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German Pages 544 [545] Year 1977
Zur Ausbildung der Norm der deutschen Literatursprache auf der syntaktischen Ebene (1470-1730) Der Einfachsatz
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN DER DDR Zentralinstitut für Sprachwissenschaft
56/1 Bausteine zur Sprachgeschichte des Neuhochdeutschen Herausgegeben von Günter Feudel Zur Ausbildung der Norm der deutschen Literatursprache (1470—1730) • I Leitung: Joachim Schildt
Zur Ausbildung der Norm der deutschen Literatursprache auf der syntaktischen Ebene (1470—1730) Der Einfachsatz unter Leitung von G. Kettmann und J. Schildt 2., unveränderte Auflage
Akademie-Verlag • Berlin 1981
Erschienen im Akademie-Verlag, DDR-1080 Berlin, Leipziger Straße 3—4 Lektor: Ursula Schöwe © Akademie-Verlag Berlin 1976 Lizenznummer: 202 • 100/154/81 Umschlaggestaltung: Helga Klein Gesamtherstellung: VEB Druckerei „Thomas Müntzer", 5820 Bad Langensalza Bestellnummer: 752 385 3 (2054/56/1) • LSV 0815 Printed in GDR DDR 68 — M
Vorwort Die Beschäftigung mit der Geschichte der Sprache und das Bemühen, durch Erforschung der sprachlichen Entwicklung zur Erforschung der Geschichte der Gesellschaft, die diese Sprache spricht, beizutragen, ist ein fundamentales Anliegen der Sprachwissenschaft, seit sie sich als selbständige Disziplin begreift. Friedrich Engels bezeugte der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft eine hohe Wertschätzung, wenn er im "AntiDiihring" von der 'seit sechzig Jahren so gewaltig und erfolgreich entwickelten historischen Sprachforschung'* sprach. Zwar gerieten die sprachhistorischen Forschungen zeitweilig durch die überhandnehmende atomistische Betrachtungsweise der Junggrammatiker in Verruf, ja sie wurden sogar für Jahrzehnte völlig in den Hintergrund gedrängt, seit de Saussure in verständlicher Reaktion darauf die synchrone Forschung zur einzig wissenschaftlichen proklamiert hatte - dennoch behaupteten sie ihren Platz in der Linguistik und blieben ein zentrales Anliegen jeder wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Sprache. Die sowjetische Sprachwissenschaft hat seit ihrem Bestehen der Sprachgeschichtsforschung - bei aller Anerkennung der Notwendigkeit und Bedeutung von synchronen Untersuchungen - nie die gebührende Aufmerksamkeit versagt. Sie stellte sich von Anfang an die Aufgabe, den Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Sprache und der geschichtlichen Entwicklung zu erforschen, Gesetzmäßigkeiten der Sprachentwicklung aufzudecken und die wichtigsten Etappen sprachlicher Entwicklung mit bestimmten Knotenpunkten der gesellschaftlichen Entwicklung in Beziehung zu setzen. Das kann auch gar nicht anders sein, betrachtet der Marxismus-Leninismus - im Gegensatz zu den meisten positivistischen Theorien - die Sprache doch als eine zutiefst gesellschaftliche Erscheinung und die Sprachwissenschaft dementsprechend als einen integrierenden Bestandteil der Gesellschaftswissenschaften. Ebenso wie die Gesellschaft hat auch die Sprache ihre Geschichte, ebenso wie die Geschichte der Gesellschaft, gilt es auch die Geschichte der Sprache aufzuhellen und dem Sprachträger bewußt zu machen. Friedrich Engels schrieb im "Anti-Dühring": 'Stoff und Form der eignen Sprache sind aber nur dann verständlich, wenn man ihre Entstehung und allmähliche Entwicklung verfolgt, und dies ist nicht möglich ohne Berücksichtigung erstens ihrer eignen abgeo storbenen Formen und zweitens der verwandten lebenden und toten Sprachen' . Und es war auch kein geringerer als der Mitbegründer des wissenschaftlichen Kom3
munismus, der mit seiner tiefschürfenden Arbeit über "Den Fränkischen Dialekt" (1881-1882) in einer Zeit, als der Atomismus der Junggrammatiker seinem Höhepunkt zustrebte, ein klassisches Vorbild für die Methode sprachgeschichtlicher Untersuchungen lieferte, klassisch, weil Engels in dieser - leider unvollendet gebliebenen - Schrift den historischen Materialismus beispielhaft auf die Sprachwissenschaft angewandt hat. Dadurch, daß er zur Beurteilung sprachgeschichtlicher Vorgänge alle ihm zugänglichen
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Vorwort
Quellen heranzog, sprachliche eDenso wie historische, ethnographische, geographische u. a . , vermochte er es, die damals - und zum Teil bis in die Gegenwart - dominierende schematische Einteilung der deutschen Mundarten nach den Merkmalen der 2. Lautverschiebung zu überwinden und die wahren historischen Zusammenhänge zwischen den ver4 schiedenen Dialektgruppierungen aufzuzeigen . Als erster hat der bedeutende sowjetische Sprachhistoriker V. M. Schirmunski die Ergebnisse von Engels' Schrift, die erstmals 1935 in der UdSSR veröffentlicht wurde, der internationalen Germanistik zugäng5 lieh gemacht . Sicherlich ist es auch kein Zufall, daß bisher nur in der sowjetischen Sprachwissenschaft ein ernsthafter Versuch unternommen wurde, Engels' Leistungen als Linguist zu würdigen. Im Vorwort zu dem Sammelband "Engels und die Sprachwissenschaft", Moskau 1972 , der anläßlich des 150. Geburtstages von Fr. Engels vom Institut für Sprachwissenschaft der AdW der UdSSR herausgegeben wurde, heißt es: 'In Engels' Person haben wir es nicht nur mit einem Philosophen und Historiker zu tun, der bei der Ausarbeitung der dialektisch-materialistischen Theorie der gesellschaftlichen Entwicklung linguistisches Material verwertete, sondern mit einem Sprachwissenschaftler und Forscher im weitesten Sinne des Wortes. Für die Entwicklung der Theorie der sowjetischen 7 Sprachwissenschaft hat das Erbe von Fr. Engels daher besondere Bedeutung.' Unter den deutschen Germanisten, die dem Zusammenhang von Sprach- und Gesellschaftsgeschichte stets besondere Beachtung geschenkt haben, ragte besonders Theodor Frings hervor, dessen gesammelte Arbeiten nicht von ungefähr unter dem Titel "Sprache und Geschichte" neu herausgegeben wurden. Nach den grundlegenden, in Gemeinschaftsarbeit mit Historikern und Kulturhistorikern durchgeführten dialektgeographisch kulturmorphologischen Untersuchungen über Kulturströmungen und Kulturprovinzen in den Rheinlanden hatte Th. o Frings in seiner wegweisenden Schrift "Die Grundlagen des Meissnischen Deutsch" 1936 den großartigen Versuch unternommen, die Entstehung und Entwicklung der neuhochdeutschen Literatursprache, ausgehend von den modernen deutschen Mundarten, zu erhellen. Im Gegensatz zu der seit K. Müllenhoff und besonders seit K. Burdach in der damaligen deutschen Sprachgeschichtsforschung weit v e r breiteten These von der kanzleisprachigen Herkunft des Neuhochdeutschen suchte Th. Frings die Grundlage der neuhochdeutschen Norm in der kolonialen Ausgleichssprache des ostmitteldeutschen Siedlungsgebiets, im Räume des Wettinischen Staates. Dabei hob er zugleich hervor, daß der weitere Avisgleich und die weitere Entwicklung der obersächsischen Geschäfts- und Verkehrssprache in enger Wechselwirkung mit der oberdeutschen Schreibtradition erfolgte. Für die zukünftige Forschung ergab sich daraus die Aufgabe, der schreibsprachlichen Entwicklung des g Deutschen seit frühneuhochdeutscher Zeit verstärkte Aufmerksamkeit zu schenken. In diesem Bemühen, die verschlungenen Wege der historischen Entwicklung der neuhochdeutschen Literatursprache aufzudecken, traf sich Th. Frings mit der sowjetischen
Vorwort
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Sprachgeschichtsforschung, die sich seit der 2. Hälfte der 50er Jahre verstärkt mit der Herausbildung der nationalen Norm verschiedener europäischer und außereuropäischer Nationalsprachen befaßte und allgemeine, über die jeweilige Einzelsprache hinausgehende Entwicklungsgesetzmäßigkeiten zu ermitteln suchte. Davon zeugt der 1960 als Band X des Instituts für Sprachwissenschaft erschienene Sammelband "Voprosy formirovanija i razvitija nacional'nych jazykov", der auch einen von M. M. Guchmann verfaßten Beitrag über die Herausbildung der literatursprachlichen Norm der deutschen Nationalsprache enthält. Nach wechselseitigen Besuchen von Th. Frings in der UdSSR, von V. M. Schirmunski und seiner Schülerin M. M. Guchmann in Berlin wurde zwischen dem damaligen Institut für deutsche Sprache und Literatur der AdW der DDR und dem Institut für Sprachwissenschaft der Akademie der Wissenschaften der UdSSR eine systematische wissenschaftliche Zusammenarbeit zur Erforschung der Geschichte der deutschen Sprache vereinbart. Es sind nunmehr 10 Jahre vergangen, seit Th. Frings im Jahre 1964 die Reihe "Bausteine zur Sprachgeschichte des Neuhochdeutschen" ins Leben rief, in der F o r schungsergebnisse veröffentlicht werden sollten, die aus dieser Zusammenarbeit e r wuchsen. In seinem Geleitwort stellte er der Reihe die Aufgabe: 'Sie soll das Werden einer geeinten deutschen Sprache studieren und dokumentieren. Diese Entwicklung an Hand der schriftlichen Überlieferung genauer zu verfolgen, ist eine Notwendigkeit.' Als Bandl der "Bausteine" erschien die deutsche Fassung von M. M. Guchmanns zweibändiger Monographie "Der Weg zur deutschen Nationalsprache" 1 ®, die gewissermaßen als Gegenstück zu den "Grundlagen des Meissnischen Deutsch" betrachtet werden kann. Ausgehend von den theoretischen Erkenntnissen der sowjetischen Linguistik über die Herausbildung von Nationalsprachen überhaupt, gelangte die Verfasserin nach Untersuchung eines umfangreichen und vielfältigen Quellenmaterials zu wesentlich neuen Einsichten, die das von Frings umrissene Bild von der Entwicklung des Neuhochdeutschen ergänzten und erweiterten. Neben der Klärung einer Reihe wichtiger Termini wie Nationalitätssprache, Nationalsprache, Literatursprache und der damit verbundenen Probleme verdankt die Germanistik diesem Werk eine wichtige Bereicherung unserer Kenntnisse von der komplizierten Entwicklung der Sprachverhältnisse in Deutschland seit dem frühen Mittelalter bis in die N e u z e i t . B e f r u c h t e n d auf die weiteren Forschungsarbeiten wirkte vor allem der von der Verfasserin geführte Nachweis, daß die Grundlage der neuhochdeutschen Literatursprache nicht unmittelbar in der Meissener Mundart zu suchen ist. 'Diese Grundlage ist vielmehr die literatursprachliche Variante dieses Gebietes, die sich im 15./16. Jahrhundert infolge langer, wechselseitig wirkender Sprachtraditionen und des Ausgleichs zwischen Norden und Süden herausbildete und die ohne Zweifel mit den Besonderheiten des ostmitteldeutschen Mundartgebietes zusammenhing.
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Vorwort
Um ein konkretes Bild von diesem Ausgleichsprozeß zu gewinnen, bedurfte und bedarf es noch zahlreicher Einzeluntersuchungen, die das verschiedenartigste Quellenmaterial, vor allem aber solches, das lebendige Entwicklungsprozesse widerspiegelt, heranziehen und verschiedene Sprachebenen analysieren. Eben diesem Ziel dienten 13 14 die folgenden Bände der "Bausteine". In den Arbeiten von E. Skäla , G. Kettmann , 15 16 17 P. Suchsland , W. Fleischer , E. Otto wird das umfassende Archivmaterial wichtiger ostmitteldeutscher Urkundenzentren - vor allem im Hinblick auf den Zeichenund Formenbestand, zum Teil auch unter Berücksichtigung bestimmter syntaktischer 18
und lexikalischer Erscheinungen - aufgearbeitet. Die Arbeiten von J. Schildt und 19 J. Dresel sind der Entwicklung des Funktionsfeldes der lokalen und temporalen Präpositionen im Ostmitteldeutschen gewidmet. Die Erfurter Literatursprache, insbeson-20 dere die Sprache der Erfurter Historienbibel vom Jahre 1428, wird von R. Bentzinger untersucht. Von dem Bemühen, das Problem der Herausbildung der Norm des Neuhochdeutschen auf verschiedenen Sprachebenen, der syntaktischen, der morphologischen, aber auch der lexikalischen Ebene, zu erforschen und dabei soziolinguistische Aspekte in dieder Untersuchung einzubeziehen, zeugt gemeinsamer Sammelband von German! 21 . Der sten UdSSR und der DDR "Studien zur ein Geschichte der deutschenüprache" Wortschatz der Flugschriften aus den Jahren der Reformation und des Bauernkriegs 22 wird in der Arbeit von H. Winkler untersucht, die in diesem Jahr erschienen ist. Der Sprache der politischen deutschen Literatur zur Zeit der Reformation und des Bauernkriegs ist auch die 1970 in Moskau erschienene Monographie von M. M. Guch23 mann gewidmet , die anläßlich des 450. Jubiläums des Deutschen Bauernkriegs in deutscher Fassung in den "Bausteinen" vorgelegt wurde. Besondere Erwähnung verdienen ferner einige wichtige Untersuchungen, die ebenfalls im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen den zwei Instituten entstanden sind, aber außerhalb unserer Reihe veröffentlicht wurden. N.N. Semenjuk hat in einer Mono24 graphie die bislang von der germanistischen Sprachwissenschaft kaum beachtete periodische Presse der ersten Hälfte des 18. Jh. im Hinblick auf die Ausbildung der Normen der deutschen Literatvirsprache analysiert und damit einen interessanten Beitrag zur Geschichte der deutschen Sprache geleistet. In einer anderen wichtigen Arbeit, die der Geschichte der funktional-stilistischen Differenzierungen der deutschen 25 Literatursprache gewidmet ist, untersucht die gleiche Verfasserin einige grundlegende syntaktische und lexikalische Besonderheiten in der Sprache der frühen deutschen Zeitungen des 17. Jh. Sie ermittelt chronologische, landschaftliche und soziale Varianten und behandelt im Zusammenhang damit das Problem der funktional-stilistischen Differenzierung der Literatursprache. W.G. Admoni untersuchte in seiner Monographie über die Entwicklung der Satzstruktur zur Zeit der Herausbildung der deutschen Nationalsprache 26 die Veränderungen im Satzumfang und in der strukturellen Qrgani-
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sation des Deutschen. Durch die umfassende Analyse bestimmter syntaktischer, zum Teil auch stilistischer Erscheinungen, gelang es dem Verfasser, Entwicklungsgesetzmäßigkeiten in der Satzgestaltung aufzudecken und damit die Erklärung für bestimmte Prozesse zu liefern, die sich in der deutschen Sprache der Gegenwart vollziehen. Einen Blick auf die weitere Entwicklung der deutschen Sprache zu werfen, künftige Entwicklungswege des Deutschen aufzuzeigen - das ist das Ziel von W.G. Admonis jüngster 27
Arbeit über die Entwicklung des grammatischen Baus der deutschen Sprache
.
Zur Abrundung des Bildes sei noch auf zwei wichtige Untersuchungen zu dem P r o blemkreis hingewiesen, die zwar nicht unmittelbar aus der Zusammenarbeit mit den sowjetischen Germanisten hervorgegangen sind, aber den wissenschaftlichen Kontakten mit ihnen wesentliche Anregungen verdanken, nämlich die Untersuchung28 von G. Ising über die Wortgeographie spätmittelalterlicher deutscher Schriftdialekte und die Monographie von D. Nerius Uber die Herausbildung einer nationalen Norm der deutschen I i t e 29
ratursprache im 18. Jh.
.
In den folgenden fünf Bänden der "Bausteine" werden weitere, aus der wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit den sowjetischen Germanisten hervorgegangene Untersuchungen zur Ausbildung der neuhochdeutschen literatursprachlichen Norm veröffentlicht. Die germanistische Sprachgeschichtsforschung der DDR verdankt der sowjetischen Germanistik u. E, zu drei wesentlichen Problemkreisen entscheidend neue theoretische E r kenntnisse: Sie betreffen den Zusammenhang zwischen der sozial-ökonomischen Formation und dem Gefüge der sprachlichen Existenzformen, die Rolle und Bedeutung der Literatursprache und ihrer Entwicklung in diesem Gefüge und das Problem der Sprachnorm im weiteren, der literatursprachlichen Norm im engeren Sinne. Gestützt auf diese von der sowjetischen Sprachgeschichtsforschung entwickelten theoretischen Positionen haben Mitarbeiter des Bereichs Sprachgeschichte des ZISW Vinter Leitung von Dr. habil. J . Schildt den Prozeß des sprachlichen Ausgleichs und der Ausbildung der neuhochdeutschen literatursprachlichen Norm an ausgewählten syntaktischen Erscheinungen des 30 Einfachsatzes und an ausgewählten Konkurrentengruppen des Wortschatzes verfolgt.
Dar-
an schließen sich die Untersuchungen der sowjetischen Germanisten an, die etwa nach der gleichen Konzeption und mit analogen Methoden der sprachlichen Entwicklung auf dem Gebiet der Morphologie, der Wortbildung und des zusammengesetzten Satzes gewidmet sind. Wir hoffen, daß die vorgelegten Arbeiten unsere Kenntnis von den komplizierten Entwicklungswegen der Herausbildung der neuhochdeutschen Literatursprache wesentlich bereichern werden. Günter Feudel
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Anmerkungen 1 Marx-Engels, Werke Bd. 20, 299. 2 Marx-Engels, Werke Bd. 20, 298. 3 Marx-Engels, Werke Bd. 19, 494-518. 4 Siehe in diesem Zusammenhang den Artikel von Lerchner, Anwendbarkeit, 9-31. 5 Zirmunskij, "Frankskij dialekt"; vgl. ferner "Inostrannye jazyki v Skole", 1954, Nr. 5. Eine eingehende Würdigung von Engels' Arbeit enthält Schirmunskis Standardwerk, Mundartkunde, 25-55. 6 Vgl. die Rezension von Albrecht und Krüger, 390-392. 7 Engel's i jazykoznanie, Moskva 1972, 5-6. 8 Frings, Sprache und Geschichte in, 11-24. 9 Frings, Sprache und Geschichte in, 24. 10 Guchmann, Weg. 11 Die Bedeutung dieser Monographie wurde bereits an Hand der russischen Ausgabe eingehend gewürdigt von Fleischer, Entstehung, 385-405. Vergleiche auch die Rezension von Mironov, Izvestija. R. Grosse geht in seinem Aufsatz, Begriff, e r neut auf wesentliche Aspekte der Monographie ein, vgl. 54-66. Weitere Rezensionen: Arndt 798-802, Bach 311-314; H. Eggers, Germanistik, 6. Jg., H. 4, 1965. Die Arbeit Von M. Guchmann und die folgenden Bände der "Bausteine" von G. Kettmann, E. Skäla, P. Suchsland wurden rezensiert von L.R. Zinder und T. V. Stroeva in "Voprosy jazykoznanija", 1970, 6, 110-114, und jüngst von Piirainen, 300308. 12 Guchmann, Weg, 2. Teil, 183/4. 13 Skäla, Entwicklung. 14 Kettmann, Kanzleisprache. 15 Suchsland, Sprache. 16 Fleischer, Untersuchungen. 17 Otto, Sprache. 18 Schildt, Ausbildung. 19 Dresel, Funktionsfeld. 20 Bentzinger, Studien. 21 Studien zur Geschichte der deutschen Sprache, Berlin 1972. 22 Winkler, Wortbestand. 23 Guchmann, Jazyk. 24 Semenjuk, Problema; s. die Rezension von G. Feudel in "Germanistik", 9. Jg., H. 1, 1968. 25 Semenjuk, Iz istorii. 26 Admoni, Razvitie; vgl. die Rezension von G. Feudel in DLZ, Jg. 88, Nov. 1967. 988 ff; ferner Kufner, "Germanistik" 1967, 256. Ein Teil der Ergebnisse dieser Arbeit veröffentlichte Admoni in seinem Aufsatz, Umfang; vgl. auch Admoni, Entwicklung.
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27 Admoni, Putl. 28 Ising, Wortgeographie; vgl. die Rezension von Piirainen, 312 ff. 29 Nerius, Untersuchungen. 30 Vgl. die Vorveröffentlichung der Arbeitsergebnisse in den "Linguistischen Studien" Reihe A, Heft 7 des ZISW.
INHALT
Gesamteinleitung Zur Ausbildung der Norm der deutschen Literatursprache auf der syntaktischen Ebene. (1470 - 1730) Gabriele Schieb: Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen
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Joachim Schildt: Zur Ausbildung des Satzrahmens
235
Franzjosef Pensei: Die Satznegation
285
Gerhard Keitmann: Formen und grammatische Struktur nebengeordneter Wortreihen
327
Marie-Elisabeth Fritze: Bezeichnungen für den Zugehörigkeits- und Herkunftsbereich beim substantivischen Attribut
417
Günter Kramer: Das Partizip I als Adjektiv und Adjektivkomponente - seine Entwicklung innerhalb der Klasse der Adjektive
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Zur Spezifik des Sprachausgleichs
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Quellenverzeichnis
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Literaturverzeichnis
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Gesamteinleitung 1. Ziel der Arbeiten dieses Bandes sowie der weiteren, unter demselben Obertitel erscheinenden Sammelbände und Monographien ist die Untersuchung der Herausbildung der Norm der nationalen deutschen Literatursprache. Der Prozeß der Entstehung einer einheitlichen, für das gesamte deutsche Sprachgebiet verbindlichen Sprachform begann mit dem Aufkommen des Frühkapitalismus in Deutschland und stand in engem Zusammenhang mit der Entwicklung der bürgerlichen Nation. Bereits im 14. und 15. Jahrhundert hatten sich im Schöße der Feudalordnung die Produktivkräfte soweit entwickelt, daß zu Beginn des 16. Jahrhunderts ein Widerspruch zwischen dem Stand der Produktivkräfte und dem Charakter der feudalen Produktionsverhältnisse bestand, der in der frühbürgerlichen Revolution, die mit dem Thesenanschlag von Luther 1517 begann und mit der Nie1 2 derlage der Bauern im Bauernkrieg von 1525 endete, seine Lösung suchte . Die P r o duktivkräfte hatten sich sprunghaft entwickelt, und die Anfänge einer kapitalistischen Produktionsweise breiteten sich aus, besonders im Bergbau, Hüttenwesen, im Textilund Metallgewerbe. Eine verbesserte Bergbautechnik brachte den Silberbergbau zur Blüte, belebte die gesamte Wirtschaft, indem Handels- und Geldkapital eitle erhebliche Stärkung erfuhren. Deutschland erwarb sich eine zeitweilige ökonomische Vormachtstellung in Europa. Abseits von dieser Entwicklung stand die bäuerliche Agrarproduktion; die Formen feudaler Unterdrückung der Bauern verschärften sich und verhinderten einen entsprechenden Fortschritt auf dem Lande. Die feudalen Produktionsverhältnisse aber behinderten eine weitere Entfaltung der allenthalben gewachsenen Produktivkräfte, da der aufstrebenden Wirtschaft infolge der feudalen Zersplitterung ein angemessener Binnenmarkt versagt bleiben mußte. In Abhängigkeit von diesen Prozessen, vor allem vom gestiegenen Grad der Arbeitsteilung hatte sich eine Differenzierung der Gesellschaftsstruktur vollzogen. Neben den Grundklassen der Bauern und des Adels, die im Feudalismus die Klassenstruktur bestimmten, hatten sich neue Schichten herausgebildet, die entsprechend ihren ökonomischen Interessen nach Sprengung der Fesseln der Feudalordnung strebten. Dazu gehörte einerseits das Bürgertum in den Städten, das in sich geschichtet war in Handwerker, Gewerbetreibende, Händler, Gelehrte, andererseits auch eine aus den Bauern hervorgegangene bäuerlich-plebejische Schicht, unter der sich auf kapitalistische Weise ausgebeutete Lohnarbeiter befanden. Der Grundwiderspruch zwischen dem Stand der Produktivkräfte und dem Charakter der feudalen Produktionsverhältnisse wurde durch die frühbürgerliche Revolution nicht gelöst. Im Gegenteil, nach der Niederlage der progressiven Kräfte verstärkte sich für längere Zeit die feudale Basis. Die Feudalherren konnten nach 1525 ihre Territorialstaaten weiter ausbauen; damit stärkten sie gleichzeitig ihre Macht gegenüber der kaiserlichen Zentralgewalt, die
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zur Bedeutungslosigkeit herabsank. Durch den negativen Ausgang der Revolution wurde die Herausbildung der bürgerlichen deutschen Nation und damit auch die Entstehung einer Sprachform von nationaler Geltung, der nationalen Literatursprache, erheblich verzögert. Die geschilderten Veränderungen in der ökonomischen Struktur sowie in der Klassenstruktur brachten zu Beginn des 16. Jahrhunderts neue KommunikationsbedUrfnisse mit sich. Das aufstrebende Bürgertum brauchte ein Kommunikationsmittel, das im Rahmen des sich allmählich herausbildenden inneren Marktes über Orts- und Länder grenzen hinaus in Deutschland Gültigkeit hatte. Die sich entwickelnde bürgerliche deutsche Nation benötigte eine Existenzform der Sprache, die im Unterschied zu bestehenden Existenzformen eine nationale Geltung aufwies. Interesse an einer solchen Sprachform mit Gültigkeit für das ganze deutsche Sprachgebiet hatten der Handel, aber auch fortschrittliche Schriftsteller, das sich in den Städten entfaltende Bildungswesen sowie die Drukker, die ihre Druckerzeugnisse in ganz Deutschland abgesetzt und gelesen wissen wollten. Ihr Umsatz stieg, je verbreiteter die Sprachform war, der sie sich bedienten. 3
Lenin hebt diesen Zusammenhang zwischen der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise, der Entstehung der Nation und der Bildung einer einheitlichen, allseitig entfalteten Sprache deutlich hervor, wenn er schreibt: 'In der ganzen Welt war die Epoche des endgültigen Sieges des Kapitalismus über den Feudalismus mit nationalen Bewegungen verbunden. Die ökonomische Grundlage dieser Bewegungen besteht darin, daß für den vollen Sieg der Warenproduktion die Eroberung des inneren Marktes durch die Bourgeoisie erforderlich, die staatliche Zusammenfassung von Territorien mit Bevölkerung gleicher Sprache notwendig ist, bei Beseitigung aller Hindernisse für die Entwicklung dieser Sprache und ihre Entfaltung in der Literatur. Die Sprache ist das wichtigste Mittel des Verkehrs der Menschen untereinander; die Einheit der Sprache und ihre ungehinderte Entwicklung bilden eine der wichtigsten Voraussetzungen für einen wirklich freien und umfassenden, dem modernen Kapitalismus entsprechenden Handel, für eine freie und umfassende Gruppierung der Bevölkerung nach jeder der einzelnen Klassen, schließlich eine Voraussetzung für die enge Verbindung des Marktes mit jedem, auch dem kleinsten Unternehmer, mit jedem Verkäufer und Käufer.' Das Hauptanliegen des Feudaladels dagegen war der Ausbau der feudalabsolutistischen Territorien. Er förderte also eher die Entwicklung entsprechender Sprachformen im Rahmen des jeweiligen feudalabsolutistischen Staates als die Ausbildung einer Sprachform von nationaler Geltung, obgleich natürlich auch er über die Grenzen der Territorien hinaus Kommunikationsbeziehungen pflegte, die Vereinheitlichungstendenzen unterstützten. Für die bäuerliche Klasse dagegen, an den Boden und den Grundherren gebunden, bestand keine Notwendigkeit für die Existenz von übergreifenden Sprachformen. Diese unterschiedlichen, nebeneinander bestehenden kommunikativen Bedürfnisse waren Ausdruck der spezifi-
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sehen gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland, dessen Weg zum Kapitalismus und zur bürgerlichen Nation infolge des Atisgangs der frühbürgerlichen Revolution im Vergleich zu anderen europäischen Staaten ein relativ langer und komplizierter P r o zeß wurde. Die mit der Herausbildung kapitaüstischer Verhältnisse entstehenden neuen Kommunikationsbedürfnisse, die sich letztlich aus Veränderungen in der sozialökonomischen Struktur ergaben, hatten Wandlungen in den schon vorhandenen Existenzformen, das Aufkommen einer neuen Existenzform und damit eine neue Struktur des Gefüges der 4 Existenzformen der deutschen Sprache zur Folge. Die Dialekte, weitgehend an Kommunikationsgemeinschaften feudalabhängiger Bauern gebunden, blieben weiter bestehen, desgleichen städtische Koinfes, die in den Städten als Verkehrssprachen von begrenztem Ausgleich zwischen verschiedenen Dialekten fungierten. Daneben bildete sich vorwiegend als Ausdruck bürgerlicher Kommunikationsbedürfnisse in einem Jahrhunderte währenden Prozeß die nationale Literatursprache heraus, die in einer mündlichen und in einer schriftlichen Variante Geltung für das gesamte deutsche Sprachgebiet erlangte. Grundlage für ihre Entwicklung waren verschiedene, territorial stärker oder schwächer gebundene Varianten der Literatursprache, die als Ausdruck der Kommunikationsbedürfnisse des feudalen Territorialstaates oder ökonomischer Interessen des Bürgertums (vgl. die Sprache der Hanse) unter den Bedingungen feudaler Zersplitterung aufgekommen waren. Die nationale Literatursprache dagegen entstand im Rahmen eines langandauernden vielschichtigen Prozesses, der nach bisherigen Erkenntnissen als ein Ausgleichs- und Angleichungsprozeß zwischen jenen literatursprachlichen Varianten v e r standen werden muß. Ihre neue Qualität bestand in einer relativen Einheitlichkeit und in ihrer nationalen Geltung. Infolge der Existenz antagonistischer Klassen sowie des damit verbundenen bürgerlichen Bildungsmonopols hatte sie trotz ihrer Funktion als nationales Kommunikationsmittel nur eine begrenzte soziale Basis. Große Teile der bäuerlichen Bevölkerung sowie der in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts stark anwachsenden Arbeiterklasse waren von ihrer Beherrschung weitgehend ausgeschlossen. Die nationale Literatursprache sowie die anderen Existenzformen der Sprache als Ausdruck unterschiedlicher Kommunikationsbedürfnisse standen nicht isoliert nebeneinander, sondern beeinflußten einander. Über Jahrhunderte hinweg haben mundartliche Elemente die nationale Literatursprache immer wieder bereichert, obgleich die Bedeutung der Dialekte für die gesellschaftliche Kommunikation mehr und mehr zurückging. 2. Die vorliegenden Arbeiten dienen dem Ziel, den Prozeß der Herausbildung der Norm der nationalen deutschen Literatursprache in ihrer schriftlichen Variante, soweit er sich unter kapitalistischen Bedingungen zur Zeit der Entstehung der bürgerlichen deut-
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sehen Nation vollzog, an ausgewählten Beispielen zu erhellen. Zu dem Zweck wird die aus einem bestimmten Quellenkorpus zu ermittelnde Sprachverwendung (synonym werden auch Sprachgebrauch und Sprachusus verwendet) beschrieben, insbesondere Ausgleichsvorgänge zwischen literatursprachlichen Varianten, die die Voraussetzung für die Herausbildung einer Norm der nationalen deutschen Literatursprache sind. Der Zeitraum der Untersuchimg wird begrenzt durch die Jahre 1470 und 1730; er wurde gewählt aufgrund der allgemeinen Erkenntnis, daß in dieser Zeit entscheidende Schritte auf dem Wege zur Entstehung der bürgerlichen Nation sowie der Norm der nationalen deutschen Literatursprache gemacht wurden. Die Arbeiten beschränken sich auf die Beschreibung von Ausgleichsvorgängen als Voraussetzung für Normbildung. Die Entscheidung darüber, ob eine Norm vorliegt oder nicht, wird ausgespart, bis weitere Untersuchungen zu dieser Thematik - sie sind geplant - vorliegen; sie werden es gestatten, von einer breiteren Materialgrundlage zu fundierteren Einsichten in dieser Frage zu kommen, als sie beim gegenwärtigen Stand der Forschung möglich sind. 2.1. Auf folgende Fragen sollen die Untersuchungen eine Antwort geben: - Welchen Stand hatten die Ausgleichsprozesse in der Literatursprache zu Beginn und am Ende des Untersuchungszeitraums auf (a) der syntaktischen Ebene (b) der lexikalischen Ebene erreicht? - Welche Rolle spielten die einzelnen Sprachlandschaften bei den Ausgleichsprozessen zu Beginn und am Ende des UntersuchungsZeitraums? (sprachgeographischer Aspekt) Darüber hinaus soll geprüft werden, ob es möglich ist, Aussagen über den Anteil zu machen, den die verschiedenen Schichten des deutschen Volkes an diesen Ausgleichsprozessen gehabt haben (soziologischer Aspekt). 2. 2. Bevor das methodische Vorgehen beschrieben wird, ist es zunächst erforderlich, die Begriffe "Literatursprache" und "Norm" zu definieren. 2. 2.1.
5 Unter Literatursprache verstehen wir in Anschluß an M. M. Guchmann eine bewußt gestaltete, geformte Sprache, die sowohl im mündlichen wie im schriftlichen Verkehr angewandt wird. 'Die "geformte Sprache" setzt voraus, daß aus dem Gesamtinventar sprachlicher Mittel aufgrund mehr oder weniger bewußt angelegter Kriterien eine b e stimmte Auswahl getroffen undgim Zusammenhang damit eine größere oder geringere Regelung vorgenommen wird.' Die Literatursprache ist eine historische Kategorie; 'Grad der Formgebung sowie Strenge der Auswahl und Regelung können nicht nur in
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verschiedenen Literatursprachen, sondern auch in verschiedenen Perioden der Ge7
schichte einer Sprache verschieden sein.'
Der Begriff Literatursprache als Bezeich-
nung für eine bewußt gestaltete Sprachform ist in der wissenschaftlichen Tradition der UdSSR, Italiens und Frankreichs weit verbreitet, Standardsprache vor allem in der englischen und amerikanischen Fachliteratur. In der deutschen Sprachwissenschaft werden Schriftsprache, Hochsprache,g aber auch Gemeinsprache und Einheitssprache in der gleichen Bedeutung gebraucht. Die Verwendung Vinterschiedlicher Termini e r klärt sich nicht nur aus den verschiedenen Wissenschaftstraditionen, sondern auch aus der Natur des Gegenstandes selbst, seiner Vielgestaltigkeit und historischen Variabilität. Wir entscheiden uns trotz der Tatsache, daß die Bezeichnung Literatursprache den Nachteil hat, in einem engeren Sinne auch für die Sprache der schöngeistigen Literatur gebraucht zu werden, dennoch für sie, weil wir sie mit M. M. Guchmann aufgrund ihrer Neutralität für am meisten geeignet halten, zur Kennzeichnung des invarianten Bestandteils des Begriffs der bewußt gestalteten Sprachform als des allgemeinen typologischen Charakteristikums dieser Existenzform der Sprache dienen zu können. Dabei muß darauf verwiesen werden, daß dieser Begriff auch bei den Sprachwissenschaftlern, die ihn verwenden, nicht einheitlich definiert wird; zu seiner näheren Bestimmung werden v e r schiedene Kriterien herangezogen. Wir verstehen, wie schon angedeutet, Literatursprache als eine historische Kategorie; die Verschiedenartigkeit von Literatursprachen ist durch die historischen Verhältnisse bedingt, unter denen sie sich entwickeln. Entscheidend sind die Kriterien der bewußten Gestaltung und damit zusammenhängend der Auswahl und relativen Regelung. Diese Kennzeichen liegen bereits in der vornationalen Periode vor, so daß der Begriff für die entsprechende Existenzform auch in dieser Zeit in Anspruch genommen werden kann. - Die Literatursprache ändert zwar im Laufe der Entwicklung ihren Charakter; das hängt vor allem mit der Erweiterung ihrer Funktion und der Veränderung ihrer sozialen Basis zusammen; aber als Existenzform der Sprache mit bestimmten typologischen Kennzeichen ist sie lange vor der Herausbildung und Existenz der Nation vorhanden. Das gilt auch für die mündliche Realisierung der Literatursprache, die natürlich in der vornationalen Periode einen anderen Charakter aufweist als in der nationalen. 2.2.2.
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Unter Norm verstehen wir in Anschluß an N. N. Semenjuk allgemein die 'Gesamtheit der stabilsten, traditionellen, durch die gesellschaftliche Sprachpraxis ausgewählten und fixierten Realisierungen der Elemente der Sprachstruktur'.
Norm beruht auf
der Auswahl aus den Möglichkeiten des Sprachsystems; sie ist durch Stabilität und V e r bindlichkeit gekennzeichnet, unterliegt aber durchaus auch gesellschaftlich bedingten Veränderungen. Ein Sonderfall liegt in der literatursprachlichen Norm vor, die 'die Gesamtheit kollektiver Realisierungen des Sprachsystems darstellt, die von der Gesell-
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Schaft auf einer bestimmten Etappe ihrer Entwicklung anerkannt und als richtig und vorbildlich aufgefaßt werden.' ** Ihr spezieller Charakter besteht darin, daß an ihrer Ausbildung mehrere Subsysteme, d.h. z . B . Dialekte oder territorial mehr oder weniger gebundene Varianten der Literatursprache teilhaben können; sie hat in der Regel Geltung für größere Gebiete und ist durch eine Vielfalt von Funktionen gekennzeichnet. Auch die literatursprachliche Norm zeigt einerseits Stabilität, ist aber andererseits veränderlich, abhängig von den Kommunikationsbedürfnissen der unter unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen lebenden Menschen. Norm ist in diesem Sinne eine Erscheinung der Sprachverwendung, des Sprachusus. In der Sprachverwendung begegnen jedoch auch okkasionelle, »instabile Erscheinungen, die nicht zu der zu einer bestimmten Zeit gültigen Norm zu zählen sind; diese Elemente können Reste veraltender oder Bestandteile im Entstehen begriffener Normen sein, sie können sprachliche Elemente darstellen, die trotz ihres systemgerechten Charakters aus z . T . sehr unterschiedlichen Gründen nicht in die Norm aufsteigen, sie können aber durchaus gelegentlich auch fehlerhafte, nicht der Norm zuzurechnende Realisierungen sein. Die Entscheidimg darüber, ob eine sprachliche Erscheinung zur Norm gehört oder nicht, ist nicht immer einfach; sie wird oft von Fall zu Fall zu treffen sein. In den hier zu referierenden Arbeiten wird - das wurde bereits angedeutet - zunächst keine Entscheidung darüber getroffen, ob eine bestimmte sprachliche Erscheinung zur Norm gehört bzw. ob für einen Teilbereich bereits eine Norm vorhanden ist oder nicht. Hier wird die Sprachverwendung zu bestimmten Zeiten beschrieben, die aus einem noch näher zu charakterisierenden Textkorpus ermittelt wird. Dabei gilt das Hauptaugenmerk dem Stand von Ausgleichsprozessen zwischen miteinander konkurrierenden sprachlichen Mitteln als unmittelbare Voraussetzung für die Herausbildung einer einheitlichen Norm. Die Konkurrenzen sind in bestimmten sprachlichen Bereichen insofern gegeben, als an der Normbildung der nationalen Literatur spräche mehrere, nach dem Grad ihrer strukturellen Nähe unterschiedliche sprachliche Subsysteme, z . B . Dialekte, Fachsprachen oder territoriale Varianten der Literatursprache beteiligt sind, d.h. im Rahmen des Ausgleichsprozesses können verschiedene synonyme bzw. funktionsgleiche Einheiten miteinander konkurrieren; in der Regel wird eine von ihnen zur Norm aufsteigen. Der Untersuchungsgegenstand besteht daher im lexikalischen Bereich aus synonymen, d.h. bedeutungsgleichen, -ähnlichen oder sinnverwandten Wörtern, die das im Bewußtsein widergespiegelte Abbild ein und derselben Erscheinung der objektiven Realität bezeichnen, und im syntaktischen Bereich aus funktionsgleichen, aber verschieden ausgeformten und nur teilweise beliebig austauschbaren Aus drucks mitte In derselben grammatischen Kategorie. Solche gleichwertigen Avisdrucksmittel sowohl des lexikalischen wie des grammatischen Bereichs werden "Konkurrenten" genannt. Der Stand der Ausgleichsprozesse wird durch Angaben über den sprachlichen Durchschnitts- und Häu-
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figkeitswert des Gebrauchs der einzelnen sprachlichen Erscheinung im Verhältnis zu den Konkurrenten gekennzeichnet. Gemeinsam ist allen Arbeiten, daß die Häufigkeitsrelationen für die einzelne sprachliche Erscheinung jeweils auf Hundert bezogen, d.h. in Prozenten ausgedrückt werden. Hinweise auf das Textkorpus, aus dem die Ergebnisse gewonnen wurden, enthalten die Einleitungen zu den einzelnen Teilbänden. 2. 3. Um den sprachlichen Entwicklungsprozeß auf den genannten Ebenen des Sprachsystems verfolgen zu können, wird die Sprachverwendung zu Beginn und am Ende des Untersuchungszeitraums ermittelt. Zu dem Zweck wird jeweils für die Zeit von 1470 bis 1530 und 1670 bis 1730 ein Textkorpus zusammengestellt, aus dem die Materialgrundlage für die Analyse des Sprachgebrauchs gewonnen wird. Die Ergebnisse beider Analysen werden miteinander verglichen. Das ermöglicht Aussagen über die Entwicklungstendenzen sowie eine Beantwortung der Frage, wieweit um 1730 als dem Endpunkt der Untersuchung der Ausgleichsprozeß vorangeschritten ist. Zusätzlich werden zwei weitere Arbeitsschritte getan. Der jeweilige Untersuchungsbefund wird stichprobenhaft mit den Beschreibungen des entsprechenden Gegenstandes in Wörterbüchern und Grammatiken, die entweder direkt aus dieser Zeit stammen oder Sprachzustände dieser Zeit reflektieren, verglichen. Ziel ist die Feststellung, wie sich Sprachwirklichkeit einerseits, die Forderung der Grammatiker und die Beschreibung der Lexikographen andererseits zueinander verhalten. Vollständigkeit wird weder angestrebt noch ist sie für das Resultat erforderlich; überdies muß damit gerechnet werden, daß eine Befragung der Grammatiker und Lexikographen nicht in allen Fällen möglich ist, da nicht alle Erscheinungen, die unter modernen Gesichtspunkten von Bedeutung sind, Gegenstand zeitgenössischer Beschreibungen waren. Der zweite zusätzliche Schritt ist der Vergleich des Untersuchungsbefundes mit dem Sprachgebrauch der Gegenwart. Er muß zwangsläufig dort auf Schwierigkeiten stoßen, wo für das moderne Deutsch keine methodisch entsprechenden Analysen vorliegen. 2.4. Der Sprachgebrauch in den beiden Zeiträumen wird, wie bereits angedeutet, auf v e r schiedenen Ebenen des Sprachsystems ermittelt. Dabei ist eine Beschränkung auf einige Erscheinungen geboten; selbstverständlich wird die Auswahl des spezifischen Untersuchungsgegenstandes davon mitbestimmt sein, inwieweit er aufgrund allgemeiner E r fahrungen die Ausgleichsprozesse als Voraussetzung für die Normausbildung besonders deutlich werden läßt. Auf der lexikalischen Ebene wird so vorgegangen, daß Konkurrentengruppen ausgewählt werden, in denen im ersten Zeitraum als dem Ausgangspunkt der Untersuchung mindestens 2, in der Regel aber mehrere Wörter zur Bezeichnung
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einer Person oder Sache zur Verfügung stehen; hier bilden miteinander konkurrierende Synonyme, die bedeutungsgleich oder -ähnlich sein können, den Untersuchungsgegenstand. Auf der syntaktischen Ebene beschränkt sich die Beschreibung der Sprachverwendung zunächst auf Erscheinungen des Einfachsatzes. Ausgangspunkt ist das Vorhandensein von mindestens 2, im Durchschnitt aber mehr funktionsgleichen syntaktischen Mitteln zwischen 1470 und 1730, die unterschiedlich ausgeprägt und nur teilweise miteinander austauschbar sind. Für die Zukunft sind im Rahmen von arbeitsteiliger Kooperation mit dem Institut für Sprachwissenschaft der Akademie der Wissenschaften der UdSSR weitere Arbeiten dieser Art geplant, die die genannte Problematik an ausgewählten Beispielen aus der Morphologie, Wortbildung und am Beispiel des zusammengesetzten Satzes untersuchen. - Wie bereits angedeutet, soll jedoch nicht nur der rein sprachliche Verlauf beschrieben werden; darüber hinaus ist es von Interesse herauszuarbeiten, ob die Veränderungen im Sprachgebrauch in allen Gegenden Deutschlands, d.h. in den einzelnen Sprachlandschaften in gleicher Weise verlaufen sind oder ob Unterschiede e r kennbar sind. Außerdem ist zu prüfen, ob Aussagen über die Träger solcher Entwicklungen gemacht werden können. 2.4.1. Die Frage nach dem Anteil, den die einzelnen Schichten des deutschen Volkes an der Veränderung im Sprachgebrauch und bei den Ausgleichsprozessen gehabt haben, d. h. wessen Kommunikationsbedürfnisse einen solchen Wandel zur Folge hatten, kann aus dem sprachlichen Material teils nur indirekt, teils vermutlich überhaupt nicht beantwortet werden. Der Weg zur Erschließung dieses Fragenkomplexes führt in erster Linie über die Gattungen, die in die Untersuchung einbezogen werden. Dabei wird vom litera12 tursoziologischen Wert der einzelnen Gattung ausgegangen. Jede einzelne Quelle hat ihren Autor, der, ob bekannt oder nicht, bestimmten Verfasserkreisen zuzuordnen ist, die sozial oder klassenmäßig determiniert sind. Herkunft des Autors sowie Zweck und Darstellungsgegenstand der Publikation können in der Sprache ihren Niederschlag finden. Jedes Werk ist außerdem in der Regel für bestimmte, soziologisch festlegbare Leserkreise gedacht. Die sprachliche Analyse des einzelnen Werkes und damit einer Reihe von Werken, die ein und derselben Gattung angehören, kann also in Grenzen Auskunft über die Menschen geben, die als Autoren oder Publikum in Frage kommen; da diese ihrerseits sozial und klassenmäßig bestimmt sind, müßte von hier der Schluß auf die Träger bestimmter sprachlicher Entwicklungen möglich sein. Gerade hier muß jedoch sehr differenziert vorgegangen werden, wie z. B. die nach Autor, Publikum und Darstellungsgegenstand in sich sehr heterogenen Flugschriften oder die Volksbücher, deren Leserkreis soziologisch sehr unterschiedlich ist, zeigen. Von solchen Überlegungen wurde - wenigstens bei den syntaktischen Untersuchungen - die Auswahl der Quellen bestimmt. Die Auswertung erfolgte hier nach Gattungen getrennt, um feststellen zu
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können, ob sie sich in ihrem Sprachgebrauch unterscheiden. Bei den lexikalischen Untersuchungen war dieser Weg nur bedingt gangbar; hier mußte die Auswahl der Quellen weitgehend von dem Gesichtspunkt bestimmt sein, daß in ihnen Bezeichnungen der ausgewählten Konkurrentengruppen zu erwarten sind. Denn während sich Einfachsätze normalerweise in jedem beliebigen Text finden, hängt die Bezeugung bestimmter Wörter vom Darstellungsgegenstand ab. Aber selbstverständlich werden auch hier Antworten auf soziolinguistische Fragestellungen versucht. 2.4.2. Um die Frage beantworten zu können, welche Rolle sprachgeographische Faktoren bei den Ausgleichsprozessen in den 2 Zeiträumen spielten, wird das deutsche Sprachgebiet nach Sprachlandschaften eingeteilt. Anhand der Quellen, die aus jeweils einer Landschaft stammen, wird der entsprechende landschaftliche Sprachgebrauch ermittelt. An einem Durchschnittswert für alle Sprachlandschaften kann die für die einzelne Landschaft festgestellte Sprachverwendung gemessen werden; damit sind Avissagen darüber möglich, ob es Unterschiede zwischen den einzelnen Sprachlandschaften in Hinblick auf den dortigen Sprachgebrauch gibt. Es können darüber hinaus Feststellungen getroffen werden, wie sich der in den einzelnen Landschaften ermittelte Sprachusus zum modernen Stand verhält, d.h. ob in Hinblick auf die Sprachentwicklung Landschaften existieren, die in stärkerem Maße zum modernen Deutsch stimmen als andere. - Das deutsche 13 Sprachgebiet wird in folgende Sprachlandschaften aufgeteilt : os tober deuts ch (bairis ch/öster rei chis ch) ostmitteldeutsch (thüringisch, obersächsisch, schlesisch; Ordensgebiet) ostniederdeutsch (mecklenburgisch, märkisch) westoberdeutsch (schwäbisch, alemannisch, ober fränkisch) westmitteldeutsch (hessisch, rheinfränkisch, moselfränkisch, ripuarisch) westniederdeutsch (west-, ostfälisch, niedersächsisch) Die Einteilung ist weitgehend nach lautlichen Kriterien vorgenommen, wie sie die Auswertung der Karten des deutschen Sprachatlasses nahelegt. Die Ergebnisse können durchaus erweisen, daß sie für die hier untersuchten sprachlichen Ebenen modifiziert werden muß. Besonders problematisch ist die Zuordnung von Grenzgebieten. Diese E r kenntnis hat dazu geführt, daß für die lexikalischen Arbeiten das Oberfränkische (südfränkisch und ostfränkisch) als eine selbständige geographische Untersuchungseinheit gewählt wurde. In der Regel wurde versucht, nur solche Quellen heranzuziehen, die aus den Kerngebieten der einzelnen Sprachlandschaften stammen, die also eine gewisse Gewähr dafür bieten, daß in ihnen in der Grundsubstanz wirklich der für das betreffende Gebiet typische Sprachgebrauch erfaßt wird, die also eindeutig z.B. bairisch, niedersächsisch oder schwäbisch usw. sind. Wurden aus Mangel an geeigneten Quellen solche aus Rand- und Übergangszonen einbezogen, wurde jeweils auf die Schwierigkeit ihrer Zuordnung aufmerksam gemacht.
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2.4.3. Um die genannten Ziele erreichen zu können, wird in den Arbeiten zur Syntax methodisch folgendermaßen vorgegangen. Für jede der ausgewählten sprachlichen Erscheinungen wird in jedem Zeitraum in jeder der Sprachlandschaften an jeder Quelle, die eine bestimmte Gattung vertritt, der Sprachgebrauch dadurch ermittelt, daß das prozentuale Verhältnis der syntaktischen Konkurrenten untereinander festgestellt wird. Das ermöglicht die Errechnung von Durchschnittswerten sowohl für die Landschaften als auch für die Gattungen; an ihnen kann der Entwicklungsstand der einzelnen Quelle, die sowohl eine Landschaft als auch eine Gattung vertritt, gemessen werden. Dieses Verfahren gestattet auch die Feststellung von Durchschnittswerten für jeden Zeitraum; der Vergleich beider Ergebnisse macht die Entwicklungstendenz deutlich, die zwischen 1470 und 1730 besteht. Analog wird in den lexikalischen Arbeiten verfahren; hier liegt das Schwergewicht auf dem sprachgeographischen Aspekt. Die Analyse der Sprachverwendung um 1730 weist gleichzeitig aus, welchen Entwicklungsstand der Ausgleichsprozeß als Voraussetzung für die Ausbildung der Norm der nationalen deutschen Literatursprache in der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der Herausbildung der bürgerlichen deutschen Nation erreicht hat. Es muß allerdings mit aller Entschiedenheit betont werden: Die Ergebnisse können zunächst nur etwas über den Sprachgebrauch und seine Entwicklung bei den der Untersuchung zugrunde liegenden sprachlichen Erscheinungen aussagen. Wie die Arbeiten zeigen, muß damit gerechnet werden, daß die Wahl anderer Untersuchungsgegenstände ein noch vielgestaltigeres und differenzierteres Bild vom Verlauf der literatursprachlichen Entwicklung ergeben hätte. Ähnliche Einschränkungen für die Gültigkeit des einzelnen Ergebnisses müssen auch hinsichtlich der Quellenauswahl gemacht werden. Selbstverständlich stellt die Materialgrundlage, gemessen an der Gesamtzahl überlieferter sprachlicher Äußerungen aus der Zeit von 1470 bis 1730, nur einen Bruchteil dar. Andere literarische Gattungen in der Syntax oder andere Quellen bei den lexikalischen Arbeiten bzw. eine größere Anzahl von ihnen würden, da jede Exzerption nur eine Stich14 probe darstellt, möglicherweise modifizierte Ergebnisse erbracht haben. Dennoch scheint es gerechtfertigt, auf der Grundlage der vorliegenden Resultate Entwicklungstendenzen deutlich zu machen und verallgemeinernde Schlußfolgerungen zu ziehen, die durch andersgeartete Einzelergebnisse nicht grundsätzlich in Zweifel gezogen werden dürften. Dazu berechtigen einmal die sorgfältig vorgenommene Quellenauswahl, durch die versucht wurde, für die jeweilige Zeit typisches Schrifttum zu erfassen, zum anderen aber auch die Untersuchungsergebnisse, die zeigen, daß bei recht unterschiedlichen Untersuchungsgegenständen trotz differenzierten Verlaufs des Ausgleichsprozesses im einzelnen eine gemeinsame Grundtendenz in der Entwicklung hervortritt.
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Anmerkungen 1 Vgl. F. Engels, Der deutsche Bauernkrieg, in: K. Marx/F. Engels, Werke, Bd. 7, Berlin 1960, 329-413. 2 Vgl. dazu M. Steinmetz, Deutschland von 1476 bis 1648, Berlin 1965 sowie G. Schilfert, Deutschland von 1648 bis 1789, Berlin 1959. 3 W . I . Lenin, Über das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, in: Werke, Bd. 20, Berlin 1961, 398 f. 4 Zum Zusammenhang zwischen Gesellschaftsformation und Sprache vgl. Guchmann, Weg. 5 M. M. Guchmann, Die Literatursprache, in: Ser6brennikow, Sprachwissenschaft I, 412-453. 6 M . M . Guchmann, a . a . O . 412. 7M.M. Guchmann, a . a . O . 412. 8 Vgl. dazu M.M. Guchmann, a . a . O . 413. 9 N. N. Semenjuk, Die sprachliche Norm, in: Ser6brennikow, Sprachwissenschaft I, 454-493. 10N.N. Semenjuk, a . a . O . 459. 11N.N. Semenjuk, a . a . O . 468. 12 Vgl. dazu Spriewald, Grundpositionen. 13 Vgl. dazu Schirmunski, Mundartkunde 26. 14 Vgl. Kellerer, Theorie.
ZUR AUSBILDUNG DER NORM DER DEUTSCHEN LITERATURSPRACHE AUF DER SYNTAKTISCHEN EBENE (1470 - 1730) Der Einfachsatz
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1. Fragen der Herausbildung moderner Literatursprachen sind in jüngster Zeit in den Mittelpunkt sprachgeschichtlicher Untersuchungen gerückt. Laut/Schriftzeichen - Formen Syntax - Stil - Wortschatz sind dabei die sich der Forschving anbietenden Ansatzpunkte für Spezialarbeiter Überblickt man den Forschungsstand im Bereich der deutschen Sprache, fällt die starke Betonung des graphematischen Sektors auf - ein Umstand, der seine Begründung in der Forschungsgeschichte findet: Urkundensprache (mit den durch ihre Struktur vorgegebenen Untersuchungsmöglichkeiten) und die im Lautstand vom überlandschaftlich gültigen Deutsch vielfältig differierender Mundarten waren die beiden Pole, die zunächst aufeinander bezogen und miteinander verglichen wurden. Mit den Untersuchungen Burdachs'und von Bahders wurde freilich - schon relativ früh - der Weg zu weitergreifenden, auch die anderen Sprachebenen berücksichtigenden Untersuchungen gewiesen. Burdachs Verdienst bleibt es, auf die Stilistik als notwendigen Untersuchungsgegenstand hingewiesen zu haben, und von Bahders viel beachtetes Buch über die Wortwahl in der frühneuhochdeutschen Schriftsprache (Heidelberg 1925) leitete im Grunde die Erforschung der Ebene des Wortschatzes ein, die in der Gegenwart einen kräftigen Auf1 2 schwung genommen hat . Admonis Untersuchungen schließlich lenkten in den letzten Jahren den Blick auf ein weiteres, bisher zum größten Teil unbearbeitetes Gebiet: auf die Syntax. Sie ist im skizzierten Rahmen zwar eingestandenermaßen von großer Bedeu3 tung, gleichwohl war sie aber bislang nur gelegentlich Gegenstand größerer Arbeiten ein Zustand, der vorerst eine u m f a s s e n d e Beschreibung der auf a l l e n genannten Ebenen sich abzeichnenden Entwicklung verbietet: Die Verallgemeinerung (und damit Verabsolutierung) von Kenntnissen, die nur für e i n e sprachliche Ebene Gültigkeit besitzen, ist methodisch nicht vertretbar. Auf dieser Einschätzung der Forschungslage basiert unser Entschluß, Untersuchungen zu syntaktischen Fragen vorzulegen. Sie sollen zum Abbau einer Forschungslücke beitragen. Die Tatsache, daß die Syntax ein wichtiges Subsystem des Gesamtsystems Sprache ist, stützt zusätzlich die getroffene Entscheidung.
2. Methodiscfier Fixpunkt auch dieses Teilbandes sind die S. 15 f. angeführten generellen Vorbemerkungen über den Weg zur Untersuchung der sich vollziehenden Ausgleichsvorgänge zwischen landschaftlich und sozial bedingten Varianten der Literatursprache. Im Mittelpunkt steht demnach eine Bestandsaufnahme der zeittypischen Verwendung konkurrierender funktionsgleicher und -ähnlicher Formen: Das allgemein Verbreitete, das Dominierende, soll deskriptiv vom Zurücktretenden und vom Vereinzelten abgehoben werden; das Nebeneinander synonymer Formen (wobei synonym auf die Funktion bezogen ist) soll auf Gebrauchseigentümlichkeiten untersucht werden. Damit gewinnt der Be-
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griff der Auswahl eine zentrale Stellung; er schließt seinerseits die Frage in sich ein, welche Faktoren den jeweiligen Konkurrentengruppen spezielle Ausprägungen verliehen haben. Mit anderen Worten: Auch den Gründen für die Akzentuierving des Konkurrentengebrauchs nach dieser oder jener Seite hin ist nachzugehen. 3. Die Erkenntnisse vorangegangener Forschung lehren, daß bei sprachlichen Prozessen der hier zu untersuchenden Art zunächst zwei Faktoren auswahldeterminierend wirksam werden können: die Sprachlandschaft einerseits und die durch die Spezifik der Gattungen bedingten Eigenheiten der Sprachverwendung andererseits. Zu berücksichtigen ist aber, daß diese beiden Faktoren sich jeweils innerhalb bestimmter Zeiträume auswirken, da der Sprachgebrauch gesellschaftlich bedingten Veränderungen unterliegt und somit innerhalb einzelner Zeiträume eine Zeittypik aufweist, die vom Stand der gesellschaftlichen Entwicklung abhängig ist. Mithin sind also (mindestens) drei Faktoren als Richtpunkte in Untersuchungen zum Sprachgebrauch einzubeziehen: Sprachlandschaft, literarische Gattung und die die beiden erstgenannten Faktoren überwölbende Zeittypik. Auf die Notwendigkeit ihrer Beachtung wurde allgemein bereits in den generellen Vorüberlegungen hingewiesen (vgl. S.21 f.), sie sind - besonders die beiden zuerst genannten - im folgenden gesondert im Hinblick auf die vorgelegten syntaktischen Arbeiten zu spezifizieren, da die Art der Vorgliederung maßgeblich die Arbeitsergebnisse beeinflußt. 3.1. Zeittypik Sprachverwendung ist immer in Beziehung zu setzen zur sie tragenden Gesellschaft; unter verschiedenen historischen Bedingungen müssen sich daher ihr Charakter und ihr konkreter Zustand wandeln. Eine solche Differenz im Stand der gesellschaftlichen Entwicklung liegt zwischen 1470 (als dem Anfangspunkt der Untersuchung), und 1730 (als ihrem Endpunkt) vor; sie bedingt, daß der GesamtuntersuchungsZeitraum nicht als Einheit aufgefaßt werden darf. Hinzu kommt von methodischer Seite das Folgende: Soll - gemäß der in der Einleitung zum Gesamtprojekt formulierten Aufgabe - der Charakter der Sprachverwendung zu Beginn und zu Ende des Untersuchungszeitraumes verglichen werden, muß zur synchronen Betrachtung eingegrenzter Abschnitte aus dem Gesamtzeitraum deren diachroner Vergleich treten - müssen also wenigstens zwei Teilzeiträume aus dem Gesamt zueinander in Beziehung gesetzt werden. Im vorliegenden Fall sind das 1470 - 1530 1670 - 1730
als Zeitraum I als Zeitraum n .
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Ihre Wahl wurde nicht willkürlich vorgenommen, sie orientiert sich daran, daß Zeitraum I (1470 - 1530) eine Epoche grundlegender Umstrukturierungen auf nahezu allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens umfaßt, die sich zudem sprachlich durch das Wirksamwerden neuer Einheitstendenzen auszeichnet, und daß in Zeitraum n (1670 1730) - nach Rückschlägen - eine Periode der Selbstbesinnving des deutschen Bürgertums einsetzt und bedeutende Fortschritte in Richtung auf eine bürgerliche deutsche Nationalliteratur sowie auf eine einheitliche Literatursprache gemacht werden. Die Synchronschnitte umfassen jeweils einen Zeitraum von 60 Jahren; eine noch weitere Ausdehnung ihres Umfanges hätte die Grenze zwischen Synchronie und Diachronie unmerklich verwischt und eine zu große Unschärfe in die Ergebnisse einfließen lassen. Der Erhellung der internen Struktur der beiden gewählten Zeiträume dienen die anderen auswahldeterminierenden Faktoren: Landschaft und Gattung. 3.2. Landschaft Ihrer - von der Forschung hinlänglich bewiesener - spezifischen Prägungsmöglichkeiten wegen mußten Textproben aus jeder der in der generellen Einleitung angeführten Großlandschaften (vgl. S. 23) in den Kreis der Untersuchungsmaterialien einbezogen werden. Bei den Quellen für die syntaktischen Untersuchungen wurde z.T. jedoch auf eine Feindifferenzierung innerhalb ihrer Geltungsbereiche verzichtet: Das Niederdeutsche wurde so z.B. nicht in das (in sich noch gegliederte) Ost- und Westniederdeutsche getrennt, weil Stichproben keine Differenzen zwischen beiden erkennen ließen. Eine Stütze erhielt diese Entscheidung von der in der Fachliteratur gelegentlich vertretenen Meinung, daß die auf lautlichen (und teilweise auf lexikalischen) Gesichtspunkten basierende Einteilung der Einzeldialekte nicht unbedingt in gleicher Weise auch auf der syntaktischen Ebene wiederkehren müsse und daß die deutschen Dialekte in grammatischer Hinsicht weit weniger differenziert seien als in lautlicher. Besonders die Syntax wird als das vereinigende Moment an einer Verständigung über Mundartgrenzen hinweg hin4 gestellt . Trotz der Berechtigung solcher - im Einzelfall freilich noch zu erhärtenden Einwände darf die Schwerkraft der Landschaften in sprachlicher Hinsicht (wenn auch unter differenzierteren Aspekten, als das bisher geschehen ist) auf keinen Fall gänzlich außer acht gelassen werden. Sie muß mit in Betracht gezogen werden, obwohl auch noch von anderer Seite mit Überlagerungen landschaftseigener Strukturen zu rechnen ist - von der nämlich, daß die Ausbreitung bislang nur begrenzt gültiger Varianten einen Prozeß widerspiegelt, der sich folgerichtig aus den über engere Räume hinausgreifenden Kommunikationsverhältnissen ergibt, wie sie innerhalb des I. Zeitraumes (1470 - 1530) entstehen. Im II. Zeitraum (1670 - 1730) führt das - freilich als 5 Extremfall und in hohem Maße mitbestimmt durch territorial-fürstliche Interessen - bis zur
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Verdrängung einer literatursprachlichen Variante überhaupt: Das Niederdeutsche v e r liert als Literatursprache seine Bedeutung, auch in seinem Geltungsbereich wird das Hochdeutsche als solche verwendet. Aus diesem Grunde wurde darauf verzichtet, in dieser Zeitspanne das Niederdeutsche als eigene Sprachlandschaft anzuführen. 3.3. Literarische Gattung Eine Beschreibving der Konkurrenzverhältnisse innerhalb bestimmter grammatischer Kategorien lediglich auf geographischer Basis ist freilich nicht ausreichend; Geklärt werden muß auch (zumindest an Beispielen), wie sich ausgewählte literarische Gattungen zu den möglichen Konkurrenten verhalten. Gattungsspezifische Verhaltensweisen nämlich können bei aller individualistisch bedingten Schwankungsbreite innerhalb der Einzelgattung theoretisch ebensowenig von vornherein ausgeschlossen werden wie und das ist in diesem Zusammenhang ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt - eventuell sie mitbestimmende soziologische Bezüge, so schwer letztere im Einzelfall vorerst auch eindeutig herausgearbeitet werden können. Zur Verdeutlichung sei hier lediglich auf den zu Beginn des 16. Jh. existierenden Unterschied zwischen allgemein gelesenen Volksbüchern (die also nach Verständlichkeit für breite Leserschichten streben mußten) und weithin zunächst für bestimmte Berufe gedachte Fachliteratur (die sich also an einen engeren, mit gewissen Kenntnissen ausgestatteten Interessentenkreis richtete) hingewiesen. An ihm wird die hervorgehobene Problematik sichtbar. Verwendungszweck des jeweiligen Werkes, Rezeption durch das lesekundige Publikum, gesellschaftlicher Standpunkt des Autors bieten sich somit als Anknüpfungspunkte an, um den erwähnten soziologischen Bezügen näherzukommen. Ein Beachtenkönnen der hier umrissenen Fragestellungen setzt freilich voraus, daß Gattungen untersucht werden, die für die S. 30 beschriebenen Zeiträume jeweils charakteristisch und somit für sie aussagekräftig sind. Mit aller Deutlichkeit öiuß jedoch darauf hingewiesen werden, daß Ansätze von soziologischen Zuweisungen vorerst nur Hilfsmittel sein können, ermittelte sprachliche Befunde nicht im leeren Raum stehenzulassen, sondern zuordnen zu können, die Verwendung der Sprache also im Zusammenhang mit den sie anwendenden Menschen zu sehen. Mehr als ein Hilfsmittel vermögen sie deswegen nicht zu sein, weil eindeutige Zuordnungen vom gegenwärtigen Forschungsstand her kaum vertretbar sind - es kann sich immer nur um das Aufzeigen von hauptsächlichen Tendenzen handeln, nicht aber um ein E r fassen der g a n z e n soziologischen Wirkungsbreite der gewählten Gattungen. Geht man aber einerseits von möglicher spezifischer Sprachverwendung innerhalb von Landschaften und andererseits innerhalb von Gattungen aus, hat das methodische Konsequenzen nicht nur für die zugrunde zu legenden Sprachlandschaften (vgl. 3.2.), sondern ebenso in bezug auf die Art und Weise, w i e Gattungen in den einzelnen Sprachlandschaften heranzuziehen sind. Das ist ein Faktor, der zur Wahl der Gattungen als
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solcher hinzutritt und der deswegen ebenfalls zu erläutern ist. Innerhalb der fünf genannten Sprachlandschaften nämlich empfiehlt es sich, jeweils nur aus gleichen Gattungen zu exzerpieren, um zu gewährleisten, daß überall g l e i c h e s syntaktisches Material die Arbeitsgrundlage bildet und nicht von Landschaft zu Landschaft unterschiedliches, also keinen direkten Vergleich zulassendes. Wir haben für den 1. Zeitraum (1470 - 1530) ausgewählt: Reisebeschreibung - Chronik - Flugschrift - Fachprosa Volksbuch. Je ein Vertreter dieser Gattungen wird demnach in den der Untersuchung zugrunde liegenden Landschaften herangezogen. Das Quellenverzeichnis führt die speziellen Titel an. Die Wahl der Gattungen selbst beruht auf folgenden Gesichtspunkten: Die R e i s e b e s c h r e i b u n g e n - insbesondere solche von Pilgerreisen - sind zur genannten Zeit als breite Leser schichten erobernde Gattung anzusehen; die Auflagenzahlen der Texte zeigen, daß sie als Lektüre beliebt und weit verbreitet waren. Sie befriedigen offensichtlich ein Zeitbedürfnis; ihre Verfasser zählen in der Regel "nicht zu den bedeutenden Namen der Literaturgeschichte" . Als zeitspezifische Gattung sind auch die C h r o n i k e n anzusehen, vor allem die vom 14. - 1 6 . Jh. einen quantitativen Höhepunkt erreichenden Städte Chroniken. Die Chronik überhaupt steht in weit zurückreichender Tradition: Das erste Auftreten in deutscher Sprache fällt in das 12. Jahrhundert. Je nach Zweck und Ziel sind die Chroniken unterschiedlichen soziologischen Schichten zuzuordnen, ihre Entwicklung verläuft in diesem Umkreis von feudaladliger zu bürgerlicher Beschäftigung als Grundlage für die nationale Geschichtsschreibung humanisti7 scher Gelehrter . Zeittypisch für das erste Viertel des 16. Jh. aber sind in besonders hohem Maße die F l u g s c h r i f t e n - eine in sich vielfältig differenzierte Gattung, die, auf Massenwirkung eingestellt, unmittelbar an aktuelle Zeitereignisse anknüpft und von der jeweiligen ideologischen Position her meinungsbildend in sie eingreift. Die Autoren sind keineswegs in die unteren Gesellschaftsschichten einzuordnen, sie sind vielmehr in der Regel in der bürgerlichen Intelligenzschicht der angegebenen Zeit zu suchen, die in den sich vollziehenden Auseinandersetzungen eine bedeutende Rolle spielt - sich ihnen g also nicht entzieht . Im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung erlangt im I. Zeitraum (1470 - 1530) Fachwissen - und zwar solches auf den unterschiedlichsten Gebieten - eine immer bedeutendere Stellung. Das muß eine wachsende Bedeutung der auf Vermittlung von Spezialwissen ausgerichteten F a c h p r o s a nach sich ziehen. Jüngere Forschung g hat das bestätigt , Zweifelsohne wird Schrifttum dieser Provenienz vornehmlich vom Bürgertum getragen und rezipiert worden sein: ihm mußte - als die Entwicklung mitbestimmende Kraft dieser Zeit - ein Verfügen auch über Literatur solcher Art zur Notwendigkeit werden. In sich stark uneinheitlich ist die Gattung V o l k s b u c h ; sie wird sowohl von der alten Feudalklasse als auch von den sich neu festigenden Klassen in Anspruch genommen, Stoffe unterschiedlichsten Charakters finden sich in ihr. Die Eigen-
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art dieser Gattung bedingt, daß sie breiten soziologisch keineswegs einheitlichen Leserkreisen als Lektüre diente*0 - ein Umstand, der sprachlich nicht ohne Auswirkungen bleiben konnte1*. Ergänzend sei zur Gattungswahl hinzugefügt, daß deswegen ausschließlich Prosaquellen berücksichtigt wurden, weil anerkannterweise gerade ihnen bei Untersuchungen unserer Zielsetzung vorrangige Bedeutung zukommt. Sie erwächst aus dem zunehmenden Rückgang des Reimverses - aus einem Vorgang, der für die Sprache der schönen 12
Literatur von grundsätzlicher Bedeutung ist . Die bürgerliche Intelligenz spielt - auch darauf sollten die Hinweise aufmerksam machen - insgesamt als Träger- und Leserschicht der ausgewählten Gattungen eine wichtige Rolle; es wird daher darauf zu achten sein, wie sich die ermittelten sprachlichen Befunde zu dieser Tatsache verhalten. Literatur und gesellschaftliche Entwicklung können nicht voneinander getrennt werden; am Ende des gesamten Untersuchungszeitraumes (1670 - 1730) sind aus diesem Grund folgerichtige Umstrukturierungen im literarischen Bereich vorauszusetzen. Auswirkungen hat das im hier gezogenen Rahmen vor allem auf die Auswahl der Gattungen, die die Literatur dieses Zeitraumes repräsentieren: Als zeittypisch kann nicht mehr der Kreis der S. 33 für den ersten Zeitraum (1470 - 1530) genannten Gattungen angesehen werden - andere Genres haben in der Zwischenzeit an Bedeutung gewonnen und müssen als Quellenmaterial berücksichtigt werden. Von den in Frage kommenden haben wir ausgewählt Brief, Roman und Bildungsschrifttum; übernommen wird aus dem I. Zeitraum die Fachprosa als Untersuchungsobjekt. Die jeweiligen Landschaftsbeispiele für die einzelnen Gattungen weist wieder das Quellenverzeichnis aus. Mit den B r i e f e n wird eine Gattung erfaßt, die - seit der Mitte des 14. Jh. ständig an Bedeutung gewinnend - im Untersuchungszeitraum durch zunehmende Erleichterung des Postverkehrs einen weiteren Ausbau erfährt. Einflüsse verschiedenster Art werden in ihr greifbar: im amtlichen Bereich übt der Kanzleistil eine starke Wirkung aus, im privaten dominiert (in soziologischen Teilbereichen) das Französische, das jedoch vom Ende des 17. Jh. ab durch pietistischen Einfluß wieder zurückgedrängt wird. Wir haben solche Briefe ausgewählt, die französischen Einfluß vermissen lassen. Vom Volksbuch aus führt ein literarischer Traditionsstrang zum R o m a n , der sich zur verbreitetsten Gattung der erzählenden Dichtung entwickelt. In seinem Bereich wurde im ostmitteldeutschen Sprachgebiet eine als Stichprobe gedachte Zweiteilung vorgenommen, die der zeiteigenen literarischen Stilentwicklung Rechnung trägt: Barockroman (vertreten durch die 'Asiatische Banise' H.A. von Zieglers) und volkstümlicher Roman (vertreten durch Chr. Reuters 'Schelmuffsky') wurden hier gleichermaßen herangezogen, um einseitigen Urteilen zu entgehen. Eine direkte Widerspiegelung der kulturellen Interessen des wiedererstarkenden Bürgertums finden wir in dem vom Ende des 17. Jh. ab hervortretenden B i l d u n g s -
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S c h r i f t t u m , das von moralischen Wochenschriften bis zur Literatur reicht, die Bil13 dungsfragen behandelt. Seine soziologische Zuordnung bereitet kaum Schwierigkeiten , unbestreitbar ist auch der hohe Rang, der dem Bildungsschrifttum im literarischen Leben der Untersuchungszeit zukommt. Konnte das Bildungsschrifttum - seiner soziologischen Adressatenschicht wegen auf Popularisierung bei der Informationsweitergabe nicht verzichten, so wendet sich die F a chpr o s a unmittelbar an Fachkreise der jeweils beschriebenen Materie. In der Regel sind auch diese im Bürgertum zu suchen, nur ist mit ihnen von vornherein ein begrenzterer Leserkreis als beim Bildungsschrifttum angesprochen - ein Faktor, der sich, in Verbindving mit von der Sache her gegebenen Darstellungseigenheiten, auch sprachlich auswirken mußte. Aus den vorstehenden Ausführungen über die Quellenauswahl ergibt sich, daß ein direkter Vergleich der zwei zusammengestellten Gattungscorpora generell nicht vorgenommen werden kann. Nur in den Fällen, wo in beiden Zeiträumen gleiche Gattungen herangezogen werden, ist ein solcher methodisch ohne Einschränkung vertretbar - bei der Fachprosa also. Möglich und notwendig jedoch ist es, i n n e r h a l b derZeiträume auf bezeichnende Anwendungsweisen der untersuchten Konkurrenten einzugehen - u.a. um feststellen zu können, inwieweit in beiden Gattungseinflüsse überhaupt wirksam werden, ob sie in beiden Zeiträumen gleich stark sind, wie sich die Stärke ihres Einflusses zu der Wirksamkeit sprachgeographischer Faktoren verhält usw. 4. Zur Organisation des syntaktischen Forschungsprojekts selbst sind folgende Angaben zu machen: 4.1. Es war von vornherein nicht beabsichtigt, von den aufgezeigten methodischen Positionen aus jeweils eine umfassende, alle Teilgebiete berücksichtigende Syntax der zwei genannten Zeiträume zu erarbeiten. Durch Konzentrierung auf einzelne Komplexe sollten vielmehr Fragen der Herausbildung der syntaktischen Norm schlechthin transparent gemacht werden - und zwar primär im Hinblick auf die formalen Mittel, weil in ihrem Umkreis die aufgeworfene Problematik am deutlichsten sichtbar wird. Die Wahl der heranzuziehenden Komplexe orientierte sich daran, daß zur Erreichung des gesteckten Zieles gleichermaßen substantivische, verbale und adjektivische Satzelemente zu berücksichtigen waren: Eine einseitige Beschränkung auf e i n e n syntaktischen Bereich sollte damit vermieden werden. Folgende Einzelthemen - deren detaillierte Begründung jeweils vom Autor vorgenommen werden wird - wurden aus diesen generellen Überlegungen abgeleitet (sie sind hier angeführt in der Reihenfolge ihres Druckes):
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Der Einfachsatz Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen Zur Ausbildung des Satzrahmens Die Satznegation Formen und grammatische Struktur nebengeordneter Wortreihen Bezeichnungen für den Zugehörigkeits- und Herkunftsbereich beim substantivischen Attribut
Das Partizip I als Adjektiv und Adjektivkomponente - seine Entwicklung innerhalb der Klasse der Adjektive Die Orientierung sämtlicher Einzelbeiträge an gleichen methodischen Grundpositionen und Zielstellungen bedingt, daß in jeder der vorgelegten Studien nicht der ganze Umkreis der mit dem jeweiligen Thema zusammenhängenden Fragen erschöpfend behandelt werden kann; vielmehr ist ihre Fragestellung so konzipiert, daß sie als illustrierende Spezialbeiträge des übergreifenden Leitthemas fungieren. 4.2. Als für alle Arbeiten verbindliche syntaktische Untersuchungsgrundlage wurde das Satzmodeildes Einfachsatzes (des autosemantischen Aussagesatzes) gewählt. Dieses ist identisch mit einem Teil von Admonis Elementarsätzen: mit den in diesen einbe14 griffenen einfachen, alleinstehenden, selbständigen Sätzen . Die gewonnenen Ergebnisse haben jedoch z.T. auch für den Gesamtbereich des Elementarsatzes Gültigkeit (z.B. die Ergebnisse über den Ausbau der partizipiellen Adjektive). Folgende Satztypen gelten als Einfachsatz: 1. Es regnet gerade. 2. Es regnet gerade, ich gehe mit meinem Freund spazieren. 3. Es regnet gerade, und wir gehen trotzdem spazieren. 4. An dem Haus, an dem ich gerade vorbeigekommen bin, steht ein Baum, 5. Sie ging in das Geschäft, um Lebensmittel einzukaufen. 6a.Singend näherte sich eine Schulklasse. 6b.Der Arbeitsleiter, in der Dienststelle angekommen, eröffnete die Besprechung. Der Begriff Einfachsatz ist also relativ weit gefaßt, da in die Untersuchung auch solche Arten von Einfachsätzen einbezogen wurden, die Satzglieder 2. Grades und nebensatzähnliche Wortgruppen (Beispiel 4, 5, 6b) enthalten. Gliedsätze, auch in Einfachsätze eingeschobene (Beispiel 4), blieben also unberücksichtigt; elliptische Sätze und Fragesätze konnten herangezogen werden, wenn sie für die Bearbeitung eines Themas ergiebig waren. Zusammengezogene Sätze wurden generell berücksichtigt.
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4.3. Die in Prozentzahlen ausgedrückten Ergebnisse innerhalb der beiden ausgewählten Zeiträume basieren auf einer für die jeweilige Untersuchung tragbaren Menge von Einfachsätzen, die einem fortlaufenden Text (aus jedem Gattungsbeispiel der herangezogenen Sprachlandschaften) entnommen wurden; es handelt sich nicht um jeweils im Hinblick auf das spezielle Thema selektierte Sätze. Jeder Arbeit beigefügte Übersichten über den Umfang der Exzerption weisen die Anzahl der Seiten nach, die für die Bildung des im Einzelfall notwendigen Satz corpus ausgewertet wurden. 4.4. Die Verbindlichkeit aller S.33 f. angeführten Quellen für jede Einzelarbeit ermöglicht es, sie nach einem einheitlichen Sigelsystem zu zitieren. Jedes Sigel setzt sich dabei aus drei Teilen zusammen; es enthält 1. eine römische Ziffer. Sie weist auf den jeweiligen Untersuchungszeitraum hin: I = 1470 - 1530 II = 1670 - 1730 2. Initialen. Sie kennzeichnen die einzelnen Gattungen. Im Einzelfall gelten: I. Zeitraum R = Reisebeschreibung Chr = Chronik Fl = Flugschrift Fpr = Fachprosa Vb = Volksbuch II. Zeitraum Br = Briefe Ro = Roman Bi = Bildungsschrifttum Fpr = Fachprosa 3. arabische Ziffer. Sie ist das Kennzeichen für die Landschaft. Da innerhalb jeder durch Initialen voneinander abgehobenen Gattungsgruppe (z.B. R = Reisebeschreibung) mehrere Landschaften bearbeitet wurden, erscheinen zu deren Bezeichnung im I. Zeitraum - der Zahl der herangezogenen Landschaften entsprechend - die Ziffern 1 - 5 , es gilt 1 = omd. (ostmitteldeutsch) 2 = wmd. (westmitteldeutsch)
38
Der Einfachsatz
3 = oobd. (ostoberdeutsch) 4 = wobd. (westoberdeutsch) 5 = nd. (niederdeutsch Im n . Zeitraum entfällt das Niederdeutsche (5) als Vergleichslandschaft; hier erscheinen also nur 1 = omd. 2 = wmd. 3 = oobd. 4 = wobd. Zu diesem dreiteiligen Sigel tritt, durch Komma abgetrennt, die Seitenangabe der exzerpierten Stelle. Das Sigel I R . 4, 280 bedeutet demnach 1=1. Zeitraum (1470 - 1530), R = Reisebeschreibung, 4 = westoberdeutsch, 280 = Seite 280 Felix Fabri, Geistliche Pilgerfahrt (1492), in: Deutsche Pilger reisen nach dem Heiligen Lande, hrsg. und erläutert von Reinhold Röhricht und Heinrich Meisner, Berlin 1880, S. 278-296, Zitat S. 280 . Erfordern es Frequenzgründe, innerhalb einer Landschaft für e i n e Gattung z w e i Werke zu exzerpieren, so wurden diese durch den Zusatz a, b nach der arabischen Ziffer (Landschaft) gekennzeichnet. I Fl. 5a, . . . ist daher das Sigel für die ostoberdeutsche Flugschrift Nummer 1 des I. Zeitraumes (Die zwölf Artikel der Bauern von 1525), IFl.5b, . . . dasjenige für die ostoberdeutsche Flugschrift Nummer 2 des I. Zeitraumes (Ein Frag und Antwort von zweien Brüdern (1524)).
Anmerkungen 1 Vgl. z.B. Ising, Wortgeographie; Besch, Sprachlandschaften; Wolf, Mathesius; Spillmann, Müntzer. 2Admoni, Umfang; ders., Entwicklung. 3 Vgl. z. B. Erben, Grundzüge; Rössing-Hager, Syntax. 4 Schirmunski, Mundartkunde 409; Ulvestad, Word-Order 6 f.; Saltveit, Befehlsausdrücke 289. 5 Gernentz, Vordringen 35. 6 Wis, Pilgerberichte 296. 7 Boöckh, Literaturgeschichte 168. 8 Lenk, Dialog 14; vgl. auch Guchmann, Sprache. 9 Eis, Fachliteratur 65. 10 Boeckh, Literaturgeschichte 95. 11 Spriewald, Grundpositionen 303 f. 12 Besch, Vers. 13 Blackall, Entwicklung 36. 14 Admoni, Entwicklung 243 f.
DER VERBKOMPLEX AUS VERBALEN BESTANDTEILEN
Gabriele Schieb
Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen Abkürzungen, Zeichenerklärungen Adj altsächs. bes. conj cop E
1
E
2 3
E E
4 E .. prap E dir engl
= Adjektiv = altsächsisch = besonders = Konjunktiv = Kopula = Ergänzung im Nominativ, Subjektsnominativ = Ergänzung im Akkusativ, Objektsakkusativ = Ergänzung im Dativ = Ergänzung im Genitiv = präpositionale Ergänzung = Direktivergänzung = englisch
HV Imp
= Hilfsverb
Ind. Inf, inf. Inf (st. PP)
= Indikativ = Infinitiv = Infinitiv statt Perfektpartizip
zulnf
= Infinitiv mit zu( zu-Infinitiv
fl(ekt)Inf
= flektierter Infinitiv = flektierter Infinitiv mit zu, flektierter zu-Infinitiv = Konjunktiv
fl(ekt)zu Inf Konj.
= Imperativ
mhd.
= Kernverb = lateinisch = mittelhochdeutsch
mndl.
= mittelniederländisch
MV
= Modalverb
MoV ndl.
= Modifikationsverb = niederländisch
neg
= negiert
nhd. Opt.
= neuhochdeutsch
Part Adj
= Partizipialadjektiv
Perf Part
= Partizip des Perfekts
KV lat.
= Optativ
Perf Part act = aktives Partizip des Perfekts Perf Part pass= passives Partizip des Perfekts Perf Part (st. Inf) = Partizip des Perfekts statt Infinitiv
42 PI PP Präs. Präs Part Prät. Sg st. V VF VI VK VZ zu Inf [ ] # — = ^
Gabriele Schieb = Plural = Partizip des Perfekts = Präsens = Partizip des Präsens = Präteritum = Singular = statt = Verbum = Verbum finitum = Verbum infinitum = Verbkomplex = Verbzusatz, trennbares Präfix = Infinitiv mit zu, zu-Infinitiv = fehlend, zu ersetzen = prädikative Beziehung Objektbeziehung = attributive Beziehung
Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen
43
1. Einleitung 1.1. Gegenstand der nachfolgenden Untersuchungen ist der "Verbkomplex" im Rahmen des deutschen Einfachsatzes in seiner Entwicklung von der Zeit um 1500 bis zur Zeit um 1700, also in den Jahrhunderten, in denen sich die Voraussetzungen für die Herausbildung einer Norm der deutschen Nationalsprache verdichten. Dem "Verbkomplex" wurde bisher im Deutschen erstaunlicherweise noch keine Monographie gewidmet, die das Gesamt des Phänomens ins Auge faßte, obwohl seine Relevanz für die Geschichte der deutschen Sprache auf der Hand liegt. Unter "Verbkomplex" soll hier das Verb, strukturelles Zentrum des deutschen Verbalsatzes, verstanden werden, und zwar als syntaktische und semantische, oft auch morphologische Einheit aus einem oder aus mehreren Konstituenten, also als Wortgruppe, z.B. /kommt/, /kam/, /käme/ o d e r / i s t gekommen/, /kommt vor/, /kommt zu liegen/, /wird gekommen sein/, /kommt zur Ausführung/, /wird haben kommen wollen/. Diese Einheit ist gewöhnlich qualitativ etwas anderes als die Summe ihrer Konstituenten. Allerdings weist diese Einheit bei den verschiedenen Typen von Verbkomplexen sehr verschiedene Festigkeitsgrade und Qualitätsunterschiede auf. Sie hängen mit den verfließenden Grenzen zwischen Morphologie, Syntax, Wortbildung, Lexik und Idiomatik im "Verbkomplex" zusammen. Das ist auch der Grund, warum vielfach bezweifelt wird, daß es sich überhaupt um ein einheitliches Phänomen handelt. Wo immer aber man in der Synchronie auch feste Grenzen meint ziehen zu können oder zu müssen, für eine diachrone Betrachtung müssen wir sie überschreiten. Die diachrone Einheit des Phänomens erweist sich schon dadurch, daß sich ständig Grenzverschiebungen in bestimmter Richtung beobachten lassen. Eben weil wir es beim "Verbkomplex" mit einer Art "offener Wortgruppe" zu tun haben, ist seine Bedeutung für die Geschichte der deutschen Sprache schwerlich zu überschätzen. Was wir hier mit dem Blick auf die Struktur des "Prädikats", der "Satzaussage", des "verbalen Aussagekerns" mit dem Terminus "Verbkomplex" belegen, läuft in der Literatur sonst Vinter den Termini "Verbalgruppe" (Ries), "verbale groep" (van Es), "Verb Group" (Gottschalk), "werkwoordgroep" (Meeussen, Vanacker, De Schutter), "Verbales Gefüge" (Brinkmann), "verbale Einheit" (Fourquet), "(complex) verb phrase" (Folsom), "komplexes Prädikat" (Engel), "struktureller Satzkern" bzw. "verbal-prädikative Wortgruppe" (Admoni), "Erweiterung des verbalen Aussagekerns" bzw. "prädikative Syntagmen" (Erben), "zusammengesetztes verbales Prädikat" (Gulyga-Nathan son), "einteiliges" bzw. "mehrteiliges Prädikat" (Grammatik-Duden Mannheim), oder auch, sofern die Einheitlichkeit des Phänomens bestritten wird, auf die morphologischen und syntaktischen Untergruppen verteilt, unter den Termini "Vorgangsgefüge" (Glinz), "analytische" bzw. "periphrastische V e r b f o r m e n " und "biverbale Wort g r u p p e n "
Gabriele Schieb
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bzw. " W o r t f ü g u n g e n " (Moskalskaja), woran noch, beim Vorhandensein nichtverbaler Bestandteile, die "Funktionsverbfügungen", "-formein" (von Polenz) bzw. "Streckformen des Verbs" = "substantivisch-verbale Wortverbindungen" bzw. "substantivisch erweiterte Verbalformen" (Veronika Schmidt) und "Verballexeme" wie ein Teil der "Wortgruppenlexeme" (Wissemann) anzuschließen wären. Der naheliegende Terminus "Verbgruppe" soll hier bewußt vermieden werden, da dieser die Gruppe in irreführende unmittelbare Parallele zu den andern Wortgruppen setzte. Mit der Wahl des T e r m i nus "Verbkomplex" soll ausdrücklich hervorgehoben werden, daß die Verbgruppe, wie schon Ries feststellte, der sich als erster grundsätzlich mit der Problematik der Wortgruppen befaßt hat, * einen völlig anderen Charakter hat als z. B. die Substantivgruppe, die Adjektivgruppe u. a. Das hängt mit der fließenden Grenze zwischen Verbgruppe und Satz, und diese mit der Entstehung der Verbgruppe aus dem Satz zusammen, d.h. der Entstehung eines Satzelementes (eines Satzgliedes oder einer Wortgruppe) aus ursprünglich mehreren satzbildenden Elementen. Der "Verbkomplex" ist zwar, ebenso wie die andern Wortgruppen, auf der untergeordneten Ebene der Satzelemente anzusetzen. Aber seine doppelte syntaktische Aufgabe, einmal eine bestimmte Anzahl von Wortgruppen im Verbalsatz zum Satz zu formieren und zum anderen besondere Satzfunktionen wie Tempus, Modus, Diathese u. a. auszudrücken, verleiht dem "Verbkomplex" eine Son2
derstellung.
H. F. A. Van der Lübbe nennt die Verbalgruppe treffend "de grote
spelbreker" 'Spielverderber, Störenfried' unter den Wortgruppen. Er hält eine befriedigende Behandlung für unmöglich, "zo niet tegelijkertijd de predicerende woordver3 binding subject - oordeelsvorm in de beschouwing betrokken wordt", also die Satzmodelle mit berücksichtigt werden. Natürlich ist der Terminus "Verbkomplex" in gewissem Sinne ebenso willkürlich wie der Terminus "Verbgruppe", denn um Komplexe, um Gruppen von Wörtern handelt es sich sowohl beim "Satz" wie bei allen "Satzelementen (Satzgliedern oder Wortgruppen)". Aber den Wortkomplexen und Wortgruppen auf der Satzebene, die den Satz konstituieren, die satzbildend, prädizierend, hinordnend sind, halten wir die Bezeichnungen "-komplex", "-gruppe" grundsätzlich fern. Wir beschränken diese Termini auf die Ebene der Satzelemente, auf der sie eine qualitative Unterscheidung signalisieren; "-komplex" = verbale Gruppe in ihrer ganzen Ausdehnung ohne Rücksicht auf die Wortart ihrer Konstituenten, die starke Abstufung ihrer Einheitsstiftung sowie die mögliche diskontinuierliche Abfolge ihrer Konstituenten, "-gruppe" = alle andern Wortgruppen. 1.2. Der "Verbkomplex" als feste morphologische, syntaktische und semantische Einheit von bestimmter Struktur (Innengliederung) hat verschiedene Aspekte. Er ist deshalb zugleich zu studieren im Blick auf
Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen
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1. die Anzahl seiner Konstituenten, 2. die Art und Form seiner Konstituenten, 3. die syntaktisch-strukturelle und syntaktisch-semantische Beziehung seiner Konstituenten zueinander, 4. die syntaktisch-semantische Funktion des Verbkomplexes als Einheit. Dies sei an Beispielen aus der deutschen Sprache der Gegenwart erläutert.
1.2.1. Die Anzahl der möglichen Konstituenten eines "Verbkomplexes" ließe sich in der Vorstellung ohne Grenze steigern, praktisch aber ist sie begrenzt objektiv durch den jeweils erreichten Stand in der Entwicklung der Sprache, der seinerseits wieder abhängig ist von der Funktion der Sprache als Kommunikationsmittel von Menschen mit ihren materiellen Gegebenheiten, subjektiv durch die Sprachbeherrschung des jeweiligen Sprechers/Schreibers wie die Aufnahmefähigkeit des jeweiligen Hörers/Lesers. Berücksichtigt man nur die verbalen Konstituenten eines Verbkomplexes, so reicht die Skala in der deutschen Gegenwartssprache in der Regel von einem bis zu etwa fünf Konstituenten, z.B, 1 Konstituent:/sieht/, 2 Konstituenten:/wird sehen/, 3 Konstituenten: /wird gesehen haben/, 4 Konstituenten: /wird gesehen worden sein/, 5 Konstituenten: /wird gesehen worden sein können/ oder /hätte bleiben lassen können zu kommen/. Fünf oder gar noch mehr Konstituenten sind selten, und sie werden mit Recht von Sprachpflegern und Stilisten als unschön abgelehnt. Sie bieten mitunter auch Kommunikationsschwierigkeiten. Jedenfalls sind sie in ihrer Struktur nicht mehr leicht durchschaubar, da ja nur wenige, nicht in gleicher Weise vermehrbare Verbalformen zu ihrer Gestaltung zur Verfügung stehen, die Personalform, Partizipien und Infinitive. Bei Mitberücksichtigung nichtverbaler Konstituenten, pronominaler, nominaler oder adverbialer, kann sich die Zahl der möglichen Konstituenten natürlich noch etwas e r höhen, z.B. /wird sich haben hineindrängen lassen wollen/ oder/wird zur Ausführung gebracht worden sein können/, aber viel weiter kann der Rahmen eines Verbkomplexes mit Rücksicht auf die Sprachpraxis nicht gespannt werden. 1. 2. 2. An Konstituenten eines Verbkomplexes kommen heute im Deutschen der Wortart nach in Frage A. v e r b a l e , in der Form von a. finitem Verb (/kommt/, /kam/ u. a.) b. Perfektpartizip (/[ist] gekommen/) c. reinem Infinitiv (/'[soll] kommen/) d. zu-Infinitiv (/[scheint] zukommen/) wozu in älterer Sprache noch gehörten
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Gabriele Schieb e. Präsenspartizip (/[ist] kommend/) f. flektierter Infinitiv (/[ist] kommen [d]e/) g. flektierter zu-Infinitiv (/[scheint] zu kommen[d] e/);
B. p r o n o m i n a l e , in der Form eines Reflexivpronomens (/sich [schämen]/); C. n o m i n a l e , in der Form von a. Substantiv (/Einsicht [haben]/, /Beschluß [fassen]/) b. Präpositionalverbindung (/in Wegfall [kommen]/, / i n Erwägung [ziehen]/) c. Adjektiv (/krank [werden]/, /lieb [haben]/, tot [schlagen]/); D. a d v e r b i a l e , in der Form von a. Verbzusatz = trennbarem Präfix (/ab[nehmen]/, /zu[machen]/) b. Adverb (/still[schweigen]/). Die vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten unterliegen Beschränkungen sowohl nach der Zahl wie der Art der Konstituenten, die aber erst verständlich werden nach Einbezug weiterer, -und zwar syntaktisch-struktureller, syntaktisch-semantischer und lexikalisch- bzw. idiomatisch-semantischer Aspekte. Syntax und Semantik können hier nicht ohne Schaden getrennt werden. Ist doch die Syntax als sprachliche Erscheinung mehr als jede andere Ebene der Grammatik eng mit der Semantik verbunden und auf sie zum Funktionieren und zur Materialisation gedanklicher Inhalte und Beziehungen im Kommunikationsakt angewiesen.. Sonst bliebe sie leeres und s t a r r e s Schema ohne Motor zu weiterer Entwicklung,
1.2.3. Die syntaktisch -strukturellen und syntaktisch-semantischen Beziehungen der Konstituenten eines "Verbkomplexes" unter einander sind graduiert, was von verschiedenen Faktoren abhängig ist. 1.2.3.1. Ein Kernverb. 1. 2. 3.1.1. Besteht der Verbkomplex aus nur einer Konstituente, dann steht sie im Regelfall in der Form eines finiten Verbs (VF = verbum finitum), das dann nicht nur syntaktisches "Leitglied", sondern zugleich "Hauptverb", "Nucleus", "Grundmorphem", semantischer Kern, Kernverb (= KV) des Komplexes ist. 1. 2. 3.1. 2. Der Verbkomplex aus mehreren und zwar verbalen Konstituenten enthält in der Regel ein finites Verb, das der strukturell-syntaktische Kern des Komplexes ist, während der semantische Kern auf einen anderen Bestandteil, eine infinite Verbform, verlagert ist, z.B. / i s t gekommen/. Es handelt sich also um eine "subordinative Kette", eine "Erweiterving des verbalen Aussagekerns" mit gegenläufiger Abhängigkeit, je
Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen
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nachdem, ob man das syntaktische Leitglied oder den semantischen Kern im Auge hat. Drum schwankt in der Literatur die Terminologie zwischen "Kern" und "Anglied", "Hauptglied" und "Nebenglied", "Grundmorphem" und "Hilfsmorphem", und man v e r steht, daß mitunter, wenn die gegenläufige Abhängigkeit zusammengefaßt verdeutlicht werden soll, lieber zu abstrakten Symbolen wie / a b c) usw. oder / I 2 3/ usw. (Gottschalk, De Schutter) gegriffen wird. Bei den Verbkomplexen aus mehreren Konstituenten läßt sich folgendes beobachten. Die Personalform kann, sofern nicht Reihung vorliegt, normalerweise immer nur einmal auftreten. Von Partizipien und Infinitiven dagegen, also von infiniten Verbformen, kann ein Verbkomplex durchaus zwei oder mehr enthalten, die aber dann meist von Verben verschiedener syntaktisch-semantischer Funktion stammen. Es lassen sich nämlich drei Grade semantischer Entleerung feststellen vom Kernverb (= KV) mit voller lexikalisch-semantischer Eigenkraft über das Modifikationsverb (= MoV) und Modalverb (= MV) bis zum Hilfsverb (= HV) nur noch syntaktisch-semantischer Funktion. Trotz Abgrenzungsschwierigkeiten, die wiederum für die Diachronie von besonderer Bedeutung sind, können wir auf diese für die Struktur des Verbkomplexes relevante Gliederung der Verben nicht verzichten. Beispiele: Kernverben
/kommt/, / [ist] gekommen/, / [hat vor] zu kommen/, / [muß haben] kommen [lassen]/;
Modalverben
/will [kommen]/, /[hat kommen] sollen/, /[hätte bleiben lassen]
können [zu kommen]/; Modifikations-/beginnt [zu regnen]/, /[wird gelaufen] kommen/, /[hätte bleiben] verben lassen [können]/; Hilfsverben / i s t [gekommen]/, /[muß] haben [kommen lassen]/. Der Verbkomplex /sollte zu arbeiten begonnen haben/ setzt sich also zusammen aus VF MV' z u I n i KV' P e r i P a r t M o V ' I n f HV' w o b e i < ü e Stellung der Konstituenten aber nicht mit der inneren Strukturierung der Gruppe zusammenfällt. Diese baut sich nach dem binären Prinzip vielmehr so auf /sollte/ + /haben/ /[hat] / + /begonnen/ /[beginnt] / + /zu arbeiten/ Unter Berücksichtigung dieser Fakten werden im folgenden Verbkomplex-Modelle aufgestellt, die also nicht identisch sind mit den Verbkomplexen selbst. Sie stellen gegenüber den Verbkomplexen in ihrer konkreten Erscheinung eine Abstraktion dar, eine Art Idealisierung des Objekts. Sie sehen also auch ab von der konkreten Stellung der Konstituenten im praktischen Einzelfall, zu der auch gehört, daß es beim Einbau der Gruppe in einen Satz zu "Gliedertrennung" (Ries) kommen kann, zum Phänomen
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Gabriele Schieb
der diskontinuierlichen Konstituenten, der "Satzklammer", des "Satzrahmens". H e r v o r treten sollen in den Verbkomplex-Modellen vor allem der strukturell-syntaktische Bau und die semantisch-syntaktischen Beziehungen. Das Verbkomplex-Modell zum praktischen Einzelfall /sollte zu arbeiten begonnen haben/ sieht also so aus: VFj^y + I n f H y + P e r f P a r t j ^ y + z u l n f ^ . Die genannten Grade semantischer Entleerung sind auch von Bedeutung für den Grad der Einheit eines Verbkomplexes. Als Grundregel läßt sich beobachten: die engste Einheit mit dem Kernverb stiften die Hilfsverben, z . B . / h a t getan/, / i s t getan worden/, /wird getan worden sein/, ihnen folgen die Modalverben, z . B . /will tun/, / m a g tun müssen/, und e r s t diesen folgen die anderen Verben, die irgendwelche Modifikationen der Bedeutung des Verbkomplexes hervorrufen, wobei es noch verschiedene Abstufungen gibt, z . B . /beginnt zu regnen/, /empfiehlt bestellen zu lassen/, /erwägt sich zu erkennen zu geben/. An Formen des Kernverbs verbinden sich mit der Personalform des Verbs am engsten die Partizipien, ihnen folgen die r e i nen Infinitive und e r s t diesen die zuInfinitive. Aber auch hier gibt es historisch V e r schiebungen. 1.2.3.1.3. Bisher wurden nur "Verbkomplexe" mit verbalen Bestandteilen berücksichtigt. Zu den mit nichtverbalen Bestandteilen genügt ein kurzes Wort, da sie im folgenden aus der Untersuchung ausgeklammert werden. Die "Verbkomplexe" V F ^ + Reflexivpronomen, sofern es sich um "echte Reflexiva" handelt, sind semantisch einfachen Kernverben gleichzusetzen, z . B . / e m p ö r t sich/ g e g e n ü b e r / m e u t e r t / , ebenso V F ^ . + VZ, z . B . /macht zu/' gegenüber / s c h l i e ß t / , oder VF-_. + Adj, z . B . /schlägt tot/ gegenüber K.V / t ö t e t / . Sie sind als M Verballexeme" bestimmter formaler Bildung zu werten. I n t e r e s sant ist, daß sich bei den Typen VF + Eg, z . B . /Einsicht haben/, /Beschluß f a s s e n / , VF + E .. , z . B . / i n Wegfall kommen/, / i n Erwägung ziehen/ und VF + Adj, z . B . prap / k r a n k werden/', / l i e b h a b e n / , totschlagen/', eine ähnliche Erscheinung wie bei den "Verbkomplexen'' mit weiteren verbalen Konstituenten beobachten läßt, eine formale Auseinanderfaltung von semantischem Kern und strukturellem Kern. Den strukturellen Kern stellt das finite Verb, den semantischen Kern der nominale Konstituent. Das hat Einfluß auf semantischen Gehalt und Funktion des Verbum iinitum. Es erfährt mehr oder weniger eine Bedeutungsentleerung und sinkt ab zum Modifikationsverb bzw. Funktionsverb verschiedener Funktion, das dem Verbkomplex als Ganzes eine / s e i n / - , / 4 / w e r d e n / - , /haben/ - oder / tun/ -Perspektive verleiht, um nur die undifferenziertesten Denkmodelle zu nennen, aus denen sich dann immer differenziertere im Dienste der Perspektiven, der Aktionsarten ausgliedern. 1,2.3.2. Die Graduierung der Einheitsstiftung des Verbkomplexes kann noch unter einem anderen Aspekt betrachtet werden, dem der Anzahl der Kernverben, der "Nuclei". Danach
Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen
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lassen sich die Verbkomplexe in zwei Gruppen gliedern, solche mit "einem Nucleus"
5
vind solche mit "doppeltem Nucletis", oder, besser, mit "Haupt- und Nebenkernverb". Im ersten Falle ist es so, daß das Kernverb eines Verbkomplexes in der Form eines finiten Verbs die syntaktische Funktion des ganzen Komplexes im Satz übernehmen könnte. /hat kaufen wollen/ z. B. im Rahmen eines Satzes wie / e r hat gestern Brot kaufen wollen/, mit dem Hilfsverb /haben/, dem Modalverb /wollen/ und dem Kernverb / k a u fen/, kann ersetzt werden durch /kaufte/, also / e r kaufte gestern Brot/. Für den Großteil der Verbkomplexe trifft diese Eigenschaft des Kernverbs zu, die gleichen syntaktischen Mitspieler im Satz zu haben, das gleiche Satzmodell zu fordern wie der Verbkomplex, im Falle des obigen Beispiels das Modell
V—1-E^ (= Ergänzung im Nomi-
nativ/Subjektsnominativ # Verb-•Ergänzung im Akkusativ/Objektsakkusativ). Verb komplexe mit "einem Nucleus", einfache "subordinative Ketten", gibt es in den verschiedensten Kombinationen aller Verbformen und Verbarten, z. B. / i s t gekommen/
- /kommt/
/will kommen/
- /kommt/
/pflegt zu kommen/
- /kommt/
/bringt zur Entfaltung/
- /entfaltet/.
Das gilt auch noch für Verbkomplexe, die Passivkonstruktionen enthalten, z. B. / e i n Buch wird gekauft/ oder, mit möglicher Agensbezeichnung, / e i n Buch wird von ihm gekauft/. Hier, in der Konverse, wird das vom Kernverb /kaufen/ geforderte Satzmodell E j # V—"Eg / e r kauft ein Buch/ nur diathetisch umgekehrt, gewöhnlich, weil man vom Agens absehen will, daher meist auch reduziert um E j . Aber immer liegen die Dinge in Bezug auf die struktur eil-syntaktischen und semantisch-syntaktischen Beziehungen des Verbkomplexes nicht so einfach. Es kann zu v e r bundenen "subordinativen Ketten" kommen. Ein Verbkomplex wie /sehe kommen/ im Satz /ich sehe ihn kommen/ kann nicht durch /komme/ ersetzt werden
+
/ i c h komme
ihn/. Der Einfachsatz mit Verbkomplexen dieser Art enthält in der Grundstruktur, wenn auch formal nicht ausgedrückt, eine doppelte Prädizierung /ich sehe/ - / e r kommt/, wobei das semantische Schwergewicht auf der zweiten verbalen Konstituente liegt, /kommt/ bleibt also in gewissem Sinne das Kernverb und zwar das Hauptkernverb. Aber / s e h e / wahrt die Funktion eines Nebenkernverbs, zumal es eine eigene vom Hauptkernverb abweichende Ergänzung im Nominativ fordert, /sehen/ ist noch nicht ganz zum "Satelliten" des "Nucleus", zum Modalitätsverb des Kernverbs abgesunken, das nur noch eine strukturell-syntaktische Funktion ausübt, es bewahrt seine Valenz, / s e h e / fordert ein Satzmodell E j # V-*-E 2 . Als Eg (= Ergänzung im Akkusativ) fungiert die zweite Prädizierung. Bei Zusammenziehung beider Prädizierungen in einen Einfachsatz tritt das Hauptkernverb in der Form des Infinitivs zum Nebenkernverb zur Bildung eines Verbkomplexes /sehe kommen/. Dabei kann die Ergänzung im Nominativ des
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Gabriele Schieb
Hauptkernverbs absichtlich ungenannt und unbestimmt bleiben, z.B. /ich lasse den Zaun streicheiy'. Wird sie aber genannt, und soll sie genannt werden, so erzwingt die Struktur des Einfachsatzes die Form einer Ergänzung im Akkusativ /ich lasse meinen Sohn den Zaun streichen/, syntaktisch Hinordnungsergänzung zum Nebenkernverb. Wenn, wie im angeführten Beispiel, auch das Hauptkernverb schon einen Akkusativ fordert, enthält der Einfachsatz nun doppelten Akkusativ, /meinen Sohn/, /den Zaun/, wobei der erste zugleich die Ergänzung im Nominativ zum Hauptkernverb vertritt. Das gilt auch für andere Kasus, etwa den Dativ in /ich erlaube ihm zu kommen/, Satzmodell E j # V—•Eg, wo E j (= Ergänzung im Dativ) zugleich E j des Hauptkernverbs vertritt. Die Nebenkernverben setzen also, wenigstens bis zu einem bestimmten Grade, auch ihre Valenz- und Satzmodellforderungen durch, so daß hier interessante Kombinationsformen von Satzmodellen möglich werden. Aber gerade deshalb, weil die Verbkomplexe dieser Spannweite, Kombinationen von "subordinativen Ketten", die Aussagekraft des Einfachsatzes enorm avisweiten und ihm durch Überspielen der Grenze von satzgliedbildender Gruppe und satzbildender Gruppe, von Verbkomplex und Satz, Kommunikationsmöglichkeiten verleihen, die sonst nur Satzgefügen zukommen, dürfen wir diesen Typ von Verbkomplexen mit Haupt- und Nebenkernverb aus unserer diachronen Betrachtung nicht ausschließen. Wir fassen also Verbkomplexe mit einem Kernverb und solche mit Haupt- und Nebenkernverb in dem einen Phänomen "Verbkomplex" zusammen und schließen auch solche mehrfachen monströsen "subordinativen Ketten" nicht aus wie z. B. /ließ bestellen zu bitten zu kommen zu versuchen/, die in einem Satz stehen könnte wie / e r ließ mir durch seinen Bruder bestellen meinen Sohn zu bitten zu ihm zu kommen zu versuchen/« und die sich binär so gliedern läßt, /ließ/ + /bestellen/ (Haupt- und Nebenkernverb) /[bestellte]/ + /zubitteiy' (Nebenkernverb) /[bat]/ + zu versuchen/ (Nebenkernverb) / [ v e r s u c h t e ] / + / z u kommen/ (Kernverb), also mehrfach gestufte Haupt- und Nebenkernverben enthält, während ein ebenso fünf verbale Konstituenten umfassender Verbkomplex wie /scheint sich vorgenommen zu haben kommen zu wollen/ nur ein Kernverb aufweist, /kommeiy'. Die Grenze zwischen beiden Subtypen ist im allgemeinen eindeutig. Daß sie mitunter aber auch fließend sein kann und Mischtypen möglich sind, zeigt ein instruktives Beispiel aus der Mainzer Chronik des ersten Untersuchungszeitraums (I Chr. 2): /der . . . underwant sich des stiftes von Mentze zu regiern an des babest laube/ 6,24. Der Genitiv /des stiftes von Mentze/ ist noch abhängig von /sich underwinden/, obwohl der Verbkomplex /sich zu regiern underwinden/ die gleiche Ergänzung im Nominativ hat, /sich underwinden/ also durchaus schon zum Satelliten, zum Modalitätsverb des Hauptkernverbs / r e g i e r V abgesunken sein könnte. Dies wäre fähig, allein die Gruppe zu vertreten. Jedenfalls
Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen
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strebt die Norm dem Ziel zu /underwant sich das stift von Mentze zu regiern/. Das gleiche gilt für I Fpr. 4,30 /dar vmb vnderwint dich nit lichtiglichen solcher Sachen allein vß zu sprechen, anders du magst verdacht werden/. Manche Typen von Verbkomplexen haben also noch nicht die Festigkeit anderer erreicht. Aber das führt schon in den Bereich ihrer Geschichte. 1.2.4. Die "Verbkomplexe" aus verbalen Konstituenten erfüllen ganz bestimmte syntaktisch semantische Funktionen. Zur breiten Palette dieser Funktionen, die z.B. über den Verbkomplex hinausgreifen und dem Satz als Ganzes zuzuordnen sind wie Tempus und Modus, die aber am Verbkomplex formal kenntlich gemacht sind, gehören Bezeichnungen von 1. 2. 2.1. 2.2. 2.3. 3. 3.1.
Umschreibungen, z.B. /tutkommen/ Temporalitäten (Zeltstufen) und Phasen Präsens (unvollzogeiVvollzogen), z.B. /tut/, /hat getan/ Präteritum (unvollzogen/vollzogen), z. B. /tat/, /hatte getan/ Futur (unvollzogen/vollzogen), z. B. /wird tun/, /wird getan haben/ Modalitäten (Modalfeld): Realisierungen und Realitäten Grade noch ausstehender Realisierung (nur gewollt, gefordert, erlaubt u. ä., noch nicht real, noch zu realisieren), z. B. /laßt [uns] singen/, /will, soll, darf, muß, kann, möchte kommen/, /ist zu tun/, /hat sich auszuweisen/
3.2.
Grade nicht erwiesener Realität (glaubwürdig, möglich, wahrscheinlich, nur gedacht, gefürchtet u. ä., aber nicht erwiesen wirklich), z.B. /muß, wird, dürfte, kann, soll, mag sein/, /würde kommen/, /fürchtet zu sterbe^/ Diathesen Aktiv, z.B. /hat getan/ Passiv, z. B. / i s t getan worden/ Aktionsarten (Aktionalfeld) Durativ, z.B. /bleibt sitzen/ Ingressiv, z. B. /beginnt zu lesen/ Ingressiv-Intentional, z.B. /sucht zu tun/ Progressiv, z. B. /kommt gelaufen/ Kontinuativ, z. B. /fährt fort zu tun/ Iterativ, z. B. /pflegt zu tun/ Terminaüv, z. B. /hört auf zu tun/ Faktitiven, Kausativen (Kausativfeld), z. B. /läßt kommen/ Erweiterungen des Subjektbereichs (Wahrnehmungsfeld), z. B. /habe stehen/, /sehe, höre kommen/, /finde liegen/ Objektsinhalten, z.B. /schwört zu kommeq/.
4. 4.1. 4.2. 5. 5.1. 5.2. 5.3. 5.4. 5.5. 5.6. 5.7. 6. 7. 8.
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Diese syntaktisch-semantischen Funktionen können im Verbkomplex vielfältig miteinander verknüpft werden, z. B. /muß sitzen bleiben/ = Modalität (Realisierungsgrad) + Aktionsart (Durativ), modale Variante eines aktionalen Ausdrucks, /hat kommen s e hen/ = Temporalität und Phase (Präsens, vollzogen) + Erweiterving des Subjektsbereichs, Vollzugsstufe eines Wahrnehmungsausdrucks, /hat gefangen gesessen/ = Temporalität und Phase (Präsens, vollzogen) + Diathese (Zustandspassiv) + Aktionsart (Durativ), Vollzugsstufe einer aktionalen Variante des Passivs. 1.3. Der "Verbkomplex" wie überhaupt die "Wortgruppen" sind bisher in den Grammatiken der deutschen Sprache noch selten ihrer Bedeutung entsprechend im Zusammenhang behandelt worden. Das hängt natürlich vor allem damit zusammen, daß die prinzipielle wissenschaftliche Beschäftigung mit den "Wortgruppen", von Reichling "het Stiefkind van de linguistiek" genannt , überhaupt relativ jung ist. Außerdem hat Ries in seiner grundlegenden Abhandlung "Zur Wortgruppenlehre" von 1928 gerade auf eine Ausarbeitung der "Verbalgruppen" wegen ihrer Sonderstellung zwischen Wortgruppe und Satz grundsätzlich verzichtet. Der "Verbkomplex" wird gewöhnlich nicht als einheitliches Phänomen gefaßt, sondern erscheint aufgespalten auf verschiedene Kapitel der 7 Morphologie, Syntax und Wortbildung. Einen Fortschritt bedeutet Glinz , der das Phänomen nacheinander als "Die Vorgangsgefüge mit rein verbalen Bestandteilen" undg "Vorgangsgefüge mit nichtverbalen zweiten Teilen" behandelt, ähnlich Brinkmann. g Der Grammatik-Duden (Mannheim) faßt den Verbkomplex nach vorheriger aufgespaltener Behandlung nochmal kurz zusammen unter den Satzgliedern und zwar dem "einteiligen" bzw. "mehrteiligen" "Prädikat", ebenso Jung. 1 0 Bei Erben 1 1 erscheint das Phänomen unter "Komplizierteren Satzkonstruktionen" teils als "Erweiterung des verbalen Aussagekerns" "zum'Aussagerahmen', d.h. zu einem 'prädikativen Syntagma'", teils als "Satzgliedwertige Infinitivkonstruktionen" bzw. "Partizipialkonstruktionen". 12
Moskalskaja widmet zwar den Wortgruppen einen bedeutsamen Teil ihrer Grammatik, aber den "Verbkomplex" weist sie ihnen nur zum Teil zu. Die "analytischen Formen des Verbs" stellt sie als "Wortformen" und "Teile des Verbalparadigmas" zur Morphologie, als Wortgruppen betrachtet sie nur die von ihr so genannten "biverbalen Wortgruppen", die nicht ins Verbalparadigma eingegangen sind, die sie wiederum scheidet in "halbfeste Wortgruppen mit grammatischer Bedeutung", z.B. /will gesehen haben/, /hat zu arbeiten/, / i s t zu tun/, die dem Ausdruck grammatischer (modaler) Bedeutung dienen, und "biverbalen Wortfügungen mit freiem Anglied", z. B. /hilft basteln/, die gelegentlich auch die Tendenz zu Phraseologismen oder Zusammensetzungen haben, z.B. /Schlafengehen/, /Spazierengehen/. Immerhin muß sie zugeben, daß.manche "halbfesten biverbalen Wortfügungen mit grammatischer Bedeutung", die an der P e r i -
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pherie zweier grammatischer Felder fungieren, des Modalfeldes und des Feldes der Aktionsarten, einen sehr engen Verwandtschaftsgrad mit den "analytischen Verbalformen" aufweisen, ebenso, daß es Übergangsfälle zwischen "halbfesten" und "freien Wortfügungen" gibt. So sehr bei synchronen Darstellungen scharfe Trennungsversuche zu begrüßen sind, für die Diachronie sind gerade die Übergangsfälle von besonderer Relevanz. Wir nehmen deshalb den "Verbkomplex" in all seinen Erscheinungsformen wenn auch als stark in sich gestaffeltes, so doch als im Grunde einheitliches Phänomen. Die syntaktisch-semantischen Funktionen innerhalb der verschiedenen Typen von 13 "Verbkomplexen" sind besonders sorgfältig von Brinkmann herausgearbeitet. Nützlich sind z.B. seine Termini "Geschehnisfeld" (= Aktionsarten), "Kausativfeld" (= Faktitiva), "Modalfeld" u.a. Es soll nicht versäumt werden, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß die Niederländer für das Niederländische, die eng verwandte Schwester spräche des Deutschen, 14 auf dem Gebiet der "Wortgruppen" Besonderes geleistet haben, z.B. de Groot und 15 Van der Lübbe . In den neueren niederländischen Grammatiken und Syntaxdarstellungen hat demzufolge die Wortgruppenlehre ihren festen Platz, wenn auch von einer Einheitlichkeit der Auffassung nirgends die Rede sein kann. Besonders wichtig für die Belange dieser Arbeit scheint mir die "Nederlandse syntaxis in klein bestek" von G. A. Van Es, 1966, schon wegen des Einbezugs der Diachronie in die Synchronie. Dann vor allem, weil die Doppelseitigkeit des "Verbkomplexes" voll Rechnung getragen wird, er sowohl innerhalb der "grondstructuren" des Satzes wie innerhalb der "groepvorming in de zin" unter jeweils anderen Aspekten behandelt wird. Auf einen einheitlichen T e r minus für das Phänomen verzichtet Van Es allerdings. Bemerkenswert sind ferner Spezialuntersuchungen zum Thema von Meeussen-Vanacker und De Schutter. 16 1.4. Was die Betrachtung des "Verbkomplexes" für die historische Syntax so relevant macht, ist die schon mehrfach erwähnte Tatsache, daß die Grenze zwischen Satz und Verbkomplex in mancher Hinsicht fließend ist. Das Verb wird durch Attraktion von Konstituenten, die ursprünglich Satzelemente im Rahmen der Valenz des Verbs sind, erweiterungsfähig. Es kann in analytischer Form, in enger Aktionsgemeinschaft mit weiteren verbalen oder nichtverbalen Kontituenten, Funktionen übernehmen, die die einfachen synthetischen Formen nur bis zu einem gewissen Grade und oft nicht mit der gleichen Prägnanz erfüllen konnten. So ist es kein Wunder, daß diese sich anbietende Entfaltungsmöglichkeit des Verbkomplexes in der kommunikativen Tätigkeit des Menschen in Bewegung kommt und zu weiteren analogen Komplexen führt. Sie war ausgezeichnet dazu geeignet, das Kommunikationsinstrument Sprache immer wieder den sich wandelnden Bedürfnissen anzupassen. Die Fülle neuer Möglichkeiten drängt sögar zu neuen
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Systembildungen. Allerdings ist bei syntaktischen Phänomenen dieser Art nicht nur ein besonders langsames Entwicklungstempo zu erwarten, sondern der Versuch, die verschlungenen Kausalketten von Zufall und Notwendigkeit im Prozeß der Sprache als gesellschaftlicher Tätigkeit der Kommunikationsträger zu entwirren, ist hier auch besonders schwierig. Vom rein strukturell-syntaktischen Gesichtspunkt aus läßt sich zunächst nicht entscheiden, ob z.B. die Wortfolge / e r schämt sich/ als / e r / /schämt/ /sich/ = E j # V -*-E2 oder / e r / /schämt sich/ = E j # V (Verbkomplex) zu fassen ist, die Wortfolge /sie geht vor/ als / s i e / /geht/ /vor/ = V + E ^ oder / s i e / /geht vor/ = E j # V (Verbkomplex), die Wortfolge /das Projekt kam zur Durchführving/ als /das Projekt/ /kam/ /zur Durchführung/ = E j # V + E p r ä p oder /das Projekt/ /kam zur Durchführung/ = E j # V (Verbkomplex), die Wortfolge / e r ist verschlossen/ als / e r / / i s t / / v e r schlossen/ = E j < A d j # V oder als / e r / /ist verschlossen/ = E j # V (Verbkomplex). Erst die MitberUcksichtigung semantisch-syntaktischer Gesichtspunkte läßt deutlich werden, daß /sich/ in /schämt sich/ nicht mehr Objekt, sondern zum Morphem im Rahmen des Verbkomplexes abgesunken ist mit diathetischer Funktion; daß / v o r / in /geht vor/ zum Wortbildungselement in einer Partikelkomposition ¡stereotypiert ist; daß /kam/ in /kam zur Durchführung/ vom Kernverb zum Modifikationsverb abgesunken ist zur Bildung eines Funktionsverbgefüges im Dienste des Ausdrucks einer Aktionsart; ob / i s t / Kopula und /verschlossen/ Adjektiv mit isolierter Bedeutung ist oder ob beide als Hilfsverb und passives Perfektpartizip zusammengehören zur Bezeichnung des Zustandspassivs. Im Laufe der Sprachgeschichte kommt es ständig zu neuen Stereotypierungen aus dem Satzzusammenhang heraus, d.h. bei gleichbleibender formaler Struktur zu fixierter oder distributiv eingeschränkter Materialisation (= Möglichkeit der Füllung mit konkretem Sprachmaterial) und erstarrter Bedeutung, die nicht mehr mit der Summe der Konstituenten Ubereinstimmt. Diese Stereotypierungen führen z.T. auf die Ebene der Wortbildung, Lexik und Idiomatik hinüber und bilden dann, sofern es sich nicht überhaupt um Unica handelt, offene Systeme. Interessanter, aber auch komplizierter ist die Entstehung von Verbkomplexen, die auf der Ebene der Grammatik bleiben und einfache oder kombinierte grammatische Funktionen des Verbs erfüllen und deshalb geschlossene oder doch in mancher Hinsicht beschränkte Systeme bilden. Auch hier gibt es zweifelsohne eine historische Wechselwirkung zwischen Satz und Verbkomplex. Denn alle Verbkomplexe, soweit es sich nicht um Analogiebildungen handelt, scheinen einmal aus dem Satz entstanden, sei es durch Stereotypierung oder sogar durch Umstrukturierung, durch Verlagerung der syntaktischen Beziehungen. In der Diachronie gehen immer wieder Konstituenten von Sätzen, die zunächst in den Bereich der Valenz des Verbs gehören, über in Verbkomplexe, also in den untergeordneten Bereich des Baues der Satzelemente, oder sie wechseln von ih-
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rem Platz In einem andern Satzelement in den Verbkomplex über. Damit wird die Möglichkeit der Bildung neuer und immer komplizierter strukturierter Verbkomplexe mit erweiterten und kombinierten grammatischen Funktionen eröffnet, die den Keim zu neuen Systembildungen in sich trägt. Bekannt sind die Beispiele aus althochdeutscher Zeit, an denen sich die Entstehung der analytischen Verbformen ablesen läßt, der mit /haben/ und /sein/ umschriebenen aktiven Vollzugsformen des Verbs wie der mit /werden/ und /sein/ umschriebenen Passivformen. Im Falle z.B. des Tatianbelegs 102, 2 (Ausgabe E. Sievers 1892) /phigboum habeta sum giflanzotan/ 'er hatte, er besaß einen Feigenbaum, und zwar einen gepflanzten', um nur ein Beispiel herauszugreifen, gehört das Partizipialadjektiv/geflanzot/ als Attribut zum Objekt /phigboum/, wie die Kongruenz stiftende Endung / -an/ auch formal beweist, und die lateinische Vorlage /arborem fiel habebat quidam plantatam/ bestätigt. Der Verbkomplex besteht nur aus dem e i n e n Konstituenten, dem Kernverb /habeta/. Im Falle dagegen des Exhortatiobelegs /christaniun namun intfangan eigut/ 'ihr habt den Christennamen empfan17 gen' nach lat. /christianum nomen aeeepistis/, Ahd. Lesebuch VI, 1, 2, ist schon die Grenzverschiebung und Umdeutung des Perfektpartizips eingetreten, die uns heute selbstverständlich ist. Von einer Zustandsbezeichnung des Objekts ist es zu einer Handlungsbezeichnung des Subjekts mit aktivischer Funktion geworden, /intfangan eigut/ 'empfangen habt' gehört als Verbkomplex zusammen. Solche Verbkomplexe aus finitem Verb, das zum Hilfsverb degradiert ist, und Perfektpartizip, das das Kernverb und damit den semantischen Kern des Komplexes stellt, verbreiten sich seit Otfrid auf alle transitiven Verben, seit Notker begegnen analoge Übertragungen auf intransitive imperfektive Verben. Prozesse dieser und ähnlicher Art, bei denen oft verschiedene Etappen der Grammatikalisierung festgestellt werden können, finden immer wieder statt und haben, vielfach gefolgt von systemauffüllenden Analogiebildungen, zu dem komplizierten System von "Vorgangsgefügen" geführt, wie sie noch heute für das Deutsche charakteristisch sind. 18
Bedeutsam ist in dieser Hinsicht die Pariser Dissertation von Erika Oubouzar , die, allerdings beschränkt auf d i e "Verbkomplexe", die in die Formenbildung des Verbs Eingang gefunden haben, den Weg der Umbildung des deutschen Verbalsystems von althochdeutscher Zeit bis heute verfolgt. Dieses hat sich von einem durch Aspektopposition gekennzeichneten System in althochdeutscher Zeit über ein durch Phasenopposition bestimmtes System ab 13./14. Jahrhundert hinentwickelt in ein System der Tempus- und Phasenopposition, das etwa um 1650 den neuhochdeutschen Stand erreicht hat. Zu dieser Zeit sind schon alle Formen des heutigen deutschen geschlossenen Verbalsystems da, eine Aktiv- und eine Passivreihe, in denen die gleiche dreifache Opposition Gestalt gewonnen hat, die temporale Opposition (Präsens/Präterium/Futur), die Phasenopposition (unvollendet/vollzogen) und die alte modale Opposition (Indikativ/Kon-
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junktiv). Nach dem Verbleib der Aspektopposition im Rahmen verbaler Ausdrücke ist von Oubouzar nicht gefragt. Da aber die vielseitigen verbalen Perspektiven, die Aktionsarten, aus der sprachlichen Kommunikation nicht wegzudenken sind, ist zu erwarten, daß auch sie im Rahmen der Entfaltung der "Verbkomplexe" ihren festen Platz finden, allerdings nicht in einem geschlossenen System, sondern, ihrer ständig fortschreitenden Differenzierungstendenz entsprechend, in einem offenen System. 1.5. Oubouzars hinstorischer Ausschnitt endet um 1650. Wir legen zwei diachrone Schnitte durch den Fluß der Entwicklung, einen um 1500 und einen um 1700. Ihre Arbeit wird also in Einzelfällen herangezogen werden können. Allerdings beschränkt sich Oubouzar auf die ins Formensystem des deutschen Verbs eingegangenen "Verbkomplexe". Wir dagegen berücksichtigen a l l e "Verbkomplexe11. Unsere Beschränkungen gehen in anderer Richtung. Wegen der Fülle der Erscheinungen schließen wir topologische Fragen, also Fragen der Wortstellung, grundsätzlich aus, so interessant und wichtig sie im Einzelfall auch sein mögen, und engen das Thema ein auf die v e r b a l e n B e s t a n d t e i l e d e s V e r b k o m p l e x e s . Nominale, pronominale und adverbiale Bestandteile werden aus diesem Grunde in vorliegender Arbeit nicht als eigene Konstituenten gewertet, sondern zum Kernverb gerechnet, z.B. /wird - lieb gehabt - haben/, /hat - zur Auswirkung kommen - lassen/, /hat - sich schämen - müssen/, /soll stillgeschwiegen - haben/. Aber in diesem Rahmen erfolgt keine Beschränkung auf interessante und diachronisch relevante Einzelphänomene, sondern alle Typen werden einbezogen, gleichgültig ob sie es zu Systembildungen gebracht haben oder nicht. Mit gutem Grunde ausgeschlossen bleiben in dieser Arbeit im Unterschied zu den anderen nur finale Gebilde, da sie zum größten Teil eindeutig aus dem Bereich des "Verbkomplexes" hinausführen in den des Satzes. Darunter fallen Gebilde wie /Ich h a b e demnach dieses Blat g e o r d n e t , die Leute von diesem irrigen Wahne zu b e f r e y e n / II Bi. 4,4, / s c h w a t z t e es i h r . . . v o r , um die Mutter z u f l a t t i r e n / II Bi. 4,40. Grenzfälle zur Finalität wie z.B. /geht besuchet^, /steht zu tun/ 'ist bereit zu tun, will tun' bleiben natürlich einbezogen, da sie diachron wichtig sein können. Nur am Rande vermerkt sei, daß Infinitive und Infinitivkonstruktionen als Subjektsnominative oder Attribute, so etwa /es ist keine leichte Sache sich . . . loßzureissen/ n Bi. 4,47, /do wart vns ernst fursehung zu haben/ I R. 3, 6, /sie erweckte in mir . . . Begierde ihn zusehen/ II Bi. 4,11 nichts mit den "Verbkomplexen", die immer Prädikat sind, zu tun haben. Wegen der zentralen Rolle des Verbs und Verbkomplexes für alle Satztypen wäre es für das Thema am günstigsten gewesen, fortlaufende Textstücke als Materialgrundlage auszuwerten ohne Rücksicht auf den Wechsel von Einfachsatz, Satzverbindungen
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und Satzgefügen, Aber die Einfügung in den Rahmen der andern Arbeiten gebot Beschränkung auf den Einfachsatz. Das ist bedauerlich, denn der Einfachsatz ist innerhalb aller Satztypen selbst eine variable Größe. Er nimmt z.B. gerade in der Zeit 19 von 1500 - 1700 in bestimmten Genres stark ab. Es kommt zu einem Wuchern der Satzgefüge mit vielen Nebensätzen unterschiedlichen Abhängigkeitsgrades. Dies muß bei den statistischen Ergebnissen der Arbeit als relativierender Faktor im Auge behalten werden. 1.6. Um den jeweiligen Stand der Sprachverwendung im Bereich des Verbkomplexes umfassend feststellen zu können, wird versucht, unter Berücksichtigung der unter 1.2. genannten Aspekte, ein S y s t e m der Verbkomplexe zu ermitteln und womöglich weitere geschlossene und offene S u b s y s t e m e zuerkennen. Mit der Entfaltung der Verbkomplexe gegenüber der einfachen Verbform bürgerte sich ja eine immer stärkere Aufgabenverteilung auf verschiedene Konstituenten ein. So ist im allgemeinen und der Tendenz nach ein Nebeneinander funktionsverschiedener Typen zu erwarten. Diese formieren sich im Sinne syntaktisch-semantischer Felder zu geschlossenen oder offenen Systemen. In verschiedenen Existenzformen und Funktionalstilen wie Stilschichten der Sprache können sie der Quantität und Qualität nach natürlich verschieden besetzt sein. Tauchen im Textcorpus austauschbare Varianten gleicher Funktion auf, ist zu fragen, ob sie völlig gleichwertig zum jeweiligen Sprachgebrauch gehören oder nicht. Im letzteren Falle wird versucht, traditionelle (veraltend/neu), regionale, soziale und funktionalstilistische Varianten zu unterscheiden. Von den verschiedenen Kommunikationsbedürfnissen der Sprecher und Schreiber her ist zu erwarten, daß sich das System der Verbkomplexe zusammensetzt aus einem stark frequentierten, für die Kommunikation unentbehrlichen Grundbestand, der u.U. Teile verschiedener Subsysteme umfaßt, und Ausbau- und Kombinationsformen, die sich im Rahmen bestimmter zu ermittelnder Regeln halten und für weitere, differenziertere Kommunikationsbedürfnisse auswahlweise zur Verfügung stehen. Sie werden je nach Kommunikationsinhalt, Funktionalstil und individuell gewählter Stilschicht v e r schieden stark frequentiert. Es wird also zu unterscheiden sein zwischen Typen, die ins Zentrum des Systems oder der Subsysteme gehören und daher immer und überall eine hohe Frequenz aufweisen, und Typen, die mehr an deren Peripherie gehören. 1.7. Die Untersuchung geht den folgenden Weg. Das gesamte Belegmaterial wird, nach den beiden Untersuchungszeiträumen getrennt, unter 2.1. und 3.1. systematisch geordnet vorgeführt. Für diese Systematik ist eine eigene Zählung nach dem Dezimalsystem in
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die Kapitel 2.1. und 3.1. eingefügt, die für beide Untersuchungszeiträume übereinstimmt, um die Orientierung zu erleichtern und um Übereinstimmungen und Unterschiede sofort ins Auge fallen zu lassen. Grundlage der Ordnung sind zunächst formale Kennzeichen. Die Großgliederung wird bestimmt durch die Anzahl der verbalen Bestandteile, wobei unter Mitberücksichtigung der Funktion jeweils Volltypen und Ellipsen unterschieden werden. Nächster Gliederungsanhalt sind die "Gruppen" der Verbkomplexe, d. h. die Verbindungsmöglichkeiten des Verbum finitum mit infiniten Verbformen, und zwar in der Abfolge Perfektpartizip (Perf Part), Präsenspartizip (Präs Part), Infinitiv (Inf), flektierter Infinitiv (flekt Inf), zu-Infinittv (zu Inf), flektierter zu-Infinitiv (flekt zu Inf). Die letzte Station sind die vielen "Typen" bestimmter syntaktisch-semantischer Funktion, die sich erst aus der Art der Materialisierung der an Zahl natürlich viel beschränkteren Formschemata ergeben. Auch diese Typen sind noch eine Abstraktion. Hier aber ist dann der Ort für konkrete, ausgewählte Belege zur Veranschaulichung. Diese für beide Querschnitte gleich angelegten Übersichten über das Gesamt der belegten Verbkomplexe, die vom Allgemeinsten zum Besonderen fortschreiten und quantitative wie qualitative Aspekte zu vereinigen suchen, sind begleitet von Tabellen bzw. Übersichten, Eine erste allgemeinste Tabelle ermittelt den jeweiligen Prozentanteil der ein-, zwei-, drei-, vier-, fünfgliedrigen Volltypen oder Ellipsen am Gesamt der belegten Verbkomplexe. Eine zweite Übersicht bietet speziell den Prozentanteil der genannten Größen am Gesamt der Verbkomplexe jeder einzelnen Quelle, und zwar, sofern die Darbietungsform der Tabelle gewählt wurde, so angeordnet, daß zugleich in der Horizontale eine Zusammenschau der gewählten Sprachlandschaften, in der Vertikale der gewählten Gattungen möglich ist. Diese Technik wird, soweit lohnend, wieder aufgegriffen auf der nächsten Ebene der "Gruppen", und, soweit möglich und sinnvoll, auch noch auf der Ebene der "Typen". Diese Tabellen erlauben es, die konkreten Belege auf ein Minimum von repräsentativen Beispielen zu beschränken. Sie sind zur Raumersparnis so knapp wie möglich, d.h. auf das Wesentliche gekürzt, zitiert, z.B. 3.1.1.6. / h a b e . . . gefangen gelegen/ statt /Zu Sanct Malo habe ich ein gantz halb Jahr gefangen gelegen/ II Ro. 1 a, 7. Wo sich Typ und konkreter Beleg im Wortlaut decken, konnte sogar auf ein Zitat verzichtet und nur die Belegstelle angegeben werden, z. B. 3.1. l . b . Typ / i s t verlassen geblieben/. 1 Beleg: n Fpr. 2, 54. Das war bei einem Untersuchungsmaterial von insgesamt 20 042 Belegen für die beiden Untersuchungszeiträume dringend geboten, um den Umfang der Arbeit zu begrenzen. Den Übersichten über das Gesamt der belegten Verbkomplexe in beiden Querschnitten folgen in 2.2. und 3.2. Ergebnisse zum Stand des Sprachgebrauchs um 1500 bzw. um 1700, wobei die System- und Feldbildungen besonders beachtet sind. Diese Teilergebnisse sind Grundlage für den diachronen Vergleich in 4., der versucht, j
p ^ l n f ^
Typ /gehen wir tun/ = Adhortativ-Ingressiv, ins Aktionalfeld gehörig als Aufforderung zum Beginn gemeinsamer Tat. - 2 Volksbuchbelege, z.B. /gee wir schlaffen/ I Vb. 1,7.
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Gabriele Schieb 2.1.4.26. V F M o V I m p 2 > S g
/ p L
-HE^Inf^
Typ /laß, laßt uns tun/ = Adhortativ, ins Modalfeld gehörig als Aufforderung zu gemeinsamer Tat. - 8 Belege, je zur Hälfte mit der 2. Sing. bzw. der 2. PI., nur in Flugschrift und Volksbuch, z.B. /laß vns . . . sytzen vnd essen!/ I Fl. la, 40, /lassent vns fast e s s e n ! / 1 Vb. 2, 51. Im übrigen vgl. zu Entstehung, weiterer Geschichte und V e r breitung des Typs Erben, /Laßt uns feiern/. 2.1.4.27. V F ^ + I n f ^ Typ /läßt tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als Zulassen oder Veranlassen je nach Charakter des Hauptkernverbs. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 296 Belege. Am häufigsten ist der Typ mit transitivem Hauptkernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt (134mal), z.B. /lissen wir die rathsglocke läuten/ I Chr. 1, 27. Fast ebenso häufig ist der Typ mit intransitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt (119mal), z.B. /diese hirtten . . . lassen die armen schefflein stehen/ I Fl. la, 27. Erheblich seltener ist der Typ mit transitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt (31mal), er fordert doppelten Akkusativ, z.B. / l i e s er ain andren schlosser 4 besunder schlüssel darzu machen/ I Chr. 4,6, /liessend uns ier geschütz sechen/ I R. 4, 36, /das lasß ich jn verantwortet I Fl. 2a, 46. Noch seltener ist der Typ mit intransitivem Hauptkernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt (8mal), z.B. /ließen lauffen/I Vb. 2,88. Schließlich gibt es noch v e r einzelt (3mal) den Typ mit intransitivem Hauptkernverb, bei dem Subjekt von Haupt und Nebenkernverb dasselbe sind, z.B. /nit last vch verwondern der werck g o t s / I Vb. 2,75, ähnlich I Chr. 1,5. Zur Variante Typ /tut tun/ s. 2.1.4.28,, /macht tun/ s. 2.1.4.29. 2.1.4.28. V F ^ + I n f ^ Typ /tut tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als Veranlassen. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 12 Belege. Die Beschränkung auf Wmd. -nd. Denkmäler wie vor allem das sprachlich konservative Volksbuch stimmt zu den Ausführungen bei Weiss, tunrmachen, S. 160 ff. Das übrige deutsche Sprachgebiet kennt den zugunsten von Typ /läßt tun/, s. 2.1.4.27., schwindenden Typ schon nicht mehr. Am häufigsten ist der Typ mit transitivem Hauptkernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt (8mal), z.B. / d e t . . . das zurichten/ I Vb. 2, 51. Alle anderen sind selten, so der Typ mit intransitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt (2mal), z.B. /det sie alleyn in ein kamer gan/ I Vb. 2, 50, der Typ mit transitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt, aber nicht in der Form eines Akk., s. bei 2.1. 4.27., sondern in der Form einer Präpositionalergänzung mit /von/ wie beim Passiv (lmal), /Pontus det sich darinn füren von etlichen heyden/ I Vb. 2,94, der Typ
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mit intransitivem HauptKernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt (lmal), / e r d e t t . . . vfftrompen zu stryt/ I Vb. 2, 87. Zur Variante Typ /läßt tun/ s. 2.1.4. 27., Typ /macht tun/ s. 2.1.4. 29. 2.1.4.29. V F M q V + I n f ^ Typ /macht tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als Veranlassen. - 3 oobd. Belege, z.B. / e s . . . machet schlaffen vnd harnen vnd schwiczeiy' I Fpr. 3,32, ähnlich 33, I Vb. 3,11. Der Verbkomplex scheint zwar nie häufig gewesen zu sein, war aber nach Weiß, tunrmachenS. 202 ff. um und nach 1400 landschaftlich nicht beschränkt. "Volkstümlich" war er jedoch nicht. - Zur Variante Typ /läßt tun/ s. 2.1.4.27., Typ /tut tun/ s. 2.1.4.28. 2.1.4.30.
V F ^ U p
Typ /heißt, heischt tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als Veranlassen oder Zulassen je nach dem Charakter des Hauptkernverbs. Mit Haupt- und Nebenkernverb. /heischt/, offenbar aus /heißt/ umgedeutet und in gleicher Funktion wie dieses, nur I R. 2, 32 und I Chr. 2, 22. Die heutige Einschränkung des Verbkomplexes auf literarische Sprache scheint um 1500 noch nicht zu gelten. - 46 Belege. Am häufigsten ist der Typ mit intransitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt (27mal), z.B. /hies sie nider sitzen/ I Chr. 1,17, Ihm folgt der Typ mit transitivem Hauptkernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt (llmal), z.B. /hyeß ynn hencken/ I Vb. 1, 24, wie der Typ mit transitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt, also mit doppeltem Akkusativ (7mal), z.B. /heissenvns in gelt vnd gut zu huß bringen/ Fl. 4b, 95. 2.1.4.31. V F ^ + I n f ^ Typ /lehrt tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als spezielle kausative Beziehung. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 2 Belege, z. B. /leret dich erkennen die vnderscheid/ I Fpr. 4, 22. Beide Belege zeigen als Hauptkernverb ein transitives Verb mit Nennung von dessen logischem Subjekt, haben also doppelten Akkusativ. 2.1.4.32. V F ^ + I n f ^ Typ /führt tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als spezielle kausative Beziehung. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 2 Belege, z.B. /voertten yene do sittzen/ I R. 2, 34. Das Hauptkernverb ist jeweils intransitiv mit Nennung seines logischen Subjekts. 2.1.4.33. V F ^ + I n f ^ Typ /bittet tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als spezielle kausative Beziehung der Einwirkung. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 2 wmd. Belege aus Reisebeschrei-
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bung und Volksbuch, z. B. /ich bitte . . . mich armen sunder . . . nit vergessen/ I Vb. 2, 80. Sie zeigen intransitives Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt. Der Typ schwindet zugunsten von Typ/bittet zu tun/, s. 2.1.6.48. 2.1.4.34. V F ^ + I n f ^ Typ /hilft tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als spezielle kausative Beziehung. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 8 Belege. In den meisten Fällen (7mal) ist /helfen/ absolut gebraucht und das intransitive Hauptkernverb steht ohne logisches Subjekt, so z.B. /halff rouben, stelen vnd nemen/ I Vb. 4,14, nur lmal /helfen/ mit dem Dativ und das transitive Hauptkernverb mit logischem Subjekt, so /hulpen ome den strit wynnen/ I Chr. 5, 319. 2.1.4.35. V F ^ + I n f ^ Typ /gibt essen/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als spezielle kausative Beziehung des Einflusses. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 5 Belege aus nd. medizinischer Fachprosa: z.B. /gyff er dit eten/ I Fpr. 5,106. Der Typ schwindet zugunsten von Typ /gibt zu essen/, s. 2.1.6.49. 2.1.4.36. V F M o y + Infjjy Ruheverb/imperf Bewegungsverb Typ /hat liegen/ = Erweiterung des Subjektbereichs. Mit Haupt- und Nebenkernverb. Als Hauptkernverb begegnen/liegen/ (6mal), /hängen/ (3mal), /stehen/ (2mal), /sitzen/ (lmal), /laufen/ (2mal), /gehen/ (lmal), /reiten/ (lmal), /vmb gayn/ (lmal). 17 Belege. Die Hauptkernverben sind immer intransitiv mit Nennung ihres logischen Subjekts, z.B. /hatten sie die wilkir auff dem tische ligen/ I Chr. 1,16, /die metzger hetten bei 50 ochsen auff der waid . . . gan/ I Chr. 4, 37. 2.1.4.37. V F ^ + I n f ^ Typ /sieht tun/ = Erweiterving des Subjektbereichs, ins Wahrnehmungsfeld gehörig. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 56 Belege, konzentriert auf Reisebeschreibung, Flugschrift und Volksbuch. Am häufigsten ist der Typ mit intransitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt (33mal), z. B. /sieht den wolff kommen/ I Fl. 4b, 104. An zweiter Stelle steht der Typ mit transitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt (16mal), also mit doppeltem Akkusativ, z.B. /ich sach sy ain danz da hain/ I R. 4,14. Auch nicht gerade selten ist der Typ mit transitivem Hauptkernve'rb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt (7mal), z.B. /saegen wir die passie speien/ I R. 2, 33. 2.1.4.38. V F ^ + I n f ^ Typ /hört sagen/ = Erweiterung des Subjektbereichs, ins Wahrnehmungsfeld gehörig. Mit Haupt- und Nebenkernverb. Das Hauptkernverb ist immer ein Verb aus dem Sinn-
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bezirk des Mitteilens. - 7 Belege, konzentriert auf Reisebeschreibung, Flugschrift und Volksbuch. Je nach Verwendung im Satzzusammenhang sind 3 Typen zu unterscheiden, mit intransitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt (3mal), z. B. /hör yetzo jr v i l . . . dar von reden/ I Fl. 2b, 155, mit intransitivem Hauptkernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt (2mal), z.B. /horde preken/ I R. 5, 64, mit transitivem Hauptkernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt, /hör vil guts von Luther sagen/ I Fl. 4a, 71, mit transitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt, / s y horten in „ . . sein volk an schreyenn/ I Vb. 3, 34. 2.1.4.39. V F ^ + I n f ^ Typ /findet tun/ = Erweiterung des Subjektbereichs, ins Wahrnehmungsfeld gehörig. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 7 Belege, nur mit intransitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt, z.B. /bey keinem volck findest du . . . yeder man in Sicherheit leben/ I Fl. 2a, 52. 2.1.5. V F j ^ + f l e k t l n f ^ Anzahl: 1 = 0, 04 % der Volltypen aus 2 verbalen Bestandteilen. Nur wind. Chronik. 2.1.5.1. V F ^ + flekt I n f ^ Typ /soll tunde/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. - Der einzige Beleg /sullent . . . zu kisende und zu setzende/ I Chr. 2,15 'sollen hinzuwählen' scheint den flekt Inf nur unter dem Einfluß resthafter Verbkomplexe mit flekt z u l n f _ . gesetzt zu haben, s. 2.1. 7. Zufallsbildung außerhalb der Norm. IV.V 2-1. 6. V F M q V + z u l n f ^ Anzahl: 343 = 6, 7 % der Volltypen aus 2 verbalen Bestandteilen. 2.1.6.1. V F M q V + z u l n f ^ Typ /scheint zu sein/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad nicht erwiesener Realität, als Vermutung. - 2 wmd. Volksbuchbelege, z.B. /schein wol ein schalk zu wesen/ I Vb. 2, 72. - Zur Variante Typ /be-dünkt mich sein/ s. 2.1.4. 6. 2.1.6.2. V F M q V
+
zulnf^
Typ /meint, vermeint zu tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. - 4 Belege aus Flugschrift und Volksbuch, z.B. /vormeinen . . . zu erschmorotzen/ I Fl. 4a, 72. Der Typ /meint tun/ 2.1.4. 5. ist keine echte Variante, s. dort. - Zur Variante Typ/meint zu t u n d e / s . 2.1.7.1.
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Gabriele Schieb 2.1.6.3.
VF^+zuInf^
Typ / t r a u t zu tun/ 'glaubt, traut sich zu zu tun' = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. - 2 nd. Volksbuchbelege, z . B . / t r u d e he sich . . . niet me zo e r n e r e n / I Vb. 5, 35. 2.1.6.4. V F M q V + z u l n f ^ Typ /hofft zu tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender R e a lisierung. - 5 Belege, m d . - n d . , z . B . / h o f f e t . . . zuo l ö s e n / I Fl. 2b, 159. Der Typ i s t oberdeutsch noch nicht zu erwarten, da /hoffen/ e r s t allmählich auch im Süden übernommen wird. 2.1.6.5. V F M o V + z u l n f ^ Typ /ge-denkt zu tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. - 4 Belege, z . B . /dacht sin leyt zu r e c h e n / I Vb. 2,87. 2.1.6.6. V F M q V
+
zulnf^
Typ /droht zu tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender R e a lisierung. - 1 Beleg: /treuwet im darumb zeschlagen/ I Vb. 4, 7. 2.1.6.7. V F M q V + z u l n f ^ Typ /begehrt zu tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. - 7 Belege, z. B. / b e g e r e . . . zu hören/ I Fl. 2a, 57. 2.1.6.8. V F M q V + z u l n f ^ Typ / s t e h t zu tun/ ' i s t bereit zu tun, will tun' = Modalität, ins Mödalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. - 2 wöbd. Belege: / s t a t iederman zu b i s s e n / I F p r . 4, 67. Die Restfälle liegen an der Grenze zur Finalität 'steht um zu tun', die den Verbkomplex auflöst. 2.1.6.9. V F M q V + z u l n f ^ Typ /versucht, verzagt nicht zu tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig a l s Grad noch ausstehender Realisierung. - Je 1 Beleg: / v e r s u c h t . . . zu richten/ I Chr. 3, 296, /vortzage n i c h t . . . tho treden/ I Fl. 5,43. 2.1.6.10. (VFMqV - E 4 / E p r ä p )
+
zulnf^
Typ / i s t willens, i s t in willen zu tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig a l s Grad noch ausstehender Realisierung. - 3 Belege: / i c h willens was jn zuo hören/ I Fl. 2b, 166, ähnlich I Chr. 4,15, / i c h pin in willen . . . von hinnen zuo r e i t t e n / I Vb. 3,50.
Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen
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2.1. 6.11. ( V F c o p - Adj) + z u l n f ^ Typ /Ist bereit, geneigt, müde zu tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. - 5 Belege, z.B. /ich bin b e r e i t . . . z8 kommen/ I Fl. 4b, 105. 2.1.6.12. ( V F M q V - E2)
+
zulnf^
Typ /hat Lust zu tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. - 1 Beleg: /het nit gtiten l u s t . . . zü fechten/ I Vb. 4, 33. 2 . 1 . 6 . 1 3 . ( V F M q V - E 2 / E 3 ) + zulnf Typ /ihn verlangt zu tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. - 3 Volksbuchbelege, a. B. /vns verlanget... züsehen euwer arbeit/ I Vb. 4,40. 2.1.6.14. F V M q V + z u l n f ^ Typ /weiß zu tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung, als 1. Voraussetzung für die Realisierung 'kann tun, ist fähig/hat die Möglichkeit zu tun' mit 9 Belegen, z . B . /wissen sich aber der überwindtnuß nit zu brauchen/ I Fl. 2a, 47. 2. Umschreibung des Imperativ mit 1 Beleg, /darnach wissent vch zu richten/ I Vb. 2, 71. 2.1.6.15. V F M q V
+
zulnf^
Typ /taugt zu tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung, als Voraussetzung für die Realisierung. - 1 Beleg: /tawen sye gar nit z3 regieren/ I Fl. 2a, 55. 2 . 1 . 6 . 1 6 . ( V F c o p - Adj) + z u l n f ^ Typ / i s t geschickt zu tun/ 'kann gut tun' = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung, als Voraussetzung für die Realisierung. - 5 Belege mit verschiedenen Adjektiven, /geschickt/ 3mal, /bering/ lmal, /milt/ lmal, z.B. /Luther . . , geschickter ist . . . zu reden dann der Murner/ I Fl. 4a, 85. 2.1. 6.17. V F M q V + Adj + z u l n f ^ Typ /hat frei zu tun/ 'kann tun' = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung, als Voraussetzung für die Realisierung. - 1 Beleg: /habt doch frey einen iden bischoff zuo wölen/ I Fl. 2b, 163.
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Gabriele Schieb 2.1.6.18. V F M q V + Adj + zulnfj^.
Typ /hat gut zu tun/ 'kann gut tun', = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung, als Voraussetzung für die Realisierung. - 1 Beleg: /hatten is auch gut zu thun/ I Vb. 2,48. 2.1.6.19.
(VF^-E^zulnf^
Typ /hat macht zu tun/ 'kann tun' = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung, als Voraussetzung für die Realisierung. - 2 Belege, z. B. /vns zu doten habent ir wol macht/ I Vb. 2, 50. 2.1.6.20. V F ^ + z u I n f ^ Typ /hat zu tun/ 'hat zu tun, muß tun, kann tun, ist berechtigt, erlaubt sich, wagt zu tun' = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung mit verschiedenen semantischen Varianten je nach Kontext. - 20 Belege, z.B. / h e t . . . etwz zethün/ I Vb. 4, 24, ähnlich I R. 4, 49, I Chr. 1, 32, I R. 1, 83, I Chr. 4, 38, I Vb. 4,16. 2.1. 6. 21. (VF c o p - Adj) + z u l n f ^ Typ / i s t schuldig zu tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung, als Notwendigkeit. - 2 Volksbuchbelege, z.B. /bin ich vch schuldich zu reden das best/ I Vb. 2, 52. 2.1.6.22. ( V F M q V - E 2 ) + z u l n f ^ Typ /hat ein Gebot zu tun/ 'muß tun' = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung, als Notwendigkeit. - 1 Beleg: /haben . . . ein gepott, den Saboth zu feyren/ I Fl. lb, 438. Der Typ gehört nur hierher, sofern man den zulnf nicht als Attribut zu /gebot/ faßt. 2.1.6.23. ( V F M q V - E 2 ) + z u l n f ^ Typ /empfängt Erlaubnis zu tun/ 'darf tun' = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung, als Erlaubnis. - 1 Beleg: /empfingen . . . E r leubnis gen Hierusalem zu zihenn/ I R . 1. 2.1.6.24. V F M q V + zulnf Typ /kriegt zu wissen/ 'erfährt' = Passiwariante. - 1 Beleg: /kregen . . . to wetten/ I Chr. 5, 338, wegen /kriegen/ landschaftlich auf das Niederdeutsche beschränkt. 2.1.6.25. V F M o V + z u I n f K V + E 3 Typ /ihm wird zu wissen/ ' er erfährt' = Passiwariante. - 1 Beleg: /dat wart to wetten deme Rade/ I Chr. 5, 337.
Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen
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2.1.6.26. V F M q V + zulnf^ Typ/ist zu tun/'muß, soll, kann getan werden' = modaler Passiversatz mit semantischen Varianten je nach Kontext. Tendenz zum Eintritt in das Formensystem des Verbs. Spitze in der Fachprosa, und zwar im Rezeptstil der medizinischen Fachprosa. Zum Typ, der schon seit ahd. Zeit bezeugt ist, vgl. Behaghel, Syntax 2 § 728, S. 338 2 ff., Brinkmann, Sprache , S. 363 ff., Brinker, Funktion, S. 23-24. Während Moskalskaja den Typ zu den "halbfesten idiomatischen biverbalen Wortfügungen mit grammatischer Bedeutung" stellt, sprechen Sinder-Strojewa von "Modi im Werden", führt Brinkmann den Typ schon als "Bestandteil des verbalen Formensystems". 80 Belege, z . B . /undanckberkeit... ist für andere laster zeschelten/ I Fpr. 3,1, /das ist auch wol war zumachen/ I Fl. lb, 436. Wir stellen hierher auch den einen B e leg mit irrtümlich /wart/ statt /was, war/, /wart der s t r e i t . . . zusehn/I Vb. 3,35. Vgl. einen ähnlichen Fall bei 3 . 1 . 1 . 5 . 2 . 1 . 6 . 27. ( V F c o p - Ej/Adj/ E p r „ p )
+
zulnf^
Typ /ist Zeit, Not, vonnöten zu tun/ 'muß getan werden' = modaler Passiversatz. Der Typ könnte bei der Entstehung der beliebteren, weil semantisch weniger festgelegten Variante Typ/ist zu tun/, deren Ursprung umstritten ist, s . 2 . 1 . 6 . 2 6 , eine Rolle gespielt haben. - 10 Belege, z . B . /ist zit zu gon/ I Fpr. 4, 51. 2.1. 6. 28. V F . . „ „ . . . + zulnf-_ r (+ E , ) + E .. , , MoV unpersonl KV 3' prap/um/ Idiomatisiert mit Beschränkung des MoV auf /sein/ und des z u l n f ^ auf /tun/. - Typ mit E^: /es ist ihm zu tun um/ 'ihm ist gelegen an, ihm geht es um', 3 Belege, z . B . /es ist jm vmb golt zu thun/ I Fl. 2a, 51; - Typ ohne E^: /es ist zu tun um/ 'es handelt sich um', 2 Belege, z . B . /es ist vmb eine kleine gewonheit zuthun/ I Fpr. la, 96. Der Typ ohne Dativ veraltet später, vgl. Paul, Wörterbuch S. 634. 2.1.6.29. V F M q V + zulnf^ Typ /liegt zu sehen/ 'kann gesehen werden' = modaler Passiversatz, kontextgebunden. • 2 omd. Belege: I R. 1, 48,49. 2.1.6.30.
V F ^ ^ ^ + z u I n f ^
Typ /es steht zu tun/ 'muß getan werden' = modaler Passiversatz. - 1 omd. Beleg: /das stet zu bewern/ 'muß noch bewiesen werden' I Vb. 1,12. 2.1.6.31. VF,, „ .. , + zulnf„. MoV unpersonl KV Typ /es geschieht zu thun/ 'muß getan werden' = modaler Passiversatz. - 1 nd. Beleg: /bes c h e i t . . . tho wetten/ I Fl. 5, 48.
Gabriele Schieb
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- 1 ' 6 ' 3 2 ' V F MoVunpersönl + z u I n f KV Typ /es folgt zu reden/ 'nun muß gesprochen werden' = modaler Passiversatz, kontextgebunden, - 1 Beleg: / volgt nun tzu reden von hangends/1 Fpr. lb, 22. 2.1.6.33. V F M o V B e w e g u n g s v e r b + z u l n f ^ Typ /geht zu besuchen/ = Ingressiv, ins Aktionalfeld gehörig. Als Modifikationsverben begegnen/gehen/, /kommen/, /reiten/, /laufen/, /fahren/. - 11 Belege, z.B. /rait vmb vnd vmb . . . daz volckh zu suchen/1 Vb. 3,8. 2.1.6.34. ( V F ^ - E ^ + z u I n f ^ Typ /ist auf dem Wege zu tun/ = Progressiv, ins Aktionalfeld gehörig. - 1 Beleg: /ist gleich vfm wege gewest, die Marterstete Ires Sohnes zu besuchen/ I R . 1,63. 2.1.6.35. V F M q V + z u l n f ^ Typ /fängt an zu tun/ = Ingressiv, ins Aktionalfeld gehörig. An Modifikationsverben kommen in Frage /anfangen/ 24mal, /beginnen/ 17mal, /anheben/ 19mal, /tengen/ lmal. nd. /tengen/ ist landschaftlich beschränkt, bei /beginnen/ beachten wir die Bevorzugung im Volksbuch. - 61 Belege: z.B. /fingen wir abermals an zu saylen/ I R . 3,10. 2.1.6.35a. V F M q V + z u l n f ^ Typ /lernt zu tun/ = Ingressiv, ins Aktionalfeld gehörig. - 1' Beleg: /lernen zu betrigen/ I Vb. 1,17. 2.1.6.36. V F M q V
+
zulnf^
Typ /untersteht zu tun/ 'schickt sich an, unternimmt, wagt zu tun' = Ingressiv-Intentional, ins Aktionalfeld gehörig. - 2 Belege, z. B. /vnderstundent sie den eyter . . . vß zu drucken/ I Fpr. 4, 64. 2.1.6.37.
V F ^ ^ z u I n f ^
Typ /bereitet sich zu tun/ = Ingressiv-Intentional, ins Aktionalfeld gehörig. - Als Modifikationsverben begegnen je 2mal/sich bereiten/, /sich untersten/, /sich underwinden/, /sich fürnemen/, je lmal /sich neigen/, /sich rüsten/, /sich vorsetzen/. Der Typ /underwindet sich zu tun/ enthält noch Haupt- und Nebenkernverb, vgl. Einleitung S. 50 f. - 11 Belege, z. B. /geneigt sich . . . zu strichen/ I Fl. 4a, 68. 2.1.6.38. V F M q V + z u l n f ^ Typ /hört auf zu tun/ = Terminativ u. ä., ins Aktionalfeld gehörig. Oft negiert. Als Modifikationsverben begegnen je lmal /aufhören/ I Vb. 1,8, /ablassen/ I Vo. 5,4,
Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen
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/nachlassen/ I Vb. 4,9, /unterlassen/ I Fi. 4b, 115. - 4 Belege: z.B. /hoer itit auf zcu reden/ I Vb. 1, 8. 2.1.6.39. V F M q V + z u l n f ^ Typ /pflegt zu tun/ = Iterativ, ins Aktionalfeld gehörig. - 15 Belege, z.B. /plag . . . zu verwessein/ I Vb. 2, 59. 2.1.6.40. V F ^ + z u I n f ^ Typ /er-heischt zu tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als Veranlassen. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 2 Belege: mit intransitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt (lmal), /hieschen die heren . . . zu komen/I Chr. 2,8, mit transitivem Hauptkernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt (lmal), /erheischet... zu schriben/I Fpr. 4,63. 2.1.6.41. V F ^ + z u I n f ^ Typ /gebietet, verbietet zu tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als Veranlassen. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 3 Belege: mit transitivem Hauptkernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt (2mal), z. B. / g e b ü t e t . . . die wundenn fücht zu machen/ I Fpr. 4,41, mit intransitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt (lmal), /verbot er ym zu essen/ I Fl. lb, 431. 2.1.6.42. V F ^ + z u I n f ^ Typ /ordiniert zu tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als Veranlassen. Mit Haupt und Nebenkernverb. - 2 Belege: mit intransitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt: /ordinierten sie das halbe folk zu vechten, das ander[n] teil zu slaffen/ I Vo. 2, 84. 2.1.6.43. V F M o V + z u l n f ^ Typ /lernt zu tun/ 'lehrt zu tun' = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als Veranlassen. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 1 Beleg mit transitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt /lernest ander lüt yr narren zu erkennen/ I Fl. 4a, 89. 2.1.6.44. V F M q V + z u l n f ^ Typ /befiehlt, empfiehlt zu tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als Veranlassen. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 6 Belege: mit transitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt, z.B. /beualh im Pontus ze ziehen/ I Vb. 3,13. 2- 1 - 6 - 4 5 - V F M o V + Z u I n f K V Typ /erlaubt zu tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als Zulassen. Mit Haupt und Nebenkernverb. - 1 Beleg mit transitivem Hauptkernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt: /erlaubten buttern zu esseV I Fl. la, 32.
Gabriele Schieb
92 2.1.6.46. V F ^ + z u I n f ^
Typ / f ü h r t zu tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als spezielle kausative Beziehung. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 1 Beleg mit transitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt: /fuhreten vns . . . die heiligen Stedte zu b e s u chenn/ I R. 1, 59. 2.1.6.47. V F M q V + z u l n f ^ Typ /sendet zu tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als spezielle kausative Beziehung. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 1 Beleg mit transitivem Hauptkernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt: / s a n t . . . dat gelt tzo holen/ I Vb. 5, 6. 2.1.6.48. V F M q V + z u l n f ^ Typ /bittet zu tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als Veranlassen. Mit Haupt und Nebenkernverb. - 3 Belege: mit intransitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt 2mal, z.B. /bit uwer gnade . . . mir zu vergeben/ I Vb. 2, 82, mit transitivem Hauptkernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt lmal, / d a s bitt ich mir zuo sagen/ I Fl. 2b, 151. 2.1.6.49. V F M o V + z u l n f ^ Typ /gibt zu tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als spezielle kausative Beziehung. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 16 Belege: 5mal mit /trinken/, z . B . /gaben im wein zu trincken/ I Chr. 4, 6; 4mal mit / e s s e n / , z . B . /gäbe vnser einem . . . brot zu essen/ I R. 3,12, sonst je l m a l mit / z e schmeken/ I Fpr. 3, 73, / z u behalten/ I Vb. 2, 70, / z u verwaren/ I Vb. 2, 50, / z u bedencken/ I Fl. 4b, 93, /thouorstan/ I Fl. 5,49, / z u thun/ I Vb. 2, 91, / z u küssen/ I Vb. 5, 37. 2.1. 6. 50. ( V F M q V - E 2 ) + z u l n f ^ Typ /gibt Anreizung, Ursache, Gewalt zu tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als spezielle kausative Beziehungen. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 4 Belege: mit intransitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt, /gab ym zu essen gewallt von allem Obeß/ I Fl. lb, 341, ähnlich 433, mit transitivem Hauptkernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt I Fl. 2a, 57, mit Nennung /geyt vns ain vrsach got vm sein gnad zu bitten/ I Fl. 3a, 12. 2.1.6.51. V F ^ + z u I n f ^ Typ /schwört zu tun/ = Objektsinhalt. - Das Modifikationsverb ist beschränkt auf Verben des Sagens, s o / s c h w ö r e n / , /geloben/, / r e d e n / , /verheißen/. - 10 Belege, z. B. /swuren sie . . . liep vnd leit mit eyn zu lyden/ I Vb. 2, 55.
Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen 2-1.7. V F M q V
+
93
flekt z u l n f ^
Anzahl: 19 = 0, 4 % der Volltypen aus 2 verbalen Bestandteilen. Da die wobd. Reisebeschreibung auch sonst -/d/-Antritt nach / n / kennt, gehören die 3 Belege I R. 4 vermutlich nicht hierher, sondern zu 2.1. 6. VF + zulnf. 2.1. 7.1. V F M q V + flekt zulnf j^y Typ /meint zu tunde/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. - 2 nd. Chronikbelege, z. B. /meynden . . . to blyvende/ I Chr. 5, 305. Zur Variante Typ /meint zu tun/ s. 2.1, 6.2. 2.1. 7.2. (VF c o p - Adj) + flekt z u l n f ^ Typ / i s t bereit zu tunde/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch avisstehender Realisierung. - 1 Beleg: /was er bereit, sin cogel abe zu thunde/ I Vb. 2, 60. Zur Variante Typ / i s t bereit zu tun/ s. 2.1.6.11. 2.1.7.3. V F M q V + f l e k t z u l n f ^ Typ /weiß zu tunde/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung, als Voraussetzung für die Realisierung 'kann tun'. - 1 Beleg: / w u s t . . . zu farend/ I R. 4, 43. Zur Variante Typ /weiß zu tun/ s. 2.1. 6.14. 2.1.7.4. V F M q V + flekt z u l n f ^ Typ /hat zu tunde/ 'hat zu tun, muß tun' = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung mit verschiedenen semantischen Varianten je nach Kontext. - 2 Belege: /wat hebben wy mit dem Olden Testamente tho doine/ I Fl. 5, 22, ähnlich I R. 4,17. - Zur Variante Typ /hat zu tun/ s. 2.1.6.20. 2.1. 7. 5. V F M q V + flekt z u l n f ^ + Eg Typ /ihm wird zu wissend/ 'er erfährt' = Passiwariante. - 1 Beleg: /wart dut deme Rade to wettende/ I Chr. 5, 339. Zur Variante Typ /ihm wird zu wissen/ s. 2.1.6. 25. 2.1.7.6. V F M q V + flekt z u l n f ^ Typ / i s t zu tunde/ 'kann getan werden' = modaler Passiversatz. 2 nd. Flugschriftbelege, z.B. /ydt wer noch wal völl mer dar van tho schriffende/I Fl. 5,18. - Zur Variante Typ / i s t zu tun/ s. 2.1. 6.26. 2.1. 7. 7. V F M q V + flekt z u l n f ^ Typ /beginnt zu tunde/ = Ingressiv, ins Aktionalfeld gehörig. An Modifikationsverben sind belegt 1 mal/beginnen/und lmal das nd. /tengen/. - 2 Belege, z.B. /begunden zu gende/ I Chr. 2, 27. - Zur Variante Typ /fängt an zu tun/ s. 2.1.6.35.
Gabriele Schieb
94 2.1.7.8. VF M q V
refl +
ilekt z u l n f ^
Typ /bekert sich zu tunde/ 'schickt sich an zu tun' = Ingressiv-Intentional, ins Aktionalfeld gehörig. - 1 Beleg: /bekere dich to wedergeuende/ 'schicke dich an zu erbrechen' I Fpr. 5,96. - Zur Variante Typ /bereitet sich zu tun/ s. 2.1.6. 37. 2.1. 7.9. V F M q V + flekt z u l n f ^ Typ/pflegt zu tunde/= Iterativ, ins Aktionalfeld gehörig. - 2 nd. Belege, z.B. /plach . . . tho syne/ I R. 5, 202. - Zur Variante Typ /pflegt zu tun/ s. 2.1. 6.39. 2.1. 7.10. VF M q V + flekt z u l n f ^ Typ /gebietet zu tunde/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als Veranlassen. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 1 Beleg: /gebüth... tho donde/ I Fl. 5. - Zur Variante Typ /gebietet zu tun/ s. 2.1.6.41. 2.1. 7.11. VF.. + flekt zulnf^. MoV KV Typ /gibt zu tunde/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als spezielle kausative Beziehung. Als Kernverben begegnen/essen/ (2mal), /trinken/ (lmal), /verstehen/ (lmal). - 4 Belege, z.B. / g i f f t . . . tho verstände/I Fl. 5,11. I m F a l l I V b . 5,49 /gaf jm .... wat tzessens/ ist von /wat/ abhängiger Genitiv mit dem flektierten Inf. nach /zu/ kontaminiert, ein nicht normgerechter Einzelfall. Zur Variante Typ /gibt zu tun/ s. 2.1.6.49. 2.2. Verbkomplexe (Ellipsen) aus zwei verbalen Bestandteilen Anzahl: 38 = 0,2 % aller Verbkomplexe Frequenz der Gruppen: 38 = 100 ' VF
HV
VF
+
[ V I
HV+^MoV
+ +
29 = 76, 3 1
^KV
1 = 2, 65 1
[^KV]
HV/MoV [ V F HV] VF M o V + mterr +
+
KV V F J
7 = 18, 4 1 +
Inf^
1 = 2, 65 1
Frequenz der Gruppen in Landschaften und Gattungen: %-Anteil am Gesamt der elliptischen Verbkomplexe mit zwei Bestandteilen einer Quelle: VF + [Vi] + VI : omd.R. 25 %, wobd.R. 100 %, nd.R. 100 %; oöbd. Chr. 80 %, nd. Chr. 100 %; nd. Fl. 100%; wmd. Fpr. 100 %; oobd. Vb. 100%, wobd. Vb. 100%, nd.Vb. 50%.
Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen
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96 VF + VI + [Vi]
: omd.R. 12, 5 %;
[ V F ] + VI + VI
: omd.R. 62, 5 %, oobd.R. 100 %, oobd.Chr. 20 %;
VF + Interr + [ E J + VF] + VI
: nd. Vb. 50 %.
2.2.1. V F ^
+
[VIHV]
+
VI^
Anzahl: 29 = 76, 3 % der elliptischen Verbkomplexe aus zwei verbalen Bestandteilen. 2 . 2 . 1 . 1 . V F ^ + j^PerfPart a c t ^ J + PerfPart p a s s ^ Typ / i s t getan [worden]/ = Vollzugsstufe des Vorgangspassiv, zum Formensystem des Verbs gehörig. Zum entsprechenden Volltyp s. 3 . 1 . 1 . 3 . - 29 Belege, z . B . / i s t . . . ainthobtet/ I R. 4, 7. Agensnennung begegnet in 7 Fällen. Der belebte Agens ist 6mal mit /von/ und lmal mit /durch/ angeschlossen, z . B . /dar is unse leyue here gedofft van sunte Johannes/ I R . 5,66, / i s t durch Georgen Walhan . . . nit eingeschriben/ I Chr. 3, 328. Zu Berührungen mit dem Typ /ist getan/ s. 2 . 1 . 2 . 5. Vgl. auch Brinker, Passiv. 2.2.2. V F ^
+
VIMqV
+
[VI^]
Anzahl: 1 = 2, 65 % der elliptischen VK aus zwei verbalen Bestandteilen. 2. 2. 2.1. V F j j y + PerfPart a c t M o y + [ z u l n f ^ Typ /hat [zu gehen u. ä.] gehabt/ = Vollzugsstufe zum Typ /hat dahin 3 Meilen/, s. 1 . 2 . 1 . 9 . Der entsprechende Volltyp ist zufällig nicht belegt. - 1 Beleg: /habenn . . . 600 welschen meylenn . . . gen Cyppern gehabtt/ I R . 1, 54. 2.2.3. [^Fjjyj + ^jjv/MoV
+
^KV
Anzahl: 7 = 18,4 % der elliptischen VK aus zwei verbalen Bestandteilen. 2 . 2 . 3 . 1 . [ V F ^ J + PerfPart a c t ^ + PerfPart p a s s ^ Typ / [ i s t ] getan worden/ = Vollzugsstufe des Vorgangspassiv, zum Formensystem des Verbs gehörig. Zum entsprechenden Volltyp s. 3 . 1 . 1 . 3 . - 1 Beleg: /kainRath gesetzt worden/ I Chr. 3, 343. 2 . 2 . 3 . 2 . [ V F H V ] + Inf (statt PerfPart a c t ) M o y + I n f ^ Typ /[hat] tun lassen/ = Perfektivierung + Faktitiv, ins Formensystem des Verbs und ins Aktionalfeld gehörig. Zum entsprechenden Volltyp s. 3 . 1 . 4 . 3 . - 3 Belege in omd. Reisebeschreibung, z . B . /sant Helena . . . dasselbige . . . den Bergk aufftragen lassen/ I R . 1,89. 2.2.3.3. [ V F h v ]
+
PerfPart ac^MoV +
^ ^KV
zu n
Typ / [ i s t ] übereinkommen zu tun/ = Perfektivierung + Ingressiv-Intentional, ins Formensystem des Verbs und ins Aktionalfeld gehörig. Der entsprechende Volltyp ist nicht
Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen
97
belegt, - 1 Beleg: /die Juden . . . mit Judas vbereinkomen . . . Jesum zu verrathenn/ I R . 1,79. 2.2.3.4. [ V F ^ ] + PerfPart a c ^ 0 y + ^ ^ j j y Typ / [ h a t ] befohlen zu tun/ = Perfektivierung + Faktitiv, ins Formensystem des Verbs und ins Aktionalfeld gehörig als Veranlassen. Zum entsprechenden Volltyp s. 3.1. 6.8. 1 Beleg: /durch den Statthalter dem Diener das Burgermaisterambt zu verwisen/ 'übertragen' /wider Bevolchen/ I Chr. 3, 343. 2. 2.4. V F M q V + Interrogativum + ^
+VF^J + Inf^
Anzahl: 1 = 2, 65 % der elliptischen VK aus zwei verbalen Bestandteilen. 2. 2.4.1. V F M q V + Interrogativum + [EJ + V F ^ J + I n f ^ Typ /weiß was tun/ = /weiß was [ e r ] tun [soll] / = Objektsinhalt + Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. Vgl. Behaghel, Syntax 2 § 747 S. 363 f . , Curme, Grammar S. 279, Meeussen-Vanacker, werkwoordgroep, S. 41. - 1 Beleg: /weis niet wairhyn ryden/ I Vb, 5, 3. 3. Verbkomplexe aus drei verbalen Bestandteilen 3.1. Verbkomplexe (Volltypen) aus drei verbalen Bestandteilen Anzahl: 475 = 2, 6 % aller Verbkomplexe Frequenz der Gruppen: VF + P e r f P a r t + PerfPart VF + PerfPart + P r ä s P a r t VF + PerfPart + Inf VF + Inf (st. PP) + Inf
95 = 20%
VF + Inf(st. PP) + PP(st.Inf) VF VF VF VF
+ PerfPart + zulnf + P e r f P a r t + flekt zulnf + Inf + PerfPart + Inf + Inf (st. PP)
3 = 0,6% 37 = 7 , 8 % 4 = 0,8% 159 = 33,5 1 = 0,2% 74 = 15,6 9 20 = 4 , 2 %
VF + Inf + Inf VF + Inf + zulnf VF + Inf + flekt zulnf 3.1.1. V F h v / M o V
65 = 13,7 9 2 = 0,4% 12 = 2 , 5 %
3 = 0,6% +
PerfPartHV/MoV
+
PerfPart^
Anzahl: 65 = 13, 7 % der Volltypen aus 3 verbalen Bestandteilen.
98
Gabriele
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Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen
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Zur Ausbildung des Satzrahmens
275
men diese Stellung aus. Daraus ergibt sich, daß in dieser Frage bereits um 1500 der moderne Stand erreicht ist. Es lassen sich auch keinerlei Modifizierungen in einzelnen Gattungen oder aus der Sicht der Sprachlandschaften nachweisen. Im Unterschied dazu zeigt sicH beim infiniten Prädikatsteil, der aus 2 oder mehr Elementen besteht,' hinsichtlich deren Stellung zueinander eine deutliche Entwicklung; untersucht wurden speziell aus Modal- und Vollverben zusammengesetzte Prädikate, die ein passives Geschehen oder ein aktivisches im Perfekt oder Plusquamperfekt bezeichnen. Um 1500 steht die dem modernen Sprachgebrauch gemäße Möglichkeit gleichberechtigt neben der Variante, in der das Vollverb dem Partizip bzw. Ersatzinfinitiv des Modalverbs folgt. Um 1700 hat sich dagegen der Sprachusus so verschoben, daß diese letztgenannte Stellungsvariante nur noch gelegentlich begegnet; der moderne Stand mit der Abfolge Vollverb-Partizip/Ersatzinfinitiv ist erreicht. - Ein ähnlicher Befund wie für die finite Verbform ergibt sich hinsichtlich der Stellung des Subjekts in Einfachsätzen mit klammerfähigem Prädikat. In beiden Zeiträumen nimmt das Subjekt in der Regel die 1. oder 3. Position ein; das zeigt die folgende Übersicht: Tabelle 6 1. oder 3. Position 1470-1530 1670-1730
95,6 95,3
4. oder 5. Position 4,4 4,7
Auch in dieser Hinsicht unterscheiden sich die Sprachgewohnheiten des 16. und 18. Jhd. kaum von denen der Gegenwart. Im Gegensatz zur finiten Prädikatsform, deren Stellung festgelegt ist, besteht jedoch beim Subjekt die grundsätzliche Möglichkeit, je nach den Kommunikationsabsichten variabel zu verfahren. Auch hier verhalten sich die Gattungen aller Landschaften ähnlich; sie weisen keinerlei Besonderheiten auf. - Die den gesamten Einfachsatz negierende Partikel steht in beiden Vergleichszeiträumen unmittelbar vor dem rahmenschließenden Glied, und zwar sowohl bei Sätzen mit partiell als auch mit voll ausgebildeter Klammer. Für die gesamte Zeit lassen sich weder landschaftliche noch gattungsmäßige Differenzierungen feststellen. Bereits zu Beginn des 16. Jhs. hat sich also in dieser Frage ein Sprachgebrauch durchgesetzt, wie er auch für das moderne'Deutsch kennzeichnend ist. - Für das Akkusativobjekt läßt sich aus dem Untersuchungsmaterial ablesen, daß es häufig bei Sätzen mit voll oder partiell ausgebildeter Klammer unmittelbar vor das rahmenschließende Glied gesetzt wird; diese Stelle wird offenbar bevorzugt von Satzgliedern eingenommen, die in einer besonders engen semantischen Beziehung zum Geschehen stehen, damit für das Verständnis des Satzes unbedingt notwendig sind und denen daher, von der kommunikativen Absicht her gesehen, besonderes Gewicht zukommt. Auch hier zeichnet sich bereits um 1500 - Unterschiede zwischen beiden Zeiträumen sind nicht feststellbar - ein Gebrauch
276
Joachim Schildt
unabhängig von Zugehörigkeit einer Quelle zu einer bestimmten Landschaft oder Gattung ab, wie er auch heute üblich ist. - Für andere Satzglieder, mit Ausnahme des Reflexivpronomens, das damals wie heute unmittelbar der finiten Verbform folgt, lassen sich in den beiden Untersuchungszeiträumen keine besonderen Gewohnheiten für die Stellung aus dem Material ablesen. - Insgesamt kann damit festgestellt werden, daß bereits um 1500 für die finite Verbform, das Subjekt und das Akkusativobjekt ähnliche Hegeln für deren Stellung in Einfachsätzen mit klammerfähigem Prädikat gelten wie in der Gegenwart; die Zugehörigkeit der einzelnen Quelle zu einer bestimmten Sprachlandschaft oder Gattung ist dabei weitgehend ohne Bedeutung. 4. 2.2.
Zur Zahl der Glieder innerhalb und außerhalb des Rahmens
4.2.2.1. Zur Zahl der Glieder innerhalb des voll ausgebildeten Rahmens Folgende Übersicht weist aus, wieviel Satzglieder innerhalb der voll ausgeformten Klammer von Einfachsätzen stehen können, die Quellen der beiden Untersuchungszeiträume entnommen sind. Tabelle 7 Satzglieder
1
2
3
4
5
1470-1530 1670-1730
40,3 22,7
40,9 44,1
14,9 26,8
3,9 5,8
0,3 0,7
Während im 1. Zeitraum Einfachsätze dominieren, deren Rahmen 1 oder 2 Glieder umfaßt, werden 200 Jahre später Satzmuster mit einem Klammerinhalt von 2 und 3 Satzgliedern bevorzugt. Aus dieser Gegenüberstellung wird deutlich, daß in der Zeit von 1470 bis 1730 eine Tendenz besteht, daß in Einfachsätzen mit voll ausgeprägter Klammer die Zahl der Satzglieder und damit in der Regel auch der Umfang der Einfachsätze zunimmt. Bezieht man alle innerhalb eines Zeitraumes zur Verfügung stehenden Möglichkeiten in die Betrachtung ein, so zeichnen sich hier Differenzierungen des Sprachgebrauchs nach Gattungen ab. In der Zeit von 1470 bis 1530 werden Satzmuster mit 4 oder 5 Gliedern Klammerinhalt - wenn überhaupt - fast ausschließlich in Reisebeschreibungen und Chroniken benutzt; in Volksbüchern und der Fachprosa überwiegen dagegen Einfachsätze, deren Klammerelemente 1 oder 2 Satzglieder umschließen. Im Vergleichszeitraum dagegen ist es gerade die Fachprosa, in der besonders viel Sätze mit 3 Gliedern Klammerinhalt begegnen; offenbar hat sich gerade in dieser Gattung im Laufe der 200 Jahre ein bedeutsamer Wandel vollzogen, in dessen Ergebnis um 1700 - Ausdruck sowohl einer didaktischen Grundhaltung dieser Zelt als auch des Fortschritts der Wissenschaften - umfangreichere Sätze typisch geworden sind, die es ermöglichen, innerhalb eines Satzes ein höheres Maß an Information zu vermitteln. Insgesamt zeigt sich,
277
Zur Ausbildung des Satzrahmens
daß der Charakter der Gattung Einfluß auf die Wahl mehr oder weniger umfangreicher Satzmuster hat. 4.2.2.2. Zur Zahl der Glieder innerhalb des partiell ausgebildeten Rahmens Aus der folgenden Tabelle läßt sich entnehmen, wie groß die Zahl der Satzglieder in Einfachsätzen aus Quellen beider Zeiträume sein kann, die innerhalb einer partiell ausgeformten Klammer stehen. Tabelle 8 Satzglieder
1
2
3
4
5
1470-1530 1670-1730
61,7 34,1
29,7 47,2
7,3 11,9
1,1 5,2
0,1 1,5
Während im 1. Zeitraum Einfachsätze mit 1 Glied innerhalb des partiell ausgeformten Rahmens besonders beliebt sind, zeigt sich um 1700, daß jetzt Satzmuster mit 2 Satzgliedern bevorzugt werden. Wieder wird die Tendenz deutlich, daß im Laufe der 200 Jahre der Klammerinhalt größer wird. Betrachtet man den Sprachgebrauch innerhalb des einzelnen Zeitraums differenziert nach den einzelnen Gattungen, so zeichnet sich um 1500 ab, daß in der Fachprosa und im Volksbuch vorrangig Einfachsätze mit 1 Satzglied als Klammerinhalt Verwendung finden, während Sätze, deren partiell ausgebildeten Rahmen 4 oder 5 Glieder enthält, vorwiegend in Reisebeschreibungen und Chroniken begegnen. 200 Jahre später liegen die Verhältnisse wesentlich anders. Jetzt werden in den Briefen dieser Zeit Einfachsätze mit 1 Glied als Inhalt des Rahmens bevorzugt; nur im Bildungsschrifttum und in der Fachprosa lassen sich Einfachsätze mit 4 oder 5 Satzgliedern, die innerhalb der partiell ausgeformten Klammer stehen, bezeugen. - Von der Gesamtzahl der Satzglieder her gesehen - der Klammerinhalt spielt nur indirekt eine Rolle - zeigt sich hier die gleiche Erscheinung wie bei Sätzen mit voll ausgebildetem Rahmen. Der Charakter der Gattung beeinflußt in starkem Maße, ob einfachere Muster mit wenig Satzgliedern oder ein umfangreicherer Satz mit relativ vielen Satzgliedern - in beiden Fällen steht der größere Teil der Satzglieder in der Klammer - gewählt werden, 4.2.2.3. Zur Zahl der Glieder außerhalb des partiell ausgebildeten Rahmens Die folgende,Übersicht zeigt, wieviel Satzglieder in Einfachsätzen mit partiell ausgeformter Klammer dem 2. Glied des Rahmens folgen können. Tabelle 9 Satzglieder
1
1470-1530 1670-1730
89,4 93,7
2
3 10,2 4,9
0,4 1,4
278
Joachim Schildt
Wie die Gegenüberstellung der Ergebnisse des 1. und 2. Zeitraums ausweist, lassen sich sowohl um 1500 als auch um 1700 Einfachsätze nachweisen, an deren 2. Klammerglied 1, 2 oder 3 Satzglieder angeschlossen werden können. In beiden Zeiträumen überwiegt eindeutig das Satzmuster, bei dem dem infiniten Teil des Prädikats nur 1 Glied nachgestellt ist; in der Entwicklung gesehen, nimmt dieser Typ anteilmäßig sogar zu auf Kosten der beiden anderen Möglichkeiten, die um 1700 nur noch sehr selten verwendet werden. Nun ist allerdings der Sprachgebrauch etwas differenzierter, als es die Tabelle erkennen läßt. Im 1. Zeitraum fällt auf, daß in Flugschriften Einfachsätze mit 2 oder 3 Gliedern außerhalb der Klammer so gut wie gar nicht belegbar sind; ihre Bezeugung konzentriert sich in dieser Zeit auf Chroniken und Reisebeschreibungen. Das stimmt zu Feststellungen über diese beiden Gattungen im vorhergehenden Abschnitt. Typisch für diese Gattungen, im Unterschied zur Flugschrift oder zum Volksbuch, sind z.T. relativ umfangreiche Sätze, die - dem Charakter der Gattungen entsprechend ein hohes Maß an Information innerhalb eines Satzes möglich machen. Der Rahmen ist jedoch - gemäß dem Sprachgebrauch der Zeit - in der Regel nur begrenzt belastbar, so daß mehr Glieder als in anderen Gattungen dem 2. Klammerglied nachgestellt werden. 4.2.3. Zur Art der Glieder außerhalb des partiell ausgebildeten Rahmens Die folgende Übersicht zeigt, welcher Art die Satzglieder sind, die in beiden Zeitabschnitten in Einfachsätzen dem 2. Klammerglied nachgestellt sind; sie weist außerdem für jedes Satzglied aus, wie hoch sein Anteil an der Zahl aller Glieder ist, die dem 2. Element des Rahmens angeschlossen werden können. Tabelle 10 Glieder
Subjekt
Objekt
SG
SG
1470-1530 3,8 1670-1730 3,3
WG
16,6 1,6 3,0
ffi
**
*mp. kaus. Adv. mod.
WG 33,7 23,4 4,6 12,7 3,6
SG 5,9 1,3
WG
5,9 1,8 11,1
AtMlwt
SG 3,2 1,0
PS/WG VG
4,1 3,5 3,8 43,1 8,9
SG = Satzglied WG= nebensatzähnliche Wortgruppe PS = Pronominalsatz VG = Vergleich Im 1. Untersuchtmgs Zeitraum überwiegen unter den Satzgliedern, die dem infiniten Prädikatsteil folgen, präpositional angeschlossene Objekte mit 33, 7 %, lokale Adverbialbestimmungen mit 23,4 % und Objekte, vorwiegend im Akkusativ, mit 16, 6 %; sie machen fast 3/4 aller Satzglieder in dieser Position aus. Da präpositionale Objekte durchweg in
Zur Ausbildung des Satzrahmens*
279
all-n Gattungen, die in die Untersuchung einbezogen sind, mit einem relativ hohen Anteil vertreten sind, scheint die Annahme berechtigt, daß hier ein strukturelles Kennzeichen des geschriebenen Deutsch um 1500 vorliegt. Anders verhält es sich bezüglich des verhältnismäßig häufigen Vorkommens von Lokalbestimmungen in dieser Stellung; es konzentriert sich nämlich auf Einfachsätze aus Reisebeschreibungen und Chroniken. Das könnte auf eine gattungsspezifische Eigenheit dieser beiden Genres hindeuten. Allerdings kann dieserVermutung nur mit Vorbehalt geäußert werden; denn sie wäre nur dann in vollem Umfang berechtigt, wenn die Gesamtzahl der Lokalbestimmungen in diesen beiden Gattungen höher läge als in den anderen. Darüber aber konnten keine Erhebungen angestellt werden. Im Vergleichszeitraum nehmen unter den Satzgliedern, die an das 2. Klammerglied angeschlossen sind, Attribute in Form von Pronominalsätzen und nebensatzähnlichen Wortgruppen mit 43,1 % die 1. Stelle ein; der Prozentsatz e r höht sich um 8,9 % durch jene Satzglieder, die in irgendeiner Weise dem Vergleich dienen. Es folgen präpositionale Objekte mit 12, 7 % und Kausalbestimmungen in der Gestalt von Infinitivgruppen mit 11,1 %. In bezug auf diese Satzglieder und ihre Stellung im Anschluß an das rahmenschließende Element verhalten sich die Gattungen, die einer Analyse unterzogen wurden, ähnlich; es ist daher zu vermuten, daß hier strukturelle Merkmale der Literatursprache in der Zeit um 1700 hervortreten. Im Unterschied dazu dürfte der relativ hohe Anteil von Subjekten in Anschlußposition in Briefen - er beträgt 8,4 % gegenüber einem Durchschnitt von 4,9 % - Ausdruck spezifischer Eigenheiten dieser Gattung sein. - Vergleicht man beide Zeiträume liteinander, so läßt sich feststellen, daß Satzglieder, die dem infiniten Prädikatsteil folgen, in allen Gattungen belegbar sind. Das läbi den Schluß zu, daß Einfachsätze mit par ..eil ausgebildetem Rahmen ein gleichwertiges Muster neben dem mit voll ausgeformter Klammer darstellen. Das schließt nicht aus, daß - wie in der Chronik, der Reisebeschreibong oder dem Brief - gattungsbedingte Besonderheiten eine Rolle spielen können. In der Entwicklung gesehen, besteht eine Tendenz zur Abnahme des Anteils von Objekten, auch solchen mit präposiüonalem Anschluß; dagegen nimmt die Zahl der Kausalbestimmungen, insbesondere in Form von Infinitivkonstruktionen, und Attributen in Gestalt von Pronominalsätzen, Infinitivgruppen und Vergleichen zu. Der Rückgang von Ldkalbestimmungen in dieser Stellung muß mit Vorsicht interpretiert werden; er muß real in dieser Weise nicht vorhanden sein und könnte seine statistische Ursache darin haben, daß beim 2. Zeitabschnitt, der Schrifttum um 1700 erfaßt, die Gattungen Reisebeschreibung und Chronik, in denen Lokalbestimmungen um 1500 besonders häufig vorkamen, nicht in die Untersuchung einbezogen wurden.
280
Joachim Schildt
4.2.4. Zum Verhältnis von "normativer" zeitgenössischer Grammatik und der Spr a chwir kli chkeit Die in dieser Untersuchung anstehenden Probleme werden in Grammatiken, die innerhalb des Zeitraums der Untersuchung entstanden sind, im Zusammenhang mit der Darlegung über Fügegewohnheiten des Verbs abgehandelt; sie finden sich bei J.G. Schottel in seiner "Ausführlichen Arbeit von der Teutschen Haubt Sprache" aus dem Jahre 1663 unter der Überschrift 'von der Wortfügving mit dem Zeitworte' und bei J.Ch. Gottsched in seiner "Vollständigeren und Neuerläuterten deutschen Sprachkunst" von 1748 unter dem Abschnitt 'von Fügung der Zeitwörter'. Beide Grammatiker machen an den genannten Stellen, ohne die Begriffe "Klammer" oder "Rahmen" zu benutzen, Ausführungen über die Stellung mehrgliedriger Prädikate; Angaben über die spezielle Position anderer Satzglieder finden sich in diesem Zusammenhang nicht. So formuliert Schottel: 'Von den gedoppelten Zeitwörtern ist in gemein zumerken daß dleselbigen in jhren gegenwertigen und fast vergangenen Zeiten zerteihlet werden also daß ein oder mehr andere Wörter können dazwischen stehen und gehet das Zeitwort solcher Gestalt gemeiniglich 30 vor und muß das Vorwort folgen'. Schottel formuliert jedoch solche Regeln nur für Verben mit trennbarem Präfix oder Kompositionsglied, nicht jedoch für all die anderen Fälle, in denen Prädikate aus 2 oder mehr Elementen bestehen. Etwas weiter geht 31 Gottsched, der nicht nur diese eine Möglichkeit erwähnt , sondern auch die Trennung der Prädikatselemente bei Prädikaten, die aus dem Hilfsverb und dem Partizip n oder einem Infinitiv bestehen. Seine Regel lautet: 'Die Hilfswörter werden in der völlig, und längst vergangenen Zeit, insgemein von ihrem Zeitworte getrennet; 32 so daß sie in der anzeigenden Art vorne, in der verbindenden aber hinten stehen'. Aus beiden Formulierungen wird deutlich, daß diese Stellungen keinesfalls als absolut verbindlich angesehen werden; das zeigt auch ein Hinweis Gottscheds auf den Sprachgebrauch bei Satzgefügen, wo es 'ein großer Übelstand [ sei], mit der Kanzleyschreibart, etliche Zeitwörter ganz von vorne, bis ans Ende zu werfen, und daselbst mit etlichen andern aufzuhäufen. . . . Man setze also zu Beförderung der Deutlichkeit, jedes Zeitwort, unmittelbar zu seinem Hauptworte, und lasse lieber den Anhang des Satzes nachfolgen, als 33 daß man denselben, auf eine langweilige Art zwischen beyde einschalte'. Ganz eindeutig plädiert et hier - das weisen auch die angeführten Beispiele aus - dafür, daß bestimmte Satzglieder dem 2. Prädikatsteil nachgestellt werden, wenn es für das Verständnis günstig ist; die Distanzstellung als etwas Künstliches lehnt er als Konzession an den Kanzleistil ab. Schottel wie auch Gottsched - J. Bödiker geht in seinen "Grundsätzen der deutschen Sprachen" von 1709 auf diese Fragen nicht ein - erfassen mit diesen Ausführungen nur Teilaspekte der Stellungsproblematik, die in der Sprachwirklichkeit wesentlich differenzierter ist; als sog. "normative" Grammatiker zielen sie jedoch
Zur Ausbildung des Satzrahmens
281
auch nicht darauf, die Sprachwirklichkeit zu erfassen und angemessen zu beschreiben, sondern sie wollen verbindliche Regeln für einen guten Sprachgebrauch geben. 4.2.5.
Zum Verhältnis des Untersuchungsergebnisses zur Sprachbeschreibung in Grammatiken der Gegenwart
4.2.5.1. Zur Rahmenbildung Das Untersuchungsergebnis weist aus, daß im Deutsch des 15. bis 18. Jhs. der Satzrahmen in erster Linie durch 4 verschiedene Typen repräsentiert ist. Er kann 1. aus einem Grundverb und einem Präfix oder Kompositionsglied, 2. aus einem Modalverb und einem Infinitiv, 3. aus einem Hilfsverb und einem Partizip Perfekt und 4. aus
34 einem Hilfsverb und einem Adjektiv bestehen. Für andere Gebilde, die nach K. Boost im modernen Deutsch Klammerfunktionen wahrnehmen, gibt es in dem vorliegenden Untersuchungsmaterial keine eindeutigen Nachweise. Offenbar sind andere Möglichkeiten der Rahmenbildung doch erst nach 1730 deutlicher in Erscheinving getreten. Insgesamt ist aber wohl E. Benes zuzustimmen, der in seiner Studie über die Ausklammerung im Deutschen zu dem Schluß kommt, daß in den Fällen, die über 35die 4 genannten Typen hinausgehen, nur eine Tendenz zur Klammerbildung vorliegt. - Der Untersuchung ist zu entnehmen, daß seit 1470 Einfachsätze mit voll und partiell ausgebildetem Rahmen als 2 Satzmuster gleichberechtigt nebeneinander verwendet werden können; das stimmt zu den entsprechenden Feststellungen von W. G. Admoni und R. Rath. Es bestätigt E. BeneS, für den Sprachnorm ein Komplex der von einer Sprachgemeinschaft r e gelmäßig gebrauchten und als verbindlich empfundenen Sprachmittel ist und der auf dieser Grundlage zu der Schlußfolgerung kommt, daß bei Sätzen mit "Ausklammerung", d. h. bei Konstruktionen mit partiell ausgebildetem Rahmen, dann ein eigenständiger Satztyp vorliege, wenn die "Ausklammerung" eine stilistisch neutrale Norm darstellt, d.h. wenn sie von der Sprachgemeinschaft als sprachüblich, von der Sprachwissenschaft als grammatikalisiert anerkannt wird. Damit ist im Untersuchungszeitraum genauso wie in der Gegenwart zu unterscheiden zwischen Einfachsätzen mit partiell ausgeformter Klammer als selbständigem Satztyp und Einfachsätzen, bei denen aus stilistischen Absichten der volle Rahmen verkürzt und eine wirkliche Nachstellung oder "Ausklammerung" vorgenommen wird. Es ist daher auch zu überlegen, ob in Zukunft nicht nur dann von "Ausklammerung" gesprochen werden sollte, wenn die Nachstellung eindeutig stilistisch bedingt ist, d.h. wenn ein Grundmuster stilistisch variiert wird. Solche Fälle liegen in der Regel dann vor, wenn strukturell-semantisch notwendige Glieder - vgl. die Feststellungen auf S. 268 und 279 - wie vor allem Subjekte und Objekte im Akkusativ, die im Grundmuster innerhalb des Rahmens stehen, dort herausgenommen und an das 2. Klammerglied angeschlossen werden. - Die Darlegungen bezeugen, daß in der Zeit von 1470 bis 1730 Einfachsätze mit voll ausgebildeter Klammer anteil-
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Joachim Schlldt
mäßig zunehmen. Sie belegen jedoch genauso eindeutig, daß - wie W. G. Admoni feststellte - 'der Grundsatz der Rahmenbildung . . . sich doch in der Schriftsprache nie voll36 kommen durchsetzen' konnte. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage nach der Herkunft der Rahmenkonstruktion noch einmal zu erörtern. Die Untersuchung zeigt eindeutig, daß der voll ausgebildete Rahmen im 1. Zeitraum z. B. in Einfachsätzen aus der Flugs chriftenliteratur dominiert. Nun stehen viele Flugs chriften, vor allem die Dialoge im Zeitalter der frühbürgerlichen Revolution anerkanntermaßen unter besonders starkem Einfluß der gesprochenen Sprache. Der Befund stimmt also zur Meinung derer, 37 die - wie z.B. W.G. Admoni - annehmen, daß die Rahmenkonstruktion in der Umgangssprache ihren eigentlichen Platz hat und daß sie von hier aus in die geschriebene Sprache eingedrungen ist. 'Es scheint uns, daß die Rahmenkonstruktion für die Umgangssprache kennzeichnend ist, besonders 38 für Sätze von beschränktem Umfang, wenn sie nicht besonders gefühlsbetont sind . Da der voll ausgebildete Rahmen aber auch, abgesehen von der Fachprosa, in den anderen Gattungen einen recht hohen Anteil hat, wenngleich er den Prozentsatz in den Flugschriften nicht erreicht, liegt die Vermutung nahe, daß der Einfluß der gesprochenen Sprache generell zu Beginn des 16. Jahrhunderts vorhanden war, in bestimmten Flugschriften als der für die Zeit der frühbürgerlichen Revolution besonders wichtigen Form des Schrifttums eben nur stärker ausgeprägt war. Dagegen läßt sich aus diesem Untersuchungsmaterial die Annahme O. Behaghels und M.39 Pfützes nicht bestätigen, daß sie unter dem Einfluß des Lateinischen entstanden ist. 4. 2. 5. 2. Zur Satzgliedstellung Wie die Beschreibung zeigt, haben sich die Grundregeln für die Stellung der Satzglieder im Einfachsatz seit 1470 als dem Beginn des 1. Untersuchungszeitraums kaum geändert. Bereits Ende des 15. Jahrhunderts galt also, was die moderne Grammatikforschung als typisch für das gegenwärtige Deutsch herausgearbeitet hat, d.h. auf diesem Teilgebiet 40 entspricht der Sprachgebrauch von 1500 dem der Gegenwart. Die Satzgliedstellung wurde damals wie heute von grammatischen Faktoren einerseits, von der Mitteilungsabsicht andererseits bestimmt; daneben konnten natürlich auch die sprachliche Tradition oder Einflüsse von Fremdsprachen maßgebend sein. Unter den grammatischen Größen, die die Position des einzelnen Gliedes im Satz festlegt, spielte und spielt die strukturellsemantische Notwendigkeit eine besondere Rolle; Satzglieder, die für den Bestand des Satzes grammatisch und semantisch unbedingt erforderlich sind, ^zeigen, sofern sie nicht vor der finiten Verbform stehen, die Tiendenz - wie z. B. das Akkusativobjekt soweit wie möglich entfernt vom finiten Verb eine Stelle einnehmen; das ist dann in der Regel die unmittelbar vor dem infiniten Prädikatsteil. Bereits auf der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert existieren also usualisierte Satzgliedabfolgen innerhalb des Rahmens, die weitgehend mit denen identisch sind, die E. Drach und K. Boost für die Gegenwart festgestellt haben. In Sätzen mit partiell ausgebildeter Klammer ist für die
Zur Ausbildung des Satzrahmens
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Satzglieder, die dem 2. Klammerglied nachgestellt sind, der moderne Stand, wie ihn 41 W.G. Admoni beschrieben hat, erst auf der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert e r reicht. Damals wie heute können diese usualisierten Satzgliedabfolgen, die aufgrund der Wirksamkeit grammatischer Faktoren zustandegekommen sind, durchbrochen werden. Ein solches Überspielen sprachüblicher Abfolgen von Satzgliedern, z.B. aus stilistischen Gründen liegt u.a. bei der Ausklammerung von sinnotwendigen Gliedern wie Subjekten oder Objekten, vor allem im Akkusativ, vor, die normalerweise entweder vor der finiten Verbform oder innerhalb des Rahmens stehen.
Anmerkungen 1 Admoni, Sprachbau 293. 2 Vgl. Boost, Untersuchungen 39 ff. Zur Rahmenbildung im nominalen Bereich vgl. Admoni, Sprachbau 294 'In der Substantivgruppe kommt ein Rahmen durch die Distanzierung der Hilfskomponenten, vor allem des Artikels, von dem herrschenden Substantiv zustande, so daß alle nicht verselbständigten kongruierenden Glieder der Gruppe mit ihren Bestimmungen von diesem Rahmen eingeschlossen werden.' 3 Vgl. Schottelius, Arbeit 4 Vgl. Gottsched, Sprachkunst 5 Ganz vereinzelt finden sich im Untersuchungsmaterial auch Einfachsätze, in denen die Klammer aus dem Verb /tun/ und einem Infinitiv gebildet wird, z. B. /von stont det der konig brieffe schriben/ I Vb. 2, 61. Nach Bödiker, Grundsätze 104 sollte 'das alte Hilff=Wort /Ich thue/', dessen Verwendung er 'den alten Allemannen und Sachsen' zuschreibt, 'im Hoch=Deutschen nicht gebrauchet werden.' In den untersuchten Quellenausschnitten beschränkt sich das Vorkommen dieser Klammer auf Einfachsätze aus dem westmitteldeutschen.Volksbuch - vgl. I Vb. 2, 61, 83, 87, 94 und aus der ostoberdeutschen Chronik, wo sie I Chr. 3, 293 begegnet. Vgl. dazu auch Küpper, Studien 46 sowie die Ausführungen von G. Schieb in diesem Band. 6 In dieser Quelle finden sich in dem durchgesehenen Teil von den insgesamt 13 Belegen allein 6, so auch noch I Chr. 3, 328, 338. 7 So z.B. auch noch I R. 5,185; I R. 46, 26. 8 So z.B. auch noch I Fpr. 4, 71; I Vb. 2, 50. 9 In dieser Quelle findet sich auch der 2 Beleg; vgl. dazu I Fpr. 4,45. 10 So z.B. auch noch I Fl. la,41, 44; I Vb. 2,51, 78; I Fpr. 4,15, 17. 11 Vgl. auch I Chr. 3, 288, 318, 341; I Vb. 3,1, 12 Vgl. z.B. folgende Stellen aus Bernhard von Hirschfelds "Wallfahrt zum heiligen Grabe" von 1517; 4 Glieder innerhalb des Rahmens finden sich I R. 1, 34, 41, 43, 54, 58; 5 Glieder I R. 1,32. 13 In früheren Sprachperioden sind solche Satzmuster auch in dieser Gattung noch die Ausnahme; darauf verweist Küpper, Studien 99, der feststellt, daß solche 'Spannungsböden (d. h. Rahmen mit mehr als 2 Gliedern Inhalt J. Sch.), die vielleicht Vorboten eines später reichlich bezeugten Kanzleigebrauchs sind, . . . in den Kölner Jahrbüchern noch eine Ausnahme' bilden. In diesem Genre scheint die Entwicklungstendenz darin zu bestehen, daß der Klammerinhalt zunehmend größer wird.
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14 Vgl. z.B. I R . 3, 9; I Fpr. 3, 66, 72. 15 Vgl. dazu z.B. I R . 2,36, 53, 57; I Chr. 3,292, 341. 16 Vgl. dazu z.B. auch I R. 2,43, 73; I Chr. 3,324. 17 Vgl. z.B. I Chr. 1,9, 13, 24; I Chr. 2, 25; I Chr. 3, 292, 298, 316. 18 Im Untersuchungsmaterial finden sich noch 2 Belege mit Einfachsätzen - vgl. n Bi. 3, 39, 45 - in denen /tun/ mit einem Infinitiv die Klammer bildet. 19 Vgl. zur Einleitung solcher Sätze mit /daher(o)/ DWB26, 83 f. 20 So auch z.B. noch II Br. 1, 34, 41; H Ro. 2,1, 21, 50; II Bi. 3,19, 49; II Fpr. 4,19. 21 So z.B. auch noch II Br. 1, 31; II Br. 3, 329 f.; II Bi. 3,15, 47; II Fpr. 2,12A. 22 So auch z.B. II Fpr. 1,17, 30, 36; II Fpr. 2, 20, 26, II Fpr. 3, 7, 30; II Fpr. 4, 27 f . , 50. 23 Zu Sätzen mit 4 Gliedern Klammerinhalt vgl. z.B. II Br. 3, 340, 385, 400; II Fpr. 2, 12A, 28, 46. 24 Vgl. auch II Ro. lb, 9; H Br. 4,43. 25 Vgl. z.B. II Fpr. 1, 47; II Fpr. 2,12, 32; II Fpr. 4, 35, 37 f. 26 Vgl. auch II Fpr. 2, 8A; II Fpr. 4, 22. 27 Vgl. dazu auch n Fpr. 2,16f., 17A, 21. 28 So auch II Bi. 2, 23; II Fpr. 2,15, 33. 29 Vgl. z. B. II Bi. 3, 329, 378, 340 (nebensatzähnliche Wortgruppe). 30 Schottelius, Arbeit 1, 747. 31 Gottsched, Sprachkunst 471. 32 Gottsched, Sprachkunst 474. 33 Gottsched, Sprachkunst 475 f. 34 Boost, Untersuchungen 39 ff. 35 Beneä, Ausklammerung 291. 36 Admoni, Gebilde 169, 37 Admoni, Gebilde 169. 38 Admoni, Gebilde 167. 39 Vgl. dazu meine Ausführungen "Die Satzklammer und ihre Ausbildung in hoch- und niederdeutschen Bibeltexten des 14. bis 16. Jahrhunderts", in: Studien zur Geschichte der deutschen Sprache (Berlin 1972) 239, wo nachgewiesen wird, daß sich eine lateinische Vorlage geradezu hemmend auf die Verwendung des Rahmens ausgewirkt hat, ferner Admoni, Sprachbau 295. 40 Vgl. Hackel, Motivation 41 Admoni, Sprachbau 296 f.
DIE SATZNEGATION
Franzjosef Pensei
Die Satznegation
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1. Einleitung
1.1. Die Negation (von lat. negatio - Verneinung) ist ebenso wie die Affirmation (von lat. affirmatio - Beteuerung, Bejahung) eine universelle sprachliche Kategorie und sowohl den indoeuropäischen als auch den nichtindoeuropäischen Sprachen eigen. Es ist im Rahmen dieser Untersuchung nicht erforderlich, an dieser Stelle eine für alle Belange hinreichende Definition des Begriffs 'Negation' zu geben, die Aspekte der sprachlichen Kommunikation, dann aber auch Aspekte der formalen Logik, der Psychologie und noch anderer Disziplinen berücksichtigen müßte. Allgemein ist im linguistischen Bereich unter 'Negation' ein sprachliches Mittel zu verstehen, mit dessen Hilfe man Annahmen in Abrede stéllen, Behauptungen zurückweisen, Verbote aussprechen, Befehle verweigern, Fragen entscheiden kann usw. Bei dieser Untersuchung beschränken wir uns darauf, die Negation als ein sprachliches Mittel anzusehen, mit dessen Hilfe in einem Satz eine gesetzte positive Aussage verneint wird. Diese Negierung kann sich beziehen auf ein Geschehen: / E r kommt nicht/, auf einen Zustand: / E r ist nicht krank/ oder auf eine Größe: /Das Brett ist nicht 3 m lang/. (Zur Unterscheidung der Negation einzelner Wörter bzw. Sätze vgl. S. 288). 1.2. Für die Negation läßt sich - kurz skizziert - folgende Entwicklung feststellen: im Althochdeutschen wird die Negation durch die Partikel /ni/ ausgedrückt; sie ist die ursprüngliche Negation, die zur Negation des Verbums und des Satzes ausreicht''. In der mittelhochdeutschen Periode, in der die Negation eine breitere Ausbildung erfährt, wird die Verneinungspartikel/ni/ zu/ne, en/ abgeschwächt. Sie kann als Proklise, dabei tritt sie vor das Verbum und verbindet sich mit diesem unmittelbar wegen ihrer Tonschwäche -, oder als Enklise, - hierbei wird sie einem vorhergehenden Wort, meist dem Personalpronomen, angehängt -, auftreten. Zur Verstärkung wird bei prokliüschem oder enklitischem Gebrauch ein weiteres negierendes Pronomen oder Adverb, häufig das neutrale substantivische Pronomen indéfini tum /niht/, hinzugefügt, das an einer späteren Stelle im Satz erscheint. Im Mittelhochdeutschen und Frühneuhochdeütschen (teilweise auch noch im Neuhochdeutschen) treten oftmals mehrere Negationsträger in einem Satz zusammen auf. Man sieht das als eine Addition von Negationen an, wofür man o auch den Ausdruck 'Polynegativität' geprägt hat. Im Neuhochdeutschen hat sich im we3 sentlichen (läßt man den Gebrauch in den Mundarten unberücksichtigt ) die einfache Ne4
gation oder 'Mononegativität' durchgesetzt. Die Sprache besitzt viele Mittel, Negierungen oder Verneinungen vorzunehmen bzw. durch negative Ausdrücke, Wortbildungen u. dgl. den Sätzen einen negierenden Sinn zu
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Franzjosef Pensei
verleihen. W. Admoni sieht die Negation (Verneinung) als besondere Wortklasse an und 5 fügt sie den zehn überkommenen Wortklassen hinzu . Bei ihm werden in der Kategorie der Negation Wortformen vereinigt, "die ganz verschiedene morphologische Strukturen und syntaktische Fügungspotenzen besitzen". Nach seiner Meinung bilden Wörter wie /niemand, nichts, kein, nie, nirgends, niemals, nicht, keineswegs/ durch ihren spezifischen Bedeutungsgehalt eine geschlossene grammatische Einheit. "Die Verbindung mit dem Kommunikationsprozeß besteht hier darin, daß vermittels der Negation die Einstellung des Sprechenden zu dem Inhalt seiner Rede (in betreff der Realität dieses Inhalts) zum Ausdruck kommt. Die Negation ist also eine modale Kategorie. Von den anderen Wortarten und Wortformen mit modaler Bedeutung unterscheiden sich die Negationen dadurch, daß sie (und nur sie) z w e i sehr wichtige m o d a l e S a t z t y p e n voneinander abgrenzen: d i e a f f i r m a t i v e n ( b e j a h e n d e n ) ' und d i e n e g a t i v e n ( v e r n e i n e n d e n ) S ä t z e . Dabei bilden sie im Deutschen . . . funktionell ein alternatives System, d.h. der Gebrauch in Beziehving auf den gesamten Satzinhalt einer Negation schließt den Gebrauch anderer Negationen in diesem Satz aus (mit Ausnahme des Gebrauchs im Innern der nicht prädikativen Wortgruppen), wenn die Nichtrealität die7 ses Inhalts ausgedrückt werden soll". Die anderen lexikalischen Modalmittel können sich miteinander und mit Negationen auf verschiedene Weise kreuzen. "Das alles sondert die Negationen von anderen Wortarten ab und erlaubt, sie als einen besonderen o Redeteil zu betrachten". Die Negation kann in der deutschen Sprache durch lexikalische, morphologische und semantische Mittel erfolgen, mit deren Hilfe sowohl einzelne Wörter als auch der ganze Satz negiertswerden kann. Die Untersuchung beschränkt sich auf die Satznegation, d.h. auf die Negation, die sich auf das satzkonstituierende Verb - auf die Prädikatsphäre bezieht. Allgemein wird diese sich auf die Prädikation des ganzen Satzes beziehende Negation Satznegation genannt, z. B. / e r kommt nicht/; / e r ist nicht gekommen/. Im Gegensatz dazu wird dieg Negation, die sich auf ein Wort oder auf ein Satzglied bezieht, Sondernegation genannt . Die Fälle der Sondernegation bleiben in dieser Untersuchung unberücksichtigt. Dort, wo sich Zweifelsfälle ergeben, ob in einem Satz eine Satznegation oder eine Sondernegation vorliegt, wird nach Kriterien gesucht, die eine eindeutige Zuordnung möglich machen. Zur terminologischen Klärung muß weiterhin darauf verwiesen werden, daß Satznegation nicht identisch ist mit dem Begriff 'negativer Satz'. Man unterscheidet positive und negative Sätze. Damit wird gekennzeichnet, "wie die Realität des Satzinhalts, der durch die Hauptglieder des Satzes bezeichnet ist, von selten des Sprechenden eingeschätzt wird". 1 0 W. Schmidt hat darauf hingewiesen, daß in dieser Gegenüberstellung "der positive Satz als die merkmallose oder die Normalform" (erscheint), "da die Negativität eines Satzes durch besondere (lexikalische) Mittel gekennzeichnet i s t " . 1 1 Unter einem 'negativen Satz' ist daher jeder Satz zu verstehen,
Die Satznegation
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der einen Negationsträger enthält. Darüber hinaus sind als 'negative Sätze' auch solche anzusehen, die durch andere Wortarten, speziell durch das Verbum, bereits einen negativen Inhalt ausdrücken. Als negative Sätze werden auch solche angesehen, in denen die Negation durch ein Substantiv, das etwas sehr Geringwertiges bezeichnet, verstärkt wird. Diese bildliche Verstärkung der Negation ist in der mittelhochdeutschen Sprachperiode üblicher als in der neuhochdeutschen. Im Mittelhochdeutschen finden sich z. B. Wendungen wie /niht ein blat, niht ein str6, niht eine bftne, niht ein h ä r / . Man hat diese Art der Negation 12
auch als 'volkstümliche Verneinung' bezeichnet. Sie erscheint in den Quellen des ersten Zeitraums, wofür ein Beispiel angeführt sei: /unde dat halp one nicht eyn stro/ I Chr. 5, 309, als auch in den Quellen des zweiten Zeitraums, zum Beispiel: /Freundschafft, die auf Fressen u. Sauffen . . . gegründet ist, die ist nicht einer Bohnen werth/ II Bi. 2,16; /solche achten wir nicht ein Haar/ II Bi. 3a, 74; / e r verspricht güldene Berge, und hält nicht eines Hällers werth/ n Bi. 4, 78. Treten aber nur bildliche Ausdrücke der aus dem Mittelhochdeutschen angeführten Art an die Stelle einer usuellen Negation 13, d.h. ohne die Negationspartikel/nicht/, dann werden diese Sätze nicht be14 rücksichtigt, denn dies ist "eher eine stilistische als eine syntaktische Erscheinung" . In diesen Fällen vertreten die Wörter, die Nichtiges und Geringes bedeuten, die Negation 1 5 .
1.2.1. Als Sondernegation sind die Fälle anzusehen, bei denen die Negationspartikel /nicht/ unmittelbar vor dem zu negierenden Glied, das ein einzelnes Wort oder ein Satzglied sein kann, steht (Bsp. / E r las nicht mit guter Aussprache. Er fährt nicht mit der Straßenbahn, sondern mit dem Bus. Er kommt nicht heute, sondern morgen/). In allen diesen Fällen bezieht sich /nicht/ auf ein bestimmtes Satzglied mit Ausnahme des P r ä dikats und verneint nicht den ganzen Satz, sondern nur einen bestimmten Teil. Zu dem Bereich der Sondernegation sind auch andere Negationswörter wie die substantivisch gebrauchten Indefinitpronomen /kein, niemand, nichts/und die Adverbien/nie, niemals, nimmer, keinesfalls, keineswegs, nirgends, nirgendwo/ zu rechnen. /Kein/ kann als Attribut bei einem Substantiv stehen und drückt dann eine Wortnegation aus, oder es steht wie /niemand/ für eine Person als verneintes Subjekt oder Objekt. Die Negationswörter /nirgends/ und /nirgendwo/ kommutieren mit Lokal- und /nie, niemals, nimmer/ mit Temporaladverbien, Bei ihrer Verwendung negieren diese Adverbien nur immer diesen einen bestimmten Aspekt im Satz. Es wird auch nicht die koordinierende Konjunktion /weder - noch/ berücksichtigt, die zwar den Inhalt eines Satzes verneinen kann, aber meist durch ihre Stellung vor bestimmten Satzgliedern zur Sondernegation "gehört.
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Franzjosef Pensei
1.2.2. Im Gegensatz dazu stellt die Negation des Prädikats eine Negation des ganzen Satzes dar. Im einzelnen sollen jetzt die Satztypen vorgestellt werden, bei denen im gegenwärtigen Deutsch eine eindeutige Satznegation vorliegt. Hierbei wird von formalen Kriterien der Stellung des Negationswortes /nicht/ ausgegangen. Satztyp 1 /nicht/ steht bei synthetischer Verbform am Ende des Satzes und verneint ihn: / E r besucht mich nicht./ Satztyp 2 /nicht/ steht bei analytischer Verbform vor den infiniten Verbformen (Partizip, Infinitiv) und negiert somit den ganzen Satz: / E r ist gestern nicht abgereist./ / E r wird morgen nicht abreisen. / Satztyp 3 /nicht/ steht bei Verben mit einem Verbzusatz vor diesem Verbzusatz und verneint somit den ganzen Satz: / E r reist heute nicht ab./ /Der Zug fährt nicht ab./ Im einzelnen ist zu dem Satztyp 1 zu bemerken, daß das Négations wort /nicht/ das Bestreben hat, am Ende des Satzes zu stehen und mit dem finiten Verb eine Negationsklammer zu bilden. Unter diesem Begriff ist zu verstehen, daß das finite Verb und die Negation alle Teile des Satzes mit Ausnahme des satzeinleitenden Gliedes einschließen und klammerbildend wirken; die Partikel /nicht/ bildet als Satzelement den Schlußteil der Klammer. "Darin drückt sich die enge Zusammengehörigkeit des /nicht/ mit dem verneinten Prädikatsverb aus; denn im deutschen Satz verhalten sich äußere und innere Verbnähe im Hauptsatz (Aussagesatz) umgekehrt proportional: Je enger ein Element strukturell-inhaltlich zum Verb gehört, desto weiter strebt es topologisch vom Verb 16
weg und nach dem Satzende zu" . Daß die Satznegation neben anderen Satzelementen, wie der sogenannten "Prägung", d.h. der phraseologischen Sinnergänzung des Verbs (z. B. /in Betrieb setzen/), des Prädikatsnomens und der Ziel- und Richtungsbestimmung des Verbs, eine mehr oder weniger 17 ausgeprägtere Tendenz hat, den Schlußteil der Satzklammer oder des Satzrahmens zu bilden, erläutert auch E. BeneS in seiner 18
Arbeit über die 'Ausklammerung im Deutschen' . Bei den Satztypen 2 und 3 bleibt festzuhalten, daß bei Sätzen mit einer infiniten Verbform oder einem Verbzusatz dièse Formen Anspruch auf den Endplatz 19 im Satz haben, "weil ihre Klammer mit dem Verb enger ist als die der Negation" . Folglich muß bei diesen Satztypen die satzverneinende Partikel /nicht/ vor die infiniten Verbformen bzw. den Verbzusatz treten.
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1.2. 3. Bei den folgenden Satztypen war eine Entscheidung darüber zu fällen, ob man diese der Satznegation zurechnen kann oder nicht. Da bei dieser Untersuchung von historischem und schriftlich fixiertem Sprachmaterial ausgegangen wird und unabhängig von den in Quellen sich manifestierenden kontextuellen Zusammenhängen nur die (erweiterten) Einfachsätze in den Blickpunkt der Betrachtung gezogen werden, bleiben hier Fragen der Intonation oder Kontrastivität, die primär in den Bereich der gesprochenen Sprache gehören, unberücksichtigt, d.h. daß auch bei den folgenden Satztypen von formalen Kriterien der Stellung der Negationspartikel /nicht/ ausgegangen wird; bei Zweifelsfällen wird am gegenwärtigen Sprachstand gemessen und dann über die Zuordnung des entsprechenden Satzes entschieden. Zur Satznegation werden auch die folgenden Satztypen gerechnet: Satztyp 1 /nicht/ steht vor dem Prädikativum, wenn das Prädikativum ein Substantiv oder ein Adjektiv ist: / E r wird nicht Lehrer./ / E r wird nicht krank./ 20
Heibig hat mit Recht darauf hingewiesen , daß in diesen Fällen Satz- und Sondernegation positionell zusammenfallen, daß aber auch bei den bedeutungsentleerten Kopulaverben eine spezielle Sondernegation nicht möglich ist. Für die getroffene Entscheidung, /nicht/ vor einem aus einem Substantiv oder Adjektiv bestehenden Prädikativum als Satznegation anzusehen, gilt als Kriterium der gegenwärtige Sprachgebrauch, denn ungrammatisch wäre /*Er wird Lehrer nicht. / P E r wird krank nicht. / Satztyp 2 /nicht/ steht vor einem Substantiv, das mit einem (bedeutungsleeren) Verb eine enge semantische Einheit darstellt: / E r fährt nicht Auto./ / E r nahm nicht Abschied./ Heibig erklärt in Anlehnung an M. Regula diesen Satztyp in der Weise, daß "die Satznegation /nicht/ . . . obligatorisch vor dem Akkusativ (steht), wenn dieser nicht die Funktion eines passivfähigen Objekts, sondern allenfalls eines "Umstandsobjektes" ausübt, das mit dem (bedeutungsleeren) Verb eine enge semantische Einheit (meist in 21
adverbialer Bedeutung) darstellt" . Für die vorgenommene Entscheidung, diesen Satztyp der Satznegation zuzurechnen, war wiederum der heutige Gebrauch ausschlaggebend, denn ungrammatisch wäre /*"Er fährt Auto nicht. / A r nahm Abschied nicht./
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Satztyp 3 /nicht/ vor Präpositionalobjekten. Die Negationspartikel /nicht/ kann vor und nach Präpositionalobjekten stehen, wie folgende Beispielsätze zeigen: (1) / E r zweifelte an seinem Vorhaben nicht./ (2) / E r zweifelte nicht an seinem Vorhaben./ (3) / E r erinnerte sich an mich nicht. / (4) / E r erinnerte sich nicht an mich./ Satz (1) und (3) sind eindeutig als Satznegation anzusehen, wofür die Stellung von /nicht/ am Satzende das Kriterium bildet. In dieser Stellung, wenn /nicht/ nach einem Präpositionalobjekt steht, entsprechen diese Sätze dem unter 1.2.2. behandelten Satztyp 1, dabei ist besonders auf die durch das finite Verb und die Partikel /nicht/ gebildete Negationsklammer hinzuweisen. Bei Satz (2) und (4) könnte auch eine Sondernegation, die Negation eines Satzgliedes, vorliegen. Dieser Satztyp wird trotzdem als Satznegation angesehen; denn hier könnte durchaus auch das präpositionale Objekt der vom finiten Verb und der Negation /nicht/ gebildeten Klammer nachgestellt sein, also eine Art Ausklammerung vorliegen, Satztyp 4 /nicht/ vor Adverbialbestimmungen, die obligatorische Ergänzungen zu bestimmten Verben sind und mit diesen eine Satzklammer bilden. Dieser Satztyp soll anhand einiger Beispiele erklärt werden: /Er legte das Buch nicht auf den Schrank. / /Die Versammlung dauerte nicht den ganzen Tag. / / E r stellte die Vase nicht ins Fenster./ / E r setzte das Kind nicht auf das Pferd. / Diese Sätze zeichnen sich dadurch aus, daß solche Verben wie z.B. /setzen, stellen, tyty
legen/ und /dauern/, durch ihre Valenz drei- oder zweiwertig, obligatorische Mitspieler oder Aktanten benötigen; dabei ist ein Aktant die strukturell notwendige Adverbialbestimmung. Für die getroffene Entscheidung, diese Sätze als Fälle von Satznegation anzusehen, ist wiederum der moderne Gebrauch ausschlaggebend, denn die folgenden Sätze sind ungrammatisch: / + E r legte das Buch auf den Schrank nicht./ /"•"Die Versammlung dauerte den ganzen Tag nicht./ / E r stellte die Vase ins Fenster nicht. / / + E r setzte das-Kind auf das Pferd nicht./ Bei diesen Sätzen wird deutlich, daß die notwendige Adverbialbestimmung eine enge Bindung mit dem Verb eingegangen ist und daß sie bei diesen Sätzen ähnlich behandelt wird, "wie Teile trennbar zusammengesetzter Verben ("Er kommt heute nicht an"), wie Infinitive und Partizipien ("Er wird morgen nicht kommen"; !'Er ist heute nicht gekommen")" und daß sie "wie diese eine Art Zielpol im verbalen Rahmen des deutschen
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23 Satzes" bildet. Bei diesen Sätzen muß die Satzverneinung /nicht/ vor der strukturell notwendigen Adverbialbestimmung stehen. Bereits K. Boost hat darauf verwiesen, daß diese adverbialen Bestimmungen ein weiteres "satzschließendes Glied" bilden, "denn sie sind als so eng verbunden mit dem Prädikat anzusehen, daß sie an seiner Leistung der Satzformung spannungführend teilnehmen. Sie schließen den Satz ab, falls kein Infinitum vorhanden ist, bleiben unverrückbar vor dem Infinitum und der 'Prägung' (nach Boost eine phraseologische Sinnergänzung des Verbs), soweit diese auftreten . . . , 24 werden durch "nicht" mit verneint... "
.
1.2.4. In unserer Untersuchung werden bei den erweiterten Einfachsätzen, die eine Satznegation enthalten, folgende Negationstypen unterschieden: Negationstyp 1
alleinstehendes /nicht/
Negationstyp 2
/nicht/ + weiterer Negationsträger; hierbei realisiert /nicht/ die Satznegation, und die weiteren Negationsträger, die an anderer Stelle im Satz auftreten, stellen eine Sondernegation dar und verneinen ein bestimmtes Wort oder Satzglied. In den Quellen erscheinen als weitere Negationsträger /kein/ und /nie/; daher werden unterschieden
Negationstyp 1.1.1. /nicht + kein/ Negationstyp 1.1. 2. /nicht + nie/ Negationstyp 2
alleinstehendes proklitisches / e n /
Negationstyp 2.1. / e n / + weiterer Negationsträgfer; hierbei realisiert / e n / die Satznegation, und die weiteren Negationsträger, die an späterer Stelle im Satz auftreten, stellen eine Sondernegation dar und verneinen ein bestimmtes Wort oder Satzglied. In den Quellen erscheinen als weitere Negationsträger /kein, keinerlei, nichts, niemand, nie, niemals, nimmer/ und vor allem/nicht/; bei / e n + nicht/ liegt der Form nach eine doppelte Verneinung vor. Es werden daher unterschieden Negationstyp 2.1.1. / e n + kein, keinerlei/ Negationstyp 2.1. 2. / e n + nichts/ Negationstyp 2.1.3. / e n + niemand/ Negationstyp 2 . 1 . 4 . / e n + nie, niemals, nimmer/
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Negationstyp 2. 2. /en + nicht/ 1.2. 5. Das Ziel der Untersuchung besteht erstens darin, den Stand der Sprachverwendung bei der Satznegation für die Zeit um 1500 und um 1700 darzustellen. Deshalb wird untersucht, welche sprachlichen Mittel der Satznegation, die unter 1.2.4. aufgeführt sind, in den beiden Untersuchungszeiträumen von 1470-1530 und von 1670-1730 im Einfachsatz verwendet werden und in welchem Verhältnis diese Negationsmittel zueinander bei ihrem Gebrauch stehen. Die Untersuchung soll zweitens feststellen, ob ein struktureller Zusammenhang zwischen der Art der Negation und dem Charakter des negierten Verbs besteht. Daher wird in unserer Untersuchung bei der Auswertung der Quellen eine Klassifizierving der Verben vorgenommen, um festzustellen, ob bei einem bestimmten Verb ein bestimmter Negationstyp auftritt. Bei der Einteilung werden drei große Gruppen von Verben unterschieden: 1. Vollverben; die mit /haben, sein/ und /werden/ gebildeten analytischen Verbformen werden als semantische Einheit aufgefaßt; 2. Hilfsverben; das sind /sein/ und /werden/ in Verbindung mit prädikativen Ergänzungen; 3. Modalverben; z.B. /dürfen, können, mögen, müssen, sollen, wollen/; dabei sind zu unterscheiden 3.1. Modalverben + infinite Verbform 3.2. alleinstehende Modalverben. 1.3. Das dieser Arbeit zugrundeliegende Textkorpus wurde für die beiden Zeiträume aus den für alle Arbeiten dieses Bandes verbindlichen Quellen gewonnen. Die Zahl der untersuchten Einfachsätze ist für den ersten Zeitraum weitaus größer als für den zweiten. Im ersten Zeitraum beläuft sich die Zahl der aus allen Quellen gewonnenen negierten Einfachsätze auf 1370, im zweiten - trotz größerer Exzerpt!oußbreite - nur noch auf 875 Sätze. Hierauf beziehen sich alle Prozentangaben. Ob dieser unterschiedliche Befund mit der Art der gewählten Quellen in den beiden Zelträumen zusammenhängt oder ob Einfachsätze im zweiten Zeitraum gegenüber zusammengesetzten Sätzen an Zahl zurücktreten, kann hier nicht entschieden werden. Das Belegmaterial an Einfachsätzen wurde daraufhin untersucht, welcher Negationstyp bei den negierten Einfachsätzen in einer Quelle Verwendung gefunden hat. Ferner wurde analysiert, ob ein bestimmter Negationstyp bei einer bestimmten Verbkategorie auftritt. Auf diese Weise ließen sich für die einzelnen Negationstypen bestimmte Zah-
Die Satznegation
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lenverhältnisse, die in Prozenten, wenn erforderlich auch in absoluten Zahlen, angegeben werden, für jede einzelne Quelle einer Landschaft und, davon ausgehend, bei Addition dieser Teilergebnisse für alle Quellen einer Landschaft und dementsprechend für die einzelnen Gattungen aus allen Landschaften ermitteln. Die Ergebnisse für die beiden Zeiträume werden in einein weiteren Abschnitt der Untersuchung verglichen; dabei wird festgestellt, welche Entwicklungstendenz sich bei der Satznegation in den Einfachsätzen vom ersten zum zweiten Zeitraum abzeichnet, welcher Stand sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts herausgebildet hat und wie weit er dem gegenwärtigen Sprachgebrauch entspricht. Dieser Befund wird mit den Forderungen der "normativen" Grammatiker aus dieser Zeit verglichen. Für beide Untersuchungszeiträume sind die Ergebnisse jeweils in Tabellen zusammengefaßt. Die Tabellen I zeigen, wie hoch der prozentuale Anteil des jeweiligen Negationstyps in den untersuchten Quellen aus den einzelnen Sprachlandschaften, aufgeschlüsselt nach den Gattungen, ist. Die Tabelle II gibt Aufschluß über die Verteilung der einzelnen Negationstypen auf die verschiedenen Verbkategorien.
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2. Zeitraum 1470 - 1530 2.1. Zur Analyse des Sprachgebrauchs Die der Untersuchung zugrundeliegenden Quellen des ersten Zeitraums von 1470 - 1530 enthalten eine beträchtliche Anzahl von Einfachsätzen, in denen eine sich auf den ganzen Satz beziehende Negation, eine Satznegation, erscheint. Diese auf die Prädikatsphäre des Satzes zielende Negation kann in den Quellen durch zwei mononegative Möglichkeiten, bei denen im Satz nur ein Negationsträger - die Partikel /nicht/ oder die Proklise /en/ - erscheint, realisiert werden: Negationstyp 1 durch die beim Verb alleinstehende Negationspartikel /nicht/; Negationstyp 2 durch das beim Verb alleinstehende proklitisch verwendete /en/. Zu diesen beiden Negationstypen können sowohl bei der Verwendung der Negationspartikel /nicht/ als auch bei der Proklise /en/ in einem Satz weitere Negationsträger hinzutreten und somit zusätzlich okkasionelle polynegative Varianten der beiden Negationstypen bilden. In diesen Fällen wird mit den Partikeln /nicht/ bzw. /en/ immer die Satznegation realisiert. Die zu diesen Partikeln hinzutretenden weiteren Negationsträger verneinen nur ein bestimmtes Wort oder Satzglied; sie sind als Sondernegation anzusehen und erscheinen in der Regel vor einem Wort, das sie verneinen, oder sind selbst ein weiteres Negationswort. Für die Partikel /nicht/ sind das in den Quellen des ersten Zeitraums die Negationswörter /kein, nie, niemand/ und für die Proklise / e n / d i e Negationswörter/kein (keinerlei), nichts, niemand, nie (niemals, nimmer)/ und vor allem das Negationswort /nicht/. Die folgenden Beispiele, die stellvertretend für viele andere stehen, führen die einzelnen Negationstypen vor; bei der weiteren Untersuchung werden aber die polynegativen Varianten zu einer Gruppe zusammengefaßt, lediglich der Negationstyp /en + nicht/, der bei einer synchronen Betrachtvingsweise formal als polynegativ anzusehen ist, wird gesondert behandelt. Negationstyp 1 (/nicht/ elleinstehend; mononegativ): /sie verstehen und lesen die schrifft nit/ I Fl. la, 27 Negationstyp 1.1. (/nicht/ + weiterer Negationsträger; polynegativ): Negationstyp 1.1.1. (/nicht + kein/): /Im ist ouch nit zu geben kein artzeny/ I Fpr. 4, 68b Negations typ 1.1.2. /die (/nicht + nie/):nie nicht gewenet haben/1 Chr. 1, 2 mochtens
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Negations typ 1.1.3. (/nicht + niemand/): /dar dorste lange nemant nicht spreken/ I Vb. 5a, 110 Negations typ 2 (/en/ alleinstehend; mononegativ): / s i j en hettens seesmaell mee in yeren huysseren/1 R. 2, 51 Negations typ 2.1. (/en/ + weiterer Negationsträger; polynegativ): Negationstyp 2.1.1. (/en + kein, keinerlei/): /Item dese machemeten en dryncken geynen wijn/ I R . 2,101 Negations typ 2.1.2. (/en + nichts/): /over se en dorsten jo nichtes betenghen vor den anderen ambechten/ I Chr. 5, 340 Dieser Beleg ist der einzige für /en + nichts/ im gesamten ersten Zeitraum. Negations typ 2.1.3. (/en + niemand/): /Ez ensal auch niemant... der stede ungelt, feile oder renten keifen/ I Chr. 2,18 Negationstyp 2.1.4. (/en+nie, niemals, nimmer/): /He en mot nummer ghewundet werden/ I Fpr, 5,144 Negationstyp 2. 2. (/en + nicht/): /des inhat er nit gethan/1 Chr. 2, 31 Bevor untersucht wird, ob es in den Quellen Unterschiede bei der Verwendung der einzelnen Negationstypen gibt, die für eine Landschaft oder für eine Gattung spezifisch sind, soll hier kurz dargelegt werden, in welcher lautlichen Form sich in den untersuchten Quellen das Negationswort /nicht/ und die Proklise /en/ in den einzelnen Landschaften repräsentieren. Der sprachgeographische Befund ist in den einzelnen Landschaften unterschiedlich. Im Ostmitteldeutschen überwiegt die Form/nicht/, bisweilen erscheint auch die Form./nit(t)/. Die Proklise /en/ ist im'Ostmitteldeutschen nicht belegt. Im Westmitteldeutschen ist der vorherrschende sprachliche Befund /nit/, das in den Quellen als orthographische Variante auch /nyet, neyt, nelt/ geschrieben wird; vereinzelt erscheint in dieser Landschaft die Form /nicht/. Die Proklise lautet im Westmitteldeutschen /en/ oder /in/. In den ostoberdeutschen Quellen ist die Form /nit/ ohne Guttural vorherrschend, es findet sich aber auch öfter die Form /hicht/. Die Proklise lautet im Ost- wie im Westober deutschen /en/. Das Westoberdeutsche zeigt gleichfalls die überwiegende Verwendung der Form /nit/ neben weniger häufigerem /nicht/; einigemale erscheint die Schreibung /nüt(t)/ 25. Das Niederdeutsche zeigt die Form
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/nicht/ oder als orthographische Variante /nycht/; durch Abfall des auslautenden / t / entsteht die Form /nich/, die ganz vereinzelt in den niederdeutschen Quellen auftritt. Die Proklise heißt im Niederdeutschen gleichfalls /en/. Das Niederdeutsche weist einheitlich und das Ostmitteldeutsche zum überwiegenden Teil die Form /nicht/ auf, während in den drei anderen Landschaften bei der Verwendung der Negationspartikel die Form /nit/ ohne Guttural vorherrscht. Die beim Verb stehende Proklise lautet in der Regel /en/, nur im Westmitteldeutschen erscheint in der Chronik daneben auch /in/. Es sei erwähnt, daß von allen Quellen nur im ostöberdeutschen Volksbuch die Proklise bei einem Substantiv auftritt; diese Quelle bezeugt dreimal die offenbar als fest anzusehende Wendung /engotwil(l)/ I Vb. 3,114, 116, 119. In den Quellen des ersten Zeitraums erscheint die Enklise, die Verbindung der Verneinungspartikel /ne/ mit einem vorhergehenden Wort, nicht mehr. 2.2. Landschaften und Negationstypen Die Verteilung der einzelnen Negationstypen in den untersuchten Quellen der fünf Sprachlandschaften weist näher zu analysierende Unterschiede auf. Der Durchschnitt für den Gebrauch des Negationstyps 1 (/nicht/ alleinstehend) beträgt für alle Landschaften 86,8 %. Beträchtlich über diesem Durchschnitt liegen bei diesem Negationstyp das Ostmitteldeutsche mit 97,7 %, gefolgt von der ostoberdeutschen Landschaft mit 96, 9 % und der westoberdeutschen mit 95,4 %. Unter diesem Durchschnitt bleiben das Westmitteldeutsche mit 78, 7 % vor dem Niederdeutschen, das für den Negationstyp 1 nur einen Anteil von 65,1 % aufweist. Folgende Beispiele, die .stellvertretend für viele andere stehen, mögen den Gebrauch des Negationstyps 1 in allen Sprachlandschaften illustrieren. omd. /Darumb vervolworten das die vom tale nicht/ I Chr. 1, 37 oobd. /besunder sol er nit lassen/ I Fpr. 3a, 71 wobd. /die Frantzosen . . . wolten nit fechten wider die Schweytzer/1 Chr. 4a, 10 wmd. /Das verstehe ich nit/1 Fl. 2,49 nd. /Des mach ik nicht don/ I Vb. 5b, 70 Der hohe Anteil des Negationstyps 1 bei den Belegen wird auch'deutlich, wenn man die absoluten Zahlen berücksichtigt: von 1370 negierten Einfachsätzen des ersten Zeitraums weisen 1185 diesen Negationstyp auf. Beträchtliche Unterschiede in der Häufigkeit der Belege und somit in ihrer prozentualen Verteilung zeigen sich dagegen bei den anderen Negationstypen. Der landschaftliche Durchschnitt für den mit /nicht/ und einem weiteren Negationsträger verbundenen polynegativen Typ 1.1. beträgt insgesamt 1,8 %. Über diesem Durchschnitt liegen das Westoberdeutsche mit 3,4 % und das Ostmitteldeuts che mit 2, 3 %; mit je 1,4 % bleiben das Westmitteldeutsche und das Ostober deutsche geringfügig, das Niederdeutsche
Die Satznegation
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mit 0, 7 % dagegen stärker unter diesem Wert. Auffallend ist, daß die Verbindung /nicht + kein/ am häufigsten belegt ist: von insgesamt 37 Einfachsätzen für diesen polynegativen Typ sind es 31, wobei das Westmitteldeutsche mit 11 Belegen den Hauptanteil stellt. Die Verbindung /nicht + nie/ ist in allen Quellen nur durch je einen Beleg im Ostmitteldeutschen und Niederdeutschen vertreten; die Verbindung /nicht + niemand/ ist insgesamt viermal belegt - 2 Belege finden sich in der westoberdeutschen, und je einer in der westmitteldeutschen und niederdeutschen Sprachlandschaft. Einige Beispiele aus allen Landschaften seien für den Negationstyp 1.1. angeführt, wobd. /Und mian wast um ckian Wintter nütt/ I R . 4b, 36 omd. /der i s t . . . keiner frumen nicht wirdig/1 Vb. 1*, 18 oobd. /wann sy haben chainen gelauben nicht/ I Vb. 3,105 wmd. /aber er wolt sie nit laßen vmb kein sache/1 Vb. 2,146 nd. /Wy mögen ok neine stat in Greken nicht wynnen/1 Vb. 5a, 119 /id is nicht nye in der presteren/1 Vb. 5a, 181 wobd. /Und geschach sust von min Geschlecht Niemand nütt/ I R . 4b, 73 nd. /vnde dar dorste lange nemant nicht spreken/ I Vb. 5a, 110 Für die Negationstypen 1 und 1.1. läßt sich zusammenfassend konstatieren, daß eindeutig in allen Landschaften der mononegative Typ 1 mit einem Durchschnitt von 86,8 % dominiert. Dagegen beträgt der Anteil des polynegativen Typs 1.1. für alle Landschaften nur einen Durchschnitt von 1,8 %. Insgesamt ergibt sich somit für /nicht/ und die mit /nicht/ verbundenen weiteren Negationstypen ein Gesamtdurchschnitt von 88, 6 % aller in den Quellen des ersten Zeitraums negierten Einfachsätze. Bei der Verwendung des proklitischen /en/ und den mit dieser Partikel verbundenen weiteren Negationsträgern lassen sich im landschaftlichen Befund gleichfalls Unterschiede feststellen. So fällt als erstes auf, daß der Negationstyp 2 (/en/ alleinstehend) in der ostmitteldeutschen und westoberdeutschen Sprachlandschaft nicht belegt ist. Am häufigsten erscheint dieser Typ in der niederdeutschen Landschaft und liegt hier mit 5,4 % weit Uber dem gesamtlandschaftlichen Durchschnitt von 1, 5 %. Es folgen das Westmitteldeutsche mit 1,4 % und das Ostoberdeutsche mit 0, 5 %. Aus den beiden Landschaften, in denen dieser Typ am stärksten vertreten ist, sei je ein Beleg angeführt. nd. wmd.
/Dar na so nym vornis; also du en schalt maken/1 Fpr. 5,143 /Ich weiß, das ich owers hynscheyden sterben muß. " - Ir ensolt", sprach e r / 1 Vb. 2,142 Die mit /en/ und einem weiteren Negationsträger Vinter dem Negationstyp 2.1. zusammengefaßten Einfachsätze liegen mit einem gesamtlandschaftlichen Durchschnitt von 4, 2 % über dem Negationstyp 2. Die polynegativen Typen /en/ + weiterer Negationsträger sind im Ostmitteldeutschen nicht belegt. Mit 14,8 % liegen die niederdeutsche Sprachlitndachaft beträchtlich und mit 5,9 % die westmitteldeutsche nur gering über
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diesem Durchschnitt, während das Ostoberdeutsche und das Westoberdeutsche mit je 0, 2 % doch weit unter diesen Werten bleiben. Auch hier fällt auf - ähnlich wie bei der Verbindung /nicht + kein/ -,' daß der Typ /en + kein/, der im Ostmitteldeutschen und Ostoberdeutschen nicht vorkommt, mit 29 von insgesamt 40 Belegen am häufigsten in den untersuchten Texten erscheint, wobei er im Niederdeutschen 20mal bezeugt ist. Der T y p / e n + niemand/, im Ostmitteldeutschen, Ost-und Westoberdeutschen nicht belegt, ist im Material mit 6 Einfachsätzen, der Typ / e n + nie (niemals, nimmer)/, im Ostmitteldeutschen und Westoberdeutschen nicht bezeugt, mit 4 Einfachsätzen vertreten, während sich für die Verbindung / e n + nichts/, wie oben erwähnt wurde, nur ein Einfachsatz aus allen Quellen des ersten Zeitraums in der niederdeutschen Sprachlandschaft finden läßt. Beispiele für den Negationstyp 2.1. mögen in der Reihenfolge der einzelnen Untertypen folgen. nd.
/Du en salt neyn blcät laten/ I Fpr. 5, 96
wmd.
/aber ich en hayn gheynen inganck moigen wynden/ I R. 2,109
wobd. wmd.
/ s i e en hat anders keinen glouben/ I Vb. 4, 53 / e z ensal auch nieman under den beiden partihen an den furdern keinen schaden/ I Chr. 2,34 /want dar tho en behurt numandt/ I Fl. 5, 49
nd.
wmd. /Nye enqwam ich in süsser lant/ I Vb. 2,147 oobd. / s o entorste ich nymer erlich in dz lannde chomen/ I Vb. 3, 81 Wesentlich produktiver als die unter dem Typ 2.1. zusammengefaßten polynegativen Negationsformen ist der Negationstyp 2. 2., negativ proklitische / e n + nicht/. Der gesamtlandschaftliche Durchschnitt beträgt für diesen Negationstyp 5, 7 % und erreicht damit einen höheren Wert als alle anderen polynegativen Typen zusammen. Bei weitem über diesem Durchschnitt liegen die niederdeutsche Landschaft mit 14,0 % und die westmitteldeutsche mit 12, 6 %, während sich das West- und das Ostoberdeutsche mit je 0,9 % die Waage halten und unter dem Durchschnitt bleiben. Im Ostmitteldeutschen ist dieser Negationstyp wiederum nicht belegt, nd. /doch en stiruet hey dair nich van/ I Fpr. 5,127 wmd. wobd. oobd.
/ s i j en verstaint sich der saichen nyet/ I R . 2, 36 /So enkünent sie nit geheilen/ I Fpr. 4, 20a /Aber es enhalff in nicht/ I Vb. 3, 57
Für den gesamtlandschaftlichen Durchschnitt der zweiten Möglichkeit der Satznegation durch die Proklise / e n / und der mit ihr verbundenen weiteren Negationswörter ergeben sich 11,4 %. Hierbei dominiert mit 5,6 % der Negationstyp 2.2., gefolgt von dem Negationstyp 2.1. mit 4, 2 %. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß beim Typ 1 das Ostmitteldeutsche, gefolgt vom Ost- \ind Westober deutschen, an der Spitze und weit über dem gesamtland-
Die Satznegation
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schaftlichen Durchschnitt liegt, während das Westmitteldeutsche und im noch stärkeren Maße das Niederdeutsche darunter bleiben. Das Ostmitteldeutsche erweist sich im Gebrauch der verschiedenen Negationstypen am geschlossensten, denn es sind in dieser Sprachlandschaft von den mit /nicht/ und einem weiteren Negationsträger verbundenen Negationstypen nur 6 Belege bezeugt, während die Proklise / e n / und die mit ihr v e r bundenen Negationstypen überhaupt nicht erscheinen. In seiner Geschlossenheit folgt dem Ostmitteldeutschen das Ostoberdeutsche, das neben dem am häufigsten belegten Negationstyp 1 für den Negationstyp 1.1. nur 6 Belege und für die Negationstypen / e n / alleinstehend und / e n / + weiterer Negationsträger insgesamt 7 Belege aufweist. Es folgt das Westoberdeutsche mit insgesamt 9 Belegen für die Negationstypen /nicht/ + weiterer Negationsträger und nur 3 Belegen für Typ 2. 2. und einem Beleg für Typ 2.1. Dagegen zeigen die westmittel- und niederdeutsche Sprachlandschaft eine größere B r e i te bei der Verwendung der einzelnen Negationstypen. Im Westmitteldeutschen ist der Negationstyp 1.1. insgesamt 12mal belegt; für Typ 2 beläuft sich die Zahl der Belege in dieser Sprachlandschaft auf 9, für Typ 2.1. auf 8 und für Typ 2. 2. sogar auf 37 Belege. Im Niederdeutschen schließlich sind als der einzigen Sprachlandschaft alle Negationstypen bezeugt. Diese Landschaft liegt, wie oben bereits erwähnt wurde, mit 65,1 % beim Negationstyp 1 weit unter dem allgemein landschaftlichen Durchschnitt von 86, 8 %. Während bei den mit /nicht/ verbundenen Negationstypen sich die Gesamtzahl der Belege nur auf insgesamt 4 beläuft, sind in dieser Sprachlandschaft die mit / e n / bzw. mit der Proklise verbundenen Negationstypen weitaus häufiger anzutreffen, das korrespondiert damit, daß hier / e n / noch eine gewichtigere Rolle spielt. Für Typ 2 finden sich 13, für Typ 2.1. insgesamt 31 und für Typ 2. 2. sogar 35 Belege. Damit führt in der Zeit von 1470 - 1530 die ostmitteldeutsche Sprachlandschaft bei der Verwendung der einfachen durch /nicht/ allein ausgedrückten Satznegation, sie liegt vor den anderen Landschaften und steht dem heutigen Sprachgebrauch am nächsten. Dichtauf folgen die ost- und westoberdeutsche Sprachlandschaft, während die westmitteldeutsche und die niederdeutsche diese relative Einheitlichkeit beim Gebrauch der durch /nicht/ allein ausgedrückten Satznegation nicht aufweisen. Im Gegenteil: beide Landschaften, dabei übertrifft die niederdeutsche noch die westmitteldeutsche, zeigen, daß die Satznegation neben dem alleinstehenden Negationswort /nicht/ auch noch durch die anderen Negationstypen ausgedrückt werden kann. 2.3. Gattungen und Negationstypen Alle Gattungen aus dem Untersuchungszeitraum von 1470 - 1530, die durch eine oder mehrere Quellen repräsentiert werden, enthalten eine beträchtliche Anzahl von Einfachsätzen, bei denen das Prädikat verneint wird und-somit eine Satznegation vorliegt.
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Beispiele aus der westoberdeutschen Landschaft für die verschiedenen Gattungen aus den anderen Landschaften mögen das erweisen. ReisebeSchreibung
/ich mochte unter dem Ainlitt nit sechen/ I R . 4b, 2
Chronik FlugSchrift Fach-
/ e s hatt auch die Lamenittin aus dem se eklen nit geessen/ I Chr. 4a, 13 /Der titel gefeit mir nit/ I Fl. 4a, 78
prosa
Volksbuch
/ e r mag nit gon noch ston, er mag sich auch nit bewegen vnd mag auch nit reden/ I Fpr. 4,17a /Wz meint vnser meister damit, dz er vns so fru weckt, des pflegt er nit zu thun/ I Vb. 4, 63
Hinsichtlich der Realisierung der Satznegation lassen sich jedoch bei den einzelnen Gattungen Unterschiede feststellen. Bei der Reisebeschreibung, bei der der Durchschnitt für den Negationstyp 1 81,1 % beträgt, zeigt sich, daß die ostmittel- und ostober deutsche Reisebeschreibung nur Satznegation durch alleinstehendes /nicht/ belegen und somit 100 % erreichen. Es folgt die westober deutsche Reisebeschreibung, die mit 93,9 % gleichfalls über dem Durchschnitt bleibt, während die Reisebeschreibung der westmitteldeutschen Sprachlandschaft mit 55,8 % und die der niederdeutschen mit 55, 6 % beträchtlich unter dem Durchschnitt liegen. Reisebebung Gi "
/Darumb so seint wir zu diesem mahle gen Rodis nicht komen/ I R. 1, 54 / d e s kreychs vnderwyndt sich die lantschaff neyt/ I R . 2,87
In der Reisebeschreibung sind im Ostmitteldeutschen und Ostoberdeutschen weitere Negationstypen nicht belegt. Nur bei der westoberdeutschen Reisebeschreibung finden sich noch 3 Belege für den Negationstyp 1.1.; dementsprechend liegt auch für diesen Typ der auf die Gattung Reisebeschreibving bezogene prozentuale Anteil mit 1, 2 % sehr niedrig. Reisebe- /und wust ain ckian Küng um den ander n ü t t / 1 R . 4b, 3 Schreibung Die ostmitteldeutsche sowie die ost- und westoberdeutsche Reisebeschreibung kennen weder die alleinstehende Proklise noch den Negationstyp /en/ + weiteren Negationsträger. Je ein Beleg für den Negationstyp 2 finden sich in der westmittel- und niederdeutschen Reisebeschreibung. Reisebe- / s i j en hettens seesmaell mee in yeren huysseren/1R. 2,51 en kome den bung61" Christen to/ I R. 5,194 Der Negationstyp 2.1. ist in der westmittel- und niederdeuts chen Reisebes chreibung mit je 5 Belegen bezeugt, von denen einige folgen mögen.
Die Satznegation Reisebe61
bung "
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/Item die dieffe . . . en henght man gheynen/1 R. 2,107 /und
dar en ls geyn gesat afflat 1 R
/
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/und synt en hefft sick numans van den Türken an den tempel gekert to versturen/ I R. 5, 62 Häufiger dagegen ist der Negationstyp 2.2. in der westmitteldeutschen Reisebeschreibung (13 Belege) und der niederdeutschen (12 Belege) bezeugt. Mit einem Durchschnitt von 8, 3 % liegt er damit nach dem Typ 1 an zweiter Stelle. Reisebe- / s i j en verstaint sich der saichen nyet/1 R. 2, 36 s ehr si • bung /anders en konde men er nicht so seyne krygen/ I R. 5,189 Bei der Gattung Chronik verwenden das Ost- und Westober deutsche nur den Negationstyp 1. In der ostmitteldeutschen Chronik finden sich neben dem Negationstyp 1 nur zwei Belege für den Typ 1.1. Den polynegativen Typ 2.1. bezeugen nur die westmittel- und niederdeutsche Chronik (wmd. 3, nd. 2 Belege). Ebenfalls nur in diesen beiden Sprachlandschaften ist die Verbindung /en + nicht/ vertreten; sie ist in der westmitteldeutschen Chronik mit 4 und in der niederdeutschen sogar mit 12 Belegen bezeugt. Gegenüber der Reisebeschreibung steigt in der Chronik der prozentuale Durchschnittswert des Negationstyps 1 von 81,1 % auf 86, 7 % an. Am produktivsten nach diesem Typ ist ähnlich wie bei der Reisebeschreibimg - der Typ 2.2. mit einem Durchschnitt von 8, 9 % Einige Beispiele mögen folgen. Chronik Negations typl Negationstyp 1.1. Negationstyp 2.1.
/vor der weit hab ich disen schmelichen todt nit verdint/ I Chr. 3b, 20 /wir wolten auch in keinen andern weg nicht/ I Chr. 1, 31
/Ock en schal eyn uppe den anderen neyne hulpe geben/ I Chr. 5, 304 / e z insal auch niemant... der ampt keins . . . von ieman inphahen/ I Chr. 2,10 Negations- /dar en scholden se de nicht ans hinderen/ I Chr. 5,325 typ 2.2. / d e s i n k o n d e n s i e i e ider nit genießen/1 Chr. 2,27 Die Texte der Flugschriften zeigen noch eine ausgeprägtere Tendenz zum fast ausschließlichen Gebrauch des Negationstyps 1, denn die ost- und westoberdeutschen sowie die westmitteldeutschen Flugschriften belegen nur diesen Typ. In den ostmitteldeutschen Flugschriften finden sich noch 2 Belege für den Typ 1.1., während die niederdeutsche Flugschrift, die Wiedertäufers ehr ift von Bernhard Rotman "Restitution rechter und gesunder christlicher Lehre", noch den Negationstyp 2.1. dreimal und den Typ 2.2. 6mal belegen. Der Gesamtdurchschnitt für den Typ 1 erreicht in den Flugschriften einen Wert von 96,0 % und liegt damit am höchsten im Vergleich zu allen anderen Gattungen. Es folgen der Typ 2.2. mit 2, 2 %, der Typ 2.1. mit 1,1 % und der Typ 1.1. mit nur 0,6 %. Einige Beispiele mögen den Befund illustrieren.
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Flugschrift Negations- /wir narren haben es nit verstanden/1 Fl. 3b, 178 typ 1 Negations- /Es predigt auch keiner nit/ I Fl. la, 35 typ /da ist auch kein ruhe nit/1 Fl. la, 41 Negations- /he en hebbe geinen deil an der erlosinge Christi/ I Fl. 5, 34 typ 2.1. / W a n t ^ t h 0 e n behurt nummandt/ I Fl. 5,49 Negations- /Ouerst he en ys van dem ßade Dauid nicht geworden noch entpfangen/ typ 2.2. IF1- 5(31 Weniger stark ausgeprägt ist die Tendenz zur einfachen durch die Partikel /nicht/ allein ausgedrückten Satznegation - Negationstyp 1 - in der Fachprosa. Die ost- und westmitteldeutschen sowie die ostoberdeutschen Fachprosatexte kennen nur diesen Negationstyp. Sein durchschnittlicher prozentualer Anteil beträgt in allen Fachprosatexten 81,4 %. Neben den Fachprosatexten aus den drei eben erwähnten Sprachlandschaften mit ihrem Anteil von je 100 % rangiert mit 85, 7 % auch noch das Westoberdeutsche über dem Durchschnitt, während der niederdeutsche Fachprosatext mit nur 21,4 % weit darunter bleibt. Dementsprechend sind im westoberdeutschen und niederdeutschen Fachprosatext noch die anderen Negationstypen belegt: in der westoberdeutschen Fachprosa der Negationstyp 1.1. 5mal und der Typ 2.2. 2mal. Hierfür seien Beispiele angeführt. Fachprosa Negations- /Denn im anfang werden sie jtzunt nicht duplirt/ I Fpr. la, 100 typ 1 Negations- /Aber das forderteyl des hirnes Verwundung mag es nit lidenn in keinenn typ1,1, weg/I Fpr. 4, 20b Negations- /So enkünent sie nit geheilen/ I Fpr. 4, 20a typ 2. 2. Im niederdeutschen Fachprosatext, dem Stockholmer mittelniederdeutschen Arzneibuch aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, finden sich dagegen noch eine größere Anzahl von Belegen für die alleinstehende Proklise und für die mit proklitischem /en/ und einem weiteren Negationsträger verbundenen Negationstypen. So ist hier der Typ 2 noch 12mal, der Typ 2.1. sogar 20mal (davon 15 Belege für die Verbindung /en + kein/ und der Typ 2.2. wiederum 12mal belegt. Auch hierfür sollen einige Belege folgen. Fachprosa Negations- /also du en schalt maken/ I Fpr. 5,143 typ 2 Negations- /Dair en sloich oick geyn vngereit to/ I Fpr. 5,127 typ 2.1. /ind hey en darf nummer thouuor en vntfruchten/ I Fpr. 5,100
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Negations- /doch en stiruet hey dair nich van/ I Fpr. 5,127 typ 2.2. Bei der Gattung Volksbuch zeigt sich die größte Breite der konkurrierenden Negations typen. Der prozentuale Durchschnitt für den Negationstyp 1 beträgt bei dieser Gattung 88,6 %. Über diesem Durchschnitt bleiben mit 97, 5 % das westoberdeutsche Volksbuch, gefolgt vom ostmitteldeutschen mit 93, 6 % und dem niederdeutschen mit 92, 9 %, darunter liegen das ostoberdeutsche Volksbuch mit 84,9 % und das westmitteldeutsche mit 74, 3 %. In der Reihenfolge des prozentualen Durchschnitts seien Belege aus den verschiedenen Volksbüchern angeführt. Volksbuch wobd. omd.
/Aber Vlenspiegel der bleib vß vnd kam nit wider/ I Vb. 4, 66 /In einer truncken frauen ist zorn vngestum geczenck vn ir schnodikeyt wirt nit bedeckt/I Vb. 1,22 nd. /Men doch leth Medea nicht äff van der leue/ I Vb. 5a, 87 oobd. /vn Gennellet von geitichait wegen hortt nicht auff ze reden mit dem chünig/ I Vb. 3,114 wmd. /Ich han vwer sit nit vergessen/ I Vb. 2,135 Im westoberdeutschen Volksbuch, dem Till Eulenspiegel, findet sich nur je ein Beleg für die Negationstypen 1.1., 2.1. und 2. 2., und im ostmitteldeutschen Volksbuch von Salomon und Markolf sind nur zwei Belege für den Typ 1.1. nachzuweisen. Volksbuch wobd. /kein külere stat wißt ich im huß nit/ I Vb. 4, 98 Negationstyp 1.1. Negations- /sie en het anders keinen glouben/ I Vb. 4,53 typ 2.1. Negations- /Ich en iß sein nit/ I Vb. 4,14 typ 2. 2. omd. /keyn schälckhaftiger haubt ist nitt/I Vb. 1,21 Negations typ 1.1. Im niederdeutschen Volksbuch finden sich noch 4 Belege für den Negationstyp 1.1., ein Beleg für den Typ 2.1. und drei Belege für den Negationstyp 2.2. Volksbuch nd. /ik hebbe ok neine handelinge mit em nicht/ I Vb. 5a, 103 Negations- / i d i g ^ ^ n y e i n d e r p r e s t e r e n / I Vb. 5a, 181 /dar dorste lange nemant nicht spreken/ I Vb. 5a, 110 Negations- /Ik en-vorsze yfte nenerley wyse dat gelt to wynnen/ I Vb. 5b, 67 typ 2.1. Negations- /Ik enkenne dynes koninges nicht/ I Vb. 5a, 103 typ 2.2.
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Franzjosef Pensei
Das ostoberdeutsche Volksbuch weist 6 Belege vom Negationstyp 1.1., 2 Belege vom Typ 2, 1 Beleg vom Typ 2.1. und 4 Belege vom Typ 2. 2. auf. Volksbuch oobd. /So will ich kain anders pflrde nicht/1 Vb. 3,46 Negations typ 1.1. Negations- / s o entorste ich nymer erlich in dz lannde chomen/1 Vb. 3,81 typ 2.1. Negations- /Aber es enhalff in nicht/ I Vb. 3, 57 typ 2. 2. Im westmitteldeutschen Volksbuch von Pontus und Sidonia in der Verdeutschung eines Ungenannten aus dem 15. Jahrhundert, das mit 74, 3 % beim Negationstyp 1 unter dem allgemeinen Durchschnitt blieb, müssen sich folglich noch andere in Konkurrenz stehende Negationstypen finden. In diesem Volksbuch ist der Typ 1.1. mit 12 Belegen (davon llmal die Verbindung /nicht + kein/), der Typ 2 mit 8, der Typ 2.1. mit 4 und der Typ 2.2. sogar mit 20 Belegen vertreten. Beispiele für die einzelnen Negationstypen seien aus diesem Volksbuch angeführt. Volksbuch wmd. / E r mocht aber Pontus nit glichen inn keynen dingen/ I Vb. 2, 61 Negations— / p e r ( j e oder man, nieman nicht wart da vbersehen/ I Vb. 2,169 Negations- /ich ensoll myn ere wol behutten/ I Vb. 2, 64 typ 2 Negations- /Da enwaß nyeman/ I Vb. 2, 95 typ 2.1. /Nummer enhort man yne hoher swerenn/ I Vb. 2,60 Negations- /Die heyden enwysten sich nit zu erweren/ I Vb. 2,94 typ 2.2. 2.4. Zusammenfassung In den Quellen der 5 Gattungen aus 5 Sprachlandschaften aus dem gewählten Zeitraum von 1470 - 1530 kann die Erscheinung der Satznegation in den Einfachsätzen formal durch 10 verschiedene Arten von Negationstypen ausgedrückt werden. Es zeigen sich aber bei der Verwendung dieser Negationstypen sowohl von Landschaft zu Landschaft als auch von Gattung zu Gattung Unterschiede. Dabei ist der landschaftliche Unterschied größer als der gattungsbedingte. Denn in allen Gattungen zeigt die ostmitteldeutsche Landschaft den stärksten Gebrauch der durch die Negationspartikel /nicht/ allein ausgedrückten Satznegation und nähert sich damit am meisten dem heutigen Sprachgebrauch. Der Durchschnitt für den Negationstyp 1 beträgt für alle Landschaften und Gattungen 86,8 %. Weit über diesem Durchschnitt liegt in allen Gattungen die ostmitteldeutsche Sprachlandschaft mit 97, 7 %. Es folgen die ostoberdeutsche mit 96, 9 % und die westoberdeutsche mit 95,4 %. Unter dem Durchschnitt bleiben für alle Gattungen die west-
Die Satznegation
307
mitteldeutsche Sprachlandschaft mit 78,7 % und die niederdeutsche mit 65,1 %. Die alleinstehende Partikel /nicht/ wird also in der Zeit von 1470 bis 1530 von allen Negationen am häufigsten verwendet. Differenzierter verhält es sich in Quellen der westmitteldeutschen Sprachlandschaft und vor allem des niederdeutschen Sprachraumes. In beiden Landschaften finden andere Möglichkeiten der Negation noch in stärkerem Maße Verwendung, bei Berücksichtigung des gesamtlandschaftlichen und auf die Gattungen bezogenen Durchschnitts bleiben sie unter dem allgemeinen Sprachusus. Diesen sprachgeographischen Differenzierungen ordnen sich die gattungsspezifischen unter. Es läßt sich für die Gattungen des ersten Zeitraums nur soviel konstatieren, daß die Flugschrift beim Gebrauch der durch /nicht/ allein ausgedrückten Satznegation das geschlossenste Bild zeigt: von insgesamt 182 Belegen in dieser Gattung für alle Flugschriften weisen 171 Einfachsätze den Negationstyp 1 auf. Das entspricht einem Durchschnitt von 96,0 %. Es folgen die Gattungen Volksbuch mit 88,6 % (448 Belege von insgesamt 518), Chronik mit 86, 7 % (243 Belege von insgesamt 266), Fachprosa mit 81,4 % (220 Belege von insgesamt 271) und Reisebeschreibung mit 81,1 % (103 Belege von insgesamt 133). Die anderen Negationstypen weisen im Vergleich zu der durch /nicht/ allein ausgedrückten Satznegation keine so häufige Verwendung auf. Auch hier zeigt sich wiederum eine relative Einheitlichkeit für alle Gattungen bei der ostmittel- und ostoberdeutschen, z.T. auch noch bei der westoberdeutschen Sprachlandschaft. Denn in den Gattungen Reisebeschreibung, Chronik, Flugschrift und Fachprosa der ostmittel- und ostoberdeutschen Sprachlandschaft finden sich keine Belege für die Proklise und die mit ihr verbundenen Negationstypen. Eine Ausnahme bilden lediglich das ost- und westoberdeutsche Volksbuch und die westoberdeutsche Fachprosa mit nur geringen prozentualen Anteilen. Beim westoberdeutschen Volksbuch, dem Till Eulenspiegel, muß darauf verwiesen werden, daß das seiner Herkunft nach niederdeutsche Volksbuch schon lange vor dem im westoberdeutschen Sprachraum erfolgten Druck im oberdeutschen Sprachgebiet bekannt war und daß der Straßburger Druck, der der Untersuchung zugrundegelegt wur26
de, niederdeutsche Spuren bewahrt hat . Das Vorkommen der Proklise und der mit ihr verbundenen Negationstypen im Till Eulenspiegel könnte als ein weiterer Beweis für die Bewahrung solcher Relikte aus dem verlorengegangenen niederdeutschen Original angesehen werden. Verwendung finden proklitische /en/ und die mit dieser Partikel verbundenen Negationstypen noch im Westmitteldeutschen, wenn auch nur - aufgeführt in der Reihenfolge nach der absoluten Zahl der Belege - in den Gattungen Volksbuch, Reisebeschreibung und Chronik. Am häufigsten erscheinen sie jedoch in den niederdeutschen Quellen, wobei die niederdeutsche Fachprosa die erste Stelle einnimmt. Hier überwiegen diese Negationstypen mit insgesamt 44 Belegen gegenüber nur 12 für den Typ 1 sehr deutlich.
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Franzjosef Pensei
Es folgen dann die niederdeutsche Reisebeschreibung (mit 8 von 10 Belegen), die Chronik (mit 14 von 37 Belegen), die Flugschrift (mit 9 von 44 Belegen) und das niederdeutsche Volksbuch (mit 4 von 104 Belegen). Die Negation kann aber näher bestimmt und ihr mehr Nachdruck verliehen werden. Dies geschieht durch unflektierte Beiwörter, auch "verstärkende Partikel" 27 oder 28
"rangverleihende" Glieder genannt, die präzisierend und intensivierend vor die Negationspartikel /nicht/ treten können. In den Quellen des ersten Zeitraums kommen dafür in erster Linie die beiden Partikel /gar/ und /ganz/ in Betracht. Im ersten Untersuchungszeitraum findet /gar/ nur in der westmitteldeutschen und ostoberdeutschen Flugschrift Verwendung. wmd. /das gebürt gar nit den, die über andere regiren sollen/ I Fl. 2, 55 /Hyerumb tawen sye gar nit zu regiren/ I Fl. 2, 55 oobd. /Den kläynen zehat wollen wir gar nit geben/ I Fl. 3a, 41 Diese drei Belege sind die einzigen, die sich für /gar nicht/ im ersten Zeitraum finden lassen. Im Ostmitteldeutschen, Westoberdeutschen und Niederdeutschen ist diese Verbindung überhaupt nicht belegt. Es sei darauf hingewiesen, daß im ersten Zeitraum /gar/ bisweilen der Negationspartikel /nicht/ nachgestellt wird, z. B. /So hat der Patron seine Kauffmanshandelunge mit den heiden noch nicht gar ausgericht/ I R. 1, 83; /Also ist der glawb ain anfang der rechtfertigung, aber er macht noch nit gar gerecht/ I Fpr. 3b, 35. In ähnlich verstärkender Weise wird auch /ganz/ gebraucht. Hierfür findet sich aber in allen Quellen des ersten Zeitraums nur ein Beleg in der niederdeutschen Flugschrift, nd. / J a men hefft der schrifft gantz nicht geachtet/1 Fl. 5,14. Andere Belege für die verstärkenden Partikel /gar/ und /ganz/ bei der durch /nicht/ realisierten Satznegation gibt es im ersten Zeitraum nicht. 2.5. Zum Verhältnis von Prädikatsverb und Satznegation Das aus den Quellen des ersten Zeitraums von 1470 - 1530 gewonnene Material von 1370 negierten Eiiifachsätzen wirft die Fragestellung auf, ob es einen Zusammenhang zwischen der Art des Prädikatsverbs und der Verwendung eines bestimmten Negationstyps gibt, d.h. ob die Wahl des Prädikatsverbs einen bestimmten Negationstyp nach sich zieht oder nicht. Um das feststellen zu können, wurden alle Einfachsätze nach ihrem Prädikat, das aus Vollverben, Hilfsverben, Modalverben + infinite Verbform und alleinstehenden Modalverben bestehen kann, geordnet; diese Gruppierungen wurden zu den auftretenden Negationsmöglichkeiten in Beziehung gesetzt. In den 1370 negierten Einfachsätzen des ersten UntersuchungsZeitraums kann die Negation des Prädikats - wie bereits dargelegt - durch alleinstehendes /nicht/ bzw. durch
Die Satznegation
309
/nicht/ und einen weiteren Negationsträger oder durch alleinstehendes /en/ bzw. durch /en/ und einen weiteren Negationsträger erfolgen. Um klare Proportionen zu schaffen, die relativ eindeutige Aussagen ermöglichen, werden die Negationstypen alleinstehendes /nicht/ bzw. /nicht/ + weiterer Negationsträger und alleinstehendes /en/ bzw. /en/ + weiterer Negationsträger im Unterschied zum voranstehenden Kapitel jeweils zu einer Gruppe zusammengefaßt. Einige Beispiele für die beiden Negationsmöglichkeiten bei den vier Verbkategorien seien zur Illustration angeführt. Negation durch /nicht/ bzw. durch /nicht/ + weiteren Negationsträger: Vollverb /das selb pferd gib ich ew nicht/ I Vb, 3,46 /Es predigt auch keiner nit/ I Fl. la, 35 /Und geschach sust von mim Geschlecht Niemand nütt/ I R . 4b, 73 Hilfsverb /Landry was so kint nit/ I Vb. 2,89 /da ist auch kein ruhe nit/ I Fl. la, 41 Modalverb + infinite Verbform /die seien aber konden sie nit toden/ I Fl. la, 26 /sie wolt noch zur zyt keinen man nit nemen/1 Vb. 2,175 Modalverb alleinstehend /eines mynschen macht kan nicht iegen de gotlike dynge/ I Vb. 5a, 84 /wir wolten auch in keinen andern weg nicht/ I Chr. 1, 31 Negation durch/en/bzw. durch/en/+ weiteren Negationsträger Vollverb /dat en kome den Christen t o / I R . 5,194 /vnd en ete neyn ethen vppe dat ander/ I Fpr. 5,98 /wante id en geit nicht gerne ä f f / 1 Fpr. 5,99 Hilfsverb /des en sij dy noit/ I Fpr. 5,97 /und dar en synt geyn vynster in den alderhilligsten grave/ I R . 5, 204 /eme en wirt nicht wee/ I Fpr. 5,100 Modalverb + infinite Verbform /also du en schalt maken/ I Fpr. 5,143 /du en salt neyne rore drencke nemen/ I Fpr. 5,97 /Vorware, is enmag nyeman wol achten noch betzallen so vil großen guts/ I Vb. 2,170 /dar en scholden se de nicht ane hinderen/ I Chr. 5, 325 Modalverb alleinstehend / s o en moete oick hyr t o / 1 Fpr. 5,91 Bei den alleinstehenden Modalverben sind Einfachsätze mit /en/ und einem weiteren Negationsträger nicht belegt. Auf der folgenden Tabelle wird die Verwendung der beiden Negationsmöglichkeiten bei den vier Verbkategorien dargestellt (Zahlenangaben in Prozenten).
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Franzjosef Pensei
312 Tabelle 2 (1. Zeitraum) Verbarten Negation durch/nicht/bzw. durch /nicht/ + weiteren Negationsträger Vollverben Hilfsverben Modalverben + infinite Verbform Modalverben alleinstehend
Negation durch/en/bzw. durch /en/ + weiteren Negationsträger
34,3 15,6
5,5 1,4
36,3
3,8
3,0
0,1
89, 2
10,8
Diese Tabelle veranschaulicht, daß es offenbar keinen Zusammenhang zwischen dem Prädikatsverb und der Satznegation gibt, denn eine eindeutige Zuordnving eines bestimmten Negationstyps zu einer bestimmten Verbart ist nicht möglich. Die Art der Negierung eines Satzes ist abhängig vom Sprachgebrauch der Zeit, d.h. von den zu einer bestimmten Zeit vorhandenen und üblichen Mitteln; der Charakter des zu negierenden Verbs spielt keine Rolle.
Die Satznegation
313
Übersicht über den Umfang der Exzerption 1470 - 1530 R. Chr. Fl. Fl. Fl. Fl. Fpr. Fpr. Vb.
1 1 la lb lc ld la lb 1
76 Seiten 50 Seiten 22 Seiten 15 Seiten 16 Seiten 8 Seiten 18 Seiten 48 Seiten 25 Seiten
R. Chr. Fl. Fpr. Vb.
2 2 2 2 2
130 Seiten 50 Seiten 23 Seiten 30 Seiten 135 Seiten
R. Chr. Chr. FL Fl. Fl. Fpr. Fpr. Vb.
3 3a 3b 3a 3b 3c 3a 3b 3
14 Seiten 68 Seiten 50 Seiten 6 Seiten 8 Seiten 7 Seiten 80 Seiten 54 Seiten 120 Seiten
R. R. Chr. Fl. Fpr. Vb.
4a 4b 4a 4a 4 4
19 Seiten 75 Seiten 50 Seiten 24 Seiten 53 Seiten 104 Seiten
R. Chr. Fl. Fpr. Vb. Vb.
5 5 5 5 5a 5b
74 Seiten 50 Seiten 52 Seiten 72 Seiten 125 Seiten 13 Selten
314
Franzjosef Pensei
3. Zeitraum 1670 - 1730 3.1. Zur Analyse des Sprachgebrauchs In den Quellen des zweiten Zeitraums von 1670 - 1730, die aus den Gattungen Briefe, Roman, Bildungsschrifttum und Fachprosa ausgewählt wurden, finden sich, obwohl aus ihnen in der Regel umfangreichere zusammenhängende Textpassagen berücksichtigt wurden, nur 875 negierte Einfachsätze. In ihnen begegnen folgende Negationstypen: Negations- durch die beim Verb alleinstehende Negationspartikel /nicht/ typ 1 Negations- durch /nicht/ + einem weiteren Negationsträger typ 1.1. Negations- /nicht + kein/ typ 1.1.1. Negations- /nicht + niemand/ typ 1. Ii 2. In diesem Untersuchungszeitraum kann die Negationspartikel als /nicht/ und /nit/ e r scheinen. Die sprachgeographische Verteilung ist nach den Quellen grob folgende: das Ostmitteldeutsche zeigt die alleinige Verwendung der Form /nicht/. Im Westmitteldeutschen ist gleichfalls /nicht/ vorherrschend; es finden sich aber in dieser Landschaft vereinzelte Belege für die Form /nit, nyt/. Im Ostoberdeutschen ist der sprachliche Befund nicht so einheitlich, neben häufigerer Verwendung von /nicht/ überwiegt die gutturallose Form /nit/. Das Westoberdeutsche zeigt den fast alleinigen Gebrauch von /nicht/ und nur ein Beleg läßt sich für /nit/ nachweisen. 3.2. Landschaften und Negationstypen In diesem Untersuchungszeitraum zeigt die Verteilung der einzelnen Negationstypen in den vier Sprachlandschaften keine wesentlichen Unterschiede. Vorherrschend ist in allen Landschaften der Negationstyp 1. Einige Beispiele, die stellvertretend für viele andere stehen, seien angeführt. omd. /Es war der Tebelholmer ein braver Kerl, und scheuete seinen Mann auch nicht/ II Ro. 1.1, 30 oobd. /aber unbewegliche Güter mögen sie nach vorgebrachten Ursachen, ohne Erkandtnus der Obrigkeit nit verkauften oder verändern/ II Fpr. 3a, 174 wobd. /Damit ich ein Exempel setze: Die Deutsche Sprache leidet die Versetzung der ordinairen Construction nicht, welche die Lateinische erlaubet/ n Bi. 4, 32 Da in allen vier Sprachlandschaften im zweiten Zeitraum die durch die Negationspartikel /nicht/ bewirkte Satznegation dominiert, bestehen in dieser Hinsicht zwischen den einzelnen Landschaften auch nur geringfügige Unterschiede. Die ostoberdeutsche Sprach-
Die Satznegation
315
landschaft kennt nur noch diesen mononegativen Typ und erreicht somit 100 %; damit bleibt sie über dem gesamtlandschaftlichen Durchschnitt von 99,4 %. Es folgt das Westmitteldeutsche mit 99,7 %, das Westober deutsche mit 99, 2 % und das Ostmitteldeutsche mit 98, 7 %. Diese nur als minimal zu bezeichnenden Abweichungen in den vier Sprachlandschaften zeigen deutlich, daß landschaftsspezifische Differenziertingen in den Quellen des zweiten Zeitraums unerheblich sind, daß zwischen den Landschaften ein weitgehender Ausgleich stattgefunden hat und daß sich die anderen Landschaften dem ostmitteldeutschen Sprachgebrauch angeschlossen haben. Unter den 875 negierten Einfachsätzen finden sich nur 7 Sätze, die den Negationstyp 1.1, - /nicht/ + weiterer Negationsträger - aufweisen; und zwar sind es im Ostmitteldeutschen 4 Sätze, im Westober deutschen 2 und im Westmitteldeutschen 1 Satz. Aus jeder dieser drei Landschaften sei ein Satz angeführt. omd. wobd.
/ e s gereuet mich aber die Stunde kein Heller noch nicht, den ich da alle gemacht habe/ II Ro. 1.2, 28 /Aber ich fände nicht allein niemand, der diesem Befelch Christi nachzukommen begehrte, sondern jeder man thät grad das Widerspil/ U R o . 4,71
wmd. / s i e haben Keine so wahrhaffte freude nicht/ II Br. 2,41 Es fällt auf, daß 6 von diesen 7 Einfachsätzen den Negationstyp /nicht + kein/ enthalten; daraus läßt sich folgern, daß, wenn überhaupt neben der Satznegation /nicht/ ein weiterer Negationsträger erscheint, dieser dann /kein/ ist. Prozentual ergibt sich für den Negationstyp 1.1. ein gesamtlandschaftlicher Durchschnitt von 0, 6 %. 3.3. Gattungen und Negationstypen Da in den Landschaften dieses Zeitraums der mononegative Typ 1 zur Negierung eines Satzes vorherrscht, muß sich dieser Befund folglich auch in den Gattungen widerspiegeln. FUr die Gattungen ergeben sich gleichfalls nur minimale prozentuale Differenzierungen. Bei einem für diesen Typ 1 auf alle Gattungen bezogenen Durchschnitt von 99,4 % zeigt sich, daß das Bildungsschrifttum und die Fachprosa nur den Negationstyp 1 aufweisen; es folgen dann die Briefe mit 99, 7 % und der Roman mit 97,9 %. Die folgenden Belege sollen die durch /nicht/ realisierte Satznegation in den einzelnen Gattungen illustrieren. Bildungs-
/Die gegenwärtige Noth wird durch unser niedergeschlagnes Wesen nicht v e r m i n d e r t / n Bi. 1,103
Fach-
/Alle Arten der Speise und des Trancks, welche die Gesundheit erhalten
prosa
sollen, sind unschmackhaffüg und reitzen den Geschmack nicht/ n Fpr. 1,17
316
Franzj osef Pensei
Briefe /und auß Z weyen gar starcken Ursachen spiel ich nicht/ n Br. 2,8 Roman /Liebes Kind, diese Bilder können nicht reden/ II Ro. 4,31 Der Negationstyp 1.1. ist in den Briefen mit einem Einfachsatz und im Roman mit 6 Einfachsätzen vertreten (Belege s. o.); damit ergibt sich für diesen Negationstyp ein auf die Gattungen bezogener Durchschnitt von 0,6 %. 3.4. Zusammenfassung In den Quellen für die vier Gattungen aus den vier Sprachlandschaften des zweiten Zeitraums von 1670 - 1730 wird in Einfachsätzen die Satznegation fast nur noch durch die Negationspartikel /nicht/ ausgedrückt. Es zeigen sich in diesem Zeitraum weder landschaftliche noch gattungsspezifische Unterschiede. Die wenigen Einfachsätze, die den Negationstyp 1.1. - /nicht/ + weiterer Negationsträger - enthalten, spielen bei der großen Anzahl der durch /nicht/ negierten Einfachsätze kaum eine Rolle. Dabei muß noch berücksichtigt werden, daß die Verbindung /nicht + kein/ relativ am häufigsten auftritt un^ /kein/ in diesen Fällen als eine Verstärkung anzusehen ist. Es ergibt sich somit für den untersuchten zweiten Zeitraum von 1670 - 1730 eindeutig, daß sich im Sprachgebrauch die durch die Partikel /nicht/ realisierte Satznegation durchgesetzt hat. Andere Negationstypen fallen daneben nicht mehr ins Gewicht, zumal ihr Anteil insgesamt nur noch 0, 6 % aller negierten Einfachsätze beträgt. Damit ist im großen und ganzen um 1700 der moderne Gebrauch bei der Verwendung der Satznegation erreicht. Eingegangen sei noch darauf, daß sich im zweiten Untersuchungszeitraum eine e r hebliche Zunahme der charakterisierenden Beiwörter oder "rangverleihenden" Glieder in den negierten Einfachsätzen feststellen läßt. In erster Linie kommen dafür die Partikel /gar, ganz, ganz und gar, durchaus/ in Betracht, die präzisierend und intensivierend vor die Negationspartikel /nicht/ treten können. Die Zunahme der vier genannten Partikeln ist allerdings in den Quellen des zweiten Zeitraums in den einzelnen Landschaften und Gattungen unterschiedlich. Die Verstärkungspartikel / g a r / erscheint im Ostmitteldeutschen in folgenden Gattungen (in Klammern die Anzahl der Belege), Briefe (3), Roman (3) und Fachprosa (1); im Bildungsschrifttum der ostmitteldeutschen Sprachlandschaft findet sich einmal die Verbindung /ganz und gar/. Einige Belege sollen das illustrieren, omd. /Die Sache mit dem Hrn. Marschall urgiere ich gar nicht/ II Br. 1,61 /Solches darff sich mein Printz gar nicht befremden lassen/ n Ro. 1.1,24 /Die Faulen studiren gar nicht/ II Fpr. 1,92 /um die Weltweisheit bekümmern sie sich ganz und gar nicht/ n Bi. 1, 63
Die Satznegation
317
Im Westmitteldeutschen erscheint das Beiwort / g a r / am häufigsten in den Briefen (insgesamt 13mal). Die anderen Gattungen fallen daneben stark ab: im Roman kommen nur zwei Belege und in der Fachprosa ein Beleg vor. Weiter findet sich die Verstärkung /durchaus/ in den Briefen (1) und im Bildungsschrifttum (2), und einmal ist das Beiwort /ganz/ in den Briefen und zweimal in der Fachprosa anzutreffen, wmd, /auf diesen brieff hat Er mir aber gar nicht geantwortet/ II Br. 2, 2 /Dargegen ist solches bey den Studenten gar nicht zu befahren/ URO. 2,109 /und (sie) wolten den Abschied von der Religion gar nicht annehmen/ II Fpr, 2,145 /daß hatt aber der König durchauß nicht leyden wollen/ II Br. 2,46 /Allein, mein Vater seel. wolte es durchaus nicht leiden/ II Bi. 2, 22 /Es ist aber meine meinung gantz nicht/ n Br. 2, 6 /dann ire Stimme und Lere kommend mit der Stymme des Heil. Evangelii gantz nit ubereyn/ II Fpr. 2,47 Im Ostoberdeutschen findet sich für /gar nicht/ nur ein Beleg in den Briefen und für /durchaus nicht/ nur ein Beleg im Roman. Die anderen Gattungen bezeugen diese Beiwörter nicht. oobd.
/Die alten Teutschen haben sich in Philologicis gar nicht, in Philosophicis wenig geübet/ n Br. 3, 372 /dieses habe ich durchaus nicht gesuchet/ n Ro. 3,18 Im Westoberdeutschen lassen sich die präzisierenden Beiwörter nur in den Gattungen Briefe und Roman nachweisen. Die Briefe belegen je einmal die Beiwörter /gar, ganz und gar, durchaus/, und im Roman ist je ein Beleg für /gar/ und /ganz/ anzutreffen, wobd. /Haller hat sich gegen mich über den Noah gar nicht auslassen wollen/ H Br. 4,190 /Sie müssen die Person eines elenden Scribenten ganz und gar nicht annehmen/ II Br. 4,190 /meine Frau konnte das Polster von Fett durchaus nicht vertragen/ II Br. 4,184 /den andern noch übrigen gefangenen Bauern giengs gar nicht besser/ II Ro. 4,38 /Ich widerte mich gantz nicht/ II Ro. 4,40 3.5. Zum Verhältnis von Prädikatsverb und Satznegation Für den zweiten Zeitraum kann die Fragestellung nach einem möglichen Zusammenhang zwischen dem Prädikatsverb und dem Charakter der Satznegation entfallen; denn es hat sich, von einigen Ausnahmen abgesehen, als alleiniges Mittel der Negation /nicht/ durchgesetzt. Die wenigen Fälle vön /nicht/ + weiterem Negationsträger sind für diese Frage unerheblich.
Franzjosef Pensei
318
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Die Satznegation Übersicht über den Umfang der Exzerption 1670 - 1730 II.
Br. Ro. Ro. Bi. Fpr.
1 la lb 1 1
100 Seiten 70 Seiten 75 Seiten 120 Seiten 150 Seiten
II.
Br. Ro. Bi. Fpr.
2 2 2 2
52 Seiten 122 Seiten 60 Seiten 150 Seiten
n.
Br. Ro. Bi. Fpr.
3 ca., 50 Seiten 3 100 Seiten 3a 108 Seiten 250 Seiten 3a
n.
Br. Ro. Bi. Fpr.
4 ca. 180 Seiten 4 105 Seiten 4 ca. 78 Seiten 4 150 Seiten
320 4.
Franzjosef Pensei Vergleich der vintersuchten Zeiträume
4.1. Zur Entwicklung des Sprachgebrauchs Ein Vergleich der Untersuchungsergebnisse des ersten Zeitraums von 1470 - 1530 mit denen des zweiten von 1670 - 1730 zeigt, daß die Breite der konkurrierenden Möglichkeiten zur Realisierung einer Satznegation stark abnimmt. Überwog schon um 1500 die durch die Negationspartikel /nicht/ ausgedrückte Satznegation, so ist um 1700 der Gebrauch von /nicht/ der allein gültige. Betrug der Anteil des mononegativen /nicht/ im ersten Zeitraum für alle Sprachlandschaften und Gattungen 86, 8 %, so steigt sein Anteil im zweiten Zeitraum auf über 99 % an. Dieses Ergebnis beweist, daß sich bei der Herausbildung des einheitlichen deutschen Sprachgebrauchs die durch die Negationspartikel /nicht/ realisierte Satznegation um 1700 für alle Landschaften eindeutig durchgesetzt hat. Die Zahl der polynegativen pleonastischen Negationstypen nimmt vom e r sten Zeitraum zum zweiten ab (von 1, 8 % auf 0, 6 %). Das steht in einem gewissen 29 30 Widerspruch zum DWB und zu einigen Grammatiken , wo noch viele Belege für diese Art der gehäuften Negationen angeführt werden. Die neben /nicht/ fungierenden Negationswörter wie /kein, nie, niemand u. a. / dienen zur Verstärkung der Negation. Man hat darauf hingewiesen, daß sich "die deutsche Sprache . . . darin von haus aus zur griechischen" (hält) und daß sie "aber im lauf der nhd. zeit durch die lateinische regel eine gegenteilige einwirkung erfahren" (hat), . . . "die lateinisch geschulten deutschen schulmeister haben die angeborene deutsche regel ausgetrieben", aber "der gemeine 31 mann.... hat die alte heimische regel festgehalten" . Das besagt, daß im Griechischen, wo eine Aufeinanderfolge mehrerer Negationen nicht selten ist, unter bestimmten Voraussetzungen die Verneinung verstärkt wird. "Im Lateinischen gilt, wenn 32 auch nicht ohne Ausnahme, daß zwei Verneinungen einander aufheben, also bejahen" . Diese Eigenart der lateinischen Grammatik hat sich unter dem Einfluß des Humanismus in der deutschen Literatursprache durchgesetzt, während sich die Häufung oder zumindest Verdoppelung von Negationen zum Zweck der Verstärküng der Verneinung bis heute-in der Umgangssprache erhalten hat. Eine nähere Betrachtung erfordert in diesem Zusammenhang die Verbindung /nicht + kein/, die in den Quellen des ersten Zeitraums unter den polynegativen pleonastischen Negationstypen eindeutig dominiert. Insgesamt finden sich im Belegmaterial aus der Zeit von 1470 - 1530 31 Einfachsätze, die diesen Negationstyp aufweisen. Es läßt sich bei diesen Sätzen nicht immer eindeutig entscheiden, ob /kein/ hierbei in negierender Verwendung gebraucht wird, denn das Indefinitpronomen /kein/ kann - wie in der mit33 telhochdeutschen Periode - in der frühneuhochdeutschen auch noch positive Bedeutung haben. In affirmativer Bedeutung entspricht es dem Neuhochdeutschen /irgendein/. Das relativ häufige Auftreten der Verbindung von /nicht/ und /kein/ ist möglicherweise
Die Satznegation
321
so zu erklären, daß /kein/ nicht eindeutig war und daß die Autoren daher bei beabsichtigter Negation verdeutlichendes /nicht/ hinzufügten. Dagegen erscheint /nicht/ mit anderen Pronomina und Adverbien relativ selten (im ersten Zeitraum finden sich nur 6 Einfachsätze für diesen polynegativen Typ), denn diese besaßen immer nur negierende Bedeutung und bedurften an sich keiner weiteren Verstärkung durch /nicht/. Als ein weiteres Ergebnis ist zu vermerken, daß das verneinende proklitische / e n / lind die mit der Proklise verbundenen Negationstypen im zweiten Zeitraum für die Satznegation nicht mehr verwendet werden. Im ersten Zeitraum betrug der Anteil der P r o klise und der mit ihr verbundenen Negationstypen immerhin noch insgesamt 11,4 % aller negierten Einfachsätze. Dabei lag der Anteil des Negationstyps 2.2. (/en + nicht/) mit 5, 7 % höher als der der Typen 2.1. mit 4, 2 und 2 mit 1, 5 %. Es läßt sich deutlich erkennen, daß die alleinstehende Proklise / e n / wegen ihrer Untertonigkeit für die Negierung eines Satzes bereits um 1500 nur noch in den wenigsten Fällen ausreicht. Analog zu dem Typ /nicht + kein/ könnte es sich allerdings mit der Proklise / e n / in Verbindung mit /kein/ verhalten. Hierfür finden sich im ersten Zeitraum 29 Einfachsätze, etwa die gleiche Zahl wie für /nicht + kein/. Die Funktion von /kein/ könnte auch in diesen Fällen durch die Proklise verdeutlicht werden. - Bei / e n + nicht/ dienen bei synchroner Betrachtungsweise formal zwei Wörter zur Negation eines Satzes. Nur der Form nach kann hierbei jedoch von einer 'doppelten Satznegation' gesprochen werden. Bei diachroner Betrachtungsweise zeigt sich, daß die Proklise / e n / in der Verbindung mit /nicht/ als ein Übergangsstadium anzusehen ist "für die sich über Jahrhunderte dehnende Zeitspanne des Übergangs von der unbetonten Partikel v6r zu der betonten Negation hinter 34 dem Verbum" ; dabei wird in der sprachgeschichtlichen Entwicklung das proklitische / e n / wegen seiner Untertonigkeit nicht mehr als ausreichendes Negationswort verstanden. Bereits um 1500 ist es gegenüber dem mononegativen Typ auf dem Rückzug begriffen, hält sich lediglich im niederländischen Gebiet, teilweise auch im mitteldeutschen, etwas länger, während es im oberdeutschen Raum bereits um 1500 weitgehend geschwun35 den ist . Die Partikel /nicht/ setzt sich als der alleinige Träger der Negationsfunktion durch. 4.2. Zur Entwicklung in den Landschaften und Gattungen Landschaftliche Differenzierungen bei der Realisierung der Satznegation zeigen sich im ersten Zeitraum in folgender Hinsicht. Die ausschließliche Verwendving der alleinstehenden Partikel /nicht/ bzw. von /nicht/ in Verbindung mit einem weiteren Negationsträger weist nur das Ostmitteldeutsche auf und repräsentiert damit um 1500 bereits einen Sprachgebrauch, der im Unterschied zu anderen Landschaften weitgehend zum modernen Deutsch stimmt. Im Ost- und Westoberdeutschen überwiegt gleichfalls der Gebrauch des alleinstehenden /nicht/; daneben werden jedoch in einem geringen U
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Franzjosef Pensei
Umfang noch andere Negationsmöglichkeiten verwendet, im Westoberdeutschen /nicht/ + weitere Negationsträger und in beiden Landschaften vereinzelt /en/ + weitere Negationsträger. Das Westmitteldeutsche und vor allem das Niederdeutsche zeigen dagegen im Zeitraum von 1470 - 1530 noch eine Variationsbreite bei der Realisierung von Satznegationen. Inheiden Landschaften, besonders im Niederdeutschen, finden neben/nicht/ und seinen Verbindungen auch noch proklitisches /en/ und damit verbundene weitere Negationsträger bei der Satznegation häufigere Verwendung. Im Vergleichszeitraum von 1670 - 1730 sind keine landschaftlichen Differenzierungen mehr vorhanden. Alle vier in die Untersuchung einbezogenen Landschaften kennen in diesem Zeitraum im wesentlichen nur noch den mononegativen Typ /nicht/ für die Realisierung der Satznegation. Dabei sind die vereinzelt auftretenden Fälle vön /nicht/ + einem weiteren Negationsträger zahlenmäßig unerheblich und ändern an der Gesamteinschätzung kaum etwas. Die proklitische Negation wird im zweiten Zeitraum nicht mehr gebraucht. Mithin ist als Ergebnis zu konstatieren, daß sich eine Vereinheitlichung des Sprachgebrauchs vom ersten zum zweiten Vergleichszeitraum vollzogen hat: die alleinstehende Partikel /nicht/ für die Satznegation hat sich durchgesetzt. Um 1500 noch vorhandene Unterschiede, die sprachgeographischer Natur waren, sind um 1700 ausgeglichen, und damit wird auf diesem Gebiet bereits um 1700 ein zum modernen Stand stimmender Sprachgebrauch e r reicht. Die landschaftlichen Differenzierungen schlagen sich auch in den Gattungen nieder. Im ersten Zeitraum sind die entsprechenden Unterschiede daher größer als im zweiten. Gattungsspezifische Besonderheiten sind nur in geringem Maße vorhanden, z . B . bei den Flugschriften. Im ersten Untersuchungszeitraum sind die Flugschriften die einzige Gattung, die in vier Landschaften, nämlich in der ost- und westober deutschen sowie der ost- und westmitteldeutschen, nur die Satznegation durch alleinstehendes /nicht/ (im Ostmitteldeutschen daneben noch 2, 9 % für /nicht/ + weiteren Negationsträger) kennen. Der Durchschnitt für die Flugschriftentexte liegt bei 96, 0 %. Lediglich in der niederdeutschen Flugschrift kommen noch - Ausdruck landschaftlicher Eigenheiten Fälle von /en/ + weiteren Negationsträgern zur Negierung eines Satzes vor. Die Flugschrift erweist sich somit im ersten Untersuchungszeitraum als Gattung, deren Sprachgebrauch in dieser Frage bereits damals zu dem des modernen Deutsch stimmt. Bei den Reisebeschreibungen, Chroniken, Fachprosatexten und Volksbüchern liegen keine für die einzelne Gattung spezifischen Besonderheiten vor, sondern hier schlagen sich nur landschaftliche Unterschiede nieder, wie z . B . bei der Reisebeschreibimg. Bei dieser Gattung erreicht die Satznegation durch alleinstehendes /nicht/ einen Durchschnittswert von 81,1 %. Die ostmitteldeutsche und ostoberdeutsche Reisebeschreibung weisen nur diesen Negationstyp auf; auch die westoberdeutsche Reisebeschreibung gebraucht neben alleinstehendem /nicht/ nur die Negation durch /nicht/ + weiteren Negationsträger. Da-
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gegen verwenden die Reisebeschreibungen der westmitteldeutschen und niederdeutschen Landschaft noch relativ häufig Proklise und proklitisch verbundene Negationstypen; insgesamt gesehen halten sich dabei beide Landschaften mit 44,1 % bzw. 44,6 % in etwa die Waage. Am ehesten scheinen neben den Flugschriften noch in der Fachprosa gattungsspezifische Eigenheiten durchzuschimmern. Die Fachprosatexte des ost- und westmitteldeutschen sowie des ostoberdeutschen Gebiets kennen nur die Satznegation durch alleinstehendes /nicht/ und stimmen mit diesem Sprachgebrauch in ihrer Mehrheit bereits zum gegenwärtigen Stand; in der westoberdeutschen Fachprosa sind daneben jedoch noch 10, 2 % für den Typ /nicht/ + weiterer Negationsträger und 4,1 % für den Typ /en + nicht/ festzustellen, und der niederdeutsche Fachprosatext zeigt außerdem einen hohen Anteil der Proklise und der mit ihr verbundenen Negationstypen (insgesamt 78, 5 %); hier werden wieder Besonderheiten landschaftlicher Sprachverwendung deutlich. Im Vergleichszeitraum von 1670 bis 1730 werden, da in dieser Periode fast ausschließlich Satznegation durch /nicht/ bzw. in wenigen Fällen Negation durch /nicht/ + weiteren Negationsträger vorkommt, kaum gattungsspezifische Differenzierungen deutlich. Das Bildungsschrifttum und die Fachprosa weisen nur den mononegativen Typ auf. Auch bei den Briefen erreicht dieser Typ einen Anteil von 99, 7 %; im Roman sinkt er geringfügig auf 97, 9 % ab. Diese Unterschiede fallen kaum ins Gewicht. Auch der gelegentliche Gebrauch von /nicht/ in Verbindung mit einer zweiten Negation im ostmitteldeutschen und westoberdeutschen Roman läßt in dieser Hinsicht keine Schlüsse zu. Es bleibt für die Entwicklung der Satznegation vom ersten zum zweiten Zeitraum festzustellen, daß zwar noch um 1500 landschaftliche und gattungsspezifische Differenzierungen vorhanden sind, daß aber 200 Jahre später ein relativ einheitlicher Gebrauch im Bereich der Satznegierung eingetreten ist, der gegenüber dem modernen Sprachgebrauch keine nennenswerten Unterschiede aufweist. 4.3. Zur Funktion einiger Verstärkungspartikeln In beiden Untersuchungszeiträumen lassen sich bestimmte Besonderheiten bei der Satznegation feststellen. Unflektierte Beiwörter, auch "rangverleihende" Glieder genannt, können präzisierend und intensivierend vor die Negation /nicht/ treten. In den Quellen beider Vergleichszeiträume begegnet der Gebrauch der Partikeln/gar, ganz, ganz und gar, durchaus/. Die Verwendung dieser Adverbien ist in den beiden Zeiträumen unterschiedlich. Im ersten wird /gar/ und /ganz/ nur in den Flugschriften verwendet (/gar/: wmd. Flugschrift zweimal; oobd. Flugschrift einmal;/ganz/: nd. Flugschrift einmal), d.h. in Texten, deren Sprache der gesprochenen Umgangssprache nahesteht. Im Unterschied zum ersten Untersuchungszeitraum zeigt sich im zweiten eine erhebliche Zunahme dieser verstärkenden Partikeln, allerdings nicht in allen Landschaften und Gattungen. Interessanterweise führt Schottel in seinem Werk 'Ausführliche Arbeit
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Von der Teutschen Haubt Sprache', das hundert Jahre vor Gottscheds 'Deutscher Sprachkunst' erschien, das Beiwort / g a r / bereits an dritter Stelle bei seinen "Adverbia negandi" an, die er als "verneinende ZuwSrter" b e z e i c h n e t . I m zweiten Zeitraum finden präzisierende Beiwörter - und hierbei besonders das Adv. / g a r / - am häufigsten in den Briefen Verwendung. Mit Abstand folgen die Romane, während das Bildungsschrifttum und die Fachprosa zwar diese Beiwörter auch verwenden, aber doch gegenüber den Briefen darin weit zurückbleiben. Der relativ häufige Gebrauch dieser präzisierenden Beiwörter in den Briefen mag seine Ursache darin haben, daß sich im Briefstil wohl am ehesten der mündliche Stil der Rede manifestiert und niederschlägt. Briefe können oft sehr individuelle subjektive Züge tragen; sie berichten dann von persönlichen Erlebnissen und Ereignissen und sind meist nur für den Partner bestimmt. Sie reflektieren daher in solchen Fällen eine Sprachschicht, die der gesprochenen Sprache nahesteht. Deutlich wird das z.B. in den sehr persönlich abgefaßten Briefen der Prinzessin Elisabeth Charlotte von Orleans an die Raugräfin Louise. Möglicherweise besteht ein Zusammenhang zwischen der Zunahme dieser rangverleihenden Glieder vom ersten zum zweiten Zeitraum und der Reduzierung der Negationsmöglichkeiten im zweiten Zeitraum. Offenbar war ein Bedürfnis nach größerer Intensität des Avusdrucks beim mononegativen Typ vorhanden. Wurden in der mittelhochdeutschen Periode zur Verstärkung der Negation überwiegend bildhafte Vergleiche wie /niht einblat, niht ein str6, niht ein h ä r / gebraucht, so wandelte sich das im Laufe der Ent37 Wicklung: im zweiten Zeitraum wurden "abstraktere Mittel der Verstärkung" , wie / g a r nicht, durchaus nicht/ vorgezogen. Es bleibt zu erwähnen, daß /ganz nicht/ im ersten und auch noch im zweiten Zeitraum gebraucht wird; in der Gegenwartssprache ist diese Verbindung allerdings nicht mehr lebendig, sie lebt aber in /ganz und gar nicht/ noch weiter. 38 4.4. Zum Verhältnis von zeitgenössischer "normativer" Grammatik und Sprachwirklichkeit Die zeitgenössischen "normativen" Grammatiken enthalten keine speziellen Hinweise und Erläuterungen zum Begriff der Negation und ihrem Gebrauch. Wenn überhaupt die Verneinung behandelt wird, dann erfolgen nur ganz allgemeine Ausführungen, wie z. B. 39 bei Bödiker, wo es heißt: "Nicht / kan am Ende stehen / sonderlich auch in Versen" . Schottel bringt nur einen kurzen Hinweis bei dem Kapitel "Zuworte (Adverbio)" auf die 40 bereits erwähnten "Adverbia negandi" . Dagegen polemisiert Gottsched gegen die Häufung von Negationen, wenn er in seiner 'deutschen Sprachkunst' schreibt: "Die verdoppelte Verneinung, die noch im vorigen Jahrhunderte bey guten Schriftstellern gewohnlich war, um desto s t l r k e r zu verneinen; muß itzo in der guten Schreibart ganz abgeschaffet Q werden . . . Allein heute zu Tage spricht nur noch der Pobel so. Artige Leute vermeiden
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es, und zierliche Scribenten noch mehr." In der Anm. heißt es weiter: "Ein gelehrter GSnner . . . meynet, weil das Deutsche in diesem Stucke mit dem Griechischen eine Ähnlichkeit hltte, so sollte man diese Verdoppelung nicht abschaffen. Ich wurde es auch e 41 gewiß nicht thun, wenn es nicht schon von sich selbst abgekommen wäre" . Gottscheds letzte Feststellung - wenn auch nach 1730 zu Papier gebracht - scheint, zumindestens was die mit /nicht/ verbundenen anderen NegationsWörter anbetrifft, bereits für die Zeitspanne von 1670 bis 1730 zuzutreffen. Die wenigen Belege, die sich in den berücksichtigten Quellen des zweiten Zeitraums noch fanden, lassen den Schluß zu, daß bereits für diese Zeit die doppelte Verneinung, bei der einen Bestandteil die Negations Partikel /nicht/ bildet, keine häufige Verwendung mehr gefunden hat. Zwar "gebraucht die deutsche Literatursprache bis ins 19. Jahrhundert die doppelte Verneinung normativ" 42, aber in der Literatursprache der Gegenwart ist sie "als überflüssiger Sprach43 aufwand schon endgültig beseitigt" worden. Dabei wird nicht in Abrede gestellt, daß "sie im umgangssprachlichen Alltagsverkehr . . . (vor allem in mundartlich gefärbter, 44 gelegentlich aber auch in literarisch-umgangssprachlicher Rede)" noch anzutreffen ist.
Anmerkungen 1 Müller-Zarncke, Mhd. Wörterbuch II, 1,320. 2 Bulach, Razvitie 35-48. 3 Jung, Grammatik 111. 4 Bulach, Razvitie 35-48. 5 Admoni, Sprachbau 64. 6 Admoni, Sprachbau 155. 7 Admoni, Sprachbau 155 f. 8 Admoni, Sprachbau 156. - Diese Ansicht Admonis findet jedoch nicht überall Zustimmung, weil er bei der Klassifizierung der Wortarten ausschließlich von logischsemantischen Gesichtspunkten ausgeht. Vgl. hierzu Schmidt, Grundfragen 46 ff., Heibig, Klassifizierung 66, d . s . , Negationswörter 400 und Neumann, in: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 20, Berlin 1967, S. 378. 9 Weiß, Negation. Heibig, Problem (die Beispielsätze sind weitgehend aus dieser Arbeit übernommen). 10 Admoni, Sprachbau 239. 11 Wilhelm Schmidt, Grundfragen 310. 12 Mensing,'Geschichte. 13 Mhd. z.B. /daz ist gar ein wint/ Walther 56,17. Nhd. Beispiel (umgangssprachlich): /ich kümmere mich einen Dreck darum/ für /ich kümmere mich darum nicht/. 14 Paul/Moser/Schröbler, Grammatik 404.
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15 Wilmanns, Grammatik 624. 16 Heibig, Problem 73. 17 Zum Satzrahmen vgl. in diesem Band die Untersuchung von J. Schildt, S. 235 ff. 18 Beneä, Ausklammerung 291. 19 Heibig, Problem 73. 20 Heibig, Problem 74. 21 Heibig, Problem 74. 22 Helbig/Schenkel, Wörterbuch 227, 233, 235. 23 Helbig/Schenkel, Wörterbuch 33. 24 Boost, Untersuchungen 45. 25 Moser, Grammatik 81: "nicht (obd, bis Ende des 16. Jh.s auch nit, al. -schwäb. nüt". 26 Vgl. Verfasserlexikon, Bd IV, Sp. 556 f. 27 Admoni, Sprachbau 207. 28 Jung, Grammatik 11. 29 Vgl. DWB 5,461 ff.; 7, 708. 30 Z. B. bei Paul, Grammatik, Bd IV, S. 334 ff.; Kehrein, Grammatik 309 f. 31 DWB 5,461. 32 Kehrein, Grammatik 310 f. 33 Paul/Moser/S ehr öbler, Grammatik 339'. 34 Tschirsch, Geschichte 2, 51. 35 Vgl. Behaghel, Syntax 85-87 und Küpper, Studien 47 f. 36 Schottelius, Arbeit 1, 659: "Adverbia negandi, verneinende ZuwSrter/ als: Nein/ nicht / gar nicht / mitnichten / keineswegs / mitnichten nicht / nirgends / weder dis noch das/ etc. ". 37 Wilmanns, Grammatik 624. 38 Vgl. DWB 4.1,1321. 39 Bödiker, Grundsätze 254. 40 Schottelius, Arbeit 1, 659, 41 Gottsched, Sprachkunst 500. 42 Riesel, Stil 243. 43 Riesel, Stil 266. 44 Riesel, Stil 266. 45 Die 1954 in Tübingen abgefaßte Diss. von A. Hellstern, Die Negation im 16. Jahrhundert, war mir leider nicht zugänglich, so daß ihre Ergebnisse in dieser Arbeit nicht berücksichtigt werden konnten.
FORMEN UND GRAMMATISCHE STRUKTUR NEBENGEORDNETER WORTREIHEN
Gerhard Kettmann
Formen und grammatische Struktur nebengeordneter Wortreihen
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Abkürzungen Außer den im Sigelverzeichnis festgelegten Abkürzungen für die benutzten Quellen werden bei der Beschreibung der Reihungsformeln folgende Abkürzungen verwendet: adj
= Adjektiv
adjj
= Pronomen in adjektivischer Verwendung
adjg
= Numeralien in adjektivischer Verwendung
art
= Artikel
präp
= Präposition
rg
= rangverleihendes Glied
subst
= Substantiv
Symbole +
= Konjunktion (in der Regel und, oder)
330 1.
Gerhard Kettmann Einleitung
1.1. Nebenordnung und Unterordnung stehen zur Verfügung, will man die Zuordnung, die zentrale Subjekt/Prädikatbeziehung des einfachen Satzes, mit zusätzlicher Information anreichern*. Gegenstand dieser Untersuchung ist ein wesentlicher Teilbereich der Neo benordnung: die Reihung von Wörtern . Sie ist als satzstrukturierendes Element weit3 hin verbreitet und läßt sich als solches auch in der Geschichte der deutschen Sprache 4 wennschon in unterschiedlicher Intensität - durchgängig verfolgen . Charakteristisches Merkmal der nebenordnenden Wortreihung ist, daß, im Gegensatz zur Unterordnung, Wörter g l e i c h w e r t i g als Reihe nebeneinander gesetzt werden, daß jedes Glied einer auf diese Weise entstehenden Reihe also den gleichen Satzgliedwert repräsentiert und die Reihe als Ganzes stets e i n Satzglied darstellt. In dem Beispiel /Roggen, Weizen und Hafer werden angebaut/ fungieren /Roggen, Weizen und Hafer/ somit gemeinsam als Subjekt. Prinzipiell können alle Wörter, die in der Rolle des gleichen Satzgliedes stehen, gereiht werden - also Substantive, Adjektive, Verben usw. Zu beachten ist bei der Reihung von adjektivischen Attributen jedoch, daß sie nur dann eine Wortreihe bilden, wenn die durch sie ausgedrückten Eigenschaften dem Bezugswort in gleichem Maße zukommen: /ein hoher, runder Tisch/. Stellt von zwei Adjektiven das zweite mit dem Bezugswort einen Gesamtbegriff dar, liegt keine Wortreihe vor: /die klangvolle italienische Sprache/. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß der einfache Satz durch nebenordnende Wortreihung zwar mehrgliedrig werden kann, ungeachtet dieser Tatsache jedoch ein einfacher Satz bleibt. Eine bestimmte Gruppe von Baugesetzen also, nach denen Sätze strukturiert sind, steht im Mittelpunkt der Untersuchung.
1.2. Die Charakterisierung der Reihung als satzstrukturierendes Element enthält implizite die Begründung für ihre Untersuchung im Rahmen syntaktischer Normentwicklung. Die Analyse von Wortgruppen im Satz hat prinzipielle Bedeutung für syntaktische Beschreibungen aller Art überhaupt. Im Hinblick auf die zeitliche Markierung des ersten Untersuchungszeitraumes ist - diese Sachlage unterstützend - hinzuzufügen, daß die Reihung 5 stereotyp als signifikantes Merkmal frnhd. Syntax apostrophiert wird , die Forschung 6 dazu jedoch, trotz starker Anstöße seit Konrad Burdach , weder zu einer Bestandsaufnahme der formalen Reihungsmöglichkeiten innerhalb bestimmter Zeitabschnitte noch zu einer differenzierten Strategie des Einsatzes der Reihung vorgedrungen ist. Im Vordergrund standen bisher - neben allgemeinen Hinweisen auf die Erscheinung als solche vornehmlich Probleme inhaltlicher Art, z . B . die Abgrenzung von Paarformeln mit ge-
Formen und grammatische Struktur nebengeordneter Wortreihen
331
Welt) von reinen Reihungen Häuser, meinsamem Oberbegriff (Himmel und Erde Zäune, Menschen flogen durch die Luft), die Geschichte einzelner Paarforn ein, die Ansiedelung von Paarformeln in bestimmten Sinnbezirken, die Gliederung der Formeln nach der Art ihrer inhaltlichen Zusammensetzung (kollektiv, synonym, interpretierend, antithetisch), sodann Überlegungen zur Herkunft der Reihung (wobei zwei entgegengesetzte Meinungen sich gegenüberstehen: einerseits soll die Reihung volkstümliches Erbe sein, andererseits soll sie ihren Ursprung in der klassischen Rhetorik haben) und - auf letzterem basierend - Fragen ihrer Einfügung in die Rhetorik, Fragen vornehmlich nach dem Gebrauch bestimmter Stilfiguren der Variation wie Hendiadyoin, Tautologie 7 oder Epexegese . Im Rahmen von Arbeiten, die auf methodischen Ansätzen dieser Art fußen, ist man gelegentlich zu weiterführenden neuen Ansätzen vorgestoßen - so z.B. wenn der Gebrauch von Paarformeln in bestimmten Erzählsituationen auf statistischer Grundlage untersucht wird 8 , wenn aus Bedingungen der Verstehensnotwendigkeit im 14. Jh. die Verbindung9 zweier Heteronyme als Reihungsgrund und -prinzip in den Vordergrund gerückt wird oder wenn die Frage geklärt wird, welche Wortarten bevorzugt der Reihung unterliegen 1 ®. Rein formale Aspekte der Reihung hingegen werden selten berührt: überblickweise von O. Behaghel in seiner 'Deutschen Syntax' vom Standpunkt der generativen Grammatik aus (Einzeluntersuchungen dieser Richtung zusam12
menfassend) von Simon C. Dik
.
1.3. Aus dem sub 1.2. skizzierten Forschvingsstand leiten sich - in Verbindung mit der allgemeinen Thematik des Forschungsobjektes 'Herausbildung der syntaktischen Norm der nationalen Literatursprache' - Ziel und methodische Grundlegung der vorliegenden Untersuchung ab. Im Mittelpunkt steht eine Beschreibung des Verhaltens der typenbildenden strukturell-grammatischen Merkmale der Reihung zueinander - und zwar unter dem Aspekt ihrer speziellen Verwendungsart in den zugrunde gelegten Landschaften, Gattungen und Zeiträumen. Damit gewinnt der Begriff der Frequenz, 13 der auswählenden Benutzung dieser Merkmale durch die Sprachträger an Relevanz : völlig zurecht, denn für die Erforschung der Sprache als gesellschaftlichem Faktor ist eine bloße Strukturtypendeskription ohne Verhaltensbeschreibung bestimmter Sprachträgergruppen zu ermittelten Typen nicht ausreichend. Die Strukturbeschreibung als solche muß zum Sozialen hin geöffnet sein, weil System und einzelner sprachlicher Ausdruck zwar einander bedingen, die jeweilige konkrete Ausprägung aber zusätzlich gewisse Limitierungen durch die zeiteigene gesellschaftliche Bedingtheit in der Art der Verwendung der Sprachmittel erfährt. Diese spezielle Anwendungsart steht hier im Zentrum der Betrachtungen - und zwar, wie betont, die der formalen Reihungskonstituenten. Der Ausgang von formalen Strukturelementen bei Untersuchungen dieser Konvenienz ist in der neueren Forschung
332
Gerhard Kettmann
auch außerhalb der strukturellen Grammatik durchaus nicht ungewöhnlich; Parallelen, die die Fruchtbarkeit des heuristischen Ansatzes beweisen, vom zahlenmäßig aufbereiteten Befund des Untersuchungsgegenstandes zu Schlußfolgerungen über seine grammatisch/stilistischen Eigenheiten zu gelangen, lassen sich von verschiedenen Seiten her 14 beibringen
.
1.4. Bezogen auf den Untersuchungsgegenstand bedingen die vorstehend dargelegten allgemeinen methodischen Prämissen, daß seine Sprachverwendungsproblemätik innerhalb abgegrenzter Zeiträume von quantitativen Distributionsanalysen her aufgehellt werden wird. Methodischer Ausgangspunkt ist bei diesen Analysen im Falle der Reihung jedoch nicht die Opposition in sich bereits komplexer Reihungstypen (sie würde zudem wegen des Formenreichtums ein unübersichtliches Oppositionsschema ergeben), sondern die Opposition der den auftretenden Typen zugrunde liegenden Bauelemente. Das sind im einzelnen: - Zahl der gereihten Wörter zweigliedrig: Männer und Frauen arbeiten auf dem Feld, dreigliedrig: Männer, Frauen und Kinder arbeiten auf dem Feld, viergliedrig: Junge, Alte, Gesunde und Kranke waren vertreten, usw. - Art ihrer Verbindung bei zweigliedrigen Reihen syndetisch: Männer und Frauen arbeiten auf dem Feld, asyndetisch: Männer, Frauen arbeiten auf dem Feld, bei dreigliedrigen Reihen monosyndetisch: Männer, Frauen und Kinder arbeiten auf dem Feld, polysyndetisch: Männer und Frauen und Kinder arbeiten auf dem Feld, asyndetisch: Männer, Frauen, Kinder arbeiten auf dem Feld, bei mehrgliedrigen Reihen außer den gleichen Verbindungsmöglichkeiten wie bei dreigliedrigen Reihen stehen freie Formen zur Verfügung, z.B. 1. + 2. Glied/ 3. + 4. Glied syndetisch verbunden: Junge und Alte, Gesunde und Kranke waren vertreten. Axis dem Vergleich der Distribution der angeführten Kombinationsmöglichkeiten innerhalb der beiden gestaltgebenden .Grundkomplexe (Zahl der Glieder, Art ihrer Verbindung) ergibt sich - und darin besteht die Aufgabe, die in diesem Fragenkomplex zu lösen ist - zweierlei: 1. welche Kombinationsmöglichkeit dominiert in ihnen jeweils 2. wie ist in den herangezogenen Landschaften und Gattungen das Verhältnis des dominierenden Typs zu den restlichen Kombinationsmöglichkeiten.
Formen und grammatische Struktur nebengeordneter Wortreihen
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Von dem vorherrschenden Gebrauch bestimmter grammatischer Konkurrenzfälle aus können wesentliche Aussagen über die Art der Verwendung der Elementarformen der Wortreihung sowohl in zwei verschiedenen Zeiträumen als auch über ihre Entwicklung von einem Zeitraum zum anderen gemacht werden. Mit der Klärung dieser Grundfragen ist freilich nicht das Maximum an Aussagen über die formalen Bedingungen der Reihung überhaupt erreicht; Angaben zu speziellen Strukturfragen, die sich aus der Art ihrer Anwendung ergeben, müssen ergänzend hinzutreten. Sie betreffen einmal den Komplex 'Satz und Reihung', zum andern Mal den Komplex 'innere Struktur der Reihungsformeln', Zum ersten Fragenkreis (Satz und Reihung) gehören die Ermittlung des Verhältnisses Reihung - Nichtreihung in Einfachsätzen (also die Frage nach der Reihung als textkonstituierendem Element), ebenso muß in ihm analysiert werden, wie oft Wortreihungen in e i n e m Satz eingesetzt werden (also die Anzahl der Reihen pro Satz) und schließlich muß - vom Satzgliedangebot her - überprüft werden, welche Satzglieder eine besondere Reihungsaffinität aufweisen (also die Frage nach dem Ansatzpunkt der Reihung im Satz). Zum zweiten Fragenkreis (innere Struktur der Reihungsformeln) gehört in erster Linie eine Klärung der Frage, in welchem Maße die verschiedenen Wortarten zur Füllung der bisher nur durch die Anzahl der Glieder und die Art ihrer Verbindung charakterisierten Reihungsformeln herangezogen werden. Weiterhin ist in diesem Umkreis zu berücksichtigen, daß zur Basisformel subst + subst eine Fülle fakultativer Realisierungsvarianten gebildet werden kann - solche nämlich mit Erweiterung des ersten Gliedes (Typ: der alte Mann und das Meer), solche mit Erweiterung des zweiten Gliedes (Typ: der Mann und das aufgewühlte Meer) und schließlich solche mit Erweiterung des ersten und des zweiten Gliedes (Typ: der alte Mann und das aufgewühlte Meer). Das verlangt eine Antwort darauf, was für Realisierungsvarianten überhaupt auftreten (Existenz von Formen) und in welchem Umfang die auftretenden Varianten im konkreten Fall tatsächlich eingesetzt werden (Frequenz der Formen). Im Hinblick auf mögliche landschaftliche oder gattungsmäßige Verfestigungen einzelner Realisierungsvarianten, auf bestimmte Gebrauchsaffinitäten also, ist dies eine nicht unbedeutende Frage. Ihre Wichtigkeit wird noch von anderer Seite unterstützt: von der Feststellung Admonis nämlich, welch wichtige Rolle die Substantivgruppe beim Prozeß des Ausbaues von Elementar Sätzen in 15
der deutschen Sprache spielt , Zusammengefaßt stellt sich der Gang der Untersuchung also folgendermaßen dar: 1. ist die Zusammenfügung der typenbildenden Grundelemente der Wortreihung zu bestimmten Typen zu untersuchen (Ermittlung des herrschenden Reihungstyps, seine räumlich/gattungsmäßige Distribuierung und sein Verhalten gegenüber den anderen möglichen Reihungstypen)
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Gerhard Kettmann
2. sind spezielle Strukturfragen zu klären; und zwar solche 2.1. des Komplexes 'Satz und Reihung' (Verhältnis Reihung - Nichtreihung in Einfachsätzen, Anzahl der Reihen pro Satz, welche Satzglieder werden gereiht) 2.2. des Komplexes 'innere Struktur der Reihungsformeln' (welche Wortarten werden zur Bildung von Reihungsformeln verwendet, Feinstruktur der Basisformel subst + subst). Dazu treten ergänzend 3. ein detaillierter Vergleich der beiden untersuchten Zeiträume untereinander 4. ein Vergleich der gewonnenen Ergebnisse mit Angaben zeitgenössischer Grammatiken (aus den herangezogenen Zeiträumen) zum Untersuchungsgegenstand und Hinweise auf die Beschreibung des Reihungsgebrauches im gegenwärtigen Deutsch. 1.5. Zugrunde liegt der Abhandlung das S. 523 ff. angeführte und S. 33 ff. begründete Textkorpus: Jedem einer bestimmten Sprachlandschaft zugeordneten Gattungsbeispiel wurde - der Sicherung einer entsprechenden Vergleichsgrundlage wegen - möglichst die gleiche Anzahl von aufeinanderfolgenden Sätzen entnommen. Sie wurden auf ihren Bestand an Wortreihungen überprüft, dieser schließlich in gesonderte Mengeninventare zu den 16 unter 1.4. genannten Fragen aufgeschlüsselt. Um von Durchschnittswerten her generelle Eigenschaften bestimmen zu können, wurde nach den in der Einleitung dargelegten Grundsätzen verfahren. Jeder Text wurde also in gleicher Weise strikt formulierten Prozeduren und Kriterien unterworfen, um das im Sprachgebrauch Dominierende herauszufinden. Die auf Grund des beschriebenen Vorgehens entstandenen Tabellen zu den Teilfragen sind der Untersuchung in Auswahl beigefügt; Admonis Feststellung, die angeführten Daten besagten keineswegs, daß es im lintersuchten Zeitabschnitt keine Texte mit anderen Zahlen gäbe, getroffen im Hinblick auf seine syntaktischen Untersuchungen, gilt auch für sie: 'Aber' - so fährt Admoni fort - 'da die von mir untersuchten Texte für den betreffenden Zeitabschnitt nicht zufällig gewählt wurden, sondern repräsentativ sind, so sind' die erfaßten Verhältnisse 'für die Gesamtentwicklung aufschlußreich, allerdings 17 ohne diesen Prozeß vollständig widerzuspiegeln' . Immerhin: GültigkeitsCharakter und Spezifik der Sprachverwendung um 1530 und um 1730 sind trotz dieser notwendigen Einschränkungen deutlich ablesbar, ebenso kann die Frage beantwortet werden, ob und wenn ja - wo und in welcher Weise sich Umstrukturierungstendenzen erkennen lassen. Die der Untersuchungsart eigene Gesetzmäßigkeit bedingt auch die Art der Darstellung: Angewendet wird ein alphanumerisches System von Wortklassensymbolen, das kombiniert ist mit Zeichen für syndetische und asyndetische Verbindung. Die einzelnen R e i hungsformeln stellen sich in der Untersuchung demnach als eine mit Zeichen verbundene
Formen und grammatische Struktur nebengeordneter Wortreihen
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Sequenz von Wortklassensymbolen dar - /der alte Hund und das junge Pferd/ z. B. als art adj subst + art adj subst. Wo es notwendig ist, werden zusätzliche Einzelinformationen beigegeben - z. B. bei äer komplexen Wortart Adjektiv durch Indizes; sie spezifizieren die aus Frequenzgründen dieser Wortart subsumierten Wortklassen (z.B. adjj = Pronomina in adjektivischer Verwendung, adjg = Numeralia in adjektivischer Verwendung). Die Verschlüsselung der Reihungsformeln enthält somit Angaben über a - welche Wortarten werden gereiht b - Art der Verbindung einer Reihung c - zusätzliche Angaben über Wortartsubsumierungen. Zu Einzelheiten ist das Abkürzungsverzeichnis zu vergleichen.
336 2.
Gerhard Kettmann Zeitraum 1470 - 1530
2.1. Zum Stand der schreibsprachlichen Verwendung der Reihung Die nachfolgende Übersicht zeigt, daß die Reihung im ersten Untersuchungszeitraum ein voll ausgebildetes syntaktisches Fügungsmittel darstellt, obwohl man sich - bettet man das spezielle Thema in die allgemeine Entwicklung ein - zu vergegenwärtigen hat, daß mit ihr eine Erscheinung der Parataxe in einer Zeit des Ausbaues und Wachsens der 18
Hypotaxe untersucht wird . Das ist eine Tendenz, die, wie das folgende Beispiel verdeutlicht, das Gebiet der Wortreihungen keineswegs ausspart: In Jeremias 17 übersetzt Luther 1532 /sondern wird bleiben jnn der dürre, jnn der wüsten, jnn einem vnfruchtbarn vnd oden lande/. 1545 hingegen - in der letzten zu Luthers Lebzeiten erschienenen Ausgabe - lautet die gleiche Stelle: /Sondern wird19bleiben in der dürre, in der wüsten, in einem vnfruchtbarn Lande da niemand wonet/ . Trotzdem ist die Wortreihung als formales Satzgestaltungsmittel vom Bau keines der untersuchten Denkmäler - und das in allen herangezogenen Landschaften - zu trennen; ihre S. 332 beschriebenen Bauelemente werden überall zur Bildung von Wortreihen verwendet: 1. Zahl der gereihten Glieder - zweigliedrig: /mit frume vñ mit boßen wirt erfult das hauß/ I Vb. 1,4 - dreigliedrig: /vnd alle werlt ys in ehebreckerie vnreinichéiden vnde horerye vorsoppen/ I Fl. 5, 89 - mehrgliedrig: /Diße geben in einig zu den überflusß, weych leben, zarte ru vnd ein lustigs wesen/1 Fl. 2, 60 Die Zahl der Glieder (im vorstehenden Beispiel vier) ist innerhalb der Oppositionsgruppe mehrgliedrig sehr variabel; in Extremfällen beträgt sie über zehn (im zitierten Beispiel elf): /Ihr aussprach erscheint jnn . . . hayn/ krayn/ wayner/ hlynichin/ Rayner/ vlytin/ koyn/ royn/ voyt/ moyt/ sSyt/ I Fpr. 1,97 2. Art ihrer Verbindung - bei zweigliedrigen Reihen syndetisch: /dat scholdem se stede unde vast holden/1 Chr. 5,306 asyndetisch: /Der Artzt was ain grober, raucher man/1 Chr. 4, 21 - bei dreigliedrigen Reihen monosyndetisch: /so werd sie gemeysselt mit roß hung roß oly vñ eyer dotter/ I Fpr. 4,151 polysyndetisch: /Da blieben wir . . . vnd besuchten die sieben Heubt=Klrchenn vnd andere heilige Städte vnd viel Hochwirdig Heilthumbs/ I R . 1,38 asyndetisch: /Hedrich, Brune, Prellwitz zogen . . . zu Magdeburg/1 Chr. 1,418
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bei mehrgliedrigen Reihen variable Formen, z. B.: /Item dit is eyn oghen salue (1 + 2 / 3 + 4) wedder 'den vly vnde wedder yukent, wedder de Vinnen vnde weder vorkerden bran/ I Fpr. 5,139 In gesonderten Betrachtungen ist zu überprüfen, welcher der aus diesen Bauelementen gebildeten Formeltypen am häufigsten ist und wie sich in den herangezogenen Landschaften und Gattungen das Verhältnis des dominierenden Typs zu den restlichen Kombinationsmöglichkeiten darstellt; ob also landschaftlich oder gattungsmäßig bedingte Gebrauchseigenheiten im Bereich der formalen Grundstruktur von Wortreihen existieren. 2,2. Die formale Grundstruktur von Wortreihungen in den herangezogenen Sprachlandschaften Die in 2.1. für den 1. Zeitraum undifferenziert nach Landschaften und Gattungen nachgewiesenen Kombinationsgrundlagen für Wortreihungen (ihre Bauelemente also) finden sich in ihrer Ganzheit jeweils separat auch in jeder der fünf Sprachlandschaften, in die das deutsche Sprachgebiet in seiner zwischen 1470 und 1570 existierenden Ausdehnung eingeteilt wurde. Um den Belegapparat zu entlasten, wird jedoch darauf verzichtet, für jedes Bauelement (2 Glieder, 3 Glieder, mehrgliedrig; syndetische Verbindung zweier Glieder, asyndetische Verbindung zweier Glieder etc. - vgl. S. 332) Beispiele aus a l l e n Landschaften (und allen Gattungen) anzuführen. Statt dessen ist der Belegteil so aufgebaut, daß durch Aneinanderreihung der Beispiele jede Landschaft (und jede Gattung) innerhalb der Untersuchungskomplexe 'Zahl der gereihten Glieder', 'Art ihrer Verbindung' (getrennt nach Verbindung zweier Glieder und nach Verbindung dreier Glieder) vertreten ist. Aufbauend auf diesem gerafften Belegverfahren wäre ein Zitieren von Beispielen für die Verwendung jedes einzelnen Bauelementes in jeder Landschaft (und Gattung) zwar ohne weiteres möglich, es kann jedoch der Gleichförmigkeit der Belege halber in der praktizierten Weise verkürzt werden. - zweigliedrig: omd. wmd. - dreigliedrig: oobd. wobd. - mehrgliedrig: nd.
/alles ist köstlichen mit golde vnd Silber eingefast/ I R . 1,34 /Dann jre kleydung was von heüten vnd fellwerck/ I Fl. 2, 57 /vil Brüester, Pfarrer und Münich hetten all Tag Meßen/ I Chr. 3, 323 /Vnd die gebent, die rürung vnnd die bewegung vnnd vbunge/ I Fpr. 4,19 /vñ (de stad) was mit kostlyken muren vn tornen, pallasen vnde borgen geczirt/1 Vb. 5,80
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Art der Verbindung - bei zweigliedrigen Reihen syndetisch: wmd. oobd. asyndetisch: omd. wobd.
/so müß von not wegen kelt vnd finsterniß auß gehen/1 Fpr. 2,8 /Dem sey Ere vnd glory/ I R . 3, d ü a /und so musten die armen frommen leute bleyben sitzen/ IChr. 1,305 /Es mag sich aber ein oberkeit so grob vnverschampt seins gewalts mißbrauchen/1 Fl. 4,82 /In dem vmegange der stat was eyn lanck, s Ii cht velt/1 Vb. 5,80
nd. - bei dreigliedrigen Reihen monosyndetis ch: omd. /Da ist Vergebung Pein vnd schuldt/1 R. 1, 77 wmd. /har wir getan in der gemeinen stadt Menze ere, notze und in dem besten/1 Chr. 2,246 polysyndetisch: /da sehestu ein wust vnd ein hauffen Esel vnd knecht/1 FL 3b, 178 oobd. /und van den donnerdach up fridach hebbe wy enen groten storm nd. gehat und donnernde und blixemmede/ I Vb. 5,190 asyndetisch: /vn vif die nat leg das puluer von sanguis draconis. Olibanü. wóbd. Ey er schalen kalck/1 Fpr. 4,152 - bei mehrgliedrigen Reihen variable Formen, z. B . : omd.
oobd.
/Das capittel und Apell von Tettaw, Vincentius und Heinrich von Ammendorff waren . . . kommen/ I Chr. 1,418 /ir thun nit den fluchen, schelten, toben vnd den lüten bSses winschen/ I Fl. 2, 72 /vn der benant ritter was gar langkh größ vn starckh vn wol
wcbd.
geschickt/I Vb. 3,23 /Es ist auch da gemartret worden Sant Vitalis, der ritter S.
wmd.
Gervasius und Prothasius vatter und vil ander/1R. 4,291 Atem dit is eyn oghen salue wedder den vly vnde wedder yukent, wedder de Vinnen vnde weder vorkerden.bran/1 Fpr. 5,139 Der Aufzählung folgend treten also auf (die Zahlen bezeichnen die Glieder in ihrer Reihenfolge): nd.
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omd. //1+2/3+4// wmd. / / 1/2/3 + 4 / / oobd. / / 1/2 + 3 + 4 / / wobd. / / 1/2 + 3 + 4 / / nd. / / 1. + 2/3 + 4 / / Die paradigmatische Anführung von im 1. Zeitabschnitt möglichen formalen Reihungsstrukturen läßt in den Bereichen der typenbildenden Grundelemente 'Zahl der gereihten Glieder' und 'Art ihrer Verbindung' zunächst erkennen, daß für ihren Einsatz in allen Landschaften grundsätzlich gleiche Ausgangsbedingungen bestehen. Von einer solchen Warte aus taucht natürlich die Frage auf, in welcher Weise die Bauelemente in den einzelnen Landschaften zu bestimmten Typen kombiniert werden und wie sich die Landschaften dabei zueinander verhalten. Um sie exakt beantworten zu können, ist es nötig, vom Verhältnis der einzelnen Landschaftsdurchschnitte zum jeweils in Frage kommenden Gesamtdurchschnitt auszugehen. 2. 2. 1. Im Falle 'Zahl der gereihten Glieder' ist dieses Verhältnis recht eindeutig: Zu 83,0 % bestehen die Formeln aus zwei Gliedern, zu 9,8 % aus drei Gliedern, zu 6,8 % aus mehr als drei Gliedern (mehrgliedrig also). Das heißt, wenn im ersten Zeitraum im deutschen Sprachgebiet Reihungsformeln eingesetzt werden, geschieht das zu rund 4/5 in zweigliedrigem Zustand. Das Dominieren dieser Reihungsformel war zu erwarten: ihr Einsatz ist von der Sache her der wahrscheinlichste. Zu diesem nicht differenzierten generellen Befund nun verhalten sich die einzelnen Landschaften in relativ gleicherweise: Omd. beträgt ihr Anteil 82, 7 %, wmd. 81,4 %, oobd. 82,1 %, nd. 83, 5 %. Lediglich das Wobd. liegt mit 85,6 % etwas über dem Durchschnitt aller anderen Sprachlandschaften. Beim Einsatz der eindeutig herrschenden zweigliedrigen Formel bestehen demnach keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen den Landschaften, die jeweilige Differenz zum Gesamtdurchschnitt (die Streubreite also) ist nur gradueller, nicht jedoch prinzipieller Art. Daß das jeweils stärkste Auspendeln nach der einen oder anderen Seite sich im Westen des deutschen'Sprachgebietes zeigt (2, 6 % + im Wobd., 1,6 - im Wmd.), darf bei den eng beieinander liegenden Zahlen für die hier behandelte Fragestellung nicht überbetont werden, es erhält aber möglicherweise Gewicht im Vergleich mit den Untersuchungsergebnissen zu anderen syntaktischen Erhebungen in diesem Band. Von dem Bestand an zweigliedrigen Formeln aus gesehen, ist der zur Verfügung stehende Spielraum für den Einsatz drei- und mehrgliedriger Formeln relativ gering: Zu 9,8 % füllen ihn also dreigliedrige Formeln, zu 6,8 % mehrgliedrige (vgl. oben). Eindeutig wird er somit zugunsten dreigliedriger Formeln genutzt, mehrgliedrige treten entsprechend zurück. Sie sind - vom Gesamt her betrach-
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tet - als Extremfälle anzusehen, in deren Umkreis keinerlei Restriktionen bestehen. Die Spanne reicht von fünfgliedrigen Formeln (Typ: /ouch saich ich wilde kattzen ratten muyse egel ind ander seltzam deir/ I R . 2, 206 f.) bis hin zu solchen mit über zehn Gliedern (Typ: /und yn diser lieb solt nicht angesehen werden nütz oder unnütz, frommen oder schaden, gewin oder verlust, ere oder vnere, lob oder unlobe oder dyser 9fl keynß/1 Fpr. 2,11 ). Die Einzellands chatten nun verhalten sich in diesem Bereich wie folgt zueinander: Dicht um den Gesamtdurchschnitt bewegen sich die Zahlen für dreigliedrige Reihen: Omd. 10,1 %, wmd. 10,1 %, oobd. 10,0 %, wobd. 9, 3 % und nd. 9, 7 %. Die Streubreite innerhalb dieser Gruppe liegt demnach unter 1,0 %, ist also bedeutungslos. Breiter gefächert (unter den Bedingungen einer relativen Geschlossenheit) sind die Landschafts durchschnitte hingegen wieder im Bereich der mehrgliedrigen Formeln: Das Wobd. liegt mit 4,8 % um genau 2,0 % unter, das Wmd. mit 8,1 % um 1,3 % Uber dem Gesamtdurchschnitt. Das ergibt sich daraus, daß beide Landschaftsdurchschnitte bei den zweigliedrigen Formeln (geringfügig) von der sonst ausgeglichenen Haltung zum Gesamtdurchschnitt abwichen; diese Differenz wird hier wieder ausgeglichen. 2. 2. 2. Die Verhältnisse im Bereich 'Art der Verbindung' sind getrennt zu behandeln nach a - Art der Verbindung bei zweigliedrigen Formeln b - Art der Verbindung bei drei- und mehrgliedrigen Formeln. ad a - Mit 94,1 % stellt bei den zweigliedrigen Formeln syndetische Verbindung der Reihenglieder die fast allein herrschende Art der Sprachverwendung dar. Omd. (95,2 %) und wmd. (93,1 %) Landschaftsdurchschnitt liegen dem Gesamtdurchschnitt am nächsten, der nd. Durchschnitt ist am auffälligsten darüber (3,1 %), der wobd. am stärksten darunter gelagert (2, 3 %). Damit gehört wieder eine der oberdeutschen Sprachlandschaften zum Kreis der Landschaften, deren Streubreite zum Gesamtdurchschnitt hin relativ groß ist. Dieser Lagerung entsprechend ist der Anteil der nd. Landschaft - gemessen am asyndetischen Restbestand von 5,9 % - sehr niedrig (2,8 %), der Anteil der wobd. Landschaft dagegen sehr hoch (8, .8 %). Insgesamt gesehen ist im Bereich der Verbindung von zweigliedrigen Formeln die Streubreite zum Gesamtdurchschnitt hin zwar größer als im Bereich 'Anzahl der verbundenen Glieder', sie hält sich aber mit Werten von 5,4 % bei syndetischer, 6,0 % bei asyndetischer Reihung durchaus noch in überschaubaren Grenzen. Damit ist ausgedrückt, daß auch hier die einzelnen Landschaftsdurchschnitte noch relativ eng beieinander liegen, ad b - In dieser (relativen) Geschlossenheit ist das nicht mehr der Fall bei der Verbindung von drei und mehr Gliedern, Den S. 338 angeführten Beispielen ist zu entneh-
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men, daß monosyndetische, polysyndetische, asyndetische und (bei mehr als drei Gliedern) restliche Verbindungsweisen zur Verfügung stehen. Sie werden - vom Gesamt der diesbezüglichen Fälle her betrachtet - in folgender Weise genutzt: monosyndetisch = 49,3 %, polysyndetisch = 25,8 %, asyndetisch = 16,4 %, restliche Verbindungsweisen = 8, 0 %. Monosyndetische Verbindung liegt also an der Spitze; sie ist fast bei der Hälfte aller drei- und mehrgliedrigen Reihen anzutreffen. Die Landschaftsdurchschnitte liegen nun freilich nicht mehr so dicht beieinander wie das bisher der Fall war; die vergleichende Gegenüberstellung der Werte zeigt folgendes konkrete Bild: Gegenüber dem Gesamtdurchschnitt von 49, 3 % bei der monosyndetischen Reihung bleiben die zugrunde liegenden Landschaftsdurchschnitte (55,4 % = omd., 55, 2 % = wmd., 42, 7 % = oobd., 43,0 % = wobd., 50, 3 % = nd.) zunächst noch in einem Streubereich, wie er sich auch bisher schon zeigte. Auffällig ist aber, daß die beiden obd. Sprachlandschaften mit ihren Werten relativ weit (rund 6 %) unter dem Gesamtdurchschnitt liegen, die beiden md. relativ weit darüber (ebenfalls rund 6 %). Das hat u. a. seinen Grund darin, daß die Verwendung der polysyndetis chen Verbindungsweise in beiden Landschaftsgruppen eine verschiedene ist. Bei ihr zeigen sich überhaupt stark auseinanderlaufende Tendenzen. Bis auf das Nd. (28,4 %) liegen alle anderen Landschaften weit von dem Gesamtdurchschnitt (25, 8 %) entfernt. Die omd. Sprachlandschaft liegt 9, 7 %, die wmd. 11, 3 % darunter, die oobd. 12,1 % und die wobd. 6, 5 % darüber. Größere Abweichungen (wenn auch insgesamt nicht so bedeutende) zeigen sich auch bei der asyndetischen Verknüpfving von drei und mehr Gliedern; das Omd. liegt 7, 3 % über dem Gesamtdurchschnitt bei der Verwendung dieser Möglichkeit, das Oobd. - um die beiden Eckdaten der Streubreite aufzuzeigen - 5, 8 % darunter. Es fällt auf, daß die beiden westdeutschen Sprachlandschaften zusammengehen; sie liegen dicht am Gesamtdurchschnitt. Insgesamt lassen sich im Hinblick auf diesen Komplex recht aufschlußreiche Beobachtungen machen: Abgesehen von korrelierenden Streubreiten zeigt sich, daß im Falle der Verbindung von drei- und mehrgliedrigen Formeln keine der Landschaften oder Landschaftsgruppierungen bei allen vier Möglichkeiten dicht bei den jeweiligen Gesamtdurchschnittswerten liegt; jede von ihnen entfernt sich - und das zum.Teil recht weit - sowohl nach oben als nach unten von ihnen. Das Gesamtbild ist also stark aufgefächert; am ehesten tendiert noch das Nd. zu den jeweiligen Durchschnittswerten. Trotz dieser Schwankungen in sich bleibt das Gesamtverhältnis der einzelnen Verbindungsmöglichkeiten zueinander freilich im großen und ganzen stabil, wenn auch einzelne Unterschiede - und das war bisher nicht der Fall - z.B. in den Bereichen polysyndetische und asyndetische Verbindung nahezu eingeebnet werden - so wenn im Omd. nur 16,1 % der Fälle polysyndetisch verbunden werden, 16,4 % jedoch der Gesamtdurchschnitt der asyndetischen Verbindung beträgt. Das Omd. stellt sich damit hier eindeutig gegen die herrschende
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Art der Sprachverwendung, wählt aber (im Verein mit dem Wmd.) - und das ist, auch im Hinblick auf die Gründe des starken Schwankens in diesem Bereich, von großer Wichtigkeit - damit die 'modernere' Verbindungsweise: Polysyndetische Verknüpfung nämlich ist nach den Feststellungen Behaghels (vgl. Anmerkung 11, § 1043) die Widerspiegelung c'es genetisch älteren Zustandes, an dem im Gegensatz zum Md. die beiden oberdeutschen Landschaften noch stark festhalten. 2. 3. Gattungen und formale Grundstruktur von Wortreihungen Die bisher behandelten Fragen galten dem Vergleich der Verwendung von Oppositionsmöglichkeiten im Bereich der Reihungsgrundelemente durch die Landschaften. Bezugspunkt war dabei der ermittelte Gesamtdurchschnitt der jeweiligen Verwendungsweisen. Aber auch die Landschafts durchschnitte ihrerseits sind keine absoluten, sondern in sich zusammengesetzte Größen; sie resultieren aus den Werten der ihnen zugrunde gelegten Gattungen. Diese sind keineswegs immer miteinander identisch; es ist von einer solchen Sachlage aus also zu überprüfen, in welchem Umfange und in welcher Weise sich gattungsbedingte Besonderheiten gegenüber dem gesamtdurchschnittlichen Verhalten zeigen. Grundsätzlich ist einleitend vorauszuschicken, daß die S. 336 undifferenziert nach Landschaften und Gattungen nachgewiesenen Bauelemente für Wortreihungen alle auch separat in jeder der fünf für den ersten Zeitraum ausgewählten Gattungen (Reisebeschreibung, Chronik, Flugschrift, Fachprosa und Volksbuch) auftreten. Eine diese Aussage bestätigende Beispieldarbietung erübrigt sich an dieser Stelle; die S. 337 dem Landschaftskapitel vorangestellte Paradigmensammlung ist so angelegt, daß sie die Verwendung der einzelnen Bauelemente gleichermaßen für Landschaften und für Gattungen ausweist. Das heißt: A priori bestehen auch für den Einsatz der Reihungsgrundelemente für alle Gattungen gleiche Ausgangsbedingungen; Reihung ist eine Sprachform mit Nullfärbung, die - isoliert betrachtet - jedem beliebigen Stilsystem, jedem beliebigen Text zugeordnet werden kann, ohne daß ihr Gebrauch als unangemessen, als Stilbruch empfunden würde. 2.3.1. Im Falle 'Zahl der gereihten Glieder' wird bei der Untersuchung der Gattungen bestätigt, daß Formeln aus zwei Gliedern dominieren: 4/5 der vorkommenden Fälle werden auch in den einzelnen Gattungen von ihnen gestellt. Insgesamt aber sind die Streubreiten vom Gesamtdurchschnitt in ihnen größer als in den Landschaften. Addiert man nämlich (im Bereich der zweigliedrigen Formeln) die größte Streubreite nach unten und die größte nach oben zu einem + / - Streufaktor, so beträgt dieser im Bereich der Gattungen 21 8 , 0 %, im Bereich der Landschaften hingegen nur 4, 2 % . 22 Aufschlußreich ist, daß die volkstümliche Sprechweise einbeziehenden Gattungen Volksbuch (mit 86, 2 %) und Flugschrift (mit 85, 6 %) am weitesten über dem zweigliedri-
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gen Gesamtdurchschnitt (83,0 %) liegen, hingegen die eine andere Ebene literarischer Äußerung verkörpernden Chroniken und Fachprosawerke mit einem Durchschnitt von 80, 5 % und 78, 2 % den Gebrauch zweigliedriger Formeln am stärksten einschränken. Im Einzelfall werden diese Durchschnittszahlen sogar noch beträchtlich überschritten - z. B. von dem wobd. Volksbuch (Till Eulenspiegel), das (bei einem Volksbuchdur chschnitt von 86, 2 %) einen Anteil von 89, 7 % zweigliedriger Reihen aufweist oder, um ein weiteres Beispiel anzuführen, von der nd. Flugschrift (B. Rotmann: Restitution rechter und gesunder christlicher Lehre), die mit einem Bestand von 93,6 % zweigliedriger Formeln aufwartet (bei einem Gattungsdurchschnitt von 85, 6 %). Das gleiche gilt für den Bereich Chroniken/Fachprosa: Unter den Gattungsdurchschnitten von 80, 5 % (Chronik) und 78, 2 % (Fachprosa) liegen hier vor allem die oobd. Chronik (Landshuter Raths ehr onick) mit einem Anteil von 73, 8 % und die nd. Fachprosa (Stockholmer mnd. Arzneibuch) mit 73,0 % zweigliedriger Formeln. Streubreiten in den aufgezeigten Größenordnungen verengen oder erweitern natürlich die Möglichkeit, drei- und mehrgliedrige Formeln zu bilden, beträchtlich. Entsprechend den eben dargelegten Verhältnissen sind sie in den Gattungen Flugschrift (hier vor allem mehrgliedrige Reihen) und Volksbuch am schwächsten vertreten, am stärksten in Chroniken (hier vor allem dreigliedrige Reihen) und in der Fachprosa (hier vor allem mehrgliedrige Reihen, ihr Anteil ist in dieser Gattving höher als der der dreigliedrigen Formeln). Der jeweilige Gattvingsdurchschnitt ist auch im Bereich der drei- und mehrgliedrigen Reihen z . T . wieder weit aufgefächert: Extrem niedrig z.B. ist mit 2, 0 % der Anteil mehrgliedriger Reihen am wobd. und am nd. Volksbuch, relativ hoch (17,4 % gegenüber einem Gattungsdurchschnitt von 12,0 %) der Anteil mehrgliedriger Reihen am Reihungspotential der nd. Fachprosa. Formeln wie /neym Witten kalcke, dat vette van beuergheilen, witte was ind boum olie/ I Fpr. 5, 93 /Vnd zu den / hart / hlrt / pfert / walt / kalt / solt / munt / hunt / setzen sie . . . das d fürs t / I Fpr. 1,105 stellen also für die Fachprosa gattungstypische Spezifika dar, ebenso für die Chroniken Beispiele wie /Zum ersten hat man vf die zit aller lipgedingsgulten . . . mit manschaft, verbunteniß und schriberlohne geben/ I Chr. 2,138 /Die meister hatten ehre, gleich und recht vor Schlegell gebotten/ I Chr. 1, 303.
2.3. 2. Die Verhältnisse im Bereich 'Art der Verbindung' werden wieder (vgl. 2. 2.2.) getrennt behandelt nach
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a - Art der Verbindung bei zweigliedrigen Formeln b - Art der Verbindung bei drei- und mehrgliedrigen Formeln. ad a - Die dominierende Rolle syndetischer Verknüpfung bei der Reihung zweier Glieder wird durch Prozentsätze zwischen 90,0 % (Reisebeschreibung) und 99,1 % (Volksbuch) dokumentiert. Geht man von ihrem Gesamtdurchschnitt aus, bedeutet das einen + / - Streufaktor von 9,1 %. Bei den Landschaftsdurchschnitten beträgt er im entsprechenden Bereich 5,4 %. Das heißt: Auch in diesem Falle (vgl. 2.3.1.) werden bei der Wahl von Varianten gattungsspezifische Faktoren wieder stärker wirksam als lands chaftsspe zifis che. Unter dem Gesamtdurchschnitt von 94,1 % liegt mit 92, 6 % auch hier die Fachprosa, sie wird freilich von der Gattung Reisebeschreibung noch unterboten: Diese weist mit einem Anteil von 90,0 % den niedrigsten Bestand an syndetischer (und dementsprechend den höchsten an asyndetischer) Reihung auf. Über dem Gesamtdurchschnitt der syndeti§chen Reihung liegen die Flugschriften (95,1 %) und vor allem die Volksbücher (99,1 %) also wieder die volkstümlichen Gattungen. Der eben beschriebene Trend wird von Gattungseinzelbeispielen her verdeutlicht - so, wenn zum Beispiel in der Gattung Volksbuch in drei von fünf Titeln (Salomon und Markolf - omd., Pontus und Sidonia - wmd., Till Eulenspiegel - wobd.) asyndetische Reihung in den untersuchten Textteilen völlig fehlt oder wenn - im umgekehrten Falle - die wmd. Reisebeschreibung (Die Pilgerfahrt des Ritters Arnold von Harff . . . ) mit einem ungewöhnlich hohen Prozentsatz an asyndetischer Reihung aufwartet: 22,9 % gegenüber einem Gattungsdurchschnitt von 10, 0 %. Beispiele der folgenden Art sind also typisch für die Verwendung zweigliedriger Reihungen in den Reisebeschreibungen und in der Fachprosa: /Jerusalem daz hailig grab ze suchen, ist ain hailige begirliche fart . . . / I R . 4,288 /vil dar in solt du habenn etlich puluer zu etzen das vberflüssig . vnnatürlich fleisch/ I Fpr. 4, 35 ad b - Auch die Gattungsdurchschnitte lassen - analog den Landschafts durchschnitten im hier zu behandelnden Bereich einen weit weniger geschlossenen Zustand erkennen als dies in den bisher besprochenen Komplexen der Fall war. Wenngleich auch der grundsätzliche Rahmen im Verhältnis der drei Möglichkeiten zueinander nie gesprengt wird, so zeigt sich doch auch hier wieder eine weit elastischere Stabilität als sonst. Sie e r hält durch folgende symptomatische Eigenheiten ihr Profil: Bei der monosyndetischen Verbindung weisen drei Gattungen spezifische Verhaltensweisen auf und bewirken dadurch einen relativ hohen + / - Streufaktor in diesem Bereich: Die Volksbücher und die Chroniken liegen - auf Kosten asyndetiächer und restlicher Verbindungsweise - weit über dem Gattungs durchschnitt, die Fachprosa - zugunsten asyndetischer Verbindung - weit darunter. Beispiele wie
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/ E s waren so vil spillute, heralt, vnd porzevant darkammen/ IVb. 2,130 /Also nam der hertzog von Wirttenberg vll stett, schlcs und dörfer ein/ I Chr. 4,11 sind daher typisch für Volksbücher und Chroniken, solche wie /vn vff die nat leg das puluer von synguis draconis. Olibanü. Eyerschalen kalck/ I Fpr. 4,152 kennzeichnend für Werke der Fachprosa. Auffällig ist, daß im Bereich der Gattungen die Streubreite im Komplex polysyndetische Verbindung nicht so groß ist wie in dem der monosyndetischen. Im Bereich der Landschaften war hier das Verhältnis umgekehrt. Trotzdem zeichnen sich sehr aufschlußreiche Verhältnisse ab. Die Flugschriften nämlich, also eine volkstümliche Elemente einbeziehende Gattung (vgl. Anmerkung 22), benutzen diese Verbindungsart entschieden am häufigsten. Einiges Gewicht erhält diese Wahl, bezieht man sie auf den Leserkreis dieser Gattung; es scheint Anpassung an den volkssprachlichen Gebrauch vorzuliegen. Von Bedeutung aber ist, daß gerade die omd. und wmd. Flugschrift (mit je 8,3 %) weit unter dem Gattungsdurchschnitt von 32,1 % liegen; hier zeichnet sich sehr deutlich eine Anpassung an den landschaftstypischen Gebrauch dieser Verknüpfung ab - beide Landschaften (vgl. S. 341 f.) heben sich bekanntlich mit ihrer starken Einschränkung der polysyndetischen Verbindung auffällig von den anderen Sprachlandschaften ab. In diesen Rahmen fügt sich ein, daß - auf der Grundlage starker LandschaftsPotentiale - die beiden obd. Flugschriften einen sehr hohen Bestandteil polysyndetischer Fügungen aufweisen. Sätze wie /der Luther ist nhun czu leyptzig, zu augspurg vnd zu wormbs wol bestanden/1 FI. 1, 38 sind demnach ein Kennzeichen der Verknüpfung von drei Gliedern in md. Flugschriften, solche wie /da sehestu ein wust vnd ein hauffen Esel vnd knecht/ I Fl. 3,178 ein Kennzeichen obd. Flugschriften. Nicht unangebracht dürfte der Hinweis sein, daß die Volksbücher - also ebenfalls eine Gattung, die in volkstümlichen Bezügen steht - die Möglichkeit polysyndetischer Reihung nicht überbetonen, wohl aber (auf Kosten asyndetischer Verbindung) einen sehr hohen Prozentsatz (58,0 %) monosyndetischer Bindung aufweisen; demnach also die 'modernere' Verbindungsweise benutzen (vgl. S. 342). Die asyndetische Verbindung der Glieder schließlich wird stark von den Gattungen Reisebeschreibung (26,0 %) und Fachprosa (26,8 %) frequentiert, beide liegen mit ihren Anteilen weit über dem Gesamtdurchschnitt von 16,4 %. Asyndetische Verbindung ist hier demnach als ausgesprochenes Gattungsspezifikum anzusehen - z.B.
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Gerhard Kettmann /der was ain schlechter armer ruher knapp/ I R . 4, 291 /Item weder dat swel der n o e t . . . seyde in bere ofte in wyne swerdelen wartelen, wytte mynte, leuerstock, glumyken/ I Fpr. 5,107.
Auffällig ist - darauf wurde schon hingewiesen -, daß in den Volksbüchern hingegen asyndetische Verknüpfung gern vermieden wird. Sie findet sich - und dieser Befund ist aufschlußreich - lediglich in 'Salomon und Morolf' (omd.); die untersuchten Textstellen aus den Volksbüchern der anderen Landschaften dagegen weisen keine Beispiele auf. 2.4. Landschaften, Gattungen, Sprachverwendung Die Untersuchung der Oppositionsverhältnisse in den typeribildenden Bauelementgruppen der Wortreihung (Anzahl der gereihten Wörter, Art ihrer Verbindung) war auf zwei Punkte hin ausgerichtet: 1. welche Kombinationsmöglichkeit dominiert.in ihnen jeweils 2. wie ist in den herangezogenen Landschaften und Gattungen das Verhältnis der auf Grund der möglichen Kombinationen entstandenen Typen zueinander (Verhältnis des dominierenden Typs zu den restlichen Kombinationsmöglichkeiten). Zum ersten Punkt läßt sich zusammenfassend sagen, daß klare Dominanzverhältnisse 23 erkennbar sind : zweigliedrig 83,9 % asyndetisch verbunden 4,5%
syndetisch 95, 5 % dreigliedrig, mehr als dreigliedrig 15, 6 % monosynd.
polysynd.
asynd.
restl. verbunden
44,9%
9,6%
36,4%
8,9%
Eindeutig herrschen - ohne den Einsatz zu differenzieren - demnach zweigliedrige Formeln; sie stellen 83,0 % des gesamten Reihungspotentials. In den Rest teilen sich dreigliedrige Formeln (9,8 %) und mehr als dreigliedrige Formeln (6,8 %). Das heißt: Rund 4/5 aller Reihungsformeln zwischen 1470 und 1530 weisen einen zweigliedrigen Bau auf. Als dominierende Verbindungsart des zweigliedrigen Typs ist die syndetische Verknüpfung anzusehen: Zu 94,1 % wird sie angewendet. Bei drei- und mehrgliedrigen
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Formeln dagegen steht - ihrem Bau gemäß - eine größere Zahl von Verbindungsarten zur Verfügung, die ihnen entsprechenden Prozentzahlen weisen daher auch ein differenzierteres Bild auf. Knapp zur Hälfte (49, 3 %) werden Formeln dieses Typs monosyndetisch verbunden, rund ein Viertel der hierher gehörenden Fälle (25,8 %) ist polysyndetisch und 16,4 % sind asyndetisch verknüpft. Restliche, nicht in diese Trias einzuordnende Verbindungsweisen machen 5,0 % aus. Insgesamt lassen sich somit also auch beim Gesamtbestand an drei- und mehrgliedrigen Formeln klare Mehrheitsverhältnisse hinsichtlich ihres Verbindungsmechanismus erkennen. In der realen Anwendung der aufgezeigten Möglichkeiten - und damit gehe ich zum zweiten Punkt über - bestehen nun freilich sowohl von Landschaft zu Landschaft als auch von Gattung zu Gattung Unterschiede und damit Abweichungen vom generellen zeiteigenen Sprachgebrauch. Die jeweilige Stärke dieser Abweichungen aber ist wichtig im Hinblick auf die Frage, welche Rolle sprachlandschaftliche und welche Rolle gattungsbedingte Faktoren beim Gebrauch von Wortreihungen spielen. Fragt man nach der Haltung der Landschaften zu den Grundelementen der Wortreihungsstrüktur, so ergibt der Überblick, daß bei der Wahl dieser oder jener der im Einzelfall möglichen Varianten sprachlandschaftliche Eigenheiten durchaus Akzente nach der einen oder nach der anderen Seite setzen können, daß insgesamt aber doch die Differenzen zwischen den landschaftseigenen Durchschnittswerten und dem Gesamtdurchschnitt - bis auf eine Ausnahme im Bereich der monosyndetisch/polysyndetisch/ asyndetischen Verbindung bei drei- und mehrgliedrigen Formeln - sich in relativ engen Spielräumen bewegen und damit eine starke Betonung sprachlandschaftlicher Gegensätze vermissen lassen. Die folgenden Beispiele verdeutlichen das: Das Wmd. weist zwar den höchsten Anteil von mehrgliedrigen Reihen auf, es liegt damit aber nur 1,3 % über dem Gesamtdurchschnitt; das Wobd. weist den höchsten Prozentsatz zweigliedriger Reihen auf und liegt damit 2,6 % über dem Gesamtdurchschnitt; ebenfalls im Wobd, ist eine Häufung asyndetischer Bindung zu erkennen - ihr Anteil ist aber nur 2,9 % höher als der Gesamtdurchschnitt. Aus der summierenden Zusammenschau solcher Differenzen schält sich heraus, daß keine der Sprachlandschaften allein in allen untersuchten Komplexen jeweils den Gesamtdurchschnitt verkörpert. Aus der relativ dicht beieinander liegenden Landschaftsgruppe weicht bei den untersuchten Erscheinungen jede der Einzellandschaften (in den aufgezeigten Grenzen) sowohl nach der Plusals auch nach der Minusseite von ihm ab. Das Bild verschiebt sich, vergleicht man die Gattungsdurchschnitte mit den entsprechenden Gesamtdurchschnitten. Sie liegen nicht mehr so dicht beieinander, die Differenzen zum Gesamtdurchschnitt sind zum Teil beträchtlich - so z.B., wenn die Fachprosa bei der Reihung mehrgliedriger Formeln 5, 2 % über dem Durchschnitt liegt und die asyndetische Verknüpfung in dieser Gruppe 10, 4 % stärker vertreten ist als der Ge-
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samtdurchschnitt dafür nachweist, die Volksbücher mit der mehrgliedrigen Reihung hingegen 2,0 % unter dem Durchschnitt, mit ihrer asyndetischen Verbindung sogar 13, 6 % unter dem Gesamtdurchschnitt liegen. Die durch Streubreiten dieser Größenordnung im Bereich der Gattungen entstehenden+/- Streufaktoren (also die Differenzwerte zwischen maximaler und minimaler Abweichung vom Gesamtdurchschnitt) sind - bis auf eine Ausnahme bei der polysyndetischen Verknüpfung von drei- und mehrgliedrigen Formeln in den Gattungen größer als in den Landschaften. Das legt den Schluß nahe, daß in den bisher untersuchten Komplexen in der Regel der durch einen bestimmten Mitteilungscharakter sich auszeichnende Gattungstyp in stärkerem Maße über den Reihungsgebrauch entscheidet als die Landschaft, Wie wenig es andererseits aber angeht, sprachlandschaftlichen Einfluß völlig zu negieren, beweist das Verhalten bei der vom sonstigen Usus abweichenden Anwendung polysyndetischer Verbindung in der omd. und wmd. Flugschrift (vgl. S. 345). 2.5. Spezielle Strukturfragen S. 333 wurde bereits darauf hingewiesen, daß mit der Klärung der bisher behandelten Grundfragen keineswegs ein Maximum an Aussagen über die formalen Bedingungen der Reihung erreicht sei. Ergänzend müssen im Anschluß an ihre Behandlung Angaben zu speziellen Struktur fragen hinzutreten, insbesondere Angaben, die die Art ihrer Anwendung näher beschreiben - ausgehend davon, daß eine grammatische Kategorie auch durch die Eigenart ihres Funktionierens charakterisiert wird. Zwei Komplexe erlangen von solcher Warte aus Bedeutimg: 1. Satz und Reihung 2. innere Struktur der Reihungsformeln. 2 . 5 . 1 . Satz und Reihung 2. 5 . 1 . 1 . Verhältnis Reihung - Nichtreihung in Einfachsätzen Bei Untersuchungen zum Komplex Satz und Reihung ist von der Feststellung auszugehen, daß es sich bei der Wortreihung um ein syntaktisches Grundelement - wahrscheinlich um ein sprachliches Universal - handelt, welches sich sowohl in jedem möglichen Zeitraum als auch auf den verschiedensten sprachlichen Ebenen zur Kommunikation anbietet. Daraus ist abzuleiten, daß zunächst kommunikative Verhaltensweisen in bestimmten Zeitabschnitten und in voneinander abgegrenzten sprachlichen Anwendungsbereichen zu dieser grammatischen Kategorie im Vordergrund stehen, mithin also die Distribution von Merkmalhaftigkeit und Merkmallosigkeit (bezogen auf die Wortreihung). Das zielt auf eine Beantwortung der Frage, inwieweit die Reihung jeweils ein textkonstituierendes Element ist - auf ihr Vorkommen (ihre Verwendung als solche also), nicht jedoch auf die Form und Art, wie Reihungen eingesetzt werden. Berücksichtigt man,
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daß Veränderungen im Hinblick auf die Häufigkeit der Verwendung grammatischer Möglichkeiten einen wesentlichen Teil der grammatischen Umschichtungen innerhalb einer bestimmten Sprache bilden können, gewinnt die aufgeworfene Frage zusätzliche Bedeu24 tung für die Beschreibung von Tendenzen der Sprachentwicklung . Die Auswertung des der Untersuchung zugrunde liegenden Textcorpus ergibt, daß der Anteil von Sätzen mit Reihung(en) am Gesamt der ausgewerteten Sätze 26, 7 % beträgt. Rund jeder vierte Satz weist damit das Merkmal Wortreihung auf. Dieses undifferenzierte Bild spiegelt freilich nicht die zwischen 14,1 % (nd. Reisebeschreibung) und 47, 2 % (omd. Fachprosa) liegenden Verhältnisse in concreto wider; es gewinnt erst wieder in dem Moment an Schärfe und führt an den tatsächlichen Gebrauch heran, vergleicht man die Verhältnisse in Landschaften und Gattungen miteinander. Grundsätzlich zeigt sich dabei, daß der +/- Streufaktor wiederum im Bereich der Gattungen - wenn auch nicht übermäßig - höher ist als der im Bereich der Sprachlandschaften: 12, 2 % in den Landschaften stehen 14,0 % in den Gattungen gegenüber. Das Omd. - mit einem Durchschnitt von 24,8 % - kommt dem Gesamtdurchschnitt am nächsten; das Wmd. und das Oobd. dagegen fallen mit weit über dem Gesamtdurchschnitt liegenden Anteilen auf: 34, 2 % (wmd.) und 30, 6 % (oobd.). Im Bereich der Gattungen fallen Fachprosa (34,3 %) und Chronik (30,9 %) mit stärkerer Reihungsdichte auf; sie bestätigen damit ihre schon häufiger zu beobachtende Sonderstellung (vgl. s. 343, 344, 345). Im Einzelfall geht der Reihungsanteil in Fachprosa und Chronik sogar noch über die Durchschnitts zahlen hinaus - so z.B. in der omd. Fachprosa (Fabian Frangk; Qrthographia und Rülein von Calw: Bergbüchlein), in der er 47, 2 % beträgt oder in der wmd. Chronik (Mainz) mit einem Anteil von 43, 5 %. Auffällig ist, daß die Flugschriften den niedrigsten Reihungsbestand aufweisen - auch im Wmd. und Oobd., deren hoher Reihungsanteil vielfach bedingt, daß in den Gattungen die Vertreter dieser beiden Landschaften ebenfalls über dem jeweiligen Gattungsdurchschnitt liegen - beispielsweise bei den Volksbüchern, Chroniken und den Reisebeschreibungen. Wie schon im Falle der polysyndetischen Verbindungsweise von drei - und mehrgliedrigen Formen (vgl. S. 345) weist das darauf hin, den sprachlandschaftlichen Einfluß bei der Wahl bestimmter grammatischer Varianten nicht zu unterschätzen. 2.5.1.2. AnzaTil der Reihen in e i n e m Einfachsatz Beispiele der .folgenden Art zeigen, daß zu Feststellungen über das Vorkommen von Wortreihung überhaupt die präzisierende Frage nach der Häufigkeit des Auftretens von Wortreihen in e i n e m Einfachsatz treten muß: /Da namen die ritterschafft vnd die frauwen von Brytanigen zum konig vnd siner dochter orlop/ I Vb. 2,135 /denn die obersten regierer itzund auss Innungen und gemeinheit haben die Stadt und ihre f r e y h e i t . . . gantz über geben und verlassen/ I Chr. 1, 319.
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Bezogen auf alle merkmalhaltigen Sätze besagt der Durchschnitt, daß 88,0 % von ihnen e i n e Reihe aufweisen, 10,0 % zwei Reihen und 1,3 % mehr als zwei Reihen. Als Grundsatz für alle Landschaften und für alle Gattungen schält sich demnach heraus, Sätzen mit e i n e r Reihung den Vorzug zu geben: Häufigere Anwendung in einem Satz bleibt in engen Grenzen - schon bei zwei Reihen, noch stärker bei drei und mehr Reihen. Trotz des engen Spielraumes fehlt es nicht an landschaftlichen und gattungsbedingten Sonderheiten - so wenn, die generelle Tendenz verstärkt widerspiegelnd, im Nd. in keiner der untersuchten Gattungen mehr als zwei Reihen vorkommen oder wenn im Wobd. nur in der Flugschrift und in der Fachprosa mehr als zwei Reihen pro Satz eingesetzt werden. Das Gegenteil ist im Wmd. der Fall: Zu Lasten von einer Reihe pro Satz werden hier verstärkt zwei und mehr Reihen in einen Satz eingebaut - zu 12, 0 % und zu 3, 8 %. Mit Ausnahme der wmd. Flugschrift liegen dadurch sämtliche wmd. Gattungen in diesen beiden Bereichen über der sonstigen Häufigkeitsquote. Im Bereich der Gattungen fällt auf, daß in den Volksbüchern der Einsatz von drei und mehr Reihen in einem Sät? möglichst vermieden wird, Zurückhaltung üben in dieser Hinsicht auch die Reisebeschreibungen. Das zusammengenommen zeigt, daß eindeutige Dominanzverhältnisse keineswegs mit nahezu totaler Invarianz gleichzusetzen sind: Zwar wird der VarianzSpielraum als solcher eingeschränkt, nicht aber gleichzeitig die landschaftlich oder gattungsmäßig orientierte Varianz-Fähigkeit überhaupt. 2. 5.1.3. Welche Satzglieder werden gereiht Wird der Komplex 'Satz und Reihung' analysiert, darf die Frage nach dem Ansatzpunkt der Wortreihung im Satz nicht ausgeklammert werden - die Frage also, welche Satzglieder bzw. Satzgliedteile gereiht werden und wie sich das Verhältnis ihrer Reihungsfrequenzen zueinander darstellt. Es muß von hier aus sichtbar werden, an welchen Stellen im Satz Wortreihung primär zu erwarten ist, welche Satzglieder demnach eine hohe Reibungsaffinität und damit Möglichkeiten zur Informationsverdichtung aufweisen» Im Prinzip sind alle Satzglieder bzw. Satzgliedteile reihungsfähig: Subjekt: /und ligt die erd und felsen auff dem dorf/ I Chr. 4,180 6 — Prädikat /diser zehat, vnser kirch Propst . . . sollen einsemlen vnd (nicht eingeschlos- eynnemen/ I Fl. 3, 40 sen: zusammen/sye warhen vyscher vnnd offenbare sunder/ I Fl. 1, 35 gezogene Sätze) /daß volkomen ist allen creaturen unbekentlich, unbegreifflich/ I Fpr. 2, 7 Objekt (reiner Kasus)
/und sie könen und mögen der luten zucht und er tun/ I R. 4, 284
Adverbialbestimmung
/Also ysset naturlick vnd apentlick verbaden, eine swangere . . . frouwen tho bekennen/ I Fl. 5,85
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/steidt leider de arme simple man in groten bedruck vnd twyuel/ I Fl. 5, 60 Attribut
/Da fuor das scheff mit den Edeln chindern . . „ auff das hoch vii groß mere/ I Vb. 3, 6
Sonderfall: Objekt (Infinitiv)
/ s o ist er doch ein feindt gottis vnd des Euangelij/ I Fl. 1, 40 /dan he dwinck nummandt de sulue an tho nemmen offte tho l a t e n / I Fl. 5, 61
Die Aktualisierung dieser Modelle freilich ist in sich vielfältig gestaffelt, vornehmlich bedingt durch unterschiedliche kommunikative Absichten und Aufgaben - im Gattungsbereich. Das heißt jedoch nicht, daß sich die Landschaften in einer stabilen Ruhelage befinden; ein Vergleich der jeweiligen Landschafts durchschnitte mit dem Gesamtdurchschnitt jeder der vorhandenen Möglichkeiten zeigt deutlich, daß sich auch landschaftsbedingte Sonderungen beim Reihen der verschiedenen Satzglieder abzeichnen. Bevor das dargestellt werden kann, muß aber zunächst der Bezugspunkt - der Gesamtdurchschnitt also - markiert werden. Eindeutig ist hier die Reihung von Objekten mit einem Anteil von 30, 9 % am Gesamt aller gereihten Satzglieder als dominierend zu erkennen. Deutlich davon abgehoben folgt mit 19, 5 % die zweitstärkste Reihungsballung; sie wird von den verschiedenen Prädikatsbildungsweisen besetzt. Relativ dicht beieinander liegen dann die Anteile von Subjektreihung (16, 2 %), Attributreihung (14, 9 %) und der Reihung von Adverbialbestimmungen (16, 8 %). Nur sporadisch werden satzwertige Infinitive gereiht: 1 , 2 % beträgt ihr Anteil. Der Umstand, daß die Reihungsanteile von Subjekten, Attributen und Adverbialbestimmungen einen recht geschlossenen Block bilden, bedingt im Einzelfall dann doch ihre stärkere Differenzierung, teilweise sogar eine Umänderung ihrer generellen Reihenfolge: Das Omd. - und damit kehren wir zu den Landschaften zurück - reiht so z.B. in dieser Gruppe Subjekte (21, 0 %) in stärkerem Maße als die dichter am Gesamtdurchschnitt liegenden Attribute (18, 6 %) und Adverbialbestimmungen (14, 8 %), das Wmd. bleibt zwar mit der Reihung von Adverbialbestimmungen (16, 6 %) dicht am Gesamtdurchschnitt, reiht aber Subjekte und Attribute dafür fast in gleicher Stärke (14, 9 % und 14,1 %), im Wobd. dominiert Attributreihung (15, 9 %), schwächer vertreten ist die Reihung von Subjekten (13,1 %). Auf diese Weise entsteht - trotz der Fixpunkte Objektund Prädikatreihung - doch eine Lockerung im Verhältnis zum Gesamtdurchschnitt: nicht mehr in allen Fällen wird er - Modifizierung innerhalb des vorgegebenen Rahmens natürlich vorausgesetzt - widergespiegelt, eine Regel, die bisher Gültigkeit besaß. Die Variabilität im Gattungsbereich freilich liegt erheblich über der im Landschaftsumkreis: Addiert man die +,/- Streufaktoren der einzelnen Gattungen zu einem umfassenden + / - Gesamtstreufaktor der Gattungen, dann ist er mit 50, 3 % um genau 7,0 % über dem entsprechenden Landschaftsstreufaktor von 43, 3 %. Das hat natürlich zur
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Folge, daß im Gattungsbereich vielfach die einzelnen + / - Gattungsstreufaktoren über dem Umfang der landschaftlichen + / - Streufaktoren liegen. Ein detaillierter Vergleich zweier Positionen bestätigt das: Beträgt der + / - Streufaktor bei der Reihung von Prädikaten im Gattungsbereich 18,8 %, so 9, 6 % im Landschaftsbereich, beträgt er bei der Reihung von Attributen 10, 6 % im Gattungsbereich, so 6, 4 % im Landschaftsbereich. Es fällt dabei auf, daß als Vertreter je eines Poles des + / - Streufaktors im Gattungsbereich sich bei den sechs Varianten Möglichkeiten (Subjekt, Prädikat, Objekt, Attribut, Adverbialbestimmung, Infinitiv) dreimal Reisebeschreibung und Flugschrift gegenüberstehen - und zwar die Reisebeschreibung mit starker Objekt- und Attributreihung, aber schwacher Prädikatreihung, die Flugschrift hingegen mit starker Prädikatreihung, schwächerer Attributreihung und weniger starker Objektreihung, zweimal Reisebeschreibung und Volksbuch - die Reisebeschreibung mit starker Reihung von Adverbial25 bestimmung und schwacher Infinitivreihung, das Volksbuch hingegen beides im umgekehrten Verhältnis und nur einmal Chronik und Fachprosa - die Chronik mit starker Subjekt reihung, die Fachprosa mit wesentlich schwächerer Subjektreihung. Insgesamt ist das ein sehr eindeutiges Zeichen dafür, wie stark gattungsbedingte Faktoren steuernd in die Wahl varianter Möglichkeiten eingreifen können und damit deren Verwendung prägen. 2. 5. 2. Innere Struktur der Reihungsformeln Die bisher behandelte Reihungsproblematik bezieht sich auf den äußeren Rahmen (Anzahl der Glieder) und den Verbindungsmechanismus von Reihungsformeln sowie auf ihre Anwendungsregeln im Einfachsatz. Es bleiben vom eingangs umrissenen Ziel dies e r Untersuchung her gesehen (vgl. S. 333) zwei Fragen offen, die die innere Struktur der Reihungsformeln betreffen: 1. in welchem Maße werden die zur Verfügung stehenden Wortarten zur Füllung des gekennzeichneten Rahmens benutzt 2. aus der Reihung von Substantiven erwächst eine zweite, die erste ergänzende Frage: Zu der Grundformel subst + subst nämlich kann eine Fülle fakultativer Varianten gebildet werden. Diese aber - sowohl ihre Existenz als auch ihr Einsatz (Frequenz) sind einer Überprüfung in Richtung auf das eventuelle Wirksamwerden zugrunde liegender Reguläritäten zu unterziehen. 2.5.2.1. Welche Wortarten werden gereiht Einleitend zu diesem Abschnitt sei auf das Abkürzungsverzeichnis S. 329 verwiesen; aus ihm ergibt sich, daß aus Frequenzgründen im adjektivischen Bereich bestimmte Subsumierungen vorgenommen wurden, die bei der Betrachtung in Rechnung zu stellen Oß sind . Zusätzlich muß darauf aufmerksam gemacht werden, daß - allgemeinem Gebrauch folgend - Adjektive und Adverbien nicht getrennt angeführt werden. Im Anschluß
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an diese Hinweise ausführlich auf die Problematik des Komplexes 'Wortarten' überhaupt einzugehen, ist hier jedoch nicht der geeignete Ort. Auf ihre Verwendung hin in Reihungsformeln werden im folgenden überprüft Substantive, Verben, Adjektive, die Koppelung verschiedener Wortarten und die Reihung von Präpositionen: /Darnach sang man das gantz Jar all Tag Vigiln und Seelambt/ IChr. 3,299 Verben /die priesenn vnd lobten den hoffe da willenclich/ I Vb. 2,200 /Du solt auch habenn spatlenn clein vnnd groß/ I Fpr. 4,35 Adjektive verschiedene /vnd dar tho allein vnd nicht na lusten sal man vnd wyff den Wortarten segen Godes gebruken/ I Fl, 5, 85 Präposition /Am Sonnabent nach Maria Magdalena vnd der 25 tag Julii besuchten wir die heiligen Städte auf vnd vmb den Bergk Syon/ I R . 1,76 Selbstverständlich müssen bei der Behandlung dieses Komplexes die Wechselbeziehungen zwischen Satzglied und Wortart im Auge behalten werden, ebenso aber auch die Tatsache, daß - und dies ist im hier gegebenen Zusammenhang wichtig - simplifizierende Gleichsetzungen wie Prädikat = Verb oder Attribut = Adjektiv fehl am Platze sind und zu Trugschlüssen verleiten. Wir gehen aus vom Gesamtbild, das im vorliegenden Falle klar konturiert ist: Mit 64,0 % steht die Reihung von Substantiven absolut an der Spitze; in weitem Abstand erst folgen Adjektive, die zu 16, 0 % gereiht werden, dann Verben, deren Anteil 13, 3 % beträgt. Noch tiefer liegen die restlichen Anteile: 4,3 % = verschiedene Wortarten, 0, 5 % = Präpositionen. Substantive
Diese generelle Abfolge - Substantive, Verben, Adjektive, verschiedene Wortarten, Präpositionen - findet sich im allgemeinen auch in den Landschaftsdurchschnitten, selbstverständlich mit differenzierenden + / - Schwankungen. Eine Landschaft freilich durchbricht die Regel: Das Wmd. Hier bildet - im Gegensatz zu allen anderen Landschaften - die Verbreihung (mit 18,6 %) den zweitstärksten Wortkomplex. Ihr hoher Anteil drückt vor allem den Substantivanteil, der so auch mit 55, 2 % weit unter dem Gesamtdurchschiütt liegt. Für die anderen Landschaften ist folgende Staffelung erkennbar: Das Omd, ist in allen Wortarten dem Gesamtdurchschnitt am nächsten, das Oobd. folgt ihm. Stärkere Abweichungen weisen das Wobd. und das Nd. auf, so daß bei einem zusammenfassenden Überblick beide ost- und beide westdeutschen Landschaften mit gleichen Tendenzen auffallen. Stärker als im Landschaftsbereich wird wieder in den Gattungen die generelle Abfolge durchbrochen - und zwar vornehmlich beim Verhältnis von Verb- und Adjektivreihung zueinander. In ihm liegt das Spannungsfeld dieses Komplexes: Chroniken/Flug-
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schritten auf einer Seite (mit starker Reihung von Verben in beiden Gattungen und schwächerer Reihung von Adjektiven in den Chroniken) und Reisebeschreibungen (mit extrem niedriger Reihung von Verben, stärker von Adjektiven und Substantiven) auf der anderen Seite stehen sich als Exponenten zweier grundsätzlicher Tendenzen deutlich gegenüber. Damit wird das auf der Satzgliedebene gewonnene Ergebnis gefestigt: auch dort waren Reisebeschreibung und Flugschrift als Gegenpole aufgetreten. 2. 5. 2.2. Feinstruktur der Basisformel subst + subst S. 333 wurde bereits darauf hingewiesen, daß zur Basisformel subst + subst durch den Anschluß untergeordneter Glieder oder Gliedteile an eines der reihungskonstituierenden koordinierten Glieder eine variable Reihe fakultativer Varianten (Ausbauformeln) zu der einfachen Formel subst + subst gebildet werden kann. Im Hinblick auf die These, daß die Entwicklung syntaktischer Formen in der geschriebenen Sprache zunächst vom 27 Einfachen zur Entfaltung reicherer Möglichkeiten geht - ob also, bezogen auf die Reihung, einfache Formeln oder Ausbauformeln dominieren - ist das bei einer Arbeit, in der" Fragen des Sprachgebrauchs im Mittelpunkt stehen, ein beachtenswerter Vorgang. Zwei Dinge müssen freilich bei seiner Beschreibung scharf voneinander getrennt werden: das Auftreten von Ausbauformeln einerseits (Formeln mit Erweiterung des 1. Gliedes, solche mit Erweiterung des 2. Gliedes usw.) und die reale Verwendung des Grundtyps mit seinen dazugehörigen Ausbauformeln in Landschaften und Gattungen andererseits (ihre Frequentierung). A - das Auftreten von Ausbauformeln Grundsätzlich ist zu berücksichtigen, daß durch Modifikatoren bestimmte Inklusionsverhältnisse geschaffen werden - das heißt, daß bestimmte Subgruppen der Reihung von Substantiven gebildet werden können. Es wird daher getrennt zwischen a - reinen Substantivformeln ohne vorhergehenden Modifikator b - subst + subst mit vorangehender Präposition (präp subst + subst) c - subst + subst mit vorangehendem (bestimmtem und unbestimmtem) Artikel (art subst + subst). Beispiele Einleitend ist dem Beispielteil folgendes vorauszuschicken: Wegen der zur Verfügung stehenden Seitenzahl wird darauf verzichtet, in extenso sämtliche möglichen Ausbauformeln vorzuführen. Zitiert werden statt dessen aus ihrem Repertoire symptomatische Fälle, an denen der Prozeß des Ausbaues der jeweiligen Grundtypen beispielhaft sicht. . .28 bar wird . ad a - reine Substantivformeln Grundtyp ist die Reihving von Substantiven ohne jeglichen Zusatz subst + subst
/vnd im ward angst vnd not/ I Vb. 4,139.
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Zu dem Grundtyp treten Ausbauformen mit Erweiterung des ersten Gliedes - z. B. adj subst + subst /Hier wurden neue bornmeister vnd schöpfen . . . gekoren/ I C h r . 1,417 art subst subst + subst /da besunen sie der stede not und notze/ I Chr. 2, 23 a d j j adj subst + subst /das ist unser gud rad und meinunge/ I Chr. 2, 37 rg adjj subst + subst / i n desen Steden wassen gar vill reytz ader royrs/ I R. 2, 83 usw. dann Ausbauformen mit Erweiterung des zweiten Gliedes - z. B. subst + adj subst
/mag bald newerung vnd außlindischer brauch bey jnn aufkommen/ I Fl. 2, 57
subst + adj adj subst / E s seind auch zwischen jren Fürsten zwitricht vnd stetes heymlich krieg/ I Fl. 2, 55 subst + art adj subst /und diser mensch ist nicht anderß dann alß adam oder der b8ß feyndt/ I Fpr. 2, 56 schließlich Avisbauformen mit Erweiterung des ersten und zweiten Gliedes - z. B . : adj j subst + adjg subst /Priamus hadde viff sones vn dre dochtere/ I Vb. 5,100 adjg subst + art subst /Hyerinne ist anderthalber man vn ein roßkopf/ I Vb. 1,10 adj subst + art adj subst /suppen machen dünne packen vnd ein schentlichs Arßloch/ I Vb. 1,6. ad b - Substantivformeln mit vorangehender Präposition Grundtyp sind Reihungen folgender Art präp subst + subst
/Vmb diser vier zilen willen bin ich in angst vnd not komen/ I Fl. 4, 77
Zu dem Grundtyp treten Ausbauformen mit Erweiterung des ersten Gliedes - z. B . : präp adjg subst + subst /Du solt auch habe ein messin büchsen mit acht fachenn oder vnderschlegen/ I Fpr. 4, 35 präp art subst + subst /Und so wolten wir von der gemeine und pfennern nicht berichten/ I Chr. 1, 282 präp art adj subst + subst /Item voert gyngen wir vft synen groissen mart ader platz/ I R . 2,207 dann Ausbauformen mit Erweiterung des zweiten Gliedes - z. B.: präp subst + adjj-subst /Da namen die ritterschafft vnd die frauwen . . . zum konig vnd siner dochter orlop/ I Vb. 2,135 präp subst + präp subst /und wardt meniglich . . . von Kuchel und von Keller gespeist/ I Chr. 3, 302 29 präp subst + präp a d j j subst /Also sprach der doctor z8m bischoff vnd zu seinen räten/ I Vb. 4, 21 dann Ausbauformen mit Erweiterving des ersten und zweiten Gliedes - z. B. präp adj subst + adj subst /Eth ys des WedderChristen arth, synen gruwel mit
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Gerhard Kettmann gesmuckeden worden vnde hilligen namen tho bedecken/ I Fl. 5, 77
präp art subst + art subst /antwortte ich . . . dem rathe das register über den hoff und die heusere/ I Chr. 1,417 präp art adj subst + präp art adj subst /wider einen mechtigen mensche vnd wider ein flissendt wasser soltu nit streiten/ I Vb. 1,4 f. ad c - Substantivformeln mit vorangehendem Artikel Grundtyp sind Reihungen der Art art subst + subst /also ich nun wil setzen die zeichen vnd merckung/ Fpr. 4,17 Zu dem Grundtyp treten Ausbauformen mit Erweiterung des ersten Gliedes - z. B.: art adj subst + subst /und sent Anna hefft en schon tempel und junfferencloster darvan bowen laten/ I R. 5, 58 art adj adj adj subst + subst /do wirt und ist eyn warer, freyher, lediger mensch oder creatur/ I Fpr. 2, 58 dann Ausbauformen mit Erweiterung des zweiten Gliedes - z.B. art subst + subst subst / s o würstu ein bruder vnd freundt Christi/ I Fl. 1, 46 art subst + adj^ subst präp subst /da wolten die wirt und ander leutt zu Insprugk des keisers volck nicht in die heuser lassen/ I Chr. 4,97 art subst + art subst / s o vornichtet man daß unvolkomen vnd daß geteylte/ I Fpr. 2, 7 art subst + art adj subst /Der künig vnam vnd hörtt die dro vn die hochuertign wort/ I Vb. 3,23 dann Ausbauformen mit Erweiterung des ersten und zweiten Gliedes - z. B.: art adj subst + adj subst /Da ist ain gross prediger convent und gutt Studium da: I R . 4,294 art adj subst + art adj subst /do wirt auch daß wire gut und dy ewige warheytt nymer mehr bekanty I Fpr. 2, 23 art präp subst + adj^ adj subst /und man solde die von Magdeburg und andere ehrliche stette anrufen/ I Chr. 1,318 Grundsätzlich kann festgestellt werden, daß in keiner Landschaft und in keiner Gattung die Möglichkeit ungenutzt bleibt, Ausbauformeln der vorgeführten Art zu bilden: Sämtliche von den einzelnen Grundtypen her vorgegebenen Ausbaumöglichkeiten werden sowohl im gesamten deutschen Sprachgebiet als auch in den unterschiedlichen literarischen Gattungen realisiert - freilich in differenzierter Weise. Um diese beschreiben zu können, wird zunächst wieder der jeder Spezifik entkleidete Gesamtdurchschnitt als Bezugspunkt fixiert. Er stellt sich folgendermaßen dar (1 = Ausbauformeln mit Erwei-
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361
terung des 1. Gliedes, 2 = solche mit Erweiterung des 2. Gliedes, 1/2 = solche mit Erweiterung des 1. und des 2. Gliedes): Tabelle 4 100% a b c
154 207 147
1
2
33,7% 28,5 % 12,2%
20,1% 23,6 % 51,0%
1/2 46,1% 47,8 % 37,4%
Prinzipiell weisen demnach die Durchschnitte in den Inklusionsgruppen subst + subst (a) und präp subst + subst (b) die gleichen Tendenzen auf: Varianten mit Erweiterungen von 1/2 dominieren unangefochten, Varianten mit Erweiterung von 2 treten zurück gegenüber denen von 1. Von diesem generellen Verhältnis weicht die Inklusionsgruppe a r t subst + subst (c) ab. Hier rangieren Varianten mit Erweiterung von 2 vor denen von 1/2, solche mit Erweiterung von 1 sind relativ schwach vertreten. Die Landschaften spiegeln diese Verhältnisse zwar generell wider - sie lockern den Rahmen aber im Einzelfall beträchtlich auf, so daß die Streubreiten innerhalb seiner Grenzen weit über den sonst üblichen iiegen, und zwar in allen drei Inklusionsgruppen. Der + / - Faktor bei E r weiterungen des 2. Gliedes in der Gruppe subst + subst beträgt so z.B. 22, 8 %, derjenige bei den Erweiterungen von 1/2 in der Gruppe art subst + subst 21, 8 %, der bei den Erweiterungen von 1/2 in der Gruppe präp subst + subst 18,1 %. Nd. und Wmd. treten dabei als Gegenpole in Erscheinung. Sprengt das Nd. aber trotz der großen Streuung nie den generellen Rahmen, so ist das im Wmd. der Fall. Hier werden offensichtlich landschaftseigene Sonderungen deutlich, wenn entgegen der generellen Tendenz in der Gruppe subst + subst Typen mit Erweiterving des 1. Gliedes und solche mit Erweiterung des 2. Gliedes gleich stark vertreten sind oder wenn in der Gruppe präp subst + subst Typen mit Erweiterung des 2. Gliedes vor denen des 1. Gliedes liegen. Aus dem Rahmen fällt einmal auch das Wobd,, in dem - anders als es der Gesamtdurchschnitt zeigt - in der Gruppe subst + subst Typen mit Erweiterungen des 1. Gliedes diejenigen mit Erweiterving von Glied 1/2 übertreffen. Das Omd. und das Oobd. hingegen bleiben in der Regel den Gesamtdurchschnittszahlen relativ nahe, selbstverständlich mit Abweichungen nach der einen oder der anderen Seite. Zu beachten bleibt das abermalige Zusammengehen des west- und des ostdeutschen Sprachgebietes. Weitaus aufgelockerter noch sind die Verhältnisse in den Gattungen; hier gewinnen offensichtlich außer Gattvings zwängen individuelle Gestaltungspotenzen einen starken Einfluß auf das Typenpotential: Addiert man die einzelnen + / - Gattungsstreufaktoren in den Subgruppen a, b und c zu einem umfassenden + / - Gesamtstreufaktor der Gattungen, dann liegt dieser 69,1 % höher als der entsprechende der Landschaften. Der vom Gesamtdurchschnitt vorgegebene Rahmen wird in den Gattungen nur in der Inklusions-
362
Gerhard Kettmann
gruppe subst + subst eingehalten; in der Gruppe art subst + subst tun dies drei von fünf Gattungen (Chroniken, Fachprosa, Volksbücher); in der Gruppe präp subst + subst lediglich eine von fünf Gattungen (Fachprosa). Diesem Bild entsprechen hohe Streubreiten-Prozentzahlen innerhalb der einzelnen Erweiterungsgruppen im Gattungsbereich. Einige Beispiele mögen das illustrieren: 44, 3 % macht die Streubreite so aus in der Inklusionsgruppe art subst + subst bei E r weiterungen von Glied 2, 39, 7 % in der gleichen Gruppe bei Erweiterungen von Glied 1/2, 36, 5 % in der Inklusionsgruppe subst + subst bei Erweiterungen von Glied 1/2. Aufschlußreich ist, daß wiederum häufig von zwei Gattungen entgegengesetzte Tendenzen vertreten werden: von den Flugschriften und von den Reisebeschreibungen. Die Flugschriften verzichten in der Regel auf ein stark ausgebautes Typenpotential bei der E r weiterung von 1/2 (also auf differenzierte Formen) zugunsten der Erweiterung von Glied 1 und von Glied 2; die Reisebeschreibungen hingegen haben gerade bei der Erweiterung von 1/2 ein hohes Typenarsenal aufzuweisen - auf Kosten solcher von Glied 1 und von Glied 2. Damit wird die schon des öfteren beobachtete Gegensätzlichkeit beider Gattungen erneut unterstrichen - vgl. S. 356 - welche Satzglieder werden gereiht, S. 358 - welche Wortarten werden gereiht. B - Zur Frequentierung der Grund- und Ausbauformeln im Bereich der Substantivreihung S. 358 wurde bereits betont, daß Typenausbau (Zahl der auftretenden Varianten) und Frequenz der vorkommenden Typen (ihre reale Nutzung also in den Landschaften und Gattungen) nicht gleichgesetzt werden dürfen. Eine große Anzahl von Ausbauformeln besagt nicht von vornherein, daß die jeweilige Einzelvariante mehrfach angewendet wird. Die Frage aber, welche der griffbereiten Varianten in bestimmten kommunikativen Situationen dominieren (die Grund- oder Ausbautypen), ist für die hier behandelte Problematik ungemein wichtig; sie vermag die bisher gemachten Aussagen über landschafts- und gattungsspezifische Verhaltensweisen in einem entscheidenden Punkt zu vertiefen. Eine vergleichende Gegenüberstellung der generellen Durchschnittszahlen läßt die Problematik deutlich hervortreten (wie S. 361 bezeichnet 1 = Erweiterungen des 1. Gliedes, 2 = Erweiterungen des 2. Gliedes, 1/2 = Erweiterungen des 1. und 2. Gliedes. 0 bezeichnet den jeweiligen Grundtyp - also subst + subst, präp subst + subst, a r t subst + subst):
Formen und grammatische Struktur nebengeordneter Wortreihen
363
Tabelle 5
1/2 Ausbauformeln Frequenz
34,1 '
Ausbauformein Frequenz
23,8 1
Ausbauformeln Frequenz
29,8
33, 7 %
20,1 1
46.1 1
34, 7 %
9,1«
22.2 1
28, 5 %
23,6'
47,8 1
30, 8 %
18,2'
27,2'
12, 2 %
51,0'
37,4 1
8,3%
42,6'
19,2'
Inklusionsgruppe a Inklusionsgruppe b Inklusionsgruppe c
Wiederum (vgl. S. 361) weisen die (nicht nach Gattungen oder Landschaften differenzierten) Verhältniszahlen in den Inklusionsgruppen subst + subst und präp subst + subst den gleichen Trend auf - freilich in umgekehrten Proportionen als bei dem bloßen Typenvergleich: Deutlich nämlich zeigt sich, daß Grundtyp und Ausbauformen des 1. Gliedes am stärksten frequentiert werden, in den restlichen Subgruppen hingegen - in den Ausbauformen des 2. Gliedes und vor allem in denen des 1. und des 2. Gliedes - sinkt die Frequenz folgerichtig z . T . erheblich unter den Typenanteil. Das heißt, daß trotz ihrer potentiellen Verwendbarkeit die differenzierten Formen bei weitem nicht in so starkem Maße eingesetzt werden wie die einfachen, relativ unkomplizierten Formen. Diese überwiegen und stellen jeweils das Gros der vorkommenden Substantivformeln. Lediglich in Gruppe c (art subst + subst) bietet sich ein abweichendes Bild; Hier überwiegen die F o r meln, deren 2. Glied erweitert ist (analog dem Typentrend) sowohl über die Grundtypenausnutzung als auch über die Frequentierung von Formeln, deren 1. Glied erweitert ist. Niedrig ist jedoch auch hier der Verwendungsgrad jener Formeln, die aus Erweiterungen von Glied 1 und Glied 2 hervorgegangen sind. Das ist ein wichtiges Ergebnis, dessen Spezifik im einzelnen freilich noch zu beleuchten ist - zunächst von den Landschaften her. Dort zeigt sich, daß das Omd., das Wmd. und das Wobd. im generellen Rahmen bleiben (es werden Typen mit Erweiterung des 1. Gliedes bevorzugt), das Oobd. und das Nd. jedoch ausscheren - hier dominieren die Grundtypen vor denen mit Erweiterungen des 1. Gliedes. Die Streubreiten sind teilweise - der elastischen Rahmenstabilität gemäß - wieder beträchtlich: 24, 8 % beträgt z . B . die maximale + / - Differenz zum Gesamtdurchschnitt beim Grundtyp subst + subst zwischen dem Nd. und dem Wmd. Trotz Differenzen dieses Ausmaßes wird jedoch von den Landschaften her bestätigt, daß die einfachen Formen dominieren. Zu beachten ist, daß diesmal die beiden md. Landschaften im Verein mit dem Wobd. dem Gesamtdurchschnitt am stärksten verhaftet sind.
364
Gerhard Kettmann
Die Gattungen weisen wiederum einen höheren Gesamtstreufaktor auf; er liegt aber diesmal nur 21, 8 % über dem der Landschaften: die Spanne ist demnach weit geringer als beim Ausbau der einzelnen Typen an sich (dort betrug sie 69,1 %). Klärt man die Haltung der einzelnen Gattungen, so wird abermals ersichtlich, daß Flugschriften und Reisebeschreibungen als Vertreter zweier entgegengesetzter Tendenzen auftreten: Bevorzugen die Flugschriften einfache Formeln (vor allem jeweils den Grundtyp) und v e r zichten auf eine starke Anwendung von Formeln mit Erweiterung von Glied 1 und Glied 2, so ist das in den Reisebeschreibungen gerade umgekehrt. Hier dominieren Formeln der letzteren Art, der Grundtypengebrauch ist stark eingeschränkt. Dazu konkrete Zahlen: In der Gruppe subst + subst z. B, liegen die Flugschriften 11, 7 % über dem Gesamtdurchschnitt des Grundtypgebrauchs (45, 8 % : 34,1 %), 12, 5 % unter dem Gesamtdurchschnitt des Gebrauchs von Ausbauformeln mit Erweiterungen von Glied 1 und Glied 2 (9,7 % : 22, 2 %); die Reisebeschreibungen dagegen liegen 6 , 4 % u n t e r dem Gesamtdurchschnitt des Grundtypgebrauchs (27, 7 % : 34,1 %), -hingegen 18, 8 % ü b e r dem Gesamtdurchschnitt des Gebrauchs von Ausbauformeln mit Erweiterungen von Glied 1 und Glied 2 (41,0 % : 22, 2 %). Ähnlich stellen sich die Verhältnisse in der Inklusionsgruppe art subst + subst dar - wiederum ein deutlicher Hinweis auf gattungsspezifische Variantenwahlen. Im Hinblick auf die Funktion der Flugschriften wird damit im übrigen eine nicht unwesentliche Gattungseigenheit beschrieben. Ausgesprochen gattungseigene Tendenzen lassen auch die Chroniken erkennen, wenn sie in der Gruppe präp subst + subst die Formeln mit Erweiterving von Glied 1 und Glied 2 sehr häufig einsetzen; ebenso dominieren in den Volksbüchern in dieser Inklusionsgruppe die letzteren Formeln mit 14,3 % über dem Gesamtdurchschnitt (41, 5 % : 27, 2 %) - zu Lasten des Qrundtypengebrauchs.
Formen und grammatische Struktur nebengeordneter Wortreihen Übersicht über den Umfang der Exzerption 1470 - 1530 R. Chr. Fl. Fpr. Fpr. Vb.
1 1 1 la lb 1
24 Seiten 20 Seiten 23 Seiten 20 Seiten 26 Seiten 20 Seiten
R. Chr. Fl. Fpr. Vb.
2 2 2 2 2
21 Seiten 41 Seiten 23 Seiten 15 Seiten 21 Seiten
R. Chr. Fl. Fl. Fl. Fpr. Vb.
3 3 3a 3b 3c 3 3
14 Seiten 54 Seiten 5 Seiten 8 Seiten 7 Seiten 47 Seiten 22 Seiten
R. Chr. Fl. Fpr. Vb.
4 4 4 4 4
16 Seiten 27 Seiten 18 Seiten 23 Seiten 20 Seiten
R. Chr. Fl. Fpr. Vb.
5 5 5 5 5
36 Seiten 24 Seiten 40 Seiten 23 Seiten 19 Seiten
365
366
Gerhard Kettmann
3.
Zeitraum 1670 - 1730
3.1. Briefen, Romanen, Bildungsschrifttum und Fachprosa - dem Schrifttum also, welches repräsentativ für den zweiten Zeitraum ausgewählt wurde - steht ein voll ausgebildetes Reihungsinstrumentarium (vgl. S. 332) zur Verfügung. Folgende Beispiele, deren Anführen eine ausgesprochen abstrakte Behandlung des Themas vermeiden soll, belegen das: 1. Zahl der gereihten Glieder - zweigliedrig:
/Erbrecht oder Leibgeding soll mit Brieffen erwiesen werden/ II Fpr. 3, 231
- dreigliedrig:
/Von dieser Zeit an besaß ich meines Herrn Gnad/ Gunst und Lieb vollkommenlich/ II Ro. 4,142
- mehrgliedrig:
/Aus seiner Frolichkeit entstehen Scherze, angenehme Einfalle, Freundlichkeit, Dienstfertigkeit, Liebe und hundert andere Wirkungen/ II Bi. 1, 99 Die Zahl der Glieder (im vorstehenden Beispiel sechs) ist innerhalb der Oppositionsgruppe mehrgliedrig variabel, sie kann in Extremfällen über zehn betragen (im zitierten Beispiel zwölf): / I n d e r Freundschafft ist alles communicabel, das Reichthum, die Dürfftigkeit, die Hochheit, die Underthänigkeit, die Ehre, die Schande, die Arbeit, die Ruhe, die Vergnügung, die Traurigkeit, das Leben, der Tod. / II Bi. 4,13
2. Art ihrer Verbindung - bei zweigliedrigen Reihen syndetisch: asyndetisch:
/ J a , e s s o l t e . . . dieser Tyranne . . . überschwemmet und hingerissen werden/ II Ro. la, 10 /Zum vierten . . . hatte solche Statuen eysene Schenckel, halb eysen, halb erdene Füß/ II Bi. 3, 30
- bei dreigliedrigen Reihen monosyndetisch: /Ich bin der Weeg, die Warheit und das Leben/ n Fpr. 2,127 polysyndetisch: /hernach sassen die andern Standes-Personen und die vornehmsten Staaden und Nobels/ II Ro. lb, 46 asyndetisch: /Alle Leidenschaften . . . , der Neid, der Haß, der Zorn . . . bedecken sich mit einem unfreundlichen Gesichte/ II Bi. 1, 98
Formen und grammatische Struktur nebengeordneter Wortreihen
367
bei mehrgliedrigen Reihen variable Formen, z.B.:
/ e r bringet dem Pan ein Bocklein oder Llmmlein, . . . Obst und
(1+2 / 3+4)
Blumen zum Geschenk/ II Bi. 1, 91
3.2. Die formale Grundstruktur von Wortreihungen in den herangezogenen Sprachlandschaften Im folgenden Teil ist zu untersuchen, ob - und wenn ja, inwieweit - landschafts- oder gattungsbedingte Faktoren den Einsatz der aufgezeigten Reihungselemente steuern. Das unter 3.1. nicht differenziert vorgeführte zeiteigene Inventar ist daher einleitend durch den Nachweis seiner Verwendbarkeit in den herangezogenen Landschaften und Gattungen zu ergänzen; er bildet die Grundlage für die Lösung der gestellten Aufgabe. (Zur Gültigkeit der Paradigmen für den Landschafts- und Gattungs nach weis vgl. S. 337.) Zahl der Glieder - zweigliedrig: omd.
/Der sey auch selbst für alles ein reicher Vergelter in Zeit und
wmd.
Ewigkeit/II Br. 1,118 /das Rauben und Morden ist auch nichts neues/ II Ro. 2,111
- dreigliedrig: oobd.
/dises Königreich ist auch nicht arm an kostbaren Edelsteinen, Rubinen vnd Diemant/ II Bi. 3, 22
- mehrgliedrig: wobd.
/Also stehen sie in einem Rechten mit den heidnischen Gottheiten, Mars, Pallas, Apollo, Venus, Florus, Ceres, und andern/ II Fpr. 4,144
Art der Verbindung - bei zweigliedrigen Reihen syndetisch: omd. oobd. asyndetisch: wmd. wobd.
/Dero Reise und zurückkunfft . . . wolle Gott . . . ihm anbefohlen seyn laßen/ II Br. 1,17 /Die Sünd vnd Straff seynd mit einer Mauer vmbfangen/ II Bi. 3, 33 / i h r seyd.doch rechte Executoren plebis, vollkommene Baurenschinder/II Ro. 2,114 /In jenem sind lauter gemlhlde von furchtbaren, erschrecklichen Dingen/ II Fpr. 4, 36
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- bei dreigliedrigen Reihen monosyndetisch: omd. wmd. polysyndetisch: oobd.
wobd.
asyndetisch: omd.
/Nun schicken wir was fort an Büchern, Artzneyen und Geld nach Siberien/ II Br. 1,44 /Der erwarte von solcher Kunst/ Nichts/ als Unlust/ Schaden und Unehr/ II Ro. 2, 370 / E s soll auch weder von dem Lands=Fürsten/ noch jemands andern/ Frauen . . . ohne ihr und ihrer Eltern oder nechsten Freund . . . willen/ verheurath werden/ II Fpr. 3,352 /Die Poeten wissen den Musen keinen bessern Aufenthalt, als ein Wäldgen und ein offenes Feld, oder das grüne Gestade eines schattichten Baches/II Bi. 4,37 /Alle Leidenschaften . . . , der Neid, der Haß, der Zorn . . . bedecken sich mit einem unfreundlichen Gesichte/ n Bi. 1,98
- bei mehrgliedrigen Reihen variable Formen, z. B.: omd. /Mein Herr hatte kein Weib . . . keinen Page/ keinen Kammerdiener/ keinen Koch . . . / II Ro. 4,145 wmd. /von turquen moren alten teutschen undt Spanier seindt In triomph wägen durch die statt gefahren zu nancy . . . / II Br. 2,32 oobd. /Aber des Ubelthlters . . . aigen Gut/ soll dem Weib und Kindern/ Gläubigern/ oder Erben/ gelassen werden/ II Fpr. 3,355 wobd. /da entdeckte ich die Großmächtigkeit der obersten Intelligentz, die Menge und Abscheulichkeit der Sünden, das schwere Werck der Büß, die höllische Straffe/ H Bi. 4,71 Der Aufzählung folgend treten also auf (die Zahlen bezeichnen die Glieder in ihrer Reihenfolge): omd. / / 1/2/3/4 / / wmd. / / 1/2/3+4 / / oobd. / / 1+2/3+4 / / wobd. / / 1/2+3/4/5 / / Die paradigmatische Anführung der generell für den 2. Zeitabschnitt nachgewiesenen Reihungsbauelemente zeigt - zunächst bezogen auf die einzelnen Lands chaftsinventare in den Demonstrationsbereichen 'Zahl der gereihten Glieder' und 'Art ihrer Verbindung' keine Leerstellen; jedes der vorgeführten Elemente ist in jeder Landschaft vertreten.
Formen und grammatische Struktur nebengeordneter Wortreihen
369
Eingehend zu klären ist vor diesem Hintergrund ihre Anwendung, ihr gegenseitiges Verhältnis zueinander, im Detail. 3.2.1. Im Falle 'Zahl der gereihten Glieder' ist dieses Verhältnis klar konturiert. Für alle Landschaften wurden folgende Durchschnittswerte ermittelt: Zu 83,9 % bestehen die Reihungsformeln aus zwei Gliedern, zu 9, 8 % aus drei Gliedern, zu 5, 8 % aus mehr als drei Gliedern (mehrgliedrig also). Das heißt, daß über 4/5 aller zwischen 1670 und 1730 eingesetzten Reihungsformeln zweigliedriger Struktur sind. Die einzelnen Landschaftsdurchschnitte lassen charakteristische Verhaltensweisen zu diesem generellen Durchschnitt erkennen: Beide mitteldeutschen Landschaften nämlich liegen über ihm (omd. um 4, 7 % [88, 6 %] und wmd. um 1,9 % 85,8 % ), beide oberdeutschen unter ihm (wobd. um 4, 5 % [79,4 %], oobd. um 1, 8 % 82,1 % ). In dem neben dem dominierenden Gesamtdurchschnitt an zweigliedrigen Formeln (83, 9 %) vergleichsweise geringen Restbestand überwiegen dreigliedrige Formeln; ihr Anteil daran beträgt 9, 8 %, nur zu 5, 8 % hingegen treten Formeln mit mehr als drei Gliedern auf. Da innerhalb der letzteren Gruppe keinerlei Restriktionen herrschen, ist die Zahl der in ihr auftretenden Glieder sehr unterschiedlich - sie reicht von vier Gliedern / E s ist von der HochlSblichen Fruchtbringenden Geselschaft der Spielende mit einem Lobgedicht, unterschiedlichen Erinnerungen, zweyen Bücheren und antwortschreiben begnadiget worden/ I I B r . 3,319 bis zu über zehn Gliedern / s o sehen doch die tägliche, veränderte, verkehrte, verbarockierte, verwispelte, verzauste, verflechte, verpomadierte, verpulfferte, verstrichne, vermummerte, verglätte Gesichter fast wie die Gespenster auß/ n Bi. 3, 27 Die einzelnen Landschaftsdurchschnitte verhalten sich zu den Gesamtdurchschnittszahlen dieser Bereiche entsprechend ihrem höheren oder geringeren Anteil an zweigliedrigen Formeln: Das Ostmitteldeutsche liegt so bei drei- und mehrgliedrigen Reihen spürbar unter dem Durchschnitt (2, 0 % und 2,9 %), das Westoberdeutsche spürbar über ihm (2, 8 % und 2,0 %). Insgesamt ist zu beobachten, daß die Landschafts durchschnitte der dreigliedrigen Formeln dichter beieinander liegen als die der mehrgliedrigen F o r meln; bei diesen zeigen sich größere Gebrauchsschwankungen. 3. 2.2. Die Verhältnisse im Bereich 'Art der Verbindving' sind getrennt zu behandeln nach a - Art der Verbindung bei zweigliedrigen Formeln b - Art der Verbindung bei drei- und mehrgliedrigen Formeln.
370
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ad a - Mit 95, 5 % stellt bei den zweigliedrigen Formeln syndetische Verbindung der Reihenglieder die fast absolute Norm dar. Auffällig ist die große Nähe der einzelnen Landschaftsdurchschnitte am Gesamtdurchschnitt: 96, 0 % = omd., 95, 9 % = oobd., 95, 8 % = wobd. Der wmd, Anteil von 94, 0 % fällt unter diesen Umständen bereits aus dem Rahmen, ebenso der entsprechende Reziprowert der asyndetischen Reihung: 6, 0 % gegenüber einem Durchschnitt von 4, 5 %. Wir haben damit in diesem Strukturbereich eine ausgesprochene Ruhelage vor uns. ad b - Das Bild ändert sich jedoch im Strukturbereich 'Verbindung der drei- und mehrgliedrigen Formeln'. Den S. 368 angeführten Beispielen ist zu entnehmen, daß monosyndetische, polysyndetische, asyndetische und restliche Verbindungsweisen zur Verfügung stehen. Sie werden - vom Gesamt der diesbezüglichen Fälle her betrachtet in folgender Weise genutzt: monosyndetisch = 65, 0 %, polysyndetisch = 14, 2 %, asyndetisch = 15,1 %, restliche Verbindungsweisen = 5,1 %. Monosyndetische Verbindung befindet sich demnach an der Spitze; sie ist fast bei 2/3 aller drei- und mehrgliedrigen Reihen anzutreffen. Polysyndetische und asyndetische Verbindung liegen dicht beieinander - ein Umstand, der zur Folge hat, daß im Einzelfall die Dominanz anders gelagert sein kann als beim Gesamtdurchschnitt. Im Ostmitteldeutschen ist so denn auch die polysyndetische Verbindung stärker vertreten als die eigentlich vor ihr rangierende asyndetische. Die Landschaftsdurchschnitte freilich - und damit wird ein wichtiger Punkt berührt liegen in diesem Strukturbereich nicht mehr so dicht beieinander wie das bisher der Fall war; sie sind vielmehr breit gefächert - und zwar bei allen drei Verbindungsweisen. Die vergleichende Gegenüberstellung der Werte zeigt folgendes konkrete Bild: Monosyndetisch sind im Ostmitteldeutschen 59,4 % der hier einzuordnenden Fälle v e r bunden, im Westmitteldeutschen 62, 4 %, im Ostoberdeutschen 79, 7 % und im Westoberdeutschen 58, 7 %. Das heißt, daß sich das Westoberdeutsche 6, 3 % unter, das Ostoberdeutsche 14, 7 % über dem Gesamtdurchschnitt befindet - mithin ein + / - Streufaktor von 21, 0 % auftritt. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei der polysyndetischen Verbindung. Hier liegt das Ostoberdeutsche (aus Gründen der Korrelation) weit unter dem Gesamtdurchschnitt: 8, 3 %; das Ostmitteldeutsche hingegen weit darüber: 11, 3 %. Damit wird auch hier ein beachtlicher + / - Streufaktor erreicht: 19, 6 % nämlich. Monosyndetische und polysyndetische Verbindungsweise bilden offensichtlich das Spannungsfeld des behandelten Bereiches: Ihnen gegenüber sind die Abweichungen vom Gesamtdurchschnitt bei der asyndetischen Verbindungsweise erheblich niedriger: Das Westmitteldeutsche übertrifft ihn um 4, 7 %, das Ostmitteldeutsche bleibt 5, 7 % unter ihm. Der sich daraus ergebende + / - Streufaktor von 10,4 % ist der niedrigste innerhalb des Strukturbereiches 'Verbindung der drei- und mehrgliedrigen Formeln'. Es fällt auf, daß keine der Landschaften in allen behandelten Fällen dicht bei den Durch-
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371
schnittswerten liegt. Jede von ihnen entfernt sich - und das zum Teil recht weit - sowohl nach oben als nach unten von ihnen; ein Zeichen für das Fehlen eindeutiger Invarianzen. 3.3. Gattungen und formale Grundstruktur von Wortreihungen Das Operieren mit Landschaftsdurchschnitten darf nicht dazu führen, ihren Aufbau als zusammengesetzte Größen zu übersehen; genauer: ihren Aufbau als aus Gattungen zusammengesetzten Größen. In Ergänzung zu der bisherigen Fragestellung muß daher folgerichtig überprüft werden, welche Rolle den Gattungen bei der Wahl (oder Kombination) der Reihungsbauelemente zukommt - ob also gattungsbedingte Sonderheiten e r kennbar sind. Grundsätzlich ist einleitend vorauszuschicken, daß die S. 366 für die Zeit von 1670 1730 nachgewiesenen Reihungsbauelemente jeweils auch in jeder der vier Gattungen des zweiten Zeitraumes verwendet werden; die den Landschafts- und Gattungsaspekt berücksichtigende Beispielsammlung S. 367 ff. weist das aus. Das besagt aber nicht gleichzeitig, daß jedes Bauelement in jedem aus den angeführten Elementen gebildeten Reihungstyp tatsächlich zur Anwendung kommt. Es fehlen z.B. - obwohl das Bauelement asyndetische Verknüpfung bei mehrgliedrigen Reihen in den untersuchten Romanen nicht ungebräuchlich ist - Belege für die asyndetische Verbindung dreigliedriger Formeln (die in der Tabelle 'Verbindung mehrgliedriger Formeln' nicht separat aufgeführt sind) in dieser Gattung: ein Beweis für die Notwendigkeit differenzierter Gattungsbetrachtung. 3.3.1. Im Bereich 'Zahl der gereihten Glieder' wird von der Gattungsseite her ünterstrichen, daß Formeln aus zwei Gliedern dominieren - und zwar in allen Gattungen. Dennoch ist das Bild nicht so klar konturiert wie im Falle der sich gruppenweise gegenüberstehenden md. und obd. Landschaften; die Differenzen nämlich zwischen dem ermittelten Gesamtdurchschnitt und den einzelnen Gattungsdurchschnitten sind größer und damit gravierender. Die größte Abweichung nach oben ist bei den Romanen zu beobachten; sie liegen mit 88, 0 % um 4,1 % über dem Gesamtdurchschnitt. Das Bildungsschrifttum stellt den Gegenpol dar: mit 76, 6 % befindet es sich 7, 3 % unter ihm. Beide Abweichungen zusammengenommen ergeben einen + / - Streufaktor von 11,4 %; er liegt über dem entsprechenden der Landschaften (9, 2 %) und beweist, welch starken Einfluß die Gattungen auf die Wahl der Varianten ausüben. Im Einzelfall werden diese Verhältnisse vergröbert widergespiegelt - so wenn im omd. Barockroman (A. Ziegler: Asiatische Banise) der Anteil von zweigliedrigen Reihen 94,1 % beträgt (bemerkenswert ist, daß zu dem zum Vergleich herangezogenen volkstümlichen Schelmuffsky-Roman mit einem 30 Anteil von 96, 9 % keine nennenswerten Unterschiede bestehen ) oder im oobd. Bildungsschrifttum (Abraham a Santa Clara: Auf, auf ihr Christen) nur 68, 6 %.
372
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Streubreiten dieser Größenordnungen verengen oder erweitern natürlich die Möglichkeit, drei- und mehrgliedrige Formeln zu bilden beträchtlich. Entsprechend den eben dargelegten Verhältnissen sind sie in den Romanen am schwächsten vertreten (im omd. und wmd. Roman fehlen sie sogar gänzlich), dagegen im BildungsSchrifttum am stärksten. Dieses liegt bei dreigliedrigen Reihen mit 12, 5 % um 3, 7 % über dem Gesamtdurchschnitt, bei mehrgliedrigen Reihen von 10, 7 % um 4, 9 % über ihm. Formeln wie /etliche durchstachen Heu und Stroh mit ihren Degen/ IIRo. 4,18 sind somit typisch für Romane im Untersuchungszeitraum, solche wie /In der heroischen Ode herrscht das Erhabene, Wunderbare und Grosse/ n Bi. 1,109 f. typisch für den Einsatz von Wortreihungen im Bildungsschrifttum. 3.3.2. Die Verhältnisse im Bereich 'Art der Verbindung' werden getrennt behandelt nach a - Art der Verbindung bei zweigliedrigen Formeln b - Art der Verbindung bei drei- und mehrgliedrigen Formeln. ad a - Die dominierende Rolle syndetischer Verbindung bei der Reihung zweier Glieder (Gesamtdurchschnitt = 95, 5 %) wird von der Gattungsseite her bestätigt. In keiner der herangezogenen Gattungen liegt ihr Anteil unter der 90 %-Grenze. Trotz dieser eindeutigen Vorrangstellung ist das Bild im Gattungsbereich unruhiger als in den Landschaften. Die größte Abweichung nach oben findet sich dabei in der Fachprosa, die 3,1 % über dem Gesamtdurchschnitt liegt (also einen syndetischen Bestand von 98,6 % aufweist); die größte nach unten im Bildungsschrifttum, dem 2, 6 % am Gesamtdurchschnitt fehlen (also einen Bestand von 92, 9 % aufweist). Addiert man diese beiden Streuwerte, bekommt man einen + / - Streufaktor von 5, 7 %; er ist höher als der entsprechende im Landschaftsbereich (2, 0 %). Das heißt: Wiederum werden bei der Wahl von Varianten gattungsspezifische Faktoren stärker wirksam als landschaftsspezifische; die Sonderstellung des Bildungsschrifttums (vgl. S. 371) wird unterstrichen. Von Gattungseinzelbeispielen her wird die aufgezeigte Grundhaltung verdeutlicht so, wenn in der Gattung Fachprosa beim omd. Werk (Christian Thomasius: H§chstnothige Cautelen welche ein Studiosus Juris . . . zu beobachten hat) asyndetische Verknüpfung völlig fehlt, sie hingegen - um einen entgegengesetzten Fall anzuführen - im omd. Bildungs Schrifttum (Der Gesellige, eine moralische Wochenschrift) mit einem Anteil von 10, 0 % relativ häufig auftritt. ad b - Im Bereich der drei- und mehrgliedrigen Formeln erhöht sich die Variationsbreite innerhalb der einzelnen Verbindungsweisen (monosyndetisch, polysyndetisch, asyndetisch, restliche Verbindungsweisen) stark; die Abstände zu den Gesamtdurchschnittswerten sind hier um ein vielfaches höher als bei den bisher besprochenen Bau-
Formen und grammatische Struktur nebengeordneter Wortreihen
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elementen der Wortreihung. Möglich wird es dadurch, daß offensichtlich zusätzlich individuelle Selektionsgewohnheiten den jeweiligen Gattungstrend mehr oder weniger stark variieren. Zunächst fällt auf, daß die dicht beieinander liegenden Gesamtdurchschnittswerte für polysyndetische und asyndetische Verbindung (14, 2 % - 15,1 %) im Roman, in der Fachprosa und in den Briefen umgekehrt werden. In den genannten Gattungen ist der Anteil polysyndetischer Verbindung jeweils größer als der der asyndetischen - im Ro-. man ist das Verhältnis 12,0 % : 2,0 %, in der Fachprosa 14,3 % : 10,7 %, in den Briefen 18, 2 % : 14, 3 %. Eine Ausnahme stellt das BildungsSchrifttum dar; in ihm e r reicht die asyndetische Verbindung einen Anteil von 36,4 %, es liegt damit 21, 3 % über dem Gesamtdurchschnitt. Den Gegenpol markiert die Gattung Roman: Sie liegt mit 2, 0 % asyndetischer Verbindung 13,1 % unter dem betreffenden Gesamtdurchschnitt, Damit wird im Bereich der asyndetischen Verbindung ein + / - Streufaktor von 34, 3 % erreicht gegenüber einem solchen von 10, 4 % in dem Landschaftsbereich: ein deutlicher Hinweis auf die Priorität gattungsspezifischer Bedingungen. Er wird - trotz der hervorgehobenen individuellen Variierung - bestätigt, zieht man die einzelnen Gattungsvertreter heran. Im omd., wmd. und oobd. Roman fehlt asyndetische Verknüpfung so völlig, das oobd. und das wobd. Bildungsschrifttum liegen mit 53,1 % und 51,8 % asyndetischem Anteil weit über dem Gattungsdurchschnitt von 36, 4 %. Fälle wie /neben anderen Gutthaten deß Erdbodens find man . . . zu Zoll, Leva, Zisch, vnterschidliche Sauerbrunn/ II Bi. 3,21 /Brecard, Damast, Atlas stritten um die Wette/ n Bi. 4,43 sind daher ein Kennzeichen für Vertreter des letzteren Gattungskomplexes. Erhärtet wird die eingangs getroffene Feststellung von den großen Streubreiten im Bereich der Verbindung drei- und mehrgliedriger Formeln durch das Verhalten der Gattungen zur monosyndetischen Verbindungsweise. Hier erscheint das reziproke Verhältnis zur asyndetischen Verknüpfung: Das Bildungsschrifttum liegt mit 44,9 % um 20,1 % unter dem Gesamtdurchschnitt, die Romane mit 83,4 % um 18,4 % über ihm. Das ergibt einen + / - Streufaktor von 38, 5 % im Bereich der Gattungen gegenüber einem "solchen von 21,0 % im Bereich der Landschaften. Einzelbeobachtungen verdeutlichen wieder die Gattungsverhältnisse - so, wenn im wobd. Bildungsschrifttum (Discourse der Mahlern) nur 25,9 % aller vorkommenden Fälle monosyndetisch gereiht werden (hingegen 51,8 % asyndetisch) oder wenn im wobd. Roman (Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch) 84,0 % der Fälle monosyndetisch, hingegen nur 8,0 % asyndetisch verbunden werden. Restliche Verbindungsweisen spielen nur eine untergeordnete Rolle, monosyndetische und asyndetische Verknüpfung bildet offensichtlich das Spannungszentrum des be-
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Gerhard Kettmann
handelten Bereiches, dem sich auch die geringeren Schwankungen im polysyndetischen Bezirk unterordnen. 3.4. Landschaften, Gattungen, Sprachverwendung Zwei Fragen waren im Hinblick auf die typenbildenden Bauelementgruppen der Wortreihung zu klären: 1. welche Kombinationsmöglichkeit dominiert in ihnen jeweils 2. wie ist in den herangezogenen Landschaften und Gattungen das Verhältnis der auf Grund der möglichen Kombinationen entstandenen Typen zueinander ad 1 - In der Regel zeichnen sich klare Dominanzverhältnisse ab: zweigliedrig 83,0% syndetisch
asyndetisch verbunden
94,1 %
5,9% dreigliedrig, mehr als dreigliedrig 16. 6 %
monosynd.
polysynd.
asynd.
resti, verbunden
49, 3 %
25,8 %
16, 4 %
8,0%
Zweigliedrige Formeln, syndetisch verbunden, stellen somit das Hauptarsenal der Wortreihungen; drei- und mehrgliedrige treten ihnen gegenüber sehr zurück. Bei ihnen dominiert monosyndetische Verbindungsweise vor ebenfalls häufig belegter asyndetischer Verknüpfung; polysyndetische Verbindung und restlich verbundene Formen e r scheinen in wesentlich geringerem Ausmaße. ad 2 - In der realen Anwendung der aufgezeigten Möglichkeiten bleiben Landschaften und Gattungen zwar gemeinhin in den durch die generelle Norm vorgezeichneten Bahnen, Abstufungen bei der Verfolgung dieses Prinzips sind aber trotzdem sowohl von Landschaft zu Landschaft aJs auch von Gattung zu Gattung zum Teil recht deutlich erkennbar; sie geben Aufschluß darüber, ob landschafts- oder gattungsimmanente Faktoren stärkere Akzente bei der Wahl der Varianten setzen. Folgendes Bild ergibt sich aus der zusammenfassenden Betrachtung der bisher behandelten Komplexe: Sprachlandschaftliche Eigenheiten machen sich zwar bei jeder der untersuchten Erscheinungen bemerkbar, gravierende Dominanzen nach der einen oder anderen Seite des Gebrauchs werden aber dadurch nicht geschaffen. Vielmehr zeichnen sich in der Regel nur geringe Differenzen zwischen den einzelnen Landschaftsdurchschnitten und dem Gesamtdurch-
F o r m e n und grammattsche Struktur nebengeordneter Wortreihen
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