Zur Ausbildung der Norm der deutschen Literatursprache auf der syntaktischen Ebene (1470–1730): Der Einfachsatz [2., unveränderte Auflage, Reprint 2022] 9783112617823, 9783112617816


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German Pages 544 [545] Year 1977

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Zur Ausbildung der Norm der deutschen Literatursprache auf der syntaktischen Ebene (1470–1730): Der Einfachsatz [2., unveränderte Auflage, Reprint 2022]
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Zur Ausbildung der Norm der deutschen Literatursprache auf der syntaktischen Ebene (1470-1730) Der Einfachsatz

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN DER DDR Zentralinstitut für Sprachwissenschaft

56/1 Bausteine zur Sprachgeschichte des Neuhochdeutschen Herausgegeben von Günter Feudel Zur Ausbildung der Norm der deutschen Literatursprache (1470—1730) • I Leitung: Joachim Schildt

Zur Ausbildung der Norm der deutschen Literatursprache auf der syntaktischen Ebene (1470—1730) Der Einfachsatz unter Leitung von G. Kettmann und J. Schildt 2., unveränderte Auflage

Akademie-Verlag • Berlin 1981

Erschienen im Akademie-Verlag, DDR-1080 Berlin, Leipziger Straße 3—4 Lektor: Ursula Schöwe © Akademie-Verlag Berlin 1976 Lizenznummer: 202 • 100/154/81 Umschlaggestaltung: Helga Klein Gesamtherstellung: VEB Druckerei „Thomas Müntzer", 5820 Bad Langensalza Bestellnummer: 752 3853 (2054/56/1) • LSV 0815 Printed in GDR DDR 68 — M

Vorwort Die Beschäftigung mit der Geschichte der Sprache und das Bemühen, durch Erforschung der sprachlichen Entwicklung zur Erforschung der Geschichte der Gesellschaft, die diese Sprache spricht, beizutragen, ist ein fundamentales Anliegen der Sprachwissenschaft, seit sie sich als selbständige Disziplin begreift. Friedrich Engels bezeugte der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft eine hohe Wertschätzung, wenn er im "AntiDühring" von der 'seit sechzig Jahren so gewaltig und erfolgreich entwickelten historischen Sprachforschung'* sprach. Zwar gerieten die sprachhistorischen Forschungen zeitweilig durch die überhandnehmende atomistische Betrachtungsweise der Junggrammatiker in Verruf, ja sie wurden sogar für Jahrzehnte völlig in den Hintergrund gedrängt, seit de Saussure in verständlicher Reaktion darauf die synchrone Forschung zur einzig wissenschaftlichen proklamiert hatte - dennoch behaupteten sie ihren Platz in der Linguistik und blieben ein zentrales Anliegen jeder wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Sprache. Die sowjetische Sprachwissenschaft hat seit ihrem Bestehen der Sprachgeschichtsforschung - bei aller Anerkennung der Notwendigkeit und Bedeutung von synchronen Untersuchungen - nie die gebührende Aufmerksamkeit versagt. Sie stellte sich von Anfang an die Aufgabe, den Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Sprache und der geschichtlichen Entwicklung zu erforschen, Gesetzmäßigkeiten der Sprachentwicklung aufzudecken und die wichtigsten Etappen sprachlicher Entwicklung mit bestimmten Knotenpunkten der gesellschaftlichen Entwicklung in Beziehung zu setzen. Das kann auch gar nicht anders sein, betrachtet der Marxismus-Leninismus - im Gegensatz zu den meisten positivistischen Theorien - die Sprache doch als eine zutiefst gesellschaftliche Erscheinung und die Sprachwissenschaft dementsprechend als einen integrierenden Bestandteil der Gesellschaftswissenschaften. Ebenso wie die Gesellschaft hat auch die Sprache ihre Geschichte, ebenso wie die Geschichte der Gesellschaft, gilt es auch die Geschichte der Sprache aufzuhellen und dem Sprachträger bewußt zu machen. Friedrich Engels schrieb im "Anti-Dühring": 'Stoff und Form der eignen Sprache sind aber nur dann verständlich, wenn man ihre Entstehung und allmähliche Entwicklung verfolgt, und dies ist nicht möglich ohne Berücksichtigung erstens ihrer eignen abge2 storbenen Formen und zweitens der verwandten lebenden und toten Sprachen' . Und es war auch kein geringerer als der Mitbegründer des wissenschaftlichen Kom3 munismus, der mit seiner tiefschürfenden Arbeit über "Den Fränkischen Dialekt" (1881-1882) in einer Zeit, als der Atomismus der Junggrammatiker seinem Höhepunkt zustrebte, ein klassisches Vorbild für die Methode sprachgeschichtlicher Untersuchungen lieferte, klassisch, weil Engels in dieser - leider unvollendet gebliebenen - Schrift den historischen Materialismus beispielhaft auf die Sprachwissenschaft angewandt hat. Dadurch, daß er zur Beurteilung sprachgeschichtlicher Vorgänge alle ihm zugänglichen

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Vorwort

Quellen heranzog, sprachliche eoenso wie historische, ethnographische, geographische u. a., vermochte er es, die damals - und zum Teil bis in die Gegenwart - dominierende schematische Einteilung der deutschen Mundarten nach den Merkmalen der 2. Lautverschiebung zu überwinden und die wahren historischen Zusammenhänge zwischen den ver4

schiedenen Dialektgruppierungen aufzuzeigen . Als erster hat der bedeutende sowjetische Sprachhistoriker V.M. Schirmunski die Ergebnisse von Engels' Schrift, die erstmals 1935 in 5der UdSSR veröffentlicht wurde, der internationalen Germanistik zugäng-

lieh gemacht . Sicherlich ist es auch kein Zufall, daß bisher nur in der sowjetischen Sprachwissenschaft ein ernsthafter Versuch unternommen wurde, Engels' Leistungen als Linguist zu würdigen.g Im Vorwort zu dem Sammelband "Engels und die Sprachwissenschaft", Mos-

kau 1972 , der anläßlich des 150. Geburtstages von Fr. Engels vom Institut für Sprachwissenschaft der AdW der UdSSR herausgegeben wurde, heißt es: 'In Engels' Person haben wir es nicht nur mit einem Philosophen und Historiker zu tun, der bei der Ausarbeitung der dialektisch-materialistischen Theorie der gesellschaftlichen Entwicklung linguistisches Material verwertete, sondern mit einem Sprachwissenschaftler und Forscher im weitesten Sinne des Wortes. Für die Entwicklung der Theorie der sowjetischen 7 Sprachwissenschaft hat das Erbe von Fr. Engels daher besondere Bedeutung.' Unter den deutschen Germanisten, die dem Zusammenhang von Sprach- und Gesellschaftsgeschichte stets besondere Beachtung geschenkt haben, ragte besonders Theodor Frings hervor, dessen gesammelte Arbeiten nicht von ungefähr unter dem Titel "Sprache und Geschichte" neu herausgegeben wurden. Nach den grundlegenden, in Gemeinschaftsarbeit mit Historikern und Kulturhistorikern durchgeführten dialektgeographischkulturmorphologischen Untersuchungen über Kulturströmungen und Kulturprovinzen in den Rheinlanden hatte Th. Q Frings in seiner wegweisenden Schrift "Die Grundlagen des Meissnischen Deutsch" 1936 den großartigen Versuch unternommen, die Entstehung und Entwicklung der neuhochdeutschen Literatursprache, ausgehend von den modernen deutschen Mundarten, zu erhellen. Im Gegensatz zu der seit K. Müllenhaff und besonders seit K. Burdach in der damaligen deutschen Sprachgeschichtsforschung weit verbreiteten These von der kanzleisprachigen Herkunft des Neuhochdeutschen suchte Th. Frings die Grundlage der neuhochdeutschen Norm in der kolonialen Ausgleichssprache des ostmitteldeutschen Siedlungsgebiets, im Räume des Wettinischen Staates. Dabei hob er zugleich hervor, daß der weitere Ausgleich und die weitere Entwicklung der obersächsischen Geschäfts- und Verkehrssprache in enger Wechselwirkung mit der oberdeutschen Schreibtradition erfolgte. Für die zukünftige Forschung ergab sich daraus die Aufgabe, der schreibsprachlichen Entwicklung des Deutschen seit frühneuhochdeut9 scher Zeit verstärkte Aufmerksamkeit zu schenken. In diesem Bemühen, die verschlungenen Wege der historischen Entwicklung der neuhochdeutschen-Literatursprache aufzudecken, traf sich Th. Frings mit der sowjetischen

Vorwort

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Sprachgeschichtsforschung, die sich seit der 2. Hälfte der 50er Jahre verstärkt mit der Herausbildung der nationalen Norm verschiedener europäischer und außereuropäischer Nationalsprachen befaßte und allgemeine, über die jeweilige Einzelsprache hinausgehende Entwicklungsgesetzmäßigkeiten zu ermitteln suchte. Davon zeugt der 1960 als Band X des Instituts für Sprachwissenschaft erschienene Sammelband "Voprosy formirovanija i razvitija national'nych jazykov", der auch einen von M. M. Guchmann verfaßten Beitrag über die Herausbildung der literatursprachlichen Norm der deutschen Nationalsprache enthält. Nach wechselseitigen Besuchen von Th. Frings in der UdSSR, von V. M. Schirmunski und seiner Schülerin M. M. Guchmann in Berlin wurde zwischen dem damaligen Institut für deutsche Sprache und Literatur der AdW der DDR und dem Institut für Sprachwissenschaft der Akademie der Wissenschaften der UdSSR eine systematische wissenschaftliche Zusammenarbeit zur Erforschung der Geschichte der deutschen Sprache vereinbart. Es sind nunmehr 10 Jahre vergangen, seit Th. Frings im Jahre 1964 die Reihe "Bausteine zur Sprachgeschichte des Neuhochdeutschen" ins Leben rief, in der Forschungsergebnisse veröffentlicht werden sollten, die aus dieser Zusammenarbeit e r wuchsen. In seinem Geleitwort stellte er der Reihe die Aufgabe: 'Sie soll das Werden einer geeinten deutschen Sprache studieren und dokumentieren. Diese Entwicklung an Hand der schriftlichen Überlieferung genauer zu verfolgen, ist eine Notwendigkeit.' Als Bandl der "Bausteine" erschien die deutsche Fassving von M. M. Guchmanns zweibändiger Monographie "Der Weg zur deutschen N a t t o n a l s p r a c h e d i e gewissermaßen als Gegenstück zu den "Grundlagen des Meissnischen Deutsch" betrachtet werden kann. Ausgehend von den theoretischen Erkenntnissen der sowjetischen Linguistik über die Herausbildung von Nationalsprachen überhaupt, gelangte die Verfasserin nach Untersuchung eines umfangreichen und vielfältigen Quellenmaterials zu wesentlich neuen Einsichten, die das von Frings umrissene Bild von der Entwicklung des Neuhochdeutschen ergänzten und erweiterten. Neben der Klärung einer Reihe wichtiger Termini wie Nationalitätssprache, Nationalsprache, Literatursprache und der damit verbundenen Probleme verdankt die Germanistik diesem Werk eine wichtige Bereicherung unserer Kenntnisse von der komplizierten Entwicklung der Sprachverhältnisse in Deutschland seit dem frühen Mittelalter bis in die Neuzeit. ** Befruchtend auf die weiteren Forschungsarbeiten wirkte vor allem der von der Verfasserin geführte Nachweis, daß die Grundlage der neuhochdeutschen Literatursprache nicht unmittelbar in der Meissener Mundart zu suchen ist. 'Diese Grundlage ist vielmehr die literatursprachliche Variante dieses Gebietes, die sich im 15./16. Jahrhundert infolge langer, wechselseitig wirkender Sprachtraditionen und des Ausgleichs zwischen Norden und Süden herausbildete und die ohne Zweifel mit den Besonderheiten des ostmitteldeutschen Mundartgebietes zusammenhing.' 12

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Vorwort

Um ein konkretes Bild von diesem Ausgleichsprozeß zu gewinnen, bedurfte und bedarf es noch zahlreicher Einzeluntersuchungen, die das verschiedenartigste Quellenmaterial, vor allem aber solches, das lebendige Entwicklungsprozesse widerspiegelt, heranziehen und verschiedene Sprachebenen analysieren. Eben diesem Ziel dienten 13 14 die folgenden Bände der "Bausteine". In den Arbeiten von E. Skäla , G. Kettmann , P. Suchsland15, W. Fleischer 16 , E. Otto1*7 wird das umfassende Archivmaterial wichtiger ostmitteldeutscher Urkundenzentren - vor allem im Hinblick auf den Zeichenund Formeribestand, zum Teil auch unter Berücksichtigung bestimmter syntaktischer 18 und lexikalischer Erscheinungen - aufgearbeitet. Die Arbeiten von J. Schildt und 19 J. Dresel sind der Entwicklung des Funktionsfeldes der lokalen und temporalen P r ä positionen im Ostmitteldeutschen gewidmet. Die Erfurter Literatursprache, insbeson-20 dere die Sprache der Erfurter Historienbibel vom Jahre 1428, wird von R. Bentzinger untersucht. Von dem Bemühen, das Problem der Herausbildung der Norm des Neuhochdeutschen auf verschiedenen Sprachebenen, der syntaktischen, der morphologischen, aber auch der lexikalischen Ebene, zu erforschen und dabei soziolinguistische Aspekte in dieder Untersuchung einzubeziehen, zeugt gemeinsamer Sammelband von German! 21 . Der sten UdSSR und der DDR "Studien zur ein Geschichte der deutschenJ3prache" Wortschatz der Flugschriften aus den Jahren der Reformation und des Bauernkriegs wird in der Arbeit von H. Winkler untersucht, die in diesem Jahr erschienen ist. 22 Der Sprache der politischen deutschen Literatur zur Zeit der Reformation und des Bauernkriegs ist auch die 1970 in Moskau erschienene Monographie von M, M. Guch23 mann gewidmet , die anläßlich des 450. Jubiläums des Deutschen Bauernkriegs in deutscher Fassung in den "Bausteinen" vorgelegt wurde. Besondere Erwähnung verdienen ferner einige wichtige Untersuchungen, die ebenfalls im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen den zwei Instituten entstanden sind, aber außerhalb unserer Reihe veröffentlicht wurden. N.N. Semenjuk hat in einer Mono24 graphie die bislang von der germanistischen Sprachwissenschaft kaum beachtete periodische Presse der ersten Hälfte des 18. Jh. im Hinblick auf die Ausbildung der Normen der deutschen Literatursprache analysiert und damit einen interessanten Beitrag zur Geschichte der deutschen Sprache geleistet. In einer anderen wichtigen Arbeit, die der Geschichte der funktional-stilistischen Differenzierungen der deutschen 25 Literatursprache gewidmet ist, untersucht die gleiche Verfasserin einige grundlegende syntaktische und lexikalische Besonderheiten in der Sprache der frühen deutschen Zeitungen des 17» Jh. Sie ermittelt chronologische, landschaftliche und soziale Varianten und behandelt im Zusammenhang damit das Problem der funktional-stilistischen Differenzierung der Literatursprache. W. G. Admoni untersuchte in seiner Monographie über die Entwicklung der Satzstruktur zur Zeit der Herausbildung der deutschen Nationalsprache 26 die Veränderungen im Satzumfang und in der strukturellen Organi-

Vorwort

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sation des Deutschen. Durch die umfassende Analyse bestimmter syntaktischer, zum Teil auch stilistischer Erscheinungen, gelang es dem Verfasser, Entwicklungsgesetzmäßigkeiten in der Satzgestaltung aufzudecken und damit die Erklärung für bestimmte Prozesse zu liefern, die sich in der deutschen Sprache der Gegenwart vollziehen. Einen Blick auf die weitere Entwicklung der deutschen Sprache zu werfen, künftige Entwicklungswege des Deutschen aufzuzeigen - das ist das Ziel von W.G. Admonis jüngster 27

Arbeit über die Entwicklung des grammatischen Baus der deutschen Sprache . Zur Abrundung des Bildes sei noch auf zwei wichtige Untersuchungen zu dem Problemkreis hingewiesen, die zwar nicht unmittelbar aus der Zusammenarbeit mit den sowjetischen Germanisten hervorgegangen sind, aber den wissenschaftlichen Kontakten mit ihnen wesentliche Anregungen verdanken, nämlich die Untersuchung28von G. Ising über die Wortgeographie spätmittelalterlicher deutscher Schriftdialekte und die Monographie von D. Nerius über die Herausbildung einer nationalen Norm der deutschen Lite29

raturspräche im 18. Jh. In den folgenden fünf Bänden der "Bausteine" werden weitere, aus der wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit den sowjetischen Germanisten hervorgegangene Untersuchungen zur Ausbildung der neuhochdeutschen literatursprachlichen Norm veröffentlicht. Die germanistische Sprachgeschichtsforschung der DDR verdankt der sowjetischen Germanistik u.E. zu drei wesentlichen Problemkreisen entscheidend neue theoretische E r kenntnisse: Sie betreffen den Zusammenhang zwischen der sozial-ökonomischen Formation und dem Gefüge der sprachlichen Existenzformen, die Rolle und Bedeutung der Literatursprache und ihrer Entwicklung in diesem Gefüge und das Problem der Sprachnorm im weiteren, der literatursprachlichen Norm im engeren Sinne. Gestützt auf diese von der sowjetischen Sprachgeschichtsforschung entwickelten theoretischen Positionen haben Mitarbeiter des Bereichs Sprachgeschichte des ZISW unter Leitung von Dr. habil. J. Schildt den Prozeß des sprachlichen Ausgleichs und der Ausbildung der neuhochdeutschen literatursprachlichen Norm an ausgewählten syntaktischen Erscheinungen des 30 Einfachsatzes und an ausgewählten Konkurrentengruppen des Wortschatzes verfolgt. Daran schließen sich die Untersuchungen der sowjetischen Germanisten an, die etwa nach der gleichen Konzeption und mit analogen Methoden der sprachlichen Entwicklung auf dem Gebiet der Morphologie, der Wortbildung und des zusammengesetzten Satzes gewidmet sind. Wir hoffen, daß die vorgelegten Arbeiten unsere Kenntnis von den komplizierten Entwicklungswegen der Herausbildung der neuhochdeutschen Literatursprache wesentlich bereichern werden. Günter Feudel

Vorwort

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Anmerkungen 1 Marx-Engels, Werke Bd. 20, 299. 2 Marx-Engels, Werke Bd. 20, 298. 3 Marx-Engels, Werke Bd. 19, 494-518. 4 Siehe in diesem Zusammenhang den Artikel von Lerchner, Anwendbarkeit, 9-31. 5 Zirmunskij, "Frankskij dialekt"; vgl. ferner "Inostrannye jazyki v Skole", 1954, Nr. 5. Eine eingehende Würdigung von Engels' Arbeit enthält Schirmunskis Standardwerk, Mundartkunde, 25-55. 6 Vgl. die Rezension von Albrecht und Krüger, 390-392. 7 Engel's i jazykoznanie, Moskva 1972, 5-6. 8 Frings, Sprache und Geschichte in, 11-24. 9 Frings, Sprache und Geschichte m , 24. 10 Guchmann, Weg. 11 Die Bedeutung dieser Monographie wurde bereits an Hand der russischen Ausgabe eingehend gewürdigt von Fleischer, Entstehung, 385-405. Vergleiche auch die Rezension von Mironov, Izvestija. R. Grosse geht in seinem Aufsatz, Begriff, e r neut auf wesentliche Aspekte der Monographie ein, vgl. 54-66. Weitere Rezensionen: Arndt 798-802, Bach 311-314; H. Eggers, Germanistik, 6. Jg., H. 4, 1965. Die Arbeit von M. Guchmann und die folgenden Bände der "Bausteine" von G. Kettmann, E. Skäla, P. Suchsland wurden rezensiert von L.R. Zinder und T. V. Stroeva in "Voprosy jazykoznanija", 1970, 6, 110-114, und jüngst von Piirainen, 300308. 12 Guchmann, Weg, 2. Teil, 183/4. 13 Skäla, Entwicklung. 14 Kettmann, Kanzleisprache. 15 Suchsland, Sprache. 16 Fleischer, Untersuchungen. 17 Otto, Sprache. 18 Schildt, Ausbildung. 19 Dresel, Funktionsfeld, 20 Bentzinger, Studien. 21 Studien zur Geschichte der deutschen Sprache, Berlin 1972. 22 Winkler, Wortbestand. 23 Guchmann, Jazyk. 24 Semenjuk, Problema; s. die Rezension von G. Feudel in "Germanistik", 9. Jg., H. 1, 1968. 25 Semenjuk, Iz istorii. 26 Admoiü, Razvitie; vgl. die Rezension von G. Feudel in DLZ, Jg. 88, Nov. 1967. 988 ff; ferner Kufner, "Germanistik" 1967, 256. Ein Teil der Ergebnisse dieser Arbeit veröffentlichte Admoni in seinem Aufsatz, Umfang; vgl. auch Admoni, Entwicklung.

Vorwort

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27 Admoni, Puti. 28 Ising, Wortgeographie; vgl. die Rezension von Piirainen, 312 ff. 29 Nerius, Untersuchungen. 30 Vgl. die Vorveröffentlichung der Arbeitsergebnisse in den "Linguistischen Studien" Reihe A, Heft 7 des ZISW.

INHALT

Gesämteinleitung Zur Ausbildung der Norm der deutschen Literatursprache auf der syntaktischen Ebene. (1470 - 1730) Gabriele Schieb: Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

15 27 39

Joachim Schildt: Zur Ausbildung des Satzrahmens

235

Franzjosef Pensei: Die Satznegation

285

Gerhard Kettmann: Formen und grammatische Struktur nebengeordneter Wortreihen

327

Marie-Elisabeth Fritze: Bezeichnungen für den Zugehörigkeits- und Herkunftsbereich beim substantivischen Attribut

417

Günter Kramer: Das Partizip I als Adjektiv und Adjektivkomponente - seine Entwicklung innerhalb der Klasse der Adjektive

477

Zur Spezifik des Sprachausgleichs

511

Quellenverzeichnis

523

Literaturverzeichnis

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Gesamteinleitung 1. Ziel der Arbeiten dieses Bandes sowie der weiteren, unter demselben Obertitel erscheinenden Sammelbände und Monographien ist die Untersuchung der Herausbildung der Norm der nationalen deutschen Literatursprache. Der Prozeß der Entstehung einer einheitlichen, für das gesamte deutsche Sprachgebiet verbindlichen Sprachform begann mit dem Aufkommen des Frühkapitalismus in Deutschland und stand in engem Zusammenhang mit der Entwicklung der bürgerlichen Nation. Bereits im 14. und 15. Jahrhundert hatten sich im Schöße der Feudalordnung die Produktivkräfte soweit entwickelt, daß zu Beginn des 16. Jahrhunderts ein Widerspruch zwischen dem Stand der Produktivkräfte und dem Charakter der feudalen Produktionsverhältnisse bestand, der in der frühbürgerlichen Revolution, die mit dem Thesenanschlag von Luther 1517 begann und mit der Nie1 2 der läge der Bauern im Bauernkrieg von 1525 endete, seine Lösung suchte . Die P r o duktivkräfte hatten sich sprunghaft entwickelt, und die Anfänge einer kapitalistischen Produktionsweise breiteten sich aus, besonders im Bergbau, Hüttenwesen, im Textilund Metallgewerbe. Eine verbesserte Bergbautechnik brachte den Silberbergbau zur Blüte, belebte die gesamte Wirtschaft, indem Handels- und Geldkapital eihe erhebliche Stärkung erfuhren. Deutschland erwarb sich eine zeitweilige ökonomische Vormachtstellung in Europa. Abseits von dieser Entwicklung stand die bäuerliche Agrarproduktion; die Formen feudaler Unterdrückung der Bauern verschärften sich und verhinderten einen entsprechenden Fortschritt auf dem Lande. Die feudalen Produktionsverhältnisse aber behinderten eine weitere Entfaltving der allenthalben gewachsenen Produktivkräfte, da der aufstrebenden Wirtschaft infolge der feudalen Zersplitterung ein angemessener Binnenmarkt versagt bleiben mußte. In Abhängigkeit von diesen Prozessen, vor allem vom gestiegenen Grad der Arbeitsteilung hatte sich eine Differenzierung der Gesellschaftsstruktur vollzogen. Neben den Grundklassen der Bauern und des Adels, die im Feudalismus die Klassenstruktur bestimmten, hatten sich neue Schichten herausgebildet, die entsprechend ihren ökonomischen Interessen nach Sprengung der Fesseln der Feudalordnung strebten. Dazu gehörte einerseits das Bürgertum in den Städten, das in sich geschichtet war in Handwerker, Gewerbetreibende, Händler, Gelehrte, andererseits auch eine aus den Bauern hervorgegangene bäuerlich-plebejische Schicht, unter der sich auf kapitalistische Weise ausgebeutete Lohnarbeiter befanden. Der Grundwiderspruch zwischen dem Stand der Produktivkräfte und dem Charakter der feudalen Produktionsverhältnisse wurde durch die frühbürgerliche Revolution nicht gelöst. Im Gegenteil, nach der Niederlage der progressiven Kräfte verstärkte sich für längere Zeit die feudale Basis. Die Feudalherren konnten nach 1525 ihre Territorialstaaten weiter ausbauen; damit stärkten sie gleichzeitig ihre Macht gegenüber der kaiserlichen Zentralgewalt, die

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zur Bedeutungslosigkeit herabsank. Durch den negativen Ausgang der Revolution wurde die Herausbildung der bürgerlichen deutschen Nation und damit auch die Entstehung einer Sprachform von nationaler Geltung, der nationalen Literatursprache, erheblich verzögert. Die geschilderten Veränderungen in der ökonomischen Struktur sowie in der Klassenstruktur brachten zu Beginn des 16. Jahrhunderts neue Kommunikationsbedürfnisse mit sich. Das aufstrebende Bürgertum brauchte ein Kommunikationsmittel, das im Rahmen des sich allmählich herausbildenden inneren Marktes über Orts - und Länder grenzen hinaüs in Deutschland Gültigkeit hatte. Die sich entwickelnde bürgerliche deutsche Nation benötigte eine Existenzform der Sprache, die im Unterschied zu bestehenden Existenzformen eine nationale Geltung aufwies. Interesse an einer solchen Sprachform mit Gültigkeit für das ganze deutsche Sprachgebiet hatten der Handel, aber auch fortschrittliche Schriftsteller, das sich in den Städten entfaltende Bildungswesen sowie die Drukker, die ihre Druckerzeugnisse in ganz Deutschland abgesetzt und gelesen wissen wollten. Ihr Umsatz stieg, je verbreiteter die Sprachform war, der sie sich bedienten. 3 Lenin hebt diesen Zusammenhang zwischen der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise, der Entstehung der Nation und der Bildung einer einheitlichen, allseitig entfalteten Sprache deutlich hervor, wenn er schreibt: 'In der ganzen Welt war die Epoche des endgültigen Sieges des Kapitalismus über den Feudalismus mit nationalen Bewegungen verbunden. Die ökonomische Grundlage dieser Bewegungen besteht darin, daß für den vollen Sieg der Warenproduktion die Eroberung des inneren Marktes durch die Bourgeoisie erforderlich, die staatliche Zusammenfassung von Territorien mit Bevölkerung gleicher Sprache notwendig ist, bei Beseitigung aller Hindernisse für die Entwicklung dieser Sprache und ihre Entfaltung in der Literatur. Die Sprache ist das wichtigste Mittel des Verkehrs der Menschen untereinander; die Einheit der Sprache und ihre ungehinderte Entwicklung bilden eine der wichtigsten Voraussetzungen für einen wirklich freien und umfassenden, dem modernen Kapitalismus entsprechenden Handel, für eine freie und umfassende Gruppierung der Bevölkerung nach jeder der einzelnen Klassen, schließlich eine Voraussetzung für die enge Verbindung des Marktes mit jedem, auch dem kleinsten Unternehmer, mit jedem Verkäufer und Käufer.' Das Hauptanliegen des Feudaladels dagegen war der Ausbau der feudalabsolutistischen Territorien. Er förderte also eher die Entwicklung entsprechender Sprachformen im Rahmen des jeweiligen feudalabsolutistischen Staates als die Ausbildung einer Sprachform von nationaler Geltung, obgleich natürlich auch er über die Grenzen der Territorien hinaus Kommunikationsbeziehungen pflegte, die Vereinheitlichungstendenzen unterstützten. Für die bäuerliche Klasse dagegen, an den Boden und den Grundherren gebunden, bestand keine Notwendigkeit für die Existenz von übergreifenden Sprachformen. Diese unterschiedlichen, nebeneinander bestehenden kommunikativen Bedürfnisse waren Ausdruck der spezifi-

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sehen gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland, dessen Weg zum Kapitalismus und zur bürgerlichen Nation infolge des Ausgangs der frühbürgerlichen Revolution im Vergleich zu anderen europäischen Staaten ein relativ langer und komplizierter P r o zeß wurde. Die mit der Herausbildung kapitalistischer Verhältnisse entstehenden neuen Kommunikationsbedürfnisse, die sich letztlich aus Veränderungen in der sozialökonomischen Struktur ergaben, hatten Wandlungen in den schon vorhandenen Existenzformen, das Aufkommen einer neuen Existenzform und damit eine neue Struktur des Gefüges der 4 Existenzformen der deutschen Sprache zur Folge. Die Dialekte, weitgehend an Kommunikationsgemeinschaften feudalabhängiger Bauern gebunden, blieben weiter bestehen, desgleichen städtische Koin6s, die in den Städten als Verkehrssprachen von begrenztem Ausgleich zwischen verschiedenen Dialekten fungierten. Daneben bildete sich vorwiegend als Ausdruck bürgerlicher Kommunikationsbedürfnisse in einem Jahrhunderte währenden Prozeß die nationale Literatursprache heraus, die in einer mündlichen und in einer schriftlichen Variante Geltung für das gesamte deutsche Sprachgebiet erlangte. Grundlage für ihre Entwicklung waren verschiedene, territorial stärker oder schwächer gebundene Varianten der Literatursprache, die als Ausdruck der Kommunikationsbedürfnisse des feudalen Territorialstaates oder ökonomischer Interessen des Bürgertums (vgl. die Sprache der Hanse) unter den Bedingungen feudaler Zersplitterung aufgekommen waren. Die nationale Literatursprache dagegen entstand im Rahmen eines langandauernden vielschichtigen Prozesses, der nach bisherigen Erkenntnissen als ein Ausgleichs- und Angleichungspro.zeß zwischen jenen literatursprachlichen Varianten verstanden werden muß. Ihre neue Qualität bestand in einer relativen Einheitlichkeit und in ihrer nationalen Geltung. Infolge der Existenz antagonistischer Klassen sowie des damit verbundenen bürgerlichen Bildungsmonopols hatte sie trotz ihrer Funktion als nationales Kommunikationsmittel nur eine begrenzte soziale Basis. Große Teile der bäuerlichen Bevölkerung sowie der in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts stark anwachsenden Arbeiterklasse waren von ihrer Beherrschving weitgehend ausgeschlossen. Die nationale Literatursprache sowie die anderen Existenzformen der Sprache als Ausdruck unterschiedlicher Kommunikationsbedürfnisse standen nicht isoliert nebeneinander, sondern beeinflußten einander. Über Jahrhunderte hinweg haben mundartliche Elemente die nationale Literatursprache immer wieder bereichert, obgleich die Bedeutung der Dialekte für die gesellschaftliche Kommunikation mehr und mehr zurückging. 2. Die vorliegenden Arbeiten dienen dem Ziel, den Prozeß der Herausbildung der Norm der nationalen deutschen Literatursprache in ihrer schriftlichen Variante, soweit er sich unter kapitalistischen Bedingungen zur Zeit der Entstehimg der bürgerlichen deut-

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sehen Nation vollzog, an ausgewählten Beispielen zu erhellen. Zu dem Zweck wird die aus einem bestimmten Quellenkorpus zu ermittelnde Sprachverwendung (synonym werden auch Sprachgebrauch und Sprachusus verwendet) beschrieben, insbesondere Ausgleichsvorgänge zwischen literatursprachlichen Varianten, die die Voraussetzung für die Herausbildung einer Norm der nationalen deutschen Literatursprache sind. Der Zeitraum der Untersuchung wird begrenzt durch die Jahre 1470 und 1730; er wurde gewählt aufgrund der allgemeinen Erkenntnis, daß in dieser Zeit entscheidende Schritte auf dem Wege zur Entstehung der bürgerlichen Nation sowie der Norm der nationalen deutschen Literatursprache gemacht wurden. Die Arbeiten beschränken sich auf die Beschreibung von Ausgleichsvorgängen als Voraussetzung für Normbildung. Die Entscheidung darüber, ob eine Norm vorliegt oder nicht, wird ausgespart, bis weitere Untersuchungen zu dieser Thematik - sie sind geplant - vorliegen; sie werden es gestatten, von einer breiteren Materialgrundlage zu fundierteren Einsichten in dieser Frage zu kommen, als sie beim gegenwärtigen Stand der Forschung möglich sind.

2.1. Auf folgende Fragen sollen die Untersuchungen eine Antwort geben: - Welchen Stand hatten die Ausgleichsprozesse in der Literatursprache zu Beginn und am Ende des Untersuchungszeitraums auf (a) der syntaktischen Ebene (b) der lexikalischen Ebene erreicht? - Welche Rolle spielten die einzelnen Sprachlandschaften bei den Ausgleichsprozessen zu Beginn und am Ende des UntersuchungsZeitraums? (sprachgeographischer Aspekt) Darüber hinaus soll geprüft werden, ob es möglich ist, Aussagen über den Anteil zu machen, den die verschiedenen Schichten des deutschen Volkes an diesen Ausgleichsprozessen gehabt haben (soziologischer Aspekt). 2. 2. Bevor das methodische Vorgehen beschrieben wird, ist es zunächst erforderlich, die Begriffe "Literatursprache" und "Norm" zu definieren. 2. 2.1.

5 Unter Literatursprache verstehen wir in Anschluß an M. M. Guchmann eine bewußt gestaltete, geformte Sprache, die sowohl im mündlichen wie im schriftlichen Verkehr angewandt wird. 'Die "geformte Sprache" setzt voraus, daß aus dem Gesamtinventar sprachlicher Mittel aufgrund mehr oder weniger bewußt angelegter Kriterien eine bestimmte Auswahl getroffen und im Zusammenhang damit eine größere oder geringere Regelung vorgenommen wird.' Die Literatursprache ist eine historische Kategorie; 'Grad der Formgebving sowie Strenge der Auswahl und Regelung können nicht nur in

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verschiedenen Literatursprachen, sondern auch in verschiedenen Perioden der Ge7 schichte einer Sprache verschieden sein.' Der Begriff Literatlirsprache als Bezeichnung für eine bewußt gestaltete Sprachform ist in der wissenschaftlichen Tradition der UdSSR, Italiens und Frankreichs weit verbreitet, Standardsprache vor allem in der englischen und amerikanischen Fachliteratur. In der deutschen Sprachwissenschaft werden Schriftsprache, Hochsprache,g aber auch Gemeinsprache und Einheitssprache in der gleichen Bedeutung gebraucht. Die Verwendung unterschiedlicher Termini e r klärt sich nicht nur aus den verschiedenen Wissens chaftstraditionen, sondern auch aus der Natur des Gegenstandes selbst, seiner Vielgestaltigkeit und historischen Variabilität. Wir entscheiden uns trotz der Tatsache, daß die Bezeichnung Literatursprache den Nachteil hat, in einem engeren Sinne auch für die Sprache der schöngeistigen Literatur gebraucht zu werden, dennoch für sie, weil wir sie mit M. M. Guchmann aufgrund ihrer Neutralität für am meisten geeignet halten, zur Kennzeichnung des invarianten Bestandteils des Begriffs der bewußt gestalteten Sprachform als des allgemeinen typologis chen Charakteristikums dieser Existenzform der Sprache dienen zu können. Dabei muß darauf verwiesen werden, daß dieser Begriff auch bei den Sprachwissenschaftlern, die ihn verwenden, nicht einheitlich definiert wird; zu seiner näheren Bestimmung werden verschiedene Kriterien herangezogen. Wir verstehen, wie schon angedeutet, Literatursprache als eine historische Kategorie; die Verschiedenartigkeit von Literatursprachen ist durch die historischen Verhältnisse bedingt, unter denen sie sich entwickeln. Entscheidend sind die Kriterien der bewußten Gestaltung und damit zusammenhängend der Auswahl und relativen Regelung. Diese Kennzeichen liegen bereits in der vornationalen Periode vor, so daß der Begriff für die entsprechende Existenzform auch in dieser Zeit in Anspruch genommen werden kann. Die Literatursprache ändert zwar im Laufe der Entwicklung ihren Charakter; das hängt vor allem mit der Erweiterung ihrer Funktion und der Veränderung ihrer sozialen Basis zusammen; aber als Existenzform der Sprache mit bestimmten typologis chen Kennzeichen ist sie lange vor der Herausbildung und Existenz der Nation vorhanden. Das gilt auch für die mündliche Realisierung der Literatursprache, die natürlich in der vornationalen Periode einen anderen Charakter aufweist als in der nationalen.

2. 2.2.

Q Unter Norm verstehen wir in Anschluß an N. N. Semenjuk allgemein die 'Gesamtheit der stabilsten, traditionellen, durch die gesellschaftliche Sprachpraxis ausgewählten und fixierten Realisierungen der Elemente der Sprachstruktur'. 10 Norm beruht auf der Auswahl aus den Möglichkeiten des Sprachsystems; sie ist durch Stabilität und Verbindlichkeit gekennzeichnet, unterliegt aber durchaus auch gesellschaftlich bedingten Veränderungen. Ein Sonderfall liegt in der literatursprachlichen Norm vor, die 'die Gesamtheit kollektiver Realisierungen des Sprachsystems darstellt, die von der Gesell-

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Schaft auf einer bestimmten Etappe ihrer Entwicklung anerkannt und als richtig und vorbildlich aufgefaßt werden.' ** Ihr spezieller Charakter besteht darin, daß an ihrer Ausbildung mehrere Subsysteme, d.h. z.B. Dialekte oder territorial mehr oder weniger gebundene Varianten der Literatursprache teilhaben können; sie hat in der Regel Geltung für größere Gebiete und ist durch eine Vielfalt von Funktionen gekennzeichnet. Auch die literatursprachliche Norm zeigt einerseits Stabilität, ist aber andererseits veränderlich, abhängig von den Kommunikationsbedürfnissen der unter unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen lebenden Menschen. Norm ist in diesem Sinne eine Erscheinung der Sprachverwendung, des Sprachusus. In der Sprachverwendung begegnen jedoch auch okkasionelle, unstabile Erscheinungen, die nicht zu der zu einer bestimmten Zeit gültigen Norm zu zählen sind; diese Elemente können Reste veraltender oder Bestandteile im Entstehen begriffener Normen sein, sie können sprachliche Elemente darstellen, die trotz ihres systemgerechten Charakters aus z . T . sehr unterschiedlichen Gründen nicht in die Norm aufsteigen, sie können aber durchaus gelegentlich auch fehlerhafte, nicht der Norm zuzurechnende Realisierungen sein. Die Entscheidung darüber, ob eine sprachliche Erscheinung zur Norm gehört oder nicht, ist nicht immer einfach; sie wird oft von Fall zu Fall zu treffen sein. In den hier zu referierenden Arbeiten wird - das wurde bereits angedeutet - zunächst keine Entscheidung darüber getroffen, ob eine bestimmte sprachliche Erscheinung zur Norm gehört bzw. ob für einen Teilbereich bereits eine Norm vorhanden ist oder nicht. Hier wird die Sprachverwendung zu bestimmten Zeiten beschrieben, die aus einem noch näher zu charakterisierenden Textkorpus ermittelt wird. Dabei gilt das Hauptaugenmerk dem Stand von Ausgleichsprozessen zwischen miteinander konkurrierenden sprachlichen Mitteln als unmittelbare Voraussetzung für die Herausbildung einer einheitlichen Norm. Die Konkurrenzen sind in bestimmten sprachlichen Bereichen insofern gegeben, als an der Normbildung der nationalen Literatursprache mehrere, nach dem Grad ihrer strukturellen Nähe unterschiedliche sprachliche Subsysteme, z.B. Dialekte, Fachsprachen oder territoriale Varianten der Literatursprache beteiligt sind, d.h. im Rahmen des Ausgleichsprozesses können verschiedene synonyme bzw. funktionsgleiche Einheiten miteinander konkurrieren; in der Regel wird eine von ihnen zur Norm aufsteigen. Der Untersuchungsgegenstand besteht daher im lexikalischen Bereich aus synonymen, d.h. bedeutungsgleichen, -ähnlichen oder sinnverwandten Wörtern, die das im Bewußtsein widergespiegelte Abbild ein und derselben Erscheinung der objektiven Realität bezeichnen, und im syntaktischen Bereich aus funktionsgleichen, aber verschieden avisgeformten und nur teilweise beliebig austauschbaren Ausdrucksmitteln derselben grammatischen Kategorie. Solche gleichwertigen Ausdrucksmittel sowohl des lexikalischen wie des grammatischen Bereichs werden "Konkurrenten" genannt. Der Stand der Ausgleichsprozesse wird durch Angaben über den sprachlichen Durchschnitts- und Hau-

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figkeitswert des Gebrauchs der einzelnen sprachlichen Erscheinung im Verhältnis zu den Konkurrenten gekennzeichnet. Gemeinsam ist allen Arbeiten, daß die Häufigkeitsrelationen für die einzelne sprachliche Erscheinung jeweils auf Hundert bezogen, d.h. in Prozenten ausgedrückt werden. Hinweise auf das Textkorpus, aus dem die Ergebnisse gewonnen wurden, enthalten die Einleitungen zu den einzelnen Teilbänden. 2. 3. Um den sprachlichen Entwicklungsprozeß auf den genannten Ebenen des Sprachsystems verfolgen zu können, wird die Sprachverwendung zu Beginn und am Ende des Untersuchungszeitraums ermittelt. Zu dem Zweck wird jeweils für die Zeit von 1470 bis 1530 und 1670 bis 1730 ein Textkorpus zusammengestellt, aus dem die Materialgrundlage für die Analyse des Sprachgebrauchs gewonnen wird. Die Ergebnisse beider Analysen werden miteinander verglichen. Das ermöglicht Aussagen über die Entwicklungstendenzen sowie eine Beantwortung der Frage, wieweit um 1730 als dem Endpunkt der Untersuchung der Ausgleichsprozeß vorangeschritten ist. Zusätzlich werden zwei weitere Arbeitsschritte getan. Der jeweilige Untersuchungsbefund wird stichprobenhaft mit den Beschreibungen des entsprechenden Gegenstandes in Wörterbüchern und Grammatiken, die entweder direkt aus dieser Zeit stammen oder Sprachzustände dieser Zeit reflektieren, verglichen. Ziel ist die Feststellung, wie sich Sprachwirklichkeit einerseits, die Forderung der Grammatiker und die Beschreibung der Lexikographen andererseits zueinander verhalten. Vollständigkeit wird weder angestrebt noch ist sie für das Resultat erforderlich; überdies muß damit gerechnet werden, daß eine Befragung der Grammatiker und Lexikographen nicht in allen Fällen möglich ist, da nicht alle Erscheinungen, die unter modernen Gesichtspunkten von Bedeutung sind, Gegenstand zeitgenössischer Beschreibungen waren. Der zweite zusätzliche Schritt ist der Vergleich des Untersuchungsbefundes mit dem Sprachgebrauch der Gegenwart. Er muß zwangsläufig dort auf Schwierigkeiten stoßen, wo für das moderne Deutsch keine methodisch entsprechenden Analysen vorliegen. 2.4. Der Sprachgebrauch in den beiden Zeiträumen wird, wie bereits angedeutet, auf v e r schiedenen Ebenen des Sprachsystems ermittelt. Dabei ist eine Beschränkung auf einige Erscheinungen geboten; selbstverständlich wird die Auswahl des spezifischen Untersuchungsgegenstandes davon mitbestimmt sein, inwieweit er aufgrund allgemeiner E r fahrungen die Ausgleichsprozesse als Voraussetzving für die Normausbildung besonders deutlich werden läßt. Auf der lexikalischen Ebene wird so vorgegangen, daß Konkurrentengruppen ausgewählt werden, in denen im ersten Zeitraum als dem Ausgangspunkt der Untersuchung mindestens 2, in der Regel aber mehrere Wörter zur Bezeichnung

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einer Person oder Sache zur Verfügung stehen; hier bilden miteinander konkurrierende Synonyme, die bedeutungsgleich oder -ähnlich sein können, den Untersuchungsgegenstand. Auf der syntaktischen Ebene beschränkt sich die Beschreibung der Sprachverwendung zunächst auf Erscheinungen des Einfachsatzes. Ausgangspunkt ist das Vorhandensein von mindestens 2, im Durchschnitt aber mehr funktionsgleichen syntaktischen Mitteln zwischen 1470 und 1730, die unterschiedlich ausgeprägt und nur teilweise miteinander austauschbar sind. Für die Zukunft sind im Rahmen von arbeitsteiliger Kooperation mit dem Institut für Sprachwissenschaft der Akademie der Wissenschaften der UdSSR weitere Arbeiten dieser Art geplant, die die genannte Problematik an ausgewählten Beispielen aus der Morphologie, Wortbildung und am Beispiel des zusammengesetzten Satzes untersuchen. - Wie bereits angedeutet, soll jedoch nicht nur der rein sprachliche Verlauf beschrieben werden; darüber hinaus ist es von Interesse herauszuarbeiten, ob die Veränderungen im Sprachgebrauch in allen Gegenden Deutschlands, d.h. in den einzelnen Sprachlandschaften in gleicher Weise verlaufen sind oder ob Unterschiede e r kennbar sind. Außerdem ist zu prüfen, ob Aussagen über die Träger solcher Entwicklungen gemacht werden können. 2. 4.1. Die Frage nach dem Anteil, den die einzelnen Schichten des deutschen Volkes an der Veränderung im Sprachgebrauch und bei den Ausgleichsprozessen gehabt haben, d. h. wessen Kommunikationsbedürfnisse einen solchen Wandel zur Folge hatten, kann aus dem sprachlichen Material teils nur indirekt, teils vermutlich überhaupt nicht beantwortet werden. Deir Weg zur Erschließung dieses Fragenkomplexes führt in erster Linie über die Gattungen, die in die Untersuchung einbezogen werden. Dabei wird vom litera12

tursoziologischen Wert der einzelnen Gattung ausgegangen. Jede einzelne Quelle hat ihren Autor, der, ob bekannt oder nicht, bestimmten Verfasserkreisen zuzuordnen ist, die sozial oder klassenmäßig determiniert sind. Herkunft des Autors sowie Zweck und Darstellungsgegenstand der Publikation können in der Sprache ihren Niederschlag finden. Jedes Werk ist außerdem in der Regel für bestimmte, soziologisch festlegbare Leserkreise gedacht. Die sprachliche Analyse des einzelnen Werkes und damit einer Reihe von Werken, die ein und derselben Gattung angehören, kann also in Grenzen Auskunft über die Menschen geben, die als Autoren oder Publikum in Frage kommen; da diese ihrerseits sozial und klassenmäßig bestimmt sind, müßte von hier der Schluß auf die Tr äger bestimmter sprachlicher Entwicklungen möglich sein. Gerade hier muß jedoch sehr differenziert vorgegangen werden, wie z. B. die nach Autor, Publikum und Darstellungsgegenstand in sich sehr heterogenen Flugschriften oder die Volksbücher, deren Leserkreis soziologisch sehr unterschiedlich ist, zeigen. Von solchen Überlegungen wurde - wenigstens bei den syntaktischen Untersuchungen - die Auswahl der Quellen bestimmt. Die Auswertung erfolgte hier nach Gattungen getrennt, um feststellen zu

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können, ob sie sich in ihrem Sprachgebrauch unterscheiden. Bei den lexikalischen Untersuchungen war dieser Weg nur bedingt gangbar; hier mußte die Auswahl der Quellen weitgehend von dem Gesichtspunkt bestimmt sein, daß in ihnen Bezeichnungen der ausgewählten Konkurrentengruppen zu erwarten sind. Denn während sich Einfachsätze normalerweise in jedem beliebigen Text finden, hängt die Bezeugung bestimmter Wörter vom Darstellungsgegenstand ab. Aber selbstverständlich werden auch hier Antworten auf soziolinguistische Fragestellungen versucht. 2.4.2. Um die Frage beantworten zu können, welche Rolle sprachgeographische Faktoren bei den Ausgleichsprozessen in den 2 Zeiträumen spielten, wird das deutsche Sprachgebiet nach Sprachlandschaften eingeteilt. Anhand der Quellen, die aus jeweils einer Landschaft stammen, wird der entsprechende landschaftliche Sprachgebrauch ermittelt. An einem Durchschnittswert für alle Sprachlandschaften kann die für die einzelne Landschaft festgestellte Sprachverwendung gemessen werden; damit sind Aussagen darüber möglich, ob es Unterschiede zwischen den einzelnen Sprachlandschaften in Hinblick auf den dortigen Sprachgebrauch gibt. Es können darüber hinaus Feststellungen getroffen werden, wie sich der in den einzelnen Landschaften ermittelte Sprachusus zum modernen Stand verhält, d.h. ob in Hinblick auf die Sprachentwicklung Landschaften existieren, die in stärkerem Maße zum modernen Deutsch stimmen als andere. - Das deutsche 13 Sprachgebiet wird in folgende Sprachlandschaften aufgeteilt : os toberdeuts ch (bairis ch/öster rei chis ch) ostmitteldeutsch (thüringisch, obersächsisch, schlesisch; Ordensgebiet) ostniederdeutsch (mecklenburgisch, märkisch) westoberdeutsch (schwäbisch, alemannisch, ober fränkisch) westmitteldeutsch (hessisch, rheinfränkisch, moselfränkisch, ripuarisch) westniederdeutsch (west-, ostfälisch, niedersächsisch) Die Einteilung ist weitgehend nach lautlichen Kriterien vorgenommen, wie sie die Auswertung der Karten des deutschen Sprachatlasses nahelegt. Die Ergebnisse können durchaus erweisen, daß sie für die hier untersuchten sprachlichen Ebenen modifiziert werden muß. Besonders problematisch ist die Zuordnung von Grenzgebieten. Diese E r kenntnis hat dazu geführt, daß für die lexikalischen Arbeiten das Oberfränkische (südfränkisch und ostfränkisch) als eine selbständige geographische Untersuchungseinheit gewählt wurde. In der Regel wurde versucht, nur solche Quellen heranzuziehen, die aus den Kerngebieten der einzelnen Sprachlandschaften stammen, die also eine gewisse Gewähr dafür bieten, daß in ihnen in der Grundsubstanz wirklich der für das betreffende Gebiet typische Sprachgebrauch erfaßt wird, die also eindeutig z. B. bairisch, niedersächsisch oder schwäbisch usw. sind. Wurden aus Mangel an geeigneten Quellen solche aus Rand- und Übergangszonen einbezogen, wurde jeweils auf die Schwierigkeit ihrer Zuordnung aufmerksam gemacht.

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2.4. 3. Um die genannten Ziele erreichen zu können, wird in den Arbeiten zur Syntax methodisch folgendermaßen vorgegangen. Für jede der ausgewählten sprachlichen Erscheinungen wird in jedem Zeitraum in jeder der Sprachlandschaften an jeder Quelle, die eine bestimmte Gattung vertritt, der Sprachgebrauch dadurch ermittelt, daß das prozentuale Verhältnis der syntaktischen Konkurrenten untereinander festgestellt wird. Das ermöglicht die Errechnung von Durchschnittswerten sowohl für die Landschaften als auch für die Gattungen; an ihnen kann der Entwicklungsstand der einzelnen Quelle, die sowohl eine Landschaft als auch eine Gattung vertritt, gemessen werden. Dieses Verfahren gestattet auch die Feststellung von Durchschnittswerten für jeden Zeitraum; der Vergleich beider Ergebnisse macht die Entwicklungstendenz deutlich, die zwischen 1470 und 1730 besteht. Analog wird in den lexikalischen Arbeiten verfahren; hier liegt das Schwergewicht auf dem sprachgeographischen Aspekt. Die Analyse der Sprachverwendung um 1730 weist gleichzeitig aus, welchen Entwicklungsstand der Ausgleichsprozeß als Voraussetzung für die Ausbildung der Norm der nationalen deutschen Literatursprache in der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der Herausbildung der bürgerlichen deutschen Nation erreicht hat. Es muß allerdings mit aller Entschiedenheit betont werden: Die Ergebnisse können zunächst nur etwas über den Sprachgebrauch und seine Entwicklung bei den der Untersuchung zugrunde liegenden sprachlichen Erscheinungen aussagen. Wie die Arbeiten zeigen, muß damit gerechnet werden, daß die Wahl anderer Untersuchungsgegenstände ein noch vielgestaltigeres und differenzierteres Bild vom Verlauf der literatursprachlichen Entwicklung ergeben hätte. Ähnliche Einschränkungen für die Gültigkeit des einzelnen Ergebnisses müssen auch hinsichtlich der Quellenauswahl gemacht werden. Selbstverständlich stellt die Materialgrundlage, gemessen an der Gesamtzahl überlieferter sprachlicher Äußerungen aus der Zeit von 1470 bis 1730, nur einen Bruchteil dar. Andere literarische Gattungen in der Syntax oder andere Quellen bei den lexikalischen Arbeiten bzw. eine größere Anzahl von ihnen würden, da jede Exzerption nur eine Stich 14 probe darstellt, möglicherweise modifizierte Ergebnisse erbracht haben. Dennoch scheint es gerechtfertigt, auf der Grundlage der vorliegenden Resultate Entwicklungstendenzen deutlich zu machen und verallgemeinernde Schlußfolgerungen zu ziehen, die durch andersgeartete Einzelergebnisse nicht grundsätzlich in Zweifel gezogen werden dürften. Dazu berechtigen einmal die sorgfältig vorgenommene Quellenauswahl, durch die versucht wurde, für die jeweilige Zeit typisches Schrifttum zu erfassen, zum anderen aber auch die Untersuchungsergebnisse, die zeigen, daß bei recht unterschiedlichen Untersuchungsgegenständen trotz differenzierten Verlaufs des Ausgleichsprozesses im einzelnen eine gemeinsame Grundtendenz in der Entwicklung hervortritt.

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Anmerkungen 1 Vgl. F. Engels, Der deutsche Bauernkrieg, in: K. Marx/F. Engels, Werke, Bd. 7, Berlin 1960, 329-413. 2 Vgl. dazu M. Steinmetz, Deutschland von 1476 bis 1648, Berlin 1965 sowie G. Schilfert, Deutschland von 1648 bis 1789, Berlin 1959. 3 W . I . Lenin, Über das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, in: Werke, Bd. 20, Berlin 1961, 398 f. 4 Zum Zusammenhang zwischen Gesellschaftsformation und Sprache vgl. Guchmann, Weg. 5 M. M. Guchmann, Die Literatursprache, in: Ser6brennikow, Sprachwissenschaft I, 412-453. 6M.M. Guchmann, a . a . O . 412. 7 M.M. Guchmann, a . a . O . 412. 8 Vgl. dazu M.M. Guchmann, a.a.O. 413. 9 N. N. Semenjuk, Die sprachliche Norm, in: Ser6brennikow, Sprachwissenschaft I, 454-493. 10N.N. Semenjuk, a . a . O . 459. 11N.N. Semenjuk, a . a . O . 468. 12 Vgl. dazu Spriewald, Grundpositionen. 13 Vgl. dazu Schirmunski, Mundartkunde 26. 14 Vgl. Kellerer, Theorie.

ZUR AUSBILDUNG DER NCRM DER DEUTSCHEN UTERATURSPRACHE AUF DER SYNTAKTISCHEN EBENE (1470 - 1730) Der Einfachsatz

Der Einfachsatz

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1. Fragen der Herausbildung moderner Literatursprachen sind in jüngster 2eit in den Mittelpunkt sprachgeschichtlicher Untersuchungen gerückt. Laut/Schriftzeichen - Formen Syntax - Stil - Wortschatz sind dabei die sich der Forschung anbietenden Ansatzpunkte für Spezialarbeiten. Überblickt man den Forschungsstand im Bereich der deutschen Sprache, fällt die starke Betonung des graphematischen Sektors auf - ein Umstand, der seine Begründung in der Forschungsgeschichte findet: Urkundensprache (mit den durch ihre Struktur vorgegebenen Untersuchungsmöglichkeiten) und die im Lautstand vom überlandschaftlich gültigen Deutsch vielfältig differierender Mundarten waren die beiden Pole, die zunächst aufeinander bezogen und miteinander verglichen wurden. Mit den Untersuchungen Burdachs und von Bahders wurde freilich - schon relativ früh - der Weg zu weitergreifenden, auch die anderen Sprachebenen berücksichtigenden Untersuchungen gewiesen. Burdachs Verdienst bleibt es, auf die Stilistik als notwendigen Untersuchungsgegenstand hingewiesen zu haben, und von Bahders viel beachtetes Buch über die Wortwahl in der frühneuhochdeutschen Schriftsprache (Heidelberg 1925) leitete im Grunde die Erforschung der Ebene des Wortschatzes ein, die in der Gegenwart einen kräftigen Auf1 2 schwung genommen hat . Admonis Untersuchungen schließlich lenkten in den letzten Jahren den Blick auf ein weiteres, bisher zum größten Teil unbearbeitetes Gebiet: auf die Syntax. Sie ist im skizzierten Rahmen zwar eingestandenermaßen von großer Bedeu3 tung, gleichwohl war sie aber bislang nur gelegentlich Gegenstand größerer Arbeiten ein Zustand, der vorerst eine u m f a s s e n d e Beschreibung der auf a l l e n genannten Ebenen sich abzeichnenden Entwicklung verbietet: Die Verallgemeinerung (und damit Verabsolutierung) von Kenntnissen, die nur für e i n e sprachliche Ebene Gültigkeit besitzen, ist methodisch nicht vertretbar. Auf dieser Einschätzung der Forschungslage basiert unser Entschluß, Untersuchungen zu syntaktischen Fragen vorzulegen. Sie sollen zum Abbau einer Forschungslücke beitragen. Die Tatsache, daß die Syntax ein wichtiges Subsystem des Gesamtsystems Sprache ist, stützt zusätzlich die getroffene Entscheidung. 2. Methodischer Fixpunkt auch dieses Teilbandes sind die S. 15 f. angeführten generellen Vorbemerkungen über den Weg zur Untersuchung der sich vollziehenden Ausgleichs Vorgänge zwischen landschaftlich und sozial bedingten Varianten der Literatursprache. Im Mittelpunkt steht demnach eine Bestandsaufnahme der zeittypischen Verwendung konkurrierender funktionsgleicher und -ähnlicher Formen: Das allgemein Verbreitete, das Dominierende, soll deskriptiv vom Zurücktretenden und vom Vereinzelten abgehoben werden; das Nebeneinander synonymer Formen (wobei synonym auf die Funktion bezogen ist) soll auf Gebrauchseigentümlichkeiten untersucht werden. Damit gewinnt der Be-

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griff der Auswahl eine zentrale Stellung; er schließt seinerseits die Frage in sich ein, welche Faktoren den jeweiligen Konkurrentengruppen spezielle Ausprägungen verliehen haben. Mit anderen Worten: Auch den Gründen für die Akzentuierung des Konkurrentengebrauchs nach dieser oder jener Seite hin ist nachzugehen. 3. Die Erkenntnisse vorangegangener Forschung lehren, daß bei sprachlichen Prozessen der hier zu untersuchenden Art zunächst zwei Faktoren auswahldeterminierend wirksam werden können: die Sprachlandschaft einerseits und die durch die Spezifik der Gattungen bedingten Eigenheiten der Sprachverwendung andererseits. Zu berücksichtigen ist aber, daß diese beiden Faktoren sich jeweils innerhalb bestimmter Zeiträume auswirken, da der Sprachgebrauch gesellschaftlich bedingten Veränderungen unterliegt und somit innerhalb einzelner Zeiträume eine Zeittypik aufweist, die vom Stand der gesellschaftlichen Entwicklung abhängig ist. Mithin sind also (mindestens) drei Faktoren als Richtpunkte in Untersuchungen zum Sprachgebrauch einzubeziehen: Sprachlandschaft, literarische Gattung und die die beiden erstgenannten Faktoren überwölbende Zeittypik. Auf die Notwendigkeit ihrer Beachtung wurde allgemein bereits in den generellen Vorüberlegungen hingewiesen (vgl. S.21 f.), sie sind - besonders die beiden zuerst genannten - im folgenden gesondert im Hinblick auf die vorgelegten syntaktischen Arbeiten zu spezifizieren, da die Art der Vorgliederung maßgeblich die Arbeitsergebnisse beeinflußt. 3.1. Zeittypik Sprachverwendung ist immer in Beziehung zu setzen zur sie tragenden Gesellschaft; unter verschiedenen historischen Bedingungen müssen sich daher ihr Charakter und ihr konkreter Zustand wandeln. Eine solche Differenz im Stand der gesellschaftlichen Entwicklung liegt zwischen 1470 (als dem Anfangspunkt der Untersuchung), und 1730 (als ihrem Endpunkt) vor; sie bedingt, daß der GesamtuntersuchungsZeitraum nicht als Einheit aufgefaßt werden darf. Hinzu kommt von methodischer Seite das Folgende: Soll - gemäß der in der Einleitung zum Gesamtprojekt formulierten Aufgabe - der Charakter der Sprachverwendung zu Beginn und zu Ende des UntersuchungsZeitraumes v e r glichen werden, muß zur synchronen Betrachtung eingegrenzter Abschnitte aus dem Gesamtzeitraum deren diachroner Vergleich treten - müssen also wenigstens zwei Teilzeiträume aus dem Gesamt zueinander in Beziehung gesetzt werden. Im vorliegenden Fall sind das 1470 - 1530

als Zeitraum I

1670 - 1730

als Zeitraum H.

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Ihre Wahl wurde nicht willkürlich vorgenommen, sie orientiert sich daran, daß Zeitraum I (1470 - 1530) eine Epoche grundlegender Umstrukturierungen auf nahezu allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens umfaßt, die sich zudem sprachlich durch das Wirksamwerden neuer Einheitstendenzen auszeichnet, und daß in Zeitraum IL (1670 1730) - nach Rückschlägen - eine Periode der Selbstbesinnung des deutschen Bürgertums einsetzt und bedeutende Fortschritte in Richtung auf eine bürgerliche deutsche Nationalliteratur sowie auf eine einheitliche Literatursprache gemacht werden. Die Synchronschnitte umfassen jeweils einen Zeitraum von 60 Jahren; eine noch weitere Ausdehnung ihres Umfanges hätte die Grenze zwischen Synchronie und Diachronie unmerklich verwischt und eine zu große Unscharfe in die Ergebnisse einfließen lassen. Der Erhellung der internen Struktur der beiden gewählten Zeiträume dienen die anderen auswahldeterminierenden Faktoren: Landschaft und Gattung. 3.2. Landschaft Ihrer - von der Forschung hinlänglich bewiesener - spezifischen Prägungsmöglichkeiten wegen mußten Textproben aus jeder der in der generellen Einleitung angeführten Großlandschaften (vgl. S. 23) in den Kreis der Untersuchungsmaterialien einbezogen werden. Bei den Quellen für die syntaktischen Untersuchungen wurde z. T. jedoch auf eine Feindifferenzierung innerhalb ihrer Geltungsbereiche verzichtet: Das Niederdeutsche wurde so z.B. nicht in das (in sich noch gegliederte) Ost- und Westniederdeutsche getrennt, weil Stichproben keine Differenzen zwischen beiden erkennen ließen. Eine Stütze erhielt diese Entscheidung von der in der Fachliteratur gelegentlich vertretenen Meinung, daß die auf lautlichen (und teilweise auf lexikalischen) Gesichtspunkten basierende Einteilung der Einzeldialekte nicht unbedingt in gleicher Weise auch auf der syntaktischen Ebene wiederkehren müsse und daß die deutschen Dialekte in grammatischer Hinsicht weit weniger differenziert seien als in lautlicher. Besonders die Syntax wird als das vereinigende Moment an einer Verständigung über Mundartgrenzen hinweg hin4

gestellt . Trotz der Berechtigung solcher - im Einzelfall freilich noch zu erhärtenden Einwände darf die Schwerkraft der Landschaften in sprachlicher Hinsicht (wenn auch unter differenzierteren Aspekten, als das bisher geschehen ist) auf keinen Fall gänzlich außer acht gelassen werden. Sie muß mit in Betracht gezogen werden, obwohl auch noch von anderer Seite mit Überlagerungen landschaftseigener Strukturen zu rechnen ist - von der nämlich, daß die Ausbreitung bislang nur begrenzt gültiger Varianten einen Prozeß widerspiegelt, der sich folgerichtig aus den über engere Räume hinausgreifenden Kommunikationsverhältnissen ergibt, wie sie innerhalb des I. Zeitraumes (1470 - 1530) entstehen. Im n . Zeitraum (1670 - 1730) führt das - freilich als 5 Extremfall und in hohem Maße mitbestimmt durch territorial-fürstliche Interessen - bis zur

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Verdrängung einer literatursprachlichen Variante überhaupt: Das Niederdeutsche verliert als Literatursprache seine Bedeutung, auch in seinem Geltungsbereich wird das Hochdeutsche als solche verwendet. Aus diesem Grunde wurde darauf verzichtet, in dieser Zeitspanne das Niederdeutsche als eigene Sprachlandschaft anzuführen. 3.3. Literarische Gattung Eine Beschreibung der Konkurrenzverhältnisse innerhalb bestimmter grammatischer Kategorien lediglich auf geographischer Basis ist freilich nicht ausreichend; Geklärt werden muß auch (zumindest an Beispielen), wie sich ausgewählte literarische Gattungen zu den möglichen Konkurrenten verhalten. Gattungsspezifische Verhaltensweisen nämlich können bei aller individualistisch bedingten Schwankungsbreite innerhalb der Einzelgattung theoretisch ebensowenig von vornherein ausgeschlossen werden wie und das ist in diesem Zusammenhang ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt - eventuell sie mitbestimmende soziologische Bezüge, so schwer letztere im Einzelfall vorerst auch eindeutig herausgearbeitet werden können. Zur Verdeutlichung sei hier lediglich auf den zu Beginn des 16. Jh. existierenden Unterschied zwischen allgemein gelesenen Volksbüchern (die also nach Verständlichkeit für breite Leserschichten streben mußten) und weithin zunächst für bestimmte Berufe gedachte Fachliteratur (die sich also an einen engeren, mit gewissen Kenntnissen ausgestatteten Interessentenkreis richtete) hingewiesen. An ihm wird die hervorgehobene Problematik sichtbar. Verwendungszweck des jeweiligen Werkes, Rezeption durch das lesekundige Publikum, gesellschaftlicher Standpunkt des Autors bieten sich somit als Anknüpfungspunkte an, um den erwähnten soziologischen Bezügen näherzukommen. Ein Beachtenkönnen der hier umrissenen Fragestellungen setzt freilich voraus, daß Gattungen untersucht werden, die für die S. 30 beschriebenen Zeiträume jeweils charakteristisch und somit für sie aussagekräftig sind. Mit aller Deutlichkeit öiuß jedoch darauf hingewiesen werden, daß Ansätze von soziologischen Zuweisungen vorerst nur Hilfsnüttel sein können, ermittelte sprachliche Befunde nicht im leeren Raum stehenzulassen, sondern zuordnen zu können, die Verwendung der Sprache also im Zusammenhang mit den sie anwendenden Menschen zu sehen. Mehr als ein Hilfsmittel vermögen sie deswegen nicht zu sein, weil eindeutige Zuordnungen vom gegenwärtigen Forschungsstand her kaum vertretbar sind - es kann sich immer nur um das Aufzeigen von hauptsächlichen Tendenzen handeln, nicht aber um ein E r fassen der g a n z e n soziologischen Wirkungsbreite der gewählten Gattungen. Geht man aber einerseits von möglicher spezifischer Sprachverwendung innerhalb von Landschaften und andererseits innerhalb von Gattungen aus, hat das methodische Konsequenzen nicht nur für die zugrunde zu legenden Sprachlandschaften (vgl. 3.2.), sondern ebenso in bezug auf die Art und Weise, wi e Gattungen in den einzelnen Sprachlandschaften heranzuziehen sind. Das ist ein Faktor, der zur Wahl der Gattungen als

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solcher hinzutritt und der deswegen ebenfalls zu erläutern ist. Innerhalb der fünf genannten Sprachlandschaften nämlich empfiehlt es sich, jeweils nur aus gleichen Gattungen zu exzerpieren, um zu gewährleisten, daß überall g l e i c h e s syntaktisches Material die Arbeitsgrundlage bildet und nicht von Landschaft zu Landschaft unterschiedliches, also keinen direkten Vergleich zulassendes. Wir haben für den 1. Zeitraum (1470 - 1530) ausgewählt: Reisebeschreibung - Chronik - Flugschrift - Fachprosa Volksbuch. Je ein Vertreter dieser Gattungen wird demnach in den der Untersuchung zugrunde liegenden Landschaften herangezogen. Das Quellenverzeichnis führt die speziellen Titel an. Die Wahl der Gattungen selbst beruht auf folgenden Gesichtspunkten: Die R e i s e b e s c h r e i b u n g e n - insbesondere solche von Pilgerreisen - sind zur genannten Zeit als breite Lesers chichten erobernde Gattung anzusehen; die Auflagenzahlen der Texte zeigen, daß sie als Lektüre beliebt und weit verbreitet waren. Sie befriedigen offensichtlich ein Zeitbedürfnis; ihre Verfasser zählen in der Regel "nicht zu denbeg deutenden Namen der Literaturgeschichte" . Als zeitspezifische Gattung sind auch die C h r o n i k e n anzusehen, vor allem die vom 14. - 1 6 . Jh. einen quantitativen Höhepunkt erreichenden Städtechroniken. Die Chronik überhaupt steht in weit zurückreichender Tradition: Das erste Auftreten in deutscher Sprache fällt in das 12. Jahrhundert. Je nach Zweck und Ziel sind die Chroniken unterschiedlichen soziologischen Schichten zuzuordnen, ihre Entwicklung verläuft in diesem Umkreis von feudaladliger zu bürgerlicher Beschäftigung als Grundlage für die nationale Geschichtsschreibung humanisti7 scher Gelehrter . Zeittypisch für das erste Viertel des 16. Jh. aber sind in besonders hohem Maße die F l u g s c h r i f t e n - eine in sich vielfältig differenzierte Gattung, die, auf Massenwirkung eingestellt, unmittelbar an aktuelle Zeitereignisse anknüpft und von der jeweiligen ideologischen Position her meinungsbildend in sie eingreift. Die Autoren sind keineswegs in die unteren Gesellschaftsschichten einzuordnen, sie sind vielmehr in der Regel in der bürgerlichen Intelligenzschicht der angegebenen Zeit zu suchen, die in den sich vollziehenden Auseinandersetzungen eine bedeutende Rolle spielt - sich ihnen 8

also nicht entzieht . Im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung erlangt im I. Zeitraum (1470 - 1530) Fachwissen - und zwar solches auf den unterschiedlichsten Gebieten - eine immer bedeutendere Stellung. Das muß eine wachsende Bedeutung der auf Vermittlung von Spezialwissen 9 ausgerichteten F a c h p r o s a nach sich ziehen. Jüngere Forschung hat das bestätigt . Zweifelsohne wird Schrifttum dieser Provenienz vornehmlich Bürgertum getragen und rezipiert worden sein: ihm mußte - als die Entwicklung stimmende Kraft dieser Zeit - ein Verfügen auch über Literatur solcher Art zur wendigkeit werden. In sich stark uneinheitlich ist die Gattung V o l k s b u c h ; sie sowohl von der alten Feudalklasse als auch von den sich neu festigenden Klassen spruch genommen. Stoffe unterschiedlichsten Charakters finden sich in ihr. Die

vom mitbeNotwird in AnEigen-

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art dieser Gattving bedingt, daß sie breiten soziologisch keineswegs einheitlichen Leserkreisen als Lektüre diente 10 - ein Umstand, der sprachlich nicht ohne Auswirkungen bleiben konnte 11 . Ergänzend sei zur Gattungswahl hinzugefügt, daß deswegen ausschließlich Prosaquellen berücksichtigt wurden, weil anerkannterweise gerade ihnen bei Untersuchungen unserer Zielsetzung vorrangige Bedeutung zukommt. Sie erwächst aus dem zunehmenden Rückgang des Reimverses - aus einem Vorgang, der für die Sprache der schönen 12

Literatur von grundsätzlicher Bedeutung ist . Die bürgerliche Intelligenz spielt - auch darauf sollten die Hinweise aufmerksam machen - insgesamt als Träger- und Leserschicht der ausgewählten Gattungen eine wichtige Rolle; es wird daher darauf zu achten sein, wie sich die ermittelten sprachlichen Befunde zu dieser Tatsache verhalten. Literatur und gesellschaftliche Entwicklung können nicht voneinander getrennt werden; am Ende des gesamten UntersuchungsZeitraumes (1670 - 1730) sind aus diesem Grund folgerichtige Umstrukturierungen im literarischen Bereich vorauszusetzen. Auswirkungen hat das im hier gezogenen Rahmen vor allem auf die Auswahl der Gattungen, die die Literatur dieses Zeitraumes repräsentieren: Als zeittypisch kann nicht mehr der Kreis der S. 33 für den ersten Zeitraum (1470 - 1530) genannten Gattungen angesehen werden - andere Genres haben in der Zwischenzeit an Bedeutung gewonnen und müssen als Quellenmaterial berücksichtigt werden. Von den in Frage kommenden haben wir ausgewählt Brief, Roman und Bildungsschrifttum; übernommen wird aus dem I. Zeitraum die Fachprosa als Untersuchungsobjekt. Die jeweiligen Landschaftsbeispiele für die einzelnen Gattungen weist wieder das Quellenverzeichnis aus. Mit den B r i e f e n wird eine Gattung erfaßt, die - seit der Mitte des 14. Jh. ständig an Bedeutung gewinnend - im Untersuchungszeitraum durch zunehmende Erleichterung des Postverkehrs einen weiteren Ausbau erfährt. Einflüsse verschiedenster Art werden in ihr greifbar: im amtlichen Bereich übt der Kanzleistil eine starke Wirkung aus, im privaten dominiert (in soziologischen Teilbereichen) das Französische, das jedoch vom Ende des 17. Jh. ab durch pietistischen Einfluß wieder zurückgedrängt wird. Wir haben solche Briefe ausgewählt, die französischen Einfluß vermissen lassen. Vom Volksbuch aus führt ein literarischer Traditionsstrang zum R o m a n , der sich zur verbreitetsten Gattung der erzählenden Dichtung entwickelt. In seinem Bereich wurde im ostmitteldeutschen Sprachgebiet eine als Stichprobe gedachte Zweiteilung vorgenommen, die der zeiteigenen literarischen Stilentwicklung Rechnung trägt: Barockroman (vertreten durch die 'Asiatische Banise' H.A. von Zieglers) und volkstümlicher Roman (vertreten durch Chr. Reuters 'Schelmuffsky') wurden hier gleichermaßen herangezogen, um einseitigen Urteilen zu entgehen. Eine direkte Widerspiegelung der kulturellen Interessen des wiedererstarkenden Bürgertums finden wir in dem vom Ende des 17. Jh. ab hervortretenden B i l d u n g s -

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S c h r i f t t u m , das von moralischen Wochenschriften bis zur Literatur reicht, die Bil13 dungsfragen behandelt. Seine soziologische Zuordnung bereitet kaum Schwierigkeiten , unbestreitbar ist auch der hohe Rang, der dem Bildungsschrifttum im literarischen Leben der Untersuchungszeit zukommt. Konnte das Bildungsschrifttum - seiner soziologischen Adressatenschicht wegen auf Popularisierung bei der Informationsweitergabe nicht verzichten, so wendet sich die F a chpr o s a unmittelbar an Fachkreise der jeweils beschriebenen Materie. In der Regel sind auch diese im Bürgertum zu suchen, nur ist mit ihnen von vornherein ein begrenzterer Leserkreis als beim Bildungsschrifttum angesprochen - ein Faktor, der sich, in Verbindung mit von der Sache her gegebenen Darstellungseigenheiten, auch sprachlich auswirken mußte. Aus den vorstehenden Ausführungen über die Quellenauswahl ergibt sich, daß ein direkter Vergleich der zwei zusammengestellten Gattungscorpora generell nicht vorgenommen werden kann. Nur in den Fällen, wo in beiden Zeiträumen gleiche Gattungen herangezogen werden, ist ein solcher methodisch ohne Einschränkung vertretbar - bei der Fachprosa also. Möglich und notwendig jedoch ist es, i n n e r h a l b derZeiträume auf bezeichnende Anwendungsweisen der untersuchten Konkurrenten einzugehen - u. a. um feststellen zu können, inwieweit in beiden Gattungseinflüsse überhaupt wirksam werden, ob sie in beiden Zeiträumen gleich stark sind, wie sich die Stärke ihres Einflusses zu der Wirksamkeit sprachgeographischer Faktoren verhält usw. 4. Zur Organisation des syntaktischen Forschungsprojekts selbst sind folgende Angaben zu machen: 4.1. Es war von vornherein nicht beabsichtigt, von den aufgezeigten methodischen Positionen aus jeweils eine umfassende, alle Teilgebiete berücksichtigende Syntax der zwei genannten Zeiträume zu erarbeiten. Durch Konzentrierung auf einzelne Komplexe sollten vielmehr Fragen der Herausbildung der syntaktischen Norm schlechthin transparent gemacht werden - und zwar primär im Hinblick auf die formalen Mittel, weil in ihrem Umkreis die aufgeworfene Problematik am deutlichsten sichtbar wird. Die Wahl der heranzuziehenden Komplexe orientierte sich daran, daß zur Erreichung des gesteckten Zieles gleichermaßen substantivische, verbale und adjektivische Satzelemente zu berücksichtigen waren: Eine einseitige Beschränkung auf e i n e n syntaktischen Bereich sollte damit vermieden werden. Folgende Einzelthemen - deren detaillierte Begründung jeweils vom Autor vorgenommen werden wird - wurden aus diesen generellen Überlegungen abgeleitet (sie sind hier angeführt in der Reihenfolge ihres Druckes):

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Der Einfachsatz Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen Zur Ausbildung des Satzrahmens Die Satznegation Formen und grammatische Struktur nebengeordneter Wortreihen Bezeichnungen für den Zugehörigkeits- und Herkunftsbereich beim substantivischen Attribut

Das Partizip I als Adjektiv und Adjektivkomponente - seine Entwicklung innerhalb der Klasse der Adjektive Die Orientierung sämtlicher Einzelbeiträge an gleichen methodischen Grundpositionen und Zielstellungen bedingt, daß in jeder der vorgelegten Studien nicht der ganze Umkreis der mit dem jeweiligen Thema zusammenhängenden Fragen erschöpfend behandelt werden kann; vielmehr ist ihre Fragestellung so konzipiert, daß sie als illustrierende Spezialbeiträge des übergreifenden Leitthemas fungieren. 4.2. Als für alle Arbeiten verbindliche syntaktische Untersuchungsgrundlage wurde das Satzmodelides Einfachsatzes (des autosemantischen Aussagesatzes) gewählt. Dieses ist identisch mit einem Teil von Admonis Elementarsätzen: mit den in diesen einbe14 griffenen einfachen, alleinstehenden, selbständigen Sätzen . Die gewonnenen Ergebnisse haben jedoch z.T. auch für den Gesamtbereich des Elementarsatzes Gültigkeit (z.B. die Ergebnisse über den Ausbau der partizipiellen Adjektive). Folgende Satztypen gelten als Einfachsatz: 1. Es regnet gerade. 2. Es regnet gerade, ich gehe mit meinem Freund spazieren. 3. Es regnet gerade, und wir gehen trotzdem spazieren. 4. An dem Haus, an dem ich gerade vorbeigekommen bin, steht ein Baum, 5. Sie ging in das Geschäft, um Lebensmittel einzukaufen. 6a.Singend näherte sich eine Schulklasse» 6b.Der Arbeitsleiter, in der Dienststelle angekommen, eröffnete die Besprechung. Der Begriff Einfachsatz ist also relativ weit gefaßt, da in die Untersuchung auch solche Arten von Einfachsätzen einbezogen wurden, die Satzglieder 2. Grades und nebensatzähnliche Wortgruppen (Beispiel 4, 5, 6b) enthalten. Gliedsätze, auch in Einfachsätze eingeschobene (Beispiel 4), blieben also unberücksichtigt; elliptische Sätze und Fragesätze konnten herangezogen werden, wenn sie für die Bearbeitung eines Themas ergiebig waren. Zusammengezogene Sätze wurden generell berücksichtigt.

Der Einfachsatz

37

4. 3. Die in Prozentzahlen ausgedrückten Ergebnisse innerhalb der beiden ausgewählten Zeiträume basieren auf einer für die jeweilige Untersuchung tragbaren Menge von Einfachsätzen, die einem fortlaufenden Text (aus jedem Gattungsbeispiel der herangezogenen Sprachlandschaften) entnommen wurden; es handelt sich nicht um jeweils im Hinblick auf das spezielle Thema selektierte Sätze. Jeder Arbeit beigefügte Übersichten über den Umfang der Exzerption weisen die Anzahl der Seiten nach, die für die Bildung des im Einzelfall notwendigen Satzcorpus ausgewertet wurden«, 4.4. Die Verbindlichkeit aller S.33 f. angeführten Quellen für jede Einzelarbeit ermöglicht es, sie nach einem einheitlichen Sigelsystem zu zitieren. Jedes Sigel setzt sich dabei aus drei Teilen zusammen; es enthält 1. eine römische Ziffer. Sie weist auf den jeweiligen Untersuchungszeitraum hin: I = 1470 - 1530 II = 1670 - 1730 2. Initialen. Sie kennzeichnen die einzelnen Gattungen. Im Einzelfall gelten: I. Zeitraum R = Reisebeschreibung Chr = Chronik Fl = Flugschrift Fpr = Fachprosa Vb = Volksbuch II. Zeitraum Br = Briefe Ro = Roman Bi = Bildungsschrifttum Fpr = Fachprosa 3. arabische Ziffer. Sie ist das Kennzeichen für die Landschaft. Da innerhalb jeder durch Initialen voneinander abgehobenen Gattungsgruppe (z.B. R = Reisebeschreibung) mehrere Landschaften bearbeitet wurden, erscheinen zu deren Bezeichnung im I. Zeitraum - der Zahl der herangezogenen Landschaften entsprechend - die Ziffern 1 - 5 , es gilt 1 = omd. (ostmitteldeutsch) 2 = wmd. (westmitteldeutsch)

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Der Einfachsatz

3 = oöbd. (ostoberdeutsch) 4 = wobd. (westoberdeutsch) 5 = nd. (niederdeutsch Im n . Zeitraum entfällt das Niederdeutsche (5) als Vergleichslandschaft; hier e r scheinen also nur 1 = omd. 2 = wmd. 3 = oöbd. 4 = wobd. Zu diesem dreiteiligen Sigel tritt, durch Komma abgetrennt, die Seitenangabe der exzerpierten Stelle. Das Sigel I R . 4, 280 bedeutet demnach 1 = 1. Zeitraum (1470 - 1530), R = Reisebeschreibung, 4 = westoberdeutsch, 280 = Seite 280 Felix Fabri, Geistliche Pilgerfahrt (1492), in: Deutsche Pilger reisen nach dem Heiligen Lande, hrsg. und erläutert von Reinhold Röhricht und Heinrich Meisner, Berlin 1880, S. 278-296, Zitat S. 280 . Erfordern es Frequenzgründe, innerhalb einer Landschaft für e i n e Gattung z w e i Werke zu exzerpieren, so wurden diese durch den Zusatz a, b nach der arabischen Ziffer (Landschaft) gekennzeichnet. I Fl. 5a, . . . ist daher das Sigel für die ostoberdeutsche Flugschrift Nummer 1 des I. Zeitraumes (Die zwölf Artikel der Bauern von 1525), I Fl. 5b, . . . dasjenige für die ostoberdeutsche Flugschrift Nummer 2 des I. Zeitraumes (Ein Frag und Antwort von zweien Brüdern (1524)).

Anmerkungen 1 Vgl. z.B. Ising, Wortgeographie; Besch, Sprachlandschaften; Wolf, Mathesius; Spillmann, Müntzer. 2 Admoni, Umfang; ders., Entwicklung. 3 Vgl. z. B. Erben, Grundzüge; Rössing-Hager, Syntax. 4 Schirmunski, Mundartkunde 409; Ulvestad, Word-Order 6 f.; Saltveit, Befehlsausdrücke 289. 5 Gernentz, Vordringen 35. 6 Wls, Pilgerberichte 296. 7 Boöckh, Literaturgeschichte 168. 8 Lenk, Dialog 14; vgl. auch Guchmann, Sprache. 9 Eis, Fachliteratur 65. 10 Boeckh, Literaturgeschichte 95. 11 Spriewald, Grundpoeitionen 303 f. 12 Besch, Vers. 13 Blackall, Entwicklung 36. 14 Admoni, Entwicklung 243 f.

DER VERBKOMPLEX AUS VERBALEN BESTANDTEILEN

Gabriele Schieb

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen Abkürzungen, Zeichenerklärungen Adj altsächs.

= Adjektiv = altsächsisch

bes. conj

= besonders = Konjunktiv

cop Ej

= Kopula = Ergänzung im Nominativ, Subjektsnominativ

Eg

= Ergänzung im Akkusativ, Objektsakkusativ

Eg E^

= Ergänzung im Dativ - = Ergänzung im Genitiv

engl HV Imp

P r äpositionale Ergänzung = Direktivergänzung = englisch = Hilfsverb = Imperativ

Ind. Inf, inf. Inf (st. PP)

= Indikativ = Infinitiv = Infinitiv statt Perfektpartizip

*"präp

=

zulnf

= Infinitiv mit zu, zu-Infinitiv

fl(ekt)Inf

= flektierter Infinitiv

fl(ekt)zu Inf Konj.

= flektierter Infinitiv mit zu, flektierter zu-Infinitiv = Konjunktiv

KV lat. mhd.

= Kernverb = lateinisch = mittelhochdeutsch

mndl.

= mittelniederländisch

MV

= Modalverb

MoV ndl.

= Modifikationsverb = niederländisch

neg

= negiert

nhd. Opt.

= neuhochdeutsch = Optativ

Part Adj

= Partizipialadjektiv

Perf Part

= Partizip des Perfekts

Perf Part act = aktives Partizip des Perfekts Perf Part pass= passives Partizip des Perfekts Perf Part (st. Inf) = Partizip des Perfekts statt Infinitiv

42 PI PP Präs. Präs Part Prät. Sg st. V VF VI VK VZ zu Inf [ ] # — =

Gabriele Schieb = Plural = Partizip des Perfekts = Präsens = Partizip des Präsens = Präteritum = Singular = statt = Verbum = Verbum finitum = Verbum infinitum = Verbkomplex = Verbzusatz, trennbares Präfix = Infinitiv mit zu, zu-Infinitiv = fehlend, zu ersetzen = prädikative Beziehung Objektbeziehung = attributive Beziehung

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

43

1. Einleitung 1.1. Gegenstand der nachfolgenden Untersuchungen ist der "Verbkomplex" im Rahmen des deutschen Einfachsatzes in seiner Entwicklung von der Zeit um 1500 bis zur Zeit um 1700, also in den Jahrhunderten, in denen sich die Voraussetzungen für die Herausbildung einer Norm der deutschen Nationalsprache verdichten. Dem "Verbkomplex" wurde bisher im Deutschen erstaunlicherweise noch keine Monographie gewidmet, die das Gesamt des Phänomens ins Auge faßte, obwohl seine Relevanz für die Geschichte der deutschen Sprache auf der Hand liegt. Unter "Verbkomplex" soll hier das Verb, strukturelles Zentrum des deutschen Verbalsatzes, verstanden werden, und zwar als syntaktische und semantische, oft auch morphologische Einheit aus einem oder aus mehreren Konstituenten, also als Wortgruppe, z. B. /kommt/, /kam/, /käme/ oder /ist gekommen/» /kommt-vor/, /kommt zu liegen/, /wird gekommen sein/, /kommt zur Ausführung/, /wird haben kommen wollen/. Diese Einheit ist gewöhnlich qualitativ etwas anderes als die Summe ihrer Konstituenten. Allerdings weist diese Einheit bei den verschiedenen Typen von Verbkomplexen sehr verschiedene Festigkeitsgrade und Qualitätsunterschiede auf. Sie hängen mit den verfließenden Grenzen zwischen Morphologie, Syntax, Wortbildung, Lexik und Idiomatik im "Verbkomplex" zusammen. Das ist auch der Grund, warum vielfach bezweifelt wird, daß es sich überhaupt um ein einheitliches Phänomen handelt. Wo immer aber man in der Synchronie auch feste Grenzen meint ziehen zu können oder zu müssen, für eine diachrone Betrachtung müssen wir sie überschreiten. Die diachrone Einheit des Phänomens erweist sich schon dadurch, daß sich ständig Grenzverschiebungen in bestimmter Richtung beobachten lassen. Eben weil wir es beim "Verbkomplex" mit einer Art "offener Wortgruppe" zu tun haben, ist seine Bedeutung für die Geschichte der deutschen Sprache schwerlich zu überschätzen. Was wir hier mit dem Blick auf die Struktur des "Prädikats", der "Satzaussage", des "verbalen Aussagekerns" mit dem Terminus "Verbkomplex" belegen, läuft in der Literatur sonst Vinter den Termini "Verbalgruppe" (Ries), "verbale groep" (van Es), "Verb Group" (Gottschalk), "werkwoordgroep" (Meeussen, Vanacker, De Schutter), "Verbales Gefüge" (Brinkmann), "verbale Einheit" (Fourquet), "(complex) verb phrase" (Folsom), "komplexes Prädikat" (Engel), "struktureller Satzkern" bzw. "verbal-prädikative Wortgruppe11 (Admoni), "Erweiterung des verbalen Aussagekerns" bzw. "prädikative Syntagmen" (Erben), "zusammengesetztes verbales Prädikat" (Gulyga-Nathan son), "einteiliges" bzw. "mehrteiliges Prädikat" (Grammatik-Duden Mannheim), oder auch, sofern die Einheitlichkeit des Phänomens bestritten wird, auf die morphologischen und syntaktischen Untergruppen verteilt, unter den Termini "Vorgangsgefüge" (Glinz), "analytische" bzw. "periphrastische Verb f o r m e n " und "biverbale Wort g r u p p e n "

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Gabriele Schieb

bzw. " W o r t f ü g u n g e n " (Moskalskaja), woran noch, beim Vorhandensein nichtverbaler Bestandteile, die "Funktionsverbfügungen", "-formein" (von Polenz) bzw. "Streckformen des Verbs" = "substantivisch-verbale Wortverbindungen" bzw. "substantivisch erweiterte Verbalformen" (Veronika Schmidt) und "Verballexeme" wie ein Teil der "Wortgruppenlexeme" (Wissemann) anzuschließen wären. Der naheliegende Terminus "Verbgruppe" soll hier bewußt vermieden werden, da dieser die Gruppe in irreführende unmittelbare Parallele zu den andern Wortgruppen setzte. Mit der Wahl des Terminus "Verbkomplex" soll ausdrücklich hervorgehoben werden, daß die Verbgruppe, wie schon Ries feststellte, der sich als erster grundsätzlich mit der Problematik der Wortgruppen befaßt hat, * einen völlig anderen Charakter hat als z. B. die Substantivgruppe, die Adjektivgruppe u . a . Das hängt mit der fließenden Grenze zwischen Verbgruppe und Satz, und diese mit der Entstehung der Verbgruppe aus dem Satz zusammen, d. h. der Entstehung eines Satzelementes (eines Satzgliedes oder einer Wortgruppe) aus ursprünglich mehreren satzbildenden Elementen. Der "Verbkomplex" ist zwar, ebenso wie die andern Wortgruppen, auf der untergeordneten Ebene der Satzelemente anzusetzen. Aber seine doppelte syntaktische Aufgabe, einmal eine bestimmte Anzahl von Wortgruppen im Verbalsatz zum Satz zu formieren und zum anderen besondere Satzfunktionen wie Tempus, Modus, Diathese u.a. auszudrücken, verleiht dem "Verbkomplex" eine Son2

derstellung. H. F. A. Van der Lübbe nennt die Verbalgruppe treffend "de grote spelbreker" 'Spielverderber, Störenfried' unter den Wortgruppen. Er hält eine befriedigende Behandlung für unmöglich, "zo niet tegelijkertijd de predicerende woordver3 binding subject - oordeelsvorm in de beschouwing betrokken wordt", also die Satzmodelle mit berücksichtigt werden. Natürlich ist der Terminus "Verbkomplex" in gewissem Sinne ebenso willkürlich wie der Terminus "Verbgruppe", denn um Komplexe, um Gruppen von Wörtern handelt es sich sowohl beim "Satz" wie bei allen "Satzelementen (Satzgliedern oder Wortgruppen)". Aber den Wortkomplexen und Wortgruppen auf der Satzebene, die den Satz konstituieren, die satzbildend, prädizierend, hinordnend sind, halten wir die Bezeichnungen "-komplex", "-gruppe" grundsätzlich fern. Wir beschränken diese Termini auf die Ebene der Satzelemente, auf der sie eine qualitative Unterscheidung signalisieren; "-komplex" = verbale Gruppe in ihrer ganzen Ausdehnung ohne Rücksicht auf die Wortart ihrer Konstituenten, die starke Abstufung ihrer Einheitsstiftung sowie die mögliche diskontinuierliche Abfolge ihrer Konstituenten, "-gruppe" = alle andern Wortgruppen. 1.2. Der "Verbkomplex" als feste morphologische, syntaktische und semantische Einheit von bestimmter Struktur (Innengliederung) hat verschiedene Aspekte. Er ist deshalb zugleich zu studieren im Blick auf

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

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1. die Anzahl seiner Konstituenten, 2. die Art und Form seiner Konstituenten, 3. die syntaktisch-strukturelle und syntaktisch-semantische Beziehung seiner Konstituenten zueinander, 4. die syntaktisch-semantische Funktion des Verbkomplexes als Einheit. Dies sei an Beispielen aus der deutschen Sprache der Gegenwart erläutert. 1.2.1. Die Anzahl der möglichen Konstituenten eines "Verbkomplexes" ließe sich in der Vorstellung ohne Grenze steigern, praktisch aber ist sie begrenzt objektiv durch den jeweils erreichten Stand in der Entwicklung der Sprache, der seinerseits wieder abhängig ist von der Funktion der Sprache als Kommunikationsmittel von Menschen mit ihren materiellen Gegebenheiten, subjektiv durch die Sprachbeherrschung des jeweiligen Sprechers/Schreibers wie die Aufnahmefähigkeit des jeweiligen Hörers/Lesers. Berücksichtigt man nur die verbalen Konstituenten eines Verbkomplexes, so reicht die Skala in der deutschen Gegenwartssprache in der Regel von einem bis zu etwa fünf Konstituenten, z.B. 1 Konstituent:/sieht/, 2 Konstituenten:/wird sehen/, 3 Konstituenten: /wird gesehen haben/, 4 Konstituenten: /wird gesehen worden sein/, 5 Konstituenten: /wird gesehen worden sein können/ oder /hätte bleiben lassen können zu kommen/. Fünf oder gar noch mehr Konstituenten sind selten, und sie werden mit Recht von Sprachpflegern und Stilisten als unschön abgelehnt. Sie bieten mitunter auch Kommunikationsschwierigkeiten. Jedenfalls sind sie in ihrer Struktur nicht mehr leicht durchschaubar, da ja nur wenige, nicht in gleicher Weise vermehrbare Verbalformen zu ihrer Gestaltung zur Verfügung stehen, die Personalform, Partizipien und Infinitive. Bei Mitberücksichtigung nichtverbaler Konstituenten, pronominaler, nominaler oder adverbialer, kann sich die Zahl der möglichen Konstituenten natürlich noch etwas e r höhen, z.B. /wird sich haben hineindrängen lassen wollen/ oder/wird zur Ausführung gebracht worden sein können/, aber viel weiter kann der Rahmen eines Verbkomplexes mit Rücksicht auf die Sprachpraxis nicht gespannt werden. 1. 2. 2. An Konstituenten eines Verbkomplexes kommen heute im Deutschen der Wortart nach in Frage A. v e r b a l e , in der Form von a. finitem Verb (/kommt/, /kam/ u. a,) b. Perfektpartizip (/[ist] gekommen/) c. reinem Infinitiv (/[soll] kommen/) d. zu-Infinitiv (/[scheint] zukommen/) wozu in älterer Sprache noch gehörten

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Gabriele Schieb e. Präsenspartizip (/[ist] kommend/) f. flektierter Infinitiv (/[ist] kommen [d]e/) g. flektierter zu-Infinitiv (/[scheint] zu kommen[d] e/);

B. p r o n o m i n a l e , in der Form eines Reflexivpronomens (/sich [schämen]/); C. n o m i n a l e , in der Form von a. Substantiv (/Einsicht [haben]/, /Beschluß [fassen]/) b. Präpositionalverbindung (/in Wegfall [kommen]/, / i n Erwägung [ziehen]/) c. Adjektiv (/krank [werden]/, /lieb [haben]/, tot [schlagen]/); D. a d v e r b i a l e , in der Form von a. Verbzusatz = trennbarem Präfix (/ab[nehmen]/, /zu[machen]/) b. Adverb (/stillschweigen]/). Die vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten unterliegen Beschränkungen sowohl nach der Zahl wie der Art der Konstituenten, die aber erst verständlich werden nach Einbezug weiterer, -und zwar syntaktisch-struktureller, syntaktisch-semantischer und lexikalisch- bzw. idiomatisch-semantischer Aspekte. Syntax und Semantik können hier nicht ohne Schaden getrennt werden. Ist doch die Syntax als sprachliche Erscheinung mehr als jede andere Ebene der Grammatik eng mit der Semantik verbunden und auf sie zum Funktionieren und zur Materialisation gedanklicher Inhalte und Beziehungen im Kommunikationsakt angewiesen.. Sonst bliebe sie leeres und starres Schema ohne Motor zu weiterer Entwicklung. 1.2.3. Die syntaktisch-strukturellen und syntaktisch-semantischen Beziehungen der Konstituenten eines "Verbkomplexes" untereinander sind graduiert, was von verschiedenen Faktoren abhängig ist. 1.2.3.1. Ein Kernverb. 1.2.3.1.1. Besteht der Verbkomplex aus nur einer Konstituente, dann steht sie im Regelfall in der Form eines finiten Verbs (VF = verbum finitum), das dann nicht nur syntaktisches "Leitglied", sondern zugleich "Hauptverb", "Nucleus", "Grundmorphem", semantischer Kern, Kernverb (= KV) des Komplexes ist. 1.2. 3.1.2. Der Verbkomplex aus mehreren und zwar verbalen Konstituenten enthält in der Regel ein finites Verb, das der strukturell-syntaktische Kern des Komplexes ist, während der semantische Kern auf einen anderen Bestandteil, eine infinite Verbform, verlagert ist, z. B. / i s t gekommen/. Es handelt sich also um eine "subordinative Kette", eine "Erweiterung des verbalen Aussagekerns" mit gegenläufiger Abhängigkeit, je

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

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nachdem, ob man das syntaktische Leitglied oder den semantischen Kern im Auge hat. Drum schwankt in der Literatur die Terminologie zwischen "Kern" und "Anglied", "Hauptglied" und "Nebenglied", "Grundmorphem" und " H i l f s m o r p h e m u n d man v e r steht, daß mitunter, wenn die gegenläufige Abhängigkeit zusammengefaßt verdeutlicht werden soll, lieber zu abstrakten Symbolen wie / a b c) usw. oder / I 2 3/ usw. (Gottschalk, De Schutter) gegriffen wird. Bei den Verbkomplexen aus mehreren Konstituenten läßt sich folgendes beobachten. Die Personalform kann, sofern nicht Reihung vorliegt, normalerweise immer nur einmal auftreten. Von Partizipien und Infinitiven dagegen, also von infiniten Verbformen, kann ein Verbkomplex durchaus zwei oder mehr enthalten, die aber dann meist von Verben verschiedener syntaktisch-semantischer Funktion stammen. Es lassen sich nämlich drei Grade semantischer Entleerung feststellen vom Kernverb (= KV) mit voller lexikalisch-semantischer Eigenkraft über das Modifikationsverb (= MoV) und Modalverb (= MV) bis zum Hilfsverb (= HV) nur noch syntaktisch-semantischer Funktion. Trotz Abgrenzungsschwierigkeiten, die wiederum für die Diachronie von besonderer Bedeutung sind, können wir auf diese für die Struktur des Verbkomplexes relevante Gliederung der Verben nicht verzichten. Beispiele: Kernverben

/kommt/, / [ist] gekommen/, / [hat vor] zu kommen/, / [muß haben] kommen [lassen]/;

Modalverben

/will [kommen]/, / [ h a t kommen] sollen/, /[hätte bleiben lassen] können [zu kommen]/; Modifikations-/beginnt [zu regnen]/, / [ w i r d gelaufen] kommen/, /[hätte bleiben] verben lassen [können]/; Hilfsverben

/ i s t [gekommen]/, /[muß] haben [kommen lassen]/.

Der Verbkomplex /sollte zu arbeiten begonnen haben/ setzt sich also zusammen aus V F , _ r , zulnf-,,., P e r f P a r t , , , r , Inf Tr , r , wobei die Stellung der Konstituenten aber nicht MV KV' MoV HV' mit der inneren Strukturierung der Gruppe zusammenfällt. Diese baut sich nach dem binären Prinzip vielmehr so auf /sollte/ + /haben/ /[hat] / + /begonnen/ /[beginnt] / + /zu arbeiten/ Unter Berücksichtigung dieser Fakten werden im folgenden Verbkomplex-Modelle aufgestellt, die also nicht identisch sind mit den Verbkomplexen selbst. Sie stellen gegenüber den Verbkomplexen in ihrer konkreten Erscheinung eine Abstraktion dar, eine Art Idealisierung des Objekts. Sie sehen also auch ab von der konkreten Stellung der Konstituenten im praktischen Einzelfall, zu der auch gehört, daß es beim Einbau der Gruppe in einen Satz zu "Gliedertrennung" (Ries) kommen kann, zum Phänomen

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Gabriele Schieb

der diskontinuierlichen Konstituenten, der "Satzklammer", des "Satzrahmens". H e r v o r treten sollen in den Verbkomplex-Modellen vor allem der strukturell-syntaktische Bau und die semantisch-syntaktischen Beziehungen. Das Verbkomplex-Modell zum praktischen Einzelfall /sollte zu arbeiten begonnen haben/ sieht also so aus: V F j ^ + I n f H y + P e r f P a r t M o V + z u l n f ^ . Die genannten Grade semantischer Entleerung sind auch von Bedeutung für den Grad der Einheit eines Verbkomplexes. Als Grundregel läßt sich beobachten: die engste Einheit mit dem Kernverb stiften die Hilfsverben, z. B. / h a t getan/, / i s t getan worden/, / w i r d getan worden sein/, ihnen folgen die Modalverben, z. B. /will tun/, / m a g tun müssen/, und e r s t diesen folgen die anderen Verben, die irgendwelche Modifikationen der Bedeutung des Verbkomplexes hervorrufen, wobei es noch verschiedene Abstufungen gibt, z . B . /beginnt zu regnen/, /empfiehlt bestellen zu lassen/, /erwägt sich zu erkennen zu geben/. An Formen des Kernverbs verbinden sich mit der Personalform des Verbs am engsten die Partizipien, ihnen folgen die r e i nen Infinitive und e r s t diesen die zuInfinitive. Aber auch hier gibt es historisch V e r schiebungen. 1.2.3.1.3. Bisher wurden nur "Verbkomplexe" mit verbalen Bestandteilen berücksichtigt. Zu den mit nichtverbalen Bestandteilen genügt ein kurzes Wort, da sie im folgenden aus der Untersuchung ausgeklammert werden. Die "Verbkomplexe" V F ^ + Reflexivpronomen, sofern es sich um "echte Reflexiva" handelt, sind semantisch einfachen Kernverben gleichzusetzen, z . B . / e m p ö r t sich/ gegenüber / m e u t e r t / , ebenso V F ^ + VZ, z . B . / m a c h t zu/ gegenüber /schließt/, oder VF-_. + Adj, z . B . /schlägt tot/ gegenüber ivv / t ö t e t / . Sie sind als "Verballexeme 1 ' bestimmter formaler Bildung zu werten. I n t e r e s sant ist, daß sich bei den Typen VF + Eg, z . B . ,/Einsicht haben/, /Beschluß f a s s e n / , VF + E .. , z . B . / i n Wegfall kommen/, / i n Erwägung ziehen/ und VF + Adj, z . B . prap ,/krank werden/, / l i e b haben/, / t o t schlagen/, eine ähnliche Erscheinung wie bei den "Verbkomplexen" mit weiteren verbalen Konstituenten beobachten läßt, eine formale Auseinanderfaltung von semantischem Kern und strukturellem Kern. Den strukturellen Kern stellt das finite Verb, den semantischen Kern der nominale Konstituent. Das hat Einfluß auf semantischen Gehalt und Funktion des Verbum finitum. E s erfährt mehr oder weniger eine Bedeutungsentleerung und sinkt ab zum Modifikationsverb bzw. Funktionsverb verschiedener Funktion, das dem Verbkomplex als Ganzes eine /'sein/-, / w e r d e n / - , / h a b e n / - oder / t u n / - P e r s p e k t i v e

verleiht, um nur die undifferenzierte-

sten Derikmodelle zu nennen, aus denen sich dann immer differenziertere im Dienste der Perspektiven, der Aktionsarten ausgliedern. 1.2. 3. 2. Die Graduierung der Einheitsstiftung des Verbkomplexes kann noch unter einem ander e n Aspekt betrachtet werden, dem der Anzahl der Kernverben, der "Nuclei". Danach

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

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lassen sich die Verbkomplexe in zwei Gruppen gliedern, solche mit "einem Nucleus"

5 und solche mit "doppeltem Nucleus", oder, besser, mit "Haupt- und Nebenkernverb". Im ersten Falle ist es so, daß das Kernverb eines Verbkomplexes in der Form eines finiten Verbs die syntaktische Funktion des ganzen Komplexes im Satz übernehmen könnte. /hat kaufen wollen/ z. B. im Rahmen eines Satzes wie / e r hat gestern Brot kaufen wollen/, mit dem Hilfsverb /haben/, dem Modalverb /wollen/ und dem Kernverb /kaufen/, kann ersetzt werden durch /kaufte/, also / e r kaufte gestern Brot/. Für den Großteil der Verbkomplexe trifft diese Eigenschaft des Kermrerbs zu, die gleichen syntaktischen Mitspieler im Satz zu haben, das gleiche Satzmodell zu fordern wie der Verbkomplex, im Falle des obigen Beispiels das Modell E j # V—"Eg (= Ergänzung im Nominativ/Subjektsnominativ* Verb-»Ergänzung im Akkusativ/Objektsakkusativ). Verbkomplexe mit "einem Nucleus", einfache "subordinative Ketten", gibt es in den verschiedensten Kombinationen aller Verbformen und Verbarten, z. B. /ist gekommen/ - /kommt/ /will kommen/ - /kommt/ /pflegt zu kommen/ - /kommt/ /bringt zur Entfaltung/ - /entfaltet/. Das gilt auch noch für Verbkomplexe, die Passivkonstruktionen enthalten, z. B. /ein Buch wird gekauft/ oder, mit möglicher Agensbezeichnung, /ein Buch wird von ihm gekauft/. Hier, in der Konverse, wird das vom Kernverb /kaufen/ geforderte Satzmodell E j # V—*-E2 / e r kauft ein Buch/ nur diathetisch umgekehrt, gewöhnlich, weil man vom Agens absehen will, daher meist auch reduziert um E^. Aber immer liegen die Dinge in Bezug auf die strukturell -syntaktischen und semantisch-syntaktischen Beziehungen des Verbkomplexes nicht so einfach. Es kann zu verbundenen "subordinativen Ketten" kommen. Ein Verbkomplex wie /sehe kommen/ im Satz /ich sehe ihn kommen/ kann nicht durch /komme/ ersetzt werden + /ich komme ihn/. Der Einfachsatz mit Verbkomplexen dieser Art enthält in der Grundstruktur, wenn auch formal nicht ausgedrückt, eine doppelte Prädizierung /ich sehe/ - / e r kommt/, wobei das semantische Schwergewicht auf der zweiten verbalen Konstituente liegt, /kommt/ bleibt also in gewissem Sinne das Kernverb und zwar das Hauptkernverb. Aber /sehe/ wahrt die Funktion eines Nebenkernverbs, zumal es eine eigene vom Hauptkernverb abweichende Ergänzung im Nominativ fordert, /sehen/ ist noch nicht ganz zum "Satelliten" des "Nucleus", zum Modalitätsverb des Kernverbs abgesunken, das nur noch eine strukturell-syntaktische Funktion ausübt, es bewahrt seine Valenz, /sehe/ fordert ein Satzmodell E j # V—"Eg. Als Eg (= Ergänzung im Akkusativ) fungiert die zweite Prädizierung. Bei Zusammenziehung beider Prädizierungen in einen Einfachsatz tritt das Hauptkernverb in der Form des Infinitivs zum Nebenkernverb zur Bildung eines Verbkomplexes /sehe kommen/. Dabei kann die Ergänzung im Nominativ des

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Gabriele Schieb

Hauptkernverbs absichtlich ungenannt und unbestimmt bleiben, z.B. /ich lasse den Zaun streichen/. Wird sie aber genannt, und soll sie genannt werden, so erzwingt die Struktur des Einfachsatzes die Form einer Ergänzung im Akkusativ /ich lasse meinen Sohn den Zaun streichen/, syntaktisch Hinordnungsergänzung zum Nebenkernverb. Wenn, wie im angeführten Beispiel, auch das Hauptkernverb schon einen Akkusativ fordert, enthält der Einfachsatz nun doppelten Akkusativ, /meinen Sohn/, /den Zaun/, wobei der erste zugleich die Ergänzung im Nominativ zum Hauptkernverb vertritt. Das gilt auch für andere Kasus, etwa den Dativ in /ich erlaube ihm zu kommen/, Satzmodell E j # V—•Eg, wo E3 (= Ergänzung im Dativ) zugleich E j des Hauptkernverbs vertritt. Die Nebenkernverben setzen also, wenigstens bis zu einem bestimmten Grade, auch ihre Valenz- und Satzmodellforderungen durch, so daß hier interessante Kombinationsformen von Satzmodellen möglich werden. Aber gerade deshalb, weil die Verbkomplexe dieser Spannweite, Kombinationen von "subordinativen Ketten", die Aussagekraft des Einfachsatzes enorm ausweiten und ihm durch Überspielen der Grenze von satzgliedbildender Gruppe und satzbildender Gruppe, von Verbkomplex und Satz, Kommunikationsmöglichkeiten verleihen, die sonst nur Satzgefügen zukommen, dürfen wir diesen Typ von Verbkomplexen mit Haupt- und Nebenkernverb aus unserer diachronen Betrachtung nicht ausschließen. Wir fassen also Verbkomplexe mit einem Kernverb und solche mit Haupt- und Nebenkernverb in dem einen Phänomen "Verbkomplex" zusammen und schließen auch solche mehrfachen monströsen "subordinativen Ketten" nicht aus wie z. B. /ließ bestellen zu bitten zu kommen zu versuchen/, die in einem Satz stehen könnte wie / e r ließ mir durch seinen Bruder bestellen meinen Sohn zu bitten zu ihm zu kommen zu versuchen/, und die sich binär so gliedern läßt, /ließ/ + /bestellen/ (Haupt- und Nebenkernverb) /[bestellte]/ + / z u bitten/ (Nebenkernverb) /[bat]/ + zu versuche V (Nebenkernverb) /[versuchte] / + /zu kommen/ (Kernverb), also mehrfach gestufte Haupt- und Nebenkernverben enthält, während ein ebenso fünf verbale Konstituenten umfassender Verbkomplex wie /scheint sich vorgenommen zu haben kommen zu wollen/ nur ein Kernverb aufweist, /kommen/- Die Grenze zwischen beiden Subtypen ist im allgemeinen eindeutig. Daß sie mitunter aber auch fließend sein kann und Mischtypen möglich sind, zeigt ein instruktives Beispiel aus der Mainzer Chronik des ersten Untersuchungszeitraums (I Chr. 2): /der . . . underwant sich des stiftes von Mentze zu regiern an des babest laube/ 6,24. Der Genitiv /des süftes von Mentze/ ist noch abhängig von /sich underwinden/, obwohl der Verbkomplex /sich zu regiern underwinden/ die gleiche Ergänzung im Nominativ hat, /sich underwinden/ also durchaus schon zum Satelliten, zum Modalitätsverb des Hauptkernverbs /regiern/ abgesunken sein könnte. Dies wäre fähig, allein die Gruppe zu vertreten. Jedenfalls

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

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strebt die Norm dem Ziel zu /underwant sich das süft von Mentze zu r e g i e r ^ . Das gleiche gilt für I Fpr. 4,30 /dar vmb vnderwint dich nit lichtiglichen solcher Sachen allein vß zu sprechen, anders du magst verdacht werden/. Manche Typen von Verbkomplexen haben also noch nicht die Festigkeit anderer erreicht. Aber das fuhrt schon in den Bereich ihrer Geschichte. 1.2.4. Die "Verbkomplexe" aus verbalen Konstituenten erfüllen ganz bestimmte syntaktischsemantische Funktionen. Zur breiten Palette dieser Funktionen, die z.B. über den Verbkomplex hinausgreifen und dem Satz als Ganzes zuzuordnen sind wie Tempus und Modus, die aber am Verbkomplex formal kenntlich gemacht sind, gehören Bezeichnungen von 1. Umschreibungen, z.B. /tutkommen/ 2. Temporalitäten (Zeitstufen) und Phasen 2.1. Präsens (unvollzogen/vollzogen), z.B. /tut/, /hat getan/ 2.2. Präteritum (unvollzogen/vollzogen), z. B. /tat/, /hatte getan/ 2.3. Futur (unvollzogen/vollzogen), z. B. /wird tun/, /wird getan haben/ 3. Modalitäten (Modalfeld): Realisierungen und Realitäten 3.1. Grade noch ausstehender Realisierung (nur gewollt, gefordert, erlaubt u. ä., noch nicht real, noch zu realisieren), z.B. /laßt [uns] singen/, /will, soll, darf, muß, kann, möchte kommen/, /ist zu tun/, /hat sich auszuweisen/ 3.2. Grade nicht erwiesener Realität (glaubwürdig, möglich, wahrscheinlich, nur gedacht, gefürchtet u. ä., aber nicht erwiesen wirklich), z.B. /muß, wird, dürfte, kann, soll, mag sein/, /würde kommen/, /fürchtet zu sterben/ 4. Diathesen 4.1. Aktiv, z.B. /hat getan/ 4.2. Passiv, z. B. /ist getan worden/ 5. Aktionsarten (Aktionalfeld) 5.1. Durativ, z.B. /bleibt sitzen/ 5.2. Ingressiv, z. B. /beginnt zu lesen/ 5.3. Ingressiv-Intentional, z. B. /sucht zu tun/ 5.4. Progressiv, z. B. /kommt gelaufen/ 5.5. Kontinuativ, z. B. /fährt fort zu tun/ 5.6. Iterativ, z. B. /pflegt zu tun/ 5.7. Terminaüv, z. B. /hört auf zu tun/ 6. Faktitiven, Kausativen (Kausativfeld), z. B. /läßt kommen/ 7. Erweiterungen des Subjektbereichs (Wahrnehmungsfeld), z. B . / h a b e stehen/, /sehe, höre kommen/, /finde liegen/ 8. Objektsinhalten, z.B. /schwört zu k o m m e t .

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Gabriele Schieb

Diese syntaktisch-semantischen Funktionen können im Verbkomplex vielfältig miteinander verknüpft werden, z. B. /muß sitzen bleiben/ = Modalität (Realisierungsgrad) + Aktionsart (Durativ), modale Variante eines aktionalen Ausdrucks, /hat kommen s e hen/ = Temporalität und Phase (Präsens, vollzogen) + Erweiterung des Subjektsbereichs, Vollzugsstufe eines Wahrnehmungsavisdrucks, /hat gefangen gesessen/ = Temporalität und Phase (Präsens, vollzogen) + Diathese (Zustandspassiv) + Aktionsart (Durativ), Vollzugsstufe einer aktionalen Variante des Passivs. 1.3. Der "Verbkomplex" wie überhaupt die "Wortgruppen" sind bisher in den Grammatiken der deutschen Sprache noch selten ihrer Bedeutung entsprechend im Zusammenhang behandelt worden. Das hängt natürlich vor allem damit zusammen, daß die prinzipielle wissenschaftliche Beschäftigung mit den "Wortgruppen", von Reichling "het Stiefkind g van de linguistiek" genannt , überhaupt relativ jung ist. Außerdem hat Ries in seiner grundlegenden Abhandlung "Zur Wortgruppenlehre11 von 1928 gerade auf eine Ausarbeitung der "Verbalgruppen" wegen ihrer Sonderstellung zwischen Wortgruppe und Satz grundsätzlich verzichtet. Der "Verbkomplex" wird gewöhnlich nicht als einheitliches Phänomen gefaßt, sondern erscheint aufgespalten auf verschiedene7 Kapitel der Morphologie, Syntax und Wortbildung. Einen Fortschritt bedeutet Glinz , der das Phänomen nacheinander als "Die Vorgangs gefüge mit rein verbalen Bestandteilen" und o "Vorgangsgefüge mit nichtverbalen zweiten Teilen" behandelt, ähnlich Brinkmann. g Der Grammatik-Duden (Mannheim) faßt den Verbkomplex nach vorheriger aufgespaltener Behandlung nochmal kurz zusammen unter den Satzgliedern und zwar dem "einteiligen" bzw. "mehrteiligen" "Prädikat", ebenso Jung.

Bei Erben** erscheint das

Phänomen unter "Komplizierteren Satzkonstruktionen" teils als "Erweiterung des v e r balen Aussagekerns" "zum'Aussagerahmen', d.h. zu einem'prädikativen Syntagma'", teils als "Satzgliedwertige Infinitivkonstruktionen" bzw. "Partizipialkonstruktionen". 12

Moskalskaja widmet zwar den Wortgruppen einen bedeutsamen Teil ihrer Grammatik, aber den "Verbkomplex" weist sie ihnen nur zum Teil zu. Die "analytischen Formen des Verbs" stellt sie als "Wortformen" und "Teile des Verbalparadigmas" zur Morphologie, als Wortgruppen betrachtet sie nur die von ihr so genannten "biverbalen Wortgruppen", die nicht ins Verbalparadigma eingegangen sind, die sie wiederum scheidet in "halbfeste Wortgruppen mit grammatischer Bedeutung", z.B. /will gesehen haben/, /hat zu arbeiten/, / i s t zu tun/, die dem Ausdruck grammatischer (modaler) Bedeutung dienen, und "biverbalen Wortfügungen mit freiem Anglied", z, B. /hilft basteln/, die gelegentlich auch die Tendenz zu Phraseologismen oder Zusammensetzungen haben, z.B. /Schlafengehen/, /Spazierengehen/. Immerhin muß sie zugeben, daß.manche "halbfesten biverbalen Wortfügungen mit grammatischer Bedeutung", die an der P e r i -

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

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pherie zweier grammatischer Felder fungieren, des Modalfeldes und des Feldes der Aktionsarten, einen sehr engen Verwandtschaftsgrad mit den "analytischen Verbalformen" aufweisen, ebenso, daß es Übergangsfälle zwischen "halbfesten" und "freien Wortfügungen" gibt. So sehr bei synchronen Darstellungen scharfe Trennungsversuche zu begrüßen sind, für die Diachronie sind gerade die Übergangsfälle von besonderer Relevanz. Wir nehmen deshalb den "Verbkomplex" in all seinen Erscheinungsformen wenn auch als stark in sich gestaffeltes, so doch als im Grunde einheitliches Phänomen. Die syntaktisch-semantischen Funktionen innerhalb der verschiedenen Typen von 13 "Verbkomplexen" sind besonders sorgfältig von Brinkmann herausgearbeitet. Nützlich sind z.B. seine Termini "Geschehnisfeld" (= Aktionsarten), "Kausativfeld" (= Faktitiva), "Modalfeld" u. a. Es soll nicht versäumt werden, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß die Niederländer für das Niederländische, die eng verwandte Schwester spräche des Deutschen, 14 auf dem Gebiet der "Wortgruppen" Besonderes geleistet haben, z. B. de Groot und 15 Van der Lübbe . In den neueren niederländischen Grammatiken und Syntaxdarstellungen hat demzufolge die Wortgruppenlehre ihren festen Platz, wenn auch von einer Einheitlichkeit der Auffassung nirgends die Rede sein kann. Besonders wichtig für die Belange dieser Arbeit scheint mir die "Nederlandse syntaxis in klein bestek" von G. A. Van Es, 1966, schon wegen des Einbezugs der Diachronie in die Synchronie. Dann vor allem, weil die Doppelseitigkeit des "Verbkomplexes" voll Rechnung getragen wird, er sowohl innerhalb der "grondstructuren" des Satzes wie innerhalb der "groepvorming in de zin" unter jeweils anderen Aspekten behandelt wird. Auf einen einheitlichen Terminus für das Phänomen verzichtet Van Es allerdings. Bemerkenswert sind ferner Spezialuntersuchungen zum Thema von Meeussen- Vanacker und De Schutter. 1 fi 1.4. Was die Betrachtung des "Verbkomplexes" für die historische Syntax so relevant macht, ist die schon mehrfach erwähnte Tatsache, daß die Grenze zwischen Satz und Verbkomplex in mancher Hinsicht fließend ist. Das Verb wird durch Attraktion von Konstituenten, die ursprünglich Satzelemente im Rahmen der Valenz des Verbs sind, erweiterungsfähig. Es kann in analytischer Form, in enger Aktionsgemeinschaft mit weiteren verbalen oder nichtverbalen Kontinenten, Funktionen übernehmen, die die einfachen synthetischen Formen nur bis zu einem gewissen Grade und oft nicht mit der gleichen Prägnanz erfüllen konnten. So ist es kein Wunder, daß diese sich anbietende Entfaltungsmöglichkeit des Verbkomplexes in der kommunikativen Tätigkeit des Menschen in Bewegung kommt und zu weiteren analogen Komplexen führt. Sie war ausgezeichnet dazu geeignet, das Kommunikationsinstrument Sprache immer wieder den sich wandelnden Bedürfnissen anzupassen. Die Fülle neuer Möglichkeiten drängt sögar zu neuen

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Gabriele Schieb

Systembildungen. Allerdings ist bei syntaktischen Phänomenen dieser Art nicht nur ein besonders langsames Entwicklungstempo zu erwarten, sondern der Versuch, die verschlungenen Kausalketten von Zufall und Notwendigkeit im Prozeß der Sprache als gesellschaftlicher Tätigkeit der Kommunikationsträger zu entwirren, ist hier auch besonders schwierig. Vom rein strukturell-syntaktischen Gesichtspunkt aus läßt sich zunächst nicht entscheiden, ob z.B. die Wortfolge / e r schämt sich/ als / e r / /schämt/ /sich/ = V —"Eg oder / e r / /schämt sich/ = E j # V (Verbkomplex) zu fassen ist, die Wortfolge /sie geht vor/ als /sie/ /geht/ /vor/ = E j # V + E ^ oder / s i e / /geht vor/ = E j # V (Verbkomplex), die Wortfolge /das Projekt kam zur Durchführung/ als /das Projekt/ /kam/ /zur Durchführung/ = E j # V + Ep r ä p oder /das Projekt/ /kam zur Durchführung/ = E j # V (Verbkomplex), die Wortfolge / e r ist verschlossen/ als / e r / /ist/ /verschlossen/ = E j < A d j * V oder als / e r / /ist verschlösse^/ = E j # V (Verbkomplex). Erst die Mitberücksichtigung semantisch-syntaktischer Gesichtspunkte läßt deutlich werden, daß /sich/ in /schämt sich/ nicht mehr Objekt, sondern zum Morphem im Rahmen des Verbkomplexes abgesunken ist mit diathetischer Funktion; daß /vor/ in /geht vor/ zum Wortbildungselement in einer Partikelkomposition ¡stereotypiert ist; daß /kam/ in /kam zur Durchführung/ vom Kernverb zum Modifikationsverb abgesunken ist zur Bildung eines Funktionsverbgefüges im Dienste des Ausdrucks einer Aktionsart; ob /ist/ Kopula und /verschlossen/ Adjektiv mit isolierter Bedeutung ist oder ob beide als Hilfsverb und passives Perfektpartizip zusammengehören zur Bezeichnung des Zustandspassivs. Im Laufe der Sprachgeschichte kommt es ständig zu neuen Stereotypierungen aus dem Satzzusammenhang heraus, d.h. bei gleichbleibender formaler Struktur zu fixierter oder distributiv eingeschränkter Materialisation (= Möglichkeit der Füllung mit konkretem Sprachmaterial) und erstarrter Bedeutung, die nicht mehr mit der Summe der Konstituenten übereinstimmt. Diese Stereotypierungen führen z.T. auf die Ebene der Wortbildung, Lexik und Idiomatik hinüber und bilden dann, sofern es sich nicht überhaupt tun Unica handelt, offene Systeme. Interessanter, aber auch komplizierter ist die Entstehung von Verbkomplexen, die auf der Ebene der Grammatik bleiben und einfache oder kombinierte grammatische Funktionen des Verbs erfüllen und deshalb geschlossene oder doch in mancher Hinsicht beschränkte Systeme bilden. Auch hier gibt es zweifelsohne eine historische Wechselwirkung zwischen Satz und Verbkomplex. Denn alle Verbkomplexe, soweit es sich nicht um Analogiebildungen handelt, scheinen einmal aus dem Satz entstanden, sei es durch Stereotypierung oder sogar durch Umstrukturierung, durch Verlagerung der syntaktischen Beziehungen. In der Diachronie gehen immer wieder Konstituenten von Sätzen, die zunächst in den Bereich der Valenz des Verbs gehören, über in Verbkomplexe, also in den untergeordneten Bereich des Baues der Satzelemente, oder sie wechseln von lh-

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

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rem Platz in einem andern Satzelement in den Verbkomplex Ober. Damit wird die Möglichkeit der Bildung neuer und immer komplizierter strukturierter Verbkomplexe mit erweiterten und kombinierten grammatischen Funktionen eröffnet, die den Keim zu neuen Systembildungen in sich trägt. Bekannt sind die Beispiele aus althochdeutscher Zeit, an denen sich die Entstehung der analytischen Verbformen ablesen läßt, der mit /haben/ und /sein/ umschriebenen aktiven Vollzugsformen des Verbs wie der mit /werden/ und/sein/ umschriebenen Passivformen. Im Falle z.B. des Tatianbelegs 102, 2 (Ausgabe E. Sievers 1892) /phigboum habeta sum giflanzotan/ 'er hatte, er besaß einen Feigenbaum, und zwar einen gepflanzten', um nur ein Beispiel herauszugreifen, gehört das Partizipialadjektiv/geflanzot/ als Attribut zum Objekt /phigboum/, wie die Kongruenz stiftende Endung / -an/ auch formal beweist, und die lateinische Vorlage /arborem fici habebat quídam plantatam/ bestätigt. Der Verbkomplex besteht nur aus dem e i n e n Konstituenten, dem Kernverb /habeta/. Im Falle dagegen des Exhorta tiobelegs /christaniun namun intfangan eigut/ 'ihr habt den Christennamen empfan17 gen' nachtat, /christianum nomen accepistis/, Ahd. Lesebuch VI, 1, 2, ist schon die Grenzverschiebung und Umdeutung des Perfektpartizips eingetreten, die uns heute selbstverständlich ist. Von einer ZustandsbeZeichnung des Objekts ist es zu einer Handlungsbezeichnung des Subjekts mit aktivischer Funktion geworden, /intfangan eigut/ 'empfangen habt' gehört als Verbkomplex zusammen. Solche Verbkomplexe aus finitem Verb, das zum Hilfsverb degradiert ist, und Perfektpartizip, das das Kernverb und damit den semantischen Kern des Komplexes stellt, verbreiten sich seit Otfrid auf alle transitiven Verben, seit Notker begegnen analoge Übertragungen auf intransitive imperfektive Verben. Prozesse dieser und ähnlicher Art, bei denen oft verschiedene Etappen der Grammatikalisierung festgestellt werden können, finden immer wieder statt und haben, vielfach gefolgt von systemauffüllenden Analogiebildungen, zu dem komplizierten System von "Vorgangsgefiigen" geführt, wie sie noch heute für das Deutsche charakteristisch sind. 18

Bedeutsam ist in dieser Hinsicht die Pariser Dissertation von Erika Oubouzar , die, allerdings beschränkt auf d i e "Verbkomplexe", die in die Formenbildung des Verbs Eingang gefunden haben, den Weg der Umbildving des deutschen Verbalsystems von althochdeutscher Zeit bis heute verfolgt. Dieses hat sich von einem durch Aspektopposition gekennzeichneten System in althochdeutscher Zeit über ein durch Phasenopposition bestimmtes System ab 13./14. Jahrhundert hinentwickelt in ein System der Tempus- und Phasenopposition, das etwa um 1650 den neuhochdeutschen Stand erreicht hat. Zu dieser Zeit sind schon alle Formen des heutigen deutschen geschlossenen Verbalsystems da, eine Aktiv- und eine Passivreihe, in denen die gleiche dreifache Opposition Gestalt gewonnen hat, die temporale Opposition (Präsens/Präterium/Futur), die Phasenopposition (unvollendet/vollzogen) und die alte modale Opposition (Indikatlv/Kon-

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Gabriele Schieb

junkttv). Nach dem Verbleib der Aspektopposition im Rahmen verbaler Ausdrücke ist von Oubouzar nicht gefragt. Da aber die vielseitigen verbalen Perspektiven, die Aktionsarten, aus der sprachlichen Kommunikation nicht wegzudenken sind, ist zu erwarten, daß auch sie im Rahmen der Entfaltving der "Verbkomplexe" ihren festen Platz finden, allerdings nicht in einem geschlossenen System, sondern, ihrer ständig fortschreitenden Differenzierungstendenz entsprechend, in einem offenen System. 1.5. Oubouzars hinstorischer Ausschnitt endet um 1650. Wir legen zwei diachrone Schnitte durch den Fluß der Entwicklung, einen um 1500 und einen um 1700. Ihre Arbeit wird also in Einzelfällen herangezogen werden können. Allerdings beschränkt sich Oubouzar auf die ins Formensystem des deutschen Verbs eingegangenen "Verbkomplexe". Wir dagegen berücksichtigen a l l e "Verbkomplexe". Unsere Beschränkungen gehen in anderer Richtung. Wegen der Fülle der Erscheintingen schließen wir topologische Fragen, also Fragen der Wortstellung, grundsätzlich aus, so interessant und wichtig sie im Einzelfall auch sein mögen, und engen das Thema ein auf die v e r b a l e n B e s t a n d t e i l e d e s V e r b k o m p l e x e s . Nominale, pronominale und adverbiale Bestandteile werden aus diesem Grunde in vorliegender Arbeit nicht als eigene Konstituenten gewertet, sondern zum Kernverb gerechnet, z.B. /wird - lieb gehabt - haben/, /hat - zur Auswirkung kommen - lassen/, /hat - sich schämen - müssen/, /soll stillgeschwiegen - haben/. Aber in diesem Rahmen erfolgt keine Beschränkung auf interessante und diachronisch relevante Einzelphänomene, sondern alle Typen werden einbezogen, gleichgültig ob sie es zu Systembildungen gebracht haben oder nicht. Mit gutem Grunde ausgeschlossen bleiben in dieser Arbeit im Unterschied zu den anderen nur finale Gebilde, da sie zum größten Teil eindeutig aus dem Bereich des "Verbkomplexes" hinausführen in den des Satzes. Darunter fallen Gebilde wie /Ich h a b e demnach dieses Blat g e o r d n e t , die Leute von diesem irrigen Wahne zu b e f r e y e n / n Bi. 4,4, / s c h w a t z t e es i h r . . . v o r , um die Mutter z u f l a t t i r e n / II Bi. 4,40. Grenzfälle zur Finalität wie z.B. /geht besuchen/, /steht zu tun/ 'ist bereit zu tun, will tun' bleiben natürlich einbezogen, da sie diachron wichtig sein können. Nur am Rande vermerkt sei, daß Infinitive und Infinitivkonstruktionen als Subjektsnominative oder Attribute, so etwa /es ist keine leichte Sache sich . . . loßzureissen/ II Bi. 4,47, /do wart vns ernst fursehung zu haben/ I R . 3, 6, /sie erweckte in mir . . . Begierde ihn zusehen/ n Bi. 4,11 nichts mit den "Verbkomplexen", die immer Prädikat sind, zu tun haben. Wegen der zentralen Rolle des Verbs und Verbkomplexes für alle Satztypen wäre es für das Thema am günstigsten gewesen, fortlaufende Textstücke als Materialgrundlage auszuwerten ohne Rücksicht auf den Wechsel von Einfachsatz, Satzverbindungen

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

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und Satzgefügen. Aber die Einfügung in den Rahmen der andern Arbeiten gebot Beschränkung auf den Einfachsatz. Das ist bedauerlich, denn der Einfachsatz ist innerhalb aller Satztypen selbst eine variable Größe. Er nimmt z.B. gerade in der Zeit 19 von 1500 - 1700 in bestimmten Genres stark ab. Es kommt zu einem Wuchern der Satzgefüge mit vielen Nebensätzen unterschiedlichen Abhängigkeitsgrades. Dies muß bei den statistischen Ergebnissen der Arbeit als relativierender Faktor im Auge behalten werden. 1.6. Um den jeweiligen Stand der Sprachverwendung im Bereich des Verbkomplexes umfassend feststellen zu können, wird versucht, unter Berücksichtigung der unter 1.2. genannten Aspekte, ein S y s t e m der Verbkomplexe zu ermitteln und womöglich weitere geschlossene und offene S u b s y s t e m e zu erkennen. Mit der Entfaltung der Verbkomplexe gegenüber der einfachen Verbform bürgerte sich ja eine immer stärkere Aufgabenverteilung auf verschiedene Konstituenten ein. So ist im allgemeinen und der Tendenz nach ein Nebeneinander funktionsverschiedener Typen zu erwarten. Diese formieren sich im Sinne syntaktisch-semantischer Felder zu geschlossenen oder offenen Systemen. In verschiedenen Existenzformen und Funktionalstilen wie Stilschichten der Sprache können sie der Quantität und Qualität nach natürlich verschieden besetzt sein. Tauchen im Textcorpus austauschbare Varianten gleicher Funktion auf, ist zu fragen, ob sie völlig gleichwertig zum jeweiligen Sprachgebrauch gehören oder nicht. Im letzteren Falle wird versucht, traditionelle (veraltend/neu), regionale, soziale und funktionalstilistische Varianten zu unterscheiden. Von den verschiedenen Kommunikationsbedürfnissen der Sprecher und Schreiber her ist zu erwarten, daß sich das System der Verbkomplexe zusammensetzt aus einem stark frequentierten, für die Kommunikation unentbehrlichen Grundbestand, der u.U. Teile verschiedener Subsysteme umfaßt, und Ausbau- und Kombinationsformen, die sich im Rahmen bestimmter zu ermittelnder Regeln halten und für weitere, differenziertere Kommunikationsbedürfnisse auswahlweise zur Verfügung stehen. Sie werden je nach Kommunikationsinhalt, Funktionalstil und individuell gewählter Stilschicht verschieden stark frequentiert. Es wird also zu unterscheiden sein zwischen Typen, die ins Zentrum des Systems oder der Subsysteme gehören und daher immer und überall eine hohe Frequenz aufweisen, und Typen, die mehr an deren Peripherie gehören. 1.7. Die Untersuchung geht den folgenden Weg. Das gesamte Belegmaterial wird, nach den beiden Untersuchungszeiträumen getrennt, unter 2.1. und 3.1. systematisch geordnet vorgeführt. Für diese Systematik ist eine eigene Zählung nach dem Dezimalsystem in

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die Kapitel 2.1. und 3.1. eingefügt, die für beide Untersuchungszeiträume übereinstimmt, um die Orientierung zu erleichtern und um Übereinstimmungen und Unterschiede sofort ins Auge fallen zu lassen. Grundlage der Ordnung sind zunächst formale Kennzeichen. Die Großgliederung wird bestimmt durch die Anzahl der verbalen Bestandteile, wobei unter Mitberücksichtigung der Funktion jeweils Volltypen und Ellipsen unterschieden werden. Nächster Gliederungsanhalt sind die "Gruppen" der Verbkomplexe, d. h. die Verbindungsmöglichkeiten des Verbum finitum mit infiniten Verbformen, und zwar in der Abfolge Perfektpartizip (Perf Part), Präsenspartizip (Präs Part), Infinitiv (Inf), flektierter Infinitiv (flekt Inf), zu-Infiniüv (zu Inf), flektierter zu-Infinittv (flekt zu Inf). Die letzte Station sind die vielen "Typen" bestimmter syntaktisch-semantischer Funktion, die sich erst aus der Art der Materialisierung der an Zahl natürlich viel beschränkteren Formschemata ergeben. Auch diese Typen sind noch eine Abstraktion. Hier aber ist dann der Ort für konkrete, ausgewählte Belege zur Veranschaulichung. Diese für beide Querschnitte gleich angelegten Übersichten über das Gesamt der belegten Verbkomplexe, die vom Allgemeinsten zum Besonderen fortschreiten und quantitative wie qualitative Aspekte zu vereinigen suchen, sind begleitet von Tabellen bzw. Übersichten. Eine erste allgemeinste Tabelle ermittelt den jeweiligen Prozentanteil der ein-, zwei-, drei-, vier-, fünfgliedrigen Volltypen oder Ellipsen am Gesamt der belegten Verbkomplexe. Eine zweite Übersicht bietet speziell den Prozentanteil der genannten Größen am Gesamt der Verbkomplexe jeder einzelnen Quelle, und zwar, sofern die Darbietungsform der Tabelle gewählt wurde, so angeordnet, daß zugleich in der Horizontale eine Zusammenschau der gewählten Sprachlandschaften, in der Vertikale der gewählten Gattungen möglich ist. Diese Technik wird, soweit lohnend, wieder aufgegriffen auf der nächsten Ebene der "Gruppen", und, .soweit möglich und sinnvoll, auch noch auf der Ebene der "Typen". Diese Tabellen erlauben es, die konkreten Belege auf ein Minimum von repräsentativen Beispielen zu beschränken. Sie sind zur Raumersparnis so knapp wie möglich, d.h. auf das Wesentliche gekürzt, zitiert, z.B. 3.1.1.6. / h a b e . . . gefangen gelegen/ statt /Zu Sanct Malo habe ich ein gantz halb Jahr gefangen gelegen/ II Ro. 1 a, 7. Wo sich Typ und konkreter Beleg im Wortlaut decken, konnte sogar auf ein Zitat verzichtet und nur die Belegstelle angegeben werden, z.B. 3.1. l . b . Typ / i s t verlassen geblieben/- 1 Beleg: II Fpr. 2, 54. Das war bei einem Untersuchungsmaterial von insgesamt 20 042 Belegen für die beiden Untersuchungszeiträume dringend geboten, um den Umfang der Arbeit zu begrenzen. Den Übersichten über das Gesamt der belegten Verbkomplexe in beiden Querschnitten folgen in 2.2. und 3.2. Ergebnisse zum Stand des Sprachgebrauchs um 1500 bzw. um 1700, wobei die System- und Feldbildungen besonders beachtet sind. Diese Teilergebnisse sind Grundlage für den diachronen Vergleich in 4., der versucht, $ e Entwicklung des Verbkomplexes aus verbalen Bestandteilen im deutschen fiinfachsatz zwi-

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

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sehen etwa 1500 und 1700 zu skizzieren, wobei sich herausstellen wird, daß bei der Weiterbildung dieses syntaktischen Mittels im Rahmen der nationalen Literatursprache weniger außersprachliche Faktoren eine Rolle gespielt haben, als daß vor allem innersprachliche Tendenzen sich folgerichtig weiter entfalteten. Durch gewachsene Ansprüche an das Kommunikationsinstrument Sprache gerade im gewählten Zeitraum sind diese allerdings schneller zum Zuge gekommen.

Gabriele Schieb

60

2. Zeitraum 1470 - 1530 2.1. Übersicht Uber das Gesamt der belegten Verbkomplexe Gesamtanzahl: 18 108 = 100 % Tabelle 1 Anzahl der verbalen Bestandteile

1

Volltypen absolute Belegzahl 12160

5114 475 13

2

3 4

Ellipsen

der VK 67,2

absolute Belegzahl 303 38 5

28,2

2,6 0, 07

der VK 1,7 0,2 0, 03

Tabelle 2 Frequenz in Landschaften und Gattungen: %-Anteil am Gesamt der VK einer Quelle

nd.

Reisebes chreibung verbale Bestandteile 1 3 2 4

Chronik verbale Bestandteile 1 2 3 4

Volltyp Ellipse Volltyp Ellipse

69,4 23,5 2,1 0,8 78, 5 18,7 0,1 -

3,9 0,2 2,6

0,1

54,1 40 0,8 42,8 51,9

-

-

Volltyp Ellipse Volltyp Ellipse Volltyp Ellipse

89,4 10,2 0,2 81,4 16,8 0,5 0,1 45,5 25 27,7 0, 5

0,2

-

-

-

1,2

-

-

-

1,3

-

-

-

-

-

-

51,6 36, 2 2,2 2,2 66,6 30,6 0,1 70,2 26,3 0,9 0,1

Verbkomplexe aus einem verbalen Bestandteil

4,7 0,2 5

0,2 -

0,3

-

-

7,2 0,2 2,7

0,4 -

-

2, 5

-

-

20

1.1. Verbkomplexe (Volltypen) aus einem verbalen Bestandteil VFKV

Anzahl: 12 160 = 67,2 % aller Verbkomplexe. - Sie sind in dieser Arbeit nicht spezifiziert.

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

61

1.2. Verbkomplexe (Ellipsen) aus einem verbalen Bestandteil Anzahl: 303 = 1,7 % aller Verbkomplexe Frequenz der Gruppen VF + [Vi] [ v f ] + VI [ v f ] + [vi] + VI [ v f ] + vi + [vi]

303 = 73 = 221 = 8= 1=

100 % 24,1 % 72, 9 % 2,7 % 0,3%

Frequenz der Gruppen in Landschaften und Gattungen: %-Anteil am Gesamt der elliptischen Verbkomplexe aus einem verbalen Bestandteil einer Quelle: VF + [Vi] : omd.R. 75%, wmd.R. 100%, wobd.R. 33, 35 %; omd. Chr. 75 %, oobd. Chr. 20 %, wobd. Chr. 100 %, nd. Chr. 100%; omd. Fl. 50%, wmd. Fl. 12,5%, oobd. Fl. 100%, wobd. Fl. 100 %;

Flugschrift verbale Bestandteile 1

2

3

4

55,2 40,2 0,9 -

3,6

0,1

55,5 40,7 1,3 -

2,3 0,2 3,8

44,3 51,4 0, 5 62,9 32,3 0,9 -

_ -

_

-

-

3,6

0,3

-

35,4 50, 5 11,3 1,7 1

_ -

Fachprosa verbale Bestandteile 1

2

Volksbuch verbale Bestandteile

3

4

1

42, 5 52,1 1,2 63 31,5 1,8 0,2 65,7 31,4 0, 3

4,2

-

68,3 0,4

58,4 36,2 2,2 84,5 14,3 0,4

3 0,2 0,8

3,5 2,6

-

-

2 30

3

4

1,3

_

3,6

0, 6

-

59,1 36,6 0,1 65,6 32,2 0,1 0,1 70,6 27,3 0,3 0,1 69, 2 28,8 0,3 0,1

-

-

2 -

1,7

_ -

_ -

1,6

-

omd. Fpr. 50%, wmd. Fpr. 100%, wobd. Fpr. 16,7%, nd.Fpr. 100%; omd. wmd. oobd. wobd. Vb. je 100%, nd.Vb. 75%. [VF] + VI

: omd.R. 25%, wobd.R. 66,65%, nd.R. 100 %; omd. Chr. 25 %, oobd. Chr. 40 %; omd. Fl. 50%, wmd. Fl. 87,5%, nd. Fl. 100%; omd. Fpr. 50%, oobd. Fpr. 100%, wobd. Fpr. 25%; nd. Vb. 25%.

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[VF] + [Vi] + VI

: oòbd. Chr. 30 %; wobd. Fpr. 58, 3 1

[VF] + VI + [Vi]

: oobd. Chr. 10 %.

Tabelle 3 Frequenz der einzelnen Typen: Gruppe

1. VF+ [vi]

2. |VF| + VI

Typ

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 1.

/ist nach Hause/ /ist gegen ihn/ /wird [getan]/ /es ist ihm [zu tun] um/ /will nach Hause/ /will etwas/ / e s soll dir/ /kann gut [spielen)/ /hat dahin 3 Meilen/ /dahin sind 3 Meilen/ /es folgt [zu reden]/ / [hat] getan/, / | ist] gekommen/ / ist, wird] getan/ / du sollst] tun/ / ist] zu tun/

2. 3. 4. 3. [VF] + [VI] +VI1. /[ist] getan [worden]/ 2. /[soll] getan [werden]/

4. [VF] +VI+ [vi] 1. / [hat] heraus [gehen] müssen/

absolute Belegzahl

% der % aller Gruppe eingliedrigen Ellipsen

1 1 1 1 25 27 1 2 5 8 2

1,37 1,37 1, 37 1,37 34,3 37 1,37 2,7 6,85 11 2,7

0,33 0,33 0,33 0,33 8, 25 8,9 0, 33 0,67 1,65 2,6 0,67

201 13 2 5

90,9 5,9 0,9 2,3

66,3 4,3 0, 67 1,65

1 7

12,5 87, 5

0,33 2,3

11

100

0, 33

Landschaftliche Beschränkungen sind weniger zu vermerken als funktionalstilistische Vorlieben. Typ 1.9. und 1.10. begegnen nur in der omd. Reisebeschreibimg, 1.11. nur in der omd. Fachprosa (Calw, Bergbüchlein). Wir beachten besondere Häufigkeit von 2,1. und 2.2. in der nd. Reisebeschreibung. 3.2. ist, wie z.T. noch heute, auf den Rezeptstil der medizinischen Fachprosa beschränkt. 1.2.1. FVHV/MV/MOV

+

[^KV]

Anzahl: 73 = 24,1 % der elliptischen Verbkomplexe aus einem Bestandteil. 1 . 2 . 1 . 1 . VFjjy + [PerfPart a c t ^ J + E ^ Typ /ist nach Hause/ 'ist nach Hause gegangen'. - Der Einzelfall /ist unser genediger Herrn gen Ynßbrugh/ I Chr. 3,342 gehört als Ellipse zum Typ /ist gekommen/, s. 2 . 1 . 2 . 2 , Nhd. nur umgangssprachlich.

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

63

1.2.1.2. V F ^ + JjPerfPart p a s s ^ J + E ( U r Typ /ist gegen ihn/ 'ist gegen ihn eingestellt'. - Der Einzelfall /warn . . . wieder die Schweyzer/ 'waren eingestellt gegen' I Chr. 3, 289 gehört als Ellipse zum Typ /ist getan/, s. 2.1.2.5. 1.2.1.3. VFjjy + [PerfPart p a s s ^ J Typ /wird [gemacht] / . - Der Einzelfall /die w e r d e t 'werden gemacht' I Fpr. 4, 72 gehört als Ellipse zum Typ /wird getan/, s. 2.1.2.10. 1.2.1.4.

V F ^ z u I n f ^ + E ^

Typ /es ist ihm [zu tun] um/. - Der Einzelfall /üch gelerten ist mer vmbs g e l t . . . dan . . . / I Fl. 4a, 72 gehört als Ellipse zum Typ / e s ist ihm zu tun um/, s. 2.1.6.28. 1. 2.1.5. V F

m +

[inf^

Bewegungsverb]

+ Ed.r

Typ/will nach Hause/, zum entsprechenden Volltyp/will t u n / u . ä . s. 2.1.4.7. ff. Die Ellipse wird schon damals stereotypiert gewesen sein. Deshalb spricht man auch vom "absoluten" Gebrauch der Modalverben. Mhd. Fälle sind verzeichnet bei PaulMoser -Schröbler, Grammatik, § 379, 3c. Auch im Shakespeare-Englisch sind sie da, vgl. Curme, Grammar S. 323. Zur heutigen Geltung Welke, Modalverben S. 14 ff., 2 Brinkmann, Sprache , S. 382, Riesel, Stilistik, S. 476. - 25 Belege, z.B. /muste der rath . . . uff die bürg/ I Chr. 1,11. 1.2.1.6. V F ^ + [ i n f ^ a U g e m e i n ] + E 2 Typ/will etwas/. Zum entsprechenden Volltyp /will, soll, kann, mag, vermag, darf tun/ s. 2.2.4.7. ff. - 27 Belege, z.B. /sie sollen nichts/ I Fl. 4a, 116. 1.2.1.7.

VFmv +

{ [ S ^ ] w e r d e n ] + [PerfPart p a s s ^ ]

+

Eg

Beim einzigen Fall / e s soll weder dir noch mir/ I Vb. 1,17 ist nicht sicher anzugeben, ob Ellipse aus einem Typ /soll gehören/, s. 2.1.48., oder einem Typ aus drei Konstituenten /soll gegeben werdeV, s. 3.1.8.10., vorliegt. Jedenfalls steht die Modalität im Vordergrund. Vergleichbare Ellipsen verzeichnet Paul, Wörterbuch, S. 568. 1.2.1.8.

V F ^ + p n f ^ . E ^

Typ /kann gut [spielen] / . - Die beiden Belege /kunt vff der fidelen wol/ I Vb. 4,35 iind I Vb. 5,24 ersparen wohl /spielen/ und gehören als Ellipsen zum Typ /kann tun/, s. 2.1.4.9. 1-2-1-9. V F M q V + [ z u l n f ^

Bewegungsverb]

+E ^

+

E ^

Typ /hat dahin 3 Meilen/ 'bis dorthin hat man zu gehen, fahren, reiten o. ä., braucht man 3 Meilen'. Er scheint Ellipse aus dem Typ /hat zu tuV, s. 2.1.6.20. - 5 Belege, z. B. I R . 1,73.

Gabriele Schieb

64 1.2.1.10. V F M o V unpe^Qm + [ z u I n f K V Bewegungsverb]

+ E

dir

+ E

lMaß

Typ /dahin sind 3 Meilen/ 'bis dorthin sind zu gehen, fahren, reiten o. ä., dauert es, braucht man 3 Meilen'. Es scheint Ellipse vorzuliegen aus dem Typ / i s t zu tun/, s. 2.1.6.26. - 8 Belege, z.B. I R . 1,35. 1.2.1.11. V F M o V u n p e r s 8 n l + [ z u l n f ^ ] Typ / e s folgt [zu reden]/. - Die beiden Belege aus der omd. Fachprosa (Calws, Bergbüchlein) /volget von den klufften/ I Fpr. lb, 27, ähnlich 24 sind offensichtlich Ellipsen aus /volget zu reden/ 'nun ist zu reden, soll geredet werden über', wie an anderer Stelle auch bezeugt, /volgt nu tzu reden voiV I Fpr. lb, 22. Zu diesem Volltyp / e s folgt zu reden/, modaler Passiversatz, S. 2.1.6.32. 1.2.2. [ V F ^ / ^ ]

+

Vljry

\nzahl: 221 = 72,9 % der alliptischen VK aus einem Bestandteil 1. 2. 2.1. [ V F ^ J + PerfPart a c t ^ Typ /[hat] getan/ oder / [ i s t ] gekommen/. Zu den entsprechenden Volltypen /hat getan/, / i s t gekommen/ s. 2,1.2.1. f. Die Ellipse verzichtet auf Redundanz und sieht vom Unterschied/haben/, /sein/ wie/haben/, /hätte/, / i s t / , / w a r / und /habe/, /hätte/, / s e i / , /wäre/ ab. - 201 Belege. - Zur Erscheinung vgl. Paul, Grammatik IV § 529 S. 370 f., weitere Belege aus der Zeit vom 15. bis 17. Jh. bei Kehrein, Grammatik Bd. 3 § 51. Besonders oft erfolgt Ersparung bei der Reihung zweier P e r fekta, bei denen das eine Konstruktion mit /haben/, das andere mit /sein/ verlangt, z. B. /habt yr alwegen konige vnd propheten gehabt vnd nyhe ane kSnige vnnd prophetenn gewest/1 Fl. lb, 437 oder umgekehrt /bin ich bliben sitzen und den rathstul nicht gereumbt/ I Chr. 1,17. Sie sind hier mitgezählt und Fällen wie /vort in dey Stadt Moraen gefaren und dar getert und uns myt den patroen vrolick gemaket/ I R. 5,180 gleichgestellt. Heute ist diese Ellipse nur im Funktionalstil der Alltagsrede 2 möglich und in der Literatur, die ihn benutzt, Brinkmann, Sprache , S. 282. 1. 2. 2. 2. [ V F ^ J + PerfPart p a s s ^ T y p / [ i s t , wird] getan/. Zu den entsprechenden Volltypen/ist g e t a n / s . 2 . 1 . 2 . 5 . , /wird getan/ s. 2.1.2.10. Die Grenze zum Typ / [ i s t ] getan [worden] / , s. 1 . 2 . 3 . 1 . , ist nicht immer sicher zu ziehen. - 13 Belege, z.B. /darümb ans Creutz geschlagen/ I Fl. la, 41, / i r e speyß auß vatterlindischer erden gewachsen/ I Fl. 2a, 57. - Die Grenze vom Verbkomplex zum Partizipialadjektiv ist mitunter fließend, vgl. I R . 4,10.

65

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen 1.2.2.3. [ V F M o V ]

+

inf^

Typ / [du sollst] tun/. Zum entsprechenden Volltyp /soll tun/ s . 2 . 1 . 4 . 8 . Historische Fälle eines solchen "isolierten Infinitivs" verzeichnet Behaghel, Syntax 2 § 747 S. 363. 2 Belege: /dich selbs nit loben, die anderen nit schelten/ I Fpr. 4,15. 1.2.2.4. [ v F M q V ]

+

zulnf^

Typ / [ i s t ] zu tun/. Zum entsprechenden Volltyp / i s t zu tun/ s. 2.1. 6. 26. - 5 Belege, z. B. /das zu forchten/ I Fl. 2a, 53. 1.2.3. [ V F ^ ]

+

[viHy]

+

VI^

Anzahl: 8 = 2, 7 % der elliptischen Verbkomplexe aus einem Bestandteil. 1. 2. 3.1. [ V F H V J + ^PerfPart a c t ^ J + PerfPart p a s s ^ Typ / [ i s t ] getan [worden]/. Zum entsprechenden Volltyp / i s t getan worden/ s. 3 . 1 . 1 . 3 . - Einziger sicherer Beleg: /bey den Predigern gepflastert die Gassen/ I Chr. 3, 335. Im übrigen vgl. auch 1 , 2 . 2 . 2. 1. 2. 3. 2. [VFj^yTj + [ l n f H V ] + PerfPart p a s s ^ Typ/[soll/muß u. ä.] getan [werden]/. Zu den entsprechenden Volltypen s. 3 . 1 . 8 . 1 0 . 7 Belege, z . B . /das warm gemacht vnd gebrucht in vorgemelter massen/ I Fpr. 4, 40. 1.2.4. [ V F r v ]

+

VI^

+

[VI^]

Anzahl: 1 = 0, 3 % der elliptischen Verbkomplexe aus einem Bestandteil, 1.2.4.1. [ V F h v ]

+

Inf (st. P e r f P a r t ) ^

+

[inf^

Bewegungsverb

]

+

Edir

T y p / [ h a t ] heraus [gehen] müssen/. Zum entsprechenden Volltyp s. 3 . 1 , 4 , 1 . 1 Beleg: /yederman stracks durchaus müessen/ I Chr. 3, 335. 2. Verbkomplexe aus zwei verbalen Bestandteilen 2.1. Verbkomplexe (Volltypen) aus zwei verbalen Bestandteilen Anzahl: 5114 = 28, 2 % aller Verbkomplexe Frequenz der Gruppen: 5114 = 100 % VF VF VF VF VF VF VF

+ + + + + + +

und + VF PerfPart PräsPart Inf flekünf zulnf flekt zulnf

4 2190 9 2548 1 343 19

= = = = = = =

0, 08 % 42, 8 % 0, 2 % 49, 8 % 0, 02 % 6, 7 % 0,4 %

66

Gabriele Schieb

Tabejle 4 Frequenz der Gruppen in Landschaften und Gattungen: %-Anteil am Gesamt der Volltypen mit 2 Bestandteilen einer Quelle omd. wmd. oobd. wöbd. nd.

Reisebes chreibung VF+Präs VF+Inf VF+fl VF+und VF+ Inf PerfPart Part +VF _ -

56,6 52,2 44 53 82,2

0, 45 0, 7 1,2

36, 2 44, 2 36 44,2 13,6

_ -

Chronik VF+Präs VF+Inf VF+fl VF+und VF+ Inf +VF PerfPart Part omd. wmd. oobd. wobd. nd.

_ -

23,3 31,7 82,5 70,6 42, 5

1

72,8 63, 5 15,7 25,2 52,5

_ -

39,1 36,9 48,1 37,8 53,1

58,6 55,8 50 56,6 34,7

_ -

-

66,9 36,9 9,8 33,2 11,9

1, 5 0, 8

19,6 63,1 68,4 45,9 85, 7

1,3 0,4 0,4 -

44,6 34,2 38,7 29,7 27,5

0,8

49 51,3 47,3 60,1 62

-

1,2

2,9 4,2 1,8 4,1 3

_

2

VF+ zulnf

VF+fl zulnf

2,3 7,2 1,9 5,6 8,8

_

3,4

VF+ zulnf

VF+fl zulnf

_

13, 5

_

-

-

-

_ 0,6 -

_ -

-

Volksbuch VF+Präs VF+Inf VF+fl VF+und VF+ Inf PerfPart Part + VF omd. wmd. oobd. wöbd. nd.

_

VF+fl zulnf

Fachprosa VF+und VF+ VF+Präs VF+Inf VF+fl Inf PerfPart Part +VF omd. wmd. oobd. wobd. nd.

6,8 2,9 20 2,8 1,8

VF+fl zulnf

VF+ zulnf

Flugschrift VF+und VF+ VF+Präs VF+Inf VF+fl Inf PerfPart Part +VF omd. wmd. oobd. wöbd. nd.

VF+ zulnf

_ -

-

20,3 20,9

-

-

-

-

1,6

VF+ zulnf

VF+fl zulnf

5,1 13,7 13,6 10,2 9,4

_ 0,4 -

0,3

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen 2-1'1-

VF

MoV+/und/

+ VF

67

KV

Anzahl: 4 = 0,08 % der Volltypen aus zwei verbalen Bestandteilen. 2.1.1.1. V F M q V + /und/ + V F ^ Typ /hub an und schlief/ 'begann zu schlafen* = Ingressiv. 4 Belege, nur im Volksbuch, z. B. I Vb. 2,12, ähnlich I Vb. 3,10. Das Modifikationsverb ist immer /anheben/. Es ist der einzige Fall, in dem die Verbindung zweier finiter Verben nicht zur Reihung gehört, sondern im Dienste der ingressiven Aktionsart steht. In dieser schon früher und noch später möglichen stereotypierten Randerscheinung, die keinen Eingang in die Norm fand, mag Verschiedenes zusammengeflossen sein. In Fällen wie /huop der vater an und sagete/ Mhd. Wb. 1,644 und /heb nu an und segne/ 2. Sam. 7,29 mag, wie schon DWb. 1,370 vermutet, Ellipse eines Verbs des Redens vorliegen, Typ /hebt an [ z u sprechen] und s a g t . . . / , vgl. /nun hebe an zu segnen, das/ 1 Chr. 17, 27 und s . 2.1. 6.42, in nhd. stereotypiert / e r räusperte Sich, hub an 'setzte an' und schwieg/ völlige Intransitivierung und damit Reihung mit den übrigen finiten Verben. Sollten so auch schon unsere Fälle zu deuten sein? 2.1.2. V F ^ ^ *

PerfPart^

Anzahl: 2 190 = 42, 8 % der Volltypen aus 2 verbalen Bestandteilen. 2.1.2.1. V F ^ + PerfPart a c t ^ Typ /hat getan/ = Perfektivierung, zum Formensystem des Verbs gehörig als aktive Vollzugsstufe, ebenso wie Typ / i s t gekommen/, von dem er sich wie in der Gegenwartssprache nur durch die Distribution unterscheidet, s. 2.1.2. 2. - 800 Belege. Besonderheiten im Gebrauch von /haben/ gegenüber / s e i n / : Wo Bewegungsverben imperfektiv und nicht mutativ gefaßt sind, kann noch /haben/ gebraucht werden, z. B. /haben . . . angesegelt/ I R . 3,1, daher auch bei übertragen gebrauchtem /volgen/, /hat gevolget/ I Fl. 2b, 175. Die niederdeutschen Quellen haben die Unterscheidung bei den Bewegungsverben besonders zäh bewahrt, daher z. B. /hebben . . . in den tempel gegaen/ I R. 5, 200, übertragen /hedde . . . to synem gelde komen/ I Chr. 5,341. Rest alten zurückweichenden Sprachgebrauchs germanischer Geltung ist nd. / h e f f t . . . gewest/ I R . 5,196. Während sich im Deutschen vom Oberdeutschen her / i s t gewesen/ durchsetzt, bleibt in den germanischen Schwestersprachen /haben/ sprachüblich, z.B.ndl. /heeft geweest/, engl, /has been/. 2.1.2.2. VFjjy + PerfPart a c t ^ Typ / i s t gekommen/ = Perfektivierung, zum Formensystem des Verbs gehörig als aktive Vollzugsstufe, ebenso wie Typ /hat getan/, von dem er sich wie in der Gegenwartssprache nur durch die Distribution unterscheidet, s. 2 . 1 . 2 . 1 . - 460 Belege. -

68

Gabriele Schieb

Tabelle 5 Frequenz der einzelnen Typen: Gruppe

Typ

1. VF+/und/+VF

1. /hub an und schlief/

2. VF+PerfPart

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

3. VF+PräsPart

1. 2. 3. 4. 1. 2.

4. VF+Inf

3. 4. 5. 6. 7.

/hat getan/ / i s t gekommen/ /kommt gelaufen/ / i s t oder wird entsprungen/ / i s t getan/ /steht, liegt, bleibt getan/ /geht, kommt gekleidet/ /legt gefangen/ /sieht, findet getan/ /wird getan/ /liegt, hängt tuend/ / i s t tuend/ /geht, folgt tuend/ /wird, ward tuend/ /tut tun/ /wird tun/ 1. Fut. 2. Mod. /soll, will, muß tun/ /würde tun/ /meint, glaubt sein, tun/ /be-dünkt sein/ /will tun/ 1.1.

1.2.

2. 8. /soll tun/ 1.1.

1.2.

2. 9. /känn tun/ 10. /mag, vermag tun/ 1.1. 1.2. 1.3. 2. 11. /darf (dorfte), ge-dar (dorste) (nit) tun/ 12. /muß tun/ 1. 2. 13. /muß nicht tun/ 14. /be-darf nicht tun/ 15. /darf nicht tun/ 16. /ihm ist (gut) tun/ 17. / e s läßt sich tun/ 18. /bleibt liegen/ 19. / i s t tun/ 20. /geht spazieren/ 21. /ward tun/ 22. /beginnt tun/ 23. /geht schlafen/ 24. /hört auf tun/ 25. /gehen wir tun/

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

absolute Belegzahl 4 800 460 14 1 301 22 6 3 5 576 2 2 2 3 4 143 1 24 9 3 5 519 14 3 500 117 5 99 193 20 4 6 14 270 4 10 9 20 1 2 13 6 11 24 4 23 1 2

% der Gruppe 100 36,5 21 0,6 0, 05 13,7 1 0,3 0,1 0,2 26,3 22,2 22,2 22,2 33,3 0,1 5,6 0,04 0,9 0,35 0,1 0,2 20,4 0,5 0,1 19,6 4,6 0,2 3,9 7,6 0,8 0,1 0,2 0, 5 10,6 0,1 0,4 0,35 0,8 0, 04 0,08 0,5 0,2 0,4 0,9 0,1 0,9 0,04 0, 08

% aller 2gliedr. VK 0, 08 15,6 9 0,3 0, 02 5,9 0,4 0,1 0, 06 0,1 11,3 0, 04 0, 04 0,04 0, 06 0,1 2,8 0, 02 0, 5 0,2 0, 06 0,1 10,1 0,3 0,06 9,8 2,3 0,1 1,9 3,8 0,4 0,1 .0,1 0,3 5,3 0,1 0,2 0,2 0,4 0, 02 0, 04 0,3 0,1 0,2 0,5 0,1 0, 5 0,62 0, 04

Beschränkung auf Landschaft oder Gattung'* Vb -

/ i s t gestanden, gesessen, gelegen/ obd. -

wmd. Sonderfall -

Spitzen wmd. nd., R. Chr. wmd. R. -

Spitzen Chr. Fpr. nd. Vb.R. -

besonders obd. Spitze omd. -

nd. ripuar. Spitze omd. wmd. Fl. -

Spitze Fl. Vb. Rezeptstil mediz. Fpr. -

meist stereotypiert /dar (dorste)/ vor allem nd. wmd., wmd. wobd. Formunsicherheit

Spitze Vb.R. bes. wobd., Vb. wmd.wobd., Vb.R. wmd. Fl. Vb.

69

Gabriele Schieb

70 Tabelle 5 (Fortsetzung) Gruppe

5. VF+flektlnf 6. VF+zuInf

Typ 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39.

/laß, laßt uns tun/ /läßt tun/ /tut tun/ /macht tun/ /heißt, heischt tun/ /lehrt tun/ /führt tun/ /bittet tun/ /hilft tuiV /gibt essen/ /hat liegen/ /sieht tun/ /hört sagen/ /findet tun/

1. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.

/soll tunde/ /scheint zu sein/ /ver-meint zu tun/ /traut zu tun/ /hofft zu tun/ /ge-denkt zu tun/ /droht zu tun/ /begehrt zu tun/ /steht zu tun/ /versucht, verzagt nicht zu tun/ /ist willens zu tun/ /ist in willen zu tun/ /ist bereit zu tun/ /hat Lust zu tun/ /ihn verlangt zu tun/ /weiß zu tuV 1.

15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34.

/taugt zu tun/ /ist geschickt zu tun/ /hat frei zu tun/ /hat gut zu tun/ /hat macht zu tun/ /hat zu tun/ /ist schuldig zu tun/ /hat ein Gebot zu tun/ /empfängt Erlaubnis zu tun/ /kriegt zu wissen/ /ihm wird zu wissen/ • /ist zu tun/ /ist Zeit, vonnöten zu tun/ /es ist (ihm) zu tun um/ /liegt zu sehen/ /es steht zu tun/ /es geschieht zu tun/ /es folgt zu redeiy' /geht zu besuchen/ /ist auf dem Wege zu tun/

2.

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen absolute Belegzahl

% der Gruppe

8 296 12 3 46 2 2 2 8 5 17 56 7 7

0,3 11,6 0,5 0,1 1,8 0, 08 0, 08 0,08 0,3 0,2 0,7 2,2 0,3 0,3

1 2 4 2 5 4 1 7 2 2 2 1 5 1 3 9 1 1 5 1 1 2 20 2 1 1 1 1 80 10 5 2 1 1 1 11 1

100 0,6 1,1 0,6 1,5 1,1 0,3 2 0,6 0,6 0,6 0,3 1,5 0,3 0,9 2,6 0,3 0,3 1,5 0,3 0,3 0, 6 5,8 0,6 0,3 0,3 0,3 0,3 23,3 3 1,5 0,6 0,3 0,3 0,3 3,2 0,3

% aller 2gliedr. VK 0,2 5,8 0,3 0,06 0,9 0,04 0,04 0,04 0,2 0,1 0,3 1,1 0,1 0,1 0, 02 0, 04 0,1 0,04 0,1 0,1 0,02 0,1 0,04 0, 04 0,04 0,02 0,1 0, 02 0, 06 0,2 0, 02 0,02 0,1 0,02 0,02 0, 04 0,4 0, 04 0,02 0,02 0,02 0,02 1,6 0,2 0,1 0, 04 0, 02 0, 02 0,02 0,2 0,02

Beschränkung auf Landschaft oder Gattung Fl. Vb. wmd. nd., bes. Vb. oobd.

wmd., R.Vo. -

nd. medizin. Fpr. -

bes. R . Fl. Vb. bes. R . F l . Vb. -

Zufallsbildung -

nd. Vb. nd., md. -

wobd. Vb. -

wobd. -

oobd. Vb. -

Vb. -

wmd. Vb. wmd. Fl. -

wmd. Fl. wmd. Vb. -

-

Vb. omd. Fl. omd. R . nd. nd. Spitze Rezeptstil medizin. Fpr. wobd., nd. -

omd. R. omd. Vb. nd. Fl. omd. Fpr. -

omd. R .

71

72

Gabriele Schieb

Tabelle 5 (Fortsetzung) Gruppe

Typ 35. /fängt an zu tun/ 35a./lernt zu tun/ 36. /untersteht zu tun/ 37. /bereitet sich zu tun/ 38. /hört auf zu tun/ 39. /pflegt zu tun/ 40. /er-heischt zu tun/ 41. /gebietet, verbietet zu tun/ 42. /ordiniert zu tun/ 43. / l e r n t ' l e h r t ' zutun/ 44. /befiehlt, empfiehlt zu tun/ 45. /erlaubt zu tun/ 46. /führt zu tun/ 47. /sendet zu tun/ 48. /bittet zu tun/ 49. /gibt zu tun/ 50. /gibt Anreizung zu tun/ 51. /schwört zu tun/

7. VF+flektzuInf

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

/ meint zu tunde/ / i s t bereit zu tunde/ /weiß zu tunde/ /hat zu tunde/ /ihm wird zu wissend/ / i s t zu tunde/ /beginnt zu tunde/ /bekert sich zu tunde/ /pflegt zu tunde/ /gebietet zu tunde/ /gibt zu tunde/

Besonderheiten im Gebrauch von /sein/ gegenüber /haben/: Die alte Unterscheidung, nach der /stehen/, /sitzen/, /liegen/ als Imperfektiva mit /haben/ und als Mutativa 'ist zum Stehen, Sitzen, Liegen gekommen* mit /sein/ verbunden wurden, ist ins Schwanken geraten. Sie gilt noch in den Fällen der mutativ gefaßten /der Luther ist . . . bestanden/ 'hat standgehalten' I Fl. la, 38, / i s t . . . abgestanden/ I Chr. 3, 329, /waren . . . vffgesessen/ I Vb. 2, 77, ähnlich Vb. 3, 34. Daher auch / i s t . . . das Leben geben/ 'hat das Leben hingegeben, ist gestorben' I Chr. 3, 335 und sogar, allerdings nur nd., "/ys begonnen/ I Fl. 5,16. Das erinnert an das benachbarte Niederländisch, wo noch heute bei/beginnen/, wenn intrasitiv gebraucht, / z i j n / obligatorisch ist. Insbesondere oberdeutsch weitet sich / s e i n / aus auch auf /stehen, sitzen, liegen/ als Imperfektiva. Eine oberdeutsche Besonderheit kündigt sich an, so z.B. / i s t . . . gestandeiV I Chr. 4,12, / w a r e n . . . g e s e s s e n / I Chr. 1,10, / w a r e n d . . . gelegen/ I R. 4,46. Nicht mehr zum Typ V F ^ + P e r f P a r t act, sondern zum Typ V F ^ ^ - Adj gehört /de rechte leer C h r i s t i . . . is inn der daet vnde kraff gelegen/ 'liegt' I Fl. 5,41 mit isoliertem Adj /gelegen/.

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

absolute Belegzahl

% der Gruppe

% aller 2gliedr. VK

73

Beschränkung auf Landschaft oder Gattung

_

61 1 2 11 4 15 2 3 2 1 6 1 1 1 3 16 4 10

17, 5 0,3 0,6 3,2 1,1 4,4 0,6 0, 9 0,6 0,3 1,7 0,3 0,3 0,3 0,9 4,7 0,1 3

1,1 0, 02 0, 04 0,2 0,1 0, 3 0, 04 0, 06 0, 04 0, 02 0,1 0, 02 0, 02 0, 02 0, 06 0,3 0,1 0, 2

wmd. Vb. wobd. Fl.

2 1 1 2 1 2 2 1 2 1 4

10, 5 5,3 5,3 10, 5 5,3 10, 5 10, 5 5,3 10, 5 5,3 21,1

0, 04 0,02 0, 02 0, 04 0,02 0, 04 0, 04 0, 02 0, 04 0, 02 0,1

nd. wmd. (wobd,) nd. (wobd.) nd. nd. nd., wmd. nd. nd. nd. nd. (wobd.)

2.1.2.3.

V F MOV

kommen

-

-

-

-

-

+ P e r f P a r t ACT KV

Bewegungsverb

Typ /kommt gelaufen/ = Progressiv-Terminativ, zum Aktionalfeld gehörig, stärkeren Distributionsbeschränkungen unterworfen als die Variante Typ /kommt laufen/, s. 2.1.4.21. Zur Entstehving aus dem Infinitiv vgl. Hirao, Fügungen; Dal, Indifferenzformen. Im übrigen vgl. Atanassowa, Wesen. - 14 Belege, - /kommt, kam/verbindet sich zu progressiv-terminativen Verbkomplexen mit/geritten/ 6mal, z.B. I Chr. 1,13, mit/gegangen/3mal, z.B. I Vb. 3,19, mit/gelaufen/2mal, z.B. I R. 2,66, mit den übrigen Bewegungsverben je lmal, /kumbt gewandert/ I Fl. la, 25, /qwamen . . . gerant/ I Vb. 2,78, und als einziger obd. Fall /quam ein groß gewicht gantz über das forder Castel geschlagen/ I R. 3,10. Schon Hirao und Dal hielten den Typ für nordwestlichen Import im Hochdeutschen seit dem 12. Jahrhundert. Das Bestätigt die höchste landschaftliche Belegzahl in den ripuarischen Denkmälern

74

Gabriele Schieb

des Westmitteldeutschen. Interessant ist die stärkste Bezeugung in Reisebeschreibung und Volksbuch. Das stimmt dazu, daß der Typ noch heute gerade in der Umgangssprache besonders fest sitzt. 2.1.2.4. V T m • P e r f P a r t a c t K V B e w e g u n g s v e r b Einzelfall /ist oder wirt entsprungen/ I Fpr. 2, 7, ingressiv, also ins Aktionalfeld gehörig. Es vergleicht sich altsächs. und mndl. bezeugtes Präs. oder Prät. von /werden/ mit dem Perfektpartizip eines mutativen Verbs, Stoett, Syntaxis § 265 S. 191, Man könnte auch an /entsprungen/ = /entsprängen/ = /entspringen/ inf. denken. Dann gehörte der Einzelfall zu 2.1.4.20. bzw. 1.2.4.22., s. dort. 2.1.2.5. V F ^ + PerfPart p a s s ^ Typ /ist getan/ = Zustandspassiv, zum Formensystem des Verbs gehörig. - 301 Belege. - Die meisten Fälle sind ohne Agensnennung gebraucht. Hier liegt das Schwergewicht der Verwendung, für diesen Zweck ist die Norm geprägt, andernfalls wird das Aktiv bevorzugt. Agensnennung begegnet nur in 11 Fällen, also in 3,6 %, und dann wird ein belebter Agens mit /von/, 9mal, angeschlossen, z.B. /was von dem Guardian . . . den Pylgeren zuges chicket/ I R . 1, 57, und ein abstrakter Agens mit /durch/i 2mal, z.B. /der selbig . . . ist zu vnwillikeit bewegt vnd erhitzet durch zorn/ I Fl. 2a, 62. - Wir beachten fließende Übergänge vom Verbkomplex zum Satz in den Fällen, wo das Perfektpartizip als Adjektiv genommen werden kann, also Übergang z.B. von E , # (VF m . - PerfPart) zu E, < Adi# VF . Er kündigt sich an in 1 llV. i cop Fällen wie /sie was sere zornig vnd betrupt/ I Vb. 2, 64.89 oder I R. 4, 38, I Vb. 2,47, I Fl. 4b, 96.101. Fälle gleicher Erscheinungsform Typ /ist getan/ in der Funktion des Vorgangspassivs stellen wir unter 2.2.1.1. zum elliptischen Typ /ist getan [worden]/, obwohl der alte Volltyp aus zwei Konstituenten um 1500 durchaus noch doppelte Funktion haben könnte. Aber es begegnet auch schon 45mal der dreigliedrige Volltyp / i s t getan worden/, s. 3.1.1.3. und die eine Ellipse/[ist] getan worden/, s. 2.2.3.1., berechtigt uns gleichfalls zu diesem Vorgehen. 2.1.2.6. V F M q V

Ruheverb +

PerfPart p a s s ^

Typ /steht, liegt, bleibt getan/ = aktionale Variante des Zustandspassiv. - 22 Belege. Frequenz der Typen: An der Spitze stehen die nhd. fast stereotypierten /steht geschrieben/, 5mal, /liegt begragen/ 3mal, /steht gehauen/ 3mal. Die Übrigen Verbindungen sind meist nur je einmal bezeugt. Dabei erscheint /steht/ mit 8 verschiedenen Kernverben verbunden, /liegt/ mit 4, /bleibt/ mit einem, z.B. /stunt gemalet/ I Chr. 5,338, ähnlich I Chr. 2,4, I R . 4,5, I Chr. 5,309, I Chr. 5, 317, I Vb. 5,31, /lag lang gefangen/ I Chr. 4,46, ähnlich I Vb. 2,94, I R . 2, 61, I Fl. 5, 25.

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

75

2.1.2.7. VF., „ „ „ , + PerfPart p a s s ^ , MoV Bewegungsverb * KV Typ /gebt, kommt gekleidet/ = aktionale Variante des Zustandspassiv. Die passiven Perfektpartizipien sind Ornativa. Der Übergang vom Verbkomplex zum Satz ist fließend, da die PerfPart pass auch als Adjektive gefaßt werden können, die sogar zu Adjektivgruppen ausgestaltet sein können. Der Verbkomplex ist also in Auflösvuig begriffen. 6 Belege, z.B. / g a y t . . . gekleydt/IR. 2,35, /quaemen... wael gerust ind gewapent/ I R . 2,35. 2.1. 2.8. VF M q V + PerfPart p a s s ^ Typ /legt gefangen/ = Kausatiwariante des Zustandspassiv. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 3 Belege. Als Modifikationsverben, die den Verbkomplex ins Kausativfeld eingliedern, begegnen/legen/, /machen/, /geben/: I Fl. 3b, 182, I Fl. 5,54, I Vb. 1,8. 2.1.2.9. V F M q V + PerfPart p a s s ^ Typ /sieht, findet getan/ = Wahrnehmungsvariante des Zustandspassiv. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 5 Belege. Als Modifikationsverben begegnen Verben der Wahrnehmung; /sehen/ 3mal, z.B. /men suth . . . dey voetstappen . . . in enen harden steyn get r e d e n / I R , 5,208, /finden/2mal, z.B. /findt man geschrieben/I Fpr. la, 106. 2.1.2.10. V F ^ + PerfPart p a s s ^ Typ /wird getan/ = Vorgangspassiv, zum Formensystem des Verbs gehörig. - 576 Belege. Die meisten Fälle sind wie beim Zustandspassiv, s. 2.1.2. 5., ohne Agensnennung gebraucht. Agensnennung begegnet nur in 70 Fällen, das sind 12,1 %. Ein belebter Agens wird mit/von/, 45mal, oder/durch/, 5mal, ein unbelebter (abstrakter) mit /durch/, 13mal, /von/, 6mal, o d e r / d a r . . . ä f f / , lmal, angeschlossen, z.B. /wardt vns von dem Großmeister . . . verordent/ I R . 1, 90, /wardt durch Maister Steffan Zingiesser . . . gössen/ I Chr. 3, 295, /wirt geübt durch die betrachtunge der natur/ I Fpr. 4, 52, /von dem getreng vnnd atem des menschen wart der klotz . . . her für getribenn/ I Fpr. 4, 58, /dar wirt dijne lunge ind leuer äff gereynighet/ I Fpr. 5,96. 2.1.3. V F ^ / ^ . P r ä s P a r t ^ Anzahl: 9 = 0, 2 % der Volltypen aus 2 verbalen Bestandteilen. 2/1.3.1. V F M o V R u h e y e r b

+

PräsPart^

Typ /liegt, hängt tuend/ = Progressiv, ins Aktionalfeld gehörig. - 2 Belege: /lach . . . denckende vp die narung/ I Vb. 5,40, ähnlich I R . 5, 57. 2.1.3.2. V F ^ + Präs Part g y Typ / i s t tuend/ = Progressiv, ins Aktionalfeld gehörig. Zwei Restfälle: /sin schweiß ist sünckend/ I Fpr. 3,11, /die meisten waren . . . rasent/ I Chr. 1, 9. Das PräsPart

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Gabriele Schieb

kann aber auch schon als Adjektiv gefaßt werden und damit als eigenes Satzelement im Satzmodell Subjektsnominativ-Kopulaverb-prädikatives Adjektiv. Der Verbkomplex dieses Typs ist in Auflösung begriffen. Zur Variante Typ / i s t tun/ s. 2.1.4.20. 2.1. 3.3. V F . . „ „ . + PräsPart__ r MoV Bewegungsverb KV Typ /geht, folgt tuend/ = Progressiv, ins Aktionalfeld gehörig. - Zwei Restfälle, z. B. /dey broders volgeden myt roden kersen dragende/ I R. 5,186. Zur Variante Typ /geht tun/ s. 2.1.4.21. 2.1. 3.4. V F r v + PräsPartjjy. Typ /wird, ward tuend/ = Ingressiv, ins Aktionalfeld gehörig. - 3 Belege: /wert it in dinem liue dowende/ I Fpr. 5,130, /wardt der Schaffkopff also polternt/ I Chr. 1, 7, ähnlich I R. 2, 52. Zur Variante Typ /ward tun/ s. 2.1. 4. 22. 2.1.4. V-^HV/MV/MoV + M j ^ y Anzahl: 2 548 = 49, 8 % der Volltypen aus 2 verbalen Bestandteilen. 2.1.4.1. V F ^ + I n f ^ Typ /tut tun/ 'tut' = Umschreibung des Kernverbbegriffs. - 4 Belege. Zur Entstehung der Verbindung und ihrer Entwicklung bis um 1400 vgl. Weiss, tun:machen. Aber von einer "krankhaft gesteigerten Verwendung" der letzteren "im 14., 15. und 16. Jh. " (S. 180) kann, wenigstens in der Prosa, nach unserm Textkorpus nicht die Rede sein. Im Gegenteil. Eindeutig hierher gehören vielleicht sogar nur /thet sich gegen uns wenden/ I R. 1, 51 und /ich thü doch nemen nüt/ I Vb. 4, 6. In I Chr. 3, 293 /thuet sein Landt von den Raubern seibern, läst . . . zwen Cammerauer . . . enthaubten/ könnte auch faktitives /tut säubern/ als Variation zu /läßt enthaupten/ meinen, s. 2.1.4. 31, und in der besonderen Fügung I Fl. 4a, 72 /thün nit dan flüchen, schelten... / müßten wir noch heute /tun/ verwenden. In der Poesie scheint es anders gewesen zu sein. Paul, GrammatikIV § 349 S. 126 weist auf "massenhafte Belege" z.B. bei Hans Sachs. Die Vorherrschaft im Oberdeutschen bestätigt sich. Die Fügung ist heute noch vor allem in der oberdeutschen Umgangssprache beliebt. Schon um 1500 scheint ein Beschränkungsprozeß eingesetzt zu haben. 2.4.4.2. V F ^ + I n f ^ Typ /wird tun/ = 1. Futur, zum Formensystem des Verbs gehörig als Aktiv, dessen Realisierung noch aussteht. - 143 Belege, z. B. /werden . . . finden/ I Fl. la, 27. Alle Belege zeugen schon für die Integrierung der Form ins Verbalsystem als Futur in Tempusopposition zu Präsens und Präteritum. Die sprachlandschaftlich mitteldeutsche, insbesondere

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

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ostmitteldeutsche Spitze bestätigt die bisherigen Beobachtungen, daß die Fügung im Mitteldeutschen eher als im Oberdeutschen aus dem Aktionalfeld, in das sie als Ingres sivum gehört, ausgeschieden ist. Aufschlußreich ist die höchste Belegzahl in den vorwärtsweisenden Flugschriften. Ingressive Beispiele enthält unser Textkorpus nicht mehr. Zum ingressiven Typ /ward tun/ dagegen s . 2.1.4. 21, zu Resten des Typs /wird, ward tuend/ 2 . 1 . 3 . 4 . Zu den zurückweichenden Futurvarianten/soll, will, muß tun/ s. 2.1.4. 3. = 2. Modalität, ins Modalfeld gehörig als nicht erwiesene Realität, als Vermutung. Erst 1 Beleg dieser jung auftauchenden Möglichkeit: /wirt w o l . . . verston/ I Fl. 4a, 72. 2.1.4.3. V F ^ + I n f ^ T y p / s o l l , will, muß tun/ = Futur, u.U. mit modalem Beisinn. Die alte germanische Möglichkeit, die Verbindung von Modalverb und Infinitiv zur Bezeichnung von Zukünftigem zu verwenden, die im engl, /shall, will do/ und im ndl. / z a l doen/ in die Norm dieser nationalen Literatursprachen eingegangen ist, weicht im Deutschen vor der neuen Möglichkeit Typ /wird tun/, s. 2.1.4. 2., zurück. Daher in unserm Textkorpus die landschaftliche Beschränkung letzter Reste fast ganz auf das Ripuarische und vor allem Niederdeutsche. -Insgesamt, bei strengen Maßstäben, 24 Belege, z.B. /du salst den todt steruenn/ I Fl. 5, 29. 2 . 1 . 4 . 4 . V F ^ p r ä t Konj + ^ K V Typ /würde tun/ = Konjunktivumschreibung, zum Formensystem des Verbs gehörig als (hypoth.) Konj. Tritt in das Verbalsystem ein erst mit Festigung des Füturs Typ /wird tun/. - 9 Belege, z.B. / w u r d e n . . . ermorden/ I Fl. la, 26. 2.1.4.5. V F ^ + I n f ^ Typ /meint, glaubt sein, tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad nicht erwiesener Realität. Mit Haupt-und Nebenkernverb. - 3 Belege, z.B. /glaub das on schaden i r e r zucht . . . nit zugeen/ I Fl. 2a, 53. Sie enthalten jeweils Haupt- und Nebenkernverb mit verschiedenen logischen Subjekten, Acl-Konstruktion. Unter lat. Einfluß vorübergehend zur Sprachpraxis der Humanisten gehörig. 2.1.4.6. V F M q V + ( I n f c o p - A d j ) Typ /be-dünkt sein/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad nicht erwiesener Realität. Mit Haupt- und Nebenkernverb. 5 Belege, z.B. /dunckt dich das so lüstigk s e i n ? / I Fl. 2b, 152. Zur Variante Typ/scheint zu s e i n / s . 2 . 1 . 6 . 1 . 2.1.4.7. V F ^ + I n f ^ Typ /will tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als

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Gabriele Schieb

1. Grad noch ausstehender Realisierung 1.1. 'will tun', 519 mal, z.B. / w i l . . . vechten/ I Vb. 2, 75, 1.2. imperativisch gewünschte Verwirklichung 'soll tun', 14mal, Hierbei kann das Verbum finitum in der 2. Sg. Opt. stehen, /wSlst . . . er losen/I Fl. 4b, 111, in der 2. PL Opt., / w o l l e t . . . sprechen/I Chr. 1,30, in der 3. Sg. Opt., / g o t w o l l . . . behüetten/ I Chr. 3, 348, in der 2. Sg. Ind., / w i l t . . . bedencken/ I Fl. 5,18, redensartlich /wilt mich lieb haben mit der katzen/ I Fl. 4a, 89, vgl. nhd. /kannst mich gern haben/ 'bleib mir gestohlen', in der 3. Sg. Ind., /will er sich der leere auch annemen/ I Vb. 4,45. Dieses Schwanken scheint u.a. mit der verwickelten Formgeschichte des Sing. Präs. von/wollen/zusammenzuhängen, vgl. Schieb'ich will', S. 131 ff. 2. Grad nicht erwiesener Realität 'behauptet zu tun', 3mal, /wolt doch »inschuldig sein/ I Chr. 4, 57, ähnlich I Fl. 4b, 115. Diese mögliche Funktion des Verbkomplexes ist auch heute noch relativ selten. 2.1.4.8. V F ^ + I n f ^ Typ /soll tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als 1. Grad noch ausstehender Realisierung 1.1. 'soll tun', 500mal, z.B. / s o t t e n . . . abtretten/ I Chr. 1,5. 1.2. Umschreibung des Imperativ, 117mal, besonders häufig in der direkten Rede der Flugschriften und Volksbücher wie im Rezeptstil der medizinischen Fachprosa. Das Verbum finitum steht in der 2. Sing. od. PI., z.B. / i r sott kommen/ I Chr. 1,14, /soltu dar vff legen/ I Fpr. 4,62. 2. Grad nicht erwiesener Realität 'man sagt, d a ß . . . tut', 5mal, z.B. /sond gutt sin für das kalt we/ I R . 4, 24. 2.1.4.9. V F j ^ + I n f ^ Typ /kann tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung, als Voraussetzung für die Realisierung 'kann tun, ist fähig zu tun, hat die Möglichkeit zu tun'. - 99 Belege, z.B. / k a n . . . absoluirn/I Fl. la, 41. - Zur Variante Typ /mag, vermag tun/ 'kann tun' s. 2.1.4.10. 2.1.4.10. V F m + I n f ^ Typ /mag, vermag tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als 1. Grad noch ausstehender Realisierung 1.1. Voraussetzung für die Realisierung 'kann tun, ist fähig zu tun, hat die Möglichkeit zutun', 193 Belege, /mag/ 192mal, /vermag/ lmal, z.B. /sie mSgen keyn ruhe haben/

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

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I FL la, 42, /vermaich . . . brengen/ I R . 2,66. Typ /mag tun/ ist dem aufsteigenden Konkurrenten/kann tun/, s. 2.1.4.9., insgesamt noch überlegen, nur im Niederdeutschen überwiegt /kann tun/ (32 gegenüber 18 /mag tun/). Zu den Verschiebungen im Modalfeld vgL Bech, Grundzüge. 1.2. als dringender Wunsch, Umschreibung des Imperativ 'soll tun', 20 Belege, vor allem in stereotypierten Wendungen wie z. B. /das mogent ir mir wol gleuben/ I Vb. 2, 69, / e s möcht got erbarmen/ I Fl. 3c, 132, und im Rezeptstil der medizinischen Fachprosa, z.B. /magst zucker dar vnder tun/ I Fpr. 3,22. 1.3. dringender Wunsch 'will, möchte tun' 1. Pers. hat mit 4 Belegen noch einen recht schwachen Stand, z.B. /ich mag nit geleiden sein droung/ I Vb. 1,13. Der Bel e g / e r kan vnnd mag ir bSß regiment lenger nit gedulden/ I Fl. 4b, 107 zeigt schon die neue Opposition, die sich bei /kan, mag/ aus der alten gleichbedeutenden Doppelform entwickelt. 2. Grad nicht erwiesener Realität'mag, wird tun', Vermutung, 6 Belege, z.B. /mag wol sin eyn kalter Christ/ I Fl. 4a, 70. 2.1.4.11. V F j ^ + I n f ^ Typ /darf (dorfte), ge-dar (dorste) (nit) tun/ 'kann tun, wagt, getraut sich zu tun' = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung, als Möglichkeit einer Handlung, die allein von den Bedingungen des Subjekts abhängig ist. 14 Belege, die wenigen /darf (dorfte)/ I Fl. 2a, 66, I Fl. 2b, 160, I Chr. 4, 39 scheinen aus /dar (dorste)/ umgedeutet, die sich, immer negiert gebraucht, vor allem nd. -wmd. in der alten Form halten. Wir beachten, daß der Verbkomplex omd. überhaupt nicht mehr vorhanden ist und wmd. -wod. Formunsicherheit zeigt. Er ist dabei, aus dem Sprachgebrauch auszuscheiden. Belege: z.B. / g e t o r s t . . . nicht antwurten/I Vb. 3,22, /wie darffestu vns sollichen gewalt thuon?/ I Fl. 2b, 160. 2.1.4.12. V F ^ . I n f ^ Typ /muß tun/ (unverneint) = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierimg 1. Notwendigkeit'muß tun', 270 Belege, z.B. / m u s t e n d . . . warten/I R. 4,29. 2. dringender Wunsch'möge, soll tun', 4 Belege, z.B. /müst dich all teufel holen/ I Fl. 3c, 130. 2.1.4.13 VF^jy nfi g + M g y Typ /muß nicht tun/ (verneint) 'darf nicht tun' = Modalität, Ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. Der Verbkomplex ist, vielleicht zufällig, nur

Gabriele Schieb

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nd. -md. belegt. Dafür ist die Variante Typ /darf nicht tun/ (verneint) 'darf nicht tun', s . 2 . 1 . 4 . 1 4 . , im Vordringen. - 10 Belege, z . B . /must n i t . . » zweifeln/ I Fl. la f 31,

Typ /darf, bedarf nicht tun/ 'braucht nicht zu tun' = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung, als verneinte Notwendigkeit, Gegensatz zu Typ/muß tun/, s. 2 . 1 . 4 . 1 2 . Die drei/bedarff/I Fpr. 2 , 1 4 . , 34, I V b . , 3, 7 zeigen, daß /darf/ schon als mehrdeutig empfunden wurde. - 9 Belege, z . B . /des schätz dorffen wir vns nit Schemen/ I Fl. lc, 209. 2.1.4.15 V F j ^

ne

g + Mjjy

Typ /darf nicht tun/ 'darf nicht tun' = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung, als negierte Forderung/Erlaubnis. Dieser Typ ist im Vordringen gegenüber der Variante Typ /muß nicht tun/ 'darf nicht tun', s. 2 . 1 . 4 . 1 3 . 20 Belege, z . B . /darffst dich nit . . . auff deyne werck lassen/ I Fl. lc, 204. 2 . 1 . 4 . 1 6 . V F c o p + Adj + Eg + I n f ^ Typ /ihm ist (gut) tun/ 'er kann (gut) tun' = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. - 1 Beleg: /den gelerten aber . . . ist gut predigen/ 1 Fpr. la, 105. 2.1.4.17. V F , , ,r „ .. . + I n f _ r * MoV refl unpersonl KV Typ /es läßt sich tun/ 'es kann getan werden', 'man kann tun' = modaler Passiversatz. 2 Belege, z . B . /das vngericht lest sich . . . zu zyten balder reden dan das gerecht/ I V b . 2,60. 2 . 1 . 4 . 1 8 . V F . , , r +Inf„_ r T , . . MoV KV Ruheverb Typ /bleibt liegen/ = Durativ, ins Aktionalfeld gehörig als Bezeichnung der Nichtveränderung. Eine Konkurrenzform mit dem PräsPart ist nicht mehr nachzuweisen, /bleibt/ verbindet sich 7mal mit /liegen/, 4mal mit /sitzen/, lmal mit /hangen/ und lmal mit /anstehen/. - 13 Belege, z . B . /blibt hangen/ I Fpr. 4, 39. 2.1.4.19. V F ^ + I n f ^ Typ /ist tun/ = Progressiv, ins Aktionalfeld gehörig. - Der Typ ist überall selten und in der Auflösung begriffen, ebenso wie die Variante T y p / i s t tuend/, s. 2 . 1 . 3 . 2 . 6 Belege, z.B. /sint . . . sitzen/ I Vb. 2, 56. 2 . 1 . 4 . 20. V F M o y Bewegunggvej-k +

Inf

KV Bewegungsverb

Typ /geht spazieren/ = Progressiv, ins Aktionalfeld gehörig als Bewegung in der Zeit. Als Modifikationsverb erscheint 8mal/kommen/, je lmal/gehen/, /laufen/, /fahren/.

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

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11 Belege, am häufigsten in Volksbuch und Reisebeschreibung, z.B. /quam lauffen/ I Vb. 2, 66, /füren . . . spatzyren/ I R. 3, 4. Hat in der angegebenen Distributionsbeschränkung einen festeren Stand im Sprachgebrauch als der konkurrente, im Prinzip unbeschränkte Typ / i s t tun/, s. 2.1.4.19. 2.1.4.21.

V F ^ ^ . I n f ^

Typ /ward tun/ = Ingressiv, ins Aktionalfeld gehörig. Während der präsentische Typ /wird tun/, s. 2 . 1 . 4 . 2 . , schon ganz aus dem Aktionalfeld ausgeschieden und nur noch als Futur nachzuweisen ist, hat /ward tun/ noch einen festeren Stand, aber vor allem im rückständigen Wobd. und in den sprachlich konservativen Volksbüchern. Im übrigen weicht es zurück. - 24 Belege, z.B. /wart es vast schneien/ 'begann es stark zu schneien' I Vb. 1, 23, /dem Fugger ward grausen/ I R. 4, 26. Zu den Varianten Typ /beginnt tun/ s. 2.1.4. 22., Typ /fängt an zu tun/ s. 2.1.6. 35. 2.1.4.22.

F V ^ . I n f ^

Typ /beginnt tun/ = Ingressiv, ins Aktionalfeld gehörig. Wir beachten die Beschränkung landschaftlich auf den Westen und auf die Gattungen Volksbuch und Reisebeschreibung. Er scheidet gegenüber der Variante Typ/beginnt zu tun/, s. 2.1.6.35., aus. 4 Belege, 3mal mit/anfangen/, 1 mal mit/beginnen/, z.B. /fieng es erst ain sumer werden/ I R. 4, 37. 2.1.4.23. V F M q V

BewegungSverb

+ I n f K v Ruheverb/Handlungsverb

Typ /geht schlafen/ = Ingressiv, ins Aktionalfeld gehörig als Aufbruch zu einer Tätigkeit. Als Modifikationsverb begegnen 19mal/gehen/, je einmal/ziehen/, /eilen/, /aufstehen/. Wir beachten die Spitze im Niederdeutschen und in den Volksbüchern. 23 Belege, z.B. /gingk . . . int gerichte Sitten/I Chr. 5,309, / t z o u c h . . . lygen/ I R. 2, 43, /stehet auff satteln/ I Fl. lb, 440. 2.1.4.24.

V F ^ . I n f ^

Typ /hört auf tun/ = Terminativ, ins Aktionalfeld gehörig als Abschluß einer Tätigkeit. • Der einzige Beleg I Fl. 2b, 162 ist zugleich imperativisch: / h ö r vff . . . dich zuo den heyligen altaren nehen/. Beachte nhd. /dich . . . zu nahen/! Der Typ ist gegenüber der Variante / hört auf zu tun/, s. 2.1.6.38., im Schwinden. 2.1.4.25. V F M o V I m p #

1

pl

+ In

*KV

Typ /gehen wir tun/ = Adhortativ-Ingressiv, ins Aktionalfeld gehörig als Aufforderung zum Beginn gemeinsamer Tat. - 2 Volksbuchbelege, z. B. /gee wir schlaffen/ I Vb. 1,7.

82

Gabriele Schieb 2.1.4.26. V F M o V I m p 2 < S g < / p L

.E^lni^

Typ /laß, laßt uns tun/ = Adhortativ, ins Modalfeld gehörig als Aufforderung zu gemeinsamer Tat. - 8 Belege, je zur Hälfte mit der 2. Sing. bzw. der 2. PI., nur in Flugschrift und Volksbuch, z.B. / l a ß v n s . . . sytzen vnd e s s e n ! / I Fl. la, 40, /lassent vns fast e s s e n ! / I Vb. 2,51. Im übrigen vgl. zu Entstehung, weiterer Geschichte und V e r breitung des Typs Erben, /Laßt uns feiern/. 2.1.4.27. V F ^ . I n f ^ Typ /läßt tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als Zulassen oder Veranlassen je nach Charakter des Hauptkernverbs. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 296 Belege. Am häufigsten ist der Typ mit transitivem Hauptkermrerb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt (134mal), z.B. /lissen wir die rathsglocke läuten/ I Chr. 1,27. Fast ebenso häufig ist der Typ mit intransitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt (119mal), z.B. /diese hirtten . . . lassen die armen schefflein s t e hen/ I Fl. la, 27. Erheblich seltener ist der Typ mit transitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt (31mal), er fordert doppelten Akkusativ, z.B. /lies er ain andren schlosser 4 besunder schlüssel dar zu machen/ I Chr. 4,6, /liessend uns ier geschütz sechen/ I R. 4, 36, /das lasß ich jn verantworten/ I Fl. 2a, 46. Noch seltener ist der Typ mit intransitivem Hauptkernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt (8mal), z.B. /ließen lauffen/ I Vb. 2, 88. Schließlich gibt es noch v e r einzelt (3mal) den Typ mit intransitivem Hauptkernverb, bei dem Subjekt von Haupt und Nebenkernverb dasselbe sind, z.B. /nit last vch verwondern der werck gots/I Vb. 2, 75, ähnlich I Chr. 1, 5. Zur Variante Typ /tut tun/ s . 2.1.4.28,, /macht tun/ s. 2.1.4.29. 2.1.4.28. V F ^ + I n f j ^ Typ /tut tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als Veranlassen. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 12 Belege. Die Beschränkung auf wmd. -nd. Denkmäler wie vor allem das sprachlich konservative Volksbuch stimmt zu den Ausführungen bei Weiss, tunrmachen, S. 160 ff. Das übrige deutsche Sprachgebiet kennt den zugunsten von Typ /läßt tun/, s. 2.1.4.27., schwindenden Typ schon nicht mehr. Am häufigsten ist der Typ mit transitivem Hauptkernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt (8mal), z.B. / d e t . . . das zurichten/ I Vb. 2, 51. Alle anderen sind selten, so der Typ mit intransitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt (2mal), z.B. /det sie alleyn in ein kamer gan/ I Vb. 2, 50, der Typ mit transitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt, aber nicht in der Form eines Akk., s . bei 2.1. 4.27., sondern in der Form einer Präpositionalergänzung mit /von/ wie beim Passiv (lmal), /Pontus det sich darinn füren von etlichen heyden/ I Vb. 2, 94, der Typ

Der Verbkomplex avis verbalen Bestandteilen

83

mit intransitivem Haupucernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt (lmal), / e r dett . . . vfftrompen zu stryt/ I Vb. 2, 87. Zur Variante Typ /läßt tun/ s. 2.1.4. 27., Typ /macht tun/ s. 2.1.4.29. 2.1.4.29. V F ^ + I n f ^ Typ /macht tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als Veranlassen. - 3 oobd. Belege, z.B. / e s . . . machet schlaffen vnd harnen vnd schwiczeq/ I Fpr. 3, 32, ähnlich 33, I Vb. 3,11. Der Verbkomplex scheint zwar nie häufig gewesen zu sein, war aber nach Weiß, tunrmachen S. 202 ff. um und nach 1400 landschaftlich nicht beschränkt. "Volkstümlich" war er jedoch nicht. - Zur Variante Typ /läßt t u V s. 2.1.4.27., Typ /tut tun/ s. 2.1.4.28. 2.1.4.30. V F ^ + I n f ^ Typ /heißt, heischt tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als Veranlassen oder Zulassen je nach dem Charakter des Hauptkernverbs. Mit Haupt- und Nebenkernverb. /heischt/, offenbar aus /heißt/ umgedeutet und in gleicher Funktion wie dieses, nur I R. 2, 32 und I Chr. 2,22. Die heutige Einschränkung des Verbkomplexes auf literarische Sprache scheint um 1500 noch nicht zu gelten. - 46 Belege. Am häufigsten ist der Typ mit intransitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt (27mal), z.B. /hies sie nider sitzen/ I Chr. 1,17, Ihm folgt der Typ mit transitivem Hauptkernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt (llmal), z.B. /hyeß ynn hencken/ I Vb. 1, 24, wie der Typ mit transitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt, also mit doppeltem Akkusativ (7mal), z.B. /heissenvns in gelt vnd gut zS huß bringen/ Fl. 4b, 95. 2.1.4.31.

V F ^ . I n f ^

Typ /lehrt tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als spezielle kausative Beziehung. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 2 Belege, z.B. / l e r e t dich erkennen die vnderscheid/ I Fpr. 4, 22. Beide Belege zeigen als Hauptkernverb ein transitives Verb mit Nennung von dessen logischem Subjekt, haben also doppelten Akkusativ. 2.1.4.32. V F ^ + I n f ^ Typ /führt tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als spezielle kausative Beziehung. Mit Haupt-und Nebenkernverb. - 2 Belege, z.B. /voertten yene do s i t t z e n / I R. 2,34. Das Hauptkernverb ist jeweils intransitiv mit Nennung seines logischen Subjekts. 2.1.4.33. V F ^ + I n f ^ Typ /bittet tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als spezielle kausative Beziehung der Einwirkung. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 2 wmd. Belege aus Reisebeschrei-

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Gabriele Schieb

bung und Volksbuch, z. B. /ich bitte . . . mich armen sunder . . . nit vergessen/ I Vb. 2, 80. Sie zeigen intransitives Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt. Der Typ schwindet zugunsten von Typ /bittet zu tun/, s. 2.1. 6.48. 2.1.4.34. V F ^ + I n f ^ Typ /hilft tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als spezielle kausative Beziehung. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 8 Belege. In den meisten Fällen (7mal) ist /helfen/ absolut gebraucht und das intransitive Hauptkernverb steht ohne logisches Subjekt, so z.B. /halff rouben, stelen vnd nemen/ I Vb. 4,14, nur lmal /helfen/ mit dem Dativ und das transitive Hauptkernverb mit logischem Subjekt, so /hulpen ome den strit wynnen/ I Chr. 5, 319. 2.1.4.35.

V T ^ M p

Typ /gibt essen/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als spezielle kausative Beziehung des Einflusses. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 5 Belege aus nd. medizinischer Fachprosa: z.B. /gyff er dit eten/ I Fpr. 5,106. Der Typ schwindet zugunsten von Typ /gibt zu essen/, s. 2.1.6.49. 2.1.4. 36. V F M q V + M j r y R U heverb/imperf Bewegungsverb Typ /hat liegen/ = Erweiterung des Subjektbereichs. Mit Haupt- und Nebenkernverb. Als Hauptkernverb begegnen /liegen/ (6mal), /hängen/ (3mal), /stehen/ (2mal), /sitzen/ (lmal), /laufen/ (2mal), /gehen/ (lmal), /reiten/ (lmal), /vmb gayn/ (lmal). 17 Belege. Die Hauptkernverben sind immer intransitiv mit Nennung ihres logischen Subjekts, z.B. /hatten sie die wilkir auff dem tische ligen/ I Chr. 1,16, /die metzger hetten bei 50 ochsen auff der waid , . . gan/ I Chr. 4, 37. 2.1.4.37. V F j ^ + I n f ^ Typ /sieht tun/ = Erweiterung des Subjektbereichs, ins Wahrnehmungsfeld gehörig. Mit Haupt-und Nebenkernverb. - 56 Belege, konzentriert auf Reisebeschreibung, Flugschrift und Volksbuch. Am häufigsten ist der Typ mit intransitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt (33mal), z.B. /sieht den wolff kommen/ I Fl. 4b, 104. An zweiter Stelle steht der Typ mit transitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt (16mal), also mit doppeltem Akkusativ, z.B. /ich sach sy ain danz da hain/ I R. 4,14. Auch nicht gerade selten ist der Typ mit transitivem Hauptkernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt (7mal), z.B. /saegen wir die passie speien/ I R. 2, 33. 2.1.4.38. V F ^ + I n f ^ Typ /hört sagen/ = Erweiterung des Subjektbereichs, ins Wahrnehmungsfeld gehörig. Mit Haupt- und Nebenkernverb. Das Hauptkernverb ist immer ein Verb aus dem Sinn-

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

85

bezirk des Mitteilens. - 7 Belege, konzentriert auf Reisebeschreibung, Flugschrift und Volksbuch. Je nach Verwendung im Satzzusammenhang sind 3 Typen zu unterscheiden, mit intransitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt (3mal), z. B. /hör yetzo jr vil . . . dar von reden/ I Fl. 2b, 155, mit intransitivem Hauptkernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt (2mal), z.B. /horde preken/ I R. 5, 64, mit transitivem Hauptkernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt, /hör vil guts von Luther sagen/ I Fl. 4a, 71, mit transitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt, / s y horten in . . . sein volk an schreyenn/ I Vb. 3, 34. 2.1.4.39. V F ^ + I n f ^ Typ /findet tun/ = Erweiterung des Subjektbereichs, ins Wahrnehmungsfeld gehörig. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 7 Belege, nur mit intransitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt, z.B. /bey keinem volck findest du . . . yeder man in Sicherheit leben/ I Fl. 2a, 52. 2.1.5. V F ^ + f l e k t l n f ^ Anzahl: 1 = 0, 04 % der Volltypen aus 2 verbalen Bestandteilen. Nur wmd. Chronik. 2.1.5.1. V F ^ + f l e k t l n f ^ Typ / s o l l tunde/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. - Der einzige Beleg /sullent . . . zu kisende und zu setzende/ I Chr. 2,15 'sollen hinzuwählen' scheint den flekt Inf nur unter dem Einfluß resthafter Verbkomplexe mit flekt zulnfj^y. gesetzt zu haben, s. 2.1. 7. Zufallsbildung außerhalb der Norm. 2

- 1 ' 6 ' VFMoV+ZUlnfKV Anzahl: 343 = 6, 7 % der Volltypen aus 2 verbalen Bestandteilen. 2.1.6.1. V F M q V

+

zulnf^

Typ /scheint zu sein/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad nicht erwiesener Realität, als Vermutung. - 2 wmd. Volksbuchbelege, z.B. /schein wol ein Schälk zu wesen/ I Vb. 2, 72. - Zur Variante Typ /be-dünkt mich sein/ s. 2.1.4.6. 2.1.6.2. V F M q V + z u l n f ^ Typ /meint, vermeint zu tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. - 4 Belege aus Flugschrift und Volksbuch, z.B. /vormeinen . . . zu erschmorotzen/ I Fl. 4a, 72. Der Typ /meint tun/ 2.1.4. 5. ist keine echte Variante, s. dort. - Zur Variante Typ /meint zu tunde/ s. 2.1. 7.1.

Gabriele Schieb

86

2.1.6.3. V F M q V + z u l n f ^ Typ /traut zu tun/ 'glaubt, traut sich zu zu tun' = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. - 2 nd. Volksbuchbelege, z.B. /trude he sich . . . niet me zo erneren/ I Vb. 5, 35. 2.1.6.4. V F ^ + z u I n f ^ Typ /hofft zu tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. - 5 Belege, md.-nd., z.B. / h o f f e t . . . zuo l ö s e n / I Fl. 2b, 159. Der Typ ist oberdeutsch noch nicht zu erwarten, da /hoffen/ erst allmählich auch im Süden übernommen wird. 2.1.6.5. V F ^ + z u I n f ^ Typ /ge-denkt zu tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. - 4 Belege, z.B. /dacht sin leyt zu r e c h e n / I Vb. 2,87. 2.1.6.6. V F M q V + z u l n f ^ Typ /droht zu tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. - 1 Beleg: /treuwet im darumb zeschlagen/ I Vb. 4, 7. 2.1.6.7. V F ^ + z u I n f ^ Typ /begehrt zu tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. - 7 Belege, z. B. /begere . . . zu hören/ I Fl. 2a, 57. 2.1.6.8.

+ zulnfgy

Typ /steht zu tun/ 'ist bereit zu tun, will tun' = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. - 2 wobd. Belege: /stat iederman zu bissen/ I Fpr. 4, 67. Die Restfälle liegen an der Grenze zur Finalität 'steht um zu tun', die den Verbkomplex auflöst. 2.1.6.9. V F ^ + z u I n f ^ Typ /versucht, verzagt nicht zu tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. - Je 1 Beleg: /versucht . . . zu richten/ I Chr. 3, 296, /vortzage n i c h t . . . tho treden/ I Fl. 5,43. 2.1.6.10.

(VF^-E^E^+zuInf^

Typ / i s t willens, ist in - willen zu tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierving. - 3 Belege: /ich willens was jn zuo hören/ I Fl. 2b, 166, ähnlich I Chr. 4,15, /ich pin in willen . . . von hinnen zuo reitten/ I Vb. 3, 50.

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

67

2.1. 6.11. (VF c o p - Adj) + z u l n f ^ Typ /ist bereit, geneigt, müde zu tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. - 5 Belege, z.B. /ich bin b e r e i t . . . zu kommen/ I Fl. 4b, 105. 2.1.6.12. ( V F M q V - E 2 ) + z u l n f ^ Typ /hat Lust zu tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. - 1 Beleg: /het nit güten l u s t . . . zü fechten/ I Vb. 4, 33. 2.1. 6.13. ( V F M q V - E 2 / E 3 ) + zulnf Typ /ihn verlangt zu tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. - 3 Volksbuchbelege, h. B. /vns verlanget... züsehen euwer arbeit/ I Vb. 4,40. 2.1.6.14. F V M q V + z u l n f ^ Typ /weiß zu tuiy' = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung, als 1. Voraussetzung für. die Realisierung 'kann tun, ist fähig/hat die Möglichkeit zu tun' mit 9 Belegen, z.B. /wissen sich aber der überwindtnuß nit zu brauchen/ I Fl. 2a, 47. 2. Umschreibung des Imperativ mit 1 Beleg, /darnach wissent vch zu richten/ I Vb. 2, 71. 2.1.6.15. V F M o V + z u l n f ^ Typ /taugt zu tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung, als Voraussetzung für die Realisierung. - 1 Beleg: /tawen sye gar nit z8 regieren/ I Fl. 2a, 55. 2.1.6.16. (VF c o p - Adj) + zulnf^ Typ /ist geschickt zu tun/ 'kann gut tun' = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung, als Voraussetzung für die Realisierung. - 5 Belege mit verschiedenen Adjektiven, /geschickt/ 3mal, /bering/ lmal, /milt/ lmal, z.B. /Luther . . . geschickter ist . . . zu reden dann der Murner/ I Fl. 4a, 85. 2.1. 6.17. V F M q V + Adj + z u l n f ^ Typ /hat frei zu tun/ 'kann tun' = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung, als Voraussetzung für die Realisierung. - 1 Beleg: /habt doch frey einen iden bisch off zuo wölen/ I Fl. 2b, 163.

88

Gabriele Schieb 2.1.6.18. V F M q V + Adj + z u l n f ^

Typ /hat gut zu tun/ 'kann gut tun', = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung, als Voraussetzung für die Realisierung. - 1 Beleg: /hatten is auch gut zu thun/ I Vb. 2, 48. 2.1.6.19.

(VF^-E^zulnf^

Typ /hat macht zu tun/ 'kann tun' = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung, als Voraussetzung für die Realisierung. - 2 Belege, z. B. /vns zu doten habent ir wol macht/ I Vb. 2, 50. 2.1.6.20. V F M q V + z u l n f ^ Typ /hat zu tun/ 'hat zu tun, muß tun, kann tun, ist berechtigt, erlaubt sich, wagt zu tun' = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung mit verschiedenen semantischen Varianten je nach Kontext. - 20 Belege, z.B. / h e t . . . etwz zethün/ I Vb. 4, 24, ähnlich I R. 4, 49, I Chr. 1, 32, I R. 1, 83, I Chr. 4, 38, I Vb. 4,16. 2.1. 6. 21. (VF c o p - Adj) + zulnfj^y Typ / i s t schuldig zu tun/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch avisstehender Realisierung, als Notwendigkeit. - 2 Volksbuchbelege, z.B. /bin ich vch schuldich zu reden das best/ I Vb. 2, 52. 2.1.6.22. ( V F M o V - E 2 ) + z u l n f ^ Typ /hat ein Gebot zu tun/ 'muß tun' = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung, als Notwendigkeit. - 1 Beleg: /haben . . . ein gepott, den Saboth zu feyren/ I Fl. lb, 438. Der Typ gehört nur hierher, sofern man den zulnf nicht als Attribut zu /gebot/ faßt. \ 2.1. 6. 23. ( V F M q V - E 2 ) + z u l n f ^ Typ /empfängt Erlaubnis zu tun/ 'darf tun' = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung, als Erlaubnis. - 1 Beleg: /empfingen . . . E r leubnis gen Hierusalem zu zihenn/ I R. 1. 2.1. 6. 24. V F M o V + zulnf Typ /kriegt zu wissen/ 'erfährt' = Passiwariante. - 1 Beleg: /kregen . . . to wetten/ I Chr. 5, 338, wegen /kriegen/ landschaftlich auf das Niederdeutsche beschränkt. 2.1.6. 25. V F M q V + z u l n f ^ + Eg Typ /ihm wird zu wissen/ ' er erfährt' = Passiwariante. - 1 Beleg: /dat wart to wetten deme Rade/ I Chr. 5, 337.

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen 2.1.6.26.

89

VF^+zutof^

Typ /ist zu tun/ 'muß, soll, kann getan werden' = modaler Passiversatz mit semantischen Varianten je nach Kontext. Tendenz zum Eintritt in das Formensystem des Verbs. Spitze in der Fachprosa, und zwar im Rezeptstil der medizinischen Fachprosa. Zum Typ, der schon seit ahd. Zeit bezeugt ist, vgl. Behaghel, Syntax 2 § 728, S. 338 2

ff., Brinkmann, Sprache , S. 363 ff., Brinker, Funktion, S. 23-24. Während Moskalskaja den Typ zu den "halbfesten idiomatischen biverbalen Wortfügungen mit grammatischer Bedeutung" stellt, sprechen Sinder-Strojewa von "Modi im Werden", führt Brinkmann den Typ schon als "Bestandteil des verbalen Formensystems". 80 Belege, z . B . /undanckberkeit... ist für andere laster zeschelten/ I Fpr. 3,1, /das ist auch wol war zumachen/ I Fl. lb, 436. Wir stellen hierher auch den einen B e leg mit irrtümlich /wart/ statt /was, war/, /wart der s t r e i t . . . zusehn/ I Vb. 3,35. Vgl. einen ähnlichen Fall bei 3 . 1 . 1 . 5 . 2.1. 6. 27. ( V F c o p - Ej/Adj/ E p r ä p )

+

zulnf^

Typ / i s t Zeit, Not, vonnöten zu tun/ 'muß getan werden' = modaler Passiversatz. Der Typ könnte bei der Entstehung der beliebteren, weil semantisch weniger festgelegten Variante Typ / i s t zu tun/, deren Ursprung umstritten ist, s. 2 . 1 . 6 . 2 6 , eine Rolle gespielt haben. - 10 Belege, z . B . / i s t zit zu gon/ I Fpr. 4, 51. 2 . 1 . 6 . 28. V F . , ... „ .. , + zulnf„_. (+ E„) + E .. , , MoV unpersonl KV 3 prap/um/ Idiomatisiert mit Beschränkung des MoV auf /sein/ und des z u l n f ^ auf /tun/. - Typ mit Egi /es ist ihm zu tun um/ 'ihm ist gelegen an, ihm geht es um', 3 Belege, z . B . / e s ist jm vmb golt zu thun/ I Fl. 2a, 51; - Typ ohne E^: / e s ist zu tun um/ 'es handelt sich um', 2 Belege, z . B . / e s ist vmb eine kleine gewonheit zuthun/ I Fpr. la, 96. Der Typ ohne Dativ veraltet später, vgl. Paul, Wörterbuch S. 634. 2.1.6.29.

VF^+zuInf^

Typ /liegt zu sehen/ 'kann gesehen werden' = modaler Passiversatz, kontextgebunden. 2 omd. Belege: I R. 1,48,49. 2.1.6.30.

V F ^ ^ ^ . z u I n f ^

Typ /es steht zu tun/ 'muß getan werden' = modaler Passiversatz. - 1 omd. Beleg: /das stet zu bewern/ 'njuß noch bewiesen werden' I Vb. 1,12. 2.1.6.31. VF,, „ .. , + zulnf„ r MoV unpersonl KV Typ / e s geschieht zu thun/ 'muß getan werden' = modaler Passiversatz. - 1 nd. Beleg: / b e s c h e i t . . . tho wetten/ I Fl. 5,48.

Gabriele Schieb

90 2

-1'6'32- ^MoVunpersönl+^KV Typ / e s folgt zu reden/ 'nun muß gesprochen werden' = modaler Passiversatz, kontextgebunden. - 1 Beleg: / volgt nun tzu reden von hangends/1 Fpr. lb, 22. 2.1.6. 33. V F M q V

Bewegungsverb

+ zulnf^

Typ /geht zu besuchen/ = Ingressiv, ins Aktionalfeld gehörig. Als Modifikationsverben begegnen /gehen/, /kommen/, /reiten/, /laufen/, /fahren/. - 11 Belege, z. B. / r a i t vmb vnd vmb . . . daz volckh zu suchen/1 Vb. 3,8. 2.1.6.34. (VF M q V - E p r ä p )

+

zulnf^

Typ /ist auf dem Wege zu tun/ = Progressiv, ins Aktionalfeld gehörig. - 1 Beleg: / i s t gleich vfm wege gewest, die Marterstete Ires Sohnes zu besuchen/ I R . 1,63. 2.1.6.35. V F ^ + z u I n f ^ Typ /fängt an zu tun/ = Ingressiv, ins Aktionalfeld gehörig. An Modifikationsverben kommen in Frage /anfangen/ 24mal, /beginnen/ 17mal, /anheben/ 19mal, /tengen/ lmal. nd. /tengen/ ist landschaftlich beschränkt, bei /beginnen/ beachten wir die Bevorzugung im Volksbuch. - 61 Belege: z.B. /fingen wir abermals an zu saylen/ I R . 3,10. 2.1.6. 35a, V F M q V + z u l n f ^ Typ /lernt zu tun/ = Ingressiv, ins Aktionalfeld gehörig. - l'Beleg: /lernen zu betrigen/ I Vb. 1,17. 2.1.6.36. V F M q V + z u l n f ^ Typ /untersteht zu tun/ 'schickt sich an, unternimmt, wagt zu tun' = Ingressiv-Intentional, ins Aktionalfeld gehörig. - 2 Belege, z. B. /vnderstundent sie den eyter . . . vß zu drucken/ I Fpr. 4,64. 2.1.6.37.

V F ^ ^ + z u I n f ^

Typ /bereitet sich zu tun/ = Ingressiv-Intentional, ins Aktionalfeld gehörig. - Als Modifikationsverben begegnen je 2mal/sich bereiten/, /sich untersten/, /sich underwinden/, /sich fürnemen/, je lmal /sich neigen/, /sich rüsten/, /sich vorsetzen/. Der Typ /underwindet sich zu tun/ enthält noch Haupt- und Nebenkernverb, vgl. Einleitung S.50 f. - 11 Belege, z.B. /geneigt sich . . . zu strichen/ I Fl. 4a, 68. 2.1.6.38. V F ^ + z u I n f ^ Typ /hört auf zu tun/ = Terminativ u. ä., ins Aktionalfeld gehörig. Oft negiert. Als Modifikationsverben begegnen je lmal /aufhören/ I Vb. 1,8, /ablassen/1 Vo. 5,4,

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

91

/nachlassen/ I Vb. 4,9, /unterlassen/ I Fl. 4b, 115. - 4 Belege: z.B. /hoer nit auf zcu reden/ I Vb. 1, 8. 2.1.6.39. V F M q V + z u l n f ^ Typ /pflegt zu tun/ = Iterativ, ins Aktionalfeld gehörig. - 15 Belege, z.B. /plag . . . zu verwessein/ I Vb. 2, 59. 2.1.6.40. VF M q V + z u l n f ^ Typ /er-heischt zu tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als Veranlassen. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 2 Belege: mit intransitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt (lmal), /hieschen die heren . . . zu komen/ I Chr. 2, 8, mit transitivem Hauptkernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt (lmal), /erheischet... zu schriben/ I Fpr. 4,63. 2.1.6.41. V F M q V + z u l n f ^ Typ /gebietet, verbietet zu tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als Veranlassen. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 3 Belege: mit transitivem Hauptkernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt (2mal), z. B. /gebiitet... die wundenn fücht zu machen/ I Fpr. 4,41, mit intransitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt (lmal), /verbot er ym zu essen/ I Fl. lb, 431. 2.1.6.42. V F M q V

+

zulnf^

Typ /ordiniert zu tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als Veranlassen. Mit Haupt und Nebenkernverb. - 2 Belege: mit intransitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt: /ordinierten sie das halbe folk zu vechten, das ander[n] teil zu slaffen/ I Vo. 2, 84. 2.1.6.43. VF M o y + zulnf^y. Typ /lernt zu tun/ 'lehrt zu tun' = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als Veranlassen. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 1 Beleg mit transitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt /lernest ander lüt yr narren zu erkennen/ I Fl. 4a, 89. 2.1.6.44. V F M q V + z u l n f ^ Typ /befiehlt, empfiehlt zu tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als Veranlassen. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 6 Belege: mit transitivem Hauptkernverb'mit Nennung von dessen logischem Subjekt, z.B. /beualh im Pontus ze ziehen/ I Vb. 3,13. 2.1.6.45. Typ /erlaubt zu tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als Zulassen. Mit Hauptund Nebenkernverb. - 1 Beleg mit transitivem Hauptkernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt: /erlaubten buttern zu essen/ I Fl. la, 32.

Gabriele Schieb

92 2.1.6.46. V F ^ + z u I n f ^

Typ /führt zu tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als spezielle kausative Beziehung. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 1 Beleg mit transitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt: /fuhreten vns . . . die heiligen Stedte zu besuchenn/ I R. 1, 59. 2.1.6.47. V F ^ + z u I n f ^ Typ /sendet zu tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als spezielle kausative Beziehung. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 1 Beleg mit transitivem Hauptkernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt: /sant . . . dat gelt tzo holen/ I Vb. 5, 6. 2.1.6.48. V F M q V + z u l n f ^ Typ /bittet zu tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als Veranlassen. Mit Haupt und Nebenkernverb. - 3 Belege: mit intransitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt 2mal, z.B. /bit uwer gnade . . . mir zu vergeben/ I Vb. 2, 82, mit transitivem Hauptkernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt lmal, /das bitt ich mir zuo sagen/ I Fl. 2b, 151. 2.1.6.49. V F ^ + z u I n f ^ Typ /gibt zu tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als spezielle kausative Beziehung. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 16 Belege: 5mal mit /trinken/, z.B. /gaben im wein zu trincken/ I Chr. 4, 6; 4mäl mit / e s s e n / , z.B. /gäbe vnser einem . . . brot zu essen/ I R . 3,12, sonst je lmal mit / z e schmeken/ I Fpr. 3, 73, /zu behalten/ I Vb. 2, 70, /zu verwaren/ I Vb. 2, 50, /zu bedencken/ I Fl. 4b, 93, /thouorstan/ I FL 5,49, / z u thun/ I Vb. 2, 91, /zu küssen/ I Vb. 5, 37. 2.1. 6. 50. ( V F M q V - E 2 ) + z u l n f ^ Typ /gibt Anreizung, Ursache, Gewalt zu tun/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als spezielle kausative Beziehungen. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 4 Belege: mit intransitivem Hauptkernverb mit Nennung von dessen logischem Subjekt, /gab ym zu essen gewallt von allem Obeß/ I Fl. lb, 341, ähnlich 433, mit transitivem Hauptkernverb ohne Nennung von dessen logischem Subjekt I FL 2a, 57, mit Nennung /geyt vns ain vrsach got vm sein gnad zu bitten/ I Fl. 3a, 12. 2.1.6.51. V F M q V + zulnfj^. Typ /schwört zu tun/ = Objektsinhalt. - Das Modifikationsverb ist beschränkt auf Verben des Sagens, so/schwören/, /geloben/, / r e d e n / , /verheißen/. - 1 0 Belege, z. B. /swuren sie . . . liep vnd leit mit eyn zu lyden/ I Vb. 2, 55.

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen 2-1.7. V F M q V

+

93

flekt z u l n f ^

Anzahl: 19 = 0, 4 % der Volltypen aus 2 verbalen Bestandteilen. Da die wobd. Reisebeschreibung auch sonst -/d/-Antritt nach / n / kennt, gehören die 3 Belege I R. 4 vermutlich nicht hierher, sondern zu 2.1.6. VF + zulnf. 2.1.7.1. VF M o V + flekt z u l n f ^ Typ /meint zu tunde/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. - 2 nd. Chronikbelege, z.B. /meynden... to blyvende/I Chr. 5,305. Zur Variante Typ /meint zu tun/ s. 2,1.6.2. 2.1. 7.2. (VF c o p - Adj) + flekt z u l n f ^ Typ /ist bereit zu tunde/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. - 1 Beleg: /was er bereit, sin cogel abe zu thunde/ I Vb. 2,60. Zur Variante Typ /ist bereit zu tun/ s. 2.1.6.11. 2.1.7.3. VF M q V + flekt z u l n f ^ Typ /weiß zu tunde/ = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung, als Voraussetzung für die Realisierving 'kann tun'. - 1 Beleg: / w u s t . . . zu farend/ I R. 4, 43. Zur Variante Typ /weiß zu tun/ s. 2.1.6.14. 2.1.7.4. VFMqV

+ flekt z u l n f ^

Typ /hat zu tunde/ 'hat zu tun, muß tun' = Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung mit verschiedenen semantischen Varianten je nach Kontext. - 2 Belege: /wat hebben wy mit dem Olden Testamente tho doine/ I Fl. 5, 22, ähnlich I R. 4,17. - Zur Variante Typ /hat zu tun/ s. 2.1.6.20. 2.1. 7. 5. VF M q V + flekt z u l n f ^ + Eg Typ /ihm wird zu wissend/ 'er erfährt' = Passiwariante. - 1 Beleg: /wart dut deme Rade to wettende/ I Chr. 5, 339. Zur Variante Typ /ihm wird zu wissen/ s. 2.1.6. 25. 2.1. 7. 6. V F M q V + flekt z u l n f ^ Typ /ist zu tunde/ 'kann getan werden' = modaler Passiversatz. 2 nd. Flugschriftbelege, z.B. /ydt wer noch wal voll mer dar van tho schriffende/I Fl. 5,18. - Zur Variante Typ /ist zu tun/ s. 2.1. 6. 26. 2.1. 7. 7. V F M q V + flekt z u l n f ^ Typ /beginnt zu tunde/ = Ingressiv, ins Aktionalfeld gehörig. An Modifikationsverben sind belegt lmal /beginnen/ und lmal das nd. /tengen/. - 2 Belege, z.B. /begunden zu gende/ I Chr. 2, 27. - Zur Variante Typ /fängt an zu tun/ s. 2.1.6.35.

Gabriele Schieb

94 2.1.7.8. V F M o V

refl +

flekt z u l n f ^

Typ /bekert sich zu tunde/ 'schickt sich an zu tun' = Ingressiv-Intentional, ins Aktionalfeld gehörig. - 1 Beleg: /bekere dich to wedergeuende/ 'schicke dich an zu e r b r e chen' I Fpr. 5, 96. - Zur Variante Typ /bereitet sich zu tun/ s . 2.1.6. 37. 2 . 1 . 7 . 9 . V F M q V + flekt z u l n f ^ Typ /pflegt zu tunde/ = Iterativ, ins Aktionalfeld gehörig. - 2 nd. Belege, z . B . /plach . . . tho syne/ I R. 5, 202. - Zur Variante Typ /pflegt zu tun/ s. 2.1.6.39. 2.1.7.10. V F M q V + flekt z u l n f ^ Typ /gebietet zu tunde/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als Veranlassen. Mit Haupt- und Nebenkernverb. - 1 Beleg: / g e b ü t h . . . tho donde/ I Fl. 5. - Zur Variante Typ /gebietet zu tun/ s. 2.1.6.41. 2.1.7.11. V F M q V + flekt zulnfgy Typ /gibt zu tunde/ = Faktitiv, ins Kausativfeld gehörig als spezielle kausative Beziehung. Als Kernverben begegnen/essen/ (2mal), /trinken/ (lmal), /verstehen/ (lmal). - 4 Belege, z.B. / g i f f t . . . tho verstände/ I Fl. 5,11. Im Fall I Vb. 5,49 /gaf jm .... wat tzessens/ ist von /wat/ abhängiger Genitiv mit dem flektierten Inf. nach / z u / kontaminiert, ein nicht normgerechter Einzelfall. Zur Variante Typ /gibt zu tun/ s. 2.1.6.49. 2.2. Verbkomplexe (Ellipsen) aus zwei verbalen Bestandteilen Anzahl: 38 = 0, 2 % aller Verbkomplexe Frequenz der Gruppen: 38 = 100 % VF

HV

+

K v l

+

29 = 76, 3 %

^KV

1 = 2, 65 %

^HV^MOV+^KV] [VFHV] VFMqV

+

7 = 18, 4 %

+ V IHV/MoV O T r / „ „ „ + VI KV Interr

+

[EJ

+

VF^]

+

Inf^

1 = 2, 65 %

Frequenz der Gruppen in Landschaften und Gattungen: %-Anteil am Gesamt der elliptischen Verbkomplexe mit zwei Bestandteilen einer Quelle: VF + [Vi] + VI

: omd.R. 25 %, wobd.R. 100 %, nd.R. 100 %; oobd. Chr. 80%, nd. Chr. 100%; nd. Fl. 100%; wmd. Fpr. 100 %; oobd. Vb. 100%, wöbd. Vb. 100%, nd.Vb. 50%.

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

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Gabriele Schieb

96

VF + VI + [Vi] : omd.R. 12, 5 %; [ V F ] + VI + VI : omd.R. 62, 5 %, oobd.R. 100 %, oobd.Chr. 20 %; VF + Interr + [EJ + VF] + VI : nd. Vb. 50 %. 2.2.1. V F ^

+

[VI^]

+

VI^

Anzahl: 29 = 76, 3 % der elliptischen Verbkomplexe aus zwei verbalen Bestandteilen. 2.2.1.1. VFjjy + j^PerfPart a c t ^ J + PerfPart p a s s ^ Typ / i s t getan [worden]/ = Vollzugsstufe des Vorgangspassiv, zum Formensystem des Verbs gehörig. Zum entsprechenden Volltyp s. 3 . 1 . 1 . 3 . - 29 Belege, z.B. / i s t . . . ainthobtet/ I R. 4, 7. Agensnennung begegnet in 7 Fällen. Der belebte Agens ist 6mal mit /von/ und lmal mit /durch/ angeschlossen, z.B. / d a r is unse leyue here gedofft van sunte Johannes/ I R. 5, 66, / i s t durch Georgen Walhan . . . nit eingeschriben/ I Chr. 3, 328. Zu Berührungen mit dem Typ / i s t getan/ s. 2.1. 2. 5. Vgl. auch Brinker, Passiv. 2.2.2. V F ^

+

VIMoy

+

[VI^]

Anzahl: 1 = 2,65 % der elliptischen VK aus zwei verbalen Bestandteilen. 2. 2. 2.1. V F h v + PerfPart a c t M o y + [ z u l n f ^ ] Typ /hat [zu gehen u. ä.] gehabt/ = Vollzugsstufe zum Typ /hat dahin 3 Meilen/, s . 1.2.1.9. Der entsprechende Volltyp ist zufällig nicht belegt. - 1 Beleg: /habenn . . . 600 welschen meylenn . . . gen Cyppern gehabtt/ I R . 1, 54. 2.2.3. [ V F ^ ]

+VIHV/MoV +

VI K V

Anzahl: 7 = 18,4 % der elliptischen VK aus zwei verbalen Bestandteilen. 2.2.3.1. [ V F j j y j + PerfPart a c t ^ + PerfPart p a s s ^ Typ / [ i s t ] getan worden/ = Vollzugsstufe des Vorgangspassiv, zum Formensystem des Verbs gehörig. Zum entsprechenden Volltyp s. 3.1.1.3. - 1 Beleg: /kain Rath gesetzt worden/ I Chr. 3, 343. 2. 2. 3.2. [ V F H y j + Inf (statt PerfPart a c t ) M o y + I n f ^ Typ / [ h a t ] tun lassen/ = Perfektivierung + Faktitiv, ins Formensystem des Verbs und ins Aktionalfeld gehörig. Zum entsprechenden Volltyp s. 3 . 1 . 4 . 3 . - 3 Belege in omd. Reisebeschreibung, z.B. /sant Helena . . . dasselbige . . . den Bergk aufftragen lassen/ I R . 1,89. 2.2.3.3. [ v F h v ] + PerfPart a c t M o y + z u l n f ^ Typ / [ i s t ] übereinkommen zu tun/ = Perfektivierung + Ingressiv-Intentional, ins F o r mensystem des Verbs und ins Aktionalfeld gehörig. Der entsprechende Volltyp ist nicht

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

97

belegt. - 1 Beleg: /die Juden . . . mit Judas vbereinkomen . . . Jesum zu verrathenn/ I R . 1,79. 2.2.3.4. [ V F ^ ] + PerfPart a c t M o y + z u l n f ^ Typ / [ h a t ] befohlen zu tun/ = Perfektivierung + Faktitiv, ins Formensystem des Verbs und ins Aktionalfeld gehörig als Veranlassen. Zum entsprechenden Volltyp s. 3.1.6.8. 1 Beleg: /durch den Statthalter dem Diener das Burgermaisterambt zu verwisen/ 'übertragen' /wider Bevolchen/ I Chr. 3, 343. 2. 2.4. V F M q V + Interrogativum + [EJ + V F ^ J + I n f ^ Anzahl: 1 = 2, 65 % der elliptischen VK aus zwei verbalen Bestandteilen. 2.2.4.1. V F M q V + Interrogativum + j^Ej + V F ^ J + I n f ^ Typ /weiß was tun/ = /weiß was [ e r ] tun [ s o l l ] / = Objektsinhalt + Modalität, ins Modalfeld gehörig als Grad noch ausstehender Realisierung. Vgl. Behaghel, Syntax 2 § 747 S. 363 f . , Curme, Grammar S. 279, Meeussen-Vanacker, werkwoordgroep, S. 41. - 1 Beleg: /weis niet wairhyn ryden/ I Vb, 5,3. 3. Verbkomplexe aus drei verbalen Bestandteilen 3.1. Verbkomplexe (Volltypen) aus drei verbalen Bestandteilen Anzahl: 475 = 2, 6 % aller Verbkomplexe Frequenz der Gruppen: VF + PerfPart + PerfPart VF + PerfPart + PräsPart VF + PerfPart + Inf VF + Inf(st. PP) + Inf VF + Inf (st. PP) + PP(st. Inf) VF + PerfPart + zulnf VF + PerfPart + flekt zulnf VF + Inf + PerfPart VF + Inf + Inf (st. PP) VF + Inf + Inf VF + Inf + zulnf VF + Inf + flekt zulnf 3.1.1. V F h v / M o V

+

65 = 13, 7 % 2 12 95 3 37

= 0, 4 % = 2, 5 % = 20 % = 0, 6 % = 7, 8 %

4 = 0, 8 % 159 = 33, 5 % 1 74 20 3

= 0, 2 % = 15,6% = 4, 2 % = 0, 6 %

PerfPart^^

+

PerfPart^

Anzahl: 65 = 13, 7 % der Volltypen aus 3 verbalen Bestandteilen.

98

Gabriele

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Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

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122

Gabriele Schieb

4.1.4. V F ^ + Inf (st. P e r f P a r t ) ^ + I n f M o V + z u l n f ^ Anzahl: 1 = 7, 7 % der Volltypen aus 4 verbalen Bestandteilen. 4.1.4.1. V F m + Inf (st. P e r f P a r t ) ^ + I n f M o y + z u l n f ^ Typ /hat zusagen müssen zu tun/ = Vollzugsstufe der Modalvariante eines objektivierenden Ausdrucks vom Typ /schwört zu tun/, s. 2.1.6.51. - 1 Beleg: /hab ich im müssen zusagen . . . zu bezalen/ I Fl. 4b, 92. 4.1.5. VFjjy + PerfPart M o V + zuInf MoV + z u l n f ^ Anzahl: 1 = 7,7 % der Volltypen aus 4 verbalen Bestandteilen. 4.1.5.1. VFjjy + PerfPart M o V + zuInf MoV + z u l n f ^ Typ /hat befohlen zu erkennen zu geben/ = Perfektivierung + Faktitiv + Faktitiv, ins Formensystem des Verbs gehörig und ins Kausativfeld als Vollzugsstufe eines doppelt gestuften kausativen Ausdrucks. - 1 Beleg: /haben wir . . . angezaigt und bestimbt, und . . . unserm Cantzler . . . bevolchen, euch die auch zu erkennen zu geben/ I Chr. 3,337. 4.1.6. V F m v / M o V

+

Inf M o V + Infjjy + P e r f P a r t ^

Anzahl: 2 = 15,4 % aller Volltypen mit 4 verbalen Bestandteilen. 4.1.6.1. V F M q V

+

Inf M o V r e f l

+

Inf H V + PerfPart a c t ^

Typ /läßt sich bedünken geschehen sein/ = Kausatiwariante der Modalvariante eines Vollzugsausdrucks. - 1 Beleg: /die gebott . . . las ich michbedunckenunwillig geschehen sein/ I Chr. 1,16. 4.1.6.2. V F ^ + Inf M o V + I n f ^ + PerfPart p a s s ^ Typ /soll getan sein lassen/ = modale Variante der Kausatiwariante eines passiven Ausdrucks. - 1 Beleg: /die heiligen . . . sal man got lassen befolen sein/ I Fl. lc, 203. 4.1. 7. VFjjy + i n f ^

+

Inf M o V + I n f ^

Anzahl: 1 = 7, 7 % aller Volltypen mit 4 verbalen Bestandteilen. 4.1. 7.1.

VFhv +

inf^

+

Inf M o V + I n f ^

Typ /wird tun lassen wollen/ = Futur der Modalvariante eines kausativen Ausdrucks Typ /will tun lassen/, s. 3 . 1 . 1 0 . 8 . - 1 Beleg: /lassen sye sich . . . scheren vnd schinden? Fortan werden sye jnn nit mer wSllen lassen/ I Fl. 2a, 49. 4.1.8.

VFmv +

Inf M o V + Inf M o V + z u l n f ^

Anzahl: 2 = 15,4 % aller Verbkomplexe mit verbalen Bestandteilen.

123

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen 4.1.8.1. V F ^

+

Inf M o V r e f l

+

Inf M o V + z u l n f ^

Typ /will sich annehmen zu bekehren tun/ = Modalvariante der aktionalen Variante eines kausativen Ausdrucks. - 1 Beleg: /will mich annemen, die Kinder thun zu beker e n / I V b . 2,50. 4.1.8.2. V F ^

+

Inf M o V + I n f M o y ^

+

zulnf^

Typ /will sich begnügen lassen zu haben/ = Modalvariante der kausativen Variante eines modalen Ausdrucks. - 1 Beleg: /willen vnsere geistlichen in yetzund nit begnügen lassen, reychtumb zu haben/ I Fl. 4b, 97. 4.1.9. V F m v

+

Inf M o Y + zuIni MoV + z u l n f ^

Anzahl: 1 = 7, 7 % aller Volltypen mit 4 verbalen Bestandteilen. 4.1.9.1. V F m

+

I n f M o y + zuInf MoV + (zuInf cop - A d j ) ^

Typ /soll zu verstehen geben ungläubig zu sein/ = Modalvariante der kausativen Variante eines objektivierenden Ausdrucks. - 1 Beleg: / i r s o l t . . . zu versten geben, vngeleubich zu wesen/ I Vb. 2, 55.

124

Gabriele Schieb

Übersicht über den Umfang der Exzerption 1470 - 1530 I

I

I

I

I

R. 1

ca. 50 Seiten

Chr. 1

ca. 50 Seiten

Fl. la

ca. 22 Seiten

Fl. lb Fl. l c

ca. 15 Seiten ca. 14 Seiten

Fpr. la Fpr. lb

ca. 18 Seiten ca. 48 kleine Seiten

Vb. 1

ca. 25 Seiten

R. 2

ca. 50 Seiten

Chr. 2

ca. 50 Seiten

Fl. 2a

ca. 23 Seiten

Fl. 2b

ca. 26 Seiten

Fpr. 2 Vb. 2

ca. 50 kleine Seiten ca. 50 Seiten

R. 3 Chr. 3

ca. 14 Seiten ca. 50 Seiten

Fl. 3a

ca.

6 Seiten

Fl. 3b

ca.

8 Seiten

Fl. 3 c

ca.

6 Seiten

Fpr. 3

ca. 80 locker bedruckte Seiten

Vb. 3

ca. 50 Seiten

R. 4b Chr. 4

gut 50 Seiten ca. 50 Seiten

Fl. 4a

ca. 24 Seiten

Fl. 4b

ca. 37 Seiten

Fpr. 4 Vb. 4

ca. 50 Seiten ca. 50 Seiten

R. 5

ca. 50 Seiten

Chr. 5

ca. 50 Seiten

Fl. 5

ca. 50 Seiten

Fpr. 5

ca. 50 Seiten

Vb. 5

ca. 50 kleinere Seiten

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

125

2.2. Ergebnisse zum Stand des Sprachgebrauchs um 1500 2. 2.1. Um 1500 kann der Verbkomplex, sofern wir uns zunächst auf die Volltypen beschränken, von 1 bis zu 4 verbalen Bestandteilen enthalten, aber die Prozentsätze nehmen mit wachsender Konstituentenzahl enorm ab. Die Verbkomplexe mit 1 Bestandteil machen im Durchschnitt 67,2 % des jeweiligen Gesamts an Verbkomplexen aus, die mit 2 Bestandteilen 28, 2 %, die mit 3 Bestandteilen 2,6 % und die mit 4 Bestandteilen nur 0,07 %. Bei Berücksichtigung der Gattungen zeigen sich Spielräume. Die Verbkomplexe mit 1 verbalen Bestandteil schwanken zwischen 42, 5 % und 89,4 %. Den höchsten Prozentsatz erreichen die in der Regel im Präteritum berichtenden Reisebeschreibungen und Volksbücher. Bei den Verbkomplexen mit 2 verbalen Bestandteilen ist ein Anteil von 10, 2 % - 52,1 % möglich, wobei Chronik, Flugschrift und Fachprosa an der Spitze stehen. Das gleiche gilt für die möglichen 0, 2 % - 11, 3 % bei 3 verbalen Bestandteilen. Verbkomplexe mit 4 verbalen Bestandteilen sind überall selten oder fehlen ganz. Bei Berücksichtigung der Landschaften zeigen sich keine charakteristischen Unterschiede. 2.2. 2. Von den sieben Möglichkeiten der Art und Form der Konstituenten sind schon um 1500 nicht mehr alle gleich frequentiert. Während finites Verb, Perfektpartizip, Infinitiv und zu-Infinitiv ihren festen Platz im Verbkomplex haben, läßt sich das von Präsenspartizip, flektiertem Infinitiv und flektiertem zu-Infinitiv nicht mehr sagen. Das Präsenspartizip taucht verstreut auf Landschaften und Gattungen nur noch resthaft im Aktionalfeld (Progressiv, Ingressiv) des Verbkomplexes auf. Entweder stehen Verbkomplexe mit dem Infinitiv als gleichfalls nicht sehr feste Varianten daneben, z.B. /ist tuend/ - /ist tun/, /ward tuend/ - /ward tun/, /geht tuend/ - /geht tun/, /hat liegend gesehen/ - /hat tun gesehen/, oder der Übertritt der Form in die Nominalgruppe ist unverkennbar, z.B. /die meister waren . . . halb rasent/. Der flektierte Infinitiv begegnet nur einmal irrtümlich in der wmd. Chronik in einer zu-Partikelkomposition, wohl unter analogem Einfluß des noch gelegentlich vertretenen flektierten zu-Infinitiv, der mit schwindender Lebenskraft nd., vereinzelt auch wmd. erscheint. Die wenigen wobd. Belege sind vermutlich anders zu deuten, als -/d/-Antritt an -/n/, wie er in der wobd. Reisebeschreibving häufig auch in anderen Fällen anzutreffen ist. Neben den Typen mit flektiertem zu-Infinitiv stehen als Varianten häufiger solche mit unflektiertem zu-Infinitiv. Der Sprachgebrauch um 1500 steuert offensichtlich auf eine Beschränkung der infiniten Formen im Verbkomplex auf Perfektpartizip, Infinitiv und zu-Infinitiv zu. Präsenspartizip und flektierter zu-Infinitiv sind nur noch mit 0, 2 bzw. 0,4 % am Gesamt der Verbkomplexe mit 2 verbalen Bestandteilen und mit 0,4 bzw. 1 % am Gesamt der Verbkomplexe mit 3 verbalen Bestandteilen beteiligt.

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Gabriele Schieb

2. 2. 3. Die Kombinationsmöglichkeiten des finiten Verbs mit Perfektpartizip, Infinitiv und zuInfinitiv sind verschieden frequentiert. Bei 2 verbalen Konstituenten stehen die Verbindungen mit Infinitiv mit 49,8 % an der Spitze, die mit Perfektpartizip mit 42,8 % an zweiter Stelle, während die mit zu-Infinitiv mit 6, 7 % noch weniger ins Gewicht fallen. Bei 3 verbalen Konstituenten sind 12 verschiedene Kombinationsmöglichkeiten belegt. In erster Abhängigkeit vom finiten Verb erscheint in 54,1 % der Fälle der Infinitiv, in 45, 8 % der Fälle das Perfektpartizip oder der Infinitiv anstelle eines Perfektpartizips. In den Untergruppen lassen sich Frequenzunterschiede beobachten. Aufs Ganze gesehen stehen die Verbindungen VF + Inf + PerfPart mit 33, 5 % an der Spitze. Es folgen VF + Inf (st. PerfPart) + Inf mit 20 %, VF + Inf + Inf mit 15, 6 %, VF + PerfPart + PerfPart mit 13, 7 %, und VF + PerfPart + zulnf mit 8,2 %, um nur die wichtigsten zu nennen. Die Unterschiede hängen natürlich zusammen mit der möglichen Materialisation der Untergruppen, d.h. den Möglichkeiten ihrer Füllung mit konkretem Sprachmaterial. Jede Untergruppe umfaßt ja viele Typen von sehr unterschiedlichem Informationswert, für deren Gebrauch in den gewählten Gattungen je nach ihrem besonderen Charakter ein jeweils größeres oder geringeres Bedürfnis besteht. Die Landschaften spielen dabei keine Rolle. 2.2.4. Unser I. Querschnitt um 1500 fällt in die wichtige Zeit des festen Einbaus der "analytischen Formen des Verbs" in das Formensystem des Verbs. Es handelt sich dabei um einen unentbehrlichen sprachlichen Grundbestand, der den Ausdruck von Tempus-, Phasen- und Modusoppositionen gestattet, und dies alles zugleich in einem Aktiv- und einem Passivsystem. Was ist davon um 1500 da und in welcher Form? Berücksichtigt werden nur die Verbkomplexe ab 2 Konstituenten. Unter den Verbkomplexen mit 2 verbalen Bestandteilen stehen an der Spitze die Typen der aktiven Vollzugsstufe /hat getan/ mit 36, 5 % und /ist gekommen/ mit 21 %. Das Niederdeutsche wahrt zäh alte Unterschiede im Gebrauch von /haben/ und /sein/ in Bezug auf Mutativa und Nicht-Mutativa, wahrt auch /haben/ bei /sein/, während sich umgekehrt im Oberdeutschen /sein/ bei /stehen, sitzen, liegen/ verallgemeinert ohne Rücksicht auf die Doppelbedeutung. Neben den Volltypen /hat getan/, /ist gekommen/ stehen als mögliche Varianten die Ellipsen /getan/, deren Hauptanteil sich aber auf die nd. Reisebeschreibung konzentriert, einmal die Ellipse /ist nach Hause/ in oobd. Chronik, die heute nur umgangssprachlich möglich ist, und einmal die "doppelte Perfektivierung" /hat getan gehabt/, nur im wmd. Volksbuch, für diese frühe Zeit eine e r staunliche Analogiebildung. Im Passiv läßt sich zwischen einem stark frequentierten Vorgangspassiv /wird getan/ 26, 3 % scheiden und einem Zustandspassiv /ist getan/ 13, 7 %, das aber wegen

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

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fließender Grenze zwischen Perfektpartizip und Adjektiv keinen so festen Stand im Formensystem des Verbs hat. Außerdem kann /ist getan/ auch noch nach alter Art für die Vollzugsstufe des Vorgangspassivs stehen, wo wir, da daneben allerorten auch schon der dreigliedrige Typ /ist getan worden/ existiert, nicht sicher sind, ob nicht mit Ellipse /ist getan [worden]/ zu rechnen ist, an welcher Stelle wir alle entsprechenden 29 Fälle untergebracht haben. Einzelgänger sind nd. /hat getan worden/ und die wobd. "doppelte Perfektivierung" /ward getan worden/. Die Unsicherheit wird unterstrichen durch die mögliche Ellipse /getan/ sowohl für / [ i s t ] getan/ und /[wird] getan/ wie für / [ i s t ] getan [worden]/, wobei das Niederdeutsche wieder an der Spitze steht. Mit dem Nebeneinander von /ist getan worden/ mit 46 und /ist getan gewesen/ mit 9 Belegen kündet sich eine Unterscheidung zwischen Vorgangs - und Zustandspassiv auch in der Vollzugsstufe an. Bei den Verbkomplexen im Bereich des Formensystems des Verbs ist das finite Verb immer Hilfsverb, die infiniten Teile sind fast immer Perfektpartizipien. Das Futur /wird tun/ mit dem Infinitiv ist im Rahmen des Formensystems des Verbs relativ junger Zuwachs. Im Nebeneinander von /tut/, /tat/, /wird tun/ gehört /wird tun/ z.B. um 1300 noch als Ingressiv ins Aktionalfeld (Oubouzar, apparition). In unserem Querschnitt ist es aber schon eindeutig Futur im Rahmen der Tempusopposition. Neben /wird tun/ 5, 6 % der Typen VF + Inf mit landschaftlich mitteldeutscher, vor allem ostmitteldeuter Spitze und besonders fester Stellung in den Flugschriften, treten die alten Varianten /soll, will, muß tun/ 0,9 % mit landschaftlich niederdeutsch-ripuarischer Beschränkung zurück. Es tauchen auch schon erste Versuche der vom System her zu erwartenden dreigliedrigen Formen eines Futurs der Vollzugsstufe auf, um die dreifache Tempusopposition auch in dieser Phase zu ermöglichen. Allerdings fehlen noch Formen für das Aktiv, aber für das Passiv begegnen schon vereinzelt /wird getan werden/ in Flugschriften verschiedener Landschaften, selten auch /wird getan sein/ in Flugschrift und Fachprosa. Mit /wird/ dringt auch der entsprechende Konjunktiv /würde/ ins Formensystem des Verbs ein, daher gelegentlich /würde tun/ 0,4 % mit landschaftlich gleichfalls ostmitteldeutscher Spitze, und sogar /würde getan haben/ mit einem ostmitteldeutschen Chronikbeleg, welches das zufällig nicht belegte /wird getan haben/ voraussetzt, und /würde getan sein/ mit einem niederdeutschen Volksbuchbeleg, der Parallelform zum genannten /wird getan sein/. 2. 2. 5. Neben dem Formensystem des Verbs mit der Tendenz zu hoher Abstraktion, Grammatikalisierung der Mittel, strengem Abschluß und klaren Oppositionen, wofür das Absinken aller neben dem Kernverb beteiligten verbalen Konstituenten zu Hilfsverben charakteristisch ist, stehen Felder, die diesen strengen formalen Abschluß und diesen hohen Grad der Abstraktion nicht kennen. Wir unterscheiden vor allem das Modalfeld, das Aktional-

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Gabriele Schieb

feld, das Kausativfeld und das Wahrnehmungsfeld. Sie entsprechen dem Bedürfnis nach s t ä r k e r e r semantischer Differenzierung der Information. Die gesellschaftliche P r a x i s der Menschen ist ja voller Situationen, in denen eine Modalität auszudrücken ist, entweder, daß man etwas, dessen Realisierung noch aussteht, will, soll, kann, muß, möchte, darf oder nicht darf, oder daß man etwas, dessen Realität nicht erwiesen ist, nach dem Urteil anderer getan haben wird, mag oder soll. Ebenso häufig sind Beginn, Verlauf, Dauer, Abschluß u. ä. eines Vorgangs oder einer Tätigkeit zu kennzeichnen. Wichtig sind auch die vielen Möglichkeiten der Kausaleinwirkung auf die Tätigkeit ander e r , daß man etwas tun läßt, zu tun gibt, gebietet oder verbietet u. ä . , wie das Hineinziehen in den eigenen Wahrnehmungsbereich, daß man z . B . etwas geschehen oder tun sieht oder hört. Diese Felder kombinieren sich auf vielfältige Weise mit dem F o r m e n system des Verbs und außerdem untereinander. Die Häufigkeit der einzelnen Typen im Repertoire der belegten Möglichkeiten wie die Konkurrenz von Varianten i s t charakteristisch für den Stand der Sprachverwendung und Ansätze zu einer Normbildung. 2. 2. 5.1. Unter den Verbkomplexen mit 2 verbalen Bestandteilen beachten wir die Häufigkeit s o l cher, die Modalitäten anzeigen. An der Spitze steht / w i l l tun/ 20,4 %. E s folgen / s o l l tun/ 19, 6 %, /kann, mag tun/ 'kann tun' 12, 6 %, / m u ß tun/ 10, 6 %, um nur die häufigsten zu nennen. Bei den Varianten, die oft in großer Zahl auftreten, i s t zu scheiden zwischen konkurrierenden Varianten wie /kann tun/ und / m a g tun/, die für die E n t wicklung einer Systemnorm von Relevanz sind, und stilistischen Varianten wie / w i l l tun/, / m a g tun/ 'möchte tun', /begehrt zu tun/, / i s t willens zu tun/, / h a t Lust zu tun/, / i h n verlangt zu tun/, die den Reichtum der Sprachverwendung charakterisieren und je nach Sprachbeherrschung überall möglich sind. E s geht hier vor allem um Systemvarianten. Die Fülle der stilistischen Varianten mag man aus dem Gesamtüberblick ablesen. 'kann tun', / m a g tun/ 8, 8 % - /kann tun/ 3, 9 %. / m a g tun/ i s t insgesamt noch doppelt s o häufig wie /kann tun/. Das gilt f ü r fast alle Landschaften, nur im Niederdeutschen ist es schon umgekehrt. Aber /kann tun/ hat den Vorteil semantisch eindeutig zu sein, / m a g tun/ dagegen hat je nach Kontext m e h r e r e Funktionen. 'darf nicht tun', / m u ß nicht tun/ 0,4%

- /darf nicht tun/ 0,8 %. / d a r f nicht tun/

i s t also insgesamt schon doppelt s o häufig wie das alte / m u ß nicht tun/, dessen Belege hauptsächlich das Niederdeutsche stellt, /darf nicht tun/ hat daneben allerdings v e r einzelt in allen Landschaften auch noch die alte Bedeutung 'braucht nicht zu tun' 0 , 4 %, die aus der Sprachverwendung ausscheidet. 2.2. 5.2. Im Aktionalfeld bei progressiven und ingressiven Verbkomplexen sind Systemvarianten und stilistische Varianten kaum sicher zu trennen, da nach Zurücktreten der alten zu

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

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diesem Zweck gebrauchten Hilfsverben /sein/ und /werden/ bedeutungskräftigere Modifikationsverben eintreten, die in ihrer Distribution natürlich beschränkter sind. Unter den Progressiva sind die Typen /ist tuend/ und /ist tun/ überall in der Auflösung begriffen. Von den Varianten mit den Modifikationsverben /kommen/» /gehen/, /laufen/» /fahren/ verbinden sich alle mit dem Infinitiv von Bewegungsverben, Typ /geht spazieren/ 0,4 % innerhalb des Typs VF + Inf, /kommen/ daneben aber vor allem mit dem Perfektpartizip von Mutativa, Typ /kommt gelaufen/ 0,6 % innerhalb des Typs VF + PerfPart, beide mit Spitzen in Reisebeschreibung und Volksbuch. Unter den Ingressiva spielt der alte Typ /wird, ward tuend/ zwar so gut wie keine Rolle mehr, da die Verbindung mit dem Infinitiv /wird tun/, die mehr Überlebens chancen gehabt hätte, als Futur ins Formensystem des Verbs eingegangen ist, und der Verbkomplex zu einer Zeit, da allerorten syntaktische Polysemien im Sprachhaushalt zurückgedrängt werden, eine funktionelle Zusatzbelastung dieser Art kaum vertragen hätte, aber das entsprechende präteritale /ward tun/ 0,9 % innerhalb des Typs VF + Inf hat noch einen erstaunlich festen Stand. Allerdings wird der Typ schon um mehr als das Doppelte Uberrundet von den Typen /beginnt, fängt an, hebt an zu tun/ 17,8 % innerhalb des Typs VF + zulnf, die allerorten geläufig sind, woneben Fälle mit dem reinen Infinitiv /beginnt, fängt an tun/ 0, 2 % innerhalb des Typs VF + Inf, westmitteldeutsch-westober deutsch beschränkt, und mit dem flektierten zu-Infinitiv /beginnt zu tunde/, niederdeutsch-westmitteldeutsch beschränkt, nicht ins Gewicht fallen. Auch im Nebeneinander von /hört auf tun/ (lmal) und /hört auf zu tun/ (4mal) gehört dem zu-Infinitiv die Zukunft. 2. 2. 5.3. Im Kausativfeld, d.h. im Bereich der Faktitiva, ist am häufigsten der Typ /läßt tun/ mit 11,6 % im Rahmen der Typen VF + Inf. Neben /lassen/ sind /tun/ und /machen/ zurückweichende landschaftliche Varianten, Typ /tut tun/ mit 0, 5 % landschaftlich nur westmitteldeutsch-niederdeutsch und auf die sprachlich konservative Gattung des Volksbuches beschränkt, Typ /macht tun/ mit nur 0,1 % allerdings vielleicht mir zufällig auf ostoberdeutsche Fachprosa beschränkt. Während einerseits im Nebeneinander der allgemeinen faktitiven Modalitätsverben /lassen/, /tun/, /machen/ nur /lassen/ eine Zukunft hat, geht der Ausbau des Feldes nach anderer Seite. Wo /lassen/ nicht differenziert genug erscheint, drängen sich andere Typen vor wie /heißt, heischt tun/ 1,8 % bzw. /heischt, erheischt zu tun/0, 6 %, ferner/gebietet, verbietet, ordiniert, empfiehlt, erlaubt, gibt Gewalt zu tun/ u. a., wobei überall ein Vordringen der Verbindung mit dem zu-Infinitiv gegenüber der mit dem reinen Infinitiv zu beobachten ist. Wir weisen z. B. auf das Nebeneinander der Typen /gibt essen/ mit 0, 2 % und /gibt zu essen/ mit 4, 7 %.

130

Gabriele Schieb

2.2.5.4. Zwar nicht ganz so frequentiert wie die andern Felder, aber filr die Sprachpraxis gleichfalls wichtig ist das Wahrnehmungsfeld. Es ist von Natur auf die Verben /sehen/, /hören/, /finden/, /haben/ und deren Verbindung mit semantisch kongruierenden Verben beschränkt. Durch sie wird eine Erweiterung des Subjektsbereichs gekennzeichnet. Erwartungsgemäß sind Verbkomplexe der Art vor allem beliebt in Gattungen, die viel persönliche Ansichten und Erlebnisse enthalten, so Reisebeschreibung und Flugschrift. 2.2.5.5. Unter den Verbkomplexen mit 2 verbalen Bestandteilen ist noch besonders interessant die auch um 1500 schon eindeutig ausgeprägte Opposition Typ /hat zu tun/ 5,8 % - Typ /ist zu tun/ 23,3 %, aktives und passives Gegenstück eines ins Modalfeld gehörenden Verbkomplexes, 'muß, kann, darf usw. tun* bzw. 'muß, soll, kann usw. getan werden', der gegenüber den Typen /muß tun/ bzw. /muß getan werdea/ den Vorteil größerer Abstraktion hat. Die semantische Festlegung der modalen Schattierung liegt nicht im Verbkomplex, sondern ist erst aus dem Kontext zu erschließen. Man spricht nicht zu Unrecht von "analytischen Formen" im Werden, da diese Verbkomplexe schon einen hohen Grad der Grammatikalisierung aufweisen. Sie tauchen auch gelegentlich als elliptische /hat/ bzw. /ist/ auf, wie sie noch heute umgangssprachlich möglich sind /man hat dorthin 3 Meilen/ bzw. /dorthin ist 3 Meilen/. Bei /ist zu hin/ überschneiden sich Modalität und Genus Verbi. Der Typ hat Varianten. Der nicht seltene Typ / i s t Zelt, Not, voiinöten zu tun/ mit 2,9 % könnte von Relevanz für die Entstehung des Typs sein. Das andere sind spezifizierende Ausbautypen. So wie neben dem Zustandspassiv /ist getan/ die spezifizierenden Typen /steht, liegt, bleibt getan/, /geht, kommt gekleidet/ stehen, so neben /ist zu tun/, allerdings nur vereinzelt, die Typen /liegt zu sehen/ 'kann gesehen werden' mit 0, 6 %, /steht zu tun/ 'muß getan werden' mit 0,3 %, /geschieht zu tun/ 'muß getan werden' mit 0,3 % u. ä. 2.2.5.6. Wir bemerken, daß der Umschreibungstyp /tut nehmen/ mit 0,2 % um 1500 schon aus der Sprache der Prosa ausscheidet. In der Poesie bleibt es zunächst noch anders, s.o. S. 76. 2.2.6. Was als Kommunikationseffekt schon bei Verbkomplexen mit 2 Bestandteilen möglich ist, erweitert sich natürlich enorm bei solchen mit 3 Bestandteilen. Hier erscheinen der Form nach gekoppelt: VF + PerfPart + ' PerfPart PräsPart Inf zulnf flekt zulnf

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen VF + Inf +

131

PeriPart Inf zulnf flektlnf

wobei in bestimmten Fällen der Infinitiv anstelle des Perfektpartizips erscheinen kann, vereinzelt auch umgekehrt. Die einzelnen Bestandteile sind Hilfsverben, Modalverben, Modifikationsverben oder Kernverben und zwar Haupt- oder Nebenkernverben. Die Kombinationen mit Präsenspartizip und flektiertem zu-Infinitiv sind schon so selten, daß man sie nicht mehr zu gültigem Sprachgebrauch rechnen darf. Verbkomplexe mit zu-Infinitiv in erster Abhängigkeit vom Verbum finitum sind im Textcorpus um 1500 noch nicht vorhanden. Bei 3 Bestandteilen potenzieren sich natürlicherweise die syntaktisch-strukturellen und syntaktisch-semantischen Kombinationsmöglichkeiten, aber nicht alle möglichen und denkbaren Kombinationen sind auch wirklich genutzt, und die genutzten erscheinen außerdem sehr unterschiedlich frequentiert. Fragen wir deshalb, welche der über 80 im Textcorpus um 1500 realisierten Einzeltypen bei Insgesamt 475 Belegen die frequentiertesten sind. Am stärksten vertreten mit 33, 5 % ist die Gruppe VF + Inf + PerfPart und Innerhalb dieser Gruppe sind die häufigsten Typen /will, soll, muß getan werden/ bzw. /sein/ mit 17,9 %, also Bezeichnungen von kombiniert Modalität und P.assivdiathese und /will, soll, kann/ usw. /getan haben/ bzw. /gekommen sein/ mit 11,4%, also Bezeichnungen von kombiniert Modalität und Vollzugsstufe. Dazu tritt aus der Gruppe VF + PerfPart + PerfPart, die 13, 7 % ausmacht, die Vollzugsstufe des Vorgangspassivs / i s t getan worden/ mit 9, 7 %, als einziger Typ aus dem Formensystem des Verbs, bei dem die das System auffüllenden dreigliedrigen Typen um 1500 im übrigen noch außerordentlich selten bleiben. Das stimmt zu den häufigsten Typen der Verbkomplexe mit zwei verbalen Bestandteilen, den Modalitäten anzeigenden /will, soll, muß/ usw. /tun/, den aktiven Vollzugsformen /hat getan/, / i s t gekommen/ und den Passivformen /wird getan/, /Ist getan/. Hier liegt also anscheinend wirklich ein besonders starkes Bedürfnis der Sprachpraxis vor. Eine weitere Frequenzspitze findet sich in den Gruppen VF + Inf (st. P e r f Part) + Inf mit 20 % und VF + Inf + Inf mit 15,6 % und innerhalb dieser Gruppen Insbesondere bei den Typen /will tun lassen/ mit 8,6 %, kombiniert Modalität und Faküüv, /hat tun lassen/ mit 7,4 %, kombiniert Vollzugsstufe und Faktiüv, und /hat tun wollen/ mit 8 %, kombiniert Vollzugsstufe und Modalität. Hier sei darauf gewlesen, daß auch unter den Verbkomplexen mit zwei verbalen Bestandteilen der faktitive Typ /läßt tun/ sehr beliebt ist. Die Typen /hat tun wollen/ und /hat tun lassen/ zeigen in erster Abhängigkeit vom Verbum finitum eigenartige Infinitive anstelle nach dem System der strukturell-syntaktischen Beziehungen zu erwartender P.erfektpartizipien, auch "Scheininfinitive" oder "Ersatzinfinitive" genannt. Sie haben konkurrierende Varianten. Neben /hat tun wollen/ mit 40 % stehen /will getan haben, gekommen sein/ mit 34 % und /hat

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Gabriele Schieb

tun gewollt/ mit 16,1 %. Die Modalverben können von Hause zunächst gar keine Perfektpartizipien bilden, Neubildungen erfolgen in den germanischen Sprachen teils nach dem System der starken Verben, teils nach dem System der schwachen Verben, daher das Schwanken zwischen z.B. /gekonnt/ und /(ge)connen/, wenn wir auch hier zu den verschiedenen Entstehungsthesen des "Scheininfinitivs" nicht Stellung nehmen können. Übrigens ist der Typ /hat tun wollen/ nur die Umkehr Ving des Typs /will getan haben/, der, wie wir sahen, an der Spitze aller dreigliedrigen Verbkomplexe überhaupt steht. Er enthält die gleichen syntaktisch-semantischen Merkmale, nur in anderer Abfolge. Er ist der sprachhistorisch ältere Typ, der um 1500 noch stark überwiegt, und der z.B. im Englischen noch bis heute die einzige Kombinationsmöglichkeit darstellt. Der "Scheininfinitiv" begegnet in unserem Textcorpus außer von den Modalverben mit 40 % von /lassen/ mit 36,8 %, bei dem sowieso seit alters Infinitiv und /ge/-loses Perfektpartizip in der Form zusammenfiel, /tun/ mit 5, 3 %, /heißen/ mit 2,1 %, /helfen/ mit 1,1 %, /sehen/ mit 2,1 %, /hören/ mit 10,5 %, Das stimmt schon zur Beschränkung der Erscheinung in der Gegenwartssprache. An Perfektpartizipien erscheinen um 1500 in diesen Verbkomplexen /wollt/ lmal ostmitteldeutsch, /must/ lmal ostmitteldeutsch, /bliben/ lmal ostmitteldeutsch, ferner sprachlandschaftlich verteilt /geheißen/ 3mal, /geholfen/ lmal, /gesehen/ 4mal, /gehört/ lmal. Diese Perfektpartizipien sitzen in der Sprachverwendung offensichtlich nicht fest gegenüber den Typen mit "Scheininfinitiv". Die durch die erwähnte Formunsicherheit vereinzelt besonders niederdeutschwestmitteldeutsch heraufgeführten parallelen "Scheinpartizipien" wie in den Typen /hat getan lassen, heißen/ oder /will tun haben/ sind natürlich in keiner Weise gültigem Sprachgebrauch zuzuweisen. 2.2.7. Die Verbkomplexe mit 4 verbalen Bestandteilen sind um 1500 insgesamt noch selten, wenigstens im Einfachsatz. Die meisten Typen sind überhaupt nur einmal belegt. In die bisher beobachteten Tendenzen reihen sich immerhin gut ein z.B. die Typen /hat tun lassen wollen/, /hat tun mögen sehen/, die stark frequentierte Typen mit weniger verbalen Bestandteilen miteinander verbinden. Aber ob die Ansätze weiter fruchtbar gemacht werden, kann erst.ein Vergleich mit dem II. Untersuchungszeitraum erbringen. 2.2.8. Bisher haben wir fast ausschließlich das Problem der ständigen Erweiterung und des ständigen Ausbaus des Verbkomplexes im Auge gehabt. Durch sie wird möglich, daß immer komplexere Sachverhalte in einem Einfachsatz untergebracht werden können. Es gibt nun auch, allerdings in sehr viel beschränkterem Maße, die umgekehrte Tendenz zu Reduktionen im Rahmen des Verbkomplexes, zu Ellipsen mit Aussparung einzelner Konstituenten, ohne daß die syntaktisch-semantische Funktion des gesamten

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen

133

Verbkomplexes dadurch eine Einbuße erlitte, also ein sprachökonomischer Prozeß. In unserem Textcorpus um 1500 machen die Verbkomplexe aus 1 statt aus 2 Bestandteilen 1, 7 %, die aus 2 statt aus 3 Bestandteilen 0,2 %, die aus 3 statt 4 Bestandteilen 0,03 %, also insgesamt nur 1,9 % aller Verbkomplexe aus. Welche Typen sind um 1500 üblich? Bei Verzicht auf das Kernverb vor allem die Typen /will nach Hause/ mit Modalverb als Verbum finitum und Aussparung eines unspezifischen Bewegungsverbs als Kernverb im Infinitiv, 7, 2 % der Ellipsen a\is einem Bestandteil, ähnlich /will etwas/ mit Aussparung eines unspezifischen Tätigkeitsverbs als Kernverb im Infinitiv, 7,8 %. Die Fälle zeigen sog. "absoluten" Gebrauch der Modalverben und tendieren daher zur Lexikalisierung und zum Übergang zu Verbkomplexen mit 1 verbalen Bestandteil. Ähnliches gilt für die allerdings auf die ostmitteldeutsche Reisebeschreibung beschränkten Typen /dahin haben wir 3 Meilen/ und /dahin sind 3 Meilen/ mit Ellipse eines Tinspezifischen Bewegungsverbs als Kernverb in der Form eines zu-Infinitiv, 1, 5 und 2,3 %. Verzicht auf das Verbum finitum erscheint vor allem im Typ /getan/ für die aktive Vollzugsstufe, 58 %, dessen Belege sich aber vorwiegend in der niederdeutschen Reisebeschreibung finden, ferner im Typ /getan/ für verschiedene Arten des Passivs, 4 %, mit schwächer sich abzeichnender Bevorzugung landschaftlich im Niederdeutschen und in den Gattungen Flugschrift und Reisebeschreibung. Entsprechende Typen mit 2 statt 3 bzw. 3 statt 4 Bestandteilen sind zu selten, als daß man sie zu lebendigem Sprachgebrauch rechnen dürfte. Wir beachten, daß in den elliptischen Verbkomplexen aus drei statt vier verbalen Bestandteilen immer nur vorgangspassivbildendes /worden/ bzw. /werden/ ausgespart ist. So könnten in allen Fällen noch Volltypen mit drei verbalen Bestandteilen vorliegen, in denen nach alter zurückweichender Art Typ /ist getan/ bzw. elliptisch /getan/ Dqppelfunktion, also neben der des Zustandspassivs auch noch die des Vorgangspassivs haben konnte. In allen echten elliptischen Fällen ist auf jede Redundanz verzichtet und von manchen für den Kommurükationseinzelfall irrelevanten Sonderaspekten abgesehen, sofern nur durch den Kontext Irrtümer ausgeschlossen sind. 3. Zeitraum 1670 - 1730 3.1. Übersicht über das Gesamt der belegten Verbkomplexe Gesamtanzahl: 6934 = 100 %

134

Gabriele Schieb

Tabelle 11 Anzahl der verbalen Bestandteile

1 2 3 4 5

Volltypen

Ellipsen

absolute Belegzahl

% der VK

absolute Belegzahl

% der VK

3702 2492 659 28 1

53,4 35,9 9,5 0,4 0,01

38 rt 1

0,5 0,2 0,01

-

-

-

-

Tabelle 12 Frequenz in Landschaften und Gattungen: %-Anteil am Gesamt der VK einer Quelle Volltyp Ellipse Volltyp Ellipse Volltyp Ellipse Volltyp Ellipse

Roman

Briefe

verbale Bestandteile 1

2

3

verbale Bestandteile

4

62,9 32,1 4,6 0,2 63,8 31,6 4,5 0,1

0, 2

51,2 41,8 5,9 0,3 0,3 61,7 33,1 4,5 0,7

0, 5 -

5

1

2

3

38,1 47,3 11,1 0,7 1,2 1,5 53,3 38,1 6 1,9 0,6 -

-

5

4 -

0,1

31,4 42,3 23; 7 2,1 0,25 0,25 -

-

48,9 44,3 0,1 -

-

6,2 0,5 -

Tabelle 12 (Fortsetzung) %-Anteil am Gesamt der VK einer Quelle omd. wmd. oobd. wobd.

Bildungss chrifttum

Fachprosa

verbale Bestandteile

verbale Bestandteile

1

2

3

4

Volltyp Ellipse

47,7 40,1 11,9 0,3 -

Volltyp Ellipse Volltyp Ellipse

62,4 32, 2 4,8 0,15 0,15 0, 3 50,4542,5 4,5 2,35 0,2 -

Volltyp Ellipse

64,8 29,4 5,5

_

0,3

5 « -

1

2

3

5

4

52,8 36,2 10,6 0,4

-

51

-

37,5 10,4 0 , 5 0,5 4,4 16,3 76,5 2,8

65,7 26,6

7

0,7

-

1S5

Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen 1. Verbkomplexe aus einem verbalen Bestandteil 1.1. Verbkomplexe (Volltypen) aus 1 verbalen Bestandteil

Anzahl: 3702 = 53,4 % aller Verbkomplexe Sie sind in dieser Arbeit nicht spezifiziert. 1.2. Verbkomplexe (Ellipsen) aus 1 verbalen Bestandteil Anzahl: 38 = 0, 5 % aller Verbkomplexe Frequenz der Gruppen: 38 = 100 % VF + [VI] : 20 = 52,6 % [VF] + VI : 18 = 47,4 % Frequenz der Gruppen in Landschaften und Gattungen: %-Anteil am Gesamt der elliptischen Verbkomplexe aus 1 Bestandteil einer Quelle: VF+ [Vi] : omd. Ro. 100%, wmd. Ro. 100%, wobd. Ro. 100%; omd. Br. 40 %, wmd. Br. 91, 7 %, wobd. Br. 100%; wmd. Bi. 100%. [VF] + VI : omd. Br. 60 %, wmd. Br. 8,3 %, oöbd. Br. 100 %; oobd, Bi. 100%. Tabelle 13 Frequenz der einzelnen Typen: Gruppe

Typ

absolute % der Belegzahl Gruppe

1. VF+ [Vi] 1. 2. 3. 4. a. 22 /wird nach Paris/ 5 5. /will nach Hause/ 8 6. /will etwas/ 7 7. -

% aller Beschränkung eingliedr. in Landschalt Ellipsen od. Gattung 21

25 40 35

13,2 21,1 18,4

14 3

77,8 16,7

36,8 7,9

1

5,5

2,6

wmd.Br. bes. Br.

8. -

9. -

10. -

11. 2. [VF]+VI 1. /[hat] /[ist] 2. / 1st, 3. 4. / [ i s t ]

getan/, gekommen/ sei getan/ zutun/

Br. omd. Br.

136 1 2 1

- - '

Gabriele Schieb

^HV/MV+fVl

Anzahl: 20 = 52, 6 % der elliptischen Verbkomplexe aus 1 verbalen Bestandteil. 1.2.1.1./2./3./4. 1.2.1. a. V F ^

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Zur Ausbildung des Satzrahmens Übersicht über den Umfang der Exzerption 1470 - 1530 R. Chr. Fl. Fl.

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50 Seiten

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50 Seiten 22 Seiten 15 Seiten

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48 Seiten 25 Seiten

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23 Seiten 26 Seiten

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256 3. Zeitraum 1670 - 1730 3.1. Zur Analyse des Sprachgebrauchs

Im Schrifttum der Zeit von 1670 bis 1730, das in dieser Untersuchung durch Briefe, Romane, Bildungsschrifttum und Fachprosa aus allen Landschaften des deutschen Sprachgebietes - mit Ausnahme des norddeutschen Raums - repräsentiert wird, finden sich eine Reihe von Einzelsätzen, deren Prädikate aus mindestens 2 Elementen bestehen und die damit die Voraussetzungen für die Bildung einer Satzklammer besitzen. Nach deren Stellung zueinander können - vgl. dazu die Ausführungen unter 2,1. - die gleichen strukturellen Möglichkeiten unterschieden werden wie im 1. Zeitraum. Auch 18

hinsichtlich der ebenfalls unter 2.1. vorgestellten Typen , die sich aus der Art der Zusammensetzung der zwei- und mehrgliedrigen Prädikate ergeben, deren Elemente die Voraussetzung für eine Rahmeribildung darstellen, sind keine Veränderungen festzustellen. Es soll wiederum untersucht werden, ob sich bei Einfachsätzen mit zwei- oder mehrgliedrigem Prädikat - unabhängig von der Art ihrer Stellung zueinander - Besonderheiten ergeben, die entweder bestimmte Gattungen oder Landschaften, denen die einzelnen Werke zuzuordnen sind, auszeichnen. 3.1.1. Aus allen 4 Sprachlandschaften, die in die Untersuchung einbezogen wurden, sind Einfachsätze mit zwei- oder mehrgliedrigem Prädikat bezeugbar; diese bringen die formalen Voraussetzungen für die Bildung einer Klammer mit, die entsprechend den beschriebenen 4 Typen aus unterschiedlichen Elementen bestehen kann. Nachfolgend sollen zunächst Beispiele für Einfachsätze mit partiell und voll ausgebildetem Rahmen angeführt werden, die zeigen, daß diese Art der Organisierung des Prädikats im gesamten deutschen Sprachgebiet verbreitet ist. omd.

wmd. wobd.

/ein artiger Tantz wurde auf selber Hochzeit angestellet, welcher mir noch wol gefällt/ II Ro. lb, 51 /dem Herrn Grafen waren die Hosen zwischen den Beinen gantz aus der Nath gerissen/n Ro. lb, 15 /man Kan woll bey dem Bai sein ohne dantzen/ n Br. 2,23 /man Könte nicht so viel von printz de Conti sagen/ n Br. 2,23 /auf diese Weise hat die poetische Mahlerkunst in ihrer Nachahmung der Natur einen kürtzern Weg gefunden, das Gemüthe in eine angenehme Bewegung zu setzen/ n Fpr. 4,20 /Opitz hat solches in dem Gedichte an den berühmten Kunstmahler Strobel gar wohl angemercket/ n Fpr. 4,14

Zur Ausbildung des Satzrahmens

257

Ebenfalls in allen Landschaften kommen gelegentlich noch Einfachsätze mit einem P r ä dikat vor, dessen Bestandteile in Kontakt zueinander stehen. Ihre Zahl ist allerdings sehr gering; sie sind offenbar im Untersuchungszeitraum nicht mehr geläufig, omd. /sie ist unbarmherzig gegen die Eigensinnigeiv' ÜB!. 1, 53 oobd. /grausam ist gewest Herodes, welcher die gröste Tyranney geübt hat in die kleinste Kinder/ n Bi. 3,43 wobd. /alles ist fähig seine Augen zu weiden/ n Bi. 4,36 Zwischen den einzelnen Landschaften bestehen bestimmte Unterschiede im Gebrauch der Rahmenkonstruktion bei Einfachsätzen, die sich aus der Häufigkeit ihres Vorkommens ablesen lassen. So wurde für alle Landschaften bei der Verwendung der voll ausgebildeten Klammer unabhängig vom Typ ein Durchschnitt von 81,4 % - bezogen auf die Gesamtzahl aller Sätze, die die formalen Voraussetzungen für diese Konstruktion haben - ermittelt. Quellen aus dem Olsten des deutschen Sprachgebietes liegen durchweg höher; so weist das Schrifttum aus dem östlichen Mitteldeutschen einen Anteil von 85,9 % auf, das aus dem östlichen Oberdeutschen einen von 84,6 %. omd. /mit dem kleinen antheil des waysenhauses in Dero Bergwerken wollen wir uns leicht begnügen laßen/ n Br. 1,34 oobd. /der wind wirfft mir fast alle Abend mein Dach ein/ II Rq. 3,17 In Einfachsätzen aus Quellen der beiden anderen Sprachlandschaften, des Westmitteldeutschen und des Westoberdeutschen, ist die voll ausgebildete Klammer dagegen weniger häufig; hier weisen nur 77,3 % bzw. 77, 5 % diese Möglichkeit des Prädikatsaufbaus auf. wmd. /fürs Erste habe ich noch mein Lebtag keinen frommen Studenten gesehen/ n R o . 2,10 wobd.

/dann in meinem zehen=jährigen Alter hatte ich schon die prindpia in öbgemeldten maines Knaus Adelichen Exercitien begriffen/ n Ro. 4,11 Entsprechend diesen Proportionen verhält sich der Anteil von Sätzen mit den beiden anderen Konstruktionsmöglichkeiten, dem partiell ausgebildeten Rahmen oder Kontaktstellung der beiden Prädikatselemente; er ist im Schrifttum aus den östlichen Sprachlandschaften niedriger als in dem aus dem Westen. Dabei sind Unterschiede in der Verwendung von Einfachsätzen, deren Prädikatsteile auch formal eine Einheit bilden, zwischen den Landschaften unerheblich. - Aber auch innerhalb der einzelnen Gebiete ist die Bezeugung der vollen Rahmenkonstruktion und damit die der anderen 2 Möglichkeiten nicht überall gleich; hier weisen die Gattungen - darauf wird im nächsten Abschnitt eingegangen - Besonderheiten auf.

3.1.2. Aus allen 4 Gattungen, die einer Untersuchung unterzogen wurden, lassen sich Einfachsätze mit voll und partiell ausgebildetem Rahmen nachweisen, der entsprechend den eingangs beschriebenen Typen aus unterschiedlichen Elementen bestehen kann.

258 Brief

Joachim Schildt /insonderheit aber hat er Höchsterfreulich inliegend gefunden E. F.G. Hochlöbliches Bildnus von Gold gegossen/ EL Br. 3, 397 f.

/es ist von der Hochlöblichen Fruchtbringenden Geselschaft der Spielende mit einem Lobgedicht, unterschiedlichen Erinnerungen, Zweyen Bücheren und antwortschreiben begnadiget worden/ II Br. 3, 319 Roman /da haben wir gefressen wie die Schweine/ n Ro. lb, 44 /ich war nun schon 5 gantzer Jahr in Stockholm gewesen/ n Ro. lb, 41 /daher haben sie den bliebten Namen der Samariter angenommen, um ein Bildungs- gutes Vorurtheil für sich zu erwecken/ H Bi. 1, 43 schrift tum /wir werden mit den einlaufenden Briefen sehr behutsam umgehen/ II Bi. 1,11 Fach- /daher kan ein Liebhaber der Weißheit kein besser Buch, welches zu der prosa wahren Erkäntniß der Natur und seiner selbst führet, finden als die heilige Schrifft/ H Fpr. 1, 48 f. /solches muß man wiederum denen geheimen Absichten und Päbsüschen Politique zuschreiben/ II Fpr. 1, 9 In diesen Quellen begegnen auch Einfachsätze, denen trotz vorhandener formaler Möglichkeiten eine Klammer fehlt; hier stehen die Prädikatsteile in Kontakt miteinander. Die geringe Zahl von Belegen deutet darauf hin, daß dieses Satzmodell nicht mehr geläufig ist. Aus der Fachprosa konnte z. B. nur ein einziger Nachweis für die Kontaktstellung beider Prädikatsteile erbracht werden, und auch dieser Beleg ist nur bedingt heranzuziehen, da hier möglicherweise - entsprechend lateinischem Muster - die Konstruktion des sog. relativischen Anschlusses vorliegt, die meist eine für Nebensätze 19 typische Wortstellung nach sich zieht. Brief /die wohnung ist nicht avantageuse dort Vor teutsche fürstinen/ II Br. 2,29 Roman /daselbst/ £auf der Höhe des bergs] /seyn gestanden sieben Schulen/ ERo. 2,16 Bil/grausam ist gewest Herodes, welcher die gröste Tyranney geübt hat in die du g ? f " kleinste Kinder/ II Bi. 3,43 Schrifttum Fach- /dahero bey allen Under=Gerichten die Protocolla fleissig sollen gehalten . . . proea werde/ H Fpr. 3, 29 Geht man von einem Durchschnittswert von 81,4 % aus, den von allen Einfachsätzen die mit voll ausgebildeter Klammer ausmachen, so zeigt sich, daß sich auch die einzelnen Gattungen unterschiedlich in dieser Hinsicht verhalten. So liegen die Fachprosa und der Roman weit über diesem Durchschnitt, vor allem wieder - und das stimmt zu den Feststellungen aus sprachgeographischer Sicht - in den östlichen Gebieten. Der Anteil solcher Einfachsätze in Chr. Reuters "Schelmuffski" von 1696, der dem Ostmitteldeutschen zuzuordnen ist, beträgt z.B. 93,7%, und auch In H.A. v. Ziegler

Zur Ausbildung des Satzrahmens

259

und Klipphausens "Asiatischer Banise" von 1689, der aus derselben Landschaft stammt, ist er mit 89, 3 % nicht wesentlich niedriger. Ähnlich verhält es sich im Ostoberdeutschen, und zwar ebenfalls im Roman und in der Fachprosa. So haben in S. Khrayssers "Landrecht" von 1715, das die Fachprosa des Südostens vertritt, 96,2 % aller Einfachsätze eine voll aus gebildete Klammer. Roman /der feind hatte auch einige feld=stücke auf einen hügel gepflanzet/ omd HRo. la, 40 Fach- /desgleichen soll in Schmachklagen durch die Abschied in Summario ergangen oobda d e m verlustigten Thail an seinen Ehren biß zu Außtrag ordentlichen Richtens nicht benomen werden/ n Fpr. 3, 3 Der Durchschnittswert, der sich bei den Briefen ergibt, entspricht mit 81,1 % ungefähr dem Gesamtdurchschnitt; aber auch hier zeigt sich wieder, daß im Ostmitteldeutschen entstandene Briefe wie die von A. H. Franke mit 89,6 % einen weitaus höheren Prozentsatz von Sätzen mit voll ausgebildetem Rahmen haben als die aus anderen Gegenden Deutschlands. Brief /wir wollen ihm mit brüderlichem Trost nach aller möglichkeit Vinter die omd ' Arme greiffen/ n Br. 1,49 Im Unterschied zu diesen 3 Gattungen fällt der Durchschnittswert im Bildungsschrifttum mit 74,0 % weit Vinter den Gesamtdurchschnitt ab. Bil/da warff ich ihr diesen Ducaten alsbald zu/ n Bi. 2,26 dungsschrifttum Entsprechend den Anteilen, die Sätze mit voll ausgebildeter Klammer an der Gesamtzahl aller Einfachsätze mit klammerfähigem Prädikat in den einzelnen Werken oder in den Genres haben, verhält sich die Zahl von Sätzen mit partiell ausgebildetem Rahmen oder ohne diese Konstruktion. Sie liegt in den Romanen und in der Fachprosa niedriger als in den Briefen oder im Bildungsschrifttum, wo 26 % aller Einfachsätze trotz vorhandener formaler Möglichkeiten keine voll ausgebildete Klammer aufweisen, im Unterschied z. B. zur Fachprosa, wo es nur 14,7 % sind. 3.1.3. In der Zeit von 1670 bis 1730 stehen dem Schreiber bei der Gestaltung von Einfachsätzen, die ein zwei- oder mehrgliedriges Prädikat und damit die formalen Voraussetzungen für die Bildung einer Klammer besitzen, ebenso wie im 1. Zeitraum - vgl, dazu die Ausführungen unter 2.1.3. - 3 Muster zur Verfügung, die sich durch die Stellung des infiniten Prädikatsteils in seinem Verhältnis zum finiten unterscheiden. Faßt man die Ergebnisse aller Einzeluntersuchungen zusammen, so ergibt sich, daß 81,4 % aller Einfachsätze mit klammerfähigem Prädikat einen voll ausgebildeten Rahmen aufweisen; bei 17,9 % aller in den Quellenausschnitten vorkommenden einfachen Sätzen

260

Joachim Schildt

liegen partiell ausgeformte Klammern vor, und nur in 0,8 % der Fälle entscheidet sich der Schreiber für ein Modell, in dem trotz formaler Voraussetzungen keine Rahmenkonstruktion vorhanden ist. In diesen Verhältniszahlen spiegelt sich der Sprachgebrauch wider, der aus einem für diese Zeit repräsentativen Textkorpus gewonnen wurde. Gemessen an den genannten Durchschnittswerten existieren jedoch im Sprachgebrauch der einzelnen Landschaften und Gattungen Besonderheiten; d.h. daß die Sprachwirklichkeit wesentlich differenzierter ist, als es diese durchschnittlichen Zahlen zeigen. So weisen omd. und oobd. Quellen einen Anteil von Einfachsätzen mit voll ausgebildetem Rahmen auf, der über diesem Durchschnitt liegt, während im Westmitteldeutschen und Westoberdeutschen, wo dieses Modell offenbar weniger geläufig ist, der Prozentsatz je Landschaft niedriger ist. Auch die Gattungen verhalten sich in dieser Frage unterschiedlich. Fachprosa und Roman bevorzugen eindeutig dieses Satzmuster; davon zeugen die hohen Prozentzahlen für die Sätze mit voll ausgebildeter Klammer, die höher als der Durchschnitt sind. Im Bildungsschrifttum dagegen liegt ihr Anteil darunter, was den Schluß nahelegt, daß hier die Konkurrenz des Einfachsatzes mit partiell ausgeformtem Rahmen - Muster mit Kontaktstellung der Prädikatselemente spielen kaum eine Rolle - noch größer ist. Es wird deutlich, daß sprachgeographische und gattungsspezifische Faktoren wirksam werden, die den Charakter des Sprachgebrauchs bestimmen; die im Sprachsystem angelegten Möglichkeiten werden im Sprachusus nach Landschaft und Gattung z.T. unterschiedlich genutzt. Insgesamt sind diese Differenzen aber nicht erheblich; allen Sprachlandschaften und Genres ist gemeinsam ein starkes Überwiegen des Einfachsatzes mit voll ausgebildeter Klammer und eine sehr geringe Bezeugung eines Satzmusters, dessen Prädikatsbestandteile keine Distanzstellung aufweisen. 3.2. Zum Verhältnis von Satzstruktur und Sprachgebrauch Nach der Beschreibung von Stellungsgewohnheiten für die finite und die infinite Prädikatsform in Einfachsätzen, die Quellen aus der Zeit von 1670 bis 1730 entnommen sind, soll einigen zusätzlichen Fragestellungen nachgegangen werden, die inhaltlich-semantische Probleme wie auch formale Fragen der Stellung anderer Satzglieder betreffen. 3.2.1. Zur Stellung einiger Satzglieder im Einfachsatz In Einfachsätzen des Schrifttums, das in die Untersuchung einbezogen wurde, nimmt die finlte Verbform des Prädikats, das aus wenigstens 2 Elementen besteht, fast durchweg die 2. Position nach dem satzeinleitenden Glied ein. Die folgenden 4 Einfachsätze sollen stellvertretend für alle anderen dieser Art stehen. /nach sothanen versprechen, lösete Talmon das band der wunden auff/ URo. la, 21 /ich darff aber ahn die gutte pfaltz nicht gedencken/ n Br. 2,17

Zur Ausbildung des Satzrahmens

261

/allhier wird noch mehr von den Jüdischen hohen Schulen und von der Zucht der Studenten geredet/ II Ro. 2,21 /H. Homburg ist wegen seiner Gedichte sehr berühmt/ n Br. 3, 383 Es zeigen sich also weder aus der Sicht der Gattungen, denen die einzelne Quelle zuzuordnen ist, noch vom sprachgeographischen Standpunkt in dieser Frage irgendwelche Besonderheiten. Unter den 2162 analysierten Einfachsätzen findet sich lediglich 1 Beleg mit einem Satz aus dem "Landrecht" des S. Khraysser von 1715, in dem die Amte Verbform - in Kontakt mit dem infiniten Prädikatsteil - nicht die 2., sondern die 5. Position einnimmt; das macht einen Anteil von 0,04 % aus. Zur Interpretation dieses Beispiels vgl. die Ausführungen S. 258. /dahero bey allen Under=Gerichten die Protocolla flelssig sollen gehalten und auf Begehren der höhern Obrigkeit Exträct überschickt werde/ II Fpr. 3, 29 Offenbar ist die Zweitstellung der finiten Prädikatsform eine von allen Schreibern befolgte und allgemein anerkannte Grundregel für den Bau von Einfachsätzen. Ober die Stellung des infiniten Prädikatsteils, die Uber die Existenz einer Rahmenkonstruktion und ihres Charakters Auskunft gibt, ist in anderem Zusammenhang gehandelt worden. Wie im ersten Zeltraum soll wieder etwas Uber solche infiniten Teile des Prädikats ausgesagt werden, die aus 2 oder mehr Elementen bestehen; derartige Möglichkeiten ergeben sich meist, wenn sich das Gesamtprädikat aus einem Modalverb und einem Vollverb zusammensetzt und wenn dieses ein Geschehen oder Sein kennzeichnet, das aktivisch im Perfekt bzw. Plusquamperfekt abläuft oder im Passiv statthat. Sprachüblich ist die zum modernen Gebrauch stimmende Reihenfolge der Glieder, wie sie in den beiden folgenden Belegen deutlich wird. /man hatt sie schir dazu Zwingen Müßen/ n Br. 2,23 /von einer so liederlichen Glelßnerey habe ich mir niemalen träumen lassen/IIRo. 3,8 Nur ein einziges Zeugnis aus Grimmelshausens "Simplizissimus" ist beizubringen, in dem das Vollverb dem Modalverb in Gestalt des Ersatzinfinitivs folgt, /sie haben mir auch mein Sackpfelff wollen nemen/ n Ro. 4, 27 - Auch für die Stellung des Subjekts lassen sich gewisse Regelmäßigkelten aus dem Untersuchungsmaterial ablesen. Es nimmt in 95, 3 % aller analysierten Einfachsätze je nach der kommunikativen Absicht des Schreibers entweder die Position unmittelbar vor oder nach der finiten Prädikatsform ein; in den folgenden 2 Zeugnissen liegen diese beiden Möglichkeiten vor. / e r hat dir jetzo einen Puff ausgehalten/ n Bi. 2, 7 /endlich wurde der Edelmann von seinem Schultheissen zu Gevattern gebeten/ n Bi. 2,29

262

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Weder aus der Sicht der Landschaften, aus denen die einzelnen Quellen stammen, noch in Hinblick auf ihre Zugehörigkeit zu einer Gattung lassen sich in dieser Frage irgendwelche Besonderheiten feststellen; das gilt auch für die Einfachsätze, bei denen das Subjekt nicht an der 1, oder 3. Stelle steht. Vereinzelt finden sich nämlich Sätze in den untersuchten Quellen, bei denen das Subjekt an die 4. oder 5. Position gesetzt wird. So lassen sich 86 einfache Sätze - das sind 3,9 % aller Einfachsätze mit klam20

merfähigem Prädikat - nachweisen, deren Subjekte die 4. Position besetzen. Das folgende Beispiel aus Abraham a sancta Claras "Auf, auf ihr Christen... " von 1683 weist diese Erscheinung auf. /dazumahlen seynd vnweit der Stadt Tüllen über 6 tausend flüchtige Christen darunter sehr viel Religiösen von Wienn vnd anderen Orten den TUrcken in die Hand gerathen/ n Bi. 3,49 Ganz vereinzelt sind auch Sätze bezeugbar - von 2162 sind es 18, das entspricht einem Prozentsatz von 0,8 - bei denen der Schreiber von der Möglichkeit Gebrauch gemacht 21 hat, das Subjekt an die 5. Stelle zu setzen. Der folgende Abschnitt aus Chr. Thomasius' "Höchstnötigen Cautelen... " von 1713 soll diese Stellungsmöglichkeit illustrieren, deren Realisierung offenbar von der spezifischen Semantik des Prädikatsverbs abhängig ist. /also komt ohne Zweiffei denen Weisen die Wißenschaft solcher Dinge zu, die dem gantzen Menschlichen Geschlecht nützlich sind/ n Fpr. 1,2 - In der Regel steht auch die Position der Satznegation - meist /nicht/ oder seine landschaftlichen Varianten - in Einfachsätzen fest. In Sätzen, die infolge der Negation ihres Prädikats in ihrer Gesamtheit verneint sind, wird die Negationspartikel durchweg unmittelbar vor das 2. Klammerelement gesetzt; das trifft für Einfachsätze mit voll ausgeformtem Rahmen in gleicher Weise zu wie für Sätze mit partiell ausgebildeter Klammer; in den beiden folgenden Beispielen liegen diese Stellungsgewohnheiten für das Negationswort vor. /Ich Kans dem jetzigen Churfürsten nicht gut heißen so Einfältig In der religion Zu sein/ n Br. 2,40 /der Gezierte und Ansehnliche solten gleichfals diese Sache Zu befördern nicht unterlassen/ n Br. 3,398 In dieser Frage zeigen sich weder aus der Sicht der Landschaften noch der Gattungen irgendwelche Differenzierungen. - Für die meisten anderen Satzglieder - ausgenommen das Reflexivpronomen, das sich auch in dieser Zeit in der Regel der finiten Verbform unmittelbar anschließt läßt sich aus dem Untersuchungsmaterial keine Verbindlichkeit hinsichtlich einer bestimmten Stellung ablesen. Lediglich beim Akkusativobjekt zeigt sich, daß es bevorzugt unmittelbar vor das rahmenschließende Glied gesetzt wird, wie der folgende Ausschnitt aus dem Roman von H.A. v. Ziegler und Klipphausen "Die asiatische Banise" von 1689 deutlich macht.

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/mit einer hand setzet ihr mir zwey cronen auff, und mit der andern raubet ihr mir die dritte/ n Ro. la, 35 Das könnte - genau wie im gegenwärtigen Deutsch - damit zusammenhängen, daß auch im Untersuchungszeitraum dieser Stelle ein besonderer Wert von der Mitteilungsabsicht her zukommt und daß diese daher oft mit Satzgliedern wie dem Akkusativobjekt besetzt ist, das als sinnotwendige Ergänzung gegenüber anderen einen solchen besitzt. 3.2.2.

Zur Zahl der Glieder innerhalb und außerhalb des Rahmens

3.2.2.1. Zur Zahl der Glieder innerhalb des voll ausgebildeten Rahmens Im Untersuchungszeitraum herrschen bei den Einfachsätzen mit voll ausgebildetem Rahmen Sätze vor, in deren Klammer 2 Satzglieder stehen. Ihr Anteil an der Gesamtzahl aller Einfachsätze mit voll ausgeformter Klammer liegt durchweg über 40 %; e r beträgt bei den einzelnen Gattungen zwischen 41, 9 % und 46,0 %, bei den Landschaften zwischen 40,6 % und 48,4 %. Bei diesem Satzmuster, für das nachfolgend 2 Beispiele angeführt werden, bestehen damit weder aus der Sicht der Landschaft noch der Gattung irgendwelche nennenswerten Besonderheiten. /der Graf von Erbach zu Fürstenau hat umb ainen Informatoren für seinen jungen Herrn und künftigen Hoff-Diaconum gebeten/ n Br. 1,39 /die pfaffen Können Nie ohne Zanck bleiben/ II Br. 2,19 Einfachsätze mit 1 oder 3 Gliedern innerhalb der Klammer halten sich in den untersuchten Quellen zahlenmäßig ungefähr die Waage. Zwischen den einzelnen Landschaften sind in dieser Hinsicht keine Unterschiede zu verzeichnen. Betrachtet man jedoch die Gattungen, so fällt ein besonders hoher Anteil von Sätzen mit 3 Gliedern innerhalb der 22

Klammer in der Fachprosa aller Landschaften auf. Während in allen Gattungen solche Sätze im Durchschnitt 26,9 % aller Einfachsätze mit voll ausgebildetem Rahmen ausmachen, liegt der Prozentsatz in der Fachprosa bei durchschnittlich 33, 5 %. Offenbar ist dieser Befund im Zusammenhang mit der didaktischen Grundhaltung der Aufklärung einerseits, mit dem Fortschritt der Wissenschaften, speziell der Fachwissenschaften andererseits zu sehen. Die Fachprosa dient der ausführlichen Belehrung, Aufklärung und Information; das wiederum hat dann die Wahl solcher Satzmuster zur Folge, die hierfür besser geeignet sind als kürzere mit 1 oder 2 Gliedern Klammerinhalt. Der folgende Ausschnitt aus J. J. Breitingers "Critischer Dichtkunst" von 1740 zeigt einen solchen Einfachsatz. /dieses hat Virgil im sechsten B. der Eneis v. 145 dergestalt ausgedrücket/ II Fpr. 4,42 Sätze mit mehr als 3 Gliedern, die von den Prädikatsteilen umschlossen werden, sind selten. 23 Sie machen 5,8 % aller Einfachsätze mit voll ausgeformtem Rahmen aus.

264

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/ s o wird gewiß dessen hoffnung von ihnen mit einem erwünschten aus gange beseliget werden/ n Ro. la, 26 24 Genau wie bei Sätzen, deren Klammerelemente 5 Satzglieder umfassen - ihr Anteil ist sehr gering und liegt unter 1 % - lassen sich bei diesem Satzmuster weder aus der Sicht der Gattungen noch der Landschaften irgendwelche Besonderheiten feststellen. Der folgende Beleg aus der "Asiatischen Banise" von H.A. v. Ziegler und Klipphausen aus dem Jahre 1689 ist eine der wenigen Beispiele für einen Einfachsatz, dessen P r ä dikatsteile 5 Satzglieder wie eine Klammer umfassen. /du habest dich dann durch wOrckliche räche an ihren funden sattsam um sie verdienet gemacht/ n Ro. la, 11 3.2.2.2. Zur Zahl der Glieder im partiell ausgebildeten Rahmen Bei Einfachsätzen mit partiell ausgebildetem Rahmen überwiegen eindeutig Sätze mit 2 Gliedern Klammerinhalt; ihr Anteil an allen Sätzen dieser Art beträgt im Durchschnitt 47,1 %. Die folgenden 2 Beispiele weisen diese Erscheinung auf. /bißhero hat es viel tausend Creutz ausgestanden durch lauter Krieg/ n B l . 3,29 /in einer Zeit von 14 Tagen sollen Sie den dritten Abschnitt meiner philophischen Unterredungen haben, den ich morgen anfangen will/ n Br. 4,44 Hier zeigen sich zwischen den einzelnen Gattungen kaum nennenswerte Unterschiede. Ähnlich verhält es sich bei Einfachsätzen, deren Rahmen 1 Glied umfaßt; sie machen im Durchschnitt 34,6 % aller entsprechenden Konstruktionen aus. /ein Amtmann wird hart gestraffet wegen seiner mißbrauchten Gewalt/ HRo. 2,43 / e r könnte tausend Vollkommenheiten wirken, die er aber selbst nicht braucht/ n Bi. 1,37 In dieser Frage liegen die Briefe mit 38,8 % erheblich darüber; offenbar wird hier doch die Vorliebe dieser Gattung für einfachere Satzmodelle deutlich. - Auch Einfachsätze, deren partiell ausgebildete Klammer 3 Glieder umschließt, sind aus allen Gattungen bezeugbar. /diesen lang geschwaufften Comet haben wir in Oesterreich, Steyermarck vnd anderen benachbarten Ländern zum erstenmahl gesehen an dem Fest= Tag deß H. Ertz=Martyris Stephania/ II Bi. 3, 26 /im Anfang ist er ohn Zweiffei in grossen Gnaden gewesen bey Herren und Knechten/ H Bi. 2,30 Obgleich Roman und Bildungsschrifttum mit 15,9 und 15,1 % über einem Durchschnitt von 11,9 % liegen, lassen sich daraus wohl noch keine gattungsspezifischen Besonderheiten ablesen. Diese werden deutlicher erkennbar bei Satzmodellen, deren partiell ausgebildeter Rahmen 4 oder 5 Satzglieder enthält. Beispiele für 4 Satzglieder - der

Zur Ausbildung des Satzrahmens

265

Durchschnitt beträgt 5, 2 % - sind zwar noch aus allen Gattungen beizubringen. Aber In den untersuchten Briefen Ist dieser Fall sehr selten (0,9 %); da Satzmuster mit 5 Gliedern innerhalb der partiell ausgeformten Klammer in diesem Genre - genau wie im Roman - überhaupt nicht nachzuweisen sind, liegt die Vermutung nahe, daß auf jeden Fall für Briefe, bedingt aber auch für den Roman, die einfacheren Satzmuster typisch sind. Im Gegensatz dazu steht das Bildungsschrifttum und die Fachprosa. Im letztgenannten Genre befinden sich bei 11,9 % aller entsprechenden Einfachsätze 4 25 Glieder im partiell ausgebildeten Rahmen , und hier - wie im Bildungsschrifttum 26

sind auch Modelle mit 5 Satzgliedern innerhalb der Rahmenkonstruktion bezeugbar. /darum will ich vorsetzlich die Wahl auf solche Exempel richten, die mehr bei mir einen schlimmen Geschmack und schlechtes Urtheil als bey dem Poeten einen Mangel an Kunst entdecken konnten/ n Fpr. 4, 37 f. /In der ersten Reise bin ich mit Gefahr Leibs und Lebens per varias ambages über 250 Meilen zu Fuß gangen biß nach Königsberg in Preussen/ II Bi. 2,22 Für beide Gattungen ist eine detaillierte sachliche Information typisch; entsprechend werden hier Satzmur ter gewählt, die einer solchen Aufgabenstellung entgegenkommen und ihr angemessen sind. - Aus der Sicht der Landschaften lassen sich in der Frage des Klammerinhalts keinerlei Besonderheiten feststellen. 3.2. 2.3. Zur Zahl der Glieder außerhalb des partiell ausgebildeten Rahmens Unter den Einfachsätzen mit partiell ausgeformtem Rahmen überwiegen in allen in die Untersuchung einbezogenen Quellen Muster, bei denen 1 Satzglied dem 2. Klammerelement folgt; sie machen 93,7 % aller entsprechenden Konstruktionen aus. Der folgende Ausschnitt aus dem "Geselligen", einer moralischen Wochenschrift, zeigt diese Möglichkeit des Aufbaus eines Einfachsatzes. /die Thiere sind nicht zu einem so hohen Grade der Vollkommenheit bestimmt als die Menschen/ n Bi. 1,35 Wesentlich seltener - im Durchschnitt 4,9 % - begegnen Satzmodelle mit klammerfähigem Prädikat, dem 2 Satzglieder angeschlossen werden. /dorten kan man auch unverhindert beweinen alle Sünden, Uber welche wir so sehr betrübet werden/ II Ro. 3,13 Während sich die Zahl der Belege aus den Briefen, Romanen und dem Bildungsschrifttum prozentual die Waage halten, liegt die Fachprosa mit einem Anteil von 7,1 % sol27 eher Sätze über diesem Durchschnitt. Hier scheint eine Eigenheit des Sprachstils der Fachprosa vorzuliegen, deren Aufgabe es ist, ein hohes Maß an sachlicher Information in kurzer und knapper Form zu bieten. Entsprechend dieser Aufgabe werden solche Satzmuster gewählt, die das gewährleisten. Was wegen Überlastung innerhalb des Rahmens keinen Platz findet, wird dem 2. Prädikatsteil reihend nachgestellt. Das werden

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266

auch die Gründe dafür sein, daß 3 Glieder außerhalb der Klammer nur im Bildungs28

Schrifttum und wiederum in der Fachprosa begegnen , während aus Briefen und Romanen solche Zeugnisse nicht beizubringen sind. Allerdings ist der Anteil solcher Sätze an der Gesamtzahl der Einfachsätze mit partiell ausgebildetem Rahmen mit 1,4% insgesamt sehr niedrig. /solcher hat zu Straßburg heraus gegeben An. 1512 ein Buch in Teutschen Versen, welches II Fpr. 2,15 Aus landschaftlicher Sicht zeigen sich in dieser Frage keine erwähnenswerten Besonderheiten. 3.2.3. Zur Art der Glieder außerhalb des partiell ausgebildeten Rahmens Außerhalb des partiell ausgebildeten Rahmens, im Anschluß an das 2. Klammerglied, können mit Ausnahme der satzgründenden finiten Verbform alle Arten von Satzgliedern stehen, Subjekte mit Ausnahme von Pronomina, Objekte, sofern sie keine Reflexivpronomina sind, präpositionale Adverbialbestimmungen und Attribute aller Art. Die Form, in der diese Bauelemente von Einfachsätzen auftreten, ist unterschiedlich; sie begegnen sowohl als durch Substantive oder Wortgruppen repräsentierte Satzglieder als auch als nebensatzähnliche Wortgruppen wie Infinitiv- und Partizipialkonstruktionen oder auch als Pronominal- und Konjunktionalsätze. Für jede der auftretenden Möglichkeiten wird nachfolgend ein Beispiel angeführt. Subjekt /deßwegen stehet auf diesem voran No. n. / II Br. 1,49 f. /also hat es demselben auch vor ietzo beliebet auf einer selten den thron von Ava in einen sarg . . . zu verwandeln/ n Ro. la, 53 Objekte im Genitiv kein Beleg /ich hab dich unterdessen recommendiert dem Herrn, welcher den Mosen . . . wunderlich hervor gezogen hat/ II Bi. 2, 24 /insonderheit aber hat er Höchsterfreulich inliegend gefunden E. F. G. Hochlobliches Bildnus von Gold gegossen/ n Br. 3, 397 f. /es wird allezeit einerley Comoedi agert von anderen Personen/ II Bi. 2,20 /er hatte mir versprochen, mir gleich Zu antwortten/ n Br. 2,47 Adverbialbestimmungen Lokal /er [Gott] ist daheim an unserer Stubentür gestanden auff dem Helgen/HRo. 4,26 Temporal /die machten mich nun ganz fertig das halbe Jahr über/ II Ro. lb, 71 Kausal /so han ich iß gelassen vmb sunderlich Sach/ n Fpr. 2, 22 /Sambstag fuhr Ich umb 8 morgendts hir weg 5 meil von hir den wolff Zu jagen/ n Br. 2, 20

Zur Ausbildung des Satzrahmens

267

Modal

/also gieng meine Mehr mit mir dahin in einem stetigen Trab wie das Primum mobile biß in meines Knans Hof/ II Ro. 4,16 Attribut /da wurde ich eines grossen Manns gewahr in langen schwartzgrauen Haaren/ II Ro. 4,22 /in solcher Angst winkte ich mit meiner Sackpfeiff herfür, welche ich als meinen einigen Schatz noch vor den Reutern salvirt hatte/ II Ro. 4, 22 / s o wollen wir die mühsame Sorge über uns nehmen, uns um seine ganze Wirtschaft zu bekümmern/ II Bi. 1,45 /die [Männer] seynd so auff Dingern gesessen groß wie Ochsen/ II Ro. 4, 27 / e r wolt ihn aber gleichwol nicht tractiren wie einen gemeinen Bauer= Jungen/ II Bi. 2, 29 Besonders häufig folgen dem 2. Klammerglied in den Einfachsätzen der in die Untersuchung einbezogenen Quellen Attribute, vor allem in Form von Pronominalsätzen, Infinitivkonstruktionen und Vergleichen. Sieht man von der zuletzt genannten Art einmal ab, so sind im Durchschnitt 43,1 % aller außerhalb des Rahmens stehenden Satzglieder - die satzeinleitende Position natürlich ausgenommen - Attribute; in dieser Frage ist der Befund aus den 4 Gattungen ähnlich. Der Prozentsatz erhöht sich noch um 8,9 %, wenn alle dem Vergleich dienenden attributiven Glieder hinzugezählt werden; auch hier ergeben sich für das jeweilige Genre keine Besonderheiten. Damit haben über 50 % aller Satzglieder, die in Einfachsätzen dem infiniten Prädikatsteil angeschlossen werden, attributive Funktionen. Es folgen nach der Häufigkeit präpositional angeschlossene Objekte, die 12, 7 % aller Glieder ausmachen, die dem 2. Klammerelement nachgestellt sind; auch in dieser Hinsicht verhalten sich die Gattungen ähnlich. Fast gleichauf mit dieser Form von Objekten liegen Kausalbestimmungen in Gestalt von Infinitivkonstruktionen mit 11,1 %; kausale Ergänzungen in Form von Substantiven und substantivischen Wortgruppen spielen kaum eine Rolle, sie würden den prozentualen Anteil um 1,8% erhöhen. Bei den kausalen Infinitivkonstruktionen, unter denen Finalbestimmungen dominieren, lassen sich einige Unterschiede zwischen den Gattungen feststellen; so liegen Briefe und Romane mit 14, 0 % und 18,6 % über diesem Durchschnitt und das Bildungsschrifttum sowie die Fachprosa mit 7,8 % und 4, 0 % darunter. Es fällt jedoch schwer, daraus gattungsspezifische Kennzeichen abzuleiten; hier mag doch der individuelle Stil des einzelnen Autors mit eine Rolle für diesen Befund gespielt haben. Etwas anders könnte das Untersuchungsergebnis bei Subjekten interpretiert werden, die an die infinite Prädikatsform angeschlossen sind. Während im Durchschnitt nur 3, 3 % der Subjekte dem 2. Klammerglied nachgestellt sind, ist dieser Prozentsatz allein in den Briefen aller Landschaften mit 8, 4 % erheblich höher; gerade hier wird also besonders häufig von der allgemein anerkannten und befolgten Regel ab29 gewichen, das Subjekt an die 1. oder 3. Stelle im Satz zu setzen. Das läßt auf eine

268

Joachim Schildt

Vorliebe für eine Individuelle, der kommunikativen Absicht angepaßte Ausgestaltung vorhandener Grundmuster besonders in den Briefen schließen; hier tritt der Individualstil deutlicher als anderswo zutage. Satzmodelle, in denen andere Satzglieder dem 2. Klammerglied folgen, sind nur gering bezeugt und haben hinsichtlich ihres Anteils an der Gesamtzahl der Nachstellungen kaum eine Bedeutung. - Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Herkunft einer Quelle und damit der sprachgeographische Aspekt in der Frage des Anschlusses von Satzglledern, adjektivischen Pronominalsätzen und nebensatzähnlichen Wortgruppen keine Rolle spielt; zwischen den einzelnen Landschaften bestehen keine nennenswerten Unterschiede. Ähnliches gilt auch aus der Sicht der Gatttingen, obgleich sich hier - wie beim Subjekt - gewisse Differenzierungen von Genre zu Genre in Einzelfragen abzeichnen. Im großen und ganzen liegt damit in dieser Frage im gesamten deutschen Sprachgebiet ein relativ einheitlicher Sprachgebrauch vor. Unter den 409 Satzgliedern, die der Klammer in den in die Untersuchung einbezogenen Einfachsätzen nachgestellt sind, befinden sich 315 (= 79, 5 %), die weder unter strukturellen noch semantischen Aspekten für den Bestand dieser Einfachsätze erforderlich sind. Das legt den Schluß nahe, "daß ein Zusammenhang zwischen der Valenz des das Geschehen charakterisierenden Verbs, das den strukturellen Kern des Satzes bildet, und der Stellung der Satzglieder besteht. Die Mehrzahl solcher Glieder im Satz, die strukturell oder semantisch für den Bestand des Einfachsatzes unbedingt notwendig sind, nimmt eine Position innerhalb der Klammer ein; wenn dagegen Glieder dem 2. Rahmenelement nachgesetzt werden, so sind es überwiegend freie Ergänzungen. Der allgemein anerkannte Sprachgebrauch und damit der Normalfall wären also Einfachsätze mit partiell ausgebildetem Rahmen, dem keine semantis ch-strukturell notwendigen Glieder folgen. Erfolgt das doch - in dieser Untersuchung bei 20,5 % so könnte eine individuelle Ausformtmg anerkannter Satzmuster gegeben sein, die unterschiedlich motiviert sein kann.

Zur Ausbildung des Satzrahmens

270

Joachim Schildt

Übersicht über den Umfang der Exzerption 1670 - 1730 n.

n.

ii

n.

Br.

1

50 Seiten

Ro.

la

50 Seiten

Ro. Bi. Fpr.

lb 1

60 Seiten 55 Seiten

1

75 Seiten

Br.

2

Ro. Bi.

40 Seiten 50 Seiten 50 Seiten

Fpr.

2 2 2

Br.

3

70 Seiten

Ro. Bi.

3 3

50 Seiten 50 Seiten

Fpr.

3

50 Seiten

Br.

4 4

50 Seiten

4

50 Seiten 50 Seiten

Ro. Bi. Fpr.

4

50 Seiten

50 Seiten

Zur Ausbildung des Satzrahmens 4.

271

Vergleich der untersuchten Zeiträume

4.1. Zur Entwicklung des Sprachgebrauchs Sowohl in der Zeit von 1470 bis 1530 als auch von 1670 bis 1730 sind bei Einfachsätzen, deren Prädikat mindestens aus 2 Elementen besteht, 3 Arten der Stellung dieser Prädikatsbestandteile zueinander möglich. Sie können in Kontakt zueinander stehen, so daß es trotz der formalen Voraussetzungen zu keiner Klammerbildung kommt. Bei Distanzstellung der finiten und infiniten Prädikatsform liegt ein partieller oder ein voll ausgebildeter Satzrahmen vor. Damit stehen in beiden Zeiträumen 3 Satzmuster zur Verfügung, zwischen denen je nach Mitteilungsabsicht gewählt werden kann. Die Prädikate solcher Einfachsätze können zu beiden Zeiten - auch hier existieren keine grundsätzlichen Unterschiede - aus folgenden lexikalischen Elementen bestehen: - Grundverb + Präfix oder Kompositionsglied - Modalverb + Infinitiv - Hilfsverb + Partizip Perfekt - Hilfsverb +. Adjektiv In beiden Zeiträumen steht damit das gleiche sprachliche Inventar bereit, dessen man sich bedienen kann. Unterschiede zeigen sich jedoch in der Häufigkeit des Gebrauchs der einen oder anderen strukturellen Möglichkeit. Das weist die folgende Gegenüberstellung axis: Tabelle 3

1470-1530 1670-1730

voll ausgebildet

partiell ausgebildet

ohne Rahmen

68,1 81,4

22,4 17,9

9,4 0,8

Danach nimmt der Anteil von Sätzen mit voll ausgeformtem Rahmen, gemessen jeweils an der Gesamtzahl aller exzerpierten Einfachsätze, die die formalen Voraussetzungen für diese Erscheinung bieten, um 13, 3 % zu. Rückläufig dagegen ist die Tendenz bei Satzmustern mit partiell ausgebildeter Klammer; sie gehen anteilmäßig um 4, 5 % zurück. Noch größer ist die Abnahme des Prozentsatzes von Einfachsätzen, deren P r ä dikatselemente in Kontakt zueinander stehen und die damit trotz vorhandener formaler Möglichkeiten keinen Rahmen besitzen; er beträgt 8, 6 %. Damit zeichnet sich eindeutig eine Tendenz zur Zunahme von Einfachsätzen mit voll ausgebildeter Klammer und eine Reduzierung der Verwendung der beiden anderen Satzmuster ab.

272

Joachim Schildt

4.1.1. In der Frage des zur Verfügung stehenden sprachlichen Inventars bestehen zwischen den in die Untersuchung einbezogenen Landschaften beider Zeiträume keine nennenswerten Unterschiede; in allen Landschaften sind Einfachsätze mit Kontakt- und Distanzstellung der Prädikatselemente vorhanden, d. h. es finden sich sowohl Sätze mit voll oder partiell ausgeformter Klammer als auch solche ohne diese Erscheinung. Ebenfalls aus allen Sprachlandschaften sind die 4 Möglichkeiten der semantischen Besetzung bezeugbar, wie sie voranstehend beschrieben werden. Unterschiede zwischen den beiden Zeiträumen zeigen sich jedoch in der Häufigkeit des Gebrauchs in den einzelnen Landschaften; das macht folgende Gegenüberstellung deutlich: Tabelle 4 omd.

wmd.

oöbd.

Rahmen

voll

part.

ohne

voll

part.

ohne

voll

part.

ohne

1*70-1530 1670-1730

71,7 85,9

15,5 14,0

13,4 0,2

62,2 77,3

27,8 21,8

8,0 0,9

65.5 84.6

28,2 14,0

6,2 1,4

nd.

wobd.

Durchschnitt

Rahmen

voll

part.

ohne

voll

part.

ohne

voll

part.

ohne

1470-1530 1670-1730

70,7 77,5

18,9 21,9

10,4 0,6

69,0 -

21,8 -

9,2 -

68,1 81,4

22,4 21,9

9,4 0,6

Im 1. Zeitraum liegen das Ostmitteldeutsche, aber auch das Westoberdeutsche und das Niederdeutsche in der Verwendung des Musters mit voll ausgebildetem Rahmen über dem Durchschnitt, während die beiden anderen Landschaften diesen durchschnittlichen Wert nicht erreichen. Im Vergleichszeitraum finden sich wieder das Ostmitteldeutsche und - im Unterschied zum vorangehenden - das Ostoberdeutsche im Gebrauch von Einfachsätzen mit voll ausgeformter Klammer an der Spitze, während Quellen aus den anderen Sprachlandschaften unterhalb des Durchschnittswertes rangieren. In der Tendenz nimmt der Anteil von solchen Satzmustern vom ersten zum zweiten Zeitraum überall zu, während die'beiden anderen Möglichkeiten - besonders die Zahl der Einfachsätze mit Kontaktalellung der Prädikatsteile - zahlenmäßig zurückgehen. Dieser Grundprozeß wird differenziert durch das unterschiedliche Verhalten der Landschaften; um 1700 wird in den Sprachlandschaften des Ostens das Modell des Einfachsatzes mit voll ausgeprägtem Rahmen weitaus häufiger gebraucht als in denen des Westens.

Zur Ausbildung des Satzrahmens

273

4.1.2. In den in die Untersuchung einbezogenen Gattungen beider Zeiträume finden sich unter den Einfachsätzen mit zwei- oder mehrgliedrigem Prädikat sowohl solche mit als auch ohne Rahmen; diese Prädikate können aus den einleitend beschriebenen Elementen bestehen. Die Autoren aller Quellen, die jeweils bestimmte Gattungen repräsentieren, verfügen also über dieselben sprachlichen Mittel. Unterschiede zeichnen sich jedoch in der Häufigkeit der Verwendung zwischen den einzelnen Gattungen eines Zeitraumes und zwischen den beiden Zeitabschnitten ab. Das weisen die beiden folgenden Übersichten aus. (Tabelle 5 S. 274) Charakteristisch ist für die Verteilung im ersten Zeitraum, daß die Flugschriften einen weit über dem Durchschnitt liegenden Wert für Einfachsätze mit voll ausgebildeter Klammer aufweisen, während er in den Werken der Fachprosa durchweg sehr niedrig ist. Im Vergleichszeitraum stehen in dieser Frage Roman und Fachprosa an der Spitze, während der Anteil solcher Satzmuster im Bildungsschrifttum relativ gering ist. Insgesamt gesehen liegt der Prozentsatz von Einfachsätzen mit voll ausgeformtem Rahmen in Quellen des 2. Zeitraums durchweg höher als bei denen um 1500; das weist insbesondere die Fachprosa aus, in der im 1. Zeitraum der Einfachsatz mit voll ausgeprägter Klammer nur zu 47,3 % im Gebrauch war, um 1700 jedoch zu 85,4 %. Trotz dieser allgemeinen Tendenz ist die Verwendung nicht überall gleich; sie kann je nach Zugehörigkeit eines Werkes zu einer bestimmten Gattung unterschiedlich sein. 4.1.3. Um 1730, gegen Ende des 2. Untersuchungszeitraums, stehen, wenn man von der geringen Zahl von Einfachsätzen mit zweigliedrigem Prädikat, dessen Elemente in Kontakt zueinander stehen, absieht, 2 Muster zur Verfügung, der Einfachsatz mit voll ausgebildetem und der mit partiell ausgeformtem Rahmen. Mit einem Anteil von durchschnittlich 81,4 % aller Einfachsätze überwiegt das Modell mit voll ausgeprägtem Rahmen gegenüber seinem Konkurrenten mit 17,9 %; es hat seit dem 16. Jh. zahlenmäßig in den einzelnen Werken zugenommen. Der Sprachgebrauch ist jedoch am Anfang des 18. Jhs. keinesfalls überall gleich; er ist je nach Gattung und Sprachlandschaft differenziert. 4.2.

Zum Verhältnis von Satzstruktur und Sprachgebrauch

4.2.1. Zur Stellung einiger Satzglieder im Einfachsatz In Einfachsätzen mit zwei- und mehrgliedrigem Prädikat, die die Voraussetzungen für die Bildung eines Rahmens mitbringen, steht die finite Verbform in beiden Zeitabschnitten, die für die Untersuchung ausgewählt worden sind, im allgemeinen an 2. Stelle; 99,1 % aller analysierten Einfachsätze weisen in beiden Untersuchungszeiträu-

274

Joachim Schildt

Zur Ausbildung des Satzrahmens

275

men diese Stellung aus. Daraus ergibt sich, daß in dieser Frage bereits um 1500 der moderne Stand erreicht ist. Es lassen sich auch keinerlei Modifizierungen in einzelnen Gattungen oder aus der Sicht der Sprachlandschaften nachweisen. Im Unterschied dazu zeigt sich beim infiniten Prädikatsteil, der aus 2 oder mehr Elementen besteht,' hinsichtlich deren Stellung zueinander eine deutliche Entwicklung; untersucht wurden speziell aus Modal- und Vollverben zusammengesetzte Prädikate, die ein passives Geschehen oder ein aktivisches im Perfekt oder Plusquamperfekt bezeichnen. Um 1500 steht die dem modernen Sprachgebrauch gemäße Möglichkeit gleichberechtigt neben der Variante, in der das Vollverb dem Partizip bzw. Ersatzinfinitiv des Modalverbs folgt. Um 1700 hat sich dagegen der Sprachusus so verschoben, daß diese letztgenannte Stellungsvariante nur noch gelegentlich begegnet; der moderne Stand mit der Abfolge Vollverb-Partizip/Ersatzinfinitiv ist erreicht. - Ein ähnlicher Befund wie für die finite Verbform ergibt sich hinsichtlich der Stellung des Subjekts in Einfachsätzen mit klammerfähigem Prädikat. In beiden Zeiträumen nimmt das Subjekt in der Regel die 1. oder 3. Position ein; das zeigt die folgende Übersicht: Tabelle 6 1. oder 3. Position 1470-1530 1670-1730

95,6 95, 3

4. oder 5. Position 4,4 4,7

Auch in dieser Hinsicht unterscheiden sich die Sprachgewohnheiten des 16. und 18. Jhd. kaum von denen der Gegenwart. Im Gegensatz zur finiten Prädikatsform, deren Stellung festgelegt ist, besteht jedoch beim Subjekt die grundsätzliche Möglichkeit, je nach den Kommunikationsabsichten variabel zu verfahren. Auch hier verhalten sich die Gattungen aller Landschaften ähnlich; sie weisen keinerlei Besonderheiten auf. - Die den gesamten Einfachsatz negierende Partikel steht in beiden Vergleichszeiträumen unmittelbar vor dem rahmenschließenden Glied, und zwar sowohl bei Sätzen mit partiell als auch mit voll ausgebildeter Klammer. Für die gesamte Zeit lassen sich weder landschaftliche noch gattungsmäßige Differenzierungen feststellen. Bereits zu Beginn des 16. Jhs. hat sich also in dieser Frage ein Sprachgebrauch durchgesetzt, wie er auch für das moderne'Deutsch kennzeichnend ist. - Für das Akkusativobjekt läßt sich aus dem Untersuchungsmaterial ablesen, daß es häufig bei Sätzen mit voll oder partiell ausgebildeter Klammer unmittelbar vor das rahmenschließende Glied gesetzt wird; diese Stelle wird offenbar bevorzugt von Satzgliedern eingenommen, die in einer besonders engen semantischen Beziehung zum Geschehen stehen, damit für das Verständnis des Satzes unbedingt notwendig sind und denen daher, von der kommunikativen Absicht her gesehen, besonderes Gewicht zukommt. Auch hier zeichnet sich bereits um 1500 - Unterschiede zwischen beiden Zeiträumen sind nicht feststellbar - ein Gebrauch

276

Joachim Schildt

unabhängig von Zugehörigkeit einer Quelle zu einer bestimmten Landschaft oder Gattung ab, wie er auch heute üblich ist. - Für andere Satzglieder, mit Ausnahme des Reflexivpronomens, das damals wie heute unmittelbar der finiten Verbform folgt, lassen sich in den beiden Untersuchungszeiträumen keine besonderen Gewohnheiten für die Stellung aus dem Material ablesen. - Insgesamt kann damit festgestellt werden, daß bereits um 1500 für die finite Verbform, das Subjekt und das Akkusativobjekt ähnliche Regeln für deren Stellung in Einfachsätzen mit klammerfähigem Prädikat gelten wie in der Gegenwart; die Zugehörigkeit der einzelnen Quelle zu einer bestimmten Sprachlandschaft oder Gattung ist dabei weitgehend ohne Bedeutung. 4.2.2.

Zur Zahl der Glieder innerhalb und außerhalb des Rahmens

4.2.2.1. Zur Zahl der Glieder innerhalb des voll ausgebildeten Rahmens Folgende Übersicht weist aus, wieviel Satzglieder innerhalb der voll ausgeformten Klammer von Einfachsätzen stehen können, die Quellen der beiden Untersuchungszeiträume entnommen sind. Tabelle 7 Satzglieder

1

2

3

4

5

1470-1530 1670-1730

40,3 22,7

40,9 44,1

14,9 26,8

3,9 5,8

0,3 0,7

Während im 1. Zeitraum Einfachsätze dominieren, deren Rahmen 1 oder 2 Glieder umfaßt, werden 200 Jahre später Satzmuster mit einem Klammerinhalt von 2 und 3 Satzgliedern bevorzugt. Aus dieser Gegenüberstellung wird deutlich, daß in der Zeit von 1470 bis 1730 eine Tendenz besteht, daß in Einfachsätzen mit voll atisgeprägter Klammer die Zahl der Satzglieder und damit in der Regel auch der Umfang der Einfachsätze zunimmt. Bezieht man alle innerhalb eines Zeitraumes zur Verfügung stehenden Möglichkeiten in die Betrachtung ein, so zeichnen sich hier Differenzierungen des Sprachgebrauchs nach Gattungen ab. In der Zeit von 1470 bis 1530 werden Satzmuster mit 4 oder 5 Gliedern Klammerinhalt - wenn überhaupt - fast ausschließlich in Reisebeschreibungen und Chroniken benutzt; in Volksbüchern und der Fachprosa überwiegen dagegen Einfachsätze, deren Klammerelemente 1 oder 2 Satzglieder umschließen. Im Vergleichszeitraum dagegen ist es gerade die Fachprosa, in der besonders viel Sätze mit 3 Gliedern Klammerinhalt begegnen; offenbar hat sich gerade in dieser Gattung im Laufe der 200 Jahre ein bedeutsamer Wandel vollzogen, in dessen Ergebnis um 1700 - Ausdruck sowohl einer didaktischen Grundhaltung dieser Zeit als auch des Fortschritts der Wissenschaften - umfangreichere Sätze typisch geworden sind, die es ermöglichen, innerhalb eines Satzes ein höheres Maß an Information zu vermitteln. Insgesamt zeigt sich,

Zur Ausbildung des Satzrahmens

277

daß der Charakter der Gattung Einfluß auf die Wahl mehr oder weniger umfangreicher Satzmuster hat. 4.2. 2.2. Zur Zahl der Glieder innerhalb des partiell ausgebildeten Rahmens Aus der folgenden Tabelle läßt sich entnehmen, wie groß die Zahl der Satzglieder in Einfachsätzen aus Quellen beider Zeiträume sein kann, die innerhalb einer partiell ausgeformten Klammer stehen. Tabelle 8 Satzglieder

1

2

3

4

5

1470-1530 1670-1730

61,7 34,1

29,7 47,2

7,3 11,9

1,1 5,2

0,1 1,5

Während im 1. Zeitraum Einfachsätze mit 1 Glied innerhalb des partiell ausgeformten Rahmens besonders beliebt sind, zeigt sich um 1700, daß jetzt Satzmuster mit 2 Satzgliedern bevorzugt werden. Wieder wird die Tendenz deutlich, daß im Laufe der 200 Jahre der Klammerinhalt größer wird. Betrachtet man den Sprachgebrauch innerhalb des einzelnen Zeitraums differenziert nach den einzelnen Gattungen, so zeichnet sich um 1500 ab, daß in der Fachprosa und im Volksbuch vorrangig Einfachsätze mit 1 Satzglied als Klammerinhalt Verwendung finden, während Sätze, deren partiell ausgebildeten Rahmen 4 oder 5 Glieder enthält, vorwiegend in Reisebeschreibungen und Chroniken begegnen. 200 Jahre später liegen die Verhältnisse wesentlich anders. Jetzt werden in den Briefen dieser Zeit Einfachsätze mit 1 Glied als Inhalt des Rahmens bevorzugt; nur im Bildungsschrifttum und in der Fachprosa lassen sich Einfachsätze mit 4 oder 5 Satzgliedern, die innerhalb der partiell ausgeformten Klammer stehen, bezeugen. - Von der Gesamtzahl der Satzglieder her gesehen - der Klammerinhalt spielt nur indirekt eine Rolle - zeigt sich hier die gleiche Erscheinung wie bei Sätzen mit voll ausgebildetem Rahmen. Der Charakter der Gattung beeinflußt in starkem Maße, ob einfachere Muster mit wenig Satzgliedern oder ein umfangreicherer Satz mit relativ vielen Satzgliedern - in beiden Fällen steht der größere Teil der Satzglieder in der Klammer - gewählt werden, 4.2.2.3. Zur Zahl der Glieder außerhalb des partiell ausgebildeten Rahmens Die folgende ^Übersicht zeigt, wieviel Satzglieder in Einfachsätzen mit partiell ausgeformter Klammer dem 2. Glied des Rahmens folgen können. Tabelle 9 Satzglieder

1

1470-1530 1670-1730

89,4 93,7

2

3 10,2 4,9

0,4 1,4

278

Joachim Schildt

Wie die Gegenüberstellung der Ergebnisse des 1. und 2. Zeitraums ausweist, lassen sich sowohl um 1500 als auch um 1700 Einiachsätze nachweisen, an deren 2. Klammerglied 1, 2 oder 3 Satzglieder angeschlossen werden können. In beiden Zeiträumen überwiegt eindeutig das Satzmuster, bei dem dem infiniten Teil des Prädikats nur 1 Glied nachgestellt ist; in der Entwicklung gesehen, nimmt dieser Typ anteilmäßig sogar zu auf Kosten der beiden anderen Möglichkeiten, die um 1700 nur noch sehr selten verwendet werden. Nun ist allerdings der Sprachgebrauch etwas differenzierter, als es die Tabelle erkennen läßt. Im 1. Zeitraum fällt auf, daß in Flugschriften Einfachsätze mit 2 oder 3 Gliedern außerhalb der Klammer so gut wie gar nicht belegbar sind; ihre Bezeugung konzentriert sich in dieser Zeit auf Chroniken und Reisebeschreibungen. Das stimmt zu Feststellungen über diese beiden Gattungen im vorhergehenden Abschnitt. Typisch für diese Gattungen, im Unterschied zur Flugschrift oder zum Volksbuch, sind z.T. relativ umfangreiche Sätze, die - dem Charakter der Gattungen entsprechend ein hohes Maß an Information innerhalb eines Satzes möglich machen. Der Rahmen ist jedoch - gemäß dem Sprachgebrauch der Zeit - in der Regel nur begrenzt belastbar, so daß mehr Glieder als in anderen Gattungen dem 2. Klammerglied nachgestellt werden. 4.2.3. Zur Art der Glieder außerhalb des partiell ausgebildeten Rahmens Die folgende Übersicht zeigt, welcher Art die Satzglieder sind, die in beiden Zeitabschnitten in Einfachsätzen dem 2. Klammerglied nachgestellt sind; sie weist außerdem für jedes Satzglied aus, wie hoch sein Anteil an der Zahl aller Glieder ist, die dem 2. Element des Rahmens angeschlossen werden können. Tabelle 10 Af/der Glieder

Subjekt

SG 1470-1530 3,8 1670-1730 3,3

^

'

präp. lok. temp.kaus.Adv. mod. Obj. Adv. Adv. Adv.

kt

WG SG 16,6 1,6 3,0

WG 33,7 23,4 4,6 12,7 3,6

SG 5,9 1,3

WG

5,9 1,8 11,1

Aft

SG 3,2 1,0

PS/WG VG

4,1 3,5 3,8 43,1 8,9

SG = Satzglied WG= nebensatzähnliche .Wortgruppe PS = Pronominalsatz VG = Vergleich Im 1. Untersuchungszeitraum überwiegen unter den Satzgliedern, die dem infiniten Prädikatsteil folgen, präpositional angeschlossene Objekte mit 33, 7 %, lokale Adverbialbestimmungen mit 23,4 % und Objekte, vorwiegend im Akkusativ, mit 16, 6 %; sie machen fast 3/4 aller Satzglieder in dieser Position aus. Da präpositionale Objekte durchweg in

Zur Ausbildung des Satzrahmens*

279

all. n Gattungen, die in die Untersuchung einbezogen sind, mit einem relativ hohen Anteil vertreten sind, scheint die Annahme berechtigt, daß hier ein strukturelles Kennzeichen des geschriebenen Deutsch um 1500 vorliegt. Anders verhält es sich bezüglich des verhältnismäßig häufigen Vorkommens von Lokalbestimmungen in dieser Stellung; es konzentriert sich nämlich auf Einfachsätze aus Reisebeschreibungen und Chroniken. Das könnte auf eine gattungsspezifische Eigenheit dieser beiden Genres hindeuten. Allerdings kann dieserVermutung nur mit Vorbehalt geäußert werden; denn sie wäre nur dann in vollem Umfang berechtigt, wenn die Gesamtzahl der Lokalbestimmungen in diesen beiden Gattungen höher läge als in den anderen. Darüber aber konnten keine Erhebungen angestellt werden. Im Vergleichszeitraum nehmen unter den Satzgliedern, die an das 2. Klammerglied angeschlossen sind, Attribute in Form von Pronominalsätzen und nebensatzähnlichen Wortgruppen mit 43,1 % die 1. Stelle ein; der Prozentsatz e r höht sich um 8,9 % durch jene Satzglieder, die in irgendeiner Weise dem Vergleich dienen. Es folgen präposiüonale Objekte mit 12, 7 % und Kausalbestimmungen in der Gestalt von Infinitivgruppen mit 11,1 %. In bezug auf diese Satzglieder und ihre Stellung im Anschluß an das rahmenschließende Element verhalten sich die Gattungen, die einer Analyse unterzogen wurden, ähnlich; es ist daher zu vermuten, daß hier strukturelle Merkmale der Literatursprache in der Zeit um 1700 hervortreten. Im Unterschied dazu dürfte der relativ hohe Anteil von Subjekten in Anschlußposition in Briefen - er beträgt 8,4 % gegenüber einem Durchschnitt von 4, 9 % - Ausdruck spezifischer Eigenheiten dieser Gattung sein. - Vergleicht man beide Zeiträume ; iteinander, so läßt sich feststellen, daß Satzglieder, die dem infiniten Prädikatsteil folgen, in allen Gattungen belegbar sind. Das läU den Schluß zu, daß Einfachsätze mit par ..eil ausgebildetem Rahmen ein gleichwertiges Muster neben dem mit voll ausgeformter Klammer darstellen. Das schließt nicht aus, daß - wie in der Chronik, der Reisebeschreibong oder dem Brief - gattungsbedingte Besonderheiten eine Rolle spielen können. In der Entwicklung gesehen, besteht eine Tendenz zur Abnahme des Anteils von Objekten, auch solchen mit präpositionalem Anschluß; dagegen nimmt die Zahl der Kausalbestimmungen, insbesondere in Form von Infinitivkonstruktionen, und Attributen in Gestalt von Pronominalsätzen, Infinitivgruppen und Vergleichen zu. Der Rückgang von Lokalbesümmungen in dieser Stellung muß mit Vorsicht interpretiert werden; er muß real in dieser Welse nicht vorhanden sein und könnte seine statistische Ursache darin haben, daß beim 2. Zeitabschnitt, der Schrifttum um 1700 erfaßt, die Gattungen Reisebeschreibung und Chronik, in denen Lokalbestimmungen um 1500 besonders häufig vorkamen, nicht in die Untersuchung einbezogen wurden.

280

Joachim Schildt

4.2.4. Zum Verhältnis von "normativer" zeitgenössischer Grammatik und der Spr a chwirkli chkeit Die in dieser Untersuchung anstehenden Probleme werden in Grammatiken, die innerhalb des Zeitraums der Untersuchung entstanden sind, im Zusammenhang mit der Darlegung über Fügegewohnheiten des Verbs abgehandelt; sie finden sich bei J.G. Schottel in seiner "Ausführlichen Arbeit von der Teutschen Haubt Sprache" aus dem Jahre 1663 unter der Überschrift 'von der Wortfügung mit dem Zeitworte' und bei J.Ch. Gottsched in seiner "Vollständigeren und Neuerläuterten deutschen Sprachkunst" von 1748 unter dem Abschnitt 'von Fügung der Zeitwörter'. Beide Grammatiker machen an den genannten Stellen, ohne die Begriffe "Klammer" oder "Rahmen" zu benutzen, Ausführungen über die Stellung mehrgliedriger Prädikate; Angaben über die spezielle Position anderer Satzglieder finden sich in diesem Zusammenhang nicht. So formuliert Schottel: 'Von den gedoppelten Zeitwörtern ist in gemein zumerken daß dieselbigen in jhren gegenwertigen und fast vergangenen Zeiten zerteihlet werden also daß ein oder mehr andere Wörter können dazwischen stehen und gehet das Zeitwort solcher Gestalt gemeiniglich 30 vor und muß das Vorwort folgen'. Schottel formuliert jedoch solche Regeln nur für Verben mit trennbarem Präfix oder Kompositionsglied, nicht jedoch für all die anderen Etwas weiter geht Fälle, in denen Prädikate aus 2 oder mehr Elementen bestehen. 31 Gottsched, der nicht nur diese eine Möglichkeit erwähnt , sondern auch die Trennung der Prädikatselemente bei Prädikaten, die aus dem Hilfsverb und dem Partizip n oder einem Infinitiv bestehen. Seine Regel lautet: 'Die Hilfswörter werden in der völlig, und längst vergangenen Zeit, insgemein von ihrem Zeitworte getrennet; 32 so daß sie in der anzeigenden Art vorne, in der verbindenden aber hinten stehen'. Avis beiden Formulierungen wird deutlich, daß diese Stellungen keinesfalls als absolut verbindlich angesehen werden; das zeigt auch ein Hinweis Gottscheds auf den Sprachgebrauch bei Satzgefügen, wo es 'ein großer Übelstand [ sei], mit der Kanzleyschreibart, etliche Zeitwörter ganz von vorne, bis ans Ende zu werfen, und daselbst mit etlichen andern aufzuhäufen. . . . Man setze also zu Beförderung der Deutlichkeit, jedes Zeitwort, unmittelbar zu seinem Hauptworte, und lasse lieber den Anhang des Satzes nachfolgen, als 33 daß man denselben, auf eine langweilige Art zwischen beyde einschalte'. Ganz eindeutig plädiert et hier - das weisen auch die angeführten Beispiele aus - dafür, daß bestimmte Satzglieder dem 2. Prädikatsteil nachgestellt werden, wenn es für das Verständnis günstig ist; die Distanzstellung als etwas Künstliches lehnt er als Konzession an den Kanzleistil ab. Schottel wie auch Gottsched - J. Bödiker geht in seinen "GrundSätzen der deutschen Sprachen" von 1709 auf diese Fragen nicht ein - erfassen mit diesen Ausführungen nur Teilaspekte der Stellungsproblematik, die in der Spra chwirkli chkeit wesentlich differenzierter ist; als sog. "normative" Grammatiker zielen sie jedoch

Zur Ausbildung des Satzrahmens

281

auch nicht darauf, die Sprachwirklichkeit zu erfassen und angemessen zu beschreiben, sondern sie wollen verbindliche Regeln für einen guten Sprachgebrauch geben. 4.2.5.

Zum Verhältnis des Untersuchungsergebnisses zur Sprachbeschreibung in Grammatiken der Gegenwart

4 . 2 . 5 . 1 . Zur Rahmenbildung Das Untersuchungsergebnis weist aus, daß im Deutsch des 15. bis 18. Jhs. der Satzrahmen in erster Linie durch 4 verschiedene Typen repräsentiert ist. Er kann 1. aus einem Grundverb und einem Präfix oder Kompositionsglied, 2. aus einem Modalverb und einem Infinitiv, 3. aus einem Hilfsverb und einem Partizip Perfekt und 4. aus einem Hilfsverb und einem Adjektiv bestehen. Für andere Gebilde, die nach K. Boost

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im modernen Deutsch Klammerfunktionen wahrnehmen, gibt es in dem vorliegenden Untersuchungsmaterial keine eindeutigen Nachweise. Offenbar sind andere Möglichkeiten der Rahmenbildung doch erst nach 1730 deutlicher in Erscheinung getreten. Insgesamt ist aber wohl E. Benes zuzustimmen, der in seiner Studie über die Ausklammerung im Deutschen zu dem Schluß kommt, daß in den Fällen, die über 35die 4 genannten Typen hinausgehen, nur eine Tendenz zur Klammerbildung vorliegt. - Der Untersuchung ist zu entnehmen, daß seit 1470 Einfachsätze mit voll und partiell ausgebildetem Rahmen als 2 Satzmuster gleichberechtigt nebeneinander verwendet werden können; das stimmt zu den entsprechenden Feststellungen von W.G. Admoni und R. Rath. Es bestätigt E. Beneä, für den Sprachnorm ein Komplex der von einer Sprachgemeinschaft r e gelmäßig gebrauchten und als verbindlich empfundenen Sprachmittel ist und der auf dieser Grundlage zu der Schlußfolgerung kommt, daß bei Sätzen mit "Ausklammerung", d. h. bei Konstruktionen mit partiell ausgebildetem Rahmen, dann ein eigenständiger Satztyp vorliege, wenn die "Ausklammerung" eine stilistisch neutrale Norm darstellt, d.h. wenn sie von der Sprachgemeinschaft als sprachüblich, von der Sprachwissenschaft als grammaükalisiert anerkannt wird. Damit ist im Untersuchungszeitraum genauso wie in der Gegenwart zu unterscheiden zwischen Einfachsätzen mit partiell ausgeformter Klammer als Selbständigem Satztyp und Einfachsätzen, bei denen aus stilistischen Absichten der volle Rahmen verkürzt und eine wirkliche Nachstellung oder "Ausklammerung" vorgenommen wird. Es ist daher auch zu überlegen, ob in Zukunft nicht nur dann von "Ausklammerung" gesprochen werden sollte, wenn die Nachstellung eindeutig stilistisch bedingt ist, d.h. wenn ein Grundmuster stilistisch variiert wird. Solche Fälle liegen in der Regel dann vor, wenn strukturell-semantisch notwendige Glieder - vgl. die Feststellungen auf S. 268 und 279 - wie vor allem Subjekte und Objekte im Akkusativ, die im Grundmuster innerhalb des Rahmens stehen, dort herausgenommen und an das 2. Klammerglied angeschlossen werden. - Die Darlegungen bezeugen, daß in der Zeit von 1470 bis 1730 Einfachsätze mit voll ausgebildeter Klammer anteil-

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mäßig zunehmen. Sie belegen jedoch genauso eindeutig, daß - wie W. G. Admoni feststellte - 'der Grundsatz der Rahmenbildung . . . sich doch in der Schriftsprache nie voll36 kommen durchsetzen' konnte. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage nach der Herkunft der Rahmenkonstruktion noch einmal zu erörtern. Die Untersuchung zeigt eindeutig, daß der voll ausgebildete Rahmen im 1. Zeitraum z. B. in Einfachsätzen aus der Flugschriftenliteratur dominiert. Nun stehen viele Flugschriften, vor allem die Dialoge im Zeitalter der frühbürgerlichen Revolution anerkanntermaßen unter besonders starkem Einfluß der gesprochenen Sprache. Der Befund stimmt also zur Meinung derer, 37 die - wie z.B. W.G. Admoni - annehmen, daß die Rahmenkonstruktion in der Umgangssprache ihren eigentlichen Platz hat und daß sie von hier aus in die geschriebene Sprache eingedrungen ist. 'Es scheint uns, daß die Rahmenkonstruktion für die Umgangssprache kennzeichnend ist, besonders 38 für Sätze von beschränktem Umfang, wenn sie nicht besonders gefühlsbetont sind . Da der voll ausgebildete Rahmen aber auch, abgesehen von der Fachprosa, in den anderen Gattungen einen recht hohen Anteil hat, wenngleich er den Prozentsatz in den Flugschriften nicht erreicht, liegt die Vermutung nahe, daß der Einfluß der gesprochenen Sprache generell zu Beginn des 16. Jahrhunderts vorhanden war, in bestimmten Flugschriften als der für die Zeit der frühbürgerlichen Revolution besonders wichtigen Form des Schrifttums eben nur stärker ausgeprägt war. Dagegen läßt sich aus diesem Untersuchungsmaterial die Annahme O. Behaghels und M.39 Pfützes nicht bestätigen, daß sie unter dem Einfluß des Lateinischen entstanden ist. 4.2.5.2. Zur Satzgliedstellung Wie die Beschreibung zeigt, haben sich die Grundregeln für die Stellung der Satzglieder im Einfachsatz seit 1470 als deti'i beginn des 1. Untersuchungszeitraums kaum geändert. Bereits Ende des 15. Jahrhunderts galt also, was die moderne Grammatikforschung als typisch für das gegenwärtige Deutsch herausgearbeitet hat, d.h. auf diesem Teilgebiet 40 entspricht der Sprachgebrauch von 1500 dem der Gegenwart. Die Satzgliedstellung wurde damals wie heute von grammatischen Faktoren einerseits, von der Mitteilungsabsicht andererseits bestimmt; daneben konnten natürlich auch die sprachliche Tradition oder Einflüsse von Fremdsprachen maßgebend sein. Unter den grammatischen Größen, die die Position des einzelnen Gliedes im Satz festlegt, spielte und spielt die strukturellsemantische Notwendigkeit eine besondere Rolle; Satzglieder, die für den Bestand des Satzes grammatisch und semantisch unbedingt erforderlich sind, ^zeigen, sofern sie nicht vor der finiten Verbform stehen, die Tiendenz - wie z.B. das Akkusativobjekt soweit wie möglich entfernt vom finiten Verb eine Stelle einnehmen; das ist dann in der Regel die unmittelbar vor dem infiniten Prädikatsteil, Bereits auf der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert existieren also usualisierte Satzgliedabfolgen innerhalb des Rahmens, die weitgehend mit denen identisch sind, die E. Drach und K. Boost für die Gegenwart festgestellt haben. In Sätzen mit partiell ausgebildeter Klammer ist für die

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Satzglieder, die dem 2. Klammerglied nachgestellt sind, der moderne Stand, wie ihn 41 W. G. Admoni beschrieben hat, erst auf der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert e r reicht. Damals wie heute können diese usualisierten Satzgliedabfolgen, die aufgrund der Wirksamkeit grammatischer Faktoren zustandegekommen sind, durchbrochen werden. Ein solches Überspielen sprachüblicher Abfolgen von Satzgliedern, z.B. aus stilistischen Gründen liegt u.a. bei der Ausklammerung von sinnotwendigen Gliedern wie Subjekten oder Objekten, vor allem im Akkusativ, vor, die normalerweise entweder vor der finiten Verbform oder innerhalb des Rahmens stehen.

Anmerkungen 1 Admoni, Sprachbau 293. 2 Vgl. Boost, Untersuchungen 39 ff. Zur Rahmeribildung im nominalen Bereich vgl. Admoni, Sprachbau 294 'In der Substantivgruppe kommt ein Rahmen durch die Distanzierung der Hilfskomponenten, vor allem des Artikels, von dem herrschenden Substantiv zustande, so daß alle nicht verselbständigten kongruierenden Glieder der Gruppe mit ihren Bestimmungen von diesem Rahmen eingeschlossen werden.' 3 Vgl. Schottelius, Arbeit 4 Vgl. Gottsched, Sprachkunst 5 Ganz vereinzelt finden sich im Untersuchungsmaterial auch Einfachsätze, in denen die Klammer aus dem Verb /tun/ und einem Infinitiv gebildet wird, z. B. /von stont det der konig brieffe schriben/ I Vb. 2, 61. Nach Bödiker, Grundsätze 104 sollte 'das alte Hilff=Wort /Ich thue/', dessen Verwendung er 'den alten Allemannen und Sachsen' zuschreibt, 'im Hoch=Deutschen nicht gebrauchet werden.' In den untersuchten Quellenausschnitten beschränkt sich das Vorkommen dieser Klammer auf Einfachsätze aus dem westmitteldeutschen Volksbuch - vgl. I Vb. 2, 61, 83, 87, 94 und aus der ostoberdeutschen Chronik, wo sie I Chr. 3, 293 begegnet. Vgl. dazu auch Küpper, Studien 46 sowie die Ausführungen von G. Schieb in diesem Band. 6 In dieser Quelle finden sich in dem durchgesehenen Teil von den insgesamt 13 Belegen allein 6, so auch noch I Chr. 3, 328, 338. 7 So z. B. auch noch I R. 5,185; I R. 46, 26. 8 So z.B. auch noch I Fpr. 4, 71; I Vb. 2, 50. 9 In dieser Quelle findet sich auch der 2 Beleg; vgl. dazu I Fpr. 4,45. 10 So z.B. auch noch I Fl. la,41, 44; I Vb. 2,51, 78; I Fpr. 4,15, 17. 11 Vgl. auch I Chr. 3, 288, 318, 341; I Vb. 3,1, 12 Vgl. z.B. folgende Stellen aus Bernhard von Hirschfelds "Wallfahrt zum heiligen Grabe" von 1517; 4 Glieder innerhalb des Rahmens finden sich I R. 1, 34, 41, 43, 54, 58; 5 Glieder I R. 1, 32. 13 In früheren Sprachperioden sind solche Satzmuster auch in dieser Gattung noch die Ausnahme; darauf verweist Küpper, Studien 99, der feststellt, daß solche 'Spannungsböden (d. h. Rahmen mit mehr als 2 Gliedern Inhalt J. Sch.), die vielleicht Vorboten eines später reichlich bezeugten Kanzleigebrauchs sind, . . . in den Kölner Jahrbüchern noch eine Ausnahme' bilden. In diesem Genre scheint die Entwicklungstendenz darin zu bestehen, daß der Klammerinhalt zunehmend größer wird.

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14 Vgl. z.B. I R . 3,9; I Fpr. 3,66, 72. 15 Vgl. dazu z.B. I R. 2,36, 53, 57; I Chr. 3,292, 341. 16 Vgl. dazu z.B. a u c h l R . 2,43, 73; I Chr. 3,324. 17 Vgl. z.B. I C h r . 1,9, 13, 24; I Chr. 2, 25; I Chr. 3,292, 298, 316. 18 Im Untersuchungsmaterial finden sich noch 2 Belege mit Einfachsätzen - vgl. n Bi. 3,39, 45 - in denen /tun/ mit einem Infinitiv die Klammer bildet. 19 Vgl. zur Einleitung solcher Sätze mit /daher(o)/ DWB26, 83 f. 20 So auch z.B. noch II Br. 1,34, 41; II Ro. 2,1, 21, 50; II Bi. 3,19, 49; II Fpr. 4,19. 21 So z.B. auch noch n Br. 1,31; n Br. 3, 329 f.; n Bi. 3,15, 47; n Fpr. 2,12A. 22 So auch z.B. II Fpr. 1,17, 30, 36; II Fpr. 2, 20, 26, II Fpr. 3, 7, 30; II Fpr. 4, 27 f . , 50. 23 Zu Sätzen mit 4 Gliedern Klammerinhalt vgl. z.B. n Br. 3, 340, 385, 400; n Fpr. 2, 12A, 28, 46. 24 Vgl. auch n Ro. lb, 9; H Br. 4,43. 25 Vgl. z.B. II Fpr. 1,47; II Fpr. 2,12, 32; II Fpr. 4, 35, 37 f. 26 Vgl. auch H Fpr. 2, 8A; n Fpr. 4, 22. 27 Vgl. dazu auch n Fpr. 2,16f., 17A, 21. 28 So auch II Bi. 2, 23; II Fpr. 2,15, 33. 29 Vgl. z.B. II Bi. 3,329, 378, 340 (nebensatzähnliche Wortgruppe). 30 Schottelius, Arbeit 1, 747. 31 Gottsched, Sprachkunst 471. 32 Gottsched, Sprachkunst 474. 33 Gottsched, Spra.chkunst 475 f. 34 Boost, Untersuchungen 39 ff. 35 BeneS, Ausklammerung 291. 36 Admoni, Gebilde 169, 37 Admoni, Gebilde 169. 38 Admoni, Gebilde 167. 39 Vgl. dazu meine Ausführungen "Die Satzklammer und ihre Ausbildung in hoch- und niederdeutschen Bibeltexten des 14. bis 16. Jahrhunderts", in: Studien zur Geschichte der deutschen Sprache (Berlin 1972) 239, wo nachgewiesen wird, daß sich eine lateinische Vorlage geradezu hemmend auf die Verwendung des Rahmens ausgewirkt hat, ferner Admoni, Sprachbau 295. 40 Vgl. Hackel, Motivation 41 Admoni, Sprachbau 296 f.

DIE SATZNEGATION

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Die Satznegation

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1. Einleitung

1.1. Die Negation (von lat. negatio - Verneinung) ist ebenso wie die Affirmation (von lat. affirmatio - Beteuerung, Bejahung) eine universelle sprachliche Kategorie und sowohl den indoeuropäischen als auch den nichtindoeurppäischen Sprachen eigen. Es ist im Rahmen dieser Untersuchung nicht erforderlich, an dieser Stelle eine für alle Belange hinreichende Definition des Begriffs 'Negation' zu geben, die Aspekte der sprachlichen Kommunikation, dann aber auch Aspekte der formalen Logik, der Psychologie und noch anderer Disziplinen berücksichtigen müßte. Allgemein ist im linguistischen Bereich unter 'Negation' ein sprachliches Mittel zu verstehen, mit dessen Hilfe man Annahmen in Abrede stellen, Behauptungen zurückweisen, Verbote aussprechen, Befehle verweigern, Fragen entscheiden kann usw. Bei dieser Untersuchung beschränken wir uns darauf, die Negation als ein sprachliches Mittel anzusehen, mit dessen Hilfe in einem Satz eine gesetzte positive Aussage verneint wird. Diese Negierung kann sich beziehen auf ein Geschehen: / E r kommt nicht/, auf einen Zustand: / E r ist nicht krank/ oder auf eine Größe: /Das Brett ist nicht 3 m lang/. (Zur Unterscheidung der Negation einzelner Wörter bzw. Sätze vgl. S. 288). 1.2. Für die Negation läßt sich - kurz skizziert - folgende Entwicklung feststellen: im Althochdeutschen wird die Negation durch die Partikel /ni/ ausgedrückt; sie ist die ursprüngliche Negation, die zur Negation des Verbums und des Satzes ausreicht*. In der mittelhochdeutschen Periode, in der die Negation eine breitere Ausbildung erfährt, wird die Verneinungspartikel /ni/ zu /ne, en/ abgeschwächt. Sie kann als Proklise, dabei tritt sie vor das Verbum und verbindet sich mit diesem unmittelbar wegen ihrer Tonschwäche -, oder als Enklise, - hierbei wird sie einem vorhergehenden Wort, meist dem Personalpronomen, angehängt -, auftreten. Zur Verstärkung wird bei proklitischem oder enklitischem Gebrauch ein weiteres negierendes Pronomen oder Adverb, häufig das neutrale substantivische Pronomen indefinitum /niht/, hinzugefügt, das an einer späteren Stelle im Satz erscheint. Im Mittelhochdeutschen und Frühneuhochdeutschen (teilweise auch noch im Neuhochdeutschen) treten oftmals mehrere Negationsträger in einem Satz zusammen auf. Man sieht das als eine Addition von Negationen an, wofür man 2 auch den Ausdruck 'Polynegativität' geprägt hat. Im Neuhochdeutschen hat sich im we3 sentlichen (läßt man den Gebrauch in den Mundarten unberücksichtigt ) die einfache Ne4

gation oder 'Mononegativität' durchgesetzt. Die Sprache besitzt viele Mittel, Negierungen oder Verneinungen vorzunehmen bzw. durch negative Ausdrücke, Wortbildungen u. dgl. den Sätzen einen negierenden Sinn zu

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verleihen. W. Admoni sieht die Negation (Verneinung) als besondere Wortklasse an und 5 fügt sie den zehn überkommenen Wortklassen hinzu . Bei ihm werden in der Kategorie der Negation Wortformen vereinigt, "die ganz verschiedene morphologische Struktug ren und syntaktische Fügungspotenzen besitzen". Nach seiner Meinung bilden Wörter wie /niemand, nichts, kein, nie, nirgends, niemals, nicht, keineswegs/ durch ihren spezifischen Bedeutungsgehalt eine geschlossene grammatische Einheit. "Die Verbindung mit dem Kommunikationsprozeß besteht hier darin, daß vermittels der Negation die Einstellung des Sprechenden zu dem Inhalt seiner Rede (in betreff der Realität dieses Inhalts) zum Ausdruck kommt. Die Negation ist also eine modale Kategorie. Von den anderen Wortarten und Wortformen mit modaler Bedeutung unterscheiden sich die Negationen dadurch, daß sie (und nur sie) z w e i sehr wichtige m o d a l e S a t z t y p e n voneinander abgrenzen: d i e a f f i r m a t i v e n ( b e jahenden)> und d i e n e g a t i v e n ( v e r n e i n e n d e n ) S ä t z e . Dabei bilden sie im Deutschen . . . funktionell ein alternatives System, d. h. der Gebrauch in Beziehung auf den gesamten Satzinhalt einer Negation schließt den Gebrauch anderer Negationen in diesem Satz aus (mit Ausnahme des Gebrauchs im Innern der nicht prädikativen Wortgruppen), wenn die Nichtrealität die7 ses Inhalts ausgedrückt werden soll". Die anderen lexikalischen Modalmittel können sich miteinander und mit Negationen auf verschiedene Weise kreuzen. "Das alles sondert die Negationen von anderen Wortarten ab und erlaubt, sie als einen besonderen o Redeteil zu betrachten". Die Negation kann in der deutschen Sprache durch lexikalische, morphologische und semantische Mittel erfolgen, mit deren Hilfe sowohl einzelne Wörter als auch der ganze Satz negiertrwerden kann. Die Untersuchung beschränkt sich auf die Satznegation, d.h. auf die Negation, die sich auf das satzkonstituierende Verb - auf die Prädikatsphäre bezieht. Allgemein wird diese sich auf die Prädikation des ganzen Satzes beziehende Negation Satznegation genannt, z. B. / e r kommt nicht/; / e r ist nicht gekommen/. Im Gegensatz dazu wird dieg Negation, die sich auf ein Wort oder auf ein Satzglied bezieht, Sondernegation genannt . Die Fälle der Sondernegation bleiben in dieser Untersuchung unberücksichtigt. Dort, wo sich Zweifelsfälle ergeben, ob in einem Satz eine Satznegation oder eine Sondernegation vorliegt, wird nach Kriterien gesucht, die eine eindeutige Zuordnung möglich machen. Zur terminologischen Klärung muß weiterhin darauf verwiesen werden, daß Satznegation nicht identisch ist mit dem Begriff 'negativer Satz*. Man unterscheidet positive und negative Sätze.. Damit wird gekennzeichnet, "wie die Realität des Satzinhalts, der durch die Hauptglieder des Satzes bezeichnet ist, von selten des Sprechenden eingeschätzt wird". 1 0 W. Schmidt hat darauf hingewiesen, daß in dieser Gegenüberstellung "der positive Satz als die merkmallose oder die Normalform" (erscheint), "da die Negativität eines Satzes durch besondere (lexikalische) Mittel gekennzeichnet i s t " . 1 1 Unter einem 'negativen Satz' ist daher jeder Satz zu verstehen,

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der einen Negationsträger enthält. Darüber hinaus sind als 'negative Sätze' auch solche anzusehen, die durch andere Wortarten, speziell durch das Verbum, bereits einen negativen Inhalt ausdrücken. Als negative Sätze werden auch solche angesehen, in denen die Negation durch ein Substantiv, das etwas sehr Geringwertiges bezeichnet, verstärkt wird. Diese bildliche Verstärkung der Negation ist in der mittelhochdeutschen Sprachperiode üblicher als in der neuhochdeutschen. Im Mittelhochdeutschen finden sich z. B. Wendungen wie /niht ein blat, niht ein strö, niht eine bftne, niht ein h ä r / . Man hat diese Art der Negation 12 auch als 'volkstümliche Verneinung' bezeichnet. Sie erscheint in den Quellen des ersten Zeitraums, wofür ein Beispiel angeführt sei: /unde dat halp one nicht eyn stro/ I Chr. 5, 309, als auch in den Quellen des zweiten Zeitraums, zum Beispiel: /Freundschafft, die auf Fressen u. Sauffen . . . gegründet ist, die ist nicht einer Bohnen werth/ II Bi. 2,16; /solche achten wir nicht ein Haar/ n Bi. 3a, 74; / e r verspricht güldene Berge, und hält nicht eines Hällers werth/ n Bi. 4, 78. Treten aber nur bildliche Ausdrücke der aus dem Mittelhochdeutschen angeführten Art an die Stelle einer usuellen Negation 13, d.h. ohne die Negationspartikel /nicht/, dann werden diese Sätze nicht be14 rücksichtigt, denn dies ist "eher eine stilistische als eine syntaktische Erscheinung" . In diesen Fällen vertreten die Wörter, die Nichtiges und Geringes bedeuten, die Negation 1 5 . 1.2.1. Als Sondernegation sind die Fälle anzusehen, bei denen die Negationspartikel /nicht/ unmittelbar vor dem zu negierenden Glied, das ein einzelnes Wort oder ein Satzglied sein kann, steht (Bsp. / E r las nicht mit guter Aussprache. Er fährt nicht mit der Straßenbahn, sondern mit dem Bus. Er kommt nicht heute, sondern morgen/). In allen diesen Fällen bezieht sich /nicht/ auf ein bestimmtes Satzglied mit Ausnahme des P r ä dikats und verneint nicht den ganzen Satz, sondern nur einen bestimmten Teil. Zu dem Bereich der Sondernegation sind auch andere Negationswörter wie die substantivisch gebrauchten Indefinitpronomen /kein, "niemand, nichts/ und die Adverbien /nie, niemals, nimmer, keinesfalls, keineswegs, nirgends, nirgendwo/ zu rechnen. /Kein/ kann als Attribut bei einem Substantiv stehen und drückt dann eine Wortnegation aus, oder es steht wie /niemand/ für eine Person als verneintes Subjekt oder Objekt. Die Negationswörter /nirgends/ und /nirgendwo/ kommutieren mit Lokal- und /nie, niemals, nimmer/ mit Temporaladverbien. Bei ihrer Verwendung negieren diese Adverbien nur immer diesen einen bestimmten Aspekt im Satz. Es wird auch nicht die koordinierende Konjunktion /weder - noch/ berücksichtigt, die zwar den Inhalt eines Satzes verneinen kann, aber meist durch ihre Stellung vor bestimmten Satzgliedern zur Sondernegation gehört.

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1.2.2. Im Gegensatz dazu stellt die Negation des Prädikats eine Negation des ganzen Satzes dar. Im einzelnen sollen jetzt die Satztypen vorgestellt werden, bei denen im gegenwärtigen Deutsch eine eindeutige Satznegation vorliegt. Hierbei wird von formalen Kriterien der Stellving des Negationswortes /nicht/ ausgegangen. Satztyp 1 /nicht/ steht bei synthetischer Verbform am Ende des Satzes und verneint ihn: / E r besucht mich nicht./ Satztyp 2 /nicht/ steht bei analytischer Verbform vor den infiniten Verbformen (Partizip, Infinitiv) und negiert somit den ganzen Satz: / E r ist gestern nicht abgereist./ / E r wird morgen nicht abreisen. / Satztyp 3 /nicht/ steht bei Verben mit einem Verbzusatz vor diesem Verbzusatz und verneint somit den ganzen Satz: / E r reist heute nicht a b . / /Der Zug fährt nicht a b . / Im einzelnen ist zu dem Satztyp 1 zu bemerken, daß das Negationswort /nicht/ das Bestreben hat, am Ende des Satzes zu stehen und mit dem finiten Verb eine Negationsklammer zu bilden. Unter diesem Begriff ist zu verstehen, daß das finite Verb und die Negation alle Teile des Satzes mit Ausnahme des satzeinleitenden Gliedes einschließen und klammerbildend wirken; die Partikel /nicht/ bildet als Satzelement den Schlußteil der Klammer. "Darin drückt sich die enge Zusammengehörigkeit des /nicht/ mit dem verneinten Prädikatsverb aus; denn im deutschen Satz verhalten sich äußere und innere Verbnähe im Hauptsatz (Aussagesatz) umgekehrt proportional: Je enger ein Element strukturell-inhaltlich zum Verb gehört, desto weiter strebt es topologis ch vom Verb 16 weg und nach dem Satzende zu" . Daß die Satznegation neben anderen Satzelementen, wie der sogenannten "Prägung", d.h. der phraseologischen Sinnergänzung des Verbs (z. B. / i n Betrieb setzen/), des Prädikatsnomens und der Ziel- und Richtungsbestimmung des Verbs, eine mehr oder weniger 17 ausgeprägtere Tendenz hat, den Schlußteil der Satzklammer oder des Satzrahmens zu bilden, erläutert auch E. BeneS in seiner 18

Arbeit über die 'Ausklammerung im Deutschen'

.

Bei den Satztypen 2 und 3 bleibt festzuhalten, daß bei Sätzen mit einer infiniten Verbform oder einem Verbzusatz dièse Formen Anspruch auf den Endplatz 19 im Satz haben, "weil ihre Klammer mit dem Verb enger ist als die der Negation" . Folglich muß bei diesen Satztypen die satzverneinende Partikel /nicht/ vor die infiniten Verbformen bzw. den Verbzusatz treten.

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1.2.3. Bei den folgenden Satztypen war eine Entscheidung darüber zu fällen, ob man diese der Satznegation zurechnen kann oder nicht. Da bei dieser Untersuchung von historischem und schriftlich fixiertem Sprachmaterial ausgegangen wird und unabhängig von den in Quellen sich manifestierenden kontextuellen Zusammenhängen nur die (erweiterten) Einfachsätze in den Blickpunkt der Betrachtung gezogen werden, bleiben hier Fragen der Intonation oder Kontrastivität, die primär in den Bereich der gesprochenen Sprache gehören, unberücksichtigt, d. h. daß auch bei den folgenden Satztypen von formalen Kriterien der Stellung der Negationspartikel /nicht/ ausgegangen wird; bei Zweifelsfällen wird am gegenwärtigen Sprachstand gemessen und dann über die Zuordnung des entsprechenden Satzes entschieden. Zur Satznegation werden auch die folgenden Satztypen gerechnet: Satztyp 1 /nicht/ steht vor dem Prädikativum, wenn das Prädikativum ein Substantiv oder ein Adjektiv ist: / E r wird nicht L e h r e r . / / E r wird nicht krank. / 20 Heibig hat mit Recht darauf hingewiesen , daß in diesen Fällen Satz- und Sondernegation positionell zusammenfallen, daß aber auch bei den bedeutungsentleerten Kopulaverben eine spezielle Sondernegation nicht möglich ist. Für die getroffene Entscheidung, /nicht/ vor einem aus einem Substantiv oder Adjektiv bestehenden Prädikativum als Satznegation anzusehen, gilt als Kriterium der gegenwärtige Sprachgebrauch, denn ungrammatisch wäre / - E r wird Lehrer nicht./ f Er wird krank nicht. / Satztyp 2 /nicht/ steht vor einem Substantiv, das mit einem (bedeutungsleeren) Verb eine enge semantische Einheit darstellt: / E r fährt nicht Auto. / / E r nahm nicht Abschied./ Heibig erklärt in Anlehnung an M. Regula diesen Satztyp in der Weise, daß "die Satznegation /nicht/ . . . obligatorisch vor dem Akkusativ (steht), wenn dieser nicht die Funktion eines passivfähigen Objekts, sondern allenfalls eines "Umstandsobjektes" ausübt, das mit dem (bedeutungsleeren) Verb eine enge semantische Einheit (meist in 21

adverbialer Bedeutung) darstellt" . Für die vorgenommene Entscheidung, diesen Satztyp der Satznegation zuzurechnen, war wiederum der heutige Gebrauch ausschlaggebend, denn ungrammatisch wäre /*Er fährt Auto nicht. / /*Er nahm Abschied nicht./

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Satztyp 3 /nicht/ vor Präpositionalobjekten. Die Negationspartikel /nicht/ kann vor und nach Präpositionalobjekten stehen, wie folgende Beispielsätze zeigen: (1) / E r zweifelte an seinem Vorhaben nicht. / (2) / E r zweifelte nicht an seinem Vorhaben./ (3) / E r erinnerte sich an mich nicht./ (4) / E r erinnerte sich nicht an mich./ Satz (1) und (3) sind eindeutig als Satznegation anzusehen, wofür die Stellving von /nicht/ am Satzende das Kriterium bildet. In dieser Stellung, wenn /nicht/ nach einem Präpositionalobjekt steht, entsprechen diese Sätze dem unter 1. 2. 2. behandelten Satztyp 1, dabei ist besonders auf die durch das finite Verb und die Partikel /nicht/ gebildete Negationsklammer hinzuweisen. Bei Satz (2) und (4) könnte auch eine Sondernegation, die Negation eines Satzgliedes, vorliegen. Dieser Satztyp wird trotzdem als Satznegation angesehen; denn hier könnte durchaus auch das präpositionale Objekt der vom finiten Verb und der Negation /nicht/ gebildeten Klammer nachgestellt sein, also eine Art Ausklammerung vorliegen. Satztyp 4 /nicht/ vor Adverbialbestimmungen, die obligatorische Ergänzungen zu bestimmten Verben sind und mit diesen eine Satzklammer bilden. Dieser Satztyp soll anhand einiger Beispiele erklärt werden: / E r legte das Buch nicht auf den Schrank. / /Die Versammlung dauerte nicht den ganzen T a g . / / E r stellte die Vase nicht ins Fenster. / / E r setzte das Kind nicht auf das P f e r d . / Diese Sätze zeichnen sich dadurch aus, daß solche Verben wie z.B. /setzen, stellen, 99

legen/ und /dauern/, durch ihre Valenz drei- oder zweiwertig, obligatorische Mitspieler oder Aktanten benötigen; dabei ist ein Aktant die strukturell notwendige Adverbialbestimmung. Für die getroffene Entscheidung, diese Sätze als Fälle von Satznegation anzusehen, ist wiederum der moderne Gebrauch ausschlaggebend, denn die folgenden Sätze sind ungrammatisch: / + E r legte das Buch auf den Schrank nicht./ /*Die Versammlung dauerte den ganzen Tag nicht./ / + E r stellte die Vase ins Fenster nicht./ / + E r setzte das-Kind auf das Pferd nicht./ Bei diesen Sätzen wird deutlich, daß die notwendige Adverbialbestimmung eine enge Bindung mit dem Verb eingegangen ist und daß sie bei diesen Sätzen ähnlich behandelt wird, "wie Teile trennbar zusammengesetzter Verben ("Er kommt heute nicht an"), wie Infinitive und Partizipien ("Er wird morgen nicht kommen"; "Er ist heute nicht gekommen")" und daß sie "wie diese eine Art Zielpol im verbalen Rahmen des deutschen

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23 Satzes" bildet. Bei diesen Sätzen muß die Satzverneinung /nicht/ vor der strukturell notwendigen Adverbialbestimmung stehen. Bereits K. Boost hat darauf verwiesen, daß diese adverbialen Bestimmungen ein weiteres "satzschließendes Glied" bilden, "denn sie sind als so eng verbunden mit dem Prädikat anzusehen, daß sie an seiner Leistung der Satzformung spannungführend teilnehmen. Sie schließen den Satz ab, falls kein Infinitum vorhanden ist, bleiben unverrückbar vor dem Infinitum und der 'Prägung' (nach Boost eine phraseologische Sinnergänzung des Verbs), soweit diese auftreten . . . , werden durch "nicht" mit verneint... " 24 . 1.2.4. In unserer Untersuchung werden bei den erweiterten Einfachsätzen, die eine Satznegation enthalten, folgende Negationstypen vinterschieden: Negations typ 1 alleinstehendes /nicht/ Negationstyp 2 /nicht/ + weiterer Negationsträger; hierbei realisiert /nicht/ die Satznegation, und die weiteren Negationsträger, die an anderer Stelle im Satz auftreten, stellen eine Sondernegation dar und verneinen ein bestimmtes Wort oder Satzglied. In den Quellen erscheinen als weitere Negaüonsträger /kein/ und /nie/; daher werden unterschieden Negations typ 1.1.1./nicht + kein/ Negations typ 1.1. 2. /nicht + nie/ Negations typ 2 alleinstehendes proklitisches /en/ Negations typ 2.1. /en/ + weiterer Negationsträger; hierbei realisiert /en/ die Satznegation, und die weiteren Negationsträger, die an späterer Stelle im Satz auftreten, stellen eine Sondernegation dar und verneinen ein bestimmtes Wort oder Satzglied. In den Quellen erscheinen als weitere Negationsträger /kein, keinerlei, nichts, niemand, nie, niemals, nimmer/ und vor allem /nicht/; bei /en + nicht/ liegt der Form nach eine doppelte Verneinung vor. Es werden daher unterschieden Negations typ 2.1.1. /en + kein, keinerlei/ Negationstyp 2.1. 2. /en + nichts/ Negationstyp 2.1.3. /en + niemand/ Negations typ 2.1.4. -/en + nie, niemals, nimmer/

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Negationstyp 2.2. /en + nicht/ 1.2. 5. Das Ziel der Untersuchung besteht erstens darin, den Stand der Sprachverwendung bei der Satznegation für die Zeit um 1500 und um 1700 darzustellen. Deshalb wird untersucht, welche sprachlichen Mittel der Satznegation, die unter 1.2.4. aufgeführt sind, in den beiden Untersuchungszeiträumen von 1470-1530 und von 1670-1730 im Einfachsatz verwendet werden und in welchem Verhältnis diese Negationsmittel zueinander bei ihrem Gebrauch stehen. Die Untersuchung soll zweitens feststellen, ob ein struktureller Zusammenhang zwischen der Art der Negation und dem Charakter des negierten Verbs besteht. Daher wird in unserer Untersuchung bei der Auswertung der Quellen eine Klassifizierung der Verben vorgenommen, um festzustellen, ob bei einem bestimmten Verb ein bestimmter Negationstyp auftritt. Bei der Einteilung werden drei große Gruppen von Verben unterschieden: 1. Vollverben; die mit /haben, sein/ und /werden/ gebildeten analytischen Verbformen werden als semantische Einheit aufgefaßt; 2. Hilfsverben; das sind /sein/ und /werden/ in Verbindung mit prädikativen Ergänzungen; 3. Modalverben; z.B. /dürfen, können, mögen, müssen, sollen, wollen/; dabei sind zu unterscheiden 3.1. Modalverben + infinite Verbform 3.2. alleinstehende Modalverben. 1.3. Das dieser Arbeit zugrundeliegende Textkorpus wurde für die beiden Zeiträume aus den für alle Arbeiten dieses Bandes verbindlichen Quellen gewonnen. Die Zahl der untersuchten Einfachsätze ist für den ersten Zeitraum weitaus größer als für den zweiten. Im ersten Zeitraum beläuft sich die Zahl der aus allen Quellen gewonnenen negierten Einfachsätze auf 1370, im zweiten - trotz größerer Exzerptioiißbreite - nur noch auf 875 Sätze. Hierauf beziehen sich alle Prozentangaben. Ob dieser unterschiedliche Befund mit der Art der gewählten Quellen in den beiden Zeiträumen zusammenhängt oder ob Einfachsätze im zweiten Zeitraum gegenüber zusammengesetzten Sätzen an Zahl zurücktreten, kann hier nicht entschieden werden. Das Belegmaterial an Einfachsätzen wurde daraufhin untersucht, welcher Negationstyp bei den negierten Einfachsätzen in einer Quelle Verwendung gefunden hat. Ferner wurde analysiert, ob ein bestimmter Negationstyp bei einer bestimmten Verbkategorie auftritt. Auf diese Weise ließen sich für die einzelnen Negationstypen bestimmte Zah-

Die Satznegation

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lenverhäitnisse, die in Prozenten, wenn erforderlich auch in absoluten Zahlen, angegeben werden, für jede einzelne Quelle einer Landschaft und, davon ausgehend, bei Addition dieser Teilergebnisse für alle Quellen einer Landschaft und dementsprechend für die einzelnen Gattungen aus allen Landschaften ermitteln. Die Ergebnisse für die beiden Zeiträume werden in einem weiteren Abschnitt der Untersuchung verglichen; dabei wird festgestellt, welche Entwicklungstendenz sich bei der Satznegation in den Einfachsätzen vom ersten zum zweiten Zeitraum abzeichnet, welcher Stand sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts herausgebildet hat und wie weit er dem gegenwärtigen Sprachgebrauch entspricht. Dieser Befund wird mit den Forderungen der "normativen" Grammatiker aus dieser Zeit verglichen. Für beide Untersuchungszeiträume sind die Ergebnisse jeweils in Tabellen zusammengefaßt. Die Tabellen I zeigen, wie hoch der prozentuale Anteil des jeweiligen Negationstyps in den untersuchten Quellen aus den einzelnen Sprachlandschaften, aufgeschlüsselt nach den Gattungen, ist. Die Tabelle II gibt Aufschluß über die Verteilving der einzelnen Negationstypen auf die verschiedenen Verbkategorien.

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2. Zeitraum 1470 - 1530 2.1. Zur Analyse des Sprachgebrauchs Die der Untersuchung zugrundeliegenden Quellen des ersten Zeitraums von 1470 - 1530 enthalten eine beträchtliche Anzahl von Einfachsätzen, in denen eine sich auf den ganzen Satz beziehende Negation, eine Satznegation, erscheint. Diese auf die Prädikatsphäre des Satzes zielende Negation kann in den Quellen durch zwei mononegative Möglichkeiten, bei denen im Satz nur ein Negationsträger - die Partikel /nicht/ oder die Prdklise /en/ - erscheint, realisiert werden: Negations typ 1 durch die beim Verb alleinstehende Negationspartikel /nicht/; Negations typ 2 durch das beim Verb alleinstehende proklitisch verwendete /en/. Zu diesen beiden Negationstypen können sowohl bei der Verwendung der Negationspartikel /nicht/ als auch bei der Proklise /en/ in einem Satz weitere Negationsträger hinzutreten und somit zusätzlich okkasionelle polynegative Varianten der beiden Negationstypen bilden. In diesen Fällen wird mit den Partikeln /nicht/ bzw. /en/ immer die Satznegation realisiert. Die zu diesen Partikeln hinzutretenden weiteren Negationsträger verneinen nur ein bestimmtes Wort oder Satzglied; sie sind als Sondernegation anzusehen und erscheinen in der Regel vor einem Wort, das sie verneinen, oder sind selbst ein weiteres Negationswort. Für die Partikel /nicht/ sind das in den Quellen des ersten Zeitraums die NegationsWörter /kein, nie, niemand/ und für die Proklise /en/ die Negationswörter /kein (keinerlei), nichts, niemand, nie (niemals, nimmer)/ und vor allem das Negationswort /nicht/. Die folgenden Beispiele, die stellvertretend für viele andere stehen, führen die einzelnen Negationstypen vor; bei der weiteren Untersuchung werden aber die polynegativen Varianten zu einer Gruppe zusammengefaßt, lediglich der Negationstyp /en + nicht/, der bei einer synchronen Betrachtungsweise formal als polynegativ anzusehen ist, wird gesondert behandelt. Negations typ 1 (/nicht/ elleinstehend; mononegativ): /sie verstehen und lesen die schrifft nit/ I Fl. la, 27 Negations typ 1.1. (/nicht/ + weiterer Negationsträger; polynegativ): Negations typ 1.1.1. (/nicht + kein/): /Im ist ouch nit zu geben kein artzeny/ I Fpr. 4, 68b Negations typ 1.1.2. - /die (/nicht + nie/):nie nicht gewenet haben/1 Chr. 1, 2 mochtens

Die Satznegation

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Negations typ 1.1.3. (/nicht + niemand/): /dar dorste lange nemant nicht spreken/ I Vb. 5a, 110 Negationstyp 2 (/en/ alleinstehend; mononegativ): / s i j en hettens seesmaell mee in yeren huysseren/ I R. 2, 51 Negations typ 2.1. (/en/ + weiterer Negationsträger; polynegativ): Negations typ 2.1.1. (/en + kein, keinerlei/): /Item dese machemeten en dryncken geynen wijn/ I R . 2,101 Negations typ 2.1.2. (/en + nichts/): /over se en dorsten jo nichtes betenghen vor den anderen ambechten/ I C h r . 5,340 Dieser Beleg ist der einzige für /en + nichts/ im gesamten ersten Zeitraum. Negations typ 2.1.3. (/en + niemand/): /Ez ensal auch niemant... der stede ungelt, feile oder renten keifen/ I Chr. 2,18 Negationstyp 2.1.4. /He (/en+nie, nimmer/):werden/ I Fpr. 5,144 en mot niemals, nummer ghewundet Negationstyp 2.2. (/en + nicht/): /des inhat er nlt gethan/1 Chr. 2, 31 Bevor untersucht wird, ob es in den Quellen Unterschiede bei der Verwendung der einzelnen Negationstypen gibt, die für eine Landschaft oder für eine Gattung spezifisch sind, soll hier kurz dargelegt werden, in welcher lautlichen Form sich in den untersuchten Quellen das Negationswort /nicht/ und die Proklise /en/ in den einzelnen Landschaften repräsentieren. Der sprachgeographische Befund ist in den einzelnen Landschaften unterschiedlich. Im Ostmitteldeutschen überwiegt die Form /nicht/, bisweilen erscheint auch die Form./nit(t)/. Die Proklise /en/ ist im'Ostmitteldeutschen nicht belegt. Im Westmitteldeutschen ist der vorherrschende sprachliche Befund /nit/, das in den Quellen als orthographische Variante auch /nyet, neyt, neit/ geschrieben wird; vereinzelt erscheint in dieser Landschaft die Form /nicht/. Die Proklise lautet im Westmitteldeutschen /en/ oder /in/. In den ostoberdeutschen Quellen ist die Form /nit/ ohne Guttural vorherrschend, es findet sich aber auch öfter die Form /Weht/. Die Proklise lautet im Ost- wie im Westöber deutschen /en/. Das Westober deutsche zeigt gleichfalls die überwiegende Verwendung der Form /nit/ neben weniger häufigerem /nicht/; 25 einigemale erscheint die Schreibung /nüt(t)/ . Das Niederdeutsche zeigt die Form

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/nicht/ oder als orthographische Variante /nycht/; durch Abfall des auslautenden / t / entsteht die Form /nich/, die ganz vereinzelt in den niederdeutschen Quellen auftritt. Die Proklise heißt im Niederdeutschen gleichfalls /en/. Das Niederdeutsche weist einheitlich und das Ostnütteldeutsche zum überwiegenden Teil die Form /nicht/ auf, während in den drei anderen Landschaften bei der Verwendung der Negationspartikel die Form /nit/ ohne Guttural vorherrscht. Die beim Verb stehende Proklise lautet in der Regel /en/, nur im Westmitteldeutschen erscheint in der Chronik daneben auch /in/. Es sei erwähnt, daß von allen Quellen nur im ostoberdeutschen Volksbuch die Proklise bei einem Substantiv auftritt; diese Quelle bezeugt dreimal die offenbar als fest anzusehende Wendving/engotwil(l)/ I Vb. 3,114, 116, 119. In den Quellen des ersten Zeitraums erscheint die Enklise, die Verbindung der Verneinungspartikel /ne/ mit einem vorhergehenden Wort, nicht mehr. 2. 2. Landschaften und Negationstypen Die Verteilung der einzelnen Negationstypen in den untersuchten Quellen der fünf Sprachlandschaften weist näher zu analysierende Unterschiede auf. Der Durchschnitt für den Gebrauch des Negationstyps 1 (/nicht/ alleinstehend) beträgt für alle Landschaften 86,8 %. Beträchtlich über diesem Durchschnitt liegen bei diesem Negationstyp das Ostmitteldeutsche mit 97,7 %, gefolgt von der ostoberdeutschen Landschaft mit 96,9 % und der westoberdeutschen mit 95,4 %. Unter diesem Durchschnitt bleiben das Westmitteldeutsche mit 78, 7 % vor dem Niederdeutschen, das für den Negationstyp 1 nur einen Anteil von 65,1 % aufweist. Folgende Beispiele, die .stellvertretend für viele andere stehen, mögen den Gebrauch des Negationstyps 1 in allen Sprachlandschaften illustrieren. omd. /Darumb vervolworten das die vom tale nicht/ I Chr. 1, 37 oobd. /besunder sol er nit lassen/ I Fpr. 3a, 71 wobd. /die Frantzosen... wolten nit fechten wider die Schweytzer/1 Chr. 4a, 10 wmd. /Das verstehe ich nit/ I Fl. 2,49 nd. /Des mach ik nicht don/ I Vb. 5b, 70 Der hohe Anteil des Negationstyps 1 bei den Belegen wird auch-deutlich, wenn man die absoluten Zahlen berücksichtigt: von 1370 negierten Einfachsätzen des ersten Zeitraums weisen 1185 diesen Negationstyp auf. Beträchtliche Unterschiede in der Häufigkeit der Belege und somit in ihrer prozentualen Verteilung zeigen sich dagegen bei den anderen Negationstypen. Der landschaftliche Durchschnitt für den mit /nicht/ und einem weiteren Negationsträger verbundenen polynegativen Typ 1.1. beträgt insgesamt 1,8 %. Über diesem Durchschnitt liegen das Westoberdeutsche mit 3,4 % und das Ostmitteldeutsche mit 2,3 %; mit je 1,4 % bleiben das Westmitteldeutsche und das Ostober deutsche geringfügig, das Niederdeutsche

Die Satznegation

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mit 0, 7 % dagegen stärker unter diesem Wert. Auffallend ist, daß die Verbindung /nicht + kein/ am häufigsten belegt ist: von insgesamt 37 Einfachsätzen fiir diesen polynegativen Typ sind es 31, wobei das Westmitteldeutsche mit 11 Belegen den Hauptanteil stellt. Die Verbindung /nicht + nie/ ist in allen Quellen nur durch je einen Beleg im Ostmitteldeutschen und Niederdeutschen vertreten; die Verbindung /nicht + niemand/ ist insgesamt viermal belegt - 2 Belege finden sich in der westoberdeutschen, und je einer in der westmitteldeutschen und niederdeutschen Sprachlandschaft. Einige Beispiele aus allen Landschaften seien für den Negationstyp 1.1. angeführt, wobd. /Und mian wast um ckian Wintter nütt/ I R . 4b, 36 omd. /der i s t . . . keiner frumen nicht wirdig/ I Vb. 1*, 18 oöbd. /wann sy haben chainen gelauben nicht/ I Vb. 3,105 wmd. /aber er wolt sie nit laßen vmb kein sache/ I Vb. 2,146 nd. /Wy mögen ok neine stat in Greken nicht wynnen/ I Vb. 5a, 119 /id is nicht nye in der presteren/ I Vb. 5a, 181 wobd. /Und geschach sust von min Geschlecht Niemand n ü t t / I R . 4b, 73 nd. /vnde dar dorste lange nemant nicht spreken/ I Vb. 5a, 110 Für die Negationstypen 1 und 1.1. läßt sich zusammenfassend konstatieren, daß eindeutig in allen Landschaften der mononegative Typ 1 mit einem Durchschnitt von 86,8 % dominiert. Dagegen beträgt der Anteil des polynegativen Typs 1.1. für alle Landschaften nur einen Durchschnitt von 1,8 %. Insgesamt ergibt sich somit für /nicht/ und die mit /nicht/ verbundenen weiteren Negationstypen ein Gesamtdurchschnitt von 88, 6 % aller in den Quellen des ersten Zeitraums negierten Einfachsätze. Bei der Verwendung des proklitischen /en/ und den mit dieser Partikel verbundenen weiteren Negationsträgern lassen sich im landschaftlichen Befund gleichfalls Unterschiede feststellen. So fällt als erstes auf, daß der Negationstyp 2 (/en/ alleinstehend) in der ostmitteldeutschen und westoberdeutschen Sprachlandschaft nicht belegt ist. Am häufigsten erscheint dieser Typ in der niederdeutschen Landschaft und liegt hier mit 5,4 % weit über dem gesamtlandschaftlichen Durchschnitt von 1, 5 %. Es folgen das Westmitteldeutsche mit 1,4 % und das Ostoberdeutsche mit 0, 5 %. Aus den beiden Landschaften, in denen dieser Typ am stärksten vertreten ist, sei je ein Beleg angeführt. nd. wmd.

/Dar na so nym vornis; also du en schalt maken/1 Fpr. 5,143 /Ich weiß, das ich owers hynscheyden sterben muß. " - Ir ensolt", sprach e r / 1 Vb. 2,142 Die mit /en/ und einem weiteren Negationsträger unter dem Negationstyp 2.1. zusammengefaßten Einfachsätze liegen mit einem gesamtlandschaftlichen Durchschnitt von 4, 2 % über dem Negationstyp 2. Die polynegativen Typen /en/ + weiterer Negationsträger sind im Ostmitteldeutschen nicht belegt. Mit 14,8 % liegen die niederdeutsche Sprachlandschaft beträchtlich und mit 5,9 % die westmitteldeutsche nur gering über

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diesem Durchschnitt, während das Ostober deutsche und das Westoberdeutsche mit je 0, 2 % doch weit unter diesen Werten bleiben. Auch hier fällt auf - ähnlich wie bei der Verbindving /nicht + kein/ daß der Typ / e n + kein/, der im Ostmitteldeutschen und Ostoberdeutschen nicht vorkommt, mit 29 von insgesamt 40 Belegen am häufigsten in den untersuchten Texten erscheint, wobei er im Niederdeutschen 20mal bezeugt ist. Der Typ /en + niemand/, im Ostmitteldeutschen, Ost- und Westoberdeutschen nicht b e legt, ist im Material mit 6 Einfachsätzen, der Typ / e n + nie (niemals, nimmer)/, im Ostmitteldeutschen und Westoberdeutschen nicht bezeugt, mit 4 Einfachsätzen vertreten, während sich für die Verbindung /en + nichts/, wie oben erwähnt wurde, nur ein Einfachsatz aus allen Quellen des ersten Zeitraums in der niederdeutschen Sprachlandschaft finden läßt. Beispiele für den Negationstyp 2.1. mögen in der Reihenfolge der einzelnen Untertypen folgen. nd.

/Du en salt neyn bloit laten/ I Fpr. 5, 96

wmd. wobd.

/aber ich en hayn gheynen inganck moigen wynden/I R. 2,109 / s i e en hat anders keinen glouben/ I Vb. 4, 53

wmd.

/ e z ensal auch nieman under den beiden partihen an den furdern keinen schaden/ I Chr. 2, 34 /want dar tho en behurt numandt/ I Fl. 5,49

nd.

wmd. /Nye enqwam ich in süsser lant/ I Vb. 2,147 oobd. / s o entorste ich nymer er lieh in dz lannde chomen/ I Vb. 3, 81 Wesentlich produktiver als die unter dem Typ 2.1. zusammengefaßten polynegativen Negationsformen ist der Negationstyp 2. 2., negativ proklitische / e n + nicht/. Der gesamtlandschaftliche Durchschnitt beträgt für diesen Negationstyp 5,7 % und erreicht damit einen höheren Wert als alle anderen polynegativen Typen zusammen. Bei weitem über diesem Durchschnitt liegen die niederdeutsche Landschaft mit 14,0 % und die westmitteldeutsche mit 12, 6 %, während sich das West- und das Ostoberdeutsche mit je 0,9 % die Waage halten und unter dem Durchschnitt bleiben. Im Ostmitteldeutschen ist dieser Negationstyp wiederum nicht belegt, nd. /doch en stiruet hey dair nich van/ I Fpr. 5,127 wmd. wobd. oobd.

/ s i j en verstaint sich der saichen nyet/ I R. 2, 36 /So enkünent sie nit geheilen/1 Fpr. 4,20a /Aber es enhalff in nicht/1 Vb. 3, 57

Für den gesamtlandschaftlichen Durchschnitt der zweiten Möglichkeit der Satznegation durch die Proklise / e n / und der mit ihr verbundenen weiteren Negationswörter ergeben sich 11,4 %. Hierbei dominiert mit 5,6 % der Negationstyp 2.2., gefolgt von dem Negationstyp 2.1. mit 4, 2 %. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß beim Typ 1 das OBtmitteldeutsche, ge- , folgt vom Ost- und Westöberdeutschen, an der Spitze und weit über dem gesamtland-

Die Satznegation

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schaftlichen Durchschnitt liegt, während das Westmitteldeutsche und im noch stärkeren Maße das Niederdeutsche darunter bleiben. Das Ostmitteldeutsche erweist sich im Gebrauch der verschiedenen Negationstypen am geschlossensten, denn es sind in dieser Sprachlandschaft von den mit /nicht/ und einem weiteren Negationsträger verbundenen Negationstypen nur 6 Belege bezeugt, während die Proklise / e n / und die mit ihr v e r bundenen Negationstypen überhaupt nicht erscheinen. In seiner Geschlossenheit folgt dem Ostmitteldeutschen das Ostoberdeutsche, das neben dem am häufigsten belegten Negationstyp 1 für den Negationstyp 1.1. nur 6 Belege und für die Negationstypen / e n / alleinstehend und / e n / + weiterer Negationsträger insgesamt 7 Belege aufweist. Es folgt das Westoberdeutsche mit insgesamt 9 Belegen für die Negationstypen /nicht/ + weiterer Negationsträger und nur 3 Belegen für Typ 2. 2. und einem Beleg für Typ 2.1. Dagegen zeigen die westmittel- und niederdeutsche Sprachlandschaft eine größere Breite bei der Verwendung der einzelnen Negationstypen. Im Westmitteldeutschen ist der Negationstyp 1.1. insgesamt 12mal belegt; für Typ 2 beläuft sich die Zahl der Belege in dieser Sprachlandschaft auf 9, für Typ 2.1. auf 8 und für Typ 2.2. sogar auf 37 Belege. Im Niederdeutschen schließlich sind als der einzigen Sprachlandschaft alle Negationstypen bezeugt. Diese Landschaft liegt, wie oben bereits erwähnt wurde, mit 65,1 % beim Negationstyp 1 weit unter dem allgemein landschaftlichen Durchschnitt von 86, 8 %. Während bei den mit /nicht/ verbundenen Negationstypen sich die Gesamtzahl der Belege nur auf insgesamt 4 beläuft, sind in dieser Sprachlandschaft die mit / e n / bzw. mit der Proklise verbundenen Negationstypen weitaus häufiger anzutreffen, das korrespondiert damit, daß hier / e n / noch eine gewichtigere Rolle spielt. Für Typ 2 finden sich 13, für Typ 2.1. insgesamt 31 und für Typ 2. 2. sogar 35 Belege. Damit führt in der Zeit von 1470 - 1530 die ostmitteldeutsche Sprachlandschaft bei der Verwendung der einfachen durch /nicht/ allein ausgedrückten Satznegation, sie liegt vor den anderen Landschaften und steht dem heutigen Sprachgebrauch am nächsten. Dichtauf folgen die ost- und westoberdeutsche Sprachlands'chaft, während die westmitteldeutsche und die niederdeutsche diese relative Einheitlichkeit beim Gebrauch der durch /nicht/ allein ausgedrückten Satznegation nicht aufweisen. Im Gegenteil: beide Landschaften, dabei übertrifft die niederdeutsche noch die westmitteldeutsche, zeigen, daß die Satznegation neben dem alleinstehenden Negationswort /nicht/ auch noch durch die anderen Negationstypen ausgedrückt werden kann. 2. 3. Gattungen und Negationstypen Alle Gattungen aus dem UntersuchungsZeitraum von 1470 - 1530, die durch eine oder mehrere Quellen repräsentiert werden, enthalten eine beträchtliche Anzahl von Einfachsätzen, bei denen das Prädikat verneint wird und. somit eine Satznegation vorliegt.

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Beispiele aus der westoberdeutschen Landschaft für die verschiedenen Gattungen aus den anderen Landschaften mögen das erweisen. ReisebeSchreibung Chronik FlugSchrift Fachprosa

Volksbuch

/ich mochte Vinter dem Ainlitt nit sechen/ I R . 4b, 2 / e s hatt auch die Lamenittin aus dem se eklen nit geessen/1 Chr. 4a, 13 /Der titel gefeit mir nit/ I Fl. 4a, 78 / e r mag nit gon noch ston, er mag sich auch nit bewegen vnd mag auch nit reden/ I Fpr. 4,17a /Wz meint vnser meister damit, dz er vns so fru weckt, des pflegt er nit z 8 t h 8 n / I V b . 4,63

Hinsichtlich der Realisierung der Satznegation lassen sich jedoch bei den einzelnen Gattungen Unterschiede feststellen. Bei der Reisebeschreibung, bei der der Durchschnitt für den Negationstyp 1 81,1 % beträgt, zeigt sich, daß die ostmittel- und ostoberdeutsche Reisebeschreibung nur Satznegation durch alleinstehendes /nicht/ belegen und somit 100 % erreichen. Es folgt die westoberdeutsche Reisebeschreibung, die mit 93,9 % gleichfalls über dem Durchschnitt bleibt, während die Reisebeschreibung der westmitteldeutschen Sprachlandschaft mit 55,8 % und die der niederdeutschen mit 55,6 % beträchtlich unter dem Durchschnitt liegen. ReisebebungCi~

/Darumb so seint wir zu diesem mahle gen Rodis nicht komen/ I R. 1, 54 / d e s kreychs vnderwyndt sich die lantschaff neyt/ I R. 2, 87

In der Reisebeschreibung sind im Ostmitteldeutschen und Ostober deutschen weitere Negationstypen nicht belegt. Nur bei der westoberdeutschen Reisebeschreibung finden sich noch 3 Belege für den Negationstyp 1.1.; dementsprechend liegt auch für diesen Typ der auf die Gattving Reisebeschreibung bezogene prozentuale Anteil mit 1,2% sehr niedrig. Reisebe- /und wust ain ckian Küng um den ander n ü t t / 1 R . 4b, 3 Schreibung Die ostmitteldeutsche sowie die ost- und westoberdeutsche Reisebeschreibung kennen weder die alleinstehende Proklise noch den Negationstyp / e n / + weiteren Negationsträger. Je ein Beleg für den Negationsty]!) 2 finden sich in der westmittel- und niederdeutschen Reisebeschreibung. Reisebe61

bung "

/ s i j en hettens seesmaell mee in yeren h u y s s e r e n / I R . 2,51 en kome den

Christen to/ I R . 5,194

Der Negationstyp 2.1. ist in der westmittel- und niederdeutschen Reisebeschreibung mit je 5 Belegen bezeugt, von denen einige folgen mögen.

Die Satznegation

303

Reisebebung61"

/Item die dieffe . . . en henght man gheynen/1R. 2,107 /und dar en is geyn gesät afflat/ I R. 5,203 /und synt en hefft sick numans van den Türken an den tempel gekert to versturen/ I R . 5,62 Häufiger dagegen ist der Negationstyp 2,2. in der westmitteldeutschen Reisebeschreibung (13 Belege) und der niederdeutschen (12 Belege) bezeugt. Mit einem Durchschnitt von 8,3% liegt er damit nach dem Typ 1 an zweiter Stelle. Reisebe- / s i j en verstaint sich der saichen nyet/1 R, 2, 36 s chrei • bung /anders en konde men er nicht so seyne krygen/ I R. 5,189 Bei der Gattung Chronik verwenden das Ost- und Westober deutsche nur den Negations typ 1. In der ostmitteldeutschen Chronik finden sich neben dem Negationstyp 1 nur zwei Belege für den Typ 1.1. Den polynegativen Typ 2.1. bezeugen nur die westmittel- und niederdeutsche Chronik (wmd. 3, nd. 2 Belege). Ebenfalls nur in diesen beiden Sprachlandschaften ist die Verbindung /en + nicht/ vertreten; sie ist in der westmitteldeutschen Chronik mit 4 und in der niederdeutschen sogar mit 12 Belegen bezeugt. Gegenüber der Reisebeschreibung steigt in der Chronik der prozentuale Durchschnittswert des Negationstyps 1 von 81,1 % auf 86,7 % an. Am produktivsten nach diesem Typ ist ähnlich wie bei der Reisebeschreibung - der Typ 2. 2. mit einem Durchschnitt von 8,9 % Einige Beispiele mögen folgen. Chronik Negationstypl Negationstyp 1.1. Negationstyp 2.1.

/vor der weit hab ich disen schmelichen todt nit verdint/ I Chr. 3b, 20 /wir wolten auch in keinen andern weg nicht/ I Chr. 1, 31

/Ock en schal eyn uppe den anderen neyne hulpe geben/1 Chr. 5, 304 / e z insai auch niemant... der ampt keins . . . von ieman inphahen/ IChr. 2,10 Negations- /dar en scholden se de nicht ans hinderen/ I Chr. 5, 325 typ 2.2. / ( j e s inkonden sie leider nit genießen/1 Chr. 2,27 Die Texte der Flugschriften zeigen noch eine ausgeprägtere Tendenz zum fast ausschließlichen Gebrauch des Negationstyps 1, denn die ost- und westoberdeutschen sowie die westmitteldeutschen Flugschriften belegen nur diesen Typ. In den ostmitteldeutschen Flugschriften finden sich noch 2 Belege für den Typ 1.1., während die niederdeutsche Flugschrift, die Wiedertäufers ehr ift von Bernhard Rotman "Restitution rechter und gesunder christlicher Lehre", noch den Negationstyp 2.1. dreimal und den Typ 2.2. 6mal belegen. Der Gesamtdurchschnitt für den Typ 1 erreicht in den Flugschriften einen Wert von 96,0 % und liegt damit am höchsten im Vergleich zu allen anderen Gattungen. Es folgen der Typ 2.2. mit 2, 2 %, der Typ 2.1. mit 1,1 % und der Typ 1.1. mit nur 0,6 %. Einige Beispiele mögen den Befund illustrieren.

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Flugschrift Negations- /wir narren haben es nit verstanden/ I Fl. 3b, 178 typ 1 Negations- / E s predigt auch keiner nit/ I Fl. la, 35 typ

/da ist auch kein ruhe nit/ I Fl. l a , 41

Negations- / h e en hebbe geinen deil an der erlosinge C h r i s t i / 1 Fl. 5, 34 ^ P 2/ w a n t dar tho en behürt nummandt/ I Fl. 5,49 Negations- /Ouerst he en ys van dem ßade Dauid nicht geworden noch entpfangen/ typ 2. 2. I F U 5 > 3 1 Weniger stark ausgeprägt ist die Tendenz zur einfachen durch die Partikel /nicht/ allein ausgedrückten Satznegation - Negationstyp 1 - in der Fachprosa. Die ost- und westmitteldeutschen sowie die ostoberdeutschen Fachprosatexte kennen nur diesen Negationstyp. Sein durchschnittlicher prozentualer Anteil beträgt in allen Fachprosatexten 81,4 %. Neben den Fachprosatexten aus den drei eben erwähnten Sprachlandschaften mit ihrem Anteil von je 100 % rangiert mit 85, 7 % auch noch das Westoberdeutsche über dem Durchschnitt, während der niederdeutsche Fachprosatext mit nur 21,4 % weit darunter bleibt. Dementsprechend sind im westoberdeutschen und niederdeutschen Fachprosatext noch die anderen Negationstypen belegt: in der westoberdeutschen Fachprosa der Negationstyp 1.1. 5mal und der Typ 2.2. 2mal. Hierfür seien Beispiele angeführt. Fachprosa Negations- /Denn im anfang werden sie jtzunt nicht duplirt/ I Fpr. la, 100 typ 1 Negations- /Aber das forderteyl des hirnes Verwundung mag es nit lidenn in keinenn typ1,1,

w e g / I Fpr. 4, 20b

Negations- /So enkünent sie nit geheilen/ I Fpr. 4, 20a typ 2.2. Im niederdeutschen Fachprosatext, dem Stockholmer mittelniederdeutschen Arzneibuch aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, finden sich dagegen noch eine größere Anzahl von Belegen für die alleinstehende Proklise und für die mit proklitischem / e n / und einem weiteren Negationsträger verbundenen Negationstypen. So ist hier der Typ 2 noch 12mal, der Typ 2.1. sogar 20mal (davon 15 Belege für die Verbindung / e n + kein/ und der Typ 2. 2. wiederum 12mal belegt. Auch hierfür sollen einige Belege folgen. Fachprosa Negations- / a l s o du en schalt maken/ I Fpr. 5,143 typ 2 Negations- /Dair en sloich oick geyn vngereit to/ I Fpr. 5,127 typ 2.1. /ind hey en darf nummer thouuor en vntfruchten/ I Fpr. 5,100

Pie Satznegation

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Negations- /doch en stiruet hey dair nich van/ I Fpr. 5,127 typ 2.2. Bei der Gattung Volksbuch zeigt sich die größte Breite der konkurrierenden Negations typen. Der prozentuale Durchschnitt für den Negationstyp 1 beträgt bei dieser Gattung 88,6 %. Über diesem Durchschnitt bleiben mit 97, 5 % das westoberdeutsche Volksbuch, gefolgt vom ostmitteldeutschen mit 93, 6 % und dem niederdeutschen mit 92,9 %, darunter liegen das ostoberdeutsche Volksbuch mit 84,9 % und das westmitteldeutsche mit 74, 3 %. In der Reihenfolge des prozentualen Durchschnitts seien Belege aus den v e r schiedenen Volksbüchern angeführt. Volksbuch wobd.

/Aber Vlenspiegel der bleib vß vnd kam nit wider/ I Vb. 4, 66

omd.

/In einer truncken frauen ist zorn vngestum geczenck vn ir schnodikeyt Wirt nit bedeckt/I Vb. 1,22 /Men doch leth Medea nicht äff van der leue/ I Vb. 5a, 87

nd. oobd.

/vn Gennellet von geitichait wegen hortt nicht auff ze reden mit dem chünig/ I Vb. 3,114

wmd. /Ich han vwer sit nit vergessen/ I Vb. 2,135 Im westoberdeutschen Volksbuch, dem Till Eulenspiegel, findet sich nur je ein Beleg für die Negationstypen 1.1., 2.1. und 2. 2., und im ostmitteldeutschen Volksbuch von Salomon und Markolf sind nur zwei Belege für den Typ 1.1. nachzuweisen. Volksbuch wobd. /kein külere stat wißt ich im huß nit/ I Vb. 4, 98 Negations typ 1.1. Negations- / s i e en het anders keinen glouben/ I Vb. 4, 53 typ 2.1. Negations- /Ich en iß sein nit/ I Vb. 4,14 typ 2. 2. omd. /keyn schälckhaftiger haubt ist n i t t / I Vb. 1,21 Negations typ 1.1. Im niederdeutschen Volksbuch finden sich noch 4 Belege für den Negationstyp 1.1,, ein Beleg für den Typ 2.1. und drei Belege für den Negationstyp 2. 2. Volksbuch nd. /ik hebbe ok neine handelinge mit em nicht/ I Vb. 5a, 103 Negations- / i d i s ^ ^ n y e i n d e r p r e s t e r e n / 1 Vb. 5a, 181 / d a r dorste lange nemant nicht spreken/ I Vb. 5a, 110 Negations- /Ik en-vorsze yfte nenerley wyse dat gelt to wynnen/ I Vb. 5b, 67 typ 2.1. Negations- /Ik enkenne dynes koninges nicht/1 Vb. 5a, 103 typ 2. 2.

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Das ostoberdeutsche Volksbuch weist 6 Belege vom Negationstyp 1.1., 2 Belege vom Typ 2, 1 Beleg vom Typ 2.1. und 4 Belege vom Typ 2.2. auf. Volksbuch oobd. /So will ich kain anders pflrde nicht/1 Vb. 3,46 Negations typ 1.1. Negaüons- / s o entorste ich nymer er lieh in dz lannde chomen/ I Vb. 3,81 typ 2.1. Negations- /Aber es enhalff in nicht/1 Vb. 3, 57 typ 2.2. Im westmitteldeutschen Volksbuch von Pontus und Sidonia in der Verdeutschung eines Ungenannten aus dem 15. Jahrhundert, das mit 74,3 % beim Negationstyp 1 Vinter dem allgemeinen Durchschnitt blieb, müssen sich folglich noch andere in Konkurrenz stehende Negationstypen finden. In diesem Volksbuch ist der Typ 1.1. mit 12 Belegen (davon llmal die Verbindung /nicht + kein/), der Typ 2 mit 8, der Typ 2.1. mit 4 und der Typ 2. 2. sogar mit 20 Belegen vertreten. Beispiele für die einzelnen Negationstypen seien aus diesem Volksbuch angeführt. Volksbuch wmd. / E r mocht aber Pontus nit glichen inn keynen dingen/1 Vb. 2,61 3113 tyjfl^l " / P e r d e 0 0 6 1 m a n > 1,16111111 nicht wart da vbersehen/ I Vb. 2,169 Negations- /ich ensoll myn ere wol behutten/ I Vb. 2,64 typ 2 Negations- /Da enwaß nyeman/ I Vb. 2,95 typ 2.1. /Nummer enhort man yne hoher swerenn/ I Vb. 2,60 Negations- /Die heyden enwysten sich nit zu erweren/1 Vb. 2, 94 typ 2.2. 2.4. Zusammenfassung In den Quellen der 5 Gattungen aus 5 Sprachlandschaften aus dem gewählten Zeitraum von 1470 - 1530 kann die Erscheinung der Satznegation in den Einfachsätzen formal durch 10 verschiedene Arten von Negationstypen ausgedrückt werden. Es zeigen sich aber bei der Verwendung dieser Negationstypen sowohl von Landschaft zu Landschaft als auch von Gattung zu Gattung Unterschiede. Dabei ist der landschaftliche Unterschied größer als der gattungsbedingte. Denn in allen Gattungen zeigt die ostmitteldeutsche Landschaft den stärksten Gebrauch der durch die Negationspartikel /nicht/ allein ausgedrückten Satznegation und nähert sich damit am meisten dem heutigen Sprachgebrauch. Der Durchschnitt für den Negationstyp 1 beträgt für alle Landschaften und Gattungen 86,8 %. Weit über diesem Durchschnitt liegt in allen Gattungen die ostmitteldeutsche Sprachlandschaft mit 97, 7 %. Es folgen die ostoberdeutsche mit 96,9 % und die westoberdeutsche mit 95,4 %. Unter dem Durchschnitt bleiben für alle Gattungen die west-

Die Satznegation

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mitteldeutsche Sprachlandschaft mit 78,7 % und die niederdeutsche mit 65,1 %. Die alleinstehende Partikel /nicht/ wird also in der Zeit von 1470 bis 1530 von allen Negationen am häufigsten verwendet. Differenzierter verhält es sich in Quellen der westmitteldeutschen Sprachlandschaft und vor allem des niederdeutschen Sprachraumes. In beiden Landschaften finden andere Möglichkeiten der Negation noch in stärkerem Maße Verwendung, bei Berücksichtigung des gesamtlandschaftlichen und auf die Gattungen bezogenen Durchschnitts bleiben sie Vinter dem allgemeinen Sprachusus. Diesen sprachgeographischen Differenzierungen ordnen sich die gattungsspezifischen unter. Es läßt sich für die Gattungen des ersten Zeitraums nur soviel konstatieren, daß die Flugschrift beim Gebrauch der durch /nicht/ allein ausgedrückten Satznegation das geschlossenste Bild zeigt: von insgesamt 182 Belegen in dieser Gattung für alle Flugschriften weisen 171 Einfachsätze den Negationstyp 1 auf. Das entspricht einem Durchschnitt von 96,0 %. Es folgen die Gattungen Volksbuch mit 88, 6 % (448 Belege von insgesamt 518), Chronik mit 86, 7 % (243 Belege von insgesamt 266), Fachprosa mit 81,4 % (220 Belege von insgesamt 271) und Reisebeschreibung mit 81,1 % (103 Belege von insgesamt 133). Die anderen Negationstypen weisen im Vergleich zu der durch /nicht/ allein ausgedrückten Satznegation keine so häufige Verwendung auf. Auch hier zeigt sich wiederum eine relative Einheitlichkeit für alle Gattungen bei der ostmittel- und ostoberdeutschen, z.T. auch noch bei der westoberdeutschen Sprachlandschaft. Denn in den Gattungen Reisebeschreibung, Chronik, Flugschrift und Fachprosa der ostmittel- und ostoberdeutschen Sprachlandschaft finden sich keine Belege für die Proklise und die mit ihr verbundenen Negationstypen. Eine Ausnahme bilden lediglich das ost- und westoberdeutsche Volksbuch und die westober deutsche Fachprosa mit nur geringen prozentualen Anteilen. Beim westoberdeutschen Volksbuch, dem Till Eulenspiegel, muß darauf verwiesen werden, daß das seiner Herkunft nach niederdeutsche Volksbuch schon lange vor dem im westoberdeutschen Sprachraum erfolgten Druck im oberdeutschen Sprachgebiet bekannt war und daß der Straßburger Druck, der der Untersuchung zugrundegelegt wur26

de, niederdeutsche Spuren bewahrt hat . Das Vorkommen der Proklise und der mit ihr verbundenen Negationstypen im Till Eulenspiegel könnte als ein weiterer Beweis für die Bewahrung solcher Relikte aus dem verlorengegangenen niederdeutschen Original angesehen werden. Verwendung finden proklitische /en/ und die mit dieser Partikel verbundenen Negationstypen noch im Westmitteldeutschen, wenn auch nur - aufgeführt in der Reihenfolge nach der absoluten Zahl der Belege - in den Gattungen Volksbuch, Reisebeschreibung und Chronik. Am häufigsten erscheinen sie jedoch in den niederdeutschen Quellen, wobei die niederdeutsche Fachprosa die erste Stelle einnimmt. Hier überwiegen diese Negationstypen mit insgesamt 44 Belegen gegenüber nur 12 für den Typ 1 sehr deutlich.

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Es folgen dann die niederdeutsche Reisebeschreibung (mit 8 von 10 Belegen), die Chronik (mit 14 von 37 Belegen), die Flugschrift (mit 9 von 44 Belegen) und das niederdeutsche Volksbuch (mit 4 von 104 Belegen). Die Negation kann aber näher bestimmt und ihr mehr Nachdruck verliehen werden. Dies geschieht durch unflektierte Beiwörter, auch "verstärkende Partikel" 27 oder 28

"rangverleihende" Glieder genannt, die präzisierend und intensivierend vor die Negationspartikel /nicht/ treten können. In den Quellen des ersten Zeitraums kommen dafür in erster Linie die beiden Partikel / g a r / und /ganz/ in Betracht. Im ersten Untersuchungszeitraum findet /gar/ nur in der westmitteldeutschen und ostoberdeutschen Flugschrift Verwendung. vmd. /das gebürt gar nit den, die über andere regiren sollen/ I Fl. 2, 55 /Hyerumb tawen sye gar nit zu regiren/ I Fl. 2, 55 oobd. /Den kläynen zehat wollen wir gar nit geben/ I Fl. 3a, 41 Diese drei Belege sind die einzigen, die sich für /gar nicht/ im ersten Zeitraum finden lassen. Im Ostmitteldeutschen, Westoberdeutschen und Niederdeutschen ist diese Verbindung überhaupt nicht belegt. Es sei darauf hingewiesen, daß im ersten Zeitraum / g a r / bisweilen der Negationspartikel /nicht/ nachgestellt wird, z. B. /So hat der Patron seine Kauffmanshandelunge mit den heiden noch nicht gar ausgericht/ I R . 1,83; /Also ist der glawb ain anfang der rechtfertigung, aber er macht noch nit gar gerecht/ I Fpr. 3b, 35. In ähnlich verstärkender Weise wird auch /ganz/ gebraucht. Hierfür findet sich aber in allen Quellen des ersten Zeitraums nur ein Beleg in der niederdeutschen Flugschrift, nd. / J a men hefft der schrifft gantz nicht geachtet/ I Fl. 5,14. Andere Belege für die verstärkenden Partikel /gar/ und /ganz/ bei der durch /nicht/ realisierten Satznegation gibt es im ersten Zeitraum nicht. 2.5. Zum Verhältnis von Prädikatsverb und Satznegation Das aus den Quellen des ersten Zeitraums von 1470 - 1530 gewonnene Material von 1370 negierten Einfachsätzen wirft die Fragestellung auf, ob es einen Zusammenhang zwischen der Art des Prädikatsverbs und der Verwendung eines bestimmten Negationstyps gibt, d.h. ob die Wahl des Prädikatsverbs einen bestimmten Negationstyp nach sich zieht oder nicht. Um das feststellen zu können, wurden alle Einfachsätze nach ihrem Prädikat, das aus Vollverben, Hilfsverben, Modalverben + infinite Verbform und alleinstehenden Modalverben bestehen kann, geordnet; diese Gruppierungen Wiarden zu den auftretenden Negationsmöglichkeiten in Beziehung gesetzt. In den 1370 negierten Einfachsätzen des ersten Untersuchungszeitraums kann die Negation des Prädikats - wie bereits dargelegt - durch alleinstehendes /nicht/ bzw. durch

Die Satznegation

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/nicht/ und einen weiteren Negationsträger oder durch alleinstehendes /en/ bzw. durch /en/ und einen weiteren Negationsträger erfolgen. Um klare Proportionen zu schaffen, die relativ eindeutige Aussagen ermöglichen, werden die Negationstypen alleinstehendes /nicht/ bzw. /nicht/ + weiterer Negationsträger und alleinstehendes /en/ bzw. /en/ + weiterer Negationsträger im Unterschied zum voranstehenden Kapitel jeweils zu einer Gruppe zusammengefaßt. Einige Beispiele für die beiden Negationsmöglichkeiten bei den vier Verbkategorien seien zur Illustration angeführt. Negation durch /nicht/ bzw. durch /nicht/ + weiteren Negationsträger: Vollverb /das selb pferd gib ich ew nicht/ I Vb. 3,46 /Es predigt auch keiner nit/ I Fl. la, 35 /Und geschach sust von mim Geschlecht Niemand nütt/ I R . 4b, 73 Hilfsverb /Landry was so ldnt nit/1 Vb. 2,89 /da ist auch kein ruhe nit/1 Fl. la, 41 Modalverb + infinite Verbform /die seien aber konden sie nit toden/ I Fl. la, 26 /sie wolt noch zur zyt keinen man nit nemen/ I Vb. 2,175 Modalverb alleinstehend /eines mynschen macht kan nicht iegen de gotlike dynge/ I Vb. 5a, 84 /wir wolten auch in keinen andern weg nicht/ I Chr. 1, 31 Negation durch /en/ bzw. durch /en/ + weiteren Negationsträger Vollverb /dat en kome den Christen to/ I R . 5,194 /vnd en ete neyn ethen vppe dat ander/ I Fpr. 5, 98 /wante id en geit nicht gerne ä f f / 1 Fpr. 5,99 Hilfsverb /des en sij dy noit/1 Fpr. 5,97 /und dar en synt geyn vynster in den alderhilligsten grave/1R. 5, 204 /eme en wirt nicht wee/ I Fpr. 5,100 Modalverb + infinite Verbform /also du en schalt maken/ I Fpr. 5,143 /du en salt neyne rore drencke nemen/ I Fpr. 5,97 /Vorware, is enmag nyeman wol achten noch betzallen so vil großen guts/ I Vb. 2,170 /dar en scholden se de nicht ane hinderen/ I Chr. 5,325 Modalverb alleinstehend / s o en moete oick hyr t o / 1 Fpr. 5,91 Bei den alleinstehenden Modalverben sind Einfachsätze mit /en/ und einem weiteren Negationsträger nicht belegt. Auf der folgenden Tabelle wird die Verwendung der beiden Negationsmöglichkeiten bei den vier Verbkategorien dargestellt (Zahlenangaben in Prozenten).

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