. Strafrechtslehre, § 29 111.

Seier, Jura, 1983,236.

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sache, daß weitere Gesetze verletzt sind, nicht aus. Die Umstände, die die Tatbestandsmerkmale des verdrängten Gesetzes ausfüllen, schlagen nicht zu Buche. Denn sie sind "strafzumessungsneutral". Lediglich die konträre Tatsache, daß ein solches Gesetz im Einzelfall einmal nicht mitverwirklicht ist, die es erfüllenden Tatsachen also fehlen, hat Bedeutung. Dann wirkt sich aber nicht deren Vorliegen, sondern gerade deren Nichtvorliegen aus, und zwar zwingend strafmildernd - nicht etwa, wie Dünnebier meint, nach pflichtgemäßem Ermessen. 512 Das Prädikat strafmildernd I strafschärfend kommt den Umständen zwar aufgrundeiner Wertung zu, aber diese Wertung erfolgt im Falle der Konsumtion nicht erst auf Strafzumessungsebene, sondern schon bei der gutachtlichen Feststellung der eingreifenden Tatbestände, nämlich bei der Feststellung der Gesetzeskonkurrenz bei den betreffenden Tatbeständen selbst. Die spätere Entscheidung über die Bewertungsrichtung dieser Strafzumessungsfaktoren bei der Strafzumessung aus dem eingreifenden Gesetz ist damit bereits vorgegeben: Die Bewertung solcher Umstände als neutral (im Falle ihres Gegebenseins) und als strafmildernd (im Falle ihrer Abwesenheit) ist die zwingende Konsequenz aus dem "Regeltatbild" als Bezugspunkt dieser Wertung. Damit ist die Einheitlichkeit der Rechtsfolgen in den Fällen der Gesetzeskonkurrenz wiederhergestellt. Der Unterschied - bei der Spezialität eine Auswirkung des DVV, bei der Konsumtion die Konsequenz aus dem Regeltatbild in der Strafzumessung - ist zwar tatsächlich nicht so sehr ein Problem der Gesetzeseinheit.m Wenn Vogler514 und Seier515 mit Rücksicht auf die verschiedenen Gründe für die Gesetzeskonkurrenz aber unterschiedliche Rechtsfolgen annehmen wollen, dann müssen sie auch sagen, worin dann eigentlich noch das Gemeinsame der "Gesetzeseinheit" bestehen soll, deren Voraussetzungen von Fall zu Fall so unterschiedlich wären wie ihre Rechtsfolgen. Nicht nur, daß sich ein gemeinsamer Name dafür kaum rechtfertigen ließe, zuzustimmen wäre auch den Bedenken von Puppe, 516 die das Entstehen zweier Klassen von Gesetzeskonkurrenz befürchtet, wenn das verdrängte Gesetz in dem einen Falle Einfluß auf die Straf512 Dannebier, GA 1954, 274: "Der Tatrichter hat es in seine Strafzumessungserwägungen einzubeziehen; ob er es straferschwerend berücksichtigt, unterliegt seinem pflichtgemäßen Ermessen." 513 Darin ist Fuchs, Gesetzeskonkurrenz, S. 135 zuzustimmen. 514 Explizit LK-Vogler, vor§ 52 Rdnr. 107. 515 Seier, Jura 1983, 236. 516 Puppe, ldealkonk., S. 315.

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zumessung nähme und im anderen Falle, nämlich bei der Spezialität, aufgrund des § 46 Abs. 3 StGB nicht verwertet werden dürfte. Deshalb soll Gesetzeskonkurrenz nach Puppe stets zum völligen Ausschluß der verdrängten Norm führen. 517 Dies zu fordern, fällt ihr freilich deshalb leicht, weil sie das Vorkommen von Gesetzeskonkurrenz stark einschränkt und im Ergebnis überall dort verneint, wo die h.M. die Verwertung in der Strafzumessung zuläßt. 518 Die Lösung ist aber nicht in der Reduktion der Gesetzeskonkurrenz auf den Fall der Spezialität zu suchen, man kann den anderen Fällen der Gesetzeskonkurrenz die Legitimität nicht einfach absprechen. Hier liefert das "Regeltatbild" die sachlich adäquate und dogmatisch folgerichtige Begründung. Der hier vertretenen Auffassung kommt die Theorie von Geerds am nächsten, der in allen Fällen der Gesetzeskonkurrenz, auch für den Fall der Konsumtion, am Prinzip des völligen Ausschlusses festhalten und den Einfluß auf die Strafzumessung verneinen will. 519

517 Sympathien für neuartige Konkurrenzkonzeptionen, wie die von Puppe, zeigen auch Geppert, Jura 1983, 427 (Schlußbemerkung) und Kienapfel, AT, S. 584 (Ausblick). 518 So auch Seier, JuS 1983, 233. 519 Sieht man genauer hin, so bleibt allerdings auch Geerds seinem Ausgangspunkt nicht treu, siehe Geerds, Konkurrenz, S. 167, Fn. 92; S. 190, Fn. 190; S. 230, Fn. 473 - darauf weist zu Recht Seier, Jura 1983, 233 hin; die hier vorgeschlagene Lösung deckt sich weitgehend auch mit den Überlegungen von Montenbruck, Strafrahmen, S. 170 ff - nicht aber mit dessen Lehre vom Kombinationstatbestand, S. 180 ff, der sie zur Begründung dienen.

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse Mit dem "Regeltatbild" hat ein Begriff Eingang in die Lehre von der Strafzumessung gefunden, der zunächst an ganz verschiedenen Stellen und in unterschiedlichen Zusammenhängen als Argument herangezogen wurde - beim Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB, bei der Festlegung der Bewertungsrichtung von Strafzumessungsfaktoren, bei der Frage des FehJens von Strafmilderungsgründen und den negativen Formulierungen, und der deshalb kaum klare Konturen gewonnen hat, obwohl er sich nicht nur in der Strafzumessungslehre, sondern auch in einem eng damit verwandten Teil der Verbrechenslehre, nämlich bei der Gesetzeskonkurrenz, als durchaus tragfähig und nahezu unentbehrlich erweist.

I. Mit dem Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB wird das logische Prinzip beschrieben, dem zufolge Merkmale, die schon an allen Stellen des Strafrahmens vorausgesetzt sind, nicht zur Differenzierung innerhalb dieses Rahmens verwendet werden können. Zum Geltungsgrund des sog. DVV sind zwar bisher auch andere Erklärungsversuche unternommen worden, insbesondere in der Literatur ist bislang die Begründung aus der angeblichen "Arbeitsteilung von Gesetzgeber und Richter" favorisiert worden, mit der man die Kompetenzbereiche von Gesetzgeber und Richter gegeneinander abschichten wollte, bei der aber unklar ist, wo sie beginnt und wo sie enden soll. Bei genauerer Durchleuchtung hat sich diese Erklärung jedoch als brüchig erwiesen, weil sich damit alles und nichts begründen ließ. Einfacher und plausibler war es, darin ein strikt logisches Prinzip zu sehen. Damit ließen sich alle Anwendungsfälle des DVV bei der Strafzumessung für die Einzelstraftat, seine Ausdehnung auf Merkmale von Regelbeispielen oder sonstigen benannten besonders schweren und minder schweren Fällen sowie auf unrechts- und schuldbegründende Merkmale und selbst seine Geltung bzw. vermeintliche Nichtgeltung bei unbenannten besonders schweren und minder schweren Fällen befriedigend begründen.

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Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

II. Ausgangspunkt der Untersuchung war die vielfach zu Recht als unbefriedigend empfundene Entscheidung BGHSt 37, 153 ff, daß der ungeschützt ausgeführte Geschlechtsverkehr und der Samenerguß bei der Vergewaltigung strafschärfend berücksichtigt werden könne (Leitsatz der Entscheidung). Es ging darin um die lange schwelende Frage, wie die Geltung des Doppelverwertungsverbotes hinsichtlich solcher Umstände und Merkmale der Tat zu beurteilen sei, die zwar nicht ausnahmslos auf alle Deliktsverwirklichungen der betreffenden Art zutreffen, dafür aber zu den regelmäßigen oder typischen Begleitumständen gehören. Regelmäßige und typische Begleiterscheinungen der Deliktsverwirklichung sowie regelmäßige und typische Tatfolgen waren von einer gutmeinenden Rechtsprechung und mit Billigung der Literatur bisher unter das Doppelverwertungsverbot gefaßt worden. Das wegen seiner herausragenden Bedeutung für die Strafzumessung zu Recht in die amtliche Sammlung aufgenommene, nach dem maßgeblichen Umstand benannte sog. Samenergußurteil offenbarte nicht nur die Differenzen, die sich bis dahin quer durch die Senate des obersten Gerichtshofs gezogen haben, sondern gab mit der sog. Vollendungslösung (oder: Minimumansatz) auch den Anstoß zu einer Umorientierung bei Umfang und Reichweite des Doppelverwertungsverbotes des § 46 Abs. 3 StGB, der auch im Schrifttum Beifall gefunden hat. Der Anwendungsbereich des DVV endet danach dort, wo der Täter über das Minimum dessen hinaus, was zur tatbestandliehen Vollendung gerade so erforderlich ist, mehr tut oder durch seine Tat andere Folgen verursacht als in allen Fällen der betreffenden Art auftreten. Im Ergebnis bestätigt der erkennende Senat damit die Geltung des logischen Prinzips im Rahmen des DVV.

111. Gleichzeitig offenbart die Entscheidung aber in besonderer Weise das Bedürfnis für ein zweites, das wertende Prinzip, das dem logischen zur Seite gestellt ist, aber einen anderen Standort in der phasenweisen Gliederung des Ablaufs der Strafzumessungsentscheidung hat, nämlich in der 3. Phase des Strafzumessungsaktes, wo es um die Festlegung der Bewertungsrichtung von Strafzumessungstatsachen geht. Das ist das "Regeltatbild" - also der Kreis von Umständen, die zwar nicht notwendig und zwingenderweise mit der Tatbestandserfüllung einhergehen, aber doch so "regelmäßig oder typischerweise" damit verbunden sind, daß man sie deshalb adäquaterweise nicht mehr zur Be-

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gründungdes Strafmaßes machen kann. Als Ausgangspunkt für die Wertung, ob schärfend oder mildernd, ist das Regeltatbild selbst "strafzumessungsneutral". Soweit Umstände damit übereinstimmen, wirken sie daher weder strafmildernd noch strafschärfend. Das "Regeltatbild", die Wertung, ist nötig zur Absicherung allein sinnvoller Ergebnisse, die das Doppelverwertungsverhot nicht unveränderlich garantieren kann, weil es von der jeweiligen Auslegung abhängig ist, die die Rechtsprechung den Begriffen gibt. Dessen Umfang reicht immer nur so weit, wie ein Umstand nach der gültigen Definition eines Begriffs unabkömmlich ist: Solange der "Beischlaf" als Tatbestandsmerkmal der Vergewaltigung die natürliche Vereinigung der Geschlechtsteile voraussetzte, solange war eben dieser Umstand auch vom Doppelverwertungsverbot umfaßt. Gibt man dem "Beischlaf" eine andere Auslegung, die das Eindringen des männlichen Gliedes in den sog. Scheidenvorhof genügen läßt, so ist auch die "Vereinigung" der Geschlechtsteile nicht mehr davon gedeckt, geschweige denn der "Samenerguß". Der Weg zur Verwertung in der Strafzumessung wäre frei. Daß bei einer Vergewaltigung aber das Eindringen des männlichen Gliedes in die Scheide nicht nur stratbarkeitsbegründend, sondern darüber hinaus auch gleich straferhöhend wirken soll, ist den Rechtsunterworfenen nicht verständlich zu machen, auf deren Vorstellungen eine sachgerechte und auf Akzeptanz in der Bevölkerung angewiesene Strafzumessung Rücksicht nehmen muß.

IV. Zur Vermeidung solcher, ebenso dem Rechtsgefühl wie den richtig verstandenen Zielen der Strafzumessung selbst widersprechenden und daher in ihrem eigenen Interesse zu vermeidenden Ergebnisse plädieren manche Stimmen für die Orientierung an bestimmten Fällen, nämlich entweder an dem sog. statistischen Regelfall oder an einem normativen NormalfalL Ursprünglich als "Einstieg" in den Strafrahmen herausgearbeitet, werden beide nunmehr auch in der vorausgehenden Phase der Strafzumessung dazu benutzt, die Bewertungsrichtung eines konkreten Umstandes als strafschärfend oder -mildernd festzulegen. So ist ein künstlicher Streit darüber entbrannt, ob dafür ein statistischer oder eher ein normativer Wert maßgeblich sein soll, während sich in Wahrheit längst herauszustellen begonnen hat, daß weder ohne das eine noch ohne das andere auszukommen ist. Das "Regeltatbild" ist beides: Indem es fragt, welche Umstände (statistisch) "regelmäßig" oder "typischerweise" (normativ) mit der Deliktsverwirklichung einhergehen, ihr

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Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

vorausgehen, sie begleiten oder ihr nachfolgen, vereinigt es beide Ansätze in sich.

V. Das hat die Frage aufkommen lassen, ob das "Regeltatbild" diesen beiden von der Rechtsprechung und der Lehre als Einstiegshilfe in den Strafrahmen entwickelten "Fixationspunkten", dem Regel- und dem Normalfall, auch in dieser späteren Phase der Strafzumessung zur Seite gestellt werden muß, wo es um die Einordnung des konkreten Falles in die Schwereskala aller denkbaren oder doch der vorkommenden Fälle geht, und ob von ihm auch dort Hilfe bei der Findung des richtigen Strafmaßes zu erwarten ist. Diese Hoffnung mußte enttäuscht werden. Zugleich ergab sich, daß der Wert einer "Einstiegsstelle" in dieser letzten Phase der Strafzumessung nach dem Brunsschen FünfPhasen-Modell geringer ist als gemeinhin angenommen und daß das Messen an einem immer gleichen Ausgangspunkt dort, anders als bei der Festlegung der Bewertungsrichtung, zu der das Regeltatbild dient, in Wahrheit gar nicht erforderlich ist.

VI. Dieselbe Funktion wie bei der Strafzumessung aus dem Einzelstraftatbestand hat das "Regeltatbild" in der Lehre von der Gesetzeskonkurrenz, bei der Konsumtion, wo es genau wie in der Strafzumessung definiert wird als diejenigen Gesetzesverletzungen, die zwar nicht zwingend und notwendig in allen Fällen der betreffenden Art - sonst läge bereits Spezialität vor -, dafür aber "regelmäßig oder typischerweise" mitverwirklicht werden. Denn dann kann der Unrechtsgehalt des einen Tatbestands vom anderen als mitabgegolten angesehen werden. In diesem Sinne bilden die Gesetze tatsächlich eine "Einheit" (Bewertungseinheit, "Gesetzeseinheit"), wenn man so will. Legt man das "Öffnen" eines "verschlossenen" Briefes im Sinne von § 202 Abs. 1 Nr. 1 StGB so aus, daß es gar nicht anders geht, als dabei den Umschlag zu beschädigen, dann ist § 202 StGB Iex specialis zur Sachbeschädigung. Will man aber auch ganz außergewöhnliche, möglicherweise besonders raffinierte Methoden der Verletzung des Briefgeheimnisses strafbar stellen und schraubt man deshalb die Anforderungen an das Eröffnen schrittweise zurück, dann besteht insoweit auch keine Spezialität mehr zwischen den Normen. Dennoch besteht "Gesetzeseinheit", und zwar in Form der Konsumtion: Statt des lo-

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giseben findet ein werteoder Einschluß statt. Bei den Konkurrenzformen ist die Unterscheidung zwischen Spezialität (logisches Prinzip) und Konsumtion (wertendes Prinzip) fest etabliert. Wenn auch die vielen Streitfragen auf dem Gebiet der Konkurrenzlehre und insbesondere bei der Gesetzeskonkurrenz die Geltung dieser Prinzipien zeitweilig völlig verdecken, so kann doch guten Gewissens gesagt werden, daß "Gesetzeskonkurrenz" nicht bei den Fällen logisch gegebener Spezialität endet. Die Fälle "annähernder Spezialität" werden doch überwiegend als Formen der Gesetzeskonkurrenz anerkannt, d.h. ebenfalls den für die Spezialität sich logisch ergebenen Regeln unterstellt und machen zusammen mit ihr das Phänomen der Gesetzeseinheit aus, bei dem wir dieselbe Unterscheidung vorfinden wie zwischen "Doppelverwertungsverbot" und "Regeltatbild".

VII. Der Spezialität liegt das begriffslogische Verhältnis der Subordination zugrunde, das voraussetzt, daß sämtliche Fälle, die die Voraussetzungen eines Tatbestandes erfüllen, auch einem anderen Tatbestand unterfallen. Das ist seit Klug, ZStW 68 (1956), 399 ff weitgehend anerkannt. Anderseits werden häufig gar nicht alle Fälle der Subordination der Spezialität zugerechnet, sondern Spezialität durch das Hinzutreten weiterer Tatbestandsmerkmale definiert, so daß zwar stets Subordination vorliegt, aber doch nur ein Ausschnitt daraus. Ganz eindeutige Fälle der Subordination werden der Subsidiarität zugeschlagen, die Subsidiarität wieder der Konsumtion und umgekehrt. Eine klare Systematisieruog der Gesetzeskonkurrenz ist nötig und anband der bestimmenden Prinzipien auch möglich: der Spezialität liegt das logische, der Konsumtion das wertende Prinzip zugrunde. Eine unglückliche Mischform stellt die Subsidiarität dar, weil sie sich einerseits wie die Spezialität bereits generellabstrakt aus dem Gesetz ergeben, andererseits über sie aber, wie bei der Konsumtion, eine Wertung entscheiden soll. Sie zieht ihre Berechtigung im wesentlichen aus der Tatsache, daß der Gesetzgeber gewisse Fälle der Gesetzeskonkurrenz im Gesetz bereits ausdrücklich geregelt hat. In diesem Fall bereitet die Zuordnung keinerlei Schwierigkeiten. Im übrigen handelt es sich um gewisse Sonderfälle, bei denen man dem Gesetzgeber zu unterstellen können glaubt, er habe eine solche Regelung konkludent (stillschweigend) getroffen. Das Fehlen definitorischer Einheitlichkeit und terminologischer Klarheit wird gerne unter Hinweis darauf heruntergespielt, daß die Einteilung nur klassifikatorische Bedeutung habe, in der Sache aber, nämlich bei der Annahme von 22 Fahl

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Gesetzeskonkurrenz, weitgehend Einigkeit bestehe. Darin läge aber nur dann ein Ausweg, wenn sich mit der Annahme von Gesetzeskonkurrenz auch tatsächlich immer die gleichen Rechtsfolgen verbänden. Solange dort der Grundsatz absoluter Deliktsexklusion galt, war das durchaus der Fall. Dieser Grundsatz ist von der Rechtsprechung jedoch gründlich aufgeweicht worden, indem sie die Berücksichtigung des verdrängten Gesetzes in der Strafzumessung zuließ, und schon melden sich Stimmen, die auch bei den Rechtsfolgen der Gesetzeskonkurrenz mit Rücksicht auf die sie jeweils tragenden Gründe, insbesondere aufgrund der Unterscheidung zwischen logischem Ausschlußprinzip (Spezialität) und wertendem (Konsumtion}, gruppenweise differenzieren wollen.

VIII. Indessen muß der Rechtsprechung auch hier widersprochen werden. Tätsächlich ist bei der Gesetzeskonkurrenz am Grundsatz völliger Deliktsexklusion (nicht nur für den Schuldspruch, sondern auch in der Strafzumessung) festzuhalten. Sinn der Gesetzeskonkurrenz ist es gerade, das Vorliegen echter Konkurrenz als scheinbar zu "entlarven" und nur ein Gesetz, das primäre, zum Nachteil des Täters heranzuziehen. Das ergibt sich für die Spezialität schon aufgrund des Doppelverwertungsverbotes des § 46 Abs. 3 StGB, das längst als allgemeines "Mehrfachverwertungsverbot" auch zur Begründung der Gesetzeskonkurrenz herangezogen wird und die Konkurrenzlehre so zuweilen bereits als einen Annex der Strafzumessungslehre erscheinen läßt. Mit dem Doppelverwertungsverbot läßt sich das Ausscheiden des zurücktretenden Gesetzes für die Strafzumessung bei der Konsumtion indes nicht erklären, wohl aber mit dem strafzumessungsrechtlichen "Regeltatbild". So ist auch im Hinblick auf die Konsumtion - nach allgemeiner Meinung das Sorgenkind unter den Erscheinungsformen .der Gesetzeskonkurrenz - am Ausscheiden des verdrängten Gesetzes (und der nur von ihm erfaßten tatsächlichen Umstände) für die Strafzumessung und damit an der Einheitlichkeit der Rechtsfolgen für alle Formen der "Gesetzeseinheit" festzuhalten. Gewinn und Eleganz des "Regeltatbildes" bestehen darin, dafür auch die richtige Begründung gefunden zu haben.

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