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German Pages 86 [93] Year 1990
GEROLD MIKULA AMÉLIE M U M M E N D E Y BERNHARD ORTH
B A N D 20 1989 H E F T 4
VERLAG HANS HUBER BERN STUTTGART TORONTO
Zeitschrift für Sozialpsychologie Gegründet von: Hubert Feger Klaus Holzkamp Carl Friedrich Graumann Martin Irle Wissenschaftlicher Beirat: Günter Albrecht Hans-Werner Bierhoff Mario von Cranach Helmut Crott Dieter Frey Volker Gadenne Franz Urban Pappi Peter Petzold John Rijsman Peter Schönbach Wolfgang Stroebe Arnold Upmeyer Rolf Ziegler
Copyright 1989 Verlag Hans Huber Bern Stuttgart Toronto Herstellung: Lang Druck AG, Liebefeld Printed in Switzerland Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Library of Congress Catalog Card Number 78-126626 Die Zeitschrift für Sozialpsychologie wird in Social Sciences Citation Index (SSCI) und Current Contents / Social and Behavioral Sciences erfaßt
Zeitschrift für Sozialpsychologie 1989, Band 20 Heft 4 INHALT Editorial
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Theorie und Methoden OSWALD, M . : Schadenshöhe, Strafe und Verantwortungsattribution
200
Empirie HÜMMERS, W. und ENDRES, J.: Strafe und Schadenersatz im Urteilsverbund
211
STERN, E.: Auswirkungen der Verhaltens-Selbstprotokollierung auf die Einstellungs-Verhaltens-Konsistenz 220 Übersichtsbeitrag LÖSCHPER, G.: Relevanz psychologischer Urteilsforschung im Bereich der Rechtssprechung
230
Literatur Rezensionen KETTE, G.: Rechtspsychologie. 1987. BIERBRAUER, G.: Rechtspsychologie ohne Recht? SPORER, S. L.: Rechtspsychologie: Alternative Ansätze Neuerscheinungen
266
Titel und Abstracta
267
Nachrichten und Mitteilungen
269
Autoren
274
Gesamtverzeichnis Band 2 0Band (1989) Namens- und Sachregister 20 (1989)
276 278
Verlag Hans Huber, Bern Stuttgart Toronto
254 254 259
Zeitschrift für Sozialpsychologie 1989, 199
199
Editorial Das vorliegende Heft mag auf den ersten Blick des Lesers den Eindruck eines Themenheftes zur Rechtspsychologie oder zumindest sozialpsychologischer Aspekte in der Rechtspsychologie erwecken. Es ist keins, zumindest keins im engeren Sinne. Vielmehr fügen sich gewissermaßen zufällig einige in kurzer Folge eingereichte Beiträge zu einem diesmal thematisch homogenen Heft zusammen: Neben der aus kriminologischem Blickwinkel vorgenommenen aktuellen und kritischen Literaturübersicht von LÖSCHPER zum Passungsverhältnis von Ergebnissen psychologischer Urteilsforschung zu Fragestellungen aus der Praxis der Rechtsprechung werden einzelne Aspekte auf dem Wege einer theoretischen Erörterung (OSWALD) oder einer empirischen Studie (HOMMERS & ENDERS) weitergehend vertieft. Ergänzend findet eine kürzlich in deutscher Sprache vorgelegte Monographie zur Rechtspsychologie mit einer Doppelrezension äußerst kritische Würdigung. In diesem Kontext nimmt die Studie von STERN zur Einstellungs-Verhaltens-Konsistenz - grundsätzlich ein in der Sozialpsychologie zentrales Forschungsproblem - regelrecht eine Solo-Status-Position ein, dies - so hoffe i c h - mit allen Vorteilen bezüglich ihres Aufmerksamkeitswertes. Jeder dieser diversen Beiträge macht - so glaube ich - die enge Verzahnung von sozialpsychologischer Theorienbildung sowie empirisch experimentellem Instrumentarium und der Domäne der Rechtsprechung im weitesten Sinne sichtbar. Es würde uns freuen, wenn diese eher
zufällige zeitliche Aggregierung rechtspsychologischer Beiträge als Einstiegs-Stimulans zur Vertiefung der Beziehung zwischen Rechtspsychologie und Sozialpsychologie, zur Intensivierung der theoretischen und empirischen Bestellung dieses Grenzgebietes zwischen Grundlagenforschung und einem ebenso interessanten wie für die nicht-forschende Praxis bedeutsamen Anwendungsgebiet wirkte. Warum erscheint dieses Heft, das vierte des Jahrgangs 1989 erst im Jahre 1990? Die Herausgeber, besonders aber die Redaktion haben sich alle Mühe gegeben, das pünktliche Erscheinen aller Hefte zu ermöglichen: Aber selbst ein nur als außergewöhnlich zu beschreibender Arbeitseinsatz der Redaktion unter Mobilisierung aller verfügbaren Kräfte bei der Erstellung der GesamtNamens- und Sachregister - wohlgemerkt «mit bloßen Händen» ohne die heutzutage für diese Zwecke verfügbaren Erleichterungen durch Textverarbeitungssysteme - konnte die an anderer Stelle des Herstellungsprozesses entstandenen Verzögerungen nicht wettmachen. Trotzdem, auch wenn das Ziel nicht erreicht werden konnte, möchte ich an dieser Stelle der Redaktion, zuvorderst Herrn Dr. Manfred BORNEWASSER ausdrücklich für dieses Engagement danken. AMELIE MUMMENDEY
B
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Oswald: Verantwortungsattribution
Theorie und Methoden Schadenshöhe, Strafe und Verantwortungsattribution MARGIT OSWALD Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen, Hannover Nach HEIDER und PIAGET ZU urteilen, entspricht es nicht unseren moralischen Ansprüchen, Verantwortungszuschreibungen maßgeblich an der H ö h e des Schadens einer Handlung auszurichten. Dennoch hat sowohl im Alltag als auch im Strafrecht die Höhe des Schadens einen wesentlichen Einfluß auf die Verantwortungszuschreibung. Attributionstheoretische Erklärungen dieses Zusammenhangs haben bisher unberücksichtigt gelassen, daß mit steigendem Schaden auch das Bedürfnis nach Schadensausgleich anwächst und dazu motivieren kann, dem Verursacher überhöhte Verantwortung zuzuschreiben. Es wird argumentiert, daß im Rahmen der retributiven Gerechtigkeit die Tendenz zur überhöhten Verantwortungszuschreibung stärker sein wird, wenn der Ausgleich des (Opfer-)Schadens nicht durch Schadenskompensation, sondern durch Übelzufügung zustandekommt. Die Analyse macht deutlich, daß eine Theorie der Verantwortungsattribution ohne Berücksichtigung equitytheoretischer Annahmen unzureichend ist.
According to HEIDER and PIAGET it does not meet our moral claims to adjust responsibility attributions substantially to the severity of damage. However, the severity of damage caused by an actor's behavior has an important influence on responsibility attribution in daily life as well as in penal law. Former explanations of this influence did not take into account that, with increasing severity of damage, there will also be an increase in the observer's need for retributive justice. But an increasing need for equity might motivate an aggravated responsibility attribution, especially, if justice will be reestablished by traditional patterns of punishment rather than by (victim-)compensation. The analysis points out that a theory of responsibility attribution will be insufficient without considering assumptions of equity theory.
1. Problemstellung
im Bereich der schadensbezogenen Verantwortungszuschreibung. WALSTER ( 1 9 6 6 ) geht in ihrem vielzitierten Experiment von der psychoanalytisch orientierten Annahme aus, daß die mit steigendem Schaden anwachsende Verantwortungszuschreibung über defensive Motive des Beobachters zu erklären sei. B R E W E R ( 1 9 7 7 ) hingegen gibt eine konkurrierende Erklärung, die nur Annahmen über allgemeine Prinzipien der Informationsverarbeitung enthält. In der Folge gab es weitere Erklärungsversuche und zahlreiche Folgeuntersuchungen zur schadensgeleiteten Verantwortungszuschreibung, ohne daß man klar dem einen oder anderen Ansatz den Vorzug geben könnte (vgl. FINCHAM & JASPARS, 1981; PAUL & OSWALD, 1 9 8 2 ) . Die Frage, wie rational es ist, daß Personen für ein und dieselbe Handlung unterschiedliche Verantwortung zuschreiben, wenn der mit der Handlung einhergehende Schaden verschieden hoch ausfällt, besitzt dabei mehr als eine rein akademische Bedeutung. Nach dem geltenden Strafrecht beispielsweise ist
Sozialökonomische Theorien des Kaufverhaltens (vgl. ETZIONI, 1 9 8 6 ) , sozialwissenschaftliche Entscheidungstheorien (vgl. E I N H O R N & HoGARTH, 1 9 7 8 ; HOGARTH, 1981; SIMON, 1 9 8 7 ) , aber auch attributionstheoretische Ansätze haben in den letzten Jahren verstärkt darauf Bezug genommen, daß die Rationalität menschlicher Informationsverarbeitung eingeschränkt ist. Rationalitätseinschränkend sind beispielsweise unsere motivationalen Bindungen an spezifische Urteilsergebnisse und Annahmen, da sie die Suche und Verarbeitung von neuen Informationen beeinträchtigen, die den erwünschten Annahmen widersprechen (OSWALD & G A D E N N E , 1 9 8 7 ) . Wie neuere Forschungen zeigen, wurde der Einfluß von Motiven jedoch oft zu vereinfacht gesehen oder unverhältnismäßig stark gewichtet (vgl. NISBETT & Ross, 1 9 8 2 ) . Ein interessantes Beispiel für die kontroverse Diskussion der kausalen Bedeutung von Motiven finden wir
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es für die Höhe der zu verhängenden Strafe ganz wesentlich, ob und in welchem Ausmaß durch die strafbare Handlung ein Schaden verursacht wurde (vgl. D E N C K E R , 1 9 8 9 ) . Im folgenden soll der Sachverhalt, daß mit steigendem Schaden die Höhe der zugeschriebenen Verantwortung zunimmt, über motivationale Einflüsse erklärt werden, ohne jedoch auf defensive Motive zurückzugreifen. Dabei wird es notwendig sein, den rein attributionstheoretischen Rahmen zu verlassen und Überlegungen der Equitytheorie einzubeziehen, die sich mit den Bedingungen der gerechten Verteilung von positiven und negativen Gütern (z.B. Strafe) befassen. Es soll gezeigt werden, daß eine rationale Verantwortungszuschreibung, die dem Anspruch genügt, auf einer genauen und kritischen Prüfung der Absichten und Rechtfertigungen des Handelnden zu beruhen, oft mit dem Bedürfnis nach Schadensausgleich in Konflikt gerät. Die psychologische Grundlage des Konflikts ist darin zu sehen, daß wir einerseits Strafe nach dem Prinzip der persönlichen Verantwortlichkeit zumessen, andererseits aber das Bedürfnis haben, den entstandenen Schaden auszugleichen. Im Fall eines hohen Schadens und einer reduzierten Verantwortungszuschreibung wäre demnach zu erwarten, daß die entsprechend niedrige Strafe das Bedürfnis nach Schadensausgleich unbefriedigt läßt, sofern man nicht gleichzeitig andere Personen mitverantwortlich macht. Im Anschluß an diese Überlegungen wird untersucht, ob der Konflikt zwischen Schadensausgleichsbedürfnis und kritischer Verantwortungszuschreibung geringer wird, wenn Strafe nicht als reine Übelzufügung verstanden wird, bei der das Opfer in der Regel außer einer «Genugtuung» keinen Ausgleich erfährt. Es ist hier vor allem an die Möglichkeit der Konfliktschlichtung gedacht, die im pädagogischen, aber auch im strafrechtlichen Bereich, wie beispielsweise durch einen sog. Täter-Opfer-Ausgleich, Anwendung findet bzw. finden könnte.
2. Was Theorien der Moralentwicklung nicht sagen
Was ist eigentlich so verwunderlich daran, daß für ein und dieselbe Handlung einer Person in dem Maße mehr Verantwortung zugeschrieben
201 wird, in dem der mit der Handlung verbundene Schaden zunimmt (vgl. WALSTER, 1966; MILLER et al., 1986; RYKMAN et al., 1986)? Ist es nicht im Alltag und auch im Strafrecht üblich, daß sich Verantwortung und Strafmaß am Schaden orientieren? Unter «Schaden» soll in diesem Zusammenhang keineswegs nur der materielle Schaden verstanden werden. Der Begriff ist sehr allgemein gefaßt und soll sich auch auf psychische wie körperliche Schäden der Betroffenen und auf Schäden beziehen, die der Allgemeinheit entstehen. Das Strafrecht unterscheidet beispielsweise reine Tätigkeitsdelikte von sogenannten Erfolgsdelikten. Bleibt eine strafrechtswidrige Handlung wie z.B. Trunkenheit am Steuer ohne Konsequenzen, so handelt es sich um ein Tätigkeitsdelikt. Kommt es bei identischer Handlung jedoch zum Schaden, so handelt es sich um ein Erfolgsdelikt, das in der Regel härter bestraft wird. Aber auch innerhalb der Erfolgsdelikte wird nach der jeweiligen Schadenshöhe differenziert. «Wenn jemand einen Kassenschrank aufbricht, so spielt es für die Höhe der Diebstahlsstrafe eine Rolle, welche Beute er dort findet» (ALBRECHT, 1983, S.267). Findet er beispielsweise nur DM 100-, so erhält er eine geringere Strafe als wenn er DM 1000- vorfindet und dabei festgenommen wird. Fährt ein angetrunkener Autofahrer gegen ein klappriges Auto und verursacht einen Schaden unter DM 100-, so wird er eine wesentlich geringere Strafe erhalten als wenn er gegen eine Luxuslimousine gefahren wäre1. Auch das strafrechtliche Verfolgungsverhalten der Staatsanwaltschaft (§§ 153ff., 376 StPO, auch § 232 StGB) sowie ihre Anklagepraxis werden maßgeblich von der Schadenshöhe bestimmt. So führt z.B. eine Sorglosigkeit im Straßenverkehr je nach Ausmaß der Folgen zu gar keinem Verfahren, zum formlosen Verfahren einer Ordnungswidrigkeit, oder, im schlimmsten Falle der fahrlässigen Tötung, zur Anklage beim Schöffengericht oder der Strafkammer. Es ist zu vermuten, daß unter den ca. 700000 Strafurteilen, die jährlich in der Bundesrepublik ausgesprochen werden, in einem
1 Geringwertiger Schaden bei Trunkenheit im Verkehr wird nach § 316 StGB, höhere Schäden aber oder Schäden an hochwertigen Sachen werden nach § 315c StGB bestraft. Bei der erstgenannten Deliktsgruppe kann eine maximale Strafe von 1 Jahr Freiheitsentzug, bei der zweiten hingegen eine von 5 Jahren ausgesprochen werden.
202 nicht unbeträchtlichen Umfang Urteile enthalten sind, deren Strafmaßunterschiede sich maßgeblich durch die unterschiedliche Höhe der verursachten Schäden erklären lassen. Widerspricht diese stark am Schaden orientierte Strafzumessungspraxis unseren eigenen Moralvorstellungen? Wenn wir beispielsweise PIAGETS Theorie der Moralentwicklung betrachten, so dürfte das Ausmaß der Schadenshöhe nur auf einer niedrigen Stufe der Moralentwicklung (Kinder bis ca. 9 Jahre) als zentrales Kriterium für die Verantwortungszuschreibung herangezogen werden. Entsprechend zeigte sich in Untersuchungen, daß die «Kleinen oft das Ausmaß einer Lüge nicht nach den Absichten des Lügners, sondern nach der Falschheit seiner Behauptungen einschätzten» (PLAGET, 1973, S. 133). Die Handlungen werden auf dieser Stufe der «objektiven» Verantwortung nach ihrem materiellen Ergebnis gewertet, unabhängig von den dabei mitspielenden Absichten. Später jedoch, nach einer Übergangsphase, soll nach PIAGETS Auffassung nur noch die Absicht eine Rolle für die Verantwortungszuschreibung spielen (vgl. 1973, S. 136). Hiernach dürfte für Handlungen, die sich nur in der zufälligen Schadenshöhe unterscheiden, keine unterschiedlich hohe Verantwortung zugeschrieben werden. Betrachten wir in diesem Zusammenhang auch HEIDERS Theorie der Verantwortungsattribution. Analog zu PIAGET geht H E I D E R in seiner Theorie davon aus, daß Personen im Kindesalter zunächst mit einem relativ primitiven Verantwortungsbegriff beginnen, der sich jedoch im Laufe der Zeit durch die Hinzunahme weiterer Urteilskriterien höherentwickelt. So kann es auf der untersten Stufe für eine Zuschreibung von Verantwortung ausreichen, daß eine assoziative Verknüpfung zwischen einer (schlechten) Person und einer (schlechten) Handlung hergestellt wird. Nach HEIDERS Auffassung setzen Personen später jedoch voraus, daß eine kausale Beziehung zwischen Person und Handlung besteht und daß die Kriterien Vorhersehbarkeit, Absichtlichkeit und mangelnde Rechtfertigung durch externe Zwänge vorliegen (vgl. H E I D E R , 1958). Personen, die über einen vollentwickelten Verantwortungsbegriff verfügen, dürften demnach erst dann Verantwortung zuschreiben, wenn alle die genannten Kriterien in der betreffenden Situation erfüllt sind. Die Höhe des je-
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weils angerichteten Schadens als unabhängiges Urteilskriterium findet in diesem Ansatz keine Würdigung, da H E I D E R wohl stillschweigend davon ausging, daß es bei der Verantwortungszuschreibung nur auf die genannten Kriterien ankommt. Die Annahme HEIDERS, daß sich alle Personen in ihrer Verantwortungszuschreibung höherentwickeln und den so erworbenen Verantwortungsbegriff stabil in verschiedenen Situationen anwenden, wurde in der Folgezeit heftig angegriffen. RULE & FERGUSON ( 1 9 8 4 ) schreiben: The perceiver must make several assessments, ranging all the way from simply establishing that harm has occurred to assessing whether the actor's motives for intending to cause harm were acceptable or unacceptable ones. We do not assume, however, that all of these considerations are made by all perceivers (or in all s i t u a t i o n s ) . . . For example, one perceiver may want to know only whether the actor's behavior was a sufficient condition for the occurrence of harm, whereas a second perceiver may want to know whether the actor could have avoided the harm (S. 145).
Die situationsspezifische Variabilität der Verantwortungszuschreibung zeigte sich experimentell vor allem bei Handlungen mit unterschiedlichen Handlungskonsequenzen. Für Handlungen mit größerer Schadenshöhe macht der Beobachter die verursachende Person offensichtlich auch dann verantwortlich, wenn diese unter Zwang gehandelt hat oder aber andere, sehr triftige Entschuldigungsgründe angeben konnte (vgl. AJZEN, 1971; SNYDER & JONES, 1 9 7 4 ; ZILLMANN & CANTOR, 1 9 7 6 ) .
Sowohl die strafrechtliche Praxis als auch eine Reihe experimenteller Befunde zeigen also deutlich, daß sowohl PIAGET als auch H E I D E R in ihren Theorien eher das normativ erwünschte denn das tatsächliche Moralverhalten erwachsener Personen beschreiben2. Auch für das geltende Strafrecht, nach dem Strafe wesentlich aufgrund der persönlichen Verantwortung des Täters zugemessen werden soll (vgl. OSWALD, 1 9 8 8 ) , wird die Diskrepanz deutlich, die sich zwischen Anspruch und Praxis ergibt. KAUFMANN beispielsweise weist auf die Fragwürdigkeit hin, daß der Scha-
2 KOHLBERG erwähnt in seiner Kritik an PIAGETS Moraltheorie immerhin, daß «sogar» dem Urteil der Erwachsenen eine gewisse Einschränkung der Rolle der Absicht im Gegensatz zur Schadenshöhe zugrunde liegt (1974, S. 119). KOHLBERG widmet dem Faktor Schadenshöhe im folgenden jedoch ebenfalls keine systematische Beachtung.
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denshöhe eine so große Bedeutung beigemessen wird. Denn hängt der Eintritt eines Schadens oder die spezifische Schadenshöhe nicht vom «steuernden verantwortlichen Ich» des Täters, sondern von anderen Instanzen (Handeln dritter, Natureinflüsse etc.) ab, so ist nicht erfindlich, warum dies Handlungsunrecht und Tatschuld erhöhen könnte (KAUFMANN, 1 9 8 2 ) .
3. Bedürfnis nach Schadensausgleich Wenn wir also davon ausgehen, daß nicht nur im Experiment, sondern auch und vor allem im Rahmen alltäglicher und strafrechtlicher Verantwortungszuschreibungen die Schadenshöhe eine zentrale Rolle spielt, so besteht Grund, intensiv nach den Ursachen dieser Schadensorientierung zu fragen. Auf der Ebene der Informationsverarbeitung ist zunächst einmal zu vermuten, daß Personen bei steigendem Schaden bereits unter geringfügigeren Voraussetzungen Verantwortung zuschreiben, d.h. ihre Standards herunterschrauben (vgl. RULE & FERGUSON, 1 9 8 4 , S. 1 5 0 ) oder aber ihren Standard beibehalten, jedoch nachlässiger mit der Frage umgehen, ob die Voraussetzungen tatsächlich vorliegen. Im ersten Fall würde die Person je nach situativen Randbedingungen einen unterschiedlichen Verantwortungsbegriffanwenden. Im zweiten Fall hingegen würden sich nur die bei der Informationsverarbeitung angewendeten heuristischen Überprüfungsprozesse verändern, so daß mit steigendem Schaden die gleichen Informationen über das Vorliegen der Verantwortungsvoraussetzungen größere Evidenz erhalten (vgl. OSWALD & G A DENNE, 1 9 8 7 ) . Unabhängig davon, ob wir unterschiedliche Verantwortungsbegriffe anwenden oder aber gleiche Informationen je nach Situation mehr oder weniger kritisch überprüfen, bleibt die weitergehende Frage, warum wir dies tun. Wie bereits anfangs erwähnt, versucht WALSTER ( 1 9 6 6 ) den Einfluß der Schadenshöhe mit Hilfe defensiver Motive zu erklären. Hiernach wehrt sich der Beobachter gegen die bedrohliche Vorstellung, daß Unfälle jedem passieren können, indem er die Unfallursache in den ganz spezifischen Eigenschaften der am Unfall beteiligten Person(en) sucht. Neben anderen Schwierigkeiten, mit denen psychoanalytische Erklärungen im allgemeinen konfrontiert sind (vgl.
FINCHAM & JASPARS, 1 9 8 0 ; GRÜNBAUM,
1987),
scheint der Einfluß der Schadenshöhe jedoch ein so allgemeines Phänomen zu sein, daß es schwerfällt, jeweils defensive Motive zu unterstellen. Wenn der Gesetzgeber den Strafrahmen u.a. nach der mit dem Delikt verbundenen Schadenshöhe staffelt, der einzelne Richter und der unbeteiligte Beobachter gleichermaßen sensibel auf die Schadenshöhe reagieren, so erscheint es äußerst unplausibel, diese Reaktionen nur über defensive Motive erklären zu wollen. BREWER ( 1 9 7 7 ) weist zudem mit Recht darauf hin, daß Beobachter bei unterschiedlichen Schadenshöhen auf unterschiedliches Alltagswissen zurückgreifen. So mag es durchaus unseren Alltagsannahmen entsprechen, daß höhere Schäden in der Regel eher absichtlich oder durch mangelnde Sorgfalt (Fahrlässigkeit) verursacht werden als geringe Schäden. Wenn wir also, wie im Fall des Experiments von WALSTER, wenig Informationen über die schadensverursachende Person und den Handlungskontext erhalten, so muß es keineswegs irrational sein, wenn wir die fehlenden Informationen («default» variables) gemäß unserem Alltagswissen ergänzen. Insoweit scheint eine auf defensiven Motiven basierende Erklärung keine allgemeine Gültigkeit zu besitzen. Aber auch BREWERS Erklärungsansatz beschränkt sich auf Situationen, wo der Beobachter nur unzureichende Informationen erhält. Wie kann man den Einfluß der Schadenshöhe erklären, der auch dann vorliegt, wenn der Beobachter erfährt, daß die betreffende Person unter Zwang oder anderen massiven Einflüssen gehandelt hat? Während der Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung im Rahmen von Forschungsarbeiten über richterliche Strafzumessungsentscheidungen (vgl. OSWALD & LANGER, 1 9 8 9 ) fiel nun auf, daß Diskussionen über die Verantwortungsattribution meist völlig ohne Berücksichtigung von equitytheoretischen Diskussionen erfolgen (und vice versa)3. Verbindungen zwischen beiden Theorieansätzen herzustellen, scheint mir jedoch ganz wesentlich zu sein, um den Einfluß der Schadenshöhe auf die Verantwortungsattribution erklären zu können.
3 Eine Ausnahme bildet der Aufsatz von UTNE & KIDD (1980). Wir kommen hierauf später noch zu sprechen.
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3.1 Distributive und retributive
Gerechtigkeit
Verteilungen von Gütern wie Geld oder emotionale Zuwendungen werden von uns als mehr oder weniger gerecht oder ungerecht wahrgenommen. Wird die Verteilung als «ungerecht» wahrgenommen, so wurde gegen ein zugrundeliegendes Prinzip (Norm) des Wahrnehmenden verstoßen. Das in der westlichen Welt vorherrschende Verteilungsprinzip dürfte vermutlich das sog. Beitragsprinzip sein, wonach die Güter (Ergebnisse) zu den erbrachten Beiträgen der beteiligten Personen ins Verhältnis zu setzen sind4. Bereits ARISTOTELES ( 1 9 6 9 ) hat in seiner Nikomachischen Ethik dieses Prinzip erwähnt, das dann von ADAMS (1963) folgendermaßen formuliert wurde: Wenn wir zwei Personen A und B betrachten, so wird die Verteilung der erbrachten Ergebnisse (Arbeitslohn, Anerkennung, etc.) dann als gerecht wahrgenommen, wenn sich die anteiligen Ergebnisse und die geleisteten Beiträge (Arbeitsaufwand, Anstrengung, etc.) proportional zueinander verhalten. Festzuhalten gilt allerdings, daß das, was Personen jeweils als Ergebnisse und Beiträge in die «Gleichung» einsetzen, keine objektiven, von Wertvorstellungen und Machtverhältnissen unabhängige Größen sind (vgl. WALSTER & WALSTER,
1975).
Je stärker nun diese Proportionalitätsregel verletzt ist, je ungerechter also die Verteilung wahrgenommen wird, umso größer ist nach der Equity-Theorie das Unbehagen und das Bedürfnis, den Zustand der Ausgewogenheit wiederherzustellen. Um das Unbehagen abzubauen, werden Beobachter bemüht sein, die Beiträge oder Ergebnisse entweder neu zu verteilen, oder aber durch Umbewertungen zu verändern. Natürlich handelt es sich bei Gerechtigkeitsfragen nicht nur um die Verteilung von positiven, sondern auch um die Verteilung von negativen Gütern wie z.B. Strafe. H O G A N & E M L E R ( 1 9 8 1 ) sind sogar der Auffassung, daß obwohl in der Literatur fast ausschließlich die distributive Gerechtigkeit, d.h. die gerechte Verteilung positiver Güter behandelt wird, die retributive Gerechtig4 Andere Verteilungsprinzipien sind «bedürfnisbezogene Verteilung» und «Gleichverteilung» (vgl. hierzu MIKULA, 1980). WAISTER & WALSTER (1975, S. 28) geben allgemeine Bedingungen an, unter denen eine erhöhte Bereitschaft zu vermuten ist, das Gleichverteilungsprinzip dem Beitragsprinzip vorzuziehen.
keit, d.h. die gerechte Verteilung negativer Güter das allgemeinere Prinzip ist, dem auch im Alltag die größere Bedeutung zukommt. Desweiteren betonen sie den grundsätzlichen Unterschied zwischen beiden Prinzipien, ohne jedoch genau aufzuzeigen, worin der Unterschied besteht. Zweifelsohne machen wir in konkreten Alltagssituationen zwischen distributiven und retributiven Gerechtigkeitsfragen deutliche Unterschiede. Man könnte sagen, daß wir zwei ganz unterschiedliche kognitive Schemata ausgebildet haben, die auch auf der Sprachebene ihre Entsprechung finden. Während wir im Fall distributiver Ungerechtigkeit im schlimmsten Fall vom «Ausbeuter» sprechen, reden wir bei retributiver Ungerechtigkeit meist vom «Täter» oder «Kriminellen». Auf institutioneller Ebene spiegelt sich der Unterschied in gewisser Weise in der Trennung von Zivil- und Strafrecht wider. Diese Unterscheidungen dürfen aber dennoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß Ähnlichkeiten bestehen und daß Übergänge von dem einen zum anderen Schema oft fließender sind, als dies bei «unhistorischer» Betrachtung zu sein scheint: 1. Veränderungen gesellschaftlicher Normen (z.B. Bewertung der Zehntabgabe der Bauern im 18. Jahrhundert) bewirken, daß eine zum Zeitpunkt ti nur als ungerecht wahrgenommene Güterverteilung zum Zeitpunkt tz bereits als strafrechtliches Delikt bewertet wird. 2. Sowohl bei distributiver als auch bei retributiver Ungerechtigkeit sind prinzipiell zwei Modelle der Wiederherstellung von Gerechtigkeit denkbar. (a) Die sich im Vorteil befindende (oder eine dritte) Person kompensiert (restituiert) den Nachteil des ungerecht Betroffenen, indem sie ihm Geld oder andere positive Güter zukommen läßt. (b) Man nimmt dem, der den Vorteil hat, soviel weg bzw. fügt ihm durch Wegnahme positiver Güter wie beispielsweise Freiheit oder Geld soviel Schaden zu, bis eine im Hinblick auf das angewendete Prinzip als gerecht betrachtete Verteilung entstanden ist. Entstandener Schaden wird also durch Zufügung eines weiteren Schadens ausgeglichen.
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3.2 Retributive Gerechtigkeit und Verantwortungszuschreibung Trotz der prinzipiellen Gemeinsamkeiten zwischen distributiver und retributiver Gerechtigkeit sind wir es vor allem bei strafrechtlichen Fragen gewohnt, retributive Gerechtigkeit nur darüber wiederherzustellen, daß wir dem Täter positive Güter (Freiheit, Geld etc.) wegnehmen. Unsere Überlegungen zur retributiven Gerechtigkeit werden sich daher zunächst nur auf dieses Modell des Strafens beziehen. Ebenso wie bei der distributiven Gerechtigkeit stellt sich bei der Verteilung von Strafe das Problem, nach welchem Prinzip eine Verteilung erfolgen soll, damit sie als gerecht empfunden wird. Soll Strafe z.B. nach der Wahrscheinlichkeit verteilt werden, mit der man einen Resozialisierungserfolg beim Täter erwartet, oder aber nach der Wahrscheinlichkeit, mit der man sich eine abschreckende Wirkung für die Allgemeinheit erhofft? 5 Analog zur distributiven Gerechtigkeit scheint die Gerechtigkeitsempfindung bei der Verteilung negativer Güter nun überwiegend einer Art «Beitragsprinzip» zu folgen. Im geltenden Strafrecht finden wir beispielsweise die Aussage, daß die Höhe der Strafe nach dem Maß des Verschuldens zu bemessen ist (vgl. § 46 Abs. 1 StGB; BGHSt2,200). Strafe ist also für Täter A und B dann gerecht verteilt, wenn sich die anteiligen Strafen (negative Ergebnisse) und die jeweilige Schuld der Täter (negative Beiträge) proportional zueinander verhalten. Diese Auffassung finden wir auch in der neoklassischen Strafrechtsposition wieder, die gerade in der letzten Zeit viel diskutiert wird (v. HIRSCH, 1985; ASHWORTH, 1987). Hier wird sogar explizit gefordert, daß Strafe schuldproportional sein soll. Ohne im einzelnen spezialpräventive Strafzwecke zu berücksichtigen, soll der Täter die Strafe bekommen, die er «verdient». In der Tat scheint der Schuldausgleichsgedanke die richterliche Strafeinstellung stark zu bestimmen (vgl. MCFATTER, 1982), auch wenn bei direkter Befragung gerne angegeben wird, daß die Resozialisierung des Täters der bevorzugte Strafzweck sei (vgl. 5 Eine Verteilung von Strafe nach Resozialisierungsgesichtspunkten könnte man in einem gewissen Sinne dem «Bedürfnisprinzip» der distributiven Gerechtigkeit gleichstellen, da Strafe nur mit Blick auf eine positive Verhaltensänderung des Täters zugemessen werden soll.
205 STRENG, 1984). Insoweit erweist sich die EquityTheorie als ein interessanter theoretischer Ansatz, richterliches und alltagspychologisches Strafverhalten zu analysieren. Dabei soll, um emotionalen Reaktionen zuvorzukommen, keineswegs dem Schuldausgleichsmodell das Wort geredet werden. Prinzipien überhöhter Verantwortungszuschreibung aufzudecken ist aber auch dann wichtig, wenn man diese aus normativer Sicht nicht akzeptiert 6 . Wenn wir im folgenden davon ausgehen, daß Strafe in vielen Situationen nach dem Prinzip der Schuldproportionalität verteilt wird, so entsteht natürlich die Frage, was unter Schuld zu verstehen ist, ob Schuld nur ein Synonym für Verantwortung ist. Es ist nun interessant, daß zumindest die im Strafrecht geführten Diskussionen immer die Schadenshöhe berücksichtigen. So gibt es bei Strafrechtlern die Auffassung, daß sich Schuld aus objektiven und subjektiven Faktoren zusammensetzt, wobei der «objektive» Faktor die Schadenshöhe darstellt (vgl. BRUNS, 1980; BAUER, 1984). Allerdings gibt es auch den «öffentlichen» Konsens, daß der Schaden nur in dem Ausmaß zur Schuldbestimmung herangezogen werden sollte, wie er vom betreffenden Individuum zu verantworten ist. ASHWORTH (1987) versteht in diesem Sinne unter Schuld den Schadensanteil, der persönlich zu verantworten ist. Obwohl sich also in Abgrenzung von psychologischen Verantwortungskonzeptionen (vgl. Abschnitt 2) der Schuldbegriff explizit auf die Schadenshöhe bezieht, ist genau genommen auch hier die Forderung vorhanden, daß der zufallsbedingte und damit nicht zu verantwortende Schadensanteil keine Auswirkung auf die Schuldhöhe haben sollte. Die beim Schuldbegriff vorgenommene Trennung zwischen Schadenshöhe und Verantwortung hat nun den Vorteil, «unverdeckt» auf einen aus equitytheoretischer Sicht bestehenden Kon6 Bedürfnisse der Gleichgewichtsherstellung sind nicht ohne weiteres als Rachebedürfnisse zu interpretieren. Im Rahmen distributiver Gerechtigkeitsüberlegungen würden wir beispielsweise nie auf den Gedanken kommen, daß das Bedürfnis nach einer «gerechten» Bezahlung Ausdruck von Rache ist. Hier erscheint uns ein Balancebedürfnis vollkommen legitim und keineswegs «ehrenrührig». Rachebedürfnisse sind in diesem Zusammenhang eher Spezialfälle der retributiven Gerechtigkeit, die sich durch überzogene Schadenswahrnehmung und Strafforderungen auszeichnen.
206 flikt aufmerksam zu machen. Es ist nämlich zu vermuten, daß vor allem die Schadenshöhe und weniger die Fragen nach der Verantwortlichkeit bei der Urteilsbildung im Vordergrund stehen. Allein durch die Verursachung eines Schadens, der nicht auf die verursachende Person begrenzt bleibt, dürften beim Beobachter die Wahrnehmung einer Ungerechtigkeit und damit unangenehme Gefühle ausgelöst werden. Natürlich erfolgt im Rahmen der «Gesamtwürdigung einer Handlung» eine Individualisierung, indem man nach der persönlichen Verantwortung der Person fragt. Vor allem wird man überprüfen, ob der Schaden aufgrund von Fahrlässigkeit zustande kam. Auch wird nach Absichten und Rechtfertigungsgründen gefragt werden. Dennoch ist aus equitytheoretischer Sicht folgende These zu vertreten: Der allgemeine Konsens, sowohl in Alltagssituationen als auch im Strafrecht nicht nach der absoluten Schadenshöhe, sondern nur nach dem zu verantwortenden Schadensbeitrag zu bestrafen, steht in vielen Situationen mit dem Bedürfnis in Konflikt, den entstandenen Schaden «auszugleichen». Das durch den Schaden entstandene Ungleichgewicht hat sozusagen seine eigene Dynamik, die mit dem moralischen Anspruch kollidiert, eine Handlung gemäß den zugrundeliegenden Absichten und Motiven zu bewerten. Ausgehend von dieser These erweist es sich insoweit als notwendig, zwischen (1) dem Anspruch nach einer täterbezogenen Verantwortungszuschreibung und (2) einem allgemeinen Bedürfnis nach Schadensausgleich zu unterscheiden. Nehmen wir beispielsweise einmal an, daß wir Grund hätten, der schadensverursachenden Person A nur eine geringe Verantwortung zuzuschreiben, obwohl der entstandene Schaden recht beträchtlich ist. Entsprechend dem zu verantwortenden Schadensanteil dürfte A in diesem Fall nur eine geringe Strafe erhalten. Somit bliebe aber die Gesamtsituation «unausgeglichen». Um nun das mit dem bestehenden Ungleichgewicht einhergehende Unbehagen zu beseitigen, wird der Beobachter beginnen, entweder dem Opfer Mitverantwortung zuzuschreiben, oder aber nach verantwortlichen dritten Personen zu suchen. M C F A T T E R (1978) schreibt in diesem Zusammenhang: If the offender is not completely responsible for what happened, then the rest of the responsibility for the crime must
Oswald: Verantwortungsattribution lie elsewhere... The finding that adopting a rehabilitative strategy can cause one to blame the victim more is an important f i n d i n g . . . (S. 1497).
hat bei seinen Überlegungen die theoretisch interessante Möglichkeit unberücksichtigt gelassen, daß es neben konkreten Tätern und Opfern auch (abstrakte) dritte Personen geben kann, die Mitverantwortung tragen. Es ist jedoch richtig, daß zumindest im strafrechtlichen Bereich nicht vorgesehen ist, daß abstrakte Dritte zum Schadensausgleich beitragen, so daß eine entsprechende Verantwortungszuschreibung auch nichts an einem bestehenden Ungleichgewicht ändern würde. Wir kommen auf dieses Problem noch einmal zurück. Das Bedürfnis nach Schadensausgleich können wir nun folgendermaßen formulieren: MCFATTER
(1) Schadenshöhe - Schadensanteil (Opfer) ^ Strafe (xater)
Trägt das Opfer beispielsweise keinerlei Verantwortung, so bleibt immer dann ein Ungleichgewicht, wenn man dem Täter nicht die volle Verantwortung zuschreibt. Das Bedürfnis nach Schadensausgleich kann somit in Konflikt geraten mit einer Verantwortungszuschreibung, die nach H E I D E R (1958) allen individuellen Umständen der Tat und des Täters gerecht werden wollte. An dieser Stelle soll noch kurz auf eine Kritik eingegangen werden, die U T N E & K I D D (1980) gegen die Equity-Theorie vorbringen. U T N E & K I D D weisen darauf hin, daß in der Equity-Theorie nicht hinreichend zwischen der Wahrnehmung von Unausgewogenheit einerseits und einem unangenehmen Gefühl andererseits unterschieden wird (1980, S. 74). Nach ihrer Auffassung kann trotz bestehender Unausgewogenheit der Güterverteilung das Unbehagen durch entsprechende Attributionen ganz abgebaut oder aber verringert werden. Damit bestreiten die Autoren die zentrale These der Equity-Theorie, daß Unausgewogenheit notwendigerweise mit unangenehmen Gefühlen einhergeht. Nehmen wir aber als Beispiel einmal an, daß einer Person aufgrund eines Gerüchts beträchtlicher Schaden entsteht. Nun kann sie die Person, die dieses Gerücht in die Welt gesetzt hat, auf unterschiedliche Weise verantwortlich machen. Geht sie davon aus, daß die Person in voller Absicht gehandelt hat, wird sie zweifelsohne andere Empfindungen haben und auch die Schadenshöhe anders beurteilen, als wenn sie ihr nur Fahrlässigkeit unter-
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stellt. (Im letzten Fall werden vermutlich keine weiteren Gerüchte befürchtet etc.) Von U T N E & K I D D wird nun unzureichend berücksichtigt, daß selbst eine Fahrlässigkeitsattribution nichts daran ändert, daß das Gerücht einen gewissen Schaden angerichtet hat und es wenig Grund zur Annahme gibt, dieser Schaden würde keine unangenehmen Gefühle mehr auslösen. Auch der Sachverhalt, daß bei einer Fahrlässigkeits- gegenüber einer Absichtsattribution das Ausmaß der unangenehmen Gefühle reduziert wird, spricht für sich genommen nicht gegen die Equity-Theorie, da ja gleichzeitig angenommen wurde, daß sich die wahrgenommene Schadenshöhe verringert hat.
4. Wahl eines Gleichgewichtsmodells und Verantwortungszuschreibung Nach den Ausführungen des letzten Abschnitts kommen wir nun auf unsere Ausgangsfrage zurück: Warum schreiben Personen bei Handlungen mit zufällig höherem Schadensausgang mehr Verantwortung zu, als es ihrer eigenen Moral entspricht? Wir haben bisher darauf hingewiesen, daß aus equitytheoretischer Sicht bei Personen das Bedürfnis besteht, den vom Opfer unverschuldeten Schaden auszugleichen. Im Fall retributiver Gerechtigkeit wird, vor allem im Strafrecht, dieses Gleichgewicht durch «Wegnahme positiver Güter» herzustellen versucht. Gleichgewicht besteht also darin, daß Schaden durch Schaden vergolten wird, ohne daß dabei das Opfer einen Vorteil hat, wenn man einmal von einer möglichen Genugtuung absieht 7 . Gleichzeitig besteht aber die Norm, den Täter nur entsprechend seiner persönlichen Verantwortung zu bestrafen. Damit ergeben sich folgende Konsequenzen: 1. Ist ein Beobachter der Auffassung, daß dem Täter nicht die volle Verantwortung zuzuschreiben ist, so wird aufgrund der entsprechend niedrigen Strafe ein vollständiger Schadensausgleich unterbleiben, sofern nicht weitere Personen mit7 Einen Schadensersatz erhält das Opfer in der Regel nur über eine zusätzliche, zivilrechtliche Entscheidung, die jedoch meist nicht zum erstrebten Erfolg führt, da der Täter über keine verwertbaren Güter verfügt. Strafrechtliche Formen der Restitution (z.B. § 403-406c StPO) finden praktisch keine Anwendung.
207 verantwortlich gemacht werden. Das bei reduzierter Verantwortszuschreibung verbleibende Bedürfnis nach Gleichgewichtsherstellung wird aber umso größer sein, je höher der mit der Handlung einhergehende Schaden ist. 2. Nicht nur das Opfer, sondern auch der Beobachter werden mit steigendem Schaden zunehmend motiviert sein, Informationen über den Täter so zu interpretieren, daß ihm die volle Verantwortung zuzuschreiben ist. Eine vollständige Verantwortungszuschreibung ist in gewisser Weise ständig «belohnend», da hierdurch das zum Schadensausgleich notwendige Strafmaß legitimiert wird. 3. Das vor allem im Strafrecht praktizierte Strafmodell, den Schaden durch «Wegnahme von Freiheit oder Geld» zu vergelten, ist wenig geeignet, Strafe in einen sinnvollen Zusammenhang mit der Handlung des Täters zu bringen. Die mangelnde Notwendigkeit, nach einer sinnvollen Strafe zu suchen, läßt die gesamte Handlung aus dem Fokus der Aufmerksamkeit geraten und unterstützt den Beobachter in seiner Tendenz, Verantwortungsreduzierende Tatumständen zu ignorieren (vgl. NISBETT & Ross, 1982). Diese Überlegungen machen meines Erachtens deutlich, welche psychologischen Schwierigkeiten für den Beobachter (Richter) damit verbunden sind, Tätern nicht die volle Verantwortung für ihre Handlung zuzuschreiben. Dabei dürften kriminologische Forschungen der letzten Jahrzehnte besonders deutlich gemacht haben, daß strafrechtswidrige Handlungen nicht losgelöst von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und der individuellen Sozialisationsgeschichte zu erklären sind (vgl. COHEN, 1955; C I O WARD, 1979; SUTHERLAND, 1979). Es gäbe also guten Grund, gegenüber einer täterbezogenen Verantwortungszuschreibung äußerst kritisch eingestellt zu sein. Man könnte nun folgerichtig auf den Gedanken kommen, im Strafrecht die Möglichkeit zu eröffnen, dritte Personen in den Schadensausgleichsprozeß einzubeziehen, wenn der Täter nicht allein für seine Tat verantwortlich zu machen ist (und die Restverantwortung auch nicht vom Opfer getragen wird). Diese Modalität würde aber bereits einen Übergang zum Gleichgewichtsmodell mit Kompensation darstellen, denn diese «dritte Person» könnte sinnvollerweise nur Opferentschädigungen vornehmen.
208
Somit kommen wir zu der weitergehenden Frage, ob Bedingungen denkbar sind, unter denen eher zu erwarten ist, daß bei der Verantwortungszuschreibung die Voraussetzungen kritisch überprüft werden. Wir haben am Ende des letzten Abschnitts darauf hingewiesen, daß auch im Rahmen retributiver Gerechtigkeit ein Modell denkbar ist, bei dem der Schaden durch Kompensation ausgeglichen wird. Ansätze dieser Art dürften vor allem im pädagogischen Bereich zu finden sein. Aber auch im Strafrecht gab es, ausgehend von altertümlichen Rechtsordnungen über das Germanische Recht bis hin zur Zeit der Franken, die Möglichkeit für den Täter, den verursachten Schaden zu restituieren (vgl. FREHSEE, 1987). In neuerer Zeit gibt es strafrechtsreformerische Ansätze, die diesen Gedanken wieder aufgreifen. In verschiedenen Modellversuchen wird ein sog. Täter-Opfer-Ausgleich durchgeführt, bei dem (meist jugendliche) Personen, die mit dem Strafgesetz in Konflikt geraten sind, die Möglichkeit haben, statt der herkömmlichen Strafe eine Schadenswiedergutmachung zu leisten (vgl. FREHSEE, 1987). Im Zusammenhang mit Schadenswiedergutmachung spricht FREHSEE nun nicht mehr von einem retributiven Gleichgewichsmodell. Er bezeichnet die im Täter-Opfer-Ausgleich angestrebte Schadenswiedergutmachung als ein restitutives Prinzip und grenzt dies deutlich gegenüber einer Strafe ab. Diese von FRESHEE gewählte Einteilung folgt also nicht der hier gewählten Klassifikation. Zweifelsohne kann es sich bei einem Gleichgewichtsmodell mit Kompensation um eine qualitativ andere Maßnahme handeln als bei einem Modell ohne Kompensation. Sofern es sich jedoch nicht um ein reines Problem distributiver Gerechtigkeit handelt, ist nicht zu vergessen, daß ein Schaden entstanden ist, für den man zumindest teilweise den Verursacher verantwortlich macht und zum Ausgleich «verpflichtet». Es wäre eine fragwürdige Verniedlichung, wenn man über die Begriffswahl suggerieren wollte, daß es sich hier nicht mehr um eine Form der Sanktion handelt. Sofern man also nicht den vollständigen Schritt bis hin zum Abolutionismus8 vollzieht, tut man keiner Seite einen
8 Unter Abolutionismus wird eine politische Bewegung verstanden, deren Ziel es ist, das Strafrecht oder zumindest doch die unbedingte Freiheitsstrafe abzuschaffen.
Oswald: Verantwortungsattribution
Gefallen, wenn man das Wort Strafe tabuisiert. Unbestritten bleibt dabei natürlich, daß es sich bei der Schadenswiedergutmachung um eine Strafe von ganz anderer Qualität handelt (handeln kann) als bei der herkömmlichen Übelzufügung. Der zentrale Unterschied besteht vor allem darin, daß die Strafe wieder einen Bezug zur Handlung der schadensverursachenden Person erhält. Damit geraten die Person, ihre Absichten, ihre Motive und die gesamten Handlungshintergründe wieder in den Bereich der Aufmerksamkeit. Es dürfte in diesem Sinne nicht mehr so leicht möglich sein, Rechtfertigungsgründe für die Handlung zu ignorieren. Allerdings bleibt die Frage, ob der Beobachter und die betroffene Person nicht in das gleiche Dilemma wie bei der herkömmlichen Strafe geraten. Besteht hier nicht derselbe Widerstreit zwischen täterindividualisierender Gerechtigkeit einerseits und Schadensausgleichbedürfnis andererseits? Dies scheint eine berechtigte Frage zu sein, denn auch hier kann das Opfer eine maximale Wiedergutmachtung nur dann erwarten, wenn der Täter die volle Verantwortung trägt. Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß der Beobachter und das Opfer bei diesem Gleichgewichtsmodell wissen, daß in jedem Fall ein gewisser Schadensausgleich erfolgen wird, der nicht nur «Genugtuung», sondern eine positive Leistung des Verursachers gegenüber dem Opfer beinhaltet. Diese positive Leistung mag dabei einen sonst nur sehr schwer zu behebenden Schaden ausgleichen. Hiermit sind vor allem psychische Schäden wie Angst, Hilflosigkeit oder Kränkung des Opfers gemeint, die durch die Tat mitverursacht wurden. Weiterhin kann es sein, daß durch das Gespräch zwischen Täter und Opfer eine veränderte Schadenswahrnehmung entsteht, beispielsweise dadurch, daß der mögliche Zufallscharakter des entstandenen Schadens deutlich wird. Diese Überlegungen mögen im Moment nicht mehr als Spekulationen sein. Es lohnt sich jedoch, ihnen nachzugehen, da sie eine Möglichkeit beschreiben, wie wir die Zuschreibung von Verantwortung unseren eigenen moralischen Anforderungen anpassen können.
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Empirie Strafe und Schadenersatz im Urteils-Verbund1 WILFRIED HÜMMERS u n d JOHANN ENDRES Universität Würzburg Wenn Strafe und Schadenersatz gemeinsam im Urteil verwendet werden, bilden sie methodisch einen besonderen multivariaten Urteilskomplex, weil auch ihre Summe psychologisch interpretierbar ist. A n h a n d der Effekte dieses Verbunds, den auch das Zivil- und Strafrecht kennt, wurde geprüft, ob der Einsatz eines Doppel-Urteils für die Erforschung sozialer Kognitionen erforderlich ist. Dazu beurteilten Pbn in zwei Untersuchungen Informationen über schädigende Handlungen mit einem univariaten Ersatz-Urteil (N = 124) bzw. mit dem Doppel-Urteil von Ersatz und Strafe (N = 143). Als Folge der Einführung des Doppel-Urteils ergab sich, daß die Häufigkeiten von Überkompensation für absichtliche Schädigungen erheblich reduziert wurden. Jedoch wurden zugleich die Häufigkeiten von vollem Ersatz bei diesen Bedingungen beträchtlich erhöht. Bei versehentlichen Schädigungen hatte die Einführung des Doppel-Urteils keinen Effekt. Weiterhin blieb dort der univariate Befund multipler Modalwerte erhalten. In den Mittelwerten hatte das Mitverschulden des Geschädigten nur im Schadensersatz-Urteil einen Effekt, nicht jedoch in den Strafurteilen. Außerdem blieb die für die Schadensersatz-Urteile charakteristische Non-Additivität von Verschulden und Mitschuld bestehen.
The combination of recompense and punishment in judgments forms a special multivariate response because also their sum is psychologically meaningful. The effects of this duplex-response were examined in order to clarify whether it is a useful tool for the study of social cognitions. Subjects in two experiments (N = 124 and N = 143) specified adequate amounts either of recompense or of recompense and punishment for harmful acts differing in levels of harmdoer's and victim's fault. The frequency of overcompensation, as found with the univariate response, was largely reduced by the introduction of the duplex response while exact restitution increased in number. Response variation did not affect, however, the judgments on inadvertent h a r m and the finding of multiple modes. In the means stable non-additive effects of harmdoer's and victim's fault on recompense judgments were observed. The structural difference between the two sanctioning judgments was also illustrated by the fact that victim's fault had a significant effect on assigned recompense but was irrelevant for punishment.
Strafe und Schadensersatz für eine schädigende Handlung bilden ein Variablenpaar, das von der Psychologie bislang nicht hinreichend unter Berücksichtigung des Paar-Charakters untersucht wurde. Im rechtlichen Denken (vgl. FREHSEE, 1987; SCHÖCH, 1987), das hier lediglich als Ausgangspunkt für die Fortentwicklung der psychologischen Theorienbildung dient (HÜMMERS, 1981, 1983a, 1985, 1988a, im Druck), erscheint diese Verbindung auf zwei Arten. Einerseits sind dort Strafe und Ersatz als Stimulus-Urteilsverbund realisiert, wenn die Schadenswiedergutmachung als Milderungsgrund der Strafe (vgl. § 46 des Strafgesetzbuches von 1975) oder als Grund für die Einstellung der Verfolgung (§ 153a der
Strafprozeßordnung) berücksichtigt wird. Andererseits werden Strafe und Schadensersatz als Urteils-Verbund in einem Doppel-Urteil konzeptualisiert, wenn die Auflage der Schadenswiedergutmachung (z.B. § 15 Jugendgerichtsgesetz) oder der zivilrechtliche Anspruch auf Schadenswiedergutmachung zu einer Strafe hinzutritt. In einigen psychologischen Studien wurde der rechtlich auffindbare Stimulus-Urteils-Verbund methodisch realisiert, indem die Ersatzleistung bzw. ihre Komponenten Entschuldigung oder Dritt-Entschädigung als Stimuli für die Vergabe von Strafeurteilen verwendet wurden. Dabei wurde in der Regel durch die reparativen Stimulusinformationen die Strafhöhe reduziert
1 Mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Ho 920/2-2). Den Herausgebern und anonymen Gutachtern wird für ihre hilfreichen Änderungsvorschläge zu früheren Versionen gedankt.
DERSON, 1 9 8 5 ; SHULTZ, WRIGHT & SCHLEIFER,
(DARBY & SCHLENKER, 1 9 8 2 ; HOMMERS & A N -
1986; HÜMMERS, 1988b). Die psychologische Bearbeitung von Strafe und Schadensersatz hat bis-
212 lang aber nicht den anderen, rein reaktionsbezogenen Aspekt des Verbund-Charakters von Strafe und Schadensersatz aufgegriffen. Zum Teil wurden sie gleichgesetzt, zum Teil wurden sie unverbunden untersucht: In der behavioristischen Psychologie wurden auferlegte reparative Handlungen z.B. als Straftechniken aufgeführt. Denn die Technik der «overcorrection», welche in der Verhaltensmodifikation, insbesondere beim Hygienetraining und in der Behandlung aggressiven und selbstverletzenden Verhaltens verwendet wird, schließt ausdrücklich «restitution» und «positive practice» ein (Foxx & BECHTEL, 1983, S. 134). Demgegenüber klang der Gedanke des Stimulus-UrteilsVerbundes in zwei neobehavioristischen Ansätzen an. ARONFREED (1968) sah die Schadenswiedergutmachung als ein Verhalten, das beibehalten wird, weil es Strafe vermeidet. HOFFMAN (1976) deutete reparatives Verhalten als ein besonderes Hilfeleistungsverhalten, das im Unterschied zum eigentlichen Helfen bei Selbst-Attribution der Schädigung auftritt. In der kognitiven Psychologie untersuchte man Strafe oder Schadensersatz unverbunden (univariat), stellte sie aber in der Aufgabe zum Teil neben (multivariat) andere Urteilsinh a l t e ( z . B . CARROLL & PAYNE, 1 9 7 7 ; D E J O N G , M O R R I S & H A STORF, 1 9 7 6 ; HOMMERS, 1 9 8 6 ; LÖSCHPER, M U M M E N D E Y , L I N NEWEBER & BORNEWASSER, 1 9 8 4 ; THOMAS & PARPAL, 1 9 8 7 ) .
Weiterhin gab es in der kognitiven Psychologie Ansätze, welche Strafe und Schadensersatz als Alternativen verwendeten. Bei PLAGET (1932, 1973) und bei daran methodisch anschließenden Autoren (z.B. BRANDT & STRATTNER-GREGORY, 1985) bestand die Aufgabe der Pbn darin, sich zwischen der hypothetischen Anwendung verschiedener Sanktionen zu entscheiden. Dabei war der Schadensersatz zumindest gelegentlich eine der Alternativen und stand dann einer oder mehreren Strafen als Sanktionsmöglichkeit gegenüber. Nicht immer standen sich Strafe und Schadensersatz gegenüber. Denn BERSCHEID & WALSTER (1967) bemühten sich in ihrer equity-theoretischen Untersuchung des Auftretens von Restitutionsverhalten um eine Anordnung, bei der Verluste des Schädigers vermieden wurden. Das geschah, indem die Pbn vor eine unumgängliche Verteilungssituation gestellt wurden, in der nur die Wahl zwischen einer Austeilung eines gerade erlangten Betrages von Wertmarken an den zuvor Geschädigten (Restitution) oder an ein neutrales Waisenkind (Geschenk statt Restitution) erfolgte.
Die Schadenswiedergutmachung mit einer Strafe zur Doppelfolge verbunden wurde demnach bisher nicht in psychologischen Arbeiten berücksichtigt. Da sich beide zu einer Gesamtbelastung des Täters vereinigen lassen, bilden sie einen besonderen, von herkömmlichen multivariaten Untersuchungsansätzen zum moralischen Urteilen abweichenden Urteils-Verbund. Nacheinander erhobene Gut-Böse- und Freude-Ärger-Urteile z.B. summieren sich dagegen zumindest nicht objektiv. Daher könnten die vorliegenden univariaten Ergebnisse über Strafe oder Ersatz etwaige
Hommers/Endres: Strafe und Schadenersatz
Unterschiede der Urteilsstrukturen von Strafe und Ersatz verdeckt haben. Mit den folgenden beiden Untersuchungen sollte im Sinne eines exemplarisch gemeinten Erkundungsexperiments anhand eines erprobten, auch für spätere entwicklungspsychologische Untersuchungen geeigneten Szenarios geprüft werden, zu welchen Ergebnissen die Verfügbarkeit der Doppel-Urteile als abhängige Variablen führt. Das geschah, indem univariat erlangte Urteilsbefunde über den vom Täter geforderten Schadensersatz der ersten Untersuchung mit den Befunden verglichen wurden, die aufgrund gleicher Stimulusgrundlagen wie in der ersten Untersuchung, aber bei Verfügbarkeit der Doppel-Urteile von Schadensersatz und Strafe, erlangt wurden. Um die beiden Untersuchungen vergleichbar zu machen, war für alle Urteile eine identische objektive Metrik verlangt, die es erlauben sollte, die Doppel-Urteile von Ersatz und Strafe zu addieren. Gleichzeitig sollte der Geschädigte durch die Strafe nicht begünstigt werden. Das war im Rahmen des Briefmarkenszenarios von HOMMERS (1983b) dadurch realisierbar, daß der Schädiger in dem Strafe-Teilurteil Briefmarken an eine Hilfsorganisation geben sollte. Weiterhin lagen mit diesem Szenario auch Ergebnisse mit einem univariaten Strafe-Urteil und gleichen Stimulusvariablen vor (HOMMERS, im Druck), so daß auch in dieser Hinsicht Vergleichsmöglichkeiten bestanden. Weiterhin ging es trotz der Anknüpfung an das rechtliche Denken nicht um die Simulation von Urteilsprozessen zu Rechtsfällen mit Laien, sondern um die Prüfung der allgemeinen empirischen Gültigkeit von Theorieentwürfen des rechtlichen Denkens, also auch außerhalb von Rechtsfällen bei der Beurteilung relativ alltäglich erscheinender Erziehungsfälle. Daher erschien die Verwendung der im Vergleich zu Rechtsfällen durchaus unerheblichen Fälle des Briefmarkenszenarios hinreichend. Da das Zivilrecht als relevante Tatbestandsmerkmale für die Frage, ob bzw. wieviel Schadensersatz geleistet werden muß, Verschulden des Täters und Mitverschulden des Geschädigten (Opfer) anführt und die Arbeiten von HOMMERS ( 1 9 8 6 ) und THOMAS & PARPAL ( 1 9 8 7 ) schon diese Variablen verwendet hatten, lag es nahe, diese beiden Situationsmerkmale als Stimulusfaktoren für das Untersuchungsdesign zu verwenden. Tatmotiv und Opferverhalten gehören nach der
213
Zeitschrift für Sozialpsychologie 1989, 211-219
strafrechtlichen Auffassung (vgl. StGB-Kommentare zu § 46) auf der anderen Seite auch zu jenen Umständen, die für die Strafzumessung herangezogen werden können. Wenn es Unterschiede in den Urteilen für Strafe und Schadensersatz gibt, müßten sie in einer skalenabhängigen Behandlung dieser Informationen zum Ausdruck kommen.
Methode Überblick. Zwei analoge Untersuchungen wurden durchgeführt, wobei der Unterschied darin bestand, daß in der ersten Untersuchung nur univariat die Beurteilung des angemessenen Schadensersatzes gefordert wurde, während in der zweiten Untersuchung ein Doppelurteil von Strafe und Ersatz gefordert war. Im Rahmen eines Praktikums fungierten Psychologiestudenten als Versuchsleiter für je etwa fünf erwachsene Probanden, die sie aus ihrem Bekanntenkreis gewonnen hatten. Die beiden Stichproben bestanden zu etwa gleichen Teilen aus Probanden beiderlei Geschlechts: Studenten unterschiedlicher Fachrichtungen sowie Nicht-Studenten im Alter zwischen 14 und 71 Jahren. Jede Versuchsperson hatte acht in einem Fragebogen vorgegebene Geschichten zu beurteilen. Instruktion. Die schriftliche Instruktion auf der ersten Seite des Fragebogens, die zudem von den Versuchsleitern mündlich vorgetragen wurde, stellte zunächst in allgemeiner Form die zu beurteilende Situation dar: Zwei Jungen tauschen Briefmarken, dabei kommt es zur Zerstörung oder zum Diebstahl von acht Marken. Darauf folgte eine Übersicht über die in den Geschichten variierten Informationen und eine Erläuterung der geforderten Urteile. Die Pbn wurden aufgefordert, alle acht Geschichten zunächst durchzulesen, um sich einen Überblick zu verschaffen, und erst dann mit der Bearbeitung zu beginnen. Ausdrücklich wurde darauf hingewiesen, daß die verdorbenen oder gestohlenen sowie die zu erstattenden Briefmarken an Art und Qualität alle als gleichwertig, wenngleich auch als voneinander verschieden, angesehen werden sollten. Die Pbn wurden gebeten, nach ihren persönlichen Überzeugungen zu urteilen und «zu entscheiden, was geschehen soll, so daß sich niemand mehr daran stören muß».
Design und Stimulusmaterial. Nach dieser Instruktion präsentierte der Fragebogen die jeweils acht Stimulusgeschichten. In sechs dieser Geschichten wurde über eine Sachschädigung durch Verschütten von Kakao über acht Briefmarken beim Briefmarkentausch von Kindern berichtet. Diese Geschichten waren durch die Kombination von zwei unabhängigen Variablen (Stimulusfaktoren) gebildet: Verschulden des Täters (in den drei Abstufungen Versehen, Wut und Rache) und Mitschuld des Geschädigten (ob dieser es war, der das Kakaoglas gegen eine vorherige Abmachung auf dem Tisch mit den Briefmarken stehen ließ, oder aber der Täter selbst). Die Stimulusgeschichte für die Kombination von Versehen des Täters und Mitschuld des Geschädigten lautete beispielsweise: «Der Geschädigte ließ sein Glas Kakao auf dem Tisch stehen. Der Schädiger nahm eine seiner Briefmarken sehr vorsichtig mit einer Pinzette auf und sah das Glas Kakao nicht. Während er die Briefmarke hinüberreichte, stieß er das Glas aus Versehen um. Der Kakao wurde verschüttet und 8 Briefmarken wurden verschmiert.»
Die Verschuldensbedingung «Wut» beschrieb einen Tauschpartner, der aus Wut über die Weigerung des Geschädigten, seine beste Marke zu tauschen, Kakao über dessen Briefmarken schüttete. Die Bedingung «Rache» beschrieb einen Täter, der heimlich, weil er sich (allerdings zu Unrecht) betrogen fühlte, Kakao über die Briefmarken des anderen schüttete. In den beiden anderen Geschichten ging es um den Diebstahl von 8 Marken, einmal aus Neid («er war neidisch auf die Sammlung»), einmal aus Rache («er fühlte sich, jedoch zu Unrecht, betrogen»).
Untersuchung 1 Die 124 Pbn der Untersuchung 1 bekamen den Fragebogen mit der Anweisung, zuerst alle acht Geschichten zu lesen und dann anzugeben, ob der Schädiger (bzw. Dieb) dem Geschädigten Briefmarken geben sollte, und wenn ja, wieviele. Als obere Grenze war die Anzahl von 19 Briefmarken festgelegt.
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Hommers/Endres: Strafe und Schadenersatz
Ergebnisse Zur Bereitstellung eines Vergleichs für Untersuchung 2 wurden die folgenden Auswertungen vorgenommen. Verteilungsanalysen. Keiner der Mittelwerte für die acht Urteilsbedingungen war gleich dem Betrag von 8 zu ersetzenden Briefmarken. Vielmehr wurde im Mittel bei Diebstahl oder bei vorsätzlicher Schädigung aus Wut oder Rache mehr als voller Schadensersatz als angemessen beurteilt; bei versehentlicher Schädigung mit Opfermitschuld lag der mittlere Ersatz bei der Hälfte des Schadens. Von einer meßfehlerbedingten Normalverteilung mit Mittelwert 8 wichen sieben Verteilungen hochsignifikant ab (für alle t mit df=123 war pc.001). Auch die Urteile für die Bedingung versehentlicher Schädigung ohne Opfermitschuld lagen zwar mit einem Mittelwert von 7.30 (SD = 1.96) am nächsten bei dem Wert 8, waren aber ebenfalls nicht als Verteilung um diesen Wert anzusehen (t = -3.99; pc.001). Weiterhin waren für keine der acht Bedingungen die Urteile der 124 Pbn normalverteilt (im Kolmogoroff-Smirnov-Test war jeweils
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