Zur Literatursprache im Zeitalter der frühbürgerlichen Revolution: Untersuchungen zu ihrer Verwendung in der Agitationsliteratur [Reprint 2022 ed.] 9783112645840


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INHALTSVERZEICHNIS
Einleitung
Sprechsprachliche Gestaltungsmittel
Volkstümliche Metaphorik
Zur Personenabwertung
Zum Fremdwortgebrauch
Relative Attributsätze
Zusammenfassung
Quellen-/Sigelverzeichnis
Literaturverzeichnis
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Zur Literatursprache im Zeitalter der frühbürgerlichen Revolution: Untersuchungen zu ihrer Verwendung in der Agitationsliteratur [Reprint 2022 ed.]
 9783112645840

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Zur Literatursprache im Zeitalter der frühbürgerlichen Revolution

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN DER DDR Zentralinstitut für Sprachwissenschaft

58 Bausteine zur Sprachgeschichte des Neuhochdeutschen Herausgegeben von Günter Feudel

Zur Literatursprache im Zeitalter der frühbürgerlichen Revolution Untersuchungen zu ihrer Verwendung in der Agitationsliteratur

Autorenkollektiv unter der Leitung von Gerhard Kettmann und Joachim Schildt

AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1978

Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Str. 3—4 © Akademie-Verlag 1978 Lizenznummer: 202 • 100/157/78 Gesamtherstellung: VEB Druckerei „Thomas Müntzer", 582 Bad Langensalza Bestellnummer: 752 711 7 (2054/58) • LSV 0815 Printed in G D R D D R 68,— M

INHALTSVERZEICHNIS

Gerhard Kettmann Einleitung

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Joachim Schildt Sprechsprachliche Gestaltungsmittel

21

Wolfgang Pfeifer Volkstümliche Metaphorik Franzjosef Pensei Zur Personenabwertung

87 219

Gerhard Kettmann Zum Fremdwortgebrauch Gabriele Schieb Relative Attributsätze

341 441

Gerhard Kettmann Zusammenfassung

527

Quellen-/Sigelverzeichnis

543

Literaturverzeichnis

551

EINLEITUNG

Von verschiedenen Seiten aus ist in der letzten Zeit darauf hingewiesen worden, daß die geschriebene Form der deutschen Literatursprache (der Terminus wird hier in der von M. Guchmann 1964, S. 15 ff. beschriebenen Weise verwendet) aufgrund völlig veränderter gesellschaftlicher Bedürfnisse in den Jahren um 1525 Aufgaben Ubernahm, die bislang vor allem von der gesprochenen Sprache wahrgenommen wurden: propagandistisch in Klassen nämlich und in soziale Schichten zu wirken, die als Handelnde in den zeiteigenen Auseinandersetzungen auftraten (vgl. vor allem M. Guchmann 1974, passim). Religiöse, politische und soziale Fragen in deutscher Sprache aufzuwerfen und in breiter Öffentlichkeit zu diskutieren - das aber war etwas völlig Neues im gesellschaftlichen Leben. Die deutsche Literatursprache hatte sich damit einen Anwendungsbereich erobert, der ihr bisher nicht eigen war: "Sie tritt auf in der Funktion einer publizistischen Agitationssprache innerhalb breiter Volkskreise " (H. Winkler 1975, S. 25). Die Aktivierung der am historischen Wandlungsprozeß Beteiligten vollzog sich also auch mit Hilfe der Sprache. Sie wird Werkzeug der sozialen Bewegung und ist dadurch ein Element der historischen Aktivität der Menschen, mit dem - auf der Basis der vorhandenen Kommunikationsbeziehungen und den auf ihrer Grundlage ablaufenden Kommunikationsereignissen - gesellschaftlich bedeutsame Wirkungen angestrebt werden. Das aber ist eine Entwicklung, die zweifelsfrei auf die Sprache selbst, auf ihre Form und ihren Inhalt, nicht ohne Rückwirkungen bleiben konnte - denn wenn die Kommunikationspartner als gesellschaftliche Wesen verschiedenen Klassen, Schichten und Gruppen angehören, wenn sie eine unterschiedliche Stellung in der Gesellschaft einnehmen und daher unterschiedlich entwickelte Kommunikationsfähigkeiten, unterschiedliche Anschauungen, Gewohnheiten usw. aufweisen, muß sich das auch auf die Wahl der dabei eingesetzten sprachlichen Mittel auswirken (vgl. dazu von anderer Warte aus H. Schönfeld 1974, S. 120 f.): Will man für a l l e verständlich sein, erfordert dies - geht man von der gesicherten "Erkenntnis einer gegliederten und in verschiedenen Formen anwendbaren Sprache aus - geradezu zwangsläufig das Einbeziehen von Sprachelementen aus a l l e n Existenz- und Kommunikationsformen der Sprache - also auch von solchen, die bisher nur in Ausnahmefällen in literatursprachlichen Gebrauch einbezogen wurden.

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Einleitung

Akzeptiert man diese Voraussetzung, bestand für die Autoren geradezu ein objektiver Zwang, sich der Sprachpraxis breiter Kreise zu nähern und dabei auch Eigenarten der in weiten Bereichen noch stark der Mundart verhafteten gesprochenen Alltagssprache also nicht nur solche der gesprochenen Literatursprache - als deren bevorzugter Kommunikationsform nicht außer acht zu lassen: anders konnte der Inhalt ihrer Schriften nicht die intendierte Massenwirksamkeit erlangen. Wie sehr gerade den Zeitgenossen diese Öffnung der Literatursprache in Richtung auf die gesprochene Sprache (= Sprechsprache) in ihrer ganzen Breite deutlich geworden war - die vorrangig in den Problem kreis 'Sprache in der Geschichte' und nicht 'Geschichte in der Sprache' einzugliedern ist (vgl. dazu A. Neubert 1974, S. 81) - lassen Bemerkungen erkennen, die sie einerseits über den Sprachgebrauch ihrer Zeit und andererseits über ihre eigene Art der Sprachanwendung machen. Ich zitiere ihrer Wichtigkeit wegen einige. So wird z. B . in einer Streitschrift aus dem Jahre 1525 kennzeichnenderweise ein Fremdwort mit

der

Form erklärt, in der es in die Bauernsprache Eingang gefunden hatte: /Procuratores, wolche die Bawren Cretter nennen/, heißt es in der ' Anzeyg etlicher Hauptartickeln Christlicher leere'

(Karlstadt, St Anzeige 67). Im Bereich der Wortwahl ist die auf-

gezeigte Wandlung überhaupt mitunter recht deutlich zu greifen. Der 'Dialog zwischen einem Pfarrer und einem Schultheiß' enthält so den kennzeichnenden Satz: /Also werdent die gotzgaben verzert, vnd wann ichs reden bedorfft, so thund sy all mit inn den bettel fressen/ (Di Pfarrer 1521, S. 129). Der gleiche Vorgang wird damit praktisch auf zweierlei Weise wiedergegeben: einmal streng literatursprachlich, wodurch die Aussage neutral und sachlich feststellend erscheint und dann zum anderen in einer die Dinge unverhüllt beim Namen nennenden, reales volkstümliches Denken widerspiegelnden Sprache, durch die der Sprecher bewußt (/vnd wann ichs reden bedorfft/) seine Entrüstung ausdrücken will. Sehr deutlich nimmt auch Luther zu diesen Fragen Stellving - und das nicht nur mit dem weithin bekannten Satz aus dem 'Sendbrief vom Dolmetschen' . In den Tischreden liest man beispielsv/eise: /Verflucht und vermaledeit seien alle Prediger, die in der Kirchen nach hohen, schweren und subtilen Dingen trachten, und dieselben dem Volk fürbringen . . . Wenn ich allhie predige, lasse ich mich aufs Tiefste herunter, sehe nicht an die Doctores und Magistros . . . , sondern auf den Haufen junger Leute . . . und Gesinde, . . . denen predige ich, nach denselbigen richte ich mich . . . Wollens die Andern nicht hören, so stehet die Thür offen / (M. Luther 1537, WA Tischreden 3, 1914, S-. 420) Wird hier die Zielschicht angegeben, die für ihn im Vordergrund steht, so beweist seine Anmerkung, daß es ein großer Unterschied sei, /etwas mit lebendiger stimme oder mit todter schritt an Tag zu bringen/ (M. Luther 1519, WA 2, 1884, S. 166), daß er darüber hinaus auch die spezifischen Möglichkeiten gesprochener und geschriebener Sprache einzukalkulieren wußte, Sprache mithin also ganz bewußt einsetzen konnte. Aufschlußreich ist nun in diesem Zusammenhang, daß

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man von katholisch-restaurativer Seite aus versucht, die sich abzeichnenden sprachlichen Wandlungen - obwohl man sich ihnen auf die Dauer nicht entziehen konnte - auf eine

Person (eben Luther) einzuengen, ihnen also allgemein gültigen Charakter ab-

sprechen will: /vnd vns der Rottwelsche doctor nith alain ein nawen glauben, sonder auch ein naw teutsch aufbringen will/ heißt es kennzeichnenderweise in einer Streitschrift Emsers aus dem Jahre 1521 (Emser, St Quadruplica 138). Zweckgebundene, recht vordergründige Äußerungen dieser Art ändern freilich nichts daran, daß den Zeitgenossen die generell gegenüber früheren Jahren veränderte kommunikative Situation durchaus klar geworden war: 1524 nämlich läßt Karlstadt in dem 'Dialogus Von dem grewlichen . . . mißbrauch / des hochwirdigsten sacraments' einem Gelehrten, der fragt, warum sein Gesprächspartner - ein Laie - seine Kenntnisse bisher v e r schwiegen habe, von diesem eine aufschlußreiche, die Situation treffend widerspiegelnde Antwort zuteil werden: /Ich wist fast wol, das du, vnd alle weit, sonderlich die schrifftweisen meiner gelacht hetten, vnd gesagt, er schwürmet, wenn ich eher were außbroche. Aber itzt / - und das ist die entscheidende Stelle - / seind die zungen vil kündlicher vnd gemeiner, drumb stoß ichs den zungenkündigern in ir eygen erkäntnuß (Karlstadt, Di Mißbrauch 19). Die Beispiele, die hier nur stellvertretend für mehrere Äußerungen in der gleichen Richtung stehen, zeigen, daß die theoretischen Schlußfolgerungen, die eingangs aus dem Stand der gesellschaftlichen Bedürfnisse für die Entwicklung der Sprache gezogen wurden, durchaus berechtigt sind: Sie bestätigen aus der Sicht von Kommunikationspartnern des in Frage stehenden Zeitraumes deutlich, daß mit der historischen Entwicklung Veränderungen in der Struktur einzelner Existenzformen der Sprache konform gehen, daß im hier gegebenen konkreten Fall die soziale Basis der Literatursprache also eine bedeutende Ausweitung erfuhr und daß es sich daher letztlich bei der Aufgabe verständlich zu schreiben - und dafür können wir hier berechtigterweise synonym "volkstümlich" setzen - keineswegs um eine Randfrage, sondern um ein im Kern gesellschaftlich relevantes Problem handelt. Überprüft man nun aber den Forschungsstand nach Arbeiten, die an spezifischen Beispielen untersuchen, wie sich die dargestellten Verhältnisse p r a k t i s c h

auf die

Sprache auswirkten, dann zeigt sich, daß wir zwar einen stoff- und kenntnisreichen Gesamtüberblick über die Sprache der deutsche politischen Literatur in der Zeit der Reformation und des Bauernkriegs von M. Guchmann besitzen, daß aber Detailuntersuchungen zu Fragen dieser Art so gut" wie völlig fehlen - obwohl es an Aufforderungen dazu, freilich z. T. von unzureichenden gesellschaftlichen Erkenntnissen her, nicht mangelt. Ich zitiere hier (ihres typischen Stellenwertes wegen) nur e i n e

solche, die 1903 von

H. Wunderlich in Halle ausgesprochen wurde: "Die große Bauernbewegung von 1525 e r fordert auch nach der sprachlichen Seite Beachtung . . . Die kurze Episode des Bauernkrieges läßt die Faktoren, die bei einer Gemeinsprache zusammenwirken können,

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Einleitung

sämtlich Anteil gewinnen, sie steht vor allem unter dem starken Einfluß der öffentlichen mündlichen Rede . . . Dies Moment ist unter den sprachlichen Faktoren des Reformationszeitalters bis jetzt wenig gewürdigt worden . . . " (H. Wunderlich 1904, S. 106). Diese Situation war der Anlaß, daß wir - von den aufgezeigten zeiteigenen Be dingungen ausgehend - empirische Untersuchungen anstellten, um zu Aussagen über Einzelheiten der das Zeitalter der frühbürgerlichen Revolution kennzeichnenden sprachlichen Prozesse im Umkreis 'Annäherung an die gesprochene Sprache' zu gelangen: ein Vorhaben, das vom 450. Jahrestag des Bauernkrieges her zusätzliche Bedeutung erhielt.

Um dieses Vorhaben zu realisieren, waren zunächst nach zwei Seiten hin Vorüber legungen notwendig: 1. solche über die Auswahl der Quellen 2. solche Uber die Auswahl der sprachlichen Mittel an und mit denen in Einzelbeiträgen das Vorhaben durchgeführt werden sollte. Der erste Punkt - Auswahl der Quellen - schließt dabei zwei Fragen in sich ein: die, welche Gattungen im einzelnen auszuwählen waren und die, welche Verfasser herangezogen werden mußten, der zweite - Auswahl der sprachlichen Mittel - diejenige nach der Verwendung dieser Mittel in bestimmten Kommunikations- und Existenzformen der Sprache, letztlich - aus Gründen ihres Stellenwertes in der Kommunikation - die nach der "Volkstümlichkeit" (im vorhin schon angeführten Sinne von Verständlichkeit für die breiten Massen) der ausgewählten Sprachmittel.

2.1.

Zu Komplex 1 (zugrunde gelegte Quellen) ist folgendes zu sagen: Aus den eingangs ge machten Ausführungen geht hervor, daß Agitationsliteratur notwendigerweise in breitem Umfang vertreten sein mußte - kulminiert doch in ihr die aufgezeigte generelle Entwicklung. Nach Lage der Dinge heißt das: Flugschriften (dieser Terminus soll hier zunächst trotz seiner Problematik der zusammenfassenden Markierung wegen noch gebraucht werden, später mehr dazu), Dialoge und Predigten hatten die Grundlage unseres Quellencorpus zu bilden. Wir ergänzten diese Quellengruppen um solche Zeugnisse, die sowohl spontane persönliche Äußerungen wie auch in vorbedachte Konstruktionen gefügte

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Schreiben an amtliche Stellen darstellen können: um Briefe also, denen im Untersuchungszeitraum (den wir - um das genauer als bisher anzugeben - auf die Jahre kurz vor und nach 1525 ansetzen) gerade in Kreisen der unmittelbar in die Auseinandersetzungen einbezogenen Vertreter der einzelnen Lager - man denke besonders an Luther und Müntzer - eine nicht zu unterschätzende Rolle zufiel. Statt einer (nach dem bisher Ausgeführten) überflüssigen Begründung für das Einbeziehen von Flugschriften überhaupt, soll vielmehr kurz auf eine mit dieser Quellengruppe zusammenhängende Detailfrage eingegangen werden, die einen tragenden Pfeiler für unsere Thematik d a r stellt: auf die ihrer Breitenwirkung. Diese nämlich wird in der Regel als selbstverständlich vorausgesetzt - ohne daß im allgemeinen Klarheit darüber herrscht, wie das denn nun tatsächlich ausgesehen hat. Hier einmal mit genaueren Angaben zu einigen der ausgewählten Quellen den diese Feststellung tragenden Unterbau auszuleuchten, dürfte nicht ohne stützenden Wert für den Rang der Gesamtthematik sein, wenngleich damit Uber den realen Rezeptionsvorgang noch nichts Direktes ausgesagt ist. Aus historischen Angaben läßt sicherschließen, daß die Auflagenhöhe pro Druck zumeist ungefähr 1000 bis 1500 Exemplare betrug: Cochläus nämlich schreibt in einem Brief aus dem Jahre 1537 darüber (angeführt bei H. Winkler 1975, S. 58), und Schätzungen aufgrund beschlagnahmter Drucke ergaben gleiche Zahlen (P. Roth 1914, S. 67). Gehen wir also von je 1000 Exemplaren pro Druck aus, dann ergibt sich für den im Quellencorpus enthaltenen Karsthans - ausgehend von der Zahl der nachgewiesenen überlieferten Drucke - eine Mindestanzahl von 10 000 Exemplaren, für den Dialog Wegsprech e i ne solche von 2 000, für den Dialog 'Gespräch zwischen einem Pfarrer und einem Schultheiß' eine solche von 13 000 (vgl. auch H.Winkler 1975, S. 58). Das sind Zahlen, die sehr eindrucksvoll die Massenwirkung von Schriftgut dieser Provenienz anzeigen und seine tiefgreifende soziale Wirksamkeit bestätigen; sie wurde auch durch die Notwendigkeit, im Zuge der Auseinandersetzung mit der römisch/katholischen Kirche Wortgut gebrauchen zu müssen, das a priori in nichtvolkstümliche Beziehungen eingelagert ist, augenscheinlich nicht gemindert. Zu ergänzen und zu beschreiben ist schließlich noch eine Frage, auf die bereits hingewiesen wurde: die nämlich, wie wir den umfassenden Begriff '-Flugschrift' handhaben, deutlicher, wie wir ihn seiner Unterschiede verwischenden Breite wegen auflösen. Betrachtet man die einschlägige Literatur, fallen wechselnde Einteilungsprinzipien auf. Hier seien nur zwei herausgegriffen: solche z. B . , die von ideologischen Lagern ausgehen (protestantisch, katholisch usw.) und solche, die die soziale Stellung der Verfasser in den Mittelpunkt rücken (Flugschriften der Humanisten, des Volkes usw.). Wir sind von der Funktion der Flugschriften ausgegangen zugleich Konstituens und Forum der Öffentlichkeit zu sein und fassen sie prinzipiell unter dem Oberbegriff 'Streitschriften' zusammen (vgl. auchB. Balzer 1973, S. 8 ff.). Da jedoch auch

Einleitung

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dieser Oberbegriff notwendigerweise in sich gegliedert ist, haben wir die in den zusammenfassenden Überblicken stets als 'Streitschriften' erscheinende Gattung bei ihrer speziellen Interpretierung unterteilt in Programmschriften (z. B . Luther, An den christlichen Adel), in persönliche oder eigentliche Streitschriften (z. B . die Auseinandersetzung Luther/Emser) und in Unterweisungsschriften, die zur Propagierung einer Lehre dienen ( z . B . Müntzer, Sendbrief an die Brüder zu Stolberg) - um aus der entsprechenden Akzentuierung resultierende eventuelle Unterschiede in sprachlicher Hinsicht auffangen zu können (vgl. dazu R. Friedenthal 1974, S. 335 f . ) . Der Frage 'wer' mit 'wem' 'worüber' und zu 'welchem Ziel'spricht, dürfte man so weithin gerecht werden. Problematisch erscheint freilich von hier aus die Frage nach dem Standort der Dialoge. Zweifelsohne sind auch sie von ihrer Funktion her weithin den Streitschriften zuzuordnen; aus Gründen nicht zu stark komprimierter Zusammenfassung in einer Gruppe haben wir uns aber entschossen, die Dialoge als eigene Gattung anzusetzen, bestärkt dadurch, daß in ihnen sowohl bestimmte literarische Traditionen wie auch spezielle Darstellungsgesetze walten - die im übrigen ihren Verfassern durchaus bewußt waren, wie ein Hinweis im sogenannten Apothekendialog bezeugt: Als dort die Frage der Wirksamkeit gestreift wird, heißt es nämlich: / . . . mag villeicht des schult sein, daß die red und widerred als disputationes baß eingend dan bloß reden oder Schriften . . . / (O. Schade 1966, S. 54). Soviel zunächst über die zwei im Quellencorpus vertretenen Gattungen Streitschriften und Dialoge; bei der Auswahl der Autoren wird noch einmal darauf zurückzukommen sein. Auch zu den Predigten sind noch einige Hinweise erforderlich. Von vornherein ist bei ihnen - sofern es sich nicht um ausgesprochene Lesepredigten handelt (z. B . Eck, Pr Sacrament usw) - die Notwendigkeit des Redners in Rechnung zu stellen, sich in Inhalt und sprachlichem Ausdruck auf seine Zuhörerschaft einzustellen. Das bedeutet a priori Forderung nach Einfachheit und Meidung des Ungewöhnlichen. Zu bedenken ist aber auch - und das sei angeführt, um zu zeigen, daß wir uns der Problematik dieser Quellenart durchaus bewußt sind - daß die Predigtüberlieferung Interpretationsschwierigkeiten aufgeben kann: dann, wenn es um den Unterschied zwischen gedruckter und handschriftlicher Predigtfassung geht, dann, wenn das Nachschreiberproblem zu berücksichtigen ist. Nicht außer acht gelassen werden darf schließlich und endlich auch die Predigttradition wie die Tradition kirchlicher Beredsamkeit überhaupt. "In den Anweisungen für die Verhaltenssteuerung in der kirchlichen Verkündigung, die in den zahlreichen artes praedicandi kompiliert und für die Ausbildung und Amtsausübung jedes Predigers verbindlich waren, ist die Anpassung der Höhenlage des Stils und des rhetorischen Gestus an den jeweiligen Redezweck immer wieder gefordert" ( J . Schutte 1973, S. 151). Und wichtig für unseren Zusammenhang ist auch, daß sich in fast allen artes praedicandi Polemik gegen rhetorisch-kunstvoll aufgeschmückte Kanzelreden

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findet. Zur speziellen Quellenlage überhaupt ist schließlich noch anzumerken, daß uns leider ein sehr wichtiger Zweig der Predigtüberlieferung überhaupt nicht zugängig ist: die Ansprachen der Laienprediger, der Prädikanten, der entlaufenen Mönche, "die im allgemeinen eine radikalere Reformation vertraten als Luther und seine Anhänger" (S. Hoyer 1974, S. 463). Hier sind der sprachlichen Untersuchung leider unübersteigbare Grenzen gesetzt. Als letzte Quellengruppe sind vorhin Briefe angeführt worden. Hingewiesen wurde dabei schop auf ihre unterschiedliche Aussagekraft, so daß wir uns mit Anmerkungen zu dieser Quellengruppe kurz fassen können. Sie zielen im wesentlichen auf e i n

Pro-

blem: darauf nämlich, daß in ihrem Umkreis der Adressatenfrage besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist, ebenso auch ihrer zum Teil recht unterschiedlichen Funktion. Um konkret zu werden: Es ist ein zu beachtender Unterschied, ob Luther an seine Kinder, Agricola an den Kurfürsten von Sachsen oder Müntzer agitatorische Aufrufe an ganze Stadtgemeinden schreibt. Urteilt man über d i e

Briefe, muß man sich dieser

Vielschichtigkeit bewußt sein. Auch hier also gilt es zu differenzieren - bei aller Berechtigung zum Generalisieren. Es wurde schon hervorgehoben, daß mit der Frage nach den Gattungen die nach den auszuwählenden Autoren eng verknüpft ist. Wir standen hier vor der Situation, mehrere Faktoren miteinander kombinieren zu müssen: zum einen nämlich sollte gewährleistet sein, daß Vertreter aus den entscheidenden gesellschaftlichen Lagern den Autorenkreis bilden, zum anderen sollten von ihnen dann aber auch Quellen aus möglichst vielen der angeführten Gattungen vorhanden sein, um das Verhalten jeweils e i n e s

Autors in

verschiedenen Genres beschreiben zu können. In dieser Frage jedoch waren wir auf die Überlieferungslage der einzelnen Autoren angewiesen - und die ist beim Stand der Edition frühneuhochdeutscher Texte nicht immer die günstigste. Es ist verständlich, daß von hier aus Abstriche von maximalen Anforderungen nicht ausbleiben konnten; wir haben versucht, sie auf ein vertretbares Maß herabzuschrauben. Klarheit herrschte von Anfang an darüber, daß als Vertreter des bürgerlich-reformatorischen Lagers Martin Luther eine zentrale Stellung einzunehmen hatte, zumal durch die Weimarer Ausgabe in diesem Fall alle Überlieferungssorgen entfielen. Ihm zur Seite haben wir - um Differenzierungen innerhalb dieses Lagers aufzeigen zu können - J . Agricola und A. Karlstadt als zwei seiner typischen Vertreter gestellt, gleichzeitig sollte von einer solchen Gfuppe aus der Vergleich mit dem katholisch-restaurativen Lager auf eine sichere Grundlage gestellt werden. Seiner zentralen Stellung wegen wählten wir Th. Müntzer als Vertreter des bäuerlich/plebejischen Lagers. Eine eingehende Begründung erübrigt sich an dieser Stelle: die 1975 durchgeführten Konferenzen anläßlich des 450. Jahrestages des deutschen Bauernkrieges haben seine Bedeutung nachdrücklich unterstrichen.

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Einleitung Aus dem katholisch-restauraiiven Lager haben wir - seiner vielschichtigen Zusam-

mensetzung wegen - unterschiedliche Naturen in den Autorenkreis einbezogen: den streitbaren Emser, den streitbaren und gemeinhin als volkstümlich apostrophierten Murner und Luthers disputationsgewandten literarischen Hauptgegner Johann Eck, dessen theologische Gelehrsamkeit in der Leipziger Disputation den Sieg davontrug. Bei der Auswahl der Dialogverfasser schlössen wir uns dem Urteil Werner Lenks an und nahmen einen Großteil der von ihm edierten Dialoge in das Quellencorpus auf (W. Lenk 1968, S. 44 ff.). Da deren Verfasser zum weitaus größten Teil unbekannt sind, andere z. T. nur unsicher erschlossen sind, haben wir sie als geschlossene Gruppe den Dialogen Huttens gegenübergestellt, die sowohl von ihrer ursprünglichen sprachlichen Formung wie auch von der literarischen Tradition her, in der sie stehen, eine Sonderstellung einnehmen. Da gleichzeitig von Agricola und Karlstadt Dialoge einbezogen werden konnten, ist es von einer solchen Quellenlage aus möglich, innerhalb der Gattung Dialog zwei Gruppen gegenüberzustellen: eine, die im wesentlichen von unbekannten, sprachlich nicht immer gewandten Verfassern gebildet wird und eine zweite, deren Verfasser auch mit anderen literarischen Werken hervortreten. Insgesamt beruhen unsere Aussagen also auf Stichproben aus vier Gattungen (Streitschriften, Predigten, Briefen, Dialogen), für die Beispiele von acht Einzelverfassern (Agricola, Eck, Emser, Hutten, Karlstadt, Luther, Müntzer, Murner) und einer Verfassergruppe (Dialogverfasser) von allen Autoren herangezogen wurden. Der Umfang der Stichproben, um das abrundend gleich hinzuzufügen, ist dabei von einer solchen Größe, wie sie das einzelne Thema zu seiner sicheren Bearbeitung vorschreibt. Detaillierte Auskunft über die im Einzelfall für jede Gattung ausgewählten Schriften gibt das Quellenverzeichnis S.

. Es enthält gleichzeitig die Siglen, mit denen sie in al-

len Studien zitiert werden.

2.2.

Die Auswahl der speziellen Themen nun, um damit zu einem weiteren Punkt überzugehen, war von vornherein vorgezeichnet durch die einleitend für den Untersuchungszeitraum skizzierten Bedingungen und die sich theoretisch daraus ergebenden sprachlichen Konsequenzen, die von allgemeinen Äußerungen zeitgenössischer Autoren über den herrschenden Sprachgebrauch zumindest in ihren Umrissen praktisch sichtbar gemacht werden konnten. Von diesen Ausgangspositionen her galt es, den Gebrauch solcher sprachlichen Mittel zu überprüfen, die das Streben nach maximaler Ausdruckskraft, leichter Verständlichkeit und Überzeugungskraft demonstrieren und die darüber hinaus - um dieses Ziel zu erreichen - auf das Integrieren auch solcher sprachlichen

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Mittel hinweisen, die für die gesprochene Alltagssprache (vgl. dazu W. Fleischer/G. Michel 1975, S. 253 ff.) kennzeichnend sind. Einer Tatsache muß man sich also immer bewußt sein: daß gesprochene Sprache im hier gebrauchten Sinne ein komplexer Begriff ist, der die in sich abgestuften Formen gesprochener Literatursprache ebenso umfaßt wie gesprochene nicht-literatursprachliche Existenzformen der Sprache - bis hin zum Wortschatz aus unteren Stilschichten. Dieser Gesamtbereich 'gesprochene Sprache' stand den Agierenden offen, nicht nur einzelne seiner Teile. Setzt man, wie es gelegentlich getan wird, 'gesprochene Sprache' mit 'volkstümlich' gleich, muß die eben angedeutete Spannweite dieses Begriffes bedacht werden und - behält man die Gleichsetzung bei - in der Markierung "volkstümlich" enthalten sein. Natürlich kann man von einem s o abgesteckten Begriff ' gesprochene Sprache' aus dann weiterfragen: danach z. B . , ob Differenzierungen in der Realisation derjenigen Stilmittel sichtbar werden, die ihr eigen sind - dergestalt, daß bei bestimmten Erscheinungen - etwa dem sprachlichen Bild - Gebrauchsweisen von grobianischer Deutlichkeit bis hin zu gehobener literatursprachlicher Ausformung auftreten. Wenn Müntzer z. B. im 'Prager Manifest' feststellt: /O ho, wie reiff seynt die faulen opffel! O ho, wie morbe synt dye auserwelten worden! dye zceyt der ernde ist do/ (Zitat nach G. Franz 1968), S. 504), bleibt er mit diesem Bild in einem allen zugänglichen Vergleichsbereich, der sprachlich ohne Extreme nach dieser oder jener Seite vor vor Augen geführt wird. Auch das aber ist möglich - z. B. als er in einer Psalmenübersetzung das /Ne tradas me, Domine, a desiderio meo peccatori, cogitaverunt contra me: ne derelinquas me, ne forte exaltentur/ paraphrasierend folgendermaßen verdeutlicht: /Ach, Herr, laß die gotlosen nit lenger bezemen, dann ire missethat vorhindert g die gantze weit, mit wilcher sie sich vor andern in wirdigkeit empöret haben. Wenn ich mit yhn zu tische sitze, so muß ich ir gotlose weyse fressen auff dem t e l l e r . / (beide Zitate nach H. O. Spillmann 1971, S. 101). Besonders der zweite Satz ist in unserem Zusammenhang wichtig; in ihm klingen grobianische Tiefen an, die dem e r s t genannten Beispiel abgehen. Endlich ist auch das Gegenteil davon in unseren Quellen vertreten: das bewußte Einsetzen nämlich gehobener literatursprachlicher Ausformungen. Als Emser - um ein Beispiel aus den von uns gewählten Texten anzuführen 'Wider das unchristenliche buch Martini Luthers, Augustiners, an den Tewtschen Adel außgangen' schreibt, bedient er sich des Arsenals der Waffenmetaphorik, die - wie nachgewiesen wurde - bereits im Alten Testament ihren festen Platz hat, die also die Autorität der Heiligen Schrift verlieh und die in eigentlich literatursprachliche Bezüge eingebettet ist. Nach einem allgemeinen Angriff auf Luther äußert Emser seine Absicht, die Schrift 'An den Adel' zu widerlegen, mit folgenden Sätzen: /Vnd demnach ich mit eym So vormerten vnd geübten fechtmeyster auff den plan treten, vnnd vnßern heyligen glauben mit der hulff gotes wider yn vortedigen, will, ich vor dem rechten

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Einleitung

treffen, vnd ehe dann ich wort mit wort vorsetz ader sein reformation buch von blat tzu blat vorlege, vorhin durch diße vorred eyn vngeferlich frey auffheben oder schulrecht thun, vnd gleich wie man auff der fechtschul nit allwegen ym schwert sonder auch mitt langen spiessen vnd kurtzen degen tzu samen gehet. Alßo will ich mich erstlich auff diße dreier ley monier auch vor suchen, ob ich Lutern der seyne schirmschleg vnd spiegelfechten alleyn auff list geferlich vnnd nawe griff, ader tzu letzt auch auff die flucht gestalt hat yndert darnach ein vorteyl ablauffen mocht./ (Emser, St. Buch 8 f.). Unschwer ist eine ' Fechtschule' als bildumspannender Rahmen zu erkennen. Diese war ein öffentliches Schaufechten, das den Rang eines vielbesuchten Volkslustspiels einnahm. Emser wählt damit zweifelsohne ein Bild, das sofort die Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben wird - allein die Art jedoch, in der er es im Anfangsteil seiner Schrift weiterführt, zeigt, daß er völlig in vorgegebenen literarischen Bahnen und innerhalb dieses Bereiches auch sprachlich auf entsprechender Höhe bleibt und jede eigenständige Bildweiterführnng vermeidet und umgeht. Das aber ist im hier gegebenen Zusammenhang entscheidend. Luther - um das zu ergänzen - greift in seiner Erwiderung 'Auff das ubirchristlich buch Bocks Emßers zu Leypczick Antwortt' dieses Bild auf und konstruiert daraus einen so geschickten Gegengriff, daß Emser zum Schluß als derjenige dasteht, der christlich tradierte Metaphorik nicht zu handhaben weiß, also als einer, der der wahrhaftigen christlichen Lehre nicht teilhaftig ist. Ganz eindeutig ist hier bei den Kontrahenten das aus überindividuellem Metaphernbesitz stammende Bild in feste literarische Beziehungen eingebettet und wird nach kunstvollen rhetorischen Regeln verwendet (vgl. zu dem gesamten Komplex B. Stolt 1974, S. 95 ff.) - ein Symptom also dafür, daß man berechtigterweise auch umgekehrt fragen kann, ob literatursprachliche Mittel sui generis stärker oder schwächer in solchen Texten enthalten sind, die von ihrer Zielsetzung her der gesprochenen Sprache verpflichtet sind - z . B . bestimmte Arten von Satzverknüpfungen, bestimmte Frepidwortangebote usw. Das Ineinandergreifen von gesprochener und geschriebener Sprache ist demnach von durchaus unterschiedlichen Ansatzpunkten her faßbar, einsträngige Betrachtungsweise ist dem Gegenstand ebenso unangemessen wie Entweder-Oder-Definitionen: im Vordergrund haben vielmehr stets umfassende Aussagen darüber zu stehen, ob und w i e sprachliche Mittel bestimmter Art überhaupt eingesetzt werden und in welcher Weise sie dann realisiert werden, um einkalkulierte Wirkungen zu erzielen. Selbstverständlich konnten wir weder von der uns zur Verfügung stehenden Zeit noch von der Zahl der Mitarbeiter her die ganze Palette derjenigen Mittel, die für die umrissene Thematik in Frage kommen, zum Gegenstand unserer Untersuchungen machen; wir mußten von vornherein auswählen. Hilfe leistete außer bekannten Zuordnungen dabei auch ein Berücksichtigen der vom Alltagssprachstil und von publizistischen Eigenheiten her vorgegebenen stilistischen Besonderheiten eines Teiles unserer Quellen. Folgende

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Themenstellungen kristallisierten sich heraus: 1. Sprechsprachliche Gestaltungsmittel 2. Volkstümliche Metaphorik 3. Zur Personenabwertung 4. Zum Fremdwortgebrauch 5. Relative Attributsätze Mit der Wahl dieser Einzelstudien haben wir sowohl den Gebrauch von Mitteln aus der in sich gefächerten gesprochenen Sprache wie auch die Verwendung primär Itter atursprachlicher Formen aus Lexik, Grammatik und Stilistik in die Untersuchung der sich um 1525 abspielenden Sprachentwicklungsprozesse einbezogen; d. h. die vorhin angestellten grundsätzlichen Überlegungen blieben bei einer auf das Erreichen eines Überblicks zielenden Themenwahl nicht unberücksichtigt. Ohne nun im Detail auf die einzelnen Arbeiten eingehen zu wollen (das ist später Sache der einzelnen Mitarbeiter), seien wenigstens noch einige Anmerkungen zu ihrer Auswahl und zu ihrer allgemeinen Zielstellung angeführt. Ein sehr weites Feld ist mit der Verwendung metaphorischer Mittel abgesteckt worden, umfaßt dieses Thema doch gleichermaßen (jeweils im engeren Sinne) das sprachliche Bild und die Metapher: Mittel also, die in agitatorischen Texten auch heute noch eine wichtige Rolle spielen, weil durch inhaltlich angemessene Metaphorik eine Aussage von eindrucksstarker assoziativer und evokaiiver Kraft erreicht wird - "d. h . , durch die Ersetzung neutraler Bezeichnungen werden beim Leser Vorstellungen und Gefühle hervorgerufen, die auf Grund der speziellen Bildlichkeit negativ oder positiv sein können und damit eine entsprechende Einstellung zu der bezeichneten Sache bewirken. Auf dieses evokative (also bestimmte Vorstellungen erweckende) Moment als Ergebnis t r e f fender Wahl sei besonders deshalb hingewiesen, weil die Metaphorik in der Agitationsliteraiur nicht lediglich das gedanklich Auszusagende veranschaulichen will, sondern weil kraft dieser Anschaulichkeit Einstellungen und Haltungen erzeugt werden sollen, die sich für oder gegen eine Erscheinung richten " (K. H. Ihlenburg 1971, S. 130). Zugeordnet ist diesem Thema aber auch eine Untersuchung der Anwendung von Sprichwörtern - und zwar deswegen, weil ihnen in besonders hohem Maße der Charakter anschaulicher, allgemeingängiger und von allen als verbindlich akzeptierter Belehrung eigen ist. Auf die Spannweite von treffsicherer Einfachheit bis hin zu kunstvollem literatursprachlichem Gebrauch im Umkreis der sprachlichen Bilder ist schon hingewiesen worden, es ist hinzuzufügen, daß auch das Sprichwort - unabhängig davon, daß es in der Regel von Schichten, die nicht an der Literatur beteiligt waren, gebildet wurde - schon lange vor unserer Untersuchungszeit literaturfähig geworden war: es ist bekannt, daß die didaktische Dichtung des Spätmittelalters sich seiner bedient hat; wir wissen, daß

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Einleitung

auch die Humanisten es nicht verschmäht haben, sie zu sammeln und anzuwenden. Das aber heißt nichts anderes, als daß gerade bei diesem Thema insgesamt eine weite Fächerung von volkstümlichem Gebrauch bis hin zur Verwurzelung in literarische T r a ditionen gegeben ist - und damit natürlich die Möglichkeit, in diesem weiten Gebrauchsrahmen zu differenzieren. Zielte schon die Bildlichkeit mehr oder weniger stark auf die Akzentuierung des Emotionalen innerhalb der Einheit von Rationalem und Emotionalem, so tritt dieses Moment ganz augenfällig bei den Studien zur direkten Personenabwertung in den Blickpunkt, die im Hinblick darauf, daß das Bewerten eine wichtige Rollen beim Überzeugen spielt, in den Themenkreis aufgenommen worden sind. Geht man davon aus, daß gleichzeitig mit dem Gegner auch die von ihm vertretene Sache unglaubwürdig gemacht wird, gewinnt das Thema zusätzlich an Gewicht: Ganz eindeutig nämlich wird hier mit Hilfe der Sprache Verhaltenssteuerung betreiben - ein Umstand, der die Frage nahelegt, in welcher Weise das geschieht, ob von ideologisch fixierten Wertmaßstäben her oder von solchen subjektiver Natur, die natürlich in allgemeine gesellschaftliche Beziehungen eingebunden sind. Jede dieser Festlegungen hat selbstverständlich Auswirkungen auf den realiter dann verwendeten Wortschatz, der schon von hier aus eine unterschiedliche Struktur erwarten läßt und keineswegs allein an der grobianischen Elle zu messen ist, wiewohl diese, je nach Charakter und Art der Schrift, in die Bewertungen eingeblendet sind, durchaus angelegt werden kann - und zwar mit Wortgut dann aus den untersten Schichten. Ein E n s e m b l e zusammengehörender Stilmittel - besonders solcher, die auf Partnerbezug gerichtet sind (Anrede, Frage z. B.) - wird schließlich in der Studie über die Verwendung sprechsprachlicher Cesta.tungsmittel Gegenstand der Untersuchung deswegen, weil gerade von einer Bündelung der hier herangezogenen Mittel in einzelnen Texten die Gesamthaltung eines Autors oder einer Quelle in starkem Maße fixiert werden kann. Frequenzfragen stehen so bei diesem Thema notwendigerweise im Vordergrund; ihre Beantwortung bedeutet eine wesentliche Abrundung der von E i n z e l b e o b a c h t u n g e n her gewonnenen Ergebnisse. Es wurde bereits erwähnt, daß man berechtigterweise auch die Frage nach der Art der Verwendung primär literatursprachlicher Mittel in Texten unserer Provenienz stellen kann, daß man also die übergreifende Thematik durchaus vom literatursprachlichen Standard aus aufzugreifen imstande ist. Wir haben dieses Verfahren an zwei Themen exemplifiziert: einmal bei der Untersuchung der grammatischen Stilmittel der r e lativen Attributsätze zu einem Substantiv und einiger funktionsgleicher Konstruktionen, zum anderen bei der Überprüfung des Fremdwortgebrauchs in unseren Quellen. Der Ausgangspunkt, daß ungeformtes, gesprochener Sprache nahestehendes Deutsch nur wenig Verwendung für den Relativsatz hat, wird von einem Vergleich her bestätigt,

Gerhard Kettmann

19

den man zwischen Manuskript und Druck einer aus der Mitte des 16. Jh. stammenden Reisebeschreibung (es handelt sich um Ulrich Schmidts Reise nach Südamerika) angestellt hat: Der Drucker nämlich hat die vom literatursprachlich ungeschulten Autor im Manuskript bevorzugte Parataxe öfters in Relativsätze oder auch andere Nebensätze umgeformt, um eben den potentiellen Lesern eine offensichtlich ihren Bedürfnissen entsprechende sprachliche Form anzubieten (M. L. Huffines 1974, S. 60 f f . ) . Beobachtungen zur Gegenwartssprache, wie sie Christel Leska angestellt hat, decken sich damit (Ch. Leska 1965, S. 427 ff.) und sichern den Ansatzpunkt, die Verteilung der verschiedenen Strukturvarianten und Einleitungsmöglichkeiten der Relativsätze in unseren Quellen einer Überprüfung zu unterziehen. Mit der Untersuchung des G e b r a u c h s von Fremdwörtern schließlich wird ein Thema aufgegriffen, das in der Forschung bisher gegenüber dem Sichten von E r s t b e legen zu Unrecht zurücktrat. Nicht das Resultat ihrer sprachlichen Eingliederung aber ist im gegebenen Zusammenhang vorrangig wichtig, sondern die bisher nicht unter suchte Anwendungsweise von Fremdwörtern überhaupt. Zwei Komplexen ist demnach in dieser Studie besondere Aufmerksamkeit zu widmen: 1. dem Gebrauch von Fremdwörtern an sich (der Stärke ihres Vorkommens) sowie der Verbreitung der einzelnen Wörter und 2. der Frage, in welcher Weise Fremdwörter eingesetzt werden und in welchen Sachgebieten sie auftreten. Abschießend muß noch auf eine Frage grundsätzlichen Charakters hingewiesen werden: Die genannten Untersuchungen enthalten keineswegs Aussagen über den Wandel der Sprache als kommunikatives System - ihr Ziel ist es vielmehr, den sich ändernden Einsatz stilistischer Erscheinungen beschreiben zu wollen, um von hier aus Einblicke in die Wechselbeziehungen zwischen gesprochener und geschriebener Sprache im Untersuchungszeitraum zu gewinnen. G. Kettmann

SPRECHSPRACHLICHE GESTALTUNGSMITTEL Joachim Schildt

Inhaltsübersicht 1

Einleitung

2 2 1 2 1 1. 2. 1 2. 2. 2 2 2 1. 2 2 2. 2. 3 2 3. 1. 2 3. 2. 2 4 2 4 1. 2 4 2. 2 5 2 5 1. 2 5 2. 2 6 2 6 1. 2 6 2. 2 7 2 7 1. 2 7 2. 2 8 2 8 1. 2 8 2. 2 9 2 9 1. 2 9 2.

Charakteristik der Gattungen und Autoren Agricola Tabellarische Übersicht Auswertung des Untersuchungsbefundes

3 3 1 3 2

Tabellarische Ubersicht Auswertung des Untersuchungsbefundes Emser Tabellarische Übersicht Auswertung des Untersuchungsbefundes Hutten Tabellarische Übersicht Auswertung des Untersuchungsbefundes Karlstadt Tabellarische Ubersicht Auswertung des Untersuchungsbefundes Luther Tabellarische Uber sieht Auswertung des Untersuchungsbefundes Müntzer Tabellarische Übersicht Auswertung des Untersuchungsbefundes Murner Tabellarische Übersicht Auswertung des Untersuchungsbefundes Dialoge Tabellarische Ubersicht Auswertung des Untersuchungsbefundes Vergleich zwischen Autoren und Gattungen Vergleich der Autoren im Hinblick auf die Verwendung der untersuchten Stilelemente Vergleich der Gattungen im Hinblick auf die Verwendung der untersuchten Stilelemente . . .

EINLEITUNG

1.1 Wie bereits in der Einleitung dargelegt wurde, waren die Jahre der frühbürgerlichen Revolution in Deutschland durch ein Aufblühen der politischen Literatur mit agitatorischem und polemischen Charakter gekennzeichnet. Breiteste Kreise der Bevölkerung wurden in religiöse und politische Dispute einbezogen. Strittige Fragen, die bis dahin nur in Kirchen und Universitäten Gegenstand gelehrter Auseinandersetzungen waren, wurden jetzt auf Marktplätzen lebhaft und engagiert diskutiert oder waren Inhalt agitatorischer Schriften jeglicher Art. Ihre Verfasser wendeten sich, unabhängig von der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Lager, an breite Schichten des Volkes und suchten deren Unterstützung. Diese Veränderungen in der Kommunikationssituation, in deren Verlauf sich der Funktionsbereich der deutschen Literatursprache bedeutend erweiterte, hatten natürlich Auswirkungen auf den Charakter der Literatursprache. Während zu Beginn des 16. Jahrhunderts die geschriebenen und die gesprochene Variante der Literatursprache noch eine weitgehend voneinander unabhängige Entwicklung nahmen, begegnet nun in der Agitationsliteratur eine ganz andere Form geschriebener Literatursprache; sie ist von Elementen aus allen gesprochenen Existenzformen des Deutschen durchsetzt. Offenbar verwendeten die Autoren der Agitationsliteratur Elemente der gesprochenen Sprache, 'um größere Verständlichkeit und Expressivität zu erreichen' (M. M. Guchmann 1974, S. 167). Die aber war nötig, wenn man breite Schichten der Bevölkerung ansprechen wollte, um sie für seine eigenen Ziele zu interessieren oder sogar zu gewinnen.

1.2.

Gegenstand der Untersuchung sind einige jener sprechsprachlichen Erscheinungen in der Schreibsprache und ihre Verwendung bei den wichtigsten Kontrahenten in den Auseinandersetzungen der frühbürgerlichen Revolution. Diese Elemente stellen gleichsam stilistische Gestaltungsmittel dar, die an sich für den Dialog, der der mündlichen Vortragssituation sehr nahe steht, typisch sind (Grundpositionen 1972, S. 302). Vom Stil

26

Sprechsprachliche Gestaltungsmittel

der herangezogenen Texte als einer Ganzheit wird in dieser Arbeit nur ein Teil untersucht, ein Stilzug; 'Stilzüge sind die auf Häufigkeit, Verteilung und Verbindung (Frequenz, Distribution und Kombination) der Stilelemente beruhenden charakteristischen Besonderheiten eines Textes ' (W. Fleischer/G. Michel 1975, S. 63). Um einen Stil zug charakterisieren zu können, bedarf es der Analyse einzelner Stilelemente, die ihn konstituieren. 'Stilelemente sind alle auf Substitution und Kombination beruhenden variablen sprachlichen Erscheinungen eines Textes bei gleichbleibendem denotativem (referentiellem) Bezug. Es sind Elemente auf verschiedenen linguistischen Ebenen (phonetisch-prosodische, morphematische, lexematische, Wortgruppen-Satz-und Satzkombinationsebene), die in hierarchischer Beziehung zueinander stehen' (W. Fleischer/G. Michel 1975, S. 53). Wir gehen davon aus, daß für die Charakterisierung eines Stils oder Stilzuges nicht nur die Auswahl aus den Möglichkeiten, die das Sprachsystem bietet, wichtig sind, sondern auch deren sprecherbedingte Anordnung, die nicht im System der Sprache angelegt ist. Im einzelnen wurde die Agitationsliteratur aus der Zeit der frühbürgerlichen Revolution auf folgende Stilelemente hin durchgesehen, die vor wiegend durch unterschiedliche Satzarten repräsentiert werden. - Anreden an den Leser oder an den Adressaten einer Schrift, der Freund, Mitstreiter, Sympathisant oder noch zu gewinnender Parteigänger, aber auch der Gegner des Autors sein kann. Die Kontaktnahme kann auf unterschiedliche Art erfolgen, vor allem durch Anrufe, vielfach mit Namen, oder durch eine Aufforderung mit einem Satz entsprechenden Charakters, z. B. /du lieber schrifftgelerter/ oder /drumb sehet drauff/ (Vgl. W. Fleischer/G. Michel 1975, S. 129, 132). - Fragen an den Leser oder an den Adressaten einer Schrift, der wiederum Freund, Mitstreiter, Sympathisierender oder noch zu gewinnender Parteigänger, aber auch der Gegner des Verfassers sein kann. Im wesentlichen begegnen zwei Arten von Fragen, meist in Form eines Fragesatzes. Bei der einen wird wirklich eine Antwort erwartet, die andere stellt den Typ der rhetorischen Frage dar. 'Sie enthält entweder die Antwort schon in sich, wird vom Fragesteller selbst beantwortet oder bleibt unbeantwortet, weil sie zum gegebenen Zeitpunkt gar nicht beantwortet werden kann. Die rhetorische Frage ist mit dem Appell an den Hörer oder Leser verbunden, entweder selbst über das Problem gründlich nachzudenken oder dem Kommunikationspartner in seinem Gedankengang zu folgen und seinem Urteil voll zuzustimmen ' (W. Fleischer/G. Michel 1975, S. 132). Diesen Typ vertreten folgende Fragen Müntzers an Luther /pist du auß Gott? Warumb hörestu es nit? Warumb verspottest du es, und richtest das, das du nit befunden hast? Wilt du nun erst darauff synnen, welches du andere menschen sollest leren? / - Ausrufe, meist in Form von Sätzen, die keinen einheitlichen allgemeingültigen Bauplan aufweisen. 'Sie drücken innere Empfindungen des Sprechers oder Schreibers aus:

Joachim Schildt

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Erregung, Erschrecken, Überraschung, Verzweiflung, Zorn, Reue, Trauer, Freude, Glücksgefühle, und appellieren an den Leser oder Hörer, die Emotionen des Sprechers oder Schreibers zu teilen ' (W. F l e i s c h e r / G . Michel 1975, S. 132^ Die emotionale Verstärkung kommt häufig auch in einer Wiederholung bestimmter Ausrufe zum Ausdruck. Folgender Textausschnitt aus einer Müntzerschrift enthält eine solche emotional engagierte Aussage /glewbe, gleube! halt dich fest, fest mit einem starcken, starcken glauben, das man pfele yn die erde domit stoße/. - Wörtliche Reden, aus Frage(n) und Antwort(en) bestehend. Sie sind als dialogisches Element in Darstellungen unterschiedlicher Art eingefügt, d. h. der Autor wechselt z . B . von der sachlichen Beschreibung über zur Wiedergabe eines Sachverhalts in Form von Rede und Gegenrede (Vgl. W. Fleischer/G. Michel 1975, S. 209 f). Über Grundfragen der Reformation informiert Luther z. B. nicht in Form eines gelehrten Traktats, sondern in Gestalt von Rede und Antwort /fragistu aber 'wilchs ist denn das wort, das solch grosse gnad gibt, Und wie sol ichs gebrauchen?' Antwort: Es ist nit anders, denn die predigt, von Christo geschehen, wie das Evangelium ynnehelt/. - Die syntaktische Ellipse, die die aufgelockerte, ungezwungene Atmosphäre des mündlichen Gesprächs kennzeichnet. Darunter ist jeder Satz zu verstehen, 'dem das finite Verb oder eine von dessen syntaktisch notwendigen Sinnergänzungen fehlt und der dennoch im sprachlichen oder außersprachlichen Kontext seine Mitteilungsfunktion in vollem Umfang erfüllt. Im Regelfall gewährleisten der Textzusammenhang, die Situation, die Sachkenntnis oder die Erfahrung der Kommunikationspartner das volle Verständnis des Inhalts elliptischer Sätze trotz fehlender Bestandteile ' (W. Fleischer/G. Michel 1975, S. 177). Vgl. z. B. / . . . haben sye dreyerley rat funden dardurch sye gelt von den außlenderen brachten. Erstlich einen ablaßmarckt zugericht/ aus einem der Dialoge Huttens. Darüber hinaus wurden die in das Quellenkorpus einbezogenen Schriften auf eine stilistische Erscheinung hin analysiert, die als typisch für die geschriebene Variante der Literatursprache gilt, den Wegfall der finiten Verbform von /haben/ und / s e i n / in Gliedund Gliedteilsätzen (Vgl. R. Bock 1975). Die Aussparung beider Hilfsverben ist ein Hinweis darauf, daß ein Autor sich gegenüber Stilnormen der Schreibsprache besonders v e r pflichtet fühlte, während ihre Setzung umgekehrt ein Indiz dafür liefern kann, daß er sich in dieser Hinsicht nicht dem Zwang schreibsprachlicher Stilmuster beugte. Die E r gebnisse dieses Teils der Untersuchung wurden jeweils nur zusätzlich herangezogen, gleichsam in der Funktion, bereits feststehende Resultate von einer anderen Position her zu beleuchten.

Sprechsprachliche Gestaltungsmittel

28

1.3. Ziel der Untersuchung ist es, Aussagen über die Verwendung der beschriebenen Stilelement, auch Stilmittel genannt, bei den einzelnen Autoren und in den einzelnen Gattungen, denen die jeweiligen Werke zuzuordnen sind, zu machen. Aus der Charakteristik jedes Verfassers und Werkes auf der Grundlage gleicher Kriterien lassen sich Durchschnittswerte ermitteln, die Schlüsse auf die Zeittypik zulassen. Sie stellen den Maßstab dar, an dem die Ergebnisse für die einzelnen Autoren und Gattungen gemessen und verglichen werden können, d. h. sie ermöglichen Hinweise über Individualstile und Gattungsstile, aber auch über Faktoren, die gerade bei Gattungsspezifika differenzierend wirken können. Bei allen Aussagen muß immer bedacht werden, daß sie nur aus der Analyse einiger weniger Stilelemente, eines Stilzuges, gewonnen wurden und sich nur auf diese beziehen können. Eine umfassende Einschätzung eines Personal- oder Gattungsstils ist erst aus der Sicht einer alle Stilzüge berücksichtigenden Untersuchung möglich. Um das Untersuchungsziel zu erreichen, wurde methodisch folgendermaßen vorgegangen. Für jedes Werk wurde der Anteil eines Stilelements am Gesamtbestand der Wörter dieser Quelle oder des gewählten Quellenausschnitts ermittelt; die in tabellarischen Übersichten dargebotenen Zahlen geben diesen Anteil, jeweils auf 1000 Wörter bezogen, an. Aus diesen Promillewerten der einzelnen Schriften konnten dann sowohl Durchschnittswerte für die Autoren als auch für die jeweilige Gattung errechnet werden. Über die Verfahrensweise im einzelnen gibt die jeweilige Vorbemerkung zu einer solchen tabellarischen Übersicht Auskunft. Bei diesem Vorgehen sind wir uns zunächst durchaus der Tatsache bewußt, daß unter Stilnormen, die hier beschrieben werden sollen, nicht das zu verstehen ist, 'was in jedem Fall häufig vorkommt, sondern das, was auf Grund entsprechender sozialer und ideologischer Bedingungen seitens der Gesellschaft oder einer Gruppe beansprucht wird ' (W. Fleischer/G. Michel 1975, S. 57 f).Stilnormen lassen sich nicht mit rein sprachwissenschaftlichen Mitteln erschließen. 'Das, was vom einzelnen oder von einer Gruppe in bezug auf das Sprachverhalten beansprucht wird (wissend oder nicht wissend), läßt sich annähernd exakt nur im Rahmen sozialpsychologischer Untersuchungen ermitteln ' (W. Fleischer/G. Michel 1975, S. 58). Dennoch gehen wir davon aus, daß bei der Beschreibung stilistischer Normen auch dem statistischen Aspekt eine bestimmte Bedeutung zukommt. Man wird 'sagen dürfen, daß sich "statistische Norm" und "ideale Norm" [= Stilnorm J . S . ] im Alltagsverkehr weitgehend decken, so daß hier sprachstatistische Untersuchungen Aufschluß geben können über den kommunikativen Anspruch des Sprachbenutzers ' (W. Fleischer/G. Michel 1975, S. 58). Die von uns ermittelten Werte, so exakt sie im einzelnen sein mögen, verstehen wir jedoch nicht im Sinne einer anspruchsvollen Sprachstatistik, sondern mehr im Sinne des "symptomatischen Zählens"

Joachim Schildt

29

W. G. Admonis (1963, passim; 1967, S. 155 f). Quantitäten im Sprachgebrauch geben uns bestimmte Hinweise, sind uns "Symptome" für qualitative Veränderungen in der Sprache.

1.4. Für die vorliegende Arbeit wurden mit einer Ausnahme alle im Quellenverzeichnis angeführten Werke im dort angegebenen Umfang durchgesehen; darauf beziehen sich auch die in den Übersichten verzeichneten Zahlen, die den jeweiligen Wortbestand anzeigen. Die Ausnahme bildet Karlstadts "Dialogus oder ein gesprechbüchlin. Von dem grewlichen vnnd abgöttischen mißbrauch des hochwirdigsten sacraments Jesu Christi"; hier wurde die Durchsicht nach 16 Seiten abgebrochen, als deutlich wurde, daß eine F o r t setzung der Exzerption für diese Arbeit keine wesentlich neuen Erkenntnisse bringen würde.

2. Charakteristik der Gattungen und Autoren

2.1. Agricola 2.1.1. Tabellarische Übersicht Die folgende Übersicht enthält Angaben über das Verhältnis zwischen den der Untersuchung zugrundeliegenden Stilmitteln sowie dem Gesamtbestand an Wörtern in den herangezogenen Textausschnitten. Da sich bei der Auswertung zwischen den einzelnen Predigten keine nennenswerten Unterschiede ergaben, wurden die Ergebnisse aus den einzelnen Predigten zusammengefaßt. Dasselbe gilt für die in das Quellenkorpus einbezogenen Briefe.

30

Sprechsprachliche Gestaltungsmittel Tabelle 1 Dialog

Streitschrift

6 799 Wörter

Predigt 18 195 Wörter

Brief 9 177 Wörter

Anrede

1,6

0,1

1,0

Frage

7,8

0,4

0,1

Ausruf

0,3

0,3

0,2

wörtl. Rede

0,6

1,0

0,1

Ellipse

1,0

0,1

0,1

fehl, fin Verbf.

0,3

0,2

2,7

2.1.2.

Auswertung de s Unter suchungsbefunde s

2.1.2.1.

Charakteristik der Gattungen

Dialog In der Regel gehört der Dialog zu den Gattungen, die in besonderem Maße durch die Verwendung sprachlicher Mittel, die für die gesprochene Sprache typisch sind, gekennzeichnet sind. Demzufolge können diejenigen Stilmittel außerhalb der Erörterung bleiben, über die nichts über das für die Gattung Charakteristische hinaus festgestellt werden kann; das gilt z. B . in J . Agricolas "Ein nutzlicher Dialog zwischen einem Mtintzerischen Schwärmer und einem evangelischen frommen Bauern" von 1525 für Anreden, Ausrufe sowie Ellipsen des Typs/ Ey solt er denn den todt darumb verdint haben ob er yrret? J a freilich verdint, weil er nicht hatt wollen vmbkeren/ Agricola Di Dialogus, 207. Anders verhält es sich jedoch bei der Verwendung folgender Stilmittel. Frage und Antwort sind für den Dialog typisch, ihr Vorkommen ist selbstverständlich und wäre kaum erwähnenswert. Wenn jedoch Fragen gehäuft auftreten und keine Antwort erfolgt - vgl. den hohen Anteil von 7, 8 auf 1000 Wörter - so liegt der Schluß nahe, daß bei diesen Scheinfragen, auf die gar keine Antwort erwartet wird, von einem für die gesprochene Sprache typischen Mittel absichtlich ein verstärkter - über das übliche Maß hinausgehender - Gebrauch gemacht wird. Vgl. z. B . /Seit yr nicht vbelthetter warumb seit yr denn also auff dem Eißfeld vmbher gezogen vnd geraubt . . . Ist das nicht teuffelisch? Solt das weltliche obirgkeit nicht straffen?/ Agricola Di Dialogus, 207. - Zu den Besonderheiten dieses Dialogs gehört weiterhin, daß der Autor eine Person, die sich in einem Zwiegespräch mit einem Gesprächspartner befindet, einen Bericht über ein zurückliegendes Ereignis in Form von Rede und Gegenrede zwischen den Personen der referierten Handlung geben läßt. Als Beispiel mag ein Ausschnitt aus der Schilderung des Schwärmers dienen, die er dem Bauern über eine Begegnung mit Th. Müntzer gibt /ich kam ein mal für seiner kamer, do er zu Alsteth auff dem thurm wonet, vnd er

Joachim Schildt

31

war ynn der kamer allein, do höret ich zwey miteinander reden do er nu aus der kamer kam, fraget ich yhn wer bei yhm ynn der kamer wer gewesen, do sprach ehr, Ey ich hab itzt meinen Gott gefraget, was ich thun soll, do sprach ich zu yhm Ey gibt er euch denn so bald bescheid? Antwort er mir Ey ließ ich doch den Gott tausent teuffei haben vñ hellisch fewr, wen er mir nicht solt bescheid geben, wenn ich yhn fragte/ Agricola Di Dialogus, 20b. - Die beiden ausführlich erörterten Stilmittel berechtigen zu der Annahme, daß in diesem Dialog Elemente der gesprochenen Sprache in stärkerem Maße Verwendung finden, als es für den Dialog an sich typisch ist. Predigt In den 3 Predigten aus dem Jahre 1537 wird - wie auch die Zahlenübersicht ausweist von Stilmitteln, die für die gesprochene Sprache charakteristisch sind, nur geringer Gebrauch gemacht. Das gilt für die Verwendung von Fragen, Anreden an den Leser bzw. Hörer und emotionell geladenen Ausrufen in gleicher Weise wie für elliptische Sätze. Auffällig ist jedoch ein relativ hoher Anteil von Passagen innerhalb des Predigttextes, in denen J . Agricola dazu übergeht, einzelne Personen über ihre Anliegen direkt - vielfach in Form von Rede und Gegenrede - sprechen zu lassen. Er fügt also in seinen Predigttext als Mittel der Belehrung Szenen ein, in denen Menschen mit Gott, einem Partner oder auch mit sich selbst reden. Als Beispiel soll folgender Ausschnitt aus der Predigt "Von Abraham vnd vom heydnischen weiblin" dienen, in dem Abraham mit seinem Gott spricht: /Hette e r s doch einen andern geheissen, ich wolt es auch desterbesser vergessen, wenn es je sein sol, das es ein ander thet. Was wird man sagen, wenn es ruchtbar wird? der knecht wird nicht schweigen, Er wird fragen, wenn ich widder zu jm komme, wo Isaac bleibe? Was sol ich antworten? Sol man mich nu erst für ein mörder aus schreien, vnd dazu meins eigen lieben kindes, dem ich je als sein Vater, das leben lieber gunte denn den tod. . . . Ah vnd weh meins grossen hertzenleids, Wo ist nu mein trost auff Got, der mir zugesaget./ Agricola Pr Abraham 1537, 184a f. - Insgesamt gesehen, besteht - trotz des relativ häufigen Vorkommens der zuletzt erörterten Erscheinung - keine Berechtigung, der Sprache der Predigten Agrícolas eine besondere Nähe zur gesprochenen Sprache zuzuerkennen. Offenbar liegen hier Predigten vor, die nicht von der Kanzel gesprochen wurden, sondern die zur Erbauung oder zum Trost gelesen wurden. Brief Die in das Textkorpus einbezogenen Briefe Agricolas weisen hinsichtlich der Verwendung der Stilmittel, die Gegenstand der Untersuchung sind, keinerlei Besonderheiten auf. Ihr Anteil, gemessen am Gfcsamtbestand der Wörter der entsprechenden Textpassagen, ist relativ gering. Wenn sich in den Briefen auf 1000 Wörter je 1 Anrede findet,

32

Sprechsprachliche Gestaltungsmittel

so erklärt sich das nicht - wie in anderen Gattungen - aus dem Bemühen des Autors, den Partner - Freund oder Gegner - direkt anzusprechen, sondern aus der Spezifik des Briefes, der in der Regel einen Adressaten hat; der Befund entspricht also dem, womit normalerweise in Briefen zu rechnen ist. - Einer Hervorhebung bedarf der relativ hohe Anteil an Glied- und Gliedteilsätzen mit Wegfall der finiten Verbform; vgl. z. B . /dieweil mich dan die hohe not gedrungen, habe ich . . . meyne beswerung anderswo suchen müssen/ Agricola, Br in 1540, 31. Wie die Fachliteratur ausweist, liegt in solchen Fällen ein spezifisches Stilmittel der Literatursprache vor. Damit rundet sich das Bild über die Briefe Agrícolas, die vorwiegend eine Rechtfertigung gegenüber den Vorwürfen Luthers zum Inhalt haben, ab. In ihnen wird - trotz einiger Passagen mit emotionellem Einschlag wie z . B . Agricola, Br in 1540, 10 - Literatursprache verwendet, in der kaum von Stilmitteln gesprochener Sprache Gebrauch gemacht wird. 2.1.2.2.

Personalcharakteristik

Auf der Grundlage der Analyse des in das Textkorpus einbezogenen Sdirifttums von J . Agricola ergibt sich, zusammengefaßt, folgendes Bild. Agricola verhält sich gegenüber den Stilmitteln, die - für die gesprochene Sprache typisch - Gegenstand der Untersuchung sind, sehr zurückhaltend. Unterschiede zwischen seinem "Dialogus", den Predigten sowie den Briefen sind zwar nicht zu übersehen, sind aber offenbar gattungsbedingt. Agrícolas Sprache weist keine besondere Nähe zur gesprochenen Sprache seiner Zeit auf.

2.2.

Eck

2.2.1.

Tabellarische Übersicht

Die folgende Übersicht enthält Angaben über das Verhältnis zwischen den der Untersuchung zugrundeliegenden Stilmitteln sowie dem Gesamtbestand an Wörtern in den herangezogenen Textausschnitten. Sie weist sowohl für die Streitschriften als auch für die Predigten Durchschnittswerte für die jeweilige Gattung aus, die auf der Grundlage der Analyse des einzelnen Werkes ermittelt wurden. Die durchschnittlichen Werte bieten einen Maßstab, an dem der Befund der jeweiligen Quelle gemessen werden kann. Briefe Ecks, im Textkorpus an sich vertreten, ergaben keine Beleggrundlage für die der Untersuchung zugrundeliegenden Erscheinungen, die Aussagen über die Spezifik der Gattung Brief ermöglicht hätten; sie bleiben daher unberücksichtigt.

33

Joachim Schildt Tabelle 2 Dialog

Streitschrift

Predigt

15667 Wörter

18066 Wörter

a

b

c

0,5

Anrede Frage

0,6 0,9

1,1 0,5 -

0,2 0,7

Ellipse

0,1

0,1

fehl. fin. Verbi.

0,8

0,5

Ausruf wörtl. Rede

2.2.2.

Brief

Auswertung des Untersuchungsbefundes

2 . 2 . 2 . 1 . Charakteristik der Gattungen Streitschrift Die folgende Übersicht weist für die 4 Streitschriften "Gegen Martin Luthers Anklage wider das Konzil von Konstanz in Sachen des Johannes Hus und des Hieronymus von Prag" (= "Anklage"), "Gegen den Bürgermeister und den Rat von Konstanz in Sachen der lutherischen Prädikanten" (= "Rat"), "Antwort auf Ambrosius Blarers Schrift in Sachen der gescheiterten Konstanzer Disputation" (= "Antwort") und "Angebot einer Disputation über das Altarsakrament an Konrad Sam" (= "Angebot") die Anteile der untersuchten Stilmittel am jeweiligen Gesamtbestand der in der einzelnen Schrift enthaltenen Wörter gesondert aus.

Tabelle 3 Anklage 3936 Wörter Anrede

Rat 6636 Wörter

Antwort 3226 Wörter

0,5

1,6

Frage

0,5

2,4

1,6

Ausruf

0,3

0,6

0,6

0,2

0,3

Angebot 1869 Wörter

0,5

wörtl. Rede Ellipse fehl. fin. Verbi.

1,3

1,5

0,5

34

Sprechsprachliche Gestaltungsmittel

Allen 4 Streitschriften J . Ecks, die den Streit- und Disputationsschriften im engeren Sinne zuzuordnen sind, ist gemeinsam, daß Einfügungen von Passagen, in denen der zur Diskussion stehende Gegenstand in Form von Rede und Gegenrede abgehandelt wird, fehlen. Unterschiede zwischen ihnen zeigen sich in der Häufigkeit des Gebrauchs, der von einzelnen Stilmitteln gemacht wird. Betrachtet man die Verwendung von Fragen, die im Rahmen der Auseinandersetzungen an den Gegner oder Disputationsteilnehmer gestellt werden, oder von Anreden, so fällt auf, daß sich die Streitschriften "Rat" und "Antwort", beide 1526 entstanden, deutlich gegenüber "Anklage" (1520) und "Angebot" (1527) durch einen relativ hohen Anteil der genannten Stilmittel, der klar über dem Durchschnittswert liegt, auszeichnen. Als Beispiel sei eine Frage angeführt, die Eck in "Rat", dessen Inhalt die Auseinandersetzung Ecks mit Bürgermeister und Rat von Konstanz wegen lutherischer Prädikanten ist, an seine Kontrahenten stellt, /habt ir dann die schnuppen, das ir nit schmackend, was ewer neuchristen ewangelium sey? Eck, St Rat 22, 36 f. Typisch für Fragen dieser Art ist, daß sie gestellt werden mit der Absicht, daß der Autor selbst eine Antwort darauf geben kann. Ursachen für eine Bevorzugung beider Stilmittel könnten darin begründet liegen, daß beide Schriften in stärkerem Maße als die zwei anderen Disputationscharakter tragen. Das wird besonders deutlich in der Streitschrift "Antwort", in der sich Eck mit einzelnen Punkten einer Schrift A. Blarers, der behauptete, Eck und andere seien einer Disputation in Konstanz aus dem Wege gegangen, auseinandersetzt. Aus der Schrift Blarers werden einzelne Sätze herausgehoben, dem Leser meist wörtlich vorgelegt und dann in beißendem, spöttischem Ton zurückgewiesen, wie der folgende Ausschnitt verdeutlicht. / ' E s ist wider die natur und a r t ' , spricht Blarrer, 'ditz handels, so man von dem glauben handelt, der in das hertz gehört, das man sonder richter verordnet'; blaßt sich hoch auff mit dem, wie der frosch gegen dem ochsen; . . . Darauff sag ich, das der münch die onwarheit firgibt . . . / Eck, St Antwort 46, 9 f. Demgegenüber stehen die Auseinandersetzungen in der Streitschrift "Anklage" aus dem Jahre 1520, in der Eck versucht, das Konstanzer Konzil und die daran Beteiligten in Schutz zu nehmen gegen den Vorwurf Luthers, J . Hus sei zu Unrecht verbrannt worden, noch am Anfang. Entsprechend wird von den untersuchten Stilmitteln noch weniger Gebrauch gemacht als auf dem Höhepunkt der Entwicklung, der mit dem Bauernkrieg um die Mitte des Jahrzehnts lag.Es kann zwar kein direkter und unmittelbarer Bezug zwischen der Verwendung bestimmter, der Sprechspräche eigenen Stilmittel und bestimmten historischen Entwicklungen hergestellt werden; aber es fällt auf, daß sich in der Flugschrift "Angebot", nach dem Höhepunkt der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen 1524/25 im Jahre 1527 und damit bereits in einer Phase entstanden, in der sich die Niederlage der progressiven Kräfte in der frühbürgerlichen Revolution in vielen Bereichen auswirkte, kaum noch Beispiele für die untersuchten Stilmittel finden.

Joachim Schildt

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Predigt Wie die Übersicht unter 1 ausweist, sind alle in die Untersuchung einbezogenen Stilmittel in den insgesamt 76 Predigten von Eck, die aus der Predigtsammlung "Der viert tail Christlicher Predigen von den siben H. Sacramenten" aus dem Jahre 1534 ausgewählt wurden, vertreten; ihr Anteil liegt jedoch jeweils unter 1 Promille, so daß sich aus dem Befund keinerlei Schlüsse auf Besonderheiten - sei es der einzelnen Predigt, sei es im Hinblick auf ein bestimmtes Stilmittel - ableiten lassen. Im Unterschied zu den Streitschriften finden sich in den Predigten Beispiele für das Ehstreuen von Abschnitten, in denen in Dialogform bestimmte Probleme behandelt werden . Folgender Predigtausschnitt soll diese Feststellung belegen: /möcht ainer sagen, Hie vor ist geredt worden die knechtlich forcht sey jhm sünder, vnnd mach ain nit gerecht biß er anfallet Gott zu lieben, wie khan dan dise forcht ain gab des hailigen gaists sein, Möcht ainer auch gedencken, dise forcht machte ain grössern Sündern, wie Luther sagt. Antwurt war ists wie oben anzaigt . . . / Eck, Pr Pönitenz 40, 1534, 72 B. - Der Untersuchungsbefund legt den Schluß nahe, daß diese Predigten Ecks den Charakter gelehrter Lesepredigten haben, deren Anfertigung im fürstlichen Auftrag für die damalige Zeit typisch war. Sie stellen keine Niederschriften gesprochener Predigten dar; demzufolge findet sich in ihnen auch kein Reflex gesprochener Sprache, sondern hier liegt eindeutig bewußt gestaltete Literatursprache vor. - Diese Einschätzung wird gestützt durch das Auftreten von Konstruktionen, die nach allgemein anerkannter Ansicht als ausgesprochen literatur sprachlich gelten, wie z. B. von Glied-und Gliedteilsätzen, in denen die finite Verbform von /haben/ oder / s e i n / ausgespart ist; vgl. /diß bezeugt s . Pauls, dz in der massen empfangen haben die Galather, die sein predig nit verschmächt, sondern haben jn empfangen wie ain Engel Gottes/ Eck Pr Weihung 61, 1534, 115 d. 2.2.2.2.

Personalcharakteristik

Auf der Grundlage der Analyse der in das Textkorpus einbezogenen Streitschriften und Predigten von J . Eck ergibt sich hinsichtlich der untersuchten Stilmittel folgendes Bild. Sie werden in beiden Arten von Schrifttum verwendet, jedoch mit unterschiedlicher Frequenz. Unterschiede zwischen Vertretern beider Gattungen werden weitgehend nivelliert, wenn Durchschnittswerte für den Gebrauch eines der Stilmittel innerhalb e i ner Gattung ermittelt werden. Sie treten klarer hervor, wenn das einzelne Werk in dieser Hinsicht mit anderen verglichen wird; das wird besonders deutlich bei den Streitschriften. Je aktueller das behandelte Thema ist und je heftiger die Auseinandersetzungen werden, umso mehr geht der Autor aus der Reserve heraus und ist bemüht, sein Anliegen breitesten Kreisen verständlich zu machen. Das aber hat Auswirkungen auf die Wahl der Stilmittel, bestimmt den Charakter der verwendeten Sprachform. Gegenstand der Polemik und Adressatenkreis, aber auch die konkrete historische Situation,

36

Sprechsprachliche Gestaltungsmittel

in der die jeweilige Schrift verfaßt wird, bedingen, ob von den untersuchten Stilmitteln mehr oder weniger Gebrauch gemacht wird. - In allen untersuchten Schriften liegt L i teratursprache vor; darauf deuten u. a. typisch literatursprachliche Mittel wie die Verwendung von Glied- und Gliedteilsätzen mit Ausfall der finiten Verbform sowohl in den Predigten als auch in den Streitschriften hin.

2.3. 2.3.1.

Emser Tabellarische Übersicht

Die folgende Übersicht enthält Angaben über das Verhältnis zwischen den der Untersuchung zugrundeliegenden Stilmitteln sowie dem Gesamtbestand an Wörtern in den ausgewählten Textausschnitten. Sie weist sowohl für die Streitschriften als auch für die Briefe Durchschnittswerte für die jeweilige Gattung aus, die sich aus der Analyse der einzelnen Werke ergaben. An den Durchschnittswerten kann der aus den einzelnen Werken ermittelte Untersuchungsbefund gemessen werden.

Tabelle 4 Dialog

Streitschrift 53155 Wörter a

b

Anrede

0,7

Frage

Predigt

Brief 727 Wörter

c 4,1

Ausruf

1,7 0,3

wörtl. Rede

0,2

-

Ellipse

0,01

-

fehl. fin. Verbf.

1,9

8,3

-

2. 3 . 2 . Auswertung des Untersuchungsbefundes 2.3.2.1.

Charakteristik der Gattungen

Streitschrift Die folgende Übersicht gibt für jede der 5 Streitschriften Emsers, die in die Untersuchung einbezogen wurden, Auskunft über die Anteile der untersuchten Stilmittel am

Joachim Schildt

37

jeweiligen Gesamtbestand der in den einzelnen Quellen enthaltenen Wörter. Um den Befund angemessen einschätzen zu können, ist ein kurzer Hinweis auf den Anlaß der Abfassung dieser 5 Streitschriften - "Wider das vnchristenliche buch Martini Luters Augustiners . . . " (= "Buch"), "An den stier zu Uittenberg" (= "Stier"), "Auff des Stieres tzu Wiettenberg wiettende replica" (= "Replica"), "Quadruplica auff Luters Jungst gethane antwurt, sein refomation belangend" (= "Quadruplica") und "Bedingung auf Luters orsten Widerspruch" ( • "Bedingung") - erforderlich, die zu den Streitschriften im engeren Sinne gezählt werden. Sie stehen alle, 1521 im Druck erschienen, im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um Luthers Schrift "An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung", an denen sich H. Emser, der Sekretär des Reformationsfeindes Georg von Sachsen, besonders engagiert beteiligte. Zum Teil wird - wie im "Buch" - mit Zitaten aus der Lutherschrift gearbeitet, die vom Standpunkt Emsers Punkt für Punkt widerlegt werden sollen.

Tabelle 5 Buch

Stier

Replica

Quadruplica

Bedingung

16047 W.

2103 W.

5826 W.

21601 W.

7578 W.

Anrede

1,2

0,5

0,5

0,8

0,5

Frage

3,9

0,5

1,4

0,8

Ausruf

0,5

-

0,3

0,1

1,7 0,4

wörtl. Rede

0,7

-

-

-

-

-

0,1 0,04

0,1

Ellipse fehl. fin. Verbf.

5,1

1,4

1,4

0,8

0,7

-

Gemessen an dem für diese Streitschriften ermittelten Gesamtdurchschnitt heben sich "Buch" und "Bedingung" durch einen relativ hohen Anteil an der Sprechsprache eigenen Stilmitteln gegenüber den übrigen 3 Streitschriften ab. Gemeinsam ist allen 5 genannten Schriften das Fehlen elliptischer, für die gesprochene Sprache besonders typischer Konstruktionen. Wie auch in Streitschriften anderer Autoren üblich, wendet sich Emser direkt durch eine Anrede an seinen persönlichen Kontrahenten Luther. Dabei wechselt Emser - je nach Anlaß und persönlichem Engagement - zwischen freundschaftlich gemeintem/ meyn lieber Luter/ Emser, St Buch, 124 oder /bruder Luder/ ebd. 67 und diffamierenden Wendungen wie z. B. /du giffte schlang/ ebd. 84 oder /du vnreyner doctor/ ebd. 88 (Vgl. dazu in diesem Band die Ausführungen von Pensei). Aber auch die Leser

38

Sprechsprachliche Gestaltungsmittel

werden angesprochen; vgl. z. B. /liben Tewtschen/ Emser, St Stier 37. - Vielfach geht Emser innerhalb einer Auseinandersetzung, die mit sachlichen Argumenten geführt wird, plötzlich zu emotional geladenen Ausrufen über, die ein hohes Maß an Engagement zeigen. Vgl. z. B. die folgenden Ausführungen aus "Quadruplica": /Wie kan dann der vorlogen Mönch sagen, die schrifft sey so d a r , lawter vnd hell, das sie keyner glos oder außlegung bedorf. Pfu dich du vnuorschempter betler, wie bist du so gantz vormessen/ Emser, St Quadruplica 159 oder - wiederum mit Bezug auf Luther /Ist das Christenlich? Ist das Ewangelisch? Ist das ein refomation oder deformation? O himel, O erdt, o du vorfluchte hei, bist du nu so vol worden, das du disen ketzer vnd des obersten Pristers lesterer nith herbergen kanst/ Emser, St Buch, 132. - Vom Stilmittel der Frage an den Gegner, auf die vielfach gar keine Antwort erwartet wird, macht Emser ebenfalls häufigen Gebrauch. Viefach treten solche Fragen gehäuft auf; vgl. z. B. /dann was woltenn wir darnach auff der erden beginnen? Wolches haws mag doch gedeyhenn on gutte Ordnung? Wolche Stadt magk woll regirt werden on gesetz vnnd weychbildt? Wolches volck mag geschützt vnd befridet bleyben on recht vnd gericht? Oder wie können oder mögen die frommen vor den bösen genesen, wo dy boßheit nith gestrafft werden solt?/ Emser, St Quadruplica 163. Gelegentlich setzt der Autor auch mit einer Frage ein und geht dann zur Form des Aussagesatzes über. - Aus dem Kreis der untersuchten Streitschriften ragen "Buch" und "Bedingung" auch dadurch hervor, daß sich vor allem in ihnen Passagen finden, in denen ein Sachverhalt in Form fingierter Rede und Gegenrede, d. h. in der Art des Dialogs» wiedergegeben wird. Vgl. z . B . /ob aber yemant sprechen wolt, das gebet mochte wol vortzeyten crefftig gewest seyn, do die geistlichen fromer waren, Aber itzo het es seyn crafft vorloren vmb vnser sund willen, Wie dann Luter ouch dar auff Stochert vnd sagt, Christenheyt musß allwegen heilig seyn, oder sey nit Christenheyt. Dartzu antwurt ich, Ob gleych die Christenheit allzeyt heylig, So sint doch die Christen alle sunder/ Emser, St Bedingung, 214. Allen 5 Streitschriften ist gemeinsam, daß sich in ihnen Glied- und Gliedteilsätze finden, in denen die finite Verbform ausgespart ist. Solche als streng literatursprachlich geltenden Konstruktionen begegnen auch in den 2 Streitschriften, in denen von Stilmitteln der gesprochenen Sprache häufig Gebrauch gemacht wird. Vgl. z. B. /also hast du die rechten eehafftigen not vnd vrsach, warumb ich mit dir tzu streiten angefangen/ Emser, St Bedingung, 202. Gerade bei Emser fällt auf, daß der Wegfall der finiten Verbform von /haben/ und / s e i n / auch in Hauptsätzen bezeugt ist, wie folgender Ausschnitt aus derselben Streitschrift ausweist, /dann dem gemeynem einfeltigenn volck nit grosse schrifft von noten, sondern ein starcker vhester geloub/ ebd. 217. Brief Die Zahl der Briefe Emsers, die in die Untersuchung einbezogen werden konnten,

Joachim Schildt

39

ist relativ klein. Adressat der Briefe, die aus den Jahren 1526 und 1527 stammen, ist die Fürstin Margarethe von Anhalt. Wie die Übersicht zeigt, fehlen alle als typisch für die gesprochene Sprache geltenden Stilmittel. Die in den Briefen vorhandenen Anreden müssen außerhalb der Betrachtung bleiben; denn sie gehören zu den Charakteristika der Gattung der Briefe und stellen damit keine Besonderheit im Hinblick auf die Verwendung sprechsprachlicher Mittel dar. - Auffallend hoch ist der Anteil von Glied- und Gliedteilsätzen, denen die finite Verbform von /haben/ oder / s e i n / fehlt. Auch damit erweist sich die Sprache der Briefe Emsers als vorwiegend literatursprachlich geprägt. Diese Einschätzung gilt trotz der Tatsache, daß sich in den Briefen eine Verwendung des Verbs /tun/ findet, die allgemein der Mundart, also einer vorwiegend gesprochenen Sprachform vorbehalten ist,(O. Behagel 1924, S. 361) vgl. /hiemit ich mich E . F . G. vndertheniglich beuelhen thue/ Emser, Br 1526, 3. 2.3.2.2. Aus der Analyse der von H. Emser verfaßten Streitschriften und Briefe ergibt sich hinsichtlich der untersuchten sprechsprachlichen Stilmittel folgendes Bild. Während in den Briefen keinerlei derartige Stilmittel verwendet werden, macht Emser in den Streitschriften davon regeren Gebrauch. Zwischen den einzelnen Streitschriften bestehen jedoch in dieser Hinsicht ebenfalls Unterschiede. Der Anteil sprechsprachlicher Stilmittel liegt in Streitschriften wie "Buch" und "Bedingung" weit über dem ermittelten Durchschnitt, in den anderen darunter. Ursachen für diesen Tatbestand lassen sich nicht angeben, das umso weniger, als der Gegenstand der Auseinandersetzungen in allen 5 Streitschriften derselbe ist, der Inhalt der Lutherschrift "An den christlichen Adel . . . ". - Sowohl in den Briefen als auch in den Streitschriften sind Glied- und Gliedteilsätze - gelegentlich sogar Hauptsätze - belegt, denen die finite Verbform fehlt. Das deutet darauf hin, daß in allen Quellen aus der Hand Emsers geformte Literatursprache vorliegt, die mehr oder weniger von sprechsprachlichen Stilmitteln durchsetzt ist.

2.4. Hutten 2.4.1. Tabellarische Übersicht Die folgende Übersicht weist Angaben über das Verhältnis zwischen den der Untersuchung zugrundeliegenden Stilmitteln sowie dem Gesamtbestand an Wörtern in den Dialogen Huttens aus, die für diese Stilanalyse herangezogen wurden. Die Tabelle enthält Durchschnittswerte für die Gattung Dialog, die auf der Einzelanalyse jedes der 4 Dialoge basieren.

Sprechsprachliche Gestaltungsmittel

40 Tabelle 6

Anrede

Dialog

Streitschrift

38521 Wörter

a

b

Predigt

Brief

c

0,3

Frage

9,2

Ausruf

0,4

wörtl. Rede

0, 5

Ellipse

0,1

fehl. fin. Verbf.

1,4

2.4.2. Auswertung des Untersuchungsbefundes 2 . 4 . 2 . 1 . Charakteristik der Gattungen Dialog Alle 4 Dialoge Huttens, die für diese Untersuchung ausgewählt wurden, lagen zunächst 1520 in lateinischer Fassung vor. Während "DaserstFeber" sehr wahrscheinlich von M. Butzer übersetzt wurde, fertigte von "Das ander Feber", von "Vadiscus oder die Römische Dreyfaltigkeit" und von "Die Anschawenden" Hutten selbst die Übertragungen an. Alle 4 Dialoge wurden 1521, als "Gespräch buchlin" zusammengefaßt, in deutscher Fassung in Straßburg herausgegeben. Die folgende Übersicht faßt die Untersuchungsergebnisse von "Feber I" und Feber" II" zusammen, da die Analyse keine hervorhebenswerten Unterschiede zwischen beiden Dialogen ergab. Tabelle 7 Feber I/II 11389 Wörter Frage wörtl. Rede

-

9058 Wörter

0,1

0,8

10,0

7,7

9,9

0,2

0,5

0,6

0,6

0,9 0,4

Ellipse fehl. fin. Verbf.

Anschawenden

18074 Wörter

Anrede Ausruf

Vadiscus

0.8

1,7

1.6

Joachim Schildt

41

Hinsichtlich der Verwendung der untersuchten Stilmittel bestehen zwischen den 4 Dialogen keine grundsätzlichen Unterschiede. Es wirkt sich also auch nicht differenzierend aus, daß "Feber I" von Butzer, die übrigen Dialoge von Hutten selbst übersetzt wurden. Dennoch läßt sich nicht übersehen, daß der Dialog "Vadiscus", der allgemein als die bedeutendste Schrift Huttens gegen Rom und das Papsttum gilt, sich von den anderen zunächst einmal einfach dadurch abhebt, daß sich hier alle Stilmittel finden, die als typisch sprechsprachlich für die Untersuchung ausgewählt wurden. Bei ihrer Beschreibung kann auf eine Einschätzung des Gebrauchs von Anreden und Fragen, die in allen Dialogen sehr zahlreich vertreten sind, verzichtet werden; denn mit solchen Stilmitteln ist generell in einem Dialog zu rechnen, sie sind gattungsspezifisch und stellen damit keine Besonderheit dar. Anders verhält es sich mit der Verwendung von Rede- und Gegenredeelementen als Wiedergabe von Gesprächen anstelle eines Berichts darüber. Vgl. dazu folgenden Ausschnitt aus einem Gespräch zwischen Ernholt und Hutten, in dem letzterer folgende Ausführungen macht, / j a als ich jm das gesatz also weyt gelesen hatte, sprach ich zu jm: "Confirmirent ir Römer vns teutschen dißer zeyt auch solliche Bischoff? Oder würt der euch mit dem meysten gelt überschüt, am ersten auch darzu gefordert vnd bestätiget?" Antwort er: "ir Teutschen habt doch frey einen iden bischoff zu wolen." Sprach ich: "das ist wol war, sye müssen aber nit Bischoff sein, sye käuffen dann vorhin zu Rom einen mantel. wie mag das dann ein frey wal geheyssen werden? Ja billich möcht man so nit eynes Bischoffs erwelung, sunder ein anzeygung des, der euch gelt zu geben wirdig oder tüglich sey, genennet werden. D a r umb gib mir antwort vff ein frage/ Hutten Di Vadiscus, 67. Ebenfalls hervorzuheben da nicht g'attungstypisch - ist das Einfügen von Ausrufen, emotional gefärbten Wendungen, die von der inneren Beteiligung an den Auseinandersetzungen der Reformations.zeit zeugen. Hier liegen zwar keine Stilmittel vor, die ausschließlich der gesprochenen Sprache vorbehalten sind, aber zumindest fällt ihr häufigeres Auftreten in literatursprachlichen Texten auf. Vgl. z. B. /o schwert, hirt, scheren, vnd abschneyden. Wie gar nit kompt dißes wesen mit Christo überein/ ebd. 140 als Reaktion Ernholts auf die Information, mit welchen Mitteln man von Rom aus die Deutschen ausplündert, oder /die halten pferde, hund, maulesel, vnd (pfuch der schänden) ire weyber vnd ander, mit vnserem kosten/ ebd. 144. - "Vadiscus" ist von den 4 Dialogen auch der einzige, in dem sich elliptische Konstruktionen finden, wie sie an sich für die Literatursprache untypisch sind; vgl. z. B. / . . . haben sye dreyerley rat funden dardurch sye gelt von den außlenderen brachten. Erstlich einen ablaßmarckt zugericht/ ebd. 119 sowie /HÜTT. Ist aber nit ein stat,- die von solichen leüten besetzt, geschickt zu einem haupt der k i r chen? ERNH. Als mich bedunckt, ser vnbeqoäm/ ebd. 130.

42

Sprechsprachliche Gestaltungsmittel

2 . 4 . 2 . 2 . Personalcharakteristik Die Einschätzung Huttens, die auf der Grundlage der Analyse einiger Stilmittel vorgenommen wird, basiert auf einem beschränkten Textkorpus; es ist durchaus möglich, daß sich in anderen schriftlichen Äußerungen Huttens Stilzüge finden, die in den durchgesehenen Dialogen nicht begegnen. Dieser Tatbestand muß bei der folgenden Charakterisierung in Rechnung gestellt werden. In den 4 Dialogen liegen Vertreter des gelehrten Humanistendialogs vor, dessen Tradition in die Antike zurückreicht; darauf deutet schon hin, daß für alle zunächst eine lateinische Version existierte. In den deutschen Fassungen aller 4 Dialoge wird gepflegte und wohlgeformte Literatursprache verwendet, in der sich - vor allem im "Vadiscus" - Stilmittel finden, die für die gesprochene Sprache typisch sind. Trotz aller Heftigkeit der Angriffe gegen das Papsttum, trotz allen inneren Engagements enthält diese Sprachform jedoch keinerlei grobianische oder derbe Züge. Durch den Gebrauch der untersuchten Stilmittel wird sie lebendig und anschaulich, bleibt aber immer in Zucht genommene Sprache eines Autors, der am klassischen Latein geschult ist. Zu dieser Einschätzung stimmt auch die Verwendung von Nebensatzkonstruktionen, in denen die finite Verbform von /haben/ oder / s e i n / ausgespart ist. Vgl. z. B. /sein die vorigen Bäpst ser milt gewesen, die nit aller ding, so jn gegeben, beseß haben nemen wollen/ ebd. 76. Solche Konstruktionen, die wiederum in allen 4 Dialogen begegnen, gelten allgemein als typisch literatursprachlich für diese Zeit (Vgl. dazu auch M. M. Guchmann 1974, S. 46 f.).

2.5.

Karlstadt

2.5.1. Tabellarische Übersicht Die folgende Übersicht enthält Angaben über das Verhältnis zwischen den der Untersuchung zugrundeliegenden Stilmitteln sowie dem Gesamtbestand an Wörtern in den ausgewählten Textausschnitten. In den Rubriken Streitschrift, Predigt und Brief sind jeweils Durchschnittswerte angegeben, die aus den Ergebnissen der Analyse der einzelnen Vertreter der genannten Gattungen ermittelt wurden. Während die Einzelergebnisse für die Streitschriften und Predigten in den betreffenden Abschnitten gesondert ausgewiesen werden, wurde darauf bei den Briefen verzichtet, da die Auswertung ergab, daß zwischen den einzelnen Briefen keine Unterschiede hinsichtlich der Verwendung der ausgewählten Stilmittel bestehen.

Joachim Schildt

43

Tabelle 8 Dialog 6402 Wörter

Streitschrift 39929 Wörter a

0,5

0,2

Frage

8,0

Ausruf

0,2

Anrede

b

Predigt 16346 Wörter

Brief 1689 Wörter

c 0,5

0,2

2,4

2,5

3,3

1,3

0,6

0,2

0,2

0,1

wörtl. Rede

0,6

Ellipse

0,5

0,1

fehl. fin. Verbf

0,5

0,5

0,3

2.5.2.

Auswertung des Untersuchungsbefundes

2.5.2.1.

Charakteristik der Gattungen

0,1

6,5

Dialog Von dem "Dialogus oder ein gesprechbüchlin von dem grewlichen vnnd abgöttischen mißbrauch/ des hochwirdigsten sacraments Jesu Christi" von 1524 wurde etwas mehr als ein Drittel (16 von 42 Druckseiten = 6 402 Wörter) durchgesehen; die Untersuchungsergebnisse sind in der unterPunkt 1 angeführten Übersicht enthalten. Charakteristisch für diesen Dialog ist ein sehr geringer Anteil an Anreden und emotionellen Ausrufen; Einfügungen wörtlicher Rede und Gegenrede in referierende Passagen sowie elliptische Sätze fehlen ganz. Selbst die wenigen Ausrufe, die in der Regel ein besonderes inneres Engagement verraten und bei denen dann auch nichtliteratursprachliches Wortgut verwendet wird, sind bei Karlstadt "wohlgeformt". Wenn der folgende Ausruf Petrus, dem Laien, in den Mund gelegt wird, so dient er in erster Linie der Personencharakteristik; er ist kein Indiz - wie in anderen Dialogen - für den Einfluß gesprochener Sprache auf die Literatursprache. Vgl. /pfu dich, du vorgesner pfaff/ Karlstadt Di Mißbrauch, 20. Ausgesprochen hoch ist dagegen der Anteil an Fragen (8 auf 1000 Wörter). Sie geben Karlstadt die Möglichkeit, zu den aufgeworfenen Problemen gelehrte Ausführungen zu machen. Vor allem bei gehäuftem Auftreten entsteht der Eindruck, daß eine Antwort gar nicht erwartet wird; vgl. z. B . /sollen wir nit Apostel messig sein, warumb saget Petrus von Cornelio, das er den geyst entpfangen hatte wie sie? Warumb sprichet Paulus, das wir seyne nachfolger sein sollen? hat vns Christus seinen geyst nit verheyssen als den Aposteln/ Karlstadt Di Mißbrauch, 18 f. Wie das folgende Beispiel zeigt, geben entsprechende Fragen die Möglichkeit zu gelehrten Ausführungen über theologische Probleme und Übersetzungsfragen. /Vict. Wz aber bedeut dz wort sacrament. Gem. Sacra-

Sprechsprachliche Gestaltungsmittel

44

mentum ist ein lateinisch wort, vnd heisset vff gut teutsch. Eyn zeychen eines heyligen dinges/ ebd. 10. Die Frage wird nicht verwendet, um die Situation eines wirklichen Gesprächs mit Rede und Antwort zu charakterisieren. Diese kurzen Hinweise machen bereits deutlich, daß die Sprache dieses Dialogs mit seinen gelehrten Ausführungen über theologische Streitfragen der Reformation wenig oder gar keine Einflüsse gesprochener Sprache zeigt. Hier liegt wohlgeformte Literatursprache vor, auch dort, wo eine Person aus dem Volke, der Laie Petrus spricht. Auch ihm werden Sätze in den Mund gelegt, in denen die für die gepflegte Literatursprache typische Erscheinung des Wegfalls der finiten Verbform begegnet. Vgl. z. B. /ich merck das ir euch vmb ein wörtlin zancket, dz mir nicht zu vil bekant/ ebd. 15. oder /zu dem dritten würdt folgen, da ein brodt, das der becker gebacken, der leyb müst gewest seyn/ ebd. 18. Diese Einschätzung gilt trotz der Tatsache, daß sich in diesem Dialog eine Verwendung von /tun/ - vgl. /auch zwar ich habs vor nicht in achtung genommen, das ich itzt großachten thun/ ebd. 19 - findet, die allgemein als nichtliteratursprachlich gilt O. Behaghel 1924, S. 361).

Streitschrift Die folgende Übersicht enthält Angaben über die Verwendung der der Untersuchung zugrundeliegenden Stilmittel für jede einzelne Streitschrift. In der Tabelle unter Punkt 1 finden sich in der Rubrik unter a die Durchschnittswerte der Analyse der ProgrammSchriften "Von dem Sabbat vnd gebotten feyertagen" (= "Sabbat") und

n?eyg etlicher

Hauptartickeln Christlicher Leere, in wölchen Doct. Luter den Andresen Carolstat durch falsche zusag vnd nachred verdechtig macht" (= "Anzeige") sowie unter c die der Unterweisungsschriften "Ob man gemach faren vnd des ergernüssen der schwachen verschonen soll in sachen so gottes willen angahn" (= "Sachen") und "Vrsachen das And. Carolstat ein zeyt still geschwigen" ("Ursache").

Tabelle 9 Sabbat 8934 Wörter a

Anzeige

Sachen

Ursache

15891 Wörter

9029 Wörter

6075 Wörtei

a

c

c

Anrede

0,1

0,3

0,3

0,7

Frage

0,6

4,3

3,9

2,7

Ausruf

-

0,3

0,4

-

wörtl. Rede

-

-

-

-

Ellipse

-

-

-

-

fehl, fin, Verbf.

0,2

0,8

0,3

0,3

Joachim Schildt

45

Aus der Sicht des Untersuchungsgegenstandes bestehen zwischen den 4 Streitschriften, den 2 Programmschriften einerseits und den 2 Unterweisungsschriften andererseits keine erwähnenswerten Unterschiede. Es fehlen in allen 4 Schriften elliptische Sätze sowie Einfügungen dialogischer Passagen mit Rede und Gegenrede in Abschnitte mit darstellendem Charakter. Der Anteil von Anreden - sei es des ideologischen Kontrahenten oder des Lesers - ist durchweg gering, wie die Zahlen ausweisen. Auch emotional geladene Ausrufe, die von der inneren Anteilnahme zeugen, werden kaum v e r wendet. Äußerungen wie /o blindtheit, O jamer, irren die leerer, was werden jre Schüler thun? Hilff Gott vnd gib genad/ Karlstadt St Anzeige, 84 sind selten. - Im Unterschied dazu wird, sieht man von "Sabbat" ab, von Fragen relativ häufig Gebrauch gemacht. Auch hier liegen meist Scheinfragen vor, auf die der Fragende gar keine Antwort im Sinne eines echten Dialogs erwartet; es sind oft in Fragen gekleidete Aussagen über die eigenen Positionen in den Auseinandersetzungen der Reformation. Vgl. dazu /was zeyhet jr mich jr falsche Christen? Ist euch liegen erlaubt? Ist ewer glaub so köstlich, das er einen armen bruder mit vnwarheit darff beschmeyssen?/ ebd. 65. Die Sprache der 4 Streitschriften Karlstadts weist im Grunde kaum Züge auf, die sprechsprachlichen Einfluß vermuten lassen, d. h. von den Stilmitteln, die für die gesprochene Sprache typisch sind, wird kaum Gebrauch gemacht. Karlstadt bedient sich in seinen Programm- und Unterweisungsschriften, in denen gelehrte Auseinandersetzungen über theologische Streitfragen auf hohem Niveau geführt werden, der geformten Literatursprache. Diese Feststellung wird gestützt durch den Nachweis von Nebensatz konstruktionen mit Wegfall der finiten Verbform, die allgemein als typisch für literatursprachlichen Stil gelten; vgl. z . B. /wir alle wissen auch das die Aposteln • vnuerholen sagen das gotis geist sie zu zeucknis getriben/ Karlstadt St. Ursache, 7. Diese Einschätzung kann auch nicht erschüttert werden durch den Nachweis einiger Verwendungsweisen des Verbs /tun/, die als typisch für die gesprochene Sprache gelten; vgl. dazu /die ander vrsach taugt auch nit, in wölcher michD. Luther beschuldigt, das ich die Ordnung gottes verkeren thue/Karlstadt St Anzeige, 73. Predigt Gegenstand der Untersuchung sind 3 Predigten Karlstadts, und zwar "Predig oder homilien vber den propheten Malachiam" (= "Malachias") von 1522, "Predig von e m pfahung des heiligen Sacraments" (= "Sakrament") von 1522 und "Von den zweyen höchsten gebotten der lieb Gottes vnd des nechsten" (= "Gebote") von 1524; die aus ihnen e r mittelten Durchschnittswerte für den Gebrauch der untersuchten Stilmittel finden sich in der Übersicht unter Punkt 1.

Sprechsprachliche Gestaltungsmittel

46 Tabelle 10 Malachias 4098 Wörter

Sakrament 4596 Wörter

Gebote 7652 Wörter

Anrede

0,3

0,2

Frage

1,7

1,5

0,7

0,4

0,7

Ausruf

0,3

wörtl. Rede

0,7

Ellipse

0,3

fehl. fin. Verbf

0,3

0,1

Wie ein Vergleich der 3 Predigten ergibt, hebt sich die Predigt "Malachias" deutlich von den beiden anderen ab; einmal finden sich im Unterschied zu den 2 anderen alle untersuchten Stilmittel in dieser Predigt, und außerdem liegt ihr Anteil weit über dem ermittelten Predigtdurchschnitt. Trotz dieses Befundes scheint es nicht gerechtfertigt, auf grundsätzliche Unterschiede in der in den einzelnen Predigten verwendeten Sprache zu schließen. Diese Texte haben den Charakter gelehrter Lesepredigten, ihr Stil ist ausgesprochen literatursprachlich geprägt. Das zeigt einmal das Vorkommen grammatischer Erscheinungen, die als typisch literatursprachlich gelten, wie das Fehlen der finiten Verbform im Nebensatz; vgl. z. B . /nach dem ich . . . den grossen fleyß vnd hitzige begirde des Christliche volckes alhie . . . gesehen vnd vermerckt, hab ich eynen kleynen Propheten . . zu leßen vnd predigen furgenhomen/ Karlstadt Pr Malachias 1522, A 1. Zum anderen weisen auch die eingefügten lateinischen Wörter, Wendungen und Sätze darauf hin, daß diese Predigten nicht für die breite Masse des Volkes gedacht waren, sondern für ein gebildetes Publikum. Brief Wie bereits vorn angedeutet wurde, ergab die Analyse keine Besonderheiten für den einzelnen Brief, so daß die Ergebnisse für alle Briefe zusammengefaßt und in der Übersichtstabelle unter Punkt 1 ausgewiesen wurden. Die in die Untersuchung einbezogenen Briefe Karlstadts sind alle an den Kurfürsten Johann gerichtet. Sie weisen kaum Stilmittel auf, die für die gesprochene Sprache charakteristisch sind. Was den relativ hohen Anteil an Anreden (2,4) angeht, so ist er aus der Spezifik der Gattung Brief zu erklären und läßt keinerlei Schlüsse auf die Verwendung sprechsprachlicher Stilmittel zu. Auf eine ausgesprochen literatursprachliche Prägung des Stils weist das häufige Vorkommen von Nebensätzen hin, bei denen die finite Verbform ausgespart ist (6,5); vgl. z. B . /wenn ich och heut gefragt, welcher leip für vns gegeben, muß ich antworten/ Karl-

Joachim Schildt

47

Stadt Br 1528, 28. - Auch in den Briefen findet sich wieder eine grammatische Konstruktion mit /tun/, die allgemein als nichtliteratursprachlich gilt; vgl. /denn ich wol weis waß ferlikeit ich leiden muß, wenns alßo wehr, als mich der satan durch seine glider vermachen tut/ Karlstadt Br 1526, 26. Der häufigere Nachweis bei Karlstadt, auch in anderen Schriften, läßt vermuten, daß solche Verwendungsweisen von /tun/ typisch für den Individualstil des Autors sind. 2.5.2.2.

Personalcharakteristik

Hinsichtlich der Verwendung der untersuchten Stilmittel bestehen zwischen den einzelnen Gattungen, gelegentlich innerhalb einer Gattung auch von Werk zu Werk, Unterschiede. Insgesamt ist der Einfluß sprechsprachlicher Stilmittel in der Sprache Karlstadts nur gering. Selbst der Dialog macht in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Auffällig ist der häufige Gebrauch von Fragen. Sie stellen jedoch keine Elemente dialogischer Sprache dar, sondern der Autor stellt sie, um so die Gelegenheit zu gelehrten Ausführungen über die Fragen zu erhalten, in denen er mit Luther und anderen ver schiedener Meinung war. Auf eine vorwiegend literatursprachliche Prägung des Stils deutet auch das Vorkommen von Nebensätzen, in denen die finite Verbform von /haben/ oder / s e i n / fehlt, in allen Gattungen, mit denen Karlstadt im Quellenkorpus vertreten ist; besonders häufig macht er von diesem Stilmittel in seinen Briefen Gebrauch. - Zu den Charakteristika, die den individualstil Karlstadts prägen, scheint die Verwendung von Konstruktionen mit / t u n / zu gehören, die allgemein als der geformten Literatursprache nicht angemessen gelten.

2.6.

Luther

2.6.1. Tabellarische Übersicht Die folgende Übersicht enthält Angaben über das Verhältnis zwischen den der Untersuchung zugrundeliegenden Stilmitteln und dem Bestand an Wörtern, und zwar Durchschnittswerte, die auf der Grundlage der Analyse der einzelnen Werke ermittelt wurden.

48

Sprechsprachliche Gestaltungsmittel Tabelle 11 Streitschrift

Dialog

95918 Wörter

Predigt 47555 Wörter

Brief 16034 W.

a

b

c

Anrede

0,3

2,1

1,5

0,4

6,9

Frage

1,2

3,7

2,9

1,8

1,4

Ausruf

0,4

0,4

0,6

0,2

0,6

wörtl. Rede

0,5

0,9

0,9

1,2

0,4

Ellipse

0,1

-

fehl. fin. Verbi.

0,1

0,4

2.6.2.

Auswertung des Untersuchungsbefundes

2.6.2.1.

Charakteristik der Gattungen

0,4 0,1

1,2

Streitschrift Von den Schriften Luthers, die Themen der Reformation behandeln, werden "An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung" (= "Adel", 1520), "Von der Freiheit eines Christenmenschen" (= "Freiheit", 1520) und "Sendbrief an Papst Leo" (= "Sendbrief", 1520) zu den Programmschriften (a) gezählt, "An den Bock zu Leipzig" (= "Bock", 1521), "Auf des Bocks zu Leipzig Antwort" (= "Antwort, 1521), "Auf das über christlich, übergeistlich und überkünstlich Buch Bocks Emsers zu Leipzig Antwort" (= "Buch", 1521) und "Ein Widerspruch D. Luthers seines I r r thums erzwungen durch den allerhochgelehrtesten Priester Gottes, Herrn Hieronymus Emser, Vicarien zu Meißen" (= "Widerspruch, 1521) zu den eigentlichen Streitschriften (b). Die Schriften zum Bauernkrieg aus dem Jahre 1525, "Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben" (= "Ermahnung"), "Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern" (= "Rotten") sowie "Ein Sendbrief von dem harten Büchlein wider die Bauern" (= "Büchlein") werden zur Gruppe der Unterweisungsschriften (c) gerechnet. Bevor auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den 3 Gruppen von Streitschriften eingegangen wird, sollen zunächst Beispiele für die Verwendung der untersuchten Stilmittel, nach den 3 Gruppen gesondert, vorgeführt werden. In den Programmschriften wendet sich Luther mit Wendungen wie /hie sichstu/ Luther St Freiheit, 26 oder /trawistu/ Luther St Adel, 468 direkt an den Leser oder Adressaten der Schrift, z . B . den Papst; der vielfach anonyme Leser wird unmittelbar angesprochen. - Auch von Fragen macht Luther in seinen Programmschriften Gebrauch.

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Zur Personenabwertung

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5) / m e i n E m s e r / , ferner /Ey du heylige, heylige Jungfraw Sanct E m ß e r / , /du scharffer logicus/, /du hochgelerter Licentiat des heyligen vorprentenn rechts, . . . du grünender Poet und g r a m m a t i c u s / . Auch als Philosoph verhöhnt er seinen Widersacher und spricht ihn an als /du grosser Filosoff/ und meint, daß / d e r Bock ein newer philosophus/wäre. 5)

Die Bezeichnung / J u n g f r a u / für einen Mann ist ungewöhnlich. Luther verwendet diese Anrede auch für den Papst. Die Ironie, die in der Übertragung auf ein männliches Wesen liegt, wird bei Luther noch durch das doppelt gesetzte /heylige/ und /'Sanct/ v e r s t ä r k t . Offenbar steht Jungfrau hier "zur Bezeichnung weibisch z i m p e r lichen Wesens" (D. Sanders lb60, S. 846). Müntzer bezeichnet Luther gleichfalls als /junckfraw Mertin/ (St Schutzrede 335); in Flugschriften 1975, S. 578, Anm. 21, wird zu dieser Stelle als Erklärung angegeben: "Luther als apokalyptisches Ungeheuer" .

Franzjosef Pensei

327

Die Bauern werden von Luther nur einmal mit der Feststellung / d a s sind mir feyne Christen/ ironisiert. Allgemein ironisierenden Charakter zeigen die in den Predigten verwendeten Ausdrücke wie / o h r e n k r a w e r / , /klüglinge/,/hohe gelerte und heilige leut/ und / s c h r i f f t m e i s t e r / . Von beachtlicher Spannbreite ist auch das Wortpotential an I r o nisierungen, das Müntzer verwendet. Seine Ironisierungen sollen im wesentlichen die falschen Schriftgelehrten und Luther treffen. Die auch sonst im Vordergrund der Abwertungen stehenden Schriftgelehrten belegt e r mit einer ausdrucksstarken Fülle ironisch aufzufassender Benennungen, wobei überwiegend die Attribuierungen die ironische W i r kung erzeugen. So nennt er diesen Personenkreis, um nur einige Ironisierungen aufzuführen, /buchstabische g e l e r t e / , /die kluglichsten bzw. f r o m m e s c h r i f f t s t e l e r / , / t z a r te, spitzfingerische schrifftgelerte/, /die spitzklugen/, /kluglinge/, /zartlinge bzw. © © 6 die gottlosen oder wollustigen zartling/, /feyne menner bzw. feyne evangelische l e u t / , /die großen, dicken, feysten paußbacken/ usw. Luther ist für ihn schlechthin ironisch e e / d e r doctor lugner/ bzw. / d e r allereergeytzigste schrifftgelerte, doctor lugner/, f e r ner / d e r doctor Ludibrii/, /junckfraw Mertin/, / f r u m m e r Mertin/, der / w i t t e n b e r gisch pabst/ bzw. /du newer pabst oder c h r i s t u s / , / e i n gifftiges würmlein/, / b r u d e r sanfftleben und vater leysentret/ bzw. / d e r vatter leisendritt, ach der k o r r e g e s e l l e / . Neben den Ironisierungen, die Murner seinem Gegner Michael Stiefel angedeihen läßt und die sich alle auf dessen Namen beziehen, z. B. / s t i f e l i n / , /meyn aller liebster stifel/, /mein liebes schwartzes stifelin/ u s w . , ironisiert er aber auch Luther als sog. ,/prediger des ewangeliums/ und / r e d n e r der w a r h e i t / . Seinen Straßburger Widersacher Wolfgang Capito bezeichnet er als /dissen groß evangelisch doctor/. Von geringerem Umfang sind die Ironisierungen, die in der Dialogliteratur verwendet werden. Überwiegend beziehen sie sich auf die Reformgegner Eck und Murner. Eck wird als / d e r b e rhumpt disputirer vnd held von Ingelstatt/ bezeichnet. Murner wird mit Epitheta belegt wie /ein hochspitziger, ein solicher g e l e r t e r / und / e i n verrümpt gelert m a n / . Auf seine ehemalige Liebschaft zu einem hübschen Dirnlein wird angespielt und diese als / e i n s hübst sparnoselein/ bezeichnet. In ähnlich verhüllender Weise wird der 'tugendhafte' Faber als / d e r gutt keusch F a b e r / bezeichnet, der /eyn solcher holtseliger, keuscher nonnentroster/ w ä r e . Andere Ironisierungen sind allgemeiner Art, wie die /vyseguncklen/, die /hochgeleretthen n a r r e n / und die /gelerten oder v e r k e r t e n / bzw. die / v e r kertten gelertten/. 3.1.5. Der Gebrauch von Karikierungen ist bei den einzelnen Autoren und in der Dialogliteratur sehr unterschiedlich. Der generelle Durchschnitt für diese besondere Form der Abwertung beträgt 4 , 2 % , er ist von allen Bereichen am kleinsten. Diesen Durchschnittswert übertreffen um mehr als das dreifache die Dialogliteratur (15,6 %) und Eck (15, 5 %).

328

Zur Personenabwertung

Alle anderen Autoren bleiben weit darunter oder verwenden überhaupt keine Karikierungen. Die Anteile von Emser (2,6 %), Agricola (1,6 %), Luther (1,5%) und Murner (1,3 %) differieren nur unwesentlich, während Hutten, Karlstadt und Müntzer von dem Mittel der Karikierung keinen Gebrauch machen. Das Wesen der Karikierung liegt einmal in der bewußten Verdrehung von Eigennamen, die lautlich an diesen Namen anknüpft, ihn absichtlich verdreht und mit Hilfe der Lautähnlichkeit das Ziel verfolgt, den Träger des Namens lächerlich zu machen und somit abzuwerten. Zum andern sind unter Karikierungen auch sog. imperativische Satznamen und Wortspiele bzw. Wortspielereien zu verstehen, die bei einer bestimmten Bezeichnung durch lautliche Verdrehung und Assoziierung anderer Wörter und Wortinhalte den Effekt des Komischen und Grotesken erreichen wollen. Die Karikierungen der Reformgegner Eck und Emser beziehen sich ausschließlich auf den Namen des Reformators Luther, den sie übereinstimmend zu /Luder/ bzw. /Ludder/, daneben /bruder Luder, Ludder, bruder Mertin Luder/, verdrehen®^. Offenbar muß man hier vom positiven Bedeutungsinhalt des Wortes Luter/Luther, vom mhd. Adj. undSubst. /luter, liuter/ in der Bedeutung hell, rein, klar, lauter, Lauterkeit, Reinheit, ausgehen, um die Verdrehung zu /luder/, anknüpfend an mhd. /luoder/ inder Bedeutung Lockspeise, Verlockung, Schlemmerei, lockeres Leben, zu verstehen, d. h. daß dem positiven Bedeutungsinhalt des Namens durch Austausch des Konsonanten ein negativer gegenübergestellt wird. Namertlich Eck verwendet das Wort /luder, ludder/ sehr häufig, wodurch sich sein hoher Anteil an Karikierungen erklärt. Emser beschimpft die Träger dieses Namens und provoziert Luther damit, daß bereits /deyn vater vnd großuater nit Luter, sonder luder geheissen/ haben müßten; von sich stellt er fest, /ehe das ich wust, wer Luter oder Luder wer/. Luthers wenige Karikierungen beziehen 7) sich nur auf Murner, dessen Name er zu /Murnarr/ 'verdreht und damit das Närrische beim Träger dieses Namens hervorkehren will. Derselbe Tatbestand liegt in Di Karst hans vor, wo gleichfalls wiederholt von /Murnar/ (vgl. M. M. Guchmann 1974, S. 43) die Rede ist; außerdem wird er aber in diesem Dialog, wobei die Lautäußerungen einer Katze in Verbindung mit seinem Namen ausschlaggebend gewesen sein mögen, als / m u r maw/ bezeichnet bzw. mit weiteren negativen Attribuierungen als /du daube schellige murmaw/ angeredet. Seine Anhänger werden dementsprechend /Murmaure/ genannt. 6) Vgl. F. Lepp 1908, S. 6, wo Luther von Nas "nie anders als Loder, Luder, Loderbuben, Bestia Martis Lutra" genannt wird. 'Vgl. ferner M. M. Guchmann 1974, S. 43. 7) Über den "Ursprung der für Murner ebenso schmerzlichen Verdrehung seines Namens in "Murnar", "Murnarus", "Murr-Narr" " s. B. Balzer 1973, S. 61; sie "geht auf ein Epigramm Wimphelings im "Germania"-Streit (1502) zurück", ebd. S. 195, Anm. 297.

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Desgleichen werden Murners Titel und Ehrenbezeichnungen höhnisch verdreht, wobei aus einem /poet . . . mit einem lorbonen k r a n t z / ein /planet mit lorbonen/, aus einem /doctor in beiden rechten/ ein /doctor im rechten/ und aus einem /Doctor in der heyligen schrifft/ ein / m e i s t e r im s t i f f t / wird. Aus Jurist wird /kalter Christ, oder . . . k i s t / , das schließlich durch den nur lateinisch sprechenden Merkur satirisch ergänzt wird mit / V e r e cista nequicie/ (wahrlich eine Ramschkiste). Eine beachtenswerte Fülle von Karikierungen findet sich in anderen Dialogen. Neben den Karikierungen des Namens Murner finden sich solche für Eck, der bezeichnet wird als / d e r geck/ (vgl. F . Lepp 1908, S. 43 u. M. M. Guchmann 1974, S. 43), /doctor geügküs/ und /doctor Dedolat/, ferner für Johann Cochläus, der /Simon Kochleffel/ (vgl. M. M. Guchmann 1974, S. 43) heißt und für Thomas von Aquin, dessen Name z u / C o q u i n / (vgl. F . Lepp 1908, S. 6), seine Anhänger zu /Coquinisten/ verdreht wird. Auch Namen von Päpsten werden lateinisch karikiert und Bonifacius zu /Maleficius/ und Clemens zu / D e m e n s / abgewandelt. F e r n e r wird / o f f i c i a l / zu /Affencial/ oder /deufelciall/ verdreht und d a bei an negative Vorstellungen des Affen und des Teufels angeknüpft. Schließlich sei auch auf imperativische Satznamen verwiesen, wobei der Bischof zu einem /byß schaf bzw. fryß s c h a f f / , der / s u f f r a g a n e u s / zu einem / s u i s gar vß/ und der / f i s c a l / zu einem / f r i ß gar / karikierend verdreht wird und negative Eigenschaften der so Bezeichneten (Imperative von f r e s s e n und saufen) hervorgehoben werden. 3.1.6. Eine kurze Charakterisierung der einzelnen Autoren, besonders auch in Hinblick auf ihre Volkstümlichkeit, soll sich anschließen. Agricola verwendet gern in seinen Schriften biblisches Wortgut mit k r i t i s c h - a b w e r tender Bedeutung; daneben setzt er aber auch das Stilmittel der Ironisierung häufig ein. Auch drastisch-derbe Bezeichnungen finden sich bei ihm in einem erheblichen Maße. Dagegen sucht er Karikierungen zu vermeiden. Seine Volkstümlichkeit kommt vor allem in seinem Dialog zum Ausdruck. Mit alltagssprachlichem Wortgut werden die müntzerischen Schwärmer und Müntzer selbst abgewertet. Tierbezeichnungen setzt er s p a r s a m ein. In den Pr vermeidet er solche Benennungen, die in seinen Br wieder eine größere Rolle spielen und die er dort mitunter in Reihungen gehäuft verwendet. Bei Eck läßt sich eine nicht unerhebliche Bevorzugung kritisch-abwertender Ausdrücke feststellen. Hauptsächlich werden aber seine persönlichen Angriffe auf R e f o r m anhänger durch scharfe Verurteilungen und - mit Abstand - durch drastisch-derbe Bezeichnungen r e a l i s i e r t . Ebenfalls bevorzugt er Karikierungen mit dem Namen seines Gegners Luther in nicht unerheblicher Weise. Seine Neigung zu Ironisierungen ist d a gegen weniger stark ausgeprägt. Seine volkstümlichen Ausdrücke halten sich in Grenzen. In seinen St bevorzugt er ehör biblisches Wortgut als volkstümliche Bezeichnungen, die

330

Zur Personenabwertung

er aber nicht völlig vermeidet; besonders tritt das bei einigen tierischen Vergleichen hervor, die er auch in der Pr einsetzt. Sein B r enthält keine Abwertungen. Emser bevorzugt, was sich aus der Gegnerschaft zu Luther erklärt, vornehmlich scharfe Verurteilungen und kritische Abwertungen. Auch von Ironisierungen macht er häufigen Cebrauch, während bei ihm drastisch-derbe Bezeichnungen zurücktreten und Karikierungen nur selten verwendet werden. Vornehmlich gebraucht er zur Personenabwertung in seinen St Wortgut, das aus einer höheren literatursprachlichen Schicht stammt, wobei negativ kirchlich-religiöse Termini ( / K e t z e r / , /Erbpickard/ u. dgl.) oft im Vordergrund stehen. Im Konflikt mit Luther scheut er sich nicht, drastischderbe volkstümliche Bezeichnungen, vor allem Tierbezeichnungen, speziell Vogelnamen, einzusetzen. Auffällig ist sein hoher Anteil an Ironisierungen, wobei er gern mit Familiennamen in ironisierender Manier operiert. In seinen Br gebraucht er keine. Personenabwertungen. Huttens Dialoge sind gekennzeichnet durch eine beachtliche Fülle volkstümlicher Ausdrücke und Bezeichnungen, besonders zur Charakterisierung des Papstes und der römischen Papstanhänger; dabei werden vornehmlich unsittliche und unmoralische E i genschaften bestimmter katholischer Personengruppen (Höflinge, Geistliche, Mönche) betont. Häufig bedient er sich dabei drastisch-derber Ausdrücke, vermeidet aber k r i tische Abwertungen, scharfe Verurteilungen und Ironisierungen nicht. Dagegen setzt er Karikierungen überhaupt nicht ein. Karlstadt tendiert in seinem für die Personenabwertung verwendeten Wortgut überwiegend zu kritischen Abwertungen und zu scharfen Verurteilungen. In nicht unerheblicher Weise bedient er sich des Mittels der Ironisierung, während der Einsatz derbdrastischer Bezeichnungen demgegenüber ein wenig zurücktritt. Karikierungen kennt er nicht. In Di und St zeigen sich hinsichtlich der Verwendung volkstümlicher Ausdrücke und Bezeichnungen keine gravierenden Unterschiede; in beiden Gattungen setzt er sie reichlich ein. In der Pr treten sie dagegen nur sporadisch auf und in den B r vermeidet er sie völlig. Luthers Sprachbeherrschung zeigt bei der Personenabwertung ein annäherndes ausgeglichenes Verhältnis im Einsatz der verschiedenen Mittel. E r bevorzugt scharfe V e r urteilungen, was aus der Gegnerschaft zu den Vertretern der römischen Papstkirche resultiert. Nur die Ironisierungen treten bei ihm stark in den Hintergrund. Vornehmlich in seinen eigentlichen St verwendet er volkstümliche Ausdrücke, besonders zur Abwertung seines Kontrahenten E m s e r , den er bevorzugt mit tierischen Bezeichnungen ( / B o c k / e t c . ) belegt. Aber auch sein Wortpotential grobianischer Ausdrücke zur Herabsetzung anderer Personen (Papst, Papstanhänger, Geistliche etc.) ist beachtlich. In seinen P r treten drastisch-derbe volkstümliche Bezeichnungen dagegen sehr viel seltener auf und in den Br meidet er sie fast völlig.

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Müntzer verwendet vornehmlich kritische Abwertungen, bedient sich aber auch s c h a r fer Verurteilungen in erheblichem Maße. Ein fast ausgeglichenes Verhältnis zeigt sich bei ihm im Einsatz von Ironisierungen und drastisch-derber Bezeichnungen, Dagegen kennt er Karikierungen nicht. Seine Hauptkontrahenten sind in den St die falschen Schriftgelehrten und Luther. Zur Abwertung beider steht ihm ein reichliches Arsenal an volkstümlichen Ausdrücken, incl. vieler tierischer Bezeichnungen und Grobianismen, zur Verfügung. Seine Ironisierungen Zeigen häufig Berührungen mit alltagssprachlichem Wortschatz (/grosse, dicke, feyste paußbacken/, /bruder sanfftleben und vater leysentret/). In der P r setzt er derb-grobe Bezeichnungen seltener ein, vermeidet sie aber durchaus nicht, so z. B . wenn er personalisierend Luther stark abwertend als /bruder mastschwein/ und Kaiser Augustus als /elenden drecksack/ bezeichnet. In auffälliger Weise und im Gegensatz zu allen anderen Autoren zeigen seine B r eine beachtliche Fülle volkstümlicher und tierischer Bezeichnungen, die vornehmlich zur Abwertung der falschen Schriftgelehrten eingesetzt werden. Murner bedient sich bei seinen Personenabwertungen hauptsächlich kritisch-abwertender Ausdrücke und Ironisierungen. Von scharfen Verurteilungen macht er in einem geringeren Maße Gebrauch, während drastisch-derbe Bezeichnungen und Karikierungen demgegenüber weit zurückbleiben. Er ist in seinen St im Vergleich zu den anderen Autoren sehr maßvoll; derb-volkstümliche Ausdrücke gebraucht er ganz selten. Seine I r o nisierungen über den Namen seines Gegners Michael Stiefel zeigen beachtliche virtuose Sprachbeherrschung und zumindest Anklänge an volksnahe Töne. In seinen B r macht er von volkstümlichen Ausdrücken ganz selten Gebrauch, vermeidet sie aber auch nicht völlig; so findet sich in ihnen die Bezeichnung /hiffenbube/. In der anonymen Dialogliteratur herrschen scharfe Verurteilungen vor. Im Gebrauch kritischer Abwertungen und drastisch-derber Bezeichnungen zeigt sich ein annähernd ausgeglichenes Verhältnis und im Vergleich zu anderen Autoren ein erstaunlich hoher Einsatz an Karikierungen. Demgegenüber erscheinen Ironisierungen nicht so häufig. Allgemein sind die anonymen Dialoge durch eine beachtliche Fülle alltagssprachlichen Wortguts gekennzeichnet, und zwar sowohl tierischer Bezeichnungen und Vergleiche, als auch allgemeiner grobianischer und derb-obzöner Ausdrücke. Am häufigsten findet sich derartiges Wortmaterial im Di Arnauer Wegsprech und im Karsthans; die anderen Dialoge machen von volkstümlichen Benennungen weniger Gebrauch. Die Karikierungen zeichnen sich durch Volkstümlichkeit, volksnahe Bildlichkeit und Anschaulichkeit aus. Dieses Stilmittel wird besonders im Karsthans und im Arnauer Wegsprech praktiziert.

Zur Personenabwertung

332 3.2.

Ausgangspunkt für den Gattungsvergleich mögen quantitative Zahlenangaben bilden. Setzt man die Gesamtzahl aller Abwertungen bei allen Autoren incl. der anonymen Dialogliteratur, die sich auf 2294 beläuft, unabhängig von ihrer Verwendung gleich 100, so ergeben sich für die vier Gattungen folgende prozentuale Verteilungen: Dialoge 33,2 %, Streitschriften 48, 3 %, Predigten 12 % und Briefe 6, 5 %. Mithin wird deutlich, daß sich die größte Anzahl der Abwertungen - die knappe Hälfte - in den Streitschriften, rund ein Drittel in den Dialogen, sich somit in diesen beiden Gattungen 5/6 der Belege finden lassen und der Rest von rund

sich auf die Gattungen Predigt und Brief verteilt,

wobei in den Predigten noch fast doppelt soviel Abwertungen vorkommen wie in den Briefen (s. Gesamttabelle II: Autoren und Gattungen). Berücksichtigt man aber, daß in der vorliegenden Untersuchung die Anzahl der Dialoge - (von Eck, E m s e r , Luther, Müntzer und Murner sind keine bekannt) - kleiner ist als die der Streitschriften (lediglich Agricola und Hutten kennen sie nicht), so mag sich der zahlenmäßige Befund dahingehend relativieren, daß man von einer annähernd gleichen Verteilung der Personenabwertungen in Dialog und Streitschrift sprechen kann. Demgegenüber steht der beachtenswerte Abfall an Abwertungen in den Predigten und noch mehr in den Briefen, obwohl auch hier zu berücksichtigen ist, daß Predigten von E m s e r , Hutten und Murner und Briefe von Hutten nicht berücksichtigt werden konnten, da von diesen Autoren Predigten bzw. Briefe nicht überliefert sind. 3.2.1. D a s runde Drittel aller Abwertungen in den Dialogen verteilt sich fast gleichmäßig auf die Bereiche kritische Abwertung (mit 8, 7 %), scharfe Verurteilung (mit b, 6 %) und drastisch-derbe Bezeichnung (mit 8, 8 %); hinzu kommen mit wesentlich geringeren Anteilen die Ironisierungen (mit 4, 4 %) und die Karikierungen (mit 2,7 7t). Man kann also feststellen, daß die eine Graduierung und Intensivierung ausdrückenden Abwertungen mit der Skala kritisch, scharf, drastisch-derb fast gleichmäßig in den Dialogen a u f t r e ten, wobei die drastisch-derben Bezeichnungen den höchsten Wert erreichen, während die ironisierenden und karikierenden Abwertungen demgegenüber um die Hälfte bzw. um zwei Drittel zurückbleiben. Allen Dialogen ist gemeinsam, daß in ihnen überwiegend Wörter aus der Alltagssprache zur Personenabwertung eingesetzt werden, besonders deutlich wird das in den anonym verfaßten Dialogen, die auch den höchsten Anteil an Ironisierungen und Karikierungen aufweisen. Bei den Dialogautoren Agricola, Hutten und Karlstadt zeigen sich hinsichtlich der Verwendung der verschiedenen Abwertungsarten geringe Unterschiede: Agricola und Karlstadt tendieren in ihren Dialogen mehr zu kritischen Abwertungen und

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333

zu Ironisierungen, während Hutten derb-drastische Bezeichnungen bevorzugt. 3.2.2. Knapp die Hälfte aller Personenabwertungen entfällt in den ausgewählten Quellen auf die Gattung Streitschrift (48,3 %). Dieses Resultat überrascht insofern nicht, als g e r a de die Streitschriften, mitunter könnte man sie auch als Schmähschriften bezeichnen, die scharfen Auseinandersetzungen und Kontoversen zwischen den reformatorischen Vertretern und den Reformgegnern widerspiegeln. Dabei wird von dem Stümittel der Personenabwertung, von Beleidigungen, Invektiven, Schmähungen, Beschimpfungen, Verspottungen, Verhöhnungen usw. auf beiden Seiten r e g e r Gebrauch gemacht. Somit erklärt sich auch, daß die scharfen Verurteilungen (mit 15,2 %) an e r s t e r Stelle liegen und der Anteil der kritischen Abwertungen (mit 14, 6%) auch noch recht beachtlich i s t . Im Verhältnis dazu bleiben in den Streitschriften die drastisch-derben Bezeichnungen um über die Hälfte (6,2 %) zurück. Dagegen liegt der Anteil an Ironisierungen (10,4 %) verhältnismäßig hoch, was darauf schließen läßt, daß Ironisierungen, speziell bei den Reformvertretern Luther (5,1 %) und Müntzer (2,1 %) keine unwesentliche Rolle spielt. Ausgesprochen gering sind die Anteile für Karikierungen (1,9 %), die im größeren Maße nur Eck (1,3 %) und Luther (0,4 %) verwenden. 3.2.3. Gegenüber Dialog und Streitschrift bleiben die Anteile für Personenabwertungen in den Predigten (12 %) erheblich zurück. Am häufigsten werden in den Predigten noch k r i t i sche Abwertungen (mit 6,1 %) eingesetzt, während scharfe Verurteilungen (mit 3 , 5 %), drastisch-derbe Bezeichnungen (mit 1,4 %) und Ironisierungen (mit nur 1,1 %) deutlich unter diesem Wert bleiben. Karikierungen kennt die Predigt nicht. Zwar erlebt die p r o testantische Predigt - vor allem durch Luther - in dieser Zeit eine markante P r o f i l i e rung, so durch Hinwendung und Öffnung zu sprechsprachlichen Elementen wie Bildhaftigkeit, Veranschaulichung, Vergleich, sprichwortartige Diktion u s w . , auch ist ihre S p r a che affektgeladen, ungekünstelt und volkstümlich - aber eine übermäßige Häufung von Personenabwertungen enthält sie nicht. Die katholische Predigt wird in der Auseinandersetzung mit der Reformation polemischer, so daß sie sich kaum noch von der p r o t e s t a n tischen unterscheidet. Aber auch sie vermeidet zum großen Teil, die reformatorischen Gegner direkt beim Namen zu nennen und sie durch Beleidigung abzuwerten. Auffälligerweise werden im Gegensatz zu Dialog und Streitschrift Ironisierungen stark gemieden (nur 1,1 %). 3.2.4. Noch geringer als in den Predigten ist die Anzahl der Abwertungen in den Briefen. Der

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Zur Personenabwertung

Gesamtanteil für die Gattung Briefe beläuft sich nur auf 6, 5 %, was somit verdeutlicht, daß die Autoren bei der Abfassung von Briefen weitgehend persönliche Abwertungen und Diffamierungen vermeiden. Überhaupt keine Abwertungen enthalten die Briefe Emsers und Karlstadts; sehr gering ist der Anteil der Abwertungen bei Agricola (0,7 %), Murner (0, 5 %) und Eck (nur 0, 08 %). Die Ausnahme bilden die Briefe Müntzers, in denen im Verhältnis zu allen anderen Autoren der Anteil der Abwertungen um ein vielfaches größer ist (4,3 %). Hieraus erhellt schon, daß die Adressaten seiner Briefe ein ganz anderer Personenkreis ist als der der übrigen Autoren. Kann man bei diesen z. T. von Privatbriefen sprechen (z. B. die persönlichen Briefe Luthers an seine Frau und seinen Sohn), z. T. von den damaligen Briefformularen und-mustern weitgehend verpflichteten Briefen an Obrigkeiten u. dgl., so zeigen Müntzers Briefe ein ganz anderes Bild und sprachliches Kolorit; sie stehen der Gattung Streitschriften sehr nahe, enthalten doch viele seiner Briefe Aufforderungen an seine Mitstreiter zum Handeln, Anweisungen für den Kampf gegen die Papstkirche, die verhaßten Fürsten und Tyrannen, Angriffe gegen die falschen Schriftgelehrten usw. Seine der Sprechsprache nahestehende Diktion in den Briefen kennt keine Ausklammerung der Personenabwertung; besonders bedient er sich scharfer Verurteilungen (1,9 %) und kritischer Abwertungen (1,6 %), aber auch drastisch-derbe Bezeichnungen (0,7 %) vermeidet er nicht. Dagegen verwendet er Ironisierungen (0, 2 %) nur sehr sporadisch und Karikierungen überhaupt nicht. Derselbe Befund, wenn auch mit weit geringeren prozentualen Anteilen, läßt sich auch bei anderen Briefautoren konstatieren. Wenn sie überhaupt Personen herabsetzen, bevorzugen sie zu beinahe gleichen Anteilen scharfe Verurteilungen (0, 8 %) und kritische Abwertungen (0, 7 %), gebrauchen nur sehr vereinzelt eine derb-drastische Bezeichnung (0,2 %) und vermeiden bis auf sporadische Ausnahmen Ironisierungen (0,2 %) und Karikierungen (0,1 %).

3.3 Die Skala der sprachlichen Formen bzw. Mittel umfaßt sieben Realisierungsmöglichkeiten und berücksichtigt sowohl einfache als auch reicher ausgestaltete sprachliche Strukturen (s. Gesamttabelle III: Sprachliche Formen). Zu der Tabelle ist zu bemerken, daß alle von einem Autor verwendeten unterschiedlichen sprachlichen Formmöglichkeiten 100 % ergeben. Durch Addition der Anteile aller Autoren (incl. Dialogliteratur) bei einer bestimmten sprachlichen Form und Division durch die Anzahl der Autoren erhält man einen generellen Durchschnitt des jeweiligen sprachlichen Mittels. Die tabellarische Übersicht verdeutlicht sehr eindrucksvoll, daß zwei sprachliche Verwendungsmöglichkeiten eindeutig dominieren, nämlich der Gebrauch eines allein-

Franzjosef Pensei

335

stehenden Substantivs, dessen genereller Durchschnitt 37,9 % beträgt, und der Gebrauch eines Adjektivs + Substantivs mit einem generellen Durchschnitt von 32, 6 %. Mithin wird deutlich, daß mit diesen beiden sprachformalen Strukturen über zwei Drittel (70, 5 %) aller Personenabwertungen gebildet werden. Alle anderen sprachlichen Formen erreichen zusammen nur knapp das restliche Drittel (29, 5 %). Dabei zeigt sich, daß substantivische Reihungen (Durchschnitt 8,9 %) etwas häufiger verwendet werden als mehrfach attribuierte Substantive (Durchschnitt 7, 6 %), daß von Genitivattributen (Durchschnitt 6, 6 %) öfter Gebrauch gemacht wird als von einem mit einer präpositionalen Wortgruppe verbundenen Substantiv (Durchschnitt nur 2,7 %) und daß schließlich der generelle Durchschnitt eines oder mehrerer substantivierter Adjektive immerhin 3,4 % beträgt. Freilich zeigen sich im Einsatz des jeweiligen sprachlichen Mittels bei den einzelnen Autoren individuelle Abweichungen. Es lassen sich zwei Gruppen von Autoren abheben, und zwar die eine Gruppe, die überwiegend alleinstehende Substantive, und die andere, die vornehmlich einfach attribuierte Substantive verwendet. Zur ersten Gruppe, die Kernsubstantive bevorzugt, gehören Hutten (mit 60,3 %), die anonymen Dialogverfasser (mit 51,3 %) und Eck (mit 42,5 %), die den Durchschnittswert (von 37,9 %) teilweise sehr beachtlich übertreffen, während Autoren wie Karlstadt (37, 8 %), Murner (36,7 %) und Luther (34,7 %) nur knapp, dagegen Müntzer (mit 27,2 %), Emser (mit 26,1 %) und Agricola (mit 24,2 %) recht deutlich darunter bleiben. Zur zweiten Gruppe, bei der einfach attribuiertes Substantiv dominiert, sind Emser (mit 46,9 %), Agricola (mit 40, 5 %), Müntzer (mit 3», 5 %) und Karlstadt (mit 36,3 %) zu zählen, die den Durchschnittswert (von 32, 6 %) übertreffen, dagegen bleiben Luther (mit 32,1 .%), Murner (mit 31, 8 %), die Dialoge (mit 24, 6 %), Eck (mit 24 %) und Hutten (mit 17,7%) mehr oder minder stark ausgeprägt unter diesem Wert. Das gleiche Ergebnis läßt sich bei den mit den einfachen Formen (1 Subst. bzw. 1 Adj. + Subst.) korrespondierenden sprachlich reicher ausgestalteten Formen von 2 oder mehreren Substantiven bzw. 2 oder mehreren Adjektiven + Substantiv feststellen: die Autoren, die alleinstehende Substantive bevorzugen, neigen zu substantivischen Reihungen und Aufzählungen; andererseits zeigen die Autoren, die vornehmlich einfach attribuiertes Substantiv verwenden, größere Anteile im Gebrauch mehrfach attribuierter Substantive. Deutlich wird das z. B. für den überwiegenden Einsatz von Substantiven bei Autoren wie Hutten, Eck, Luther und in den Dialogen bzw. für mehrfache adjektivische Attribuierungen bei Agricola, Emser und Müntzer. Bei der sprachlichen Form Subst. + p r ä - oder postnominaler Genitiv (Durchschnitt 6,6 %) überrascht ein wenig der verhältnismäßig hohe Anteil Murners (12,5 %); fast alle anderen Autoren (Luther 7 , 5 % , Karlstadt 7 %, Müntzer 6,8 %. Hutten 6,5 %, Emser 6, 5 %) gruppieren sich um den Durchschnittswert, während Agricola (4, 8 %),

336

Zur Personenabwertung

Gesamttabelle I : Autoren und personale Gesamtanteile

kritische Abwertung

Autoren

Di

Agricola

25,,8

-

Eck

-

14,0

Emser

-

36,2

Hutten

29,,4

-

Karlstadt

11, 9

20,7

Luther

-

Müntzer

-

Murner

-

25,2

-

Dialogliteratur

22,2

-

-

St

Pr

scharfe Verurteilung Br

9,,7 lf>, 5

4,8 0,0 0,0

-

Di 8,0 -

18,8

-

0,0

17,2

5, 6 9, 6

0,8

-

25,4

7, 7

10,0

8,4

St

Pr

Br

0,0

9,7

14,,0 37,,3

15,5

0,0

-

0,0

-

-

-

-

17,,5 27,,9

7,0 4,2

1,6

-

13,,6

3,4

11,8

10,2

-

22, 7

-

32,5

0,0

-

3,9

die Dialoge (4,4 %) und Eck (4 %) etwas mehr darunter liegen. Weitaus geringere autorenspezifische Abweichungen zeigen sich bei der Verwendung eines mit einer präpositionalen Wortgruppe verbundenen Substantivs (Durchschnitt 2,7 %). Den Durchschnitt übertreffen Agricola (4, 8 %), Luther (3, 6 %), Eck (3, 5 %) und die Dialoge (3,2 %), während Murner (2, 5 %), Hutten (2,4 %), Müntzer (2 %), Emser (1,9 %) und Karlstadt (1,4 %) darunter liegen, wobei die Abweichungen nach oben wie nach unten sich in Grenzen halten. Dagegen zeigen sich stärkere autorenbedingte Abweichungen im Einsatz eines oder mehrerer substantivierter Adjektive (Durchschnitt 3,4 %). Diesen Durchschnittswert übertrifft um mehr als das Dreifache Müntzer (mit 11,4 %). Auch Eck bleibt (mit 4 %) noch über diesem Wert, während alle anderen Autoren mehr oder minder stark darunter bleiben, wobei Agricola (mit 3,2 %) und Luther (mit 3,1 %) ihn fast erreichen, andere Autoren wie Murner (mit 2, 5 %), Hutten (mit 2,3 %) Karlstadt und die Dialoge (mit j e weils 1,4 %) und Emser (mit 1 , 2 % ) den wenigsten Gebrauch substantivierter Adjektive erkennen lassen.

Franzjosef Pensei

337

Abwertungsbereiche drastisch-derbe Bezeichnung

Ironisier ung

Di

St

14,5

-

Pr

Br

Di

St -

0,0

4,8

16,3

-

6,0

6,5

0,0

-

6,5

-

7,1

-

0,0

-

-

-

12,4

39,4

-

4,9

Karikier ung Pr

Br

Di

st

Pr

Br

0,0

1,6

0,0

1,0

-

0,0

0,0

4,8

0,0

-

3,5

0,0

-

14,5

16,8

-

0,0

-

2,6

-

-

-

0,0

4,9

0,7

0,0

0,0

-

_

0,0

0,0

0,0

0,0

0,0

-

5,6

2,8

0,0

10,0

-

14,5

0,7

0,4

-

19,5

1,8

0,2

-

-

5,9

2,7

4,1

-

12,5

2,0

0,9

-

-

0,0

1,5 0,0

-

1,3

-

-

1,3

20,0

.

.

.

9>7

34,1 -

-

-

1,3 .

15,6

0,0

0,0

-

0,0

Personale Gesamtanteile kritische Abwertung

scharfe Verurteilung

drastisch-derbe Bezeichnung

Ironisierung

Karikierung

40,3

17,7

19,3

21,1

1,6

32,5

29,5

12,5

10,0

15,5

36,2

37,3

7,1

16,8

2,6

29,4

18,8

39,4

12,4

0,0

38,2

32,9

13,3

15,6

0,0

27,6

33,7

15,5

21,5

1,5

43,1

29,0

12,7

15,4

0,0

35,4

26,6

1,3

35,4

1,3

22,2

32,5

20,0

9,7

15,6

17,6

4,2

genereller Durchschnitt 33,9

28,6

15,7

338

Zur Personenabwertung

Gesamttabelle n : Autoren und Gattungen

kritische Abwertung

Autoren

Di

Agrìcola

0,7

Eck

-

St -

scharfe Verurteilung

Pr

Br

Di

0,3

0,1

0,3

1,6

0,0

-

-

0,0

-

-

St

Pr

Br

0,0

0,3

1,2 2,5

1,5

0,0

-

0,0

-

-

-

0,4

0,0 0,4 1,9

-

Emser

-

1,2 2,5

Hutten

3,3

-

Karlstadt

0,7

0,3

0,0

Luther

-

1,3 4,5

2,1 0,5

2,6

0,2

-

1,1 7,3

Müntzer

-

-

4,2

1,3

1,6

-

2,3

1,1 0,5

Murner

-

0,9

-

0,4

-

0,8

-

0,1

Dialoge

4,0

-

-

-

5,7

-

-

-

6,1

2,3

8,6

3,5

2,7

fa, 7

14,6 31,,7

(/Gesamtzahl der Belege: 2294; - : keine Texte vorhanden/)

15,2 30, 0

Franzjosef Pensei

339

Abwertungsbereiche drastisch-derbe Bezeichnung

Ironisierung

Di

St

Pr

Br

Di

Karikierung

St

Pr

Br

Di

St

Pr

Br

0,4

-

0,0

0, 1

0,4

-

0,0

0,1

0,0

-

0,0

0,04

-

0,5

0,6

0, 0

-

0,6

0,3

0,0

-

1,3

0,0

0, 08

-

0,5

-

0, 0

-

1,1

-

0,0

-

0,2

-

0,0

4,4

-

-

-

1,4

-

-

-

0,0

-

-

-

0,3

0,3

0,2.

0, 0

0,7

0,3

0,04

0,0

0,0

0,0

0,0

0,0

-

3,9

0,2

0, 09

-

5,1

0,5

0,04

-

0,4

0,0

0,0

-

1,0

0,4

0, 7

-

2,1

0,3

0,2

-

0,0

0,0

0,0

-

0,0

-

0, 04

-

1,2

-

0,04

-

0,04

-

0,0

3,7

-

-

-

1,9

-

-

-

2,7

-

-

-

1,4

0, 9

4,4

1,1

0,4

2,7

1,9

0,0

0,1

8.»

6,2 17, 3

16,3

Gattungen insges.

Di

2,7 6,7 6,7 11,3

1,7

6,3

Pr

-

4,8 6,7

-

2,2

-

Br

0,3

0,7

3,8

0, 08

-

0,0

-

-

3,1 21,4

1,0

0,0

4,4

0,7

-

9,5

2,6

4,3

-

2,9

26,5

-

16,4 3,4

St

-

11,3

18,0

18,0

100%

33,2

10,4

-

48,3

-

0,5

-

-

12,0

6,5

4,7

Fraiizjosef Pensei

340

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410

Zum Fremdwortgebrauch

3.2. Wortarten (Tabelle 2) 3.2.1. Die Aufschlüsselung der jeweiligen Fremdwortcorpora in die drei Hauptwortarten Substantiv, Verb, Adjektiv zeigt, daß in der überwiegenden Mehrzahl Fremdwörter in der Form von Substantiven auftreten; Verben, vor allem aber Adjektive spielen daneben nur eine völlig untergeordnete Rolle. Der generelle Durchschnitt stellt sich folgendermaßen dar: Substantiv

Verb

Adjektiv

89,3%

6,1%

2,3%

Das ist ein Bild, das sich in gleicher Eindeutigkeit auch anderwärts und zu anderer Zeit abzeichnet und demzufolge allgemeingültigen Charakter tragen dürfte: Als z . B . Sumerer und Semiten in Babylonien zu einer Kulturgemeinschaft zusammenwuchsen, blieb auch eine gegenseitige sprachliche Beeinflussung nicht aus - u. a. in der Weise, daß zahlreiche Fremdwörter übernommen wurden. Im gegebenen Zusammenhang ist entscheidend, daß dies ganz überwiegend Substantive waren''. Die aufgezeigte, überall wiederkehrende Substantivdominanz verhindert freilich keineswegs Differenzierungen in der Weise, daß einzelne Autoren innerhalb eines begrenzten Rahmens den Gesamtdurchschnitt modifizieren. Es fällt auf, daß dies besonders beim Verbanteil geschieht. Bei Karlstadt z. B. treten Verben in Streitschriften und Predigten spürbar zurück - zugunsten von Adjektiven, die bei ihm am stärksten vertreten sind und für deutliche literatursprachliche Verankerung der Texte sprechen (vgl. S. ). Hutten, Murner und Luther hingegen bauen generell einen relativ großen Verbbestand ein - ein sichtbares Zeichen ihrer dynamischen Ausdrucksweise. Andere Autoren treten dagegen nur punktuell mit stärkeren Verbanteilen auf: Agricola und Eck in ihren Briefen (beruhend jeweils auf inhaltlichen Besonderheiten des Briefwechsels), Emser in seinen Streitschriften. 3.2.2. Die Gattungen bewegen sich prinzipiell im gleichen generellen Rahmen wie die Autoren; gleichwohl zeichnen sich auch hier einige bemerkenswerte Abweichungen vom Gesamtdurchschnitt ab, die als Charakteristika anzuführen sind. Für die Briefe typisch ist so ein ausgesprochen niedriger Adjektivanteil; in nicht wenigen Fällen (bei Agricola, Eck, Emser, Karlstadt) fehlen sie dort sogar gänzlich. 1 W. von Soden 1974, S. b f.

Gerhard Kettmann

3 •C

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Gerhard Kettmann

417

gelehrte Art der Textbehandlung hinweisen (/exempell/, /text/), zum anderen auf sein Hauptanliegen deuten: /disputiren/. Luther und Müntzer ist gemeinsam, daß bei ihnen zum religiös/kirchlichen Kernbestand Wörter aus der politischen Sphäre hinzutreten: / r e g i r e n / , /tyrann/. /Euangelium/ und /regiren/ sind geradezu Schlüsselwörter Luthers. Bei Murner dagegen spielen zwar Wörter aus dem religiös/kirchlichen Kreis eine nicht zu übersehende Rolle, sie dominieren aber nicht über solche aus der politischen und juristischen Sphäre wie /nation/, /tyrann/, /appeliren/, /probestation/ usw., die deutlich seine Zugehörigkeit zum kontroverstheologischen Lager unterstreichen. Eigenheiten der bisher beschriebenen Art treten solche zur Seite, die in der unterschiedlichen Stärke des weit verbreiteten Wortschatzes ihre Ursachen haben. Weit unter dem durchschnittlichen Wert bleiben so Hutten und die übrige Dialogverfassergruppe - aus Gründen, die S. erörtert wurden. Ebenfalls mit unterdurchschnittlichen Werten (wenn auch nicht in gleicher Höhe) fallen Emser und Luther aus dem Rahmen. Bei Emser, der ausschließlich religiös/kirchliche Wörter mehrfach verwendet, dürfte der Charakter seiner Streitschriften dafür verantwortlich zu machen sein (sie gehören sämtlich zu den eigentlichen Streitschriften), bei Luther hingegen ist - Bezug nehmend auf einen Ausspruch in den Tischreden (vgl. S. ) - neben thematischer Vielfalt auch beabsichtigtes Variieren als Grund dafür anzusehen. Den Gegenpol verkörpert Karlstadt, der aus seiner Verteidigungsstellung heraus in Streitschriften und Predigten gezwungen ist, immer wieder vom gleichen Kernvokabular auszugehen. Lediglich in den Predigten, nicht aber in den Streitschriften, ist auch bei Eck zu erkennen, wie sehr das enge Kreisen um ausgewählte theologische Schwerpunkte zur Konzentrierung auf einen bestimmten Wortschatz zwingt. Deutlich zeichnet sich aus diesen Angaben ab, wie sehr Thematik und Personalstil im hier gezogenen Umkreis Akzente setzen - ohne das freilich, und das ist entscheidend, die grundsätzliche Tendenz dadurch in Frage gestellt wird. 3.4.2.

Hinzuweisen ist schließlich auch noch darauf, daß die bisher aufgezeigten Besonderheiten wieder in Grenzen wirksam werden, die von den Gattungen markiert werden. Von diesen weisen zwei sehr starke Abweichungen vom Gesamtdurchschnitt auf: Predigten und Dialoge. Wird in den Predigten bevorzugt - weil weil von der Thematik nahegelegt auf stets das gleiche Vokabular zurückgegriffen (was auch eine überdurchschnittliche Anwendungsquote bestimmter Fremdwörter bewirkt), so reduzieren die thematische Vielfalt in den Dialogen und die dort praktizierte Darstellungsart (vgl. S.

) den Kreis

überall verwendeter Fremdwörter von vornherein. Streitschriften und Briefe bleiben dagegen dicht am Gesamtdurchschnitt; sie verkörpern den normalen Anwendungsstand.

418

Zum Fremdwortgebrauch

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0 c- in CO N tin Cin t- 00 in O 03 in co cN co co CSI •

0= 0

%

0 = 0%

7 = 2,2

Spannsatz /so/ /der /

73 = 52, 5 7, 102 = 58, 3 %

1 = 33,3% 176 = 55,5

/der da/'

4 = 2, 9 7c,

1 = 0, 6%

/welch/

7= 5

7>

5 = 2, 8 %

0= 0

/welch/ +Subst

0= 0

7,

1 = 0, 6 %

0 = 0%

InfinKonstr PräsPart

3 = 2, 2 7,

2 = 1, 1 7o

2 = 66,6%

PerfPart

15 = 10, 8 7 ,

15 = 8, 6 %

Gesamt

0 = 0%

5 = 1,6

%

12 = 3,8 1 = 0,3

0 = 0%

7 = 2,2 30 = 9,5 263 = 83 %

Aber neben der üblichsten Spannsatz Variante mit /der/ 55, 5 % (St 52,5 %, Pr 5b, 3 %, der Br ist zu kurz) treten alle andern Möglichkeiten stark in den Hintergrund. Neben den 5,4 %,(St 5,b %, Pr 5,2 %) der entsprechenden Kernsatzvariante mit /der/, erreicht nur die InfinKonstr mit PerfPart in St wie Pr 9,5 %. Zum PräsPart s. oben. Interessant ist, daß die Spannsatzvarianten mit /welch/ (3, 8 %) und /so/ (2,2 %) innerhalb der St sich fast ganz auf den zweiten Teil von St Rat im Kanzleistil beschränken, der von Ecks Sprachpraxis abweicht. In den Pr fehlt /so/, /welch/ steht hier vorwiegend in Bibelzitaten oder in biblisch stilisierter Sprache. Z . B . /ist dann e e nott gsein . . . einer erklarung und Vertrags, so durch hochloblicher gedechtnuß keyser

Maximiiianus verordneten commissarien uffgericht/ St Rat 26, /Gebenedeyt sey Gott vnnd der vater vnsers Herren Jhesv Christi welcher vns hat gebenedeyt in aller gaistlichen benedeyung inn den hymelischen dingen in Christo/ (Zitat aus Ephes.) Pr Sacrament 9b. Dasselbe gilt für das schwerfälligere /welch/-tSubst, /diß ist der pund Gottes, welcher pund ain krefftigs zaychen ist der gnaden/ Pr Sacrament 5b. Auch die wenigen Varianten mit /der da/ machen den Eindruck gehobener Stilisierung, z . B . /gelerten, die da gegenwürtig warent/ St Rat (2. T l . ) 31, /Gleich wie er geert wtird in dem materlichen tempel, der da ist ain verbildung des gaistlichen tempel/ Pr Sacrament 6b. Typ Ib ist bei Eck überhaupt nicht vertreten. Vom T y p Ha benutzt Eck 5 Variante Konstruktionen, die sich wie folgt verteilen.

Relative Attributsätze

460 Typ IIa KernS SpannS

Präp + / d e r /

St 1 = 0,7 %

/ da/ + Präp

0= 0

Präp + / d e r /

2 = 1,4% 4 = 2,9%

Präp + /welch/ / d a / + Präp

%

11 = 7,9%

Gesamt

Pr

Br

0 = 0% 0 = 0% 1 = 0,6% , 0 = 0 % 6 = 3,4% > 0 = 0 % 6 = 3,4% , 0 = 0 % 18 = 10,3% ) 0 = 0 %

Gesamt 1 = 0,3 1 = 0,3 8 = 2,5 10=

3,2

29=

9,2

49=15,8%

Am geläufigsten ist die Spannsatzvariante ohne Flexion /da/+Präp (St 7,9 %, Pr 10, 3 %), obwohl sie in der Regel nur auf ein unbelebtes Substantiv bezogen wird, z . B . /Marcolfus fandt kein bäum, daran er hangen wolt/ St Rat 29, /die speyß darmit wir e r neret werden/ P r Sacrament 8a, nur einmal auch auf ein belebtes, /die gsellen, da s. Pauls von sagt/ St Rat 25. Beim Gegentyp Präp+/der/ ist der Unterschied belebtes oder unbelebtes Substantiv erstaunlicherweise schon irrelevant geworden, 3mal Verbindung mit belebtem, 5mal Verbindung mit unbelebtem Bezugswort. Trotzdem bleibt er mit nur 2,5 % (St 1,4 %, P r 3,4 %) noch erheblich seltener als der bequeme flexionslose Typ, z. B. / l e r e r , nach den in die oren jucken/ St Rat 25, /von vorgeenden figuren, durch die der Tauff ist bedeüt worden/ P r Sacrament I I a . Präp + /welch/ ist charakteristischerweise auf den zweiten Teil von St Rat, den Verhandlungsbericht, beschränkt, den man nicht für Ecks Personalstil verwerten kann, z. B. /das wir über der eegemele e ten predicanten spannig artickel und zwyspaltig leer mögen en entschaidt geben, by welchem als dann ein e. ratt desgleichen iere predicanten ongewegert beliben sollend/ St Rat 33. Typ IIb, naturgemäß allgemein selten, ist in der üblichsten Materialisation Spannsatz Präp + / d e s / + Subst in St immerhin 2mal, in Pr lmal vertreten, z. B. / d a s man zwen oder drey richter setzen sol, by deren urtail die andern beliben müssint/ St Antwort 4b. Von den topologischen Varianten Nach- bzw. Zwischensatz bevorzugt Eck eindeutig den Nachsatz. Besonders auffallend ist das Verhältnis 87,4 % zu 12, 6 % in den P r , während St und Br ein Verhältnis 2 : 1 zeigen (69,1 bzw. 66,6 % zu 30,9 bzw. 33, 3 %). Zusammenfassend läßt sich sagen: Eck bewegt sich in allen Genres im Fahrwasser gelehrter Stiltradition nach lat. Vorbild. Er braucht relativ viel RelKonstr, darunter häufig InfinKonstr. Kernsätze begegnen vorwiegend in belehrend-erklärender Funktion. Präp + / d e r / beginnt sich auch auf unbelebtes Bezugswort auszudehnen. Im übrigen verwendet Eck relativ wenig Varianten.

461

Gabriele Schieb 2.3.

E m s e r ist vertreten mit einem Textkorpus von 16 774 Wörtern. Darin sind 180 attributive RelKonstr zu einem Substantiv enthalten. Auf 1000 Wörter kommen also 1 0 , 7 . Das Textkorpus setzt sich zusammen aus St: E m s e r St Buch

- 16 047 W, 172 RelKonstr = 10, 7 auf 1000 W.

Br: E m s e r Br j g ^ ' 4*3)'

"

727 W,

8 Relkonstr = 11

auf 1000 W.

Erstaunlich ist der hohe Anteil an RelKonstr, nicht nur .in den Br an die Fürstin M a r garete, sondern auch in der hochgelehrten St, die einzelne Aussprüche Luthers mit wissenschaftlichem Rüstzeug zu widerlegen versucht. Die möglichen Strukturvarianten verteilen sich folgendermaßen: Emser

Stirnsatz

Kernsatz

Spannsatz

St

0 = 0%

13=

148=86

Br

0 = 0%

Gesamt 0 = 0 %

7,6%

1=12,5% 14=

7,8%

%

7 = &7,5% 155 = 86,1 %

InfinKonstr

Gesamt

11=6,4%

172 = 100'

%

8 = 100'

11=6,1%

0=0

180 = 100'

Stirnsätze sind E m s e r f r e m d , und auch unter den 7 , 8 % Kernsätzen befinden sich nur 1 , 1 % , die sprechsprachlichem Nachdruck dienen, so /Wolches dann alles durch keyns andern dann durch der priester hand geweyhet werden mag, durch sie tzihen wyr Christum an, durch sie werden wir voreyniget dem Son Gotes/ St Buch 35. Die übrigen werden gestellt durch die formelhafte Interpretationsvariante / d a s i s t / ' d a s , was b e deutet' , z. B. /die do al dienen tzu schmuck vnd t z i e r der braut Christi das ist der heiligen christenlichen kirchen/ St Buch 41, / D i s e n hutern oder wechtern, das ist den heiligen Enngeln getraw ich wol/ St Buch 20, einmal sogar in der lat. Entsprechung / i d e s t / , so /Sie machen vns aber geistlich id est ecclesiasticos/ St Buch 23. Schon diese Entsprechung stempelt sie als nichtvolkstümliche gelehrte Variante. Die f o r m e l hafte E r s t a r r u n g zeigt sich darin, daß / d a s / fest ist, daß es sich nicht wie die andern relativ gebrauchten / d / - P r o n o m i n a in Genus und Numerus nach seinem Bezugswort im T r ä g e r s a t z richtet. Hinter den 11 InfinKonstr, 8 P r ä s P a r t und nur 3 P e r f P a r t , steht offensichtlich auch lat. Sprachpraxis, vgl. z. B. St Buch 10 kurz aufeinander folgend / a b e r den geistlichen syn darunder ligende alleyn Moisi vnd den Propheten geoffenbaret . . . vnd den geistlichen syn in der schrifft verborgen/, St Buch 49 / e i n monch mit b l o s sem schwert, ob der stad in den lufften schwebende, vnd mit lawter stym schreyende/, auch mehrfach stereotyp / s p r e c h e n d e / . Daß in den Br InfinKonstr fehlen, mag zufällig sein und mit der Kürze des zur Verfügung stehenden Textes zusammenhängen. Von den 180 RelKonstr gehören in Bezug auf die Materialisation 77,2 % zum Typ Ia,

Relative Attributsätze

462 2 , 2 % zum Typ Ib und 20, 6 % zum Typ IIa.

Vom Typ Ia benutzt Emser 10 Variante Materialisationen, die sich wie folgt verteilen. Typ Ia Kernsatz

/der/ / d a s ist/ /id est/

Spannsatz

/so/ /der/ /der da/ /welch/ /welch/+Subst

Br

0 = 0% 10 = 5 , 8 % 1 = 0, 6 %

1 = 12,5%

6 = 3,5% 87 = 50,6% 8 = 4,6% 10 = 5 , 8 % 1 = 0, 6 %

InfinKonstr PräsPart

8 = 4,6%

PerfPart

3 = 1,7%

Gesamt

Gesamt

St

1 = 0,6 10 = 5,6 1 = 0,6

0= 0 0= 0

%

0= 0 4 = 50

% %

0= 0 0= 0 0= 0

% % %

1 = 0,6

0= 0 0= 0

%

8 = 4,4

%

3 = 1,7

%

6 = 3,3 91 = 50,6 8 = 4,4 10 = 5,6

139 = 77,2

Das üblichste ist, in der Hälfte aller Fälle, die Spannsatzvariante mit / d e r / , /welch/ scheint damit hier und da austauschbar, dient aber vorwiegend der Variation bei der Aufeinanderfolge zweier Relativsätze, z. B. /den reyssenden wolff, der dyr deine schaff welche du mit deynem roßenfarben blut erkaufft vnd erloßt hast, wyder abstellen wil/ St Buch 15, der rhythmischen Nachdruckverleihung in sehr kurzen Relativsätzen, z. B. /in dem wortlin geistlich, wolches equiuocum ist/ St Buch 21, oder eines Einzelgliedes vor einem Zwischensatz, so St Buch 56 /das ist des glucks schuldt, welchs, als Salustius spricht, In allen dingen mit r e g i r t / . Das gilt ähnlich für das eine /welch/+ Subst St Buch 9, das, von seinem Bezugswort getrennt, innerhalb einer Periode der verdeutlichenden Wiederaufnahme dient, /nemet ann den heim des heyls vnd schwert des geystes, das so ist das wort gotes. Welches schwert, ich nicht wie Lutter in der scheyden, das ist in dem buchstaben oder schrifftlichen synne stecken lassen, Sonder wider yn entblossen will/. Auch der Gebrauch von /der da/ scheint vordringlich rhythmischen Anforderungen zu genügen, z. B. /des standes halben der do stat auff pristerlicher wyrd/ St Buch 22, oder /den geystlichen, Die do wie Petrus saget . . . geschickt vnd bereyt sein sollen . . . / St Buch 7. Engeren Gebrauchsbedingungen ist / s o / unterworfen, das nur in notwendig-unterscheidender Funktion und fast ausschließlich in Kontakt zu seinem Bezugswort steht, auch auf die Einleitung relativ kurzer Sätze beschränkt bleibt, z. B. /noch die guter so vns vorheissen, gegeben werden/ St Buch 35, /der geistlichen bedeutung so darinn vorschlössen sey/ St Buch 10. Der Br verzichten auf all diese

463

Gabriele Schieb

Varianten und verwenden nur / d e r / . Dem ist aber, wegen der Kürze des Textes, keine entscheidende Bedeutung beizumessen. Zu den InfinKonstr gelehrter Tradition s. o. Von Typ Ib braucht Emser entsprechend Typ Ia nebeneinander die Spannsatzvarianten /des/-tSubst 3mal (= 1,7 %) in St Buch, z. B. /heiigen veter ym himelreych, deren vordinst.... Luter nit alein vorachten . . . darff . . . / St Buch 15, und /welches/ +Subst lmal (= 0,6 %), /Das dannocht . . . Alein Petrus, welchs schiffe darumb in der teuffe helt . . . /St Buch 41. Vom Typ IIa benutzt Emser 5 variante Materialisationen, die sich wie folgt verteilen. Typ IIa St

Br

2 = 1,2%

0 = 0%

KernS

Präp+/der/

SpannS

Präp+/der/ 9= 6= Präp+/welch/ Präp+/welch/ -tSubst 3 = / d a / +Präp 14 =

Gesamt

Gesamt 2 = 1,1 %

5,2%

1 = 12,5% , 10 = 5 , 6 %

3,5% 1,7%

1 = 12,5% )

8,1 %

7 = 3,9 % 0 = 0% 3 = 1,7% 1 = 12,5% , 15 = 8,3 % 37 = 20, 6 %

Die beiden parallel reihenden, nachdrücklichen Kernsatzvarianten sind schon oben S. 461 vermerkt. Bei den Spannsatzvarianten halten sich /da/+Präp mit 8,3 % und Präp+/der/ oder /welch/ mit zusammen 9, 5 % etwa die Waage. /da/+Präp ist auf unbelebtes Bezugswort beschränkt. Für Präp+/der/ und Präp+/welch/, die sich ohne e r kennbare Regeln verteilen, gilt eine solche Beschränkung nicht. Trotzdem begegnet vor allem Präp+/der/ noch häufiger bei belebtem Bezugswort ( 6 : 4 ) . Die 3 schwerfälligen Präp+/welch/4Subst beschränken sich auf Fälle der verdeutlichenden Wiederaufnahme bei ungewöhnlich weitem Abstand vom Bezugswort, z. B. /derhalben er etzliche wort auß dem selben capitel listiglich vbergangen, als das die selben meister nawe secten auffbringen, dy oberkeit vorachten vnd den lewten freyheit vorheissen werden tzu sunden, mit welchen worten Sant Peter Lutern so eben getroffen vnd abcontrafeyet hat/ St Buch 37. Typ IIb fehlt bei Emser. Von den topologischen Varianten Nach- bzw. Zwischensatz bevorzugt Emser mit 71,1 % eindeutig den Nachsatz. In den Br bestreitet dieser sogar 87,5 %. Zusammenfassend läßt sich sagen: Emser ist ausgesprochen bildungssprachlich mit wenig Unterschieden zwischen den Gattungen. Er verwendet viel RelKonstr, bleibt aber mäßig im Gebrauch von InfinKonstr. Kernsätze erscheinen vorwiegend in belehrenderklärender Funktion/das ist/ oder gar lat. / i d e s t / . Präp+/der/ beginnt sich auch

Relative Attributsätze

464

auf unbelebtes Bezugswort auszudehnen. Im übrigen dienen Varianten vor allem der stilistischen Variation oder sind satzrhythmisch verteilt.

2.4. Hutten ist vertreten mit einem Textkorpus von 18 074 Wörtern. Darin sind 162 attributive RelKonstr zu einem Substantiv enthalten. Auf 1000 Wörter kommen also 9,1. Das Textkorpus besteht nur aus Hutten Di Vadiscus S. 57-IIb. Vorrede und Schluß, da nicht in Dialogform, wurden nicht berücksichtigt. Da der Di zunächst in lat. Fassung erschien und dann erst in dt. Übersetzung, ist die Möglichkeit gegeben festzustellen, ob die dt. im Bereich der attributiven RelKonstr zu einem Substantiv durch die lat. beeinflußt ist. Die möglichen Strukturvarianten verteilen sich folgendermaßen: Stirnsatz 0 = 0%

Kernsatz 7=4,2%

Spannsatz 146 = 90,3 %

InfinKonstr 9 = 5,5%

Der Spannsatz beherrscht so eindeutig das Feld, daß die wenigen andern Varianten kaum von Bedeutung sind. Der Kernsatz hat interessanterweise dreimal die Sonderfunktion, sozusagen in Parenthese, Fremdwörter deutsch zu erläutern. In diesem Falle stellt er natürlich einen Zusatz gegenüber der lat. Fassung dar, z . B . /vnd werden 6 © © darumb Caudatarij, das mögen wir schwanztrager heyssen, genendt/ Di Vadiscus 87. Einmal, Di Vadiscus 76, entspricht lat. /regem . . . conspirationem, cui . . . / im Deutschen frei der reihende Kernsatz /das alle Künig vnd fürsten sich eynträchtiglich zue e e samen wurffen, vnd wider sye satzeten, den hetten sye dann nit mögen widerstan/. Sonst fehlt eine lat. Entsprechung. Die InfinKonstr sind mit 5, 5 % erstaunlich gering vertreten, zumal sie im lat. Text 13,3 % ausmachen, und außerdem scheinen sie im Einzelfall völlig unabhängig vom Lat. gesetzt. In den zwei Fällen eines PräsPart fehlt die unmittelbare lat. Parallele, obwohl Hutten in der lat. Fassung 6 andere Fälle G 6 (= 3,6 %) kennt, z. B. /Diße tyrannen. mitt iren aller schädlichsten gesatzen, das lyecht der warheit verfinsterend als mit einem rauch der hellischen vff dempfung, haben e die . . . leer Christi . . . ermordet/ Di Vadiscus 112. Von den 6 deutschen PerfPart haben auch nur 3 (= 1, 8 %) eine lat. Entsprechung, obwohl die lat. Fassung insgesamt 16 Fälle (=9,7 %) enthält, z . B . /darnach der gebrechen, wen er kein narung, oder grundt mer hat, vorlassen von seiner macht, mit der Zeit selbst vorschwinde/ Di Vadiscus 94, lat. /'defectis viribus/. Dem einen deutschen /zu/Inf Di Vadiscus 61 /das ein ding ist, besser vnd mer zu begeren,. dann weyn oder golt/ entspricht ein lat. Adj / r e m auro ac vino desyderabiliorem multo/, wie überhaupt im Lat. öfter Adjektive anstelle dt.

465

Gabriele Schieb RelKonstr erscheinen, so in 8 Fällen (= 4, 8 %). Die InfinKonstr sind also für den

Humanisten auch im deutschen Kontext geläufige, vollgültige Materialisationsvarianten, als Stilkünstler bevorzugt er allerdings meist andere dt. RelKonstr, vgl. z. B . Di Vadiscus 72 /Hyerumb sag an von . . . den lehen die man Curat, vnd die man nit Curat nennet/ gegenüber lat. /beneficiis curatis et non curatis/, Di Vadiscus 70 /Hastu nit gehört, was Vadiscus (der nechst auch hye gewesen) von ihrem regiment gesagt?/ gegenüber lat. /divagantem nuper Vadiscum/, Di Vadiscus 89 /damit wir . . . den ruf, damit die alte wund überzogen was, widerumb abklawben/ gegenüber lat. /obductam refricemus cicatricem/. Von den 162 RelKonstr gehören in Bezug auf die Materialisation 78,7 % zum Typ Ia, 20, 6 % zum Typ IIa und 0, 6 % zum Typ IIb. Typ Ib fehlt. Von Typ Ia benutzt Hutten 8 Variante Konstruktionen, die sich wie folgt verteilen. Typ Ia

Di

Kernsatz

/der/

6 = 3, 6

Spannsatz

/so/

9 = 5, 4 97 = 58, b

/der/ /welch/

5= 3

/welch/ -tSubst

1 = o, 6

InfinKonstr PräsPart

2 = 1, 2 6 = 3, 6 1 = o, 6

PerfPart / zu/Inf Gesamt

127 = 78, 7

Neben der üblichen Spannsatzvariante mit /der/ treten die andern Möglichkeiten stark in den Hintergrund. Nennenswert sind höchstens die 5,4 % / s o / . Der Gebrauch beschränkt sich auf notwendig-unterscheidende Funktion, und/so/ steht in Nach-wie Zwischensatz immer in Kontakt zum Bezugswort. Auch haben die /so/-Sätze meist r e lativ geringen Umfang, z. B. /die grausamest veruolgung der christlichen kirchen, so ye erkennt gewesen/ Di Vadiscus 112, ähnlich 88. Öfter hat man den Eindruck kanzleisprachlichen Einflusses, z . B . /wo sye auch an den Annaten, so durch absterbung der £

geystlichen gefallen, ein genügen hetten/ Di Vadiscus 97. Lat. Entsprechend ist gewöhnlich /qui/. Zu /welch/ statt /der/ wird meist nur ausgewichen unter stärkerem Akzent, wenn die RelKonstr Träger satz weiterer abhängiger Aussagen ist, z . B . /also das teütsch land witzig würde. Weihes, als mich bedunckt, Christo . . . bassz nit thienen g

mocht, . . . / Di Vadiscus 116, /zeygen an ein Bullen Concordata principium genandt.

Relative Attributsätze

466

welche, ob schon nach allem innhalt vorstanden vnd gehalten, . . . vnns kündt kein schwerer joch . . . auffgelegt werden/ Di Vadiscus 89. Es läßt sich der relative Anschluß des Lateinischen vergleichen. Daher im letzten Falle auch lat. /concordata principum appellantes. quae bulla, . . . / . /welch/ begegnet bei Hutten nur in frei beschreibender Funktion. Das gleiche gilt für den einen Fall /welch/-tSubst, /sprechend, einer hab symoney getriben. welches laster die romanisten vnverdampt nit lassen, wiew o l . . . / Di Vadiscus 106, hier allerdings lat. gerafft mit dem Gen. /certo damnationis crimine/. Zu den Kernsatzvarianten und InfinKonstr s . o. Von Typ Ha benutzt Hutten 4 Variante Konstruktionen, die sich wie folgt verteilen. Typ Ha Kernsatz

Di /da/+Präp

Spannsatz Präp + / d e r /

Gesamt

1=

0,6'

4 = 2,4 1

Präp + /welch/

3 = 1, b '

/da/+Präp

26 = 15,8' 34 = 20,6 '

Die geläufigste Spann satzvariante /da/ + Präp ist noch auf unbelebtes Bezugswort beschränkt. Obwohl für Präp + / d e r / die Beschränkung auf belebtes Bezugswort nicht mehr streng gilt, bleibt es selten. Die lat. Fassung zeigt für beide Varianten keinerlei einheitliche Entsprechung, vgl. z. B. nur einmal übereinstimmend/die göttlichen leer Christi, in der vnser glaub gegründt/ Di Vadiscus 112, lat. /Christi doctrinam, in qua fundata est/, dagegen umgekehrt z . B . /die thur, dardurch man in den schaff stall gehen mussz/ Di Vadiscus 115, lat. /ostium enim, per quod . . . / , /die anflngklichen (= k i r chen), darinn die heyligsten gelebt haben/ Di Vadiscus 74, lat. /primitivam in qua . . . / , Die drei Präp + /welch/ sind wiederum auf Fälle der Heraushebung vor weiterem Nebensatz beschränkt, z. B. / i r hapt zu einer mordt gruben gemacht das hauß des gebettes, o e auß welchen, wan ye Christus wider vff diße weit zu vns abher kam, euch vil zornigklicher dann er etwan die keüffer vnd vorkeüffer treyben wurde./ Di Vadiscus 68. Wir beachten schließlich, daß die eine reihende Kernsatzvariante ohne lat. Entsprechung ist, /must des ersten bistumbs pallium . . . widerumb kauften, vnd vff ein newes-lößen. doran ward jm nit ein Pfennig nachgelassen./ Von Typ.IIb erscheint bei Hutten ein einziger Fall. Präp + /welches/ + Subst steht im Sinne eines relativen Anschlusses /Christus . . . . I n welches fußstapffen wir trettend, sollen vns beherten wider die . . . / Di Vadiscus 115, lat. /cuius vestigiis insistentes/, was der sonstigen eingeschränkten Verwendung von /welch/ bei Hutten entspricht. Die topologischen Varianten Nach- oder Zwischensatz werden von Hutten mit 58, 8 %

467

Gabriele Schieb

und 41,2 % erstaunlich ähnlich frequentiert. In der Literatur (C. A. Werner 1922) findet man angegeben, daß Hutten in seinen Prosaübersetzungen wörtlich übersetzt habe. Das kann ich nur bedingt bestätigen. Er ist ein genialer Übertrager, der beide Sprachen voll beherrscht und keine nach der anderen vergewaltigt. Die dt. Fassung ist oft ausführlicher, mit mehr Erklärungen und Erläuterungen. Die Latinismen seiner Syntax sind nicht Interlinearübersetzungen aus dem Latein, sondern gepflegte Möglichkeiten seines gelehrten dt. Stils. Es ist nicht unwichtig festzuhalten, daß sich den RelKonstr der dt. Fassung in 27,9 % der Fälle, also einem knappen Drittel, überhaupt nichts im Lateinischen unmittelbar vergleichen läßt. Lat. /qui/ gilt mit 32,7 % etwa in einem Drittel der Fälle. Das entspricht dem Deutschen, aber nur im Gesamt, nicht in jedem Einzelfall. 14 dt. Formvarianten stehen rd. 20 lat. gegenüber. Neben/qui/ stehen/quis/, ablatives/quo/, Präp + / q u i / , Präp + /qui/ + Subst, /qui/ + Subst, ablatives /quo/ + Subst, ein komplexeres Subst ( z . B . /hereditate/ gegenüber dt. /von den landen, die er ererbt/), ein Subst im Gen, ein Subst im Dat, ein Subst im Ablativ, ein Adj (z. B. /onus non grave tantum/ gegenüber dt. /bürden, die nit allein schwer zu tragen/), PerfPart, PräsPart, /unde/, /ubi/, / e t / , / u t / ' w i e ' , / u t / ' s o daß'. Zusammenfassend läßt sich sagen: Hutten schreibt ein gepflegtes Humanistendeutsch ohne unmittelbare Abhängigkeit vom Latein. Als vorbildlicher Übertrager beherrscht er beide Sprachen. Er macht einen nur mäßigen Gebrauch von InfinKonstr wie von Kernsätzen, die gern parenthetisch erläuternd gebraucht werden. Varianten treten zurück, aber die Stilwerte von / s o / und /welch/ werden gelegentlich genutzt. Charakteristisch für Hutten ist Ausgewogenheit im Gebrauch von Nach- und Zwischensätzen, worunter schon viele mit folgendem kurzen Satzrest aus lat. Tradition.

2.5. Karlstadt ist vertreten mit einem Textkorpus von 43 078 Wörtern. Darin sind 395 attributive RelKonstr enthalten. Auf 1000 Wörter kommen also 9,1. Das Textkorpus setzt sich zusammen aus Di: Karlstadt Di Mißbrauch 16804 W , 142 RelKonstr = 8,5 auf 1000 W. St: Karlstadt St Anzeige 15891 W , 156 RelKonstr = 9, 8 auf 1000 W. Pr: Karlstadt Pr Malachias

4098 W

Karlstadt Pr Sacrament 4596 W ' b b R e l K o n s t r Br: Karlstadt Br 24, 1525. 25, 1525. 26, 1526. 28, 1528

= i 0 ' 1 a u f 1 0 0 0 W. 1689 W , 9 RelKonstr = 5,3

auf 1000 W. Wir beachten den hohen Anteil von RelKonstr in St und P r , einer hochgelehrten P r o -

Relative Attributsätze

46b

grammschrift und Lesepredigten höheren Anspruchs. Aber auch der Di hat hohes wissenschaftliches Niveau. Die möglichen Strukturvarianten verteilen sich folgendermaßen: Karlstadt

Stirnsatz

InfKonstr

Gesamt

Kernsatz

Spannsatz

2 = 1,49c, 142 = 1 0 0 12 = 7,7