Zur Bedeutung der Herkunft des Richters für die Entscheidungsbildung [Reprint 2020 ed.] 9783112311561, 9783112300299


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German Pages 55 [56] Year 1973

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Fragestellung
I. Sozialprofil der Richter
II. Herkunft des Richters als Verhaltensdeterminante beim Entscheidungsprozeß
III. Das Gewicht des Faktors „Soziale Herkunft" für die richterliche Entscheidung
IV. Erkenntnis der möglichen Bedeutung der sozialen Herkunft als Gegengewicht gegen den möglichen Einfluß der sozialen Herkunft auf die richterliche Entscheidung
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Zur Bedeutung der Herkunft des Richters für die Entscheidungsbildung [Reprint 2020 ed.]
 9783112311561, 9783112300299

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Walther Richter Zur Bedeutung der Herkunft des Richters für die Entscheidungsbildung

Zur Bedeutung der Herkunft des Richters für die Entscheidungsbildung von Dr. Dr. Walther Richter Bremen

1973

P

J. Schweitzer Verlag • Berlin

ISBN 3 8 0 5 9 0 3 2 2 7 Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Satz: Fotosatz Prill, Berlin - Druck: W. Hildebrand, Berlin © 1973 J. Schweitzer Verlag Berlin. - Printed in Germany

Vorwort

Der Veröffentlichung liegt ein Vortrag zugrunde, den der Verfasser am 16. Mai 1972 auf einer Fortbildungsveranstaltung des Schleswig-Holsteinischen Richterverbandes in der Grenzakademie Sankelmark gehalten hat. Die Frage nach dem Einfluß der sozialen Herkunft der Richter auf die Rechtsprechung beschäftigt in zunehmendem Maße nicht nur die Richter selbst, sondern auch weite Teile der Öffentlichkeit. Gerade in einer Zeit gesellschaftlicher Wandlung unterliegt auch die Rolle des Richters dem Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen. Manche fordern den Richter als „Sozialrevolutionär", andere wünschen ihn als „Sozialingenieur" und wieder andere sehen in ihm nur den ,.Hüter von Recht und Ordnung". Ohne daß diese Problematik erörtert wird, will diese Veröffentlichung lediglich ein Bild von dem gegenwärtigen Stand der Forschung über das Sozialprofil der Richter und seine Bedeutung für den richterlichen Entscheidungsprozeß geben. An dieser Forschung sind Juristen und Soziologen in gleicher Weise beteiligt, und gerade dieser Dialog hat neue Wege und Erkenntnisse aufgezeigt. Wie in jeder Forschung hat die Klärung in Detailfragen eine Fülle von Fragen und Problemen aufgeworfen, für deren Lösung bestenfalls Arbeitshypothesen zur Verfügung stehen. Die Frage nach dem Einfluß der Herkunft der Richter auf die Rechtsprechung fuhrt in das komplexe Gebiet der richterlichen Entscheidungstätigkeit, an deren Klärung nicht nur dem Richter gelegen sein muß, bei deren Klärung wir aber erst am Anfang stehen und erst die Fragen stellen können, deren Beantwortung die angestrengte Arbeit noch vieler Forscher nötig haben wird. Bremen, im Dezember 1972.

5

Inhaltsverzeichnis

Seite Vorwort Fragestellung I.

II.

III.

5 9

Sozialprofil der Richter

12

1. Zum Verhältnis von Jurisprudenz und Rechtssoziologie

12

2. Empirische Erforschung des Sozialprofils der deutschen Richter a) Allgemeines b) Soziale Herkunft der Richter c) Konfessionszugehörigkeit und Schule d) Beruf des Schwiegervaters und des Ehegatten

15 15 17 22 25

Herkunft des Richters als Verhaltensdeterminante beim Entscheidungsprozeß

27

1. Empirische Untersuchung von Kaupen/Rasehorn

27

2. Rollentheoretischer Ansatz

30

3. Amerikanische Untersuchungen

33

4. Urteilsanalysen

35

5. Systemtheoretischer Ansatz

40

6. Ergebnis

45

Das Gewicht des Faktors „Soziale Herkunft" für die richterliche Entscheidung

46 7

Erkenntnis der möglichen Bedeutung der sozialen Herkunft als Gegengewicht gegen den möglichen Einfluß der sozialen Herkunft auf die richterliche Entscheidung

Fragestellung

Der Begriff „Klassenjustiz" hat wieder Bedeutung gewonnen. So schrieb der „Stern" im März 1972 in dem Report „Deutschland Deine Richter" 1 ): „Noch ärmer dran sind die Bürger, die vor den Richtern stehen. Denn sie werden von einem Berufsstand bestraft, der für das Verurteilen von Menschen nach Herkunft und Ausbildung einseitig ausgerichtet i s t . . . Die knapp 15 000 deutschen Richter urteilen zwar im Namen des Volkes, stecken aber in Wirklichkeit noch tief im Geist der Klassenjustiz von einst, als Richter im Auftrag des Landesfürsten Recht sprachen, das nur für die Beherrschten, nicht aber für die Herrschenden galt." Den Begriff „Klassenjustiz" hat Karl Liebknecht auf Befragen vor dem Reichsgericht im Jahre 1907 folgendermaßen umschrieben: „Unter Klassenjustiz verstehe ich die gesellschaftliche Erscheinung, daß das Richteramt nur von Angehörigen der herrschenden Klasse oder Klassen ausgeübt wird. Solche Richter vermögen, wenn sie über Angehörige anderer Bevölkerungsschichten zu befinden haben, naturgemäß nicht objektiv zu urteilen." 2 ) Wenn noch Ernst Fraenkel in seinem 1927 erschienenen Aufsatz „Zur Soziologie der Klassenjustiz" als Klassenjustiz eine Rechtsprechung bezeichnt, die „einseitig von den Interessen und Ideologien der herrschenden Klasse beeinflußt wird, so daß trotz formaler Anwendung des Gesetzes die unterdrückte

')

„Stern" Nr. 13/72 S. 3 2 , 3 3 .

2

Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften (Berlin, 1958), Bd. 2, S. 116 f.

)

9

Klasse durch die Handhabung der Justiz beeinträchtigt wird" 3 ), so hat schon Ludwig Bendix, der die Urteilstätigkeit des Richters mehr von der psychologischen als von einer polemischen oder politischen Seite her untersucht hat, 1927 das Schlagwort von der Klassenjustiz als „allzu mißverständlich" bezeichnet und die Ersetzung dieses Begriffs durch den der „Schichtenjustiz" gefordert, „deren besondere Eigenart es ist, daß sie ihren mit ihr gefühlsmäßig verbundenen Vertretern regelmäßig nicht zum Bewußtsein k o m m t . . ." 4 ). Wenn trotz solcher Einsichten und auch trotz aller Wandlungen in unserer Gesellschaft das Schlagwort von der Klassenjustiz erhalten geblieben ist, so beweist das die lange Lebensdauer emotional aufgeladener Begriffe, die freilich für diejenigen, die diesen Begriff verwenden, wie auch für diejenigen, die sich von diesem Begriff betroffen fühlen, eine wissenschaftliche Analyse zu verstellen drohen. Thomas Raiser 5 ) weist mit Recht daraufhin: Wer mit Klassenjustiz den Tatbestand erfassen will, „daß sich die Richter mehr oder weniger vollzählig aus der Mittelschicht rekrutieren, muß den in der Bundesrepublik herrschenden Zustand schon definitionsmäßig als Klassenjustiz bezeichnen" und kann nur dafür eintreten, „den Anreiz, Jurist zu werden, für die Arbeiterkinder zu verstärken oder die Klassenspaltung als solche abzuschaffen." Aber damit werden weitere Prüfungen verbaut. Daß gerade in unserer Zeit der Begriff „Klassenjustiz" wieder in vermehrtem Umfang gebraucht wird, liegt nicht so sehr an der zunehmenden Erkenntnis von der Bedeutung nicht reflektierter, der Mittelschicht entstammender Wertvorstellungen als vielmehr an der Wiederbelebung des Begriffs „Klassenkampf' in

3

)

Ernst Fraenkel, Zur Soziologie der Klassenjustiz, in Ernst Fraenkel, Zur Soziologie der Klassenjustiz und Aufsätze zur Verfassungskrise 1931-32, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Reihe „Libelli", Band CCLIV, S. 37 (41).

4

)

Ludwig Bendix, Die irrationalen Kräfte der zivilrichterlichen Urteilstätigkeit auf Grund des 110. Bandes der Entscheidungen des RG in Zivilsachen - Schlußbetrachtung, in Ludwig Bendix, Zur Psychologie der Urteilstätigkeit des Berufsrichters, Soziologische Texte Band 43, S. 253, 260 f.

5

)

Thomas Raiser, Einführung in die Rechtssoziologie, S. 30.

10

linksradikalen Kreisen, mit dem die sozialen Ungerechtigkeiten der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung überwunden werden sollen und das Ziel einer klassenlosen Gesellschaft intendiert wird. Im folgenden soll ohne Bezug auf eine Sozialutopie lediglich untersucht werden, inwieweit die für die „Klassenjustiz" weitgehend verantwortlich gemachte Herkunft der Richter aus der Mittelschicht über die Wertvorstellungen dieser Schicht nachweisbar die Rechtsprechung beeinflußt. Die Frage lautet, ob und inwieweit „schichtspezifische Verhaltensformen und Vorurteile zum Nachteil von Angehörigen niedriger Schichten unbewußt oder unreflektiert in die Entscheidung einfließen" 6 ). Dabei soll die Bedeutung der Herkunft der Richter für die Rechtsanwendung mit Hilfe von 4 Unterfragen näher geprüft werden: 1. Was wissen wir über die Herkunft der deutschen Richter? 2. Ist die Herkunft der Richter eine Verhaltensdeterminante für den Entscheidungsprozeß? 3. Läßt sich die Bedeutung dieser etwaigen Verhaltensdeterminante in ihrem Gewicht abschätzen? und schließlich, wenn wir eine solche Wirkung festgestellt haben, 4. Kann, ggf. wie kann einer unerwünschten Beeinflussung der Entscheidungstätigkeit des Richters durch seine Herkunft entgegengewirkt werden?

6

)

Thomas Raiser, aaO. S. 31.

11

I. Sozialprofil der Richter

1. Zum Verhältnis von Jurisprudenz und Rechtsoziologie Diese Fragen führen in ein Gebiet, auf dem Soziologen und Juristen gleichermaßen arbeiten und sich auch befehden. Das Verhältnis von Rechtssoziologie und Jurisprudenz ist kontrovers und durch viele Mißverständnisse getrübt: Auf der einen Seite stehen Soziologen, die mit messianischem Sendungsbewußtsein, einem unerhörten Schatz von Fremdwörtern und auch dem Akademiker kaum verständlichen Wortungetümen ausgestattet das Recht seines normativen Charakters weitgehend berauben und den Unterschied zwischen Sein und Sollen einzuebnen versuchen — auf der anderen Seite Juristen, die in der Defensive gegenüber dem Ansturm einer neuen, vermeintlichen Heilslehre die Dogmatik als ein geschlossenes System des geltenden Rechts verteidigen. Allerdings wird dieser „Idealtyp" jeweils nur vom anderen so gesehen und dargestellt, zumal es dann sehr viel leichter ist, sich mit einem so verzeichneten Soziologenoder Juristentyp auseinanderzusetzen und seine Unzulänglichkeit zu beweisen.

Man sollte endlich die Dinge realistischer sehen.

Die Rechtssoziologie untersucht den Zusammenhang zwischen Recht und Gesellschaft und sieht das Recht als Ergebnis gesellschaftlicher Prozesse sowie als Regulator gesellschaftlichen Handelns. Sie ist eine Wirklichkeitswissenschaft, die letztlich auch Alternativen aufzeigen kann, aber keine Wert- oder Normwissenschaft wie die Jurisprudenz. Sie kann nur sagen, was ist, und wo sie Urteile über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit von Werturteilen abgibt, überschreitet sie ihre Grenzen. 12

Dagegen fragt die Rechtsdogmatik als Normwissenschaft nach der Normativität, nach dem, was in einer konkreten Gesellschaft auf der Basis der Summe der geltenden Rechtsnormen, die sie in einen Kontext zu bringen versucht, rechtens sein soll. Im Bereich des lebenden Rechts sind Rechtsdogmatik und Rechtssoziologie miteinander verschränkt; denn in der Rechtswirklichkeit begegnen sich Recht und Sozialleben, Rechtsstab (dazu gehören Gesetzgeber, Justiz, Verwaltung, Anwalt) und Rechtsunterworfene. Die empirische Rechtssoziologie arbeitet das Tatsachenmaterial auf, ist Rechtstatsachenforschung, aus deren Material dann die theoretische Rechtssoziologie abstrakte Erkenntnisse über die Interdependenz von Recht und Gesellschaft herzuleiten versucht. Noch einen Schritt weiter geht die kritische Rechtssoziologie, die die ideologischen Voraussetzungen des geltenden Rechts und der Rechtsdogmatik analysiert, und dieser Teil der Rechtssoziologie ist es, in dem sich empirische, theoretische und kritische Elemente in einer Weise mischen, daß vielfach das spekulative Element die Überhand gewinnt und der kritische Ansatz vom Ideologischen zurückgedrängt wird. In der Wirklichkeit werden empirische, theoretische und kritische Rechtssoziologie meist nicht getrennt gehalten, vielmehr liegen die Bestrebungen nach Erfassen der Rechtswirklichkeit, nach Erkennen allgemeiner Beziehungen zwischen Rechtswirklichkeit und Gesellschaft und nach kritischer Aufarbeitung der Rechtswirklichkeit miteinander im Gemenge, jedoch sollte die Trennung der einzelnen Bereiche der Soziologie festgehalten werden, um das Verhältnis von Rechtssoziologie und Rechtswissenschaft im Sinne einer soziologischen Jurisprudenz bestimmen zu können 7 ). Der soziale Sachverhalt ist gemeinsamer Untersuchungsgegenstand der Jurisprudenz wie der empirischen Soziologie. In der Jurisprudenz ist die volle Kenntnis des sozialen Sachverhalts die Voraussetzung für die Rechtsanwendung, wie dies auch für die Rechtspolitik hinsichtlich der Rechtsetzung gilt.

7

)

Zum Vorstehenden vgl. Manfred Rehbinder, Grundlagen der Rechtssoziologie, in Manfred Rehbinder, Einführung in die Rechtssoziologie, S. 1 - 1 2 .

13

Dieser soziale Sachverhalt wird mit Hilfe der Wertungen an dem durch die Dogmatik verdichteten Rechtssystem mehr oder weniger geschlossener oder offener Art und an dessen vorgegebenen festen oder offenen Begriffen gemessen. Für die Soziologie geht der Weg von der Erfassung der Rechtswirklichkeit des sozialen Sachverhalts zur Ableitung allgemeiner Erkenntnisse über das Verhältnis von Gesellschaft und Rechtswirklichkeit in der theoretischen Rechtssoziologie zur Hinterfragung der ideologischen Voraussetzungen von Rechtswirklichkeit einschließlich der Rechtsdogmatik bis zum Aufbau einer kritischen Rechtssoziologie und -theorie. Das gemeinsame Substrat ist daher für Jurisprudenz wie für die Rechtssoziologie die Erfassung der Rechtswirklichkeit, und je näher die Soziologie dieser Rechtswirklichkeit ist, umso unmittelbarer ist ihre Auswirkung auf die Jurisprudenz, aber je mehr sich die Rechtswissenschaft in der Dogmatik und je mehr die Soziologie sich in Theorie und in Kritik von diesem Substrat löst, umso weniger unmittelbar sind die gegenseitigen Einflußnahmen. Andererseits sind sie dort, wo sie bestehen, umso bedeutungsvoller, weil sie über das Konkret-Empirische hinausgehend den abstrakt-theoretischen und ideologischen Bereich betreffen. Gleichzeitig wird mit der notwendig größeren Abstraktionshöhe bei zunehmender Entfernung vom empirischen Sachverhalt die Möglichkeit, das angestrebte Ziel gegenseitiger Einflußnahme durch adäquate Erfassung und Verarbeitung des gesellschaftlichen Sachverhalts zu verfehlen, größer, weil die in jeder Wissenschaft notwendigen Verallgemeinerungen bei der Bildung von Begriffen und Theorien nur durch Weglassen von nicht als relevant erachteten Merkmalen erzielt werden können, damit die Gefahr, Relevantes auszuschließen, umso größer wird, je abstrakter der Begriff oder die Theorie wird. Auch hierin steckt das Problem der Wertung, und zwar in gleicher Weise beim Juristen wie beim Soziologen. Die Bedeutsamkeit der Abstraktion für die juristische wie für die soziologische Beurteilung eines empirischen, sozialen Sachverhaltes und damit auch die Bedeutsamkeit der Wertung in den beiden Wissenschaftsbereichen, die beide vom sozialen Sachverhalt ausgehen und daher Gesellschaftswissenschaften sind, von denen aber in der Rechtswissenschaft die Beziehung zum Rechtssystem, in der Rechtssoziologie die Beziehung zur Gesellschaftstheorie gesucht wird, 14

gilt es festzuhalten, und die Wertung ist das zentrale Problem sowohl in diesen beiden Disziplinen wie auch in ihrem Verhältnis zu-einander. Aus diesen rein theoretischen Überlegungen ergibt sich, daß bei dem gegenwärtigen Stand der Rechtswissenschaft und der Rechtssoziologie verallgemeinernde Schlüsse nur mit größter Vorsicht gezogen werden dürfen. Andernfalls verfällt man der Gefahr, aufgrund der Erkenntnisse aus einem Teilbereich ein holistisches System aufzubauen, dJi. man verfällt ideologischer Verallgemeinerung, die gerade dadurch gekennzeichnet ist, daß eine partiell sinnvolle Aussage in unangemessener Weise zu einem Gesamtsystem erweitert wird.

2. Empirische Erforschung des Sozialprofils der deutschen Richter

a) Allgemeines Die empirische Rechtstatsachenforschung steckt noch in den Anfängen, und doch wäre sie in größtmöglicher Breite durchgeführt die verläßlichste Grundlage für weiterführende Theorie oder Kritik. Solange aber solche Untersuchungen fehlen, die recht mühsam sind und jeweils nur ein Mosaiksteinchen für ein Gesamtbild liefern, wird es dabei sein Bewenden haben, daß die empirische Untersuchung eines kleinen Teilbereichs Anlaß und Grundlage für Theorieund Kritikbildung gibt. Die Wertung ist demnach die Nahtstelle, an der der soziale Sachverhalt mit dem Rechtssystem einerseits und auch mit der Theorie oder Kritik der Rechtssoziologie andererseits zusammengebracht wird. Es ist daher nur verständlich, wenn die Rechtssoziologie gerade dort mit empirischen Untersuchungen begonnen hat, wo dieser Wertungsprozeß stattfindet, d.h. beim richterlichen Entscheidungsprozeß und damit auch bei der Person des Richters, und die Frage nach dem Verlauf des richterlichen Entscheidungsprozesses sowie nach den für diesen Wertungsprozeß maßgebenden Umständen stellt und zu beantworten versucht. 15

Diese Fragestellung, die in den USA schon seit längerer Zeit und in Deutschland seit einigen Jahren Untersuchungen zur Soziologie der Richter veranlaßte, verfolgte in diesen beiden Ländern unterschiedliche Ziele: In den USA, wo der Behaviorismus, eine verhaltensorientierte philosophische Betrachtungsweise, den Boden für Psychometrie, für die statistische Erfassung seelischer Vorgänge, vorbereitet hatte und die Anwaltstätigkeit die dominierende juristische Berufsarbeit darstellt, richtete sich die empirische Untersuchung auf die Möglichkeit, eine konkrete richterliche Entscheidung aufgrund vorhergehenden Entscheidungsverhaltens vor allem eines Kollegiums und hier wieder des Supreme Court vorauszubestimmen. In Deutschland dagegen, wo der Richter der beherrschende juristische Beruf ist und wo der häufige Wechsel unserer Verfassung in den letzten 100 Jahren (von der Monarchie zur Weimarer Demokratie, dann zum Nationalsozialismus und schließlich zum sozialen Rechtsstaat des Bonner Grundgesetzes) sich auch in den richterlichen Entscheidungen niederschlug, stand die Frage nach den den Richter bestimmenden Wertvorstellungen und ihrem Einfluß auf die richterliche Entscheidung im Vordergrund, d.h. letztlich die Stellung des Richters im System der Gesellschaft.

Die Tatsache, daß in den USA und in Deutschland die gleiche Frage, nämlich „Wie entscheiden die Richter? etwa zu gleicher Zeit gestellt wird, aber bedingt durch die verschiedene geistesgeschichtliche und politische Situation in den beiden Ländern — methodisch und systematisch völlig verschieden angegangen wird, zeigt einerseits den heute bestehenden internationalen Zusammenhang wissenschaftlichen Arbeitens, andererseits aber auch, daß selbst auf dem Gebiet einer rein pragmatisch-empirischen Untersuchung des gleichen kleinen Ausschnittes der Rechtswirklichkeit Ort und Umstände Unterschiedlichkeiten in der Methode und im Forschungsziel bewirken. Die hier gestellte Frage selbst ist deshalb ein Beispiel dafür, daß auch die Soziologie von Wertungen bestimmt wird, die selbst wieder die empirische Untersuchung bestimmen. Das hat aber gleichzeitig den Vorzug, daß die Untersuchung der gleichen Frage unter verschiedener Blickrichtung zu einer besseren Erfassung der Rechtswirklichkeit führen kann, wenn die in den betreffenden Ländern erzielten Ergebnisse ausgetauscht und verglichen werden, um einen möglichst umfassenden Uberblick über einen derartigen Teilbereich zu erhalten.

16

bj Soziale Herkunft der Richter In den letzten Jahren ist in Deutschland sehr viel über das Sozialprofil der deutschen Richter gearbeitet worden, so daß auf diesem Gebiet verhältnismäßig umfassende Ergebnisse vorliegen: A. Wagner faßte 1959 in seiner Monographie „Der Richter" das damals vorhandene Material zusammen. Zwingmann 8 ) stellte 1966 die soziale Herkunft, das Sozialprestige, Stellung und Arbeit des Richters in der Bundesrepublik dar. Ralf Dahrendorf hatte sich erstmals 1960 zur Richtersoziologie aufgrund meiner Untersuchung 10 ) über die Daten der Richter der Oberlandesgerichte geäußert und behandelte später mehrfach dieses Thema 11 ). 1968 wertete ich 12 ) die Personaldaten der in den Jahren 1961 bis 1965 eingestellten 2062 Richter der Bundesrepublik aus. Wolfgang Kaupen hat seiner 1969 erschienenen Schrift „Die Hüter von Recht und Ordnung" außer der Auswertung der bereits vorliegenden Statistiken das Ergebnis einer 1965 durchgeführten Umfrage bei allen Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen, bei jedem 30. Anwalt (bei einer Ausfallquote von ca. 60% in Wirklichkeit bei jedem 75. Anwalt) sowie bei jedem 30. Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit und Staatsanwalt (bei einer Rücklaufquote von etwa 50% in Wirklichkeit bei jedem 60.) 13 ) zugrunde8

)

Klaus Zwingmann, Zur Soziologie der Richter in der Bundesrepublik, 1966.

9

)

Ralf Dahrendorf, Bemerkungen zur sozialen Herkunft und Stellung der Richter an Oberlandesgerichten, in Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 5. Jahr (1960), S. 260.

10

)

Waither Richter, Die Richter der Oberlandesgerichte der Bundesrepublik, in Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 5. Jahr (1960), S. 241.

)

z.B. Zur Soziologie der juristischen Berufe in Deutschland, in Anw.Bl. 1964, 216; Zur Soziologie des Richters, in DRiZ 1965, 5; Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, 1966, S. 260.

12

)

Walther Richter, Zur soziologischen Struktur der deutschen Richterschaft, 1968.

13

)

Wolfgang Kaupen, Die Hüter von Recht und Ordnung, S. 226, 227.

n

17

gelegt. Diese gleiche Umfrage wird von Kaupen und Rasehorn in ihrer 1971 erschienenen Schrift „Die Justiz zwischen Obrigkeitsstaat und Demokratie" 1 4 ) wiederum ausgewertet. Dieser Fragebogen, der für beide Untersuchungen verwandt wurde, umfaßt nicht nur statistische Daten, sondern auch Fragen, deren Beantwortung Rückschlüsse auf die Mentalität des Befragten erlauben soll, so daß dann im Wege der Korrelierung dieser Antworten mit den sozialen Daten Rückschlüsse auf einen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Mentalität gezogen werden. In ähnlicher Weise hat Axel Görlitz in seinem Buch „Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland" (1970) durch Fragebogen, die allerdings aufgrund von Interviews ausgefüllt wurden, 70 von 80 Richtern der hessischen Verwaltungsgerichte (bei etwa 700 Richtern in der Verwaltungsgerichtsbarkeit der Bundesrepublik) untersucht. Walter Weyrauch hat das Sozialprofil des deutschen Juristen 1964 in seinem Buch „The Personality of Lawyers" durch DeutungTängerer, nicht an bestimmte Fragen geknüpfter Interviews mit deutschen und einigen ausländischen Juristen zu erarbeiten versucht. Jedoch stehen naturgemäß in unserer Zeit einer zweiten Aufklärung, in der möglichst viel more geometrico nach Maß, Zahl und Gewicht erfaßt werden soll, die statistischen Aussagen im Vordergrund. Die „Facts" betreffend die Herkunft der deutschen Richter stehen im wesentlichen fest und sind kaum anzuzweifeln, wenn sie auch für den mit den Dingen Vertrauten nicht überraschend sind. Da wir heute von Klassen im Sinne von Karl Marx nicht sprechen können und dieser Begriff auch emotional stark belastet ist, hat sich in der soziologischen Literatur weitgehend das Schichtenmodell durchgesetzt, wie es auch in der amerikanischen Soziologie üblich ist. Hiernach werden zwei große Schichten unterschieden: die Mittelschicht und die Unterschicht, die jeweils in eine obere und untere Gruppe zerfallen, so daß wir hiernach unterscheiden können: a) obere Mittelschicht: frei Berufe, Akademiker, Beamte des höheren (und 14

)

18

Wolfgang Kaupen/Theo Rasehorn, Die Justiz zwischen Obrigkeitsstaat und Demokratie, 1971, S. 15 ff., 18.

z. T. auch des gehobenen) Dienstes, selbständige Geschäftsleute, leitende Angestellte; b) untere Mittelschicht: Beamte des einfachen bis gehobenen Dienstes, selbständige Gewerbetreibende und Handwerker, mittlere und einfache Angestellte, Selbständige und mitarbeitende Familienangehörige in der Landwirtschaft; c) obere Unterschicht: gelernte Arbeiter, Facharbeiter, abhängige Handwerker; d) untere Unterschicht: angelernte und ungelernte Arbeiter, abhängige Beschäftigte in der Landwirtschaft. Bei der deutschen Gesamtbevölkerung macht die obere Mittelschicht 4,6% der Bevölkerung aus, d.h. etwa 1/20, während die Richter und ihre Ehefrauen zu etwa 60% (50% ohne gehobenen Dienst) aus dieser Schicht stammen. Andererseits ist die untere Unterschicht mit etwa 40% an der Gesamtbevölkerung vertreten, bei den Vätern und Schwiegervätern der Richter aber mit etwa 1% bzw. 0,3%, d.h. die statistischen Werte sind kompensatorisch verstellt: Der Überrepräsentation der oberen Mittelschicht entspricht die Unterrepräsentation der Unterschicht. Bei den höheren Beamten und den Managern liegen die Verhältnisse ähnlich, jedoch ist der Anteil der oberen Mittelschicht etwas geringer, andererseits aber auch der Anteil der Unterschicht 15 ). Der Anteil der „Beamtenväter" bei den Richtern hat sich im Laufe einer Generation von 46% um 1/10 auf 41% vermindert. Die Lehrberufe spielen mit über 10% ebenfalls eine große Rolle. Gegenüber der Rekrutierung der Richter fast zur Hälfte aus Beamtenfamilien beträgt der Anteil der wirtschaftlichen Berufe etwa 1/3. Da die von mir 1959 untersuchte Herkunft der Richter der Oberlandesgerichte Richter betrifft, die etwa eine Generation älter als die später untersuchten Richter der Einstellungsjahre 1961 bis 1965 ist, ist die Veränderung für den Zeitraum

ls

)

Vgl. hierzu und zu den folgenden Zahlenangaben Walther Richter, Zur soziologischen Struktur der deutschen Richterschaft, S. 9 (Tabelle 3), 12 (Tabelle 4), 14 (Tabelle 5), 19 (Tabelle 9), 21, 38 (Tabelle 17).

19

einer Generation zu überblicken 16 ). Wenn noch eine Statistik aus dem Jahre 1927 herangezogen wird, zeigt sich, daß sich hinsichtlich der sozialen Herkunft der Richter, wenn der Vaterberuf zugrunde gelegt wird, kam etwas geändert hat. Ist demnach das Sozialprofll der Richter seit mehr als 4 Jahrzehnten im wesentlichen gleich geblieben, so dürften doch im Laufe des nächsten Jahrzehnts gewisse Änderungen zu erwarten sein. Lag der Anteil der Arbeiterkinder an der Zahl der Studierenden in den fünfziger Jahren bei etwa 5%, an der Zahl der Studentinnen bei etwa 2%, noch geringer bei den Jurastudenten bei etwa 3% und bei den Jurastudentinnen bei 1% bis 1,3%, so hat die Bildungspolitik der letzten Jahre mit Verbesserung der Chancen für Arbeiterkinder bereits erste Früchte getragen: Bei den Studienanfängern im Wintersemester 1970/71 und im Sommersemester 1971 beläuft sich der Anteil der Arbeiterkinder an der Gesamtzahl der Studierenden auf 12% bzw. 12,5%, an der Zahl der Studentinnen auf 10,0% bzw. 8,4%, an den Jurastudenten insgesamt auf 8,2% bzw. 6,0% und an den Jurastudentinnen auf 4,7% bzw. 5,0% 17 ). Dementsprechend ist der Anteil der Kinder von Akademikern zurückgegangen, und zwar von etwa 40% bei den Studenten der Rechtswissenschaft insgesamt und von etwa 55% bei den Studentinnen dieses Fachbereichs auf etwa 30% bzw. 40%. Diese Verschiebung, die freilich die erwähnte kompensatorische Verstellung noch unberührt läßt, aber doch in ihrem Ausmaß mindert, wird auch auf die Rekrutierung des Richternachwuchses - möglicherweise in geringerem Umfang - Auswirkungen haben. Dies wird erst durch eine spätere Erhebung — vielleicht in 5 — 10 Jahren — nachgewiesen werden können.

16

)

Wolfgang Kaupen (Besprechung der in N. 15 zitierten Schrift in Archiv für Rechtsund Sozialphilosophie, 1971 Heft 4) lehnt die Vergleichbarkeit der beiden Untersuchungen ab, da die erste nur beförderte Richter, die zweite den allgemeinen Richternachwuchs betreffe.

17

)

zu den Zahlen der Jahre bis 1960 vgl. Walther Richter, aaO., S. 16 f. und S. 18; zu den Zahlen des WS 1970/71 und des SS 1971 vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie A, „Bevölkerung und Kultur", Reihe 10 Bildungswesen V. Hochschulen WS 1970/71 S. 72 f. und SS 1971 S. 92 f.

20

Eine weitere Feststellung, die statistisch erhärtet ist, ist die, daß der Beruf des Richters wie überhaupt des Juristen ein urbaner Beruf ist, d.h. der Anteil der aus den Großstädten stammenden Richter ist größer als der Anteil der Einwohner der Großstädte an der Gesamtbevölkerung. Schließlich zeichnet den Richter eine geringe geographische Mobilität aus. Trotz der Vertreibung aus den Ostteilen des Deutschen Reiches waren fast 50% der 1959 an den Oberlandesgerichten beschäftigten Richter in ihrem Oberlandesgerichtsbezirk geboren, und von den jüngeren Richtern stammten 55% aus dem Oberlandesgerichtsbezirk, in dem sie arbeiteten. Eine interessante Parallele: In der doch als mobil geltenden Gesellschaft der USA waren 1967 von 124 District CourtRichtern nur 28% außerhalb ihres Bezirks (circuit) und 59% in ihrem Distrikt geboren 18 ). Es ist unverkennbar, daß die Mittelschicht bestimmend ist, und dieser Eindruck wird verstärkt, wenn noch die Berufe der Schwiegerväter und die der Ehefrauen hinzugenommen werden. Auch die Schwiegerväter gehören fast zu 50% der oberen Mittelschicht an, die Ehegatten ihrem Beruf nach aber nur zu etwa 30%. Daraus dürfte abzuleiten sein, daß für den sozialen Status zumindest der Ehefrau weniger ihr Beruf als der ihres Vaters maßgebend ist: Es wird z.B. nicht die kaufmännische Angestellte, sondern die Tochter des leitenden Angestellten geheiratet. Dahrendorf schloß schon aus der Erhebung über die Richter der Oberlandesgerichte auf gewisse typische richterliche Sozialcharaktere: z. B. der Sohn des Richters oder Rechtsanwalts aus einer Großstadt heiratet nach dem Studium in der nächsten Universitätsstadt die Tochter eines Akademikers oder eines Fabrikdirektors 19 ).

18

19

)

Lenneth M. Dolbeare, The Federal District Courts and urban public policy, in Joel B. Grossman and Joseph Tanenhaus, Frontiers of Judicial Research, 1969, S. 373, 386.

)

Ralf Dahrendorf, Bemerkungen zur sozialen Herkunft und Stellung der Richter an Oberlandesgerichten, aaO., S. 260, 265.

21

c) Konfessionszugehörigkeit und Schule Kaupen hat diese Daten durch Feststellungen über die Konfessionszugehörigkeit und die Art der besuchten Schule angereichert. Kaupen glaubt in der formellen Konfessionszugehörigkeit einen schwachen Einfluß der unterschiedlichen Glaubensvorstellungen zu erkennen, und zwar unabhängig von der Schichtzugehörigkeit und dem Status der Eltern 20 ). Dabei baut er auf Max Webers Religionssoziologie auf und meint, daß katholische Juristen eher zur Justiz als zur Anwaltschaft mit ihrem freien Wettbewerb neigen. Zwar wird diese Tendenz anhand allerdings sehr kleiner Zahlen noch bei Berufs- und Studienziel 21 ) erhärtet. Bei den nach Einkommen, Sicherheit, Erfüllung und Unabhängigkeit unterschiedenen Berufszielen 22 ) müßte das Einkommen beim innerweltlich orientierten protestantischen Juristen eine größere Rolle als beim katholischen spielen. Das ist jedoch nicht der Fall, und nun wird darauf hingewiesen, daß die Zahl von 21 bzw. 24 doch zu klein ist, um Schlüsse hieraus zu ziehen 23 ). Bei der Hochschulstatistik 1959/60 ist es auch bei den Berufswünschen der Jurastudenten noch umgekehrt: Hiernach will bei einem hinreichend großen Numerus ein etwas größerer Anteil der protestantischen Studenten Richter und Staatsanwalt und ein geringerer Anteil Rechtsanwalt werden, während beim Verwaltungsbeamten und Wirtschaftsjuristen die Anteile etwa gleich sind 24 ). Nun wird, da sich die bisherige Hypothese nicht bestätigt hat, ein zusätzliches Kriterium eingeführt, nämlich „die unterschiedliche Stärke der Bindung an religiöse Wertvorstellungen oder an die Verhaltensnormen" 2 5 ). Zwar wird dann ausgeführt, daß dieses Kriterium z. Zt. kaum feststellbar sei, aber dann werden die Berufswünsche der Jurastudenten aus dem

20

)

Wolfgang Kaupen, Die Hüter von Recht und Ordnung, S. 122.

21

)

aaO. S. 124 Tabelle 5 0

22

)

aaO. S. 125 Tabelle 51

23

)

aaO. S. 125

24

)

aaO. S. 126 Tabelle 5 2

25

)

aaO. S. 127

22

protestantischen Niedersachsen und aus dem katholischen Bayern mit denen der gesamten deutschen Jurastudenten verglichen 26 ), aber auch das ergibt keine Bestätigung der Hypothese. Endlich sprechen Statistiken aus Saarland, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen 27 ) für eine stärkere Neigung der Katholiken zum Richter und Staatsanwalt als bei den Protestanten, jedoch passen in dieses Bild die Rechtsanwälte nicht hinein. Aber nun 2 8 ) wird die Hypothese dahin modifiziert, daß die katholischen Rechtsanwälte als Organe der Rechtspflege eine ausgeprägte Orientierung an der Justiz haben, während die protestantischen Anwälte sich stärker wirtschaftsnahen Tätigkeitsbereichen widmen, und hierfür wird die Statistik der Einkommensverteilung herangezogen. Dabei wird aber übersehen, daß für eine verläßliche Aussage auch bekannt sein müßte, wo die jeweiligen Anwälte domizilieren und wie dort am Platz gerade die durchschnittliche Einkommenshöhe der Rechtsanwälte ist. Kaupen/Rasehorn sehen eine Bestätigung der These von der Bedeutsamkeit der Religionszugehörigkeit darin, daß ein größerer Anteil von Katholiken als Protestanten Staatsanwälte statt Richter werden, die durch das geschlossene hierarchische System der Staatsanwaltschaft stärker als die Richter gebunden sind 29 ). Dabei wird aber nichts darüber ausgesagt, ob die untersuchten Richter und Staatsanwälte auf dauernd als solche tätig sind oder in einem Lande amtieren, das einen Wechsel zwischen richterlichem und staatsanwaltschaftlichem Dienst kennt, so daß das Ergebnis möglicherweise nur Zufallscharakter hat. Diese Einzelfrage wurde nur deshalb ausführlicher dargestellt, weil sich hier ergibt, daß die Hypothese über ein wahrscheinlich nicht sehr aussagekräftiges Kriterium trotz unzureichenden und auch nicht hinreichend gegliederten Zahlenmaterials durchgehalten wird, um eine Bestätigung zu erlangen. Daß ein katholischer Anwalt sich im Verhältnis zu seinem protestantischen Kollegen mehr als Organ der Rechtspflege denn als Interessenvertreter fühlt, dürfte an der Wirklichkeit vorbeigehen. 26)

aaO.S. 127 Tabelle 53

27)

aaO. S. 129 Tabelle 5 4

28)

aaO. S. 128

29)

Kaupen/Rasehorn, Die Justiz zwischen Obrigkeitsstaat und Demokratie, S. 58 f.

23

Schließlich wird von Kaupen als weiteres Merkmal der Herkunft die Wahl der Schule untersucht. Was zu erwarten war, ergibt Kaupens Statistik 30 ), daß nämlich beim altsprachlichen und beim neusprachlichen Gymnasium mit Latein der Anteil der Jurastudenten nach dem der Philosophiestudenten am höchsten ist. Die Tatsache, daß der Anteil der Schüler vom humanistischen Gymnasium bei den Staatsanwälten höher als bei den Richtern ist, ist für Kaupen/Rasehorn 3 1 ) wieder ein Zeichen dafür, daß die Staatsanwälte konservativer sind. Dabei wird bei einem Numerus von 34 bei den Staatsanwälten der Unterschied von 7% zu den Richtern schon bei 2 Personen erreicht, so daß die Kleinheit der Zahl den Aussagewert stark beeinträchtigt. Die Tatsache des höheren Anteils der Schüler der Gymnasien mit Latein bei den Jurastudenten wird von Kaupen 32 ) dahin interpretiert, daß der humanistischen Bildung für das Studium der Rechtswissenschaften auch heute noch besondere Bedeutung beigemessen wird, die z. T. auf die ausgeprägte Verbindung zum römischen Recht und damit auf die bessere Voraussetzung für das Verständnis der Rechtsentwicklung durch die Kenntnis der lateinischen Sprache zurückgeführt wird. Für das heutige Studium, in dem das römische Recht keine große Rolle spielt, dürfte dem sicher keine Bedeutung zukommen. Auch dieses Kriterium der Art der besuchten Schule ist kaum aussagekräftig, und seine Behandlung bei Kaupen und bei Kaupen/Rasehorn macht wiederum darauf aufmerksam, daß es nicht genügt, eine Hypothese aufzustellen und diese durchzuhalten, vielmehr erfordert es die wissenschaftliche Ehrlichkeit, daß Bedenken, die aus der kleinen Zahl oder der geringen Aussagekraft unterschiedlicher Prozentsätze herrühren, offengelegt und diskutiert werden. Bei Zugrundelegung der bisherigen deutschen Untersuchungen dürfte weder der Konfessionszugehörigkeit noch der Schulart, die der einzelne besucht hat, eine entscheidende Bedeutung für das Sozialprofil des deutschen Richters beizumessen sein.

30

)

Kaupen, aaO. S. 144, Tabelle 63.

31

)

Kaupen/Rasehorn, aaO., S. 60.

32

)

Kaupen, aaO. S. 145.

24

d) Beruf des Schwiegervaters und des Ehegatten In der Untersuchung über die von 1961 bis 1965 eingestellten Richter 33 ) ist die Schichtzugehörigkeit des Vaters, des Schwiegervaters und des Berufes der Ehefrau miteinander in Beziehung gesetzt worden. Wenn für eine Korrelierung dieser Faktoren den Schichten des Schwiegervaters und des Ehegatten eine bestimmte Wertzahl, bezogen auf die Herkunftsschicht des Richters, beigemessen wird, dann kann Gleichheit aller drei Schichten, Schichtabstieg durch Heirat - sei es nach Beruf des Schwiegervaters oder des Ehegatten - und Schichtaufstieg rechnerisch dargestellt werden, ebenso wie ein Mittelwert zwischen größtmöglichem Aufstieg und größtmöglichem Abstieg feststeht. Bei der oberen Mittelschicht, über der keine weitere Schicht ist, gibt es neben Schichtgleichheit nur einen Schichtabstieg, aber dieser hält sich sehr in Grenzen. Der als äußerster Wert erreichte Mittelwert beträgt nur 4,4%, während bei über 50% entweder Schichtgleichheit oder nur eine Verschiebung um eine Schicht bei einem der drei Werte vorliegt. Berücksichtigt man weiter, daß die Unterschiede zwischen den Schichten fließend sind, dann kann hier eine ziemliche Schichtenfestigkeit festgestellt werden. Je weiter in der Schichtenskala der Beruf des Vaters sich von der oberen Mittelschicht entfernt, umso stärker ist der Trend zum Schichtaufstieg, d. h. es ist eine deutliche Tendenz dahin abzulesen, daß der Richter, der aus einer niedrigeren Schicht als der oberen Mittelschicht, seiner „Berufsschicht", kommt, bemüht ist, sich der oberen Mittelschicht, der er kraft Berufes nunmehr angehört, auch durch seine Heirat zu assimilieren. Die Abstiegstendenzen sind dagegen sehr eng begrenzt. Diese Ergebnisse zeigen sich bei den verheirateten weiblichen Richtern noch in verstärktem Maße; das läßt sich als Zeichen auch heute noch mangelnder Emanzipation der berufstätigen Frau deuten. Diese Assimilierungstendenz, die nicht unmittelbar mit der Herkunft zu tun hat, wird desjialb in diesem Zusammenhang erörtert, weil sich aus der Untersuchung der Herkunft der Richter nicht nur die starke Bedeutung der Mittelschicht für die Rekrutierung der Juristen, die starke Urbanität und geographi-

33

) Walther Richter, aaO., S. 30 ff. (Tabelle 11 und 13)

25

sehe Immobilität der Richter ergibt, sondern gewissermaßen als Nebenprodukt die Erkenntnis abfiel, daß der oberen Mittelschicht, der der Richter kraft seines Berufes zuzurechnen ist, eine starke Assimilitationskraft innewohnt: Der aus unteren Schichten aufsteigende Richter ist bemüht, sich — und nur das kann als statistische Gesetzmäßigkeit festgestellt werden — durch Heirat, und zwar sowohl was den Beruf des Schwiegervaters wie auch was den Beruf des Ehegatten anlangt, dieser Schicht, in die er berufsmäßig aufgestiegen ist, anzupassen.

26

II.

Herkunft des Richters als Verhaltensdeterminante beim Entscheidungsprozeß

1. Empirische Untersuchung von Kaupen/Rasehorn34) Kaupen/Rasehorn haben nun drei Faktoren: Beamtenberuf des Vaters, Größe des Herkunftsortes und Konfessionszugehörigkeit, bei denen sie „fast eine linear additive Beziehung" annehmen 35 ) —der Faktor der Religionszugehörigkeit dürfte zumindest fragwürdig sein —, miteinander in Verbindung gebracht und eine Skala von den katholischen Beamtenkindern vom Lande bis zu den nichtkatholischen Nichtbeamtenkindern aus der Stadt gebildet 36 ), um dann die beiden Extremkategorien unter Außerachtlassen der Mischtypen auf ihre Mentalität zu untersuchen. Dies wurde dadurch ermöglicht, daß der Fragebogen auch Fragen enthielt, deren Beantwortung Rückschlüsse auf die innere Einstellung der Befragten ergeben sollte 37 ). Diese Fragen gehen z. B. dahin, ob der Befragte glaubt, daß der Jurist in unserer Gesellschaft das Ansehen genießt, das ihm von seiner Aufgabe her zukommt; ob der Jurist aufgrund seiner vielseitigen Erfahrung besonders geeignet sei, Führungspositionen in der Wirtschaft und Gesellschaft zu übernehmen; ob Juristen aufgrund ihrer Bindung an Recht und 34

)

Im folgenden werden lediglich die Ausführungen von Kaupen/Rasehorn in „Die Justiz zwischen Obrigkeitsstaat und Demokratie" berücksichtigt, da das von ihnen verarbeitete Material umfassender als das von Axel Görlitz („Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland") vorgelegte Zahlenmaterial ist.

35

)

Kaupen/Rasehorn, aaO. S. 28.

36

)

aaO. S. 27 Tabelle 4 und S. 29 Tabelle 5.

37

)

zur Problematik der gestellten Fragen vgl. Hans Thierfelder, Zu den Standpunkten und Möglichkeiten der Justizforschung in Deutschland, in DRiZ 1972, 257, 258.

27

Gesetz eher zu einer konservativen Einstellung neigen; ob der Gedanke der Ordnung im Konflikt zwischen Gerechtigkeit und Ordnung den Ausschlag geben solle; ob der zunehmenden Kriminalität nur mit höheren Strafmaßnahmen wirksam begegnet werden könne 38 ). Leider haben sich Kaupen/Rasehorn von dem sonst üblichen Schichtenmodell gelöst und bezeichnen bei diesen Untersuchungen als Oberschicht alle akademischen Berufe, dagegen als Mittelschicht alle übrigen 39 ). Dadurch wird naturgemäß ein Vergleich erschwert, zumal ein Unternehmer durchaus der Oberschicht zuzurechnen ist und die übrigen Schichten differenzierter sind, als daß man sie in einer Gruppe zusammenfassen kann. Vielleicht sindKaupen/Rasehom durch die bei stärkerer Differenzierung zu kleinen Gruppen von einer Aufteilung nach dem üblichen Schichtenschema abgehalten worden. Bei den oben genannten Extremkategorien der katholischen Beamtenkinder vom Lande und der nichtkatholischen Nichtbeamtenkinder aus der Stadt ist die Besetzung bei den Justizjuristen mit 22 bzw. 25 ^ tatsächlich sehr klein: Bereits eine Person macht 5% bzw. 4% aus, so daß nur sehr starke prozentuale Unterschiede Aussagekraft hätten. Hier wird nur hinsichtlich der Herkunftsschicht differenziert 41 ), während bei der Tabelle über den „Einfluß der sozialen Herkunft auf Wertorientierungen und Einstellungen der Justizjuristen" 42 ) nur die jeweilige Extremkategorie in der Dreierkombination als Bezugsgröße gewählt wird, so daß keine Aussage über die Bedeutung der Herkunftsschicht (obere oder untere Mittelschicht) für die Wertorientierung möglich ist. Es wäre aber gerade interessant gewesen festzustellen, ob sich die soziale Herkunft, also die Berufsschicht des Vaters, auf diese Wertorientierung auswirkt. Bei der Kleinheit der jeweiligen Gruppe war jedoch eine derartige Differenzierung von vornherein ausgeschlossen, so daß hieraus keine signifikante Aussage über die Bedeutung der sozialen Herkunft herzuleiten ist. Beamtenkind allein genügt hier nicht als Qualifikationsmerkmal, da 38

)

vgl. Thierfelder, aaO.

39

)

Kaupen/Rasehom, aaO. S. 53.

40

)

aaO. S. 167

41

)

aaO. S. 168 Tabelle 66.

42

)

aaO.S. 174 f. Tabelle 69.

28

der Statusunterschied z.B. zwischen dem Wachtmeister und dem Regierungspräsidenten wohl kaum ohne Bedeutung für die Wertorientierung und Einstellung sein kann, wenn überhaupt die Herkunftsschicht relevant ist. Auch die weiteren Differenzierungen nach Alter, Beamtenkind-Nichtbeamtenkind, Examensergbenis, Richter — Staatsanwalt können für unsere Frage nach der Bedeutung der Herkunftsschicht des Richters für dessen Wertorientierung keine hinreichende Beantwortungsgrundlage abgeben. Etwas weiteres fällt an dieser Untersuchung auf. Wenn die These von der stärker konservativen Haltung der katholischen Beamtenkinder vom Lande im Vergleich zu den nichtkatholischen Nichtbeamtenkindern aus der Stadt von den Zahlen nicht bestätigt wird, dann werden andere, statistisch keineswegs belegte Unterhypothesen eingeführt, wie z. B.: Die nichtkatholischen Nichtbeamtenkinder aus der Stadt haben bereits bei der Berufswahl zur überwiegenden Mehrheit den Anwaltsberuf vorgezogen; es sei nur eine Minderheit übrig geblieben, die durch ihre Wahl des Richterberufs bereits ihre Präferenz für geschlossene Strukturen zu erkennen gegeben habe und nun mit ihrer Wert-. Orientierung — gewissermaßen in einer Art Überkompensierung — die konservativsten Justizjuristen in den Schatten stelle. So neigen dann konservative Juristen aus der Stadt zum Justizdienst, oder Katholiken plädieren nur dann für härtere Strafen, wenn sie auch vom Lande stammen 4 3 ). Unter diesen Umständen fällt es schwer, den Deutungen der Tabellen durch die Verfasser zu folgen, wenn die gestellten Fragen überhaupt für die Mentalität der Befragten aussagekräftig sein sollen. Thomas Raiser 44 ) weist deshalb zu Recht daraufhin, daß bei Kaupen/Rasehorn „die Interpretation der Ergebnisse nicht immer ganz sine ira et studio erfolgt ist". Bisher liegt demnach keine empirische Untersuchung vor, die den Einfluß der Herkunftsschicht auf die Mentalität des Richters statistisch belegt. Aus den Daten zum Sozialprofil der Richter kann deshalb nicht ohne weiteres abgeleitet werden, daß die Herkunft der Richter den Entscheidungsprozeß 43

)

aaO. S. 173.

44

)

Thomas Raiser, Was nützt die Soziologie dem Richter? in JZ 1970, 665, 666.

29

beeinflußt. Dies wäre nur möglich, wenn aus dieser Herkunft auf bestimmte Wertorientierungen geschlossen und festgestellt werden könnte, daß ohne diese schichtspezifischen Wertvorstellungen die Entscheidungen anders ausgefallen wären. Die bisher insbesondere von Kaupten/Rasehorn gezogenen Schlußfolgerungen können durch das vorgelegte statistische Material nicht bestätigt werden.

2. Rollentheoretischer Ansatz Neben dem — bisher nicht geglückten — Versuch, im Wege statistisch-empirischer Untersuchung den Einfluß der Herkunft des Richters auf seine Wertorientierung und damit auf seine Entscheidung festzustellen, will die Rollentheorie 45 ) aus einer Analyse des Entscheidungsprozesses Einsicht in die einzelnen Faktoren des Entscheidungsverhaltens gewinnen und darunter auch die Bedeutung der Herkunft des Richters für die Wertungen bei der Entscheidung erkennen. Die Rolle knüpft an die soziale Position des von der Person selbst unabhängigen Rollenträgers in der Gesellschaft an, insbesondere an die Erwartungen, die dem Inhaber dieser sozialen Stellung von der Gesellschaft entgegengebracht werden. Der Richter ist aufgrund seiner sozialen Position und der ihm entgegengebrachten Erwartungen geradezu ein klassischer Fall des Rollenträgers 46 ). Diese Rollenerwartungen, die von verschiedenen Rollensendern (z. B. Gesetzgebung, Justizapparat, Parteien, Anwälte, Kollegen) ausgehen und keineswegs einheitlich strukturiert sind, laufen konvergierend auf den Rolleninhaber zu und machen einen Rollensatz aus, dessen einzelne Faktoren von verschiedener Größe und Stärke sind und einen verschieden starken Rollendruck auf den 45

46

)

zur Rollentheorie vgl. Dahrendorf, Homo sociologicus; zur Kritik der Rollentheorie vgl. Frigga Haug, Kritik der Rollentheorie und ihrer Anwendung in der bürgerlichen deutschen Soziologie, 1972.

)

vgl. hierzu Walther Richter, In welcher Weise empfiehlt es sich, die Ausbildung der Juristen zu reformieren?, Gutachten F zum 48. Deutschen Juristentag, S. F 31 bis F 49.

30

Rolleninhaber ausüben. Der Rolleninhaber nimmt die verschiedenen Rollenerwartungen auf und verarbeitet sie bewußt oder unbewußt zu einer Rollenauffassung, die seinem Rollenverhalten zugrundeliegt. Das Rollenverhalten des Richters, sein Verhalten bei der Entscheidung, soll durch die Rollentheorie analysiert werden, um den Einfluß der einzelnen Rollensender und der Rollenauffassung, auch von deren Widersprüchlichkeiten und Gegensätzen, zu erkennen und aufgrund dieser Erkenntnisse Verbesserungen für den Justizapparat, für Ausbildung und Auswahl der Richter zu erarbeiten. Lautmann 47 ) hat aus der Anwendung der Rollentheorie auf den Richter etwa 250 Fragen gestellt, die die Rolle des Richters im Entscheidungsprozeß erhellen sollen. Nach Lautmann kommt den „Eigenschaften des allgemeinen Background" anscheinend wenig Bedeutung „im Vergleich mit den politischen, sozialen und persönlichen Werten und den Merkmalen der rationalen und irrationalen Persönlichkeit" zu, aber sie seien nicht auszuklammern und deshalb „verlohnt es sich, über den unmittelbar greifbaren Entscheidungsprozeß hinaus zu den entfernteren Ursachen zu blicken und den richterlichen Background als mittelbaren Faktor zu betrachten. Sollte die Untersuchung negativ verlaufen und keine Korrelation zwischen diesen Faktoren und dem Richterverhalten aufzeigen können, so wäre auch dies ein hochwichtiges Resultat" 4 8 ). Lautmann weist bereits in diesem Fragenkatalog daraufhin, daß auch die Möglichkeit besteht, daß der Richter „auch gegen seine Vergangenheit reagieren" kann 49 ). Lautmann hat selbst den interessanten Versuch unternommen, als teilnehmender Beobachter am richterlichen Entscheidungsprozeß das informelle Entscheidungsprogramm (die nicht offiziellen und nicht formalisierten Normen und Werte) dadurch zu erhellen, daß er als Gerichtsassessor ein Jahr, und zwar je 47

)

Rüdiger Lautmann, Rolle und Entscheidung des Richteis - Ein soziologischer Problemkatalog, in Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, herausgegeben von Rüdiger Lautmann, Werner Maihofer und Helmut Schelsky, Bd. 1 S. 381, 414.

)

Lautmann, aaO. S. 406

)

Lautmann, aaO. S. 407

4g

49

31

ein halbes Jahr in zwei verschiedenen Bundesländern und davon je die Hälfte in verschiedenen Zivilkammern, tätig war 50 ). In seinem Bericht schildert er die Schwierigkeit der Rollendopplung: gleichzeitig als tätiger Richter und als beobachtender Soziologe zu arbeiten. Dabei richtete er sein Augenmerk entsprechend den von ihm vorher formulierten Hypothesen auch auf den Einfluß des Faktors soziale Schichtung auf den Urteilsinhalt sl ). Er stellte nun fest, daß die Bindung an das formelle Programm, also hauptsächlich an das positive Recht, der höchste berufliche Wert des Richters sein dürfte 52 ). „Daran scheint nichts unaufrichtig zu sein" 53 ). Er führt diese starke Bindung auf „Persönlichkeit und Erziehung des Juristen" zurück, „die im Zeichen von Ordnung und Autorität stehen" 5 4 ). Im informellen Programm sieht Lautmann mit Recht die Möglichkeit des Einströmens außerrechtlicher Überzeugungen, die aber selten offengelegt werden. "Eine nach informellem Programm gewünschte Entscheidung muß also vom formellen Programm her propagiert werden. Auch in Gesprächen, die sich nicht auf die Urteilsfindung richten, hört man selten ein direktes Engagement für Werte. Die grundlegenden Einstellungen werden nicht ausgesprochen, man kann sie nur aus Äußerungen zu konkreten Themen erschließen . . . . Einige Arbeitshypothesen konnte ich aus diesem Grunde nicht überprüfen: daß außerrechtliche Werte im Vorgang richterlicher Überzeugungsbildung wesentlich vorkommen, daß sie—zeitlich früher als Rechtsfiguren-das Urteil determinierten, daß sie in den Urteilsgründen unterdrückt werden" 55 ).

so

)

S.J

Rüdiger Lautmann, Justiz, von innen betrachtet, in Kriminologisches Journal 3/1970, S. 141. aaO. S. 155

")

aaO. S. 158

53)

aaO. S. 159

S4, 55

)

32

aaO. S. 159 aaO. S. 159

Es ist daher bisher auch der Rollentheorie nicht gelungen, die Bedeutung der Herkunft des Richters für sein Entscheidungsverhalten nachzuweisen.

3. Amerikanische Untersuchungen Die amerikanische Soziologie hat sich besonders unter dem Einfluß des Behaviorismus darum bemüht, anhand von nachprüfbaren Merkmalen, die auf individuelle Einstellungen schließen lassen, deren Bedeutung auf die Rechtsfälle zu bestimmen. Hierfür boten sich als background-Faktoren Herkunft, Schulbildung und Gruppenzugehörigkeit an. Dabei bediente man sich des sogenannten S-R-(stimulus-response)-Modells, das davon ausgeht, daß jeder Fall einen klaren und einheitlichen Reiz (stimulus) für alle Richter darstellt 56 ), und versuchte isolierbare Kausalfaktoren für den richterlichen Entscheidungsprozeß, darunter auch den der Herkunft, herauszuarbeiten. Bei diesen amerikanischen Untersuchungen können zwei Methoden unterschieden werden: Die eine prüft die Beziehung zwischen den genannten background-Faktoren und den in Entscheidungen sichtbar werdenden Präferenzen; die andere versucht, einen Zusammenhang von background-Faktoren über bestimmte Grundeinstellungen des Individuums zu deren Wirksamwerden bei richterlichen Entscheidungen aufzuzeigen. Schmidhauser hat in einer 1962 vorgelegten Untersuchung aller Entscheidungen des Supreme Court von 1790 bis 1957 zwei background-Faktoren der Richter, und zwar eine vor der Berufung zum Supreme Court ausgeübte Richtertätigkeit und die Herkunft aus einer Familie, in der der Vater Richter war, mit nur zwei Präferenzen: Festhalten an bereits Entschiedenem (stare decisis) und Bereitschaft zum Dissentieren, in Beziehung gesetzt. Dabei ergab sich die vielleicht manchen überraschende Feststellung, daß Richter, die bereits vor Berufung zum Supreme Court richterliche Tätigkeit ausgeübt hatten, und solche, die aus einer Richterfamilie stammten, eine größere Bereitschaft zur abweichenden Meinung und eine geringere Bereitschaft zur Befolgung von Präzedenzentscheidungen zeigten, ja daß sich diese Tendenzen verstärkten, wo beide background-Faktoren zusammentrafen. Wenn 56

)

Joel B. Grossman, Social backgrounds and judicial decisionmaking, in Harvard Law Review, Vol. 79 (1966), S. 1551, 1556.

33

dabei davon ausgegangen wird, daß der Richter der oberen Mittelschicht angehört — die Richter des Supreme Court kommen bis auf etwa 10%, die aus unteren Schichten stammen, aus sozial höherstehenden Familien der mit Whasp (white, anglosaxon, Protestant) bezeichneten Gruppe 57 ) - , dann könnte daraus geschlossen werden, daß Richter aus der oberen Schicht keineswegs konservativer, sondern im Gegenteil dem Neuen aufgeschlossener gegenüberstehen als die übrigen Richter, also das Gegenteil von dem, wovon ohne Berücksichtigung konkreter Entscheidungen konkreter Richter die deutschen Soziologen bisher ausgehen. Allerdings kann nicht übersehen werden, daß diese Untersuchung voller Fehlerquellen steckt, wie auch Weiss58) hervorhebt, da ja nur die Frage des Dissentierens oder des Stare decisis, nicht aber der Inhalt der Entscheidung als Bezugspunkt gewählt wurde. Schmidhauser selbst 59 ) weist den sozialen Faktoren geringere Bedeutung als der Tradition des Supreme Court oder der Interaktion intelligenter und starker Persönlichkeiten in dem Spruchkörper zu. S. Goldman 60 ) stellt daher wohl mit Recht fest, daß die backgroundVariablen: Größe des Geburtsortes, Beruf des Vaters, besuchte Schule, keine direkte Beziehung zum Abstimmungsverhalten der Richter der US Courts of Appeals haben, wenn er auch betont, daß diese Faktoren wohl eine Rolle bei der Bildung des Wertsystems und der Philosophie der einzelnen Richter gespielt haben. Stuart S. Nagel ging nun einen Schritt weiter. Er unterteilte die backgroundFaktoren in verschiedene Kategorien: Gruppenzugehörigkeit, Parteizugehörigkeit und demographische Charakteristika, nämlich Ausbildung, Alter, Beruf des Vaters, Personenstand und geographische Merkmale. Hierauf aufbauend 57

)

John R. Schmidhauser, The Justices of the Supreme Court: A collective portrait, in Midwest Journal of Political Science, Bd. 3, 1959, S. 1 ff., 7 Tabelle 1, ferner S. 45; vgl. auch Stuart S. Nagel, Ethnic affiliations and judicial propensities, in Journal of Politics, 1962, 92, 109.

58

)

Manfred Weiss, Die Theorie der richterlichen Entscheidungstätigkeit in den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 110.

59

)

Schmidhauser, aaO. S. 48

60

)

S. Goldman, Voting behavior on the US Courts of Appeals, in American Political Science Review (60) 1966, 374, 382.

34

versuchte er, durch einen Fragebogen, mit dem nach vierzig einzelne Punkte betreffenden Ansichten gefragt wurde, die konservative oder progressive Einstellung der Richter zu ermitteln. Dabei stellte er nur darauf ab, ob der Betreffende konservativer oder progressiver als die übrigen Mitglieder desselben Richterkollegiums war. Er stellte fest, daß Richter im Durchschnitt konservativer als die Gesamtbevölkerung ausgerichtet sind. Diese mit den background-Faktoren in Zusammenhang gebrachten Einstellungen waren die Grundlage für die Auswertung der Urteile nach Präferenzen. Nagel konnte aber mit Hilfe dieser Interrelation der allgemeinen Grundeinstellung mit den background-Faktoren einerseits und den Präferenzen bei der Entscheidung andererseits nur sehr wenig aussagen, jedenfalls hielt er selbst seine Ergebnisse für zu wenig repräsentativ, um daraus verallgemeinernde Schlüsse zu ziehen. Weiss hat wohl recht, wenn er dies darauf zurückführt, daß innerhalb eines bestimmten Richterkollegiums bei den Befragten kaum feststellbare Unterschiede in der allgemeinen Einstellung ermittelt werden konnten. So führten diese Untersuchungen über die ohnehin jedem Kundigen geläufige Erkenntnis nicht hinaus, daß zwischen Herkunft, Sozialisation und richterlicher Entscheidungstätigkeit „irgendwelche, im einzelnen undurchsichtige Zusammenhänge bestehen" 61 ).

4. Urteilsanalysen Während die amerikanische Soziologie bei der Untersuchung des Entscheidungsprozesses angesichts der veröffentlichten dissenting opinions an den einzelnen Richter anknüpfen kann, ist dies bisher im deutschen Rechtsbereich nicht möglich gewesen. Erst die Zulässigkeit der Veröffentlichung abweichender Meinungen (§ 30 Abs. 2 BVerfGG - in Kraft seit dem 25.12.1970 - ) schafft die Voraussetzung für vergleichbare Untersuchungen in Deutschland. Die auf der bisher verhältnismäßig schmalen Basis der Spruchtätigkeit des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1971 aufbauenden Untersuchungen von

61

)

Manfred Weiss, aaO.

35

Berkemann 62 ) und Abel 63 ) zeigen jedoch, daß bei einer so geringen Zahl von Richtern allenfalls aus dem gruppendynamischen Prozeß oder aus der einzelnen Richterpersönlichkeit, nicht aber aus dem Sozialprofil der Richter Schlüsse für die Entscheidungsbildung gezogen werden können. Wenn aber die Richterpersönlichkeit beherrschend in den Vordergrund tritt, dann mag bei ihrer Bildung zwar die Herkunft eine entscheidende Rolle gespielt haben, aber die Komplexität einer differenzierten und durch das je Besondere ihres Lebensweges geprägten Persönlichkeit erlaubt es nicht, einzelne Sozialdaten als bestimmende Faktoren herauszukristallisieren. Die geringe Zahl der untersuchten Richter führt notwendig zu psychologischen Deutungen einzelner Persönlichkeiten und schließt die Feststellung statistischer Gesetzmäßigkeiten von vornherein aus. Wenn von den Urteilsanalysen von Ludwig Bendix betreffend die Entscheidungen des Reichsgerichts in Band RGZ 110 und RGSt 56 und von Otto KahnFreund betreffend „Das soziale Ideal des Reichsarbeitsgerichts" (1931) abgesehen wird, dann hat Kübler 64 ) es - jedenfalls in jüngerer Zeit — als einziger unternommen, anhand von einigen höchstrichterlichen Entscheidungen — neben der wesentlichen Auswertung der Deutschen Richterzeitung für die Darstellung des Selbstverständnisses der Richter — Rückschlüsse auf die Geisteshaltung der Richter und deren Beeinflussung durch ihre Herkunft zu ziehen. Als These stellt er den viel zitierten Satz auf: „Der deutsche Richter war umso gesetzestreuer, je autoritärer der deutsche Staat verfaßt war; in dem Maße, in dem das Gemeinwesen sich demokratisierte, wurde dem Richter die Verbindlichkeit des Gesetzes problematisch" 65 ).

62

)

Jörg Berkemann, Gruppendynamik und dissenting vote (unveröffentlichtes Manuskript).

63

)

Ralf-Bernd Abel, Abweichende und konkurrierende Voten als Grundlage zur Erforschung von Richterpersönlichkeiten (unveröffentlichtes Manuskript).

64

)

Kübler, Der deutsche Richter und das demokratische Gesetz, in AcP 162, 104.

65

)

aaO. S. 106.

36

Kübler will die politisch und sozial konservative Haltung der deutschen Richter nachweisen, die er im Anschluß an Dahrendorf als eine utopisch-autoritäre kennzeichnet, die einen historischen Zustand mit utopischen Mitteln perseverieren oder gar restaurieren möchte. Er meint, daß das Scheitern des totalitären Staates eine Anknüpfung an die staatsautoritäre Tradition verhindert habe, daß aber die Richter eine Flucht nach rückwärts in eine regressive Utopie einer urtümlich, heute mannigfach zivilsatorisch verzerrten Sozialordnung angetreten hätten. Für das Mißtrauen der deutschen Richter gegenüber der gegenwärtigen Gesellschaft nennt er das Gleichberechtigungsgutachten des 1. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 6.9.1953 66 ), das im Ergebnis mit einschlägigen nationalsozialistischen Auffassungen übereinstimme, und den sog. Kuppeleibeschluß des Großen Strafsenats vom 17.2.195 4 67 ), der für die unbedingte und ausnahmslose Geltung einer vorgegebenen und hinzunehmenden Wertordnung eintrete. Er sieht in diesen Erkenntnissen nicht überholte Einzelfälle oder zeitbedingte Ausflüsse bestimmter konfessioneller Vorstellungen, sondern das Ergebnis fortdauernder Bedingtheiten, wenn er auch angesichts des geringen Umfangs des Materials die Vorläufigkeit seiner Ergebnisse betont 6 8 ). Man kann - was Kübler nicht verkennt - derartige Allgemeinurteile nur auf eine breite Analyse vieler Entscheidungen und nicht bloß auf einige spektakuläre Fälle stützen. Zudem lassen sich gewiß auch Erkenntnisse des Bundesgerichtsfhofs aufzeigen, in denen dieses Gericht versucht hat, das Recht im Sinne gewandelter gesellschaftlicher Anschauungen fortzubilden, z. B. in der Rechtsprechung zum Schmerzensgeld bei Persönlichkeitsverletzung, zu der Wirksamkeit und richterlichen Kontrolle der Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder zum finanzierten Abzahlungskauf. Dem kann wiederum z. B. der „Teerfarben"Beschluß 69 ) entgegengehalten werden, in dem der Bundesgerichtshof nach Meinung vieler an der Wirklichkeit vorbeigegangen sei, wenn er die sog. „Frühstückskartelle" nicht den Bestimmungen des Kartellgesetzes unterwerfe. Küb66

)

BGHZ 11, Anh. S. 34 ff.

67

)

BGHSt 6, 46.

68

)

aaO. S. 106.

69

)

BGHSt 2 4 , 5 4 .

37

ler meint abschließend 70 ), daß das Mißtrauen der Richter gegen die Gesellschaft ihr Verhältnis zum demokratischen Gesetz belaste, daß es aber nur in politischen Krisen oder bei erheblichen sozialen Verschiebungen zum offenen Konflikt zwischen richterlichen und gesetzgeberischen Vorstellungen, also zu einem typischen Person-Rolle-Konflikt, komme, und stellt dann die Frage, ob die Justiz der demokratisch legitimierten Führung wiederum den Gehorsam versagen würde, wenn eine politische oder soziale Krise gesetzgeberische Maßnahmen notwendig machte, die etwa auf eine rigorose Eigentumsumverteilung oder auf die Beschneidung der Macht des Berufsbeamtentums zielten. Kübler sieht in den beiden von ihm analysierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs einen Ausfluß des Herkunftsmilieus: „Es ist das klein- bis mittelbürgerliche Elternhaus — fast möchte man sagen die Beamtenfamilie — der Jahrhundertwende, in dem ausschließlich der Vater einem Beruf nachging und die Mutter auf Küche, Kinder und Kirche beschränkt blieb" 71 ). Wenn auch diese beiden Entscheidungen für sich allein diesen Schluß tragen könnten, so kann ein so weitreichender Schluß nicht aus spektakulären Einzelentscheidungen gezogen werden, und die empirische Basis ist zu schmal, um dieses Ergebnis zu rechtfertigen, zuma1 nur die Berücksichtigung einer Vielzahl von Entscheidungen allgemeine Feststellungen zuläßt. Einen anderen Weg, die Bedeutung nach der Herkunft für die richterliche Entscheidungstätigkeit aufzuzeigen, sind Opp und Peuckert 72 ) gegangen. Sie haben im August 1968 an 500 von 674 bayerischen Strafrichtern Fragebogen verschickt, von denen 276 brauchbar ausgefüllt zurückkamen 73 ). Diese Fragebogen enthielten neben persönlichen Daten zunächst Fragen, die Rückschlüsse auf die Einstellung der Richter erlauben sollten (z.B. Fragen nach dem Be-

70

)

aaO. S. 128.

71

)

aaO. & 124.

72

)

Karl Dieter Opp/Rüdiger Peuckert, Ideologie und Fakten in der Rechtsprechung, 1971.

73

)

aaO. S. 30

38

strafungsziel: Spezialprävention, Generalprävention, Sühne; nach der Strafbarkeit von Homosexualität und Gotteslästerung; nach der Stellung der Gewerkschaften im öffentlichen Leben usw.) 74 ), und stellten dann fiktive Fälle zur Entscheidung, und zwar einen Fall mit zwei Varianten für alle Beantworter des Fragebogens und für je ein Viertel eine von vier Varianten einen zweiten Falles 75 ). Die Herkunft der Richter ist leider nur hinsichtlich des primär verfolgten Strafzieles ausgewertet. Ob das freilich den Rückschluß zuläßt, daß das Fehlen weiterer Tabellen über die Auswirkung der Herkunft auf Strafmaß und bestimmte Präferenzen ein Zeichen für das Ergebnis ist, daß solche Auswirkungen nicht festgestellt werden konnten, ist der Untersuchung nicht zu entnehmen. Jedenfalls kommen die Autoren zu dem Ergebnis 76 ), daß die Herkunftsschicht keine große Rolle für die Art des primären Strafzieles spielt. Etwa 50% der Richter aus der oberen und der unteren Mittelschicht nennen die Spezialprävention als primäres Strafziel, dagegen nur 40% aus der Unterschicht. Andererseits ist Sühne für 40% aus den Mittelschichten, aber für 50% aus den Unterschichten das wesentliche Strafziel. Die Verfasser folgern hieraus, daß, wenn man das Sühneziel nicht als akzeptables Strafziel ansieht, die Herkunft der Deutschen Richter aus oberen sozialen Schichten wenigstens einen Vorteil habe: Es werde in deutschen Gerichtssälen weniger Rache ausgeübt, als wenn sich Richter in stärkerem Grade aus der Unterschicht rekrutieren. Das ist insofern interessant, als 60% der als nichtautoritär und der als liberal bezeichneten Richter die Spezialprävention als erstes Strafziel nannten, also die Bevorzugung der Spezialprävention sowohl bei den aus der oberen und unteren Mittelschicht kommenden wie auch bei den nichtautoritären und liberalen Richtern festzustellen ist. Ob und inwieweit diese Gruppen zusammenfallen, wird nicht dargelegt. Auch hier ergibt die nach amerikanischen Untersuchungsmethoden durchgeführte Analyse keine wesentliche Bedeutung der Herkunftsschicht und der Religionszugehörigkeit für Strafmaß und Bestrafungsziel.

74

)

aaO. S. 132

75

)

aaO. S. 30

76

)

aaO. S. 111 f.

39

5. Systemtheoretischer Ansatz Sowohl die Ergebnisse der amerikanischen wie der deutschen Soziologie zeigen demnach, daß eine monokausale Betrachtungsweise, die von isolierten, nach den Arbeitshypothesen entscheidungsbestimmenden Faktoren ausgeht, der Komplexität des Entscheidungsprozesses nicht gerecht wird und nicht zu verläßlichen Aussagen führen kann. Andererseits wird auch die These vom Einfluß der Herkunft auf den Entscheidungsprozeß durch diese Untersuchungen nicht widerlegt. Die amerikanischen Untersuchungen der Entscheidungen des Supreme Court, die größte Untersuchung dieser Art, die Untersuchungen, Einstellungen und Entscheidungsverhalten der Richter aufgrund fiktiver Fälle und schließlich der Versuch Lautmanns durch teilnehmende Beobachtung haben kein klares Ergebnis erbracht. Soweit bisher ein unmittelbarer Einfluß der Herkunft des Richters auf die Entscheidung behauptet wurde, handelt es sich um eine Arbeitshypothese, aber nicht um eine soziologisch verifizierte Feststellung. Wenn nämlich — worauf sich Kaupen/Rasehorn beschränken — nur die Bedeutung der Herkunft für bestimmte Geisteshaltungen oder Einstellungen festgestellt werden kann, so ist damit noch nicht deren Einfluß auf die konkreten Entscheidungen nachgewiesen, vielmehr fuhren derartige Ansätze zu psychologischen Untersuchungen über die richterliche Entscheidungsbildung, bei denen dann aber die einzelne Richterpersönlichkeit, ggf. im Spannungsfeld der Gruppendynamik, im Vordergrund steht 77 ). Die Soziologie aber kann sich auch nicht mit Feststellungen zur einzelnen Richterpersönlichkeit und zum Einfluß bestimmter, möglicherweise herkunftsbedingter Einstellungen auf einzelne Entscheidungen begnügen, sondern ihr geht es gerade darum, gesellschaftliche, auf bestimmten Faktoren beruhende Gesetzmäßigkeiten aufzuzeigen. Eine umfassendere und damit gerade diese Komplexität berücksichtigende Betrachtungsweise kennzeichnet die Systemtheorie. Sie versucht, zur Vermei-

77

)

Jörg Berkemann, Die richterliche Entscheidung in psychologischer Sicht, in JZ

1971,537. 40

dung der Fehler einer punktuellen Beobachtung komplexe Zusammenhänge in ihren institutionell angelegten Strukturen im Rahmen eines gesellschaftlichen Ganzen zu erfassen und aufzuhellen. Walter F. Murphy 78 ) hat ein für die Entscheidungsstruktur des US Supreme Court entworfenes Modell vorgelegt, das mutatis mutandis für ein Gericht beispielhaft sein kann. Hiernach ist dieses Subsystem des Gerichts eingebettet in das environment, d. h. in seine Umwelt, die die gesellschaftlichen Wertvorstellungen und die politischen Verhältnisse mit umfaßt. Aus dieser Umwelt kommen nun die verschiedenen Einwirkungen, die inputs, und zwar unterscheidet Murphy dabei die externen und internen Forderungen (demands), Drohungen und Sanktionen (threats and sanctions), schließlich allgemeine und spezielle Unterstützung (support). Die externen Forderungen sowie die allgemeine und spezielle Unterstützung stehen miteinander im Zusammenhang: Die externen Forderungen, die z.B. Politiker oder die Rechtswissenschaft an den Gerichtshof stellen. Die allgemeine Unterstützung ist das Einverständnis der Gesellschaft, bestimmte Konflikte durch die Gerichte austragen zu lassen und deren Entscheidungen zu respektieren. Die spezielle Unterstützung ist das Verhalten der Personen — vor allem der Prozeßparteien und anderer Gruppen (amici curiae) —, die durch eine bestimmte Entscheidung in den Genuß von Vorteilen kommen. Drohungen umfassen auch Verhaltensweisen, die dem Gericht die spezielle Unterstützung entziehen und damit seine Wirkung abschwächen. Sanktionen sind politische und institutionelle Kontrollen. Bei diesen die Entscheidung beeinflussenden Personen oder Institutionen handelt es sich um die Rollensender der Rollentheorie, die jedoch stärker auf den Rolleninhaber, nicht — wie die Systemtheorie — in erster Linie auf den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang abstellt. Zu diesen äußeren input-Faktoren treten die sog. internen Forderungen. Das sind die im Bewußtsein des Richters verankerten, von der Umwelt mitgeprägten Vorstellungen von der Art, wie der Richter sein Amt zu führen hat, d. h. seine Rollenauffassung.

78

)

wiedergegeben bei Weiss, aaO. S. 121.

41

Das eigentliche Entscheidungsstadium ist der Konversionsprozeß, in dem die input-Faktoren in das Output, die Entscheidung, umgesetzt werden. Hierbei unterscheidet Murphy zwei Abschnitte, die allerdings nur beim Kollegialgericht von Bedeutung sind: die Stufe individueller Abwägung und die Stufe der Meinungsbildung im Kollegium. Im ersten Schritt prüft der Richter nach Murphy die Legitimität der Forderungen der Prozeßparteien unter Anwendung seiner Maßstäbe für Recht, die relative Wünschbarkeit dieser Forderungen für die Gesellschaft im Verhältnis zu möglichen Alternativen, die Beschaffenheit und Intensität der von anderen Interessenten, einschließlich der Mitrichter, und der Allgemeinheit gestellten Forderungen, die Intensität und Ernstlichkeit der Drohungen und schließlich Art und Intensität der im gesellschaftlichen Wandel angelegten Strömungen auf mögliche Alternativen. Im zweiten Schritt, der Erzielung des Gruppenkonsenses, werden die Überlegungen des einzelnen Richters dargestellt, und zwar vornehmlich die Legitimität der Forderungen der Prozeßparteien und die relative Wünschbarkeit der Erfüllung dieser Forderungen für die Gesellschaft unter Abwägung der Alternativen. Dann wird die Übereinstimmung über das Ergebnis der Entscheidung und schließlich die Begründung für diese Entscheidung ausgehandelt. In diesen beiden Schritten spielen persönliche Vorurteile, Wertvorstellungen, Gefühle eine Rolle, die möglicherweise nicht ins Bewußtsein erhoben werden und im Unbewußten verdrängt bleiben. Das Output der Entscheidung hat soziale Konsequenzen: für die Parteien und möglicherweise darüber hinaus, und dieses impact wirkt über das feedback wieder auf das environment, die Umwelt, ein. Über dieses feedback können neue Forderungen an das Gericht herangetragen werden, als neues input, mit dem Ergebnis, daß das Gericht seine Entscheidung erneut aufgrund der nunmehrigen input-Faktoren, die selbst von seiner Entscheidung beeinflußt sein können, überprüft. Für ein Verfassungsgericht ist dieses Schema ohne weiteres einleuchtend, aber mutatis mutandis gilt das für jedes Gericht. Das gegenüber dem behavioristischen, im wesentlichen monokausalen S-RModell Besondere an diesem kybernetischen Modell der Systemtheorie ist das Hineinstellen des Gerichtes und der Justiz insgesamt und nicht bloß des einzelnen Richters (so die Rollentheorie) in den gesamtgesellschaftlichen Zusam42

menhang und das Aufzeigen einer Vielzahl von Umständen, die aus der Gesellschaft kommen, auch wieder in die Gesellschaft eingehen und damit die Wahl von Alternativen begrenzen oder auch vergrößern können. Wie Weiss79) hervorhebt, stellt sich damit die Frage nach dem Spielraum, der den Gerichten überhaupt bleibt, und die Frage, von welchen Faktoren und wie durch sie der Richter beeinflußt wird. Es ergibt sich für jeden Faktor die Frage nach seiner Wirksamkeit ebenso wie die Frage nach dem funktionalen Verhältnis dieser Wirksamkeiten zueinander. Mit der Entscheidung ist die Tätigkeit des Gerichts beendet, und das Gericht hat keine Möglichkeit, die Einhaltung der von ihm gesetzten Richtlinien, soweit sie über den Einzelfall hinausgehen und in den politisch-gesellschaftlichen Raum hineinwirken, das sog. impact, zu überwachen oder gar durchzusetzen. Daher werden sich, wie Robert A. Dahl gezeigt hat, die Gerichte von der Kunst des Möglichen leiten lassen und sich an der Wahrscheinlichkeit der Durchsetzung bestimmter Vorstellungen orientieren. Die öffentliche Meinung und die übergeordneten Gerichte ziehen hier gewisse Schranken. Es werden daher von vornherein nicht alle rational möglichen Alternativen erwogen werden, sondern entsprechend den tradierten Vorstellungen und auch den Umwelteinflüssen wird nur eine begrenzte Zahl berücksichtigt werden. Dabei kann nicht auf die richterliche Entscheidungstätigkeit schlechthin abgestellt werden, sondern es zeigt sich, daß die Bestimmungsfaktoren für den Zivilrichter, den Straf-, Verwaltungs- oder Arbeitsrichter, auch für den Richter der unteren Instanzen und den der oberen Instanzen nicht die gleichen sind und nicht jeweils die gleiche Stärke haben. Eine solche Differenzierung erfordert, wenn man zu verläßlichen empirischen Feststellungen gelangen will, eine sehr eingehende Forschung, die nur zusammen mit anderen Wissenschaften wie Soziologie, Psychologie, Politologie zu leisten ist. Hier ist kaum etwas geschehen, jedenfalls nicht in Deutschland.

79

)

aaO. S. 125. 43

Die bloße Herausarbeitung des Sozialprofils des Richters genügt nicht, zumal dann, wenn die Art und Weise der Umsetzung der hieraus abgeleiteten Wertvorstellungen in Entscheidungsinhalte mehr oder weniger auf Spekulation beruht. Ein Weg, der in die Richtung dieses Strukturmodells weist, ist wohl der von Kubier beschrittene, jedoch ist das von ihm ausgewertete Material zu gering, um die von ihm gezogenen Schlußfolgerungen zu tragen. Man wird sich nicht damit begnügen dürfen, aus der Herkunft und dem Sozialprofil der Richter auf eine bestimmte Mentalität zu schließen und die Entscheidungen danach zu prüfen, inwieweit sich diese Mentalität dort niederschlägt, vielmehr sind die Entscheidungen nach allen input-Faktoren zu untersuchen, und dabei ist auch zu prüfen, mit welcher Intensität sich die einzelnen Faktoren auswirken, welcher Entscheidungsspielraum überhaupt für das Gericht vorhanden ist, welche Einflüsse für die gewählte Alternative und für das Verwerfen anderer Alternativen maßgebend waren, d. h. das Verhältnis der einzelnen input-Faktoren zueinander ist zu klären. Weiss80) hebt zutreffend hervor, daß noch nicht einmal die Voraussetzung für eine empirische Forschung, nämlich die für eine empirische Untersuchung notwendige Erarbeitung von konkreten Hypothesen, für dieses Modell geleistet ist, die erst nach ihrer Bestätigung oder Widerlegung zu einer Theorienbildung führen können. Der Einwand Rottleuthners 81 ) im Anschluß an Habermas geht weiter: Die Systeme der Systemtheorie seien willkürlich abgegrenzt, und Parameter für den Sollzustand eines Gesellschaftssystems ließen sich nicht in gleicher Weise wie für den Gleichgewichtszustand eines Organismus entwickeln. Die gefundenen empirischen Werte könnten daher nicht auf einen optimalen Wert bezogen werden, zumal das feedback unkontrolliert von der Justiz verlaufe. Kontrollwerte gebe es nicht, sie könnten nur auf dem Wege einer politischen Willensbildung gefunden werden.

80

)

aaO. S. 139.

81

)

Herbert Rottleuthner, Zur Soziologie richterlichen Handelns, in KJ 1970, S. 283, 306.

44

Das ist im Grundsatz richtig, bedeutet aber das Verwerfen jeder empirischen Untersuchung, die ihren Sinn letztlich in der Theoriebildung findet, und die Beurteilung und Ausrichtung eines Systems nach nichtempirischen, ideologischen Maßstäben. Aber eine empirische Erforschung des bestehenden Justizsystems kann immerhin den tatsächlichen Zustand aufzeigen, der dann möglicherweise für den Politiker Anlaß zu politischen, das Subsystem ändernden Maßnahmen geben kann. Aber ohne eine empirische Erforschung fehlt es für die meist emotional oder spekulativ gestellten politischen Forderungen an der erforderlichen tatsächlichen Grundlage.

6. Ergebnis Angesichts der bisher vorliegenden Untersuchungen kann daher nicht festgestellt werden, daß die Herkunft der Richter eine Verhaltensdeterminante für den Entscheidungsprozeß ist. Freilich ist die Hypothese von der Bedeutung der Herkunft der Richter für die Entscheidung auch nicht widerlegt worden, vielmehr haben die bisherigen Untersuchungen die Frage nach der Bedeutung der Herkunft des Richters für die Entscheidung problematisiert und durch eine Vielzahl neuer Fragen ersetzt. Es hat sich dabei herausgestellt, daß die monokausale Betrachtungsweise den komplexen Sachverhalt des Entscheidungsprozesses nicht erfassen kann, daß aber die Forschung soweit fortgeschritten ist, daß konkrete Hypothesen aufgestellt werden können, die jedoch noch der Verifizierung bedürfen. Daß irgendwie der Entscheidungsprozeß durch herkunftsbedingte Faktoren beeinflußt werden kann, dürfte wohl gewiß sein. Jedoch ist die These, die dem Begriff der Klassenjustiz zugrundeliegt, nämlich, daß die richterliche Entscheidung herkunftsbedingt determiniert ist, nicht bewiesen. Daher kann aus den bisherigen empirischen soziologischen Untersuchungen nur der Schluß gezogen werden, daß die Herkunft der Richter zum weitaus überwiegenden Teil aus der Mittelschicht, bestimmte Einstellungen und Wertvorstellungen zur Folge haben kann, die ihrerseits den Entscheidungsprozeß beeinflussen können. 45

III. Das Gewicht des Faktors „Soziale Herkunft" für die richterliche Entscheidung

Wird von Essers mehr phänomenologisch getroffener Feststellung über das Vorverständnis ausgegangen, „daß ohne Vorurteil über die Ordnungsbedürftigkeit und Lösungsmöglichkeit die Sprache der Norm überhaupt nicht das aussagen kann, was erfragt wird: die gerechte Lösung" 82 ), dann bedingt dieser „hermeneutische Zirkel", daß schon in diesem Vorverständnis wie auch bei dem anschließenden Suchen alternativer Lösungen und der Auswahl der der Entscheidung zugrundegelegten Alternative Wertungen stattfinden. Das ist in jedem Rechtssystem, gleich welcher Art, der Fall, wenn man nicht der Meinung des Positivismus sein will, daß die Rechtsordnung lückenlos und die Entscheidung rational deduzierbar ist. Nun enthält bereits das materielle und auch das formelle Entscheidungsprogramm bestimmte Wertungen, dazu kommen Wertungen durch die Verfassung, auch durch vorrechtliche Regelungsmuster der Gesellschaft, ohne die eine Rechtsordnung nicht existieren kann. In einer werthomogenen Gesellschaft wird das Wertbewußtsein und die Werterfahrung des Richters mit dem Wertkonsens der jeweils tragenden Schichten der Gesellschaft und des Staates im Einklang stehen. In Zeiten dagegen, in denen die herrschende Schicht durch eine andere abgelöst wird, wie auch in Zeiten einer pluralistischen Gesellschaft, in der die verschiedenen Gruppen gleichberechtigt und gleichwertig nebeneinanderstehen und in der deshalb auch die Wertpräferenzen der einzelnen Gruppen unterschiedlich sind, wird die Wertung zu einem vorher kaum sichtbaren Problem; denn es geht für den Richter nicht mehr darum, einem allgemeinen Wertkonsens zu entsprechen diesen gibt es nur in einer werthomogenen Gesellschaft —, vielmehr kann sein Wertverständnis zwar mit dem eines Teiles der Gesellschaft übereinstimmen, 82

)

46

Josef Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, S. 24.

mit dem Wertverständnis eines anderen oder anderer Teile aber im Widerstreit liegen. Je nachdem welches Wertverständnis der Richter hat, wird er bei dem einen Teil der Gesellschaft Zustimmung, bei dem anderen Ablehnung finden. Auf jeden Fall kann erwartet werden, daß in der Begründung der Entscheidung, die ja die Plausibilität der gefundenen Lösung rational darlegen soll, dieses Wertverständnis nach Möglichkeit offengelegt wird. Die Rüge, daß vielfach nur rationale Argumente zur Begründung der Entscheidung herangezogen und vielfach Leerformeln wiederholt werden, gerade aber die maßgeblichen Wertentscheidungen nicht dargelegt werden, trifft zwar einen wesentlichen Punkt, setzt sich aber in einen Vorwurf gegen die Richter schlechthin um, der sich dann im Begriff „Klassenjustiz" überspitzt zum Ausdruck bringt. Das Problem des notwendig mit jedem Entscheiden verbundenen Wertens wird dann verkürzt gesehen: Statt der Frage nachzugehen, welche Entscheidung dem maßgeblichen Wertverständnis, d. h. dem Wertverständnis, das bei Berücksichtigung der von der Verfassung und dem Gesetz vorgegebenen Werte den breitesten Konsens findet, entspricht und welche Faktoren — daß es hier sehr viele zusammen-, nebeneinander- und gegeneinanderwirkende Faktoren gibt, zeigt die Systemtheorie - zu der tatsächlichen Entscheidung gefuhrt haben, wird daraus, daß der Richter, der weitgehend aus der Mittelschicht stammt, eine Entscheidung gefällt hat, die zwar deren Wertverständnis, nicht aber dem anderer Gruppen der Gesellschaft entspricht, der Schluß gezogen: Weil der Richter der Mittelschicht entstammt, fällt er und kann er nur Entscheidungen fällen, die den Interessen dieser Schicht entsprechen. Dabei wird ein wesentlicher Punkt verkannt. Der Ausbildung des Juristen kommt eine sehr viel größere Bedeutung als der Herkunft zu. Auf den Einfluß der Übernahme der Wertvorstellungen der Schicht, der der Jurist berufsmäßig zugehört — eine wesentliche Leistung der Ausbildung und der internalisierten Rollenauffassung —, deutet die bereits erwähnte Tatsache hin, daß Richter aus den Unterschichten sich durch Heirat der neuen Berufsschicht anzupassen bestrebt sind; denn hierin zeigt sich die Wirkung der Internalisierung der Auffassung von der neuen oder erstrebten Richterrolle.

47

Schließlich kommt noch ein weiteres Moment hinzu, das für das konservative Wertverständnis des Richters spricht. Wie Dahrendorf 83 ) schreibt, „ist die soziale Rolle des Richters unter beliebigen gesellschaftlichen Verhältnissen durch Erwartungen umschrieben, die man als konservativ bezeichnen mag". Auch die freiheitliche Ordnung bedarf der Garantie und der Durchsetzbarkeit der Gesetze, auch wenn diese Raum für gestaltendes Richterrecht geben 84 ). Ferner ist zu berücksichtigen, daß auch der Richter ein Kind seiner Zeit ist und von den Vorstellungen der Umwelt in seiner Haltung bestimmt wird. Der Richter in der Zeit der Monarchie war nicht nur durch Herkunft, sondern auch durch Erziehung und Ausbildung kaiser- und staatstreu, so daß es auch hieraus erklärlich ist, daß ein Großteil der Richter, die ihre Ausbildung in den zwanziger Jahren an Universitäten durchliefen, die ebenfalls weitgehend von der Geisteshaltung der Monarchie bestimmt waren, den Wertvorstellungen der Weimarer Republik weitgehend ablehnend gegenüberstanden. Es sind immer nur wenige, die dem Neuen aufgeschlossen gegenüberstehen und sich der harten Arbeit unterziehen, das Bestehende auf das Neue hin fortzubilden, so daß ein „Nachhinken" bei einem Stand, der von seiner Aufgabe her wesentlich auf Bewahren ausgerichtet ist, auch hieraus erklärbar ist. Es war ein Verhängnis, daß auch die Universitäten der Weimarer Zeit nicht so stark von dem Geist der Demokratie erfüllt waren, daß auf ihnen Juristen ausgebildet wurden, die die Ideen der Demokratie in die Rechtspraxis umsetzten, so daß das Regime des Nationalsozialismus in den Reihen der Richter nur auf wenige Gegner stieß. Andererseits berechtigt diese Feststellung zu der Hoffnung, daß heute eine Ausbildung im Geist der Demokratie auch Richter hervorbringt, denen es bei ihrer Rechtspraxis um die Wahrung und Erweiterung des Freiheitsraumes des einzelnen im Ganzen des Staates und der Gesellschaft geht und die auch zur Verteidigung dieser Demokratie mit den Mitteln des Rechts bereit sind. 83

>

84

)

48

Ralf Dahrendorf, Bemerkungen zur sozialen Herkunft und Stellung der Richter an Oberlandesgerichten, aaO. S. 273. vgl. Rudolf Wassermann, Das Recht - bewahrendes oder gestaltendes Element unserer Gesellschaft?, S. 8.

Es zeigt sich also, daß mehrere Faktoren zusammen in die Richtung des Konservatismus und der Beharrung weisen: einmal schon das Rechtssystem als solches, das auf Beständigkeit und nicht ^uf Wechsel angelegt ist; die Zugehörigkeit des Richters zur Oberschicht; der institutionelle und organisatorische Apparat der Justiz; die Ausbildung als besondere Sozialisation des Juristen; die Herkunft und schließlich die Rollenerwartung des überwiegenden oder zumindest eines großen Teils der Gesellschaft. Wenn nun richterliche Entscheidungen konservative Züge aufweisen und trotz Änderung des Wertverständnisses in weiten Teilen der Gesellschaft und auch vielleicht trotz Festlegung anderer Werte in der Verfassung oder in einzelnen Gesetzen, an einem konservativen Wertverständnis festgehalten wird, dann ist es nicht möglich, die Stärke der einzelnen, in die gleiche Richtung weisenden Faktoren zu bestimmen, und es werden sich auch keine empirischen Untersuchungen durchführen lassen, die die Intensität dieser einzelnen Faktoren aufzeigen können, solange sie alle in die gleiche Richtung gehen und nicht isoliert werden können. Grundsätzlich wird Rottleuthner 8 5 ) darin zuzustimmen sein, daß die Herkunft der Richter aus der Mittelschicht eine Verstärkerfunktion haben dürfte, obgleich die bereits erwähnten amerikanischen Untersuchungen auch der Möglichkeit Raum geben, daß gerade die aus der Oberschicht Stammenden über ein größeres Maß an Nonkonformismus gegenüber dieser ihrer Herkunftsschicht verfügen und sich weniger dem Anpassungszwang dieser Schicht ausgesetzt fühlen. Dafür könnte auch die Tatsache sprechen, daß gerade besonders dem Fortschritt zugeneigte, von neuen, ihrer Herkunftsschicht entgegengesetzten Ideen erfüllte Persönlichkeiten nicht aus den Unterschichten, deren Los sie verbessern wollen, sondern gerade aus der Oberschicht stammen und gegen deren Vorstellungen reagieren. Aber auch hier ist es nicht die große Zahl, sondern sind es nur einige wenige, die trotz Herkunft und Ausbildung über die erforderliche Aufgeschlossenheit verfügen. Unter diesen Umständen nimmt es nicht wunder, daß die Untersuchungen von Opp/Peuckert keine Feststellungen in der Richtung ergeben, daß die Herkunftsschicht das Urteil des Richters maßgebend beeinflußt. In gleicher

8S

)

Herbert Rottleuthner, Klassenjustiz?, in KJ 1969, S. 1, 13.

49

Weise verlief auch der Versuch Lautmanns seiner beobachtenden Teilnahme am richterlichen Entscheidungsprozeß. Man wird Schmidhauser 86 ) zustimmen können, daß die Erforschung der social background-Faktoren bisher kaum über ein spekulatives Stadium hinausgekommen ist, daß aber gleichwohl die Verhaltensweise der upper middle-class zwar nicht formelhaft erfaßt werden kann, aber doch Ton und Charakter der Entscheidungstätigkeit (tone and temper of judicial decision-making) in subtiler Weise beeinflußt. Das Leben ist zu komplex und zu vielfältig, als daß ein Faktor isoliert werden könnte und auch als daß eine bestimmte Ursache bei jedem Menschen einer bestimmten Herkunftsschicht regelmäßig eine bestimmte Folge auslösen müßte. Joel B. Grossmann 87 ) hebt daher mit Recht hervor, daß die Versuche einer Isolierung der Herkunftsfaktoren die wesenhaft kumulative und of zufällige Natur (essentially cumulative and random nature) der menschlichen Erfahrung übersehen haben, die bisher in den Kreis dieser Überlegungen noch nicht einbezogen wurde, die aber durchaus eine andere Entscheidung bewirken kann, als sie eine monokausale Betrachtung erwarten läßt. Der wahrscheinlich regelmäßig vorhandene Einfluß der Herkunft des Richters auf den Entscheidungsprozeß ist bisher nicht quantifizierbar und auch kaum abschätzbar. Das ist umso mehr der Fall, als — worauf Thomas Raiser 88 ) hinweist — eine Wechselwirkung „zwischen Herkunft und Werdegang des Juristen einerseits und dem Stil unserer Rechtskultur andererseits" besteht, die sehr viel komplizierter als „ein monökausaler Ursachenzusammenhang" ist. Denn mögen auch die beiden zuerst genannten Faktoren auf das Recht und vor allem auf die Rechtspraxis einwirken, so zieht doch unser Recht - und in anderen Ländern ist das nicht anders — in erster Linie nicht Sozialrevolutio-, näre, sondern „eher konservativ und staatstreu denkende Menschen" an. 86

)

aaO. S. 2 , 4 9 , ferner The background characteristics of United States Supreme Court Justices, in Glendon Schubert, Judicial behavior: a reader in theory and research, S. 206 ff., 233.

87

)

aaO. S. 1563.

88

)

Thomas Raiser, Was nützt die Soziologie dem Recht?, in JZ 1970, 665, 666.

50

In einer Zeit starken sozialen Wandels wird auch der Richter der gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung tragen und tragen müssen, aber die größere Bereitschaft zur Rechtsfortbildung und auch Rechtsgestaltung wird die gegen seitige Abhängigkeit von Herkunft und Ausbildung einerseits und Rechtskultur andererseits nicht durchbrechen oder gar aufheben können.

51

IV.

Erkenntnis der möglichen Bedeutung der sozialen Herkunft als Gegengewicht gegen den möglichen Einfluß der sozialen Herkunft auf die richterliche Entscheidung

Da bisher nur die Möglichkeit eines bestimmten Einflusses der Herkunft der Richter auf die Entscheidung faßbar ist, kann auch die Frage nach einem Gegengewicht gegen eine unerwünschte Beeinflussung der Entscheidungstätigkeit des Richters durch seine Herkunft nur sehr vage beantwortet werden, wenngleich diese Frage angesichts der großen Bedeutung der ersten Sozialisationsstufe des Elternhauses letztlich die entscheidende ist. Die Erkenntnis einer solchen Einflußmöglichkeit allein ist schon von Bedeutung, weil sie zu einem heilsamen Zweifel an den tradierten Wertvorstellungen und zu deren Überprüfung führen kann. Die Wertvorstellungen, die die Oberschicht kennzeichnen, stehen nun nicht schlechthin im Gegensatz zu den Wertvorstellungen unserers Rechtssystems und auch unserer Rechtsordnung, auch nicht zum Wertkonsens eines großen Teils der Gesellschaft. Gleichwohl ist nicht zu verkennen, daß sie verhältnismäßig beharrend sind und daß neue Wertvorstellungen in unserer Gesellschaft im Werden sind, die auch schon im Grundgesetz und in Einzelgesetzen ihren Niederschlag gefunden haben. Wertvorstellungen sind konstituierend für jede Person, aber gerade der Richter, dessen Wertvorstellungen in seinen Entscheidungen für Dritte und auch für die Allgemeinheit von Bedeutung sind, ist gehalten, sich seine Wertvorstellungen nach Möglichkeit bewußt zu machen und sie auf ihre Gültigkeit zu überprüfen. Diese Aufgabe ist nie abschließend zu lösen, da ja auch wieder der Versuch, zugrundeliegende Wertvorstellungen bewußt zu machen, gerade durch internalisierte Wertvorstellungen beeinflußt ist. Aber da der Jurist durch seine Ausbildung darin geschult ist oder zumindest geschult sein sollte, Sachverhalte möglichst unvoreingenommen zu erfassen und zu beurteilen — hierin liegt eine wesent-

52

liehe Leistung der juristischen Ausbildung —, sollte gerade er Verständnis für eine solche Selbstprüfung haben und auch in dem Bewußtsein der Unzulänglichkeit dieses Beginnens bei jeder Entscheidung zumindest versuchen, sich über die letztlich für ihn bestimmenden Wertvorstellungen und deren „Fragwürdigkeit" klarzuwerden. Da diese Wertvorstellungen vielfach entscheidender als logisch-juristische Deduktionen und auch für den Dritten plausibler sind, sollten die reflektierten Wertvorstellungen durchaus Eingang auch in Entscheidungsbegründungen finden. So wünschenswert derartige Ausführungen in den Entscheidungsgründen sind, so schwierig sind sie auch. Zunächst stellt die Selbstreflexion und Selbsterkenntnis bereits Anforderungen, die nie zu erfüllen sind. Zum anderen ist dabei das Problem der Sprache zu bewältigen. In einer Zeit des Wertpluralismus werden gerade Schlüsselwörter wie Freiheit, Demokratie, Grundordnung, Sozialstaat, Rechtsstaat, die für unsere Rechtsordnung grundlegend sind, jeweils mit unterschiedlichem Bedeutungsinhalt erfüllt, so daß trotz des für den Verfasser möglicherweise eindeutigen Wortgebrauchs die Ausführungen jeweils unterschiedlich verstanden werden. Für unbewußtes wie bewußtes Mißverstehen ist hier Tür und Tor geöffnet, zumal es nicht möglich ist, alle der richterlichen Entscheidung zugrundeliegenden Bedeutungsinhalte explizit zu machen. Gleichwohl sollten diese Schwierigkeiten das Bemühen um größere Plausibilität und Rationalität nicht lähmen, sondern gerade im Gegenteil dazu anspornen. Dieses gleiche Bemühen um Aufhellung der jeweils zugrundeliegenden Wertvorstellungen sollte aber auch bei den Kritikern des Entscheidungsverhaltens des Richters wie auch einzelner Entscheidungen erkennbar werden. Es ist gesagt worde, z . B . auch von Dahrendorf, daß ein verstärkter Zugang von Angehörigen unterer Schichten zum richterlichen Beruf zu einer Umorientierung führen könnte. Unter den gegenwärtigen Umständen ist das kaum möglich. Die Sozialisation durch die Ausbildung und der Anpassungsdruck der neuen Schicht, der der Aufgestiegene angehört, sind so stark, daß gegenwärtig eher eine Überanpassung an die Oberschicht zu erwarten ist als ein Einfließen neuer Wertvorstellungen in die Richterschaft. Mit Nachdruck ist Experimenten entgegenzutreten, deren Veranstalter glauben, durch ideologische 53

Indoktrination eine neue Bewußtseinsbildung für die künftigen Juristen zu bewirken; denn es geht darum, die Wertordnung unserer freiheitlich-demokratischen Verfassung zu erhalten und den Freiheitsraum des einzelnen gegen Staat und Gesellschaft zu schützen und zu erweitern. Nicht ein revolutionäres, sondern ein evolutionäres Bewußtsein von den Werten, die Grundlage einer freiheitlichen Demokratie sind, gilt es zu bilden und zu verstärken, und dabei mitzuwirken ist eine der vornehmsten Aufgaben des Richters. Bei aller Anerkennung der großen Bedeutung der ersten Sozialisationsstufe des Menschen, die zwar bisher aus den dargestellten Gründen nicht more geometrico statistisch verifiziert werden kann, setzt die Einsicht in diese Zusammenhänge und damit in die Abhängigkeit der individuellen Wertvorstellungen von übernommenen Verhaltensstereotypien den Menschen in die Lage, sich kritisch von diesen Bestimmungsfaktoren zu distanzieren, sie zu überprüfen, zu modifizieren und auch zu ändern. Der Mensch ist durch das Milieu des Elternhauses nicht unabänderlich festgelegt, vielmehr, wenn überhaupt der Mensch als ein vernunftbegabtes, Freiheit erstrebendes Wesen gesehen wird, dann muß ihm auch die Fähigkeit zu kritischer Einsicht und zu Selbstkritik zuerkannt werden. Gerade hier können die berufssoziologischen Forschungen Anregungen und Anreiz zu kritischer Besinnung geben, und wenn zu den Berufseigenschaften des Richters Bemühen um Objektivität und Distanz, auch von der eigenen Person zählt, dann sollte auch dem Richter, der mit Wertvorstellungen auch anderer Schichten als seiner Herkunftsschicht ständig konfrontiert, der durch die in Verfassung und im Gesetz niedergelegten Wertvorstellungen ständig zu dieser kritischen Auseinandersetzung mit den eigenen Anschauungen angeregt und geradezu herausgefordert wird 89 ), wenigstens die Fähigkeit zu kritischer Reflexion und zu einem seiner Einsicht entsprechenden Handeln nicht abgesprochen werden. Das Problem der Beeinflussung der richterlichen Entscheidung durch seine Herkunft stellt sich in jedem Rechtssystem. Wenn es sich in unserer pluralistischen, im Wandel begriffenen Gesellschaft besonders scharfund deutlich

89

)

54

vgl. hierzu Thomas Raisei, aaO. S. 667.

stellt, dann geht es zu weit, wegen der notwendigen, aber nie völlig zu beseitigenden Spannungen zwischen den Wertvorstellungen des Richters und denen der Gesellschaft bzw. von Teilen der Gesellschaft das Ende der Justiz zu prophezeien 90 ), aber jeder Richter sollte sich seiner Verpflichtung zu Selbstkritik und Selbsterziehung bewußt sein, um in der Entscheidung zwar Bewährtes zu bewahren, aber auch Starrheit zu vermeiden und das Recht entsprechend den Wertvorstellungen des Grundgesetzes zur Verwirklichung einer freiheitlich verfaßten Gesellschaft fortzubilden. Dabei wird wesentliche Hilfe gerade von einer den jungen Juristen ausbildenden Rechtswissenschaft zu leisten sein, die sich als „Zukunftswissenschaft" 91 ) versteht, die das Recht als ein Mittel sieht, das nicht nur repressiv wirkt, sondern auch in der Lage ist, die Zukunft zu gestalten. Damit wird der Richter nicht zu einem „Sozialrevolutionär", der den Unterschied von Rechtsprechung und Gesetzgebung einebnen will, sondern er bleibt ein Wahrer und Schützer des Rechts als des Garanten der Freiheit, wirkt aber in den ihm gezogenen Grenzen gestaltend an der Erweiterung des Freiheitsraumes des einzelnen im Rahmen des Ganzen mit.

90 91

)

Theo Rasehorn, Von der Klassenjustiz zum Ende der Justiz, in KJ 1969, 273, 282 f.

)

Werner Maihofer, Realistische Jurisprudenz, in Rechtstheoiie, herausgegeben von Günther Jahr und Werner Maihofer, S. 4 2 7 , 4 3 1 .

55

J. Schweitzer Verlag - Berlin

ERNST Der Verkehr des Strafgefangenen mit der Außenwelt V o n Dr. Ludwig Ernst. Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Dr. h. c. Arthur Kaufmann Oktav. X X V I , 193 Seiten. 1972. Kartoniert D M 4 2 , I S B N 3 8059 0251 4 (Münchener Universitätsschriften. Juristische Fakultät. Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung. Band 6) Das Buch enthält die bislang einzige Darstellung der Praxis des Strafvollzugs in der B R D bezüglich der Außenweltkontakte des Strafgefangenen. Die Ergebnisse der in dem Band enthaltenen Fragebogenenquete sind repräsentativ für die Bundesrepublik und daher vorzüglich geeignet, als solide Basis für eine Reform des Strafvollzugsrechts zu dienen. Diese umfassende Bestandsaufnahme der Praxis des Verkehrs des Strafgefangenen mit der Außenwelt ist von großer Bedeutung für eine Weiterentwicklung und Neugestaltung des Strafvollzugs, da eine Reform erst dann durchführbar ist, wenn Klarheit über den Gegenstand herrscht. Verschiedene Gesetzesformulierungsvorschläge sollen als Impulse für den Gesetzgeber dienen, den Kommissionsentwurf für ein Strafvollzugsgesetz nicht unüberarbeitet zu übernehmen. Gerade der Verkehr des Strafgefangenen mit der Außenwelt ist ein sehr wesentliches Element des gesamten Strafvollzugs und kann in seiner Bedeutung für den Gefangenen und die Gesellschaft nicht unterschätzt werden, da auch hier schon die Weichen für das Leben des Gefangenen nach seiner Entlassung gestellt werden.

SCHOREIT Entschädigung der Verbrechensopfer als öffentliche Aufgabe Einige kriminologische, soziologische und juristische Grundlagen V o n Regierungsdirektor Dr. A r m i n Schoreit. Oktav. 112 Seiten. 1973. Kartoniert D M 2 4 , - I S B N 3 8 0 5 9 0304 9 Die gesetzliche Regelung der Entschädigung der Opfer von Straftaten erwies sich bisher als besonders schwierig, weil die Diskussion um das rechtspolitische Anliegen und die sozialen und soziologischen Grundlagen eines solchen Gesetzes erst am Anfang steht. Für diese Diskussion stellt das Buch die notwendigen Rechtstatsachen zur Verfügung. Darüber hinaus werden unter Berücksichtigung aller für den Gesetzgeber wesentlichen kriminologischen und juristischen Gesichtspunkte die Grundzüge einer Entschädigungsregelung systematisch deduziert.