Zeitschrift für Psychologie: Band 186, Heft 2 1978 [Reprint 2021 ed.]
 9783112579824, 9783112579817

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ISSN 0044-3409

Band 186 (1978)

Heft 2

Zeitschrift für Psycho logie mit Zeitschrift für angewandte Psychologie

Schriftleitung Friedhart Klix, Berlin • Hans-Dieter Schmidt, Berlin • Hubert Sydow, Berlin Redaktion: Jürgen Mehl, Berlin • Friedrich Kukla, Berlin

Unter Mitwirkung von G. Clauß, Leipzig H . Düker, Marburg H . - J . Eysenck, London P . Fraisse, Paris J . J . Gibson, I t h a c a , N. Y. W . Hacker, Dresden J . Helm, Berlin H . Hiebsch, J e n a A. Kossakowski, Berlin D . Koväc, Bratislava

|

A. N. Leontjew, Moskau B. F. Lomow, Moskau D. A. Oschanin, Moskau J . Piaget, Genf H. D. Rösler, Rostock W. P . Sintschenko, Moskau W. Straub, Dresden M. Vorwerg, Leipzig D. W e n d t , H a m b u r g

Z. Pgyehol.

E V P 12,50 M j e H e f t

JOHANN AMBROSIUS BARTH

LEIPZIG

INHALT F I S C H E L , W E R N E R 2 1 . 10. 1 9 0 0 - 8 . 1 2 . 1 9 7 7 . M i t 1 B i l d

157

W E B E R , ERNST HEINRICH 1 7 9 5 - 1 8 7 8 . Mit 1 B i l d

159

MEISCHNER, W. (Leipzig). E r n s t Heinrich Weber, „Vater der experimentellen Psychologie" (WUNDT)

160

K u x , F., a n d ELKE VAN DER MEER (Berlin). Analogical reasoning — an approach to mechanisms underlying h u m a n intelligence performances. With 14 figures 170 LAZARUS-MAINKA, GERDA, u n d

H. LAZARUS ( B o c h u m ) . W o r t w a h r n e h m u n g

und

Hemi-

sphären Dominanz. Mit 6 Abbildungen

189

KEILER, P., u n d V. SCHURIÖ (Berlin [West]). Einige Grundlagenprohleme der N a t u r geschichte des Lernens II

203

PRINZ, W. (Bielefeld). Klassifikation ohne Identifikation: Ein Transfer-Experiment zum Ziffern-Buchstaben-Effekt

230

KRAUSE, B., und P. METZLER (Berlin). Zur Anwendung der Interferenzstatistik in der psychologischen Forschung. Mit 1 Abbildung

244

Buchbesprechungen

268

Manuskripte

für Or ig inalabhandlungenundRef

chologie der Humboldt-Universität,

DDR —102 Berlin,

erat e werden Oranienburger

an Dr. J. Mehl. Sektion Str. 18, erbeten.

Psy-

F ü r diese

Zeitschrift werden grundsätzlich nur Arbeiten angenommen, die vorher weder im Inland noch im Ausland veröffentlicht worden sind. Das Manuskript ist satzfertig einzusenden, d a m i t das Lesen der Korrektur bei Zeitmangel von der Redaktion veranlaßt werden kann. J e d e Abhandlung ist mit einer kurzen Zusammenfassung in Sfacher Anfertigung für die Übersetzung in russischer und englischer Sprache abzuschließen. Mit der A n n a h m e des Manuskriptes und seiner Veröffentlichung geht das alleinige Recht der Vervielfältigung, Verbreitung und Übersetzung auf den Verlag über. Von Originalarbeiten liefert der Verlag an Stelle eines Honorars 50 Sonderdrucke. Buchbesprechungen werden nicht vergütet, dafür wird das Besprechungsexemplar Eigentum des Referenten. Der Bezugspreis

beträgt f ü r den Band m i t 4 Heften 50,— M zuzüglich Postgebühren. Be-

stellungen nehmen entgegen: Der gesamte Buch- und Zeitschriftenhandel. Die Lieferung erfolgt bis zur Abbestellung, die nur für das Ende eines Bandes ausgesprochen werden kann. Adresse des Verlages: J o h a n n Ambrosius Barlli, D D R —701 Leipzig, Salomonstr. 18b, Postfach 109, Ruf 29 52 45. Anzeigen

werden erbeten an DEWAG L E I P Z I G

(Inland), D D R - 705 Leipzig, Oststr. 105,

Ruf 7 97 43 03; Interwerbung G m b H (Ausland), D D R - 1 0 4 Berlin, Tucholskystr. 40, Ruf 2 82 5196. Für die Anzeigenpreise gelten die Festlegungen gemäß Preiskatalog Nr. 286/1 vom 1. 7. 1975.

Z E I T S C H R I F T FÜR P S Y C H O L O G I E Band 186, 1978

Heft 2 Band 98

Zeitschrift für angewandte Psychologie

Nachruf

WERNER FISCHEL 21. 10. 1900 - 8. 12. 1977

Herausgeber, Redaktion und Verlag der „Zeitschrift für Psychologie" trauern um den langjährigen Mitherausgeber ihres Journals, um ihren Kollegen Prof. Dr. phil. WERNER FISCHEL, der am 8. 12. 1977 in Leipzig gestorben ist. WERNER FISCHEL wurde am 21.10. 1900 in Saarburg bei Trier geboren. Er studierte in Würzburg, Königsberg und München Naturwissenschaften, vor allem Zoologie und Psychologie. Mit seiner Promotion im Alter von 25 Jahren (bei RICHARD HERTWIG und OTTO KOEHLER) legte er den Grundstein zu einer Fülle

weltweit beachteter und geschätzter wissenschaftlich-tierpsychologischer Arbeiten, die sich von anderen Untersuchungen des gleichen Problemfeldes vor allem durch ihren explizit psychologischen Gehalt — bei gleichzeitiger Sondierung der neurophysiologischen Grundlagen — deutlich unterschieden. Diese Tatsache machte es auch verständlich, daß WERNER FISCHEL — nach häufig wechselnden Aufenthalten, u. a. in München, Groningen und Münster, die verbunden waren mit Anfeindungen und Demütigungen einer faschistisch durchtränkten Arbeitswelt, der er sich zu keiner Zeit zugehörig fühlte — im Jahre 1954 eine Berufung an die Karl-Marx-Universität Leipzig annahm, Bürger der Deutschen Demokratischen Republik wurde und als Universitätslehrer, Forscher und Leiter am Institut für Psychologie bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1965 erfolgreich wirkte. Auch die Gesellschaft für Psychologie der DDR verdankte ihm in dieser Zeit zahlreiche Anregungen und Initiativen. Als Mitherausgeber der Zeitschrift für Psychologie wachte er mit über das wissenschaftliche Niveau, regte Publikationen an und griff häufig genug selbst zur Feder. Wir können sein Andenken nicht besser wahren als durch unser Beniühen, den Stilprinzipien WERNER FISCHELS — Strenge und Klarheit im Denken, Treue zu einem errungenen und immer wieder sorgsam geprüften Konzept, Einfachheit der Darstellung — in unserer eigenen Arbeit und in den editorischen Bemühungen zu entsprechen.

E R N S T HEINRICH W E B E R 1795-1878 Der 100. Todestag Ernst Heinrich W E B E R S am 26. 1. 1978 ist Anlaß, dem Wegbereiter der Experimentalpsychologie ehrend zu gedenken. E. H. W E B E R wirkte als Anatom und Physiologe an der Universität Leipzig. Die beispielhafte Anwendung eigener physikalischer Forschungsergebnisse auf die Lehre vom Blutkreislauf und seine methodisch exakt fundierten zahlreichen anatomischen und physiologischen Studien kennzeichnen ihn als einen der hervorragenden Gelehrten der Naturwissenschaften und der Medizin des 19. Jahrhunderts. Mit seinen Untersuchungen des Tastsinns gelang W E B E R die Entdeckung einer konstanten Beziehung zwischen Reizgröße und Empfindungsänderung, die G. TH. FECHNER als WEBERsches Gesetz bezeichnete. Dieser Nachweis der Meßbarkeit psychischer Vorgänge war der Grundstein für die Entwicklung der Experimentalpsychologie. M . VORWERG

Ii*

W . MEISCHNER

Aus der Sektion Psychologie der Karl-Marx-Universität Leipzig

Ernst Heinrich WEBER, „Vater der experimentellen Psychologie" (WUNDT)i V o n W . MEISCHNER

Am 26. 1. 1978 jährt sich zum 100. Male der Todestag eines hervorragenden Gelehrten der Universität Leipzig, dessen wissenschaftliches Lebenswerk unvergessen ist, dem vor allem die psychologische Wissenschaft stets ein ehrendes Andenken bewähren wird — ERNST HEINRICH: WEBER. In der L u t h e r s t a d t Wittenberg a m

24. Juni 1795 geboren, begann er im Jahre 1811 an der Universität seiner Heimatstadt das Medizinstudium. Seine Promotion fand 1815 in dem Wittenberg benachbarten Städtchen Schmiedeberg in der Dübener Heide statt, in das die Universität — durch die Zerstörungen und Wirrnisse des Befreiungskrieges von 1813 bedingt — ausgewichen war. Die von E . H. WEBER im Jahre 1817 an der Leipziger Universität eingereichte Habilitationsschrift „Anatomia comparata nervi sympathici" führte nach ihrer Veröffentlichung zur Berufung WEBERS in eine außerordentliche Professur. Damit konnte er seine anatomischen Studien an dieser Universität fortsetzen. Es waren seine ausgezeichneten anatomischen Arbeiten, die schon 1821 zu seiner Berufung als ordentlicher Professor der Anatomie auf den Leipziger Lehrstuhl als Nachfolger ROSENMÜTJTIERS f ü h r t e n .

Eine zufällige Beobachtung von Wellenbewegungen des Quecksilbers veranlaßte WEBER, gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder und späteren Physiker WILHELM: WEBER, sich in mehrjährigen Studien mit der Wellenlehre zu beschäftigen. Frucht dieser gemeinsamen Bemühungen war schließlich das 1825 in Leipig erschienene Werk „Wellenlehre, auf Experimente gegründet, oder über die Wellen tropfbarer Flüssigkeiten mit Anwendung auf die Schall- und Lichtwellen" von E. H. WEBER und W. WEBER. „Die Genauigkeit und die Tragweite der Beobachtungen," so führte CARL LUDWIG i n s e i n e r

1878 gehaltenen Gedächtnisrede

auf

ERNST

HEINRICH

WEBER aus, „die Klarheit der Darstellung sichern dem Werke der beiden WEBER für alle Zeiten seinen Rang in der klassischen Literatur der Physik und der deutschen Wissenschaft, den Ruhm, nicht den kleinsten Beitrag zu der wichtigen Lehre geliefert zu haben, die er behandelt. 1 Vortrag, gehalten auf dem III. Interdisziplinären Kolloquium des Arbeitskreises Wundtforschung an der Karl-Marx-Universität Leipzig a m 2. 6. 1977.

W. MEISCHNER, Ernst Heinrich Weber

161

„Doch alles dieses" so führte LUDWIG weiter aus, „sollte nicht der einzige Gewinn bleiben, den die Wissenschaft daraus zog, daß sich der Anatom mit einer bis in ihre letzten Gründe verfolgbaren Erscheinung beschäftigt hatte. Während dieser Arbeit war der Blick E. H. W E B E R S geschärft und seine Anschauungen von dem Walten der Natur weit tiefer gedrungen, als bei allen den Männern, die vor ihm den lebendigen und toten Leib durchforschten. Welcher Anatom und welcher Physiologe wäre denn vor dem Jahre 1825 zu nennen, der eine Leistung in der Physik aufzuweisen vermöchte, die, wie diese, den scharfsinnigsten Experimentatoren Bewunderung eingeflößt und den Theoretikern als Ausgangspunkt für ihre Gedankenarbeit gedient hätte? Und wer vermöchte den erziehenden Einfluß einer solchen Arbeit zu leugnen? In der Tat, von nun an vervielfältigen und verschärfen sich die Methoden, die er bei seinen anatomischen Untersuchungen verwendet, und es treten ganz neue Gesichtspunkte auf, mit welchen er unsere Wissenschaft befruchtet." [1] Die Übertragung der physikalischen Betrachtungsweise und der methodischen Exaktheit der Forschung auf das Studium von Bau und Bewegungsweise des Organismus zeigte in der Folge eine ungemein fördernde Wirkung, wie sie u. a. in der Anwendung der Wellentheorie auf die Lehre vom Blutkreislauf durch E. H. W E B E R ihren Ausdruck fand. Das ¿830 von W E B E R veröffentlichte „Handbuch der allgemeinen Anatomie des menschlichen Körpers" trug denn auch die Handschrift des physikalisch geschulten Anatomen in einem Maße, daß damit Wesentliches zur Überwindung vitalistischer Standpunkte -und spekulativer naturphilosophischer Betrachtungsweisen geleistet werden konnte. Nach CARL LUDWIG ist der Einfluß dieses Werkes auf JOHANNES MÜLLER erwiesen; er fand im „Handbuch der Physiologie für Vorlesungen" seinen Niederschlag. Wenn HANS HIEBSCH in der Entdeckung bestimmter anatomisch-physiologischer Gesetzmäßigkeiten, z. B. die Entdeckung der sensiblen und motorischen Nerven durch CHARLES BELL, die Messung der Geschwindigkeit der Nervenerregung durch H . v. HELMHOLTZ sowie die Erkenntnis von Leistungen der Sinnesorgane, eine der Voraussetzungen für die Herausbildung der Psychologie zu einer selbständigen Wissenschaftsdisziplin sah, so hat an dieser Entwicklung gewiß auch ERNST HEINRICH W E B E R Anteil. Er postulierte bereits im Jahre 1830 eine isolierte Leitung der Erregung im Nerven. Auf dieser Erkenntnis baute JOHANNES MÜLLER seine Ausführungen über die Gesetze der Leitung des sogen. „Nervenprinzips" auf [2]. In diesem Zusammenhang können wir eine nicht minder bedeutsame wissenschaftliche Leistung W E B E R S in der Feststellung sehen, daß den verschiedenen Sinnesnerven „nicht ein spezifisch verschiedenes Leistungsvermögen zuzuschreiben" sei und daß das den Sinnesnerven eigentümliche Leitungsvermögen „im wesentlichen", wie W E B E R formulierte, als dasselbe wie bei den „animalischen Bewegungsnerven" angesehen werden könne [3]. In der Tat erwies sich die zeitliche Abfolge der Aktionspotentiale im Nerven, also die Frequenzmodulation der Erregung, neben der räumlichen Erregungsverteilung in Erregungsmuster als das dem Nervensystem eigentümliche Prinzip

162

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der Signalübermittlung. Gleichzeitig können wir in dieser Erkenntnis WEBERS eine seiner Thesen gegen das von JOHANNES MÜLLER formulierte Prinzip der spezifischen Sinnesenergien sehen, dessen Bedeutung für die Entwicklung der Sinnesphysiologie zwar im wesentlichen unbestritten geblieben ist, aber von LUDWIG FETTERBACH treffend als physiologischer Idealismus charakterisiert worden ist [4]. Es ist zweifellos die Handschrift des naturwissenschaftlichen Materialismus, wenn WEBER auf die „Wichtigkeit des Zentrums des animalischen Nervensystems" hinweist. In seiner bekannten Schrift „Tastsinn und Gemeingefühl", die im J a h r e 1846 erschien, heißt es dazu: „Ohne die Mitwirkung des Gehirns, oder vielleicht auch eines Teiles des Rückenmarkes, gelangt keine Empfindung zum Bewußtsein, entsteht keine Erinnerung, kann sich der Wille nicht durch Bewegung der Muskeln äußern, sind wir nicht fähig zu denken, nicht einmal die Überleitung eines auf einen Empfindungsnerven hervorgebrachten Eindruckes auf die Bewegungsnerven geschieht im animalischen Teile des Nervensystems in den Nerven unmittelbar, sondern nur im Gehirne und Rückenmarke. Wenn m a n also auch keinen ausreichenden Grund hat, das Gehirn und Rückenmark ausschließlich für den Sitz der Seele zu halten, so enthält doch dieses Zentrum des Nervensystems die Werkzeuge, ohne welche wir uns der Einwirkungen, die auf die Seele geschehen, nicht bewußt werden ohne welche die Seele nicht auf den Körper wirken zu können scheint." [5] Es ist an der Zeit, diesen — zum progressiven Erbe unserer Wissenschaft zählenden — Grundgedanken WEBERS zu seiner Ehrung anzuführen ; auch wenn in ihm die in zumeist dualistischen Denkweisen wurzelnden Inkonsequenzen des naturwissenschaftlichen Materialismus anklingen. Sicherlich war WEBER von den mechanisch-materialistischen Vorstellungen seiner Zeit unbefriedigt, die ihn zu vorsichtiger Zurückhaltung im Bekenntnis zu weltanschaulichen Grundfragen veranlaßten [6]. Jedoch bildet bei ihm der Gedanke einer Naturgesetzen folgenden Wechselwirkung zwischen Seele und Seelenorgan, die er sich als eine Wechselwirkung der Kräfte zur Veränderung der Molekülbewegung des Organs denkt, zweifelsohne materialistisches Gedankengut, das für die Ausdehnung seiner messenden Versuche auf psychologisches Gebiet bestimmend geworden ist. Methodologisch ist dabei von besonderer Bedeutung, daß WEBER psychologische Forschung nach dem Erfalirungsprinzip naturwissenschaftlichen Beobachtens und Experimentierens konzipiert und Beobachtung, Versuch und Messung als grundlegend ansieht. Er läßt sich von dem Gesichtspunkt leiten, daß andere Wissenschaften ihre Instrumente prüften und daß es demzufolge auch für den Menschen wichtig sei, „die ihm angeborenen Instrumente des Empfindens zu prüfen." E r wählt den Tastsinn als ein Forschungsfeld, welches ihm ungehindertes Experimentieren gestattet [7]. Die Frucht und das grundlegende Ergebnis langjähriger Forschungsarbeit bildet die Entdeckung der Konstanz der relativen Unterschiedsschwelle, d. h. des grundlegenden Sachverhalts der Wahrnehmungspsychologie, der besagt, daß der Reiz-

W. MEISCHNEB, Ernst Heinrich Weber

163

Zuwachs, welcher zu einer Verstärkung der Empfindung führt, in einem konstanten Verhältnis zum bereits vorhandenen Reizbetrag steht. Es ist wohl gerade die Entdeckung dieser Gesetzmäßigkeit, von GUSTAV THEODOR F E C H N E R als Webersches Gesetz bezeichnet, die W I L H E L M W U N D T veranlaßte, in W E B E R den „Vater der experimentellen Psychologie" zu sehen [8]. Seine experimentalpsychologischen Studien führten W E B E R schließlich zu Folgerungen, die u. E. noch keine genügende psychologiegeschichtliche Würdigung erfahren haben. Für ihn sind die Sinnesorgane Instrumente, die uns „Eindrücke der äußeren Welt" verschaffen, ja er führt geradezu den physiolegischen Nachweis für die objektive Existenz der Außenwelt. Dazu weist er auch auf die Feinheit der sinnlichen Widerspiegelung hin, betont aber gleichzeitig den — wie wir heute sagen würden — einheitlichen Charakter psychischer Abbildungsprozesse. Es möge auch nicht unerwähnt bleiben, daß W E B E R die vor allem durch H . v. HELMHOLTZ ausgearbeitete Theorie der unbewußten Schlüsse (bei ILET.MTTOLTZ konsequenterweise als Problem seiner Wahrnehmungslehre aufgefaßt) gedanklich vorbereitet, indem er ausführt: „Hier leuchtet nun recht klar ein, wie wir das zu empfinden glauben, was wir durch ein Urteil erkennen würden, welches auf eine Vergleichung vieler Empfindungen und auf das Bewußtsein von unserer eigenen Bewegung gegründet ist. Entweder ist es nun also unser Verstand, durch welchen wir unsere Empfindungen mit Berücksichtigung aller dieser Umstände auslegen, und die Auslegung beruht wirklich auf einem Urteile, d. h. auf einem synthetischen Urteile, welches schon gefällt wird, ehe wir uns durch Worte bezeichnete Begriffe gebildet haben, oder es wirkt in uns ein stellvertretender Verstand, d. h. unsere Seele wird, ohne eine Einsicht in die Verhältnisse zu haben, durch eine unbekannte Ursache bestimmt, diesen Verhältnissen gemäß sich die Empfindungen vorzustellen, gleichsam durch einen intellektuellen Instinkt. Auf gleiche Weise beruht die Erscheinung, daß der Schall nicht im Kopfe empfunden wird, wo er unsere Gehörnerven erschüttert, sondern außerhalb unseres Kopfes, auf einem sehr zusammengesetzten Urteile." [9]. Wir würden E R N S T H E I N R I C H W E B E R natürlich nicht gerecht, wenn wir nicht in eine Würdigung sein politisches, vor allem wissenschaftspolitisches Wirken einschlössen. Es war ihm als Vertreter der Universität zu danken, daß die sächsische Regierung ihre finanziellen Zuwendungen an die Universität erhöhte. Unter dem Einfluß der raschen kapitalistischen Entwicklung hat W E B E R mit Gewerbetreibenden der Stadt in der polytechnischen Gesellschaft zusammengearbeitet und sich für eine Anwendung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse in der Praxis eingesetzt. Er wirkte erfolgreich für weitgehende Verbesserungen der Universitätsarbeit und des Studiums in der Medizin. Es spricht für seine politische Popularität unter den Bürgern Leipzigs, wenn ihn einmal sogar die Ehre eines Bürgergeleites durch eine Ehrenpforte in die Stadt zuteil wurde. Schließlich möge auch nicht der Vergessenheit anheimfallen, daß neben uns so bekannte Namen wie GUSTAV THEODOR F E C H N E R , MORITZ WILHELM DROBISCH

164

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und WILHELM WEBER auch der Name Ernst Heinrich WEBER unter dem „Gesuch eines Vereins von Professoren der Universität Leipzig um Begründung einer Königlichen Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften" vom 7. 4.1845 zu finden ist. Auch in diesem Sinne wollen wir ERNST HEINRICH WEBER ehrend gedenken [10]. Zusammenfassung Der 100. Todestag von ERNST HEINRICH WEBER am 26. J a n u a r 1978 ist Anlaß, Leben und Werk dieses hervorragenden Gelehrten der Leipziger Universität zu würdigen. Weber wurde am 24. 6.1795 in der Lutherstadt Wittenberg geboren und studierte dort Medizin. Im J a h r e 1821 berief ihn die Universität Leipzig auf den Lehrstuhl für Anatomie. Selbständige physikalische Forschungen mit seinem Bruder WILHELM WEBER, die Anwendung physikalischer und chemischer Erkenntnisse und Methoden in Anatomie und Physiologie und seine ausgezeichneten anatomischen und physiologischen Studien weisen ERNST HEINRICH WEBER als einen führenden Vertreter der exakt naturwissenschaftlich orientierten Medizin des 19. Jahrhunderts aus. Seine neurophysiologischen und sinnespsychologischen Forschungsergebnisse wurden für die Begründung einer experimentalpsychologischen Forschung grundlegend, insbesondere seine Entdeckung der Konstanz der r e l a t i v e n U n t e r s c h i e d s s c h w e l l e . W I L H E L M WTJNDT w ü r d i g t e E R N S T H E I N R I C H W E B E R a l s

„Vater

der experimentellen Psychologie". WEBER war ein hochgeachteter Bürger der S t a d t Leipzig.

Summary T h e c e n t e n n i a l o n J a n u a r y 26, 1 9 7 8 of t h e d e a t h of E R N S T HEINRICH W E B E R is a

welcome

occasion to appreciate the life and work of this eminent scholar who was active at the University of Leipzig. He was born in Wittenberg (place of activity of Luther) on J u n e 24, 1795 and later studied medicine at the University of Wittenberg. In 1821 he was appointed to a professorship of anatomy at Leipzig University. Independent physical researches conducted in cooperation with his brother, WILHELM WEBER, the use in anatomy and physiology of physical and chemical methods and findings, and his excellent anatomical and physiological studies show ERNST HEINRICH WEBER to be a leading nineteenth-century representative of exactly scientifically oriented medicine. The results of his researches into neurophysiology and the physiology of senses laid the foundations of experimental psychological research, and this is true particularly for his discovery of the constancy

of t h e r e l a t i v e d i f f e r e n t i a l t h r e s h o l d .

WILHELM WUNDT described ERNST

HEINRICH

WEBER as the " f a t h e r of experimental psychology". WEBER was a highly respected citizen of the city of Leipzig.

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W.

METSCHNEBJ

Ernst Heinrich Weber

165

Literatur 1. LUDWIG, C.; Rede zum Gedächtnis an Ernst Heinrich Weber. Leipzig 1878. 2. H I E B S C H , H . ; Psychologie. Philosophisches Wörterbuch II. Leipzig 1975. 3. WEBER, E. H.: Tastsinn und Gemeingefühl. Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften Nr. 149, Leipzig 1905, S. 30. 4. FEUERBACH, L.: Über Spiritualismus und Materialismus, besonders in Beziehung auf die Willensfreiheit. Werke Bd. 11, Berlin 1972, S. 179 f. 5.

WEBER, E . H . : ebd. S. 44.

7.

W E B E R , E . H . : e b d . S . 3 ff.

9.

W E B E R , E . H . : e b d . S . 8.

6. METGE, A.: Zur Herausbildung der Experimentalpsychologie unter besonderer Berücksichtigung des Beitrages von Wilhelm Wundt. Inaug.-Diss. Leipzig 1977. 8.

WUNDT, W . :

Erlebtes und Erkanntes. Stuttgart 1920.

10. Gesuch eines Vereins von Professoren der Universität Leipzig um Begründung einer Königlichen Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften" vom 7. April 1845, Staatsarchiv Dresden.

Bibliographie Ernst Heinrich Weber Monographien: De systemate nerveo orgánico Lipsiae 1817 Anatomia comparata nervi sympathici Lipsiae 1817 De aure et auditi hominis et animalium. Pars I. Lipsiae 1820 Wellenlehre auf Experimente gegründet. E. H. Weber und Wilhelm Weber Leipzig 1825 (veröff. in der Reihe: Ostwalds Klassiker . . .) Herausgabe der 4.-6. Auflage des „Handbuch der Anatomie des menschlichen Körpers" von J . Ch. Rosenmüller Leipzig 1828 (4. Aufl.), 1833 (5. Aufl.), 1840 (6. Aufl.) Herausgabe der 4. umgearbeiteten und sehr vermehrten Ausgabe des "Handbuch der Anatomie des Menschen" von G. F. Hildebrandt, Bde. I—IV Braunschweig 1830-1832 Allgemeine Anatomie des menschlichen Körpers (zugleich 1. Bd. von Hildebrandts Anatomie) Braunschweig 1830 Epístola I und II. Scarpae de gangliis nervorum deque origini et essentia nervi intercostalis Lipsiae 1831 Vorschläge zur Vervollkommnung der wissenschaftlichen Anstalten der Universität Leipzig Leipzig 1834 Annotationes anatomicae et physiologicae: De pulsu, resorptione, auditu et tactu Lipsiae 1834 (auch enthalten in: Programmata collecta, Lipsiae 1851) Der Tastsinn und das Gemeingefühl. Sonderabdruck aus: Wagners Handwörterbuch der Physiologie, Bd. 3. Abt. 2 Braunschweig 1846 Braunschweig 1846 (veröff. in der Reihe: Ostwalds Klassiker . . .) Annotationes anatomicae et physiologicae. Programmata collecta. Fase. II: de orgaiiis genitalibus, corpusculis sanguinis rubris et lymphaticus, fibris elementaribus fibrinae, cellulis vibrantibus, liquoris pericardii et de hepate aliisque glandulis

166

Z. Psychol. Bd. 186 (1978) H. 2

Fase. III: Tractatus de motu iridis (ex annis 1821), Summa doctrinae de motu iridis Lipsiae 1851 De hepatis Renarum struetura et funktion observationes novae Lipsiae 1848 De motu fasciculorum muscularium locali Lipsiae 1860 Beurteilung einer an die Stände des Königreiches Sachsen gerichteten Petition um Aufhebung der gesetzlichen Bestimmungen über die Behandlung der Leichen der Selbstmörder und namentlich über die Ablieferung dieser Leichen an die Anatomie in Leipzig Zeitschriftenaufsätze Erschienen in: A r e h i v f ü r A n a t o m i e u n d P h y s i o l o g i e . Hrsg. J . F. MECKEL. Leipzig. Über die vergleichende Anatomie der Gehörwerkzeuge der Fische 1819 Über die Einhüllung der Eierstöcke einiger Säugetiere in einem vollkommen geschlossenen, von der Bauchhaut gebildeten Sacke 1826

Beobachtungen über die Oberhaut, die Hautbälge und ihre Vergrößerung in Krebsgeschwülsten und über die Haare des Menschen 1827 Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des menschlichen Embryos 1827 Einige Beobachtungen über Knorpel und Faserknorpel 1827 Anatomisch physiologische Untersuchung über einige Einrichtungen im Mechanismus der menschlichen Wirbelsäule 1827 Über zwei Knochenscheiben ,welche sich zwischen je zwei Wirbeln beim Hasen und Kaninchen befinden 1827 Beobachtungen über die Struktur einiger konglomerierten und einfachen Drüsen und ihre erste Entwicklung 1827 Über die Leber von Ciprinus Carpio, die zugleich die Stelle des Pankreas zu vertreten scheint 1827 Ein Beitrag zu den Beobachtungen über die Kunsttriebe der Spinnen 1827 Über Augen beim Blutegel 1827 Über vier Längennerven bei einigen Fischen, von denen zwei von dem trigeminus und zwei vom vagus entspringen, die die ganze Länge des Rumpfes durchlaufen 1827 Über das Geschmacksorgan des Karpfen und den Ursprung seiner Nerven 1827 Knoten und unpaare Faden, mit dem sich Rückenmark bei einigen Fischen endigt, namentlich bei Ciprinus Carpio 1827 Beim Heringe durchbohrt der Sehnerv des rechten Auges den des linken 1827 Über die Entwicklung des medizinischen Blutegels 1828

Swammerdams Entdeckung, daß sich die kaum sichtbaren Keime der Schnecken im Ei um sich

W. Meischner, Ernst Heinrich Weber

167

selbst drehen, zusammengestellt mit Leeuwenboeks Entdeckung, daß dieselben Bewegungen bei den kleinen Keimen der Muscheln stattfinden, nebst einigen Bemerkungen über die Bewegungen an den Keimen der Blutegel 1828 Über die Ursache und den Zweck, welchen mehrere Einrichtungen haben, durch die sich der Körper der Wirbeltiere von dem der wirbellosen Tiere unterscheidet 1828 Erschienen in: A r c h i v für A n a t o m i e , P h y s i o l o g i e und w i s s e n s c h a f t l i c h e Medizin

Hrsg. Joh. Müller,

Über den Tastsinn 1835 Mikroskopische Beobachtungen über die sichtbaren Fortbewegungen der Lymphkörnchen in den Lymphgefäßen der Froschlarven 1837 Über die in den Adern lebender Frösche und Froschlarven sichtbare Bewegung von Körnchen, welche die Gestalt der Lylnphkörnchen haben und über die Geschwindigkeit, mit welcher sie sowohl als die Blutkörperchen in den Haargefäßen sich bewegen 1838 Über den Bau der Leber des Menschen und einiger Tiere 1843 Über die Entwicklung des medizinischen Blutegels und der Clepsine 1846 Zusätze zur Lehre vom Bau und den Verrichtungen der Geschlechtsorgane 1846 Über Eduard Webers Entdeckungen in der Lehre von der Muskelkontraction 1846 Beweise, daß nur die Tastorgane fähig sind, uns die Empfindungen von Wärme, Kälte und Druck zu verschaffen 1849 Eduard Weber u. E. H. Weber: Über die Wirkungen, welche die magnetoelektrische Reizung der Blutgefäße bei lebenden Tieren hervorbringt 1849 Über den Einfluß der Erwärmung und Erkältung der Nerven auf ihr Leitungsvermögen 1849 Über den Mechanismus der Einsaugung des Speisesaftes beim Menschen und bei den Tieren 1849 Über den Descensus testiculorum bei dem Menschen und einigen Säugetieren 1849 Über die Anwendung der Wellenlehre auf die Lehre vom Kreislauf des Blutes und insbesondere auf die Pulslehre 1851 Über die Abhängigkeit der Entstehung der animalischen Muskeln von der der animalischen Nerven 1851 Zusätze zu meinen Untersuchungen über den Bau der Leber 1851 Widerlegung der von Volkmann gegen meine Abhandlung über die Anwendung der Wellenlehre auf die Lehre vom Blutkreislauf und insbesondere auf die Pulslehre gemachten Einwendungen 1853 Erschienen in: T i e d e m a n n s u n d T r e v i r a n u s Z e i t s c h r i f t f. P h y s i o l o g i e , Bd. 2. Darmstadt 1826

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Z. Psychol. Bd. 186 (1978) H. 2

Über die Verschmelzung der beiden Gehörorgane Erschienen in: B e r i c h t e d e r K g l . G e s e l l s c h a f t d e r W i s s e n s c h a f t e n zu L e i p z i g Zusätze zur Lehre vom Bau und den Verrichtungen der Geschlechtsorgane 1846 Untersuchung der Wirkungen, welche die magneto-elektrische Reizung der Blutgefäße bei lebenden Tieren hervorbringt 1846 Über den Mechanismus der Einsaugung des Speisesaftes beim Menschen und bei einigen Tieren 1847 Über den Einfluß der Erwärmung und Erkältung der Nerven auf deren Leitungsvermögen 1847 Über den Descensus testicolorum bei dem Menschen und bei einigen Säugetieren 1847 Über die Virgleichung einiger Teile der Generationsorgane phanerogener Gewächse 1847 Über die Umstände, durch welche wir geleitet werden, die Empfindungen auf äußere Objekte zu beziehen 1847 Über die Tastorgane als die allein fähigen uns die Empfindungen von Wärme, Kälte und Druck zu verschaffen 1847 Über die Abhängigkeit der Entstehung der animalischen Muskeln von der der animalischen Nerven 1849 Über die Änderung der Entstehung der animalischen Muskeln und der animalischen Nerven 1849 Zusätze zu einer Untersuchung über den Bau der Leber 1849 Über die periodischen Farbenveränderungen, welche die Leber der Hühner und Frösche erleidet 1850 Über die Anwendung der Wellenlehre auf die Lehre vom Kreislauf des Blutes 1850 Einige Bemerkungen über den Bau des Seehundes 1850 Beiträge zur Anatomie und Physiologie des Bibers 1850 Über den Raumsinn und die Empfindungskreise in der Haut und im Auge 1852 Über die Fortdauer der Ernährung und des Wachstums der schon gebildeten Nerven und Muskeln und anderer Teile bei zwei menschlichen Mißgeburten, bei welchen das Gehirn und Rückenmark mangelt 1854 Mikroskopische Beobachtungen sehr gesetzmäßiger Bewegungen, welche die Bildung von Niederschlägen harziger Körper aus Weingeist begleiten 1854 Über ein sehr einfaches Verfahren, den Tod vom Scheintod zu unterscheiden 1854 Über die Verbindung von Mutter und Frucht bei den verschiedenen Classen der Säugetiere Protokolle, abgedruckt in Froriep, Notizen aus dem Gebiet der Natur und Heilkunde 1835

W. MEISCHNEB, Emst Heinrich Weber

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Erschienen in: A m t l i c h e r B e r i c h t ü b e r d i e 19. V e r s a m m l u n g d e u t s c h e r N a t u r f o r s c h e r u n d A r z t e zu B r a u n s c h w e i g i m S e p t . 1 8 4 1 Braunschweig 1842 Über die Vesicula prostatica, d. h. über ein Rudiment des Unterus im männlichen Körper des Menschen und des Bibers Über den Descensus testicolorum heim Menschen und beim Biber Über die schlauchartigen Uterindrüsen des Menschen Über die Gestalt, welche die kleinsten Teile des Faserstoffs annehmen, während das Blut gerinnt Über die Zusammensetzung der weißen Haut des Hühnereies Anschrift des Verfassers: Doz. Dr. phil. habil. W . MEISOHNEB, Sektion Psychologie der Karl-Marx-Universität Leipzig, DDR - 703 Leipzig, Tieckstr. 2

From the Department of Psychology Humboldt-University, Berlin

Analogical reasoning — an approach to mechanisms underlying human intelligence performances B y F . K L I X a n d E L K E VAN DER MEEK. With 14 figures

1. The theoretical background We believe that the process of analogizing plays a fundamental role in mental life of human beings. It is not the place here to discuss the cognitive and adaptive role of this fascinating property of human thinking. Instead we will ask for the elementary mechanisms which generate the phenomenon itself. We remember that some of the best standardized intelligence tests require the detection of analogies (the RAVEN matrices for instance). Thus we intend to explain, through the analysis of this cognitive capability, functional principles which underly human intelligent behavior. And we have reasons to assume that also components of creativity may be covered by this approach. Many examples indicate furthe'ron that analogizing underlies transfer procedures in higher and especially in complex cognitive levels. Our intention demands to clear up definitely what we mean by using the word 'analogizing'. What we are able in this direction is the possibility of defining sufficient criteria, i. e. at least one class of analogizing but we are not in a position to decide whether this definition embraces all possible forms of analogizing. Analogizing is a special type of reasoning. Thus we can substitute the word by analogous reasoning. Reasoning means that there are derivable consequences in cognitive structures which are not explicitely stored. In fact we have to deal with cognitive structures. Figure 10 a gives an example from the perceptive level. We have two pairs of figures, called 21, 21', 33 and 93'. In an intuitive sense we can say that the pair 21 and 21' is analogue to 93 and 93'. It seems that the analogy is due to some sort of kinship between structures. And we have to clear up this kinship (see Fig. l b ) . By structure we mean that there are states (i. e. properties, components of a complex figure etc.) and relations between them. In the example of fig. l a we have four twice. They are denominated as V, W, X, Y. And the relations between

F. K u i / E . YAK deb Meer, Human intelligence performances

171

Fig. l a . Complex patterns as an example for sufficient conditions of analogous detection. The problem is to detect the common relationship between 31, 91' and 33, S3' respectively. The relationship may by handled as transformations Ti which, applied to 91 allow to construct 9t' or applied to 33, allow to construct 33'.

A'-- IA\ (R,i i £ lzi

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DKcnepuMeHTaJibHiie «aHHbie n03B0jmjui aHanirajipoBaTb npoijecc nepepaSoraii HH(|>opManHii npa aaKjnoqeHHH n o aHanornn. PaspaßoTaHHaa HaMH Modern SaaHpyeTCH Ha npeflcTaBJieHHHX o npii3HaK0B0it perrpeseHTaqiiH noHHTnfi.

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Anschrift der Verfasser: Prof. Dr. F. K u x und Dipl. Psych. E L K E VAN D E R Sektion Psychologie der Humboldt-Universität, DDR - 102 Berlin, Oranienburger Str. 18

MEEB,

Aus dem Psychologischen Institut der Ruhr-Universi tat Bochum

Wortwahrnehmung und Hemisphären-Dominanz V o n G E R D A LAZARTJS-MAINKA u n d H . LAZARUS Mit 6 Abbildungen

I. Fragestellung Wie aus der Literatur bekannt ist, werden verbale Reize (Silbenreihen, Wortmaterial), die mittels der dichotic-listening-Methode der Versuchsperson dargeboten werden, von rechts eintreffend signifikant besser, vollständiger reproduziert als verbale Reize, die simultan auf dem linken Ohr zu hören waren [ 1 1 , 1 2 , 3 , 8 , 1 0 , 1 3 ] . Die Interpretation dieser Ergebnisse wird vor allem von drei unterschiedlichen Aspekten aus durchgeführt. KIMURA [11, 12], CURRY und RUTHERFORD [3] interpretieren diese sogenannte Ohr-Asymmetrie als Hinweis für eine unterschiedliche Sprach Wahrnehmungsleistung, die auf einer funktionellen Differenz der beiden Hirnhälften beruhen könnte. Dabei wird von den Autoren ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es sich um eine unterschiedlich gut durchgeführte Sprachwa/ime/imungsleistung und nicht um eine unterschiedlich gute Behaltensleistung handelt. In anderer Weise wurde die seitenspezifische Reproduktionsleistung von B R Y D E N [2] und vor allem von I N G U S [8—10] interpretiert. Sie führen die HemisphärenDominanz, die sich in der unterschiedlichen Reproduktionsleistung der Items widerspiegelt, auf die Reihenfolge zurück, in der die Items erinnert werden. Die Autoren beziehen sich in ihrer Diskussion auf das von BROADBENT [1] beschriebene S TMModell. In Ausführungen von B R Y D E N [2] und IITGLIS [8—10] ist jedoch nichts darüber ausgesagt, aus welchem Grund die Vp mit den Reizen der rechten Seite beginnt. Nur weil die Vp mit dem Material der rechten Seite beginnt, kann eine Verbesserung entsprechend dem STM-Modell erfolgen. Eine Reihe von Arbeiten stellen die Interpretation von INGLIS [8—10] und B R Y D E N [2] in Frage, nach der die Reihenfolge der Reproduktion der Items die Ohr-Asymmetrie determinieren soll. In Untersuchungen, in denen die Reihenfolge der Reproduktion der Items durch Instruktion kontrolliert wurde, konnte immer wieder ein Lateralitätseffekt gefunden werden [6, 13]. Der Lateralitätseffekt wird schließlich von TREISMAH und G E F F E N [16] ähnlich wie von KIMURA [11, 12] auf eine kortikale Wahrnehmungsdifferenz der linken gegenüber der rechten Hemisphäre zurückgeführt, die im Zusammenhang mit der 13 Z. Psychologie 186-2

190

Z. Psychol. Bd. 186 (1978) H. 2

Sprachdominanz der linken Hemisphäre zu sehen ist. Sie machen jedoch noch einen weiteren Faktor — die Aufmerksamkeitsfluktuation — für die Leistungsdifferenz zwischen den beiden Hemisphären verantwortlich. Bei der dichotic-listeningMethode spielt die Aufmerksamkeitsverteilung bei der Wahrnehmung der Wörter eine wichtige Rolle. Sobald jedoch die Aufmerksamkeitskapazität einer Yp durch Informationsangebot überlastet wird, wie es etwa in der dichotic-listening-Methode der Fall ist, macht sich ein Lateralitätseffekt in einem Leistungsdefizit in bekannter Weise bemerkbar. Vergleicht man die Untersuchungen, die zur Lateralität sprachlichen Materials durchgeführt worden sind, untereinander, so kann man verallgemeinernd einige wichtige Punkte aufzeigen, die diese Experimente charakterisieren: — es handelt sich in den meisten Fällen um Experimente, in denen die dichoticlistening-Methode verwendet worden ist, — es wird entweder in den Experimenten ein Design verwendet, in dem das Material kurzzeitig gespeichert wird und die Aufmerksamkeit kontrolliert wird oder aber — in der die Behaltensleistung auf ein Minimum reduziert (Prinzip des Shadowing) und die Aufmerksamkeitsfluktuation manipuliert wird. Die Ergebnisse aus diesen dichotic-listening-Untersuchungen sind jedoch nicht eindeutig zu interpretieren, da das experimentelle Design mindestens zwei Faktoren beinhaltet, durch die die Ohr-Asymmetrie bedingt sein könnte: durch die Konkurrenz der wahrzunehmenden verbalen Reize, gekoppelt entweder mit einem Speichervorgang oder aber mit der Manipulation der Aufmerksamkeit. Wie aber kann man auf Grund eines so komplexen Designs entscheiden, welche Art von psychologischen Prozessen für die Ohr-Asymmetrie verantwortlich gemacht werden kann : — ist es ein Sprachwahrnehmungsdefizit der rechten Hemisphäre gegenüber der linken Hemisphäre, wie es K I M U R A [11, 1 2 ] annimmt, — und kommt zusätzlich noch eine Kapazitätsüberschreitung zur Auswirkung, die durch die simultane Verarbeitung von Reizmaterial gegeben ist, wie TREISMAN [ 1 6 ] vermutet, — oder liegt die Ohr-Asymmetrie an der Art und Weise der Reihenfolge, mit der die wahrgenommenen verbalen Reize reproduziert werden wie B R Y D E N [2] und I N G I J S [8—10] postulieren? Um in diesen Fragenkomplex ein wenig Licht zu bringen, sind wir in der folgenden Untersuchung der Frage nachgegangen: Ist bei monauraler Versuchsbedingung, in der die Konkurrenz zweier wahrzunehmender verbaler Reize ausgeschaltet ist und in der die Kurzzeitspeicherprozesse auf ein Minimum reduziert und die Aufmerksamkeitsfluktuation stark eingeschränkt ist, noch ein Lateralitätseffekt bei sprachlichem Material aufzuzeigen? Die Ohr-Asymmetrie müßte in einem solchen Experiment noch zu beobachten sein, wenn die Annahme zulässig ist, daß die HemisphärenDominanz auf einer unterschiedlichen Wahrnehmungsleistung verbalen Materials beruht, also im Perception-System des von BROADBENT [1] konzipierten Modells zu lokalisieren ist. Um Aussagen darüber machen zu können, inwieweit die Wahrnehmungsleistung

G. LAZABUS-MAINKA/H. LAZARUS, Wortwahrnehmung und Hemisphären-Dominanz

191

verbalen Materials von der Hemisphären-Dominanz abhängig ist, müßten experimentelle Bedingungen geschaffen werden, die ausschließlich nur die Prozesse erfassen, die die Wahrnehmung von Sprachmaterial charakterisieren. Wahrnehmen von sprachlichem Material, so könnte man sagen, ist ein Prozeß, der durch drei unterschiedliche Vorgänge analog zum Modell von GAGNÉ [4] zu beschreiben ist, durch SENSING, IDENTIFIZIEREN und REAGIEREN bzw. in unserem Fall durch VERB ALISIEREN. Das heißt konkret: Ein Sprachreiz wird empfunden,^ wenn er oberhalb der sinnesspezifischen Reizschwelle liegt. Er wird, sobald er empund IDENTIFIZIEREN sind Prozesse, die bei funden ist, identifiziert. SENSING der Wahrnehmung verbalen Materials zeitlich kaum voneinander zu trennen sind. Die Art der Reaktion kann je nach Absicht der Untersuchung manipuliert werden. Das „laute Verbalisieren" des wahrgenommenen Sprachreizes als verlangte Reaktion ist eine der kompatibelsten Antwortmöglichkeiten, die in einer Wahrnehmungsaufgabe mit verbalem Material verwendet werden könnte. Entsprechend der Beschreibung des Wahrnehmungsprozesses können Leistungsunterschiede in Abhängigkeit von der Hemisphären-Dominanz erwartet werden, und zwar in der Sensing und Identifikationsphase und in der Reaktionsphase, d. h. hier in der Verbalisierungsphase. Als Indikator dieser beiden Phasen kann einmal die Wahrnehmungsleistung, also die Schwelle, zum anderen die Reaktionszeit verwendet werden, die Zeit, die vergeht, bis die Vp das Wort nachspricht, das sie empfunden und identifiziert hat. Wenn eine Hemisphären-Dominanz in vermuteter Richtung sich in der Wahrnehmungsleistung verbalen Materials ausdrücken sollte, so müßte sich dieser Unterschied in zweifacher Weise in den experimentellen Daten niederschlagen: 1. E s könnte zu erwarten sein, daß die rechte Hemisphäre gegenüber der linken Hemisphäre ein Wahrnehmungsdefizit in der Wahrnehmungsschwelle von sprachlichem Material aufweist, d. h. die Wahrnehmungsschwelle verbalen Materials müßte linksohrig (rechte Hemisphäre) höher sein als von verbalem Material, das rechtsohrig wahrgenommen würde. 2. E s könnte zu erwarten sein, daß die Reaktionszeit, also die Zeit, die gebraucht wird, bis sich die Versuchsperson entschließt, das zu sagen, was sie gehört hat, unterschiedlich ist. D. h. Wörter, die rechtsohrig wahrgenommen werden, werden schneller verbalisiert als Wörter, die linksohrig wahrgenommen werden. Die Annahme, daß sich die Hemisphären-Dominanz in einer unterschiedlich langen verbalen Reaktionszeit nachweisen läßt, ist plausibel, da man von der Vorstellung ausgeht, daß die Sprachsensomotorischen Zentren im Sprachzentrum der linken Hemisphäre lokalisiert sind. Eine Verzögerung der verbalen Reaktionszeit wird durch die Transferprozesse bedingt, durch die die Information von der rechten in die linke Hemisphäre übergeleitet wird. Eine solche Annahme wird durch Befunde von GAZZANIGA [5] unterstützt, der mit Split-Brain-Patienten Versuche durchführte. E r bot Patienten taktile und visuelle Reize getrennt beiden Hemisphären an. Signale, die rechtsohrig (linke Hemisphäre) wahrgenommen wurden, konnten von den Patienten genau be13*

192

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schrieben werden, Reize, die linksseitig dargeboten wurden, konnten jedoch nicht von der Person benannt werden. Die Person wußte keine Antwort oder sie riet herum. Die Information, die aufgenommen wurde, ging jedoch nicht verloren. GAZZANIGA gab den Patienten zur Antwort eine taktile Hilfe. Die Patienten konnten durch Tasten die Dinge aus einem Pool von Gegenständen blind heraussuchen, die sie nicht verbalisieren konnten. Die Übereinstimmung war überzufällig. GAZZANIGA folgert daraus, daß auch die rechte Hemisphäre ein gewisses Maß an Sprach Verständnis hat; zumindest gelingt es der Versuchsperson, Dinge zu identifizieren, ohne diese jedoch verbalisieren zu können. Wir vermuten also, daß der Unterschied, der sich in der Sprachwahrnehmungsleistung, genauer gesagt bei der Wahrnehmung von Wörtern zwischen der rechten und-linken Hemisphäre nachweisen lassen müßte, sich nicht so sehr in der Wahrnehmungsschwelle ausdrückt, sondern eher in der Geschwindigkeit, mit der ein Wort, das nachgesprochen werden soll, verbalisiert wird.

II. Versuchsplanung und Durchführung des ersten Versuchs Wie schon erwähnt, wurde zur Bestimmung der Wahrnehmungsleistung von verbalem Material ein Schwellenwert herangezogen. Da es technisch ausgesprochen aufwendig i§t, die absolute Hörschwelle verbalen Materials zu bestimmen — der Pegel des Störrauschens im Testraum muß sehr gering sein —, wurde die Mithörschwelle von jeder Person ermittelt, d. h. wir haben der Versuchsperson Wörter unter Rauschpegeln dargeboten, und aus der Anzahl der korrekt erkannten Wörter die Schwelle berechnet. Unter der Mithörschwelle versteht man den Schallpegel, den ein akustischer Reiz haben muß, damit er gerade noch neben dem Störpegel gehört — mitgehört — werden kann. Da die Testwörter durch den Schallpegel des Rauschens maskiert werden, liegt die Mithörschwelle selbstverständlich oberhalb der Ruheschwelle (Näheres siehe bei ZWICKER und FELDKELLER [17]). Die Schwelle bzw. die Mithörschwelle wurde nicht mit einem üblichen Audiometerverfahren bestimmt. Als Wortmaterial wählten wir Einsilber, Wörter aus dem sogenannten ,Freiburger Sprachvers tändnistest zur Bestimmung des Diskriminationsverlustes mit einsilbigen Wörtern' [7] aus. In diesem Test sind 400 Einsilber nach bestimmten Kriterien zu 20 Gruppen ä 20 Wörtern zusammengestellt, die im Audiometerverfahren der Person dargeboten werden. Solche Kriterien sind u. a. — Häufigkeit des Vorkommens eines Lautes in einer Gruppe, — Lautzahl in einem Wort, — Stellung des Lautes im Wort (z. B . Anlaut) — Verteilung der Laute zwischen den einzelnen Gruppen. Der Sprachtest hat den Anspruch, daß die Sprachlaute in jeweils einer Gruppe im gleichen prozentualen Verhältnis auftreten, wie es in der normalen Sprache der Fall ist; damit besitzt der Test in seiner Elementarstruktur in etwa eine gewisse Ähnlichkeit mit der fließenden Sprache. Die einzelnen Gruppen sind bezüglich dieser Kriterien weitgehend ähnlich.

G. LAZABTJS-MATNKA/H. LAZARUS, \Vortwahrnehmung und Hemisphären-Dominanz

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Wir haben aus den 20 Wörtern der ersten 10 Gruppen jeweils 10 Wörter nach den oben genannten Kriterien ausgewählt, so daß die Charakteristika der einzelnen Wortgruppen weitgehend erhalten blieb. Die Schallpegel (weißes Rauschen von 50 Hz bis 8 kHz) wurden in Anlehnung an die Untersuchung von MILLER und Mitarb. [14] festgelegt. Der Rauschpegel ist in unserer Untersuchung + 1 0 dB, + 5 dB, 0 dB, —5 dB, —10 dB lauter bzw. leiser als der verbale Reiz. Das Sprachsignal (Einsilber) hat am Ohr der Yp einen Schallpegel von 68 dB, das entspricht dem Schallpegel der gesprochenen Sprache etwa in 1 Meter Abstand. Entsprechend der oben erwähnten Kriterien wurden von den 100 Wörtern jeweils 20 Wörter auf einem Schallpegel verteilt. Beginn und Ende des Wortes wurde durch ein akustisches Signal markiert. Um die Aufmerksamkeit der Versuchsperson so weit wie möglich fixiert zu halten, wurden die 100 Wörter in 4 Gruppen mit 25 Wörtern aufgeteilt, in denen wiederum die Anzahl der 5 Pegel konstant war (jeder Schallpegel kam 5mal vor, die Reihenfolge war zufällig). Die vier Blöcke mit je 25 Wörtern wurden abwechselnd dem linken, rechten, linken, rechten Ohr bzw. umgekehrt dargeboten. Die 100 Wörter wurden auf Band gesprochen und mit dem Rauschen des entsprechenden Pegels vermischt. Bei dem Versuch wurde das Band, das die Wörter sowie den Rauschpegel in oben erwähnter Reihenfolge erhielt, abgespielt (Dauer etwa 10 Minuten). Der Versuchsaufbau ist in Abbildung 1 angegeben. KOPFHÖRER

Abb. 1. Versuchsaufbau

Die Frequenzgänge der beiden Kanäle (rechts und links) stimmen von 50 Hz bis 8 kHz auf ± 1 dB überein. Die Rauschpegel wurden über Kopfhörer gegeben (Fabrikat Sennheiser Nr. HD 414), die in Gehörkapseln eingebaut waren, um die Luftleitung von einem Ohr zum anderen gering zu halten. Der Rauschpegel an dem Ohr bzw. die Spannung am linken und rechten Kopfhörer wurde von jedem Versuch von Band über ein Kalibriersignal kontrolliert, um exakte Versuchsbedingungen zu gewährleisten. An dem Versuch nahmen 30 Studenten im Alter von 20—30 Jahren teil. Sie erhielten die Instruktion, das Wort, das sie gehört hatten nach dem Endsignal nachzusprechen. Hatten sie das Wort nicht verstanden, sollten sie ,nicht verstanden' sagen. 1 1

Wir danken Fräulein U. PBESLEH für die Durchführung und Auswertung dieses Experiments.

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Z. Psychol. Bd. 186 (1978) H. 2

Die Reizwörter und die Antworten der Personen wurden auf einem Tonband gespeichert, um eine differenzierte Auswertung der Daten zu ermöglichen. Aus technischen Gründen bedingt, konnten nur die Daten von 26 Versuchspersonen zur statistischen Auswertung herangezogen werden. m . Auswertung der Daten Die Auswertung der Daten erfolgte nach zwei Punkten: 1. die Bestimmung der Wahrnehmungsleistung (Mithörschwelle) in Abhängigkeit von der Lateralität, 2. die Bestimmung der Latenzzeit in Abhängigkeit von der Lateralität. Zu 1. Im ersten Schritt der Datenanalyse wurden jeweils für die 4 Blöcke getrennt (l.B, 2.B, 3.B, 4.B, mit je 25 Wörtern) die Anzahl der richtig erkannten Wörter unabhängig von dem jeweiligen Rauschpegel bestimmt und eine Varianzanalyse 2 mal 4 für abhängige Daten gerechnet. Auf diese Art und Weise kann vorerst bestimmt werden, inwieweit sich die Anzahl der richtig erkannten Wörter über, die Zeit verändert, inwieweit sich ein Lateralitätseffekt andeutet und inwieweit ein Interaktionseffekt zwischen dem Zeitverlauf und der Lateralität zu sichern ist, der dann einen seitenspezifischen Lateralitätseffekt kennzeichnet.

Abb. 2. Wahrnehmungsleistung über die Zeit

In Abbildung 2 ist die Wahrnehmungsleistung über die Zeit (Blöcke) aufgeteilt nach der Lateralität als Mittelwerte über 13 Versuchspersonen graphisch dargestellt. Es ergibt sich kein signifikanter Lateralitätseffekt ( F = 0 , 0 0 df 1/24), ebenso auch kein signifikanter Interaktionseffekt zwischen der Lateralität und dem Zeitverlauf, was für einen eindeutig zu interpretierenden seitenspezifischen Lateralitätseffekt notwendig gewesen wäre (F—1,93, df 3/72). Der in der Graphik dargestellte Zeitverlauf unterschiedlicher Steilheit ist hoch signifikant 39.71 df 3/72). Eine differenzierte Auswertung zeigt, daß sich die Anzahl der richtig wahrgenommenen Wörter von dem 1. Block zum 2. Block signifikant verbessert. Danach ist keine signifikante Veränderung festzustellen. Im zweiten Auswertungsschritt wurde für das linke und für das rechte Ohr

G. LAZARUS-MAINKA/H.

LAZARUS,

Wortwahrnehmung und Hemisphären-Dominanz

195

getrennt die Hörkurve ermittelt, d. h. die richtig erkannten Wörter wurden in Abhängigkeit vom Störpegel ausgezählt. In Abbildung 3 a/b sind die Mittelwerte der richtig erkannten Wörter in Prozentangaben umgerechnet dargestellt.

Abb. 3. Durchschnittlicher Prozentsatz korrekt erkannter Wörter Abb. 3a) Blöcke (B t und B 3 ) Abb. 3b) Blöcke (B 2 und B 4 )

Abbildung 3a zeigt die Kurven der Wahrnehmungsleistung des ersten und dritten Blocks, Abbildung 3b zeigt die Kurve der Wahrnehmungsleistung des zweiten und des vierten Blocks. Über die lineare Regression wurde die Mithörschwelle für die Wahrnehmungsleistung jedes Individuums berechnet und mit dem f-Test für unabhängige Daten auf den Unterschied hin geprüft. Es ergaben sich keine signifikanten Unterschiede (Tabelle 1). Zu 2. Wie schon zu Beginn erwähnt wurde, dient die Latenzzeit, also die Zeit, die vergeht, bis die Person das Wort nachspricht, das sie gehört hat, als Indikator für die psychophysiologischen Prozesse bis zur Verbalisierung. Um die verbalen Reaktionszeiten zahlenmäßig zu erfassen, haben wir den Pegelverlauf des Reizwortes und der Antwort der Versuchsperson vom Tonband auf einen Pegelschreiber übertragen und

196

Z. Psychol. Bd. 186 (1978) H. 2 Tabelle I. Mithörschwelle für rechtes und linkes Ohr 2. und 4. Block

1. und 3. Block Mithörschwelle für rechtes Ohr

X = + 2 . 5 8 dB s = 1.87

Mithörschwelle efür linkes Ohr

X

+ 1 . 8 4 dB s = 2.32 =

1.33 ' d/= 12 t =

X = - 1 . 8 3 dB s = 3.20 - 2 . 7 1 dB s = 3.13

X =

t = 0,37 df = 12

die Zeit mit dem Zentimetermaß ausgemessen, die zwischen dem akustischen Endsignal des Reizwortes und der Antwort der Person liegt (Auflösung der Zeitmessung 83 msec= 1 mm). Ähnlich wie in der Auswertung zur Wahrnehmungsleistung wurde die verbalmotorische Reaktionszeit in Abhängigkeit von der Lateralität in einer 2 mal 4 Yarianzanalyse für abhängige Daten auf ihren Unterschied geprüft. Um einen seitenspezifischen Lateralitätseffekt sichern zu können, ist es notwendig, daß sich ein allgemeiner Lateralitätseffekt nachweisen läßt, d. h. die Bedingung links begonnen gegen rechts begonnen signifikant unterschiedlich ist und daß ein signifikanter Interaktions040 effekt zwischen der Lateralität und dem Zeitverlauf zu sichern ist. In Abbildung 4 ist graphisch der Verlauf der verbal-motorischen Reaktionszeiten über die Zeit als g 0.30 Mittelwerte über die Vpn dargestellt.

I UJ

in

Uj N w 0.20

Uj

Q: •

0.10

o Bl

B2 B3 BLÖCKE

links rtchtz

Abb. 4. Durchschnittliche verbale Reaktionszeiten

Die Ergebnisse aus der Varianzanalyse weisen darauf hin, daß sich zwar ein allgemeiner signifikanter Lateralitätseffekt zwischen den verbalen Reaktionszeiten, d. h. zwischen den Bedingungen rechts begonnen gegen links begonnen sichern läßt (F=4.59, df = 1/24), daß aber kein signifikanter Interaktionseffekt zwischen der Lateralität und dem Zeitverlauf festzustellen ist (F=1.00, df = 3/72). Die Unterschiede der verbalen Reaktionszeiten sind zwischen der Bedingung rechts begonnen gegen links begonnen beim Wahrnehmen und Nachsprechen der Wörter im 2. und 3. Block signifikant. Der Unterschied der verbalen Reaktionszeiten beim Wahrnehmen und Nachsprechen der Wörter des 1. Blocks verfehlt die 5% Absicherung um einen minimalen Betrag von 9 Millisekunden. Der Zeitverlauf der Reaktionszeiten im 4. Block ist nicht mehr signifikant unterschiedlich.

G. LAZARUS-MAINEA/H. LAZABTTS, Wortwahrnehmung und Hemisphären-Dominanz

197

IV. Interpretation der Ergebnisse Aus den Ergebnissen dieser Untersuchung kann festgehalten werden : die Mithörschwelle des rechten gegenüber dem linken Öhr ist nicht signifikant unterschiedlich. Dieser Befund weist darauf hin, daß der Ohr-Asymmetrieeffekt nicht an eiiler funktionellen Differenz der Hirnhälfte liegen kann, die sich spezifisch auf die Sprachwahrnehmungsleistung in unserer Argumentation auf das Sensing und Identifizieren der Wörter auswirken könnte. Vielmehr ist aus den Ergebnissen zu schließen, daß der Effekt der Ohr-Asymmetrie eher durch Prozesse bedingt ist, die auf der Antwortseite (im System von GAGNÉ [4]) zu lokalisieren sind. Wie nachgewiesen werden konnte, verbalisieren Personen, die zuerst auf dem rechten Ohr die Wörter dargeboten bekamen, nahezu über den gesamten Versuch schneller als Personen, die die Wörter zuerst links dargeboten bekamen. Hierbei ist jedoch zu beachten, daß der seitenspezifische Lateralitätseffekt im Sinne unserer Hypothese nur in der ersten Phase des Versuchs (1. Block) auftritt, dann jedoch sich in unerwarteter Richtung niederschlägt. Der Lateralitätseffekt wirkt sich im Verlauf des Versuchs als Positionseffekt aus. Wie diese Ergebnisse zu interpretieren sind, bleibt dahingestellt. MHUII nopor noRCJiyniHBaHHH rrpn ortHOBpeMeHHOft perwcTpaxtHH BpeMeHii. BepßanbHOit peam^HH, KOTopoe ncnojib30Bajiocb HHgHKaTOpOM CKOpOCTH, C KOTOpOft npOTeKaiOT BepßajIbHO-MOTOpHHe üpoqeccu B aaBHCHMOCTH OT aoMHHiipoBajiHH nojiyniapuH. Pe3yjibTaTH: EBIJIO HOKaaaHO, HTO o6a nojiymapHH MoryT BocnpHHHMaTb peqb ojpraaKOBO xoporno, a Hy»(Hoe HJIH BepßajibHO-MOTopHOft peawjHH BpeMH, no KpaftHeft Mepe B nepB&ie MHHyru, AABHCHT OT «OMHHHPOBAHHH nonymapHH. 0 6 o 6 m a n , MOJKHO CKaaaTb, ITO ÖOKOBOÖ 3$$EKT CKopee 06ycJi0BJieH npoqeccaMH, aKTHBupoBaHHbiMH npH pearapoBaHHH, H He CTOJIBKO OT npoqecCOB NPOTEKAJOMNX B $aae BOCIIPHHTHH.

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Hirzel: 1967. Anschrift der Verfasser: Dr. GERDA LAZARUS-MAINKA

Psychologisches Institut der Universität Bochum, D — 463 Bochum Dr.-Ing. HANS LAZARUS B. A. U. D — 46 Dortmund 17, Vogelpothsweg 50

Aus dem Psychologischen Institut der F U Berlin (West) Fachbereich 11 (Philosophie und Sozialwissenschaften)

Einige Grundlagenprobleme der Naturgeschichte des Lernens II 1 V o n P . K E I L E R u n d V . SCHURIG

3.3. Lernen durch Einsicht In systematischer Hinsicht ist das einsichtige Lernen bei Tieren für eine historisch orientierte Bestimmung des Lernbegriffs mit einer ähnlichen Zuordnungsproblematik verknüpft wie etwa die Gewöhnung als elementarste Lernform: Beim Lernen durch Einsicht als der am höchsten entwickelten tierischen Lernform erwächst nämlich das umstrittene Abgrenzungsproblem von Psychischem und Bewußtsein, das notwendig in den sich hier aufdrängenden Tier-Mensch-Vergleich mit eingeht. Lernen durch Einsicht ist die komplizierteste Form individueller psychischer Anpassung tierischer Organismen an die Umwelt. W . K Ö H L E R , der mit der systematischen Untersuchung von neun Schimpansen in einer Tierstation auf Teneriffa während der Jahre 1912 bis 1920 die empirischen und methodischen Grundlagen für die Erforschung der höheren psychischen Prozesse bei nichtmenschlichen Primaten schuf, nennt jedoch bereits als ein Moment des Forschungsinteresses die Frage, inwieweit die anatomisch und biochemisch festgestellten phylogenetischen Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Menschenaffen und Mensch auch im Bereich psychischer Strukturen oder, wie K Ö H L E R es nennt, der Intelligenz, nachgewiesen werden können. In diesem Zusammenhang gehört der Vorschlag K Ö H L E R S , die Intelligenzleistungen der Menschenaffen mit der Entwicklung der Intelligenz des Kleinkindes zu vergleichen, zu den heuristisch wertvollsten Ansätzen sowohl der Entwicklungspsychologie wie auch der Humanethologie; tatsächlich sind solche vergleichenden Untersuchungen mehrfach bis in die neueste Zeit durchgeführt worden. K Ö H L E R wies mit der Interpretation des Verhaltens der von ihm beobachteten Schimpansen unter gestalttheoretischen (d. h. an der Dynamik der Gesamtsituation orientierten) Gesichtspunkten systematisch die Grenzen der bis dahin allgemein verbreiteten Assoziationspsychologie auf und leitete damit die Entwicklung kognitiver Lerntheorien (vgl. beispielsweise die Lernkonzeption ToLMANs) ein. Gegen die Bezeichnung „Lernen durch Einsicht", die sich sowohl in der Lernpsychologie wie auch der Ethologie weitgehend durchgesetzt hat, ist gelegentlich i

Teil I erschien in Z. Psychol. 186 (1978) H. 1

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der Vorwurf des Anthropomorphismus erhoben worden. Ein solcher Einwand erweist sich jedoch gerade dann als höchst problematisch, wenn er von der Vorstellung begleitet wird, sämtliche humanen Lernformen in scharfer Abgrenzung gegenüber dem tierischen Lernverhalten bestimmen zu können. Wie auch für andere, zunächst als spezifisch menschlich angesehene Lernprozesse, wie z. B. stellvertretendes Lernen, Begriffsbildung usw., haben sich aber für das Problemlösungsverhalten zahlreiche naturgeschichtliche Vorformen nachweisen lassen; so beschäftigte sich etwa T O L M A N hauptsächlich mit Experimenten zur Überprüfung einsichtigen Lernverhaltens phylogenetisch tiefer stehender Tiere, vorwiegend der Albinoratte. Die Vorstellung, daß sich in der Entwicklung des Psychischen im Grenzbereich zwischen höheren nichtmenschlichen Primaten und dem Menschen eine klare Trennungslinie aufzeigen lasse, folgt also einer idealisierenden Abstraktion, die, sofern sie absolut gesetzt wird, den realen historischen Zusammenhang mechanistisch verzerrt. Die zwei im Anschluß an die Versuchsanordnungen K Ö H L E R S hauptsächlich realisierten Untersuchungsformen, mit denen die einsichtige Bewältigung von Aufgaben experimentell überprüft werden soll, sind verschiedene Varianten von Umwegversuchen und die Einbeziehung von Hilfsmitteln („Werkzeugen") in den Problemlösungsprozeß. Dabei ist der Aufbau der Versuchsanordnung auch von wesentlicher Bedeutung für die spätere Interpretation der Experimente. So können z. B. die äußeren Bedingungen durch den Experimentator so zweckmäßig angelegt sein, daß dem Versuchstier keine andere Möglichkeit bleibt, als dem vorgezeichneten Weg zu folgen, was dann aber noch nicht notwendig als einsichtiges Lernen aufgefaßt werden muß, obwohl dem Beobachter das Verhalten des Tieres als besonders sinnvoll erscheint. Das Ausbohren zweier Stöcke etwa (vgl. W A Z U B O 1948) ist eine zweckgebundene Handlung des Menschen, dem dann natürlich u. U. das Zusammenstecken der Stöcke durch das Versuchstier folgt, dessen Verhalten aber nur auf der Grundlage des vorausgegangenen zweckmäßigen Herrichtens des Stockes überhaupt erst möglich wird. Die Interpretation einer Aufgabenlösung als Lernen durch Einsicht ist daher um so problematischer, je enger die Koppelung zwischen der Reaktion des Versuchstieres und einer zweckbezogenen Konstruktion der Anlage bleibt, da hier nur ein Nachvollzug der von dem Experimentator vorgedachten Sinnhaftigkeit des Handlungsablaufs möglich ist. Andererseits soll durch die Versuchsbedingungen aber auch die Wahrscheinlichkeit von Zufallslösungen möglichst gering gehalten werden. In der S K I N N E E - B O X beispielsweise ist der Mechanismus der Koppelung des Hebels mit dem Futter für das Versuchstier vollständig verborgen, so daß die Möglichkeit eines einsichtigen Verhaltens von vornherein ausgeschaltet ist und nur noch die Möglichkeit des Lernens durch Versuch und Irrtum offen bleibt. Um einsichtiges Verhalten objektiv überhaupt zu ermöglichen, muß deshalb das Versuchstier seine sensorischen und motorischen Fähigkeiten unbeschränkt realisieren können. Wichtig ist in diesem Zusammenhang das erstmalige Lösen einer Aufgabe; denn nach einem mehrmaligen Durchlaufen der Problemsituation kann keine klare

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Grundlagenprobleme der Naturgeschichte des J e m e n s II

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Entscheidung mehr getroffen werden, ob das Tier die Lösung durch Einsicht oder durch wiederholtes Probieren gefunden hat. Allerdings bleibt zweifelhaft, ob sich dieser scharfe methodische Gegensatz zwischen trial-and-error-Lernen und-Lernen durch Einsicht auch in der phylogenetischen Bestimmung aufrechterhalten läßt: Wenn etwa ein höheres Säugetier (Hund, Primate) durch ein Hindernis von einem Ziel getrennt ist, kommt es nach einer kurzen Orientierungsphase zu einem direkten, geschlossenen Handlungsablauf, in dem das Ziel erreicht wird, während bei Vögeln durch eine solche Situation ein ständiges Hin- und Herlaufen ausgelöst wird, bis durch Zufall das Hindernis überwunden werden kann. Unter diesen Gesichtspunkten kann das Lernen durch Einsicht durchaus als ein Grenzfall des Lernens durch Versuch und Irrtum aufgefaßt werden, bei dem die Zahl der Irrtümer gegen Null geht und aus dem es sich historisch entwickelt hat, indem die Anzahl der Versuche durch Einsatz des Gedächtnisses, der Auswertung verschiedener sensorischer Informationen usw. immer mehr verringert wird. Zu den wichtigsten Kriterien des einsichtigen Lernens gehört daher, daß die Lösung scheinbar „spontan" in einer motorischen Ruhepause gefunden wird, während der nur visuell eine Beziehung zwischen dem Ziel, möglichen Hindernissen und Hilfsmitteln hergestellt worden ist. Im Gegensatz zur Situation in der S K I K N E R - B O X muß bei Umwegversuchen und Aufgaben, deren Lösung die Einbeziehung von Hilfsmitteln erfordert, die räumliche Situation für das Versuchstier vollständig überblickbar sein. Das die Lösung des Problems realisierende Verhalten kann insofern bereits als Handlung angesprochen werden, als es in sich geschlossen verläuft und vor allem an einem Ziel ausgerichtet ist. Es können aber auch Einzelhandlungen auftreten, die für sich genommen sinnlos erscheinen und nur im Zusammenhang mit anderen für sich ebenfalls unzweckmäßigen Reaktionen eine funktionale Bedeutung bekommen, indem sich etwa das Versuchstier bei den Umwegversuchen zunächst vom Ziel entfernen muß, um es überhaupt erreichen zu können. Charakteristisch für die letztgenannte Aufgabenvariante ebenso wie für die Aufgaben, die eine Verwendung oder gar Zurichtung äußerer Hilfsmittel zum Vollzug einzelner Operationen implizieren, ist der Umstand, daß sich das problemlösende Verhalten als Strukturmoment seiner inneren Geschlossenheit deutlich in eine Vorbereitungs- und eine VoUzugsphase gliedert, die nicht unlösbar miteinander verknüpft sind, sondern sich in ihrem Verhältnis nach den objektiven Möglichkeiten der Zielerreichung bestimmen (vgl. L E O N T J E W 1973, S. 186ff., H O L Z K A M E 1973, S. 103f. sowie K E I L E R 1977, S. 141 f.). Der Nachweis des Lernens durch Einsicht insbesondere bei höheren Primaten bedeutet jedoch keineswegs, daß zwischen tierischem und menschlichem Lernen keine qualitativen Unterschiede bestehen, sondern lediglich, daß verschiedene Differenzen und Gemeinsamkeiten genauer bestimmt werden können. So liegen zwar auf der Ebene der Problemerfassung und des Problemlösens durchaus Ähnlichkeiten vor; andererseits unterscheidet sich die menschliche Widerspiegelungstätigkeit von der der Primaten durch das Denken in Wortsymbolen und eine erheblich längere Verknüpfungsfolge im vergangenheitsbezogenen und zukunftsorientierten 14

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Erfassen von Handlungsketten. Die am höchsten entwickelte psychische Form einer solchen zeitlichen Dehnung ist die Planung von Reaktionsfolgen und die Beibehaltung von Zielstellungen über längere Zeiträume, die sich bei Menschen unter entwickelteren gesellschaftlichen Lebensbedingungen über Jahre und Jahrzehnte erstrecken können. Bei aller äußeren Ähnlichkeit des Verhaltens in Problemlösesituationen wäre es daher verfehlt, die sich darin äußernden psychischen Leistungen der höheren Tiere bereits als Denken zu bezeichnen. „Das bedeutet jedoch nicht, beim Tier gäbe es keine ideellen Handlungen. Die sogenannte ,vernünftige Lösung von Aufgaben', das Vorhandensein der Wahrnehmung sowie des Orientierungsund Untersuchungsverhaltens zeugen davon, daß es bei Tieren ideelle Handlungen auf der Ebene des Wahrnehmens gibt. Das sind jedoch keine Gedanken. Diese ideellen Handlungen sind nichts anderes als im Wahrnehmungsfeld reproduzierte Bewegungen, die vom Tier früher physisch vollzogen und zugleich von ihm widergespiegelt wurden; jetzt werden sie in Gestalt der Bewegung des ,Blickpunktes' oder, in allgemeinerer Form, des ,Punktes der Aufmerksamkeit' reproduziert. Diese Handlungen werden jedoch nicht im zweiten Signalsystem widergespiegelt. Sie werden nicht ,auf geistiger Ebene' vollzogen, sie haben nicht die spezifische Form dieser Ebene und sind daher keine Gedanken" (Galpebxn 1972, S. 43f.). Da aber auch Schimpansen in der Lage sind, komplizierte Handlungsketten zu erlernen (vgl. etwa R e n s c h 1968, ist in verschiedenen Lernexperimenten das Ausmaß der Abstraktion einer Zielgröße gegenüber mehreren Einzelhandlungen zum Maßstab der psychischen Leistungsfähigkeit erhoben worden, der zudem auch einen quantitativen Vergleich zum menschlichen Verhalten ermöglichen soll. Im Zusammenhang der erstaunlichen Leistungen von Schimpansen in der Benutzung und Zurichtung von Hilfsmitteln auch in ihrer natürlichen Umwelt (vgl. etwa v a n L a w i c k - G o o d a l l 1975) wird bisweilen die Frage aufgeworfen, inwieweit sich hier nicht bereits das für die spezifisch menschliche Tätigkeit charakteristische Moment der Aneignung der äußeren Natur durchsetzt. Indes sprechen verschiedene Faktoren gegen eine solche Annahme: Zum einen verliert das von den Schimpansen verwendete Hilfsmittel seine funktionale Bedeutung außerhalb des aktuellen Problemzusammenhangs und wird, auch wenn es sich als besonders erfolgreich erweist, nicht für eine spätere Verwendung in ähnlichen Problemsituationen aufgehoben. Des weiteren gehen die Schimpansen, obwohl ihre motorische Geschicklichkeit dies durchaus ermöglicht, nicht dazu über, „ein Werkzeug zur Herstellung eines zweiten zu benutzen", selbst wenn man ihnen eine solche Verrichtung mehrfach vorführt ( v a n Lawick-Goodall. 1975, S. 200). Zum dritten werden von den Tieren die situationsrelevanten Eigenschaften der Hilfsmittel ausschließlich dadurch zur Wirkung gebracht, daß sie selbst die Beziehung zwischen „Werkzeug" und Gegenstand vermitteln und nicht das „Werkzeug" ihre Beziehung zum Gegenstand vermittelt. Daher kann man auch von einem Schimpansen keineswegs behaupten, er benutze „die mechanischen, physikalischen, chemischen Eigenschaften der Dinge, um sie als Machtmittel auf andre Dinge, seinem Zweck gemäß, wirken zu lassen" ( M a r x , MEW Bd. 23, S. 194),

P . K E I L E R / V . SCHUBIG, Grundlagenprobleme der Naturgeschichte des Lernens I I

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da für ihn die objektiven, von der jeweiligen Problemsituation unabhängigen Eigenschaften des „Werkzeuges" überhaupt nicht existieren. So weist beispielsweise K Ö H L E R (1963) darauf hin, daß in den unterschiedlichsten Problemsituationen der „optische Eindruck" auch dann der für die Lösung bestimmende Faktor blieb, wenn er objektiv eine Fehlleistung bedingte, so daß z. B. mehrfach die Hilfsmittel, wenngleich optisch „richtig", so doch mechanisch bzw. statisch unsinnig eingesetzt wurden. Demgegenüber ist die Aneignung der Natur durch den Menschen insofern vernünftig als hierbei die Hilfsmittel in Kenntnis ihrer objektiven, situationsunabhängigen Eigenschaften eingesetzt werden: „Die Vernunft ist ebenso listig als mächtig. Die List besteht überhaupt in der vermittelnden Tätigkeit, welche, indem sie die Objekte ihrer eigenen Natur gemäß aufeinander einwirken und sich aneinander abarbeiten läßt, ohne sich unmittelbar in diesen Prozeß einzumischen, gleichwohl nur ihren Zweck zur Ausführung bringt" (HEGEL 1840, S.382; zit. nach M E W Bd. 23, S. 194, Anm. 2). Tatsächlich wird also in der „vernünftigen Lösung von Aufgaben" durch die höheren nichtmenschlichen Primaten zwar bereits die Grenze einer ausschließlichen Anpassung an die Umwelt erreicht, ohne daß indes die für die Aneignung der Natur notwendigen Abstraktionsleistungen vollzogen werden könnten (vgl. hierzu L E O N T J E W 1973, S. 208 ff.). Eine methodische Schwierigkeit in der Erfassung des Lernens durch Einsicht liegt darin, daß die Yerinnerlichung des Reaktionsablaufs zwar vermutet, aber nicht eindeutig nachgewiesen werden kann, in welchem Umfang der Handlungsverlauf etwa von vorstellungsähnlichen Prozessen kontrolliert wird. Der Zusammenhang der Planung einer Handlung, der Einfluß sensorischer Prozesse und der Einfluß eines averbalen Yorstellungsvermögens auf den Handlungsverlauf sind daher nur schwer abzuschätzen; ein Umstand, der andererseits auch die Möglichkeit einer extrem subjektiven Verhaltensinterpretation eröffnet (vgl. etwa V A N L A W I C K GOODALL

1975).

Ist die Tatsache des Auftretens von problemlösendem Verhalten bei Tieren selbst unbestritten, so wird jedoch die Genese einer solchen Problemlösung zum Teil unter entgegengesetzten Prämissen erklärt. Paradigmatisch läßt sich die unterschiedliche Interpretation psychischer Prozesse bei höheren Primaten durch die Gestalttheorie einerseits und die Theorie der höheren Nerventätigkeit andererseits am Problem der Zurichtung von Hilfsmitteln für die Erreichung eines Ziels durch die Schimpansen verdeutlichen. Dabei erweist sich die Struktur der experimentellen Situation als von besonderer Wichtigkeit, da ihre Spezifik entscheidenden Einfluß auf die involvierten psychischen Vorgänge nimmt. Bedeutsam sind in diesem Zusammenhang die Experimente von W A Z U R O (1948), der mit dem erwachsenen Schimpansen Rafael die klassischen Versuche KÖHLEKS wiederholte, der die Herstellung eines „Werkzeugs" durch den Schimpansen Sultan zur Erlangung einer Banane außerhalb seines Käfigs genauer analysiert hatte. Sultan, später auch die Schimpansin Chica, lernte, zwei harte Schilfrohre von verschiedener Dicke so ineinanderzustecken, daß sich damit eine außerhalb des Käfigs liegende Frucht erreichen ließ, wozu die Länge eines Stockes allein nicht 14*

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ausgereicht hätte. Der erste Schritt in der Problemlösung bestand darin, daß zunächst das Heranziehen der Frucht wie bereits bei früheren Experimenten mit nur einem Stock versucht wurde. Als zweite Phase tritt ein Verhalten auf, das von KÖHLER als im Sinne der Gestalttheorie „guter Fehler" bezeichnet wird: Sultan nimmt ein Schilfrohr, führt es so weit wie möglich aus dem Käfig in Richtung auf die Banane hinaus, nimmt dann das zweite Schilfrohr und schiebt mit ihm das erste Rohr auf das Ziel zu, so daß ein materieller Kontakt zwischen Tier und Ziel hergestellt ist, ohne daß aber das Futter selbst herangeholt werden kann. Entscheidend für diese „Lösung" ist, daß sie zwar mechanisch unsinnig, optisch jedoch „richtig" ist und einen Entwicklungsschritt zur wirklichen Erreichung des Zieles darstellt: Immerhin stellte Sultan mit den Stöcken ein Bindeglied zwischen sich und dem Futter her, das als verlängerter Arm diente und bereits eine Beeinflussung des Objekts ermöglichte. Entscheidend für das Verhalten des Schimpansen ist nach der gestalttheoretischen Interpretation die visuelle Erfassung der Totalität der Gesamtsituation: Das Versuchstier ist jeweils dann in der Lage, eine Aufgabe sehr schnell und sicher zu lösen, wenn sich alle für die Lösung notwendigen Elemente in seinem Blickfeld befinden. Damit ist die Dynamik der Gestaltprinzipien als eine besondere Form des tierischen Lernens auf der Ebene der Wahrnehmung aufzufassen. Der entscheidende Schritt zur Erreichung des Zieles ist in dem klassischen Versuch KÖHLERS mit Sultan dadurch vorbereitet, daß beide Schilfrohre unterschiedliche Öffnungen haben und sich dadurch ineinander schieben lassen. Außerdem wird das Erlernen des Zusammensteckens der Rohre dadurch erleichtert, daß der Versuchsleiter vor dem Tier an der Öffnung eines Schilfrohres herumhantiert. Trotzdem gelingt die Kombination beider Stöcke durch den Schimpansen zunächst nicht. Nach etwa einer Stunde erfolgt dann das Zusammensetzen beider Stöcke und die sofortige Umsetzung in den adäquaten Handlungsvollzug, der zum Erreichen des Zieles führt. Auch hier erfolgt die Problemlösung wiederum, als das Tier in jeder Hand einen Stock festhält und damit durch die optische auch eine mechanische Koppelung nahegelegt wird. Interessant ist das Verhalten Sultans nach der Problemlösung, da die Erfindung nicht nur ausgenutzt wurde, um die Banane heranzuholen, sondern auch gegenüber neutralen Gegenständen ausprobiert wurde. Im Gegensatz zu der gestalttheoretischen Interpretation des Verhaltens des Schimpansen, in der die Plötzlichkeit der Lösung und das einsichtige Verhalten vom Typ einer „Aha-Reaktion" hervorgehoben werden, die beide zu einer abgehobenen Neuartigkeit der Reaktion des Versuchstieres führen, betonen Vertreter d e r T h e o r i e d e r h ö h e r e n N e r v e n t ä t i g k e i t (PAWLOW, L AD YGINA- K O H T S , WAZTJRO),

daß nicht Merkmale der Gesamttätigkeit wie etwa die Gestaltung des Wahrnehmungsfeldes, sondern die Verknüpfung der einzelnen Elemente (bedingte Reflexe) sinnvolle Lösungen ermögliche, wenn die einzelnen Schritte hinreichend stark bekräftigt werden. WAZTJRO, der mit KÖHLER darin übereinstimmt, daß 'die Entstehung der Problemlösung nicht auf der Grundlage von Versuch und Irrtum er-

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Grundlagenprobleme der Naturgeschichte des Lernens II

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klärt werden kann, mißt jedoch der Zufälligkeit bei der Kombination der einzelnen Lösungsschritte eine wesentlich größere Bedeutung bei. Er kommt zu einer Systematisierung mit drei aufeinanderfolgenden Entwicklungsphasen: 1. Die Periode der ungeordneten Aktivität, die durch wahlloses Manipulieren mit verschiedenen Gegenständen charakterisiert ist und allgemein unter dem Einfluß von Orientierungsreaktionen steht. Orientierungsreaktionen dienen der Aufnahme essentieller Informationen und sind von einer starken Motivation in Form einer allgemeinen Erregung begleitet, die zur Unterdrückung anderer Verhaltenstendenzen führen kann. Da die Objektmanipulationen nicht durch Belohnungen verstärkt werden, stellt sich eine Hemmung der Untersuchungsaktivität ein, die schließlich in einen Ruhezustand des Tieres übergeleitet wird. Der dominierende sensorische Bereich in der Phase der Untersuchungsaktivität ist der kinästhetische Analysator. 2. Die zweite Periode ist durch die äußerliche Ruhe des Tieres gekennzeichnet. Dabei kommt es unter anderem zu einer sekundären Reizung des kinästhetischen Analysators z. B. durch optische Reize, da das Versuchstier zwar nicht mehr mit den Gegenständen manipuliert, aber weiterhin mit ihnen visuell in Kontakt steht (vgl. G A X P E R I N a. 0 . ) . 3. Die dritte Phase ist charakterisiert durch die adäquate Reaktion auf die Problemsituation; in ihr werden die verschiedenen verfügbaren bedingten Reflexe ausgewertet und kombiniert. Wesentlich für die Lernauffassung der Theorie der höheren Nerventätigkeit ist in diesem Zusammenhang, daß es sich bei der Auswertung und Kombination ausschließlich um die Reproduktion bereits existierender und in der Vorgeschichte des Tieres erworbener bedingter Reflexe handelt, so daß sich bei der Problemlösung eigentlich nicht etwas qualitativ Neues realisiert. In der gestalttheoretischen Interpretation kommt der Umgebung des Tieres eine für die Problemlösung wesentliche Bedeutung zu. Sie wird als ein in verschiedene Bezüge gegliedertes Wahrnehmungsfeld verstanden, dessen einzelne Aspekte eine unterschiedliche funktionale Bedeutung besitzen, was zu einer Aufgliederung des phänomenalen Feldes in unterschiedliche Wertigkeiten führt. Dabei entsteht die psychische Organisation primär über die Verarbeitung visueller Informationen. Die Einführung eines Zieles erzeugt in diesem System ein Spannungsfeld, das durch das Auftreten von Hindernissen (z. B. ein Gitter) noch verstärkt wird. Die Lösung der Aufgabe besteht dann in einer Umstrukturierung der Beziehungen der Gegenstände zueinander, die durch die dynamischen Feldkräfte immanent quasi „erzwungen" wird (nicht das Tier kommt zu einer Lösung, sondern die Lösung „ergreift" das Tier). Die Organisation des einsichtigen Lernens ist im Vergleich zu elementareren tierischen Lernformen u. a. dadurch komplizierter, daß Reaktionsziel und Reaktion zumindest zu Beginn der Lösungsphase auseinanderfallen und z. B. bei indirekten Zielen zunächst eine räumliche Orientierung in Richtung fort vom eigentlichen Ziel erfolgen muß. Dabei bleibt die räumliche Nähe des kritischen Objekts (Hinder-

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nis, Hilfsmittel) zum Zielbereich dennoch eine wichtige Voraussetzung für eine Problemerfassung durch das Tier. Außerdem tritt nach Auffassung der Gestalttheorie der instrumentale Charakter verschiedener Objekte des Lebensraumes umso klarer hervor, je stärker sie sich vom allgemeinen Orientierungshintergrund abheben (Prägnanzprinzip der Figur-Grund-Beziehung). Die Gesetzmäßigkeiten der Problemerfassung und Problemlösung sind in der gestalttheoretischen Interpretation also Gesetzmäßigkeiten der inneren Dynamik des visuellen Bereichs, der isoliert von den Gesetzmäßigkeiten der äußeren Tätigkeit betrachtet wird. Auf die theoretischen Hintergründe und Implikationen der Kontroverse zwischen der Gestalttheorie und der Theorie der höheren Nerventätigkeit 2 kann in diesem Zusammenhang nicht im Detail eingegangen werden. Festzuhalten bleibt jedoch die Tatsache, daß die psychische Leistungsfähigkeit bei den nichtmenschlichen Primaten bereits so hoch entwickelt ist, daß sie nicht mehr Gegenstand ausschließlich biologisch orientierter Fragestellungen bleibt, sondern bereits zum Gegenstand der Auseinandersetzung zwischen i. e. S. psychologischen Theorien wird. Innerhalb des Bereichs der psychologischen Lerntheorien haben sich vor allem assoziationstheoretisch festgelegte Lerntheretiker wie etwa T H O R N D J K E und die Behavioristen (mit Einschränkungen auch P A W X O W ) gegen den Begriff des einsichtigen Lernens gewandt. Ihre Kritik konnte sich jedoch nicht durchsetzen, da sie eine Negation jener wesentlichen Eigenschaft des einsichtigen Lernens impliziert, die im Entstehen qualitativ neuen Verhaltens liegt —, eine Eigenschaft, die auch in neueren modifizierten Bezeichnungen des Phänomens wie z. B. „primär neukombiniertes Verhalten" o. ä. betont wird.

4. Lernen als individuelle Anpassungsleistung im Spannungsfeld von Festgelegtheit und Modifikabilität organismischer Umweltbeziehungen Uber die Inventarisierung der von einer Tierart realisierbaren Lernformen ist eine Bestimmung der artspezifischen Lernfähigkeit möglich, die zugleich sowohl in qualitativer (was wird gelernt?) wie auch in quantitativer Hinsicht (wieviel und wie schnell wird gelernt?) ein objektives Kriterium der Psychophylogenese als Fortschritt psychischer Leistungsfähigkeit darstellt (vgl. L E O N T J E W 1973, S. 155 ff.). Indes verbirgt sich hinter dieser scheinbar leicht handhabbaren, für eine differenziertere Bestimmung des phylogenetischen Verwandtschaftsgrades der einzelnen Tierarten höchst relevanten Begrifflichkeit eine ganze Reihe von theoretischen und empirischen Problemen. 2 Die neueren sowjetischen Lernkonzeptionen innerhalb der „kulturhistorischen Schule" stellen in einem gewissen Sinne eine Synthese dieser beiden Konzeptionen dar (vgl. oben, S. 206). Dabei wird von folgender Feststellung ausgegangen: „Was die Gestaltpsychologen zu einem Postulat verwandelt haben, betrachten wir als UntersuchungsproMem. Unter dem Aspekt der Lerntheorie, bedeutet das: Was die Gestaltpsychologie als Lernfaktor ansieht, betrachten wir als

Lernprodukt"

( L E O N T J E W 1 9 7 2 , S. 17).

P. KEILER/V. ScHURIG, Grundlagenprobleme der Naturgeschichte des Lernens I I

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So bleibt beispielsweise der Begriff der Lernfähigkeit so lange eine leere Abstraktion 3 , wie er nicht zum Gesamt der wirklichen, artspezifischen Umweltbeziehungen ins Verhältnis gesetzt wird, d. h. so lange die quantitative und funktionale Bedeutung der für die betreffende Tierart empirisch feststellbaren Lernformen nicht erfaßt ist. Die hier angedeutete Problematik wird besonders augenfällig bei Lernexperimenten, in denen eine gewisse „Humanisierung" des tierischen Verhaltens stattfindet, wie etwa in den bekannten Untersuchungen von WÖLPE (1936), COWLES

(1937) und anderen, wo Schimpansen eigens für das Experiment konstruierte gegenständliche Mittel-Zweck-Relationen von erheblicher Kompliziertheit zwischen runden Metallscheiben, einem Automaten („vender") und Futter zu lernen hatten. In der Versuchsanordnung von WotFB bestand z. B. zwischen den Marken eine spezifische Rangfolge, die durch Farben gekennzeichnet war: Für eine Messingmarke gab es nichts, für eine weiße Spielmarke konnte eine und für einen blauen Chip konnten zwei Weinbeeren am Automaten eingetauscht werden. Wie später auch in den Experimenten von COWLES zeigte sich, daß die Versuchstiere durch Erfahrung je nach ihrer Motivationslage dazu gebracht werden können, bestimmte Spielmarken zu wählen, um sie dann gegen die Nahrungsobjekte einzutauschen. War den Tieren zeitweilig der Zugang zu dem Automaten verwehrt, so gingen sie u. a. dazu über, regelrechte Vorräte von Chips anzulegen. Läßt man die teilweise abenteuerlichen Interpretationen der Untersuchungsergebnisse durch die Autoren selbst (vgl. insbesondere NISSEN und CRAWFOBD 1936) außer acht, so bleibt dennoch ein eindrucksvolles Bild von der Lernfähigkeit der untersuchten Tiere bestehen: Die Schimpansen entwickeln in der Experimentalsituation zusammen mit der Entfaltung gestaffelter Wertkategorien eine spezifische Symbolbeziehung zu materiellen Gegenständen. RENSCH (1962) hat für diese Form der Reizbewertung, die nicht mehr nur von der momentanen Konfrontation abhängig ist, sondern bereits ein die spezifische Reizsituation überdauerndes psychisches System bildet, den Terminus „averbaler Wertbegriff" vorgeschlagen. Mit dem averbalen Wertbegriff durchbricht das Versuchstier nicht nur seine momentane Gebundenheit an die Reizsituation, indem es — etwa in der Vorratsbildung als elementarem Besitzverhältnis — zukünftige Verhaltensnotwendigkeiten in seine Reaktionen einbezieht, sondern erreicht auch im Nachvollzug einer bestimmten symbolischen Beziehung eine grundsätzlich neue Abstraktionsebene: Die Objekte erhalten einen spezifischen Tauschwert, der von ihrem tatsächlichen Gebrauchswert verschieden ist. Wie „repräsentativ" ist nun eine solch spektakuläre Lernleistung für den wirklichen Lebensprozeß der im Experiment untersuchten Spezies? Es steht außer 3 „Lernfähigkeit" ist kein „erklärender" Begriff, sondern lediglich die verallgemeinernde Zusammenfassung der Lernleistungen einer Tierart in den unterschiedlichsten Bereichen. E s wäre eine naive Ontologisierung, wollte man, von dem Begriff der Lernfähigkeit ausgehend, eine allgemeine „Disposition" zur individuellen Umweltanpassung annehmen, die sich in den verschiedenen Lernformen konkretisiert, und darüberhinaus womöglich unterstellen, diese Disposition habe eine einheitliche genetische Grundlage (vgl. unten, S. 217ff.).

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Frage, daß derart komplizierte (Direktbeziehungen unter den natürlichen Lebensbedingungen der Schimpansen nicht vorkommen, obwohl auch hier zweifelsfrei bereits umfassende „averbale Wertsysteme" zur Einschätzung etwa des Nahrungsbzw. „Geschmacks"wertes bestimmter Objekte existieren. Primaten verfügen in ihrem natürlichen Lebensraum über eine große Anzahl von unterschiedlichen Nahrungsobjekten, von denen jedes wiederum z. B. nach seinem Reifungszustand oder anderen Eigentümlichkeiten eingeschätzt wird. Der Reichtum der Savannengebiete und des tropischen Regenwaldes an Kleintieren, Früchten, Pflanzen usw. übt jedoch nur einen geringen Selektionsdruck zur Ausbildung expliziter Wertsysteme aus, da bei Ausfall einer Spezialität noch genügend andere Nahrungsobjekte übrig bleiben. Der eigentliche kritische Punkt der erwähnten Lernexperimente liegt indes nicht so sehr in der Frage, in welchem Umfang sich für die hier realisierten Wertsysteme Entsprechungen in den natürlichen Umweltbedingungen finden lassen, als vielmehr in dem Umstand, daß die Versuchstiere in der Experimentalsituation zu potentiellen Mitgliedern einer entwickelten Warengesellschaft werden und eine Grundoperation der gesellschaftlich-historischen Entwicklung des Menschen reproduzieren. Innerhalb der natürlichen innerartlichen Beziehungen der Schimpansen tritt aber das Austauschen materieller Objekte weder als Regel- noch als Ausnahmefall auf (vgl. den auf langjährigen Beobachtungen freilebender Schimpansen fußenden Bericht VAN LAWICK-GOODAIXS), so daß die im Experiment realisierte Lernleistung nicht etwa in der Übertragung (Transfer) einer bereits etablierten Verhaltensweise auf eine komplexere Situation besteht, sondern in der kurzfristigen Herausbildung eines qualitativ neuartigen Verhaltens'als Anpassung an Umweltbedingungen, die von denen in der afrikanischen Savanne oder dem tropischen Regenwald bereits so extrem abweichen, daß sich für das Ausmaß der Differenz keine naturgeschichtliche Analogie finden läßt. Eine solche Anpassungsleistung, die realiter eine erzwungene Vergesellschaftung der Versuchstiere in spezifischen Grenzen darstellt, hat offensichtlich ihre naturgeschichtlichen Voraussetzungen nicht so sehr in den artspezifischen Umweltanforderungen als objektivem Selektionskriterium als vielmehr im hohen Entwicklungsgrad des Psychischen, d. h. in der Fähigkeit der Schimpansen zur Einsicht in situationsrelevante Symbolbeziehungen, die sich im natürlichen Lebensraum der Tiere nicht vorfinden lassen. Die eigentliche theoretische Bedeutung dieser Experimente besteht demnach nicht in dem (als isoliertes empirischés Faktum äußerst irreführenden) Nachweis, daß sich unter geschickt konstruierten Lernbedingungen auch nichtmenschlichen Primaten spezifisch menschliche Verhaltensweisen wie die Benutzung von „Geld" (vgl. FISCHEL 1967, S. 218) oktroyieren lassen, sondern in dem (von den Autoren der betreffenden Untersuchungen selbst nicht gewürdigten) bemerkenswerten Umstand, daß der über die Lernfähigkeit objektivierte Entwicklungsgrad des Psychischen nicht notwendig in einer eineindeutigen, quasi-mechanischen Beziehung zu den artspezifischen Umweltanforderungen steht. So fragwürdig daher solche nichtethologischen Lernexperimente (vgl. auch

P. KEILER/V. SCHUBIG, Grundlagenprobleme der N a t u r g e s c h i c h t e des Lernens I I

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1968) in ihren theoretischen Voraussetzungen und den auf ihnen basierenden Schlußfolgerungen zum Teil auch sein mögen (zur ethologisch begründeten Kritik gerade der behavioristischen Lernkonzeptionen vgl. etwa HOLZKAMPOSTERKAMP 1975, S. 146ff.), liegt ihr positives Moment also gerade darin, daß sie mit dem Nachweis von Lernformen, die unter den Bedingungen ethologischer Experimente in der natürlichen Umwelt der jeweiligen Tierart nicht auftreten, zumindest für den psychischen Bereich das (die freie Kombinierbarkeit aller Merkmale implizierende) vulgär-darwinistische Vorurteil ad absurdum führen, das Vorhandensein und die Variabilität eines Merkmals seien (in bestimmten Toleranzgrenzen) eine direkte Funktion des Selektionsdrucks. (Angesichts der grundsätzlichen Problematik ist dann die Frage, wie die im Experiment punktuell ermittelte Lernfähigkeit einzelner Tiere sinnvoll mit der allgemeinen Lernfähigkeit der betreffenden Art in Beziehung gebracht werden kann, ein zweitrangiges, methodisches Problem, das sich in gleicher Weise sowohl für die ethologische Untersuchung wie auch das nichtethologische Lernexperiment stellt.) RENSCH

Die sinnvolle Beantwortung der Frage nach der über das Lernverhalten artgleicher Individuen bestimmbaren Lernfähigkeit einer Tierart setzt indes voraus, daß nicht nur zwischen den verschiedenen Lernformen, sondern auch zwischen Lernen als allgemeiner individueller Anpassungsleistung und den verschiedenen Verhaltensformen ausreichend differenziert werden kann, die als mehr oder weniger artspezifisches Einzelmerkmal oder Merkmalssyndrom, über die Erbstruktur als Informationsträger vermittelt, innerhalb der Art von Generation zu Generation überdauern und, da sie den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten von Mutation und Selektion unterliegen, gewissermaßen die im genetischen Code idealisierte Arterfahrung objektivieren. In der Fortentwicklung der verschiedenen Verhaltenswissenschaften hat sich immer deutlicher gezeigt, daß auch das über den Erbgang vermittelte (angeborene) Verhalten kein einklassiges Merkmalssystem darstellt, was dann etwa in der inzwischen allgemein akzeptierten Unterscheidung von unbedingten Reflexen, Erbkoordinationen im Rahmen von Instinkthandlungen sowie Taxien als elementaren Orientierungsreaktionen seine theoretische Entsprechung findet, wobei allerdings der funktionale und phylogenetische Zusammenhang zwischen unbedingten Reflexen, Erbkoordinationen aber auch den anderen angeborenen Verhaltensformen noch weitgehend ungeklärt ist (vgl. SCHURIG 1975, Bd. 2, S. 27f.). Dabei darf die phylogenetische Elementarität des angeborenen Verhaltens, die sich u. a. darin zeigt, daß jedes Tier, auch wenn es zu keinen besonderen Lernleistungen fähig ist, über ein lebenserhaltendes Repertoire von unbedingten Reflexen, Erbkoordinationen und angeborenen Orientierungsmechanismen verfügt, nicht mit struktureller Primitivität gleichgesetzt werden. So kann beispielsweise der innere Aufbau von Instinkthandlungen durch die Integration mehrerer hierarchisch organisierter Funktionszentren und die Verzahnung mit anderen Gebrauchshandlungen außerordentlich komplex werden (vgl. a. a. 0 . , S. 16 ff.). Eine klassische Methode zur Ermittlung angeborenen Verhaltens sind die nach

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einem Findling, der 1828 in Nürnberg auftauchte und angeblich bis zu seinem 16. Lebensjahr isoliert in einem Keller aufgewachsen war, benannten KasparIiauser- Versuche: Durch entsprechende Haltungsbedingungen werden die Versuchstiere daran gehindert, die zum Erlernen bestimmter Verhaltenseigenarten notwendigen Erfahrungen zu sammeln. Sie werden deshalb völlig isoliert von ihren Artgenossen in einer möglichst reizarmen Umgebung und unter Einschränkung ihrer Bewegungsmöglichkeiten aufgezogen. Wenn sich diese Tiere dann in ihrer späteren Entwicklung hinsichtlich eines untersuchten Merkmals normal (d. h. in den definierten Grenzen artspezifischer Reaktionsweisen) verhalten, läßt dies die Schlußfolgerung zu, daß es sich bei diesen Reaktionen um angeborene Verhaltensmuster handelt. Auf diese Weise konnten z. B . das Balzverhalten des Stichlings und das Krähen des Haushahns als angeborene Verhaltensformen ermittelt werden. Eine interessante Variante der Kaspar-Hauser-Situation liegt in der Untersuchung von CARMICHAEL ( 1 9 2 6 ) vor, in der Embryonen von Amphibien unter Dauernarkose gehalten wurden, so daß zwar ihre körperliche Entwicklung nicht gehemmt war, jedoch sämtliche Bewegungen unterdrückt wurden. Auch hier entwickelten sich die Reaktionsmuster für Schwimmbewegungen normal, so daß sich die Versuchstiere, in einem späteren Entwicklungsstadium entnarkotisiert, in ihrem Schwimmverhalten nicht von den Kontrolltieren unterschieden, die die entsprechenden Bewegungen bereits seit Tagen „ g e ü b t " hatten. Allgemein hat sich gezeigt, daß die Auswirkungen einer isolierten Aufzucht um so augenfälliger sind, je höher entwickelt die betreffende Tierart ist. S o kommt es beispielsweise bei als Kaspar-Hauser-Tieren aufgezogenen weiblichen Rhesusaffen in der späteren Entwicklung zu einer nachhaltigen Störung des Sexualverhaltens und der Aufzucht der eigenen Nachkommen. Problematisch sind demnach in methodologischer Hinsicht nicht so sehr die „positiven" Ergebnisse einer Kaspar-Hauser-Untersuchung (ein bestimmtes Verhaltensmuster setzt sich gegen die restriktiven äußeren Aufzuchtbedingungen durch) als vielmehr die Ausfälle von Verhaltensweisen in späteren Entwicklungsabschnitten, da immer die Gefahr besteht, daß die Aufzuchtbedingungen selbst zu einem Entwicklungsfaktor werden, womit dann die Entscheidungsmöglichkeit zwischen angeborenem und erlerntem Verhalten verringert anstatt, wie angestrebt, objektiviert wird. Gegen eine unkontrollierte Extrapolation von Kaspar-HauserUntersuchungsergebnissen haben sich daher mit dem Fortschritt der Verhaltenswissenschaften eine Reihe methodologischer Regeln als einschränkende Kriterien herausgebildet: Einmal sind der Reduktion der Umwelt bestimmte Grenzen gesetzt. Indem den ' Versuchstieren nur ganz bestimmte Lernmöglichkeiten entzogen werden, soll die Gefahr verringert werden, daß sich etwa das Aufwachsen in einer reizarmen Umwelt in einer Deformation des Gesamtverhaltens auswirkt. Wenn z. B . die angeborene Fähigkeit von Singvögeln für arttypische Lautmuster überprüft werden soll, führt es zu verläßlicheren Ergebnissen, wenn man dem Versuchstier nur das Reizmuster dieser Strophe vorenthält, es aber sonst in einer normalen Umgebung aufzieht.

P. KEILER/V. SCHUBIG, Grundlagenprobleme der Naturgeschichte des Lernens II

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Des weiteren darf aus dem Fehlen einer bestimmten Verhaltensweise bei einem Kaspar-Hauser-Tier nicht geschlossen werden, daß in der weiteren Entwicklung nicht doch noch angeborene Verhaltensmuster auftreten, da diese u. U. erst in einem späteren Stadium der individuellen Entwicklung funktional werden und ihr Fehlen zu einem früheren Entwicklungszeitpunkt daher keine Bedeutung hat. Dies gilt beispielsweise für die Fälle, in denen die Entwicklung des Bewegungsorgans bereits früher abgeschlossen ist als die Ausbildung der mit ihm zu realisierenden Instinkthandlung. Bei vielen Vögeln etwa sind die Flügel der Jungen schon iange mechanisch funktionstüchtig, bevor die Koordination der Flugbewegungen herangereift ist. Wird dann die abgeschlossene Organentwicklung durch die Reifung der Bewegungskoordination eingeholt, so ist dieser Prozeß äußerlich von einem Lernvorgang nicht zu unterscheiden (vgl. LORENZ 1937). Erschwert wird eine genaue Aussage über den Status einer Verhaltensweise als angeboren oder gelernt vor allem durch die Verzahnung zahlreicher Verhaltenselemente, die dann selbst wieder in unterschiedlichem Verhältnis angeboren und gelernt sind; Ein eindrucksvolles Beispiel für ein solches Ensemble von instinktiven und erlernten Verhaltensmomenten ist das Reaktionsmuster »des Herbeitragens und Verbauens von Nestmaterial bei einigen Rabenvögeln (vgl. etwa HOLZKAMP-OSTERKAMP 1975, S. 64). Da indes trotz strenger Kriterien in vielen Fällen die Frage nicht eindeutig entschieden werden kann, ob in einem Kaspar-Hauser-Versuch das Ausbleiben eines bestimmten Verhaltenselements lediglich die Folge einer mangelnden Umwelterfahrung ist oder aus einer Schädigung des Versuchstieres durch die experimentellen Bedingungen resultiert, sind in den letzten Jahren neue Untersuchungsmethoden entwickelt worden, was zur Verhaltensgenetik als Spezialdisziplin geführt hat: Mit den Verfahren der Genetik werden dabei statt der Vererbungsgänge von morphologischen Merkmalen die von bestimmten Verhaltensabweichungen überprüft. Da jedoch das,Verhalten innerhalb einer Art gewöhnlich sehr gleichförmig ist, sind entsprechende Kreuzungsexperimente bisher nur in wenigen Fällen durchgeführt worden. Eine sehr genaue genetische Verhaltensanalyse liegt allerdings für zwei Bienenrassen mit dihybridem Erbgang vor, bei dem ein Gen für das Offenhalten (uncap) der Zelle und das andere für die Entfernung der Faulbrut (abgestorbene Larven) verantwortlich ist. Für das Ablaufen des vollständigen „hygienischen" Verhaltens müssen beide Erbfaktoren, da rezessiv, in doppelter Form vorliegen. Durch Kreuzung und Rückkreuzung ergeben sich dann vier charakteristische über den Erbgang determinierte Verhaltensweisen: 1. hygienisches Verhalten; 2. unhygienisches Verhalten (die Faulbrut wird in den Zellen gelassen und die Zellen werden verdeckelt); 3. die abgestorbenen Larven werden nicht entfernt, die Zellen werden nicht verdeckelt; 4. die Larvenleichen werden entfernt, die Zellen werden verdeckelt (TEMBROCK 1 9 7 3 , S . 2 0 5 ) .

Neben der Konformität des artspezifischen Verhaltens gibt es noch andere Gründe, vor allem methodischer Art, warum Erbgänge von Verhaltensweisen bisher nur in wenigen Fällen aufgeklärt werden konnten. Zum einen ist ein so komplexes

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Merkmal eines biologischen Systems wie sein Verhalten auch in den einzelnen Komponenten wahrscheinlich nur in Ausnahmefällen von lediglich einem Allelpaar abhängig; Kreuzungsexperimente mit Erbgängen von mehr als zwei Genpaaren sind aber sehr schwer zu analysieren. Zum anderen kommen für verhaltensgenetische Untersuchungen nur Tiere mit geringem Haltungsaufwand und schneller Generationsfolge in Betracht, was aber gerade für die psychologisch interessanten höherentwickelten Tiere nicht zutrifft. Für die Bestimmung der quantitativen und funktionalen Bedeutung der Lernfähigkeit einer Tierart stellt die Anerkennung der Existenz zweier nicht aufeinander reduzierbarer Verhaltensklassen, die gleichwohl lediglich zwei unterschiedliche Aspekte eines allgemeinen Anpassungsprozesses des tierischen Verhaltens an die Umwelt sind, der sich in zwei ineinanderverlaufenden Prozeßtypen mit einem jeweils langsamen (phylogenetischen) und einem schnelleren (ontogenetischen) Prozeßrhythmus realisiert, einen theoretischen Zwischenschritt dar, der die Konkretisierung ihres empirischen Verhältnisses vorbereitet. Denn die Beziehung zwischen phylogenetisch und ontogenetisch herausgebildeten Anpassungsleistungen auf der Verhaltensebene ist kein vom allgemeinen Entwicklungsgang unabhängiges Gleichgewicht, sondern regelt sich bei den einzelnen Tierarten je nach ihrer entwicklungsgeschichtlichen Stellung recht unterschiedlich. Zwar kann man von einer allgemeinen Regel der Phylogenese sprechen, nach der im Gesamtverhalten das Lernverhalten funktional um so mehr überwiegt, je höher die betreffende Tierart stammesgeschichtlich entwickelt ist; indes rechtfertigt diese Regel keineswegs eine Extrapolation in Richtung auf die These, daß der Mensch als in psychischer Hinsicht am höchsten entwickelter Säuger überhaupt keine instinktiven Verhaltensweisen mehr besitzt, was seine antithetische Entsprechung dann in der Behauptung findet, daß es primitive Tiere ohne Lernvermögen gibt, so daß ihre Umweltbeziehungen ausschließlich instinktiv reguliert werden. Abgesehen davon, daß beide Annahmen empirisch nicht haltbar sind, ist auch ihr theoretischer Hintergrund problematisch. In dem idealisierenden Denkmodell, daß am Beginn der Psychophylogenese ein reiner Instinktorganismus gestanden habe und am Ende der seine Umweltbeziehungen ausschließlich durch Lernen regulierende Mensch stehe, ist nämlich das Problem des realen Widerspruchsverhältnisses von angeborenem und gelerntem Verhalten insofern falsch gelöst, als beide immer nur miteinander vorkommenden Anpassungsformen zeitlich voneinander getrennt und unter Verabsolutierung entweder des phylogenetischen oder des ontogenetischen Entwicklungsaspekts einander gegenübergestellt werden. In einer solchen Konzeption liegt dann die „paradoxe Konsequenz, daß die höheren Lebewesen mit immer umfassenderen und differenzierteren Möglichkeiten zur lernenden Anpassung an ihre Umwelt von den phylogenetisch gewordenen Anpassungen, also quasi den Errungenschaften ihrer eigenen Naturgeschichte, in immer höherem Grade abgeschnitten sind" (HOLZKAMP-OSTEEKAMP 1 9 7 5 , S . 1 1 4 ) .

Es ist daher unbedingt notwendig, in der theoretischen Diskussion zwei Ebenen klar zu unterscheiden, die je der psychologischen bzw. der biologischen Gegenstands-

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perspektive entsprechen. In der Psycho Phylogenese verschiebt sich zwar die Relation immer mehr zugunsten des Lernverhaltens, was aber keineswegs bedeutet, daß die Evolution des angeborenen Verhaltens stagniert oder es funktional bedeutungslos wird. I m Gegenteil: Je höher die psychische Informationsverarbeitung um so bedeutsamer werden auch die angeborenen Funktionsfähigkeit

Mechanismen

die erste Voraussetzung der Selbsterhaltung

entwickelt ist,

insofern,

als ihre

bleibt. So zeigt sich

schließlich, daß für die in Lernprozessen objektivierte Umweltöffnung der Verhaltensebene nicht weniger, sondern mehr phylogenetisch verarbeitete und im Genom gespeicherte Information erforderlich ist als für in geschlossenen Regelkreisen ablaufenden Umweltbeziehungen (LORENZ 1973, S. 94). Unter den v o n uns akzentuierten Gesichtspunkten stellt die kognitive Informationsverarbeitung über die höheren Zentren des Zentralnervensystems lediglich eine extreme Spezialisierung dar, die ihrerseits davon abhängig ist, inwieweit das System der unbedingten Reflexe, Automatismen (etwa im vegetativen Bereich) und Instinkthandlungen funktioniert. Dabei besteht zwischen der Komplexität der Informationsverarbeitung,

die den

Psychologen

primär

interessiert,

und

ihrer

funktionalen Wertigkeit für die Existenz des Einzelorganismus und der A r t (dem theoretischen Gegenstand des Biologen) ein Gegensatz, der dann in der Existenz der beiden häufig miteinander verwechselten

Diskussionsebenen seine

theoretische

Entsprechung findet. W e n n man die individuelle Modifikabilität als Maßstab der Anpassungsfähigkeit nimmt, ist sie um so günstiger einzuschätzen, je entwickelter das Lernverhalten, je höher die Lernfähigkeit ist. Für die Ebene der phylogenetischen Entwicklung, der Artbildung und Arterhaltung, sind dagegen die über den genetischen Code realisierten (angeborenen) Mechanismen entscheidend. Daß indes diese Gegenüberstellung der phylogenetischen und ontogenetischen Ebene keinen absoluten, sondern einen relativen Gegensatz impliziert, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß letztlich auch die Lernfähigkeit ein artspezifisches Merkmal ist, das über seine Voraussetzungen den Gesetzen von Mutation und Selektion unterliegt und daher selbst wiederum nur ein theoretisch besonders akzentuierter Aspekt der allgemeinen stammesgeschichtlichen

Entwicklung

ist.

Es wäre jedoch eine zu einfache und irreführende Mödellvorstellung, wollte man eine direkte Rückkoppelungsbeziehung

zwischen Genom,

individuellen

Anpassungs-

leistungen und der natürlichen Auslese annehmen, wonach dann „aufgrund des Selektionsmechanismus

der phylogenetischen Anpassung solche Mutanten

eine

höhere Fortpflanzungswahrscheinlichkeit haben, die eine individuelle Anpassung an neue Umweltgegebenheiten ermöglichen" ( HOLZKAMP-OSTERKAMP 1975, S. 139f.). Eine solche theoretische Annahme setzt die freie Kombinierbarkeit aller Merkmale voraus, die aber empirisch nicht vorliegt. Tatsächlich wirkt eine im Kreuzungsexperiment isolierbare Erbanlage zumeist auf verschiedene Merkmale mehr oder weniger

stark

Polyphänie

ein, beeinflußt

also verschiedene

Entwicklungsvorgänge.

Diese

der Gene kann verschiedene Ausdehnung haben, so daß manche Gene

eine Reihe von Einzelmerkmalen bedingen, die in verschiedenen Entwicklungsabschnitten auftreten, andere wiederum auf die gesamte Erscheinungsform sehr

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stark einwirken, indem sie die Körperproportionen, Wüchsigkeit und das Verhalten gleichzeitig bestimmen (konstitutionsbestimmende Gene). Auf der anderen Seite ist ein einziges Merkmal wohl üur in Ausnahmefällen von einer einzelnen Erbanlage abhängig und wird gewöhnlich durch die nacheinander oder gleichzeitig eingreifende Wirkung zahlreicher Gene bestimmt (Polygenie der Merkmale) (vgl. KÜHN 1969 r S. 342). Einige eindrucksvolle Beispiele für die Koppelung von Körpermerkmalen mit Verhaltensmerkmalen liegen bei verschiedenen Reinzucht-Mäusestämmen vor. So ist beispielsweise die Häufigkeit der Verhaltenskomponente „Sichern" bei Mäusen, die homozygot für die Mutation pink-eyed sind, deutlich vermindert; dasAnheben einer Vorderpfote tritt wesentlich seltener auf als bei nicht-mutierten Mäusen. Die Mutation looptail unterdrückt zugleich „Sichern", Klettern, Vorderpfotenzittern und" Schwanzschlagen; Verhaltensänderungen, die wohl mit der Schwanzdeformation der Mutante und damit verbundenen neuralen Abweichungen in Beziehung gebracht werden können (vgl. TEMBROCK 1973, S. 203f.). Über das phylogenetische Schicksal einer Mutation, die mit der Erhöhung der Variabilität des Verhaltens eine individuelle Anpassung an neue Umweltbedingungen ermöglicht, entscheidet daher nicht allein der Anpassungswert der tatsächlich realisierten individuellen Anpassung, sondern zugleich auch der Selektionswert der polyphän implizierten übrigen Merkmale (etwa im Fortpflanzungsbereich). Im Rahmen der gegenwärtigen empirischen Möglichkeiten empfehlen sich aus diesem Grunde für die Überprüfung der Bedeutung des Verhaltens als Evolutionsmechanismus vor allem Untersuchungen des Fortpflanzungsverhaltens, „da dieses unmittelbar die Genverteilung in einer Population beeinflussen kann" (TEMBROCK 1973, S. 203). Zusammen mit der Genetik des artspezifischen Verhaltensaufbaus kann dann die Überprüfung der evolutionsrelevanten Bedeutung des Verhaltens wichtige Einsichten in die Stammesgeschichte von Verhaltensweisen vermitteln. Daß sich indes das Verhältnis von angeborenen und erlernten Verhaltensweisen keineswegs durchgehend als korrelativer Gegensatz von Festgelegtheit und Modifikabilität realisiert, wurde bereits bei der Erörterung des Prägungslernens deutlich. Auf der anderen Seite fallen dann beispielsweise die zwar erbkoordinierten, aber den individuellen Umweltbedingungen als auslösender Reizsituation angepaßten Bettelbewegungen von Zootieren ins Auge (vgl. das für den motorischen Bereich entworfene Vierfelder-Schema bei EXBL-EIBESFELDT 1967). Tatsächlich besteht ja die -¡4npassungsleistung bei Lernprozessen im allgemeinen nicht in der ontogenetischen Reversibilität ihres Resultats, sondern in dem Umstand, daß sie die Umweltbeziehungen eines Organismus auf der Grundlage psychophysiologischer Widerspiegelungsmechanismen in idealisierter Form festlegen und so einer unbegrenzten Modifikabilität des Verhaltens steuern, deren Konsequenz darin bestünde, daß einerseits bereits einmal vollzogene erfolgreiche Anpassungsschritte im Verlauf der Ontogenese unzählige Male wiederholt werden müßten, andererseits auch ständige Wiederholungen der gleichen „Mißerfolge" nicht vermieden werden könnten. Unbegrenzte Modifikabilität des modifizierbaren Verhaltens würde mit der Möglichkeit einer Anpassung als zeitlich mehr oder weniger

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überdauernder Festgelegtheit zugleich faktisch die Möglichkeit einer psycho-physischer Umweltbeziehungen ausschließen. Notwendige

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Entwicklung

Voraussetzung

für Lernen als Anpassungsleistung und die Entwicklung des psycho-physischen Verhältnisses gleichermaßen ist daher die Fähigkeit eines Organismus, Informationen in Engrammen zu speichern und wieder abzurufen, was indes in einer gegenüber dem Stoffwechsel selbständigen Form erst mit der Herausbildung eines Nervensystems möglich ist, in dem sich dann im Verlauf der Phylogenese das Rückenmark und das Gehirn als die für die psychischen Prozesse wichtigsten Speichersysteme entwickeln. Als besonders bedeutsam erweist sich in diesem Zusammenhang ein Vorgang, den man in Abhebung v o n den phylogenetisch automatisierten, erbkoordinierten Verhaltensanpassungen als „sekundäre Automatisierung" bezeichnen kann. Die Resultate eines solchen Lernprozesses sind dadurch gekennzeichnet, daß sie in Richtung auf eine relative Geschlossenheit der Rezeptions- bzw. Verhaltensweisen gegenüber Umwelteinflüssen hin festgelegt sind, reibungslos und ohne Verzögerung ablaufen, d. h. keine Unterbrechung der Verhaltenssequenz zur Neuorientierung oder gar Neukombination des Verhaltens erfordern und die „Aufmerksamkeit" des Tieres nur bei in dem

entsprechenden

Sequenzprogramm

nicht

antizipierten

Störungen aktivieren (vgl. HOLZKAMP-OSTERKAM? 1975, S. 138). Mit dem phylogenetischen Übergang der Kontrolle des gegenständlichen Verhaltens aus dem Bereich der subkortikalen Ganglien in den kortikalen Bereich differenziert sich dann der motorische Bereich der Umweltbeziehungen der Tiere insofern, als sich mit den Operationen ein gewissermaßen „technischer" Aspekt des Gesamtverhaltens heraushebt, der nicht mehr auf den Inhalt des Gegenstandes bezogen ist, auf den sich das Verhalten in seiner Gesamtheit richtet, sondern auf die A r t und Weise, wie die in das Verhalten einbezogenen Gegenstände vorliegen ( v g l . LEONTJEW 1973, S. 173ff.). Diese Herausdifferenzierung von Operationen bildet den Anfang einer qualitativ neuen Form, die individuellen Erfahrungen der Tiere zu fixieren, und zwar als Fertigkeiten (LEONTJEW) bzw. „ K ö n n e n "

(TEMBROCK, HOLZKAMP-OS^ERKAMP).

Nach PROTOPOPOW entstehen die motorischen Fertigkeiten der Tiere aus den zur Überwindung v o n Hindernissen notwendigen motorischen Elementen, wobei die Eigenart der Fertigkeiten durch den Charakter des Hindernisses bestimmt wird. Dabei beeinflußt der Zielreiz (d. h. die das Verhalten anregende Haupteinwirkung) die Fertigkeit nur dynamisch, das bedeutet, er wirkt sich zwar auf die Schnelligkeit und Genauigkeit aus, mit der eine Fertigkeit fixiert wird, schlägt sich aber nicht in deren Inhalt nieder. Die motorischen Elemente, die in den Bestand der Fertigkeiten eingehen, können unterschiedlicher Herkunft sein; es kann sich sowohl um angeborene, artspezifische Bewegungen wie auch um Bewegungen handeln, die erst im Laufe der individuellen Erfahrung herausgebildet wurden (vgl. LEONTJEW 1973, S. 176). Den Fertigkeiten bzw. dem „ K ö n n e n " als stabilen individuell erworbenen Verhaltensmustern entsprechen im sensorischen Bereich stabile Erfahrungsschemata

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als „Wissen", das im engeren Sinne „wohl nur dem Menschen zukommt, wenn auch gewisse Ansätze hierzu bei Primaten nachgewiesen wurden" (Tembrock 1973, S . 186).

Die Automatisierung und Stereotypisierung der Umweltbeziehungen als Resultat von Lernprozessen schlägt sich dann in langfristigen ontogenetischen Entwicklungsfortschritten des individuellen Tieres nieder und bedeutet die Ausdehnung eines jederzeit verfügbaren Verhaltensrepertoires, das nun seinerseits die Grundlage für «ine neue Form der Umweltöffnung bildet, die sich im Neugier- und Explorationsverhalten objektiviert. Dabei besteht dann die für die jeweils aktuellen Anpassungsschritte notwendige Vorinformation nicht mehr allein in der im genetischen Code idealisierten Arterfahrung, sondern zugleich auch in der im Zentralnervensystem gespeicherten Individualerfahrung; ein Umstand, der zur Folge hat, daß mit der Ausweitung von „Wissen" und „Können" neue Erfahrung „auf einem immer höheren Niveau der Umweltorientierung und -beherrschung gewonnen werden" kann, der ontogenetische Entwicklungsfortschritt demgemäß „in wesentlicher Hinsicht als individualgeschichtliche Kumulation tierischer Erfahrung zu charakterisieren" ist (Holzkamp-Osterkamp 1975, S. 139). Der offenkundige Nachteil auch dieser bereits hochentwickelten, auf einen sich ständig erweiternden Bereich der Umweltbedingungen erstreckenden Anpassungsleistung gegenüber dem phylogenetisch etablierten Verhalten besteht darin, daß von den verschiedenen Artgenossen jedes Individuum für sich allein lernt, wohingegen das angeborene Verhalten über die verschiedenen Tiere einer Population gleichmäßig verbreitet ist, so daß jedes Tier von seinen genetischen Voraussetzungen her die gleichen Chancen besitzt, phylogenetisch wirksam zu bleiben. Noch schwerer fällt indes ins Gewicht, daß die über das Lernverhalten erworbene Erfahrung gewöhnlich mit der Vernichtung des Individuums verlorengeht, so daß die Nachkommen eines Tieres die bereits einmal erreichten Fertigkeiten — praktisch beim P u n k t Null beginnend — stets wieder neu ausbilden müssen, wobei dann jedesmal aufs Neue die Grenzen der Lernfähigkeit mit den Grenzen der ontogenetischen Entwicklung zusammenfallen. So kann zwar jedes Tier ein Maximum an Information sammeln, ohne daß dies aber der Arterfahrung zugute käme. Diese strukturellen Mängel des tierischen Lernverhaltens werden in einer dritten grundlegenden Verhaltensklasse überwunden, die sich in der Phylogenese gewissermaßen als „Synthese" von Arterfahrung und individueller Erfahrung herausgebildet h a t ; es handelt sich dabei um die Entstehung von Traditionen in Tiergesellschaften. Ebenso wie das individuell erworbene Verhalten auf der Existenz angeborener Verhaltensweisen aufbaut, die dann in Teilbereichen in ihrer Entwicklungsfähigkeit dynamisiert werden, kann die Traditionsbildung wiederum als Spezialfall des Lernens verstanden werden und wird in der Literatur auch überwiegend als das Resultat tierischer Nachahmungsleistungen gegenüber einem bestimmten Original eingeordnet. Indes unterscheidet sich die Traditionsbildung in zwei wesentlichen Strukturmerkmalen von allen anderen tierischen Lernformen: Zum einen kommt es zu einer

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A u f h e b u n g der ontogenetischen Begrenzung der S t a b i l i t ä t des Lernergebnisses; z u m anderen m u ß nicht jedes I n d i v i d u u m einer Art f ü r sich den Lernprozeß durchlaufen, sondern es k a n n — unter günstigen U m s t ä n d e n — ein besonders intelligentes I n d i v i d u u m als „ M o d e l l " stellvertretend f ü r eine g e s a m t e G r u p p e lernen. Der besondere Selektionsvorteil der Traditionsbildung ist vor allem darin z u sehen, daß unter Verringerung der Risiken f ü r die S e l b s t - u n d A r t e r h a l t u n g die Flexibilität der Yerhaltensmodifikation des Lernverhaltens m i t der S t a b i l i t ä t phylogenetisch etablierter Verhaltensmerkmale kombiniert wird, d a die tradierten Merkmale z w a r über Generationen beibehalten werden können, d a b e i aber nicht der S t a r r h e i t genetischer F a k t o r e n unterliegen. S o können die tierischen Traditionen in b e s t i m m t e n „ M o d e n " variiert oder wieder aufgegeben werden, ohne daß die E x i s t e n z der A r t d a d u r c h g e f ä h r d e t wird. I m G e g e n s a t z zu den übrigen tierischen L e r n f o r m e n bezieht sich die Traditionsbildung nicht mehr auf Individuen, sondern auf Populationen u n d k a n n daher den anderen, individuell begrenzten, Lernformen als soziales Lernen gegenübergestellt werden. E i n Grenzfall u n d zugleich die wichtigste ethologische G r u n d l a g e der Traditionsbildung ist d a b e i die E l t e r n - J u n g t i e r - B e z i e h u n g , die eine E r f a h r u n g s weitergabe a u c h bei solitär lebenden Arten wie etwa den S i n g v ö g e l n ermöglicht, wobei aber nicht nur ontogenetisch der S t r e u u n g s e f f e k t bereits wieder b e s c h r ä n k t ist, sondern auch phylogenetisch die Tradierung überwiegend e n t l a n g der Generationsfolgen v e r l ä u f t . Die B e d e u t s a m k e i t der Traditionsbildung als eigenständiger K a t e g o r i e innerhalb einer u m f a s s e n d e n L e r n s y s t e m a t i k erhellt bereits a u s d e m U m s t a n d , daß sich besonders bei sozialen Tieren viele Verhaltensleistungen, die z u n ä c h s t als angeboren b e t r a c h t e t wurden, als über komplizierte Lernprozesse v e r m i t t e l t e N a c h a h m u n g e n herausgestellt haben. E i n eindrucksvolles Beispiel f ü r die Selektionsvorteile v o n Traditionen ist die Weitergabe b e s t i m m t e r Futtergewohnheiten bei R a t t e n : Wenn ein Mitglied eines R u d e l s m i t vergifteten N a h r u n g s m i t t e l n (etwa i m R a h m e n der S c h ä d l i n g s b e k ä m p f u n g ) n e g a t i v e E r f a h r u n g e n g e m a c h t h a t , b r e i t e t sich diese Information über d a s g e s a m t e R u d e l aus und das entsprechende N a h r u n g s m i t t e l wird über mehrere Generationen gemieden. Auf diese Weise bilden sich d a n n in einzelnen S t a d t b e z i r k e n lokale Traditionen in der Ablehnung b e s t i m m t e r K ö d e r sorten heraus (vgl. STEINIGER 1950). B e i P r i m a t e n ist die Traditionsbildung in systematischer Weise a n Rotgesichtsm a k a k e n auf der j a p a n i s c h e n Insel K o s h i m a untersucht worden (vgl. KAWAMURA 1963, KAWAI 1965, MIYADI 1973). W ä h r e n d der mehrjährigen B e o b a c h t u n g e n konnten zwei allgemeine K o m m u n i k a t i o n s w e g e bei der Traditionsbildung unterschieden w e r d e n : Während bestehende Gewohnheiten überwiegend v o n der Mutter a n das K i n d und v o n älteren an jüngere Affen weitergegeben werden, geht die Übern a h m e neu entstandener Gewohnheiten zumeist den u m g e k e h r t e n Weg. In diesem Z u s a m m e n h a n g wird die Ausbreitung der E n t d e c k u n g eines besonders intelligenten Affen, die beispielsweise die E r n ä h r u n g s b e d i n g u n g e n im G r u p p e n v e r b a n d verbessert, als „präkulturelles V e r h a l t e n " bezeichnet (MIYADI 1973). 15 Z. Psychologie 186-2

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Aufschlußreich ist die Traditionsbildung einer Gewohnheit, die damit begann, daß das eineinhalb]ährige Makakenweibchen Imo die Entdeckung machte, daß sich eine Süßkartoffel, die durch Sand verschmutzt war, dadurch reinigen ließ, daß es sie in Wasser wusch. Drei J a h r e später hatten in einer Gruppe von 60 Tieren 11 Gruppenmitglieder das Kartoffelwaschen erlernt. Nach zwei weiteren Jahren hatten lediglich 2 von 11 erwachsenen Tieren, aber von 19 Tieren im Alter von zwei bis zehn Jahren bereits 15 Individuen diese Entdeckung übernommen. Während weibliche Makaken aller Altersgruppen das Waschverhalten erlernten, wurde es von Männchen, die älter als vier J a h r e waren, praktisch nicht mehr übernommen. Am schnellsten wurde die Gewohnheit von ein- bis zweieinhalbjährigen Tieren beiderlei Geschlechts erworben, wobei die Zeitdauer des Zusammenlebens offensichtlich nicht von entscheidender Bedeutung war (vgl. SCHUEIG 1975, Bd. 2, S. 136, Abb. 23). Rotgesichtsmakaken erreichen eine Lebensdauer von etwa 30 Jahren; die Geschlechtsreife der Weibchen tritt mit ungefähr 4 Jahren ein. Wenn bereits im darauffolgenden J a h r eine Geburt erfolgt, lebt die erste Tochtergeneration noch 25 J a h r e , die zweite Tochtergeneration noch 20 Jahre mit der Erfindergeneration zusammen, während erst die sechste Tochtergeneration keinen Kontakt mehr mit der Parentalgeneration hat. Hierbei kann das Übergreifen einer Tradition zwischen den Generationen am günstigsten dann erfolgen, wenn die Erfahrung bereits Allgemeinbesitz der Elterngeneration ist. Entscheidende Lernperiode ist dabei die Jungtierphase, während ältere Weibchen nur schwer und Männchen von einem bestimmten Alter ab nichts mehr lernen. Die Ursachen für ein solches Zurückbleiben sind in der Eigenart dieser Männchen zu sehen, in den Randbereich der Gruppe auszuweichen, um den stärkeren Männchen zu entgehen, so daß ihr sozialer Aktionsbereich erheblich eingeschränkt ist. KAWAI (1965) konnte innerhalb des Ausbildungsprozesses der Tradition zwei Entwicklungsphasen unterscheiden: 1. die „Periode der individuellen Propagation", 2. die „Periode der präkulturellen Propagation". In der ersten Phase wird die Erfahrung durch den Kontakt innerhalb des engeren Yerwandtenkreises weitergegeben: Zuerst erlernte Imos Mutter das Kartoffelwaschen, dann folgten die Spielgefährten und Geschwister. Die zweite Entwicklungsphase war sechs J a h r e nach Imos Entdeckung erreicht worden, da sich zu diesem Zeitpunkt das Kartoffelw.aschen innerhalb der gesamten Gruppe als Gewohnheit durchgesetzt hatte. Damit war die individuelle Erfahrung eines Einzeltieres endgültig zur sozialen Erfahrung einer Population geworden, wobei die Grundlage der Traditionsweitergabe in der unmittelbaren Demonstration am Objekt im Rahmen der Mutter-Kind-Beziehung besteht, bei der das Jungtier die Manipulation des Kartoffelwaschens zum ersten Mal beobachtet und dann selbst übernimmt. Als Modellfall für die progressive Modifikation tradierter Erfahrung in subhumanen Populationen kann dann die weitere Entwicklung des Kartoffe'lwaschens innerhalb der beobachteten Makakengruppe angesehen werden: Nachdem das Waschverhalten in das allgemeine Verhaltensrepertoire der Gruppe übergegangen war, erfolgte eine Vervollkommnung der Entdeckung Imos dahingehend, daß die Süß-

P. K e i l e r / V . S c h t j b i q , G r u n d l a g e n p r o b l e m e der N a t u r g e s c h i c h t e des Lernens I I

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kartoffeln nicht mehr nur in einem Bach, sondern bald auch im Salzwasser des Meeres gewaschen wurden (die naheliegendste Erklärung hierfür ist die Entstehung einer bestimmten akuten Zwangslage durch Umweltveränderungen, z. B. Austrocknen des Baches). Da die gesalzene Nahrung anscheinend besser „schmeckt", ist das „Würzen" (durch das zugleich auch der physiologische Kochsalzbedarf mit gedeckt wird) ebenfalls bald zu einer allgemeinen Gewohnheit der Gruppe geworden. (Zur Entstehung des Weizen-Waschverhaltens und des Badeverhaltens der gleichen Makakenpopulation, das sich bis zum Schwimm- und Tauchverhalten ausweitete, vgl. S c h t t r i g a. a. 0., S . 137ff.). Die Ausbreitung4 präkulturellen Verhaltens innerhalb einer Makakengruppe verläuft gewöhnlich in bestimmten Bahnen, die sowohl durch die Häufigkeit des Kontakts wie auch die Art der sozialen Beziehungen maßgeblich bestimmt werden. Wichtige soziale Kontaktformen sind dabei die Beziehungen vom Muttertier zum Jungtier, von Jungtier zu Jungtier und vom Jungtier zu einem erwachsenen Männchen, wenn es von diesem adoptiert worden ist (vgl. K a w a m u r a 1963). Die Veränderungen der Gewohnheiten einer Population beginnen zumeist bei einem Jungtier, dessen Verhaltensrepertoire noch nicht vollständig festgelegt ist, wobei es durch die Stabilität bereits bestehender präkultureller Traditionen häufig zu einer Verlangsamung der Ausbreitung kommt, da die ranghöheren Tiere dem Erwerb neuer Verhaltensweisen Widerstand entgegensetzen und das Durchprobieren neuer Varianten — die ja gegenüber dem Bewährten mit bestimmten Risiken verbunden sind — durch Kontrolle und Sanktionen unterbinden. Erleichtert wird ein Neuerwerb dadurch, daß, wie etwa beim Übergang zum Reinigen der Kartoffeln im Salzwasser, eine bereits bestehende Verhaltensweise an einem neuen Medium durchprobiert wird und sich damit organisch in das bestehende Verhaltenssystem einpaßt. Die Vorteile der Traditionsbildung gegenüber den individuellen tierischen Lernformen bestehen vor allem darin, daß die direkte Fixierung des Informationsgehalts an die biologischen Strukturen durchbrochen ist und sich ein Informationssystem höherer Ordnung herausbildet, dessen Stabilität sich nicht nur in einer Vervielfachung der räumlichen und zeitlichen Ausdehnung objektiviert, sondern auch in einer geringen Störanfälligkeit: Selbst der Verlust einzelner Elemente bzw. Individuen kann das tradierte Kommunikationssystem nicht mehr zerstören; denn durch die Kombination der Lernfähigkeit mehrerer Tiere und die ständige Reaktualisierung der Information im sozial wirksamen Verhalten ist die Speicherkapazität Holzkamp-Ostebkamp weist darauf hin, daß den Untersuchungen der japanischen Forscher an dieser Makakcnpopulation im Hinblick auf die Frage der evolutionären Entstehung von Traditionen insofern nur ein begrenzter Aussagewert zukommt, als das erstmalige Auftreten und die soziale Weitergabc der neuen Verhaltensweisen hier recht eigentlich nicht im Zusammenhang der Bewältigung von Problemsituationen innerhalb der natürlichen Umwelt, sondern im wesentlichen nach gezielter Einführung neuer Nahrungsmittel durch den Menschen zustandekamen (so zählten beispielsweise die Süßkartoffeln ursprünglich ebenso wenig zu den Nahrungsobjekten der untersuchten Makakengruppe wie der in die Untersuchung eingeführte Weizen), „so daß wir es dabei in gewisser Weise mit einer experimentellen Forcierung tierischer Fähigkeiten ( . . . ) zu tun haben" (a. a. 0 . S. 229). 4

15'

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der Traditionsbildung als eine Art „soziales Gedächtnis" potentiell unbegrenzt, wenngleich diese Möglichkeit bei den einzelnen Tierarten biologisch nur in einem geringen Ausmaß genutzt wird 5 . Dabei kann die Selektionsleistung einer Traditionsbildung in zwei Richtungen wirken; einmal im Sinne der Vervielfachung einer besonders günstigen individuellen Erfahrung zur arterhaltenden Anpassungsleistung, zum anderen im Sinne einer multiplikativen Auswirkung von Demonstrationen negativer Erfahrungen (solche Demonstrationen konnten etwa bei Schimpansen beobachtet werden, wo erfahrene Tiere im Angesicht der Gruppe einen elektrischen Zaun berührten oder eine Kiste mit Schlangen öffneten). Im einen wie im anderen Fall beruht der besondere Leistungseffekt der Traditionsbildung gegenüber individuellen Lernprozessen auf der Zusammenfassung bisher isolierter Elemente zu einem umfassender strukturierten Kommunikationssystem. Durch Traditionsbildung entsteht dann auch ein innerartliches Informationsgefälle insofern, als Populationen einer Art als „Subkulturen" mit verschiedenen sozialen Erfahrungen nebeneinander existieren können (was im wesentlichen darauf zurückzuführen ist, daß sich eine Tradition in der Generationslinie im allgemeinen entlang den Verwandtschaftslinien ausbreitet, wodurch die Expansion des Gelernten in natürlicher Weise begrenzt wird). Die in der Ausnutzung der verschiedenen lokalen Besonderheiten der einzelnen Biotope entwickelten unterschiedlichen Traditionen bei den Angehörigen einer Art begünstigen so in einer Vervielfachung der Selektionsmöglichkeiten den phylogenetischen Anpassungsprozeß. Trotz aller Vorteile ist aber die Festlegung tierischer Traditionsbildungen insofern noch relativ unentwickelt, als auch besonders günstige Entdeckungen nicht auf die gesamte Sozialität in einem Verbreitungsgebiet oder gar die gesamte Art übertragen werden, sondern „subkulturell" auf einzelne Populationen beschränkt bleiben. Die Universalität der Extrapolation individueller Erfahrungen wird erst in der menschlichen Gesellschaft möglich, wo sich indes entsprechende Entdeckungen nicht auf den unterschiedlichen Ebenen biologischer Kommunikation, sondern über den ökonomischen Zwang durchsetzen. Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Entstehung präkultureller Gewohnheiten in Tiersozietäten und der kulturellen Tradition des Menschen ist. darin zu sehen, daß die gesellschaftlich-historische Erfahrungsakkumulation über eine sekundäre Vergegenständlichung der Information vorangetrieben wird, was aber wiederum gesellschaftliche Arbeit als Prozeß der primären Vergegenständlichung menschlicher Erfahrungen voraussetzt. Die dem 5 Angesichts des Widerspruchs zwischen dem hohen biologischen Selektionswert der Traditionsbildungen und ihrer geringen Ausprägung und Verbreitung selbst bei den höchstentwickelten Tierarten kommt H o l z k a m p - O s t e r k a m p zu der interessanten (bisher indes lediglich spekulativen) These, daß sich an diesem Tatbestand „prinzipielle Schranken phylogenetisch-naturgeschichtlicher Entwicklungsmöglichkeiten verdeutlichen, die unmittelbar auf die aus der Phylogenese selbst erwachsende Entwicklungsnotwendigkeit des Umschlags von der bloß naturgeschichtlichen zur gesellschaftlich-historischen Progression verweisen" (a. a. O., S. 229). (Vgl. hierzu auch weiter unten.)

P. KEILER/V. SCHURIG, Grundlagenprobleme der Naturgeschichte des Lernens II

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Menschen eigentümlichen neuen Möglichkeiten der Informationsspeicherung und Informationsübertragung beruhen im wesentlichen auf dem produktiven Charakter der Arbeit, d. h. der Fähigkeit des Menschen als Gattungswesen, die Ergebnisse seiner Tätigkeit außerhalb seiner selbst in den Gegenständen zu fixieren: „Die Arbeit h a t sich mit ihrem Gegenstand verbunden. Was auf Seiten des Arbeiters in der Form der Unruhe erschien, erscheint nun als ruhende Eigenschaft, in der Form des Seins, auf seilen des Produkts" (MARX, M E W Bd. 23, S. 195). Mit den Gegenständen der äußeren Wirklichkeit wird dann in der stammesgeschichtlichen Entwicklung nach der Ebene des im Gensatz manifestierten biologischen Artgedächtnisses, der Informationsspeicherung im Zentralnervensystem des Individuums und der Erfahrungsakkumulation in der Lebendigkeit sozialen Verhaltens die vierte Ebene der Erfahrungsfixierung erschlossen, wobei für den menschlichen Lernprozeß die drei phylogenetisch früheren Ebenen keineswegs ihre Bedeutung verlieren, sondern in komplexer und differenzierter Weise in ihm aufgehoben sind. Wichtigstes Medium der spezifisch menschlichen Formen des Lernens ist die Sprache, die ebenso wie das Bewußtsein im unmittelbaren Zusammenhang mit der Arbeit entsteht. Die Sprache ist dann der Ausgangspunkt der sekundären Vergegenständlichung in materiellen Symbolen, die wie die gesprochene Sprache zunächst ihren Inhalt in den Mitteln und Gegenständen der produktiven Tätigkeit haben; so finden sich beispielsweise Höhlenzeichnungen und bildhafte Darstellungen auf Geräten, die gewöhnlich Jagdmotive zum Inhalt haben, bereits im Paläolithikum. Mit der sich allmählich vollziehenden Trennung der Sprache von der unmittelbaren praktischen Tätigkeit entsteht indes nicht nur eine abstrakte Begrifflichkeit, sondern es vollzieht sich auch auf der Ebene der materiellen Symbole der Übergang von der an die Anschaulichkeit gebundenen Bilder„schrift" zur Schrift im eigentlichen Sinne, die ihrerseits die Möglichkeiten zu noch weit abstrakteren Symbolsystemen erschließt. Im Prozeß der gesellschaftlich-historischen Entwicklung ist dann auch eine tradierte Merkmalsweitergabe ohne direkten personellen K o n t a k t möglich, da mechanische, chemische oder elektrische Sekundärspeicher der sozialen Erfahrung angelegt werden. Eine Auslöschung der Tradition nach einigen Generationen, die beim Tier noch absolut wirkt, da hier die Informationsübermittlung die ständige Reaktualisierung der Erfahrung einer Population im Verhalten ihrer Mitglieder erfordert, ist bei der humanen Traditionsbildung, die dann auch als Kultur bezeichnet wird, nicht mehr möglich. Die menschliche Kultur ist damit die historisch-gesellschaftliche Weiterentwicklung der höchstentwickelten tierischen Traditionsleistungen über materielle Gegenstände in zweifacher Form: zum einen über die Mittel und Produkte des Arbeitsprozesses als primärer Vergegenständlichung, zum anderen über die Mittel und Produkte des Kulturprozesses i. e. S. als sekundärer Vergegenständlichung.

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Zusammenfassung Vor dem theoretischen Hintergrund der umfassenderen psycho-physischen Entwicklungsproblematik werden einige Grundlagenprobleme der Naturgeschichte des Lernens erörtert. Dabei werden im wesentlichen drei, sich gegenseitig durchdringende Problembereiche untersucht: 1. die Abgrenzung tierischer Lernprozesse gegenüber anderen Formen organismischer Veränderlichkeit sowie gegenüber spezifisch menschlichen Lernformen und den Anpassungsstrategien lernender Automaten; 2. Lernklassifikationssysteme als logisch oder historisch orientierte Abstraktionen von der empirischen Erscheinungsmannigfaltigkeit; 3. die naturhistorische Konkretisierung des Verhältnisses von Festgelegtheit und Modifikabilität als Ausdruck des jeweiligen phylogenetischen Entwicklungsstandes psycho-physischer Umweltbezichungen. Mit der kritischen Würdigung einiger spezifischer Lernleistungen nichtmenschlicher Primaten (Lernen durch Einsicht, Herausbildung averbaler Wertbegriffe, Traditionsbildung) wird der Ubergang von Anpassungsleistungen im Spannungsfeld organismischer Umweltbeziehungen zu menschlichen Lernformen als Aneignung gesellschaftlich-historischer Erfahrung markiert.

Summary A number of basic problems of the natural history of learning are discussed against the theoretical background of psychophysical development. Three interrelated problem areas are considered, namely (1) delimitation of animal learning processes from other forms of organismal changeability as well as from specifically human forms of learning and the strategies of adaptation of learning machines; (2) learning classification systems as logically or historically oriented abstractions from the empirical multiplicity of phenomena; (3) natural-historical concretization of the relation between fixedness and modifiability as an expression of the respective state of phylogenetic development of psychophysical environmental relations. B y critically appreciating the specific learning power of nonhuman primates (learning by insight, development of averbal conceptions of value, formation of tradition) the transition from adaptability in the stress field of organismal environmental relations to human forms of learning is characterized as acquisition of sociohistorical experience

PeaioMe Ha TeopeTHiecKOM $0He 6ojiee miipoKoit ncHxo$H3HqecKoit npo6jieMaTHKH pa3BHTHH o6cy>KRaiOTCH HeKOToptie TeopeTimecKiie Boirpocti ecmecmeemoU ucmopuu oSynemiH, npnieM b ochobhom HCCJieflyeTCH Tpn nepemieTeHHtix jrpyr c flpyroM Bonpoca: 1. PaarpaHHiemie npoijeccoB oSyiemiH y jkhbothbix ot flpyrax (Jiopivi m3mchhmbocth 0praHH3M0B nan h ot cneijiiiJiMHecKHx ftJiH lenoBeKa $opM oSyieHiin h CTpaTernii rrpiicnocaöjiHBaHHH oSyqaiomnxcH aBTOMaTOB; 2. CncTeMH KjiaccH$HKauHH o6yneHHH KaK jiornnecKH hjih ncTopHiecKH opiieHTupoBaHHtie aBCTpaKI^HH OT OMIlHpHqeCKOrO pa3H006pa3HH HBJieHHÄ; 3. ECTeCTBeHHO-HCTOpHMeCKan K0HKpeTH3aHHH OTHOlneHHH OnpefteJieHHOCTH H MOHH(})imHpyeMOCTH KaK BupaweHHe cooTBeTCTByiomero ypoBHH $HJioreHeTimecKoro pa3BHTHH ncHX0-$H3HiecKHX

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P . KEILER/V. SCHTTRIG, G r u n d l a g e n p r o b l e m e der N a t u r g e s c h i c h t e des L e r n e n s I I

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KEILER/V. SOHUMG,

Grundlagenprobleme der Naturgeschichte des Lernens II

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Anschrift der Verfasser: Priv.-Doz. Dr. PETER KEILER und Prof. Dr. VOLKER Psychologisches Institut der FU Berlin (West) 1000 Berlin (West) 41, Grunewald Str. 35

SCHTJRIG

Aus der Abteilung Psychologie dir Universität Bielefeld

Klassifikation ohne Identifikation: Ein Transfer-Experiment zum Ziffern/Buchstaben-Effekt 1 V o n W . PRINZ

Einleitung (1) Der Aufgabe, einen perzeptiv zugänglichen Gegenstand zu erkennen, kann man in unterschiedlicher Weise korrekt nachkommen. Ein Beobachter, dem z. B. eine Schere vorgelegt wird und dem dabei die nicht näher spezifizierte Frage „Was ist das?" gestellt wird, kann das gezeigte Objekt z. B. als Schere, als Schneidewerkzeug, als Gegenstand aus Metall, aber auch als kleine Papierschere oder schließlich als die kleine Schere aus seiner Schreibtischschublade identifizieren. Entsprechend kann in der etwas schlichter strukturierten experimentellen Situation des Erkennens von Buchstaben ein A entweder als A (Identifikation) oder als Buchstabe (Klassifikation) erkannt werden. Modelle für Erkennungsprozesse vom Typus der Identifikation sehen gewöhnlich vor, daß der Reiz mit Gedächtnisrepräsentationen verglichen wird, welche Merkmale enthalten, die mit denen des Reizes vergleichbar sind. Das bedeutet, daß im Falle der visuellen Darbietung eines Buchstaben eine Repräsentation dieses Reizes mit gespeicherten Repräsentationen der visuellen Merkmale verschiedener Buchstaben verglichen wird. Modelle für Erkennungsprozesse vom Typus der Klassifikation müssen zwischen zwei Fällen unterscheiden. Der erste Fall ist dann gegeben, wenn die in Frage kommende Klasse sich eindeutig durch Merkmale der Modalität definieren läßt, in der der Reiz dargeboten wird (z. B. Klassifikation einer visuell dargebotenen Schere als Gegenstand aus Metall auf der Grundlage des silbrigen Glanzes der Schere). Unter dieser Voraussetzung kann Klassifikation wie Identifikation durch einen direkten Vergleich zwischen einer visuellen Reizrepräsentation und einer Gedächtnisrepräsentation der gemeinsamen visuellen Merkmale der betreffenden Klasse vermittelt werden. Komplizierter ist der zweite Fall, in dem in der Sprache der Reizmodalität keine klassendefinierenden Merkmale bestimmbar sind. Die Klasse der Buchstaben grenzt sich z. B. von der Klasse der Ziffern durch kein erkennbares visuelles Merkmal ab. In diesem Fall — so scheint es — kann die Einordnung eines dargebotenen Zeichens in eine dieser Klassen nur auf indirektem Wege über eine vorausgehende Identifikation erfolgen. Modelle für diesen zweiten 1

Mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Sachbeihilfe Pr 118/1—2).

W. PRINZ, Klassifikation ohne Identifikation

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Fall von Klassifikation müssen demnach offensichtlich zwei getrennte Funktionsstufen der Informationsverarbeitung vorsehen: In einem ersten Schritt erfolgt eine visuelle Kodierung des Reizes, und in einem zweiten Schritt erfolgt — auf der Grundlage des Ergebnisses der visuellen Kodierung — eine semantische Kodierung durch Einordnung in eine Kategorie, die nur semantisch, nicht aber auch visuell definierbar ist (vgl. z. B. die Unterscheidung zwischen stimulus examination [mit dem Ergebnis der Identifikation] und memory examination [mit dem Ergebnis der K l a s s i f i k a t i o n ] b e i N E I S S E R u n d B E L L E R [6]).

Diese Rahmenkonzeption zur Analyse von Klassifikationsleistungen zweiter Art muß mit einem experimentellen Effekt konfrontiert werden, der in Untersuchungen zur Identifikation, Klassifikation oder Diskrimination alphanumerischer Zeichen häufig zu beobachten ist: die Erkennungsleistungen der Beobachter (gemessen durch Such- und Reaktionszeiten) in Aufgaben, in denen Ziffern gegen Buchstaben zu unterscheiden sind (Z/B) sind deutlich den Leistungen für entsprechend strukturierte Aufgaben überlegen, in denen nur Zeichen aus einer der beiden Kategorien diskriminativ zu beantworten sind (B/B oder Z/Z. Dieser Befund (im folgenden: Ziffern/Buchstaben-Effekt) ist verschiedentlich berichtet worden [1, 5, 4]. E r ist außerordentlich leicht zu reproduzieren. E s ist schwer zu sehen, wie er mit der skizzierten Rahmenkonzeption vereinbart werden kann: ist die semantische Kodierung der visuellen Kodierung nachgeschaltet, kann auch unter demjenigen Aufgabenarrangement, unter dem die visuelle Differenzierung im Prinzip durch eine Differenzierung auf der Grundlage der semantischen Kategorienzugehörigkeit unterstützt werden könnte (Z/B), eine Verkürzung der Verarbeitungszeit im Vergleich zu den Kontrollbedingungen weder erwartet noch erklärt werden. Auch wenn man einräumt, daß die semantische Kodierung der visuellen Analyse obligatorisch folgt, kann man nicht erklären, wie Faktoren, die den späteren Prozeß erleichtern, den vorausgehenden beschleunigen sollen. Bevor der Effekt zum Anlaß genommen wird, die scheinbar selbstverständliche Zwei-Stufen-Konzeption der Klassifikation zu revidieren, ist sicherzustellen, daß die Überlegenheit der interkategorialen Diskrimination (Z/B) nicht doch visuell erklärt werden kann. A priori ist nicht auszuschließen, daß Ziffern und Buchstaben sich im visuellen Medium durchschnittlich stärker voneinander unterscheiden als Ziffern und Buchstaben je untereinander. In diesem Fall läge in verkappter Form eine Klassifikation erster Art vor, für die der genannte experimentelle Effekt leicht erklärt werden kann. Eine punktuelle Absicherung gegen diesen Einwand wurde durch JONIDES und GLEITMAN [5] vorgenommen. Sie hielten das Reizmaterial konstant (und damit die ihm inhärente visuelle Diskriminierbarkeit der beteiligten Zeichen) und variierten über die Instruktion die Interpretation des Zeichens 0 als Ziffer oder als Buchstabe. Das Ergebnis bestätigte die Annahme einer rein semantischen Grundlage des Effekts: in identischem Material waren die Suchzeiten bei kategorial verschiedener Interpretation der Zeichen kürzer als bei kategorial identischer Auffassung. INGLING [4] gelangte mit einer anderen Methode zu entsprechenden Schlußfolgerungen.

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Z. Psychol. Bd. 186 (1978) H. 2

(2) Die gegenwärtige Untersuchung geht mit einer anderen Versuchstechnik und mit einem anderen methodischen Prinzip der gleichen Frage nach, um die Absicherung einer semantischen Erklärung des Ziffern/Buchstaben-Effekts auf eine breitere Basis zu stellen. Als Versuchstechnik wird eine Reaktionszeittechnik verwendet, für die ein Ziffern/Buchstaben-Effekt der beschriebenen Art bislang nicht nachgewiesen werden konnte (sogar scheinbar gegenteilige Befunde bei DICK [2]). Das methodische Prinzip besteht darin, daß geprüft wird, ob auf der Grundlage einer spezifischen interkategorialen Diskriminationsaufgabe (z. B . 12/AB) ein Transfer zugunsten einer kategorial äquivalenten Folgeaufgabe (34/CD) zu beobachten ist, der der entsprechenden Leistungsdifferenz für zwei intrakategoriale Diskriminationsaufgaben überlegen ist (EF/GH-+IK/LM). Ein entsprechender Unterschied in den Transferwirkungen könnte nur bei Annahme einer rein semantischen, nicht aber einer visuellen Grundlage des Ziffern/Buchstaben-Effekts erklärt werden. Denn nach einem Austausch der spezifischen Ziffern und Buchstaben bleibt nur noch die semantisch-kategoriale Stiuktur der Aufgabe als Bindeglied zwischen Trainings- und Transferaufgabe und somit als mögliche Verankerungsstelle für einen Transfereffekt in der vorhergesagten Richtung übrig. Über die funktionellen Grundlagen der erwarteten semantischen Transfereffekte können zwei unterschiedliche Vermutungen aufgestellt werden. Die eine Vermutung geht davon aus, daß die innerhalb der Trainingsaufgabe gelernte semantische Klassifikation der Zeichen für Ziffern und Buchstaben in gleicher Weise erfolgt, so daß der Austausch von Ziffern zu den gleichen Transfereffekten wie der Austausch von Buchstaben führt. Die andere Vermutung nimmt dagegen an, daß die Zeichen beider Reaktionskategorien eine unterschiedliche Verarbeitung erfahren. So ist es z. B . denkbar, daß der Beobachter die Elemente aus einer der beiden Zeichenklassen individuell kodiert und gleichzeitig die Elemente der anderen Klasse als nicht individuell kodierte Glieder einer semantischen Kategorie verarbeitet (entsprechend der Frage: Ist der Reiz eines der Zeichen 1, 2, 3, 4 oder irgendein Buchstabe?). Ein von der intrakategorialen Kontrollbedingung verschiedener Transfer könnte in diesem Falle nur für die Elemente der Buchstabenkategorie erwartet werden, nicht aber für die Klasse der individuell kodierten Ziffern. Wenn überhaupt, ist asymmetrischer Transfer in der Form zu erwarten, daß der Beobachter eher zu einer individuellen Kodierung der Elemente aus der vergleichsweise kleinen Gruppe der Ziffern bei gleichzeitiger Kollektivkodierung der Buchstaben als individuell kaum ausgeprägten Gliedern einer relativ großen und unübersichtlichen Kategorie neigt. Demnach wäre in interkategorialen Aufgaben nur bei Buchstabenaustausch, nicht aber bei Ziffernaustausch ein günstigerer Transfer als in den entsprechenden intrakategorialen Aufgaben zu erwarten. Neben diesem Materialfaktor sollte auch die Struktur der Aufgabe (z. B . Betonung einer Antwort gegenüber der anderen oder dergleichen) die Symmetrieverhältnisse des Transfers beeinflussen. So ist zu vermuten, daß ein Zeichen um so eher individuell kodiert wird, je stärker die Reaktionskategorie, der es angehört, betont ist. (3) Die Untersuchung verfolgt somit 3 Ziele. Sie sucht (1) eine allgemeine Be-

W . PRINZ, K l a s s i f i k a t i o n ohne I d e n t i f i k a t i o n

233

stätigung des rein semantischen Charakters des Ziffern/Buchstaben-Effekts, (2) eine Präzisierung seiner funktionellen Grundlagen, besonders im Hinblick auf seine Symmetrie sowie (3) gegebenenfalls — d.h. falls die Ergebnisse es erforderlich machen— eine Revision des beschriebenen zweistufigen Rahmenmodells für den Prozeß der Klassifikation. Methode Yersuchsanweisung und Aufgabe D i e V e r s u c h s p e r s o n s a ß in einem, k ü n s t l i c h b e l e u c h t e t e n R a u m v o r e i n e m P r o j e k t i o n s s c h i r m . A u f d e m P r o j e k t i o n s s c h i r m erschien — u n t e r der K o n t r o l l e einer w e i t g e h e n d a u t o m a t i s i e r t e n V e r s u c h s a p p a r a t u r — auf A b r u f d u r c h die V p ein einzelner R e i z . Als R e i z e k a m e n Ziffern u n d B u c h s t a b e n in B e t r a c h t (vgl. unten). Der B e o b a c h t e r h a t t e die A u f g a b e , den d a r g e b o t e n e n R e i z s o schnell wie m ö g l i c h e n t s p r e c h e n d einer v o r g e g e b e n e n I n s t r u k t i o n zu b e a n t w o r t e n , i n d e m er d u r c h N i e d e r d r ü c k e n einer v o n zwei v e r f ü g b a r e n R e a k t i o n s t a s t e n a n g a b , welcher der b e i d e n z u v o r v e r a b r e d e t e n R e a k t i o n s k a t e g o r i e n er den jeweiligen R e i z z u o r d n e t e . R e g i s t r i e r t w u r d e n Fehler u n d R e a k t i o n s z e i t e n . — N ä h e r e E i n z e l h e i t e n zur V e r s u c h s a p p a r a t u r u n d zur zeitlichen F e i n s t r u k t u r der A u f g a b e finden sich bei PRINZ u n d MANNHATTPT [10] bzw. PRINZ [9],

Versuchsplan Innerhalb Vpn — J e d e V p n a h m a n 9 e t w a e i n s t ü n d i g e n V e r s u c h s s i t z u n g e n teil. Die S i t z u n g e n f a n d e n , soweit m ö g l i c h , a n a u f e i n a n d e r f o l g e n d e n T a g e n zur jeweils gleichen T a g e s z e i t s t a t t . D i e S i t z u n g e n 1, 2 , 4 , 5 , 7 u n d 8 w a r e n T r a i n i n g s s i t z u n g e n . D i e S i t z u n g e n 3, 6 u n d 9 w a r e n T r a n s f e r sitzungen. Jede Trainingssitzung u m f a ß t e 8 D u r c h g ä n g e zu j e 9 6 R e i z e x p o s i t i o n e n m i t einer ( ü b e r alle S i t z u n g e n k o n s t a n t e n ) T r a i n i n g s a u f g a b e . I n n e r h a l b j e d e n D u r c h g a n g s erschienen m i t gleicher H ä u f i g k e i t 8 v e r s c h i e d e n e a l p h a n u m e r i s c h e Zeichen a u f d e m B i l d s c h i r m . D i e I n s t r u k t i o n , die eine V o r s c h r i f t über die Z u o r d n u n g der 8 Zeichen zu den 2 R e a k t i o n e n enthielt, w a r in K u r z f o r m a u f einer I n s t r u k t i o n s k a r t e fixiert, die w ä h r e n d der T r a i n i n g s s i t z u n g e n u n t e r d e m P r o j e k t i o n s s c h i r m sichtbar war. J e d e Transfersitzung u m f a ß t e gleichfalls 8 D u r c h g ä n g e ä 96 E x p o s i t i o n e n . In den D u r c h g ä n g e n 1, 3, 5 u n d 7 w u r d e die Ü b u n g s a u f g a b e a u s den T r a i n i n g s s i t z u n g e n v o r g e g e b e n . I n d e n D u r c h g ä n g e n 2, 4, 6 u n d 8 w a r e n 4 v e r s c h i e d e n e T r a n s f e r a u f g a b e n zu b e a r b e i t e n . Die T r a n s f e r a u f g a b e n h a t t e n die gleiche G r u n d s t r u k t u r wie die T r a i n i n g s ä u f g a b e n : 8 a l p h a n u m e r i s c h e Zeichen b i l d e t e n 2 R e a k t i o n s k a t e g o r i e n ( H a u p t - u n d N e b e n k a t e g o r i e ; HK bzw. NK; der G r u n d f ü r diese B e z e i c h n u n g e n wird i m n ä c h s t e n A b s c h n i t t e r l ä u t e r t ) zu j e 4 Zeichen. A u c h blieb die k a t e g o r i a l e S t r u k t u r der T r a i n i n g s a u f g a b e (d. h. ihre Z u s a m m e n s e t z u n g n a c h Ziffern u n d B u c h s t a b e n ) in allen 4 ihr z u g e o r d n e t e n T r a n s f e r a u f g a b e n e r h a l t e n . D i e T r a n s f e r a u f g a b e n u n t e r s c h i e d e n sich v o n der T r a i n i n g s a u f g a b e lediglich d a d u r c h , d a ß — u n a b h ä n g i g v o n e i n a n d e r — die E l e m e n t e der beiden R e a k t i o n s k a t e g o r i e n gegen neue Zeichen a u s g e t a u s c h t sein k o n n t e n oder n i c h t . A u f diese W e i s e e n t s t a n d e n die 4 T r a n s f e r a u f g a b e n HK=/NK=, HK~/NK^, HK^/NK-, HK*/NK* (lies z. B . f ü r HK^/NK = : A u f g a b e , die in der H a u p t k a t e g o r i e a n d e r e , in der N e b e n k a t e g o r i e die gleichen Zeichen e n t h ä l t wie die T r a i n i n g s a u f g a b e ) . D i e T r a n s f e r a u f g a b e HK=/NK= ist n a t ü r l i c h i d e n t i s c h m i t der T r a i n i n g s a u f g a b e . Welche T r a n s f e r a u f g a b e jeweils zu b e a r b e i t e n w a r , w u r d e der V p d u r c h eine K e n n z i f f e r zu B e g i n n des jeweiligen D u r c h g a n g s auf d e m P r o j e k t i o n s s c h i r m m i t g e t e i l t . Der K e n n z i f f e r war eine e n t s p r e c h e n d e I n s t r u k t i o n s k a r t e z u g e o r d n e t , die d a n n f ü r die D a u e r des D u r c h g a n g s u n t e r d e m S c h i r m a u f g e s t e l l t w u r d e . D i e R e i h e n f o l g e der T r a n s f e r a u f g a b e n w a r i n n e r h a l b einer V p über die 3 T r a n s f e r s i t z u n g e n k o n s t a n t .

234

Z. Psychol. Bd. 186 (1978) H. 2

Zwischen Vpn — 24 Versuchspersonen bildeten 6 Gruppen zu je 4 Vpn. Die 6 Gruppen unterschieden sich nach Art der /nstruktion und nach der kategorialen Struktur der Aufgabe (Faktoren I bzw. A). Die Variation der Instruktion (I) erfolgte in 2 Stufen. Die eine Hälfte der Versuchspersonen arbeitete unter einer Diskriminations-Instruktion, die andere unter einer Detektions-Instruktion (.DIS bzw. DET). Die Diskriminations-Instruktion beauftragte den Beobachter mit einer Entscheidung zwischen 2 gleichrangigen Alternativen („. . . entscheiden, ob das jeweils gezeigte Zeichen zu der linken oder zu der rechten Reaktionskategorie gehört . . ."). Die DetektionsInstruktion verlangte dagegen, „. . . festzustellen, ob das jeweils gezeigte Zeichen zu der kritischen Kategorie gehört oder nicht . . .". Entsprechend wurden auf den Instruktionskarten zu DIS jeweils die Mitglieder beider Reaktionskategorien aufgeführt, während auf den Tafeln zu DET nur eine Reaktionskategorie explizit definiert war und alle übrigen Zeichen nur implizit als Elemente der nicht definierten nicht-kritischen Restkategorie galten. — Die Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenkategorie ist daher nur für die Instruktion DET zu rechtfertigen. Daß zur Bezeichnung der Reaktionskategorien innerhalb von DIS die gleichen Abkürzungen verwendet werden, dient lediglich der Vereinfachung der Etikettierung. Die Variation der kategorialen Aufgabenstruklur (A) erfolgte in 3 Stufen. Die Aufgaben einesBeobachters konnten entweder nur Buchstaben (B/B), Buchstaben in der Hauptkategorie und Ziffern in der Nebenkategorie (B/Z) oder schließlich die umgekehrte Zuordnung (Z/B) aufweisen. (Eine weitere — sehr wünschenswerte — Kontrollbedingung — Z/Z — konnte wegen des bedauerlichen Mangels an Ziffern im Dezimalsystem nicht realisiert werden: 16 Ziffern wären erforderlich, um alle Bedingungskombinationen verwirklichen zu können.) Tabelle I gibt eine Zusammenstellung der Buchstaben- und Ziffernkategorien, die im Experiment verwendet wurden. Die 4 AufTabelle I. Buchstaben- und Ziffernkategorien für Haupt- und Nebenkategorie in den einzelnen Aufgabenbedingungen HK

NK

B/B

a: b:

A E

R N

G S

H C

a: b:

0 u

1 D

P V

K L

Z/B

a: b:

8 7

5 1

9 4

2 6

a: b:

0 u

T D

P V

K" L

B/Z

a: b:

A E

R N

G S

H C

a: b:

8 7

5 1

9 4

2 6

gaben, die sich in jeder Aufgabenbedingung aus den je 2 Zeichensätzen für HK und NK konstruieren lassen (aa, ab, ba, bb) waren den 4 Vpn in jeder Gruppe als Trainingsaufgabe zugeordnet; die verbleibenden 3 Aufgaben verteilten sich entsprechend auf die Transferfunktionen. Auf diese Weise war gewährleistet, daß innerhalb jeder Gruppe jedes Material je einmal in jeder Transferfunktion verwendet wurde. Da die Reihenfolge der Transferaufgaben für alle Vpn konstant war, bildeten somit Transferfunktionen, Transferdurchgänge und Vpn innerhalb der Gruppen die Dimensionen eines Lateinischen Quadrats, welches eine Balance der Reihenfolge der Transferfunktionen innerhalb jeder Gruppe sicherstellte. Versuchspersonen und Versuchshonorar Als Versuchspersonen' dienten 24 Studenten verschiedener Fachrichtungen im Altersbereich zwischen 19 und 29 Jahren. Sie wurden für die Teilnahme am Versuch nach einem Honorarschlüssel bezahlt, der darauf abzielte, die Vp über möglichst lange Zeit hinweg zu konzentrierter, möglichst fehlerfreier Arbeit zu veranlassen. Für die Teilnahme an der ersten Sitzung (in der

W. PRINZ, Klassifikation ohne Identifikation

235

Regel 70 bis 80 Minuten) wurde eine Pauschalvergütung in Höhe von DM 9,50,— bezahlt. F ü r alle weiteren Trainingssitzungen war das Honorar davon abhängig, ob in der jeweiligen S i t z u n g i m Vergleich zu der vorausgegangenen Trainingssitzung eine Leistungsverbesserung zu beobachten war oder nicht. Ob eine Leistungsverbesserung vorlag, wurde durch ein kombiniertes Fehler/ZeitKriterium bestimmt (vgl. PRINZ [9]). I m positiven Fall wurde eih Sitzungshonorar v o n D M 11,—, im negativen Fall von DM 8,— gutgeschrieben. Für die sehr viel schwierigeren (und langwierigeren) Transfersitzungen waren DM 13,— bzw. DM 9,— ausgesetzt. Das höhere Honorar wurde dann erreicht, wenn sich das kombinierte Fehler/Zeit-Kriterium im Vergleich zur vorausgegangenen Trainingssitzung nicht verschlechterte. — Das relativ hohe Honorar und die relativ hohe Anreizdifferenz sollten nicht nur der erhöhten Aufgabenschwierigkeit Rechnung tragen, sondern zugleich insbesondere in den für die Beantwortung der Versuchsfragen entscheidenden Transfersitzungen! eine hohe Antwortqualität garantieren.

Auswertung i Eine detaillierte Datenanalyse wurde nur für die in den Transfersitzungen anfallenden E r kennungsleistungen für die 4 Transferaufgaben durchgeführt. Eine Analyse der Trainingsleistungen im Hinblick auf eine Replikation des einfachen Ziffern/Buchstaben-Effekts war im R a h m e n diesesVersuchsplans nicht aussichtsreich, weil die Aufgabenbedingungen B/B, Z/B und B/Z zwischen. Versuchspersonen verteilt waren. F ü r jeden einzelnen Transferdurchgang wurden für die Reize beider Kategorien jeweils diemittlere Antwortzeit für richtige Reaktionen (in msec) sowie die Fehlerquote (in %j) bestimmt. Diese Statistiken bildeten die Rohdaten für eine Varianzanalyse, die die Variabilität dieser Wertenach den Faktoren / (mit den Werten DIS und DET) und A (mit B/B, Z/B und B/Z) zwischen V p n sowie S (Transfersitzungen mit den Werten S3, >S6 und Sg), Ii (Reaktion mit den Werten Rt und R3), HK (HK= und HK*) und NK (NK= und NK*) aufschlüsselte. J e 576 Werte gingen in die Reaktionszeit- und in die Fehler-Analyse ein.

Ergebnisse Den Fragen des Auftretens und der Struktur semantischen Transfers war analysetechnisch auf der Grundlage der Wechselwirkungen A X HK, AX NK und AX HKX XNK bzw. einzelner Teilkomponenten dieser Wechselwirkungen nachzugehen^ Zusätzlich waren die entsprechenden Interaktionen unter Einschluß des Faktors I zu inspizieren. Als erstes Ergebnis zeigte sich, daß die weiteren experimentellen Faktoren R und S in das Bedingungsgefüge des semantischen Transfers, das sich in jenen Interaktionen spiegelt, in statistisch nachweisbarer Form nicht eingreifen. Diese Variablen konnten daher für die Zusammenstellung der Hauptbefunde außer Betracht bleiben. Kontpollaufgabe B/B Tabelle II schlüsselt Reaktionszeiten und Fehler für die beiden Instruktionen nach den durch die Faktoren HK und NK definierten Transferbeziehungen auf. Für beide abhängigen Variablen sind folgende Beobachtungen zu konstatieren: (1) Die Auswirkungen der verschiedenen Transferfunktionen sind unter den beiden Instruktionsbedingungen gleich (d. h.: nicht verschieden; die Interaktionen I x H K f

236

Z. Psychol. Bd. 186 (1978) H. 2 Tabelle II. Reaktionszeiten (in msec) und Fehlerquoten (in ) in Aufgabe B/B für die durch die Faktoren HK und NK definierten Transferfunktionen unter den Instruktionsbedingungen DIS und DET sowie gemittelt über beide Instruktionen Reaktionszeiten

HK= HK*

DET

HK= HK*

HKHK*

Fehlerquoten

NK=

NK*

NK=

NK*

368

377

373

46

60

53

369

391

380

68

67

67

369

384

376

57

64

60

328

328

327

60

77

69

345

351

348

73

78

76

337

339

338

67

77

72

348

352

350

53

68

61

357

371

364

71

72

72

353

361

357

62

70

66

IXNK und IXHKXNK sind innerhalb von B/B weder in Zeiten noch in Fehlern signifikant). (2) Die Haupteffekte HK und NK sind nicht signifikant. Jedoch finden sich unter beiden Instruktionen in beiden Leistungsmaßen gleichgerichtete Tendenzen, die eine Leistungsbeeinträchtigung bei Austausch der Zeichen einer Kategorie (HK*; NK*) im Vergleich zu ihrer Beibehaltung ( H K = bzw. NK~) anzeigen. (3) Die Wirkungen der Faktoren HK und NK scheinen sich additiv zu überlagern (HKXNK n. s.). In der Kontrollaufgabe sind somit die zu erwartenden Verhältnisse eingetreten: Austausch von Zeichen in einer oder in beiden Kategorien hat eine Tendenz zur Leistungsminderung relativ zur Trainingsaufgabe(/TiL=/./V.iL=) im Gefolge. Zu prüfen ist, ob diese Beeinträchtigung durch solche Aufgabenstrukturen, die semantischen Transfer prinzipiell möglich machen, abzuschwächen oder gar zum Verschwinden zu bringen ist. Aufgabe Z/B im Vergleich zu B/B Auch für Aufgabe Z/B ist der Einfluß der Transferfunktionen auf Zeiten und Fehler von der Instruktion unabhängig ( I x H K , IXNK und IXHKXNK n. s.), so daß sich der Vergleich mit der Kontrollbedingung B/B auf die über DIS und DET gemittelten Werte beschränken kann (Tab. III). In den Reaktionszeiten führt der Austausch der Hauptkategorie zu einer Latenzverlängerung um genau den gleichen Betrag wie in Aufgabe B/B (F[ia, /"'",;.

Für den Fall von nur zwei konkurrierenden Hypothesen erhalten wir als Spezialfall (man denke z. B . an ein Urnenexperiment, bei dem zwischen zwei bekannten

264

Z. Psychol. Bd. 186 (1978) H. 2

Mischungsverhältnissen von roten und schwarzen Kugeln zu entscheiden ist): pWHMHi) P{Hi/E) = piE/Hjpm+piE/HJpW bzw. P(E/H2)Pm P(H2/E) = piE/H^Hi)+P(E/H2p(H2) Wir bezeichnen P(Ht), P(H2) (allgemein P{H() i = 1, . . ., n) als a-priori Verteilung. Sie gibt die Wahrscheinlichkeiten der einzelnen Hypothesen vor einem Einzelversuch an. P{HJE), P(H2/E) (allgemein P(HJE) ¿ = 1, . . ., n) ist die a-posteriori Verteilung der konkurrierenden Hypothesen, nachdem das Ereignis E beobachtet wurde. D. h., daß das beobachtete Ereignis E die Wahrscheinlichkeitsverteilung über der Hypothesenmenge modifiziert und die Erreichung einer gewissen N Stabilität, die sich nach dem Hauptsatz der Statistik einstellen muß, eine Entscheidung über die Hypo.thesen ermöglicht. Für den Spezialfall zweier Hypothesen //t und H2 erhält man dafür folgende Relationen:

— — — = ß 0 als a-priori Bevorzugung von H2 gegenüber Hy PiHi) p(H2/E) als a-posteriori Bevorzugung von H2 gegenüber Hi p{HdE) P(E/H2)

= L(E) als Wahrscheinlichkeitsverhältnis für das Ereignis E. P(E/Hi) Damit wird Q1 = L(E) ß0. Fällt ß 1 > l ( < l ) aus, dann wird H2{Hl) bevorzugt. Dieses BAYESsche Entscheidungsverfahren findet in der psychologischen Forschung häufig als Lernprozedur Verwendung. Ein Beispiel haben wir früher dargestellt [13]. Es bietet für die Analyse des menschlichen Entscheidungsverhaltens die Möglichkeit, eine optimale Verhaltensweise zu kennzeichnen und gestattet es, das Risikoverhalten der Probanden in bezug auf dieses Optimum zu klassifizieren. Welche Konsequenzen ergeben sich nun durch die BAYESschen Entscheidungsverfahren im Rahmen der Inferenzstatistik? Unter BAYESscher Statistik wird allgemein eine Erweiterung dieser am Beispiel demonstrierten Klasse von Entscheidungsverfahren verstanden, die sich in ihrem Ansatz und Wesen durch folgende Mefkmale kennzeichnen läßt (vgl. u. a. HOFFSTÄTTER u n d WENDT [ 9 ] ) :

a) In ein BAYESsches Entscheidungsverfahren werden wesentlich a-priori-Informationen über Verteilungen einbezogen. Damit entsteht für die Anwendung dieser Verfahren in der psychologischen Forschung das Problem, diese a-priori-Informationen zu begründen und abzusichern. Als Vorteil ergibt sich, daß die Aussagen eines BAYESschen Entscheidungsverfahrens dann aufgrund der größeren Informationsausnutzung in der Regel adäquater und umfassender sind. Als Grundlage der Formulierung von a-priori-Informationen werden häufig Invarianzeigenschaften ausgenutzt.

B. KBATJSB/P. METZLEB, Inierenzstatistik in der psychol. Forschung

265

b) Für jedes Entscheidungsverfahren muß eine Verlustfunktion formuliert werden (z. B. die quadratische Abweichung des geschätzten Parameters vom wahren Parameter). Dies ist jedoch einer gewissen Willkür des Untersuchers überlassen. c) Die Entscheidung eines BAYESschen Verfahrens erfolgt über die Minimierung der Risikos, das als Erwartungswert der Verlustfunktion definiert wird. Im Spezialfall für zwei Hypothesen ergeben sich die bekannten Irrtumswahrscheinlichkeiten des Fehlers 1. und 2. Art. •d) BAYESsche Entscheidungsverfahren gestatten es, mehrere konkurrierende Hypothesen gleichzeitig zu prüfen und in den Entscheidungsprozeß einzübeziehen. Es ist im Rahmen dieser Arbeit weder sinnvoll noch möglich, die Theorie B A Y E S scher Entscheidungsverfahren ausführlich darzustellen. Unser Anliegen ist es vielmehr, sie als einer von allem in den letzten Jahren entwickelten Zweig der Inierenzstatistik zu kennzeichnen, wobei eine differenzierte Einsatzcharakteristik z. Zt. offen bleiben muß, da Anwendungen außerhalb BAYESscher Lernmodelle kaum vorliegen. Trotzdem sollte diese Entwicklungslinie im Blickpunkt der experimentellen Forschung bleiben, da sie neue und weiterführende Ansätze für das induktive Schließen und die Modellmethodik begründet. Zusammenlassang Ziel des Beitrages ist es, die Anwendungen der Inierenzstatistik in der psychologischen Forschungstätigkeit zu charakterisieren. Den Ausgangspunkt bilden dabei sowohl methodologische Überlegungen über den Modellcharakter der Inierenzstatistik als auch wahrscheinlichkeitstheoretische Aussagen. Es werden die Wirkungsweise und das Wesen eines Signifikanztestes dargestellt, sowie Anwendungsprobleme diskutiert. Dabei werden zwei Problemkreise unterschieden : 1. Probleme, die durch Nichtbeachtung der theoretischen Eigenschaften eines Signifikanztestes hervorgerufen werden. 2. Probleme, die in der Theorie der Signifikanztests begründet sind. Bezüglich des letzten Problemkreises werden einige Entwicklungstendenzen der Inierenzstatistik dargestellt und diskutiert, die zu einer teilweisen Überwindung der aufgeworfenen Probleme beitragen.

Summary The object of this paper is to characterize the applications of inference statistics in psychological research. Forming the starting point in this context are both methodological considerations of the model character of inference statistics and probability-theoretical statements. The principle and essence of a test of significance and problems associated with its application are discussed. A distinction is made in this connection between two problem areas: (1) Problems that are due to failure to consider the theoretical characteristics of a significance test. (2) Problems that are inherent in the theory of tests of significance. So far as the latter problem area is concerned, some developmental trends of inference statistics are described and discussed, which allow the problems posed to be partially overcome.

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Z. Psychol. Bd. 186 (1978) H. 2

PesioH« CTCITBH CTABHT ce6e U;ejibio XAPAKTEPH30BATB BOSMOWHOCTH npnueHeHUH npoBepOTHOit CT3LTHCTHKH B NCHXOJIORHIECKOIT HCCJIEFTOBATEJIBCKOIT NEHTENBHOCRA. I l p n STOM MH HCXOAHM KAN H3 MeTO-

HOJiormecKHX cooSpaHteHHft o MOflejiBHOM xapamepe npoBepoMHofi CTETHCTHKH TaK H HS nojioHteHHÄ TeOpHH BepOHTHOCTH.

HajiarajoTCH oßpaa neflCTBHH h cymHocrt TecTa 3HaiHM0CTH h oScyw^aioTCH npoöjieMu npnM6HGHUH, npmeM paajraiaioTCH ^Ba Kpyra npoßneM: 1. IIpoSjieMU, BH3TIBAEMUE Heco6jno,neHHeM TeoperaqecKHx CBOÖCTB TecTa 3HannMOCTn 2. npoßjieMH, oöycjioBjieHHue Teopneö TecTOB sHaHHMocTH. OTHOCHTeubHO nocjieRHero Kpyra irpoSneM n&iaraiOTCH H oßcywflawTCH HeKOToptie TeHHeHqmi pa3BHTHH, coneftcTByiomHe lacTHTOOMy npeoHOJieHHW BtiRBHHyTux rrpoßjieM.

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MÜLLER,

Anschrift der Verfasser: D r . BODO KRAUSE,

Dipl.-Math. PETER METZLER Sektion Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin DDR - 102 Berlin, Oranienburger Str. 18

Buchbesprechungen HARCTTM, E. R.: Serial learning and paralearning: Control processes in serial acquisition. XV, 448 S. mit zahlr. Abb. New York-Toronto-London-Sydney: John Wiley & Sons LTD 1975. Leinen. 28,25 $. Man findet selten in der Psychologie einen so konstanten, unter unterschiedlichen Bedingungen immer wiederkehrenden Zusammenhang, wie er mit dem Positionseffekt beim serialen Lernen beschrieben wird. Gemeint ist die Tatsache, daß beim Erlernen einer Serie von Reizen, die randständigen Glieder der Serie, bei leichtem Vorteil der ersten Glieder, früher und länger in der richtigen Ordnung reproduziert werden als die mittleren Glieder der Serie. Das vorliegende Buch sucht nach den psychologischen Zusammenhängen, die diesen Effekt bewirken. Der Autor geht dabei zunächst von der Behandlung derjenigen Charakteristiken einer Reizserie aus, die zum Aufbau einer serialen Ordnung genutzt werden können. Eine große Anzahl unterschiedlichster Experimente wird referiert, die die psychologische Wirksamkeit vorwärts wie rückwärts gerichteter Assoziationen, die Wirksamkeit der Positionsgebundenheit der Reize oder die Wirksamkeit rhythmischer oder semantischer Konfigurationen in der Reizserie auf den serialen Lernprozeß belegen. Der zweite Teil des Buches ist der Darstellung unterschiedlicher Prozeßcharakteristiken gewidmet. Mechanismen der proaktiven und retroaktiven Hemmung werden ebenso behandelt wie •die Lenkung der Aufmerksamkeit der Vpn durch unterschiedliche Reizcharakteristiken oder die Rolle der Unterscheidbarkeit der einzelnen Reize für ihre seriale Reproduktion. Einen breiten Raum nimmt die Darstellung von Untersuchungen ein, die dem Nachweis von Organisationsstrategien gewidmet sind, wie dem Nachweis der Wirkung geordneter Regeln zur Gliederung und Integration der Reizserie, begonnen bei der Isolation von Teilstücken der Serie bis hin zur Ableitung eines generativen Regelsystems. Der Autor kommt zum Fazit, das er durch eigene Untersuchungen und Überlegungen im dritten Teil des Buches einleitet, daß unterschiedliche Effekte die Positionsabhängigkeit serialen Lernens bedingen, alle Effekte aber in ihrer Wirkung auf die Gliederung und Organisation der Reizserie abzielen. Jede Inhomogenität der Reize, jede Art von Beziehung zwischen den Reizen, jede äußerliche Gliederung der Serie, alles wird genutzt um die Reizserie zu strukturieren. Und wenn die Reize selbst keinen Anhaltspunkt für eine solche Strukturierung bieten, dann dienen ihre Positionen als einziges deutliches Unterscheidungsmerkmal dem Aufbau einer Struktur. Was in einem Gedächtnisexperiment an psychologischem Effekt beobachtbar ist, hängt ab von