219 79 38MB
German Pages 128 [129] Year 1979
Band 186 (1978)
ISSN 0044-3409
Heft 4
Zeitschrift für Psychologie mit Zeitschrift für angewandte Psychologie
Schriftleitung Friedhart K l i x , Berlin • H a n s - D i e t e r S c h m i d t , Berlin • H u b e r t S y d o w , Berlin Redaktion:
Jürgen Mehl, Berlin • Friedrich Kukla, Berlin
Unter Mitwirkung
von
G. Clauß, Leipzig II. Düker, Marburg H . - J . Eysenck, London P . Fraisse, Paris J . J . Gibson, I t h a c a , N. Y. W. Hacker, Dresden J . Helm, Berlin H . Hiebsch, J e n a A. Kossakowski, Berlin D. Koväc, Bratislava
|
A. N. Leontjew, Moskau B. F . Lomow, Moskau D. A. Oschanin, Moskau J . Piaget, Genf H . D. Rösler, Rostock W. P . Sintschenko, Moskau W. Straub, Dresden M. Vorwerg, Leipzig D. Wendt, H a m b u r g
Z. P.ychol.
E V P 12,50 M j e H e f t
JOHANN AMBROSIUS
BARTH
LEIPZIG
INHALT SPRUNG, L., und HELGA SPRUNG (Berlin). Gustav Theodor Fechner — Wege und Abwege in der Begründung der Psychophysik
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SYDOW, H. (Berlin). Experimentalpsychologische Untersuchungen von Denkprozessen
. .
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WIEDL, K. H., und D. HERRIG (Trier). Der Effekt der Siluationsbezogenheit schulischer Leistungsbeurteilung auf die Vorhersagegültigkeit des „Farbigen-Matrizen-Lerntests" und des CFT — 1 — Grundintelligenztests
471
HAGENDORF, H. (Berlin). Modelle und Verfahren der mehrdimensionalen Skalierung. Mit 5 Abbildungen
477
VÖRKEL, W. (Leipzig). Zur Methodik von experimentellen psychophysiologischen suchungen. Mit 3 Abbildungen
509
Unter-
FOERSTER, F. (Freiburg i. Br.). Zur psychophysiologischen Methodik: Phasische Herzfrequenz — Reaktionen unter Berücksichtigung der respiratorischen Arrhythmie. Mit 2 Abbildungen GUHLMANN, B R I G I T T E , N . R O T H u n d G . SACK ( L e i p z i g ) . P s y c h o l o g i s c h e u n d
518
psychophy-
siologische Erhebungen an Merkmalsträgern einer sogenannten langsamen posterioren Aktivität im EEG Buchbesprechungen
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Bandtitelei und Namenregister zu Band 186/1978 folgen in H e f t 1/1979
Manuskripte
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werden an Dr. J. Mehl, Sektion
Psy-
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ZEITSCHRIFT FÜR
PSYCHOLOGIE
Band 186,1978
Heft 4
mit Zeitschrift f ü r angewandte Psychologie
Band 93
Aus der Sektion Psychologie 'der Humboldt-Universität Berlin Bereich Grundlagen der Psychologie
Gustav Theodor Fechner Wege und Abwege in der Begründung der Psychophysik Von L. SPRUNG und HELGA
SPRUNG
1. Biographisches und Zeitgeschichtliches Zu den faszinierendsten, widersprüchlichsten und produktivsten Männern, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Experimentalpsychologie in Deutschland und damit auch in der Welt zum Durchbruch verhalfen, gehört zweifelsohne ein Mann, der sich mit 16 Jahren (1817) in der Leipziger Nikolaistraße, im „Essigkrug", 4 Treppen hoch, als Student der Medizin einmietete und der schließlich 70 Jahre später (am 18. 11. 1887) als berühmter Gelehrter und Ehrenbürger eben dieser Stadt v e r s t a r b : GUSTAV THEODOR F E C H N E R .
„Als FECHNER nach Leipzig kam, war es eine Stadt von kaum 40000 Einwohnern" [1] und die Bürger gingen zuweilen — wie uns sein Biograph und Neffe J . E. KUNTZE, „durch 50jährigen engsten persönlichen und häuslichen Verkehr mit Fechner, meinem Onkel und Pflegevater, verbunden" [2] 1892 berichtet — „noch in den 30er Jahren . . . von Gänsen begleitet, die nebenher schnatterten und das auf der Gasse wuchernde Gras abweideten, durch das äußere Thor (wo jetzt der Bayerische Platz ist) ins Freie, als wären sie auf dem Lande" [3]. Auch mag sich die Vorstadt noch wenig von dem Dorf Großsärchen bei Muskau, in der ehemals kursächsischen und nach dem Wiener Kongreß ab 1815 preußischen Niederlausitz, unterschieden haben, in der FECHNER am Sonntag, den 19. April 1801 nachmittags um 5 Uhr als zweites von- 5 Kindern des örtlichen Pfarrers geboren wurde. „Vater FECHNER ging der ganzen Umgebung im Verständnis neuer Ideen voran. Er war hier der Erste, der seinen Kirchturm mit einem Blitzableiter versehen, seine Kinder impfen ließ" [4]. Nach dem frühen Tod des Vaters (1806), einem kurzen Gymnasialbesuch in Sorau und dem Abschluß seiner Gymnasialstudien auf der Dresdner Kreuzschule (1816) kam er über einen halbjährigen Besuch der Dresdner medizinischchirurgischen Akademie schließlich zum Medizinstudium nach Leipzig (1817), während sein älterer Bruder Eduard „. . . auf der Dresdener Akademie unter GRASSI als Maler studierte" [5]. Hier in Leipzig nun sollte FECHNER in den folgenden 70 Jahren die vielfältigen Wirkungen entfalten, in der exakte empirische Naturforschung 29
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Z. Psychol. Bd. 186 (1978) II. 4
und mathematische Behandlung bisher als unquantifizierbar gehaltener Phänomene ebenso ihren Platz finden sollten, wie geistreiche Spekulationen und Metaphysik aber auch Spiritismus und, vor allem nicht zu vergessen, eine tiefe Ironie, mit der er überlebte wissenschaftliche Vorstellungen meisterhaft zu charakterisieren verstand. Zur ersten, der exakten empirischen Naturforschung und mathematischen Behandlung wissenschaftlicher Phänomene, gewidmeten Gruppe von Arbeiten gehören — wenn wir unseren Blick nur auf die im engeren Sinne für die Experimentalpsychologie besonders bedeutsamen Arbeiten richten — u. a. die Einzeluntersuchungen bzw. Monographien „Über die subjektiven Nachbilder und Nebenbilder" (1840), „Elemente der Psychophysik" (1860), „Über die Frage des psychophysischen Grundgesetzes mit Rücksicht auf Auberts Versuche" (1864), „Zur experimentellen Ästhetik" (1871), „Vorschule der Ästhetik" (1876), „In Sachen Psychophysik" (1877), „Revision der Hauptpunkte der Psychophysik" (1882), „Über die Frage des Weberschen Gesetzes und des Periodicitätsgesetzes im Gebiet des Zeitsinnes" (1884) und nicht zuletzt das klar geschriebene, das Wesentliche der Psychophysik zusammenfassende Alterswerk, das zudem noch in seinem Todesjahr in der ersten psychologischen Fachzeitschrift der Welt, in W. WUNDTS Philosophischen Studien, erscheinen sollte „Über die psychischen Maaßprinzipien und das Webersche Gesetz" (1887). Weiterhin wären innerhalb dieser Gruppe noch die Arbeiten an einer „Kollektivmaßlehre" (1897 postum herausgegeben von LIPPS) zu nennen, die er allerdings nicht mehr vollenden konnte. Die Palette der Arbeit innerhalb der zweiten Gruppe seiner Untersuchungen, die stark spekulativen, metaphysischen und z. T. sogar spiritualistischen Inhalten gewidmet wurden, ist sehr breit und reichhaltig. Zudem beherrschen sie nach seiner eigenen Auffassung sein Lebenswerk, insbesondere nach seiner Genesung am Ende des Jahres 1843. Heute wissen wir, daß es jene Werke nicht waren, die FECHNERS bleibenden Ruhm in der Wissenschaftsgeschichte begründeten. Bereits 6 Jahre nach FECHNERS Tod fragte aber auch schon sein Biograph LASSWITZ : „Wird das Verdienst, welches er sich um die Fortbildung der Weltanschauung erworben hat, auch so einstimmig und bleibend anerkannt werden?" Und er antwortet: „Wir möchten es glauben", fügt aber sofort kritisch hinzu: „Die Erkenntnis ändert nur ihren Stil, die Weltanschauung auch ihren Charakter." [6] Zu den Werken, in denen er seine weltanschauliche, stark metaphysische Position darlegte, in denen aber — und das ist für FECHNER besonders typisch — auch alle Keime seiner weiteren naturwissenschaftlichen Arbeiten integriert sind, gehören vor allem „Nanna oder das Seelenleben der Pflanzen" (1848), „Zend — Avesta oder über die Dinge des Himmels und des Jenseits" (1851) und „Die Tagansicht gegenüber der Nachtansicht" (1879). Das Studium dieser Werke bereitet dem heutigen Leser — und das nicht nur ihm, wie z. B. die zeitgenössischen Polemiken um „Nanna" verdeutlichen — vor allem deshalb besondere Schwierigkeiten, weil FECHNER in ihnen auch seine wissenschaftlichen Positionen in einer oft schwer dechiffrierbaren Symbolik und Metaphorik auszudrücken pflegte. Andererseits ist gerade das Studium dieser Werke für die Genese der wissenschaftlichen Ideen z. B. im Bereich der experimen-
L. SPEtruG und H.
SPRUNG,
Gustav Theodor Fechner
441
teilen Psychologie (Psychophysik) und der experimentellen Ästhetik besonders aufschlußreich. J a mehr noch: in ihnen wird im eigentlichen Sinne deutlich, worum es F E C H N E R mit seinen psychophysikalischen oder experimentellen Asthetikuntersuchungen in Wahrheit ging. Thesenhaft zusammengefaßt ging es ihm im besonderen Maße um eine empirische Belegsuche für seine panpsychistische weltanschauliche Grundauffassung. Diesem speziellen Gesichtspunkt wollen wir uns dann später nochmals näher zuwenden. Zur dritten Gruppe von Arbeiten gehören die reizvollen ironischen Schriften, die er — beispielsweise in dem Sammelband „Kleine Schriften" (1875) zusammengefaßt — unter dem Pseudonym „Dr. M I S E S " veröffentlichte. Sie offenbaren uns nicht nur einen F E C H N E R , der mit einer übermütigen Phantasie ausgestattet war, sondern auch einen Spötter und Satiriker, der gegen wissenschaftlich überholte Lehrmeinungen und Methoden seiner Zeit geistreich auftrat, so z.B. in den Arbeiten gegen die zeitgenössische Medizin „Beweis, daß der Mond aus Jodine besteht" oder gegen die Übertreibung der rationalen (d. h. theoretischen) Methodik in der Schrift „Vergleichende Anatomie der Engel". In diese Gruppe gehört auch die auf der Grenze zwischen der experimentellen Ästhetik und der Satire liegende Arbeit: „Warum wird die Wurst schief durchgeschnitten". Von den übrigen wissenschaftlichen Arbeiten, die er z. B. im Bereich der physikalischen Forschung den Problemen der Elektrizität, des „Galvanismus" oder den „elektro-chemischen Merkwürdigkeiten" widmete, sei an dieser Stelle einmal abgesehen, da sie einer eigenen wissenschaftsgeschichtlichen Würdigung wert wären, die im psychologiehistorischen Zusammenhang nur schwer vorzunehmen wäre. Vielleicht war es einerseits dem Umstand mit zu verdanken, daß F E C H N E B , als wenig bemittelter Student und später lange Zeit auch mäßig besoldeter wenn auch keinesfalls armer Professor der Physik, gezwungen war, durch Nebenarbeiten wie: Privatstunden, Übersetzungen und Bearbeitungen wissenschaftlicher Werke der Physik und Chemie, durch die Abfassung von Repetitorien usw. Geld zu verdienen und sich auf diese Weise zunehmend von seiner ursprünglichen Wissenschaft, der Medizin, abwandte. Zweifelsohne erwarb er sich auf diese Weise das theoretische, methodische, mathematische und empirische Rüstzeug, das ihn zu so originellen Beiträgen im Grenzgebiet zwischen Medizin (Physiologie) und Psychologie befähigen sollte. Andererseits dürfte auch der spekulative, irrationale, metaphysische Tenor, der die Naturphilosophie seiner Zeit (z. B. L. Ü K E I I , F. W. J . S C H E L L I N G ) im Zeitalter der Restauration nach dem Wiener Kongreß (1815) und insbesondere nach den Karlsbader Beschlüssen (1819), beherrschte, zur Entwicklung seiner panpsychistischen weltanschaulichen Entwicklung beigetragen haben. Nicht zuletzt muß man sich den Zustand der Medizin und den Ausbildungsstandard dieser Disziplin zu Beginn des 19. Jahrhunderts vor Augen führen, um den Entwicklungsweg F E C H N E R S zu verstehen, als sich ihm eine entsprechende Entwicklungsmöglichkeit in Richtung der aufstrebenden physikalischen Wissenschaften und später anderer Naturwissenschaften bot. Was die Situation der Medizin zu Beginn des 19. Jahrhunderts anbelangt, so haben wir hierüber interessante Auße29'
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rungen FECHNERS und auch seiner Biographen. So schrieb sein Biograph K. LASSWITZ 1896: „Die Medizin befand sich damals in einem Stadium, in welchen sie einem auf wissenschaftlichen Ernst gerichteten Geiste keinerlei Befriedigung gewähren konnte. Der Mangel einer exakten Methode, eine die empirischen Thatsachen stützenden und verbindenden Theorie ließen die Wirksamkeit des Arztes als ein unsicheres Umhertappen erscheinen. Man wußte weder, was man beobachten noch was man erklären sollte, denn die überlieferten theoretischen Meinungen erwiesen sich als unhaltbar und es schien keinen Weg zu geben, das naturwissenschaftliche Experiment in die Medizin einzuführen" [7]. „ S o zogen ihn denn die physiologischen Vorlesungen v o n WEBER u n d die algebraischen von MOLLWEIDE mehr an als die
eigentlich medizinischen; . . [ 8 ] . Seinem Neffen und Biographen KTJNTZE bekennt er später: „Trotzdem das Doktorexamen mich berechtigte, nach der noch zu vollziehenden Formalität der Promotion mit der inneren Medizin auch Chirurgie und Geburtshilfe auszuüben, hatte ich nicht gelernt eine Ader schlagen, den einfachsten Verband anzulegen, . . . und sah die Verlegenheiten voraus, die mir dieser Mangel bereiten mußte . . [9]. Und vielleicht konnte gerade deshalb FECHNER, in den nahezu 70 darauffolgenden Jahren, eine so bedeutende, bahnbrechende wissenschaftliche Entwicklung durchlaufen, die schließlich zur wissenschaftlichen Verselbständigung und experimentellen Grundlegung einer ganz anderen Wissenschaft — der Psychologie — führte. Insofern haben wir gerade in GUSTAV THEODOR FECHNERS Leben und wissenschaftlicher Entwicklungsgeschichte ein besonders instruktives und schönes Beispiel für die komplizierte Dialektik historischer, speziell wissenschaftshistorischer Prozesse vor uns. Einer solchen Entwicklung im einzelnen näher nachzugehen, stellt zweifelsohne ein lohnendes und reizvolles Unterfangen dar. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil dieses 19. Jahrhundert ein an wissenschaftlichen aber auch an politischen Veränderungen und Auswirkungen auf unsere Zeit besonders reiches Zeitalter war. Allein ein Blick auf die Stadtentwicklung Leipzigs, die uns sein Biograph K . LASSWITZ vermittelt, vermag dies bereits zu umreißen. Ging man zur Zeit seiner Studenten jähre noch „ums Thor" spazieren, so hatte sich, als FECHNER am 18. November 1887, nach einem am 6. November erlittenen Schlaganfall, verstarb, diese Stadt, in den 70 Jahren, in denen er in ihr gelebt und gearbeitet hatte, im Gefolge der kapitalistischen Entwicklung in Deutschland zu einer der bekanntesten Großstädte des damaligen Deutschen Reiches entwickelt. Von dieser Entwicklung vermittelt uns sein Neffe KTJNTZE 1892 den folgenden, zusammengedrängten Eindruck: „. . . der Körper der Stadt dehnte sich nach allen Weltgegenden, das klassische Maß wich dem kollossalen." Und er fügte die weniger schmeichelhafte Formulierung hinzu: „Nun ist Leipzig eine Großstadt wie andere Großstädte, von ihnen nur noch unterschieden durch einige Reste spießbürgerlicher Ängstlichkeit und Kleinlichkeit in Entschlüssen, Straßen und Kirchen." [10] Was war das für eine Zeit, genauer gefragt, in der FECHNER sein — im Vorangegangenen begreiflicherweise nur kursorisch dargestelltes — umfangreiches Lebenswerk schuf? Es war eine Zeit, deren Kenntnis zweifelsohne viel zum Verständnis der Wider-
L. SpBtrsrG und H. SPRUNG, Gustav Theodor Fechner
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sprüchlichkeit, aber auch der Großartigkeit dieses Werkes beitragen dürfte. Daher nur wenige, ziemlich willkürlich ausgewählte Ereignisse, die natürlich in einem solchen kurzen Beitrag nicht mehr als vorhandene Erinnerungen, Assoziationen zu erwecken vermögen. Erinnern wir uns: Als er geboren wurde (1801), lag der Sturm auf die Bastille von Paris gerade erst 12 Jahre zurück, Napoleon I. war zwei Jahre zuvor als 1. Konsul gewählt worden, die Reaktion mußte ihren zweiten Koalitionskrieg, mit dem sie die Ideen der Französischen Revolution erwürgen wollte, im Frieden von Lurieville als Verlierer beenden. In Deutschland gab es noch das Postkutschenverkehrssystem von THURN und TAXIS, beleuchtete man die häuslichen Räume vor allem mit Kerzen. Andererseits war aber auch schon zwei Jahre zuvor der optische Telegraph erfunden worden, der für das Kriegs- und Eisenbahnwesen der folgenden Jahrzehnte große Bedeutung erlangte. Als FECHNERS Vater starb (1806) und der Sohn Gustav Theodor seinen Geburtsort verlassen mußte, zerbrach endgültig, durch die Gründung des Rheinbundes durch Napoleon I., die Niederlegung der römisch-deutschen Kaiserkrone durch Franz II. von Habsburg und durch den Sieg der französischen Revolutionsarmee bei Jena und Auerstädt besiegelt, das morsche, durch feudale Kleinstaaterei zerrissene sogenannte Heilige Römische Reich Deutscher Nation. 1817 aber, im J a h r des Wartburgfestes progressiver deutscher Studenten, als FECHNER sein Studium in Leipzig begann, war diese progressive Phase der politischen Entwicklung in Deutschland zunächst wieder einmal beendet worden. Die Restauration hatte in Deutschland für einige Jahrzehnte gesiegt. Die Freiheitskriege von 1813 bis 1815 waren nur Befreiungskriege von der napoleonischen Herrschaft gewesen und die Karlsbader Beschlüsse folgten alsbald nach (1819). In dieser Zeit der politischen Restauration, die sich in ihrem wesentlichen Herrschafts- und Klassencharakter bis zu FECHNERS Tode (1887) nicht grundlegend änderte, vollzog sich daher seine gesamte persönliche und wissenschaftliche Entwicklung. Andererseits erfolgte sie nicht irgendwo, sondern in der in dieser Zeit in einem beträchtlichen Tempo wirtschaftlich zunehmend aufblühenden Messestadt Leipzig. War es auch — insbesondere was die Herrschaftsverhältnisse anbelangt — eine stark restaurative Zeit, in der 1848/49 die Bourgeosie in der Revolution sogar einen unmittelbaren Verrat an ihren Klasseninteressen vollzog (während FECHNER, das sei nur als Kuriosum angemerkt, in dieser 'Revolution in den bürgerlichen „Ordnungskompagnien", die „mit langen Speeren bewaffnet waren" [11] für einige Tage Dienst tat), so war es zugleich aber die Zeit der großen naturwissenschaftlichen Entdeckungen und der beschleunigten kapitalistischen Wirtschaftsentwicklung. Ebenso war es die Zeit der ersten wissenschaftlich-technischen Revolution und vor allem war es die Zeit der sich zunehmend organisierenden und sich im Februar 1848, mit dem Kommunistischen Manifest von K . MARX und F. ENGELS, ein wissenschaftliches Fundament gebenden deutschen und internationalen Arbeiterbewegung. Als FECHNER starb (1887), gab es daher einerseits nicht nur eine starke Sozialdemokratische Partei Deutschlands, die dem Sozialistengesetz Bismarcks des Jahres 1878 mehr als erfolgreich widerstanden hatte, sowie ein durch drei Kriege „von oben"
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geeinigtes neues „Deutsches Reich", aus dem Österreich unter preußisch-junkerlicher Führung ausgeschlossen war, sondern war andererseits auch das 1835 begonnene deutsche Eisenbahnwesen zu einem dichten Eisenbahnnetz gewachsen, waren der Phonograph und die elektrische Glühbirne vor 10 Jahren, die elektrische Lokomotive vor 8 Jahren und das Benzinauto vor 2 Jahren bereits erfunden worden. 2. Zur Begründung und Entwicklung der Psychophysik Blicken wir aus dieser Perspektive nochmals kurz, und dementsprechend auch nur global, auf das wissenschaftliche Lebenswerk FECHNERS, so ist allein schon der Umfang und das behandelte Themenspektrum imponierend. So umfaßt bereits das unvollständige chronologische Titelverzeichnis FECHNERscher Arbeiten von R. MÜLLER, das z. B. der zweiten, von W. WUNDT 1889 besorgten Auflage der „Elemente der Psychophysik" beigegeben ist, nahezu 10 Druckseiten. Dementsprechend kann begreiflicherweise in einem so kurzen Beitrag keinesfalls eine umfassende Behandlung und Darstellung seines Beitrages zur Wissenschaft oder auch nur zur Gründungsgeschichte der Experimentalpsychologie versucht werden. Wir wollen uns dementsprechend in der bereits oben angedeuteten Weise auch nur einem einzigen Aspekt — allerdings einem, für die weitere" Entwicklung der Psychologie sehr folgenreichen — etwas näher zuwenden, dem der Begründung der äußeren lind inneren Psychophysik und darüber hinaus dem der Begründungsabsicht dieser experimentellen psychologischen Disziplin. Zunächst eine generelle Feststellung: Es gibt gute Gründe, die zu belegen vermögen, daß es gerade die von FECHNER maßgeblich mit vollzogene systematische Einführung des Experiments und der Mathematik in die Analyse psychischer Phänomene war, die den von H. EBBINGHAUS [12] um die Jahrhundertwende formulierten „Übergang" von der „Vergangenheit" zur „Geschichte" der Psychologie bestimmte (vgl. 13, 14, 14a, 15, 16, 17, 18]. Wie hoch H.EBBINGHAUS [12] dabei diesen Beitrag der Psychophysik einschätzte, geht aus einer — zugegebenermaßen sehr pointiert gewählten — Formulierung hervor, in der es heißt: „Als E. H. WEBER im Jahre 1829 die anscheinend kleinliche Neugier hatte, wissen zu wollen, mit welcher Feinheit an verschiedenen Stellen der Haut zwei getrennte Berührungen eben als solche erkannt werden können, . . ., geschah mehr für den wahren Fortschritt der Psychologie als durch alle Distinktionen, Definitionen und Klassifikationen der Zeit etwa von ARISTOTELES bis HOBBES zusammengenommen." [19] Und an anderer Stelle formuliert er, den Wert derartiger experimenteller Yorgehensweisen begründend: „Sie liefern der psychologischen Erkenntnis Arbeiten, wie diese sie bisher nie gekannt hatte: beruhend auf wohlüberlegten selbständigen Fragen an die Natur und der kunstvollen Herstellung geeigneter Umstände zu ihrer Beantwortung, d. h. auf dem Experiment und womöglich auf genauer Messung der Resultate und ihrer Ursachen." [20] Worin lag nun aber FECHNERS spezifischer Beitrag in dieser Entwicklungsphase? Auf eine kurze Formel gebracht, ließe sich sagen, daß sein spezifischer Beitrag in
L. SPRUNG und H. SPRUNG, Gustav Theodor Fechner
445
der Begründung der Psychophysik vor allem in der Entwicklungsetappe der Psychologie geleistet wurde, als er die Ideen und empirischen Befunde E . H. WEBERS [21] von der Konstanz der relativen Unterschiedsschwelle m (1)
A R
—— = const. R
R = Aüsgangsreiz AR — Reizzuwachs bis zum eben merklichen Unterschied (absolute Unterschiedsschwelle) zu der, von ihm in tiefer Bescheidenheit als „WEBERsches Gesetz" bezeichneten, sogenannten „psychophysischen Fundamentalformel "(3) hin weiterentwickelte. Schon vor FECHNER war das „Gesetz der Schwelle" erkannt worden, nach der ein Reiz erst eine bestimmte Größe besitzen muß, um als Empfindung abgebildet zu werden. „Mag eine Substanz noch so bitter schmecken, in homöopathischer Verdünnung merkt niemand etwas d a v o n " [22], führt FECHNER dazu bildhaft aus. Dies gilt in entsprechender Weise auch für die Reize, die bereits oberhalb der absoluten Schwelle liegen und nun in ihrem Ausprägungsgrad verändert werden {Unterschiedsschwelle). „Ob zu einem Gerichte ein Körnchen Zucker oder Salz mehr oder weniger hinzugefügt wird, macht im Geschmack keinen erkennbaren Unterschied" [23], heißt es bei ihm an einer anderen Stelle. Und er fügt hinzu: „ E i n besonders frappantes und instruktives Beispiel der Unterschiedsschwelle bietet uns der Himmel an jedem heiteren Tag dar. Mag man die Augen noch so sehr anstrengen, man wird keinen Stern am Himmel entdecken; und doch ist die Helligkeit des Himmels an jeder Stelle, wo ein Stern steht, durch dessen ganze Helligkeit . . . gegen die Umgebung vermehrt; wir spüren den Unterschied nur nicht, weil er zu klein ist, weil er die Unterschiedsschwelle nicht erreicht." [24] Aber noch etwas anderes war bereits vor FECHNER bekannt, es war das sogenannte „Maß der Empfindlichkeit", wie es in der WEBERschen Konzeption niedergelegt worden war (1). FECHNER aber, von der Überzeugung durchdrungen, daß die Gesetzmäßigkeiten in der „physikalischen Welt", die von den Naturwissenschaften erforscht werden, zugleich auch Gesetzmäßigkeiten in der „geistigen Welt" darstellen müssen (eine zweifelsohne zutiefst materialistische Position), versuchte nun, von einem Maß der Empfindlichkeit zu einem Maß der Empfindung zu gelangen. Hier lag der entscheidende Schritt, der zur eigentlichen Psychophysik führen konnte. FECHNER erkannte in der Tatsache, daß die Differenz zweier Reize immer dann als gleich empfunden wird, wenn das Verhältnis der Reize unverändert bleibt, die entscheidende Grundlage eines zu entwickelnden Maßes der Empfindung. Eben deshalb stellte er so zahlreiche und sorgfältige Versuche in den verschiedenen Sinnesgebieten an, um diese Schwellenwerte zu bestimmen und damit die Tragfähigkeit dieses Grundgedankens abzuschätzen. Zu diesem Zweck entwickelte er auch die bereits v o n E . H . WEBER u n d K . v . VIERODT benutzten Skalierungsverfahren zur
„Methode der eben merklichen Unterschiede" (heute „Grenzverfahren" genannt)
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Z. Psychol. Bd. 186 (1978) H. 4
sowie zur „Methode der richtigen und falschen Fälle" (heute „Konstanzverfahren" genannt) weiter bzw. fügte diesen Verfahren eine weitere Variante hinzu, die er als „Methode der mittleren Fehler" (heute „Herstellungsverfahren" genannt) bezeichnete [25]. Nach langen Bemühungen hatte er endlich, am 22. Oktober 1850 (morgens im Bett) wie er selbst vermerkte, die entscheidende Idee der äußeren Psychophysik, d. h. die Vorstellung über die Art des Zusammenhangs zwischen der Reizveränderung auf der einen und der Empfindungsveränderung auf der anderen Seite. Ähnlich wie es RENÉ DESCARTES von sich sagte, als er am 10. November 1619 als Soldat im Winterlager der kaiserlichen Truppen des 30jährigen Krieges in Neuburg an der Donau sein „Cogito ergo sum" formulierte oder wie es ALBERT SCHWEITZER später beschrieben hat, als er 1915 auf einer Bootsfahrt auf dem Ogowe-Fluß in sein Urwaldhospital Lambarene fuhr, die ethische Formel von der „Ehrfurcht vordem Leben" fand, so war es auch bei FECHNER das plötzliche Ergebnis eines langen, intensiven Nachdenkens über eine Lösung eines für ihn fundamentalen Problems. Zugleich war es aber auch — ebenso wie bei R. DESCARTES oder A. SCHWEITZER in analoger Weise — ein Problem und eine Lösung, dessen Voraussetzungen und Konsequenzen ihn sein ganzes weiteres Leben nicht mehr verlassen sollten. Verfolgen wir kurz FECHNERS Gedankengang im Abriß : Ausgangspunkt war für ihn das Maß der Empfindlichkeit, daß sich als Konstante erwiesen hatte (1). Wenn wir annehmen, so FECHNER, daß sich die Empfindungsvarianten ebenfalls wie die Reizvarianten aus einer Addition der Einzelempfindungen aufbauen lassen, so ist eine Minimalempfindung (AE) formulierbar, deren Summation jeweils die entsprechende Empfindungsstärke E bestimmt. So beispielsweise in der nachfolgenden Art und Weise: AEI+AE2+AE3=3AE. (2) Unter diesen Voraussetzungen ist es dann auch vernünftig, die in Formel (3) dargelegte Beziehung anzunehmen, die später als Fundamentalformel bezeichnet werden sollte, (3) Dabei wird k durch eine modalitäts- und methodenabhängige Konstante gebildet. Gilt nun aber die erwähnte Additionsannahme, so stellt diese Minimalempfindung zugleich auch eine mathematische Größe dar, auf die auch alle die mathematischen Operationen anwendbar sind, die üblicherweise auf die physikalischen Reizgrößen angewandt werden können. Weiterhin ist es dann auch vernünftig anzunehmen, daß diese Minimalempfindung — modelltheoretisch gesehen — stetig kleiner werden und gegen Null konvergieren kann. Integrieren wir dementsprechend die Fundamentalformel, so ergibt sich aus der veränderten Formel
(3')
L. SPRUNG und H. SPRUNG, Gustav Theodor Fechner
447
Dabei gibt R0 die Reizgröße an, bei der die Empfindung den Wert Null besitzt. Sie entspricht somit dem absoluten Schwellenwert der Reizgröße innerhalb des jeweiligen Sinnesgebietes. Unter Vernachlässigung dieser Spezifik ergibt sich schließlich die allgemeine Beziehung, die als FECHNERsches Gesetz in der folgenden Weise ausgedrückt werden kann: (5)
E=k • log R.
Dieses FECHNERsche Gesetz besagt somit, daß die Empfindung dem Logarithmus des Reizes proportional ist. Mit dieser Grundaussage hatte FECHNER, in Form der „äußeren Psychophysik", die entscheidende Stufe in seinen Bemühungen erreicht, „das Maaß bezüglich der psychischen Größen festzustellen". [26] Sein Anspruch aber ging darüber hinaus. Danach sollte die Psychophysik im eigentlichen Sinne „eine exakte Lehre von den Beziehungen zwischen Leib und Seele" sein [27]. Insofern war denn auch seine weitere psychophysikalische Forschung einerseits durch den — letztlich unvollendet gebliebenen — Versuch gekennzeichnet, zusätzlich zur „äußeren" auch eine „innere Psychophysik" zu entwickeln. Andererseits war sie natürlich auch in einem hohen Maße durch die mehrfache Verteidigung und Darlegung seines allgemeinen psychophysikalischen Standpunktes und Ansatzes der äußeren Psychophysik bestimmt, da sich bald eine heftige Kontroverse um diese psychologische Disziplin entwickeln sollte, in die FECHNER mehrfach eingriff. Wie fruchtbar FECHNERS psychophysikalischer Ansatz als Ganzes und in seiner Weiterentwicklung in der weiteren Geschichte der Psychologie werden sollte, mag er selbst eher geahnt als gewußt haben. Auf jeden Fall konnte er es noch erleben, wie zahlreich und kontrovers die nachfolgenden Arbeiten und Stellungnahmen in den nächsten etwas mehr als 2 1/2 Jahrzehnten werden sollten. 1877 vermerkte er dementsprechend ironisch in seiner Schrift „In Sachen der Psychophysik", in der er sich vor allem mit den Argum e n t e n v o n H . V. HELMHOLTZ, E . H E R I N G , E . MACH, H . A U B E R T U. a . a u s e i n a n d e r -
setzte: „Der babylonische Turm wurde nicht vollendet, weil die Werkleute sich nicht verständigen konnten, wie sie bauen sollten; mein psychologisches Bauwerk dürfte bestehen bleiben, weil die Werkleute sich nicht werden verständigen können, wie sie es einreißen sollten." [28] Andererseits äußerte er auch — scherzend, wie LASSWITZ vermerkt — nach der Einrichtung des Psychologischen Instituts an der Leipziger Universität im Jahre 1879 zu W. WUNDT: „Wenn Sie die Sache so im großen betreiben wollen, dann werden Sie in ein paar Jahren mit der ganzen Psychophysik fertig sein." [29] Daß er mit dieser Prophezeiung nicht recht behielt, zeigen nicht nur die zahlreichen Arbeiten, die noch zu seinen Lebzeiten oder in den ersten Jahren nach seinem Tode erschienen [vgl. 30], sondern nicht zuletzt auch die umfangreichen Forschungen, die auf diesem Gebiet beispielsweise in den letzten zwei Jahrzehnten dieses Jahrhunderts veröffentlicht wurden [vgl. z. B. 31, 32] und in
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denen in einem besonderen Maße eine Ausgestaltung der „inneren Psychophysik" zu verfolgen ist. Dafür sprechen auch die psycliologiehistorischen Arbeiten, die inzwischen FECHNER g e w i d m e t wurden (W. G . BRINGMANN u n d W . D . G . BALANCE 1976 [32 a ] ; Vgl. d a z u auch J . BROZEK u n d S . DIAMOND 1976 [ 3 2 b ] , M. E . MARSHALL 1974 [32 c] sowie W. R . WOODWARD 1972 [32 d].
Rückblickend aus einer mehr als 100jährigen Distanz läßt sich heute zweifelsohne feststellen, daß es in einem besonderen Maße eben diese psychophysikalischen Forschungen FECHNERS waren, die eine der wesentlichsten Grundlagen für die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgte Verselbständigung einer neuen Wissenschaft — der Psychologie — nach Gegenstand und Methode gelegt haben. Auch W. WUNDT bekennt in seiner Grabrede auf G. TU. FECHNER, daß insbesondere seine Arbeiten zur Psychophysik „. . . als gewaltige Marksteine auf dem Wege, welcher Natur- und Geisteswissenschaft. . . verbindet"' anzusehen sind [33] [vgl. 34]. Soweit zu FECHNERS tatsächlicher Leistung. 3. Zur Begründungsabsicht der Psychophysik Wie stand es nun aber mit der Begründungsa&sic/ii FECHNERS im einzelnen. Nun ist natürlich eine derartige historische Frage bis zu einem gewissen Grade nicht mehr hinreichend beantwortbar, da uns nur sehr mittelbare Zeugnisse zur Verfügung stehen. Somit befindet sich der historisch Analysierende begreiflicherweise in einer ständigen Gefahr, die J . W. v. GOETHE einmal in einer Maxime treffend ausgedrückt hat, wenn er schreibt: „Im Auslegen seid frisch und munter. Legt ihr's nicht aus, so legt was unter." Andererseits gilt aber in diesem Zusammenhang auch der ermutigend-mahnende Hinweis von K. MARX: . . alle Wissenschaft T wäre überflüssig, wenn die Erscheinungsform und das W esen der Dinge unmittelbar zusammenfielen . . ." [35]. Insofern ist auch eine historische Frage nach dem ForschungszieZ, der Forschungs/nofi'raitora eines bedeutenden Wissenschaftlers unseres jungen Wissenschaftsgebiets berechtigt, beleuchtet sie doch in unserem Zeitalter der notwendigen und umfangreichen Wissenschaftsprognosen und Wissenschaftsplanungen pars pro toto die sehr komplizierte historische Dialektik eines bedeutenden wissenschaftlichen Arbeits- und Entwicklungsprozesses. Möglicherweise kann auf diese Weise eine so verstandene wissenschaftshistorische Forschung auch einen kleinen — biographisch forschenden — Beitrag zur Kreativitätsanalyse im Rahmen der kognitiven Prozeßforschung leisten. Welchen wissenschaftlichen Stellenwert hatte also die Psychophysik im Lebenswerk FECHNERS? Eine Durchsicht des Lebenswerkes G. TH. FECHNERS drängt den Autoren die bereits einmal kurz angedeutete Uberzeugung auf, daß seine Leistung in der Begründung der Psychophysik, der rationale, naturwissenschaftliche und materialistische Ausdruck einer zutiefst panpsychistischen, in wesentlichen Teilen metaphysischen und — zuzeiten sogar — spiritualistischen Weltanschauung war. Wir wollen diese These zu einer Behauptung dahingehend erweitern, daß es nicht in FECHNERS ursprünglicher und später dementsprechend auch nicht in seiner primären Ab-
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sieht lag, in systematischer Form eine „Experimentelle Psychologie" nach Gegenstand und Methode zu verselbständigen oder zu entwickeln, sondern daß umgekehrt alle diese Bemühungen Versuche der empirischen und mathematischen Begründung seiner, in wesentlichen Teilen, idealistisch-philosophischen Weltanschauung waren. Daß er aber im Verlauf dieser empirischen Forschungen, den naturwissenschaftlichen und theoretischen Standard, wie er vor allem in der Physik und Mathematik seiner Zeit entwickelt worden war, produktiv auf die Analyse und mathematische Modellierung „geistiger" Phänomene anwandte und ihn dabei noch weiter entwickelte, das macht gerade das Geniale und Bleibende dieses Gelehrten in der Geschichte der Psychologie aus. Wie entwickelte sich aber diese, in wesentlichen Teilen, idealistische Konzeption, in djeren Schoß eine so bedeutsame Entwicklung stattfinden tonnte. Sehen wir •einmal von einigen einschlägigen Frühschriften ab, in denen er metaphysische Vorstellungen noch durch ein ironisierendes Pseudonym distanziert darstellte, so finden wir vor allem seit seiner Genesung (Ende 1843/Anfang 1844) zahlreiche einschlägige Arbeiten, die sich mit metaphysischen, religiösen, ethischen, kurz: weltanschaulichen Fragen befassen. Durch welche gesellschaftlich-politischen Faktoren dies im einzelnen bedingt war, durch welche philosophischen Strömungen und Ideen er sich dabei im speziellen anregen ließ und auch durch welche persönlichen, biographischen Erlebnisse und Erfahrungen er dazu im einzelnen näher bestimmt wurde, ist eine noch weitgehend ungeklärte Frage, die jedoch z. B. für die wissenschaftsgeschichtliche Entwicklung unseres Faches in ihrer weltweiten Begründungsepoche nicht ohne beträchtliches Interesse sein dürfte. Inwieweit sie durch den Verlust des Leipziger FECHNER-Archivs im II. Weltkrieg überhaupt noch hinreichend aufklärbar sein wird, ist dabei eine betrüblicherweise wirksam werdende Randbedingung. Für die Annäherung an diese Frage können hier nur einige Gesichtspunkte vorgestellt werden. So übermittelt uns sein Biograph K U R T L A S S W I T Z beispielsweise die in diesem Zusammenhang sehr aufschlußreichen Vorlesungsgebiete, über die F E C H N E R nach seiner Gesundung vom Sommer 1846 an wöchentlich zweistündig las. Sie lauteten in der Reihenfolge ihrer Ankündigung: über „das höchste Gut", über „Naturphilosophie", über „die letzten Dinge", über „den Sitz der Seele", „über die Beziehungen von Leib und Seele", „über Psychophysik" und „über Ästhetik" [36]. Dabei ist allerdings zu bedenken, daß man seinen physikalischen Lehrstuhl während seiner Krankheit, als man ihn auf Grund der Schwere des Leidens bereits aufgegeben hatte, mit einem Bruder E. H. WEBERS, dem aus Göttingen, als einer der „Göttinger Sieben", vertriebenen W I L H E L M W E B E R , besetzt hatte. Andererseits können aber auch schon einige entsprechende Arbeiten aus der Frühzeit F E C H N E R S herangezogen werden, die diesen metaphysischen Zug zu charakterisieren gestatten. So hatte er beispielsweise bereits 1836 — allerdings noch hinter dem Pseudonym Dr. M I S E S verborgen — das „Büchlein vom Leben nach dem Tode" veröffentlicht, in dem er die Allbeseeltheit der Natur und die Unsterblichkeit der Seele dargelegt hatte. Dabei war er von der Annahme ausgegangen, daß das Bewußtsein keine nur dem Menschen eigene sondern eine all-
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gemeine Naturerscheinung sei, die auch anderen Lebewesen zukomme. In Fortführung derartiger Gedanken legte er 12 Jahre später, 1848, ein sehr umfangreiches, wissenschaftlich gemeintes Werk — diesmal auch unter seinem eigentlichen Namen — vor, das den Versuch unternimmt im einzelnen zu belegen, worin die Allbeseeltheit der Pflanzen besteht, „Nanna oder über das Seelenleben der Pflanzen" (1848). Mit der Veröffentlichung eines derartigen Werkes ging er ein beträchtliches Risiko für seinen Ruf als Naturwissenschaftler ein und es nimmt daher auch nicht wunder, daß er in einen heftigen Streit mit anderen Naturwissenschaftlern gerät, die auf dem Gebiet der Botanik wissenschaftlich tätig sind. Dabei ist „Nanna", die Flora des Nordens und Frau des Lichtgottes Baidur, als Titel seines Buches mit Bedacht gewählt und insofern aufschlußreich für unsere Frage. So schreibt er beispielsweise im Vorwort: „da es nun Zweck dieser Schrift ist, die Pflanzen in einer allgemein gottbeseelten Natur als eines individuellen Anteils dieser Beseelung wieder teilhaftig erscheinen zu lassen und insbesondere ihren Verkehr mit dem Lichtgotte Baidur zu schildern oder, kürzer und einfacher, ihnen eine eigene Seele beizulegen und ihren Verkehr mit dem Lichte psychisch auszulegen" [37]. Inwieweit er damit Bezüge zur LEEBNlzschen Monadenlehre aufweist wäre eine Frage, der ideengeschichtlich einmal näher nachgegangen werden müßte. War nun in diesem Werk die allseitige Beseelung der belebten Natur, d. h. in seinem Verständnis vor allem die Empfindungsfähigkeit der Lebewesen mit all den dazu notwendigen materiellen physischen Voraussetzungen, war diese Beseelungsauffassung in seinem Werk „Nanna" bereits aus dem Tierreich systematisch in das Pflanzenreich hin ausgeweitet worden, so lag der Schritt einer noch weiteren Ausdehnung dieser Auffassung in Richtung einer Allbeseeltheitskonzeption nahe. „Aufmerksame Leser von Nanna erkannten es bald als notwendige Konsequenz, daß FECHNER nun auch die Gestirne beseelen müsse," [38] heißt es daher folgerichtig in einer Charakteristik seines Biographen LASSWITZ. 1851 erschien denn auch als weiteres umfangreiches Werk „Zend — Avesta oder über die Dinge des Himmels und des Jenseits", in dem er eine derartige These vorlegte und durch mannigfache Analogisierungen zu belegen versuchte. Wir wollen aus Zeitgründen nicht näher auf dieses Werk eingehen, obwohl wir glauben, daß die wesentlichen Ideen, die er später vor allem in den Jahre später erscheinenden „Elementen der Psychophysik" (1860) und der 16 Jahre nach den „Elementen" erscheinenden „Vorschule der Ästhetik" (1876) auszubauen und empirisch zu belegen versuchen sollte, in diesem zentralen Werk bereits angelegt worden sind. In diesem „Zend — Avesta" taucht — und das ist für die Vorgeschichte der Psychophysik bedeutsam — auch erstmals explizit (im 2. Zusatz des „Anhangs zum elften Abschnitt" des 2. Bandes) der Ansatz der Psychophysik auf. Er trägt den noch sehr unscheinbaren Titel: „Kurze Darlegung eines neuen Prinzips der mathematischen Psychologie" [39] und umfaßt nur 10 Seiten. In den folgenden 9 Jahren aber arbeitet FECHNER dann unermüdlich an den zahlreichen empirischen Belegen, den methodischen Differenzierungen und den mathematischen Ausgestaltungen dieser wesentlichen Idee. Durch sie will er „eine
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exakte Lehre von den Beziehungen zwischen Leib und Seele" [40] begründen, um „Elementargesetze für die Beziehung zwischen Körperwelt und Geisteswelt zu gewinnen". [41] Auf diese Weise soll schließlich „das funktionelle Verhältnis zwischen Körper und Seele" bestimmt werden, durch das entscheidbar wird „was gehört quantitativ und qualitativ, fern und nah in Körperweit und geistiger Welt zusammen, und nach welchen Gesetzen folgen ihre Veränderungen auseinander oder gehen miteinander " [42]. Um sich den Einwand materialistischer Tendenzen zu ersparen, der in jener Zeit -als Vorwurf formuliert zu werden pflegte, fügte er noch erklärend hinzu: „Ein Grund für die Psychophysik den Verfolg der Seite der Abhängigkeit der Seele vom Körper vor der gegenteiligen zu bevorzugen, liegt darin, daß nur das Physische dem Maaße unmittelbar zugänglich ist, indeß das Maaß des Psychischen erst in Abhängigkeit davon gewonnen werden kann" [43]. Leider ist es FECHNER nicht mehr vergönnt gewesen, die „innere Psychophysik", insbesondere die des „höheren Geisteslebens" ui der gleichen Weiste auszubauen, wie ihm dies für die „äußere Psychophysik" gelang. E s ist bekannt, daß hier erst H. EBBINGHAUS — der Überlieferung nach durch ein zufälliges Bekanntwerden mit einem Exemplar der „Elemente der Psychophysik" in einem Pariser Antiquariat angeregt — in bahnbrechender Weise anknüpfen und fortsetzen konnte [44]. FECHNER selbst drückte sich dagegen bezüglich dieser „inneren Psychophysik" zwar in den Grundzügen recht bestimmt, allerdings in den theoretischen, methodischen und empirischen Einzelheiten sehr vage aus, so wenn er beispielswiese schreibt: „. . . mag der Gedanke am Flusse der körperlichen Thätigkeit selbst mitwirken und nur mittels dieses Wirkens wirklich sein, oder mag er des Flusses nur bedürfen, wie der Ruderer im Nachen, um darüber hin zu steuern, und dabei mit dem Ruder gleichgültige Wellen schlagen, beidesfalls wollen die Verhältnisse und Gesetze des Flusses berücksichtigt sein, wenn es sich um den Fluß oder Fortschritt des Gedankens handelt" [45]. Soweit zur Vorg e s c h i c h t e d e r P s y c h o p h y s i k i m L e b e n s w e r k GUSTAV THEODOR F E C H N E R S .
Die nachfolgende Entwicklung der Psychophysik, wie sie zu Lebzeiten FECHNERS noch erfolgte und wie sie von ihm noch selbst gefördert wurde, haben wir oben bereits kurz dargestellt und wollen sie daher hier nicht wiederholen. Dabei soll jedoch noch hervorgehoben werden, daß es ihm in den Jahren nach 1860 mehr und konsequenter als bisher um den Ausbau, die Verteidigung und die theoretische Integration dieser psychophysikalischen Konzeption in sein weltanschauliches System ging, das zugleich mehr denn je zuvor einen idealistischen Ausbau erfuhr. Dieses weltanschauliche Konzept hat er noch einmal ausführlich in seinem Buch „Die Tagansicht gegenüber der Nachtansicht" (1879) dargestellt, in dem er gerade die beiden Sichtweisen der Welt, die nach seiner Meinung eingenommen werden können, gegenüberstellt. Dabei wird unzweifelhaft, welche der beiden nach seiner Meinung die höhere und richtigere Auffassung darstellt. Es ist die einer allbeseelten Welt (Tagansicht) gegenüber einer niederen, nur die materiellen, physikalischen Bestimmtheiten der Welt berücksichtigenden Erkenntnisauffassung (Nachtansicht).
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4. Conclusio Wir kommen zum Schluß. Natürlich konnte eine derartige kurze Darstellung einiger Aspekte aus dem Leben eines so bedeutenden Wissenschaftlers aus der „Gründungsvätergeneration" der Psychologie keine Vollständigkeit anstreben. Zugleich dürfte deutlich geworden sein, wie kompliziert die Analyse auch nur eines Aspekts — dem der Psychopliysik — ist, wenn versucht wird, ihn innerhalb der Entwicklung eines Lebenswerkes darzustellen. Zu schnell kann Handlungseffekt, Forschungsergebnis oder Entwicklungsimpuls mit Handlungsziel, Forschungsmotivation oder Gründungsabsicht identifiziert werden. Beim näheren Betrachten jedoch erweist sich die Dialektik historischer Prozesse, die sich im Lebenswerk, insbesondere natürlich wissenschaftlich besonders produktiver Menschen zeigt, zumeist als wesentlich komplizierter als sie beim oberflächlichen Analysieren zunächst erschienen [32 a]. D a ß GUSTAV THEODOR FECHNER für die Analyse dieser Dialektik
eine so geeignete Persönlichkeit darstellt, liegt nicht nur an der faszinierenden, widerspruchsvollen und produktiven Gelehrtenpersönlichkeit, an den wissenschaftlich und politisch bedeutsamen Ereignissen seiner Zeit, des 19. Jahrhunderts, mit ihren bestimmenden Auswirkungen auch auf unser 20. Jahrhundert, sondern nicht zuletzt in dem nachdenkenswerten Umstand, der in dem Verhältnis von Absicht, vom Zweck der psychophysikalischen Forschungen FECHNERS auf der einen Seite und den tatsächlichen Resultaten, den wahren Folgen dieser Arbeiten für die Entwicklung unserer Wissenschaft — der Psychologie — auf der anderen Seite besteht. Diese bedenkenswerte Dialektik im Lebenswerk FECHNERS ist vielleicht am besten, wenn auch der gewählten Kunstform entsprechend, in einer überpointierten Weise, in einem Epigramm zusammengefaßt, das ein anderer Leipziger Student — ERICH KÄSTNER — viele Jahrzehnte nach FECHNERS Tod einmal wie folgt formuliert hat: „Irrtümer haben ihren Wert; jedoch nur hie und da. Nicht jeder der nach Indien fährt, entdeckt Amerika."
Zusammenfassung In der Arbeit wird GUSTAV THEODOR FECHNERS Beitrag in der Begründung der Experimentalpsychologie als „äußerer" und „innerer Psychophysik" behandelt. Auf dem Hintergrund einer kurzen Vita und zeitgeschichtlichen Charakteristik der politischen und wissenschaftlichen Entwicklung insbesondere in Deutschland im 19. Jahrhundert, die an ausgewählten Ereignissen und Beispielen erfolgt, wird die Genese und Begründungsabsicht der FECHNERSchen psychophysikalischen Grundkonzeption verfolgt. Dabei wird herausgestellt, daß seine produktive Grundidee, das „Maß der Empfindlichkeit" zu einem Maß der „ E m p f i n d u n g " weiter zu entwickeln, neue Skalierungsverfahren zu erproben usw. eine stark metaphysisch orientierte motivationale weltanschauliche Basis besaß, die — zugespitzt charakterisiert — in der empirischen Belegsuche für seine panpsychistische Konzeption bestand. Die Entwicklung dieser Vorstellungen wird im einzelnen in seinem Lebenswerk verfolgt und an ausgewählten Beispielen exemplifiziert. Die Darstellung verfolgt damit zugleich den Zweck, die komplizierte Dialektik wissenschaftshistorischer Prozesse an einem markanten Einzelfall zu demonstrieren. In dieser Funktion soll die vorliegende
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Arbeit auch einen kleinen biographisch-historischen sowie problemgeschichtlich-doxographischen Beitrag zur Kreativitätsforschung leisten, einem der bedeutsamsten Aufgabenfelder psychologiehistorischer Forschungen.
Summary This paper deals with G. T. F E C H N E R S contribution to the establishment of experimental psychology as "exterior" and "interior" psychophysics. — The genesis and purpose of FECHNERS psychophysical conception is set forth in relation to this biography and the political and scientific development of Germany in the 19. century. The author emphasizes that F E C H N E R S most productive idea, the further development of his "measure of sensitivity" into a "measure of sensation" has a strong metaphysical orientation. — He used this seminal idea in a attempt to empirically prove his panpsychological conception. The authors also mean to show the complex dialectics of scientific-historical processes as they occur in a stricing and unique case. Thus the present paper is intended as a small contribution to research in creativity, which is one of the most significant problem areas in the psychology-historical research.
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Sektion Psychologie der Humboldt-Universität Berlin D D R - 102 Berlin, Oranienburger Str. 18 D r . rer. nat. HELGA SPRUNG
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Aus der Sektion Psychologie der Humboldt-Universität Berlin Lehrbereich Grundlagen der Psychologie
Experimentalpsychologische Untersuchungen von Denkprozessen1 V o n H . SYDOW
Die Untersuchungen in der Denkpsychologie haben in den vergangenen 10 bis 20 Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung in dreierlei Hinsicht gezeigt: — Erstens wurden neue Vorstellungen über Phasen der Denktätigkeit erarbeitet und damit zugleich präzisierte Vorstellungen über die Struktur der Denkprozesse und ihre Komponenten formuliert. — Zweitens wurden die inneren Bedingungen des Denkprozesses präziser untersucht, als dies mit den vorher vorhandenen Methoden und theoretischen Modellvorstellungen möglich war. — Drittens sind verschiedene Versuche unternommen worden, vom Ausbilden einzelner Problemlösestrategien zu allgemeineren Problemlösefähigkeiten überzugehen. Damit sind schon die wichtigsten Gedanken zur Gliederung der nachfolgenden Ausführungen genannt. Sie sind weiter zu spezifizieren, was den zweiten angegebenen Punkt, die Untersuchung der inneren Bedingungen, betrifft. — Erstens kann über eine Reihe neurophysiologischer und psychophysiologischer Untersuchungen berichtet werden, die theoretische Vorstellungen über den Charakter, den Verlauf und die Bedingungen des Denkprozesses zu prüfen versuchten. — Zweitens ist bei der Untersuchung deduktiver (teils auch induktiver) Schlußprozesse das Verhältnis zwischen Logik und Denken weiter betrachtet worden. — Drittens ist in enger Wechselwirkung mit linguistischen Forschungsarbeiten eine Vielzahl neuer Erkenntnisse über das Verhältnis zwischen Sprache und Denken gewonnen worden. Dies betrifft sowohl das Denken auf der Grundlage begrifflicher Operationen wie das Verhältnis zwischen bildhaften und begrifflichen Denkhandlungen. Die Resultate der experimentellen und theoretischen Arbeiten sind meines Erachtens für die folgenden vier Problembereiche bedeutsam, die eng mit der Lösung angewandter Fragestellungen zusammenhängen. — Erstens: welche Bedingungen sind es, die das Verstehen einer Problemstellung bestimmen? Wie werden vorhandene Kenntnisse ausgenutzt, um eine erste interne 1
Vortrag auf der 1. Tagung des Wissenschaftlichen Rates für Psychologie, 29. bis 30. 9. 1977 in Dresden. 30
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Problemrepräsentation zu erzeugen, die möglichst eine Transformation zur Lösung hin einschließt? — Zweitens: wie lassen sich, in Abgrenzung zu reduktionistischen Vorstellungen, elementare psychische Operationen, kognitive Operationen, identifizieren und wie lassen sich komplexe Denkoperationen in diese elementaren Operationen zerlegen? — Drittens: unter welchen äußeren und inneren Bedingungen entstehen Lösungsstrategien besonders leicht, und welche Möglichkeiten eines allgemeineren Strategietrainings lassen sich daraus ableiten? — Viertens: welche Denkhandlungen werden vorteilhaft durch bildhafte Vorstellungen gestützt oder gar nur auf dieser Grundlage ermöglicht, und welche Beziehungen gibt es zwischen bildhaften und begrifflichen Denkhandlungen? Selbstverständlich können zu diesen Problembereichen nur die wichtigsten Resultate und Konsequenzen genannt werden, ohne daß eine methodisch spezifizierte Darstellung von Experimenten oder von Modcllvorstellungen möglich wäre. Ich möchte auch nicht den Fehler begehen, offene Probleme zu verschweigen, etwa experimentell gewonnene Fakten, die noch keine Erklärung gefunden haben, unberücksichtigt zu lassen. 1. Allgemeine Phasen der Denktätigkeit und Strukturkomponenten des Denkens Uber die einzelnen Phasen der Denktätigkeit bei der Bewältigung einer Aufgabe, eines Problems, gibt es weitgehend übereinstimmende Ansätze in theoretischen Arbeiten zu diesem Thema. Es bestätigt die Forderung RuBlNSTElNs, das Denken als Prozeß, als Tätigkeit aufzufassen, daß diese Auffassungen weitgehend übereinstimmen mit den Aspekten zur Beschreibung der Regulation Von Arbeitstätigkeiten. Wenn H A C K E R [7] die Phasen — Übernahme der Aufgabe als Ziel — Orientieren über die Bedingungen der Tätigkeit in der Umgebung und im Gedächtnis — Entwurf von Strategien durch Operieren am inneren Modell — Entscheidung über Ausführungsvarianten — Kontrolle der Ausführung durch Vergleichsprozesse mit dem inneren Modell angibt, so entspricht das weitgehend den Vorstellungen aus der Denkpsychologie und auch denen aus der pädagogischen Psychologie über Komponenten der Lerntätigkeit. Die Unterschiede ergeben sich aus der speziellen Funktion der Tätigkeit. So hebt MARKOWA [18] für die Lerntätigkeit in der Phase der Kontrolle neben der Handlungskontrolle die Selbstkontrolle und Selbsteinschätzung hervor und faßt die mittleren drei Phasen zur Phase der Denkhandlung zusammen, die sie als von der Zielsetzung und Motivbildung abtrennbar annimmt. Diese Abtrennung ist bei FRIDMAN [5] nicht zu finden. Er betrachtet zu Beginn eine größere Phase, in der die Ausbildung der Orientierungsgrundlage erfolgt und läßt ihr die Phasen Realisierung des Lösungsplanes sowie Kontroll- und Korrekturphase folgen. F R I D M A N
I I . SYDOW,
Experimentalpsychologische Untersuchungen von Dcnkprozosscn
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hebt die Bedeutung dieser' ersten Phase für die Entwicklung der Problemlösefähigkeit hervor und gibt Hinweise zur Konstruktion der Orientierungsgrundlage für den Unterricht an. Gerade der erste Abschnitt der Lösung von Denkanforderungen ist in den vergangenen Jahren intensiver betrachtet worden und hier berühren sich Bestrebungen aus der allgemeinen und aus der pädagogischen Psychologie. Das Verstehen der Instruktion zu einer Denk- oder Lernhandlung erfordert das Erfassen ihres Inhalts, ihrer Bedeutung, die interne Repräsentation dieses Inhalts und die Erschließungimplizit gegebener Informationen. In einer Serie von Arbeiten hat KINTSCH Prozesse des Yerstehens von Texten untersucht (über ähnliche Untersuchungen berichtet auch BOLSCHTJNOW [2], NEWELL u n d SIMON [20] haben f ü r spezielle K l a s s e n von
Problemtypen diesen Prozeß auch mit Methoden der künstlichen Intelligenz modelliert. Der spezielle Typ von Anforderungen erlaubt es ihnen, die Phase der internen Repräsentation eines Problems (z. B. als Transformationsanforderung) von der Phase der Anwendung von Lösungsmethoden abzutrennen. Intensive Bestrebungen sind in den vergangenen Jahren zu verzeichnen, was den Begriff der Aufgabe, des Problems betrifft. Erst kürzlich haben sich KOSTJUK und BALL [14] dazu geäußert. Sie fordern, daß der Begriff der Aufgabe neben den Begriffen Tätigkeit, Bewußtsein, Einstellung usw. als Kategorie anzusehen ist und tragen Grundzüge einer allgemeinen Theorie der Aufgabe und der Lösungsprozesse unabhängig vom Problemloser und dem Gegenstandsbereich der Anforderung vor. Die gewählte Vorgehensweise scheint mir jedoch ein Schritt zurück im Vergleich zu anderen theoretischen Vorstellungen zu sein. Sicher ist die spezielle Kenntnis des denkenden Subjekts über den Problemhintergrund in die Bestimmung dessen, was ein Problem ist, einzubezichen, so wie es von KLIX [10] durchgeführt wurde. Was die betrachteten Problemtypen bei KOSTJUK und BALL anbelangt, so liegen differenziertere Vorstellungen verschiedener Autoren vor. Theoretische Überlegungen erfordern die Unterscheidung von Klassifizierungs-, Transformations- und Synthese- oder Kompositionsanforderungen und diese Unterscheidung hat sich auch in experimentellen Untersuchungen als zweckmäßig erwiesen. Zunehmende Bedeutung hat die Erage nach der Unterscheidbarkeit begrifflicher und bildhafter Strukturkomponenten des Denkens gewonnen. Die Entwicklung von Modellen zur Repräsentation von Wissen hat zeitweise zu der Auffassung geführt, für alles Wissen gäbe es eine einheitliche begrifflich-propositionale Kodierungsform. Vorstellungen über eine bildhafte Kodierung wurden angegriffen. Damit wurden vor allem Vorstellungen PAIVIOS über eine duale Kodierung von Wissen ohne eine dazwischenliegende begrifflich proposilionale Kodierungsform zu widerlegen gesucht. PAIVIO [24] nahm als die zwei Kodierungsformen unseres Wissens die bildhafte und die sprachliche Kodierungsform an und stellte die Existenz einer weiteren vermittelnden Kodierungsform in Zweifel. Vor allem vier Klassen experimenteller Ergebnisse haben die Existenz bildhafter Vorstellungen in unserem Gedächtnis bekräftigt und den erklärenden Wert dieses Begriffs für die experimentelle Psychologie erhärtet. 30*
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Erstens: Die selektive Interferenz. Wahrnehmungsleistungen in einer Modalität werden durch Prozesse der Reproduktion von Wahrnehmungen in derselben Modalität beeinträchtigt, während simultane Anforderungen in verschiedenen Modalitäten nicht zu solcher Beeinträchtigung führen. Zweitens: Die Rotation bildhafter Vorstellungen. Werden sukzessiv zwei optische Muster dargeboten, über deren Identität bis auf Rotation zu entscheiden ist, so nimmt die Entscheidungszeit mit dem Rotationswinkel zu. Optische Muster, insbesondere Buchstaben und Ziffern, werden offensichtlich zuerst in eine Standardorientierung gedreht und danach identifiziert. Drittens: Die Wirkung der Vorstellungsgröße. Werden zwei Buchstaben sukzessiv dargeboten und ist bei der Darbietung des zweiten Buchstabens über die Identität mit dem zuerst dargebotenen zu entscheiden, so wächst die Entscheidungszeit mit dem Größenunterschied der dargebotenen Buchstaben. Viertens: Ergebnisse zur Abtastung bildhafter Vorstellungen. KOSSLYN [13] bot komplexe Muster dar, forderte anschließend die Probanden auf, einen Teil des Musters in ihrer Vorstellung zu fixieren und fragte danach, ob ein bestimmtes Merkmal in dem Muster enthalten war. Der Abstand zwischen imaginärem Fixationspunkt und abgefragtem Merkmal wurde in diesem Experiment variiert und es zeigte sich, daß die Entscheidungszeit mit diesem Abstand zunahm. G Ü R O W A [ 6 ] hat zu dieser Frage in ihrem Buch „Psychologische Analyse des Problemlösens" wichtige theoretische Überlegungen durchgeführt. Sie hebt hervor, daß bildhafte Denkoperationen simultan eine Vielzahl von Merkmalen zu verändern gestatten, was in der logisch-sprachlichen Ebene nicht in einem Denkschritt möglich ist. Sie spricht von der Existenz einer bildhaften Logik, deren Besonderheiten die Stetigkeit der Transformationen und die stärkere Einschränkung von Freiheitsgraden durch die Berücksichtigung der Randbedingungen der Aufgabe im Vergleich zu formal-logischen Operationen sind. KUDRJAWZEW und KONZEWAJA [16] sprechen in diesem Sinne von drei Strukturkomponenten des technischen Denkens, von der bildhaften, von der begrifflichen und von der Handlungskomponente. Sie konstruierten Aufgaben, die eine oder zwei dieser Komponenten einzusetzen erforderten und prüften den Zusammenhang zwischen den entsprechenden Leistungen. Zwischen der Leistung bei begrifflich-bildhaften Anforderungen und denen bei nur begrifflichen bzw. nur bildhaften Anforderungen erhielten sie hohe Korrelationen, keinen Zusammenhang dagegen zwischen begrifflichen Anforderungen und solchen, die die bildhafte und die Handlungskomponente ansprachen. Varianzanalysen zeigten, daß sich die Ergebnisse bei begrifflich-bildhaften Aufgaben zu 83% aus den beiden Komponenten unabhängig herleiten ließen. Sie gehen also von der relativen Unabhängigkeit bildhafter und begrifflicher Denkleistungen aus. Neben der bildhaft-visuellen, der begrifflichen und der sprachlichen Kodierungsform läßt die Analyse innerer Modelle bei der Tätigkeitsregulation auch noch die motorische Kodierungsform zu und es ist recht schwierig, zur Frage der Interaktion und Wirkungsweise dieser Kodierungsebenen befriedigende allgemeinere Aussagen
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zu formulieren. In speziellen Untersuchungen ziegte sich, daß man wohl auf keine dieser Kodierungsformen zur Erklärung experimentalpsychologischer Befunde verzichten kann. In Trainingsverfahren wird dieser Tatsache auch entsprochen. Zusammenfassend kann gesagt werden: — Die theoretische Analyse von Phasen der Denktätigkeit hat zu neuen Ansatzpunkten für die Gestaltung des Ablaufs von Denkprozessen geführt. — Untersuchungen zur Klassifizierung von Problemtypen erlauben Aussagen über Typen günstiger Lösungsstrategien. — Die Ergebnisse über unterschiedliche Denkoperationen in verschiedenen Kodierungsebenen ermöglichen eine präzisere Erfassung der inneren Bedingungen des Denkprozesses. 2. Einige Ergebnisse neurophysiologischer und psychophysiologischer Untersuchungen Jeder Denkprozeß hat seinen spezifischen psychologischen Inhalt ohne dabei aufzuhören, auch ein physiologischer, nervaler Prozeß zu sein [26, S. 31]. In der parallelen Erfassung des psychischen und des physischen Prozesses können Grenzen des Rückschlusses vom Handlungsverlauf auf den zugrunde liegenden psychischen Prozeß identifiziert und innerhalb dieser Grenzen Hypothesen über den psychischen Prozeß geprüft werden. In dieser Hinsicht haben neuro- und psychophysiologische Untersuchungen vorrangig methodische Bedeutung. Sie werden praktisch bedeutsam, wenn man an die Erfassung von Belastungswirkungen für geistige Anforderungen und an diagnostische Fragen denkt. Wenn es verschiedene Ebenen der Kodierung in unserem Gedächtnis gibt, so kann versucht werden, spezifische Eigenarten derselben durch ihre nervlichen Trägerprozesse zu erfassen. So hat P A T V I O [23] die Frage nach direkten psychophysiologischen Parametern von in der bildhaften Ebene ablaufenden kognitiven Prozessen gestellt und Auswertungen des E E G , evozierter Potentiale und von Augenbewegungen vorgenommen. Am deutlichsten seien bildhafte kognitive Akte mit der Methode evozierter Potentiale zu erfassen. Keine Möglichkeiten zur Identifizierung bildhafter Prozesse seien durch die Auswertung der Pupillenreaktion zu gewinnen. Sehr differenzierte Ergebnisse zur Erfassung der Schwierigkeit transformativer Anforderungen und ihres zeitlichen Verlaufs wurden von K L I X und K R A S S A [11] publiziert. Sie wurden für die Impulsantworten der Pupille und optisch evozierte Potentiale gewonnen. In der Versuchssituation wurden kognitive Anforderungen verwendet, die eine gewisse Ähnlichkeit zum Fortsetzen von Zahlenfolgen in diagnostischen Verfahren aufweisen: es war eine Transformationsregel zu identifizieren, die als Generierungsprinzip einer geometrischen Mustersequenz zugrunde lag. Zyklische Vertauschungen und Spiegelungen von einzelnen Mustermerkmalen wurden gruppentheoretisch verknüpft und erzeugten in ihrer Kombination Komplextransformationen unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades, der durch theoretische Berechnung, subjektive Schät-
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zungcn und die Prädiktionsleistung unabhängig voneinander quantitativ erfaßt wurde. Für unterschiedliche Anforderungen wie Bestätigen oder Zurückweisen einer Transformationsgesetzmäßigkeit sowie Prädiktieren des nächsten Elementes einer Musterfolge wurden in Abständen yon 10 bzw. 16 Sekunden Lichtblitze appliziert und die Impulsantworten der Pupille für die verschiedenen Anforderungen in ihrer zeitlichen Dynamik erhoben. Die Reaktionsprofile, dargestellt über dem zeitlichen Ablauf der Aufgabe (d. h. für den Zeitraum der Informationsvorgabe und die eigentliche Entscheidungsphase einschließlich der Pause nach der Entscheidung) wiesen eindeutig die Wirkung der vorher skalierten kognitiven Komplexität im Abschnitt der Entscheidungsfindung aus. Eine ähnlich monotone Beziehung zeigte die RuheAnforderungs-Differenz im optisch evozierten Potential zur skalierten Schwierigkeit der Anforderungen. Die Untersuchung stellt einen wichtigen Beitrag zur Mikroanalyse der kognitiven Informationsverarbeitungsprozesse auf der Grundlage psychophysiologischer Befunde sowie zur Validierung psychophysiologischer Reaktionsmuster als Indikatoren kognitiver Beanspruchungswirkungen dar. Noch weiteres Eindringen in die Mikrostruktur kognitiver Prozesse wird durch einen Artikel von BECHTEREWA [ 1 ] in Aussicht gestellt. Nachdem es bereits vor über 100 Jahren 1866 SLMONOW gelungen war, Elektroden für längere Zeit ins Großhirn von Tieren zu implantieren, konnten jetzt derartige Methoden zur Diagnose und Therapie beim Menschen eingesetzt werden. BECHTEREWA berichtet über Ergebnisse, die SMIRNOW und S P E R A N S K I bei der Untersuchung der Grundlage von Emotionen in Hirnprozessen erzielten und geht dann auf überraschende Ergebnisse zur Identifizierung des menschlichen semantischen Kodes durch Auswertung der elektrischen Aktivität von Nervenzellensembles ein. Den Probanden wurden Worte wie Birke, Tanne, Fichte, Kiefer vorgesprochen und die elektrische Aktivität einiger Nervenzellgruppen aufgenommen. Durch faktorenanalytische Methoden gelang die Identifizierung gemeinsamer Signaleigenschaften, die zweifach wiedergefunden werden konnten: sowohl, wenn das Wort Baum den Probanden vorgesprochen wurde, wie wenn es als Oberbegriff zu bilden und auszusprechen war. BECHTEREWA schreibt, es sei damit gelungen, Elemente des semantischen Kodes des Menschen im Gehirn ausfindig zu machen. In zweierlei Hinsicht wäre ein solches Resultat einzuordnen. Erstens ist damit ein qualitativ bemerkenswerter Schritt zur Erfüllung der Zielstellung anvisiert, konkrete psychische Prozesse auf eine ganz bestimmte materielle Basis zu beziehen. Zweitens ist damit eine wichtige Aussage RTTBINSTEINS neu zu überdenken. Ausgehend davon, daß das Ergebnis des Denkens als Prozeß Begriffe sind, warnt er davor, diese Begriffe zum Ausgangspunkt der Erforschung des Denkens zu machen, da man sich damit der Gefahr aussetzt, den Gegenstand der eigentlichen psychologischen Forschung aus den Augen zu verlieren. Offensichtlich sind die Forschungsmethoden so weit entwickelt worden, daß Aufschluß über die psychologische Struktur der Begriffe gewonnen werden kann. Ich komme damit zu einem neuen hieran anschließenden Gedanken.
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3. Zur Wechselwirkung zwischen Sprachverstehen und Denkprozeß Das Problem der Wechselwirkung zwischen Sprach verstehen und Denkprozeß ist in der Entwicklung der Denkpsychologie immer wieder in Verbindung mit neuen experimentellen Ergebnissen und theoretischen Ansätzen in neuer Eorm aufgeworfen worden. Es hat eine zentrale erkenntnistheoretische Bedeutung und ist zugleich eines der interessantesten Grundlagenprobleme der Psychologie. KLIX [9] hat in seinem Plenarvortrag auf dem IV. Kongreß unserer Gesellschaft die wissenschaftliche Tragfähigkeit dieses Problems ausgewiesen und zugleich gezeigt, wie aus einzelnen Schritten zur Lösung dieses Problems bedeutsame Anregungen für die angewandte Forschung folgen. Das Problem muß in zweierlei Hinsicht in unterschiedlichen Ebenen betrachtet werden, soll es einer theoretischen und experimentellen Behandlung zugänglich werden. Erstens ist die Aufgliederung im zeitlichen Verlauf zu betrachten. Die Wechselwirkung zwischen Sprache und Denken ist eine ganz unterschiedliche während der Instruktionsaufnahme einerseits und im Verlauf des sich anschließenden Abschnittes des Denkprozesses andererseits. Oberflächeneigenschaften der sprachlich formulierten Instruktion sind nicht zeitlich unbeschränkt verfügbar. Sie verschwinden in wichtigen Teilen bereits einige Minuten nach dem Anhören oder Durchlesen der Instruktion aus unserem Gedächtnis. Die Bedeutung der Instruktion ist danach noch vorhanden, nicht mehr jedoch in der primären sprachlichen Kodierungsebene. Da, wie Ergebnisse zum Bild-Satz-Vergleich zeigen [12], die Umsetzung aus der primären Kodierungsform in der sprachlichen Ebene in eine begrifflich-propositionale Ebene für einzelne Sätze mit Sicherheit in wenigen Sekunden abgeschlossen ist, koexistieren also zwei Repräsentationsformen für einige Zeit in unserem Gedächtnis. Eine Wechselwirkung zwischen der sprachlichen Kodierungsebene und einsetzenden Denkoperationen ist also nur zeitlich beschränkt möglich. An ihre Stelle tritt in Abhängigkeit von der Anforderung eine Wechselwirkung zwischen den begrifflichen und bildhaften Kodierungsebenen. Betrachtet man vorrangig die frühe Phase der Wechselwirkung Sprache-Denken, so stehen also Fragen danach im Vordergrund, ob die wichtige Information aus der Instruktion extrahiert und in einer geeigneten Form intern repräsentiert wird. Ein zweiter Analyseaspekt sei nun betrachtet. Prozesse des Sprachverstehens erfolgen vermittelt durch die inneren Bedingungen, durch das vorhandene Wissen. Diese Interaktion hat sicher eine unterschiedliche Form, je nachdem, ob ein Satz zu behalten, ein Satz mit einem Bild zu vergleichen ist, mehrere (mindestens zwei) Sätze in ihrem Inhalt aufeinander zu beziehen sind, um implizite Informationen erschließen zu können oder ob ein umfangreicherer Text selektiv' zu verarbeiten und auf eine Problemstellung zu beziehen ist. In allen vier Fällen kann man den Prozeß des Sprachverstehens als Abbildung der sprachlichen Information in eine begrifflich-propositionalc Repräsentation auffassen. Die Einheiten dieser Repräsentation können natürlich in einfachen kognitiven Anforderungen besser identifiziert
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werden, als wenn es um das Verstehen eines größeren Textes mit einem Anteil unwichtiger Bestandteile geht. Dabei muß aber die Identifizierung dieser Einheiten auch so erfolgen, daß die Möglichkeit der Anwendung auch komplizierter kognitiver Operationen auf ihre Repräsentationsform nicht ausgeschlossen wird. So gehören die vier Ebenen doch eng zusammen, können aber in ihrer Spezifik nur für sich getrennt untersucht werden. Zu diesen vier Ebenen sollen einige Vorstellungen vorgetragen werden. In der ersten Ebene geht es um die Prozesse des Verstehens einzelner Sätze. Vorrangig um das Verstehen von Aussagesätzen, die eine Situation beschreiben oder ihre Veränderung betreffen, also Handlungen konstatieren. Ich denke also ehei; an einen Satz wie „Peter schlägt den langen Nagel mit dem schweren Hammer
in die
Wand."
als an den in seiner Bedeutung vielfältig zu interpretierenden Satz „Einige Schüler basteln für einen Lehrer ein
Geschenk.",
in dem die unbestimmten Artikel bzw. Quantbren große Schwierigkeiten beinhalten. Die Ergebnisse zum Satz-Bild-Vergleich sind bedeutsam für die Frage nach der Struktur, mit der ein Aussagesatz begrifflich propositional repräsentiert wird. Die Kodierung erfolgt im ersten Beispiel mit drei Propositionen, die wieder untereinander verknüpft sind. Die erste Proposition ist die Verbindung einer Relation, des Verbs „schlagen", mit den drei Argumenten: dem Handlungsträger Peter, dem Objekt x, dem Instrument y und dem Begriff Wand. Damit ist die erste Proposition schlagen {Peter, x, y, Wand). Relationen und Argumente können Begriffe oder aber wieder, wie in unserem Beispiel x und y, Propositionen sein. Denn x ist aus der Eigenschaftsrelation lang und dem Begriff Nagel, y aus der Eigenschaftsrelation schwer und dem Begriff Hammer zusammengesetzt (x = lang (Nagel)-, y = schwer (Hammer)). Die drei Propositionen sind durch die Argumente x und y miteinander verknüpft. Es ist an dieser Stelle unwichtig, ob man eine hierarchische Verknüpfung oder eine ineinandergeschachtelte Verknüpfung dieser Propositionen annimmt, obwohl man, insbesondere für das Verstehen von längeren Texten, eine hierarchische Verknüpfung annehmen muß. Im Beispiel des Satz-Bild-Vergleiches ist dies erstmal relativ unwichtig. Wichtig ist, daß es hier eine übergeordnete Proposition und zwei untergeordnete Propositionen gibt und daß über einer solchen Struktur Vergleichsoperationen und andere kognitive Operationen stattfinden können. Zu dieser Frage der Repräsentation von Sätzen gibt es viele in ihrer Aussage übereinstimmende experimentelle Befunde. Die speziell angenommene Form ist geeignet, Zeitcharakteristika bei Bild-Satz-Vergleichen und bei Gedächtnisexperimenten zu erklären [12]. In der zweiten Ebene geht es um die Frage, welche elementaren kognitiven Operationen bereits beim Sprach verstehen über zwei oder mehreren Sätzen erfolgen. Nehmen wir die zwei einfachen Aussagesätze, „Peter ist größer als Klaus" und „Bernd ist kleiner als Klaus", die bei einfachen Transitivitütsaufgaben, sogenannten 3-Term-Aufgaben vorgegeben werden. Die Frage ist: in welcher Form werden diese
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Sätze als Propositionen repräsentiert? Erfolgen dabei bereits Transformationen, so daß nur noch größer oder nur noch kleiner als Relationen auftreten und wird dann eventuell sogar noch die Transitivitätsoperation ausgeführt, so daß nicht zwei Propositionen, sondern z. B. mit der Proposition größer [Peter, Bernd) drei Propositionen im Verlaufe des Sprachverstehens erzeugt werden. Wir lassen einmal die Tatsache unberücksichtigt, daß interindividuell verschieden bildhafte oder begrifflich-propositionale Repräsentationen entstehen können, bleiben also bei dem Fall, in dem eine begrifflich-propositionale Repräsentation entsteht. Viele experimentelle Befunde zeigen, daß bereits beim Sprach verstehen (über die Referenzauflösung hinausgehende) Inferenzoperationen, im genannten einfachen Beispiel die Transitivitätsoperation, ausgeführt werden. Über vergleichbare Befunde konnten K u x und HOFFMANN [12] bezüglich der Ausführung von Negationen, also ihrer Beseitigung während des Sprachverstehens, berichten. In der dritten Ebene soll nun der Frage nachgegangen werden, wie ganze Texte repräsentiert werden. Es kann angenommen werden [8], daß dies durch eine verbundene, partiell geordnete Liste von Propositionen erfolgt. Während des Verstehens eines Textes werden übergeordnete Propositionen von untergeordneten Propositionen unterschieden, die in verschiedenen Niveaustufen durch das Auftreten gemeinsamer Argumente verbunden und eben dadurch partiell geordnet sind. Es hängt weitgehend von der Aufbereitung des Textes ab, ob die ranghöchsten Propositionen explizit enthalten sind oder aber erst durch inferentielle Operationen erschlossen werden müssen und ob zum Zeitpunkt der Textdarbietung eine Erwartungshaltung hinsichtlich dieser ranghöchsten Propositionen besteht, die die Makrostruktur der internen Repräsentation bestimmen. Das Verstehen eines Textes kann in Abhängigkeit vom Vorhandensein einer derartigen Erwartung die Identifizierung der ranghöchsten Propositionen und das einfache Ausfüllen eines vorhandenen Schemas bedeuten oder aber zusätzlich die inferentielle Erzeugung dieser kritischen Propositionen erfordern. KINTSCH [8] hat in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Experimenten durchgeführt, die zeigen, daß die geziele Konstruktion von Texten oder von orientierenden Schemata das Sprachverstehen merklich erleichtern können. In der vierten Ebene geht es um das Verstehen der verbalen Problemformulierung. Man kann die bisherigen Betrachtungen im Sinne des Ausfüllens eines erwarteten Problemschemas fortsetzen, wenn es sich um eine bekannte Problemklasse handelt. Wenn zum Beispiel ein Transformationsproblem zu lösen ist, so sind aus dem vorgegebenen Text die wichtigsten Merkmale der Problemsituation, Möglichkeiten ihrer Veränderung durch einzelne Transformationen und einschränkende Bedingungen ihrer Anwendbarkeit zu erschließen, damit das Schema der Transformationsaufgabe ausgefüllt und eventuell verfügbare Lösungsmethoden, z. B. Planungsstrategien zur Erzeugung von Teilzielen, eingesetzt werden können. Auch hier geht es um die interne Repräsentation durch eine Menge hierarchisch verknüpfter Propositionen, wobei die Betrachtung von Organisationsprinzipien auf höheren Ebenen bedeutsam wird. Bei experimentellen Untersuchungen wird man nicht mehr mit derselben
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Vollständigkeit eine propositionale Analyse durchführen und auch nicht unbedingt jede im Text enthaltene Proposition in der Gedächtnisrepräsentation wiederfinden. Aber die Abhängigkeiten, die die wichtigsten Propositionen betreffen (Merkmalseigenschaften, Transformationen, Anwendbarkeitsbeschränkungen), müssen intern repräsentiert, notfalls erschlossen werden, damit eine Lösung erfolgreich versucht werden kann. So kann also bereits etwas über das Sprachverstehen zu Beginn eines Denkprozesses gesagt werden, Möglichkeiten der Effektivierung dieses Prozesses sind erkennbar und erste Aussagen über die Wechselwirkung mit vorhandenem Wissen sind möglich. Wichtig sind, abschließend zu diesem Abschnitt, drei Bemerkungen: Erstens: Aussagen über komplexe Ebenen im betrachteten Prozeß sind erst möglich in Verbindung mit Ergebnissen über Prozeßeigenschaften auf weniger komplexen Ebenen. Zweitens: Die dargestellten Ergebnisse konnten nur in enger Verbindung mit linguistischen Untersuchungen erzielt werden und zeigen die Notwendigkeit psycholinguistisch orientierter Begriffsanalysen für die Erklärung des Wechselverhältnisses zwischen Sprachverstehen und Denkprozeß. Drittens: Ein großer Teil der formulierten Aussagen ist, insbesondere was die höheren Ebenen betrifft, in Verbindung mit präzisen Vorstellungen zur Simulation derartiger Prozesse auf leistungsfähigen Großrechnern erarbeitet worden. Wichtige Aspekte des Verstehens einer Problemstellung werden von Programmsystemen realisiert, die in der künstlichen Intelligenz geschaffen wurden. 4. Die Untersuchung deduktiver Schlußprozesse und das Verhältnis zwischen Logik und Denken Unsere Denkprozesse sind in ihrem objektiven Charakter dadurch bestimmt, wie sie Gesetzmäßigkeiten der objektiven Realität adäquat widerspiegeln. Die Adäquatheit der Widerspiegelung ist praktisch prüfbar. Gesetzmäßige Zusammenhänge können wir ausnutzen, um auf der Grundlage bekannter Fakten neue Fakten vorherzusagen, deren Gültigkeit geprüft werden kann. Soweit diese Zusammenhänge mit Mitteln der formalen Logik beschreibbar sind, entspricht diese Ausnutzung gesetzmäßiger Zusammenhänge bestimmten logischen Schlußweisen. Begehen wir Fehler bei dieser Vorgehensweise, so können drei Fehlerkomponenten vorliegen: — Wir verfügen nicht über die adäquate Widerspiegelung der Gesetzmäßigkeit. — Wir haben für ihre Anwendung unvollständige Kenntnis hinsichtlich der Bedingungen ihrer Gültigkeit. — Wir verstoßen gegen die Regeln logischen Schließens. Diese drei Komponenten machen zweierlei deutlich: — Logische Schlußregeln sind transponierbar, können also weitgehend unabhängig vom konkreten Gegenstandsbereich eingesetzt werden und sind ein wesentlicher
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Bestandteil unseres Denkens, soweit es über unmittelbar gegebene empirische Fakten hinaus Potenzen besitzen soll. — Es ist wichtig zu wissen, in welchem Grade ein Mensch über die Kompetenz logischen Schließens verfügt und diese Kompetenz unter verschiedenen konkreten Bedingungen realisiert. Die Gültigkeit abstrakter logischer Beziehungen unter verschiedenen konkreten Bedingungen macht nach G U R O W A [6] das Verhältnis zwischen Logik und Semantik, zwischen Form und Inhalt aus. Ob es, wie sie meint, die Auflösung des Verhältnisses zwischen begrifflich-logischen und anschaulich-bildhaften Denkoperationen ermöglicht, muß im Sinne der bisher durchgeführten Überlegungen angezweifelt werden. Ich möchte im weiteren Ergebnisse experimenteller Untersuchungen hervorheben, die die Kompetenz logischen Schließens zum Gegenstand haben. In vier Ebenen können hierzu Aussagen formuliert werden: — zum Verstehen aussagenlogischer Verknüpfungen — zur Interpretation von Quantoren — zur Ableitung deduktiver Schlußketten in der Aussagenlogik und — zum Schließen mit Quantoren. Zum Ersten: Das Verstehen logischer Verknüpfungen wie „und, oder, wenn dann, genau dann wenn" ist in der Begriffsbildungsforschung (also im Bereich induktiver Hypothesenbildung), mit der Methode des Yerifizierens von Verknüpfungen und mit dem Ausnutzen von Verknüpfungen zur Deduktion untersucht worden. Die wichtigsten Ergebnisse sind die folgenden: — Es gibt eine konsistente Schwierigkeitsrangreihe der logischen Verknüpfungen. — Während einfachere logische Verknüpfungen weitgehend unabhängig von den konkreten Bedingungen sind, ist insbesondere die Implikation sowohl von der Bedeutung wie von der Vertrautheit der konkreten Bedingungen sehr stark abhängig. — Die Implikation wird unter abstrakten Bedingungen konsistenter interpretiert als unter bedeutsamen Bedingungen. Sic wird zu 60 bis 75% mit der beidseitigen Implikation verwechselt. Zum Zweiten: Quantoren, und ich meine dabei die exakten Quantoren „es gibt •ein" und „für alle" und nicht unscharfe, in unserer Sprache häufig verwendete unbestimmte Quantoren, werden auf einfachere Klassenrelationen reduziert. Erst die experimentellen Untersuchungen der letzten Jahre lieferten dazu detaillierte Ergebnisse [19] und erlauben die Erklärung von Fehlern beim syllogistischen Schließen. Zum Dritten: Für das Schließen im Aussagenkalkül konnte O S H E R S O U [22] auf der Grundlage interessanter methodischer und theoretischer Verfahren elementare deduktive Operationen von zusammengesetzten Operationen unterscheiden und bezüglich der Abhängigkeit von der inhaltlichen Variation feststellen: äquivalente Umformungen sind inhaltsabhängig, Schlußketten von Implikationen sind weitgehend vom konkreten Inhalt unabhängig.
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Zum Vierten: Fehler beim Schließen mit Syllogismen sind vorrangig auf die unzutreffende Interpretation der eingehenden Quantoren und nicht auf den falschen Gebrauch logischer Verknüpfungen zurückzuführen. Das Schließen mit Syllogismen ist stark vom konkreten Inhalt abhängig und ist zu einem erheblichen Fehleranteil durch Sprachverarbeitungsprozesse, also linguistische Faktoren, bedingt. Diese Ergebnisse zeigen, daß in den letzten Jahren eine weitgehende Systematik zur Kompetenz logischen Schließens erarbeitet wurde. Was fehlt, sind Untersuchungen zur Vermittlung dieser Kompetenz in Lernprozessen.
5. Zur Ausbildung von Strategien und zum Strategietraining Der Strategiebegriff in der Denkpsychologie ist in seiner Bedeutung besonders deutlich zu begreifen, wenn wir ihn den Denktheorien gegenüberstellen, in denen Denkprozesse vorrangig oder gar ausschließlich durch wahrnehmungsanaloge Umstrukturierungsprozesse erklärt werden, die eine Wechselwirkung zwischen dem Objekt des Denkprozesses und seinem Subjekt überflüssig machen. F a ß t man ganz allgemein den Strategiebegriff als regelhafte bedingungsabhängige Festlegung von Handlungsschritten bzw. Denkoperationen, so wird diese einseitige Auffassung über den Charakter von Denkprozessen überwunden. Strategien sind in vielfachem Zusammenhang betrachtet worden. Wir wollen verschiedene Strategie typen nach ihrer Funktion und nach ihrem Allgemeinheitsgrad unterscheiden. Zuerst zur Funktion: Nach OERTER [21] dienen Strategien der Informationsverringerung oder der Festlegung einer Handlungsfolge unter einer mit der Länge exponentiell anwachsenden Vielzahl konkurrierender. Zusätzlich muß zwischen Strategien in dynamischen oder statischen Phasen kognitiver Prozesse unterschieden werden. KLIX [10] definiert 'Strategien als Entscheidungsregeln, durch die Hypothesen abgearbeitet oder korrigiert werden und meint damit vor allem die Art von Strategien, die der Informationsverringerung unter statischem und dynamischem Aspekt dient. Solche Strategien sind vor allem in der Begriffsbildungsforschung betrachtet worden. Beim Problemlösen geht es mehr um die Festlegung von Handlungsfolgen zur Informationssuche — beim dynamischen Aspekt — bzw. für fertig ausgebildete, im eingelernten Zustand verfügbare Vorgehensweisen. Nun zum Allgemeinheitsgrad von Strategien FRIDMAN [5] unterscheidet vier Ebenen von Orientierungsgrundlagen geistiger Handlungen und formuliert damit vier unterschiedlich allgemeine Strategiebegriffe, nämlich: — Lösungspläne für einzelne Aufgaben bzw. Probleme — Algorithmen zur Lösung von Aufgabenklassen — heuristische Schemata zur Erarbeitung eines Lösungsplanes — heuristische Algorithmen zur Erarbeitung von Algorithmen für Aufgabenklassen. Von der ersten zur vierten Ebene kann man von einer Zunahme der eigentlichen Fähigkeit zum Bewältigen von Denkanforderungen sprechen. Gleichzeitig nimmt der algorithmische Charakter ab und der heuristische Anteil zu. Dieser ist vor allem
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mit einer besonderen Flexibilität verbunden, der sich an recht allgemeinen lösungsweisenden Begriffen wie etwa der Material- und Konfliktanalyse bei DUNCKER orientiert und Aspekte des Strategiewechsels einschließt. Denn feste Strategien haben wohl ihre Bedeutung für zugeordnete Aufgabenklassen, sind aber eine negative Belastung für den Denkprozeß, wie Untersuchungen zur Einstellung im Problemlösen zeigen, wenn diese Aufgabenklasse nur geringfügig variiert wird. Strategien als Handlungsvorschriften durchlaufen im allgemeinen verschiedene Phasen ihrer Entstehung. Sie entstehen zwar ursprünglich, in sehr vielen Fällen, in enger Verbindung mit dem noch planlosen Handlungsprozeß, werden aber in ihrer Ausdifferenzierung zunehmend gedankliche Handlungspläne, die einen hohen Interiorisationsgrad aufweisen. Sie sind in dieser Form jedoch nur Durchgangsstadien und koexistieren später mit einfachen Klassifizierungsregeln für die Handlungssteuerung oder sogar festen Zuordnungsregeln mit extrem schnellem zeitlichen Zugriff. Es scheint so zu sein, daß diese Klassifizierungsregeln oder Zuordnungsregeln aus ökonomiegründen gebildet und ihrer Funktion nach Einschränkungen der eigentlichen Strategie auf engere Geltungsbereiche mit hoher Bedeutsamkeit für den Handlungsprozeß darstellen. Die vielfältigen Ergebnisse zur Entstehung von Strategien für Handlungsfolgen können hier nicht referiert werden. Besonders interessant erscheinen jedoch Ergebnisse zur Determination von Strategien durch die Anforderungsstruktur, über Erscheinungen des Strategiewechsels und über lokale und globale Strategien [10, 15, 28],
Viel weniger wissen wir heute über Möglichkeiten des Strategietrainings. Entsprechend den vier Ebenen von Orientierungsgrundlagen von FRIDMAN [5] läßt sich eine grobe Einteilung von Trainingsverfahren vornehmen. Zuvor drängt sich aber die Frage auf, ob nicht die einfachste Förderung von Denkleistungen darin besteht, ein möglichst vollständiges Repertoire geistiger, relativ elementarer Operationen zu üben. Die Ergebnisse, über die LOMPSCHER [17] zur Entwicklung geistiger Fähigkeiten berichtet, sind von großer praktischer und theoretischer Bedeutung. Sie sind aber an die verwendeten Altersstufen mit ihrer beschränkten Problemlösefähigkeit gebunden. In einer Untersuchung von PUTZ-OSTEKLOH [25] zeigte sich zum Beispiel, daß das Üben spezieller Operationen (z. B. der Identifizierung von Objektunterschieden) keinen positiven Einfluß auf Problemlöseleistungen hat. Methoden der Ausbildung von Strategien für einzelne Aufgaben und Aufgaben-, klassen sind vielfach untersucht und verglichen worden. Am häufigsten wurden drei Bedingungen verglichen: das Behalten einer demonstrierten Lösung, die Erklärung einer Lösung und das selbständige Finden einer Lösung. Die beste Transferleistung wurde im allgemeinen bei der dritten Bedingung gefunden, während das Einprägen einer demonstrierten Lösung am schlechtesten abschnitt. So wichtig dieses Ergebnis auch vom Effekt her ist, muß doch festgestellt werden, daß die bessere Transferleistung auch immer mit intensiverer Beschäftigung mit der Anforderungsstruktur verbunden ist, so daß eine theoretische Erklärung trivial ist oder sehr schwer fällt.
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Eine große Gefahr bei der Ausbildung von Strategien ist die Festlegung auf einfachere Strategievarianten. Sie kann nur vermieden werden, wenn der Gültigkeitsbereich der auszubildenden Strategie verdeutlicht wird, kurz gesagt, wenn ausreichend viele und charakteristische negative Beispiele demonstriert werden. Die Vermittlung allgemeiner heuristischer Lösungsverfahren und von Kenntnissen über unterschiedliche Klassen von Denkanforderungen sind im allgemeinen sehr wirkungsvoll. Es kann damit erreicht werden, daß — bessere Teilziele gebildet bzw. schlechte Teilziele schneller, und zwar bereits gedanklich ausgeschlossen werden, — die Relationen zwischen Teilzielen besser beachtet und — tiefere Planungssequenzen möglich werden. Neben den Angaben zur positiven Wirkung des Verbalisierens der Vorgehensweise (auch auf neuere Ergebnisse von DÖRNER [4] zur Selbstreflexion sei verwiesen), findet man in der Literatur auch einige Ansätze zur Schulung des produktiven oder kreativen Denkens, so zum Beispiel die von SUCHMANN [27] (vgl. [3]). E r studierte Verfahren zur Förderung der Analyse von Problemsituationen und entwickelte m i t seinen Methoden vor allem die aktive Informationssuche in frühen Abschnitten von Denkprozessen. Abschließend möchte ich darauf hinweisen, daß natürlich der Strategiebegriff auch seine Bedeutung im Bereich des deduktiven Schließens und für die Analyse verbaler Problemstellungen besitzt, so wie Methoden des deduktiven Schließens auch für das Sprachverstehen in frühen Abschnitten von Denkprozessen bedeutsam sind. Beziehungen zwischen den drei noch einmal genanntfen Bereichen sollten, das war jedenfalls meine Absicht, bei den Ausführungen in den drei Abschnitten deutlich werden. Zugleich hoffe ich, daß die Überschrift meines Vortrages nicht dahingehend verstanden wurde, daß ausschließlich experimentelle Untersuchungen ohne eine theoretische Orientierung vorgetragen werden würden. Im Gegenteil, gerade die Geschichte der Denkpsychologie zeigt uns, daß das psychologische Experiment n u r dann einen theoretischen und praktischen Gewinn bringt, wenn es auf der Grundlage ausreichend spezifizierter theoretischer Vorstellungen über den Charakter psychischer Prozesse und ihrer Komponenten geplant ist. Zusammenfassung Es werden einige Entwicklungsrichtungen in der Denkpsychologie dargestellt und diskutiert. N e u e Vorstellungen über P h a s e n der D e n k t ä t i g k e i t u n d über S t r u k t u r k o m p o n e n t e n v o n Denkprozessen werden referiert. Über neurophysiologische und psychophysiologische U n t e r s u c h u n g e n wird berichtet, die versuchten, theoretische Vorstellungen über den Charakter, den Verlauf und B e d i n g u n g e n v o n Denkprozessen zu prüfen. D e d u k t i v e und i n d u k t i v e Schlußprozesse w u r d e n in den letzten 10 Jahren untersucht und erbrachten neue Erkenntnisse zum Verhältnis zwischen Logik und Denken. In Verbindung mit linguistischen Forschungsarbeiten wurde eine Vielzahl neuer Erkenntnisse über das Verhältnis zwisclieij Sprache u n d D e n k e n , zwischen begrifflichen und bildhaften D e n k h a n d l u n g e n gewonnen. Der Übergang v o n U n t e r s u c h u n g e n der A u s b i l d u n g einzelner Problemlösestratcgien zur Erforschung allgemeinerer Problemlösefähigkeiten wird diskutiert.
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Summary Some trends in psychology of thinking arc discussed. New approaches to the stages of problem solving and to the components of t lie process of thinking are presented. A review of recent neurophysiological and psychophysiological investigations tries to analyze the process and the conditions behind the process of thinking. B y way of investigating inductive and deductive inference new knowledge has been gained as to the relation of logic and thinking within the last 10 years. In connection with research work in psycholinguislics various new results as to the relation between language and thinking and between conceptual and imagery ways of thinking have emerged. The author deals with the transition from investigations of the formation of single problem solving strategies to researches on the more general abilities of problem solving.
PeaiOMe O S c y w j j a i o T C H HeKOToptie HanpaBJieHHH pa3BHTiiH B n c j t x o j i o r m i MtiuijieHHH, M e w j i y HHMH HOBTIE NPEACTABJIEHHH O $A3AX MUCJNRRENBHOFT NEHTENBHOENI H O CTPYKTYPHHX KOMNOHEHTAX MHCJIHT6JII>Horo
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Darin drückt sich die Annahme aus, daß die Ähnlichkeitsurteile durch K o m b i nation verschiedener Ausprägungsgrade von Objekteigenschaften zustande kommen. Die erfolgreiche Durchführung einer M D S ergibt somit den funktionalen Zusammenhang f , die Skalenwerte xik und die Kombinationsregcl g. Meßtheorctisch b e t r a c h t e t gehört die M D S damit zu den Dekompositionsmodellen, da ihr allgemeines Grundanliegen dem der simultanen Mehrfachmessung [20] entspricht: Dekomposition von komplexen Phänomenen (Ähnlichkeit) in eine Menge von Grundfaktoren (Dimensionen) in Übereinstimmung mit einer spezifischen Kombinationsregel (Distanzfunktion). Prinzipiell kann diese Aufgabe auf zwei Wegen gelöst werden. Sind diese Grundfaktoren bekannt, kann eine unabhängige Skalierung auf diesen einzelnen Dimensionen und nachfolgende Bestimmung der Kombinationsregel erfolgen. Wenn aber nur die E f f e k t e des Zusammenwirkens dieser Faktoren bekannt sind, müssen simultan die Reduktion dieser Effekte auf die Grundfaktoren und die Kombinationsregel gefunden werden. Gerade dies leistet die MDS mit ihrem spezifischen Ansatz der lnbeziehungsetzung von Ähnlichkeiten und Distanzen in mehrdimensionalen Räumen.
II. HAGENDORF, Mehrdimensionale Skalierung
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2. Bedeutung der MDS Das Interesse an der MDS läßt sich innerhalb der vier Standpunkte begründen, die nach TORGERSON [53] zu einer Beschäftigung mit Skalierungsverfahren führen können: 1. Aus der Sicht der Meßtheorie interessieren vor allem die Bedingungen und Umstände der Angemessenheit von Skalierungsverfahren für bestimmte Datentypen. 2. Im Rahmen der Strukturanalyse von Objektmengen stellt die MDS eine mögliche Methode dar, um Strukturen sichtbar und experimentell handhabbar zu machen. 3. Die Skalierung wird zur Erstellung von Eigenschaftsskalen für Objekte gebraucht. Diese Skalen sind Grundlage für Beschreibungs- und Erklärungsansätze bestimmter Phänomene. 4. Die Skalierungsmodelle können als Modelle von Urteils- und Wahrnehmungsstrukturen angesehen werden. In der experimentellen psychologischen Forschung waren es vor allem die Punkte 2 bis 4, welche zu dem ausgeprägten Interesse an der MDS über die eigentliche Skalierungsabsicht hinaus führten. Diese drei Aspekte werden im folgenden nochmals erläutert, um darauf aufbauend nach Darstellung der Verfahren an Hand experimenteller Untersuchungen den Wert des Einsatzes der MDS für die Psychologie zu belegen. Es sei schon jetzt vermerkt, daß gerade dieses breite Spektrum an Fragestellungen, zu deren Beantwortungen die MDS ein Hilfsmittel sein kann, dazu zwingt, dem Punkt 1 verstärkt Beachtung zu schenken, um das theoretische Verständnis zu vertiefen [10, 20, 31]. Die Funktion der MDS im Erkenntnisprozeß läßt sich in folgenden Punkten fassen: 1. Die MDS ist ein Hilfsmittel zur Reduktion von Datenmengen und zur anschaulichen Repräsentation der Beziehung zwischen Objekten. Die n (n — i)/2 Ähnlichkeiten aller Objektpaare werden durch n • m Skalenwerte repräsentiert. Dies fördert einerseits den Kommunikationsprozeß in der Psychologie, ermöglicht andererseits einen Vergleich von Experimenten und gestattet eine Analyse der Änderung solcher Ähnlichkeitsstrukturen bei Bedingungsvariationen jeglicher Art. In diesem Zusammenhang wird das Ergebnis nur als eine andere Form der Beschreibung experimenteller Daten interpretiert. 2. Davon abzuheben ist die MDS als Mittel der Strukturanalyse zur Aufdeckung bisher unbekannter Kategorien und Ordnungsgesichtspunkte in der betrachteten Objektmenge. Solche neuen Einsichten können in der Bereitstellung von Skalen für Objektdimensionen bestehen, die verschiedenen Verhaltensdaten zugrunde liegen. Der Einsatz der MDS entspringt einer verallgemeinerten psychophysikalischen Fragestellung nach der Identifizierung und Skalierung hypothetischer Wahrnehmungsräume. Die Dimension bekommt den Charakter eines perzeptiven Strukturkonzepts. Neben der Identifizierung von Dimensionen und der Bereitstellung entsprechender Skalen können über die MDS aus den Ahnlichkeits-
480
Z. Psychol. Bd. 186 (1978) II. 4
beziehungen auch andere Strukturen, wie z. B. Klassenbildungen u. ä. [44] sichtbar gemacht werden. Es wird die Annahme formuliert, daß die metrische Repräsentation von Ähnlichkeiten Eigenschaften subjektiver Strukturbildungen widerspiegelt. Daher sind solche mehrdimensionalen Darstellungen ein Mittel zur Kalibrierung und Normierung von Objektmengen für weitere experimentelle Untersuchungen und zur Verschärfung von Hypothesen für die Erklärung anderer Verhaltensdaten. Die räumliche Repräsentation als Charakteristik interner Strukturbildungen rechtfertigt den Einsatz der MDS als Mittel der Hypothesenprüfung. Daraus resultiert letztlich die große Bedeutung der MDS für den Nachweis und die Analyse von Änderungen in der Wahrnehmung und subjektiven Organisation einer Objektmenge, wie dies besonders bei diagnostischen, lernund entwicklungspsychologischen Fragestellungen interessiert. 3. Das Skalierungsmodell liefert eine Strukturhypothese über einen Urteilsvorgang. Unter diesem Aspekt wird nach dem Erklärungswert formaler Bestimmungsstücke des Modells, wie z. B. der Kombinationsregel gefragt. Diese formalen Größen können zu Urteilsprozessen in Beziehung gesetzt werden, da sich in den empirisch ermittelten Ähnlichkeiten neben Eigenschaften der subjektiven Organisation der Objektmenge auch Eigenschaften des Urteilsprozesses zeigen müssen, der zu diesen Daten führt. Es interessiert in diesem Zusammenhang nicht der Gegenstand der Messung (Objekte), sondern das Meßinstrument (Urteiler). Dies führt auf Fragen nach intra- und interindividuellen Unterschieden in den Urteils- und Wahrnehmungsstrukturen [19]. Vor allem die in den Punkten 2 und 3 angesprochenen Aspekte zwingen zu einer sorgfältigen Analyse der Eigenschaften von Skalierungsmodellen, die von der syntaktischen Analyse ihres formalen Aufbaus über die semantische Interpretation des Modells im Sinne von 2 und 3 b ; s hin zur Validierung der Ergebnisse reicht. 3. Daten und Modelle 3.1. Grundschritte der MDS Abgeleitet aus den im Abschnitt 1 formulierten Grundannahmen sind bei einer MDS vier Schritte zu durchlaufen. Der erste Schritt ist die empirische Bestimmung der Information über Ähnlichkeiten zwischen Objekten einer Menge X bzw. über Präferenzen jedes Probanden (Pb) einer Menge Y gegenüber den Objekten einer Menge À". Diese empirische Stufe ist sehr wichtig, weil Fehler in dieser Phase der Planung und Ausführung der Datenerhebung auch durch die nachfolgenden formalen Verfahrensschritte nicht mehr ausgeglichen werden können. Entsprechend der Datenklassifikation von SHEPABD [43] in Anlehnung an COOMBS [9] liegt dann für jeden Probanden Yk entweder die Menge der Ähnlichkeiten k s ( i , j ) als Schätzwerte oder abgeleitete Maße, die Rangordnung solcher Ähnlichkeiten oder die Menge der Ergebnisse k p { i , j ) von Präferenzentscheidungen vor. Informationen über Präferenzen ergeben sich z. B. bei einem
H . H A G E N DORF, M e h r d i m e n s i o n a l e
Skalierung
481
Paarvergleich zweier Objekte, wenn der Proband Yk von zwei Objekten xt und Xj das von ibm bevorzugte nach einem vorgegebenen Gesichtspunkt auszuwählen hat. Der zweite Schritt beinhaltet die in Abschnitt 1 genannte Festlegung der Kombinationsregel g und der Beziehung f zwischen Ähnlichkeiten (Präferenzen) und Distanzen. Für die ordinale MDS könnte g die Summe absoluter Differenzen von Skalenwerten der Objekte auf den Dimensionen und die Beziehung f als Monotonieforderung (siehe Abschnitt 1) formuliert sein. • Auf der Grundlage dieser Schritte ist schließlich ein konkretes Verfahren anzugeben, welches die metrische Repräsentation leistet und die Skalenwerte errechnet. Der letzte und sehr wichtige Schritt'bei der Hervorhebung des modelltheoretischen Aspektes der Skalierung ist die Validierung und Interpretation der Ergebnisse. Da inferenzstatistische Aussagen beim gegenwärtigen Stand kaum möglich sind, k o m m t es vor allem auf den Vergleich verschiedener Datensätze und der Ergebnisse verschiedener Modelle sowie die externe Validierung der Ergebnisse an. Bisherige Erfahrungen mit der MDS lassen sich in der Forderung nach einem methodenkritischen Vorgehen zusammenfasseil. 3.2. Methoden der Datengewinnung Die empirische Stufe der MDS, die Datengewinnung, war als sehr wesentlich für die Güte des Ergebnisses gekennzeichnet worden. Im Prinzip können die verschiedensten Reaktionsformen für diese Bestimmung von Ähnlichkeiten zwischen Objekten oder zwischen Personen und Objekten (Präferenzen) eingesetzt werden, wenn sie nur als Indikator geeignet sind. Im allgemeinen muß ein Ähnlichkeitsmaß vorliegen, das folgende Forderungen erfüllt:
0 s{i,j) = s(j,i)^s{i,i)=s(j,j)
für
i4=j.
Zu unterscheiden sind mindestens intervallskal>erte Ähnlichkeiten mit diesen Eigenschaften von Rangreihen der Ähnlichkeiten. Stellt st die Ähnlichkeit s(i, j) des Objektpaares (x t , xj) mit der größten und sN die des Paares mit der kleinsten Ähnlichkeit dar, dann liegt bei N = n (n —1)/2 Objektpaaren im letzten Fall anstelle metrischer Information nur eine Rangreihe sl^s2— • • • sN vor. Der Begriff der Ähnlichkeit steht in enger Beziehung zu Begriffen wie Affinität, Assoziation, Substituierbarkeit u. ä. Im Prinzip sind neben allen eindimensionalen Skalierungsverfahren [53, 45] zur Skalierung der Ähnlichkeit auch andere Reaktionsformen einsetzbar. Die folgende Zusammenstellung gibt einen Überblick: Die erste Gruppe betrifft die Verwendung direkter eindimensionaler Skalierungsverfahren. So wird beim Rating von dem Pb ein Schätzwert für die Ähnlichkeit zweier Objekte verlangt. Verwendet wird auch die Methode der gleicherscheinenden Intervalle für Objektpaa^e und die Verhältnisschätzung, bei der die Pbn den Grad der Übereinstimmung zweier Objekte auf einer Prozentskala anzugeben haben. Die zweite Gruppe betrifft den Einsatz indirekter Skalierungsverfahren: Eine
482
Z. Psychol. Bd. 186 (1978) H. 4
direkte Erweiterung des Paarvergleiches für Objekte ist der Paarvergleich für Objektpaare, in dem der Pb aus zwei Paaren das mit der größten Ähnlichkeit (Unähnlichkeit) auszuwählen hat. Eine andere Variante ist der Tripelvergleich, bei dem der Pb zu einem Objekt Xi zwei Objekte Xj und xt vorgelegt bekommt, aus denen das zu xi ähnlichere (unähnlichere) auszuwählen ist. Noch ökonomischer ist das Verfahren der multiplen Rangreihen, bei dem einem Pb jedes Objekte« der Menge X einmal als Bezugsobjekt vorgegeben wird. Er hat dann die restlichen Objekte der Menge hinsichtlich der Ähnlichkeit zum Bezugsobjekt in eine Rangreihe zu bringen. Zu nennen wäre auch die Methode der sukzessiven Intervalle, bei der Objektpaare in die Kategorien eines vorgegebenen geordneten Kategoriensystems einzuordnen sind. Im Ergebnis liegt in jedem Fall nur ordinale Information über Ähnlichkeiten vor, die aber nach den bekannten Modellen der eindimensionalen Skalierung in metrische umgewandelt werden kann. Wichtige Methoden, die schon eine Ubergangsform zur letzten Verfahrensgruppe darstellen, bilden Sortierverfahren. Im einfachen Sortieren hat die Vp z. B. die Menge X von Objekten in eine frei wählbare Anzahl von Gruppen aufzuteilen, so daß Objekte in einer Gruppe ähnlicher sind als Objekte in verschiedenen Gruppen. Eine dritte Gruppe nutzt andere Reaktionsformen als Urteile der genannten Art. Eine Möglichkeit ist z. B. die Verwendung der Häufigkeit, mit der ein Objekt im Mittel die Funktion eines anderen übernehmen kann (Substituierbarkeit), als Maß der Ähnlichkeit. Ein anderer Parameter ist die Konfusionswahrscheinlichkeit, wie sie aus Wahrnehmungs- und Lernexperimenten bestimmt werden kann. In analoger Weise können auch Entscheidungszeiten in Diskriminationsanforderungen zur Charakterisierung von Ähnlichkeiten herangezogen werden. Die denkbaren Möglichkeiten sind damit noch nicht ausgeschöpft. Sic gründen sich auf die funktionale Rolle latenter Ähnlichkeitsbeziehungen in Anforderungen analog zu den genannten. Eine letzte Möglichkeit sei noch angedeutet, wenn ausgehend von Profildaten [43] eine definitorische Festlegung der Ähnlichkeit erfolgt, wie es in der Clusteranalyse üblich ist [3, 28]. Gerade die Skalierung von Datensätzen, die mit verschiedenen Methoden gewonnen wurde, erlangt nach 3.1. an Bedeutung. Zur Veranschaulichung sei kurz der methodische Teil einer Arbeit von IIENLEY [17] dargestellt. Sie untersuchte die Struktur eines semantischen Bereiches (Tiernamen) mit 5 der genannten Methoden: 1. Die Pbn hatten in der vorgegebenen Zeitspanne von 10 Minuten alle ihnen einfallenden Tiernamen zu nennen. Für eine Menge von 12 Namen wurde für alle Paare die Differenz der Positionen dieser Namen in den Listen der Urteiler bestimmt. Diese Distanzen wurden durch die jeweilige Listenlänge dividiert, über alle Urteiler gemittelt und als Unähnlichkeitsmaß verwendet. 2. Die Pbn hatten für jedes Wortpaar auf einer 10-Punkt-Skala die Unähnlichkeit einzuschätzen. Die Daten wurden ebenfalls gemittelt. 3. Den Pbn wurden alle Tripel von Objekten vorgelegt. Sie hatten in jedem Tripel das ähnlichste und unähnlichste Paar auszuwählen [53], Daraus wurden Unähnlichkeiten bestimmt.
II. IIAGENDOEF, Mehrdimensionale Skalierung
483
4. Die Pbn hatten zu einem vorgegebenen Wort das nächste ihr einfallende aus der genannten Kategorie zu nennen. Alle Worte wurden einmal als Reizwort verwendet. Die zu zwei Worten X{ und Xj ermittelte Anzahl gemeinsamer Assoziationen ergab das Ähnlichkeitsmaß. 5. Die Worte wurden in einem Paarassoziationslernen als Reiz- und Antwortitems verwendet. Die experimentell ermittelten Konfusionshäufigkeiten zweier Worte waren die Ähnlichkeitsmaße. H E N L E Y k a m zu dem Ergebnis, daß die unterschiedlichen Methoden zu sehr ähnlichen Ergebnissen bei Verwendung des gleichen Skalierungsmodells führen. Die Ähnlichkeit bezieht sich auf die Clusterstruktur relativ zu den extrahierten und interpretierbaren Dimensionen. Einen analogen Vergleich führten L Ü E R und Mitarb. [26] mit Schätzurteilen, Entscheidungszeiten und Verwechslungshäufigkeiten bei geometrischen Figuren mit einem ähnlichen Ergebnis durch. Über weitere Methoden informiert der Sammelband von R O M N E Y und Mitarb. [36]. Obwohl nur Ähnlichkeiten betrachtet wurden, läßt sich analoges für Präferenzdaten sagen, so daß darauf nur im Zusammenhang mit konkreten Modellen und Experimenten eingegangen wird. Um die weiteren Verfahrensschritte verfolgen zu können, erscheint es angebracht, einige Eigenschaften metrischer dimensionaler Räume zu betrachten. 3.3. Typen metrischer Eäume Das Ziel der MDS ist die Abbildung subjektiver Ähnlichkeitsschätzungen für Objektpaare in metrische Distanzen zwischen den entsprechenden Objektpunkten eines mehrdimensionalen Raumes. Die metrische Distanzfunktion d(i,j) legt fest, wie die einzelnen Dimensionen zur globalen Ähnlichkeit beitragen. Rei den zu betrachtenden Verfahren wird die globale Distanz d(i,j) als Funktion spezifischer Distanzen auf den einzelnen Dimensionen dargestellt. Als spezifische Distanz der Objektpunkte Xi und xj auf der Dimension k wird die absolute Differenz \xiic—xjic\ der Projektionen der Punkte auf diese Dimension definiert. Die Kombination dieser spezifischen Distanzen zu einer globalen Distanz wird häufig nach einer der drei folgenden bekannten Funktionen vorgenommen. Der euklidische Abstand d2(i, j) = ( \ x i í — x j í \ 2 + . . . + \xi m —Xj m \ 1 ) 2 bleibt bei Verschiebung aller Punkte um eine konstante Strecke oder bei Rotation der Achsen unverändert. Diese Invarianz bei Rotation kann ähnlich wie in der Faktorenanalyse für die Interpretation der Dimensionen genutzt werden. Zur Veranschaulichung sei gesagt, daß in einem R a u m mit 2 Dimensionen alle Punkte mit dem Abstand 1 vom Ursprung auf einem Kreis mit dem Radius 1 um den Ursprung liegen. Der City-block-Abstand di(i,j) = \xn — +. . . + \xim — Xim\ kann mit der Vorstellung vom Urteilsprozeß veranschaulicht werden, daß komponentenweise Differenzen gebildet und aufsummiert werden. Dieser Abstand ist nicht invariant gegenüber Rotation. Alle Punkte mit dem Abstand 1 vom Ursprung liegen im zweidimensionalen R a u m auf einem Q u a d r a t mit der Seitenlänge 2, dessen Eckpunkte bei den Werten ± 1 auf den Achsen liegen.
484
Z. Psycho], Btl. 186 (1978) II. i
Der Dominanzabstand d„ (¿, } ) = Max \ x i k ~ e n t s p r i c h t der Vorstellung über k
den Urteilsprozeß, daß die größte spezifische Distanz gesucht und dem Urteil zugrundegelegt wird. Im zweidimensionalen Raum liegen alle Punkte mit dem Abstand 1 vom Ursprung ebenfalls auf einem Quadrat, dessen Seiten aber achsenparallel verlaufen und die Länge 2 haben. Die Achsen werden durch die Seiten in den Punkten ± 1 geschnitten. Die genannten Abstandsfunktionen sind Spezialfälle des allgemeinen Minkowskiabstandes, der durch einen Parameter t gekennzeichnet ist. i
Mhj) = {\xH~xh\
' + • • • +
{xim-XfmYyc .
Die genannten Spezialfälle ergeben sich bei i = 2, t — 1 und £ = Alle genannten Funktionen sind metrische Distanzen. Sie definieren damit über der Menge X eine Metrik und somit einen metrischen Raum (X,d). Eine Distanzfunktion wird als metrisch bezeichnet, wenn folgende Forderungen erfüllt sind: 1. cl(i,j) = 0
für
Xi—Xj
und
¿/(t,/)>-0
für
Xi^pXj
2. d{i,j) = d(j,i) 3. d(i,j) + d{j,k)*d(i,k). Die letzte Forderung besagt, daß die Summe der Länge zweier Seiten des Dreiecks, das durch die drei Punkte aufgespannt wird, immer größer als die Länge der dritten Seite oder gleich dieser Länge ist. Das Gleichheitszeichen gilt, wenn das Dreieck zu einer Geraden entartet. Gilt diese letzte Ungleichung nicht, wird von einer Semimetrik gesprochen. SHEPAR,D [44] hat die Minkowskimetriken in eine Hierarchie von Metriken und Semimetriken eingeordnet und damit Möglichkeiten der Weiterentwicklung der MDS auf der Basis z. B. ortsabhängiger Distanfunktionen aufgezeigt. 3 . 4 . Spezielle Modelle
Die Modelle der MDS lassen sich nach dem Typ der Ausgangsdaten entsprechend der in 3.2. angesprochenen Datenklassifikation, nach dem Typ der Skalen für diese Ausgangsinformationen, nach dem Typ der Skalen für die im Ergebnis der MDS vorliegenden latenten Reizdimensionen oder nach dem Grad der Berücksichtigung individueller Differenzen klassifizieren. Eine Ubersicht über die Modelle, wie sie den /.. Z. im Einsatz befindlichen Verfahren der MDS zugrunde liegen, geben die M o n o g r a p h i e n v o n SHEPAKD u. a. [43], AHRENS [1] u n d KÜHN [24], I m v o r l i e g e n d e n
Beitrag werden einige Grundmodelle vorgestellt, die zu metrischen Skalen der latenten Objektattribute führen. 3.4.1. M e t r i s c h e
MDS
nach
TORGERSON [53]
In Erweiterung eindimensionaler Skalierungsverfahren geht TORGERSON davon aus, daß die empirisch gewonnenen Ahnlichkeitsurteile in metrische Distanzen transformiert werden können. Diese Abstände werden in einen Raum mit möglichst
485
II. ITAGENDORF. Mehrdimensionale Skalierung
niedriger Dimensionalität eingebettet, in dem eine euklidische Metrik gilt. Diese Einbettung erfolgt auf der Grundlage zweier Theoreme von YOUNG und H o u s HOLDER
[64], die allerdings eine Umrechnung absoluter Abstände d(i.j)
produkte b(i,j)
in Skalar-
erfordern. Der Zusammenhang ergibt sich durch Anwendung ele-
mentarer Formeln [3] zu: W,
j ) = ^(d(i,
ky- + d(k,
j)2-d(i,
j)*).
Kernstücke sind also die metrische Ausgangsinformation und das euklidische Raummodell. Zum Verfahren auf dieser Grundlage siehe 4.1. 3.4.2.
Ordinale
MDS
nach
SHEPARD
[41] u n d
KRUSKAL
[21, 2 4 ]
Während TORGERSON erst metrische Distanzen berechnet und danach eine E i n bettung in einen mehrdimensionalen metrischen R a u m durchführt, wird in dem Modell von SHEPARD/KRUSKAL von einer Ordinalskala für die Ähnlichkeiten (Unähnlichkeiten) ausgegangen. Die Positionierung der Objektpunkte soll in einem R a u m mit Minkowskimetrik des Typs t so erfolgen, daß der R a u m eine möglichst niedrige Dimensionalität h a t und bei Gültigkeit von s y e s « für beliebige Objektpaare x(t, j) und (¿Tjt, Xj) aus der Objektmenge A' die Beziehung dt(i,j) — dt(k,l) für die entsprechenden Objektpunkte im R a u m gelten soll. Der Grundgedanke des Verfahrens (siehe 4.2.) besteht darin, in einem iterativen Verfahren ein Gütefunktional zu optimieren, welches diese Forderungen berücksichtigt. MDS mit Berücksichtigung individueller
Differenzen
n a c h CARROLL [5] Die beiden bisher genannten Modelle basieren auf der Analyse des mittleren Urteilsverhaltcns einer Stichprobe und erlauben damit weder eine Aussage über individuelle Unterschiede im Urteilsverhalten noch über individuelle Unterschiede in der dimensionalen S t r u k t u r der Ähnlichkeiten und Präferenzen. Eine erste Möglichkeit besteht darin, über Verfahren der Clusteranalyse oder faktorenanalytische Verfahren, Gruppe von P b n mit ähnlichen Urtcilsverhalten zu bestimmen und für diese Gruppen getrennte Skalierungen durchzuführen. Das ist im Prinzip der Weg, wie er von TTJCKER und MESSICK [55] gegangen wurde. Im vorliegenden Modellansatz von CARROLL wird von den Ähnlichkeitsurtcilcn von r Urteilen ausgegangen. Die Grundannahmen bestehen im folgenden: i . Den ii Objekten soll eine Menge von m Dimensionen zugrunde liegen, wobei diese m Dimensionen für alle r P b n gemeinsam gellen sollen. Diese dimensionale Darstellung der Objekte erfolgt in einem R a u m mit euklidischer Metrik. Dieser R a u m entspricht dem R a u m , auf dem auch die Verfahren von TORGERSON und SHEPARD/KRTJSKAL basieren und hat die gleiche Aussagekraft. Die Koordinaten des Punktes, der dem O b j e k t Xi entspricht, werden mit xu: bezeichnet, wobei k die Werte 1 . . . m annimmt.
486
Z. Psychol. B d . 186 (1978) H. 4
2. Die individuellen Unterschiede oder die individuellen Räume ergeben sich durch die Bewichtung der einzelnen Dimensionen dieses Gruppenraumes. Jedem der r Pbn werden also m Bewichtungsfaktoren wja zugeordnet, für jede Dimension k einer. Die Skalenwerte für das Objekt xt und den Pb l ergeben sich aus den Skalenwerten xw zu: y'ik = i»'kl
• Xik •
Die Abbildung 1 zeigt die Individualräume zweier hypothetischer Pbn für einen hypothetischen Gruppenraum. Für die Analyse der Daten bedeutet dies, daß die Abstände im Individualraum durch eine modifizierte euklidische Abstandsformel mit den Skalen im Gruppenraum in Beziehung stehen. Di ml
DM
ji
i Pb1 1+
Dim1
2
T
—0Pb2
i jt"
r
7|
Dim2
5
-r*
Dim2
4t-»-
15 Dim2
I 5*
Pbl
Gruppe
f
I
:
M
Pb2
A b b . 1. I n d i v i d u a l r ä u m e zweier hypothetischer P b n als E r g e b n i s der A u s f ü h r u n g der B e w i c h t u n g der Dimensionen des G r u p p e n r a u m e s
df)=(wu
• (a;il-2:il)2+.
. . + vcmi •
(xim—x}m)2
Das Modell baut auf metrischen Daten auf, die für jeden Urteiler vorliegen müssen. 3.3.4. M D S f ü r P r ä f e r e n z d a t e n n a c h
C a b r o l l
[5]
Präferenzdaten für r Pbn liegen im allgemeinen als Paarvergleichsdaten oder als Rangordnungen vor. Die Analyse solcher Präferenzdaten ist wesentlich durch die Arbeiten von C o o m b s [9] zum Entfaltungsmodell und seiner mehrdimensionalen Erweiterung beeinflußt worden, insbesondere was die theoretische Fundierung betrifft. In einer mehrdimensionalen Variante wird angenommen, daß in einem mehrdimensionalen metrischen Raum die Objekte xt als Punkte und die Pbn yi ebenfalls durch sogenannte Idealpunkte repräsentiert sind. Der Zusammenhang zwischen Präferenzen und Abständen ergibt sich aus der Annahme, daß von zwei Objekten {xt, Xj) durch den Pb iji immer das in einem Paarvergleich vorgezogen wird, das den kleineren Abstand vom Idealpunkt des Urteilers im Raum hat. Auf der Abbildung 2 a ergibt sich für den Urteiler und den Urteiler j/ 2 die Präferenzrangreihe D C B A .
ABCD
die Präferenzrangreihe geht von einem
C a r r o l l
II. IIAGEXDORF, Mehrdimensionale S k a l i e r u n g
487
Grenzfall dieses Modells aus, wenn nämlich die Idealpunkte entlang der durch Nullpunkt und Idealpunkt definierten Geraden nach » wandern. Auf diese Weise ergibt sich das Vektormodell, das auf T U C K E R [ 5 4 ] zurückgeht (Abb. 2b).
A b b . 2. E n t f a l t u n g s m o d e l l u n d Vektormodell für P r ä f e r e n z s k a l e n v e r a n s c h a u l i c h t a n hypothetischen D a t e n
Im mehrdimensionalen metrischen Raum sind neben den Objektpunkten die Richtungen 'yl eingezeichnet, die den Pbn zugeordnet sind. Die Präferenzrangreihe ergibt sich nach diesem Modell aus der Annahme, daß von zwei Objekten xt und xj durch den Pb yi das vorgezogen wird, für welches die Projektion des Objektpunktes auf den Vektor y~t den größeren Wert hat. Nach Abbildung 2b ergeben sich für die Pbn yl und j/ 2 die Präferenzrangreihen ADBC bzw. DCBA. Als Daten werden direkte Skalenwerte icSi für die Präferenz des Objektes xi durch den Pb y/c oder Paarvergleichsdaten jcptj angenommen, kpij hat den Wert 1, falls xt dem Objekt x j vorgezogen wird und — 1 im anderen Fall. Die Verfahren versuchen nun, innerhalb dieses Modells eine Repräsentation mit möglichst wenig Dimensionen zu finden. Dies sind nicht alle z. Z. in der Diskussion befindliche Modelle. So wurde z. B. der auf anderen Modellvorstellungen beruhende Zugang von E K M A N [ 1 4 ] nicht diskutiert sowie einige neuere Ansätze, die in den genannten Uberblicksarbeiten zu finden sind. Speziell Fragen der MDS mit individuellen Differenzen diskutieren auch S C H M I D T [ 3 9 ] und - K R A U S E [ 1 9 ] ,
32
Z. Psychologie 186-4
488
Z. Psychol. Bd. 186 (1978) II. 4
4. Verfahren der MDS 4.1. Vorbemerkung Die algorithmischen Verfahren, die den in Punkt 3 genannten Modellen entsprechen, können in diesem Beitrag nicht ausführlich behandelt werden. Zum anderen erscheint es auch nicht sinnvoll, da die auftretenden mathematischen Fragen nur insofern für den Benutzer dieser Verfahren von Bedeutung sind, als sie die Aussagekraft der erhaltenen Skalierungsergebnisse berühren. Zum anderen hängt der Einsatz dieser Verfahren davon ab, inwieweit entsprechende Programme in Rechenzentren zur Verfügung stehen. Dadurch ergibt sich ohnehin eine Zusammenarbeit mit Mitarbeitern dieser Einrichtungen, die in den mathematischen Grundlagen solcher Verfahren geschult sind. Allerdings muß der Psychologe aus den genannten Gründen die G.rundstruktur der Verfahren kennen. 4.2. Verfahren der metrischen MDS nach
TORGENSON
Die Grundlage für die Ermittlung der Dimensionen aus den Skalarprodukten bilden die folgenden Theoreme: 1. Die notwendige und hinreichende Bedingung für eine Einbettung einer Punktmenge X mit den paarweisen metrischen Distanzen dt] in einen euklidischen Raum besteht darin, daß die Matrix der Skalarprodukte nur nichtnegative Eigenwerte enthält. 2. Bei fehlerfreien Distanzen ist die Dimensionalität des Raumes gleich dem Rang der Matrix B. Die Eigenwerte der Matrix B können mit bekannten Verfahren durch Faktorisierung entsprechend der Beziehung B=X • X' erhalten werden, wobei X die Koordinaten der gesuchten Objektpunkte enthält. Die Eigenschaft der Eigenwerte, daß ihre Größe proportional zur Varianzaufklärung entlang der entsprechenden Dimensionen ist, kann zur Abschätzung der Anzahl m von Dimensionen bei fehlerbehafteten Daten diehen. Grob sei auch die Berechnung der absoluten Distanzen aus den gewonnenen Daten veranschaulicht [1, 53]. Ausgangspunkt seien die Ergebnisse eines Tripelvergleichs (xi; Xj xjc), aus denen durch Mittelung über alle Pbn die relative Häufigkeit ihfä, k) bestimmt werden kann, mit welcher die Ähnlichkeit von Xj zu xt als größer beurteilt wurde als die Ähnlichkeit von xk z u i ; . Die Annahme entsprechend dem „Gesetz des vergleichenden Urteils" [53, 45] besteht darin, eine funktionale Abhängigkeit zwischen diesen Häufigkeiten und Abständen über die Normalverteilung zu postulieren: Mj, k) = F (d{j — dik) •
Über das genannte Gesetz lassen sich auf einer Intervallskala Schätzwerte dt] berechnen. Da die Anwendung der Theoreme Absolutwerte für die Abstände fordert,
H. HAGEITDORF, Mehrdimensionale Skalierung
489
muß noch eine Konstante c so bestimmt werden, daß die Abstände d{i,j) + c verhältnisskaliert sind. Eines der Schätzverfahren zur Bestimmung dieser Konstanten ist d a s v o n MESSICK u n d ABELSON [45], nach dem c so b e s t i m m t wird, daß die
di} + c die Bedingung für die Anwendung der Theoreme erfüllen als auch die nachfolgende Einbettung in einen Raum mit wenig Dimensionen gelingt. Die Hauptschritte des Verfahrens bestehen also in der Ermittlung intervallskalierter Skalen für die Ähnlichkeit durch Anwendung eindimensionaler Skalierungsverfahren, Schätzung der Konstanten c zur Umwandlung der Werte in absolute metrische Distanzen d(i,j), Berechnung der Skalarprodukte b(i,j) und anschließende Faktorisierung der Matrix. Die erhaltene Lösung kann wegen der Invarianzeigenschaften der euklidischen Metrik rotiert werden. Die Anpassungsgüte läßt sich durch Rückrechnung und Vergleich mit den Ausgangsdaten statistisch überprüfen. Als Beispiel sei eine Untersuchung von TORGERSOTST [53] zur Farbwahrnehmung angeführt. 9 Reize einer bestimmten Rotstufe, die einer zweidimensionalen Konfiguration nach dem Munsellsystem entsprechen, wurden einem Tripelvergleich unterzogen. Es sollte geprüft werden, inwieweit die subjektive Repräsentation
Abb. 3. Zusammenhang zwischen den objektiven Skalen und den subjektiven Skalen für Farbreize (nach TORGEBSON, 1962).
dieser Reize dieser anderweitig objektivierten Konfiguration nach MTJNSELL entspricht. Im Ergebnis wurden zwei Dimensionen gefunden. Die Abbildung 3 zeigt den linearen Zusammenhang zwischen Skalenwerten aus der MDS und den Skalen nach MTJNSELL, d. h. das Munsellsystem spiegelt die interne dimensionale Wahrnehmungsstruktur für monochromatische Farben wider.
490
Z. Psychol. B d . 186 (1978) H. 4
4.3. Verfahren der ordinalen MDS nach KRUSKAL Nach 3.4. ist eine solche Repräsentation der Objekte xt als Punkt in einem Raum mit unbekannter Dimensionalität m und unbekanntem Typ t der Minkowskimetrik zu finden, daß der Rangreihe paarweiser Ähnlichkeiten die Rangreihe der entsprechenden paarweisen Abstände entspricht. Das Verfahren ist iterativ, indem schrittweise eine möglichst gute Übereinstimmung dieser Rangreihen hergestellt wird. Als Ubereinstimmungskoeffizient würde sich zwar der Rangkorrelationskoeffizient anbieten, aber er ist nicht zielgerichtet optimierbar. KRTJSKAJL [21, 22] hat ein Funktional eingeführt, das auf approximativen Distanzen d(i,j) beruht. Diese werden wie folgt berechnet: In einem Diagramm wird über dem Rangplatz eines jeden Objektpaares auf der Ordinate die Distanz eingetragen, die aus der Punktekonfiguration berechnet werden kann, welche im aktuellen Iterationsschritt vorliegt. Im allgemeinen ergibt das noch einen nichtmonotonen Verlauf. Mittels einer Ausgleichsprozedur werden nun bei Rangplatz 1 beginnend die genannten approximativen Distanzen aus den aktuellen so ermittelt, daß eine monotone Beziehung zwischen den Rangplätzen der Objektpaare hinsichtlich der Ähnlichkeit und den entsprechenden ö(i,j) besteht. Verschiedene Ausgleichsprozeduren sind bei YOTJNG [63] zu finden. Ein Maß für die Diskrepanz (Stress) zwischen der aktuellen Punktkonfiguration und den Daten wurde von KRTTSKAL wie folgt definiert:
0,3 0,2 0,1
t-2 0,3 0,2
\
S*=2{d(hj)-ö(h.i))
«,}
2
•
0,1 m
f=3
Abb. 4. Hypothetische Verteilung der Stresswerte bei verschiedenem Metriktyp m
H. HAGEKDOEF, Mehrdimensionale Skalierung
491
Mit einem Gradientenverfahren wird versucht, bei festem Metriktyp t und fester Dimensionszahl m das Funktional zu minimieren. Aus den für verschiedene Werte von t und m berechneten Konfigurationen ist die mit minimalem Stress auszuwählen. Dabei ist zu beachten, daß mit wachsendem m die Anpassung immer besser gelingt. Darin liegt ein Problem dieses Verfahrens, da es auch keine statistischen Verfahren gibt, die diese Auswahl unterstützen könnten. Gewisse Hilfsmittel sind Piasmodenstudien und Monte-Carlo-Untersuchungen [40, 58]. Im allgemeinen wird die Konfiguration gewählt, deren Dimensionen interpretierbar sind und wo die Hinzunahme einer weiteren Dimension keine wesentliche Verringerung des Stresswertes bringt. Bezüglich t ist die mit minimalem S^ auszuwählen. Abbildung 4 zeigt einen idealisierten Verlauf für verschiedene t und m, bei dem die Entscheidung nach K R U S K A L für t = 2 und m =• 3 fallen würde. Die wichtigsten Verfahrensschritte bei festem t und m sind also die Wahl einer Anfangskonfiguration, die Berechnung der Abstände dt in dieser Konfiguration als auch der approximierten Abstände ö(i,j) unter Rückgriff auf die empirisch ermittelte Ordinalskala für Ähnlichkeiten, die Berechnung des Stresswertes KeHHH OCHOB MHoroMepHoro CKajiHpoBaHHH, xapaKTepiwyioT Tanne Bonpocn, KOTopue B raocTHHecKOM npoijecce Moryr 6HTB pernesu c noMomfaio M D S . IIoc:ie o03opa ffaHHbix, H a K O T o p i i x NPOBOAHTCH M D S - O I O J T , CJiewyeT NPENCTABJIEHHE H e K O T o p t f x THIIHHHHX OIIHTOB M D S . PHH paßoT noKaauBaeT BOSMOÄHOCTB npnMeHeHnn 3 TUX OIIHTOB, npiraeM ocoSeHHO mrrepecHH
KaK H xapaKTep irpoßneM TaK H Bonpocu mrrepnpeTaijHH. OÖ3op paccMaTpnBaeT qacTHrao inrrep a t y p y no 1976 rojia H oKaniHBaeTCH c nepcneKTHBOit Ha 3aHMenje pa3BiiTna B ßyaymeM.
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Sektion Psychologie der Humboldt-Universität Berlin DDR - 102 Berlin, Oranienburger Str. 18
Aus der Forschungsabteilung für Mnemologie der Karl-Marx-Universität Leipzig (Leiter: Doz. Dr. med. K. JÄNICKE)
Zur Methodik von experimentellen psychophysiologischen Untersuchungen Von W. VÖRKEL Mit 3 Abbildungen
Versuche, Veränderungen im Elektroenzephalogramm mit psychischen Phänomenen in Verbindung zu bringen, wurden in der Geschichte der Elektroenzephalographie schon sehr frühzeitig unternommen (BERGER 1933, KREEZER und SMITH 1936, zitiert nach [9]). Ein ausgezeichneter Überblick bis zum Beginn der siebziger Jahre findet sich bei BECHTEREVA [1] (Neuere Untersuchungen siehe KNOLL und Mitarb. [4], MICHEL und Mitarb. [6, 7]). Eine der wesentlichsten Erkenntnisse war die Feststellung, daß sich allein mit Hilfe der in der klinischen Diagnostik üblichen Auswertung des E E G mittels Meßschablone wenig allgemeingültige Aussagen über diese komplexe Thematik machen lassen. Schon im Jahre 1932 wurde der erste Versuch einer Frequenzanalyse des E E G gewagt: DIETZSCH verwendete eine graphische Methode der Fourier-Analyse. Der Weg zur heutigen modernen Spektralanalyse mittels Computertechnik führte über verschiedene, oft recht aufwendige Verfahren wie z. B. die automatische Frequenzanalyse nach dem Suchton-Prinzip (HOEFER und Mitarb. 1949), Filteranalyse nach GREY WALTER 1948, Intervallanalyse nach TÖNNIES 1958, die auch heute noch Verwendung findet (Lit. siehe [8]). Ein ausführlicher Literaturüberblick bis Ende der sechziger Jahre findet sich bei LEHMANN [5]. Weitere Hinweise enthält die Arbeit von ITIL und SALETU 1973. Neuere Untersuchungen in der D D R
wurden z. B. von BEYER und Mitarb. [2] veröffentlicht. Die Ergebnisse von psychophysiologischen Untersuchungen sind widersprüchlich. Ohne' Zweifel können ausgefeilte Methoden der Meßwertverarbeitung viel zur Klärung offener Fragen auf diesem Gebiet beitragen. Direkte kausale Beziehungen zwischen psychischen Leistungen und Veränderungen physiologischer Parameter sind jedoch auch durch die aufwendigsten mathematisch-technischen Verfahren — wenn überhaupt — nur dann nachzuweisen, wenn die Versuche eingebettet in einen Komplex von elektrophvsiologischen und psychologischen Methoden durchgeführt werden. Das Problem stellt sich in erster Linie als ein Aufwand-Nutzen-Problem dar. Es soll eine Methode vorgestellt werden, die es erlaubt, mit relativ geringem technischen Auf-
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510
wand Aussagen über Veränderungen physischer und psychischer Parameter zu gewinnen. W i r werden hier allerdings nur die elektrophysiologische Methodik näher beschreiben. Über die psychologischen und pädagogischen Aspekte sowie die ersten Resultate wird an anderer Stelle berichtet [10]. G O
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Abb. 1. Prinzipschaltbild der Versuchsanordnung Pr — Projektor; SF — Sichtfenster; P — Proband Mj — Mikrofon zur Kontrolle der Lautstärke des Programmes M2 — Mikrofon zur Aufzeichnung der Reproduktion und zur Überwachung des Probanden LA j — LA2 — Lautsprecherboxen für Programm; LA3 — Lautsprecher für Kontakt mit dem Probanden; RM — Rückmeldung TOA — Frequenzanalysator; V — Verstärker; K — Kontrollblock TB 1 — Tonbandgerät „Programm"; TB2 — Tonbandgerät „Reproduktion" TB3 — Magnetbandspeicher; PSI — Schallpegelmcsser M3 — Mikrofon für Kontakt mit dem Probanden; LA4 — Lautsprecher für Kontakt mit dem Probanden EEG AN - EEG-Analyse; EEG - EEG-Kanäle; MHF - (Momentan-)Herzfrequenz; AF — Atemfrequenz; EOG — Electrooculogramm; GSR — Ilautwiderstand; REM — Reizmarkierung Die Abbildung 1 zeigt das Prinzipschaltbild der Versuchsanordnung. Der psychophysiologische Meßplatz besteht aus folgenden Geräten: 8-Kanal EEG-Direktschreiber „WTB", 10-Kanal Polyphysioscript „Bioscript 1" VEB Meßgerätewerk Zwönitz, Terz-Oktav-Analysator TOA 1 1 1 , VEB Meßelektronik Dresden, Präzisions-Impulsschallpegelmesser PSI 202, VEB Meßelektronik Dresden,
511
W. VÖEKEL, Experimentolle psychophysiologische U n t e r s u c h u n g e n
Stereo-Tonbandgeräte B 100 Tesla, Aspectomat I 24 B mit automatischer Bildbandführung, Anordnung zur Messung des Hautwiderstandes (Eigenbau). Folgende physiologische Größen wurden registriert: E E G , Momentanherzfrequenz, E O G , Hautwiderstand. EEG: Bipolare Ableitungen von der linken und rechten Hemisphäre frontookzipital, Elektroden leicht nach präzentral und parietal versetzt. Die a-Aktivität wurde mittels aktiver RC-Filtcr isoliert. Die Filter waren so abgestimmt, daß eine korrekte Übertragung der Frequenzen zwischen 8 und 13 Hz (fm = 10 Hz) erfolgte, langsame und schnelle E E G - A k t i v i t ä t e n wurden so gedämpft, daß ihr Spannungspegel nicht mehr meßbar war. Die Auswertung der gefilterten Aktivität erfolgte nach dem Skalierungsprinzip mittels einer speziell für diesen Zweck angefertigten Schablone (Tab. I) nach Wellenhäufigkeit und Amplitude, E s wurde ein Aktivitätsindex nach der Formel:
l-\-AEa=i
+ X—— — berechnet, wobei KA die Amplitude und H die WellenKao ' h O _ häufigkeit der untersuchten Strecke pro Zeiteinheit, KA0; H0 der entsprechenden Bezugsstrecke z. B . Ruhe — A u s g a n g s - E E G bedeuten. Tabelle I. A m p l i t u d e n in m m Koeffizient K A
0
s l
s2
mi
1
2
4
6
s8
S 10
sl2
8
10
12
Zur Kontrolle wurden mehrfach vergleichende Messungen der Originalkurven nach herkömmlicher Auswertungsmethode mittels Meßschablone nach Prof. SCHÜTZ und der gefilterten Kurven mittels der beschriebenen Skalierungsmethode vorgenommen (Abb. 2 und 3). E s fand sich eine Sehr gute Übereinstimmung (Tab. II—V). Einige Besonderheiten sind jedoch zu beachten. Die D ä m p f u n g wird abgesehen von der Einstellung der Filter und dem Verstärkungsgrad des TOA, der in allen Versuchen gemäß den in den Vorversuchen ermittelten optimalen Werten konstant gehalten wurde, auch von der Spannungshöhe des jeweiligen E E G beeinflußt. Daher darf während der Dauer des Versuches der einmal gewählte Verstärkungsfaktor des Elektroenzephalographen sowie die Zeitkonstantc und Frequenzblende nicht mehr verändert werden. Außerdem ist darauf zu achten, daß sich der Elektrodenübergangswiderstand während des Versuchs möglichst nicht ändert. (Bei längerer Versuchsdauer Klebcelcktroden verwenden!) Diese Zusatzbedingungen gelten jedoch im Prinzip für jede Langzeit-EEG-Registrierung und schränken den Anwendungsbereich der Methode nicht ein. Eine Rückkopplung auf das E E G erfolgt nicht. In Vorversuchen wurde die Übertragungscharakteristik der Filter ermittelt. Bei dem ersten Durchlauf traten für etwa 400 msec nichtlineare Eigenschwingungen auf. Diese Schwingungen sind jedoch nur zu beobachten, wenn das Filter „ a u s
512
Z. Psychol. Bd. 186 (1978) II. 4
0C%
Abb. 2. Vergleich der prozentualen oc-Ausprägung vor (Z t ), während (A) und nach (Z 2 ) dem BERGER-Effekt bei Auswertung des Original-EEC. mittels Meßschablone (S) und der Filterkurven nach Wellenhäufigkeit ( S K ) . Vgl. Tabelle II und I I I
dem Stand heraus" betrieben wird, d. h. wenn Perioden auftreten, in denen Nullaktivität herrscht. Dies ist jedoch in der Regel beim E E G nicht der Fall. Die Filter benötigen eine Anschwingzeit, d. h. Änderungen in der angebotenen Frequenz werden mit einer Verzögerung beantwortet. Diese Verzögerungszeit liegt bei fm = 10 Hz für dynamischen Betrieb, d. 1). nicht aus dem Stand heraus, bei etwa 100 ms. Sie ist nur vom Filter und nicht von dem Ausmaß und der Richtung der Frequenzänderung abhängig. Sie ist symmetrisch, d. h. Einschwing- und Ausschwingverzögerung sind identisch. Dieses Übertragungsverhalten hat auf die Auswertung des S p o n t a n - E E G keinen Einfluß, muß jedoch bei der reizsynchronen Auswertung beachtet werden. Momentanherzfrequenz (AIHF): Ableitung des E K G mit üblicher Methodik (Ableitung I : rechter Arm — linker Arm) mit kleinflächigen Elektroden wegen der geringeren Belastung der Probanden. Registrierung mit EEG-Verstärker. Berechnung der Momentanherzfrequenz aus der Periodendauer ( H P D : RR-Intervalle). Lidschlag ¡EOG: Klebeelektroden der F a . Hüttmann, Dresden, Kontaktmedium und Kleber Fimomed, V E B Kolloidchemie Leipzig.
513
W. VÖRKEL, Experimentelle psychophysiologische Untersuchungen \
V 15
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