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German Pages 762 [764] Year 2003
Regeln der Bedeutung
W G DE
Revisionen Grundbegriffe der Literaturtheorie
Herausgegeben von
Fotis Jannidis Gerhard Lauer Matias Martinez Simone Winko
Walter de Gruyter · Berlin · New York 2003
Regeln der Bedeutung Zur Theorie der Bedeutung literarischer Texte
Herausgegeben von
Fotis Jannidis Gerhard Lauer Matias Martinez Simone Winko
Walter de Gruyter · Berlin · New York 2003
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 3-11-017558-4 Bibliografiscbe Information Der Deutschen Bibliothek
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Vorwort Ein Teil der hier versammelten Beiträge wurde auf einer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Tagung vom 12. bis 15. September 2001 im Kloster Irsee vorgestellt und diskutiert. Caroline Bolten, Alexa Johannes und Jürgen Müller danken wir für ihre Unterstützung. Die Tagung trug den Titel >Regeln der Bedeutung. Gibt es Grenzen der Interpretation literarischer Texte?Bedeutung< ist daher ein literaturwissenschaftlicher Grundbegriff, aber ein Grundbegriff, dem das Fach auffällig wenig Aufmerksamkeit schenkt. 7
Winko: Autor-Funktionen.
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Die Selbstbeschreibung des Faches kennt eine systematische Reflexion des Begriffes >BedeutungAutorschaft< oder >Fiktionalität< ist >Bedeutung< der unbekannte Grundbegriff der Literaturwissenschaft. Der Band >Regeln der Bedeutung< beansprucht, Bedeutung als literaturwissenschaftlichen Grundbegriff sichtbar zu machen. Wenn jede interpretierende Aussage über einen literarischen Text bestimmte Annahmen darüber voraussetzt, auf welche Weise er Bedeutung erzeugt, vermittelt oder veranlasst, dann muss ein Fach, das Wissenschaft im Namen führt, die Arbeit am Begriff suchen. Die Erforschung der implizit mitlaufenden Annahmen, wie literarische Bedeutung funktioniert, gehören daher in der Systematik der Faches zu ihren zentralen Aufgaben, gerade weil meist unklar bleibt, was eigentlich gemeint ist, wenn von der >Bedeutung< eines literarischen Werkes die Rede ist. Geht es um den ästhetischen oder moralischen Wert eines Textes, um seinen lexikalischen, metaphorischen, repräsentativen oder symptomatischen Sinn, um die rekonstruierte Intention des realen oder impliziten Autors, um kognitive oder emotive Reaktionen des empirischen oder impliziten Lesers? Die Liste solcher Gebrauchsweisen des Bedeutungsbegriffs in der Literaturwissenschaft lässt sich leicht verlängern. Hier Klarheit zu gewinnen, in dem Problemlagen identifiziert, Vorannahmen thematisiert und Widersprüche der Konzepte und Begriffe
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Kolk: Reflexionsformel.
Der Bedeutungsbegriff in der Literaturwissenschaft
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ausgeräumt werden, ist Ziel des Bandes. >Bedeutung< ist zu zentral für die literaturwissenschaftliche Arbeit, um den Begriff den Vorurteilen und Zufälligkeiten zu überlassen, die seine Konzeptualisierung derzeit bestimmen. Der Bedeutungsbegriff ist im praktischen Umgang mit Literatur notorisch vieldeutig. Ihm entspricht in der Literaturwissenschaft und Ästhetik eine Fülle verschiedenster Bedeutungstheorien, die sich überwiegend aus der Fachdiskussion des letzten halben Jahrhunderts herschreiben: In den sechziger und siebziger Jahren vertrat die Rezeptionsästhetik hermeneutische und phänomenologische Konzepte. Gegen diese Tradition wurde im Zuge der Forderung nach Verwissenschaftlichung der Disziplin versucht, den Bedeutungsbegriff zu operationalisieren. Die meisten dieser Versuche — vor allem die strukturalistisch und linguistisch inspirierten Bemühungen, eine >literarische Semantik< oder eine generative Erzählgrammatik< zu konstituieren — kamen über Ansätze nicht hinaus und wurden, ohne das Problem befriedigend gelöst zu haben, aufgegeben. Parallel dazu bestimmte die sogenannte Empirische Theorie der Literatur die Bedeutungskonstituierung als eine rein leserabhängige Operation: Ein literarischer Text habe Bedeutung nur für und durch einen Rezipienten. In den achtziger Jahren lebte die Diskussion um die Bedeutung literarischer Texte unter poststrukturalistischen und diskursanalytischen Prämissen wieder auf. In beiden Fällen ging es um eine Kritik hermeneutischer Interpretationspraxis, nun allerdings mit dem Ziel, einerseits die prinzipielle Instabilität, andererseits die Diskursabhängigkeit von Bedeutungszuschreibungen aufzudecken. In den neunziger Jahren wurde dann — mit ähnlicher Stoßrichtung - der komplexe Kommunikationsbegriff der Systemtheorie in die literaturwissenschaftliche Debatte eingeführt. Daneben weckte der >cultural turn< das Interesse für kultur- und ^/^rspezifische Bedeutungen in der Literatur.9 In allen diesen Theoretisierungen ist Bedeutung freilich nur ein diffus gebrauchter Begriff, ja vielfach kommt ihm noch nicht einmal Begriffstatus zu. Das hat Folgen für die Theoriedebatte, die auch deshalb ins Leere gelaufen ist, weil ihr an einer wissenschaftlichen Klärung der zentralen, an den Grundbegriff der Bedeutung gekoppelten Annahmen über das, was ihr Gegenstand, die Literatur ist, so wenig Hegt. Die Beiträge des vorliegenden Sammelbandes nehmen die losen Enden dieser Diskussion auf und suchen nach Integrationsmöglichkeiten. Sie überprüfen kritisch die Plausibilität und Erklärungskraft der verschiedenen Ansätze und der impliziten Bedeutungskonzeptionen der — von theoretischen Überlegungen oft unbeeindruckten - literaturhistorischen Interpretationspraxis. Überlegungen anderer Disziplinen wie der Philosophie, 9
Vgl. die Beitrage von Uta Schaffers und Rainer Winter in diesem Band.
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Linguistik, Kognitionspsychologie und Soziologie werden herangezogen, sofern sie für eine disziplinäre Verständigung über den Grundbegriff der Bedeutung hilfreich sind. Zur Orientierung im wenig strukturierten Diskussionsfeld stellen wir hier einen knappen historischen Überblick über einige (keineswegs alle) neueren Theorien der Bedeutung literarischer Werke voran, gefolgt von einer Skizze der systematische Aspekte der literarischen Bedeutung.
1. Theorien literarischer Bedeutung im 20. Jahrhundert Auf die Frage »Was bedeutet ein literarisches Werk?« haben Literaturtheorien des 20. Jahrhunderts viele Antworten gegeben. Das kann angesichts der üblichen Uneinigkeit der Literaturtheorie gerade gegenüber ihren Grundbegriffen nicht überraschen. Es kann aber insbesondere auch deswegen nicht überraschen, weil die literaturwissenschaftlichen Bedeutungstheorien immer wieder Theoreme aus anderen Disziplinen wie der Philosophie, der Linguistik, der Kunstgeschichte, der Psychologie oder der Soziologie importiert haben — Disziplinen, in denen der Begriff der Bedeutung ähnlich disparat diskutiert wird wie in der Literaturwissenschaft. Im Folgenden wollen wir den Stellenwert des Bedeutungsbegriffs in sechs Forschungstraditionen andeuten, welche die literaturwissenschaftliche Diskussion im 20. Jahrhundert in besonderem Maße geprägt haben, nachdem im 19. Jahrhundert einerseits der Positivismus, andererseits die Hermeneutik den Umgang die Literaturtheorie dominiert hatten.10 Eine vergleichende und umfassende Geschichte des Bedeutungsbegriffs in der modernen Literaturtheorie ist noch nicht geschrieben worden.11 Unsere Rekonstruktion ist deshalb nur ein stark selektiver und skizzenhafter Vorschlag, das unüberschaubare Feld zu konturieren. (1) Aus der Tradition der analytischen Philosophie haben verschiedene Ansätze12 in literaturwissenschaftliche Theorien der Bedeutung Eingang gefunden. Wir heben drei besonders einflussreiche hervor. (a) Der Mathematiker und Sprachphilosoph Gottlob Frege führte um 1900 eine Unterscheidung zwischen dem >Sinn< und der >Bedeutung< sprachlicher Ausdrücke ein: Es liegt nun nahe, mit einem Zeichen (Namen, Wortverbindung, Schriftzeichen) außer dem Bezeichneten, was die Bedeutung des Zeichens heißen möge, noch das verbunden 10 Historische Darstellungen wirkungsmächtiger hermeneutischer Positionen bieten die Beiträge von Lutz Danneberg und Bernhard F. Scholz in diesem Band. 11 Einen begrenzten Überblick gibt Ray: Meaning. 12 Vgl. dazu in diesem Band die Beiträge von Werner Strube, Lubomir Dolezel, Rüdiger Zymner, Axel Bühler und Michael Kober.
Der Bedeutungsbegriff in der Literaturwissenschaft
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zu denken, was ich den Sinn des Zeichens nennen möchte, worin die Art des Gegebenseins enthalten ist. [...] Es würde die Bedeutung von >Abendstern< und >Morgenstern< dieselbe sein, aber nicht der Sinn.13
Freges Unterscheidung wurde in der Literaturwissenschaft nicht nur von einigen Fiktionalitätstheoretikern aufgegriffen, sondern diente auch E. D. Hirsch in seinem einflussreichen Buch >Validity in Interpretation (1967) dazu, zwischen zwei verschiedenen Aspekten der Bedeutung literarischer Texte zu unterscheiden. Einerseits, so führt Hirsch aus, besitze das literarische Werk >meaningsignificance< zugewiesen, nämlich eine variable Bedeutung, die von den individuellen Bedingungen der jeweiligen Rezeption abhänge und durch die Applikation des Textes auf die jeweilige Situation geprägt sei. Meaning is that which is represented by a text; it is what the sign represent. Significance, on the other hand, names a relationship between that meaning and a person, or a conception, or a situation, or indeed anything imaginable. [...] Significance always implies a relationship, and one constant, unchanging pole of that relationship is what the text means.14
(b) Eine anderer analytischer Ansatz geht auf die Bedeutungstheorie des späten Ludwig Wittgenstein zurück, der die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke mit ihrem Gebrauch identifiziert. In ihrer Weiterführung durch H. Paul Grice fand diese Gebrauchstheorie der Bedeutung auch in der Literaturwissenschaft Anwendung. Grices pragmatischer Ansatz hob den Einfluss unausgesprochener Konventionen für das Textverständnis hervor. Was ein Text bedeute, bestehe nicht nur aus dem, was er explizit mitteile, sondern auch aus Vorausgesetztem und implizit Ausgedrücktem, das der Leser in Form von Implikaturen, Inferenzen oder Präsuppositionen erschließe.15 In seinen späteren Arbeiten nimmt z.B. Umberto Eco diesen Ansatz auf und beschreibt die Bedeutung eines literarischen Werkes als Produkt eines kommunikativen Prozesses zwischen Autor und Leser, der wesentlich vom Erkennen impliziter Textinformationen seitens eines »Modell-Lesers« abhänge, welcher in seiner (vom Autor gelenkten) Lektüre allererst den »virtuellen Text« des Werkes hervorbringe.16 (c) Ein dritter Ansatz stammt aus der analytischen Ästhetik und geht auf Immanuel Kants Theorie des ästhetischen Urteils zurück. Kant entwickelt in seiner >Kritik der Urteilskraft (1790) die Auffassung, Urteile über 13 14 15 16
Frege:Sinn, S. 41. Hirsch: Validity, S. 8. Vgl. dazu auch den Beitrag von Roger D. Seil in diesem Band. Eco: Lector, z.B. S. 27.
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ästhetische Gegenstände wiesen eine besondere Struktur auf: Sie zeigten durch die Darstellung eines Besonderen zugleich auch etwas Allgemeines auf, wobei dieses Allgemeine nicht eindeutig und abschließend bestimmbar, sondern nur unbestimmt gegeben sei. Nelson Goodman und Gottfried Gabriel haben diese Bestimmung aufgegriffen und die spezifische Bedeutungskonstituierung von Kunstwerken (auch) darin gesehen, dass in ihnen eine >Richtungsänderung des Bedeutens< (Gabriel) stattfinde. Ihrer Auffassung zufolge stellen Kunstwerke Einzelnes dar — aber das auf eine besondere Weise, welche dieses Einzelne zum Zeichen für ein unbestimmtes Allgemeines mache. Goodman fasst die Besonderheit ästhetischen Bedeutens mit der Bestimmung, ein Kunstwerk denotiere nicht einen Gehalt, sondern exemplifiziere ihn metaphorisch.17 Gabriel beschreibt diese Eigenschaft ästhetischer Werke folgendermaßen: »Es ist die Richtungsänderung des Bedeutens, die aus dem Einzelnen ein Besonderes macht: Das Besondere ist das be-deutende Einzelne«. Aus dieser besonderen Art der Bedeutungszuweisung erwachse der nicht auf andere Erkenntnisweisen (z.B. der Wissenschaft) reduzierbare »Erkenntniswert« künstlerischer Werke: »Der ästhetische Wert, der dann freilich nicht einfach mit Schönheit oder einem anderen >Gefallenswert< gleichzusetzen wäre, sondern eine besondere Art des Erkenntniswertes ausmachen würde, bestünde dann darin, dass die reflektierende Urteilskraft in Gang oder hier vielleicht besser >in Schwung geba/fen wird.«18 (2) E. D. Hirschs analytische Unterscheidung zwischen >meaning< und >significance< war eine Reaktion gegen eine hermeneutische Bedeutungstheorie, wie sie im 20. Jahrhundert von Hans-Georg Gadamer und Hans Robert Jauß vertreten wurde. Die Rekonstruktion der Bedeutung eines Textes ist nach hermeneutischer Auffassung stets gebunden an den Verstehenshorizont des Lesers. Anders als Hirsch hält die Hermeneutik das interpretatorische Ideal einer stabilen Textbedeutung (>meaningKunst als Verfahren< (1916) das Spezifische von Literatur durch das Verfahren der Verfremdung. Anders als die praktische Sprache< sei dichterische Sprache eine »Konstruktions-Sprache«. Dichtung definiert Sklovskij durch ihre »gebremste, verbogene Sprache«; »Bremsung, Verzögerung« seien geradezu das »allgemeine Gesetz der Kunst«.21 Im Strukturalismus waren dann zwei Ansätze besonders erfolgreich, von denen sich der eine vor allem auf lyrische, der andere auf erzählende Texte bezog. (a) Roman Jakobsons Aufsatz >Linguistik und Poetik< (1960) formulierte das berühmte »Äquivalenzprinzip« als fundamentale Konstitutionsregel (nicht nur, aber vor allem) lyrischer Texte. Selektion und Kombination sind für Jakobson die beiden grundlegenden Operationen, die »jedem verbalen Verhalten zugrundeliegen«: Wenn >Kind< das Thema einer sprachlichen Botschaft bildet, wählt der Sprecher aus den gegebenen, mehr oder weniger ähnlichen Hauptwörtern Kind, Baby, Knirps, Bengel etc., die alle in einer bestimmten Hinsicht gleichwertig sind, eines aus und wählt dann, um das Thema auszuführen, ein semantisch passendes Verb wie schläft, döst, schlummert etc. Die beiden ausgewählten Wörter werden zu einer Aussage kombiniert. Die Selektion vollzieht sich auf der Grundlage der Äquivalenz, der Ähnlichkeit und
20 Fricke: Norm, S. 87. Vgl. Fricke: Gesetz. 21 Sklovskij: Kunst, S. 33f.
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Folds Jannidis / Gerhard Lauer / Matias Martinez / Simone Winko Unähnlichkeit, der Synonymic und Antinomie, während der Aufbau der Sequenz auf Kontiguität basiert. Die poetische Funktion profitiert das Prinzip der Äquivalent^ von der Achse der Selektion auf die Achse der Kombination?2·
Die >Bedeutung< eines Gedichtes sieht Jakobson dann in einer übergreifenden Struktur von Gegensätzen, die nicht nur semantische, sondern auch alle anderen Aspekte des Textes umfasst. (b) Auch der strukturalistischen Erzählforschung, wie sie im Anschluss an Vladimir Propps >Morphologie des Zaubermärchens< (1927) von Claude Levi-Strauss, A. J. Greimas, Jurij Lotman und anderen entwickelt wurde, liegt die Idee einer Opposition als fundamentaler BedeutungsStruktur zugrunde. Diese Ansätze folgen der Auffassung, dass in Erzähltexten die Ebene der dargestellten Geschichte (>histoireweiß vs. schwarzmännlich vs. weiblichForce et significatiom (1963) etwa versucht Derrida plausibel zu machen, dass ein Text über seine vom Autor intendierte >signification< und vom Literaturwissenschaftler bestimmte Struktur hinaus stets ein überschüssiges Bedeutungspotential (>forceTypus< den Schlüssel gesehen für die Vermittlung zwischen der individualisierenden Darstellung in der Literatur und der Gesellschaftsstruktur.25 Die anhaltende Diskussion über die Schwächen des Begriffs der Widerspiegelung hat dem Erfolg der Konzeption, literarische Texte als Symptome für gesellschaftsstrukturelle Phänomene zu betrachten, keinen Abbruch getan, nicht zuletzt, weil auf diese Weise eine wertende Beschreibung der >eigentlichen< Bedeutung von Texten möglich wurde. Die Ideologiekritik, mit ihrer Beschreibung von affirmativer und kritischer Position der Texte, hat davon ebenso profitiert wie die Analyse der Machtstrukturen in Diskursen, feministische Lektüren und die Postcolonial Studies^
2. Systematische Aspekte des Bedeutungsbegriffs Ausgehend von theoretischen Postulaten der Foucaultschen Diskursanalyse, die sie mit der Dekonstruktion teilt, wurde im Fach flächendeckend der Versuch in Frage gestellt, die oder eine Gesamtbedeutung eines >Werks< zu rekonstruieren. Statt dessen erscheinen erheblich häufiger Arbeiten, in denen Einzelaspekte literarischer Texte und deren Beziehungen zu verschiedenen Kontexten untersucht werden. Nur noch selten wird nach >der Bedeutung< eines Textes gefragt, öfter nach seinen internen Strukturen, Diskursbezügen und intertextuellen Zusammenhängen, nach seinem >Spiel< mit literarischen oder kulturellen Mustern. Jedoch sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass auch unter solchen Fragestellungen bedeutungszuschreibende Operationen vorgenommen werden müssen. Wie jeder >Normalleser< vollziehen auch professionelle Leser Schritte der Textverarbeitung, während derer sie sprachlichen Einheiten Bedeutung zuschreiben, und anders als jene dokumentieren sie diese Zuschreibungen in ihren wissenschaftlichen Texten. Bei diesen Bedeutungszuschreibungen handelt sich also einerseits um unvermeidliche Abläufe im Prozess des Textverstehens,27 zum anderen aber auch um Operationen, die von vorausgesetzten literaturtheoretischen Annahmen mitbestimmt werden. Diese theoretischen Annahmen zielen darauf ab, das Potential möglicher Bedeutungszuschreibungen zu reglementieren. Das ist auch
25 Vgl. Lukacs: Einführung. 26 Zur kritischen Rezeption dieser Theorien in den Cultural Studies vgl. den Beitrag von Rainer Winter in diesem Band. 27 Vgl. dazu den Beitrag von Klaus Weimar in diesem Band.
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dann der Fall, wenn es nicht um die Gesamtbedeutung eines literarischen Textes geht. Die theoretische Perspektive werden wir im Folgenden entfalten. Wir wollen erstens einen Überblick über systematische Möglichkeiten geben, wie Konzeptionen literarischer Bedeutung gefasst und theoretisch modelliert werden können, und zweitens versuchen, die verschiedenen Komponenten, die der mehrdeutige Bedeutungsbegriff enthalten kann, zu differenzieren. Dabei ist zu beachten, dass Bedeutungskonzeptionen, systematisch betrachtet, ein wesentlicher Bestandteil von Literaturtheorien sind und dass sie innerhalb dieser Theorien sehr unterschiedlich begründet werden können.28 Das erschwert die Rekonstruktion und vor allem den Vergleich der Positionen. Als möglichst neutraler Ausgangspunkt und zugleich als >mental mapAutorTextKontexte< und >Leser< beanspruchen wir nicht, das Phänomen der bedeutungskonstitutiven Faktoren abzubilden. Vielmehr dient sie als Heuristik, um die verschiedenen Komponenten, die Bedeutungskonzepte in literaturwissenschaftlichen Modellierungen aufweisen können, idealtypisch zu erfassen und zu ordnen. In unserer Übersicht können damit auch z.B. Positionen erfaßt werden, deren Vertreter einem literarischen Text explizit keine Kommunikationsabsicht zuschreiben. Wenn wir im Folgenden die verschiedenen literaturwissenschaftlichen Auffassungen von Bedeutung nach den Komponenten des Kommunikationsmodells ordnen, dann überschneiden sich diese Kategorien mit anderen möglichen Unterscheidungen. Auch wenn wir sie nicht als leitende Ordnungskategorien heranziehen, tragen sie zur Klärung des Problems bei. Vor allem drei Unterscheidungen sind wichtig und werden >quer< zu dem gewählten Klassifikationsschema verwendet: (i) Bedeutung!konstitutiv — %ur Bedeutung beitragend. Die Bedeutungskonzeptionen literaturtheoretischer Positionen differieren nicht nur darin, welche Faktoren der literarischen Kommunikation sie einbeziehen, sondern auch darin, welchen Stellenwert sie diesen Faktoren für die Bildung von Bedeutung zuschreiben. So kann etwa die Autorintention als das zentrale Moment verstanden werden, das die Bedeutung eines Textes festlegt, oder als einer von mehreren Bausteinen, aus denen sich diese Bedeutung zusammensetzt. Gerade neuere Theorien profilieren sich des öfteren damit, dass sie dieselben Komponenten wie ihre Vorgänger einbeziehen, sie aber provokativ anders gewichten, um das Neue des eigenen Standpunkts zu markieren. Als prominentes Beispiel sei Marshall McLuhans Slogan »The me28 Vgl. dazu genauer Danneberg / Müller: Probleme.
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dium is the message« angeführt,29 der aus einem traditionellerweise zur Bedeutung beitragenden Faktor der Kommunikation den eigentlichen Bedeutungsträger macht. (ii) Gesamtbedeutung — Partialbedeutung. Um die verschiedenen Positionen voneinander abgrenzen zu können, ist zu berücksichtigen, ob sie die bzw. eine Gesamtbedeutung eines literarischen Textes meinen, wenn sie von >Bedeutung< sprechen, oder ob sie auf die Bedeutung einzelner Textpassagen zielen. Die erste, voraussetzungsreichere Option wird, wie gesagt, heute erheblich seltener vertreten als noch in den frühen 1980er Jahren, während die zweite Option selbst in Literaturtheorien, deren Vertreter die Möglichkeit einer Gesamtbedeutung verneinen, unumgehbar ist. (iii) Implizite — explizite theoretische Annahmen. Zu unterscheiden ist ferner, ob in einer Literaturtheorie implizite Annahmen über die Bedeutung literarischer Texte vorkommen oder ob die Theorie über eine ausgearbeitete Bedeutungskonzeption verfügt, die sie auf einer Metaebene reflektiert. Dem Unterschied im argumentativen Status solcher Annahmen entsprechend variiert die Reichweite ihrer Geltung, und auch die Frage, welche Relevanz sie für den praktischen Umgang mit literarischen Texten beanspruchen können, entscheidet sich hier. Unser Ziel ist es, einen knappen Überblick über die systematischen Möglichkeiten zu verschaffen, Bedeutungskonzeptionen in literaturtheoretischen Zusammenhängen einzusetzen. Tatsächlich vertretene Literaturtheorien sind jedoch nur in wenigen Fällen genau einem Punkt unserer systematischen Übersicht zuzuordnen. In der Regel beziehen sie mehrere Aspekte ein, was allerdings nicht selten implizit geschieht: Selbst wenn explizit ein Aspekt der literarischen Kommunikation als der wesentliche, bedeutungskonstitutive postuliert wird, kann doch unausgesprochen ein weiterer vorausgesetzt werden. So liegt den meisten textzentrierten Bedeutungskonzeptionen die unausgesprochene Annahme zugrunde, der Autor habe eine mindestens minimal bedeutungskonstitutive Funktion, und sei es nur die, den Text raumzeitlich zu fixieren.30 Zudem ist für die Rekonstruktion wichtig zu beachten, dass die literaturtheoretisch begründeten Bedeutungskonzeptionen in vielen Fällen zugleich als Wertmaßstäbe dienen. In diesen Fällen bildet die Zuschreibung eines bestimmten Typs von Bedeutung zur Literatur schon eine verdeckte normative Aussage. Ein Beispiel: Wenn die Bedeutung von Literatur als Subversion konventioneller Bedeutung (in welchem Sinne auch immer) verstanden wird, dann gilt diese literarische Bedeutung als die wertvollere. Mit dieser Operation werden zugleich der literarische Text wie auch die Tätigkeiten, die erforderlich
29 MacLuhan: Media, S. 7. 30 Vgl. dazu Jannidis / Lauer /Martinez / Winko: Rede, S. 19ff.
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sind, um seine Bedeutungen zu rekonstruieren, als besonders relevant eingestuft. 2.1. Autor Der Autor als Urheber und Gestalter des literarischen Textes ist für eine ganze Reihe von Bedeutungstheorien zentral. Einen prominenten Platz nehmen dabei die Theorien ein, die die Intention des Autors in den Mittelpunkt ihrer Bedeutungskonzeption stellen (i); sehr viel mehr Theorien allerdings beziehen sich in der einen oder anderen Weise auf die Intention des Autors, auch wenn sie sie nicht für wesentlich erachten, um die Bedeutung bzw. Bedeutungen eines Kunstwerks zu bestimmen (ii). Nichtintentionalistische Bezüge auf den Autor gehen von einem Zusammenhang zwischen dem Werk und einem nichtbewussten Aspekt des Autors aus und negieren zugleich die Existenz von Intentionen (iii). (i) Intentionalistische Bedeutungskonzeptionen sehen einen engen Zusammenhang zwischen der Gesamtbedeutung oder den Teilbedeutungen eines Textes und der Autorintention. In der literaturwissenschaftlichen Praxis stellt diese Art der Bezugnahme immer noch eine der wesentlichen Gedankenfiguren dar, auch wenn Literaturtheoretiker im 20. Jahrhundert mit ganz unterschiedlichen theoretischen Gründen diese Vorgehensweise abgelehnt haben.31 Häufig wird eine autorintentionalistische Position gleichgesetzt mit der Hermeneutik, was der Differenziertheit des hermeneutischen Modells nicht gerecht wird, da dort von Anfang an autorbezogene Interpretationsschritte durch solche, die auf das Sprachsystem und andere Typisierungen bezogen sind, ergänzt wurden. Autorintentionalistische Auffassungen basieren auf Kommunikationsmodellen, d.h. das künstlerische Werk wird als Zeichenkomplex in der Kommunikation zwischen Autor und Publikum aufgefasst. Entsprechend wird diese Kommunikation als Sonderfall menschlicher Kommunikation behandelt, deren allgemeine Regeln und Wirkungsweisen auch hier Gültigkeit haben und ergänzt werden um die Gebrauchsregeln ästhetischer und fiktionaler Kommunikation. Entsprechend der großen Bandbreite von intentionalen Konzeptionen kann die Bedeutung eines Kunstwerks bzw. einzelner Teile in verschiedener Weise modelliert werden: als identisch mit dem mentalen Zustand des Autors auf der einen Seite oder auf der anderen Seite als Zielpunkt der Schlussfolgerungen aufgrund der Zeichen. In jedem Fall ist die Intentionalität der Kommunikation noch vor der Ermittlung einer
31 Dazu ausführlich ebd.
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spezifischen Intention eine grundlegende Annahme für alle weiteren Schritte des Verstehens. (ii) Bereits in der Aufklärungshermeneutik kursierte der Topos, dass der Interpret den Autor besser verstehen solle und könne, als der Autor selbst.32 Grundlage für diese Formel ist die Beobachtung, dass die Autorintention alleine zumeist nicht alle Sinnbezüge der künstlerischem Kommunikation erklären kann, und das nicht zuletzt, weil sich Kommunikation aufgrund zahlreicher automatisierter Prozesse ereignet. Die Theorien dieser Gruppe gehen allerdings davon aus, dass die nicht-bewussten Aspekte für die Konstitution der Bedeutung des Textes sehr viel wesentlicher sind als die daneben existierende Intention des Autors. Sie nehmen zwar an, dass es eine Autorintention gibt, aber erachten sie nicht für wesentlich, um die eigentliche Bedeutung eines literarischen Textes zu ermitteln, da andere autorbezogene Mechanismen der Bedeutungskonstitution wirksam sind. Die Autorintention kann zusammenfallen mit diesen Mechanismen, z.B. wenn der Autor in seinem bewussten Tun den Geist seiner Zeit partial verwirklicht und repräsentiert, oder sie kann auch weitgehend unabhängig davon sein, z.B. wenn seine unbewussten Wünsche und das von ihm Verdrängte seinen Text prägen. Ganz typisch für Interpretationen aufgrund von Theorien dieser Art ist es, eine manifeste, aber eigentlich uninteressante und unwichtige Bedeutung des Textes neben die eigentlich wichtige, verborgene Bedeutung zu stellen. Solche Bedeutungstheorien modellieren einen Bezug zwischen dem Autor und der Bedeutung eines Werks bzw. den Teilbedeutungen, der das Bewußtsein sozusagen umgeht. Der Autor ist dann lediglich Medium oder Durchgangs station für die im künsterischen Werk wesentlich wirksamen Kräfte, z.B. seine verdrängte Sexualität, Archetypen, seine Klassenanschauung oder biologische Strukturen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der kommunikative Charakter von Kunstwerken unwichtig. (iii) Teile der modernen Subjektkritik haben sich auch sehr kritisch mit dem Begriff der Intention auseinandergesetzt und betrachten ihn, wie z.B. Foucault in seinem Aufsatz über den Autor,33 als psychologische Projektion des Lesers aufgrund von Textmerkmalen. Unter dieser Perspektive sind Autoren lediglich Schnittmengen von Diskursen, und der Leser kann das Spiel der Bedeutungen in seinen Lektüren erfahren — ungelöst ist allerdings der Widerspruch, dass die Autorfunktion einerseits konsumtiv für bestimmte Diskurse ist, andererseits Literaturwissenschaftier aber glauben, mit Bezug auf diese Position die Autorfunktion umgehen zu können. Theorien und Praktiken dieser eher textzentrierten Gruppe basieren zu-
32 Vgl. dazu den Beitrag von Lutz Danneberg in diesem Band. 33 Vgl. Foucault: Autor, S. 20.
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meist nicht auf Kommunikationstheorien, sondern auf binären Zeichentheorien, aufgrund derer Worte und andere sprachliche und thematische Elemente als Kode aufgefasst werden können.
2.2. Text Von einer prinzipiell anderen Grundlage her argumentieren Theoretiker, die den Text als die entscheidende Größe ihrer Bedeutungskonzeption heranziehen. Paradigmatisch für diese Gruppe sind Positionen, nach denen das Zeichen und/oder der Text als Träger einer angebbaren Bedeutung aufzufassen ist. Aber auch die Theorien, in denen unter Rekurs auf allgemeine Annahmen über die Beschaffenheit von Zeichen und Texten die These begründet wird, dass Bedeutung nicht fixierbar sei, sind hier zuzurechnen. Was diese beiden Extrempositionen miteinander verbindet, ist ihr binärer Zeichenbegriff. Alle Ansätze, in denen an zentraler Stelle der Argumentation mit einem solchen Zeichenbegriff operiert wird, und die meisten Positionen, die ein Kode-Modell der Sprache voraussetzen, zählen zur textorientierten Gruppe von Bedeutungskonzeptionen. Bei einem binären Zeichenbegriff steht die Beziehung zwischen Signifikaten und Signifikanten im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Welche Möglichkeiten der Bedeutungsgenerierung einem Text zugeschrieben werden, hängt von der Einschätzung dieser Beziehung ab; ausschlaggebender Faktor ist aber der Text als Kette oder Komplex von Signifikanten. Wer annimmt, dass Bedeutung von Literatur am besten mit Hilfe des Kodebegriffs fassbar sei, geht ebenfalls davon aus, dass das Zeichen — in mehr oder minder komplexem Zusammenspiel mit anderen semiotischen Instanzen — Träger einer Bedeutung ist. Entsprechend ist es der literarische Text, dessen interne Strukturen und Relationen und dessen Beziehungen zum übergeordneten Sprachsystem zu rekonstruieren sind. Hier kann es der Aspekt der langtte oder der detparo/e sein, der fokussiert wird, je nachdem, ob es um den Text als eigenständiges Objekt oder um den Text in Verwendungszusammenhängen geht. Systematisch sind vier Möglichkeiten zu unterscheiden, mit Bezug auf den Text die Bedeutung von Literatur zu bestimmen. Sie richten sich danach, welcher Aspekt eines Zeichens bzw. Textes fokussiert wird: (i) seine Form, (ii) sein Inhalt, (iii) seine Materialität34 oder (iv) der semiotische Prozess. (i) Beispiele für Positionen, nach denen die Bedeutung literarischer Werke vor allem in ihrer Form begründet liegt, bieten der New Criticism 34 Vgl. dazu den Beitrag von Peter Strohschneider in diesem Band.
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und die Werkimmanenz. Sie sehen in der literarischen Form die genuin ästhetische Bedeutungsqualität. Wimsatt und Beardsley haben den zugrundeliegenden Gedanken mit Archibald MacLeish pointiert formuliert: »A poem should not mean but be«.35 Als sprachliche Objekte haben literarische Texte zwar notwendigerweise Bedeutung, jedoch nicht im Sinne alltäglicher Aussagen, die eine intendierte Botschaft vermitteln. Vielmehr muss die Bedeutung literarischer Texte als Komplex aufgefasst werden, der ästhetischen Regeln gehorcht und der daher als Gesamtheit und gleichzeitig — »all at once« - wahrgenommen wird.36 Die Annahme, die besondere Bedeutung literarischer Texte sei ästhetisch fundiert, ist eng mit dem Gedanken verknüpft, Literatur sei autonom. (ii) Mehrere literaturwissenschaftliche Ansätze zielen auf den semantischen Gehalt von Literatur und beziehen >Bedeutung< auf die Inhaltsebene der Texte. Ein Beispiel dafür bieten strukturalistische Positionen wie die Lotmans. Zwar wird der Bedeutungsbegriff im Strukturalismus zunächst rein formal bestimmt: Bedeutung erhält ein Zeichen durch seinen Unterschied zu den anderen Zeichen des Sprachsystems. Jedoch geht es in vielen strukturalistischen Analysen literarischer Texte, z.B. in Lotmans Untersuchungen russischer Lyrik,37 auch um deren semanüschen Gehalt. Um die Bedeutung von Texten zu entschlüsseln, wird ihr Sprachmaterial auf Differenzen hin untersucht, und es wird unter Einbeziehung aller sprachlichen und formalen Ebenen nach den internen bedeutungs tragenden Beziehungen gefragt. Die Resultate dieser Analysen geben Aufschluss über die Aussage, den Inhalt oder propositionalen Gehalt eines literarischen Textes.38 Auch im Rahmen der Empirischen Literaturwissenschaft spielt dieser Aspekt eine Rolle. Von der subjektiven Bedeutungskonstitution wird die material beschreibbare Bedeutungsstruktur eines Textes unterschieden. Die zweite ist objektivierbar und lässt sich - als Prüfbasis für die Analyse der ersten — erschließen, etwa indem mit linguistischen Mitteln die Propositionen rekonstruiert werden, die dem Sprachmaterial zugrunde liegen.39 Dabei ist unter der Proposition eines Satzes sein Inhalt zu verstehen bzw. der formulierungsunabhängige gemeinsame Nenner< der Bedeutung von Sätzen, der auch dann gleich bleibt, wenn unterschiedliche illokutionäre Akte mit dem Satz vollzogen werden.
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Wimsatt / Beardsley: Fallacy, S. 4. Ebd. Lotman: Struktur, z.B. Kap. 8. Z.B. Titzmann: Textanalyse, z.B. S. 46-50, 67f. Vgl. dazu Groeben: Leserpsychologie, S. 40ff.
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Zur möglichst exakten Textbeschreibung40 wird in mehreren literaturwissenschaftlichen Richtungen auf linguistische Ansätze zurückgegriffen. Für die meisten dieser Ansätze führt die genaue Analyse der sprachlichen Oberfläche eines Textes zu seiner >darunter< liegenden Bedeutungsebene.41 Dabei sind es nicht allein kognitive Bedeutungen, um die es in solchen textbezogenen Modellen geht, sondern auch emotionale oder pragmatische Komponenten, auf die literarische Zeichen verweisen.42 (iii) Zu erwähnen sind zwei editionsphilologische Positionen, die die Frage nach der Grenze des Textes und damit nach der Grundlage für die Bedeutung neu gestellt haben: die mtique genetique und die new philology.** Die mtique genetique untersucht das in der Moderne ja zumeist gedruckte Werk im Kontext aller Überlieferungen und betrachtet dieses Korpus, den Text und alle seine Vorstufen und Fassungen, als eine Einheit, als »dossier genetique«. Diskutiert wird, welche Rolle diese Korpusbildung für die Interpretation eines Werks spielt: Limitieren frühere Textfassungen den Bedeutungsspielraum des Werks, können, dürfen oder müssen sie für eine Interpretation herangezogen werden? Schwieriger noch sind solche Fragen natürlich zu entscheiden, wenn keine der Fassungen vom Autor für definitiv erklärt worden ist und die Überlieferungslage nur autorferne Texte kennt, wie dies bei Texten vor dem Beginn des Drucks ganz üblich ist. Die new philology hat sich entsprechend programmatisch von der Autorfassung als Bezugspunkt der editorischen und interpretatorischen Bemühungen verabschiedet und sieht die Bedeutung von Texten gerade in ihrer jeweils erst zu erklärenden Varianz begründet. (iv) Die vierte zeichen- bzw. textorientierte Möglichkeit, Bedeutung zu bestimmen, bezieht sich auf semiotische Prozesse. Auch hier gibt es wieder mehrere Optionen der Argumentation. Poststrukturalistische Theoretiker z.B. gehen wie de Saussure davon aus, dass sich Bedeutung aus der Differenz zweier Sprachzeichen ergibt. Anders als die Strukturalisten sehen sie in den Signifikaten jedoch keine außersprachlichen Größen, auf die die Signifikanten zielen. Stattdessen nehmen sie einen unendlichen semiotischen Prozess an, in dem die Signifikanten aufeinander verweisen. Wenn Derrida Bedeutung als von der »differance« bewirkte, innersprachli-
40 Zum Problem, wie weit reine Beschreibungen literarischer Texte eigentlich reichen und wann das Interpretieren beginnt, siehe den Beitrag von Tom Kindt und HansHarald Müller in diesem Band. 41 Siehe hierzu den Beitrag von Ulla Fix in diesem Band. 42 Zur Frage emotionaler Bedeutung siehe den Beitrag von Simone Winko in diesem Band. 43 Vgl. Zur mtique genetique vgl. Gresillon: Handschriften. Zur und die new philology vgl. z.B. das >Speculum< Themenheft 65, l (January 1990) »The New Philology«. Siehe dazu auch den Beitrag von Roger Lüdeke in diesem Band.
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ehe »Bewegung des Bedeutens« auffasst,44 dann zielt diese Bewegung auf keine mit dem Zeichen verbundene, zu rekonstruierende Größe. Bedeutung ist vielmehr eine aus pragmatischen Gründen vorgenommene und revidierbare Setzung. Entsprechend kann es keine sinnvolle Aufgabe literaturwissenschaftlicher Forschung sein, >die< Bedeutung eines literarischen Textes rekonstruieren zu wollen. Mit ganz anderer Begründung, die entsprechend andere theoretische und praktische Folgen nach sich zieht, ist auch eine semiotische Position wie die Goodmans hier zuzuordnen. Für ihn bildet die Exemplifikation eine spezifische Weise des Bedeutens, die für Kunstwerke wichtiger ist als die Denotation. Exemplifikation ist »possession plus reference«, d.h. ein Objekt exemplifiziert eine Eigenschaft, wenn es sie besitzt und sich zugleich auf sie bezieht.45 Bedeutung ist damit eine spezielle textuelle Relation, die in entsprechenden Analysen erschließbar ist.
2.3. Kontexte Fast alle Bedeutungstheorien beziehen in ihr Modell über Autor, Publikum und Kommunikat hinaus weitere Faktoren ein. Die Literaturtheorie des 20. Jahrhunderts hat eine ganze Reihe von kontextuellen Aspekten für die Bedeutungskonstitution in Anschlag gebracht, wobei sowohl intentionalistische als auch — weitaus häufiger — nicht-bewusste Wirkungsmechanismen angenommen wurden. Diese kontextuellen Faktoren können in drei Gruppen gegliedert werden: (i) realhistorische, (ii) semantische und (iii) mediale Kontexte. Schon die folgenden Aufzählungen von KontextBegriffen zeigen, das s es sich hierbei nicht nur um Aspekte desselben problematischen Phänomens handelt, sondern mit vielen, wenn nicht jedem dieser Begriffe komplexe Theorien verbunden sind, nicht nur über die Konstitution von Bedeutung, sondern auch — pauschal gesagt - über die Beschaffenheit der Welt. Diese Begriffe sind unlösbar mit dem Kontext der jeweiligen Theorie, also den weiteren Begriffen und ihrer Vernetzung in der jeweiligen Theoriearchitektur verbunden. Es unterscheiden sich nicht nur die jeweils präferierten Aspekte, sondern eben auch die Annahmen, wie Bedeutung konstituiert und wie sie wirksam wird. (i) Realhistorische Kontexte, also z.B. Volk, Nation, Klassen, Geschlechter, Kulturen, Zensur, Markt usw., können zum einen direkt wirksam sein, z.B. wenn eine Theorie annimmt, dass die Zugehörigkeit zu einer Nation oder einem Geschlecht sich direkt in der Textgestalt nieder-
44 Derrida: Difference, S. 89ff. 45 Goodman: Languages, S. 53.
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schlage. Zum anderen können sie sich auch indkekt manifestieren, also über semantische Einheiten. Davon gehen z.B. solche feministische Theorien aus, die eine biologische Differenz annehmen, die sich aber vor allem in verschiedenen ^«ifer-Diskursen niederschlägt.46 In beiden Fällen wird jedoch angenommen, dass die realhistorischen Einheiten letztlich bestimmend sind und sowohl die mediatisierenden semantischen Strukturen wie auch die Textbedeutung determinieren. Die marxistische Literaturwissenschaft mit ihrem Modell von Basis und Überbau ist ein besonders prägnantes Beispiel für diese Form der Literaturtheorie. (ii) Semantische Einheiten, z.B. Sprache, Gattungen, Diskurse und Intertexte, werden in jeder Bedeutungstheorie als konsumtiv angesehen, nicht nur in der Literaturwissenschaft, sondern auch in den anderen Kunstwissenschaften.47 Allerdings gehen nicht alle so weit, diesen Einheiten die Bedeutung selbst zuzuschreiben, sondern sie werden zumeist als Vorrat an Typisierungen und Kodes angesehen, aus dem im Text eine spezifische Auswahl getroffen wurde, wobei diese Auswahl eigentlich erst die Bedeutung des Textes erzeugt. Je nach Interessenlage und nach Zeichen- und Kommunikationstheorie können diese Einheiten als Bedeutung ermöglichend oder limitierend angesehen und der jeweilige Spielraum, der bei der Verwendung dieser Typisierungen und Kodes existiert, kann als größer oder kleiner aufgefasst werden. So lässt sich z.B. mit dem Diskursbegriff — gemeinsam mit dem Begriff der Episteme - das überhaupt Denk- und Formulierbare einer Epoche beschreiben48 oder aber der Vorrat an semantischen Traditionen, an die weitere Kommunikationen zwar stets anknüpfen, die sie jedoch dabei stets variieren und umdeuten können.49 (iii) Mediale Kontexte sind erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in den Mittelpunkt von Bedeutungstheorien gerückt.50 Ausgehend von Nietzsches Diktum, mnser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken< haben Theoretiker wie McLuhan oder Kittler den medialen Aspekt von Kommunikation dabei zur entscheidenden Instanz der Bedeutungskonstitution gemacht.51 Die bedeutungslimitierenden oder -ermöglichenden Aspekte der Zeichenkörper sind inzwischen in ganz unterschiedlicher Art und Weise untersucht worden: Für die Differenz zwischen Oralität52 und Schriftlichkeit ebenso wie für die neuen elektronischen Medien 46 47 48 49 50 51 52
Vgl. den Beitrag von Renate v. Heydebrand in diesem Band. Vgl. die Beiträge von Lawrence Kramer und Anke-Marie Lohmeier in diesem Band. Z.B. Foucault: Ordnung, auch Foucault: Archäologie. Z.B. Luhmann: Struktur. Vgl. den Beitrag von Marianne und Herbert Willems in diesem Band. Z.B. MacLuhan: Media, Kittler: Aufschreibesysteme. Siehe dazu den Beitrag von Ruth Finnegan in diesem Band.
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als Integration aller anderen Medien.53 Die Überzeichnungen, mit denen medientheoretische Positionen anfangs häufig vertreten wurden, sind inzwischen weitgehend bescheideneren Einschätzungen gewichen, die dann allerdings kaum revolutionär sind. Ein weiterer Aspekt, der eher den medialen Aspekten zuzurechnen ist, wird unter dem Stichwort >Performanz< diskutiert, also die Aufführungs- und Inszenierungsaspekte, die etwa bei Theatertexten, bei höfischen Festen und anderen vergleichbaren Veranstaltungen die textuelle Bedeutung ergänzen bzw. die Bedeutung erst wesentlich konstituieren.
2.4. Leser Eine weitere, wichtige Gruppe zieht die Rezeptionsinstanz als Bezugspunkt heran, um ihre Bedeutungskonzeptionen zu begründen. Gemeinsam ist den Positionen, dass der Faktor Text als offene Größe aufgefasst wird, die erst im Rezeptionsakt Bedeutung erhält. Wieder lassen sich aber verschiedene Möglichkeiten unterscheiden, welche Rolle diesem Faktor im Prozess der Bedeutungskonstitution zuerkannt und wie dementsprechend >Bedeutung< bestimmt wird. Bedeutung kann als Zuschreibung der einzelnen empirischen Leser aufgefaßt werden (i), als Zuschreibung kompetenter Leser oder auch eines impliziten Lesers (ii) und als Summe der Zuschreibungen, die historische Leser im Verlauf der Überlieferungsgeschichte eines Textes vorgenommen haben (iii). (i) Paradigmatische Vertreterin der Position, die Bedeutungszuschreibung empirischer Leser bilde den zentralen Faktor, ist die Leserpsychologie, ein wichtiger Zweig der Empirischen Literaturwissenschaft. Abhängig von ihrem funktionalen Textbegriff verwendet sie >Bedeutung< als einen mehrstelligen Relationsbegriff: Texte haben Bedeutung^Ä'r einen Rezipienten in einer Kommunikationssituation. Eine der leserpsychologischen Ausgangsfragen lautet: Wie baut ein Leser oder eine Leserin auf der Grundlage eines sprachlichen Inputs »eine satzübergreifende Gesamtbedeutungsstruktur« auf?54 Für diese Position steht das lesende Subjekt im Mittelpunkt des Interesses, und damit ist das Verstehen von Literatur eine rein subjektabhängige Angelegenheit. Invariante Bedeutungen in einem literarischen Text kann es nicht geben, weil Bedeutungszuschreibungen wesentlich vom Voraussetzungssystem des Lesers, der Lesesituation und -motivation abhängen. Weder Autor noch Sprachsystem oder andere Texte können also festlegen, was die Bedeutung eines Textes ist oder welche
53 Siehe dazu den Beitrag von Gerhard Lauer in diesem Band. 54 Christmann / Groeben: Psychologie, S. 162.
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Bedeutungen in ihm enthalten sind. Es sind die Leser, die in ihren Lektüre- und Verstehensakten Bedeutung — in einem mentalistischen Sinne — herstellen.55 (ii) Nur auf den ersten Anschein gleich argumentieren Vertreter einer rezeptionsästhetischen Position. Auch nach rezeptionsästhetischen Prämissen sind literarische Texte als bedeutungsleere, >unbestimmte< Formen aufzufassen, die erst von Lesern mit Bedeutung >aufgeladen< werden. Bedeutungen literarischer Texte sind das Produkt einer Interaktion zwischen Text und Leser und keine im Text versteckten Größen, die aufzuspüren der Interpretation vorbehalten bleibt. Leser aktualisieren einen Text durch ihre Lektüre, indem sie ihn aus ihrer eigenen Rezeptionssituation heraus mit Bedeutung versehen. Charakteristikum literarischer Texte ist es, einen Spiekaum solcher Aktualisierungsmöglichkeiten zuzulassen. Dass diese Grundeinstellung jedoch nicht ganz so stark am empirischen Leser orientiert ist, wie sie im Vergleich mit textzentrierten Positionen scheint, wurde mehrfach festgestellt.56 Mit der Annahme angemessener und weniger angemessener Lesarten eines Textes und dem Begriff des impliziten Lesers, der unter anderem als das dem Text angemessene Leser-Bewußtsein bestimmt wurde, bleibt sie einem normativen Konzept verpflichtet: Nicht jede Zuschreibung von Bedeutung ist relevant, sondern nur diejenigen, die kompetente Leser vornehmen, d.h. Leser, die bestimmte Vorgaben der Texte realisieren. (iii) In rezeptionsgeschichtlicher Erweiterung dieser Konzeption tragen zur Bedeutung eines Textes alle kompetenten Auffassungen bei, von denen wir Zeugnisse haben. Die Bedeutung eines Textes liegt rezeptionsgeschichtlich gesehen also in der Summe aller Bedeutungen, die ihm jemals zugeschrieben wurden. Um die Bedeutung eines Textes zu analysieren, sind die Dokumente seiner Rezeption zu verfolgen. In historischen Rezeptionsforschungen wird diese Bedeutungskonzeption des Öfteren vorausgesetzt.
2.5. Weitere Kategorien zur Beschreibung des Phänomens >Bedeutung literarischer Texte< Mit der Systematisierung bedeutungskonstitutiver Faktoren nach dem Muster des erweiterten Kommunikationsmodells, die wir in den vorigen 55 Eine differenzierte Position vertreten Ursula Christmann und Margrit Schreier in diesem Band; aus der Sicht des radikalen Konstruktivismus vgl. dazu z.B. Schmidt: Konstruktivismus, S. 67. 56 Z.B. Holub: Theory, S. 150. Zusammenfassend Müller: Wissenschaftsgeschichte, S. 462f.
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vier Abschnitten vorgenommen haben, haben wir noch nicht alle Kategorien erfasst, die in der literaturwissenschaftlichen Debatte über die Bedeutung von Literatur eine Rolle spielen. In dieser Debatte hat sich eine Reihe von Begriffen als relativ konstant erwiesen, und zwar unabhängig von der zugrundeliegenden Literaturtheorie. Konstant sind diese Begriffe in dem Sinne, dass sie immer wieder verwendet werden, wenn auch, wie üblich, die Einbettung der Beschreibung und die Gewichtung deutlich variieren. Drei prominente Beispiele solcher Begriffe sollen die systematische Entfaltung des Bedeutungsbegriffs ergänzen. Beginnen wir mit einer der stabilsten Annahmen zur Struktur literarischer Bedeutung insgesamt, nämlich der Auffassung, dass ein literarischer Text nicht nur eine Bedeutung hat bzw. erzeugt, sondern mehrere. Insbesondere in leserorienüerten Theorien kann die Anzahl möglicher Bedeutungen die Anzahl der Leser erreichen — wenn jede Rezeption als eigene Bedeutungszuschreibung gesehen wird -, aber auch stärker textorientierte Theorien sehen es häufig als Spezifikum literarischer Texte, dass diese systematisch vieldeutig sind und sich diese Bedeutungsvielfalt nicht oder kaum ausschöpfen lässt.57 Meist bezogen auf mentalistische Bedeutungskonzeptionen, seien es nun autor- oder leserbezogene, ist die Unterscheidung von kognitiven, affektiven und ästhetischen Aspekten der Bedeutung. Kognitiv ausgerichtet sind zumeist die Positionen, die die Texte inhaltlich mit ideengeschichtlichen, geistesgeschichtlichen oder diskursgeschichtlichen Kontexten in Verbindung bringen. Der emotionale Aspekt der Bedeutung literarischer Texte, der in der Literaturtheorie des 20. Jahrhunderts erstaunlich wenig Beachtung gefunden hat, wird zunehmend von der Empirischen Literaturwissenschaft, der Kognitionswissenschaft und ebenfalls von Seiten der Diskursgeschichte untersucht. Die Analyse der ästhetischen Aspekte von literarischer Bedeutung geht zumeist einher mit einer ebenso ausführlichen wie nicht immer schon semantisierenden formalen Beschreibung des Textes. Ein weiterer Begriff, der sich bei der Beschreibung von literarischer Bedeutung einer ausgesprochenen Beliebtheit erfreut, lautet >subversivkritisch< im Gegensatzpaar >kritisch versus affirmativ< angetreten, das die Frankfurter Schule in der theoretischen Diskussion so populär gemacht hat. >Subversiv< ist jedoch weiter gefasst als >kriüschKritische< nur schwer ausmachen lässt. Als >subversiv< dagegen kann jede Form der Abweichung gesehen werden, weshalb es auch nicht ganz einfach ist, einen Gegenbegriff dafür 57 Vgl. dazu den Beitrag von Fotis Jannidis in diesem Band.
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zu nennen. In Frage käme >bestehende Verhältnisse konstituierend^ seien es nun realhistorische oder diskursive Verhältnisse. 2.6. Grenzbegriffe >Bedeutung< ist ein systematisch mehrdeutiger Begriff; schon aus diesem Grund wird er äußerst unterschiedlich verwendet. Berücksichtigt man darüber hinaus, dass jeweils andere der oben erläuterten Komponenten dominieren können, dann wird deutlich, dass mehrere Menschen, die über die Bedeutung von Literatur sprechen, nur selten dasselbe Phänomen meinen. Für Verwirrung sorgt zudem, dass eine Reihe anderer Begriffe in ähnlichen Kontexten wie der Begriff >Bedeutung< gebraucht wird. Auf ihre Unterschiede ist zum Zwecke der terminologischen Klärung kurz einzugehen. (i) Inhalt / Thema. Nicht nur in engen kognitivistischen Ansätzen verschwimmen die Grenzen zwischen dem Thema eines literarischen Textes und seiner Bedeutung. Unter dem >Thema< lässt sich ein »gleichartiges Inhaltselement verschiedenartiger Dichtungen« verstehen.58 Es bezieht sich auf das, was ein Text behandelt. Jedoch kann der Begriff >Thema< unterschiedlich textnah verwendet werden. Ein Satz wie »In Tolstois Roman >Krieg und Frieden< geht es um den Krieg« fasst den Inhalt des Romans ohne weiterreichende Interpretation zusammen, während die Aussage »In Tolstois Roman >Krieg und Frieden< geht es um die Liebe« das Thema deutlich voraussetzungsreicher formuliert. Unter dem Thema wird hier eine inhaltliche Größe verstanden, die >hinter< dem vordergründig und quantitativ dominant Behandelten steht und den >Kern< des Romans bildet. Rekonstruiert wird sie über komplexe Zeichen-Beziehungen, etwa symbolische Beziehungen. In dieser Verwendung geht der Begriff >Thema< in den der Gesamtbedeutung eines Textes über. (ii) Symptom. Werden literarische Texte symptomatisch gedeutet, dann werden sie als Anzeichen für etwas anderes genommen:59 für diskursive Muster, für eine Weltanschauung, für Klassengegensätze, ^»^r-Prägungen und vieles andere. Bei dieser Zuschreibung geht es nicht darum, ob mit dem Text eine Bedeutung intendiert worden ist, sondern ob sich Parallelen zwischen bestimmten Kontexten und dem fraglichen Text oder einzelnen seiner Teile aufzeigen lassen. Symptomatische Deutungen beziehen sich aber nicht nur auf solche weiteren Kontexte, sondern können auch
58 Fricke / Zymner: Einübung, S. 148. 59 Vgl. die Differenzierung von Interpretationstypen bei Hermeren: S. 145-151; zur symptomatischen Interpretation S. 149.
Interpretation,
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nach psychoanalytischem Muster vorgenommen werden. Ein literarischer Text verweist dann z.B. auf einen psychischen Konflikt seines Verfassers. Nimmt man einen Text als Anzeichen für etwas, dann schreibt man ihm auch eine Bedeutung zu, nur eben einen bestimmten Typ von Bedeutung: eine symptomatische Partialbedeutung. >Symptom< und >Bedeutung< gleichzusetzen liefe auf eine starke Einengung des Bedeutungsbegriffs hinaus. (iii) Sinn. Der Begriff >Sinn< wird meistens synonym mit >Bedeutung< verwendet. Daneben finden sich aber auch Unterscheidungen beider Begriffe, die allerdings nach verschiedenen Kriterien vorgehen. Nur zwei seien genannt: So wird >Sinn< oftmals als umfassenderes Konstrukt verstanden. >Sinn< bezeichnet dann die — in unserer Terminologie — komplexe Gesamtbedeutung eines literarischen Textes. Wird >Sinn< so verstanden, dann kann >Bedeutung< entweder für die einfacheren, z.B. linguistisch rekonstruierbaren Wort- und Satzbedeutungen stehen oder aber für ein ganz anderes Phänomen: die Bedeutsamkeit für eine Person. In dieser letzten Weise verwendet, wie in Abschnitt 1. erläutert, Eric D. Hirsch das Begriffspaar. In der Tradition Freges dagegen wird, auch das haben wir oben ausgeführt, mit >Sinn< eine semantische Größe bezeichnet, die mit den Verwendungskontexten eines Ausdrucks variiert, während >Bedeutung< seine invariable Referenz meint. (iv) Interpretation / Lektüre. Wenn die beiden Begriffe als Bezeichnung nicht für Tätigkeiten, sondern für deren Resultat verwendet werden, können sie mit >Bedeutung< gleichgesetzt werden. Hinter beiden Begriffen stehen unterschiedliche Konzepte: Die Tätigkeit des Interpretierens führt, idealtypisch verstanden, zur Gesamtbedeutung eines literarischen Textes. Diese Bedeutung wird regelgeleitet erschlossen, indem der Text als Ganzes und als Einheit nach methodischen Vorgaben gedeutet wird.60 In einer literaturwissenschaftlich vorgenommenen Lektüre dagegen wird einem Text Bedeutung situativ zugeschrieben. Weder das Ganzheits- noch das Einheitspostulat müssen beachtet werden.61 Zugeschrieben wird eine von der Fragestellung abhängige Partialbedeutung. Schon diese Beschreibung macht deutlich, dass die Konzepte >Interpretation< und >Lektüre< mit starken methodologischen Annahmen verbunden sind. Sie sollten als Benennungen für komplexe Verfahren der Zuschreibung von Bedeutung reserviert werden, nicht zur Bezeichnungen von Bedeutung selbst.
60 Vgl. z.B. Spree: Interpretation, S. 168. 61 Dazu Tholen: Erfahrung, z.B. S. 181 f.
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Unser kurzer und naturgemäß unvollständiger historischer und systematischer Überblick zeigt gleich Mehreres. Zunächst einmal, dass Jiterarische Bedeutung< ein sehr viel grundlegenderer Begriff ist, als aus der Aufmerksamkeit zu schließen wäre, mit der er in den Theoriedebatten bedacht wird. Der Überblick zeigt auch, dass mit der Rede von der Bedeutung literarischer Texte sehr unterschiedliche Sachverhalte bezeichnet werden. Es gehört zu den besonderen Schwierigkeiten im Umgang mit dem Bedeutungsbegriff, dass er sich auf kein einzelnes Phänomen bezieht, welches durch unterschiedliche Theorien je unterschiedlich erklärt würde; vielmehr erfassen die unterschiedlichen Bedeutungsbegriffe verschiedene Phänomene. Diese Phänomene lassen sich zudem nicht ohne weiteres aufeinander beziehen, da sie jeweils in ganz unterschiedliche Großtheorien über sprachliche Kommunikation, Kunst, Gesellschaft etc. eingebettet sind. Andererseits machen die Beiträge dieses Bandes aber auch deutlich, dass die literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit der Bedeutung literarischer Texte keineswegs willkürlich oder obsolet ist. Bedeutungszuweisungen — soweit sie überhaupt einen Anspruch auf intersubjektive Geltung erheben — folgen zwar unterschiedlichen, aber durchaus explizierbaren Regeln, die im jeweiligen theoretischen Rahmen verbindlich sind. Regel und Bedeutung gehören daher enger zusammen, als es dem dominierenden Selbstverständnis der Literaturwissenschaft entspricht. Die offensichtliche Pluralität der in der Literaturwissenschaft verwendeten Bedeutungsbegriffe mag es verbieten, auf der alleinigen Gültigkeit eines bestimmten Bedeutungsbegriffs zu insistieren. Das aber schließt mindestens die Möglichkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit ihren Konzeptualisierungen der Bedeutung nicht aus. Wo von Kritik die Rede sein kann, kann freilich auch von Falschheit die Rede sein. Nicht auszuschließen jedenfalls, dass sich Theorien über ihren Begriff der Bedeutung auch irren können. Man übertreibt nicht eben viel, wenn man sagt, dass der Begriff der Bedeutung das Zeug hat, den Wissenschaftsstatus der Literaturwissenschaft zu revidieren. Warum das so ist, liest man in den folgenden Beiträgen. Bibliographie Christmann, Ursula / Norbert Groeben: Psychologie des Lesens. In: Bodo Franzmann u.a. (Hg.): Handbuch Lesen. München 1999, S. 145-223. Danneberg, Lutz / Hans-Harald Müller: Probleme der Textinterpretation. Analytische Rekonstruktion und Versuch einer konzeptionellen Lösung. In: Kodikas/Code 3 (1981) S. 133-168.
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I. Sprachphilosophische und linguistische Aspekte der Bedeutung
MATIAS MARTINEZ Einleitung
Die literaturwissenschaftliche Textanalyse hat in ihrer Geschichte immer wieder von Theorien aus der Linguistik und aus der Sprachphilosophie profitiert — man denke in der Linguistik beispielsweise an die an grammatischen Eigenheiten von Werken und Autoren orientierten Deviationsstilistiken Karl Voßlers und Leo Spitzers (die heute in computergestützen Stilanalysen ihre Fortsetzung finden) oder an Roman Jakobsons Anwendung linguistischer Kategorien bei der Analyse literarischer Texte im Zuge seines >ÄquivalenzprinzipsText< ungeachtet des prozessualen, kontextabhängigen und offenen Charakters seiner Rezeption nicht aufhört, als stabile Entität zu existieren, da er als Kommunikat durch konventionell vereinbarte Zeichen vermittelt wird. An einer empirischen Fallstudie zur Rezeption eines Gedichtes von Uwe Kolbe illustriert sie, dass auch bei literarischen Texten Regeln der Bedeutung im Spannungsfeld zwischen einzelnem Wort und Textganzem bestimmte Bedeutungen zumindest nahelegen und damit jeder weitergehenden literaturwissenschaftlichen Interpretation zugrundeliegen. Auch Rüdiger Tymners Beitrag diskutiert einen prominenten Fall literarischer Bedeutungsbildung, uneigentliche Rede, mit Hilfe linguistischer (besonders kognitionslinguistischer) und semiotischer Termini. Obwohl uneigentliche Rede häufig als >wilde< Abweichung von Regeln verstanden wird, zeigt Zymner, dass auch uneigentliche Bedeutungen durch geregelte Kommunikationsakte konstituiert werden. Dem sozialen Grundcharakter von Sprache entzieht sich nur, wer schweigt. Roger D. Seil diskutiert kritisch die Auswirkungen dekonstruktivistischer Theorien für eine textpragmatische Bedeutungstheorie. Er stellt der deterministischen Dezentrierung des Subjekts im Poststrukturalismus eine erneuerte Variante der Hermeneutik Hans-Georg Gadamers entgegen. Sie ermögliche es, die drei zentralen Quellen der Bedeutungskonstituierung in literarischen Texten — Figur, Autor und Leser — zu erfassen. Die vier anderen Beiträge dieser Sektion stammen aus dem Bereich der analytischen Sprachphilosophie. Michael Kober gibt einen ausführlichen
Einleitung: Sprachphilosophische und linguistische Aspekte der Bedeutung
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historisch-systematischen Überblick über das breite Spektrum von Bedeutungsbegriffen, die in der analytischen Philosophie rekonstruiert worden sind. Er verdeutlicht, dass die frühere Konzentration auf wahrheitssemantische Probleme längst durch Konzepte erweitert worden ist, die mentale Zustände wie Intentionen und kommunikative Aspekte wie Sprechakte, Kontexte und Verstehen einbeziehen. Im Zentrum der neueren Ansätze steht eine Auffassung, derzufolge die Bedeutung von sprachlichen Zeichen durch die Regeln ihrer richtigen Verwendung angegeben wird. Axel Bühler erörtert in seinem Beitrag Konsequenzen, die sich aus analytischen Bedeutungskonzepten für die Interpretation von Texten ergeben, und hebt insbesondere hervor, dass für literarische Texte eine Reihe von Interpretationsarten relevant sind, die auch für den Umgang mit nicht-literarischen Texten gelten. Werner Strube rekonstruiert in seinem Beitrag systematisch verschiedene Varianten der >Bedeutung< von Texten: Satzbedeutung, Propositionsbedeutung und Illokutionsbedeutung, die eigentliche Bedeutung indirekter, metaphorischer und symbolischer Äußerungen sowie Textbedeutung. Er macht darauf aufmerksam, dass auch literarische Äußerungen — soweit sie denn überhaupt >vers tandem werden wollen — hinsichdich ihrer Bedeutungskonstituierung konventionell geregelt sind. Solche Regeln zu erkennen, geht notwendig jeglicher literaturwissenschaftlichen Interpretation des Textes voraus. Am Fall einiger postmoderner Romane diskutiert Lubomir Dole^el ein zentrales Konzept der (ursprünglich in der Modallogik entwickelten) Theorie möglicher Welten. Es handelt sich um kontrafaktische Aussagen, wie z.B. dass Deutschland den II. Weltkrieg gewonnen hat. Dolezel erörtert die logischen Implikationen, aber auch die anthropologischen Funktionen solcher Texte, die kontrafaktische historische Welten imaginieren.
WERNER STRUBE Über verschiedene Arten der Bedeutung sprachlicher Äußerungen Eine spfachphilosophische Untersuchung
Von der Bedeutung sprachlicher Äußerungen wird auf vielerlei Weise geredet. So sagt man von einer Äußerung, sie sei nicht in ihrer wörtlichen, sondern in ihrer metaphorischen Bedeutung zu nehmen; sie habe eine symbolische oder tiefere Bedeutung; sie habe eine historische Bedeutung insofern, als sie politisch wirksam geworden sei; man habe die eigentliche Bedeutung der Äußerung noch nicht erfasst, und Ähnliches mehr. Wegen der Vielfalt im Gebrauch des Ausdrucks »Bedeutung« besteht die Gefahr, im Gespräch über die Bedeutung einer sprachlichen Äußerung aneinander vorbeizureden. Wichtigstes Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es daher, den Begriff der Bedeutung sprachlicher Äußerungen sprachanalytisch-philosophisch zu klären.
Einleitung Der Gegenstand meiner Untersuchung ist ein spracbphilosophischer, nämlich die Bedeutung sprachlicher Äußerungen, sofern sie für das so genannte Sprachverstehen relevant ist. Unbeachtet bleibt also die Bedeutung im Sinn der Bedeutsamkeit (englisch: significance) sprachlicher Äußerungen, beispielsweise die existenzielle Bedeutung einer Äußerung (die Bedeutung, die eine Äußerung für die >Daseinsorientierung< eines Hörers oder Lesers hat) oder die politisch-historische Bedeutung einer Äußerung (die Bedeutung, die eine Äußerung für die politische Entwicklung einer sozialen Gruppe gewinnt). Man könnte sagen, es gehe um diejenige Bedeutung, die
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im Kontext der Interpretation und nicht der Applikation oder der Kritik (im Sinne Kirschs1) relevant sei.2 Die Methode der Untersuchung ist die sprachanalytisch-philosophische, wie sie besonders durch John L. Austin3 praktiziert worden ist: der Versuch, ein Problem durch den Rückgang auf die normale Sprache* und vor allem auf die betreffenden normalsprachlich gemachten Unterschiede (also >differentialistischf) zu lösen. Im gegebenen Fall: der Versuch, das Problem der Bedeutung sprachlicher Äußerungen dadurch zu lösen, dass wichtige Arten dieser Bedeutung — oder, wie ich auch sage, wichtige speziellere Bedeutungsbegriffe - im Ausgang vom normalsprachlichen Gebrauch der Wörter »Bedeutung« und »bedeuten« unterschieden und geordnet werden.5 Die Unterscheidung der Arten der Bedeutung wird am Leitfaden der folgenden Fragen durchgeführt: (1) Auf welche Art von Äußerung bezogen werden die Wörter »Bedeutung« und »bedeuten« normalsprachlich gebraucht? (2) In welchem typischen oder beispielhaften Zusammenhang wird nach der betreffenden Bedeutung gefragt? (3) Wie — vor allem: auf welche Regeln bezogen — wird diese Bedeutung erklärt? (4) Welche Grenzen sind der Bedeutungserklärung jeweils gesetzt? — Ich erläutere diese Fragen, die, klassifikationstheoretisch gesprochen, TLinteilungsgründe oder prindpia divisionis des >allgemeinen< Begriffs der Bedeutung sprachlicher Äußerungen sind: Ad (1). Wer spricht, tut vielerlei: (T) Er äußert den Satz einer bestimmten Sprache, (II) er drückt eine Proposition aus, d.h.: er bezieht sich auf ein Objekt und bringt etwas über dieses Objekt zur Sprache, (III) er tut
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Siehe Hirsch: Prinzipien, S. 181-183. Ein wichtiger Unterschied zwischen beiden Bedeutungsbegriffen: Anders als die im Kontext des Sprachverstehens bzw. der Interpretation gemeinte Bedeutung — die >sprachliche< Bedeutung einer Äußerung — ist die Bedeutsamkeit einer Äußerung >komparativ< oder steigerbar: Eine Äußerung kann immer mehr oder weniger bedeutsam sein; sie kann immer eine mehr oder weniger große Bedeutung (einen mehr oder weniger großen >WertAnwendungssprache< ist; vgl. ebd., S. 340.) Ich gehe also nicht vom terminologschen Gebrauch aus, den das Substantiv »Bedeutung« oder das substantivierte Verb »Bedeuten« in literaturontologischen oder literaturtheoretisch-erkennt-nistheoretischen Kontexten haben. In literaturontologischen Kontexten wird die >geistige< Bedeutung eines Wortes oft der lautlichen Gestalt dieses Wortes als der »natürlichen Daseinsgrundlage« der betreffenden Bedeutung gegenübergestellt (s. Geldsetzer: Logik, S. 121). In literaturtheoretisch-erkenntnistheoretischem Rahmen unterscheidet man manchmal >Arten des BedeutensBotschaft< vermittelt. - Auf all diese unterschiedlichen Arten der sprachlichen Äußerung bezogen werden die Wörter »Bedeutung« und »bedeuten« gebraucht, so dass mit der Auflistung dessen, was einer tut oder tun kann, wenn er spricht, auch der Gegenstandsbereich meiner Untersuchung genauer umrissen ist: Es geht mir um diejenigen spezielleren Bedeutungsbegriffe, die auf die genannten Äußerungsarten bezogen sind, also um die Satzbedeutung, die Propositionsbedeutung usf.6 Die Beziehung der spezielleren Bedeutungsbegriffe auf Arten der Äußerung hat bereits Austin hergestellt. Austin weist darauf hin, dass mit »Bedeutung einer Äußerung« nicht nur das gemeint sein müsse, worüber der Sprecher spricht und was er darüber sagt, sondern dass auch die illokutionäre Rolle der Äußerung gemeint sein könne (»Seine Äußerung bedeutete eine Warnung«).7 An diesen Gedanken Austins schließt Strawson in seinem Aufsatz »Austin and >Locutionary MeaningSituationskontextliterarischer< Äußerungen.15 (Dies hat zur leidigen Folge, dass die Gruppe der Beispiele höchst disparat oder buntscheckig ist.) Ad (3). Auch mit dem Stellen der dritten Frage — der Frage danach, wie die betreffende Bedeutung (durch einen Interpreten) erklärt wird - schließe ich an Wittgenstein an, der (allerdings auf die Bedeutung bestimmter Wörter bezogen) gesagt hat: »Die Bedeutung des Wortes ist das, was die Erklärung der Bedeutung erklärt. D.h.: willst du den Gebrauch des Worts
10 Searle: Ausdruck, S. 51,103,140. 11 Vgl. Searle: Sprechakte, S. 24, 29 u.ö. 12 Siehe Hirsch: Prinzipien, bes. 4. Kapitel. - Zur intentionalistischen Interpretationskonzeption s. auch Strube: Die literaturwissenschaftliche Textinterpretation. In: Michel / Weder (Hg.): Sinnvermittlung, bes. S. 52-56. 13 Vgl. hierzu § 43 aus Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen: »Man kann für eine große Klasse von Fällen der Benutzung des Wortes >Bedeutung< — wenn auch nicht für alle Fälle seiner Benutzung - dieses Wort so erklären: Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache«. (Näheres zu dieser Aussage Wittgensteins z.B. in: Pitcher: Wittgenstein, S. 289f.) Vgl. auch Wittgenstein: Untersuchungen, S. 532: »Laß dich die Bedeutung der Worte von ihren Verwendungen lehren!«. 14 Wittgenstein: Gewißheit, § 139. 15 Dazu, dass die Wahl solcher Beispiele möglich ist, s.u. S. 25.
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>Bedeutung< verstehen, so sieh nach, was man >Erklärung der Bedeutung< nennt«.16 Die Bedeutungserklärung rekonstruiere ich derart, dass ich den (fingierten) Interpreten diejenigen Regeln explizieren lasse, die der Sprecher befolgt bzw. nach denen die betreffende Bedeutung konstituiert oder bestimmt ist. Die Unterschiede zwischen den spezielleren Bedeutungsbegriffen sollen eben (auch) aus den unterschiedlichen Arten der vom Sprecher befolgten Regeln erhellt werden. — Mit dem Herausstellen der entsprechenden »konstitutiven Regeln« bin ich John R. Searle verpflichtet;17 die Bedeutungserklärung, die ich rekonstruiere, ist eine sprechakttheoretisch orientierte Erklärungsskizze. Im Übrigen mache ich in meiner Rekonstruktion der Bedeutungserklärungen vom Verfahren der Abstraktion und Idealisierung Gebrauch:18 Ich sehe z.B. davon ab, dass die Bedeutung einer bestimmten Äußerung nicht nur von den wesentlichen bedeutungskonstituierenden Regeln begrenzt ist, sondern dass sie - vor allem im Falle literarischer Äußerungen — auch vom besonderen Stils des Textes oder vom (Jakobsonschen) Prinzip der poetischen Äquivalenz determiniert bzw. begrenzt sein kann. Insofern ist meine Erklärung jeweils eine sprachphilosophisch ausgerichtete Erklärungsskizze und deutlich etwa von der stilkritischen oder linguistischpoetologischen literaturwissenschaftlichen Interpretation unterschieden, in der die Bedeutung der fraglichen Äußerung eben auch unter Berücksichtigung der betreffenden Stileigentümlichkeiten bzw. der >Poetizität< bestimmt oder aufgedeckt wird. Ad (4). Mit »Grenzen der Bedeutungserklärung« sind weder die Grenzen gemeint, die dem Erklärenden oder Interpreten von der zu interpretierenden >Sache< (der Äußerung, dem Text) gesetzt sind,19 noch die Grenzen, die darin bestehen, dass die Bedeutung der betreffenden Äußerung sozusagen nicht gan^ in die erklärende Aussage transformiert werden kann.20 Gemeint sind vielmehr diejenigen Grenzen, die sich zeigen, wenn man — traditionell wissenschaftstheoretisch orientiert — das Ideal einer 16 Philosophische Untersuchungen, § 560 (S. 459). Vgl. auch Wittgenstein: Buch, S. 15. Wittgenstein stellt dort heraus, dass die Frage »Was ist Bedeutung?«, die uns einen »geistigen Krampf« verursache, durch die Frage »Was ist eine Erklärung der Bedeutung?« gewissermaßen auf die Erde heruntergeholt werde. 17 Siehe bes. Searle: Sprechakte, S. 54f. 18 Vgl. zu diesem Verfahren Strube in: Hoche / Strube: Philosophie, S. 295-301. 19 Im Sinne dieser Grenzen (der Grenzen der Freiheit des Interpreten) gebraucht Eco, gegen die These vom »Anything goes« gerichtet, den Ausdruck »Grenzen der Interpretation« in: Grenzen, S. 16 u.ö.; s. bes. S. 22: »Die Grenzen der Interpretation fallen zusammen mit den Rechten des Textes«. 20 Vgl. unten S. 65f. (Beispiel: Die Erklärung der Bedeutung einer metaphorischen Äußerung schließt den Verlust der >Poetizität< dieser Äußerung ein.)
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zwingenden und von Ermessensentscheidungen freien Erklärung voraussetzt.21 Im Übrigen befasse ich mich mit den Grenzen der Bedeutungserklärung nicht nur deshalb, weil durch den Aufweis der je eigentümlichen Begrenztheit der Bedeutungserklärung die zwischen den spezielleren Bedeutungsbegriffen bestehenden Unterschiede unterstrichen werden, sondern auch, um einen Beitrag zur Lösung des im Kolloquiums-Untertitel genannten Problems der »Grenzen der Interpretation« zu leisten.
Hauptteil Nun zu den Unterschieden selber! Ich unterscheide (I) Satzbedeutung, (II) Propositionsbedeutung, (III) Illokutionsbedeutung, (TV) eigentliche Bedeutung der indirekten Äußerung, (V) der metaphorischen Äußerung, (VI) der symbolischen Äußerung sowie (VII) des Textes.
I. Die Satzbedeutung (1) Wer spricht, äußert den Sat% einer bestimmten Sprache, dessen Bedeutung unabhängig von der bestimmten Gelegenheit ist, bei der er gebraucht wird. Oder mit Austin gesprochen: Wer spricht, vollzieht einen phatischen Akt, d.h. er äußert Wörter, die zum Vokabular etwa der deutschen Sprache gehören, nach den grammatisch-morphologischen Regeln dieser Sprache geformt und nach den Syntaxregeln dieser Sprache miteinander verbunden sind.22 Das Wort »Bedeutung« wird nun auf diesen Sat% — oder Sat^iyp23 — bezogen häufig gebraucht und bezeichnet in diesem Fall eben die Sat^bedeutung oder auch die wörtliche Bedeutung des Satzes. (2) Das Beispiel: Jemand hört jemanden (den Sprecher) »Er jaust im Grünen« sagen und fragt einen Dritten (den Interpreten), was dieser Sat% bedeute. Dabei geht er davon aus, dass der Sprecher einen sinnvollen und keinen Nonsense-Satz geäußert hat. (3) Der Interpret erklärt die Satzbedeutung von »Er jaust im Grünen« mit einer lexikalisch-idiomatischen Paraphrase des Satzes, etwa mit »Er nimmt 21 Diese Voraussetzung erfolgt in vorliegender Untersuchung aus strategischen Gründen. Ich bin nicht der Meinung, dass man dieses Ideal voraussetzen müsse. 22 Vgl. Austin: Theorie, S. 109. 23 Vgl. Warnock, der den Begriff »Satz« so verwendet, dass zwei oder mehr SatzVorkommnisse desselben Typs als Wiederholungen des gleichen Satzes gelten müssen. Warnock sagt dann: »Meiner Ansicht nach ist es sicher richtig zu sagen, dass wir in diesem Sinn nach der Bedeutung eines Satzes fragen« (Verifikation, S. 19).
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eine kleinere mitgebrachte Mahlzeit in der freien Natur ein«. Oder ausführlicher und unter Nennung der betreffenden Regeln: (a) Der Sprecher gebraucht im gegebenen Fall bestimmte Wörter der deutschen Sprache den semantischen Rfge/n dieser Wörter gemäß. Er gebraucht das Wort »er« als einen singular referierenden oder hinweisenden Ausdruck, durch den eine (einzelne) meistens männliche Person identifiziert wird. Er gebraucht das besonders in Österreich übliche Wort »jausen«, das soviel bedeutet wie »eine kleinere mitgebrachte Mahlzeit einnehmen«.24 Er gebraucht die klischeehafte Wendung »im Grünen«, die durch »in der freien Natur« ersetzbar ist. (b) Der Sprecher gebraucht die betreffenden Wörter den grammatischen, im Besonderen syntaktischen Regeln des Deutschen gemäß. So stellt er die Wörter »er« und »jaust« in einer Reihenfolge zusammen, die (eine entsprechende Intonation vorausgesetzt) einen Aussagesatz bildet. Die Bedeutung des fraglichen Satzes ist in diesem Fall durch die Angabe der entsprechenden semantischen und grammatischen Regeln der deutschen Sprache fixiert, und d.h.: durch die Angabe derjenigen Regeln, gemäß denen der Satz »Er jaust im Grünen« eben »Er nimmt eine kleinere mitgebrachte Mahlzeit in der freien Natur ein« bedeutet. Man könnte wohl auch sagen, in diesem Fall sei die Satzbedeutung identisch mit dem von dem Satz dargestellten (wirklichen oder möglichen) Sachverhalt. (4) Was die Grenzen der Erklärung der Satzbedeutung angeht, gilt unter anderem: Es liegt nicht eindeutig fest, welche semantischen Regeln für die Konstituierung der Satzbedeutung in Frage kommen. In unserem Beispielfall könnte jemand mit guten Gründen der Meinung sein, die Wendung »im Grünen« präsupponiere, dass die betreffende Person nicht am äußersten Rande etwa des Stadtwalds jause — und dass eben diese Präsupposition zur Satzbedeutung hinzugehöre. Und in der Tat ist es eine Frage des Ermessens, was alles man überhaupt zum semantischen Gehalt eines Satzes bzw. zur Satzbedeutung zu zählen und in der betreffenden Paraphrase zum Ausdruck zu bringen habe. Der Interpret kann also nicht sagen, was genau der Sprecher gemeint hat.25
24 Im Hinblick vor allem auf das Wort »jausen« wird deutlich, dass man dies Wort auch unabhängig von bestimmten Kontexten sehen und dass man seine Bedeutung — die Wortbedeutung - lexikographisch angeben kann, ohne dass eine exemplarische Anwendung des Wortes beigefügt wird. Ich gehe auf die Wortbedeutung nicht eigens ein, sondern nur bei Gelegenheit der Analyse der Satzbedeutung, weil ich, sprechakttheoretisch orientiert, von sprachlichen Äußerungen ausgehe. (Zur Beziehung von Wort- und Satzbedeutung aus Sicht der linguistischen Semantik siehe z.B. Lutzeier: Semantik, S. 132ff.). 25 Eine weitere Grenze: Jede Paraphrase setzt den Rückgriff auf ein Lexikon bzw. auf Feststellungen über den Sprachgebrauch voraus. Welches Lexikon der Interpret zu wählen hat, liegt nicht eindeutig oder >zwingend< fest.
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II. Die Propositionsbedeutung (1) Wer spricht, drückt mit dem Satz, den er äußert, eine bestimmte Proposition aus, d.h.: er bezieht sich - bei bestimmter Gelegenheit - auf ein Objekt bzw. greift ein Objekt aus einer Reihe ähnlicher Objekte heraus (Referenz) und bringt etwas >Bestimmtes< über dieses Objekt zur Sprache (Prädikation).26 Auch auf die Proposition bezogen wird das Wort »Bedeutung« gebraucht; es bezeichnet dann die Propositionsbedeutung. Oder in nicht-terminologischer Ausdrucksweise: Im gegebenen Fall geht es nicht um die wörtliche, sondern um die gegenständliche Bedeutung des Satzes. (2) Das Beispiel: In einem Gespräch, das über einen gemeinsamen Bekannten geht, sagt der Sprecher zu seinem Gesprächspartner unter anderem: »Er jaust im Grünen«. Ein Dritter, der die Satzbedeutung durchaus erfasst hat, fragt den Sprecher, was diese Aussage - oder der bei dieser bestimmten Gelegenheit geäußerte Satz — denn bedeute. (3) Der Interpret (im gegebenen Fall mit dem Sprecher identisch) erklärt die Propositionsbedeutung mit Hilfe einer situativ-pragmatischen Paraphrase des betreffenden Satzes.27 Er sagt: »Peter Pärlich jaust gerade im Stadtwald von Warstein«. Oder ausführlicher und unter Nennung der betreffenden Regeln:28 (a) Der Sprecher verweist mit dem Personalpronomen »er« (in singulärer Referen%) auf eine bestimmte Person, nämlich Peter Pärlich, bzw. er greift diese Person aus einer Reihe möglicher Personen heraus, (b) Der Sprecher prädi^iert von der so identifizierten Person, dass sie im Stadtwald von Warstein gerade eine kleinere mitgebrachte Mahlzeit einnimmt, wobei er durch die Hinzufügung des Wortes »gerade« anzeigt, dass es sich um ein gegenwärtig geschehendes Ereignis handelt und nicht um die Disposition der bezeichneten Person, die etwa dann gemeint wäre, wenn der Sprecher mit der Äußerung von »Er jaust im Grünen« die Frage beantworten würde, was Peter nach Frustrationserfahrungen zu tun pflege. Die Propositionsbedeutung ist in diesem Fall durch die Anwendung oder Realisierung (wie Searle gelegentlich sagt) der Regeln der Referenz und Prädikation konstituiert oder bestimmt: Diesen Regeln gemäß bedeu-
26 Vgl. Searle: Sprechakte, S. 43f. Mit Austin gesprochen: Der Sprecher vollzieht einen rhetischen Akt, d. h. äußert einen Satz, um »über etwas mehr oder weniger genau Festgelegtes zu reden und etwas mehr oder weniger genau Bestimmtes [darüber] zu sagen« (Theorie, S. 111). 27 Zur Unterscheidung der situativ-pragmatischen von der (weiter oben angewandten) lexikalisch-idiomatischen Paraphrase s. Glück: Paraphrase, S. 452. 28 Die Regeln, die im Folgenden berücksichtigt werden, sind die wesentlichen Regeln der Referenz und der Prädikation (s. Searle: Sprechakte, bes. S. 149 und S. 194f.).
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tet die Aussage »Er jaust im Grünen« eben, dass Peter Pärlich gerade im Stadtwald von Warstein jaust. Angemerkt sei, dass auch fiktionale Äußerungen eines realistisch erzählenden Autors eine bestimmte Propositionsbedeutung haben. Ein Romanautor, der »Er jaust im Grünen« sagt, bezieht sich mit dem Personalpronomen auf eine bestimmte Person der fiktiven Welt — eine Person, von der schon die Rede war. Der Schreiber einer Kurzgeschichte, der seinen Text mit »Er jaust im Grünen« beginnt, bezieht sich auf eine Person, von der in absehbarer Zeit die Rede sein wird. Und ähnlich bei der adverbialen Bestimmung »im Grünen«. Der Interpret kennt in diesem Fall die Propositionsbedeutung nur dann, wenn er über die Kenntnis der deutschen Sprache hinaus eine Kenntnis des >textuellen< Kontexts des Satzes hat,29 oder genauer (und in der phänomenologischen Terminologie Ingardens): eine Kenntnis der im betreffenden literarischen Werk dargestellten Gegenständlichkeit.30 (4) Was die Grenzen der Erklärung der Propositionsbedeutung angeht, gilt unter anderem: Es liegt nicht eindeutig fest, welche Beobachtungen (oder vielmehr: welche Art von Beobachtungen) für die Bestimmung der Propositionsbedeutung von Wichtigkeit sind: ob also im gegebenen Fall der Sprecher selbst den Peter Pärlich bei der Jause gesehen haben muss oder ob ein zuverlässiger Zeuge zur >Erstellung< der Proposition genügt. Oder mit anderen Worten: Es liegt nicht fest, welche >Verifikationsbedingungen< es denn genau sind, die erfüllt sein müssen, wenn man sicher sein will, dass die betreffende Propositionsbedeutung vorliegt.
III. Die Illokutionsbedeutung (1) Wer spricht, äußert nicht nur einen Satz und drückt nicht nur eine bestimmte Proposition aus; er tut immer auch etwas, indem er spricht: Er vollzieht, sprechakttheoretisch gesprochen, einen illokutionären Akt. Das Wort »Bedeutung« wird auch auf diesen illokutionären Akt bezogen gebraucht, wie schon Austin bemerkt hat (s. o. Anm. 7). Ich nenne diese Art der Bedeutung die Illokutionsbedeutung. (2) Das Beispiel:31 Jemand hört jemanden »Der Hund ist bissig« sagen; die näheren Umstände dieser Äußerung sind ihm, dem Hörenden, unbekannt; der Tonfall, in dem die Äußerung erfolgt und der die Intention des 29 Vgl. hierzu Schmidts Unterscheidung von lexikalischer und textueller Wortbedeutung in: Texttheorie, S. 58. 30 Siehe Ingarden: Kunstwerk, S. 229ff. 31 Dieses Beispiel wird in der sprachanalytischen Philosophie öfters herangezogen, z.B. von Savigny in: Philosophie, S. 129f.
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Sprechers indizieren könnte, ist im gegebenen Fall nicht eindeutig identifizierbar. Deshalb fragt der Hörer zu einem späteren Zeitpunkt den Sprecher - oder Interpreten —, was die Äußerung bedeute (oder: bedeutet habe) bzw. wie sie gemeint sei (oder: gemeint gewesen sei): ob als Warnung vor einem bestimmten Hund oder als Empfehlung desselben, als Aussage eines von einem Gericht bestellten Gutachters oder als Erklärung für ein bestimmtes Handeln, etwa für das An-die-Kette-Legen des Hundes - oder ob sie vielleicht sogar die Aussage eines Zoologen über die ursprüngliche Natur des Hundes sei (im letzteren Falle wäre der bestimmte Artikel als generischer Artikel genommen; das betreffende Referenzobjekt wäre dann nicht ein bestimmter >singulärer< Hund, sondern die >Klasse< der Hunde.) (3) Der Interpret erklärt die Illokutionsbedeutung mit folgender Auslegung oder Explikation: »Die Äußerung von >Der Hund ist bissig< ist im gegebenen Fall keine Warnung32 oder dergleichen, sondern eine Empfehlung an jemanden, der einen Hund kaufen möchte, der Haus und Hof wirksam vor Dieben schützen kann«. Oder ausführlicher und unter Nennung der Regeln, die nunmehr die Regeln des mit der betreffenden Äußerung vollzogenen illokutionären Akts sind (wesentliche Regel, Regel des propositionalen Gehalts, Einleitungsregeln,33 Regel des perlokutionären Zwecks34): Der Sprecher vollzieht mit der Äußerung von »Der Hund ist bissig« im gegebenen Fall die Empfehlung, den Hund zu kaufen, denn: (a) Er wendet die wesentliche Regel des Empfehlens an, die besagt, dass der Sprecher den Angesprochenen oder Adressaten im Hinblick auf dessen künftiges Handeln — genauer: im Hinblick auf die Wahl möglicher Handlungsalternativen — orientiert, ohne ihn >festzulegen< (Empfehlen ist nicht Befehlen), (b) Der Sprecher wendet die Rege/ des propositionalen Gehalts der Empfehlung an, nach der in der Empfehlung eine zukünftige Handlung
32 Sprachanalytische Philosophen nehmen die Äußerung in der Regel als Warnung. Ich erläutere die Illokutionsbedeutung nicht anhand der Warnung, da das Verb »warnen« kein unzweideutiger Fall eines illokutionären Verbs ist. Mit »warnen« kann sowohl eine Illokution gemeint sein (wie in der Äußerung »Er ist gewarnt worden«, in der ein Vorgangspassiv gebraucht wird) als auch ein perlokutionärer Effekt (wie in der Äußerung »Er ist gewarnt bzw. auf der Hut«, in der ein Zustandspassiv gebraucht ist). 33 Siehe Searle: Sprechakte, S. 97. - Ich nehme diese Regeln als Regeln, an die sich der Sprecher hält, wenn er die betreffende (beabsichtigte) Äußerung vollzieht. Searle formuliert auf S. 97 die Regeln als semantische Rege/n für den Gebrauch der betreffenden explizit performativen Formel, also etwa der Formel »Ich verspreche, dass ...«. 34 Der perlokutionäre Zweck bzw. der intendierte perlokutionäre Effekt einer Äußerung gehört meines Erachtens zur Bedeutung der Illokution - anders als der tatsächliche perlokutionäre Effekt, den ein illokutionärer Akt haben kann. (Der perlokutionäre Zweck bzw. der intendierte perlokutionäre Effekt der Empfehlung ist ein Zustand, in dem der Adressat eine sichere Wahl treffen kann, der tatsächliche perlokutionäre Effekt dieser Empfehlung ist möglicherweise das Irritiert- oder das Beleidigt-Sein des Adressaten).
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des Adressaten zur Sprache gebracht wird, die im Interesse eben des Adressaten liegt bzw. ihm Vorteile bringt: Der Kauf dieses Hundes würde einen wirksamen Schutz vor Dieben zur Folge haben, (c) Der Sprecher wendet bestimmte Einleitungsregeln der Empfehlung an: Er hat Grund zu glauben, dass der Adressat vor der Wahl steht, sich für diese oder jene Handlungsalternative - hier: für den Kauf von diesem oder von jenem Hund - zu entscheiden; und er ist sachkundig: Er weiß, dass man Haus und Hof durch einen bissigen Hund schützen kann, und er kennt den Hund (und dessen >QualitätsmerkmaleHome sweet home< übereinstimmten«.39 Der Hörer, der davon ausgeht, dass die Aussage des Sprechers eine Bewertung einschließt40 und dass von Fräulein Freitags Sangesdarbietung die Rede ist,41 wendet sich an den Sprecher — oder Interpreten — mit der Frage, was diese Aussage denn eigentlich oder >in Wahrheit< (>unverstelltunverblümtdirekteigentlichen< Bedeutung der betreffenden Aussagen; s. Rotermund: Zwischenreiche, S. 16. 39 Das Beispiel ist entnommen aus Grice: Logik, S. 124 (dort allerdings: »Fräulein X«). Grice erläutert den oben im Text zitierten Satz folgendermaßen: »Warum hat er [= der Kritiker] sich so umständlich und gestelzt ausgedrückt, anstatt das kurze und fast synonyme Wort singen zu gebrauchen? Vermutlich um anzudeuten, dass zwischen der Darbietung von Fräulein X und dem, was man sonst als singen bezeichnet, ein großer Unterschied besteht. Die am ehesten naheliegende Annahme ist die, dass die Darbietung von Fräulein X starke Mängel aufwies. Der Kritiker weiß, dass der Leser dies sehr wahrscheinlich annimmt; also ist dies das Implizierte«. 40 Diese >Hintergrundannahme< ist für die Interpretation der Äußerung als eines indirekten Sprechakts notwendig. Würde der Sprecher, logisch-empiristisch geschult, sich einer Art physikalistischer Sprache bedienen, also Fräulein Freitags Verhalten möglichst genau und neutral beschreiben, wäre die Äußerung gar keine indirekte. 41 Diese >Hintergrundannahme< ist ebenfalls notwendig. Würde Fräulein Freitag durch das Verrücken eines Möbelstücks auf einem Linoleumboden Geräusche produzieren, die der Melodie von »Home sweet home« ähnelten, wäre die Äußerung keine indirekte Äußerung über Fräulein Freitags Sangesdarbietung und deren Qualität. 42 Die Metapher »Klartext« verwenden, auf die Ironie bezogen, Fricke und Zymner in: Einübung, S. 55. Rotermund gebraucht »Klartext« im Zusammenhang mit der >ver-
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Freitag hat das Lied >Home sweet home< auf miserable und höchst tadelnswerte Weise gesungen«. Oder ausführlicher — in der Rekonstruktion von Schritten, die der Sprecher macht, und unter Nennung der betreffenden Regeln —: (a) Der Sprecher konzipiert einen >KlartextHome sweet home< auf miserable Weise gesungen«, (b) Der Sprecher verändert den Klartext mit Hilfe bestimmter (seit Quintilian bekannter) rhetorisch-stilistischer Veränderungsregeln, nämlich der immutatio (Ersetzung) und der adiectio (Hinzufügung, Erweiterung).43 Er ersetzt die übliche Handlungsbeschreibung »Fräulein Freitag sang« durch die >physikalistische< Beschreibung einer Handlung: »Fräulein Freitag brachte eine Reihe von Lauten hervor«; er ersetzt des Weiteren, auf das korrespondenztheoretische Konzept der Wahrheit anspielend, die Wendung »das Lied >Home sweet home< durch die Wendung »Laute, die eng mit der Melodie des Liedes >Home sweet home< übereinstimmten«. Mit beiden Ersetzungen erweitert er zugleich die >KlartextAussage< — in dem Sinne, dass er Fräulein Freitags Liedvortrag mit einer Genauigkeit beschreibt, die über das mormale Maß< einer Beschreibung deutlich hinausgeht, (c) Indem der Sprecher den Klartext in der beschriebenen Weise verändert, verstößt er gegen bestimmte Maximen oder Prinzipien des >normalen< oder üblichen Gesprächs, wie sie vor allem durch Grice thematisiert worden sind; er verstößt gegen das Relevanzprinzip und gegen das Prinzip der Vermeidung unnötiger Weitschweifigkeit (»prolixity«).44 Gerade durch diese Verstöße gegen Prinzipien des >normalen< Gesprächs, signalisiert der Sprecher dem >kundigen Thebaner< — dem Hörer, der die Gesprächsprinzipien bzw. die Veränderungsregeln kennt und der weiß, dass der betreffende Sprecher im Allgemeinen durchaus >kooperativ< ist -, dass mehr gemeint ist, als (wörtlich) gesagt wird;45 im gegebedeckten Schreibweisen »Ein ungetarnter oppositioneller Text, ein >Klartextx, kann durch eine oder mehrere Veränderungsoperationen zu einem Text mit verdeckten oppositionellen Meinungen [...] gemacht werden« (S. 17). 43 Zu den vier in der klassischen Rhetorik etablierten Änderungstechniken s. Lausberg: Handbuch, § 600ff. (Rotermund war, soweit ich sehe, der erste, der die Änderungskategorien der alten Rhetorik für stilistische Untersuchungen fruchtbar gemacht hat; s. Parodie, bes. S. 18). 44 Vgl. Grice: Logik, S. 111 ff. 45 Vgl. was Polenz über Grices »conversational implicature« sagt: »Man zieht aus der offensichtlichen Verletzung eines [Gesprächs-] Prinzips eine [stille} Folgerung auf Mitzuverstehendes, etwa nach der Regel: Wer als kooperativer Gesprächspartner gilt, aber etwas anderes sagt, als was man von ihm in einer bestimmten Situation nach den Gesprächsprinzipien erwartet, der muss einen Grund dazu haben, also meint er eigentlich noch etwas anderes, als was er sagt« (Satzsemantik, S. 312). — Vgl. auch Searle: Ausdruck, S. 55, besonders den rekonstruierten Schritt 5: »Also [weil seine wörtliche Äußerung das Relevanzprinzip verletzt] meint er [= der Sprechende] wahrscheinlich mehr, als er sagt«. Die Gesprächsmaximen von Grice sind übrigens teilweise >präfigu-
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nen Fall: der Sprecher gibt zu verstehen, dass Fräulein Freitag miserabel singt. (Übrigens gibt er es deutlich 2u verstehen: Der kundige Hörer soll die Intenüon des Sprechers nicht nur vermuten, sondern deutlich erkennen.46) (d) Zur vollständigen Erklärung der Bedeutung der indirekten Äußerung gehört nicht nur, zu sagen, dass und wie ein Klartext verändert wird, sondern auch, warum er verändert wird: aus welchem Beweggrund oder Motiv. So könnte sich jemand indirekt ausdrücken, »weil dies höflicher und harmloser klingt«.47 Im gegebenen Fall gibt es nach Ansicht des Sprechers nicht nur einen großen Unterschied zwischen der betreffenden Sangesdarbietung und dem, was man sonst als »Singen« bezeichnet, sondern auch einen großen Unterschied zwischen dem Anspruch von Fräulein Freitag und dessen Realisierung — eine (wie man in der Theorie des Komischen sagt) Fallhöhe, die lächerlich wirkt und die eben die Verspottung der betreffenden Person provoziert. Man könnte den Sachverhalt unter Nennung des dispositionalen Motivs auch so darstellen: Die Äußerung des Sprechers ist ironisch getönt, weil dieser Sprecher über die >aufrichtige< Überzeugung hinaus, dass Fräulein Freitag miserabel singt, auch Hohn und Verachtung gegenüber Fräulein Freitags Gesang empfindet. Die eigentliche oder implizite Bedeutung48 der indirekten ironischen Äußerung ist hiernach durch die Formulierung eines Klartexts fixiert, auf den die erkennbar umständliche (wörtliche) Äußerung unter Berücksichtigung bestimmter Veränderungsregeln zurückgeführt wird. Berücksichtigt wird auch das Motiv, aus dem heraus der Sprecher den Klartext verändert — so dass im Falle unseres Beispiels die eigendiche oder implizite Bedeutung der Äußerung so bestimmt werden könnte: »Fräulein Freitag hat das Lied >Home sweet home< auf miserable und verspottenswerte Weise gesungen«. (4) Was die Grenzen der fraglichen Erklärung angeht, gilt, dass auch die eigentliche oder implizite Bedeutung der indirekten Äußerung nicht eindeutig und exakt bestimmbar ist. Die Erklärung, Fräulein Freitag singe miserabel, überschätze die Qualität ihrer Sangesdarbietung maßlos und sei deshalb verspottenswert, ist zwar nahe liegend, aber nicht notwendig, da es keine strikte Regel für die ironisch motivierte Klartext-Veränderung gibt: Um jemanden zu verspotten, kann man den betreffenden Klartext
riert< in den von der antiken Rhetorik nominierten virtutes narrations Kürze, Klarheit und Wahrhaftigkeit (zu diesen virtutes s. Lausberg: Handbuch, § 294f.). 46 Dies kann bei anderen Arten des indirekten Sprechens ganz anders sein: Beim verdeckenden Sprechen z.B., bei dem die politische Zensur umgangen oder unterlaufen werden soll, wird oft nur sehr versteckt signalisiert, was eigentlich gemeint ist. 47 Polenz: Satzsemantik, S. 202. 48 Den Ausdruck »implizite Bedeutung« gebraucht unter anderen Knetsch in: Waffen, S. 42 (Knetsch ist an Grice orientiert).
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sowohl durch adiecto als auch durch detracüo verändern (bzw. unter Verletzung der betreffenden Gesprächsmaximen). Und: Man kann mit Hilfe der adiectio jemanden verhöhnen, lächerlich machen, hänseln, freundschaftlich auf den Arm nehmen - womit durchaus unterschiedliche Absichten angeführt wären. Es gibt eben keine strenge Korrelation zwischen ironischer Absicht und Art der Klartext-Veränderung bzw. des Verstoßes gegen eine Gesprächsmaxime.49 In logischer Ausdrucksweise könnte man sagen: Für das indirekte konische Sprechen lassen sich keine notwendigen und hinreichenden rhetorischem Bedingungen angeben.
V. Die eigentliche Bedeutung der metaphorischen Äußerung (1) Wer spricht, spricht möglicherweise metaphorisch: Er äußert einen Satz und meint damit etwas anderes als das, was der Satz (wörtlich) bedeutet bzw. vor Augen stellt.50 In negativer Charakterisierung: Er spricht nicht durch die Blume, d.h. er meint nicht etwas mehr als das, was der Satz bedeutet; und erst Recht spricht er nicht etwa rhetorisch-ironisch, d.h. er meint nicht das Gegenteil dessen, was der Satz bedeutet. Das Wort »Bedeutung« wird auch in Beziehung auf das metaphorische Sprechen gebraucht: Man sagt beispielsweise, eine bestimmte Äußerung sei in ihrer metaphorischen Bedeutung zu nehmen und nicht wörtlich zu verstehen und es gehe eben darum, ihre eigentliche Bedeutung herauszufinden. (2) Das Beispiel: Ein junger Mensch, der die Worte »Achill ist ein Löwe in der Schlacht« zum ersten Mal hört (oder in einem antiken Text liest) und in dessen Ohren diese Worte fremd klingen, fragt einen Interpreten, was diese Worte eigentlich oder in Wahrheit bedeuten würden; die Äußerung sei doch wohl nicht wörtlich zu nehmen. (3) Der Interpret erklärt die Bedeutung der fraglichen Äußerung folgendermaßen: »Die Äußerung, Achill sei ein Löwe, ist im gegebenen (literarischen) Kontext in der Tat nicht wörtlich zu nehmen: >Löwe< steht hier nicht für >Panthera leoMut und Stärker So wie ein Löwe ist auch Achill bewunderns- und lobenswert«. Oder ausführlicher und unter
49 Vgl. hierzu Rotermund in: Zwischenreiche, S. 23, wo ausdrücklich »das Problem des Zusammenhangs der Gesprächsprinzipien mit den diversen rhetorischen Kategorien« thematisiert wird. Vgl. auch Knetsch: Waffen, S. 43. 50 Zur Wendung »vor Augen stellt« s. Kurz: Metapher, S. 24. - Ich beziehe mich im Folgenden auf die konventionelle rhetorisch-literarische Metapher vom Typ »Achill ist ein Löwe«. (Zur metaphorischen Gleichsetzung von Achill und dem Löwen s. schon Aristoteles: Rhetorik 1406 b).
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Nennung der Regeln, die der Sprecher befolgt:51 (a) Der Sprecher bezieht sich mit dem Subjekt des Satzes auf den griechischen Helden Achill und prädiziert von ihm, dass er ein Löwe in der Schlacht sei. (b) Der Sprecher gebraucht das Wort »Löwe« >abweichend< und nicht seiner wörtlichen oder denotativen Bedeutung nach,52 nach der mit »Löwe« ein Säugetier aus der Familie der Pantherkatzen gemeint ist; der Sprecher meint also nicht, dass der griechische Held Achill tatsächlich ein Löwe sei bzw. bei Beginn der Schlacht die Metamorphose in einen Löwen erlebt habe. Er meint im Übrigen auch nicht, dass Achill sich vor der Schlacht ein Löwenfell übergestreift habe, um seine Gegner zu täuschen oder um auf magische Weise an den Kräften des Löwen zu partizipieren, (c) Der Sprecher vergleicht Achill mit einem Löwen (genauer: er setzt ihn mit einem Löwen gleich; der Vergleich ist ja um die »wie«-Partikel gekürzt) — und er kann ihn mit einem Löwen vergleichen, weil es eine Reihe relevanter Vergleichspunkte oder tertia comparationis gibt bzw. eine Proportionalitätsanalogie: So wie der Löwe im Kampf mutig, stark und geschickt ist, ist Achill in der Schlacht mutig, stark und geschickt. Hierzu ist anzumerken, dass man die Eigenschaften Mut, Stärke und Geschicklichkeit dem Löwen (zumindest) in der abendländischen Kultur ^schreibt bzw. dass in dieser Kultur Eigenschaften wie Mut, Stärke und Geschicklichkeit zur konventionell zugeschriebenen oder konnotativen Bedeutung von »Löwe« (oder auch zum Stereotyp »Löwe«) gehören.53 Der Sprecher bezieht sich also auf das Bild, das man sich im Abendland vom Löwen macht bzw. auf Eigenschaften, die in dieser Kul-
51 Die Regeln, um die es hier geht, sind die Regeln der Referenz und der Prädikation, vor allem aber die Regeln der Metaphernbildung, die ich unter Voraussetzung einer modifizierten oder erweiterten Vergleichstheorie der Metapher formuliere, wie sie in etwas anderer — und besser ausgearbeiteter — Form Wolfgang Künne vertreten hat in: »Im übertragenen Sinne«, bes. S. 196. — Nebenbei sei bemerkt: So wie oben die Anwendung der Theorie der »rhetorischen Veränderung< meiner sprachphilosophischen Orientierung am Sprechen als intentionalem und regelgeleitetem Verhalten entsprach, entspricht nunmehr die Anwendung der Vergleichstheorie dieser Orientierung: Es ist ja der Sprecher, der den Vergleich gewissen Regeln gemäß durchführt. 52 Für die wörtliche Bedeutung eines Wortes halte ich (mit Eco) »den im Wörterbuch an erster Stelle angegebenen [Lexikoneintrag] bzw. denjenigen, den jedermann als ersten nennen würde, wenn man ihn fragte, was ein bestimmtes Wort bedeutet« (Grenzen, S. 17). Die Unterscheidung der denotativen und der konnotativen Bedeutung hat, soweit ich sehe, Beardsley in die Metapherntheorie eingeführt (Verdrehung, S. 130). Zymner hat in seiner Metapherntheorie diese zwei »Bedeutungsschichten« um eine dritte, nämlich die emotive Bedeutung, erweitert (Uneigentlichkeit, bes. S. 45f). - Zur emotdven Bedeutung s.u. 53 Vgl. Zymner: Uneigentlichkeit, S. 45: In einer bestimmten Sprechergruppe hat das Lexem »Löwe« die konnotative Bedeutung oder den »Nebensinn des >StarkseinsMutigseinsMächtigseinsVornehmheitLöwen-Metapher< nicht loben, sondern tadeln (s. u.), (e) Da die dem Löwen zugeschriebenen Eigenschaften oder Wertqualitäten, zumindest aber der Mut, im Abendland (im Allgemeinen) positiv eingeschätzt werden, haben das Wort »Löwe« und der Vergleich mit dem Löwen eine positive emotive Bedeutung. Sie sind, könnte man mit Begriffen der Metaethik sagen,55 Ausdruck einer Pro-Einstellung (pro-attitude) und persuasive Mittel, eine solche Pro-Einstellung im Hörer oder Leser hervorzurufen.56 Der Sprecher will, motivationspsychologisch gesehen, die hervorstechenden Eigenschaften des Kämpfers Achill durch den Vergleich mit dem Löwen nicht nur illustrieren, sondern er will Achill auch loben bzw. der Wertschätzung Ausdruck geben, die er Achill gegenüber empfindet. Die Bedeutung einer metaphorischen Äußerung, zumindest einer metaphorischen Äußerung des traditionellen Typs, ist meines Erachtens durch die Nennung der tertia comparationis sowie die Bestimmung der emotiven Bedeutung fixiert, die sozusagen an den tertia comparationis bzw. an den betreffenden Eigenschaften hängt - was auf unseren Beispielfall bezogen heißt: die Bedeutung der Äußerung »Achill ist ein Löwe in der Schlacht« ist durch die Aussage bestimmt, dass Achill ein mutiger, starker und geschickter Kämpfer ist (konnotative Bedeutung), der als solcher Bewunderung und Lob verdient (emotive Bedeutung). Mit dieser >zweifachen< Bestimmung ist die eigentliche oder metaphorische Bedeutung der betreffenden Äußerung erläutert.
54 Um die Abhängigkeit der Bedeutung einer Metapher vom kulturhistorischen Kontext noch deutlicher zu indizieren, könnte man sagen, der Sprecher beziehe sich auf den Löwen als »kulturelle Einheit« oder »cultural unit« (zu diesem Begriff s. Schneider: Kinship, S. 2). 55 S. bes. Stevenson: Bedeutung, S. 121,123,127 und bes. S. 138f. 56 In der Metapherntheorie haben besonders Kurz und Zymner auf diese Dinge aufmerksam gemacht: Metaphern wollen oft »eine affektive Einstellung [...] erzeugen« (Kurz: Metapher, S. 24); und: Metaphern haben immer auch eine »emotive Bedeutung« (Zymner: Uneigentlichkeit, S. 45-49).
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(4) Was die Grenzen der Erklärung der metaphorischen Bedeutung angeht, gilt, dass diese Bedeutung ebenso wie etwa die implizite Bedeutung der indirekten Äußerung nicht eindeutig und nicht ohne Ermessensentscheidung bestimmbar ist. Zwar indiziert der Kontext im Fall der Äußerung »Achill ist ein Löwe (in der Schlacht)«, dass nicht das >Paschaverhalten< gemeint ist, sondern ein positiv ausgezeichnetes Kampfverhalten; aber selbst dann, wenn unstrittig ist, dass Achill in seinem Kampfverhalten mit dem Löwen verglichen wird, kann es zu unterschiedlichen Charakterisierungen dieses Verhaltens kommen. Der eine Interpret könnte als die betreffenden gemeinsamem (Ähnlichkeit zwischen Achill und dem Löwen stiftenden) Eigenschaften Mut, Geschicklichkeit und Stärke anführen, der andere darüber hinaus noch Vornehmheit, Imposant-Sein und Stolz, und ein Dritter könnte — unter Berücksichtigung des weiteren Kontexts — vielleicht sogar sagen, zu den >gemeinsamen< Eigenschaften oder tertia comparationis gehöre eine gewisse Brutalität.57 Es lässt sich also, logisch gesehen, keine geschlossene Liste entsprechender Eigenschaften erstellen, so dass man keine eindeutige und exakte Erklärung dafür geben kann, warum Achill mit einem Löwen verglichen wird. Gerhard Kurz stellt den betreffenden Sachverhalt so dar: »Es lässt sich keine Regel angeben, nach der sich die metaphorische Bedeutung notwendig bildet. Wir haben es nicht völlig in unserer Gewalt, eine metaphorische Bedeutung planmäßig und zielsicher zu bilden und anderen diesem Plan gemäß mitzuteilen«.58
VI. Die eigentliche Bedeutung der symbolischen Äußerung (1) Wer spricht, vollzieht möglicherweise eine Sprechtätigkeit,59 deren Ergebnis ein Äußerungszusammenhang ist, der eine Gegenständlichkeit — eine Begebenheit, eine Person o. Ä. - darstellt. (Die geäußerten Sätze sind thematisch verbunden; sie müssen nicht einen syntaktisch zusammenhängenden Text bilden.) — Eine besondere Art dieser Sprechtätigkeit ist das symbolische Sprechen, das eine Begebenheit oder Person darstellt, die Sinnbildcharakter hat, d.h. auf »höhere geistige Zusammenhänge«60 verweist.61
57 Dieser dritte Interpret könnte dabei auf V. 324ff. der >Ilias< verweisen und sagen, so wie der Löwe habe es auch Achill auf die Gurgel des Gegners abgesehen. 58 Kurz: Metapher, S. 19. 59 Zu »Sprechtätigkeit« s. Pitcher: Wittgenstein, S. 270f. 60 Peü: Symbol, Sp. 519. 61 Der Symboltyp, auf den ich im Folgenden eingehe, ist das >literarische< und nicht das emblematische (>vereinbarte< oder konventionalisierte) Symbol a la Phönix, der aus der Asche steigt.
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Das Wort »Bedeutung« wird auch auf dieses symbolische Sprechen bezogen gebraucht. Man spricht von der eigentlichen oder tieferen Bedeutung des Symbols62 bzw. der symbolischen Rede. (2) Das Beispiel: Jemand liest Goethes >Wilhelm Meisters Lehrjahre< und stellt fest, Mignon sei, nicht nur ihres Namens wegen, eine überaus auffällige und fast kuriose Erscheinung; ihre Bedeutung erschöpfe sich offenbar nicht in dem, was in der Lektüre der entsprechenden Textstellen dem inneren Auge vorstellig sei. Dieser Leser fragt dann den Interpreten, welche Bedeutung die Gestalt der Mignon denn eigentlich habe. (3) Der Interpret erklärt die symbolische Bedeutung der Mignon damit, dass er der besonderen Gestalt Mignons ein Allgemeines zuordnet, das er begrifflich umreißt. Ausführlicher und unter Nennung der betreffenden Regeln lautet die Erklärung etwa folgendermaßen:63 (a) Goethe geht im Zusammenhang mit der Darstellung der Mignon-Gestalt von bestimmten zeitgenössischen Erscheinungen aus, nämlich von der zeitgenössischen Kunst und ihren gegensätzlichen (klassischen und genieästhetisch-romantischen) Strebungen. Insofern die Genius-Symbole Goethes, darunter Mignon, ihren historischen Grund in den genannten zeitgenössischen Erscheinungen haben, sind sie immer auch der Ausdruck der Auseinandersetzung Goethes mit den gegensätzlichen künstlerischen und kunsttheoretischen Tendenzen seiner Zeit. Mignon ist »aus einer sehr ernsten zeitgeschichtlichen und gesellschaftlichen Krisensituation Goethes hervorgegangen [...]. Sie wird konzipiert in den voritalienischen Weimarer Jahren in dem Ringen zwischen der alten Genieauffassung aus der Sturm- und Drangzeit und den neuen gesellschaftlichen Forderungen, in einem Ringen, das sich parallel auch zwischen Tasso, den Goethe einen gesteigerten Werther nannte, und Antonio abspielte. Denn Mignon steht eigenartig auf der Grenzscheide zwischen originalem Naturgenie und dem Versuch des klassischen Goethe, Kunst und Gesellschaft zu versöhnen«.64 (b) Diese historischen
62 Von der »tieferen Bedeutung Euphorions [als eines Symbols]« spricht z.B. Emrich in: Symbolinterpretation, S. 84. 63 Was den Inhalt der Erklärung angeht, stütze ich mich im Folgenden weitgehend auf die Mignon-Deutung Emrichs; s. Symbolinterpretation, bes. S. 72-74 und 80-83. In formaler Hinsicht gehe ich von Goethes Aussage aus, die Symbolik verwandle »die Erscheinung in Idee, die Idee in ein Bild und so, dass die Idee immer unendlich wirksam und unerreichbar bleibt, und selbst in allen Sprachen ausgesprochen doch unaussprechlich bliebe« (Sprüche, S. 207). Ich übertrage Goethes Aussage, die wohl eher in eine >Logik< als in eine psychologisch-genetische Theorie des Symbols gehört, einigermaßen gewaltsam auf die Bildung des Mignon-Symbols, um so auch hier eine sprecherund rege/bezogene Erklärung durchführen zu können. 64 Emrich: Symbolinterpretation, S. 80 (auf solche Einzelheiten wie die, dass Mignon anders als die >nachitalienischen< Geniusgestalten etwas Krankhaftes an sich hat, gehe ich nicht ein).
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Erscheinungen werden von Goethe in eine Idee verwandelt, die man folgendermaßen umschreiben könnte: Es gibt zwei allgemeine Tendenzen, deren eine unter anderem durch Begrenzung, Beschränkung oder (mit einer späteren Formel) »klassische Dämpfung« und deren andere durch Unbegrenztheit, romantische Sehnsucht, Überschwang und dergleichen charakterisiert ist; und es lässt sich eine >Vereinigung< oder Koinzidenz dieser gegensätzlichen Tendenzen denken (und fordern): eine »polare Einheit von Genie und Geschmack«. Insofern die Genius-Symbole Goethes, darunter Mignon, Ausdruck der Idee eben dieser polaren Einheit sind, hängen sie immer auch mit der entsprechenden zeitgeschichdichen Wirklichkeit zusammen65 - was dann auch heißt, dass sie nicht einfach als Symbole archetypischer Strukturen aufgefasst werden dürfen: Goedie greift zwar das uralte Mythologem des »göttlichen Kindes« auf, gestaltet es aber im Lichte seiner Gegenwartserfahrung neu.66 (c) Goethe verwandelt die Idee der polaren Einheit von klassischer und genieästhetisch-romantischer Kunsttendenz in ein Bild, nämlich in die Gestalt der Mignon, die eben anschaulich dargestellt ist, d.h. dargestellt ist in ihrem Aussehen und Gebaren (besonders in ihren Bewegungsformen), in ihrer Herkunft und Entwicklung. Dieser Mignon haftet, wie Goethe sagt, »etwas Sonderbares, Fremdes und Abenteuerliches« an; sie begehrt, »über die Gipfel der Berge wegzuspazieren« und »die höchsten Gipfel zu ersteigen«; ihre Art zu singen ist kunstlos, sprunghaft, ungeregelt. Auf der anderen Seite allerdings ist sie alles andere als ein Naturkind: Ihre »bräunliche Gesichtsfarbe konnte man durch die Schminke kaum erkennen«, heißt es in den >Lehrjahrenexplizierende Deutung< vom sog. »echten alten Mythos her« (S. 88). »Die Literaturwissenschaft darf nicht dabei stehen bleiben, eine Verwandtschaft der dichterischen Symbole mit den mythischen herauszuarbeiten, sondern muß ihre dichtungsgeschichtliche Besonderheit und ihren jeweils neuen Sinngehalt aufzeigen« (S. 84). - Gelegentlich lässt Emrich allerdings die >historische< Zurückhaltung zugunsten einer geradezu hemmungslosen Metaphysik fallen: »Die Symbole enthüllen die innersten antinomischen Strukturen des Daseins selbst« (S. 87).
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nen Fall - im Anschluss an Emrich - kunsttheoretisch (genauer: im Hinblick auf Kunsttendenzen) bestimmt ist, nämlich als polare Einheit von klassischer und genieästhetisch-romantischer Kunsttendenz. (4) Was die Grenzen der Erklärung der eigentlichen Bedeutung des literarischen Symbols angeht, gilt unter anderem: Die im Symbol ausgedrückte Idee ist nicht eindeutig bestimmbar, weil — anders als im Fall der Metapher (»Achill ist ein Löwe in der Schlacht«) — durch den Kontext nicht einmal die Hinsicht bestimmt ist, in der man die betreffende Idee zu sehen hat. Man könnte es, auf unser Beispiel bezogen, so sagen: Wie man die Mignon-Gestalt deutet, hängt davon ab, welche Hinsicht man wählt (und auf welche kontextuellen Elemente man die Mignon-Gestalt bezieht) — und diese Wahl ist immer auch eine Frage des Ermessens. Wilhelm Emrich sieht Mignon in kunsttheoretischer Hinsicht, unter Voraussetzung einer Typologie von Kunsttendenzen, und stellt sie mit anderen goetheschen Geniusgestalten zusammen; Mignon ist dann ein Symbol der Polarität von klassischer und genieästhetisch-romantischer Kunsttendenz. Hans-Egon Hass sieht Mignon in bildungspsychologischer Hinsicht und bezieht sie auf Wilhelm und auf Phasen in dessen Entwicklung; Mignon ist in dieser Hinsicht ein Symbol der »Sphäre unbedingten, ursprünglichen Gefühls«;67 der Hinwendung Wilhelms zum »wirklich-gegenwärtigen« praktischen Leben korrespondiert dann Mignons Erkrankung, die für Hass »das Sinnzeichen ihres Heraustretens aus Wilhelms neuer Wirklichkeit« ist.68 Hellmut Ammerlahn geht von der Theorie der Kunstproduktion aus und stellt Mignon als »Poesiekind« dem »Naturkind« Felix gegenüber; er bezieht beide Kinder dann auch auf >Wesensseiten< Wilhelms und stellt fest, dass Felix und Mignon »die treuen Sinnbilder von Wilhelms >prometheischer< und >epimetheischer< Wesens s eite«69 sind. — Kein Interpret wird vom Text bzw. vom Autor zur Wahl einer bestimmten Hinsicht genötigt, was dann eben auch heißt, dass die im Symbol ausgedrückte Idee nicht sozusagen ein- für allemal fixierbar und dass sie nicht eindeutig und exakt bestimmbar ist.70
VII. Die eigentliche Bedeutung oder die Botschaft des Textes (1) Wer spricht, vollzieht sehr oft eine Sprechtätigkeit, deren Ergebnis ein syntaktisch kohärenter Äußerungszusammenhang oder Text ist, der einen
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Hass: Goethe, S. 182. Ebd., S. 202 und 203. Ammerlahn: Puppe, S. 20. Vgl. Emrich: Symbolinterpretation, S. 89f, 92, 93.
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bestimmten >geistigen Gehalt< repräsentiert oder eine bestimmte >Idee< wobei der Ausdruck »Idee« in diesem Zusammenhang allerdings in etwa gleichbedeutend mit »begrifflich bestimmbare Vorstellung« verwendet wird71 und also nicht so wie in Goethes Symboltheorie, in der die Idee etwas »Unaussprechliches« hat. Das Wort »Bedeutung« wird auch auf diesen geistigen Gehalt bzw. auf diese Idee bezogen gebraucht; öfter ist auch hier von der eigentlichen Bedeutung des Textes die Rede; oder man spricht von der (moralischen, politischen, religiösen oder anderen) Eotscbaß des Sprechers72 oder von der Idee, die der Sprecher (oder Autor) propagiert, da der im Text ausgedrückte Gedanke einen Appell bzw. eine Direktive73 einschließt. (2) Das Beispiel: Ein Lehrer, der davon gehört hat, dass ein Kollege in seiner Gymnasialklasse Heinrich Manns Roman >Der Untertan< mit Erfolg besprochen habe, zieht in Erwägung, diesen Roman auch in seiner eigenen Klasse zu besprechen und fragt den betreffenden Kollegen — den Interpreten —, was denn die eigentliche Bedeutung dieses Textes sei, oder er fragt, was der Autor mit seinem Roman denn eigentlich oder in weltanschaulicher und moralisch-praktischer Hinsicht habe sagen und bewirken wollen, oder auch: was ihm wesentlich war bzw. am Herzen lag. (3) Der Interpret erklärt die eigentliche Bedeutung des Textes mit der Aussage, in Heinrich Manns Roman werde der Typ des Untertanen dargestellt und kritisiert, genauer: der Typ des Untertanen, wie er für den deutschen Wilhelminismus exemplarisch sei: dieser, wie Heinrich Mann in dem Aufsatz Reichstag 1911 schreibt, »widerwärtig interessante Typus des imperialistischen Untertanen, des Chauvinisten ohne Mitverantwortung, des in der Masse verschwindenden Machtanbeters [.. .]«.74 Oder etwas ausführlicher: (a) Heinrich Mann bildet den imperialistischen Untertan in seiner Romanfigur Diederich Heßling ab (Regel der romanhaften Veranschaulichung75): Er erfindet die zu diesem Typ passende Geschichte oder Ereignis folge: Eintritt in die Korporation Teutonia, Agitation am Stammtisch, Hochzeitsreise auf den Spuren des Kaisers, Unterdrückung der Familie und vieles Ähnliche mehr, (b) Heinrich Mann überzeichnet den Die71 Auf diesen Begriff von »Idee« bezogen sagt Ingarden: »Man meint darunter einen rein rationalen Sinn, von dem noch angenommen wird, dass er wahr sei« (Kunstwerk, S. 310). 72 Zum Begriff »Botschaft« s. Spree: Botschaft, S. 245f. 73 Vgl. Searles Taxonomie illokutionärer Akte in: Ausdruck, bes. S. 32 und 41. — Dies der Botschaft inhärente appellative Moment ist in Ingardens Charakterisierung der Idee als des »rein rationalen Sinns« eines Textes nicht berücksichtigt. 74 Zit. nach Schoeller: Untertan, S. 47. 75 Von der romanhaften Veranschaulichung ist z.B. die schematisierende Veranschaulichung einer idealtypischen Person oder Situation zu unterscheiden, die für die Tierfabel (als eine andere Art der >Sendung< einer Botschaft) charakteristisch ist.
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derich Heßling satirisch bzw. er steigert bestimmte Eigenschaften Heßlings einseitig und lässt >mögliche< positive Eigenschaften wegfallen (Regel der Idealtypisierung76). Heßling ist gewissermaßen das Idealbild eines wilhelminischen »imperialistischen Untertanen«: »Tyrann und Untertan«77 zugleich, (c) Heinrich Mann signalisiert, dass die Darstellung, Ächtung und Bekämpfung des wilhelminischen Untertanentyps dasjenige ist, worauf es ihm in moralisch-praktischer Hinsicht ankommt. Er signalisiert es u. a. durch den Romantitel, durch die genannte Überzeichnung und durch den Einsatz des Mittels der Verallgemeinerung, das in der Verwendung von allgemeinem Sentenzen am greifbarsten ist (»Es gibt immer einen, den man anbeten, und einen, den man ducken kann« oder, in indirekter Fassung einer >Klugheitsmaxime< Heßlings: »Wer treten wollte, musste sich treten lassen«). Wollte man die auf Sprechakte bezogene Terminologie auch auf Sprechtätigkeiten anwenden, könnte man sagen, der Autor verfolge den perlokutionären Zweck, die Einstellung des Adressaten in seinem (des Autors) Sinn zu beeinflussen. Die eigentliche Bedeutung des Textes ist im gegebenen Fall die sozusagen eindeutig identifizierbare moralpädagogische Botschaft, dass imperialistische Untertanen »widerwärtig« und deshalb zu ächten und zu bekämpfen sind. Diese Bedeutung wird durch die Anwendung vor allem der Regeln der romanhaften Veranschaulichung und der Idealtypisierung des >Untertanengeists< konstituiert bzw. durch die Angabe dieser Regeln erklärt. — Allgemein könnte man übrigens auch sagen, die eigentliche sei die eigentlich wichtige Bedeutung des Textes: dasjenige, was dem Sprecher oder Autor wesentlich war oder auch dasjenige, was nach Ansicht des Sprechers oder Autors für den Hörer oder Leser bedeutsam oder wesentlich ist. (4) Was die Grenzen der Erklärung der eigentlichen Textbedeutung angeht, gilt unter anderem: Die eigentliche Bedeutung oder die Botschaft des Textes kann mehr oder weniger ausführlich bestimmt werden — und es hängt vom Ermessen dessen ab, der diese Bedeutung erklärt, wie ausführlich er sie bestimmt. So könnte in unserem Beispielfall ein Interpret auch auf die Gegenfigur zu Diederich Heßling, nämlich auf dessen Schulkame-
76 Man könnte, auf Goethes oben zitierte Aussage zum Symbol anspielend, sagen, der Autor verwandle die Erscheinung in einen Idealtyp und den Idealtyp in ein Bild (zu »Idealtyp« s. Weber: »Objektivität«, bes. S. 191). Mit der Beziehung auf den Idealtyp ist eine deutliche Differenz zum Schlüsselroman (als einer Form indirekten Redens) indiziert: Wenn nach der eigentlichen Bedeutung eines Schlüsselromans, etwa des >Mephisto< von Klaus Mann, gefragt wird, will man zunächst wissen, welche bestimmte historisch verbürgte Person oder Situation denn eigentlich (oder >direktspeziellere< Bedeutungsbegriffe, und zwar (zumindest) diese: (I) Die Satzbedeutung, die durch eine lexikalisch-idiomatische Paraphrase verdeutlicht wird, unter Angabe bestimmter semantischer und grammatischer Regeln; (II) die Propositionsbedeutung, die durch eine situativ-pragmatische Paraphrase dargelegt wird bzw. vermittels Angabe der Regeln von Referenz und Prädikation; (III) die Illokutionsbedeutung, die per Auslegung ermittelt wird und unter Heranziehung der betreffenden Regeln der Illokution (wesentliche Regel, Einleitungsregeln, usf.); (TV) die eigentliche oder implizite Bedeutung der indirekten Äußerung, aufgedeckt durch Rückführung dieser Äußerung auf den Klartext — unter Berücksichtigung der betreffenden >rhetorischen< Regeln der Klartextveränderung (adiectio, detractio usf.); (V) die eigentliche oder metaphorische (konnotative und emotive) Bedeutung der metaphorischen Äußerung, mit Hilfe der betreffenden Regeln des Vergleichs und unter Hinweis auf die betreffenden >tertia comparationis< bestimmt; (VI) die eigentliche oder >tiefere< Bedeutung der symbolischen Äußerung, in deren Deutung die Regeln der Transformation einer >allgemeinen< Idee in ein >besonderes< Bild von Wichtigkeit sind, und (VII) die eigentliche Bedeutung oder die Botschaft des Textes, die im Wesentlichen unter Beziehung auf die Regeln der Veranschaulichung und der Idealtypisierung erklärt wird. Im Anschluss an diese Zusammenfassung will ich noch einige im engeren Sinne wissenschaftsphilosophische Bemerkungen machen: Bemerkungen zur Struktur meiner Bestimmung des Bedeutungsbegriffs, zum Charakter und 2ur Begrenztheit meiner Einteilung der spezielleren Bedeutungsbegriffe sowie zu den >Grenzen der Interpretation^
78 Das über die Grenzen der Interpretation Gesagte bleibt zunächst unberücksichtigt.
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(1) Der Ausdruck »die Bedeutung sprachlicher Äußerungen« wird einerseits auf mehrere Weisen gebraucht;79 er ist insofern mehrdeutig. Auf der anderen Seite ist er aber kein gewöhnliches Homonym. Die verschiedenen oben explizierten Bedeutungsbegriffe stehen nicht buntscheckig oder zusammenhanglos nebeneinander. Vielmehr kovariiert die Bedeutung des Ausdrucks »die Bedeutung sprachlicher Äußerungen« mit der Art der sprachlichen Äußerung, auf die bezogen er gebraucht wird. Der Ausdruck »die Bedeutung sprachlicher Äußerungen« ist insofern systematisch mehrdeutig.^ — Oder anders gewendet: Satzbedeutung, Propositionsbedeutung usf. sind miteinander verwandt: Sie beziehen sich gleichermaßen auf sprachliche Äußerungen und sind gleichermaßen das vom Sprecher mit Hilfe der betreffenden Äußerung Gemeinte. In anderer Hinsicht sind sie ebenso offenkundig voneinander verschieden, nämlich hinsichtlich der Regeln der Bedeutungskons titution und hinsichtlich der Grenzen, die der Bedeutungserklärung gesetzt sind. (2) Der Begriff der Bedeutung sprachlicher Äußerungen ist kein Begriff, der in einer Genus-differentia-Definition angemessen bestimmt werden könnte. Gleiches gilt für die spezielleren Bedeutungsbegriffe. Sie können nicht durch Angabe von genus proximum und differentia specißca definiert, sondern >nur< mit Hilfe einer Gebrauchsbeschreibung erläutert werden. Dem entspricht, dass meine Einteilung nicht die Systematik einer strengen Klassifikation haben und Vollständigkeit nicht erreichen kann. Wenn man von einem sprachanalytisch-philosophischen Ansatz ausgeht, gilt, dass es so etwas wie eine geschlossene oder wohlbegrenzte Klasse der spezielleren Bedeutungsbegriffe nicht gibt. (3) Viele der unterschiedenen Bedeutungsbegriffe sind miteinander kompatibel; oder anders ausgedrückt: ein und dieselbe Äußerung kann mehrere Bedeutungen haben. Ich demonstriere das am Beispiel der Äußerung »Achill ist ein Löwe in der Schlacht«, (a) Vorausgesetzt, dass es sich hierbei um eine metaphorische Äußerung handelt, könnte man selbstverständlich von der metaphorischen Bedeutung dieser Äußerung reden, (b) Man könnte, bezogen auf diese metaphorische Äußerung, aber auch sagen, »Achill«
79 Diese These darf nicht verwechselt werden mit der These von den unendlich vielen Bedeutungen (als einer These, die von Leuten vertreten wird, die den Bedeutungsbegriff hörerbezogen und psychologistisch analysieren; vgl. Eco: Grenzen, S. 16 und 36). 80 Zur systematischen Mehrdeutigkeit von Ausdrücken oder Begriffen s. Ryle: Argumente, bes. S. 276. - Systematisch mehrdeutig wie der Ausdruck »die Bedeutung sprachlicher Äußerungen« ist dann übrigens auch der Ausdruck »die eigentliche Bedeutung sprachlicher Äußerungen«. Wie oben dargetan, ist mit »die eigentliche Bedeutung« beispielsweise die implizite bzw. >unverblümte< Bedeutung der indirekten Äußerung gemeint oder die ideelle Bedeutung der symbolischen Äußerung oder die moralpädagogische Botschaft eines Textes.
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sei ein griechischer Eigenname; man würde damit einen Beitrag zur Erläuterung der Sat^bedeutung liefern, (c) Man könnte sagen, mit »Achill« sei der beste unter den griechischen Kämpfern vor Troja gemeint; man würde damit eine Erläuterung geben, die sich auf die Propositionsbedeutung bezieht. (d) Man könnte sagen, die Äußerung sei im Rahmen des Kontexte, in dem sie stehe, keine Feststellung oder Warnung, sondern ein Lob; man hätte damit die lllokutionsbedeutung der Äußerung charakterisiert, (e) Es könnte den Fall geben, dass man die Äußerung unter Hinweis auf die betreffenden Umstände für rhetorisch-konisch hält; man würde dann sagen, es sei das Gegenteil des Gesagten gemeint: die eigentliche oder wahre Bedeutung der Äußerung sei, dass Achill im Kampf eine außergewöhnliche Ängstlichkeit zeige; dies wäre dann die (oben nicht weiter beachtete) rhetorisch-ironische Bedeutung der Äußerung, (f) Schließlich könnte die Äußerung in den Augen eines in christlicher Allegorese geschulten Interpreten sogar als Äußerung mit einer im engeren Sinne allegorischen Bedeutung genommen werden,81 nämlich als Äußerung eines Sprechers, dem Achill als eine Art Inkarnation des Teufels gilt (dieser Interpret würde wissen müssen, dass der Löwe »nach seiner Natur den Teufel bedeuten [kann] seiner Blutgier wegen, denn er geht brüllend umher und sucht, wen er verschlinge [1. Petr. S.S]«82). — Angesichts dieser Situation dürfte deutlich werden, wie wichtig die Unterscheidung speziellerer Bedeutungsbegriffe ist, wenn man unmis s verständlich über die >Bedeutung< von »Achill ist ein Löwe in der Schlacht« sprechen möchte. (4) Zu den sprachlichen Äußerungen, um deren Bedeutung es gehen kann, gehören auch literarische bzw. poetische Äußerungen — zumindest solche, die >verstanden< werden wollen und deshalb hinsichtlich der Regeln der Bedeutungskonstituierung üblich oder konventionell sind: Auch die übliche poetische Äußerung, die nach gewissen Regeln der Metrik und Stilistik geformt ist, hat eine Satz-, Propositions-, lllokutionsbedeutung usf. Um diese These auf die lllokutionsbedeutung bezogen zu illustrieren: Ebenso wie im Falle der all tags sprachlichen Äußerung »Der Hund ist bissig« wird auch im Falle der aus >Wandrers Nachtlied< stammenden Worte »Bälde / Ruhest du auch« die lllokutionsbedeutung durch die Feststellung der betreffenden Illokutionsregeln bestimmt. Die entsprechende oder analoge Bedeutungserklärung würde lauten: Die Äußerung von »Bälde / Ruhest du auch« ist ein Zuspruch, weil in ihr die Regeln des Zuspruchs realisiert sind, unter anderem die wesentliche Regel (nach der dem Angesprochenen 81 Auf diese im engeren Sinne allegorische Bedeutung konnte ich oben nicht eingehen. Zur allegorischen Bedeutung s. besonders Haverkamp, der bezüglich der Allegorie übrigens von der »tieferen Bedeutung« spricht, auf die der betreffende Text verweise (Haverkamp: Allegorie, S. 51 und 53). 82 Ohly: Sinn, S. 9. — Den Anachronismus möge man mir nachsehen.
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Trost, Mut oder dergleichen zugesprochen werden soll), die Regel des propositionalen Gehalts (nach der ein Zustand zur Sprache gebracht wird, der im Interesse des Angesprochenen ist) sowie die Einleitungsregeln (darunter die, nach der der Sprechende von der Annahme ausgeht, dass sich der Angesprochene in einem misslichen Zustand befinde).83 (5) Meine Einteilung oder Ordnung der spezielleren Bedeutungsbegriffe beruht, sprachphilosophisch gesehen, auf einer Theorie des Sprechens als eines intentionalen und regelgeleiteten Verhaltens; und sie ist in Beantwortung der vier im Einleitungsteil exponierten Fragen erstellt. Meine Einteilung ist also perspektivegebunden — was auch heißt, dass sie eine von mehreren möglichen Einteilungen ist.84 Um diesen Sachverhalt deudich zu machen, präsentiere ich drei >EinteilungsalternativenGedankenexperiment< hergestellten Verse »Wart nur! Bald ruhst du auch!« eher die illokutionäre Deutung der Verse als Warnung nahelege). 84 Zu diesem Problem s. Strube: Philosophie, S. 51 f. 85 Searle: Ausdruck, S. 126. - Es gibt literaturwissenschaftliche Bedeutungsbegriffe, die offensichtlich »vom Standpunkt des Hörers aus« definiert sind, so Hawthorns Begriff der verzögerten Bedeutung einer Äußerung als derjenigen Bedeutung, die sich erst mit Verzögerung, nämlich erst zu einem späteren Zeitpunkt der Lektüre, voll erfassen lässt (vgl. Hawthorn: Grundbegriffe, S. 348). Man kann, wenn man will, auch diese Art der Bedeutung sprecherbetytgen analysieren: Hawthorn hat wohl die zukunftsgewisse Vorausdeutung eines Erzählers auf ein künftiges Geschehen vor Augen, vollzogen in einer Äußerung, die man als zweideutige Orakelrede des Autors auffassen kann.
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sehe.86 (Dies wäre ein ganz anderer Fall als der Fall der indirekt-ironischen Äußerung, durch die der Sprecher dem Hörer etwas mit Absicht >verrätneuen< Fall geht, kann man die symptomatische Bedeutung einer Äußerung nennen und als diejenige Bedeutung ansehen, die psychoanalytisch oder ideologiekritisch aufgedeckt wird und nicht in einer auf die >intentio auctoris< gerichteten Interpretation.87 (c) Jemand könnte, um Bedeutungsbegriffe zu unterscheiden und zu ordnen, schließlich auch eine ganz andere Theorie wählen als diejenige, die das Sprechen als ein intentionales und regelgeleitetes Verhalten ansieht. Und tatsächlich hat etwa Max Black eine Unterscheidung und Ordnung von Bedeutungsbegriffen im Flinblick nicht auf den Sprecher und seine Akte, sondern im Hinblick auf die Sprache und ihre Funktionen durchgeführt. Black unterscheidet, an Karl Bühler anschließend, die Darstellungs-, die Ausdrucks- und die Appell-Funktion der Sprache und dann — dem entsprechend — die »kognitive«, die »expressive« und die »dynamische Bedeutung«.88 Ich bemerke nebenbei, dass ich die sprechakttheoretisch fundierte Sprachphilosophie und die Orientierung an der sprachlichen Äußerung deshalb als Basis genommen habe, weil sie eine Einteilung erlauben, die der Vielfalt im normalsprachlichen Gebrauch des Ausdrucks »Bedeutung (einer sprachlichen Äußerung)« einigermaßen gerecht wird und insofern adäquater und fruchtbarer ist als etwa die trichotomische Einteilung Blacks.89 Zugleich dürfte im Blick auf die Einteilungsalternativen die Begrenztheit meiner eigenen Einteilung deutlich geworden sein: die symptomatische Bedeutung etwa oder die expressive Bedeutung haben in meiner sprechakttheoretisch fundierten Einteilung keinen Platz. Wer beide Bedeutungen berücksichtigen möchte, kann das von einem eklektizistischen Standpunkt aus tun oder vielleicht auch auf der Basis einer semiotischen Theorie, nach der »alle menschlichen Phänomene, auch die intimsten, >kodiert< sind, d.h. Regeln und Strukturen folgen«.90
86 Beispiel in Strube: Textinterpretation, S. 60f. 87 In der Erklärung der symptomatischen Bedeutung ist nicht das >intentionalistische Verstehen< im Spiel, sondern das >Besser-Verstehen< (vgl. Strube: Arten, bes. S. 143f.). 88 Black: Sprache, S. 229. Black weist auf S. 225ff. auch noch auf andere (aus anderen Perspektiven durchgeführte) Einteilungen hin. 89 Natürlich kann man auch noch ganz anders orientierte Einteilungen als die oben präsentierten machen, z.B. Einteilungen, in denen der historische Gesichtspunkt eine Rolle spielt. Man stößt dann auf Bedeutungsbegriffe, die oben gar nicht berücksichtigt worden sind, etwa auf den Begriff der ursprünglichen oder der verschütteten Bedeutung. 90 Holenstein: Linguistik, S. 180. Holenstein hat hier besonders die (psychoanalytisch aufdeckbare) symptomatische Bedeutung im Auge.
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(6) Was im Besonderen die >Grenzen der Interpretation angeht, gilt in wissenschaftstheoretischer Hinsicht, dass Interpretationen oder Bedeutungserklärungen nicht zwingend oder )definitm sind. Keine Erklärung einer Satzbedeutung z.B. ist derart, dass sie und nur sie als Bedeutungserklärung in Frage käme. Dieses >Begrenztsein< gehört nun aber gewissermaßen zur Natur der Bedeutungserklärung und darf ihr (etwa von Wissenschaftstheoretikern, die den strengen Beweis für das Ideal wissenschaftlichen Argumentierens überhaupt halten) nicht zum Vorwurf gemacht werden. Bedeutungserklärungen wollen eben nicht zwingend bzw. von Ermessensentscheidungen und >Divinationen< frei, sondern möglichst aufschlussreich sein. Oder ähnlich: Der (selbstkritische) Interpret weiß eben, dass er für seine Bedeutungserklärung eine definitive Geltung nicht beanspruchen kann — und er weiß auch, warum: Der Interpret kann sich etwa im Falle der Satzbedeutung auf unterschiedlich weite Begriffe des semantischen Gehalts eines Satzes beziehen (s.o. S. 42) oder im Fall der eigentlichen Bedeutung eines literarischen Symbols auf unterschiedliche Kontextelemente (s.o. S. 57); und es liegt keineswegs fest, welcher Begriff bzw. welches Kontextelement derrichtigeBezugspunkt ist. Im Übrigen weise ich darauf hin, dass sich bei einem sprachanalytischphilosophischen Ansatz auch auf das Problem der >Grenzen der Interpretation bezogen eine differentialistische Lösung des Problems anbietet: Ebenso wenig wie es die (oder die eine} sprachliche Bedeutung gibt, gibt es die Grenzen der Interpretation oder Bedeutungserklärung. Die Erklärung der Satzbedeutung ist auf eine andere Weise begrenzt als die Erklärung der Bedeutung der metaphorischen Äußerung, usf.91 (7) Bestimmte Literaturtheoretiker und Sprachphilosophen sehen, vor allem auf die Bedeutungserklärung von Metaphern bezogen, noch eine ganz andere Grenze. So haben wir nach Searle bei jeder Paraphrasierung einer metaphorischen Äußerung »das Gefühl, dass die Paraphrase irgendwie inadäquat ist, dass etwas verloren gegangen ist«.92 Also: Mit der Ersetzung beispielsweise der Äußerung »Achill ist ein Löwe in der Schlacht« durch »Achill ist ein mutiger und starker Kämpfer, der als solcher Bewunderung und Lob verdient« geht der poetische Charme der metaphorischen Äußerung verloren. Die Ersetzung ist sozusagen poetologisch minderwer-
tigTatsächlich ist die Erklärung der Bedeutung metaphorischer Äußerungen in poetologischer Hinsicht begrenzt bzw. mit Verlusten verbunden.
91 Auf die üteraturwissenschaftliche Textinterpretation bezogen habe ich die These, dass es so etwas wie die - oder die einzig richtige - Interpretation nicht geben könne, vertreten in: Philosophie, S. 91-94. 92 Vgl. Searle: Ausdruck, S. 104.
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Und die >Verlust-These< gilt nicht nur auf die Interpretation metaphorischer Äußerungen bezogen: Mit der Transformation der oben herangezogenen indirekten Äußerung über Fräulein Freitags Sangesdarbietung in den Klartext »Fräulein Freitag hat das Lied >Home sweet home< auf miserable und verspottenswerte Weise gesungen« geht selbstverständlich der konische Witz der ursprünglichen Äußerung verloren. Und mit der Deutung der Mignon-Gestalt als des kunsttheoretischen Symbols der polaren Einheit von klassischer und genieästhetisch-romantischer Kunsttendenz geht die Unbestimmtheit der Hinsicht verloren, die wesentlich zur symbolischen Äußerung gehört. Im Übrigen gilt die Verlust-These sogar auf Fälle bezogen, in denen eine Äußerung nicht auf ihre eigentliche Bedeutung zurückgeführt wird: Wenn der Interpret den Sat^ »Er jaust im Grünen« durch den Satz »Er nimmt eine kleinere mitgebrachte Mahlzeit irgendwo im Grünen ein« ersetzt, geht selbstverständlich das Volkstümliche und die prägnante rhythmische Gestalt der ursprünglichen Äußerung verloren. Aber. Der mit der Bedeutungserklärung verbundene Verlust darf kein Anlass zur Klage — oder gar zur Anklage des Interpreten — sein: Der Zweck der Bedeutungserklärungen liegt ja darin, das, was der Sprecher gemeint hat, möglichst klar und deutlich zum Ausdruck zu bringen; er Hegt nicht darin, poetischen Charme, Poetizität oder dergleichen zu konservieren. Die Rückführung beispielsweise der indirekten konischen Äußerung auf den Klartext oder die Rückführung der metaphorischen Äußerung auf ihre eigentliche Bedeutung ist nun einmal — und sozusagen ihrer Natur nach — >reduktiv< und mit einer Vereinfachung verbunden, durch die eben eine wichtige Komponente des betreffenden Phänomens notwendig zum Verschwinden gebracht wkd.93
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93 Wer den poetischen Charme, die Poetizität oder dgl. etwa einer Metapher thematisieren möchte, muß eine neue >Teiltheorie< erstellen, in der es um den Grund des Gebrauchs der Metapher geht (Warum hat Homer die Löwen-Metapher benutzt?). - Wer den Verlust an poetischem Charme, an Poetizität u. dgl. kompensieren möchte, muß eine entsprechende >literarische< Form der Beschreibung und Erläuterung der betreffenden poetischen Äußerung wählen, beispielsweise die essayistische Rede.
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1
James: Justice, p. 331.
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by that most anarchic of all creatures, the meaning-producing human being. 2. Since communication is part and parcel of human acting and interacting, general theory of action is indispensable for understanding the devices and strategies of meaning production. Just as the action theory has recognized that in acting doing and non-doing (forebearance) are equally important, so semantics of communication recognizes vast areas of unsaid meaning beyond or under the said meaning. We are now fully aware of the fact that meaning is an interplay of explicit (overt) and implicit (covert) constituents. To be sure, different text types treat implicitness differently. Scientific discourse does not like it, striving for the highest possible degree of explicitness. In contrast, literature thrives on implicitness. It has been even stated that »literary discourse is a locus of semantic indirection«.2 The import of implicitness in literary texts presents well-known difficulties for literary interpretation. I will not pursue the question how we can cope with these difficulties, having done so, following Oswald Ducrot, Catherine Kerbrat-Orecchioni, Umberto Eco and others, in >Heterocosmica: Fiction and Possible WorldsWhat Might Have Been: The Social Psychology of Counterfactual Thinking< (1995) —, relate counterfactual thinking to the human desire to transcend the actual world: with the question »What if?« »human beings
2 3
Riffaterre: Text, p. 112. Dolezel: Heterocosmica, p. 171 -177.
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achieve the capacity to catapult themselves beyond the muck and malignancy of the actual into the liberating realm of the possible«.4 Yet the domain of nonactual possibles is more than a refuge of the escapist; counterfactual thinking is, first and foremost, a significant means of artistic invention and scientific inquiry. A counterfactual can be used as a springboard to generate the »order« of a possible world which stands in contrast to the actual world. Constructing and examining contrastive possible worlds, we gain new insights into, and understanding of, our actual world. Many kinds of counterfactual worlds are conceivable, yet humans seem to be most interested in counterfactual worlds of history, particularly human history. Counterfactual historical worlds have been cultivated both in historiographic and in fictional representations and the method has been deliberated on by both fiction writers and by historians. A philosophical tale written by the Polish surrealist Bruno Schulz bears in the Polish original a tide that is both mysterious and melodious — >Sanatorija pod klepsidro< (1937); in the English translation, the tide is only mysterious — Sanatorium under the Sign of the HourglassVirtual History: Alternatives and Counterfactuals< (1997). Ferguson paraphrases Trevor-Roper when he states: in order to understand history »how it actually was, we [...] need to understand how it actually wasn't«,. This knowledge can be gained by restricting the scope of the counterfactual alternatives to those which were available to the historical agents and are attested in some sort of recorded documentation: »We can only legitimately consider those hypothetical scenarios which contemporaries not only considered, but also committed to paper (or some other form of record) which has survived - and which has been identified as a valid source by historians«.10 The alternatives available to historical agents include contingencies that could not have been foreseen and accidents and failures that could have been avoided. These restrictions, Ferguson asserts, make counterfactual history »practicable« as standard historical study. They eliminate anachronistic and other implausible counterfactuals — such as »If Napoleon had had two tanks at Waterloo, he would have won the battle«. The counterfactual historian focuses on plausible counterfactuals only. At the same time, a major shift from subsequent to antecedent factors takes place. The counterfactual historian of the new stripe no longer contemplates the possible future consequences of counterfactual events, but rather the alternative courses which historical agents could have taken before the actual event occurred. Fergusonian counterfactual history is thus primarily a study of decision making by historical agents, preserved in governmental records, planning papers, diplomatic documents etc. The reconstruction of the decision making process enlarges substantially the semantic range of historical representation. Let us demonstrate this semantic expansion by examining some contributions to Ferguson's collection. Jonathan C. D. Clark in his study >British America: What If There Had Been No American Revolution demonstrates first the traditional counterfactual history of long duree when he 10 Ferguson: History, p. 87.
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makes a rather »obvious« connection: »Had the American Revolution not taken the form it did in 1776-83, it is highly unlikely that the French state would have staggered vainly beneath a fatal fiscal burden, and collapsed in ruin in 1788-89«. However, he immediately reminds us of the futility of such a speculation: »Such a counterfactual is so large, and so far removed from the actual outcome, that it loses touch with historical enquiry«.11 Instead, Clark devotes his energies to digging up documents that show the strong loyalist tendencies in the Colonies and the close ties between England and New England, which could easily have prevented the uprising if some fatal missteps had been avoided. Michael Burleigh considers the counterfactual >Nazi Europe: What If Nazi Germany Had Defeated the Soviet UnionTerra Nostra< (1975), is, among other things, counterfactual historical fiction. According to Brian McHale, works like >Terra Nostra
The Man in the High Castle< (1962). It is significant that Dick is a popular science-fiction writer. A connection between counterfactual historical fiction and science fiction is not fortuitous: science fiction projects a future which differs substantially from the actuality of the author's present; counterfactual historical fiction returns to the past to project a present which differs substantially from the actual state of affairs. Dick's novel constructs a fictional world where the outcome of World War II is reversed. The victorious Japanese and Germans govern the world divided into two colonial domains. Specifically, the eastern part of North America, known as the United States of America, is a German protectorate. The western part, called Pacific States of America, is a Japanese protectorate, governed from Sacramento. San Francisco, the main setting of the novel, is a major business centre of the PSA. In between lie the Rocky Mountain States, relatively independent and enjoying a higher degree of freedom. Here, in Cheyenne, a writer by the name of Hawthorne Abendsen has written a novel with the strange tide >The Grasshopper Lies HeavyThe Man in the High Castle< is reversed: Abendsen construed a fictional world where Germany and Japan were defeated in World War II. Abendsen's novel provides an intertextual link between most of the participants of the story; it is joined in this function by the Chinese book of oracles, >I Ching [The Book of Changes]The Man in the High Castle< is an adventure story around two intrigues of high politics: the assassination of Abendsen by a German agent and Germany's planning a war against Japan. Both of the intrigues originate in the rivalry between the moderates and the hardliners in the leadership of the Nazi party and the German Reich. The private stories of the protagonists, such as Frank Frink's hopeless love for his ex-wife Juliana or Childan's quest for social recognition and success in business, are subordi-
16 McHale: Fiction, p. 90. In my opinon McHale's characterization is more a manifestation of a fashionable bakhtinianism, rather than a general statement about the functions and purposes of counterfactual thinking in general, and counterfactual historical fiction in particular.
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nated to the political intrigues. The principal role of the »ordinary« fictional persons is to prevent (directly in the case of Juliana or indirectly in the case of Childan) the political assassination and the war. The predominance of the political over the private story seems to be typical of counterfactual historical fiction. It is evident in a second fictional work which reverses the outcome of World War II, in Robert Harris's >Fatherland< (1992). The story takes place in 1964 in a counterfactual Greater German Reich which was formed after the victory of Germany in World War II. The Eastern enemy has been pushed behind the Urals and is unable to do more than harass German troops by guerrilla and terrorist attacks. Western Europe including Great Britain has been pacified to form a European Union under German leadership. There are two nuclear superpowers in the world, Germany and U.S.A, locked in a Cold War. On the eve of the celebrations of Führer's 75th birthday the Reich is preparing for the visit of the American president Joseph P. Kennedy, which is expected to initiate a progressive detente between the superpowers. At this point several mysterious deaths of former high Nazi officials occur in Berlin. As it becomes evident during the investigation by Xavier March, the stubborn detective of the criminal police (obstructed by the Gestapo), the deaths are connected to secret documents relating to the 1941 Wannsee conference, presided over by Reinhardt Heydrich, where plans for the Final solution of the Jewish question were drawn. A visiting American journalist Charlotte Maquire becomes involved not only in March's investigation, but also in his life. The ending is underdetermined: »Charlie« is on her way to »neutral« Switzerland with the documents of the Wannsee conference, but it is only through March's belief that the success of her mission is authenticated. March himself, surrounded by pursuers, draws his gun either to engage in a hopeless fight or to commit suicide. The cast of characters of Harris's novel is typical of historical fiction: a mix of historical persons and persons with no historical existence. All of the historical persons survived their actual death: Hitler and Goebbels did not commit suicide in 1945, Heydrich recovered from his wounds suffered in the assassination attempt in Prague in 1943, Goring was not sentenced to death in Nuremberg and so on. These leaders remain in the background of the story, although they obviously pull the strings. The perpetrators and victims of the »purge« are less prominent, but historically attested Nazi functionaries: among them, Josef Buhler, one of the victims, was not executed in Poland in 1948, Globocnik, the cruel General of the Gestapo and March's main opponent, did not commit suicide in 1945. (The facts of their actual fate are provided by the author of the novel in a Note at the end of the book.). The coexistence and interaction of »historical« and »fictitious« characters is the main proof that the world of histori-
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cal fiction, whether factual or counterfactual, is of the same overall structure. Counterfactual historical fiction constructs a fictional world contrary to actual history and in this setting weaves fictional stories carried out by a mix of fictional persons with and without historical counterparts. At the beginning of this paper, I have stated its aim: to point out the role of counterfactuals in the production of meaning. In the end, I want to present a set of theses which hopefully will initiate a discussion of this phenomenon which so far has been rather neglected in literary semantics. 1. The study of meaning underwent a major change in the last decades of the 20th century. This change does not void, in my opinion, the traditional tasks of linguistic semantics, the study of meaning of morphemes, words, grammatical and syntactic structures etc. But it brings to the fore the study of meaning, or rather meaning production in communicative actions and interactions. The expansion of the scope of semantics brings about the expansion of the concept of meaning itself. It now encompasses all kinds of information that communicating persons express and convey, both explicitly and implicitly. The new concept of meaning is closely tied to the actional environment of communication. Persons act and communicate at the same time, or, better, communicate in acting. Aspects of meaning thus emerge which would be considered outside the scope of classical semantics. 2. A model case of the new semantics is the concept of presupposition. By conveying a certain information explicitly, the utterance conveys many other pieces of information implicitly. I have proposed to include counterfactuals in the concept of presupposition. However, the substantial role of counterfactual thinking in human thought and acting leads us to proceed from counterfactual presuppositions to counterfactual worlds. Humans constantly surround the actual, lived world with possible counterfactual alternatives, such as worlds of daydreaming, desire, regret, remorse. Human experience encompasses both the lived world and its possible alternatives. 3. Particularly attractive to the contemplating person are alternative historical worlds. While the actual past is fixed and beyond tempering, counterfactual historical worlds provide means for thought experiments which serve both cognitive and aesthetic purposes. Not surprisingly, both historians and fiction writers have been engaged in the construction of counterfactual historical worlds. It might be that this tempering with the past (fundamentally different from distorted history written under totalitarian regimes) is particularly favoured by the postmodernist mind, engaged, as it is, in redrawing traditional ontological boundaries. 4. Counterfactual historical worlds provide a striking case of a new, non-traditional semantic category. The representations of history are no
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longer just representations of »what actually happened« (»wie es eigentlich gewesen«), but include and integrate the representations of »what might have happened«. The representations of the past — whether historiographic or fictional — reconstruct the past as a rich agglomeration of the actual and the possible, reconstruct it as past human acting and interacting. This is the most recent attempt to endow the seemingly senseless past with human meaning. 5. Counterfactual thinking is among the fundamental faculties of the human mind and a ubiquitous mental factor in human acting. Humans tend to activate counterfactual thinking both before acting — in decision making, and after — in interpreting and evaluating past actions. 6. Contemporary analytic philosophy has developed a theory of counterfactual thinking within the framework of possible-worlds semantics; contemporary logic has proposed formalisms of a logic of counterfactuals.17 7. Some social sciences, especially social psychology, political science and history, have recently paid serious attention to the cognitive potential of counterfactual thinking. It has been recognized that certain principles or constraints have to be imposed on counterfactual thinking in order to make it cognitively efficient. 8. Counterfactual history, previously cultivated in an improvised and essayistic manner, has reached a theoretically sound level. It has begun to formulate its epistemological and methodological principles consistent with general principles of knowledge acquisition in history, including the emphasis on study and assessment of historical documents. It has provided arguments against both historical determinism and historical relativism. History is not a lawlike evolution governed by some transcendent forces, but rather the result of human acting with all its wisdom and folly. The very existence of counterfactual history depends on the recognition that there is such a thing as historical fact. Otherwise, no historical counterfactual could be posited. 9. Counterfactual historical fiction is a genre of postmodern literature, sharing its tendency to ontological experimentation. Although a political theme is usually central, its possible world is inhabited not only by historical agents but also and primarily by »ordinary« persons absent from historical records. The reader enters and reconstructs the world as any other fictional world, i.e. as an alternative to the actual world of his/her experience. Counterfactual historical fiction subverts historical facts, but it differs fundamentally from distorted history: it makes no truth-claims, while
17 See esp. Lewis: Counterfactuals.
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distorted history is an attempt to alter the past for partisan purposes, particularly in the service of totalitarian propaganda.18
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18 Due to flight cancellations on September 11, 2001, Lubomir Dolezel could not be present at the Irsee conference.
ULLA Fix Grammatik des Wortes. Semantik des Textes Freiräume und Grenzen für die Herstellung von Sinn?
Vorbemerkung Am Ende der Tagung »Regeln der Bedeutung« war mir noch bewusster als zuvor, dass das Phänomen >Text< - für mein Fach, die Textlinguistik, zentraler und immer neu zu diskutierender Gegenstand — in der Perspektive der Literaturwissenschaft kaum mehr wahrgenommen wird. Nicht, dass man in der Linguistik von der Fragwürdigkeit des Textbegriffs nichts wüsste. Abgesehen von seiner Infragestellung durch Rezeptionsästhetik, Systemtheorie, Dekonstruktion, von der >Auflösung< des Textes in der Intertextualitätsdebatte, um nur einige kritische Diskurse zu nennen, die von Vertreterinnen und Vertretern der Linguistik durchaus wahrgenommen werden, ist in der Textlinguistik schon seit langem der prozesshafte, handlungsbezogene, rezipientenabhängige, bedeutungsoffene Charakter von Texten bekannt. Man kennt ihn so lange schon, wie es kommunikations- und handlungsorientierte, wissenssoziologisch begründete, kognitionslinguistische Herangehensweisen an Texte gibt. Was in der Linguistik mit diesem Wissen aber nicht zugleich aufgegeben wird und aufgegeben werden muss, ist die Vorstellung davon, dass der Text trotz Rezipientenbezogenheit, trotz Prozesshaftigkeit und Offenheit und damit verbundener Vagheit nicht aufgehört hat zu existieren. Er löst sich nicht, weil Rezipienten Verschiedenes mit ihm machen, in Luft auf. Ein Sich-Auflösen des Textes ist deshalb nicht möglich, weil es sich bei der Rezeption, d.h. beim Verarbeiten von Kohäsion und beim Herstellen von Kohärenz, um zeichenbezogene Prozesse, um den Umgang mit konventionell vereinbarten Zeichen handelt, die also zunächst einmal verbindlich und daher in einem gewissen Maße auch stabil sind. Vor dem Verstehen liegt die For-
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mulierung, die als Potenz, Anreiz, Stimulus im >Text auf dem Papierx für die Herstellung des /Textes im Kopf< existiert, und zwar für alle /Texte im Kopf< gleichermaßen, die verschiedene Rezipienten von ein und demselben /Text auf dem Papier< herstellen. Für jeden dieser /Texte im Köpft müssen dieselben Zeichen, dieselben Formulierungen, muss dieselbe Materialität den Anstoß, die >Rechtfertigung< für das jeweilige Verstehen gegeben haben. Die /Texte im Köpft entstehen nicht von ungefähr. Und nicht nur die Wissensvoraussetzungen, Einstellungen und Erfahrungen der Rezipienten, sondern auch die mit Bedacht gewählten Zeichen des Textes bieten Ansatzpunkte für das Verstehen. Auch nach der Tagung mit ihren ganz anders verlaufenden Diskussionen bin ich der Auffassung, dass wir in der Trias Autor - Text - Leser dem Text einen Stellenwert lassen müssen. Davon gehe ich im Folgenden aus. l. Wort - Text - literarischer Text1 Von der traditionellen Auffassung, dass Wörter für sich allein etwas bedeuten, sind wir, wissenschaftshistorisch gesehen, mit Wittgenstein zur Äußerungssemantik, d.h. zur Satz- und Textsemantik gekommen. Wörter bedeuten etwas im und durch den Kontext. Und dennoch will ich den Blick, wie es das Thema zu verstehen gibt, gleichsam zurück zur Wortsemantik lenken. Wir haben uns in Folge der Wittgensteinschen Erkenntnis bewusst gemacht, dass »Sprache als Phänomen der Lebens weit nicht in der ontologischen Geschiedenheit einzelner Wort-Einheiten vorkommt, sondern stets nur in gebundener >Redegrammatikarmen< Texten«, dessen Inhalt ich auch mit Vertreterinnen und Vertretern der Literaturwissenschaft diskutieren möchte. Busse: Textinterpretation, S. 62.
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sieht man bereits Elemente des Textes. Das Wort determiniert den Text. Das ist natürlich eine sehr zugespitzte Formulierung. Die Determination existiert nur ansatzweise, im Keim. Aber da diese Perspektive, wenn auch in der linguistischen Betrachtung nach meiner Beobachtung wenig im Blick, doch für die Konstituierung mancher Textbereiche, vor allem für literarische Texte, von eminenter Bedeutung ist, will ich mich diesem Phänomen zuwenden. >Umgekehrt< bestimmt der Text die Bedeutung des Wortes. Aus dieser entgegengesetzten Perspektive, der des Ganzen, will ich zeigen, dass der Text zwischen den Bedeutungsangeboten des einzelnen Zeichens eines (oder mehrere) >auswähltAnleitungenNahe-Legungen< für die Rezeption, für die Sinnherstellung gegeben, auch wenn wir wissen, dass jeder Rezipient sich seinen Sinn selbst herstellt? Was ist es, das mehrere Rezipienten doch auf einen verwandten Sinn sto-
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Dazu äußere ich mich in 3. genauer.
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ßen lässt? Was ist das (eingeschränkt) Verbindliche, an das sich in der Regel alle halten? Gilt dies auch oder gar besonders für literarische Texte mit ihren noch zu beschreibenden — spezifischen Bedeutungsverhältnissen? Damit bin ich bei der Fragestellung der Tagung: Gibt es Grenzen der Interpretation literarischer Texte? Zu Beginn die These: Die Grenzen sind - vom Text her gesehen, nicht von den Möglichkeiten des Rezipienten - so weit gezogen, wie das Wortgefüge, wie der Text Verstehensmöglichkeiten anbietet und Entscheidungen offen lässt. Es kommt bei der Interpretation also zum einen darauf an, was im Wort angelegt ist, und zum anderen darauf, was der Text aus diesen Anlagen macht. Wie eng oder weit die Grenzen der Interpretation gezogen sind, ist zudem bestimmt durch unsere Konzepte von Welt, unsere Kenntnis von Gattungen, von Sprache und Normen sprachlich-kommunikativen Handelns, mit denen wir an das Textangebot herangehen. Die Grenzen scheinen aber, um es vorwegzunehmen, weit gezogen zu sein. Lediglich diejenigen Verstehens- und Interpretationsweisen, diejenigen Sinnzuschreibungen sind ausgeschlossen, die in den paradigmatischen Voraussetzungen und in der syntagmatischen Struktur des Textes nicht irgendwie, mag es auch nur keimhaft sein, angelegt sind. Das Paradigmatische und das Syntagmatische sollen also als sich ergänzende Bedingungen für das Erfassen von Textbedeutung und das Herstellen von Textsinn literarischer Texte betrachtet werden. Dieses Vorhaben bezieht sich auf Feststellungen und Fragen im Expose der Tagung, die mit der Bedeutungsspezifik literarischer Texte, mit »spezifischen Formen der Bedeutungskonstitution für literarische Texte« (S. 3) und mit der Rezeption solcher Texte zu tun haben. Eine »Annahme [...] darüber, auf welche Weise literarische Texte überhaupt Bedeutung erzeugen, vermitteln oder veranlassen können« (S. 1), soll vorgestellt werden. Dabei wird auf das Phänomen des Textes als Ganzheit besonders einzugehen sein, so wie es in der folgenden Frage aus dem Expose formuliert ist: »Sind literarische Texte >Superzeichen< in dem Sinne, dass der gesamte Text als ein Zeichen mit einer einzigen Bedeutung gelten kann? Wie hängt diese Gesamtbedeutung von der Bedeutung der verschiedenen Teile des Textes ab? Welche sprachlichen Mittel fassen einzelne Einheiten des Textes zu einer größeren Einheit zusammen und welchen Einfluß haben diese Verfahren auf die Bedeutungskonstitution?« (S. 3) Der Versuch, diese letzte Frage zu beantworten, wird den Schwerpunkt meines Beitrags bilden. Die vorläufige Antwort auf die zentrale Frage nach dem Charakter literarischer Texte als Superzeichen hat nach meiner Auffassung zu lauten, dass ein jeder Text, gleich ob literarischer oder nichtliterarischer Art, ein solches Superzeichen, also mehr als die Summe seiner Elemente ist. Die-
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s es Mehr ist im Charakter von Texten als Folge von Äußerungen, in der alle Elemente auf eine Intention und eine diematische Einheit hin wirken, begründet und somit kein Spezifikum literarischer Texte. Schon die Tatsache, dass alle Texte eine Oberflächen- und eine Tiefenstruktur aufweisen, macht das deutlich. Die Tiefenstruktur ist die Bedeutungsebene des Textes, die man ohne das Zusammenwirken aller Oberflächenelemente und, wo Oberflächenelemente fehlen, ohne das Einbringen einer Reihe von Weltwissensvoraussetzungen nicht erfassen kann. Jedem Oberflächenelement wird also mehr an Leistung abverlangt, als man ihm isoliert >zutrautüblichen< sind, für deren Beschreibung in diesem Beitrag ein Vorschlag gemacht werden soll, und es geht um die andere Funktion, die literarische Texte haben, nach Jakobson die »poetische Funktion«, anders gesagt: die Selbstreferentialität, das Foregrounding. Die Zeichen etablieren ihre Gemeinsamkeit nicht, indem sich jedes auf denselben Wirklichkeitsausschnitt bezieht, der durch dasselbe Thema bezeichnet werden kann.4 Die Aufmerksamkeit des Rezipienten von Nachrichten mit poetischer Funktion wird vielmehr primär auf das Sprachliche, auf die Art, wie die Nachricht gemacht ist, gelenkt. »Die Einstellung auf die Nachricht als solche, die Zentrierung auf die Nachricht um ihrer selbst willen, ist die poetische Funktion der Sprache«.5 Der Text verweist zunächst auf sich selbst und auf die von ihm aufgebaute Textwelt und erst darüber hinaus auf unsere Wirklichkeit. Wir können bei der Rezeption also nicht kurzschlüssig vom Wort auf einen Sachverhalt der Wirklichkeit Bezug nehmen, zunächst muss der Bezug, den die Wörter zueinander haben, erfasst werden. Jakobsons Vorstellung vom Zugang zur Poesie ist demzufolge strikt sprachbezogen. Er nennt Poesie nicht von ungefähr »Wortkunst« und erschließt sie sich auf sprachlichem Wege. Der Sprache, den Wörtern, kommt besonderes Gewicht zu. Jedes einzelne Zeichen in einem so dichten Text, wie ihn ein Gedicht darstellt, hat für die Sinnkonstitution einen hohen Stellenwert, der auf dessen Polyfunktion, Polyvalenz und Polysemie beruht.6 Es kommt daher auch bei der Analyse und Beschreibung auf jedes Zeichen 4 5 6
So für nichtliterarische Texte bei Brinker: Textanalyse, (s.u.). Jakobson: Linguistik, S. 108. >Polysemie< ist nicht im Sinne des linguistischen Terminus als systemhafte Eigenschaft von Wörtern gemeint, sondern als im Text aufrechterhaltene oder neu angelegte Mehrdeutigkeit.
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und seine Relationen in besonderem Maße an. Bei der Charakterisierung dessen, was es mit der Dichtung der Moderne auf sich hat, liegt nicht nur bei Jakobson die besondere Betonung auf dem Wort. Das wird in Äußerungen der Autoren selber deutlich. Zu Chlebnikows Vorstellung vom »Periodensystem der Wörter« z.B. lesen wir bei Majakowski: Für Chlebnikow [...] ist das Wort eine selbständige Urkraft, die das Material der Gefühle und Gedanken ordnet und gliedert. Daher ein Hinabsteigen zu den Wurzeln, zur Quelle des Wortes, zur Vorzeit, wo die Bezeichnung noch der Sache entsprach [...] Philologische Bemühung befähigte ihn %ur Ausformung von Versen, die das Ansehe Thema durch ein ein%elnes Wort entwickelten? (Hervorh. U.F.)
Um in diesem Kontext einen Zeitgenossen zu zitieren, auf dessen Werk ich mich bei der Analyse auch beziehen will, lasse ich Uwe Kolbe zu Wort kommen: »Die veränderte Bedeutung eines Wortes müßte sich eigentlich aus dem Kontext erhellen, durch den Raum, den das Gedicht selbst aufbaut«.8 Die Bedeutung des Wortes soll, so Kolbe, »aufpoliert« werden, auch etymologisch, damit sie in die veränderte Grammatik des eigenen Denkens paßt, die auf die »herkömmliche Grammatik [prallt]«.9 Dass, siehe Chlebnikow, in die europäische Dichtung des 20. Jahrhunderts linguistische und sprachphilosophische Überlegungen ihrer Autoren eindringen — in Deutschland beginnt dies in den fünfziger und sechziger Jahren und setzt sich bis heute fort -, hat Folgen für die Rolle des Wortes in der Dichtung und in ihrer Reflexion. Fragen der Strukturiertheit von Syntax und Semantik und Probleme der Semiotik (de Saussure und Wittgenstein, Jakobson und Mukarovsky und Bachtin, Kristeva und Eco) werden durchdacht.10 Die Bedeutung, die dem einzelnen Wort bzw. Zeichen in diesem Zusammenhang zugesprochen wird, spiegelt sich in der Form der Gedichte wider. Die grundsätzliche Aufhebbarkeit des Zusammenhangs von Form und Inhalt, die Möglichkeit, alte Bedeutungsbeziehungen zu vernachlässigen und neue Relationen herzustellen, die Ablösung paradigmatischer durch neue, sinnstiftende syntagmatische Beziehungen11 prägen die nun entstehenden Texte. Eggers beschreibt das in den folgenden Passagen:
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Majakowski: Chlebnikow, S. 93,95. Kolbe: Gespräch, S. 90f. Ebd., S. 91. Darauf weist Trommler bei der Darstellung ästhetischer Entwicklungen in der Nachmoderne hin. Er bezieht sich auf »die verstärkte Tendenz zur Sprachreflexion ... die seit Nietzsche die moderne Literatur begleitet und von de Saussure, Wittgenstein und der französischen 7V-j2»£/-Gruppe entscheidend geprägt worden ist« (Trommler: Literatur, S. 99). 11 Vgl. Eggers: Sprachtheorie, S. 114.
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Ulla Fix In der Alltagsrede gibt — von Ausnahmen abgesehen — das einzelne Wort diejenigen Bedeutungskomponenten und -Varianten, die von der Sprechintention nicht artikuliert werden, im Redevollzug auf; der Redesinn setzt sich gegen die Wortbedeutung durch. Schon der Sprachgebrauch der traditionellen Poesie weicht von dieser Praxis ab, wenn im Text ein Gefüge von Bedeutungsbeziehungen aufgebaut wird, die eine Aktualisierung solcher Komponenten erlauben oder gar verlangen, die für den jeweiligen Satzsinn irrelevant sind. Die neue Literatur geht darin weiter, indem sie durch Destruktion des syntaktischen Geßiges eine lineare Sinnintegration geradezu verhindert, so daß es dem Einsyltvort möglich wird, seine ursprüngliche Kraft des Bedeutens %u entfalten [...] Fraglich ist jedoch in jedem Falle, ob und wie die Gesamtheit der Bedeutungskomponenten aus der Laten% abgerufen, also gleichzeitig aktualisiert werden soll'und kann.12 (Hervorh. U.F.) Überhaupt steht Offenheit, Unabgeschlossenheit hoch im Kurs. Im semantischen Bereich kann sie entstehen, wenn auf einen Situationszusammenhang verwiesen wird, der seinerseits im Dunkel bleibt. Syntaktisch kann sie sich darstellen, wenn ein endlos fortgesetzter Artikulationsfluß Assoziationsketten erzeugt [...] Den hauptsächlichen Stein des Anstoßes sehen die Destrukteure der Syntax in der finiten Verbform, wenn sie das Prädikat bildet und somit >regiertExtremisten< das finite Verb verdrängt; gan^ allgemein ßihrt die Freude an der Evokationskraft rein nominaler Fügungen %u einer eifrigen Erkundung des Feldes ihrer Möglichkeiten [.. .].13 (Hervorh. U.F.).
Bei Engelhardt und Mettler ist — mit Bezug auf Paul Celan - die Rede von »isolierende [r] Behandlung des Einzelwortes bis zur Silbenaufsplitterung«, von »Wortneubildungen«, von »Verknappungen des Satzes bis hin zu einem Nominalstil« und von Steigerung der »dem Einzelwort innewohnenden Kraft«, so dass es sich als »Knotenpunkt möglichst vieler Beziehungsfäden enthüllen kann«.14 Die »Destruktion des syntaktischen Gefüges« (s.o.), die Reduktion der Sprachmöglichkeiten bis auf »die bloße Vokabel«, jeweils geeignet, den Sinn eines Textes im Vagen zu halten, ist es, worauf meine Überlegungen abzielen.15 Die Wörter eines Textes, der durch reduzierte Syntax gekennzeichnet ist, müssen die Sinnerzeugung über andere als syntaktische Beziehungen ermöglichen. Diese Möglichkeiten werden im Wort selbst, in seiner lexikalistischen Syntax (s.u.) und in der determinierenden Leistung des Textganzen liegen. Durch das gänzliche Fehlen syntaktischer Beziehungen ist das Gedicht von Uwe Kolbe »Sprachvermögen. Sprechenkönnen. Sprichwenndukannst« charakterisiert, auf das ich im Analyseteil genauer eingehen werde. Wir finden hier nur noch Aneinanderreihungen von Wörtern, die man
12 Ebd., S. 115 f. 13 Ebd., S. 117 f. 14 Engelhardt / Metder: Lyrik, S. 140. Mit >Nominalstil< ist hier die Verkürzung des Satzes auf mehr oder weniger isolierte Wörter unter Reduktion syntaktisch-morphologischer Beziehungen gemeint. 15 Heißenbüttel: Literatursprache, S. 755.
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nicht einmal in jedem Falle einer Wortart eindeutig zuordnen kann. Darin gerade liegt aber das spezifische Sinnangebot des Textes.16 Resümee: Der bewusste Verzicht auf Grammatik, der Stellenwert des einzelnen Wortes als entscheidendes Element des Textes ist wichtiger Faktor des Selbstverweisens, also der poetischen Funktion moderner Dichtung.17
2. Worteinheit - Text. Lexikalistische Syntax Es wird im Folgenden um den Stellenwert des Einzelwortes für den Text gehen, bezogen auf die Frage im Expose der Tagung (S. 3), welche sprachlichen Mittel einzelne Einheiten des Textes zu einer größeren Einheit zusammenfassen und welchen Einfluss diese Verfahren auf die Bedeutungskonstitution haben. Zweierlei ist dem Versuch einer Antwort voranzustellen. Zum einen: Die Beantwortung setzt voraus, dass wir wissen, was ein Text ist und wie er funktioniert. Wir müssen also Kriterien für Textualität, Strukturen und Funktionsweisen von Texten schlechthin kennen. Zum anderen: Die Frage bezieht sich ausdrücklich auf literarische Texte, impliziert also, dass literarische Texte andere Arten der Bedeutungskonstitution haben können als nichtliterarische. Wir nähern uns der Antwort, indem wir in der Linguistik akzeptierte Kriterien der Textualität betrachten. Wir werden mit Bezug auf die Vorstellung von Textualität konstatieren müssen, dass es in poetischen Texten >Defizite< hinsichtlich der Einhaltung dieser Kriterien gibt, und schließlich feststellen, wie die Defizite ausgeglichen werden. In der Art dieses Ausgleichs wird man ein Spezifikum der Textualität von Dichtungstexten entdecken können. Was also ist aus sprachwissenschaftlicher Sicht als ein Text aufzufassen? In ihrer Einführung in die Textlinguistik, die nach wie vor als Standardwerk gilt, stellen de Beaugrande und Dressler zu Beginn die Frage, was ein Text sei, d.h. welche Kriterien Texte erfüllen müssen, um als Texte gelten zu können, und beantworten sie in der folgenden Weise: Wir definieren einen TEXT als eine KOMMUNIKATIVE OKKURENZ [...], die sieben Kriterien der TEXTUALITÄT erfüllt. Wenn irgendeines dieser Kriterien als nicht
16 Ich konstatiere nur, ohne genauer darauf einzugehen, dass man ähnliche Phänomene in politischen Texten und in Texten kommerzieller Werbung auch finden kann. Sie sollen die Aufmerksamkeit auf bestimmte Texte lenken und nach Möglichkeit aufrecht erhalten. 17 Das bisher Gesagte lässt sich an überschaubaren - hermetischen - Texten gut zeigen. Auf solches Textmaterial will ich mich beziehen, was jedoch nicht heißen soll, dass dieser Ansatz für größere und weniger hermetische Texte nicht auch gilt.
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Ulla Fix erfüllt betrachtet wird, so gilt der Text nicht als kommunikativ. Daher werden nichtkommunikative Texte als Nicht-Texte behandelt.18
Das erste Kriterium in ihrer Skala von sieben - KOHÄSION, KOHÄRENZ, INTENTiONALITÄT, AKZEPTABILITÄT, INFORMATIVITÄT, SITUATIONALITÄT, INTERTEXTUALITÄT - bezieht sich nachdrücklich auf grammatische Beziehungen des Textes als eine Voraussetzung für Textualität. Das erste Kriterium [der Textualität] wollen wir KOHÄSION nennen. Es betrifft die Art, wie die Komponenten des OBERFLÄCHENTEXTES, d. h. die Worte, wie wir sie tatsächlich hören oder sehen, miteinander verbunden sind. Die Oberflächenkomponenten hängen durch grammatische Formen und Konventionen voneinander ab, so dass also Kohäsion auf GRAMMATISCHEN ABHÄNGIGKEITEN beruht.19
Die Autoren beschreiben diese Arten von Abhängigkeiten als durch das »System der Syntax« hergestellte.20 Dagegen heißt es aber auch: Alle Funktionen, die man verwenden kann, um Beziehungen zwischen den Oberflächenelementen zu signalisieren, fassen wir unter der Bezeichnung KOHÄSION zusammen.21
Hier ist von Grammatik im Sinne von Morphologie und Syntax nicht mehr die Rede. Unter dem Stichwort »Kohäsion« führen sie gleichberechtigt auch lexikalische Rekurrenzen an, »also die Wiederholung derselben Wörter oder Ausdrücke«, modifiziert nach partieller Rekurrenz, nach Parallelismus, Paraphrase oder Proformen.22 Grammatik können wk hier also verstehen als die »Untersuchung der Regularitäten der Kombination sprachlicher Einheiten«, wobei mit Kombinationsregeln nicht nur syntaktisch-morphologische Regularitäten, sondern auch Regeln lexikalischsemantischer Verknüpfung gemeint sind.23 Beide seien nötig, um einen Text »kommunikativ« zu machen. Nun bleibt bei de Beaugrande und Dressler aber offen, was genau mit >kommunikativ< gemeint ist und wie zu bestimmen ist, wann ein Text als >kommunikativ< gelten kann. Unsere Fragestellung bezieht sich auf Texte, denen wesentliche, nämlich die morphologisch-syntaktischen Elemente der Kohäsion ganz oder teilweise fehlen. Das Kriterium der Kohäsion, d.h. der Verbindung auf der Textoberfläche, wäre demnach nur unvollständig bzw. bei einem engen Verständnis von Grammatik als System morphologischer und syntaktischer Regeln gar nicht erfüllt. Ist ein solcher Text wirklich zwangsläufig nicht18 de Beaugrande / Dressler: Texdinguistik, S. 3f. 19 Ebd. Wenn ich im Folgenden von Grammatik spreche, beziehe ich mich auf die Auffassung, die aus de Beaugrandes und Dresslers Verwendung des Begriffes hervorgeht. 20 Ebd., S. 50ff. 21 Ebd., S. 4. 22 Ebd., S. 58. 23 Linke / Nussbaumer / Portmann: Studienbuch, S. 39.
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kommunikativ und damit strenggenommen gar kein Text mehr? Hat er uns nichts zu sagen? Oder genügen >Rekurrenzen< auf der lexikalischsemantischen Ebene, um den Text kohäsiv zu machen? Nun muss man bei der Vorstellung von >Rekurrenz< zunächst einmal darauf hinweisen, dass dieses Phänomen sich nicht in Textoberflächenerscheinungen erschöpft. Man kann sie auch auf der thematischen Ebene, der der Kohärenz, entdecken. Aber auch, wenn man Rekurrenz auf Kohäsion beschränken wollte, also nur die Phänomene der Textoberfläche berücksichtigte, wären die Kohäsionsanforderungen nicht erfüllt; denn eindeutige Beziehungen, die an die Stelle von Syntaktischem treten könnten, können durch Rekurrenzen nicht hergestellt werden. Vagheit ist die notwendige und in manchen Fällen auch gewollte Folge lexikalischer Rekurrenzen. Hat man es in solchen Fällen mit Nicht-Texten zu tun? Gegen ihre eigenen strengen Bedingungen — die Nichteinhaltung eines Kriteriums stelle die Textualität in Frage - setzen die Autoren selbst die Möglichkeit von »Ersatzfunktionen«. Für mangelnde Kohäsion kann Kohärenz (Herstellung von Sinn durch Weltwissen), kann Situationalität (Kenntnis der Umstände eines kommunikativen Ereignisses) und Intentionalität (Kenntnis von Text(sorten) funktionen) einspringen. Was ist aber nun mit Texten, die diese Ersatzfunktionen nicht zulassen? Gemeint sind Texte, die kein bestimmtes Weltwissen voraussetzen, weil sie ihre eigene Welt errichten, die ebensowenig eine bestimmte Situation erkennen lassen, weil sie Vagheit anstreben, und deren Intention nicht wie üblich erkennbar ist bzw. nicht eindeutig festgelegt werden kann, weil deren Bestimmung dem rezipierenden Individuum überlassen bleiben soll? Kurz: was ist mit künstlerischen Texten, in Fällen also, wo eine eigene Wirklichkeit nur über die Wörter, d.h. über die Semantik des Textes, nicht aber über morphologisch-syntaktische Beziehungen rekonstruierbar ist? Sind sie dennoch kohäsiv, haben sie eine Grammatik und können als kohärent gelten? Was tritt an die Stelle von Kohäsion? Die Fragen will ich beantworten, indem ich Überlegungen zu einem Grammatikkonzept anstelle, das sich auf die Leistungen der Einzelwörter für eine Textgrammatik bezieht. Ein Text mit unvollständiger Kohäsion im Sinne morphologisch-syntaktischer Verbundenheit könnte, folgt man der Auffassung von einer >lexikalistischen Syntax»lexikalistische< Syntax«31 bezeichnet. Knobloch folgt den Ideen der kulturhistorischen Sprachpsychologie Wygotskis, die »dem Weg des Sprechens [des Spracherwerbs, U.F.] selbst nachgegangen [ist]: vom Wort zum Satz - von einem Wort freilich, das nicht als Lexikoneintrag isoliert wurde, sondern als kleinstes Handlungs- und Äußerungsformat aufgewertet« wird.32 Er knüpft in dem Zusammenhang an die Untersuchungen von Clara und William Stern, von Charlotte und Karl Bühler zum kindlichen Spracherwerb an und verweist auf deren Erkenntnis, dass der Grammatikerwerb sich über die »Etappen der Einwortäußerung, der Zweiwortäußerung und der unflektierten Mehrwortäußerung vollzieht«.33 Seine Schlussfolgerung ist, dass Kinder offenbar eine relativ lange Zeit ohne Morphosyntax im Sprechen auskommen und »die Probleme der geordneten Beziehungen der Wörter aufeinander auf der Basis einer Protosyntax [lösen], die viel mit sachlichen Beziehbarkeiten, mit vertrauten Szenen und Mustern, mit Sach- und Stoffhilfen zu tun hat«.34 Mit Bezug auf Experimente von Charlotte Bühler, deren Probanden sich imstande zeigten, »aus morphosyntaktisch und topologisch entformten Worthaufen« geordnete Wortfolgen herzustellen, konstatiert er, dass wir über zwei Klassen von Informationen verfügen, die uns befähigen, in »Worthaufen« Sinn zu bringen: »Beziehbarkeiten der Wörter« und »sachliche Beziehbarkeiten der Erfahrung«.35 Im Wort ist alles, was ihm in der Ontogenese noch folgt, bereits angelegt. Das Wort ist die kleinste potentiell selbständige Nachricht und es ist diejenige Einheit der Sprache, die als erste über die wesentlichen Eigenschaften des Ganzen verfügt (anders als der Laut oder das Morphem): das Wort hat indikative, nominative und signifikative Funktionen, die sich mit der Befestigung seines Gegenstandsbezuges zu organisieren beginnen, es ist elementare Prädikation und elementare Kommentierung; es hat einen situativen und tendenziell in jeder Verwendung einmaligen Sinn und eine (manchmal auch mehrere) demgegenüber relativ feste Bedeutung. Das Wort verfügt mit der Zeit nicht nur über die Fähigkeit, situative und sympraktische Bezüge zu organisieren, es fängt alsbald auch an, in syntagmatische Feldbeziehungen zu anderen Wörtern zu treten, mit denen es sich verbindet, trägt also auch den Keim zur Syntax.36 (Hervorh. U.F.)
Knobloch stellt dieser älteren psycholinguistischen Auffassung, die er teilt, vergleichend die »neue Psycholinguistik« gegenüber, die im Gefolge 29 30 31 32
Knobloch: Sprache, S. 98. Ebd., S. 77. Ebd., S. 99. Ebd., S. 96.
33 Ebd., S. 77. 34 Ebd. 35 Ebd., S. 79. 36 Ebd., S. 96.
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Chomskys die Hauptaufmerksamkeit den syntaktischen Baumustern widmet.37 Das Wort gilt als Baustein, der in das Muster eingefügt wird. Sprech- und Verstehensprozesse werden auf syntaktische Regeln und Muster, Syntax wird auf pattern reduziert, während sie nach Knobloch jedoch als »Beziehungsanweisungen zwischen Wörtern« betrachtet werden sollte; denn syntaktische Strukturen sind »mitbestimmt durch die lexikalischen Besonderheiten ihrer Nuklei«.38 Einfachstes Beispiel: die Valenz.39 Die Besetzung der Valenzen des Verbs im Sinne einer syntaktischen Geschlossenheit ist ohne lexikalische Determinationen nicht denkbar. Und die Schlussfolgerung daraus lautet: »Strukturelle Komplettierungszwänge entstehen konkret erst auf der Grundlage lexikalischer Selektionen«.40 Ein literarischer Text wie Uwe Kolbes Gedicht »Sprachvermögen. Sprechenkönnen. Sprichwenndukanns t« ließ sich wohl auch — respektlos, aber zumindest auf den ersten Blick zutreffend - als »morphosyntaktisch und topologisch entformte Worthaufen« bezeichnen.41 Wie geht man mit solchen Texten um? Auch hier ist - in der Analyse — der Zugang über die »Beziehbarkeiten der Wörter« und die »Beziehbarkeiten der Erfahrungen« nötig und möglich.42 Welch ein Geflecht von Wort- und Bedeutungsbeziehungen in der Tiefenstruktur vorhanden ist, bleibt beim ersten Blick, der aber schon einen Eindruck vermittelt von dem, »worum es geht«, freilich noch verborgen. Wie wir zu diesem ersten Eindruck kommen, lässt sich erklären, wenn wir Erkenntnisse einer explikativen Semantik heranziehen, einer Semantiktheorie, die das Textganze in den Mittelpunkt stellt.
3. Texteinheit — Wort. Explikative Semantik Auf der einen Seite verfügen Rezipienten, wie beschrieben, über die Kompetenz, mit der Potenz des Einzelwortes umzugehen, auf der anderen Seite begegnen ihnen in der Praxis ihres alltäglichen Umgangs mit sprachlichen Äußerungen seltener Einzelwörter bzw. Einworttexte als 37 Ebd. 38 Ebd., S. 98f. 39 »Unter Verbvalenz wird hier zum einen die Eigenschaft von Verbbedeutungen verstanden, in spezifischer Weise Relationen zu den Eigenschaften von außersprachlichen Entitäten herzustellen (semantische Valenz). Zum anderen ist die Verbvalenz eine Eigenschaft von Verben, bestimmte sprachliche Elemente ihrer Umgebung im Satz hinsichtlich ihrer Art und Zahl zu determinieren (syntaktische Valenz)«. Schumacher: Satzbaupläne, S. 28. 40 Knobloch: Sprache, S. 99. 41 Ebd., S. 79. 42 Ebd.
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vielmehr Texte, die aus mehreren, thematisch 2usammenhängenden Sätzen bestehen. Diesen komplexen Gebilden hat sich der Rezipient zu nähern. Das Alltagskonzept vom >Thema eines Textes< umfasst nach Brinker den »kommunikativen Hauptgegenstand« und das, »was im Text >in nuce< über diesen zentralen Gegenstand ausgesagt wird, d.h. den Grund- oder Leitgedanken eines Textes«.43 Daran anknüpfend definiert er >Thema< als »Kern des Textinhalts«, »wobei der Terminus >Textinhalt< den auf einen oder mehrere Gegenstände (d.h. Personen, Sachverhalte, Ereignisse, Handlungen, Vorstellungen usw.) bezogenen Gedankengang eines Textes bezeichnet«.44 Entscheidend für meine Überlegungen ist nun, dass sich nach Brinker die Wahrnehmung eines Textthemas nicht als schrittweises Vorgehen von den Einzelphänomenen der Oberflächenstruktur zum thematischen Kern des Textes vollzieht, dass vielmehr die Bestimmung des Themas abhängig ist vom »Gesamtverständnis, das der jeweilige Leser von dem Text gewinnt«.45 Dieses Gesamtverständnis sei, so Brinker, entscheidend durch die beim Autor vermutete Intention bestimmt, »d.h. durch die kommunikative Absicht, die der Sprecher/Schreiber mit seinem Text nach der Meinung des Regenten verfolgt«.*6 Dass wir einen Text ganzheitlich, d.h. in seinem thematischen Kern erfassen, lässt sich an unseren praktischen Erfahrungen mit Texten nachweisen. Wir sind sehr wohl imstande, gehörte oder gelesene Texte »in einer Kurzfassung, ja sogar in einem Titel oder einer Überschrift zusammenfzu]fassen«.47 Wir können, ohne dass es uns gelingen müsste, Einzelheiten zu rekonstruieren, sagen, »worum es in einem Text geht«, können also dessen kleinsten gemeinsamen Nenner bestimmen. Diese verallgemeinernde Leistung muss auf der Fähigkeit zu zusammenfassendem Rezipieren beruhen. Sie stellt eine erste Stufe des Aktualisierungsvorgangs48 dar: »Die Gesamtheit der Bedeutungskomponenten« wird »aus der Latenz abgerufen«.49 Nun hat man sich aber zu fragen, ob man Brinker in diesen Überlegungen tatsächlich auch da folgen kann, wo es sich um das Erfassen eines literarischen Textes handelt, ob die Vorstellung vom primären Erfassen des thematischen Kerns z.B. auch bei der Rezeption poetischer, speziell >grammatikarmer Texte< greift. Bei einem nichtliterarischen Text ist es relativ einfach, die Frage, >worum< es denn >geheAbendlieddie Welt am Abend< und >Bezug des Menschen zu Gottx, so kann man dies — selbst in so vereinfachter Weise - bei Kolbes Gedicht >Sprachvermögen. Sprechenkönnen. Sprichwenndukannst< nicht mehr. Die Antwort würde eher in der Benennung bzw. Vermutung eines Anliegens, einer Ansicht, einer Idee bestehen, wie z.B. der, dass das eigentliche Leben in der Kunst bestehe. Es gibt keine Kohärenz vermittelnde Textoberfläche, die Bezug zu Konzepten einer realen Welt herstellt. Rezeptionsmöglichkeiten müssen daher auf anderen Wegen gesucht werden. Zum einen finden sie sich im Bezug auf die an die Wörter geknüpften Konzepte einer vorgestellten Welt, Konzepte, die nicht schon als Wissenshintergründe da sind, wie es >Welt am Abend< ist, sondern die nur im Kopf des Schreibenden und sonst nirgends existieren. Aus den Wörtern auf dem Papier, aus der Form im Sinne von Sandigs »Rhythmus und Reim« (s.o.) und ohne Bezug auf ein allgemein vorhandenes Wissenskonzept über einen Ausschnitt der Wirklichkeit hat der Rezipient den Text zu erschließen. Mit anderen Worten: Wenn der Bezug der Zeichen auf sich selbst nichtkohäsiv ist und Kohärenz (scheinbar) fehlt, ist der direkte (thematisch gebundene) Bezug zur Realität, wie er bei Claudius mindestens herstellbar scheint, deutlich nicht mehr gegeben. Hier setzt die Herstellung der Kohärenz durch den Rezipienten ein, und dabei ist er auf die Wörter angewiesen. Nach dem Absolvieren der ersten Stufe des Aktualisierungsvorgangs — vorläufiges Erfassen des Textanliegens — ist dies der zweite Schritt, die sekundäre Konkretisierung durch Selektion der Möglichkeiten der Wortbedeutung, das Erfassen »des Raums, den das Gedicht selbst aufbaut«.52 Dies erschließt man nicht aus
50 Vgl. Sandig: Text. 51 Mit Bezug auf Lötscher: Text. 52 Kolbe: Gespräch, S. 90f.
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den Einzelwörtern, sondern im Sinne einer explikativen Semantik aus den Beziehungen, die die Wörter im Text eingehen, ohne freilich auf die Kenntnis der Einzelwortbedeutungen und das Erfassen dessen, was die einzelnen Wörter mit ihrer Potenz in den Text einbringen, verzichten zu können. Zu erfassen ist nun, welche Bedeutung im Spannungsfeld »zwischen eigentlicher, d.h. konventionalisierter Verwendungsumgebung und konkreter, davon abweichender Umgebung entsteht«.53 Die Kenntnis des »Normalen«, dessen, was das Einzelwort an Möglichkeiten mitbringt, ist notwendiger Hintergrund für das Erfassen des Einmaligen, Abweichenden. Ein Wort muß in eine konkrete textuelle Umgebung integriert werden, um aus der Fülle seiner Verwendungsmöglichkeiten überhaupt eine Bedeutung herausgrenzen zu können; andererseits ist eine Satz- (oder Text-) Bedeutung selbst integrativ aufzufassen als Ergebnis einer Komplexion von Ausdrucksmitteln, die nur durch die wechselseitige Verschränkung der Elemente eine Bedeutung erhält, welche aus den Elementen allein nicht erklärt werden kann.54
Wort- und Textbedeutung ergänzen sich. Welches Sinnangebot der Text macht, hängt zum einen davon ab, wie er semantisch strukturiert ist, und zum anderen davon, was der Rezipient an Voraussetzungen — Sprach- und Weltwissen, Erwartungen, Erfahrungen und Bewertungen — mitbringt. Das führt zur dritten Stufe der Konkretisierung, zur kognitiven und emotiven Rekonstruktions- und Assoziationsleistung des Rezipienten. Nach dem ersten Schritt, der Frage nach dem, worum es eigendich gehtzumutbarer Aufwand< betrachtet werden. Auch im Sinne von Hörmanns Begriff der »Sinnkonstanz« verfügt der Rezipierende über die Bereitschaft, die Rezeption auch dort, wo der Text ihm unverständlich oder nicht sinnvoll erscheint und Abbruch naheläge, aufrechtzuerhalten und zu modifizieren, davon ausgehend, dass, was ihm zum Verstehen angeboten wird, nichts
53 Busse: Textinterpretation, S. 66. 54 Ebd. 55 Es liegt mir daran zu betonen, dass sich die aus methodischen Gründen als ein Nacheinander vorgeführten Schritte durchaus im Miteinander vollziehen.
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Zufälliges, sondern tatsächlich Sinnvolles ist.56 Folgerichtig wird er Verstehensmühen nicht scheuen, auch wenn die Oberflächenstruktur des Textes einen Zugang zum Sinn nicht unmittelbar zulässt. Busse beschreibt das dann nötige Vorgehen so, dass >»AntezedensTextualität< wurden, nachdem de Beaugrandes und Dresslers Textkriterien in verschiedener Hinsicht erörtert worden waren, mit einem Text ohne morphologisch-syntaktische Beziehungen, mit Uwe Kolbes Gedicht >Sprachvermögen. Sprechenkönnen. Sprichwenndukannst< (siehe Anhang), konfrontiert, verbunden mit der Frage, ob man in diesem Falle noch von einem Text sprechen könne. Übernehmen in diesem Text, das war die weitere Überlegung, andere Beziehungen die Rolle der morphologischsyntaktischen? Und kann man den Text komplettieren, in dem man nach dem eigenen Plausibilitätsurteil morphologisch-syntaktische Beziehungen auf der Textoberfläche herstellt? Den Beteiligten war freigestellt, ob sie an dem Versuch, solche Beziehungen in den Text einzubringen, teilnehmen wollten. Diejenigen, die es ablehnten, waren gebeten worden, ihre Gründe für die Nichtteilnahme zu nennen. Zwei Ergebnisse des Experiments liegen vor: ein Protokoll, das die Gründe für die Ablehnung festhält, und dreizehn Umformulierungsversuche. Beide Ergebnisse sind aussagekräftig hinsichtlich der Frage nach der Textualität im Allgemeinen und der litera-
56 Hörmann: Psycholinguistik. 57 Busse: Textinterpretation, S. 171. 58 Dieser Abschnitt meines Beitrags ist die leicht geänderte Fassung von Teil 4 meines Aufsatzes »Die Wörter auf dem Papier und die Grammatik in den Köpfen«.
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rischer Texte im Besonderen, wobei das Protokoll eher eine positive, die Umformulierungen dagegen eine negative Bilanz darstellen. Dass von dreißig Seminarteilnehmern nur die knappe Hälfte an dem Versuch teilnahm, hat gute, im Protokoll festgehaltene Gründe. Es sind — in anderer Formulierung — die Gedanken, die Knobloch entwickelt, wenn er von einer lexikalistischen Syntax spricht. Darauf werde ich abschließend genauer eingehen, nicht ohne zuvor die Umformulierungsversuche kurz charakterisiert zu haben. Die sicher eher aus Loyalität gegenüber der Seminarleiterin als aus tatsächlicher Überzeugung vom Sinn des Vorhabens unternommenen Versuche scheiterten. Sobald die Beziehungen zwischen den Einzelwörtern durch das Einführen flektierter Verben in Prädikatsfunktion verdeutlicht werden soll, stellt man fest, dass der Text eine solche — notwendig einseitige und erschreckend banale — Festlegung nicht verträgt. Beispiele: Ein Strauch oder Baum im Sturm des Gelächters, d.h. wir sind Objekte oder Substantive in Sätzen. Oder. Strauch und Baum, sie trotzen dem Sturm. Ihre Blätter ergießen sich in Gelächter. Wir sind Objekte von Welt wie Substantive die von Sätzen. Es bleiben immer noch andere Komplettierungsmöglichkeiten, für die es auch Gründe gibt. Die Komplettierungsversuche sind in der Regel mit aufschlussreichen Kommentaren versehen, die sich mit den Protokollbemerkungen sehr eng berühren. Aus allen Argumentationen wird deutlich, dass der Text Relationen anderer Art enthält, die durch morphologisch-syntaktische Mittel nicht ersetzt werden können. Sie beziehen sich alle auf die Vorstellung vom Wort als »kleinstem Handlungsund Äußerungsformat«, als »Keim der Syntax«59 und auf die Auffassung von einer integrativen Textbedeutung als »Komplexion von Ausdrucksmitteln«60. Alle Möglichkeiten, die die Wörter in diesem Text für die Herstellung von Beziehungen entfalten, werden bemerkt. Im Sinne von Coseriu sind es die »Relationen mit anderen Zeichen«, die die Probanden wahrgenommen haben.61 Ich werde sie im Weiteren systematisierend zu beschreiben versuchen. Im syntagmatischen Zusammenhang des Textes werden folgende Textbeziehungen ermöglicht bzw. verdeutlicht, die als verallgemeinerbare — >Regeln< im Sinne musterhafter semantischer Beziehungen gelten können.
59 Knobloch: Sprache, S. 96. 60 Busse: Textinterpretation, S. 66. 61 Coseriu: Textlinguistik, S. 69.
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4.1. Aktivierung semantischer Beziehungen der paradigmatischen Ebene62 Wortfeldbeziehungen63 wie in den Beispielen Strauch-Baum-Sturm (= Natur), Objekte-Substantive-Sät^e (= Sprache), Wir-Lachen-Stürmen-Bäumen-Straucbeln (= Menschliches) werden von den Probanden als Basis für Beziehungen auf der syntaktischen Ebene erkannt. Wortfamilien:64 Wortgruppierungen, die durch die Zugehörigkeit zu einer Wortfamilie ihren >Zusammenhalt< bekommen wie Baum-Bäumen, SinnSinnlichkeit- Widersinn, Uige-Lüglichkeit-Notlüge, Macht-Mächtigkeit-Ohnmacht werden als textkonstituierend charakterisiert. Syntaktische Feldbeziehungen65 wie Macht-ausüben, Ohnmacht-empßnden können bewusst gemacht werden. Auf diese Weise werden in den hier genannten Beispielen durch die ergänzten Verben aktivische bzw. passivische Beziehungen in den Zusammenhang eingebracht.
4.2. Herstellung semantischer Beziehungen im Kontext Synonymic, Mehrdeutigkeit:66 Neben paradigmatischer Bedeutungsähnlichkeit oder Gleichsetzung wie in Ordnung-Sicherheit, Sein-Dasein-Leben, Aufstieg-Karriere findet man auch kontextuelle Bedeutungsähnlichkeiten: Sein, Dasein — Kunst; Sein, Dasein — Leben, die geeignet sind, Beziehungen im Text herzustellen. Antonymie, Bedeutungsgegensätze:67 Neben paradigmatischer Bedeutungs-gegensätzlichkeit wie in Macht-Ohnmacht, Sinn-Widersinn, VernunftWahnsinn gibt es auch durch den Kontext geschaffene Gegensätze wie Wahrheit-Zeitunglesen, die unerwartete Beziehungen im Text herstellen. Konnotationen: Es wird ein Gegensatz von in diesem Kontext positiv und negativ konnotierten Wörtern wie Wahrheit-Zeitunglesen und damit eine Relation hergestellt.
4.3. Wortbildungsbedeutungen Sprichwenndukannst wird als Zusammenrückung mit (expressiver, fast beschwörend hervorgestoßener) imperativischer Funktion erkannt. An den 62 63 64 65 66 67
Henne: Wort, S. 548. Ebd., S. 543. Ebd., S. 559. Ebd., S. 578. Ebd., S. 567. Ebd., S. 575f.
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Beispielen Sinn-Sinnlichkeit, Lüge-Lügltchkeit, Macht-Mächtigkeit wird der Unterschied zwischen den »simplizischen« Wörtern Sinn, Lüge, Macht68 mit eher philosophisch-kategorialer Bedeutung und den komplexen Wörtern (als explizite Derivation auf -keit) mit der Wortbildungsbedeutung »substantivische Eigenschaftsbeziehungen«, auf den Menschen bezogen: Sinnlichkeit, Uiglichkeit, Mächtigkeit® beschrieben. Die verschiedenen Relationen, die dahinter stehen, werden wahrgenommen: das Unpersönliche in Macht (= es gibt Macht, Macht existiert), das Persönliche in Mächtigkeit (Jemand ist mächtig).
4.4. Kategoriale Bedeutungen Der Wechsel von Strauch Baum Sturm Gelächter am Beginn des Gedichtes zu Lachen Stürmen Bäumen Straucheln am Ende des Gedichtes wird als wesentlich für die im Text gestifteten Beziehungen bewertet. Das Feststehende wird in die Kategorie der Zeit überführt. Selbst wenn wir die vier Wörter in der letzten Zeile des Gedichtes als substantivierte Infinitive betrachten, wird die kategoriale Bedeutung des Verbs, in einen Zeitzusammenhang zu versetzen, Prozesshaftigkeit also, mitgedacht.
4.5. Die Texts trukturierung Die Einteilung des Textes in drei verschieden gewichtete Teile, die mit der dreigliedrigen Überschrift sowie mit der Dreigliedrigkeit jeder einzelnen Zeile des Mittelteils korrespondieren und von denen zwei — chiastisch aufgebaute — den Rahmen bilden, wird als Mittel der Herstellung von Textbeziehungen auch festgestellt.
4.6. Lautliches Über Lautähnlichkeiten (Paronomasie) wie in Labsat-Labbrigkeit werden Zusammenhänge hergestellt. Ebenso durch die rhythmische Dreigliederung des Mittelteils des Gedichts.
68 Fleischer / Barz: Wortbildung, S. 1. 69 Ebd., S. 161.
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4.7. Textsorte Dass für die Textsorte/Gattung >Gedicht< grammatikarme Strukturen durchaus nichts Unübliches sind, ist im Bewusstsein der Probanden. Sie erwarten es nicht anders und stellen die nötigen Beziehungen auf andere, oben beschriebene Weise her. Je nach Textsorte kann also ein anderes Rezeptionsverhalten nötig sein.70 In den Kommentaren heißt es, der Text habe eine eigene Syntax »tabellarischer Art«, man könne ihn nicht nur horizontal, sondern auch vertikal und sogar diagonal lesen. Daher könne man keine konventionelle Syntax »darüber stülpen«. Die inhaltlichen Beziehungen gingen aus der Struktur, der Anordnung der Mittel im Rahmen des Textes hervor. Einzelzusammenhänge seien nicht herstellbar, nur der Gesamtzusammenhang sei fassbar. Stilistisch-semantische Mittel übernähmen die Rolle der syntaktischen, auf die man verzichten müsse, da mit ihnen eine Interpretationsmöglichkeit festgeschrieben werde, was Banalität zur - unerwünschten — Folge habe.
5. Resümee Mit meinen Überlegungen zur Bedeutung des Wortes für den Text und zur Rolle des Textganzen für die Wortbedeutung sowie mit dem Vorstellen des Experiments bin ich meinem Vorsatz gefolgt, zu erörtern und zu zeigen, ob und wie sich Bedeutungsstrukturen und Bedeutungsverhältnisse in Texten verallgemeinern und auf diese Weise Regeln der Bedeutung finden lassen. Einigt man sich darauf, diese Regeln der Bedeutung im Sinne von >AnleitungenNahe-Legungen< für die Sinnherstellung zu verstehen, können die oben vorgestellten Arten der »Relationen mit anderen Zeichen«71 als solche >Nahe-Legungen< und als kleinster gemeinsamer Nenner für die Sinnherstellung gelten. Bis zur Feststellung solcher Arten von Nahelegungen — typologisch verallgemeinernd und in konkreten Texten — reichen Kompetenz und Aufgabe der Sprachwissenschaft. Den Schritt, der die Interpretation betrifft, wird sie nicht gehen. Er ist Sache der Literaturwissenschaft.
70 Vgl. Behr/ Quintin: Sätze, S. 213. 71 Coseriu: Textlinguistik, S. 69.
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Textanhang Sprachvermögen72 Sprechenkönnen Sprichwenndukannst Strauch Baum Sturm Gelächter Wir Objekte Substantive Sätze Sinn Sinnlichkeit Widersinn Lüge Lüglichkeit Notlüge Wahrheit Wahrhaftigkeit Zeitunglesen Macht Mächtigkeit Ohnmacht Glaube Beglaubigung Hoffnungslosigkeit Sein Dasein Kunst Vernunft Ausverkauf Wahnsinn Ordnung Sicherheit Leben Aufstieg Karriere Schweigen Loch Arschloch Wut Lob Gelöbnis Haß Labsal Labbrigkeit Realität Sätze Substantive Objekte Wir Lachen Stürmen Bäumen Straucheln
72 Kolbe: Hineingeboren.
ROGER D. SELL Postmodernity, literary pragmatics, mediating criticism Meanings within a large circle of communicants
The sweeping socioeconomic and political changes associated with the condition of postmodernity have had consequences for literature.1 Distinctions between highbrow and lowbrow, between the Arts (sic) and popular culture, are being levelled; new constituencies of writers have found their voice and audience; and the range of texts regarded as literary is therefore open to extension. We have not yet reached the point at which »literature« ceases to be a useful category. But the term could well be recovering some of the breadth it had before its nineteenth- and twentieth century specialization. This in turn would affect what can now be said about the topic of the present book: literature and meaning. In order to throw the change into sharper relief, I shall here be concentrating mostly on literature in the narrow nineteenth- and twentieth century sense, which is after all still widely current. What I shall usually have in mind is poems, plays and novels of recognized merit, plus a number of special cases such as >Pilgrim's ProgressKing LearPilgrim's Progressin the story< as the author represents them«. The kind of hereand-now-ism which has no genuine interest in authorial meanings emanating from some other constellation of time, place and culture can only turn interpretation into an arrogant solipsism. An account of >Paradise Lost< which does not centrally recognize that Milton was aiming to justify the ways of God to man does not deserve serious consideration, even if that
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aim and the meanings of the poem's felt life have often been perceived as out of sync. As this example also makes clear, authorial meanings can often be thought of as the author's assessment of character meanings. Above all, Milton is weighing up his God against his Satan. But readers, too, assess character meanings, and they assess authorial meanings as well. To repeat, readers do inevitably read texts in their own way. They have their own personal and historical positionalities, involving their own ranges of knowledge, emotion, and value, and they have no less of a right than the author to influence the final result of the confrontation as they see fit. Scholars hoping to rein literature in by means of a historical or cultural purism which restricts the significance of an author's words to their original context grossly underestimate a reader's ability to think, feel and evaluate in more than one way at a time, and can only detract from the human dignity of readers here and now. Literature, conceived as forms of practice, is very much an interactive process, in which the parties on either side of the exchange enjoy a sacrosanct human parity. That is why semantic and pragmatic rules relating to the language as used or represented in the text have to be supplemented by the firm reservation, »Feel free to respond to what you take to be the author's intention in whatever way is appropriate to your own world-view and preserves your own integrity«. When Blake said that as far as he was concerned Milton was of the devil's party without knowing it, this was appropriate to what, from his own point of view and in his own time and place, he perceived as the poem's felt life, and he was perfectly within his rights. In fact a literary work which did not continually come in for re-appraisal would be a work no longer read. Nor is it as if a concern to regiment meanings of all the various kinds and sources has anything like the same prominence during a process of ordinary reading as in the deliberations of many professional literary scholars and critics. The main risk in talking of pragmatic or semantic rules which may limit literary meaning is that we shall fall into an inappropriate scientism, and be guilty of the scholastic's typical power bid, out of a sheer eagerness to tell other people what to think. In this worst-case scenario, we would be arrogating to universities and other institutions of learning the right to decide on literature's reception and very future. At the same time we could all too easily help to kill literature as a real and ongoing process of continuing change within the culture at large. By focusing too exclusively on meaning, we would be losing sight of something just as fundamental. By which I do not mean that literary scholarship and criticism have no real function. Nor do I mean that as scholars and critics we ought to for-
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get all about meanings and switch to some kind of populist mumbojumbo. The point is rather that we should remember the full range of literary experience, and without indulging an inflated view of our own professional importance. In a nutshell, my suggestion is that literature is one among other kinds of real communication; that real communication is never simply a matter of interchanging meanings; that literature's most important meanings in any case continue or begin discussions which are in principle uncurtailable; and that literary scholarship and criticism are at dieir most valuable when, renouncing all pretensions to definitive readings, they humbly seek to mediate between people variously placed. Seen this way, literature does involve meanings, of all die different kinds and sources. It involves the use of words, and words invite interpretation. In one way, meanings are any communicant's primary concern. When we ourselves produce words, we do think of this as an attempt to say something, and the call to interpret the words of other people is always instantaneous and unavoidable. But in another way, meanings are secondary, since an exchange of words can ultimately be seen as communication in the etymological sense. It is a making common, a making of community, even when community gets no further than a riot of meanings allowing no agreement but an agreement to disagree. The paradox is that communication involves plural meanings, yet results in a single circle of communicants. And literature is communicational in precisely these respects. Especially with the help of scholarly and critical mediation, literary texts, though giving rise to manifold readings, may be the means by which their writers and all their readers are drawn into just a single circle of communicating participants.
2.
When the postmodern challenge to traditional legitimacies is said to have resulted in culture wars, and in many different literary canons for many different readerships, the circle of participants engaged in literary activity is thought of as strictly delimited along lines of colour, class, ethnicity, gender, religion and so on. In postmodern society so imagined, there will be many such circles, and they will not be coterminous. This is plausible enough, since the idea of a large community including a text's writer and readers of many different kinds may seem to overlook pragmatic considerations. In coming to a process of communication, including a process which involves the writing and reading of literary texts, different people do converge from different positionalities. The ranges of knowledge they bring with them, and their emotions, values, and preju-
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dices, vary quite widely enough for them to arrive at different interpretations and judgements as well. Not only that, but the idea of a single, very large circle of participants can also seem in blatant disregard of political correctness, by suggesting a nostalgic affection for a hegemony which in the maelstrom of postmodern polyculturality has actually been badly battered. Yet it takes no reactionary denial of sociocultural difference to suggest that a circle of communicants can be altogether more inclusive than postmodern commentators often suggest. What it does take is nothing more than a reasonably unpessimistic account of human nature itself. True, men and women are nothing if not social animals. Their social formation is so much a part of what they are that to imagine them in some quintessential form abstracted from society is hardly possible. True, too, earlier attempts at such quintessentializations were sometimes an ideological corollary of political oppression. But all the same, people are still social individuals, with at least some degree of personal will, imagination and intellect. As Raymond Tallis puts it, much twentieth-century structuralist and poststructuralist theory ignored the following words of de Saussure, its founding father: Language [langue] is not a function of the speaker; it is a product that is passively assimilated by the individual [...] Speech [parole], on the contrary, is an individual act. It is wilful and intellectual.2
No matter whether the structured system be that of the psyche, language, society or culture, human beings can operate it, and are not to be entirely conflated with it. Without wishing to re-instate »the transparent, self-possessed, controlling Cartesian cogito«, what Tallis objects to is Levi-Strauss's influential talk of myths which »think themselves out in the men and without men's knowledge«.3 His own project is to re-assert the centrality of individual consciousness, of undeceived deliberateness, in the daily life of human beings. We are not absolutely transparent to ourselves but we are not utterly opaque either; we are not totally self-present in all our actions but nor are we absent from them; we are not complete masters of our fates, shaping our lives according to our utterly unique and original wishes, but neither are we the empty playthings of historical, political, social, semiological or instinctual forces.4
This same relative independence enables human beings to empathJ2e with people whose formation is not the same as their own. And although the movement of empathy can in principle go hand in hand with a critical self-distancing from the other person's otherness, there may also be occa-
2 3 4
de Saussure: Course, p. 14. Levi-Strauss: Overture, p. 46. Tallis: Enemies, p. 228.
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sions when empathy, having tried on the otherness for size, as it were, becomes something more like sympathy, so suggesting that the positionality from which the empathetic movement started out is amenable to modification, even if there are still areas where the parties agree to differ. At the very least, people of different circumstances and orientations will have compared notes, which in itself is an advance in mutual understanding. In other words, our account of communicational pragmatics, though it is bound to be firmly historical, need not carry this to the point of historicist determinism. And as for our literary pragmatics, it can be continuous with this historical but non-deterministic pragmatics of communication in general.5 On the one hand, communication, including the writing and reading of literary texts, is fundamentally affected by differences between the contexts within which the different participants are functional. Even two people apparently sharing one and the same positionality will always represent it in somewhat different inflections. When rney enter into communication with each other, the knowledge, memories, experiences, attitudes, values, prejudices they bring to the process will not be identical. No matter how great the extent of what they already have in common, the contexts within which they operate will not be completely coterminous. On the other hand, whatever the difficulties resulting from contextual disparities, they do not make communication impossible. On the contrary, the inevitable contextual disparities, no matter how small or great, are the very stimulus to communication in the first place. The relative independence and flexibility of the human mind is well equipped to deal with them, and one possible communicative outcome is that the amount of contextual overlap will actually have increased. Even in a case of persisting and extensive disagreement, the new measure of understanding can strengthen human bonds.
3.
In the twentieth century, a theory so centrally emphasizing that the responsibility for communicative outcomes rests with both participants, and that both participants operate within their own contexts, was not, perhaps, to be found. Language use in general was often taken to involve a situation whose structure was binary, with an active participant — a sender, a speaker, a writer, a narrator - trying to convey a message to a participant
A number of recent publications in which I explore this kind of theoretical framework are taken up in the list of references below.
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who was a deal more passive — a receiver, a listener, a reader, a narratee. The only thing the more passive participant had to do was to interpret the message by placing the signifiers of its linguistic signs in a context, which was thought of as a unitary context, single and equally present for both participants. It was within context so conceived that the signs were thought of as being used, and herein lay the key to the message's meaning, since within the context the signifier-signified relationship was also conventional. There was no earthly reason why a canine quadruped should be called a dog or chien or hund or koira. But to be able to understand English or French or Swedish or Finnish was to be able to operate in the culture where those particular meaning conventions obtained. And since twentieth century linguistics was for many decades predominantly synchronic in orientation, there was little sense that meaning conventions might be unstable or negotiable. In short, a piece of language was open to only one understanding. This applied not just to a single seme like canine quadruped but to semes in combination, and within texts of every kind and length. Many scholars would have said that literary texts were no exception. The literary author was often seen as sending a message to a readerreceiver, who had to interpret it by relating it to what was (most often tacitly) thought of as a shared, unitary context, and who could therefore arrive at but a single conclusion. But then in 1968, Barthes announced the death of the author, so that agency was tranferred elsewhere. Within the pyrotechnics of much reader-response criticism, it was the readers who were now seen as in control. What a literary text meant was up to them, and the person who had written it had less of a say. Readers' readings were not necessarily individualistic, however, since widiin a socio-ideological critique along structuralist or poststructuralist lines they could be taken as reflecting protocols already established within the culture or language at large. Seen this way, interpretations were not readers' own doing, as it were, but involved a process of semiotic proliferation that was basically apersonal. Authors, too, could be viewed as a mere channel for meanings and values always akeady extant within society, and once again distinctions between contexts of writing and contexts reading could be overlooked, so that literary texts tended to be seen as simply the products of a unitary context within which they were both produced and interpreted. Society, language, and culture were even described animistically, as the living forces of which literature was merely one expression. Alternatively, but at just as high a level of abstraction, literary culture was assimilated to a phenomenon of a really quite different kind: to an anonymous, collective orature. Continuing parallels between literary theory and current linguistic thought were to much the same general effect, as when society's
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pre-existent power structures became a central focus in criticial discourse analysis,6 and this entire development was of a piece with the deterministic stereotyping of culture-wars talk about incompatible literary canons. It all tended to disempower human subjects by exaggerating their social dimension at the expense of the individual. Especially from an author's point of view, early-twentieth-century accounts of an authorial message being sent for interpretation by a reader had been likely to seem intuitively right. From a reader's point of view, the subsequent emphasis on the element of readerly agency could seem right as well. Common sense suggested that an interpretation of a text was the net result of what its author put into it and what the particular interpreter managed to get out of it, even if authorial input and the reader's reading could often be shown by some third party to be widely divergent. Both authors and readers were also likely to concede that a great deal of what happens during literary writing and reading certainly does depend on the context within which those activities are taking place. And even if, as I am now emphasizing, the contexts of writing and reading are never completely unitary, they must obviously be at least partially coterminous, involving, for instance, shared knowledge of the particular language and of how it works or has worked, since otherwise communication would not be possible at all. What was programmatically non-common-sensical was the late twentieth century's deterministic decentring of human beings. Among its chief academic supports was a denial of the readily observable facts that, in writing and reading literature no less than in other forms of interchange, people are perfectly capable of challenging, and even changing their own social grouping's life-world, and really can and do come into communication across lines of sociocultural difference. According to John Hillis Miller, difference was simply »all the way down«, which among other things meant that the postmodern university could only be a »university of dissensus«, just as postmodern literature allegedly boxed writers and readers in to their own particular sociocultural constituency.7 The period's gloomy determinism portrayed intellectual life in general as inevitably replicating the ghettoization of the large postmodern city.
6 7
Fairclough: Analysis. Miller: University.
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4.
But if our theorizing is to be true to the interactive reciprocity of literary communication, we not only need to move away from late-twentiethcentury determinism, but to go back beyond the earlier model of an active-passive binarism as well. And we must also firmly reject the unitary context assumption which the earlier and later accounts tended to share. Our main assumption, I suggest, must be an altogether more ancient one, preserved and reinvigorated in the twentieth century by a school of philosophy within which all such de-humanrzation of the humanities was positively resisted: Gadamerian hermeneutics. Gadamer can help us to see that communicative situations are triangular, and in a way directly corresponding to a literary text's three sources of meaning — characters, author, readers. In any process of communication, the set-up will be the same. There will always be some »third« entity, often animate, about which the two main parties will be in negotiation, and they will always negotiate across some greater or lesser contextual divide, involving different horizons of expectation, which are in principle always capable of merging into a tertium quid of greater understanding. Here, then, is a model within which the ethical relationships between various meaners, and between meaners and the meant, can be duly acknowledged. One metaphor Gadamerians have sometimes used for human interaction between different contexts is the metaphor of ... metaphor, the point being that the semantic movement between a metaphor's vehicle and tenor is not as uni-directional as often assumed.8 Take, for instance, the sentence, »George is a lone wolf«. As Max Black once pointed out, »[i]f to call a man a wolf is to put him in a special light, we must not forget that the metaphor makes the wolf seem more human than he otherwise would«.9 When metaphors bring the tenor's χ and the vehicle's y together, they raise possibilities, open up new perceptions, generate enquiry. One human being's encounter with another, likewise, can be experienced as placing both parties under review, and literary encounters work in just this way. It is at least as much the author who reads the reader, so to speak, as the reader who reads the author. What good readers of especially an old or alien text can never fail to be affected by is the continuing potentiality it will suggest for their own psychic formation. It can only make them more fully aware of all the richness and poverty of their own milieu and moment, in this way providing an impetus to consolidation or change.
8 9
Weinsheimer: Hermeneutics, pp. 64-86. Black: Metaphor, p. 232.
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The triangular model still applies, even when the two negotiating parties are the two halves of one and the same self-communing individual, as when we talk to ourselves or write a diary, and even when the third entity under discussion also includes one or both of the communicating parties, who in that case speak of »me« or »you« or »us«. Equally well, die two parties may not be in direct contact widi each other. A responding party may have no feed-back channel by which to convey reactions to the initiating party and, as I say, the initiating party may in any case belong to a completely different life-world or be long since dead and buried, in which case the offer of communication will have been preserved in some recorded form of words. Then again, the third entity can also be somebody or something quite unconnected with the communicants themselves, and can very well involve an element of hypotheticality or even fiction. Fictionality, though very typical of the texts the nineteenth- and twentieth centuries regarded as literary, is by no means peculiar to them, and in no way interferes with genuine processes of interaction. Quite die reverse, in fact, since, as Aristotle's >Poetics< and Sir Philip Sidney's >A Defence of Poetry< can help us see, a made-up story can very well convey its teller's sense of the way things are, or ought to be. What fiction can embody is a sense of felt life that is intelligently open to experience. Regardless of the precise manner in which the communicational triangle happens to be realized, the possibility of some change to the status quo is always very present. Any such change will begin as a change in the communicants' perceptions and evaluations of die real, hypothetical or fictional diird entity under discussion. Communication, literary communication as much as any odier, can be thought of as a semiotic process by which people try, at least ideally speaking, to negotiate a balanced, and even shared view of that entity. In doing so, they inevitably open themselves to the possibility of mental re-adjustments, whose scope can range from the merely very minimal to the much more comprehensive.
5.
The textual means by which such real-world changes come about are basically simple. Obviously enough, a text will always have to give some textual representation of the third entity under discussion. If it is not put into words, how can it be discussed at all? Then, too, texts textualize and contextualize representations of the two negotiating parties as well. Although many linguists have not yet fully noticed this, the implied writers and implied readers which critics have sometimes identified in literary texts have dieir counterparts in communicative personae arising within any kind of
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communication at all. Implicitly or explicitly, there is always this textual modelling of the communicative relationship itself. It is the communicants' way of offering each other a kind of stepping stone to, or latchingon point for, empathetic understanding. Partly it is achieved through deictic expressions: features by which language regularly »points to« all three apexes of the communicative situation. Person deixis assigns first- and second-person roles to the initiating and responding participants, and a third person role to the third entity under discussion. Time deixis and place deixis offer to set the initiator, the respondent and the third entity within temporal and spatial relationships. Social deixis marks the degrees of respect the initiator conceives as being demanded or manifested by various parties. And in complementarity to deixis, the communicative personae are also built up through explicit statements of information, attitude, and response, and through expressions whose workings are more subliminal. For one thing, almost any word can take on evaluative and emotional connotations, even if these will vary in accordance with the particular co-text. For another thing, there are the resources of modality: the surprisingly varied range of linguistic means by which initiators indicate to respondents some degree of commitment or hesitation as to the truth, probability or desirability of whatever they happen to be talking about. One slight but common complication is plural address. Any text, written or spoken, that is not addressed to some particular individual will include, at the very least, a respondent persona which is broadly enough defined for more than one receiver to contemplate empathizing with it. Some texts actually include more than one respondent persona. Children's books, for instance, often seem to be written both for children, and for the adults who select and read them aloud for child listeners.10 A somewhat greater complication, perhaps, is irony, when the initiator purports to think something which he or she does not really think, and/or represents the respondent as thinking something which the respondent is unlikely to think. But in such cases, ironic personae can be thought of as intermediate between the basic initiator and respondent personae by which the communication is modelled, and they are actually part of the content which comes under negotiation. In everyday conversation, even non-ironic personae can be negotiated. Sometimes we simply do not recognize ourselves in the implied hearer our conversation partner is offering us, in which case we may retort: »Hey, wait a minute! You've got me wrong. I don't think like that«. The much more important point, however, is that we do not always seize this oppor10 Wall: Voice, and Sell: Introduction, pp. 7-8.
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tunity. Why not? Because our powers of imaginative empathy are quite sufficient to enable us to identify, for the purposes and duration of communication, with a respondent persona that is quite unlike our own selfimage. In the case of written texts which are not personalized to particular respondents, or which are personalized to some respondent other than ourselves, we do this all the time. With however little enjoyment or approval, a feminist is perfectly capable of reading a text which is written as from one male chauvinist pig to another. No feminist is likely to change into a male chauvinist pig on a permanent basis. Yet especially, though not only, while reading, we do try on new personae for size, as it were, and in any kind of communication at all this is one of the most crucial catalysts to change, since the respondent persona may represent a possibility for human life which in some way influences us. In the case of literary texts from some earlier period and/or from some alien cultural tradition, such otherness may be especially challenging.
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As will perhaps be obvious, the opinions, attitudes, evaluations and emotions which a real initiator builds into the implied respondent persona are carriers of the main rhetorical thrust. They always correspond to the impact hoped for on a real respondent — correspond, that is, to an immediate change the initiator is hoping to bring about to the status quo. Yet if they are to be successfully accomplished, such changes will never be absolute disjunctions between one historical state and another, but will be more a matter of gradual co-adaptations between the old and the new, the social and the individual. Any communicant whatever, including a literary author, may partly acquiesce in generally accepted norms, as a way of getting other people to take an interest in less usual viewpoints. Dickens set up both initiator and respondent personae who kowtowed to Mrs Grundy, but only in the course of persuading his readers that Mrs Grundy's proprieties were hypocritical humbug. The fundamental principle was spelled out by Aristotle, when he advised orators to present themselves to their listeners as reassuringly ordinary. Initiators who want to be effective have to meet respondents half-way, which means making some concessions. Even then, their control over perlocutionary effect can be very tenuous. Particularly when the context of current response is very distant from the context of initiation, rhetoric can positively backfire. A skilful writer who once set out to persuade readers of the proposition p will have done so partly by making every tolerable concession to the proposition not-p. But
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when, under different circumstances, the writer is read by readers who are akeady convinced of the wisdom of p, then p itself can act as a concession to them, during an interpretative process which results in their seeing some virtue in not-p. Nowadays, we perhaps like to think of ourselves as having reached a stage of political and sexual liberation that is infinitely preferable to Victorian mores. But a sensitive reading of Dickens, with all his ample concessions to Mrs Grundy, may well leave us wondering whether our liberty really makes us any happier. Without wishing to sacrifice anything we may have gained, we can perhaps ask whether the Victorians had understood some important point which we now overlook. Oddly enough, then, a faithful reading of an old or alien author can come to different conclusions from the author's own conclusions, quite simply because the topic under discussion has a different relevance in the new context of reading. The rhetorical necessity of co-adaptive concessions always makes any bull-at-a-gate directness of authorial message more apparent than real. Like other communicative gestures, literary texts do leave room for negotiation within the culture. Milton did want to justify the ways of God to man. Wanted to very badly, in fact — when Satan is allowed to open his mouth, we are usually forewarned that his arguments are false. But Blake, Shelley, Empson and others have not been sure that even Milton was convinced by this, and the debate is bound to continue. Dickens did want to dethrone Mrs Grundy, similarly. But both he and his readers did kowtow to her as well. A literary text, like any well known text, and also like a public figure or building or ceremony, is a kind of communal symbol, whose significance and affective power are at once polysemous and cumulative, the meanings of its felt life stimulating interminable discussion.11 As contexts of reading change, new interpretations and new evaluations are for ever evolving, and older ones can also be recycled.12 In practice, by challenging readers to process the cognitive, emotive and evaluative meanings associated with both characters, the author, and readers themselves, a literary work implicates them in a hermeneutic effort which continues throughout — and after - reading, and is sometimes very demanding. >King Lear< is in principle representative here. Typically, a literary work will not invite some overarching interpretation of its text in its entirety, and agreement with some overarching authorial meaning is certainly not enforced. Scholars and critics who expound such holisticisms are rationalizing after the event.
11 Cf. Engler Poetry, pp. 23-41. 12 Cf. Sell: Gossip.
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Milton's epic involves a lot of theology, cosmology and other seventeenth century learning, which has been felt to call for a lot of explication even over and above his own explication, precisely because the issues always do leave so much open to discussion. And although Milton also passes judgement on his characters' direct speech, he nevertheless does dramatize them, making none of them less than energetic and eloquent, so that their meanings really do come into dialogue widi each other, and really do give rise to dialogue with his own authorial meanings, and with many different reader-meanings. In much the same way, a Dickens novel of intrusively omniscient presentation can be no less equivocal than the Jamesian novels of dramatic presentation praised by the Modernist critic Percy Lubbock (1921). To find easier literary experiences, readers can turn to mediaeval allegories or morality plays, where dramatization is likely to be more thoroughly monologic. But even here, readers are free to form their own opinion, and although some of them would allow such works only a limited currency, as litde more than period pieces, others may perceive in their very simplicities a challenge to a later time's degenerate sophistication. As for literary works involving no dramatized non-authorial characters at all, a category including many lyric poems, they too can seem straightforward at first glance, and even - to adapt Keats's phrase about Wordswordi — sublimely egotistical.13 But Wordsworth's own »My heart leaps up / When I behold / A rainbow in the sky«, for instance, is not as naively one-track-minded as may appear. For any alert reader, its ostensible argument that the child is, and can remain, the father of the man is radically and permanently problematic. It could never have been proposed with such emphasis except in dialogue with a very different view. In Wordsworth's own day, the poem apparently agreed with Rousseau in challenging centuries of Western thought, including, in the last analysis, the Christian church's doctrine of original sin. More recently, the Rousseauistic view of childhood as a quite separate spiritual and moral preserve, an idea so convincing, or at least attractive, to Victorians, has itself been freshly challenged, not only by the Freudian hypothesis of infantile sexuality, but by growing concerns about child criminals. And from the moment of publication onwards, the poem's hope of a pure and joyful adult life was an even greater challenge to readers' sense of real life possibilities. If Wordsworth himself had not been profoundly aware of such difficulties, he would not have written it in the first place. The optative modality (»I could wish...«, »So be it...«) is clear enough, and is an explicit resistance to what can only be the all too powerful thought of an adulthood worse than deadi. As he clings to his hope, such acknowledgements 13 Keats: Letters, p. 172.
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of the alternative view defuse any suggestion of banality by prompting introspection. Despite the up-beat affirmations of a very audible lyric selfhood, Wordsworth was more endowed with negative capability than Keats admitted.
7. When Keats said that Shakespeare had the negative capability to be »in uncertainties, Mysteries, doubts, without any irritable reaching after fact and reason«,14 and when Empson (1930) saw the power and beauty of great literature in terms of its constant ambiguities of thought, emotion and value, they were on to something vital. So was the one major twentieth century critic who grasped our permanent need of character criticism, John Bayley, when he said that Dickens, in sending Daniel Peggoty on an untiring search for his sinful niece, was at once giving vent to fashionable sentimentality and being ruthlessly honest about that sentimentality's sometimes maudlin possessiveness.15 Even today, this kind of sharpsighted openness still appears in Jonathan Bate's >The Genius of Shakespeare< (1997), where negative capability is no less central a concept than in Bayley's >The Characters of Love< (1962). Bate's frank introspection into the way his own mind ponders over the identities and meanings of the main players in the sonnets, or is teased out of thought by the endless balance of right and wrong, and of appropriate justice and ungenerous callousness, in Hal's rejection of Falstaff, can remind us that literary experience, like human intercourse in general, resists hard-and-fast meanings and easy answers, and never more so than when readers do their utmost to be faithful to an author's intention, and to grasp the semantics and pragmatics of the language as used in the context of writing. Bate's method is a far cry from poststructuralist excesses, and he is not an arrogant solipsist. But his criticism, while solidly based on historical and philological expertise, breathes a negative capability which responds to Shakespeare's own. A nervous reaching after definitive single meanings is not his style. Coleridge, in seeing creative imagination as reconciling »opposite and discordant qualities«,16 and Eliot, in saying that the mind of the poet can bring together the noise of the typewriter, the smell of cooking, and the
14 Ibid., p. 53. 15 Bayley: Division, p. 94. 16 Coleridge: Biographia, p. 174.
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experiences of reading Spinoza and falling in love,17 were no less aware than Keats, Empson and Bate of literature's polysemous diversities, yet wanted to think of these as synthesized into new artistic wholes. Interpreters following in their footsteps, therefore, and American New Critical interpreters especially, though admirably constating many of a text's heterogeneities, often tended towards a mechanical reductiveness, against which Jonathan Culler and Susan Sontag finally protested. This was ironic, since one of New Criticism's foundational texts was of course entitled »The Heresy of Paraphrase«. But Cleanth Brooks, its author, had still cherished the dream of articulating literature's new aesthetic wholes in language of his own. Hence, as he himself wryly confessed, the frequent occurrence in ... [his The Well Wrought Urn] of such terms as >ambiguityparadoxcomplex of attitudesironyThe romantic view of the worldlife< is a large word and doesn't admit of definition. But some of the most important words we have to use don't admit of definition. And this truth holds of literary criticism. Not only can we not, for instance, do without the word >lifeHintergrundwissen< über das, was einen Junggesellen ausmacht ([Mann] [erwachsen] [nicht verheiratet] u.a.m). Solches Hintergrundwissen hat eine propositionale Struktur, es können aber auch kinästhetische Aspekte und solche der Gestalt hinzutreten. ICMs bilden nach Lakoff so etwas wie ein Netz oder ein kognitives Raster, das unser Weltwissen strukturiert oder es sogar ausmacht (nebenbei: Die Metaphorik der kognitiven Linguistik erinnert noch deutlich an den leitenden Vorstellungsbereich, Computer und Computertechnik nämlich). Erfahrungen werden nach dem Modell also »zu ICMs konsolidiert und diese Struktur in bestehende Netzwerke von ICMs [...] eingegliedert«22 — und zwar über das, was Lakoff metaphorisch als »metaphoric mapping« und »metonymic mapping« bezeichnet und womit die Einordnung nach Korrespondenzen und nach Maßgabe einer TeilGanzes-Beziehung gemeint ist. Beide, Komponentenanalyse und kognitionslinguistische Kontextanalyse, machen darüber hinaus deudich, dass ein Lexem (und auch ein ICM) in gewisser Weise noch kein Lexem (bzw. ICM) ist, stets ist das Lexem Teil eines Sprachsystems oder eines Feldes, in welchem es sich durch Korrespondenz- und Kontrastrelationen semantischer oder syntaktischer Art einordnen lässt.23 Mit der Formulierung Saussures möchte ich hier nun von einem morphosemantischen Feld sprechen, als das sich die Sprache betrachten und in dem sich das Sprachzeichen situieren lässt, indem die Relationen zwischen Lexemen in formaler und semantischer Hinsicht, lediglich in formaler oder lediglich in semantischer Hinsicht bezeichnet werden.24 Darauf werde ich gleich zurückkommen. Ob wir nun das Bedeutungspotential eines Lexems oder Sprachzeichens als Bündel semantischer Komponenten oder als Schemata, gar als idealisierte kognitive Modelle beschreiben wollen, zu denen jeweils denotative und konnotative Elemente gehören, das gebrauchte Wort (ebenso wie das Redezeichen in mündlichen Äußerungen) aktualisiert dieses Bedeutungspotential in seinem zunächst einmal syntaktisch geregelten Kotext nicht in seinem vollen Umfang. Vielmehr wirkt der Kotext wie ein semantischer Sperrmechanismus oder wie ein Filter, der dafür sorgt, dass jeweils nur bestimmte semantische Aspekte des Lexems auf der Ebene des gebrauchten Wortes aktualisiert werden, andere jedoch zurücktreten oder
22 Eisenhut: Linguistik, S. 26. 23 Mir ist schon klar, dass das Lexem der Komponentenanalyse kein ICM der kognitionslinguistischen Analyse ist, immerhin werden ICMs durch Lexeme repräsentiert. 24 Saussure: Grundfragen, S. 147f.; ähnlich auch Feder Kittay / Lehrer: Semantic Fields, S. 31-63; Feder Kittay: Metaphor.
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gar nicht zu berücksichtigen sind.25 Zur Semantik des Lexems, die dann durch den Kotext in gewisser Weise kontrolliert wird, gehört auch das, was man als lexikalische Solidaritäten26 oder besser (und deutlicher) als lexikalische Selektionsbeschränkungen bezeichnet hat. Damit ist gemeint, dass in der durch die Sprachbenutzer sozial konturierten Semantik von Lexemen auch geregelt ist, in welchen Kotexten beziehungsweise Kontexten das gebrauchte Wort als aktualisiertes Lexem vorkommen darf, oder anders: welche Lexeme aus einem durch semantische und/oder formale Korrespondenzen bestimmten Paradigma an der gleichen Stelle eines Syntagmas gemäß den gültigen semantischen und syntaktischen Regeln als Wörter eingefügt werden können und welche nicht. So gehört es zu den semantischen Bedingungen des Lexems /schlafen/, dass es im Zusammenhang mit Lebewesen benutzt werden kann, nicht jedoch auf Unbelebtes oder Abstraktes bezogen werden darf. Menschen und Tiere schlafen, Steine und Ideen >eigentlich< nicht. Wenn ich sage: »Herr Meier hat ziemlich unruhig geschlafen« oder »Zum Schlafen ziehen sich die Tiere in den Wald zurück«, so liegt keinerlei Störung der lexikalischen Solidarität und der Kohärenzbildung vor, das Syntagma ist nach den sozial-konturierten, semantischen und syntaktischen Regeln der deutschen Sprache vollkommen unanstößig oder unauffällig gebaut, es entspricht dem >Weltwissen< derjenigen, die ihre >Welt< eben auf Deutsch erschließen. Anders verhält es sich in der Zeile »Schläft ein Lied in allen Dingen«. Nicht allein die syntaktische Inversion, die das Verb in die betonte Kopfstellung der Zeile bringt, und auch nicht nur die metrische Regulierung der Zeile, die spätestens mit den bekannten folgenden Zeilen des Gedichtes »Wünschelrute« von Joseph von Eichendorff deutlich wird und die dem Verb die Betonung eines Trochäus unterlegt,27 heben sozusagen alle Unauffälligkeit auf, sondern auch und insbesondere der Verstoß gegen konventionelle oder standardisierte Verwendungsbedingungen des Verbs /schlafen/: Lieder können klingen, gesungen und komponiert werden, interpretiert und gehört werden, schlafen können sie hingegen in der deutschen Sprache >eigentlich< nicht: Auch und insbesondere die Normalrichtung der Kohärenzbildung ist hier offenkundig und von vornherein gestört (im Unterschied etwa zu der Zeile »Schlaf, mein Kindchen, schlaf ein«). Textzusammenhänge, in denen die lexikalische Solidarität bewahrt und nicht gegen lexikalische Selektionsbeschränkungen verstoßen wird, weisen demgegenüber, wie man sagen könnte, eine konventionell geregel-
25 Siehe Bühler: Sprachtheorie, S. 347ff. 26 Coseriu: Solidaritäten. 27 »Schläft ein Lied in allen Dingen / Die da träumen fort und fort, / Und die Welt hebt an zu singen, / Triffst du nur das Zauberwort«.
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te semantische Normalrichtung der Kohärenzbildung des Syntagmas auf. Schreiber und Leser (ebenso wie Sprecher und Hörer) verfügen über die semantischen und syntaktischen Regeln ihrer gemeinsamen Sprache (jedenfalls im >modellhaften< Standardfall, bei dem keine physischen, psychischen oder sozialen Einschränkungen oder Behinderungen der Sprachkompetenz vorliegen), und sie verstehen, ob und wann die konventionell geregelte semantische Normalrichtung der Kohärenzbildung gewahrt wird oder nicht, sie verstehen, dass die gebrauchten Wörter (im Falle des geschriebenen Textes) oder die Redezeichen (im Falle der mündlichen Äußerung) in ihrer eigentlichen Bedeutung verwendet werden. Über die etwas komplizierte Rolle dieses Verstehens wird noch weiter zu sprechen sein, vorerst reicht dieses Primitivmodell. Halten wir zunächst einmal in einer Art Zwischenbilanz fest, mit welchen linguistischen Aspekten bei der Konstitution von Bedeutung nun zu rechnen ist. Ich überspringe dabei die einleitenden Bemerkungen zur Bedeutungskonstitution im Allgemeinen, diese werden später bei der Unterscheidung zwischen uneigentlicher Bedeutung und angrenzenden Fällen von >Bedeutung< noch eine Rolle spielen. Stattdessen komme ich gleich auf die Elemente zu sprechen, die an der Konstitution von sprachlicher Bedeutung beteiligt sind (ohne dass ich schon näher auf die Unterscheidung zwischen Sprachverwendung im Allgemeinen und Literatur im Besonderen eingegangen wäre). Dies sind folgende Elemente: (a) das Lexem (oder Sprachzeichen), (b) das Bedeutungspotential des Lexems, vor allem Denotation und Konnotation, (c) das morphosemantische Feld der Sprache, das durch formale und/oder semantische Relationen organisiert wird, (d) die Selektionsrestriktionen der Lexeme, (e) das gebrauchte Wort (bzw. das Redezeichen in der mündlichen Äußerung), (f) der Kotext und der (thematische bzw. situativ gegebene) Kontext, (g) die Richtung der semantischen Kohärenzbildung, die durch den Kotext sowie das Bedeutungspotential der gebrauchten Wörter bestimmt wird. Diese Elemente sind gewissermaßen linguistische Bausteine der Konstitution von Bedeutung im Rahmen dessen, was man als sprachliche Verständigung zwischen einem Schreiber beziehungsweise einem Sprecher und einem Leser beziehungsweise einem Hörer bezeichnen könnte. Schreiber und Leser beziehungsweise Sprecher und Hörer verfügen über eine Sprache und gebrauchen sie mit all ihren syntaktischen und semantischen, sozial-kognitiv konturierten Bestimmungen. Sie äußern sich (jedenfalls in bestimmten Fällen, auf andere komme ich gleich zu sprechen) unter — wohl zumeist automatisierter und nicht eigens bewusst gemachter — Beachtung dieser Bestimmungen, und sie Verstehen die Äußerungen vor dem Hintergrund oder auf der Basis dieser Bestimmungen. Werden diese Bestimmungen nicht verletzt, so konstituiert sich das, was man als eigentliche Bedeutung
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bezeichnen könnte. Die Wörter bilden dabei also gewissermaßen eine syntagmatische Wörterkette, bei der sie reibungslos nach allen grammatischen Regeln und den konventionellen Standards der usuellen Bedeutung ineinander greifen. Demgegenüber gibt es jedoch auch bekanntermaßen allerlei Verstöße gegen die semantischen und syntaktischen Regularien. Von >Verstößen< zu sprechen ist offenkundig nur sinnvoll, wenn es sich um synchronische Phänomene und nicht um diachronische Veränderungen handelt, auch wenn unter bestimmten Bedingungen Verstöße sich sprachgeschichtlich zu Veränderungen konsolidieren können. Hier interessieren uns weniger jene Verstöße, bei denen die semantische Kohärenzbildung gleichwohl nicht von ihrer usuellen oder standardisierten Normalrichtung abgebracht wird (also z.B. grammatisch nicht vorgesehene, aber stilistisch und sprachökonomisch effektive Neologismen wie etwa »unabsteigbar« oder »unkaputtbar« U.A.). Für die Konstitution uneigentlicher Bedeutung sind dagegen jene Fälle relevant, in denen die semantische Kohärenzbildung gestört und die Normalrichtung der Kohärenzbildung dadurch nicht eingehalten werden kann. Dabei kann es sich um bloße Fehler oder um Unsinn handeln — oder eben auch um die Konstitution von uneigendicher Bedeutung (was freilich nicht ausschließt, dass ein Hörer oder Leser einen Fehler des Schreibers oder Sprechers als Konstitution von uneigentlicher Bedeutung interpretiert).28 Der Fall, an dem man das Problem der Uneigendichkeit am ausführlichsten und differenziertesten erörtert hat, ist die Metapher.29 In einer ganzen Reihe von Disziplinen (Philosophie, Rhetorik, Grammatik, Poetik, Sprachwissenschaft, Stilistik, Literaturwissenschaft, Semiotik, Psychologie u.a.m.) sind verwirrend komplexe und zudem oft subtile Theorien über Konstitution und Funktion von Metaphern entwickelt worden.30 Gemeinsamkeiten und Unterschiede sind dabei häufig nur sehr schwer auszuma-
28 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Verwendung von uneigentlichen Formulierungen bei Kindern. Kinder scheinen zwar schon früh dazu in der Lage zu sein, Formulierungen zu finden, die von älteren Sprachbenutzern als uneigentlich (z.B. metaphorisch) interpretiert werden, nicht jedoch von den Kindern selbst. Mit ca. fünf oder sechs Jahren können Kinder die Störung der Kohärenzbildung bei uneigentlichen Formulierungen feststellen, sie merken also, dass >irgendetwas nicht stimmtfertigzuwerdem, also eine Richtungsänderung der Kohärenzbildung vorzunehmen. Siehe hierzu Waggoner / Palmero: »Betty«; Marti: Metaphors; Andrews / Rosenblatt: Children's Abilities. 29 Siehe hierzu den magistralen Beitrag von Eggs: Metapher; siehe auch den konzisen Beitrag von Birus: Metapher. 30 Siehe Shibles: Metaphor; van Noppen: Metaphor; Nieraad: »bildgesegnet«; Haverkamp: Theorie; Buchholz: Metaphernanalysen.
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chen, Äquivokationen sorgen darüber hinaus vielfach dafür, dass die Orientierung schwer fällt (ganz abgesehen davon, dass wir es mit einer multilingualen Theoriegeschichte zu tun haben, bei der es immer wieder zu Übersetzungsverschiebungen oder auch -Verlusten kommt). Konzeptionell tragende Stichwörter wie »Vergleich«, »Identität« »Analogie«, »Ähnlichkeit«, »Übertragung« und anderes mehr bedeuten bei verschiedenen Autoren unter Umständen sehr Verschiedenes. Die in der modernen (deutschsprachigen) Metaphernforschung weit verbreitete Bündelung der über zweitausendjährigen Theoriegeschichte vornehmlich in drei Positionen — nämlich die der Substitutionstheorie, die der Vergleichstheorie und eben diejenige der Interaktionstheorie — ist daher vor allen Dingen als ein Befreiungsschlag im Dschungel der Theorien zu sehen, der auf Feinheiten keine Rücksicht nimmt (und in bestimmten Kontexten ist so etwas ja durchaus exakt genug).31 Demnach besteht jedenfalls die Vergleichs theorie in der Auffassung, dass es sich bei der Metapher um einen verkürzten Vergleich handele oder dass der Metapher ein Vergleich zugrunde liege: Die Formulierung »Achill ist ein Löwe« sei also eine Verkürzung von »Achill ist wie ein Löwe«; und bei der Formulierung »Das Alter ist der Abend des Lebens« vergleiche man den Tag mit dem Leben und bestimme die Analogie (im ersten >quintilianischen Fall< handelt es sich also um eine grammatische Struktur, im >aristotelischen Fall< um den Vergleich von Dingen oder Sachverhalten). Die Substitutions theorie hingegen besagt, dass ein (eigentliches) Wort durch ein anderes (uneigentliches) ersetzt werde, oder, in den Worten Pletts: »Die Ersetzung einer primären semantischen Texteinheit durch eine sekundäre, die zu jener in eine Abbild- oder Ähnlichkeitsrelation gesetzt wird«.32 Interaktionstheorien schließlich vertreten die Auffassung, dass es zu einem spezifischen Zusammenspiel von Metapher und Textumgebung komme (oder in den Worten Max Blacks von »focus« und »frame«33), derart nämlich, dass die Textumgebung eines metaphorischen Ausdrucks eine »Determinationserwartung« aufbaue, gegen den der metaphorische Ausdruck jedoch verstoße. Es komme so zu einer Konterdetermination, und die Metapher könne betrachtet werden als »ein Wort in einem konterdeterminierenden Kontext«.34 Eine ausführliche und kritische Diskussion der genannten Positionen kann ich hier nicht vornehmen, auch wenn gewisse Affinitäten der oben eingeführten Basis-
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Ich mache es selbst in: Uneigentlichkeit, sowie in: Ein fremdes Wort. Plett: Einführung, S. 79. Black: Metaphor. Weinrich: Semantik, S. 319; weitere Varianten der Interaktionstheorie (wie Beardsleys »verbal-opposition theory«, Ryles und Goodmans »type-crossing-theory«, Searles »Sprechakttheorie«, Ricoeurs »Imaginationstheorie« oder auch Richard und Ogdens »emotiv-theory«) werden dargestellt in Sebeok: >MetaphorFamilie< handeln könnte, deren Zusammengehörigkeit durch gemeinsame semiotische Konstituenten begründet wird, macht die rhetorische Tradition, die von Tropen redet,35 ebenso deutlich wie die Poetik, die u.a. von »Bildlichkeit« oder »Gleichnisreden« spricht, oder auch die Literaturwissenschaft, die sich solcher »Bildlichkeit« stilanalytisch, historisch deskriptiv, komparativ oder auch theoretisch widmet.36 Diese Familie umfasst ungefähr den textuellen Mikrobereich der Tropen ebenso wie den textuellen Mittelbereich der partiellen Uneigentlichkeit (z.B. in bildgleichen oder bildungleichen Metaphernkomplexen oder auch in allegorischen Textpassagen) und den textuellen Makrobereich der Uneigentlichkeit von Ganztexten (wie etwa die Parabel und manche Formen der Fabel). Enge Verwandtschaft besteht auch mit dem Bereich der synmedialen Gattungen, deren prominentester Vertreter hier wohl das Emblem ist.37 Es stellt sich allerdings die Frage, worin diese Verwandtschaft besteht. Nach den skizzenhaften Ausführungen zur Konstitution von eigentlicher Bedeutung sollte es sich bei derjenigen uneigentlicher Bedeutung in jedem Fall zunächst einmal um eine Störung der Kohärenzbildung handeln — wie in dem Fall »Schläft ein Lied«, bei dem merkmalssemantisch die Konterdetermination als >Aufeinandertreffen< der semantischen Merkmale [+ belebt] und [- belebt] beschrieben werden könnte, kognitionslinguistisch als widersprüchliche Verbindung der ICMs /schlafen/ und /Lied/. 35 Vgl. Wilpert: Sachwörterbuch, S. 861 (das Stichwort »Uneigentlicher Ausdruck« verweist auf den Artikel »Trope«); siehe auch Berg: Sprechen (Berg behandelt vier Tropen: Metapher, Metonymie, Ironie und Litotes). 36 Siehe hierzu Asmuth: Metapher; Asmuth: Bild, Bildlichkeit; Ricklefs: Bildlichkeit; Michel: Alieniloquium. 37 Siehe hierzu Zymner: Emblem.
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Sobald ausgeschlossen werden kann, dass es sich hierbei nicht einfach um einen Fehler oder um Unsinn handelt (nebenbei: ein komplizierter Vorgang, den ich hier allerdings nicht eingehend analysieren kann), übernimmt die Störung oder allgemeiner das Initialsignal die Funktion, zu einer Richtungsänderung der Kohärenzbildung aufzufordern — oder anders und aus der Perspektive des Lesers oder Hörers formuliert: die >Störung< wird nicht als Aufforderung zur Korrektur oder gar zur Zurückweisung als unverständliche Äußerung verstanden, sondern als Aufforderung, trotzdem Sinn in die Sache zu bringen, indem nach anderen als den standardisiert üblichen semantischen Verknüpfungsmöglichkeiten, nach neuen Möglichkeiten der lexikalischen Solidarisierung gesucht wird (und das geht, wie wir alle wissen, häufig >blitzschnellbelebt< und bekommt gewissermaßen ein Gesicht. (Allerdings funktioniert die ganze Angelegenheit nur so lange so, bis sich durch die Hinzunahme des weiteren Kontextes des Gedichtes herausstellt, dass auch /Lied/ metaphorisch sein muss - ebenso wie das »fort und fort«-Träumen der Dinge und das >Singen< der Welt). Neu an diesem Licht ist nicht etwa das Bedeutungspotential der verwendeten Wörter. Hier gilt ja die Regel, dass ein Lexem das Bedeutungspotential hat, das es hat, auch wenn durch die Unabschließbarkeit merkmalssemantischer Analysen veranschaulicht werden kann, dass die Aspekte der Denotation und mehr noch der Konnotation unendlich vielfältig sind. Auch metaphorisch verwendete Wörter können das Bedeutungspotential, das sie usuell mitbringen, nicht einfach gegen ein anderes austauschen, aber die Kohärenzbildung kann neue, also (noch) nicht standardisierte und sozial-kognitiv etablierte semantische Verbindungen im Rahmen des Bedeutungspotentials der verwendeten Wörter ermöglichen. Die Suche nach neuen semantischen Verbindungsmöglichkeiten kann dann als eine Suche nach Ähnlichkeiten oder Analogien (in welcher Hinsicht auch immer) aufgefasst werden, jeden Rezipienten führt sie jedoch im Prinzip zu einem anderen Ziel.38 Diese Ziele liegen nun nicht beliebig weit auseinander, aber sie 38 Es handelt sich also um eine nachträgliche Rationalisierung, tatsächlich und genau besehen kann weder auf onomasiologischer noch auf semasiologischer Ebene von Ähnlichkeiten oder Analogien die Rede sein; zum teil scharfe Zurückweisungen der (»illegitimen«, »illusorischen«, »pseudowissenschaftlichen« etc. pp.) Auffassung, bei der Metapher sei semasiologisch oder ononmasiologisch >Ähnlichkeit< bzw. >Analogie< im
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können doch eine gewisse Streuung haben, die mit der Weite des Bedeutungspotentials der beteiligten Lexeme und der Lenkung der Kohärenzbildung durch den Kotext beziehungsweise Kontext zu tun haben. Es handelt sich allemal um eine Entschematisierung der konventionellen sprachlichen Handlungsmuster, die bei der Konstitution von Uneigentlichkeit stattfindet. Bei der neuen Kohärenzbildung spielen wie bei der Konstitution eigentlicher Bedeutung die Bedeutungspotentiale insbesondere der Autosemantika sowie der Kotext als nun jedoch neu und entschematisiert determinierender semantischer Filter eine Rolle: Die Richtungsänderung der Kohärenzbildung wird nämlich einerseits durch das Bedeutungspotential der beteiligten Lexeme begrenzt, andererseits durch den kotextuellen und kontextuellen Zusammenhang. Der Kotext beziehungsweise der Kontext bestimmen die Richtung der neuen Kohärenzbildung innerhalb des Bedeutungspotentials der beteiligten Lexeme — im Falle von Metaphern jedoch nicht mehr als das. Die Richtungsänderung der Kohärenzbildung bleibt somit im Fall der Metapher konzis unscharf, oder anders, aus der Perspektive des Rezipienten formuliert: die Entschematisierung usueller Sprachhandlungsmuster im Falle der Metapher eröffnet insofern die Möglichkeit zu kognitiver Individualisierung, als jeder Rezipient im Rahmen des Bedeutungspotentials der Lexeme und gelenkt durch den Kotext beziehungsweise den Kontext des uneigentlichen Ausdrucks nach neuen, eigenen und bisher sogar unbekannten Möglichkeiten der Kohärenzbildung suchen kann — ein Sachverhalt, der sich besonders bei neuen oder ungewöhnlichen Metaphern zeigt und der durch die soziolinguistische Habitualisierung und die sprachgeschichtliche Lexematisierung metaphorischer Formulierungen nicht dementiert wird. Das Verstehen von Metaphern muss man daher als einen im Prinzip für jedes verstehende Subjekt einzigartigen (und andersherum das Subjekt in seiner Individualität bestärkenden) Vorgang auffassen, bei dem sich Kreativität und Phantasie im Finden eines neuen Verständnisses zeigen. Insofern demonstriert Eichendorffs »Wünschelrute« in gewisser Weise auch das, was es sagt: Jede Metapher lässt sich insofern als persönliches »Zauberwort« eines jeden Lesers oder Hörers auffassen, und Eichendorffs Gedicht reiht ein »Zauberwort« ans andere. Es ist also nach meiner Meinung nicht so, wie Goodman salopp formuliert, dass die Metapher »einem alten Wort neue Tricks beibringen« muss,39 sondern es sind mehr oder weniger alte, jedenfalls semantisch bereits konstituierte und konventionell bestimmte Wörter (und keine Neologismen),
Spiel, finden sich z.B. bei Ricoeur: Metaphore, S. 340; Genette: Rhetorique, S. 39; Cohen: Theorie, S. 18; Searle: Metaphor, S. 99f; Feder Kittay: Metaphor, S. 270. 39 Goodman: Sprachen, S. 74.
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denen das verstehende Subjekt neue Tricks abgewinnen kann (ebenso wie das schreibende oder sprechende Subjekt für sie neue Tricks zu finden versuchen kann). Und es ist auch nicht so, dass die Metapher »eine Affäre zwischen einem Prädikat mit Vergangenheit und einem Gegenstand, der sich unter Protest hingibt« ist, wie Goodman im gleichen Zusammenhang sagt. Vielmehr handelt es sich bei der linguistischen Basis der Metapher, wie beschrieben, um Konstellationen im Bereich der Designation und nicht der Referenzialisierbarkeit. Schließlich widerspreche ich der Auffassung Goodmans, dass die Metapher ein Fall von Exemplifikation sei. Vielmehr sichert die konzise Unscharfe der gelenkten, aber nicht fixierten Richtungsänderung die Neu- und Einzigartigkeit der uneigentlichen Bedeutung (auf der Ebene der linguistischen Basis), und sie ermöglicht wenigstens im Prinzip individuelles Verstehen (auf der Ebene des Rezipienten).40 Dass dabei trotzdem die Möglichkeit der Verständigung überhaupt gewahrt bleibt, liegt an der Sprecher wie Hörer, Schreiber wie Leser gemeinsamen sprachlichen Basis, die das Bedeutungspotential der Lexeme eben wahrt und für die grammatische Regularitäten ihre Gültigkeit behalten. Insofern gibt es nicht eine und nur eine richtige Interpretation eines metaphorischen Ausdrucks, jedoch kann es eine falsche geben, dann nämlich, wenn etwa die Grenzen des Bedeutungspotentials der beteiligten Lexeme überschritten werden. Die Konstitution von uneigentlicher Bedeutung ist dabei sicherlich auch keine Spiegelung, derart, dass ein Leser oder Hörer nur das verstehen kann oder darf, was der Autor oder der Sprecher mit seiner Metapher hat ausdrücken wollen. Die neue Kohärenzbildung, die der Autor oder Sprecher im Auge hat, wenn er eine metaphorische Formulierung bildet, kann eine ganz andere sein, als diejenige, die der Hörer oder Leser findet, so dass der Autor oder Sprecher über die semantischen Möglichkeiten seiner eigenen Metapher verblüfft sein kann. Es gibt sogar Kontexte, in denen uneigentliche Redeweise bewusst zur Vermeidung einer präzisen Festlegung des Gemeinten verwendet wird und die semantische Offenheit der metaphorischen Konstellation dazu führt, dass Verständigung möglich erscheint, obwohl alle etwas anderes verstehen. Es gilt hier allemal Lichtenbergs Einsicht: »Die Metapher ist weit klüger als ihr Verfasser und so sind es viele Dinge«.41 Schließlich sind besonders originelle Metaphern »nur durch die (abenteuerliche, mühsame und unendliche) Erzählung ihrer Interpretation« paraphrasierbar, »oder eigentlich der Erzählung davon, dass sie auf unterschiedliche Weise interpretierbar sind«.42
40 Siehe hierzu auch Zymner: Erotik. 41 Lichtenberg: Werke, S. 512 (F 369). 42 Eco: Grenzen, S. 213.
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Grundsätzlich möchte ich für den Fall der Metapher somit festhalten, das s es sich hierbei um ein autosemantisches Wort mit einem konventionell bestimmten Bedeutungspotential in einem syntaktisch wohlgeformten Kotext beziehungsweise Kontext handelt, bei dem ein Initialsignal als Transfersignal zu einer gelenkten, aber nicht fixierten Richtungsänderung der Kohärenzbildung auffordert. Weitere Unterscheidungen ergeben sich durch die Grammatik der Metapher, die Stilistik der Metapher sowie durch die Bereiche, aus denen das metaphorisch verwendete Vokabular stammt. Was die Grammatik der Metapher betrifft, so kann man nach verwendeten Wortarten (Verbalmetaphern, Nominalmetaphern, adjektivische Metaphern) sowie nach den syntaktischen Formen (Genitivmetaphern, metaphorische Prädikation, metaphorischer Vergleich etc.) und nach Transfertypen (Konkretisierung des Abstrakten, Belebung des Unbelebten, Synästhesie usw.) unterscheiden. Im Hinblick auf die Stilistik der Metapher kann man weiter zum Beispiel zwischen dunkler, schwieriger, kühner, pathetischer, scharfsinniger, geistreicher, origineller oder auch erhellender und witziger Metaphorik unterscheiden, je nach dem, auf welcher Stilebene Metaphern angesiedelt sind beziehungsweise welchem Stilprinzip sie folgen beziehungsweise welchem Stilregister sie angehören.43 Darüber entscheidet wiederum neben der Grammatik der Metapher auch der lexikalische Bereich, aus dem das metaphorisch verwendete Vokabular stammt.44 So variantenreich metaphorische Bedeutungskonstitution auch ist, so sehr bleibt die Appellstruktur der Uneigentlichkeit in jedem Fall gewahrt: Intitialsignal, Transfersignal und Richtungsänderung der Kohärenzbildung. Und in jedem Fall von Metaphorik bleibt die Richtungsänderung offen im Rahmen des Bedeutungspotentials der verwendeten Wörter. In diesem letzten Punkt unterscheidet sich die Metapher von anderen Formen der punktuellen Uneigentlichkeit im textuellen Mikrobereich.45 Es sind dies die Metonymie (in all ihren Varianten), die Synekdoche, die Ironie und die Vossianische Antonomasie. All diese Fälle haben mit der Metapher und allen anderen Formen der Uneigentlichkeit die Appellstruktur der Uneigentlichkeit gemeinsam, sie unterscheiden sich von der Metapher jedoch durch die stärkere Lenkung der Kohärenzbildung und durch den Einbezug des morphosemantischen Feldes der verwendeten Ausdrücke in
43 Einige Beispiele in Fricke / Zymner: Einübung, S. 44ff. 44 Literaturwissenschaftliche Untersuchungen zu >Bildbereichen< bieten z.B. Fricke: Bildlichkeit; Demandt: Metaphern; Peil: Untersuchungen; Peil: Überlegungen; aus linguistischer Perspektive wird dies ergänzt durch Arbeiten wie die von Kucharczik: »Organisch«; Stegu: Metapher; Becker: Vermittlungstexte; siehe auch Liebert: Metaphernbereiche; Biere / Liebert: Metaphern. 45 Vgl. Zymner: Seiten.
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die Kohärenzbildung. So zielt die Kohärenzbildung im Fall der Ironie auf den semantischen Bereich im morphosemantischen Feld ab, der in einer Kontrastrelation zu den verwendeten Wörtern steht. Im Zusammenhang der Appellstruktur der Uneigentlichkeit, also wenn in diesem Fall Ironiesignale unterschiedlichen Typs deutlich machen, dass hier in spezifischer Weise uneigentliche Bedeutung vorliegt, kann der Satz »Du bist mir aber ein guter Freund« anders als nach der usuellen Bedeutung der verwendeten Wörter verstanden werden. Es handelt sich dabei um relational gelenkte Kohärenzbildung, bei der der Kontrast nicht in einem bestimmten »Gegenteil« besteht, sondern in einer Kontrastskala polarer Gegenteile ebenso wie in einem kontradiktorischen oder auch in einem konträren Gegenteil bestehen kann. Oder anders, aus der Perspektive des Rezipienten formuliert: Auch hier hat jeder Rezipient die Möglichkeit, ein anderes >Gegenteil< zu verstehen, und insbesondere der Angesprochene kann natürlich ein ganz anderes >Gegenteil< verstehen als es der Sprecher oder Schreiber gemeint hat - freilich hat er auch nicht die Möglichkeit, etwas anderes als ein >Gegenteil< zu verstehen, es sei denn, er überhört die Ironie, nimmt die Ironiesignale nicht wahr oder versteht aus irgendeinem Grund überhaupt nicht, was das alles soll (auch wenn er vielleicht die Ironiesignale wahrnimmt und daraus schließt, dass hier irgendetwas nicht stimmt). Die Kohärenzbildung bleibt also auch bei der Ironie in jedem Fall offen, allerdings im Rahmen der Kontrastrelation. Relational gelenkte Kohärenzbildung liegt auch in den anderen Fällen punktueller Uneigentlichkeit vor (und ich betone: die Relation wird nach diesem Beschreibungsmodell sprachsystemimmanent immer zwischen dem Bedeutungspotential der verwendeten Wörter und dem umgebenden morphosemantischen Feld der Sprache hergestellt). Am weitesten reicht hier die Metonymie, die durch ganz verschiedene semantische Relationen zwischen verwendeten Wörtern und morphosemantischem Feld bei der Richtungsänderung der Kohärenzbildung gelenkt werden kann: Kausalität, Finalität, Temporalität, Spatialität (»Ganz München feiert«) etc., nicht jedoch Kontrast, denn diese Relation ist der Ironie vorbehalten, und auch nicht Synonymic. Während die Kohärenzbildung bei der Metapher im Rahmen des Bedeutungspotentials der verwendeten Wörter konzis unscharf oder indefinit bleibt, bleibt die Metonymie nur im relational bestimmten lexematischen Spielraum des metonymischen Ausdrucks indefinit. Ähnlich verhält es sich mit der Synekdoche, die vielfach als Sonderform der Metonymie betrachtet wird. Sie ist es insofern, als mit ihr eine weitere Relation zwischen verwendeten Wörtern und lexematisehern Spielraum in den Blick kommt, und zwar die der Subsumtion (Teil-Ganzes, Gattung-Art, Singular-Plural u.a.). Es kann sich dabei um die Relation zwischen Subsumiertem und Subsumierendem handeln, oder umgekehrt
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(»Amerika gewinnt das Fußballspiel«; »Der Chinese erobert jetzt auch den Weltraum, wie vorher schon der Amerikaner und der Russe«). Bei der Vossianischen Antonomasie schließlich, die in der rhetorischen Tradition als Setzung eines Eigennamens für ein Appellativ betrachtet wird (»Er ist der neue Goethe«), handelt es sich erkennbar um einen Spezialfall der Synekdoche, bei der der Eigenname »Goethe« allerdings zuvor eine lexematische Semantik hat bilden müssen. Diese und die anderen Formen der punktuellen Uneigentlichkeit zeichnen sich dadurch aus, dass die Kohärenzbildung, so sehr sie auch relational gelenkt sein mag, indefinit und in diesem Sinne konzis unscharf bleibt. Oder wiederum aus der Perspektive des Rezipienten, bei der wir wieder das sprachimmanente, linguistische Basismodell überschreiten: Wie bei der Metapher, so gibt es auch bei den anderen Formen Verstehensspielräume — allerdings nicht allein im Rahmen des Bedeutungspotentials des gebrauchten Wortes und bestimmt durch den Kotext, sondern im Rahmen des morphosemantischen Feldes und gelenkt nach Maßgabe einer im Kotext angelegten Relation. Die semantische Indefinitheit unterscheidet die genannten Tropen nun allerdings von anderen Tropen, bei denen lediglich Indirektheit und keine Uneigentlichkeit vorliegt. Es sind dies insbesondere die Emphase, die Hyperbel, die Litotes, die Periphrase und die lexikalische Antonomasie. In all diesen Fällen von lexikalischer Indirektheit ist im Unterschied zu den uneigentlichen Formen Geradlinigkeit und Festlegung der semantischen Kohärenzbildung sowie die eindeutige >Auflösbarkeit< des Gesagten zu konstatieren. Von den punktuellen Formen der Uneigentlichkeit, die sich bereits im unmittelbaren Wortnahbereich eines Ausdrucks konstituieren, ist es eigentlich nur ein kleiner Schritt zur partiellen Uneigendichkeit des textuellen Mittelbereichs, da sich die hier anzutreffenden Formen insbesondere als Verkettung von metaphorischen Ausdrücken zu Metaphernkomplexen beschreiben lassen und sich Metaphernkomplexe also durch strukturelle Iteration von Einzelmetaphern konstituieren. Dabei kann es sich um bildgleiche oder auch um bildungleiche Metaphernkomplexe handeln, bei den bildungleichen Metaphernkomplexen kann man weiter zwischen komischen bildungleichen Metaphernkomplexen (den so genannten Katachresen: »Er ist aus dem Holz, aus dem man Waschlappen schnitzt«) und nicht-komischen bildungleichen Metaphernkomplexen (der so genannten compound metaphor) unterscheiden. Die fortgesetzte Metapherdoppelten Bedeutung< mit der Länge und Dichte der fortgesetzten Metaphern leicht verliert (in Alltagsgesprächen flicht man wohl deshalb gern die Wendung »um im Bild zu bleiben« ein), bei gehaltenem Bewusstsein der >doppelten Bedeutung< mag das ästhetische und intellektuelle Vergnügen aber auch größer sein als bei punktuellen uneigentlichen Ausdrücken, vervielfacht doch jedes weitere Glied der fortgesetzten Metapher die Möglichkeiten zur neuen Kohärenzbildung bis hin zum isotopischen Zusammenschluss eines geschlossenen metaphorischen Bedeutungsbereiches, einer geschlossenen uneigentlichen Parallelebene. Mit einer etwas anderen geschlossenen uneigentlichen Bedeutungsebene haben wir es bei einer weiteren Form der partiellen Uneigentlichkeit zu tun, bei der Allegorie, die als Fortsetzung der punktuellen Personifikation in einem fiktionalen Zusammenhang betrachtet werden kann und die ich zur besseren Unterscheidung von der bloßen Fortsetzung einer Metapher< mit einem »*« kennzeichnen möchte. Ein Abstraktum wird bei dieser Allegorie* eben nicht nur punktuell anthropomorphisiert (»die Liebe lächelt«, »der Geist wählt links«, »der Tod fasst ihn an«), sondern fortgesetzt in einem fiktiven Handlungszusammenhang. Es kann sich dabei um einen narrativen Zusammenhang handeln (und hier nicht unbedingt nur im epischen Präteritum, sondern auch im Präsens, das nach meiner Beobachtung dabei gewissermaßen das narrative Tempus der >Alltagsallegorie< ist, wie man sie auch in der Zeitung und sogar in Gesprächen antreffen kann), es kann sich aber auch um einen Dramenzusammenhang handeln (wie man mindestens aus Hofmannsthals »Jedermann« weiß). Die punktuelle Anthropomorphisierung des Abstrakten könnte man sogar als Sonderform der Metapher betrachten, die allemal die linguistischen Basiskomponenten der uneigentlichen Bedeutung ebenso wie die leicht erkennbare Appellstruktur der Uneigentlichkeit aufweisen. Fortgesetzt im fiktiven Handlungszusammenhang der Allegorie* haben wir es aber außerdem noch mit Fiktionalität zu tun, Uneigentlichkeit und Fiktionalität konstituieren hier gemeinsam den semantischen Status der Allegorie*, sollten je-
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doch nicht miteinander verwechselt werden.47 Uneigentliche Bedeutung konstituiert sich nämlich als semantische Designationskonstellation, Fiktionalität hingegen hat etwas mit der Referenziaüsierbarkeit zu tun, also mit dem Bezug zwischen dem Signifikat und Signifikanten auf der einen, dem Referenzobjekt auf der anderen Seite.48 Mit Fiktionalität haben wir es schlicht dann zu tun, wenn zum Beispiel eine Geschichte erzählt wird, die sich nicht zugetragen hat. Es ist eine Erfindung, die der Autor oder Sprecher dem Leser oder Hörer anbietet in der Erwartung, dass der Rezipient gewissermaßen im Bewusstsein der Fiktivität des Geschilderten darüber hinwegsieht und sich somit auf ein Spiel, das so tut als ob, einlässt.49 Gottfried Gabriel bestimmt mit nicht ganz unproblematischen Formulierungen fiktionale Rede als »diejenige nicht-behauptende Rede, die keinen Anspruch auf Referenzialisierbarkeit oder auf Erfülltheit erhebt«.50 Der erste Teil dieser Bestimmung trifft nun ohne Zweifel auch auf uneigentliche Formen zu. Uneigentliche Formulierungen sind nicht-behauptend, wenn für das Gelingen eines sprachlichen Behauptungsaktes die Bedingungen gelten, dass (1) die Behauptung wahr ist, (2) der Sprecher der Behauptung glaubt, dass seine Behauptung wahr ist, (3) der Sprecher der Behauptung seiner Verteidigungspflicht nachkommt (4) sowie der Pflicht, die aus seiner Behauptung folgenden Behauptungen zu übernehmen.51 Das Musterbeispiel »Achill ist ein Löwe« wird man in seinem Wortlaut nicht als wahr betrachten können (es sei denn, es handelt sich um einen Löwen namens Achill und nicht um den Helden der griechischen Mythologie). Sofort würde der Sprecher dieser metaphorischen Formulierung auf Nachfrage einräumen, dass Achill micht wirklich< ein Löwe sei, sondern damit nur durch die Redeblume dieses oder jenes ausgedrückt werden sollte. Darum muss der Sprecher auch nicht dazu bereit sein, kgendwelche weiteren
47 Anders z.B. Harth: Kommunikation, S. 249. 48 Siehe hierzu Zipfel: Fiktion. 49 »Die spezifische Sprachhandlungssituation fiktionaler Erzähl-Texte wird bestimmt durch die sozial und kulturell etablierte Sprachhandlungspraxis Fiktion. Diese Sprachhandlungspraxis spezifiziert den allgemeinen Interaktionskontext, in dem fiktionale Erzähl-Texte produziert und rezipiert werden. Sie ist durch bestimmte Regeln und Konventionen auf der Ebene der Textproduktion, der Textrezeption sowie der Textstruktur definiert. Eine Kurzbeschreibung dieser Praxis könnte lauten: ein Autor produziert einen Erzähl-Text, in dem eine Geschichte dargeboten wird, die sich nicht wirklich zugetragen hat, mit der (Griceschen) Intention, daß der Rezipient diesen Text in der Haltung das make-believe aufnimmt. Den Text im Rahmen eines make-believeSpiels aufzunehmen, bedeutet dabei für den Rezipienten, die Position des textinternen Adressaten einzunehmen und sich gleichzeitig des Spielens des make-believe-Spiels bewußt zu sein«. Zipfel: Fiktion, S. 297. 50 Gabriel: Fiktion, S. 28. 51 Ebd., S. 45.
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Pflichten zu übernehmen, er behauptet ja schließlich nicht, dass Achill ein Löwe sei. Trotzdem kann der Sprecher einer metaphorischen Formulierung Anspruch auf Referenzialisierbarkeit oder Erfülltheit erheben, insofern nämlich, als er die Hinsicht, in der er meint, Achill sei ein Löwe, erläutern und verteidigen kann. Wenn etwa das Mutigsein zu den Konnotationen des Lexems /Löwe/ gehört und der Sprecher es auf diese Konnotation absieht, so können in dieser Hinsicht Referenzialisierbarkeit beziehungsweise Erfülltheit beansprucht werden. Der Anspruch auf Referenzialisierbarkeit beziehungsweise Erfülltheit der nichtbehauptenden Rede fällt allerdings auch bei uneigentlichen Ausdrücken weg, sobald sie sich im Zusammenhang von Fiktionen auf Fiktives beziehen. Dass es sich bei Uneigentlichkeit und bei Fiktionalität um nicht-behauptende Rede handelt, unterscheidet beide schließlich auch von der Lüge, bei der ja etwas behauptet wird, obwohl dessen Falschheit vom Sprecher vorausgesetzt wird.52 Das bedeutet freilich nicht etwa, dass man mit uneigentlichen Formulierungen nicht lügen könnte. Wer nichtbehauptende uneigentliche Rede als behauptende Rede erscheinen lassen kann, dem mag sogar eine besonders raffinierte Form der Täuschung gelingen, und die Lügendichtung aller Zeiten und Länder demonstriert sogar, wie fiktionale Lügengeschichten sich auch der Formen der Uneigentlichkeit bedienen können. Die Allegorie* als eine in fiktiven Handlungszusammenhängen fortgesetzte Personifikation kann als Form der partiellen Uneigentlichkeit in einem ansonsten eigentlichen Textzusammenhang vorkommen, sie kann aber auch als Ganztext auftreten und damit in den textuellen Makrobereich der uneigentlichen Formen hineinreichen — etwa als allegorische Parabel. Auch bei der Parabel, sei sie allegorisch oder nicht, handelt es sich nun in jedem Fall um einen episch-fiktionalen Text, den die spezifische Appellstruktur (Initialsignal: z.B. »Das Himmelreich ist wie...«, Transfersignal, Richtungsänderung der Kohärenzbildung) als uneigentlich ausweist.53 Das verbindet die Gattung Parabel mit einem Typus der Fabel und unterscheidet beide von anderen parabolischen Formen wie der Beispielgeschichte oder auch dem Gleichnis. Mit diesen uneigentlichen Gattungen wäre der Bogen von der punktuellen Form uneigentlicher Bedeutung zu den uneigentlichen Texten im Makrobereich geschlagen (ohne dass hier natürlich Vollständigkeit oder Ausführlichkeit der Darstellung angestrebt werden konnte). Auf der gemeinsamen linguistischen Basis weist all diese Formen die Appellstruktur der Uneigentlichkeit als zusammengehörig aus. Damit wäre der formale oder >sprachimmanente< Kern uneigendicher Bedeutungskonstitution schematisch erfasst, der allerdings
52 Siehe Falkenberg: Lügen, S. 22ff. 53 Siehe hierzu Zymner: Uneigentlichkeit.
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stets von einer hermeneu tischen Konstellation, einem Zusammenhang der Verständigung und des Verstehens getragen wird. Die Appellstruktur der Uneigendichkeit ist nun ebenso wenig allein für schrifdiche Texte kennzeichnend und darin uneigendiche Bedeutung konstituierend wie sie es für literarische ist. Auf die geschriebenen Texte und näherhin diejenigen, die >die< Literatur ausmachen, soll die weitere Aufmerksamkeit sich jedoch richten. Zunächst sollen dabei einige weitere Unterscheidungen verdeutlicht werden, bevor ich abschließend auf die >hermeneutische Situation< zu sprechen komme, die im Falle der literarischen Uneigendichkeit die uneigendiche Bedeutung mit konstituiert. Was die Unterscheidungen betrifft, so bin ich bereits auf diejenige zwischen Uneigendichkeit und Fiktionalität eingegangen - während es sich in dem einen Fall um eine Frage der Designation handelt, handelt es sich im anderen um eine Frage der Referenzialisierbarkeit. En passant bin ich dabei auch auf den Zusammenhang zwischen Uneigendichkeit, Fiktionalität und Lüge eingegangen, zuvor habe ich bereits Unterscheidungen im Bereich der improprietas getroffen (nach denen manche Tropen eben uneigendich seien, andere aber lediglich Indirektheit konstituierten - eine Unterscheidung, die in ihrer Konsequenz auch andeuten mag, das s es nach meiner Meinung einen Unterschied zwischen Uneigendichkeit und indirekten Sprechakten gibt: Er liegt in der Bestimmbarkeit des propositionalen Gehaltes, die bei indirekten Sprechakten unzweideutig möglich ist, bei Formen der Uneigendichkeit jedoch nicht).54 Unterscheidungen, die vorzunehmen ich eingangs angekündigt habe, betreffen die Literarizität und die Polyvalenz. Beide Unterscheidungen hängen eng miteinander zusammen und führen in gewisser Weise zur Erörterung dessen, was ich als hermeneutische Situation bezeichnet habe. Was nun die Beziehung zwischen Literarizität und Uneigendichkeit betrifft, die gelegendich sogar so bestimmt wird, dass alle Literatur uneigentlich sei beziehungsweise alle Literatur als Ganze uneigendich sei,55 so ist nach dem bisher Gesagten leicht zu sehen, dass dem nicht so ist. Dazu muss man sich nicht einmal auf eine Bestimmung dessen, was Literatur sei, festlegen, sondern nur beliebige Beispiele für das, was als Literatur gilt, heranziehen. So wären Figuren wie Faust und Gretchen im Kontext des goetheschen Dramas wohl fiktive Figuren und als fiktive Gestalten der Poesie darüber hinaus auch im Sinne der Weimarer Klassik symbolische 54 Siehe hierzu Searle: Metaphor; Searle: Expression (hier bes. Kap. 4). 55 Siehe schon Hugo v. Hofmannsthal: »jede Dichtung ist durch und durch ein Gebilde aus uneigendkhen Ausdrücken« (Hofmannsthal: Werke, S. 333). Solche und ähnliche Formulierungen finden sich gehäuft in der Literatur des Fin de Siecle (repräsentativ schon in Baudelaires Gedicht »Correspondences«), vgl. dazu Zymner: Symbol; vgl. auch Arntzen: Sprache, S. 43; Arntzen: Literaturbegriff, S. 79; Althaus: Uneigentliche.
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Gestalten (nämlich solche, die im Besonderen das Allgemeine erkennen lassen), sie sind jedoch gewiss keine uneigentlichen Figuren, wie dies etwa fiktiv fortgesetzte Allegorien* sind. Auch das, was sie sagen, ist durchaus nicht durchgehend uneigentlich im definierten Sinn, sondern im Rahmen der fiktiven Handlung benutzen sie gelegentlich uneigentliche Formulierungen (wie die von der grauen Theorie und des Lebens goldenem Baum, der grün sei). Daneben finden sich aber auch Äußerungen, die im Rahmen der Fiktion erkennbar und ganz eindeutig nicht uneigentlich verstanden werden sollen (wie gleich Fausts Eingangsmonolog, in dem er mitteilt, er habe »Philosophie, / Juristerei und Medizin, / Und leider auch Theologie! / Durchaus studiert«). Ein Gegenbeispiel reicht jedenfalls schon aus, um die allquantifizierende Identifikation von Literatur und Uneigentlichkeit zu widerlegen, auch wenn diese Identifikation dadurch noch nicht recht verstanden ist. Sie rührt nach meiner Meinung her von einer Verwechslung von Uneigentlichkeit und allgemeiner Deutungsoffenheit oder Deutbarkeit insbesondere literarischer Texte. Deren fundamentum in re kann man wiederum in der Polyvalenz des literarischen Textes sehen, zu der Formen der Uneigentlichkeit beitragen, die sich jedoch keineswegs in Formen der Uneigentlichkeit oder in Uneigentlichkeit schlechthin erschöpft.56 Vielmehr besteht die Polyvalenz des literarischen Kunstwerks, durch die seine Deutungsoffenheit sich konstituiert, in allen >Kunstmittelnvieldeutig< oder grundsätzlich deutungsoffen, dass es uneigentlich wäre, sondern dadurch, dass seine vielfältigen Kunstmittel sich für den Leser zu einem >Möglichkeitsfeld< verbinden, ein »Netzwerk von unausschöpfbaren Beziehungen«, das eine »freie und schöpferische Antwort« des Rezipienten, seine Interpretation, fordert — und zwar so, als spräche es nur zu ihm.58
56 Zum Begriff der Polyvalenz siehe Schmidt: Ästhetmtät; Schmidt: Texttheorie; Schmidt: Elemente. Siehe auch Kurz: Vieldeutigkeit. 57 Beispiele für all diese Aspekte bietet Fricke: Norm. Siehe auch Eco: Kunstwerk. 58 Eco: Kunstwerk, S. 31.
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Das hat nun wenig zu tun mit quasiromantischer Kunstmetaphysik, vielmehr hängt dies fundamental mit den Rezeptionsbedingungen des sprachlichen Kunstwerkes zusammen, das ja zunächst einmal gelesen werden muss, bevor ein Rezipient eine >freie und schöpferische Antwort< auf es finden kann. Und Lesen im Allgemeinen wiederum kann man vor dem Hintergrund lese- und kognitionspsychologischer Untersuchungen beschreiben als »zu sich selbst sprechen in fremdem Namen«.59 Beim Lesen (sei es von Literatur, sei es eines Gebrauchstextes) hat man es mit einer doppelten Transformation der Schrift zu tun, nämlich dem Vernehmen und dem Verstehen: Im Falle des Vernehmens handelt es sich um die Transformation des geschriebenen Textes in gesprochene Sprache — beim stillen Lesen, der wenigstens heute wichtigsten Rezeptionsform von Literatur, ist diese Transformation als inneres Sprechen oder Subvokalisation wahrnehmbar, als >Stimme< also, die nicht die eigene ist und dennoch nicht fremd; im Falle des Verstehens handelt es sich um die Transformation des Vernommenen in ein Verständnis, eine verstandene Textwelt. Vernommenes und Verstandenes sind beide Eigenprodukte des Lesers, auch wenn er aus verschiedenen Gründen gerne und schnell annimmt, das Vernommene und das Verstandene seien Fremdprodukte, Äußerungen und Mitgeteiltes des Schreibers. Dabei ist es nicht der Schreiber, der spricht, sondern immer der Leser selbst, und es ist nicht der Schreiber, der verstanden wird, sondern es ist der Leser, der versteht. In der Rezeption geschriebener Texte übernimmt der Leser also sowohl die Rolle des Senders als auch die des Empfängers, und es ist dabei fraglich, ob das Mitgeteilte des Autors und das Verstandene des Lesers überhaupt miteinander übereinstimmen können. Identisch sein können sie jedenfalls nie (wie schlichte Sender-Botschaft-Empfänger-Modelle der Kommunikation suggerieren), auch wenn es gute Gründe für die Annahme gibt, dass die Übereinstimmung zwischen Mitgeteiltem und Verstandenem mehr oder weniger möglich ist, sofern Autor und Leser Welt- und Sprachwissen miteinander teilen. Der Leser versteht die Bedeutung eines Textes vor dem Hintergrund einer gemeinsamen Sprache, auch wenn er dem vernommenen Text stets seine Bedeutung zuweist, ihm seine Textwelt entnimmt. Es ist somit das Verstehen der eigenen Sprache und damit Bedeutungsproduktion in der eigenen Sprache.60 Dabei wird bei Gebrauchstexten die Möglichkeit der sozusagen eindeutigen Verständigung zwischen Autor und Leser durch verschiedene Mittel abgesichert — neben Kontextinformationen, expliziten Bestimmungen und Definitionen und anderem mehr ist dies auch die Vermeidung aller Elemente, die zu einem Einstellungswechsel des Lesers
59 Weimar: Lesen. Siehe zum folgenden auch Weimar: Text; Weimar: Autorschaft. 60 Weimar: Enzyklopädie, §§ 294-298.
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fuhren und ihn dazu veranlassen könnten, den Text eben nicht als Gebrauchstext mit bestimmten pragmatischen Funktionen (Information, Aufforderung, Hinweis etc.), sondern als Literatur oder gar als sprachliches Kunstwerk zu lesen und zu verstehen. Solche Elemente kommen durchaus auch in Gebrauchstexten vor, und in einigen Fällen weisen wir mit Kommentaren wie »schön gesagt« auch darauf hin. Zu einem Einstellungswechsel kommt es aber doch wohl nur, wenn Menge, Art oder Zusammenhang der Elemente, die die Aufmerksamkeit des Lesers auf sie selbst und nicht auf die Gebrauchs funktion des Textes wenden, in ausreichendem Maße vorhanden sind (und hier kann unter Umständen schon eine neue situative Einbettung ausreichen, wie im Bereich der bildenden Kunst Duchamps Objekte zeigen). Erkennbar handelt es sich um eine graduelle Unterscheidung, von der man jedenfalls sagen kann, dass wir im Hinblick auf einige Texte — bis auf weiteres — ohne Vorbehalte dazu bereit sind, sie als Literatur zu lesen (Gedichte Hölderlins, Dramen Shakespeares, Romane Zolas), im Hinblick auf andere Texte (etwa Gesetzestexte oder Mitteilungen der Stadtverwaltung) besteht diese Bereitschaft auf keinen Fall, und bei manchen Texten bleiben wir schwankend (wie etwa im Fall der Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27.1.1968SiebenkäsBuddenbrooksStörungVerunsicherung< oder einfach als durch den Text gestelltes >Problemzeitlos und vollendet ist >die dingliche Gegenwart der Vergangenheit. Literaturwissenschaft hat es eben nicht allein mit zeitgenössischer Poesie und ihren Formen der Uneigendichkeit zu tun, sondern zum Beispiel als historische Metaphorologie mit dem >barocken Sinn< der Metapher,64 mit dem Sinn der Allegorie im Mittelalter oder auch mit der >Bilderwelt< der Antike. In jedem Fall hat sie wegen der Dauerhaftigkeit des Textes Zeit, über die Bedingungen der Möglichkeit der >Leser-Entfremdung< durch Uneigentlichkeit nachzudenken, diese mit allen philologischen Mitteln zu klären und bei genügender Reflektiertheit auch zu sehen, dass der zeitlose und vollendete Text sich als bestimmtes >Fragment der Vergangenheit immer in einer kritischen Konstellation mit >jeweils dieser< Gegenwart befindet65 — und darin eben auch alles, was man als Konstitution uneigentlicher Bedeutung bezeichnen könnte. Im Unterschied zur Konstitution uneigentlicher Bedeutung in Sprechkontexten ist die Konstitution uneigentlicher Bedeutung im Akt des Lesens und Verstehens - obzwar bei jedem neuen Lesen neu — durch die Dauerhaftigkeit des Schrifttextes nicht flüchtig, sondern eben der reflektierenden und deutenden Aufklärung zugänglich. Die literaturwissenschaftliche Interpretation hat durch philologische Aufklärung die Möglichkeit, das Bedeutungspotential der beteiligten Wörter gründlicher abzuschreiten, als es dem Autor des Textes präsent gewesen sein muss, und sie hat allemal auch die Möglichkeit, kulturelle Überformungen der Produktion und der Rezeption uneigentlicher Texte gebührend zu berücksichtigen. Solche kulturellen Überformungen findet man in Poetiken (z.B. Harsdörffers >Poetischer TrichterVorschule der ÄsthetikAutorPrätext im Köpft bezeichnen möchte, in einen Text auf dem Papier zu transformieren.68 Für diesen >Prätext im Kopfe selbst gibt es stets einen äußeren Anstoß (z.B. ein Erlebnis oder Ereignis, etwas, das man wahrnimmt oder beobachtet oder das einen beschäftigt, wie z.B. ein geschriebener Text, der von dem Autor gelesen wurde). Bevor der Autor zum Schreiber wird, ist er also zunächst einmal Rezipient, und der >Prätext im Köpft ist so etwas wie eine erste kognitive Reaktion auf das Rezipierte. Der äußere Anstoß muss aus einem Rezipienten noch keinen Autor machen (schließlich könnte man das, was einen beschäftigt, den äußeren Anstoß, auch einfach wieder vergessen oder irgendwie beiseite lassen, im Falle des Lesens kann es auch beim Vernehmen oder beim Verstehen des Schrifttextes bleiben), mit dem >Prätext im Köpft wird der passive Rezipient aber zum Autor, auch wenn sich diese Autorschaft dann erst in der Verdinglichung des geschriebenen Textes manifestiert. Der >Prätext im Kopfe könnte dabei schlicht das lesend Verstandene oder das im Vorlesen gehörte sein, so dass der folgende Text auf dem Papier jedenfalls der Absicht nach lediglich eine Reproduktion des gelesenen Textes wäre (wir kennen das alle von Diktaten in der Schule oder vom Diktieren im Büro). Für neue Texte, die als Literatur gelesen werden können sollen, dürfte die einfache Reproduktion eines anderen Schrifttextes jedoch nicht ausreichen,69 hier sollte der >Prätext< bereits unter dem Gesichtspunkt der 66 67 68 69
Vgl. z.B. Gibson / Levin: Psychologie, bes. Kap. 10; Mann: LRS Legasthenie, S. 28ff. Siehe hierzu Wygotsky: Denken, S. 224-228. Steinfeld: Text. Siehe hierzu Jorge Luis Borges Erzählung »Pierre Menard, autor del Quijote« (1941); siehe auch Goodman: Sprachen, hier Kap. III: »Kunst und Authentizität«, bes. S. 114:
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Eigenständigkeit, der Originalität, der Kreativität usw. formuliert werden, wenn der Autor für sich beanspruchen möchte, ein selbständiger Künstler zu sein, selbst Kunst zu schaffen und nicht nur nach- oder abzuschreiben. Mit Weimar könnte man jedenfalls zusammenfassend auch von dem Ereignis, dem Beobachter, dem Erzähler und dem Autor sprechen, die im Schreiben eines jeden Textes vorkommen und in jedem Text auf dem Papier irgendwie präsent sind, der >Prätext im Köpft wäre dabei das Produkt des >ErzählersPrätext im Köpft, die Schreibidee, steht nicht allein im Zusammenhang mit dem >Anstoß< (z.B. dem gelesenen Text), sondern zu seinem bestimmenden, ihn determinierenden Umfeld gehören ebenso die Schreibsituation, das Sprachwissen und allgemein die Verfügung über eine bestimmte Sprache (mit all ihren semantischen, syntaktischen und pragmatischen Regeln), textuelles Wissen (darüber, wie man Textsorten macht), thematisches Wissen über >das beobachtete EreignisWeltwissen< und Metakognitionswissen, also das Wissen um das eigene Wissen und die prozedurale Fähigkeit, eigene kognitive Aktivitäten zu steuern und zu kontrollieren. Das >Produkt des Erzählers< muss allerdings nicht lediglich in einem einzigen >Prätext im Köpft bestehen, sondern es kann mehrere verschiedene >Prätexte< geben. Der >Prätext im Köpft nimmt dabei auch nicht umstandslos den Text auf dem Papier vorweg, in der Regel »entsteht im Schreibprozess ein Wechselspiel zwischen dem Text auf dem Papier und dem Prätext«,71 der bereits geschriebene Text auf dem Papier beeinflusst also gewissermaßen die Fortsetzung des >Prätextes im Köpft, der dann seinerseits wiederum in Text auf dem Papier transformiert wird. Wir haben es mit der mehr oder weniger langsamen Verfertigung des >Prätextes im Köpft beim Schreiben des Textes zu tun, und ebenso mit der mehr oder weniger langsamen Verfertigung des Textes bei der Entstehung des >Prätextes im Köpft. Äußere Indizien für diesen Zusammenhang sind aus der Editionsphilologie gut bekannt: Varianten, Textentwürfe, Streichungen und Neuformulierungen gehen der endgültigen Fassung< voraus. Der >Prätext im Köpft wird beim Schreiben in einen Text auf dem Papier transformiert, gedachte, vielleicht auch blitzartig gefundene und durch Subvokalisation oder inneres Sprechen vernommene Formulierungen werden >automatisch< (ohne dass ein Schreiber, der das Schreiben gelernt hat, über die Transformation selbst nachdenken müsste), kraft des erlern-
»Jede genaue Kopie eines Gedicht- oder Romantextes ist genausogut das Originalwerk wie irgendeine andere«. 70 Weimar: Enzyklopädie, §§22-231. 71 Steinfeld: Text, S. 137.
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ten Vermögens der Schriftsprachverwendung in geschriebene Sprache transformiert. Wie sich dem Leser des geschriebenen Textes unter Umständen zeigt, finden sich in dem geschriebenen Text auch Formen der Uneigentlichkeit, die den Leser zur Konstitution uneigentlicher Bedeutung fuhren. So individuell wie das Verstehen uneigentlicher Formulierungen bei einem Leser (begrenzt durch die linguistischen Basiskriterien) ist, so individuell ist nun aber auch das Hervorbringen uneigentlicher Formulierungen als uneigentliche Formulierungen (und nicht bloße Unglücks fälle) beim Schreiber. Sie werden im >Prätext im Köpft gefunden und dann in den Text auf dem Papier überführt. Die Bedingungen der uneigentlichen Formulierungen im >Prätext im Kopf< sind die bereits genannten Aspekte im Kontext des >Prätextes im Kopfe: der >Anstoß< oder das Ereignis, das wahrgenommen oder beobachtet wurde, die Schreibsituation, in der geschrieben werden soll, das Sprachwissen und allgemein die Verfügung über eine bestimmte Sprache (mit all ihren semantischen, syntaktischen und pragmatischen Regeln), textuelles Wissen (darüber, wie man Textsorten macht), thematisches Wissen über >das beobachtete EreignisWeltwissen< dazu (und hierher gehört sicherlich auch alles, was man bisher gelesen hat und dessen man sich erinnert, was wiederum nicht ohne Konsequenzen für das textuelle Wissen sein dürfte) sowie Metakognitionswissen. Doch während das Verstehen uneigentlicher Formulierungen den Leser zunächst mit dem störenden, gar entfremdenden und ihn zu neuer Kohärenzbildung zwingenden Initialsignal konfrontiert, bevor es durch die neue Kohärenzbildung, durch das Verstehen zu einer Lösung des Problems kommt, so ist eben jene Kohärenzstörung gewissermaßen das Ergebnis des Verstehens oder der Deutung des beobachteten Ereignisses beim Autor, die Konstitution von Bedeutung findet für den Autor in der uneigentlichen Formulierung zunächst im >Prätext im Köpft ihren erhellenden Ausdruck, während sie für den Leser ein verstörender Ausgangspunkt ist. Für den Autor handelt es sich somit um ein expressives Ereignis, dessen Ergebnis ihn unter Umständen selbst überrascht: »A good metaphor sometimes impresses, strikes, or seizes its producer: We want to say we had a >flash of insightPrätext im Kopfe gewissermaßen vorformuliert hat. Die Vorformulierungen sind jedoch nichts anderes als Formen der Bedeutungskonstitution, mit denen der Autor auf Verstandenes verstehend reagiert (und zwar im Rahmen seiner Wissensmöglichkeiten), bevor er es selbst wiederum in einen geschriebenen Text transformiert. Dass sich im >Prätext im Köpft uneigentliche Formulierungen einstellen können, mag viele Gründe haben, die mit den Aspekten im Umfeld des >Prätextes< zusammenhängen können. So mag ein Schreiber wissen, dass Formen der Uneigentlichkeit zum sprachlichen Kunstwerk gehören können. Er mag dies in irgendeiner Poetik gelesen oder an Beispielen für Literatur festgestellt haben und sich dadurch veranlasst fühlen, nun ebenfalls uneigendiche Formulierungen zu verwenden. Wie und warum der Autor allerdings in seinem >Prätext im Köpft zu einer bestimmten uneigendichen Formulierung findet, wird allemal durch die Kontextfaktoren des Prätextes und hier insbesondere durch die Regeln der verwendeten Sprache determiniert, aber die uneigendiche Konstellation wird nicht irgendwie erzwungen (etwa weil tatsächlich irgendeine Ähnlichkeitsbeziehung zwischen Dingen vorläge, auch wenn der Autor in einer nachträglichen Begründung behaupten kann, Analogie oder Ähnlichkeit habe ihn motiviert). Das scheint ja gerade zu der erhellenden Wirkung der uneigentlichen Formulierung für den Autor zu gehören, dass er nämlich zu nichts gezwungen wird, sondern sich von den Bindungen >normaler< Sprachverwendung befreit. Diese Befreiung durch uneigentliche Bedeutungskonstitution, deren Verdinglichung die uneigentlichen Formen im geschriebenen Text sind, kann nun sehr bewusst und kontrolliert vorgenommen werden (bis hin zur Benutzung von >poetischen Schatzkammern und >MetaphernmaschinenPrätext im Köpft und Text auf dem Papier kann zu einem komponierten, bewusst gestalteten, intertextuell eingebetteten und traditionsverhafteten Text auf dem Papier führen, es kann sich aber auch um eine ganz unkontrollierte, automatisierte Befreiung von den Regeln der >normalen< Sprache handeln (etwa bei Texten, die unter dem Einfluss von Drogen entstanden sind). Allemal ist die Findung, ja die Erfindung uneigentlicher Bedeutung im >Prätext im Köpft und die Fixierung der uneigentlichen Formulierung im Text auf dem Papier ein expressives Ereignis, mit dem der Autor eben nicht konventionell, sondern gewissermaßen expressiv-befreit ausdrückt, wie er den Anstoß, das beobachtete Ereignis oder auch den voraufgegangenen Text verstanden hat beziehungsweise versteht. Der >Prätext im Köpft wird gerade durch die uneigentlichen Formulierungen zu einem expressiven Erlebnis des Verstandenen beziehungsweise des Verstehens, das ganz individuell ist und mit dessen Transformation in einen geschriebenen Text der Autor sich als Individuum auszudrücken meinen kann.
Uneigentliche Bedeutung
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Allerdings entsteht doch mit seinem ersten Schriftzeichen so etwas wie ein >Autor im Text< oder eine Text-Persona. Das geschriebene »Ich« zum Beispiel in einer Autobiographie ist nicht identisch mit dem, der diese Autobiographie schreibt, dieser ist aus Fleisch und Blut, der Autor im Text jedoch besteht nur aus Wörtern mit all ihren semantischen und syntaktischen Beziehungen, die unter anderem sich auch zu uneigentlichen Formulierungen und ganzen Textpassagen fügen können. Auch wenn der reale Autor meinen sollte, dass er mit dem Schrifttext sich ausdrücke, so entsteht doch stets mit dem Text gewissermaßen ein Fremder, er selbst kann nie in den Text, so sehr er sich auch bemühen mag, und der Autor im Text ist niemals er. Immerhin hat der reale Autor alle, auch die uneigentlichen, Formulierungen des Textes gefunden, und dabei hat er sich, möglicherweise ohne großes Nachdenken über die Möglichkeiten der Sprache, der Möglichkeiten der Sprache bedient. Der Weg >vom Herzen in die Feder< führt allemal über die Sprache und nur über die Sprache, seine Sprache gibt dem Autor ebenso alle Möglichkeiten der Welterfassung wie sie ihn selbst als sprachlich Erfasstes konstituiert. Der sprachlichen Fixierung geht allemal ein verstehender, Bedeutung konstituierender Umgang mit >der< Welt voran oder er fällt sogar mit dem Prozess der sprachlichen Fixierung zusammen, die unter anderem zu dem expressiven Ereignis der uneigentlichen Formulierung führen kann, zur individuellen Entschematisierung konventioneller Sprachhandlungsmuster, die im Text auf dem Papier zur Form der Uneigentlichkeit verdinglicht wird, welche beim Lesen wiederum einen anderen Prozess der Entschematisierung konventioneller Sprachhandlungsmuster durchläuft und auf der Leserseite zu einer neuen, individuellen uneigentlichen Bedeutung transformiert wird. Das ist insgesamt eine Konstellation, die zu Skepsis über die grundsätzliche Möglichkeit der Verständigung Anlas s geben könnte: Dekodierung und Neukodierung sind auf der Schreiber- wie auf der Leserseite miteinander verwoben, der sich äußernde Schreiber ist zuvor und zugleich ein verstehender Rezipient, der im Rahmen seiner individuellen Möglichkeiten versteht und im Rahmen seiner individuellen Möglichkeiten sich äußert und sich dabei als Individuum zu zeigen meint, während doch in dem geschriebenen Text immer nur der fremde >Autor im Text< gefunden werden kann. Auf der anderen Seite des geschriebenen Textes ist der Leser, der lesend einen Fremden zu verstehen meint und doch immer nur sich selbst im Rahmen seiner individuellen Möglichkeiten versteht und sich dabei verstanden fühlt von einem Fremden, der der Autor eben nicht ist. Die je unterschiedliche, individuelle Entschematisierung konventioneller Sprachhandlungsmuster bei der Konstitution uneigentlicher Bedeutung auf beiden Seiten des Textes auf dem Papier, die individuelle Findung uneigentlicher Formulierungen und das individuelle Verstehen uneigentlicher For-
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mulierungen scheint dabei nur in verschärfter Weise zu zeigen, dass wirkliche Kommunikation und tatsächliches Verstehen, die Identität des Mitgeteilten für den Schreiber und für den Leser nicht möglich ist, ja mehr noch: Dass niemand seinen Bewusstseinskäfig zum anderen hin zu öffnen vermag (zumindest nicht sprachlich). Eine solche Sichtweise unterschlägt jedoch, dass jede sprachliche Aktivität Mitteilungscharakter hat, ihr ist also stets eigentümlich, als Mitteilung von jemandem über etwas an jemanden verstanden werden zu können, selbst wenn der Mitteilende ausdrücklich sagt, dass er nichts mitzuteilen wünsche. Sobald jemand spricht oder schreibt (und sei es auch im Modus der Uneigentlichkeit), impliziert die Sprachaktivität einen anderen, an den sie sich richtet, es gehört zu ihrer sozialen, um nicht zu sagen: geistigen Realität, dass Sprache an und für sich »Ich und Du eint.«73 Dieser sozialisierenden Grunddisposition der Sprache kann man sich nur entziehen, wenn man schweigt (oder eben nicht schreibt), und diese Grunddisposition ist Grundlage zahkeicher Techniken, sich der Bedeutung des Mitgeteilten zu versichern bis zu einem Punkt, an dem man einander versteht, sei es im Gespräch, sei es im literaturwissenschaftlichen Diskurs der Textinterpretation. Dabei berechtigt die Verfügung über semantische, syntaktische und pragmatische Regeln der gemeinsamen Sprache zu der Erwartung, dass Äußerung und Verstandenes nicht beliebig weit auseinander liegen können, und die tagtäglich geübte Praxis der Welterschließung durch Sprache und die glückende Verständigung im Gespräch belegen die Möglichkeit der Verständigung in einer gemeinsamen Anstrengung. Oder, um diese allgemeinen Ausführungen abschließend noch einmal auf den Umgang von Literatur, die in der Findung und in der Wahrnehmung von Polyvalenz in besonderem Maße ein Katalysator von Individualität ist, anzuwenden: »Interpretieren sollte man nicht allein«.74
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73 Gadamer: Mensch, S. 151. 74 Weimar: Enzyklopädie, § 309.
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Thorn: Making, S. 54, unter Bezug auf Levinson: Performative, der kritische und performative Interpretation voneinander absetzt. Eine ähnliche Unterscheidung trifft Hermeren: Quire. Siehe hierzu Bühler: Nutzen.
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Wichtig für die Literaturwissenschaften sind dagegen alle Interpretationsarten, die die Identifizierung der Absichten und Überzeugungen eines Autors betreffen, wie auch solche, die auf die Erklärung seiner Absichten (d.h. die Erklärung, warum der Autor bestimmte Absichten hatte) abzielen; die das Feststellen verschiedener Arten von Bedeutung sprachlicher Ausdrücke zum Ziel haben; weiterhin die, die herausfinden sollen, was ein Autor mit einem Text exemplifizieren oder ausdrücken will; oder solche, die die Gegenstände von Anspielungen identifizieren sollen.5 Gehe ich von einem zu weiten Interpretationsbegriff aus? Dies hat Werner Strube gegen mich eingewendet.6 Er hat im Einzelnen darauf hingewiesen, die Beurteilung der Richtigkeit eines Textinhalts, die freie Assoziation und die Feststellung der Wirkung von Texten würden im Allgemeinen nicht als »Interpretieren« bezeichnet. Dies sind empirische Fragen zum Gebrauch der Wörter »Interpretieren« und »Interpretation«, zu denen ich hier Stellung nehmen will. Vor allem in der Geschichtswissenschaft scheint »Interpretieren« oft für die Beurteilung der Richtigkeit eines Textinhalts verwendet zu werden. So spricht etwa Ernst Bernheim von der gegenseitigen Interpretation der Quellen in der Geschichtswissenschaft.7 Im Zusammenhang mit der gegenseitigen Interpretation der erzählenden Quellen und der Überreste bemerkt er: »Wie oft werden die [...] allgemein gehaltenen Angaben erzählender Quellen durch Urkunden und Akten präzisiert, wie oft gewinnen wir durch Urkunden und Akten Einblick in den inneren Gang der Ereignisse, wo uns die Berichterstatter nur den äußeren Hergang kaum verständlich berichten?«8 Dient eine solche Art der Interpretation nicht auch dazu, die Richtigkeit der erzählenden Quelle zu beurteilen? Was nun mit der freien Assoziation? Unterscheiden wir immer zwischen Frei- assoziieren und Interpretieren, und zwar so, dass das freie Assoziieren, das anlässlich einer Interpretation stattfindet, selbst keine Interpretation ist? Ich denke nicht. So wie ich — frei assoziierend - anhand einer Wolken formation sagen kann: »Ich deute diese Formation als das Gesicht eines langnasigen Mannes«, so kann ich doch auch anhand etwa der Figur in einem Roman - frei assoziierend — sagen: »Ich sehe in diesem Charakter meinen Vater« und gebe so eine Interpretation der Romanfigur.
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Die Identifikation von Gegenständen von Anspielungen als Interpretationsziel hatte ich in Bühler: Vielfalt, noch nicht eigens hervorgehoben. Zum Begriff der Anspielung siehe vor allem Hermeren: Allusions, der überzeugend argumentiert, dass eine Anspielung nicht als Referenz eines Ausdrucks auf eine Sache betrachtet werden kann. Bei der Tagung in Irsee. Freundlicherweise hat mir Werner Strube seine Aufzeichnungen, auf die ich mich hier beziehe, zur Verfügung gestellt. Herzlichen Dank! Bernheim: Lehrbuch, S. 599 ff. Ebd., S. 603.
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Zu bemerken ist in diesem Zusammenhang auch, dass es einen klassifizierenden (d.h. beschreibenden) und einen wertenden Gebrauch des Wortes »Interpretation« gibt. Ohne Zweifel wird im bewertenden Gebrauch eine freie Assoziation gewöhnlich als schlechte Interpretation betrachtet werden und zu dem Kommentar herausfordern: »Dies ist keine Interpretation«, was eben soviel heißt wie: »Dies ist eine schlechte Interpretation«. Das gilt aber doch wohl nicht für den bloß klassifizierenden Gebrauch des Wortes.9 Und wie steht es mit der Feststellung der Wkkungen eines Textes? Obwohl ich selbst das Wort »Interpretieren« nicht im Sinne von »die Wirkung eines Textes feststellen« verwenden würde, so gibt es doch eine theoretische Position zur Literaturinterpretation, die in manchen Arten der Interpretation eine Art von Wirkungsfeststellung sieht, nämlich die Rezeptionsästhetik.10 So analysiert die Rezeptionsästhetik etwa, welche Erwartungen sprachliche Äußerungen hervorrufen und damit bewirken. Die rezeptionsästhetische Theorie erfordert es, Sinn und Form eines literarischen Werkes in der geschichtlichen Entfaltung seines Verständnisses zu begreifen, wie Hans Robert Jauß betont.11 Damit wird die Erforschung der Wirkung zum Teil der Interpretation — insofern als Interpretation mit der Erfassung des Sinnes zu tun hat.
II. Ist eine einheitliche Charakterisierung von »Interpretation« möglich und ist sie fruchtbar? Aktivitäten, die mit dem Wort »Interpretieren« bezeichnet werden, sind jedenfalls recht verschiedenartig. Sie sind so heterogen, dass sie sich nicht einheitlich charakterisieren lassen, wenn wir genauer beschreiben wollen, was in den verschiedenen geisteswissenschaftlichen Disziplinen getan wird, in denen man von »Interpretation« spricht; sie sind so unterschiedlich, dass auch keine für methodologische Zwecke fruchtbare Charakterisierung von Gemeinsamkeiten möglich zu sein scheint. Damit meine ich eine Charakterisierung von Interpretieren (oder Interpretation), die es ermöglichen würde, die verschiedenen Arten von Texten, die als Interpretationen vorgelegt werden, hinsichtlich bestimmter methodologischer Standards zu bewerten. Bei einer Obergruppe von Interpretationsweisen geht es um die Feststellung von einzelnen Tatsachen, die Gegenstand von
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Meine These von der Vielfalt des Interpretierens bezieht sich vor allem auf den klassifizierenden Begriff der Interpretation. 10 Siehe etwa die Darstellung in Schutte: Einführung, S. 156 ff. 11 So Jauß: Literaturgeschichte, S. 171.
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Fragen der folgenden Art sind: Welche Absichten und Überzeugungen haben bestimmte Personen? Welche Bedeutung haben bestimmte sprachliche Ausdrücke? Oder: Welche Struktur weist ein vorliegender Text auf? Bei einer zweiten Obergruppe von Arten des Interpretierens geht es um Erklärungen, warum ein Text bestimmte Charakteristika hat oder warum ein Textproduzent bestimmte Absichten und Überzeugungen hatte. Oder es geht um den Aufweis der Wkkungen eines Textes bei Rezipienten. An eine Tatsachenfeststellung, die Bedeutungen oder Autorabsichten identifiziert bzw. Textstrukturen angibt, werden aber andere methodologische Anforderungen gestellt als an Erklärungen oder Spezifikationen von Wirkungen. Sowohl Tatsachenfeststellungen wie auch Erklärungen sollen wahr sein, eine Erklärung hat dabei auch gesetzmäßige Zusammenhänge einzubeziehen. Im Gegensatz zu Erklärungen oder Spezifikationen von Wkkungen brauchen Feststellungen singulärer Tatsachen keinen Bezug auf kausale Mechanismen bzw. auf gesetzesartige Zusammenhänge zu enthalten. Aber auch die verschiedenen Arten von Tatsachenfeststellungen unterliegen unterschiedlichen methodologischen Anforderungen: Z.B. verlangt die Zuschreibung der konventionellen Bedeutung zu einem sprachlichen Ausdruck andere Methoden als die Zuschreibung der von einem Autor mit einem bestimmten Ausdruck gemeinten Bedeutung. Im ersten Fall haben wk Aus drucks Verwendungen verschiedener Autoren in verschiedenen Texten zu betrachten, im zweiten Fall haben wk die Situation zu untersuchen, in der sich ein Autor befand, als er den Ausdruck verwendet hat. Und Ähnliches gilt für unterschiedliche Arten der Erklärung, die wk mit dem Wort »Interpretation« bezeichnen. Um die tatsächliche Verwendungsweise des Wortes »Interpretieren« im Zusammenhang deklarativen Interpretierens von Texten zu beschreiben, könnte man ganz allgemein sagen, deklaratives Interpretieren von Texten sei die kgendwie geartete gedankliche Beschäftigung mit von anderen oder auch von einem selber hervorgebrachten Texten und sprachlichen Äußerungen. Werner Strube fragt mich, in welchem Verhältnis die verschiedenen von mk unterschiedenen Interpretationsbegriffe stehen. Ich denke, dass die gedankliche Beschäftigung mit Texten und sprachlichen Äußerungen das Eine ist, das allen verschiedenen Arten des deklarativen Interpretierens gemeinsam ist. Diese Charakterisierung mag nun zwar alle verschiedenen Arten des deklarativen Interpretierens von Texten umfassen, hebt als Gemeinsamkeit aller Interpretationstätigkeiten aber eine Eigenschaft hervor, die in hohem Maße unbestimmt ist. Ihre Angabe kann in keiner Weise hilfreich dafür sein, zu einer genaueren Beschreibung unterschiedlicher Arten von Interpretationsaktivitäten zu gelangen. Methodologisch ist sie außerdem völlig unergiebig, da an sie keine bestimmten An-
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Forderungen zur Bewertung von Interpretationen geknüpft werden können. Sie ist also ziemlich unfruchtbar. Informativer wäre es zu sagen, Tätigkeiten des Interpretierens seien Tätigkeiten, die auf das Bewirken von Verstehen ausgerichtet seien. Das Wort »Verstehen« ist aber, wie vor allem Strube: Analyse, aufgewiesen hat, seinerseits systematisch mehrdeutig, bezeichnet also auch heterogene Tätigkeiten. Diese Mehrdeutigkeit vererbt sich dann auf die Bestimmung von »Interpretieren«. Dadurch ist die Charakterisierung in hohem Ausmaße unbestimmt. Außerdem gibt es mehrere Tätigkeiten des Interpretierens, von denen wir wohl nicht sagen würden, sie seien auf das Herstellen von Verstehen ausgerichtet.12 Also umfasst die betrachtete Charakterisierung auch nicht alle Arten deklarativen Interpretierens von Texten, ist damit zu eng. Viele Autoren scheinen dennoch nicht anerkennen zu wollen, dass Interpretieren in der skizzierten Art und Weise vielfältig ist. Und viele stimmen darin überein, das Wort »Interpretieren« ließe sich etwa in folgender Weise umschreiben: (S) Interpretieren ist, Sinn in etwas ausmachen. Dabei beziehen sich viele Autoren mit dem Wort »Sinn« auf den Sinn sprachlicher Äußerungen oder auf den Sinn sprachlicher Elemente (wie Wörter) oder auf das Ziel, das mit einem Text verbunden ist. Wenn (S) als Beschreibung der tatsächlichen Verwendung des Wortes »Interpretieren« vorgebracht und »Sinn« — so wie eben angedeutet — auf Sprachliches bezogen wird, dann deckt (S) aber sicherlich nicht die tatsächliche Verwendung des Wortes »Interpretieren« ab. Denn auch etwa das Geben von kausalen Erklärungen (vor allem der Absichten und Überzeugungen des Autors) wird »interpretieren« genannt, kausale Erklärung kann aber nicht mit der Zuschreibung sprachlichen Sinnes identifiziert werden. (S) erfasst also nicht ausschöpfend die Tätigkeiten, die wir als »Interpretieren« bezeichnen. Die Umschreibung (S) ist aber auch in einer zweiten Hinsicht nicht ausreichend: Ob und inwiefern sprachliche Einheiten oberhalb der Ebene von Sätzen, vor allem etwa Texte als Ganze, Sinn oder Bedeutung haben, ist ungeklärt. In den Sprachwissenschaften und in der Philosophie hat man Bedeutungstheorien für die Satzebene und für Bestandteile von Sätzen ausgearbeitet. Hier denke ich vor allem an Theorien, die die Kenntnis von Bedeutungen zumindest teilweise durch die Kenntnis der Wahrheitsbedingungen von Sätzen erläutern wollen, auf rein extensionale Weise wie die Theorie Davidsons und seiner Nachfolger oder auf intensionale Weise wie verschiedene Versionen der Mögliche-Welten-Semantik. Theorien, die
12 So die Tätigkeiten (11) - (17) in Bühler: Vielfalt.
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den Bedeutungsbegriff auf höhere Ebenen als die des Satzes beziehen, Einheiten oberhalb der Satzebene Bedeutungen zuweisen und gleichzeitig Problemlösungskraft bezüglich spezifizierbarer Fragestellungen aufweisen, sind mir aber nicht bekannt. Deswegen ist es sehr problematisch zu sagen, beim Interpretieren ginge es darum, ganzen Texten Bedeutung oder Sinn zuzuweisen, so lange man nicht genauer angibt, was hier unter »Sinn« oder »Bedeutung« zu verstehen ist. Dass Texte oberhalb der Satzebene eine semantische Struktur haben, dass solche Texte Bedeutungselemente enthalten, die noch nicht auf der Satzebene gegeben sind, soll natürlich nicht abgestritten werden. Solche Aspekte ganzer Texte sind auch oft Gegenstand von Interpretation, werden aber durch die Formel (S) nicht erfasst. Obzwar (S) bei der bislang unterlegten Deutung von »Sinn« als sprachlicher Sinn nicht umfassend genug ist, ist (S) doch gleichzeitig nur wenig informativ, da (S) viele verschiedene Arten von Interpretation nicht diskriminiert. Die Ausdrücke »Bedeutung« und »Sinn« werden nämlich in der methodologischen Diskussion der Geisteswissenschaften, vor allem der Literaturwissenschaften, aber nicht nur dort, sehr mehrdeutig verwendet. Hierauf haben auch die Veranstalter dieser Tagung in ihrem Einladungstext hingewiesen. In (S) werden die verschiedenen Arten von Bedeutung oder Sinn, mit denen man bei sprachlichen Ausdrücken oder bei Texten zu tun haben kann, nicht auseinandergehalten. Bedeutungszuweisung, auch bei der literaturwissenschaftlichen Interpretation, betrifft ja Bedeutung verschiedener Art, die je mit sprachlichen Ausdrücken verbunden sein kann: (1) Bedeutung als Gegenstandsbezug oder Referenz sprachlicher Ausdrücke; (2) Bedeutung als Sinn sprachlicher Ausdrücke, insofern er für die Festlegung der Wahrheitswerte von Sätzen relevant ist; (3) Bedeutung als das, was ein sprachlicher Ausdruck emotiv konnotiert. Hinsichtlich aller dieser drei Arten von Bedeutung können wir nun weiter unterscheiden: (A) die konventionelle Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken; (B) die vom Autor mit verwendeten Ausdrücken gemeinte Bedeutung; Von »Bedeutung« spricht man — in weniger technischer Weise — manchmal auch folgendermaßen: (a) Bedeutung als die Sprechaktqualität einer Rede; (b) Bedeutung als das, was ein Autor mit einem Text exemplifizieren oder ausdrücken will (die >BotschaftTheorien< der Interpretation Bisher habe ich nur berücksichtigt, wie das Wort »interpretieren« tatsächlich verwendet wird und auf welche Weise sich diese Verwendung beschreiben lässt. Man könnte aber meinen, es ginge nicht bloß darum, die Verwendungsweise des Wortes zu beschreiben, sondern es ginge um die Aufstellung einer >philosophischen< Theorie der Interpretation. Paul Thom etwa hat in einem neueren Buch >Making Sense< die Auffassung vertreten, es ließe sich eine allgemeine Theorie der Interpretation (S. 16) entwickeln, die die Eindeutigkeit des Wortes »Interpretation« (S. 15) und eine einheitliche Struktur von Interpretationsvorgängen (S. 106) unterstellen kann. »Theorie« soll hier nun nicht — wie wenn wir von Theorien der empirischen Wissenschaften sprechen - eine Menge von Aussagen bezeichnen, die Naturgesetze bzw. Kausalgesetze enthält. Unter »Theorie der Interpretation« versteht Thom vielmehr eine Menge von Aussagen, zu denen eine Antwort auf die Frage »Was ist Interpretation?« gehört (mit Abgrenzungen zu »Verstehen« und »Erklären«), weiterhin Angaben über Interpretationsmethoden und die Bewertung von Interpretationen (S. 2). Eine Theorie der Interpretation scheint für Thom also auf jeden Fall eine Begriffsbestimmung zu enthalten, und zwar vielleicht eine solche, die man traditionellerweise »Realdefinition« genannt hätte. Thom meint, eine Theorie der Interpretation solle alle Arten des Interpretierens abdecken, d.h. in ihrer Beschreibung sowohl deklaratives wie auch performatives Interpretieren umfassen (S. 15). Thom legt eine Theorie vor, die diesen Anforderungen genügen soll. Im Wesentlichen besagt sie, Interpretation bestünde darin, Sinn in etwas auszumachen (ähnlich wie (S) oben). Das Wort »Sinn« in dieser Umschreibung soll aber nicht mehr auf den Sinn von Sprechtätigkeiten oder von sprachlichen Ausdrücken beschränkt werden, sondern ganz allgemein auf die Bedeutsamkeit, die irgendwelche, beliebige Dinge für uns haben. Das Wort »Interpretieren« bezeichnet der Theorie entsprechend dann
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kognitive Prozesse des Dingen irgendeine Bedeutsamkeit Zuweisens, des Dinge als etwas Deutens. »Eine Interpretation [...] ist eine Sicht eines Gegenstandes, die Sinn in ihm zu finden beansprucht, indem sie ihn auf eine besondere Weise repräsentiert«. »Eine Interpretation verleiht ihrem Gegenstand Bedeutsamkeiten, indem sie den Gegenstand (unter einer bestimmten Repräsentation) auf einen leitenden Begriff passt«.13 Thoms Theorie umfasst sowohl Interpretation als das, was ich »Tatsachenfeststellung« genannt habe, ebenso wie Interpretation als Erklärung. Interpretieren sei auch als kausales Erklären so etwas wie Sinn in der erklärten Sache oder dem erklärten Vorgang finden. Thom vermerkt ausdrücklich, dass — wissenschaftliche — Erklärung eine Art von Interpretation ist. Eine natürliche Erscheinung würde in ein Bedeutsamkeitssystem von Naturgesetzen eingeordnet (S. 62). Was schließlich die Bewertung von Interpretationen anlangt, so stellt Thom im Wesentlichen zwei Forderungen auf: (1) Um Bedeutsamkeit ausdrücken zu können, muss der leitende Begriff einer Interpretation »einheitlich« sein: »d.h. er sollte eine begriffliche eher als eine sprachliche Einheit besitzen«.14 (2) Interpretationen sollten ihre Gegenstände in umfassender Weise behandeln (S. 79). D.h., die ausgesuchten Charakteristika sollten für die Zwecke der Interpretation für die Interpretationsgegenstände repräsentativ sein (S. 80). Obzwar Thoms Theorie sehr allgemein ist, erfasst sie doch nicht alle Aktivitäten, die wir als »Interpretieren« bezeichnen - bereits schon nicht im Zusammenhang des deklarativen Interpretierens von Texten.15 So sehe ich nicht, wie Interpretieren als Beurteilung der Richtigkeit von Textinhalten oder Interpretieren als Beurteilen der Gültigkeit von in Texten enthaltenen Argumentationen als Unterarten davon, Sinn in etwas auszumachen, so wie Thom dies versteht, begriffen werden können. Wo ist bei diesen Arten von Interpretation der leitende Begriff, der auf einen Gegenstand gepasst wird? Und in welchem Sinne behandeln solche Interpretationen ihre Gegenstände in umfassender Weise? Sehen wir aber davon ab, dass Thoms Vorschlag möglicherweise den üblichen Sprachgebrauch nicht getreu wiedergibt. Und konzentrieren wir uns auf das, was nach Thom allem Interpretieren gemeinsam ist. Mir scheint, dass die von Thom herangezogenen Gemeinsamkeiten sowohl wenn es darum geht, genauer zu beschreiben, was in interpretierenden 13 »An Interpretation, it seems, is a view of an object that purports to make sense of it by representing it in a particular way«, S. 20; »An interpretation lends significance to its object by fitting the object (under a particular representation) to a governing concept«, S. 28. 14 »It is to say that it [the governing concept] should possess a conceptual, rather than a verbal, unity«, S. 73. 15 Performatives Interpretieren soll uns hier nicht interessieren.
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Disziplinen (wie der Literaturwissenschaft) betrieben wird, wie vor allem in normativer (oder bewertender) Hinsicht für die Aufstellung von Interpretationen und für die Beurteilung von Resultaten des Interpretierens völlig uninteressant sind. Einmal werden in Thoms Vorschlag Unterschiede zwischen Tatsachenfeststellung und - kausaler — Erklärung eingeebnet. Dies ist deswegen nachteilig, weil - wie oben bereits festgestellt — Tatsachenfeststellung und Erklärung unterschiedlichen methodologischen Bewertungskriterien unterliegen. Zum anderen werden die Unterschiede zwischen den verschiedenen Erklärungsproblemen und die Unterschiede zwischen den verschiedenen Arten der Feststellung von Einzeltatsachen aus dem Blickfeld gerückt. Eine >Theorie< der Interpretation wie die Thoms scheint mir also (1) deskriptiv ungenügend zu sein, da sie die Unterschiede zwischen den so heterogenen Interpretationsaktivitäten nicht berücksichtigt, somit für eine genauere Beschreibung und Differenzierung einzelner Interpretationsarten nicht taugt. Vor allem, (2), ist sie methodologisch inadäquat, da sie nicht explizit macht, welche unterschiedlichen Anforderungen an unterschiedliche Arten von Interpretationen gestellt werden können und welche unterschiedlichen Bewertungsmaßstäbe mit den einzelnen Interpretationsaktivitäten verbunden werden sollen. Ebenso sind die Bewertungskriterien für Interpretationen, die Thom heranführt, in meinen Augen nicht besonders hilfreich. Sie scheinen — wenn sie hinreichend weit gedeutet werden — bestimmte meines Erachtens negativ zu bewertende Interpretationen positiv auszuzeichnen. Werden innerhalb von Kontexten, in denen es um Erkenntnisgewinnung geht, freie Assoziationen zu Texten vorgebracht,16 genügen solche Interpretationen in der gegebenen Situation offenbar unseren methodologischen Anforderungen nicht. Gewöhnlich erwarten wir vielmehr eine Tatsachenfeststellung bzw. eine Erklärung. Eine freie Assoziation zu Ausdrücken in einem Text scheint sich aber so durchführen zu lassen, dass sie sich einheitlicher Begriffe bedient und auch umfassend ist — so wie dies Thom fordert. Wenn etwa Heidegger bei einer Betrachtung von Platons >Staat< aufgrund freier sprachlicher Assoziationen zum Ergebnis kommt, dass in der griechischen polis »das Sein des Menschen in seinem Bezug um Seiendes im Ganzen sich gesammelt hat«,17 können wir dann nicht sagen, dass sich diese Interpretation einheitlicher Begriffe bedient und ihren Gegenstand in umfassender Weise behandelt? Schwerlich handelt es sich hierbei jedoch um eine Feststellung der Absichten oder Überzeugungen Platons. — Werden die Bewertungskriterien aber in restriktiver Weise genom-
16 Interpretationsart (16) in Bühler: Vielfalt, S. 128, ist freie Assoziation anhand eines Textes. 17 Heidegger: Parmenides, S. 142.
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men, dann finden wir schnell Arten von Interpretation, deren Bewertungen Gegenbeispiele zu Thoms Vorschlag sind: Inwiefern etwa ist es hilfreich, über eine Interpretation, die versucht, nicht explizit geäußerte Gedanken von Personen zu erschließen, zu behaupten, in ihr würden einheitliche Begriffe verwendet, oder zu sagen, diese Interpretation behandle ihren Gegenstand in umfassender Weise? Wenn solche Interpretationen erfolgreich sind, dann wird dies vielmehr damit zusammenhängen, dass etwa die Quellenlage in angemessener Weise berücksichtigt wurde bzw. dass sie das Verhalten der Personen zu erklären vermag.18 Wir sollten auch grundsätzlich fragen, ob und inwiefern das Projekt der Erstellung einer Theorie der Interpretation sinnvoll ist, wenn wir das Wort »Theorie« so verstehen, wie Thom es tut. Wenn eine Theorie als Antwort auf eine Was-Frage als Realdefinition einer Sache aufgefasst wird, dann hat sie — soll sie nicht willkürlich sein — wesentliche Eigenschaften der Sache anzugeben, die Gegenstand der Theorie ist. Den Anspruch, er habe mit seiner Theorie wesentliche Eigenschaften des Interpretierens erfasst, erhebt Thom aber nirgendwo explizit. Ich sehe auch nicht, dass er - implizit — Argumente dafür vorlegt, dass die von ihm vorgeschlagene Theorie wesentliche Eigenschaften des Interpretierens offenlegt. Übrigens ist darauf hinzuweisen, dass das Projekt der Angabe von Realdefinitionen in dem hier skizzierten Sinne die These voraussetzt, dass Dinge wesentliche Eigenschaften aufweisen, also irgendeine Form des Essentialismus. Der Essentialismus ist aber keineswegs unumstritten. (Im Rahmen der hier durchgeführten Diskussion kann ich auf die Problematik des Essentialismus nicht weiter eingehen.) Jedenfalls: Wenn wir essentialistische Positionen ablehnen, ist das Erstellen einer Realdefinition nicht sinnvoll. Soll eine Theorie des Interpretierens aber nicht so aufgefasst werden, dass sie wesentliche Eigenschaften anzugeben hat, dann könnten wir sie eher als eine Begriffsexplikation betrachten: Eine Begriffsexplikation soll zum einen den Gebrauch eines Ausdrucks (oder einen Teil des Gebrauchs) rekonstruieren, zum anderen Präzisierungen und rationale Korrekturen an dieser Verwendungsweise vorschlagen. Eine Begriffsex18 Zweifel kommen mir übrigens bei der Ontologie, die mit Thoms Theorie verbunden ist. Thom weist darauf hin, dass Gegenstände der Interpretation »intentionale Gegenstände« sind, d.h. Gegenstände, wie sie von Personen identifiziert werden entsprechend den Überzeugungen der Person (S. 20). Vom intentionalen Objekt sei das möglicherweise zugeordnete externe Objekt zu unterscheiden. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: In welchem Sinne können externe Objekte und intentionale Objekte beide Gegenstände sein? Thom gibt hierauf keine Antwort. Außerdem: Eine unhaltbare Konsequenz aus der Identifikation der Interpretationsgegenstände mit intentionalen Gegenständen scheint mir zu sein, dass verschiedene Personen nicht denselben Gegenstand interpretieren können: Mein intentionaler Gegenstand >Hamlet< ist nicht derselbe Gegenstand wie Dein intentionaler Gegenstand >HamletDer Mond scheint blau< sagen willst«. Ferner wird mit dem perlokutionären Akt vom Sprecher ein perlokutionärer Effekt beim Hörer beabsichtigt, dass dieser sich z.B. bei Behauptungen überzeugen lässt oder bei Bitten zu handeln beginnt; auch hier folgt aus dem illokutionären Effekt nicht notwendig der perlokutionäre: »Ich verstehe sehr wohl, was du mir mit >Sydney ist die Hauptstadt von Australiern sagen willst, aber ich glaube das nicht«. Während Wittgenstein der Meinung war, es gäbe »unzählige« Arten von illokutionären Akten, oder Austin ihre Zahl zwischen 1.000 und 9.999 schätzte, beschränkt sich Searle auf fünf.26 Während jedoch Wittgenstein und Austin Sprechakttypen zählten, bezieht sich Searle auf fünf Typen von Sprechakttypen: Assertive Sprechakte wie (wahre oder falsche) Behauptungen, Beschreibungen, Prognosen u.a., direktive Sprechakfe wie Befehle, Bitten, Fragen, mit denen die Adressaten zu bestimmten Handlungen veranlasst werden sollen, kommissive Sprechakte wie Versprechungen und Gelübde, mit denen sich der Sprecher selbst zu Handlungen verpflichtet, expressive Sprechakte wie Begrüßungen (»Hallo!«), Schmerzäußerungen (»Au!«) oder Entschuldigungen (»'tschuldigung!«), mit denen Sprecher ihren psychischen Zustand zum Ausdruck bringen, und schließlich deklarative Sprechakte wie Urteilssprüche, Ernennungen oder Definitionen, mit denen neue soziale Sachverhalte oder Konventionen geschaffen werden (hierhin gehören Austins performative Äußerungen, Abschnitt 1.3.). 4.3. Beispiele für die Regeln des lokutionären Aktes sind die aus den traditionellen Grammatiken vertrauten phonologischen, prosodischen, morphologischen und syntaktischen Regeln einer Sprache, die für die Konstituierung des propositionalen Aktes sind die semantischen Regeln einer Sprache (Abschnitt 1.2.). Searle skizzierte mittels Beispiele auch die pragmatischen Regeln zur Konstituierung des illokutionären Aktes, z.B. dem des Versprechens: Man stelle sich vor, ein Sprecher S sagt zu einem
26 Wittgenstein: PU 23; Austin: Things, S. 150; Searle: Expression, S. 1-20; zur Vollständigkeit der folgenden Liste, s. Searle: Rediscovery, S. 166-176.
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Hörer H »Ich komme morgen«, wobei aufgrund des Kontexts klar ist, dass damit »Ich verspreche dir hiermit, dass ich morgen kommen werde, um dir beim Umzug zu helfen« gemeint ist. Im Normalfall können als notwendige konstitutive Regeln festgehalten werden (vgl. konstitutive Regel in Abschnitt 6): Eine Äußerung eines Sprechers S gilt als ein Versprechen gegenüber einem Hörer H gemäß den Regeln einer Sprache L im Kontext K, in dem sich S und H befinden, genau dann, wenn die folgenden Bedingungen (a)-(e) erfüllt sind: (a) Bedingung für den propositionalen Gehalt des Sprechaktes: Mit drückt der Sprecher S einen propositionalen Gehalt, dass p, aus, wobei in p auf S referiert wird und von S eine zukünftige Handlung h prädiziert wird; auch muss die Handlung h eine sein, von der S überzeugt ist, dass er in der Lage ist, sie auszuführen. (b) Ausgangsbedingung für den Sprechakt: Der Hörer oder Adressat H der Äußerung bevorzugt p vor nicht-p, und der Sprecher S ist überzeugt davon, dass H p vor nicht-p bevorzugt; ferner gehen sowohl S als auch H davon aus, dass S die Handlung h im zu erwartenden normalen Ereignisverlauf nicht ausführen würde. (c) Aufrichtigkeitsbedingung für den Sprecher Der Sprecher S beabsichtigt wirklich, die Handlung h auszuführen. (d) Die für den Sprechakt wesentliche Bedingung: Der Sprecher S beabsichtigt mit der Äußerung von x, dass er sich damit vor dem Hörer oder Adressaten H zur Ausführung der Handlung h verpflichtet. (e) Die Durchführungsbedingungen für einen Sprechakt: Der Sprecher S hat die Absichti, durch die Äußerung von dem Hörer oder Adressaten H zu erkennen zu geben, dass Vsps,K,t,L (ß)', S hat die Absicht2, dass H die Absicht! durch S1 Äußerung von erkennt; und S hat die Absichta, dass sich bei H aufgrund von S1 Äußerung von der perlokutionäre Effekt, dass S sich zu der in p ausgedrückten Handlung h verpflichtet hat, einstellt. Eine umfassende Theorie der Sprechakte einer Sprache bestände in der Spezifikation der Bedingungen (a)-(e) für jeden möglichen Sprechakt. Eine empirische Erfassung aller Sprechakte einer Sprache blieb jedoch aus, da eben Sprechakte und nicht Sprechakt-benennende Nomina (»Behauptung«, »Befehl«, »Versprechen«, ...) zu klassifizieren sind, also Handlungsmöglichkeiten innerhalb einer zunächst ethnologisch vollständig zu erfassenden Kultur: man muss z.B. erst ermitteln, inwiefern soziale Hierarchien bestehen, um den Sprechakt des Befehlens feststellen zu können. Da es (aus hier nicht dargestellten hermeneutischen Gründen) solche umfassenden ethnologischen Beschreibungen nicht gibt, sind die Linguisten
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schlicht überfordert.27 Außerdem erfolgt die tatsächliche Kommunikation weit weniger stereotyp als in der Sprechakttheorie dargestellt. Grice und Searle haben diesbezüglich noch Überlegungen zu einer Theorie der so genannten Implikaturen oder indirekten Sprechakte skizziert, in der erläutert wird, warum man auf die Frage »Entschuldigen Sie, haben Sie vielleicht eine Uhr?« nicht mit »Ja«, sondern mit Angabe der Uhrzeit reagiert, oder warum es tatsächlich sinnvoll ist, auf die Frage »Gehen wir heute abend ins Kino?« mit »Ich muss noch für eine Prüfung lernen« zu antworten.28 4.4. Ersetzt man das »J1 meint, das b« (Abschnitt 4.1) durch »S will sagen: FS,K,I,L (/>)« (Abschnitt 4.2), kann abschließend die Struktur derjenigen Absichten, die ein Sprecher erfüllen muss, damit ein Kommunikationsversuch gelingt^ angegeben werden (Fn, Fn): Sprecherabsichten: Wenn ein Sprecher S eine Äußerung im Hinblick auf einen Hörer H in einem Kontext K, in dem sich S und H befinden, bedeutungsvoll hervorbringt, dann erfüllt S folgende Bedingungen: (a) S hat die Absichti, H auf verständliche Weise zu sagen, dass FS,K,I,L (ß), indem S durch die Äußerung von gemäß den betreffenden und S und H bekannten Konventionen der Sprache L· den propositionalen Gehalt p in einem propositionalen Akt und die illokutionäre Kraft F so in einem illokutionären Akt ausdrückt, dass damit auch der zu F passende perlokutionäre Akt zustande kommt; dies ist nur möglich, wenn S im lokutionären Akt eine zu FS,K,I,L (p) passende lokutionäre Struktur hervorbringt; (b) S hat die Absichti, dass H die Absichti durch J1 Äußerung von erkennt; (c) S hat die Absichts, dass sich bei H aufgrund der Äußerung von und der darin involvierten illokutionären Kraft F sowohl der zu F gehörende illokutionäre Effekt IE als auch der entsprechende perlokutionäre Effekt PE einstellt.
5. Das Verstehen (oder Interpretieren) von Äußerungen durch den Hörer 5.1. Um darzulegen, dass der Beitrag des Hörers zum Gelingen einer Kommunikation sich von dem des Sprechers unterscheidet, werde ich mich an Donald Davidsons Interpretationsuieotie orientieren, die dieser im Rahmen einer konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung mit Überlegun27 Zu hermeneutischen Aspekten der Kommunikation, s. Kober: Bedeutung, S. 337-384. 28 Grice: Studies, S. 22-40; Searle: Expression, S. 30-57; s. auch Sökeland: Indirektheit.
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gen von Willard V. Quine entwickelte.29 D.h., Davidson übernimmt zwar das Standardbeispiel einer Verstehens-Situation von Quine (d.i. die Situation der radikalen Interpretation, Abschnitt 5.2.), deutet sie jedoch anders als Quine; dennoch werden einige der Theorieversatzstücke, die Davidson von Quine übernimmt, auch hier dargestellt werden. Zuvor noch einige historische Anmerkungen: Während Grice und Searle kraft ihrer eigenen Sprecherkompetenzen gleichsam introspektiv die Sprecherabsichten aus der l .-Person-Perspektive rekonstruieren (sie argumentieren für ihre Behauptungen mit einer Art Plausibilitäts-Appell an die jeweils eigene Sprachkompetenz ihrer Leser; vgl. Abschnitt 4.), war für konsequente Empiristen in der Tradition des Wiener Kreises (Abschnitt 1.1.) ein solch intuitiver, intersubjektiv nicht testbarer Zugang zu den Phänomenen des Mentalen und der Bedeutung (zumindest bis zu Beginn der 1980er Jahre) verpönt. Empiristen betrieben deswegen ihre sprachphilosophischen Reflexionen beinahe ausschließlich aus der 3.-Person-Perspektive: Sie untersuchten, wie eine von einem anderen Sprecher hervor gebrachte Äußerung verstanden werden kann, und dazu gehört auch, eine semantische Strukturbeschreibung der entsprechenden Äußerung angeben zu können. Quine, der dieser Tradition entstammte, hielt jedoch um 1950 Carnaps logisch-semantischen Ansatz für methodisch inkonsistent, da dieser noch zu viele >nicht-empirische< Elemente enthalte, z.B. die Akzeptanz der Unterscheidung von analytischen und synthetischen Sätzen. In >Two Dogmas of Empiricism< argumentierte Quine auf >vertrackte< und systematisch nicht zwingende Weise, dass kein für Empiristen akzeptables Kriterium bekannt sei, das es erlaube, analytische Sätze zu identifizieren, d.h. Sätze, die wahr sein sollen allein kraft der Bedeutung der in ihnen vorkommenden Ausdrücke und der Art ihrer bedeutungsrelevanten syntaktischen Anordnung (wie z.B. »Junggesellen sind unverheiratete Männer«).30 Da analytische Sätze aber auch dazu dienen, Bedeutungsangaben zu formulieren (Fa, FT), schlug Quine folgerichtig vor, auf die Begriffe der Analytizität und der Bedeutung in einer seriösen, d.i. empirisch akzeptablen Theorienproduktion zu verzichten. Sein berühmtes »Gavagak-Beispiel (s.u.) sollte dann (um 1960) diese These besser begründen: man solle auf
29 Das Phänomen der Interpretation wird vornehmlich in der Philosophischen Hermeneutik reflektiert (Heidegger, Gadamer). Analytische Philosophen beschäftigten sich nur selten damit (ein Ausnahme ist Gomperz: Interpretation), da sie das Phänomen des Verstehens zumeist als üblichen psychischen Zustand oder als Disposition des Gehirns fehl deuteten (s. Abschnitt 3.1.). Wittgenstein und Davidson bestanden hingegen darauf, Verstehen als Ausdruck einer Handlungskompetenz zu konzipieren (s. FU -F 15 ). 30 Quines Argumentation wird in Koppelberg: Aufhebung, S. 103-194 verständlich dargestellt.
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den Begriff der Bedeutung gänzlich verzichten, weil die Bedeutung sprachlicher Zeichen empirisch prinzipiell indeterminiert sei (Fe). Davidson griff Quines Argumentationsweise auf und stimmte der Indeterminiertheitsthese zu. Aber Davidson ist kein Empirist mehr, weil er meint, man könne Semantik, also das Studium der Wahrheitsbedingungen von Sätzen, ohne den normativen Wahrheitsbegriff überhaupt nicht betreiben (Abschnitt 3.1.). Folglich hätte man als Semantiker den Bereich des konsequenten und entsprechend beschränkten Empirismus ohnehin schon verlassen. Für Davidson, der die 3.-Person-Perspektive beibehält, besteht Sprachphilosophie hauptsächlich aus der Reflexion dessen, was ein Hörer oder Interpret tun muss, damit er eine Äußerung eines anderen Sprechers verstehen kann: Er muss eine Interpretationshypothese für diese Äußerung entwickeln (Fn). Eine Interpretationshypothese ist die Angabe der Bedeutung eines zu verstehenden Satzes mittels eines anderen Satzes b, der vom Interpreten verstanden wird. Verstehen heißt nach Davidson demnach, einem unverstandenen Satz die verständliche Bedeutungsangabe b zuordnen zu können (die introspektiv gerichtete Frage, inwiefern ein Interpret seinen eigenen Satz b versteht, beantwortet Davidson nicht; er geht ohne weitere philosophische Erklärung davon aus, dass wir uns selbst im Normalfall unmittelbar verstehen, uns selbst also nicht erst interpretieren müssen).31 Allerdings diskutiert Davidson als Erbe der semantischen Tradition nur einen Spezialfall von Interpretationshypothesenerstellung: Seine Interpretationstheorie befasst sich nur mit Behauptungssätzen, die wahr oder falsch sein können; ich werde daher in Abschnitt 5.5. Davidsons Ansatz noch modifizieren müssen. 5.2. Was bei der Erstellung einer Interpretationshypothese zu beachten ist, kann sehr anschaulich am Gedankenexperiment der so genannten radikalen Interpretation erläutert werden:32 Eine Ethnologin kommt auf einem bisher völlig unerforschten Terrain in Kontakt mit einem bisher völlig unbekannten Eingeborenenstamm, der eine bisher völlig unbekannte Sprache spricht und in dem prima facie bisher völlig unbekannte Hand31 Vgl. Davidson: Aspect, S. 3f und Davidson: Subjective, S. 34-38; s. Kober: Bedeutung, S. 349-384. 32 Die folgende Situation, von Quine mit »radikaler Übersetzung« bezeichnet, zielt auf ein Verstehen der Eingeborenen durch eine Ethnologin ab, die die Äußerungen und nonverbalen Handlungen der Eingeborenen deuten will. Dafür hat Davidson den Terminus »Interpretation« reserviert. Davon unterschieden ist die bloße Übersetzung einer Äußerung einer Sprache in eine Äußerung einer anderen Sprache, ohne dass der Übersetzer diese Äußerungen auch verstehen können muss: so kann man vielleicht herausfinden, dass Sprecher des Finnischen genau dann »Minä pidän oluesta« sagen, wenn Sprecher des Norwegischen »Jeg liker 01« äußern; man kann nun den einen Satz des Finnischen in den des Norwegischen übersetzen (und umgekehrt), ohne zu wissen, dass diese Sätze »Ich mag Bier« bedeuten (vgl. Davidson: Inquiries, S. 126).
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lungspraktiken ausgeübt werden. Keinerlei Interpretationshilfen stehen der Ethnologin zur Verfügung. Ihr bleibt nur, das Verhalten der Eingeborenen zu beobachten und dieses als bedeutungsvolles Handeln zu interpretieren zu versuchen. Angenommen nun, die Ethnologin steht mit einem Eingeborenen auf einer Wiese, auf der plötzlich und für beide sichtbar ein Kaninchen vorbeihüpft. In offensichtlicher Reaktion auf das Kaninchen sagt der Eingeborene »Gavagai«, und die (wie sich zeigen wird) sprachphilosophisch versierte Ethnologin formuliert daraufhin als Interpretationshypothese: »Der Satz >Gavagai< ist in der Sprache der Eingeborenen genau dann wahr, wenn da ein Kaninchen ist«. Wegen des radikalen Mangels an Vorkenntnissen über die Eingeborenen-Kultur und -Sprache ist die Ethnologin zu einer methodischen Behavioristin geworden: ihr bleibt nur die Möglichkeit, das Sprachverhalten der Eingeborenen in bestimmten Situationen zu beobachten und als bedeutungsvollen Sprechakt zu deuten, und zwar durch Inanspruchnahme der eigenen Sprach- und Handlungskompetenz, mittels derer sie sich in den jeweiligen Situationen in die Rolle eines sprechenden Eingeborenen >hinein projiziert< (Empathie) (Fu). Davidson stellt heraus, dass der methodische Behaviorismus nicht nur in der Situation der radikalen Interpretation angewandt wird, sondern grundsätzlich in jeder Kommunikationssituation befolgt werden muss, denn stets stehen uns nur die Daten über die Beobachtung des verbalen Verhaltens anderer Sprecher zur Verfügung (dann freilich zumeist in Situationen, die uns kulturell bekannt sind).33 »Behaviorismus« bedeutet hier allein die Akzeptanz des Faktums, dass sowohl die Ethnologin bei der radikalen Interpretation als auch wir als Interpreten in einer alltäglichen Kommunikationssituation lediglich die Verhaltensdaten als Grundlage für die Erstellung einer Interpretationshypothese zur Verfügung haben (das Lesen gedruckter Sätze gehört auch dazu). Es bedeutet keinesfalls, dass einem Sprecher geistige Zustände abgesprochen werden (das wäre ein unplausibler ontologischer Behaviorismus), vielmehr besteht eine Interpretation ja gerade darin, dass jenem sprechenden Organismus< der Wunsch zur bedeutungsvollen Kommunikation zugeschrieben wird.34 Kraft der eigenen Handlungs- und Sprachkompetenz verfügt ein Interpret außerhalb der radikalen Interpretation über eine Art Ausgangstheorie hinsichtlich des beobachteten sprachlichen Handelns, d.h. eine Art allgemeine Erwartung, auf welche Weise ein Sprecher einer bestimmten Sprache im jeweiligen Kontext seine Zeichen verwendet. Angesichts der zusätzlich verfügbaren Kontextinformationen (Situation, Alter, Geschlecht,
33 Davidson: Inquiries, S. 125. 34 Mehr zur radikalen Interpretation und zum methodischen Behaviorismus in Kober: Bedeutung, S. 171-197.
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soziale Rolle des Sprechers u.a.) wandelt der Interpret diese Ausgangstheorie ab und ergänzt sie: er erstellt in Ertveiterungstheonen eingebettete Interpretationshypothesen, mittels derer er das jeweilige spezifische Verhalten des Sprechers als sinnvolles Handeln zu deuten versucht (s. auch die Abschnitte 5.4.f.).35 Das heißt, die Interpretation findet allein durch die Erstellung von Enveiterungstheorien statt. Aufgrund neuer Informationen zu späteren Zeitpunkten können dann frühere Interpretationshypodiesen bestätigt oder revidiert werden (Fn). Ein allgemeines Kriterium, das anzeigt, dass eine Interpretation definitiv richtig ist, gibt es nicht, denn jede neue Interpretationssituation hat aufgrund der jeweils neuen Kontextgebundenheit immer wieder neue Ansprüche zu erfüllen, und es gilt, immer wieder neue Erweiterungstheorien zu entwickeln. In der Situation der radikalen Interpretation besteht die Ausgangstheorie darin, dass die Ethnologin glaubt, dass man sich nur über etwas verständigen kann, was beiden Gesprächsteilnehmern sinnlich präsent ist; im Rahmen ihrer Erweiterungstheorie unterstellt sie dem Eingeborenen dann, dass er sich in Form eines Behauptungssatzes auf das vorbeihüpfende Kaninchen bezieht. Zum methodischen Behaviorismus gehört auch die Überzeugung, dass das Äußern eines Satzes als Ausdruck der Zustimmung zum propositionalen Gehalt dieses Satzes verstanden werden darf. Eine Zustimmung zu Sätzen bzw. ein Für-wahr-Halten von Sätzen gilt daher als intersubjektiv beobacht- und überprüfbar — auch wenn es sich dabei bereits schon um eine Deutung von Verhalten handelt (dies nicht gesehen zu haben ist neben der nicht bemerkten Normativität des Wahrheitsbegriffs eine weitere Inkonsistenz im Empirismus Quines). Daraus folgt in der Situation der radikalen Interpretation, dass die Ethnologin dem Eingeborenen unterstellen darf, mit »Gavagai« einen Behauptungssatz zu äußern, den der Eingeborene in der gegebenen Situation für wahr hält (damit wird dem Sprecher der mentale Zustands einer Überzeugung zugeschrieben) und der wegen der Empathie der Ethnologin auch von ihr selbst für wahr gehalten werden sollte (Principle of Charity, s.u.). Weil der Satz »Gavagai« unter den geschilderten Umständen genau dann wahr ist, wenn da ein Kaninchen in der Nähe ist, ergibt sich als Interpretationshypothese innerhalb der Erweiterungstheorie: Der vom Sprecher S gesprochene Satz »Gavagai« ist wahr zum Zeitpunkt t im Kontext K gemäß der Eingeborenensprache L genau dann, wenn da (in K) ein Kaninchen ist.36 Kurz: »Ga-
35 Ausgangs- und Erweiterungstheorie (prior and passing theory) gemäß Davidson: Derangement, S. 442-449. 36 Einwänden, dass in der Angabe des Kontextes K schon enthalten sein könnte, wer der Sprecher S ist, welche Sprache L gesprochen wird oder wann der Zeitpunkt / anzusetzen ist, kann stattgegeben werden; ein Ort o darf ergänzt werden. Es wurden oben le-
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vagai« ist wahrj(^/,L gdw. da ein Kaninchen ist (es wifd hier und im Folgenden unterstellt, dass die Interpretationshypothese richtig ist). Da dieses Verfahren nicht für den einen bestimmten Satz in der Situation des radikalen Interpretation gilt, sondern im Prinzip für alle von anderen Sprechern geäußerten (Behauptungs-) Sätze, kann man als allgemeines Schema für Interpretationshypothesen auch schreiben: >»r« ist wahr.y.K./.L gdw. b. In diesem Schema werden dem Satz >xxx< die Wahrheitsbedingungen b als Interpretation von >m< zugeordnet. Da in der Semantik seit Wittgensteins >Tractatus< allgemein akzeptiert wird, dass man einen Behauptungssatz genau dann versteht, wenn man weiß, unter welchen Bedingungen er wahr ist (Abschnitt 1.1.), kann man nun auch sagen, dass mit b dasjenige angegeben wird, was man kennen oder verstehen muss, um den Satz »x« zu verstehen (Fu). Dabei gilt, dass »x« ein Satz der zu verstehenden Quellenoder Objektsprache ist, über den in einer für den Interpreten verständlichen Meta- oder Interpretationssprache gesprochen wird, und zwar in diesem Fall darüber, unter welchen Bedingungen er wahr ist. Davidson bemerkt, dass das Schema die Form der schematischen Wahrheitsdefinition von Tarski angibt, der so genannten Konvention W (mit »W« für »Wahrheit«).37 Davidson gibt der Tarski'schen Wahrheitstheorie jedoch eine neue Deutung.38 Denn Tarski war davon ausgegangen, dass man Meta- und Objektsprache kennt und sich mittels Konvention W ein Wahrheitsprädikat in der Metasprache für Sätze aus der Objektsprache definieren kann. Davidsons Verwendung von Konvention W hingegen setzt voraus, dass man die Meta- oder Interpretationssprache bereits kennt oder beherrscht, und zwar einschließlich des Wahrheitsprädikats, um auf dieser Basis im Rahmen des methodischen Behaviorismus die Bedeutung bzw. die Wahrheitsbedingungen von Sätzen der Objektsprache zu ermitteln, also eine Interpretationshypothese für objekt- oder quellensprachliche Sätze zu entwickeln. 5.3. Quine zeigte mittels seiner (für jede Interpretationstheorie relevanten) These von der Indeterminiertheit der Bedeutung, dass der interpretatorische Zugriff auf objektsprachliche Sätze gemäß den unumgänglichen Bedingungen des methodischen Behaviorismus zur Folge hat, dass für jeden gegebenen Satz — und, wie noch ersichtlich wird: auch für alle singulären und generellen Termini — nicht >die eine richtige< Interpretation entwickelt diglich diejenigen Parameter explizit aufgeführt, bei denen eine explizite Relativierung sich als nützlich erwiesen hat. 37 Tarski: Wahrheitsbegriff, S. 476f; Tarski: Grundlegung, 396-400; Davidson: Inquiries, S. 23. 38 Was Davidson selbst herausstellte: Davidson: Inquiries, S. xiv, 134,150,173.
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werden kann, sondern dass sich jedem Sat2 prinzipiell viele verschiedene, einander unverträgliche Bedeutungen einer Äußerung zuordnen lassen (Fe, p9). Dies wird im Hinblick auf die Situation der radikalen Interpretation einsichtig, wenn man die Bedeutungsbestimmung des Satzes »Gavagai« weiter zu präzisieren versucht und sich vergegenwärtigt, dass wir dazu neigen, ein Kaninchen z.B. als einen Gegenstand oder ein Ding zu betrachten; insofern sind unsere Äußerungen auch mit einer Ding-Ontologie und einer Ding-Semantik verknüpft. Berücksichtigt man dies bei einer Interpretationshypothese gemäß Konvention W, ergibt sich: »Gavagai« ist wahrs^L gdw. da ein Kaninchen-Ding ist. Aber es kann durchaus der Fall sein, dass die Eingeborenen die Welt anders betrachten: Sie sehen die Welt vielleicht nicht als eine Gesamtheit von Dingen, sondern als eine Gesamdieit von bestimmten Stadien von überall waltenden Prozessen. Folglich könnte es auch heißen: »Gavagai« ist wahrj-,K,/,L gdw. da ein Stadium eines Kaninchenprozesses ist. Die Welt könnte aber auch aus Instantiierungen von abstrakten Wesenheiten bestehen, oder aus jeweiligen Ausschnitten von Gesamtfusionen, die unter Umständen den Bezug von Begriff sWörtern abgeben. Oder Kaninchen werden zwar als Dinge, aber ausschließlich als vollständig zusammengesetzte Dinge gesehen. Folglich gibt es unter denselben Kontext- oder Äußerungsbedingungen auch noch folgende mögliche Interpretationshypothesen: »Gavagai« ist wahry^L gdw. da eine Instantiierung der Kaninchenheit ist. »Gavagai« ist wahry,K,/,L gdw. da ein Ausschnitt aus der Kaninchengesamtfusion ist. »Gavagai« ist wahrs^L gdw. da eine Zusammensetzung nicht abtrennbarer Kaninchenteile ist. Es ist nur eine Frage der Fantasie, sich weitere Möglichkeiten auszudenken. Entscheidend ist, dass sich gemäß des methodischen Behaviorismus unter keinen Umständen eine bessere Bedeutungsbestimmung erreichen lässt. Denn angenommen, die ontologische Grundkategorie wird bei jenen Eingeborenen nicht »Ding«, sondern »Plong« genannt, dann kann man auf Kaninchen und andere Plongs zeigen und die Eingeborenen fragen, ob das ein Plong ist. Die Eingeborenen werden bei genau allen Dingen zustimmen, dass sie ein Plong sind. Doch es lässt sich mit den Mitteln des methodischen Behaviorismus nicht herausfinden, ob sie sich mit »Plong« auf Dinge, Stadien in Prozessen, Instantiierungen von abstrakten Wesenheiten oder Anderes beziehen, da die Bedingungen des Zustim-
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mens oder Ablehnens jeweils identisch sind. Folglich bleibt sowohl die Ontologie als auch die Bedeutungsbestimmung gemäß den Möglichkeiten des unverzichtbaren methodischen Behaviorismus prinzipiell indeterminiert: Für jede Äußerung gibt es pnnsgpiell immer mehr ah nur eine mögliche Interpretation (p4, Fe).39 Quine hält es für sinnlos, sich zu fragen, wie die Eingeborenen Kaninchen denn nun wirklich konzipieren, da man dies nicht herausfinden kann und man Kaninchen hinsichtlich jeder Ontologiekonzeption ohnehin unterschiedslos behandelte oder über sie redete (anders wäre es, würden die Eingeborenen Kaninchen als heilige Tiere betrachten und sich z.B. weigern, diese zu schlachten; eine solche Sichtweise ist auch mittels des methodischen Behaviorismus bestimmbar). Da Quine meinte, dass in den seriösen Wissenschaften nur dasjenige akzeptiert und begrifflich erfasst werden sollte, was sich auch eindeutig identifizieren lässt (sein der Praxis der Mathematik entnommener Slogan »no entity without identity« bedarf allerdings noch einer Begründung), die Bedeutung eines Satzes aber nicht eindeutig determiniert werden kann, schlug Quine vor, auf den Begriff der Bedeutung in den Wissenschaften zu verzichten. Da die Situation der radikalen Interpretation im Hinblick auf den methodischen Behaviorismus prinzipiell nicht verschieden von jeder anderen Kommunikationssituation ist, ergibt sich die prinzipielle Indeterminiertheit der Bedeutung einer Äußerung nicht nur beim Kontakt mit äußerst fremden Kulturen, sondern auch schon mit anderen Sprechern der eigenen Sprachgemeinschaft. Denn mein Nachbar kann sich mit »Kaninchen« auf ein Ding, ein Stadium eines Kaninchenprozesses, eine Instanitiierung einer Kaninchenheit usw. beziehen, und zwar selbst dann, wenn er diesbezüglich nur von »Dingen« spricht, denn die Wahrheitsbedingungen von »Ding« sind auch bei ihm identisch mit denen von »Plong«. Und so verhält es sich auch mit meinen eigenen Äußerungen.40 Zwar kann ich aufrichtig der Überzeugung sein, ich beziehe mich mit »Kaninchen« stets nur auf Dinge, und mit »Ding« meine ich eben Dinge und nicht Instantiierungen usw., aber ich kann mich über meine eigenen Überzeugungen täuschen und eben immer nur glauben, dass ich mich auf Dinge und nicht auf ... beziehe: Mein intersubjektiv beobachtbares Sprachverhalten ist auch mit den anderen ontologischen Möglichkeiten vereinbar (vgl. Abschnitt 2.1.). Diese Überlegungen haben Auswirkungen auf eine Theorie über die Beziehung von Sprache und Wirklichkeit (Fg, FQ). Gemäß der klassischen Interpretation der Logik sind es ja allein die singulären Termini, die sich
39 Klassisch in Quine: Word, S. 26-79, ein wenig verständlicher in Quine: Relativity, S. , 29-45. Die Klarstellung »Indeterminacy means not that there is no acceptable translation, but that there are many« findet sich in Quine: Indeterminacy, S. 9. 40 Diese Radikalisierung der Indeterminiertheitsthese erfolgte in Quine: Relativity, S. 46f.
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auf die Welt beziehen (Abschnitt 1.2.), und intersubjektiv bestimmbar ist deren Bezug zur Welt auch nur im Rahmen des methodischen Behaviorismus bei der Bestimmung der Wahrheitsbedingungen ganzer Sätze (»Gavagai« ist ein Ein-Wort-Satz; s. >Prioritätsprinzip des Satzes< in Abschnitt .2.). Eine semantische Strukturbeschreibung für den englischen Satz »Wilt is tall« (Davidsons Beispiel in Anspielung auf den Basketballer Wilt Chamberlain) z.B. lässt sich mit »Tw« angeben,41 wobei sich »w« auf etwas in der Wirklichkeit bezieht, von dem prädiziert wird, dass es T ist. Weil sich aber immer nur ein ganzer Satz hinsichtlich seiner Wahrheitsbedingungen überprüfen lässt, kann man den Bezug des singulären Terms >verschiebem (d.h. der singuläre Terminus wird hinsichtlich seines Bezugs uminterpretiert), sofern sich diese >Verschiebung< durch eine Uminterpretation des generellen Terms wieder rückgängig machen lässt. Statt also zu sagen, der Satz »Wilt is tall« enthalte einen singulären Term »Wilt«, der sich auf das Ding Wilt Chamberlain bezieht, von dem prädiziert wird, dass es groß sei, kann man auch sagen, der singuläre Term »Wilt« beziehe sich auf den Schatten des Wilt Chamberlain-Dings, von dem dann prädiziert werde, dass es der Schatten eines großen Dings wäre. Auf diese Weise (und unter der Annahme, dass alle Dinge auf der Welt genau einen Schatten besitzen) ist es bei der im methodischen Behaviorismus geforderten Beibehaltung der Wahrheitsbedingungen immer möglich, für alle singulären Termini einer Sprache ihren jeweiligen Bezug zur Wirklichkeit systematisch zu >verschiebenuminterpretiert< werden. Folglich kann man zwar sagen, dass sich Sprache auf die Wirklichkeit bezieht und dass sich wegen dieses Bezugs zwei Sprecher mittels Sprache über die Wirklichkeit auch verständigen können — ja man kann sogar sagen, dass bei der Überprüfung der Wahrheit von Behauptungssätzen in einer Beobachtungs- oder Wahrnehmungssituation unter anderem auch eine kausale Beziehung zwischen dem Äußern eines Beobachtungssatzes und einem Ausschnitt aus der Wirklichkeit bestehen muss —, aber eine genaue Bestimmung des Bezugs von Sprache und Wirklichkeit ist prinzipiell nicht möglich; man nennt dies die These von der Unetforschlichkeit der Referen^ (Es, FS, Fg).42 5.4. Über diese genuin semantischen Probleme hinaus reflektiert Davidson auch darüber, was ein Hörer oder Interpret tun muss, um in einer Erweiterungstheorie zu einer adäquaten Interpretationshypothese zu gelangen. Seine These lautet, dass der Interpret das so genannte Prindple of Chanty befolgen muss: »Interpretiere die Äußerung eines Sprechers stets
41 Davidson: Inquiries, S. 230. 42 Die Argumentation qua Verschiebefunktion (proxy function) geht zurück auf Quine: Relativity, S. 55-62, Quine: Theories, S. 19 und Quine: Pursuit, S. 31-33, 50-52.
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so, dass es gemäß deiner (des Interpreten) eigenen Standards aus Sicht des Sprechers rational ist, diese Äußerung im gegebenen Kontext zu diesem Zeitpunkt hervorzubringen« (Fu).43 Neben einer vom Interpreten zu erstellenden Konzeption über das Weltbild des Sprechers im Hinblick auf den Kontext der Äußerung (was sagt man sinnvollerweise in welcher Situation?) umfasst das Principle of Charity sowohl ein Kohärenzprinzip, das vom Interpreten verlangt, dem Sprecher logische Konsistenz zu unterstellen, als auch ein Korrespondenzprinzip, das den Interpreten veranlasst, dem Sprecher nur Sätze zuzuschreiben, die mit der Wirklichkeit im Einklang stehen (bei der Interpretation von Behauptungssätzen, z.B. »Gavagai«, heißt dies insbesondere, dass dem Sprecher nur die Äußerung von wahren Sätzen zugeschrieben werden sollten, und zwar wahr aus Sicht des Interpreten).44 Ganz offensichtlich stellt das Principle of Charity keine detaillierte Handlungsanweisung dar, sondern formuliert lediglich eine Art Aufforderung (»methodological advice«) an den Interpreten, welche Haltung er einnehmen sollte, um einen Sprecher (oder Autoren) verstehen zu können.45 Denn man wird niemals von Anderen etwas erfahren oder lernen können, unterstellte man ihnen nicht, sie würden auch etwas Wahres oder Interessantes sagen. Folglich ist es ratsam, Interpretationshypothesen, die für den Interpreten falsch oder bizarr klingen, durch Weiterentwicklung der jeweiligen Erweiterungstheorie so lange zu modifizieren, bis die dem Sprecher zugeschriebene Äußerung auch für den Interpreten wahr oder interessant ist. Auf diese Weise können in einer Erweiterungstheorie Versprecher bei der Äußerung behoben oder ideosynkratische Ansichten in die Interpretation integriert werden. Äußert z.B. ein Sprecher den Satz »Wagner starb glücklich« und hat man als Interpret aufgrund weiterer Hinweise herausgefunden, dass der Sprecher stets Wagner mit Mahler verwechselt, dass er »glücklich sein« mit »reich und berühmt sein« definiert und dass er in der Tat der Meinung ist, dass Mahler reich und berühmt war, als er starb, dann lautet die entsprechende Interpretationshypothese in der Erweiterungstheorie: >»Wagner starb glücklich^ ist wahrs,K,t,Deutsch gdw. Mahler reich und berühmt war, als er starb«. Freilich gilt, dass sich nicht entscheiden lässt, ob ein Sprecher wirklich einen Fehler gemacht hat (er sich also irrte) oder ob die bisher erstellten Interpretationshypothesen einfach nur noch nicht gut genug waren.46
43 Davidson: Inquiries, S. 136-139. Davidson selbst formuliert das Principle of Charity allerdings nie aus; eine Begründung dazu findet sich in Kober: Bedeutung, S. 224. 44 Davidson: Subjective, S. 211. 45 Davidson: Inquiries, S. 137. 46 »[E]rror is hard to identify«, Davidson: Subjective, S. 47.
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Es sind in der Tat die Wahrheits- und Rationalitätsstandards des Interpreten, die bei der Erstellung der Interpretationshypothese zugrunde gelegt werden: Was anderes als das eigene Weltbild zum Ausgangspunkt der Interpretationsversuche zu machen, ist dem Interpreten überhaupt nicht möglich (vgl. die radikale Interpretation). Folglich wird das Weltbild des Interpreten zwar bei der Erstellung einer Interpretationshypothese in Anspruch genommen, in ihr selbst jedoch nicht thematisiert. Allerdings kann sich ein Interpret im Laufe der Interpretation auch nach und nach in das Weltbild der zu interpretierenden Sprecher >eindenkenTractatus< ist er aber keinesfalls der Meinung, dass sämtliche sinnvolle Äußerungen in natürlichen Sprachen nur aus Behauptungssätzen bestehen, denn sprechakttheoretische Überlegungen sind ihm sehr wohl vertraut.49 Aber da eine systematische Ausarbeitung der Sprechakttheorie nicht in Sicht ist (s. Abschnitt 4.3.), eine Modellierung in Analogie zu formalen Semantiken wegen der prinzipiellen Kontextgebundenheit jeder Äußerung auch gar nicht möglich ist, möchte er diesbezüglich auch gar nichts sagen (persönliche Mitteilung Davidsons). Dennoch kann man sich an einer Modifikation seines sich auf Behauptungsäußerungen beschränkten Ansatzes durch eine geeignete, alle Sprechakttypen umfassende Erweiterung von Konvention W versuchen. Das »ist wahr« in Konvention W bezieht sich sinnvollerweise nur auf den propositionalen Gehalt von Behauptungssätzen oder assertiven Sprechakten. Will man Sprechakte im Allgemeinen untersuchen, muss das »ist wahr« durch ein geeignetes Prädikat ersetzt werden, denn Sprechakte sind nicht wahr oder falsch, sondern als Handlungen erfolgreich oder fehl-
47 Davidson: Inquiries, S. 137. 48 Diese These wird in Davidson: Inquiries, S. 183-198 begründet (s. dazu Kober: Bedeutung, S. 237-245). 49 Davidson: Inquiries, S. 109-121.
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geschlagen. Entsprechend muss Konvention W bzw. »Der propositionale Gehalt von >x< ist wahrj^L gdw. ...« in »Der mittels Äußerung >x< vollzogene Sprechakt FS,K,I,L (p) ist erfolgreich gdw. ...« umformuliert werden. Rechts von »gdw.« sind dann freilich über die Angabe der Bedeutung von hinaus auch noch die weiteren Bedingungen für den Erfolg eines Sprechaktes zu spezifizieren. Ohne hier alle nötigen Schritte im Einzelnen zu motivieren (sie sollten im Hinblick auf die in Abschnitt 4 eingeführte Terminologie plausibel sein), gelangt man so zu folgender Formulierung eines Schemasfür Interpretationshypothesen (F$, F?, Fu):50 Wenn ein Sprecher S beabsichtigt, einen zu seinem eigenen mentalen Zustand Ms passenden Sprechakt mit der Struktur Fs,K,t,L (p} auszuführen, dann ist die Äußerung von S im Kontext K zum Zeitpunkt / gemäß den Konventionen der Sprache L· und gemäß des Weltbildes Ws von S genau dann ein erfolgreicher Sprechakt, wenn (a) S1 Sprechakt FS,K,I,L (p) mittels der Äußerung besagt, dass b [b ist die Interpretation von x], (b) Sprecher S zum Zeitpunkt / den mentalen Zustand MS hat und Mj· tatsächlich bei expressiven Sprechakten gegeben ist, bei assertiven Sprechakten erfüllt ist [der propositionale Gehalt p von ist demnach wahr] oder bei direktiven, kommissiven und deklarativen Sprechakten nach der Äußerung von erfüllt wurde, und (c) die vom Sprecher S beabsichtigten illokutionären und perlokutionären Effekte IE und PE sich im Hinblick auf den Hörer oder Adressaten H einstellen aufgrund von J1 Äußerung von x. Als Beispiel mag die Bitte »Könnten Sie bitte das Fenster öffnen«, geäußert von Kurt in einem passenden Kontext K, dienen. Dieser direktive Sprechakt war erfolgreich genau dann, (a) wenn Kurt damit in Kontext K die Bitte an einen bestimmten Adressaten, ein bestimmtes Fenster zu öffnen, meinte, (b) Kurt sich während der Bitte tatsächlich in dem mentalen Zustand des Wunsches nach einem geöffneten Fenster befand, und das Fenster dann vom Adressaten nach der Bitte auch geöffnet wurde, und (c) das Fenster vom Adressaten geöffnet wurde allein wegen der von Kurt geäußerten Bitte. Um den dem Sprechakt zugrunde liegenden mentalen Zustand des Wunsches von Kurt zu verstehen, ist vom Interpreten auch noch in die Analyse des Sprechakts selbst (links vom »gdw.«) mit aufzunehmen, dass es zu Kurts Weltbild gehört, dass man unangenehm stickige Luft in einem Raum mittels des Öffnens eines Fensters durch Frischluft austauschen kann.
50 S. dazu Kober: Bedeutung, S. 316-324 und Kober: Structure, S. 22-26.
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Natürlich ist ein Sprechakt nicht immer erfolgreich und kann dennoch von einem Interpreten verstanden werden. Z.B. kann man verstehen, mittels einer Äußerung gebeten worden zu sein, ein Fenster zu öffnen, sich aber weigern, dieses zu öffnen. Der Beitrag, den ein Hörer oder Interpret zum Gelingen eines Kommunikationsversuchs beisteuern kann, d.h. die Angabe derjenigen Absichten, die ein Hörer oder Interpret erfüllen muss, damit ein Kommunikationsversuch gelingt, lässt sich folgendermaßen spezifizieren (Fu): Hörerabsichten: Will ein Hörer oder Interpret H eine Äußerung eines Sprechers S verstehen [d.h. beim Hörer muss sich zumindest der richtige illokutionäre Effekt einstellen] — wobei von S weitgehend korrekt nach den im Kontext K betreffenden konventionellen Regeln der Sprache L hervorgebracht worden ist —, dann muss H folgende Bedingungen erfüllen: (a) H muss S* Äußerung von als einen Kommunikation s versuch von S erkennen wollen (die Äußerung von fällt demnach unter das Principle of Charity; dazu gehört auch, erkennen zu wollen, wie S den Kontext K gemäß seines Weltbildes Ws konzipiert); (b) H muss die illokutionär-propositionale Struktur FS,K,I,L (ß) von erkennen wollen (wozu auch gehört, die lokutionäre Struktur von erkennen zu wollen), und (c) H muss erkennen wollen, welche illokutionären Effekte IE und welche perlokutionären Effekte PE von S beabsichtigt sind.
6. Die Konstitution sprachlicher Bedeutung Angesichts der Tatsache, dass allein von einem Sprecher produzierte Geräusche oder von einem Autor niedergeschriebene Konstellationen von Tinte, Kreide etc. empirisch beobachtbar sind — also materielle Manifestationen, die kraft ihrer physikalischen Eigenschaften allein gar nichts bedeuten (Abschnitt 4.1.) -, ist es intuitiv plausibel zu vermuten, dass die Bedeutung von sprachlichen Zeichen gleichsam >im Kopf< von Sprechern oder Hörern generiert wird. Dieser Intuition ist im Grundsätzlichen zuzustimmen, sie muss aber mit den Einsichten des Externalismus noch kompatibel gemacht werden, denn das Phänomen der Bedeutung bedarf, soll es die Möglichkeit intersubjektiver Kommunikation erklären können, mit Sicherheit intersubjektiv verfügbarer Eigenschaften. John Searle hat in seinem sozialphilosophischen Hauptwerk >The Construction of Social Reality< die dazu notwendigen begrifflichen Grundlagen ausgearbeitet.
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Dies sei im Folgenden hinsichtlich des Phänomens Bedeutung leicht modifiziert ausgeführt.51 In Abschnitt 3.2. war bei gemeinsamen oder sozialen Handlungen (SH) in Bedingung (1) — kurz: »Alle Mitglieder beabsichtigen: Wir wollen SH vollziehen« — bereits von einem Fall kollektiver Intentionalitäf die Rede: dass nämlich jedes Mitglied einer interaktiven Gemeinschaft über eine Absicht verfügt, die zum Inhalt hat, dass alle gemeinsam eine bestimmte soziale Handlung ausführen wollen. Man kann diesbezüglich auch von WirAbsichten reden, was ein Beispiel für kollektive Intentionalität ist (in der Philosophie wird mittels »Intentionalität« jenes Phänomen benannt, dass psychische Zustände sich auf etwas richten oder sich auf etwas beziehen können). Andere Beispiele für kollektive Intentionalität sind Wir-Überzeugungen (wir sind überzeugt davon, dass die Ausrichtung einer Fußballweltmeisters chaft wichtig ist) oder Wir-Akzeptanzen (wir akzeptieren Gerhard Schröder als Kanzler der BRD). Benutzt eine Person einen Stein als Briefbeschwerer, weist sie dem Stein die Funktion oder den Status eines Briefbeschwerers zu. Dem Stein können dann funktionale Eigenschaften zugeschrieben werden (z.B. ob er die Funktion des Briefbeschwerers gut oder schlecht erfüllt), die er kraft seiner physikalischen Eigenschaften allein nicht hat. Status- oder Funktionsyuweisungen sind nur möglich, wenn es jemanden gibt, der jene Gegenstände als Träger bestimmter funktioneller Eigenschaften betrachtet; physikalische Eigenschaften wie z.B. Gewicht oder Gestalt haben Gegenstände auch ohne entsprechende Betrachter. Einen Stein als Briefbeschwerer sehen, können freilich auch viele Mitglieder einer Gemeinschaft. Manche funktionale Eigenschaften ergeben sich jedoch nur aufgrund einer derartigen kollektiven Betrachtungsart. Zum Beispiel ist ein bestimmter bedruckter Papierschein nur dann eine gültige Banknote, wenn es eine ökonomische Gemeinschaft gibt, deren Mitglieder kollektiv bestimmte Papierscheine als Banknoten akzeptieren: Sie weisen diesen Scheinen dann die Funktion eines Zahlungsmittels zu. Politische Funktionen wie KanzlerSein werden bestimmten Personen allein kraft kollektiver Akzeptanz einer entsprechenden politischen Gemeinschaft zugewiesen. Die Funktionszuweisung erfolgt gemäß dem Schema einer konstitutiven Rege/: gilt alsy in Kontext K, wenn die Bedingungen B erfüllt sind. Z.B. gilt ein bestimmter gedruckter Papierschein als Banknote im Kontext einer bestimmten ökonomischen Gemeinschaft genau dann, wenn der Papierschein von der-und-der Qualität ist, die-und-die Merkmale besitzt, so-und-so bedruckt und von der entsprechenden Zentralbank herausge-
51 Zu den Modifikationen, s. Kober: Moral und Kober: Konstituierung.
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geben worden ist. Statt von »gilt als« kann man auch von »wird akzeptiert als« sprechen, so dass hier offensichtlich ein Fall von Wir-Akzeptanz vorliegt. Das Schema der konstitutiven Regel drückt aus, dass im Kontext K einem unter Umständen allein physikalisch identifizierbaren Träger des xTerms der durch den j-Term bezeichnete funktionelle Status zugewiesen wird, wenn die Bedingungen B erfüllt. Entsprechendes lässt sich nun auch von bestimmten Geräuschen, Tintenanordnungen etc. sagen. Kraft ihrer physikalischen Eigenschaften allein sind sie nicht bedeutungstragend. Erst wenn sie von kompetenten Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft bedeutungsvoll verwendet werden, ihnen also im Rahmen einer im Prinzip intersubjektiv konstituierten Kommunikationssituation kollektiv die funktionelle Eigenschaft des einebestimmte-Bedeutung-Besitzens zugewiesen wurde, kann von einem bedeutungsvollen sprachlichen Zeichen gesprochen werden (Fn, Fie). Dabei sind freilich bestimmte Bedingungen zu erfüllen: Die Konstituierung von Bedeutung. Geräusche, Tintenanordnungen und andere geeignete symbolische Manifestationen einer Sprache L· gelten als bedeutungstragende Zeichen (oder bedeutungsvolle Äußerungen) innerhalb eines im Prinzip inter subjektiven Kommunikationskon texts K (Abschnitt 3.1.) bei einer Sprachgemeinschaft G genau dann, wenn sie auf kooperative Weise (Abschnitt 3.2.) von einem bezüglich L· hinreichend kompetenten Sprecher S und einem bezüglich L· hinreichend kompetenten Hörer H verwendet werden können, d.h. wenn sie von einem Sprecher S gemäß der so genannten Sprecherabsichten (Abschnitt 4.4.) hervorgebracht und von einem Hörer H gemäß den so genannten Hörerabsichten (Abschnitt 5.5.) verstanden werden können. Folglich ist die Druckerschwärzeanordnung »Es gießt heute wie aus Kübeln« nur für diejenigen wirklich bedeutungsvoll, die die Konventionen der deutschen Sprache beherrschen und den Kontext der Äußerung kennen Fn Fie.
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Momente? Liegen solche Konventionen und Regeln der Bedeutungszuschreibung allein in institutionellen Vorgaben begründet? Welches sind solche institutionellen Vorgaben und wie berechtigt sind sie? Die Beiträge dieser Sektion nehmen diese allgemeinen Fragen auf und spezifizieren sie zum Teil. Im Mittelpunkt ihres Interesses stehen literarische Texte als Objekte, denen Bedeutung zugeschrieben wird. Das grundlegende Problem, ob es so etwas wie eine literarische Bedeutung gebe, behandelt Klaus Weimar. Unterscheidet sich die Art des Bedeutens in literarischen Texten von der in nicht-literarischen Texten? Weimar beantwortet die Frage mit einem klaren Nein: Weder gibt es eine Art des Bedeutens noch ein besonderes Bedeutetes, die bzw. das spezifisch für Literatur ist. Wenn wir dennoch Literatur anders als etwa Sachtexte lesen, dann hängt das mit einer erlernten Einstellung den Texten gegenüber zusammen. Rein textuelle Merkmale einer besonderen Zeichenverwendung, die diese Einstellung und eine entsprechende Textverarbeitung vielleicht fordern könnten, sind nicht auszumachen. Wenn das so ist, schließen sich zwei Fragen an: Wie funktioniert die bedeutungskonstitutive Textverarbeitung beim Lesen nicht-literarischer Texte, und welche Mechanismen sind es, die die besondere Einstellung literarischen Texten gegenüber prägen? Zu diesen Problemen legen Ursula Chnstmann und Margrif Schreier einen materialreichen Beitrag vor. Er zeigt sehr klar und eindrücklich, dass die literaturwissenschaftliche Debatte über >Bedeutung< nicht unabhängig von den Ergebnissen kognitionspsychologischer Forschung geführt werden kann: Selbst wenn sie diese Ergebnisse nicht voraussetzt, sollte die Theoriebildung sich nicht in Widerspruch zu ihnen setzen. Die Prozesse, die bei der Bedeutungskonstitution im Lesen nicht-literarischer Texte stattfinden, unterscheiden sich zunächst einmal nicht von denen des Lesens literarischer Texte. Deren Verarbeitung ist jedoch intensiver und extensiver als die nicht-literarischer Texte. Das aber heißt, dass auch für die literaturwissenschaftliche Theoriebildung die basalen Prozesse von Bedeutungszuschreibung stärker berücksichtigt werden müssen, will man die pragmatische >Bodenhaftung< und damit den Bezug zum >Normallesen< nicht verlieren. Wer beides wahren will, kann literaturwissenschaftliche Theorieentwürfe, die die mittlerweile lange Tradition empirischer Forschung ignorieren, nicht akzeptieren. Die anderen Beiträge dieser Sektion nehmen sich des Bereichs der institutionellen Vorgaben an und behandeln ihn unter ganz verschiedenen Aspekten: Tom Kindt und Hans-Harald Müller untersuchen das vieldiskutierte Verhältnis von Beschreibung und Interpretation. Zwei Positionen mit unterschiedlichen Bedeutungskonzeptionen stehen einander gegenüber. Die erste geht davon aus, dass jede Form der Zuweisung von Bedeutung In-
Einleitung: Literaturwissenschaftliche Aspekte der Bedeutung
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terpretation ist. Für die zweite dagegen gibt es — unterschiedlich weit gefasste — Bedeutungszuschreibungen, die so konsensuell sind, dass sie noch nicht zur Interpretation eines Textes, sondern zu seiner Deskription zählen. Während die erste Position die Probleme eines sehr weiten Interpretationsbegriffs lösen muss — wie kann das Interpretative einer lexikalischen Bedeutungszuschreibung von dem einer symbolischen Textauslegung konzeptuell unterschieden werden? —, steht die zweite vor der Schwierigkeit, trennscharfe Kriterien angeben zu müssen, bis wohin die Beschreibung reicht und ab wann die Interpretation beginnt. Am Beispiel der in den letzten Jahren mit hohem Theorieaufwand weiterentwickelten Narratologie diskutieren Kindt und Müller das Für und Wider der konträren Auffassungen. Positionen, die von der Besonderheit der Bedeutung in literarischen Texten bzw. im Umgang mit ihnen ausgehen, untersucht Fotis Jannidis. Bei aller Verschiedenheit der begrifflichen Bestimmung sind sich die meisten Literaturwissenschaftler in einer Frage einig: Literatur — und vor allem gute Literatur — hat niemals nur eine Bedeutung, sondern sie ist polyvalent. Die These von der Mehrfachbedeutung literarischer Texte, von ihrer semantischen Offenheit wird über die Richtungsgrenzen literaturwissenschaftlicher Konzeptionen hin vertreten und hat den Status einer allgemein akzeptierten Wahrheit. Ob es sich dabei nicht vielmehr um ein Dogma handelt, untersucht Jannidis in seinem Beitrag, mit dem er auch einen Vorschlag zur Reformulierung der Polyvalenzthese vorlegt. Simone Winko plädiert dafür, die vorherrschende Auffassung von >Bedeutung< als einer kognitiven Größe um emotionale Komponenten zu erweitern. Um der Vielfalt (vor allem) literarischer Texte gerecht zu werden, sollte ein differenzierter Bedeutungsbegriff eingesetzt werden, der erheblich weiter zu fassen wäre, als das in den meisten literaturwissenschaftlichen Bedeutungskonzeptionen explizit geschieht und als es in der Praxis beachtet wird. Eines ehrwürdigen hermeneutischen Problems in aktuellem Kontext nimmt sich Ufa Schaffers an: Am Beispiel des japanischen Haiku fragt sie nach den Möglichkeiten des Verstehens von Texten anderer Kulturen und gibt einen Überblick über verschiedene literaturwissenschaftliche Positionen zu diesem Thema. Deskriptiv gewendet lautet die leitende Frage: Unter welchen Bedingungen kultureller Differenz vollzieht sich die Bedeutungskonstruktion und damit auch das Verstehen >fremder< Texte? Hier ist es sinnvoll, Ergebnisse empirischer Leserforschung einzubeziehen. Mit normativem Impetus dagegen ist zu fragen, welchen Ansprüchen ein solcher Verstehensprozess genügen muss. Im Anschluss an interkulturelle hermeneutische und kultursoziologische Positionen unterbreitet Schaffers einen Lösungsvorschlag.
KLAUS WEIMAR Literarische Bedeutung?
Es wird als anerkannt gelten können, dass das Nachdenken und Reden über Sprache bzw. Texte notwendig perspektivisch ist und entweder die Perspektive der Produktion (des Sprechens bzw. Schreibens) oder diejenige der Rezeption (des Hörens bzw. Lesens) einnehmen muss. Einen dritten oder aperspektivischen oder archimedischen Punkt, auf dem man über beiden stünde und von beiden frei wäre, kann es nicht geben. Möglich ist es allerdings, beide Perspektiven nicht zu unterscheiden und also zu vermischen. Das ist jedes Mal der Fall, wo über Sprache bzw. Texte so geredet wird wie über ein Objekt von der Art eines Baumes oder eines Hauses, und das meine ich eher oft als selten in der seit einigen Jahrzehnten laufenden Diskussion zum Thema zu bemerken. Nicht nur, aber auch deshalb ist sie mir problematisch geworden. Ich setze ein bei ihrem Zentrum, beim Wort Bedeutung und beim Begriff >BedeutungEigenschaften< der Sprache, sondern hat, erklärtermaßen oder auch nicht, die Funktion, etwas anderes zu erklären. Erklärungsbedürftig ist das bekannte und anerkannte Phänomen, dass man für gewöhnlich literarische Texte anders rezipiert als andere Texte, und das ist ablesbar an gewissen Reaktionen. Wenn beispielsweise ein Herr Faust öffentlich und im Druck behauptet, er habe nicht weniger als vier Studien absolviert (Philosophie, Juristerei, Medizin und leider auch Theologie) und sowohl den Magister- als auch den Doktortitel erworben, dann fragt kein Mensch nach Studienausweisen und Promotionsurkunden. Wenn dagegen ein ehemaliger deutscher Bundeskanzler oder ein ehemaliger Rektor der RWTH Aachen viel bescheidener und realistischer in einem Lebenslauf oder auch nur im Briefkopf behauptet, ein einziges Studium mit der Promotion abgeschlossen zu haben, dann wird gegebenenfalls sehr insistent gefragt, ob das auch wirklich stimmt, und die Suche nach Urkunden und Dissertationen geht los. Dieser Unterschied in der Reaktion auf Texte (oder allgemeiner: sprachliche Äußerungen) ist also das explanandum und jene communis opinio ein mögliches explanans, und zwar eines, das die Unterschiede der Rezeption und Reaktion erklärt durch Unterschiede der rezipierten Objekte: Wörter in einem Drama bedeuten auf andere Weise (und möglicherweise auch anderes) als vielleicht sogar dieselben Wörter (z.B. Doktor') in biographischen Erzählungen oder auf Visitenkarten und in Briefköpfen von Personen des öffentlichen Lebens. Und da fragt man sich natürlich schon, wie denn das gehen und möglich sein soll, dieses andere Bedeuten oder Bedeuten von etwas anderem durch dasselbe. Und gesetzt, es sei möglich, so bleibt immer noch die Frage, woran unsereiner als Leser das soll merken
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können und ob dann auch jene unterschiedliche Reaktion zuverlässig sowohl eintritt als auch erklärt wird.
II
Ich lese ein bekanntes Wort wie Doktor und bilde auf entsprechende Nachfrage (»was bedeutet Doktor?«) einen Satz wie »Das Wort Doktor bedeutet einen akademischen Grad« (das Prädikat könnte, etwas geläufiger, auch bezeichnet lauten oder ersatzweise denotiert, aber darauf soll es jetzt nicht ankommen, auch darauf nicht, dass bei einer solchen Nachfrage zweifellos noch zu erläutern wäre, was denn ein akademischer Grad ist). Mit dem Satz also schreibe ich dem Wort Doktor eine Aktivität oder Tätigkeit zu, eben das Bedeuten. Kann ein Wort von sich aus aktiv werden und tätig sein? Eigentlich doch wohl nicht oder dann allenfalls im Gebrauch. Aussagen darüber, was ein Wort (eine artikulierte Lautfolge) tut, werden demnach mit Vorteil umzuformulieren sein in Aussagen darüber, was ich mit dem Wort tue (oder allenfalls, was ich es tun lasse), wenn ich es gebrauche, redend oder lesend. Mit dem Wort Doktor also bedeute ich >einen akademischen Gradeinen akademischen Grad< bedeuten. Schwer zu sagen allerdings, was ich da mache, wenn ich das Wort Doktor gebrauche, um mit ihm etwas zu bedeuten oder es selbst etwas bedeuten zu lassen. Direkt beobachten lässt sich das ja nicht, und die Reflexion kommt immer schon zu spät. Man wird sich mit mehr oder weniger plausiblen Hypothesen begnügen müssen. Plausibel ist mir auf jeden Fall, dass ich, das Wort Doktor gebrauchend, etwas nicht mache: dass ich nämlich nicht sozusagen das Wort Doktor nehme und mit ihm wie mit einem Finger oder einem Stock auf >einen akademischen Grad< hindeute oder zeige, wie es das Verb bedeuten suggerieren könnte. Vielmehr scheint es sich mir eher so zu verhalten, dass das Wort Doktor, wenn ich es lese und also gebrauche, das von ihm Bedeutete (>ein akademischer GradRaum< für eine Bewegung des Zeigens bleibt. Das Bedeutete (>ein akademischer Graderfunden< (oder so) an sich tragen, und insofern auch zwei Arten von Bedeutetem, eine ohne eine solche Markierung (Konnotation) und eine mit einer solchen. Aber das reicht noch nicht. Denn erstens kann es vom unterschiedlichen Wissen und Glauben der Rezipienten eines Textes abhängen, welche Signifikate zur zweiten Art gerechnet werden (bei >Einhorn< und >Pegasus< besteht wohl heutzutage in unserem Kulturkreis unter Erwachsenen Einigkeit, doch wie steht es nur schon mit >Engel< oder >Hexe