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German Pages 203 [204] Year 1982
HANS·ARMIN GEISTER
Wettbewerbs- und Industriepolitik der Europäischen Gemeinschaft
Volkswirtschaftliche Schriften Herausgegeben von Prof. Dr. J. Broermann, Berlin
Heft 315
Wettbewerbs- und Industriepolitik der Europäischen Gemeinschaft
Von
Dr. Hans·Armin Geister
DUNCKER &
HUMBLOT/BERLIN
083
Alle Rechte vorbehalten © 1981 Duncker & Humblot, Berlln 41 Gedruckt 1981 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 05067 3
Meinen Eltern
Inhaltsübersiebt
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Erstes Kapitel
Die Konzeptionen der Wettbewerbs- und Industriepolitik in den europäischen Verträgen A. Die wettbewerbspolitischen Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ziele, Vertragssystematik -
Ein Überblick
14 14 14
II. Die EWG-Wettbewerbsregeln im einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1. Kartell- und Mißbrauchsregelung (Art. 85, 86) . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2. Die Wettbewerbsregelung in bezug auf öffentliche Unternehmen und nationale Beihilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 111. Besonderheiten der wettbewerbspolitischen Regelung im Montanbereich (Fusionskontrolle) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 B. Die industriepolitischen Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 I. Bedeutung und Problematik des Begriffs .,Industriepolitik" . . . .
25
II. Industriepolitische Regelungen im EWG-Vertrag
27
111. Industriepolitische Regelungen im EGKS-Vertrag
32
IV. Industriepolitische Regelungen im EAG-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . 34
Zweites Kapitel
Die Wettbewerbspolitik im Verlauf der europäischen Integration
36
A. Der institutionelle Rahmen der europäischen Wettbewerbspolitik . . 37 B. Die Wettbewerbspolitik gegenüber Kartellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 I. Verbotene Unternehmensvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
Inhaltsübersicht
8
1. Gebietskartelle
............................................. a) Vertikale Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Horizontale Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Preis-, Rabattkartelle und Verkaufssyndikate . . . . . . . . . . . . . . . .
42 43 47 50
II. Zulässige Unternehmensvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 1. "Spürbarkeit" wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und wettbewerbsneutrale Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2. Freistellung vom Kartellverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 111. Investitionskoordinierung und Strukturkrisenkartell . . . . . . . . . . .
61
C. Die
Wettbewerbspolitik gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen ................. ..... ............. . .. . ........... . ... . ..... 64
D. Die Wettbewerbspolitik gegenüber Unternehmenszusammenschlüssen und Gemeinschaftsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 I. Einführende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
II. Die Wettbewerbspolitik in bezug auf herkömmliche Erscheinungsformen der Unternehmenskonzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 111. Wettbewerbspolitische Besonderheiten bei Gemeinschaftsunter-
nehmen . ..... ... .. . ..... .... ... . ..... .. ..... ...... .. ... . . ... ... 72
E. Die Wettbewerbspolitik gegenüber öffentlichen Unternehmen . . . . . . . 76 F. Die Wettbewerbspolitik gegenüber sektoralen Beihilfen der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Drittes Kapitel Die Industriepolitik im Verlauf der europäischen Integration A. Einführende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83 83
B. Die Ursprünge der europäischen Industriepolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 C. Europäische Industriepolitik als Ordnungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Beseitigung nichttarifärer Handelshemmnisse innerhalb der
EG ... . ... . .... . ... . . .. .. .. .. . ... .. . .. ....... . . . . .. .. ...... .. ..
90
91
II. Liberalisierung der grenzüberschreitenden Unternehmenskooperation und -konzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
Inhaltsübersicht 1. Die Beseitigung bestehender Kooperationshemmnisse inner-
halb der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kooperationsformen europäischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Europäische Kooperationsbüro . . .......... ..... . .... 2. Die Beseitigung bestehender Konzentrationshemmnisse innerhalb der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorbemerkungen ........................................ b) Ein Exkurs: Beurteilung der Unternehmenskonzentration. Theorie und Empirie .............. .. .................. .. c) Die Beseitigung gesellschafts-, steuerrechtlicher und sonstiger Hindernisse bei Auslandsbeteiligungen und grenzüberschreitenden Fusionen .............................. d) Einige kritische Anmerkungen . ........................ .
9
97 98 103 104 104 106 111 117
D. Sektorale Maßnahmen im Rahmen europäischer Industriepolitik . . . . 119 I. Einige Vorschläge und Überlegungen zur instrumentellen Gestaltung ................................................. . ........ . 119 li. Beihilfen der EG zur Förderung des sektoralen Strukturwandels 124
Viertes Kapitel
·Die Vereinbarkeit zwischen industrie- und wettbewerbspolitischen Zielen der EG
130
A. Unterschiedliche Einschätzungen und Positionen in Politik und Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 B. Die Beseitigung nichttarifärer Handelshemmnisse in der EG vor dem Hintergrund wettbewerbspolitischer Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 C. Die Förderung der Unternehmenskooperation in der EG vor dem Hintergrund wettbewerbspolitischer Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 I. Vorbemerkungen
136
li. Wettbewerbliehe Auswirkungen einer Kooperationserleichterung
mit Hilfe neuen europäischen Gesellschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . 137
III. Wettbewerbliehe Auswirkungen einer gezielten Kooperationsbzw. Kartellförderung in der EG . .. . ......................... . 142 D. Die Förderung der Unternehmenskonzentration in der EG vor dem Hintergrund wettbewerbspolitischer Ziele . ...... . .. .. . ..... . . . . . ... 149 I. Vorbemerkungen
.... . . .. .. . . .... .. .. .. .... . . . ..... .. ... .. ... .. 149
li. Wettbewerbliehe Auswirkungen einer allgemeinen Konzentrationserleichterung in der EG ......... ... .......... .. .... . ..... 151
10
Inhaltsübersicht 111. Einige Überlegungen zur Wirksamkeit wettbewerbspolitischer
Instrumente in der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
IV. Wettbewerbliehe Auswirkungen einer selektiven Konzentrationspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 E. Wettbewerbliehe Auswirkungen allgemeiner strukturpolitischer Maßnahmen und Beihilfen ..... . . . ............... . .. ................ .... 162
Fünftes Kapitel
Erkennbare Tendenzen europäischer Wettbewerbsund Industriepolitik - Ein Ausblick
165
A. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 B. Mögliche Auswirkungen der EG-Erweiterung .................... .. 166 I. Auswirkungen auf die gemeinsame Industriepolitik . . . . . . . . . . . . 166
II. Auswirkungen auf die geme1nsame Wettbewerbspolitik ..... ... 175 C. Auswirkungen einer zunehmenden Importkonkurrenz von seiten einzelner Entwicklungsländer . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
Einleitung Die Europäische Gemeinschaft hat in den Jahren ihres Bestehens trotz vielfacher Rückschläge ihre integrationspolitischen Aktivitäten erweitert. Sie erstrecken sich nunmehr auf nahezu alle wichtigen Sachgebiete moderner Wirtschaftspolitik. Die der EG dabei im einzelnen zustehenden Kompetenzen und Einwirkungsmöglichkeiten sind jedoch höchst unterschiedlich gestaltet. In den meisten Bereichen europäischer Wirtschaftspolitik dominieren nach wie vor nationale gegenüber gemeinschaftlichen Maßnahmen, nur in einigen wenigen sind die Befugnisse weitgehend gemeinsamen ü'rganen übertragen worden (Handels-, Agrarpolitik). Zu jenen kann die Industriepolitik, zu diesen - mit Einschränkungen - die Wettbewerbspolitik der EG gezählt werden. Die grundlegende Bedeutung der europäischen Wettbewerbs- und Industriepolitik ergibt sich aus ihrem Stellenwert innerhalb des wirtschaftspolitischen Gefüges. Während das Bestehen einer gemeinsamen Wettbewerbspolitik von den Befürwortern eines wirtschaftspolitischen Liberalismus häufig als ein Indiz für ein marktwirtschaftliches Integrationskonzept der EG angeführt und begrüßt wird, wird das Fehlen einer einheitlichen industriepolitischen Strategie auf EG-Ebene insbesondere von jenen bedauert, die sich von staatlichen Interventionen wesentliche Impulse auf die Entwicklung der innergemeinschaftlichen Wirtschaftsbeziehungen versprechen. Man kann davon ausgehen, daß mit fortschreitender Integration (Zollunion, gemeinsamer Markt, Wirtschaftsunion) derartige ordnungspolitische Aspekte an Bedeutung gewinnen. Eine zentrale Stellung nimmt in diesem Zusammenhang die Frage ein, wie die Europäische Gemeinschaft das Verhältnis zwischen Wettbewerb und Wettbewerbspolitik einerseits sowie Industriestrukturen und Industriepolitik andererseits begreift und zu gestalten versucht. Soweit es die europäische Wettbewerbspolitik betrifft, erfolgte die bisherige wissenschaftliche Erörterung aus naheliegenden Gründen vorwiegend innerhalb des juristischen Schrifttums, wobei im allgemeinen die rechtlichen Details im Vordergrund standen. Hingegen mangelt es an wirtschaftswissenschaftlichen Arbeiten, die sich auf die gesamte Thematik beziehen und zugleich grundlegende und übergreifende Zusammenhänge verdeutlichen. Im Falle der europäischen Industriepolitik ist der Stand der Fachliteratur weitaus unbefriedigender, worin
12
Einleitung
sich nicht zuletzt der Zustand der Industriepolitik selber widerspiegelt. Die nicht sehr zahlreichen Publikationen konzentrieren sich zumeist auf relativ enggefaßte Sachverhalte und gehen nicht selten von ganz unterschiedlichen Begriffen und Abgrenzungen aus. Damit wird dem Leser der Überblick über bestehende Ansätze und Zusammenhänge europäischer Industriepolitik erschwert. Auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung über mögliche Interdependenzen und Zielkollisionen zwischen Wettbewerbs- und Industriepolitik beschränkte sich bislang entweder auf Teilaspekte oder blieb allzu sehr im Allgemeinen verhaftet. Mit dieser Arbeit soll der Versuch unternommen werden, im Rahmen einer Gesamtschau die wesentlichen wettbewerbs- und industriepolitischen Sachverhalte, Zusammenhänge und Probleme in der EG darzustellen und zu erörtern. Es verbindet sich damit beim Verfasser die Hoffnung, zumindest einige der offenen Fragen, die bisher nicht ausreichend behandelt worden sind, einer Lösung näherzuführen. Das dieser Arbeit zugrunde liegende Thema ist verhältnismäßig breit angelegt. Nur auf diese Weise kann dem Anspruch einer möglichst umfassenden Darstellung Rechnung getragen werden. Indes sind auch hier Eingrenzungen vorzunehmen und Schwerpunkte zu setzen, auf die dann im Verlauf der Argumentation jeweils hingewiesen wird. Einiges sei jedoch bereits an dieser Stelle vorausgeschickt. Zunächst sei hervorgehoben, daß im folgenden die gemeinsame Wettbewerbs- und Industriepolitik im Mittelpunkt der Erörterung stehen, wohingegen die nationale Wirtschaftspolitik jeweils nur insoweit ausführlicher behandelt wird, als sich diese auf jene unmittelbar auswirkt bzw. mit ihnen in sehr engem Zusammenhang steht. Einen zentralen Gegenstand wird die Unternehmenskooperation und -konzentration innerhalb der EG bilden; denn hier überlagern bzw. berühren sich Industrieund Wettbewerbspolitik besonders stark, so daß in diesem Bereich am ehesten ein Spannungsverhältnis zwischen den jeweiligen Zielen entstehen kann. Um vorzugsweise die grundlegenden Tendenzen und Probleme hervortreten zu lassen, erscheint es häufig sinnvoll, die Fragen nicht nur aus jeweils aktuellem Blickwinkel heraus, sondern auch vor dem Hintergrund der integrationspolitischen Entwicklung zu beleuchten. Eine solche bisweilen gleichsam historische Perspektive verdeutlicht Kontinuität bzw. Diskontinuität europäischer Wettbewerbs- und Industriepolitik und ermöglicht ein tieferes Verständnis für Ausgangspunkt und Entwicklung integrationspolitischer Bestrebungen und Kontroversen. Die Arbeit ist in fünf Kapitel gegliedert. Das 1. Kapitel führt von den europäischen Verträgen her in die Thematik ein, womit zugleich das Fundament für die darauf aufbauende Argumentation gelegt wird.
Einleitung
13
Im 2. Kapitel wird die europäische Wettbewerbspolitik, im 3. Kapitel die europäische Industriepolitik in ihrer Entwicklung dargestellt und kritisch gewürdigt. Dabei werden jedoch noch nicht die Probleme beider Politiken im Verhältnis zueinander behandelt, was dann im eigens dafür vorgesehenen 4. Kapitel geschieht. Im 5. Kapitel wird der inhaltliche Rahmen um einige wichtige Aspekte der Beitrittsproblematik sowie der gemeinsamen Handelspolitik gegenüber einzelnen Entwicklungsländern erweitert, um von daher Aussagen über den möglichen weiteren Verlauf der europäischen Wettbewerbs- und Industriepolitik abzuleiten. Danken möchte ich an dieser Stelle meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Hubertus Adebahr, der die vorliegende Arbeit durch wertvolle Anregungen und Hinweise gefördert hat.
Erstes Kapitel
Die Konzeptionen der Wettbewerbs- und Industriepolitik in den europäischen Verträgen Wenn heute von europäischer Wirtschaftspolitik die Rede ist, dann meint man damit im allgemeinen jene Politik, die sich auf die drei europäischen Verträge1 gründet und in zunehmendem Maße die nationale Politik in den Mitgliedstaaten der EG ergänzen oder ersetzen soll2 • Diese europäischen Verträge sind Ausgangspunkt und Geschäftsgrundlage der europäischen Integration. Es erscheint daher sinnvoll, zunächst den vertraglichen Rahmen, insbesondere die jeweils maßgeblichen Rechtsvorschriften, offenzulegen und zu erläutern. Dabei wird die Erörterung des EWG-Vertrages im Mittelpunkt stehen. Dies soll freilich nicht nach Art eines juristischen Kommentars geschehen. Rechtliche Details werden nur insoweit behandelt, wie es für die Darstellung des Grundsätzlichen und die darauf aufbauende Argumentation unerläßlich ist.
A. Die wettbewerbspolitischen Regelungen I. Ziele, Vertragssystematik- Ein 'Oberblick
Rechtsgrundlagen europäischer Wettbewerbspolitik ergeben sich zum einen aus dem EWG- bzw. dem EGKS-Vertrag, zum anderen aber auch aus dem sich daran anschließenden "Folgerecht" (Verordnungen, Richtlinien u. ä.). Dem EAG-Vertrag braucht dagegen in diesem Zusammenhang keine Beachtung geschenkt zu werden, weil in seinem Geltungsbereich mangels einer eigenen Regelung die Wettbewerbsvorschriften des EWG-Vertrages Anwendung finden. 1 Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGVertrag) vom 25. März 1957; Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS-Vertrag) vom 18. April 1951; Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG-Vertrag) vom 25. März 1957. 2 Zum nationalen Wettbewerbsrecht und der einschlägigen Entscheidungspraxis in den einzelnen EG-Staaten vgl. Klaue, Siegfried: Die Europäischen Gesetze gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Loseblattsammlung, Berlin 1969 ff. - OECD (Hrsg.): Guide to Legislation on Restrictive Business Practices. Vol. 1 -, Paris 1964 ff.
A. Wettbewerbspolitische Regelungen
15
Wettbewerbspolitik kann generell sowohl auf die Vermeidung einer zu geringen als auch einer als ruinös empfundenen Wettbewerbsintensität gerichtet sein. Im deutschen Recht ist in diesem Sinne zwischen dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) zu unterscheiden. Neuerdings gibt es in der Bundesrepublik Bestrebungen, beide Rechtskreise stärker zu integrieren3 • Während der EGKS-Vertrag beide Formen der Abweichung vom wettbewerbspolitischen Leitbild erfaßt und grundsätzlich verbietet (s. Art. 60 § 1 I und Art. 65 § 1 EGKSV), bezieht sich die Wettbewerbspolitik nach Maßgabe des EWG-Vertrages lediglich auf Beschränkungen des Wettbewerbs (s. Art. 85, 86 EWGV). Hier wäre daher auf gemeinsamer Ebene ein Einschreiten gegen unlauteren Wettbewerb nur im Wege einer Rechtsangleichung möglich (s. Art. 100-102 EWGV). Ginge das unlautere Konkurrenzverhalten allerdings von einem Kartell oder einem marktbeherrschenden Unternehmen aus, käme unter bestimmten Voraussetzungen eine Anwendung der Kartell- (Art. 85 EWGV) bzw. der Mißbrauchsvorschrift (Art. 86 EWGV) gleichwohl in Betracht4 • Der Sicherung eines funktionsfähigen Wettbewerbs wird im EWGVertrag offenbar eine hervorragende Bedeutung beigemessen. So heißt es bereits in der Präambel, daß "ein einverständliches Vorgehen erforderlich ist, um .. . einen redlichen Wettbewerb zu gewährleisten". Gemäß Art. 3 EWGV, in dem Mittel und Wege der europäischen Integration bezeichnet werden, erstreckt sich die Zuständigkeit der Gemeinschaft u . a. auf "die Errichtung eines Systems, das den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes vor Verfälschungen schützt" (lit. f). Das wirtschaftspolitische Leitbild eines gemeinsamen Marktes6 gilt bekanntlich als das eigentliche Kernstück der europäischen Integration, von dessen Verwirklichung ein entscheidender Beitrag zur Erreichung der in Art. 2 EWGV genannten übergeordneten wirtschaftspolitischen Ziele erwartet wird. Dort heißt es, es sei Aufgabe der Gemeinschaft, "durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes . . . eine harmo3 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft (Hrsg.): Wettbewerbspolitik in der sozialen Marktwirtschaft. Bonn 1978, S. 19 f. 4 Näheres hierzu bei Groeben, H. v. d. I Boeckh, H . v. I Thiesing, J.: Kommentar zum EWG-Vertrag. Bd. 1, Artikel 1- 136. Zweite Aufl., Baden-Baden 1974, s. 640 ff. 6 Im Sinne des EWG-Vertrages ist hierunter primär "die Abschaffung der Zölle und mengenmäßigen Beschränkungen ... zwischen den Mitgliedstaaten" (Art. 3 lit. a), .,die Einführung eines Gemeinsamen Zolltarifs und eine gemeinsame Handelspolitik" (Art. 3 lit. b) sowie .,die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten" (Art. 3 lit. c) zu verstehen.
1. Kap.: Die europäischen Verträge
16
nische Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft, eine beständige und ausgewogene Wirtschaftsausweitung, eine größere Stabilität, eine beschleunigte Hebung der Lebenshaltung . . . zu fördern". Der enge Zusammenhang zwischen dem hervorgehobenen Integrationsziel eines gemeinsamen Marktes und der europäischen Wettbewerbspolitik resultiert aus der Einsicht, daß die zwischenstaatlichen Wirtschaftsbeziehungen nicht nur durch protektionistische Maßnahmen des Staates, sondern ebenso durch wettbewerbswidriges Verhalten seitens der privaten Unternehmen erheblich beeinträchtigt werden können. Gerade im Zuge fortschreitender Außenhandelsliberalisierung muß damit gerechnet werden, daß an die Stelle der abgebauten staatlichen Behinderungen des Außenhandels solche privaten Charakters treten (Kartelle u. ä.), die tendenziell in gleicher Weise einer gewünschten Verschmelzung der nationalen Märkte zuwiderlaufen (Substitution des staatlichen durch privaten Protektionismus). Daraus leitet sich vorzugsweise die Rechtfertigung für eine gemeinsame Wettbewerbspolitik der EG ab, deren wichtigste Funktion darin liegt, den erreichten Stand der europäischen Integration zu sichern. Dieser integrationspolitische Zusammenhang ist für Verständnis und Auslegung der Wettbewerbsregeln (Art. 85- 94 EWGV) von grundlegender Bedeutung6 • Den Wettbewerbsregeln ist im EWG-Vertrag ein eigenes Kapitel gewidmet, das in drei Abschnitte gegliedert ist. Der erste Abschnitt (Art. 85 - 90), dem die größte Bedeutung zukommt, bezieht sich hauptsächlich auf wettbewerbsbeschränkende Praktiken von Unternehmen. Der zweite Abschnitt besteht nur aus einem Artikel (Art. 91), der gemeinsame Maßnahmen bei innergemeinschaftlichem Dumping vorsieht. Nach Auffassung der Kommission handele es sich dabei um "bestimmte Formen eines künstlich übersteigerten Wettbewerbs der Unternehmen", der dadurch zustande komme, daß "ein Unternehmen ein Erzeugnis zu einem Preis ausführt, der unter dem normalen Wert dieses Erzeugnisses im Ausfuhrland liegt"7, Mit dieser Begriffsbestimmung wird auch die Gesetzessystematik verständlich, das DumpingProblem im wettbewerbspolitischen Kontext zu regeln: Würden auf einzelnen Märkten kostengünstig produzierende Unternehmen durch • Vgl. Mestmäcker, E.-J .: Europäisches Wettbewerbsrecht. München 1974,
s. 47-49.
7 Kommission der EG: Erster Bericht über die Entwicklung der Wettbewerbspolitik. Brüssel, Luxemburg 1972, S. 98. (Zitierweise: 1. Wettbewerbsbericht).
A. Wettbewerbspolitische Regelungen
17
Dumping vom Markt verdrängt, entsprächen die Marktstrukturen in der EG nicht mehr dem integrationspolitisch angestrebten Ziel eines weitgehend unverfälschten Wettbewerbs (s. Art. 3). Mit der Verwirklichung der Zollunion am 1. 7. 1968 verlor Art. 91 EWGV seine Bedeutung8. Exportiert nunmehr ein Unternehmen Waren mittels Dumping in ein anderes Mitgliedsland der EG, muß es mit einem Reimport rechnen. Der höhere inländische Preis ließe sich dann nicht aufrechterhalten, die beabsichtigte Preisdifferenzierung würde vereitelt. Den Mitgliedern einer Zollunion stehen im allgemeinen keine handelspolitischen Instrumente wie Zölle und Kontingente mehr zur Verfügung, um auf den innergemeinschaftlichen Außenhandel Einfluß zu nehmen9 • Das könnte dazu führen, daß die Mitgliedstaaten statt dessen verstärkt auf protektionistische Subventionen zurückgreifen, um nationale Interessen zu verfolgen. Gegen das Entstehen derartiger "künstlicher" Wettbewerbsvorteile wendet sich der dritte Abschnitt "staatliche Beihilfen" (Art. 92 - 94). II. Die EWG-Wettbewerbsregeln im einzelnen
1. Kartell- und Mißbrauchsregelung (Art. 85, 86) Der sachliche Geltungsbereich der Artikel 85, 86 EWGV umfaßt grundsätzlich alle Unternehmen, so auch Dienstleistungs- und öffentliche Unternehmen. Lediglich für die in Art. 80 EGKSV genannten Unternehmen gelten ausschließlich die Montan-Bestimmungen, die als lex specialis denen des EWG-Vertrages vorgehen (s. Art. 232 I EWGV). Des weiteren hat die seit jeher besondere Situation der Wirtschaftsbereiche "Verkehr" und "Landwirtschaft", denen im EWG-Vertrag eigene Titel gewidmet sind, dazu geführt, daß für diese Unternehmen die Wettbewerbsregeln nur eingeschränkt gelten1o. Sieht man von diesen beiden Sektoren einmal ab, die auch im deutschen Wettbewerbsrecht einen Sonderstatus genießen (s. §§ 99, 100 GWB), so erweist sich der branchenmäßige Aktionsradius der europäischen Wettbewerbspolitik als sehr groß. 8 Das Dumping-Problem zog dann allerdings anläßlich des Beitritts Großbritanniens, Irlands und Dänemarks zur EG erneut Aufmerksamkeit auf sich. Vgl. Kommission der EG: Siebenter Bericht über die Wettbewerbspolitik. Brüssel, Luxemburg 1978, S. 37 ff. (Zitierweise: 7. Wettbewerbsbericht). t Es sei hier zunächst von der Inanspruchnahme der sog. Schutzklausel (s. Art. 115 EWGV) abgesehen. to Für landwirtschaftliche Unternehmen ergibt sich dies in erster Linie aus der VO Nr. 26/62 (ABI. Nr. 30 vom 20. 4. 1962, S. 993) i. V. m. Art. 42 EWGV, für Verkehrsunternehmen aus den VO Nr. 141/62 (ABI. Nr. 124 vom 28. 11. 1962, S. 2751) und Nr. 1017/68 (ABI. L 175 vom 23. 7. 1968, S. 1) i. V. m. Art. 8711 lit. c EWGV. Vgl. dazu Mestmäcker, E.-J.: Europäisches Wettbewerbsrecht ..., S. 667 ff. und S. 681 ff.
2 Gelster
18
1. Kap.: Die europäischen Verträge
Gemäß Art. 85 I EWGV sind "alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen" verboten, sofern sie den innergemeinschaftlichen Handel beeinträchtigen (sog. Zwischenstaatlichkeitsklausel) und "eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken". Damit wird ein grundsätzliches Kartellverbot ausgesprochen. Zunächst wäre zu klären, was unter einer "abgestimmten Verhaltensweise" verstanden wird. Es handelt sich hierbei um eine besondere Form der Wettbewerbsbeschränkung, bei der die beteiligten Unternehmen normalerweise keine rechtlichen Bindungen eingehen, gleichwohl eine Abstimmung vorliegt bzw. praktiziert wird. Hierzu rechnet nach allgemeiner Auffassung jedoch nicht das sog. Parallelverhalten, wie es oftmals im Falle einer Preisführerschaft auf einem Oligopolistischen Markt beobachtet werden kann. Hingegen läge eine abgestimmte Verhaltensweise vor, wenn sich der Preisführer zunächst über das Verhalten der Konkurrenten Gewißheit verschaffte, indem er eine Preiserhöhung empföhle und die übrigen Anbieter zu erkennen gäben, daß sie der Preisempfehlung folgen würden. Insbesondere aus Beweisgründen ist es in der wettbewerbspolitischen Praxis äußerst schwierig, verbotene abgestimmte Verhaltensweisen von erlaubtem Parallelverhalten zu trennenu. Die erwähnte Zwischenstaatlichkeitsklausel dient der Abgrenzung nationalen und europäischen Wettbewerbsrechts. Vom EWG-Recht sollen lediglich internationale Kartelle erfaßt werden, während regional begrenzte Kartelle, die keine Wirkungen über die Staatsgrenzen hinweg entfalten, in der Zuständigkeit der nationalen Behörden verbleiben. Lange Zeit wurde in diesem Zusammenhang die Zweischrankentheorie vertreten, die nationaler und europäischer Wettbewerbsord-
nung voneinander unabhängige Aufgaben zuwies. Jedes Kartell müßte demzufolge gleichsam zwei "Schranken" passieren, ehe es zulässig wäre: die des nationalen und die des europäischen Wettbewerbsrechts. Das jeweils strengere Recht setzte sich durch. An dieser Theorie wurde vielfach Kritik geübt, die in dem Tenor gipfelte, daß bei zunehmender wirtschaftlicher Integration nicht mehr von zwei trennbaren Aufgaben11 Vgl. hierzu Groeben, H. v. d. I Boeckh, H.· v. I Thiesing, J.: Konunentar ..., S. 684. - Mestmäcker, E.-J.: Europäisches Wettbewerbsrecht ..., S. 210. - Kommission der EG: Zweiter Bericht über die Wettbewerbspolitik. Brüssel, Luxemburg 1973, S. 30 f. (Zitierweise: 2. Wettbewerbsbericht). Kommission der EG: Fünfter Bericht über die Wettbewerbspolitik. Brüssel, Luxemburg 1976, S. 30 ff. (Zitierweise: 5. Wettbewerbsbericht).
A. Wettbewerbspolitische Regelungen
19
hereichen gesprochen werden könne12 • Vielmehr müsse ein Konflikt (z. B. nationales Verbot, Genehmigung nach EWG-Recht) im Sinne eines Vorranges des Gemeinschafts- gegenüber dem nationalen Recht gelöst werden, wie es auch in anderen Fällen üblich sei. Diese Auffassung wurde schließlich vom EuGH in seiner Begründung zum "Teerfarben-Fall" ausdrücklich bestätigtts. In diesem Zusammenhang mag sich des weiteren die Frage aufdrängen, ob eine "Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels" auch dann vorläge, wenn ein Kartell im Einzelfall eine Zunahme des Außenhandels bewirkte oder erwarten ließe. Dies ist zu bejahen; denn im EWG-Vertrag wird nicht für eine Ausdehnung des Außenhandels schlechthin optiert, sondern für einen Außenhandel, der sich im Rahmen unverfälschten Wettbewerbs entwickeJt14 • Das Kartellverbot, wie es in Art. 85 I EWGV zum Ausdruck kommt, gilt jedoch nicht uneingeschränkt. So ist eine Freistellung wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen vom generellen Verbot möglich, wenn vier Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind, die teils positiv, teils negativ formuliert sind (s. Art. 85 III EWGV): (1) Die Vereinbarung muß zur "Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung" - oder alternativ - zur "Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen". (2) Die Verbraucher sind am entstehenden Gewinn angemessen zu beteiligen. So etwa, wenn eine Spezialisierungsvereinbarung zwischen mehreren Unternehmen zu einer Preissenkung, einer Verbesserung der Warenqualität oder des Kundendienstes beitrüge. (3) Die beteiligten Unternehmen dürfen sich gegenseitig nur solche Beschränkungen auferlegen, die für die Realisierung der mit der Vereinbarung angestrebten positiven Wirkungen unerläßlich sind. (4) Eine Freistellung vom Kartellverbot ist trotz nachgewiesener positiver Wirkungen ausgeschlossen, wenn den Unternehmen "Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschaltt!n". Es muß also in jedem Fall ein Rest an Wettbewerb bestehenbleiben. Weitere Modalitäten einer Freistellung können durch Verordnungen festgelegt werden (s. Art. 87 lit. b EWGV). 12 Vgl. Müller-Henneberg, H. und Schwartz, G. (Hrsg.): Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und Europäisches Kartellrecht. Gemeinschaftskommentar, 3. Aufl., 3. Lieferung, Köln u. a. 1972, S. 173 f . 1a Vgl. ebenda, S. 174 ff. u Vgl. Mestmäcker, E.-J.: Europäisches Wettbewerbsrecht ..., S. 121 f.
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1. Kap.: Die europäischen Verträge
In Art. 86 EWGV wird "die mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen" verboten. Auch hier wird der Anwendungsbereich der europäischen Wettbewerbspolitik wiederum durch die Zwischenstaatlichkeitsklausel begrenzt. Bei der Beantwortung der Frage, ob im Einzelfall eine marktbeherrschende Stellung vorliege, taucht im Rahmen der Mißbrauchsaufsicht regelmäßig das Problem der Abgrenzung des sog. relevanten Marktes auf, der räumlich und sachlich hinreichend bestimmt werden muß. Bezogen auf die EG und die europäische Wettbewerbspolitik entspricht der relevante geographische Markt im allgemeinen dem Gemeinsamen Markt oder einem wesentlichen Teil desselben15. Bei der Abgrenzung des Marktes in sachlicher Hinsicht sind neben vorwiegend "objektiven" Kriterien (z. B. die technischen Eigenschaften eines Gutes) insbesondere "subjektive" Gesichtspunkte zu berücksichtigen, d. h. es werden solche Produkte gedanklich zu einem Markt zusammengefaßt, die aus der Sicht der jeweiligen Nachfrager in der EG als weitgehend gleichartig (substituierbar) angesehen werden. Bei der Überprüfung des Kriteriums "Marktbeherrschung" sind nach allgemeiner Überzeugung - ähnlich wie im deutschen Wettbewerbsrecht (s. § 22 GWB) - nicht nur Marktanteile, sondern auch Marktverhalten und Finanzkraft der betreffenden Unternehmen maßgeblich16. Wann im einzelnen eine Verhaltensweise mißbräuchlich ist, wird im EWG-Vertrag nicht abschließend geregelt. Eine erste Annäherung ergibt sich allerdings aus Art. 86 lit. a- d EWGV, wo beispielhaft einige typische Fallgruppen genannt werden, bei denen ein Mißbrauch vermutet werden kann. Erwähnt werden in diesem Zusammenhang u. a. die Erzwingung von unangemessenen Preisen oder Geschäftsbedingungen (lit. a), die Einschränkung von Produktion oder Absatz (lit. b), diskriminierende Praktiken gegenüber einzelnen Handelspartnern (lit. c) und schließlich Vereinbarungen über zusätzliche Leistungen, die sachlich in keiner Beziehung zum eigentlichen Vertragsgegenstand stehen (lit. d). 15 Kritisch hierzu Aberle, Gerd: Der relevante Markt im Spannungsfeld von Preistheorie und Wettbewerbspolitik. Das Wirtschaftsstudium (WISU), Jg. 6 (1977), H . 7, S. 317. 18 Wegen weiterer Merkmale vgl. Mestmäcker, E.-J.: Europäisches Wettbewerbsrecht ..., S. 383 f.
A. Wettbewerbspolitische Regelungen
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2. Die Wettbewerbsregelung in bezugauf öffentliche Unternehmen und nationale Beihilfen
Würden sich die europäischen Wettbewerbsvorschriften ausschließlich auf das Geschäftsgebaren privater Unternehmen erstrecken, wären Wettbewerbsverzerrungen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten nahezu unvermeidlich. In diesem Fall sähen sich nämlich private Unternehmen, denen wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen verboten sind, auf einzelnen Märkten staatlich gelenkten öffentlichen Unternehmen gegenüber, auf die sich die Wettbewerbsregeln nicht bezögen. Die dadurch möglicherweise entstehenden Wettbewerbsnachteile ließen in den betroffenen Mitgliedstaaten rasch den Ruf nach kompensierenden Subventionen bzw. sonstigen Gegenmaßnahmen zugunsten der Privatunternehmen laut werden. Mit derartigen unerwünschten Konstellationen wäre auf einer großen Anzahl von Märkten in der EG zu rechnen, zumal Marktanteile und Bedeutung öffentlicher Unternehmen innerhalb der einzelnen Sektoren von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat recht unterschiedlich sind17 • Dieses Problem erführe insofern noch eine zusätzliche Verschärfung, als gerade in Ländern, in denen Staatsunternehmen in einzelnen Sektoren dominierende Marktpositionen besitzen, die Anwendung der nationalen Wettbewerbsvorschriften auf öffentliche Unternehmen weitgehend ausgeschlossen ist (so vor allem in Frankreich)18 • Da somit vom nationalen Recht her im allgemeinen kein wettbewerbspolitischer "Ausgleich" erfolgt, kommt der europäischen Wettbewerbspolitik gegenüber restriktiven und diskriminierenden Verhaltensweisen öffentlicher Unternehmen eine besondere integrationspolitische Bedeutung zu. Wenn nun Art. 90 EWGV vorschreibt, daß "die Mitgliedstaaten ... in bezug auf öffentliche Unternehmen . .. keine diesem Vertrag und insbesondere dessen Artikel . . . 85 bis 94 widersprechenden Maßnahmen treffen oder beibehalten" dürfen, so fragt man sich, was der Sinn dieser zusätzlichen Vorschrift sei, wenn öffentliche Unternehmen ohnehin in den Geltungsbereich der Art. 85, 86 EWGV einbezogen sind. Verständlich wird diese Adressierung an die Mitgliedstaaten, wenn man bedenkt, daß es oft nicht die öffentlichen Unternehmen selbst sind, die für eine restriktive "Maßnahme" i. S. v. Art. 90 I EWGV19 kompetent und verantwortlich sind, sondern der dahinter stehende 17 Vgl. hierzu Europäische Zentrale der öffentlichen Wirtschaft (CEEP) (Hrsg.): Die öffentliche Wirtschaft in der Europäischen Gemeinschaft. Brüssel 1978. 18 Vgl. Mestmäcker, E.-J.: Europäisches Wettbewerbsrecht ..., S. 643 f . 11 Der Begriff der "Maßnahme" ist weit auszulegen. Vgl. Groeben, H. v. d./ Boeckh, H. v./ Thiesing, J.: Kommentar ..., S. 1136.
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1. Kap.: Die europäischen Verträge
Staat. Ein Vorgehen der Kommission gegen das öffentliche Unternehmen bliebe häufig wirkungslos. Es ist daher aus wettbewerbspolitischer Sicht zweckmäßig, daß sich die Kommission notfalls direkt an den Urheber der jeweiligen Maßnahme, nämlich den Mitgliedstaat, wenden kann20• In einem ganz anderen Licht muß der zweite Absatz des Art. 90 EWGV gesehen werden. Bei diesem handelt es sich um eine Ausnahmebestimmung "für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben". Für diese Unternehmen gelten die Wettbewerbsregeln nur, "soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert". Dabei wäre in erster Linie an Unternehmen zu denken, die einem Kontrahierungszwang oder staatlicher Aufsicht unterliegen. Häufig werden in diesem Zusammenhang Unternehmen des Verkehrswesens, der Energieversorgung, der Kredit- und Versicherungswirtschaft, das Postwesen, der Rundfunk, das Fernsehen sowie Krankenanstalten genannt21. Da mit "allgemeinem wirtschaftlichen Interesse" hier nicht etwa ein gemeinschaftliches, sondern das jeweilige einzelstaatliche Interesse gemeint ist22 , hängt es von den besonderen Gegebenheiten in den Mitgliedstaaten der EG ab, welche Unternehmen unter die Ausnahmeregelung Art. 90 II EWGV fallen. Dies kann dazu führen, daß das einzelstaatliche Interesse an der "Erfüllung (einer) besonderen Aufgabe" (s. Art. 90 II EWGV) letzthin zu unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen innerhalb der EG beiträgt. Allerdings setzt das übergeordnete gemeinschaftliche Interesse an einem möglichst unbehinderten Außenhandel der Durchsetzung nationaler Interessen eine Grenze: "Die Entwick:lung des Handelsverkehrs darf nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft" (s. Art. 90 II Satz 2 EWGV). Man gewinnt gleichwohl den Eindruck, daß es sich bei der Ausnahmeregelung Art. 90 II EWGV um eine recht vage und wettbewerbspolitisch eher zweischneidige Vorschrift handelt, die klare und eindeutige Entscheidungen der ·Kommission erschwert. Dies wiegt um so schwerer, als sich erfahrungsgemäß gerade wettbewerbspolitische Entscheidungen in bezug auf staatliches Handeln als äußerst heikel erweisen, stehen sie doch häufig im Gegensatz zum erklärten Souveränitätsanspruch des Staates. 20 Vgl. Vygen, Klaus: Öffentliche Unternehmen im Wettbewerbsrecht der EWG. Köln u. a. 1967, S. 24. 21 Vgl. ebenda, S. 104. Mestmäcker, E.-J.: Europäisches Wettbewerbsrecht . . ., S. 663. 22 Vgl. Mestmäcker, E.-J.: Europäisches Wettbewerbsrecht ..., S. 662.
A. Wettbewerbspolitische Regelungen
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Nationale Beihilfen wirken in vielen Fällen - gewollt oder ungewollt - protektionistisch, indem sie ausländische Unternehmen diskriminieren und tendenziell vom Markt verdrängen. Von daher hätte man erwartet, daß der EWG-Vertrag hinsichtlich nationaler Beihilfen eine den Zöllen vergleichbare Regelung getroffen hätte: schrittweise Beseitigung wettbewerbsverzerrender nationaler Beihilfen und Übertragung der Befugnis zur Gewährung solcher Beihilfen auf gemeinsame Organe. Tatsächlich aber haben die Väter des EWG-Vertrages einer anderen Regelung den Vorzug gegeben. Nach Art. 92 I EWGV sind staatliche Beihilfen jeder Art23 grundsätzlich mit dem "Gemeinsamen Markt" unvereinbar und damit verboten, sofern sie den Wettbewerb verfälschen und den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. In dieser Formulierung zeigt sich eine teilweise wörtliche Übereinstimmung mit den Artikeln 85 und 86 EWGV. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht hinsichtlich (1) bestimmter Beihilfen, die mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind (s. Art. 92 II EWGV), und (2) bestimmter Beihilfen, die als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden können (s. Art. 92 111 EWGV). Erstere sind stets zulässig, selbst wenn sie den Wettbewerb verfälschen und den innergemeinschaftlichen Außenhandel beeinträchtigen sollten. Dazu zählen Beihilfen sozialer Art an einzelne Verbraucher, Beihilfen zur Beseitigung von Schäden infolge Naturkatastrophen und Beihilfen zum Ausgleich der durch die Teilung Deutschlands entstandenen wirtschaftlichen Nachteile (s. Art. 92 II lit. a- c EWGV). Diesen Beihilfen sei, so Lefevre, gemeinsam, daß sie die "Chancenund Wettbewerbsgleichheit eher wiederherstellen als verfälschen" 24• Beihilfen der unter (2) genannten Art können im Rahmen eines besonderen Verfahrens von der Kommission genehmigt werden (s. Art. 93 EWGV). Hierzu rechnen Beihilfen zur (a) Förderung der Wirtschaftsentwicklung von Gebieten mit sehr niedriger Lebenshaltung oder Unterbeschäftigung, (b) Förderung wichtiger europäischer Vorhaben oder zur Behebung beträchtlicher Störungen im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaates, 28 Unter den Begriff der "Beihilfe" fallen sämtliche staatlichen Vergünstigungen. Einen Überblick über die verschiedenen Erscheinungsformen vermittelt Letevre, Dieter: Staatliche Ausfuhrförderung und das Verbot wettbewerbsverfälschender Beihilfen im EWG-Vertrag. Baden-Baden 1977, S. 11 ff. 2' Vgl. Lefevre, Dieter: Staatliche Ausfuhrförderung ..., S. 131.
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1. Kap.: Die europäischen Verträge
(c) Förderung der Wirtschaftsentwicklung bestimmter Wirtschaftszweige und -gebiete (s. Art. 92 III lit. a- c EWGV). Darüber hinaus kann der Ministerrat - abweichend von Art. 92 EWGV- eine an sich verbotene Beihilfe genehmigen, "wenn außergewöhnliche Umstände eine solche Entscheidung rechtfertigen" (s. Art. 93 II EWGV). Damit wird das breite Spektrum europäischer Konzessionsbereitschaft gegenüber nationalen Beihilfen deutlich. Hinter dieser Vielfalt unterschiedlicher Ausnahmeregelungen verbergen sich letztlich die Vorbehalte der Regierungen, sich den eigenen strukturpolitischen Entscheidungsspielraum durch internationale Verträge allzu stark einengen zu lassen.
m. Besonderheiten der wettbewerbspolitischen Regelung im Montanbereich (Fusionskontrolle)
Mit dem EGKS-Vertrag wurde in einem bedeutenden Teilbereich der Wirtschaft (Kohle und Stahl) der erste europäische Integrationsschritt getan, der u. a. auch die Einführung einer gemeinsamen Wettbewerbspolitik umfaßte. Beim Abschluß des EWG-Vertrages im Jahre 1957 war damit den vertragschließenden Parteien eine Art Vorlage in die Hand gegeben, auf deren Erfahrungen man aufbauen konnte. Dies erklärt sicherlich einige Parallelen in den wettbewerbspolitischen Vorschriften beider Verträge, wie sie etwa aus einem Vergleich der Art. 85 EWGV und Art. 65 § 1, 2 EGKSV deutlich werden. Die durchaus vorhandenen, aber nicht gravierenden Unterschiede zwischen beiden Kartell- und Mißbrauchsregelungen können an dieser Stelle vernachlässigt werden, zumal in dieser Arbeit wirtschaftspolitische Probleme im Rahmen des EWG-Vertrages im Vordergrund stehen sollen. Statt dessen sei das Augenmerk auf eine herausragende Besonderheit der EGKS-Wettbewerbsregeln gerichtet: die im EGKS-Vertrag etablierte Fusionskontrolle. Eine vergleichbare Regelung kennt das EWG-Wettbewerbsrecht bislang nicht. Der folgende Hinweis auf die einschlägigen Bestimmungen im EGKS-Vertrag sei insofern als Anregung im Zusammenhang mit der Diskussion um die Einführung einer alle Wirtschaftsbereiche umfassenden Fusionskontrolle verstanden. Bei den üblichen Kartellvereinbarungen, auf die sich Art. 85 EWGV und Art. 65 EGKSV beziehen, bleibt die rechtliche und wirtschaftliche Selbständigkeit der beteiligten Unternehmen im allgemeinen erhalten. Werden dagegen mehrere unabhängige Unternehmen unter einheitliche Leitung gestellt25, so geht regelmäßig die wirtschaftliche, bisweilen auch 2s Wie diese "einheitliche Leitung" zustande kommt, ist dabei unerheblich. In Art. 66 § 1 EGKSV werden beispielhaft mögliche Formen des Unternehmenszusammenschlusses wie Fusion, Aktienerwerb und Verträge genannt.
B. Industriepolitische Regelungen
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die rechtliche Selbständigkeit der Unternehmen verloren. Auf diesen Fall bezieht sich Art. 66 EGKSV. Gegenüber der Kartellregelung zeigen sich dabei folgende Unterschiede: (1) Zusammenschlüsse sind nicht grundsätzlich verboten, sondern bedürfen lediglich einer vorherigen Genehmigung (s. Art. 66 § 1 EGKSV). (2) Eine Genehmigung setzt nicht den Nachweis positiver Auswirkungen des jeweiligen Zusammenschlusses voraus, sondern ist regelmäßig zu erteilen, wenn festgestellt wird, daß die Transaktion den "Unternehmen nicht die Möglichkeit gibt, ..., auf einem bedeutenden Teil des Marktes ... einen wirksamen Wettbewerb zu verhindern" (s. Art. 66 § 2 EGKSV). Die hierin zum Ausdruck gelangende Privilegierung der Unternehmenszusammenschlüsse gegenüber Kartellen geht auf die tradierte, jedoch fragwürdige Vorstellung zurück, einem Zusammenschluß wohne im allgemeinen der Drang zu betrieblicher Rationalisierung inne, ohne daß eine Wettbewerbsbeschränkung beabsichtigt sei. Trägt ein im Montanbereich genehmigter Zusammenschluß wider Erwarten später zur Entstehung einer marktbeherrschenden Stellung bei, deren Vorhersehbarkeit die Genehmigung ausgeschlossen hätte, so steht der Kommission das Instrument der Mißbrauchsaufsicht zur Verfügung (s. Art. 66 § 7 EGKSV). Entflechtungsmaßnahmen, wie sie Art. 66 § 5 EGKSV vorsieht, kommen nur für den Fall in Betracht, daß ein an sich unzulässiger Zusammenschluß ohne Genehmigung durchgeführt wurde.
B. Die industriepolitischen Regelungen I. Bedeutung und Problematik des Begriffs "Industriepolitik"
Will man die vertraglichen Bestimmungen offenlegen, auf denen sich eine gemeinsame Industriepolitik der EG gründet oder gründen könnte, so fällt zunächst auf, daß in den europäischen Verträgen keine den gesamten industriellen Sektor umfassenden industriepolitischen Regelungen vorgesehen sind. Die einschlägigen Vorschriften des EGKSund des EAG-Vertrages beziehen sich bekanntlich nur auf industrielle Teilbereiche, nämlich auf die Montan- (Kohle und Stahl) sowie auf die Atomindustrie. Der EWG-Vertrag fordert zwar eine gemeinsame Agrar- (s. Art. 38 ff.) und Verkehrspolitik (s. Art. 74 ff.), schweigt jedoch in bezug auf eine gemeinsame Industriepolitik. Dies wird zuweilen damit begründet, daß im EWG-Vertrag ein marktwirtschaftliches Leitbild zum Ausdruck komme, indem der industrielle Strukturwandel
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1. Kap.: Die europäischen Verträge
weitgehend den Marktkräften überlassen werde, lediglich in traditionellen Ausnahmebereichen wie der Land- und Verkehrswirtschaft eine Art sektoraler Wirtschaftspolitik auf europäischer Ebene vorgesehen sei26• Es wäre nun allerdings voreilig und letztlich auch unzutreffend, zu behaupten, daß daher eine gemeinsame europäische Industriepolitik überhaupt nicht möglich sei27 • Zwar enthält der EWG-Vertrag keine in sich geschlossene Regelung, immerhin aber eine Reihe von Einzelvorschriften, die als rechtliche Stütze eines gemeinsamen industriepolitischen Vergehens dienen könnten. Eine Entscheidung darüber, welche Bestimmungen (Artikel) hierbei im einzelnen maßgeblich sind, setzt allerdings eine präzise Begriffsbildung voraus. Diese Aufgabe wird u. a. dadurch erschwert, daß die Kommission, die als erster offizieller Fürsprecher einer europäischen Industriepolitik auftrat, zunächst abwechselnd unterschiedliche Termini verwendete2s, ehe es zunehmend üblich wurde, von "Industriepolitik" zu sprechen. Nach allgemeiner Auffassung handelt es sich bei der Industriepolitik um eine besondere Ausprägung bzw. Unterform sektoraler Wirtschaftsoder Strukturpolitik29 • Somit könnte "lndustriepolitik" als die Summe aller staatlichen Maßnahmen verstanden werden, die auf die Erhaltung, Anpassung oder Gestaltung industrieller Strukturen gerichtet sind. Dabei kann es sich zum einen um die Gestaltung der jeweiligen Rahmenbedingungen (Rechtsformen, Marktzutritt, Wettbewerbsordnung u. ä.), zum anderen aber auch um eine selektive Einflußnahme des Staates (über Subventionen, Kredite u. ä.) handeln30• 28 Vgl. Everling, Ulrich: Die Rechtsfragen einer Industriepolitik. In: Gustav-Stresemann-Institut (Hrsg.): Einführung in die Rechtsfragen der europäischen Integration. 2. Aufl. Bann 1972, S. 124. - Ipsen, H.-P.: Europäisches Gemeinschaftsrecht. Tübingen 1972, S. 915 f. 27 So offenbar Constantinesco, L.-J.: Das Recht der Europäischen Gemeinschaften. Bd. 1: Das institutionelle Recht. Baden-Baden 1977, S. 259. 28 So u. a. "Industriestrukturpolitik", "Sektorpolitik", "Investitions-" und "mittelfristige Wirtschaftspolitik". 29 Vgl. Peters, H.-R.: Grundzüge sektoraler Wirtschaftspolitik. Freiburg 1971, S. 21. - Seidenfus, H. St.: Sektorale Wirtschaftspolitik. In: Ehrlicher, Werner u. a. (Hrsg.): Kompendium der Volkswirtschaftslehre. Bd. 2, 3. Aufl., Göttingen 1972, S. 206. ao Tuchtfeldt spricht in diesem Zusammenhang von Mikroordnungs- bzw. Mikroablaufspolitik, Kantzenbach von Strukturordnungs- bzw. Strukturablaufspolitik. Vgl. Tuchtfeldt, Egon: Das Instrumentarium der Wirtschaftspolitik. Ein Beitrag zu seiner Systematik. Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, Jg. 2 (1957), S. 55 f.- Kantzenbach, Erhard: Einzel-, Struktur- und Niveausteuerung der Wirtschaft in einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung. Zur Systematik der Theorie der Wirtschaftspolitik. Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, Jg. 11 (1966), s. 71.
B. Industriepolitische Regelungen
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Damit sind bereits einige Anhaltspunkte bei der Suche nach industriepolitisch relevanten Vertragsteilen gegeben. In diesem Zusammenhang könnte die Frage aufgeworfen werden, ob zu diesen auch die im EWG-Vertrag geregelte gemeinsame Handelspolitik der EG zu rechnen wäre. Dafür spräche immerhin, daß sowohl seitens der Kommission31 als auch bisweilen in der Fachliteraturs2 der enge Zusammenhang zwischen Industrie- und Handelspolitik hervorgehoben wird. Everling geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn er betont, daß auch gesamtwirtschaftliche Maßnahmen wegen ihrer strukturellen Auswirkungen in den industriepolitischen Kontext einbezogen werden sollten3s. Zweckmäßiger und von der Systematik her überzeugender erscheint es jedoch, nur solche staatlichen Maßnahmen zur (europäischen) Industriepolitik zu rechnen, die primär und unmittelbar auf bestimmte industrielle Strukturen wirken bzw. wirken sollen34 . Dies gilt normalerweise nicht für die Handelspolitik, bei der neben Strukturzielen oftmals konjunktur- und allgemeine zahlungsbilanzpolitische Beweggründe eine ausschlaggebende Rolle spielen. Doch selbst wenn ein Einsatz handelspolitischer Instrumente vorwiegend strukturpolitisch motiviert wäre, handelte es sich dabei eher um flankierende Maßnahmen, die den Erfolg bereits eingeleiteter oder beabsichtigter binnenwirtschaftlicher Maßnahmen sichern sollten. ß. Industriepolitische Regelungen im EWG-Vertrag
In Art. 3 EWGV werden katalogartig die Aufgabengebiete der Europäischen Gemeinschaft bezeichnet. Dabei handelt es sich neben anderem um die Errichtung eines gemeinsamen Marktes (lit. a- c), um die Angleichung nationaler Rechtsvorschriften (lit. h) und um die Errichtung einer Europäischen Investitionsbank (lit. j). Diesen im EWG-Vertrag vorgesehenen integrationspolitischen Maßnahmen, die noch um die Beihilfevorschriften zu ergänzen wären, ist gemeinsam, daß sie Anknüpfungspunkte für eine europäische Industriepolitik bieten. 31 Kommission der EG: Vierter Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaften. Brüssel, Luxemburg 1971, S. 192. In einigen europäischen Staaten sind in diesem Sinne Industrie- und Handelsministerium verwaltungsmäßig zusammengefaßt. Vgl. OECD (Hrsg.): The Aims and Instruments of Industrial Policy. A comparative study. Paris 1975, S. 17. 32 Vgl. Peters, H.-R.: Grundzüge ..., S. 86.- Schmidt, K.-H.: Die Instrumente einer gesamtwirtschaftlich ausgerichteten Gewerbepolitik In: Internationales Gewerbearchiv, Jg. 20 (1972), H. 3, S. 165. 33 Vgl. Everling, Ulrich: Die Rechtsfragen ..., S. 125. 34 Zu diesem Abgrenzungskriterium vgl. Tuchtfeldt, Egon: Das Instrumentarium ..., S. 52 f.
1. Kap.: Die europäischen Verträge
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Die Entwicklung hin zu einem "Gemeinsamen Markt" ist größtenteils vom EWG-Vertrag vorgezeichnet und steht - zumindest de jure - nicht zur Disposition der einzelnen Mitgliedstaaten. Gegen eine Einbeziehung in den industriepolitischen Kontext ließe sich nun freilich einwenden, die Errichtung eines gemeinsamen Marktes betreffe das gesamte europäische Wirtschaftsgeschehen und sei daher im Sinne einer speziell auf den industriellen Sektor bezogenen Politik nicht von überragender Bedeutung. Mit diesem Argument würde jedoch nicht hinreichend berücksichtigt, daß der Industrieproduktion in nahezu allen EG-Ländern eine dominierende Rolle innerhalb des Wachstumsprozesses zuerkannt wird und die Verwirklichung eines gemeinsamen Marktes sich insbesondere auf die Planung in Industrieunternehmen maßgeblich auswirkt. Durch die Erweiterung des Wirtschaftsraumes vergrößert sich bei den Unternehmen generell der Entscheidungsspielraum, sowohl in beschaffungs-, produktions-, absatz- als auch in finanzpolitischer Hinsicht. Indem Bemühungen um weitere Liberalisierungsfortschritte somit die Rahmenbedingungen Unternehmerischen Handeins verändern, haben sie regelmäßig eine industriepolitische Dimension. So hat die Beseitigung der innergemeinschaftlichen Zölle und Kontingente die Exportmöglichkeiten der europäischen Industrieunternehmen erheblich verbessert. Ähnlich hat sich der personelle Spielraum der Unternehmen erweitert, seit die in den Artikeln 48 ff. EWGV geforderte Freizügigkeit der Arbeitnehmer jedenfalls rechtlich weitgehend gewährleistet ist3s. Anders verhält es sich mit der Anwendung und Durchführung jener vertraglichen Bestimmungen, die sich auf das freie Niederlassungsrecht und den internationalen Kapitalverkehr beziehen. In beiden Bereichen konnte die im EWG-Vertrag vorgesehene Liberalisierung bislang nicht vollständig realisiert werden. Dies wirkt sich insbesondere auf multinationale Industrieunternehmen in der EG nachteilig aus, denen dadurch Direktinvestitionen und Wertpapieremissionen auf ausländischen Kapitalmärkten erschwert werden. Art. 52 EWGV sieht nun u. a. vor, daß "Beschränkungen der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines Mitgliedstaates . . . schrittweise aufgehoben" werden. Rat und Kommission würden dabei "diejenigen Tätigkeiten mit Vorrang behandeln, bei denen die Niederlassungsfreiheit die Entwicklung der Produktion und des Handels in besonderer Weise fördert" (s. Art. 54111 lit. a EWGV). Zur Verwirklichung dieses Zieles seien u. a. auch "die Schutzbestimmungen zu koordinieren, die in den ss
Vgl. VO Nr. 1612/68. ABI. L 257 vom 19. 10. 1968, S. 2.
B. Industriepolitische Regelungen
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Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind ..." (s. Art. 54 111 lit. g EWGV). Man könnte nun daraufhin vermuten, daß der EWG-Vertrag einen gleichermaßen unbehinderten innergemeinschaftlichen Kapitalverkehr vorsehe und garantiere. Dies trifft jedoch nicht zu. Zwar umfaßt "die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen ... nach den Bestimmungen des Aufnahmelandes", doch gilt dies nur "vorbehaltlich des Kapitels über den Kapitalverkehr" (s. Art. 52 EWGV). Geht also mit einer gewünschten Niederlassung, wie es sehr häufig der Fall sein dürfte, ein Kapitaltransfer ins Ausland einher, so unterliegt dieser der grundsätzlich restriktiveren Kapitalverkehrsregelung. Darin werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, während der Übergangszeit schrittweise alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zu beseitigen, "soweit es für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes notwendig ist" (s. Art. 67 I EWGV). Dieser Zusatz, der eine erhebliche Unschärfe aufweist, erlaubt den Mitgliedstaaten, in bestimmten Bereichen über die Übergangszeit hinaus Kapitalverkehrskontrollen zu praktizieren36• Dadurch kann der Investitions- und Finanzierungsspielraum der Industrieunternehmen in der EG spürbar eingeengt werden. Darüber hinaus können sich weitere Beeinträchtigungen der Außenwirtschaftsbeziehungen aus unterschiedlichen nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften ergeben. Bestehen nämlich größere Unterschiede, so erfordern grenzüberschreitende Transaktionen zusätzliche Kosten oder sind möglicherweise sogar von vornherein ausgeschlossen. Ein eindrucksvolles Beispiel liefern jene mannigfaltigen Schutzbestimmungen, die sich auf die Produktbeschaffenheit beziehen. Sie wirken in vielen Fällen protektionistisch; denn die betroffenen Unternehmen sind häufig gezwungen, mehrere Produktvarianten herzustellen, wollen sie in die gesamte EG exportieren. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen sind dazu oftmals nicht in der Lage. Daher sieht der EWG-Vertrag in Art. 100 die Möglichkeit einer Umformung bzw. Harmonisierung nationaler Rechtsvorschriften vor: Der Rat erläßt "einstimmig auf Vorschlag der Kommission Richtlinien für die Angleichung derjenigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken" (Hervorhebung vom Verf.). Aus der Formulierung wird somit deutlich, daß über das Erfordernis eines as Vgl. hierzu die beiden 1960 und 1962 vom Rat zur Durchführung des Artikels 67 erlassenen Richtlinien. In: ABI. vom 12. 7. 1960, S. 921 ff. und ABI. vom 22. 1. 1963, S. 62 ff.
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1. Kap.: Die europäischen Verträge
"Gemeinsamen Marktes" hinausgehende industriepolitische Ziele zumindest auf der Grundlage dieses Artikels nicht verfolgt werden können37• Industriepolitische Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft, die auf die Verwirklichung eines gemeinsamen Marktes hinzielen und damlt den Aktionsradius europäischer Industrieunternehmen vergrößern, haben ordnungspolitischen Charakter. Es erhebt sich nun die Frage, inwieweit der EWG-Vertrag darüber hinaus auch den Einsatz ablaufpolitischer Instrumente zur Beeinflussung industrieller Strukturen vorsieht. Zunächst sei an die bereits erwähnten Beihilfevorschriften erinnert. Wettbewerbsverfälschende nationale Beihilfen sind grundsätzlich verboten (s. Art. 92 I EWGV), können aber unter bestimmten Voraussetzungen von der Kommission genehmigt werden (s. Art. 92 III i. V. m. Art. 93 EWGV). Die Kommission besitzt hierbei einen recht weitgehenden Ermessensspielraum, den sie zur Verwirklichung industriepolitischer Ziele nutzen könnte. Aus dem Gesagten ergibt sich allerdings sogleich auch die Begrenzung ihrer Kompetenz: Die Kommission kann zwar geplante oder bereits gewährte nationale Beihilfen untersagen, sie ist jedoch nicht befugt, ein Gebot auszusprechen, daß bestimmte von ihr präferierte Beihilfen vergeben werden müssen. Insofern sind ihre diesbezüglichen industriepolitischen Aktivitäten jeweils von der Initiative bzw. Mitwirkung der einzelnen Mitgliedstaaten abhängig. Dennoch sollten die Möglichkeiten, durch Verbot oder Genehmigung nationaler Subventionsvorhaben industriepolitischen Einfluß zu nehmen, auch nicht unterschätzt werden. Dies wird deutlicher, wenn man sich nochmals die möglichen Ausnahmen vom Beihilfeverbot vor Augen führt. Dabei handelt es sich u. a. umss (1) "Beihilfen zur Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse" (s. Art. 92 III lit. b EWGV), (2) "Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige ..." (s. Art. 92 III lit. c EWGV). 37 Vgl. Groeben, H. v. d. I Boeckh, H. v. I Thiesing, J.: Kommentar . .., S. 1281. Abweichend hiervon Kovar, R,.: L'impact de l'elargissement sur les institutions et le droit des Communautes europeennes. In: Wallace, W . und Herreman, J. (Hrsg.): A Community .of Twelve? The Impact of Further Enlargement on the European Communities. Bruges 1978, S. 73: " ... l'article
100 qui ne devrait pas etre limite par la reference a une incidence directe des legislations nationales sur l'etablissement ou le fonctionnement du marche commun." 3s Genehmigungsfähige Regionalbeihilfen bleiben hier außer acht; denn sie zielen im allgemeinen nicht primär auf die Beeinflussung sektoraler, sondern räumlicher Industriestrukturen.
B. Industriepolitische Regelungen
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Bei den zuerst genannten Beihilfen können beispielsweise Überlegungen der Regierungen eine Rolle spielen, volkswirtschaftlich wichtige Industrien zu fördern, die noch unzulänglich entwickelt sind (z. B. Luft- und Raumfahrt, Informatik). Vom staatlich geförderten Aufbau zukunftsträchtiger Industrien erhofft man sich eine Verringerung der "technologischen Lücke" zum Ausland und damit zusätzliche Wachstumsimpulse. Unter den an zweiter Stelle erwähnten Beihilfen sind in erster Linie sektorale HUfsmaßnahmen zu verstehen, mit denen die Regierungen die Anpassung der Unternehmen an einen erwarteten oder bereits erfolgten Strukturwandel unterstützen. Dabei wäre allerdings zu beachten, daß die Beihilfen der "Förderung der Entwicklung" dienen müssen. Von daher schiede grundsätzlich eine Genehmigung solcher Beihilfevorhaben aus, mit denen veraltete, nicht mehr wettbewerbsfähige industrielle Strukturen künstlich aufrechterhalten würden. Die Kommission könnte nun einzelne Bemühungen nationaler Industriepolitik, die dem Interesse der Gemeinschaft nicht zuwiderlaufen, durch eine gezielte Genehmigungspraxis unterstützen und dabei versuchen, sie unter übergeordneten europäischen Gesichtspunkten zu koordinieren. Hierbei sei freilich nochmals auf die Möglichkeiten des Rates hingewiesen, teils auf Vorschlag der Kommission (s. Art. 92 III lit. d EWGV), teils auf Antrag eines Mitgliedstaates (s. Art. 93 II EWGV), weitere Ausnahmen zu statuieren und damit den Mitgliedstaaten zusätzliche industriepolitische Freiräume zu verschaffen. Setzten sich hierbei verstärkt nationale Interessen durch, wäre die Verwirklichung gemeinsamer industriepolitischer Ziele auf dem oben angedeuteten Wege aussichtslos, ganz abgesehen von einer möglichen Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Wettbewerbs. Weiter oben hieß es, die industriepolitischen Kompetenzen der EG seien insofern vom EWG-Vertrag her begrenzt, als dieser den europäischen Entscheidungsträgern im Rahmen der Beihilfevorschriften eine weitgehend passive Rolle zuweise. Diese Aussage ist zu modifizieren; denn mit dem EWG-Vertrag wurde darüber hinaus die Rechtsgrundlage für die Errichtung der "Europäischen Investitionsbank" geschaffen (s. Art. 129 EWGV). Ihre Aufgabe ist es, Darlehen zu vergeben und Bürgschaften zu übernehmen, um wichtige, im Interesse der EG liegende Investitionen zu unterstützen bzw. zu ermöglichen. Die Kreditfinanzierung erfolgt einerseits durch Beiträge der Mitgliedstaaten, andererseits durch Anleiheemissionen auf dem Kapitalmarkt39• Die ae Vgl. hierzu sowie wegen weiterer Geschäfts- und Verwaltungsmodalitäten das "Protokoll über die Satzung der Europäischen Investitionsbank" vom 25. März 1957 (Anhang zum EWG-Vertrag).
1. Kap.: Die europäischen Verträge
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Kreditvergabe wird dabei zwar weitgehend nach bankmäßigen Grundsätzen abgewickelt, erstreckt sich aber von vornherein auf bestimmte, im einzelnen im EWG-Vertrag festgelegte Vorhaben. Daraus leiten sich unmittelbar industriepolitischer Rang und Einfluß der Europäischen Investitionsbank ab. So fördert sie zum einen die Anpassung der Unternehmen an den integrationsbedingten Strukturwandel, nämlich "Vorhaben zur Modernisierung oder Umstellung von Unternehmen oder zur Schaffung neuer Arbeitsmöglichkeiten, die sich aus der schrittweisen Errichtung des Gemeinsamen Marktes ergeben" (s. Art. 130 EWGV). Zum anderen beteiligt sie sich an "Vorhaben von gemeinsamem Interesse für mehrere Mitgliedstaaten" (s. Art. 130 EWGV). Dabei könnte es sich etwa um die Unterstützung multinationaler Unternehmenskooperation und -konzentration innerhalb der EG handeln. Darüber hinaus können hinsichtlich der Gewährung gemeinschaftlicher Subventionen im Rahmen des EWG-Vertrages weitere Kompetenzen durch Vertragserweiterung bzw. Verordnungsrecht begründet werden, was allerdings zunächst gemeinsame industriepolitische Vorstellungen der einzelnen Mitgliedstaaten voraussetzte. Insbesondere die in der hierfür einschlägigen Vorschrift Art. 235 EWGV geforderte Einstimmigkeit erschwert freilich jede grundlegende Entscheidung, wie die Erörterung der europäischen Industriepolitik im dritten Kapitel zeigen wird.
m.
Industriepolitische Regelungen im EGKS-Vertrag
Im Zusammenhang mit der Diskussion um eine wesentlich erweiterte europäische Industriepolitik weisen deren Befürworter oftmals exemplarisch auf die einschlägigen Bestimmungen im EGKS-Vertrag hin40 • Auch die Kommission hat sich bei ihren industriepolitischen Anregungen und Forderungen mitunter von einzelnen Regelungen und Erfahrungen im Montanbereich leiten lassen. Die wichtigsten einschlägigen Vorschriften des EGKS-Vertrages seien daher in der gebotenen Kürze dargestellt. Die industriepolitische Konzeption des EGKS-Vertrages ist -ganz im Gegensatz zum EWG-Vertrag- durch eine ziemlich weitreichende Kompetenz der Kommission (früher: Hohe Behörde) geprägt. So kann die Kommission von den Montan-Unternehmen Auskünfte über geplante Investitionen u. ä. verlangen (s. Art. 47 EGKSV). Auf dieser Grundlage erstellt sie langfristige Orientierungsdaten, u. a. über die voraussichtliche Entwicklung der Produktion, des Verbrauchs sowie der Aus- und Einfuhr (s. Art. 46111 EGKSV), und trifft gegebenenfalls 40
Vgl. Toulemon, R. und Flory, J.: Une politique industrielle pour l'Europe.
0. 0. 1974, s. 25 ff.
B. Industriepolitische Regelungen
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Maßnahmen, "um eine aufeinander abgestimmte Entwicklung der Investitionen zu begünstigen" (s. Art. 54 III EGKSV). Die für die Durchführung der betreffenden Maßnahmen erforderlichen Finanzmittel beschafft sich die Kommission zum einen durch eine Umlage, die sie auf die Erzeugung von Kohle und Stahl erheben kann, zum anderen durch Emission von Anleihen (s. Art. 49 ff. EGKSV). Unter Verwendung dieser der Kommission zur Verfügung stehenden Eigenmittel soll den Montan-Unternehmen die "Durchführung der Investitionsvorhaben" im allgemeinen sowie die Finanzierung kostensenkender und produktions- bzw. absatzsteigernder "Einrichtungen" im besonderen erleichtert werden (s. Art. 54 I, II EGKSV). Darüber hinaus können unter bestimmten Voraussetzungen Beihilfen zur Förderung der Forschung im Montanbereich (s. Art. 55 EGKSV) und zur Vermeidung jener Arbeitslosigkeit gewährt werden, die sich aus der Einführung neuer technischer Verfahren oder einer grundlegenden Änderung der Absatzbedingungen ergibt (s. Art. 56 EGKSV). Weitaus kontroverser werden dagegen die vom Vertrag vorgesehenen direkten Eingriffsmöglichkeiten der Kommission beurteilt, die es ihr erlauben, im Falle einer "offensichtlichen Krise" (s. Art. 58 I EGKSV) den Entscheidungsspielraum der jeweiligen Kohle- bzw. Stahlunternehmen grundlegend einzuengen. Ist nämlich die Kommission der Auffassung, daß eine "offensichtliche Krise" besteht und indirekte Maßnahmen keinen Erfolg versprechen, so kann sie mit Zustimmung des Rates für die einzelnen Unternehmen Produktionsquoten festsetzen und gegebenenfalls auch importbeschränkende Maßnahmen verfügen (s. Art. 58, 74 EGKSV). Analog hierzu sieht der Vertrag bei einer "ernsten Mangellage" Rationierungsmaßnahmen hinsichtlich Produktion, Verbrauch und Export vor (s. Art. 59 EGKSV). Des weiteren ist die Kommission unter bestimmten Voraussetzungen befugt, auch den Preissetzungsspielraum der Montan-Unternehmen zu begrenzen, indem sie für einzelne Güter Höchst- oder Mindestpreise festlegt (s. Art. 61 EGKSV). Damit werden Variationsbreite und Ausmaß strukturpolitischen Eingreifens der EG im Montanbereich deutlich, das im Extremfall bis zur Anordnung eines Zwangskartells (Quoten- bzw. Preiskartel1)41 und somit zur weitgehenden Suspendierung des Marktmechanismus reichen kann. 4t Sofern die Unternehmen die von der Kommission verfügten Quotenbzw. Preisregelungen nicht befolgten, müßten sie mit Geldbußen rechnen (s. Art. 58 § 4 und Art. 64 EGKSV).
3 Gelster
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1. Kap.: Die europäischen Verträge
IV. Industriepolitische Regelungen im EAG-Vertrag
Auch dieser Vertrag wird stellenweise als wegweisend für eine allgemeine europäische Industriepolitik angesehen. So insbesondere von jenen, die für eine gezielte und nachhaltige Förderung zukunftsträchtiger Technologien (etwa im Bereich der Luft- und Raumfahrt, der Informatik u. ä.) seitens der Kommission plädieren42 • Die industriepolitischen Einwirkungsmöglichkeiten, wie sie der EAGVertrag vorsieht, sind teilweise ähnlich weitreichend wie jene im Montanbereich, weisen jedoch einige besondere Merkmale auf. Zum einen sind Euratom-Unternehmen verpflichtet, geplante Investitionen der Kommission anzuzeigen (s. Art. 41 EAGV). Diese Daten dienen ihr u. a. zur Erstellung und Veröffentlichung von "Programmen", die darauf hinzielen sollen, "die Initiative der ... Unternehmen anzuregen und eine abgestimmte Entwicklung ihrer Investitionen auf dem Kerngebiet zu erleichtern" (s. Art. 40 EAGV). Werden der Kommission einzelne Projekte gemeldet, so erörtert sie mit den betreffenden Unternehmen "alle Gesichtspunkte der Investitionsvorhaben, die mit den Zielen des Vertrags in Zusammenhang stehen" (s. Art. 43 EAGV). Dabei handelt es sich allerdings - juristisch gesehen - um eine weitgehend unverbindliche Einflußnahme. Lediglich im Falle eines erkennbaren Vertragsverstoßes käme ein Investitionsverbot in Betracht43• Mit Zustimmung der Unternehmen kann die Kommission die ihr mitgeteilten Investitionsvorhaben publizieren (s. Art. 44 EAGV). Hier liegt die Vermutung nahe, daß damit den Euratom-Unternehmen wettbewerbsbeschränkende Absprachen und Verhaltensweisen wesentlich erleichtert werden. In diesem Zusammenhang sei auch auf die Tätigkeit der sog. "Agentur" im Euratom-Bereich hingewiesen, der vom Vertrag das ausschließliche Bezugsrecht hinsichtlich einzelner Vorprodukte zugewiesen worden ist (s. Art. 52 ff. EAGV). Ein derartiges Monopson schwächt tendenziell den Nachfragewettbewerb auf den jeweiligen Beschaffungsmärkten. Eine weitere Besonderheit des EAG-Vertrages liegt darin, daß er die Errichtung multinationaler Gemeinschaftsunternehmen (sog. "gemeinsame Unternehmen") vorsieht, "die für die Entwicklung der Kernindustrie in der Gemeinschaft von ausschlaggebender Bedeutung sind" (s. Art. 45 EAGV). Über die Gründung und über eventuelle Vergünstigungen für diese Unternehmen hätte - unter Mitwirkung der Unternehmen, der Mitgliedstaaten und der Kommission - der Rat zu entVgl. Toulemon, R. und Flory, J.: Une politique ..., S. 50 ff. Vgl. ebenda, S. 59. - Krämer, H. R.: Die Europäische Gemeinschaft, Stuttgart u. a. 1974, S. 116. 42
43
B. Industriepolitische Regelungen
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scheiden (s. Art. 46 - 49 EAGV). Obgleich diese besondere supranationale Rechtsform im Euratom-Bereich kaum Bedeutung erlangt hat, darf sie dennoch als ein erster europäischer Versuch gewertet werden, die industrielle Zusammenarbeit zwischen Unternehmen aus verschiedenen Mitgliedstaaten zu institutionalisieren und zu fördern. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, daß - ähnlich wie auch im Rahmen des EGKS-Vertrages- der Rat auf Vorschlag der Kommission Preise im Euratom-Bereich festsetzen kann (s. Art. 69 EAGV), wenngleich in Art. 67 EAGV der Grundsatz formuliert wird, daß "sich die Preise aus der Gegenüberstellung von Angebot und Nachfrage (ergeben)".
Zweites Kapitel
Die Wettbewerbspolitik im Verlauf der europäischen Integration Die Frage, was im einzelnen zur EWG-Wettbewerbspolitik zu rechnen sei, ist im vorangegangenen Kapitel beantwortet worden, indem in Anlehnung an die Gesetzessystematik lediglich die Artikel 85 - 94 EWGV ("Wettbewerbsregeln") behandelt wurden. Diese Abgrenzung wird im folgenden beibehalten, wenngleich die EG-Kommission zunächst offenbar einen viel weiter gefaßten Begriff ihrer Wettbewerbspolitik zugrunde legte, der darüber hinaus u. a. die Komplexe "Rechtsangleichung" und "Steuerharmonisierung" umfaßte. Die Kommission rechtfertigte diese Betrachtungsweise mit dem Hinweis, daß die Mannigfaltigkeit der Bestimmungen und Mittel nicht darüber hinwegtäuschen dürfe, daß die Wettbewerbsprobleme ein einheitliches Ganzes seien und folglich alles aufeinander abgestimmt verwirklicht werden müsse1• Dennoch kann aus diesen durchaus zutreffenden Überlegungen kein Verzicht auf strikte Abgrenzung und Systematisierung wirtschaftspolitischer Termini abgeleitet werden, würden doch andernfalls die Konturen und Besonderheiten der "eigentlichen" Wettbewerbspolitik nicht mehr deutlich hervortreten. Diese Erwägungen sowie die zunehmende Konkretisierung und Spezialisierung im Bereich europäischer Wirtschaftspolitik mögen schließlich auch die Kommission bewogen haben, einer engen Definition den Vorzug zu geben2• Die Darstellung der wettbewerbspolitischen Entwicklung erfolgt nicht im Sinne einer reinen Chronologie. Statt dessen sollen fünf Sachbereiche unterschieden werden: die Wettbewerbspolitik gegenüber (1) Kartellen, (2) marktbeherrschenden Unternehmen, (3) Unternehmenszusammenschlüssen und Gemeinschaftsunternehmen, (4) öffentlichen Unternehmen, (5) sektoralen Beihilfen der Mitgliedstaaten. 1 Vgl. Kommission der EWG: Erster Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaft. 0. 0. 1958, S. 62. 2 Vgl. Kommission der EG: Erster Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaften. Brüssel, Luxemburg 1968, S. 48 ff. Hier wird unter der Überschrift "Die Wettbewerbspolitik" erstmalig nur der Komplex der Art. 85-94 EWGV verstanden.
A.
Institutioneller Rahmen
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Jede der genannten Ausprägungen europäischer Wettbewerbspolitik wird in einem eigenen Abschnitt dargestellt. A. Der institutionelle Rahmen der europäischen Wettbewerbspolitik
Jede Wirtschaftspolitik wird im allgemeinen nach mehr oder weniger festgelegten Regeln gestaltet, deren Gesamtheit den jeweiligen institutionellen Rahmen bildet. Zu Beginn wäre somit zu klären, welche europäischen Einrichtungen Träger der EG-Wettbewerbspolitik sind und wie deren wettbewerbspolitisches Handeln Ausdruck findet. Als Träger der europäischen Wettbewerbspolitik kämen die im EWG-Vertrag vorgesehenen Organe in Betracht (s. Art. 137 ff. EWGV), also das Europäische Parlament, der Rat, die Kommission, der Europäische Gerichtshof und der Wirtschafts- und Sozialausschuß, oder später gebildete Ausschüsse, wobei in wettbewerbspolitischer Hinsicht allenfalls an den "Ausschuß für mittelfristige Wirtschaftspolitik" zu denken wäre. Der in der Aufzählung enthaltene Europäische Gerichtshof kann in diesem Zusammenhang außer acht bleiben, weil er nicht Träger der Wirtschaftspolitik, sondern rechtsprechende Gewalt ist. Das Europäische Parlament besitzt bis dato keine Gesetzgebungskompetenz, obwohl diese Funktion den herrschenden staatspolitischen Gepflogenheiten, insbesondere der Gewaltenteilung, in den Mitgliedstaaten der EG entspräche. Da das Europäische Parlament auch keine sonstigen wettbewerbspolitischen Entscheidungen treffen kann, sondern lediglich an der Willensbildung von Rat und Kommission mitwirkt, indem es von seinem Anhörungsrecht Gebrauch macht oder durch Anfragen Einfluß zu nehmen versucht, kann es ebenfalls nicht als Träger der Wettbewerbspolitik angesehen werden. Das soeben Gesagte gilt in abgewandelter Form auch für die oben erwähnten Ausschüsse, denen zwar eine Beraterfunktion, jedoch keine Entscheidungsbefugnis in wettbewerbspolitischen Angelegenheiten übertragen worden ist. Es verbleiben somit Rat (Legislative) und Kommission (Exekutive)3, die als Träger europäischer Wettbewerbspolitik tituliert werden dürfen und deren wettbewerbspolitisches Handeln es im folgenden darzustellen gilt. Was die politische Willensbildung im Rat und in der Kommission anbelangt, sei zweierlei angemerkt. Da sich der Rat aus den Regie3 Obgleich ausführendes Organ, hat die Kommission innerhalb eines Interpretations- und Ermessensspielraumes die Möglichkeit, Ziele zu setzen bzw. zu konkretisieren.
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2. Kap.: Wettbewerbspolitik im Integrationsverlauf
rungen der Mitgliedstaaten rekrutiert4 , ist damit zu rechnen, daß die Regierungsvertreter im Rat versuchen werden, ihre nationalen Vorstellungen und Interessen auf europäischer Ebene durchzusetzen. Daraus folgt, daß die Entwicklung der nationalen Wettbewerbspolitik in den einzelnen Mitgliedstaaten der EG auch für die europäische Wettbewerbspolitik von nicht zu unterschätzender Bedeutung sein kann, worauf im betreffenden Kontext hingewiesen wird. Auch die Entscheidungsfindung innerhalb der Kommission ist komplexer Natur. Zwar tritt die Kommission nach außen hin als Einheit auf, stellt aber intern eine arbeitsteilige Organisation mit abgegrenzten Sachkompetenzen dar. Ein Kommissionsmitglied und eine Verwaltungsabteilung ("Generaldirektion") der Kommission sind vorwiegend mit der Wettbewerbspolitik betraut. Hinzu kommt, daß auch nationale Verwaltungsbehörden an der Durchsetzung europäischer Wettbewerbspolitik mitwirken (so in der Bundesrepublik insbesondere das Bundeskartellamt). Inwieweit sich hieraus Kompetenzüberlagerungen und Koordinierungsprobleme ergeben können, die möglicherweise den Erfolg wettbewerbs- und industriepolitischer Konzeptionen in Frage stellen, wird noch zu erörtern sein. Sieht man einmal von einer Vertragsrevision ab, so ist der EWG-Vertrag für Rat und Kommission gleichsam ein Datum ihrer wettbewerbspolitischen Aktivitäten. Um auf dieser Grundlage die europäische Wettbewerbspolitik zu gestalten und fortzuentwickeln, stehen ihnen verschiedene Instrumente zur Verfügung, die es nun kurz zu skizzieren und abzugrenzen gilt. So hat der Rat grundsätzlich die Möglichkeit, auf Vorschlag der Kommission Verordnungen zu erlassen (s. Art. 87, 94 EWGV), die "in allen ihren Teilen verbindlich (sind) und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat (gelten)" (s. Art. 189 EWGV). Beispielhaft sei in diesem Zusammenhang auf die Verordnung Nr. 175 hingewiesen, die die grundlegenden verfahrensrechtlichen Regelungen enthält, die für eine wirksame und einheitliche Anwendung der Art. 85 und 86 EWGV in den einzelnen Mitgliedstaaten unerläßlich sind, insbesondere indem der Kommission eine weitgehende zentrale Zuständigkeit bei der Durchführung der europäischen Wettbewerbspolitik zugewiesen wurde. Auf den Inhalt dieser von der wettbewerbspolitischen Bedeutung her wohl wichtigsten Verordnung wird noch des öfteren zu verweisen sein. Weiterhin kann • Die jeweilige Zusammensetzung des Rates wechselt mit dem anstehenden Sachgebiet. Sofern wettbewerbspolitische Themen auf der Tagesordnung stehen, würde etwa seitens der Bundesrepublik i. a. der Bundeswirtschaftsminister dem Rat beiwohnen. 6 Vgl. VO Nr.l7, ABl. vom 21. 2.1962, S. 204.
A. Institutioneller Rahmen
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die Kommission per Ratsverordnung ermächtigt werden, ihrerseits Durchführungsverordnungen innerhalb des gesetzten Rahmens zu erlassen (s. Art. 155 EWGV). In der EWG-Wettbewerbspolitik hat diese Verfahrensweise bei der sog. Gruppenfreistellung besondere Bedeutung erlangt. Während im Normalfall die Kommission auf Antrag einzelne wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen überprüft und gegebenenfalls vom generellen Kartellverbot freistellt (Freistellung durch Einzelentscheidung), sind "die unter eine Gruppenausnahme fallenden Vereinbarungen ... wirksam (d. h. zulässig, Anm. des Verf.), ohne daß es einer die Wirksamkeit feststellenden Einzelentscheidung bedarf" 6 • Eine Gruppenfreistellung per Verordnung hat die Funktion, die Kommission von einer Vielzahl von Einzelentscheidungen zu entlasten, und liegt insofern durchaus auch im Interesse der Unternehmen, weil eine mehr oder weniger langwierige Fallprüfung entfällt und damit die Rechtssicherheit erhöht wird7 • Rat und Kommission können ferner Richtlinien erlassen, die sich von den Verordnungen dadurch unterscheiden, daß sie nur hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich sind, den Mitgliedstaaten jedoch die Wahl der Mittel überlassen (s. Art. 189 EWGV); denn die Verwirklichung des in einer Richtlinie formulierten Zieles erfordert im allgemeinen eine Anpassung des nationalen Rechts oder entsprechende Verwaltungsentscheidungen in den Mitgliedsländern der EG. Für die Durchsetzung einer einheitlichen europäischen Wettbewerbspolitik erscheinen Richtlinien insofern weniger geeignet als Verordnungen, als die Wahl der Mittel den Grad der Zielverwirklichung maßgeblich beeinflussen kann. In diesem Fall wichen die Wettbewerbsbedingungen in den Mitgliedstaaten der EG möglicherweise voneinander ab, weil die EG-Richtlinie in unterschiedlicher Weise in nationales Recht transformiert würde. Die europäische Wettbewerbspolitik hätte das wichtigste Ziel verfehlt, gleiche Wettbewerbsverhältnisse auf dem Gemeinsamen Markt herzustellen. Dennoch mag es im Einzelfall durchaus erwünscht sein, den besonderen Gegebenheiten in den einzelnen Mitgliedstaaten dadurch Rechnung zu tragen, daß die näheren Modalitäten der Wettbewerbspolitik dezentral und auch unterschiedlich geregelt werden, zumindest solange eine europäische Wirtschaftsunion noch in weiter Ferne ist. Mit zunehmender Integration ist hingegen anzunehmen, daß das Instrument der Richtlinie weitgehend durch das der e Mestmäcker, E.-1.: Europäisches Wettbewerbsrecht ..., S. 310.
7 Die Rechtssicherheit ist freilich insofern eingeschränkt, als die Unternehmen das sog. Subsumtionsrisiko tragen: Sollte im Einzelfall die Gruppenausnahme doch nicht anwendbar sein, kann die Kommission eine anderslautende Einzelentscheidung herbeiführen (sog. Entzugsentscheidung}. Vgl. Mestmäkker, E.-J.: Europäisches Wettbewerbsrecht ..., S. 310 f.
40
2. Kap.: Wettbewerbspolitik im Integrationsverlauf
Verordnung ersetzt wird, um eine einheitliche Wettbewerbspolitik auf europäischer Ebene zu gewährleisten. Neben der soeben geschilderten Möglichkeit, durch Schaffung neuen Rechts wettbewerbspolitische Vorstellungen zu verwirklichen, gilt es nun, jene Kategorie wettbewerbspolitischen Handeins zu charakterisieren, die darin besteht, daß die Kommission als ausführendes Organ auf der Grundlage des geschaffenen Wettbewerbsrechts Entscheidungen zu Einzelfällen trifft. Gegenüber Vereinbarungen zwischen Unternehmen stehen der Kommission prinzipiell drei Wege offen. Sie kann (a) ein Verbot aussprechen (s. Art. 3 VO Nr. 17), (b) ein Negativattest erteilen (s. Art. 2 VO Nr. 17),
(c) eine Freistellung vom Kartellverbot vornehmen (s. Art. 9 VO Nr. 17). Die Kommission verbietet eine Vereinbarung, wenn sie gegen Art. 85 I EWGV verstößt und eine Freistellung nicht möglich ist. Gleiches gilt, wenn ein Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung mißbräuchlich ausnutzt (s. Art. 86 EWGV). Bevor die Kommission ein Verbot ausspricht, kann sie Empfehlungen an die betroffenen Unternehmen richten, um sie zu veranlassen, die jeweiligen Zuwiderhandlungen zu beenden (s. Art. 3 Ill VO Nr. 17). Auf diese Weise kann eventuell eine Einigung erzielt werden, ohne daß eine förmliche Entscheidung erforderlich wäre. Ein Negativattest erteilt die Kommission, wenn auf Grund der ihr bekannten Tatsachen kein Verstoß gegen Art. 85 I oder 86 EWGV vorliegt, d. h. eine spürbare wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise nicht gegeben ist. Anders verhält es sich bei einer Freistellungsentscheidung, der zwar eine Wettbewerbsbeschränkung gemäß Art. 85 I EWGV zugrunde liegt, die jedoch nach Abwägung aller positiven und negativen Gesichtspunkte (s. Art. 85 Ill EWGV) genehmigt wird. Die Wirksamkeit der Wettbewerbspolitik kann erhöht werden, indem eine Freistellung (a) nur für begrenzte Zeit erteilt wird, (b) mit Auflagen verbunden wird, (c) unter bestimmten Voraussetzungen, insbesondere bei einerneuen Datenkonstellation, widerrufen werden kann (s. Art. 8 VO Nr. 17). In der wettbewerbspolitischen Praxis der Kommission hat eine weitere Erscheinungsform wirtschaftspolitischen Handeins Bedeutung erlangt, nämlich die Bekanntmachungen, in denen die Kommission ihren Standpunkt zu einzelnen wettbewerbspolitischen Fragen darlegt, insbesondere ihre Verwaltungspraxis festlegt und verkündet. Ähnlich wie
B. Kartelle
41
bei der bereits erwähnten Gruppenfreistellung per Verordnung verfolgt die Kommission mit dem Mittel der Bekanntmachung das Ziel, die Zahl der erforderlichen Einzelentscheidungen zu verringern und den Unternehmen Rechtssicherheit zu bieten. Zu betonen ist jedoch, daß sich die Kommission mit einer Bekanntmachung allenfalls in ihrer eigenen Entscheidungspraxis bindet, ohne damit einer möglicherweise anderslautenden Auslegung des Wettbewerbsrechts seitens des EuGH oder anderer Behörden vorgreifen zu können. Wie weit diese Bindung geht und welche Qualität sie besitzt, ist freilich umstritten; denn der Kommission bleibt es unbenommen, mit Hinweis auf neue Tatsachen eine von der "Bekanntmachung" abweichende Entscheidung zu treffen. Bei einer starken Diskrepanz zwischen dem Inhalt der jeweiligen Bekanntmachung und der tatsächlichen Entscheidungspraxis läge wohl ein Ermessensmißbrauch vör. Derartige Kollisionen sind bisher offenbar nicht aufgetretens. Eher am Rande sei in diesem Zusammenhang noch erwähnt, daß sich die wettbewerbspolitischen Vorstellungen der EG-Organe auch in Empfehlungen, Stellungnahmen und Erläuterungen, insbesondere seitens der Kommission, niederschlagen (s. Art. 155, 189 EWGV). Ihnen kommt aber im Gegensatz zu den "Bekanntmachungen" eine rein deklamatorische Funktion zu. Die Kommission kann im Einzelfall - ohne juristische Konsequenzen - von Meinungsäußerungen und Willenserklärungen dieser Art abweichen, wenngleich es tatsächlich nur selten geschehen dürfte, weil andernfalls den Mitteilungen der Kommission wenig Vertrauen entgegengebracht würde und ihr das zuweilen recht wirksame wirtschaftspolitische Instrument der "moral suasion" verloren ginge.
B. Die Wettbewerbspolitik gegenüber Kartellen Den Gegenstand dieser Teilpolitik, die von Umfang und Bedeutung her die größte Rolle spielt, bilden im allgemeinen Vereinbarungen zwischen Unternehmen'. Oftmals erstreckt sich eine Vereinbarung auf mehrere Bereiche Unternehmerischen Handelns, die möglicherweise wettbewerbspolitisch unterschiedlich beurteilt werden müssen: Einige Teile der Vereinbarung mögen gesetzeskonform, andere dagegen gesetzeswidrig sein. Um einem Verbot seitens der Kommission zu entgehen, müßten die Unternehmen bei dieser Konstellation ihren Vertrag derart modifizieren, daß er in allen Teilen wettbewerbspolitisch unbeVgl. hierzu Mestmäcker, E.-J.: Europäisches Wettbewerbsrecht ..., S. 40. Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen (s. Art. 85 I EWGV) waren in der bisherigen Praxis weit unbedeutender. 8 9
42
2. Kap.: Wettbewerbspolitik im Integrationsverlauf
denklieh ist. Bei der Darstellung der Wettbewerbspolitik ist es nun daher häufig sinnvoll, das Augenmerk nicht auf die gesamte Unternehmensvereinbarung, sondern lediglich auf Teile derselben zu richten, aus denen das Wesentliche der jeweiligen wettbewerbspolitischen Entscheidung hervorgeht. Der nun folgende Abschnitt ist so gegliedert, daß zuerst vorzugsweise solche vertraglichen Bestimmungen diskutiert werden, die zu einer Verbotsentscheidung Anlaß gegeben haben. Anschließend werden dann kartellartige Vereinbarungen erörtert, die genehmigt worden sind, sei es, daß ein Negativattest erteilt wurde oder eine Freistellung erfolgte. Die Anfangsphase europäischer Kartellpolitik könnte man mit den Römischen Verträgen beginnen und mit dem Erlaß der bereits erwähnten VO Nr. 17 im Jahre 1962 enden lassen. Die EWG-Wettbewerbspolitik war noch durch eine weitgehende Unsicherheit über das generelle Vorgehen gekennzeichnet, so daß während dieser Zeit nur wenige Entscheidungen getroffen wurden. Das lag zum einen daran, daß vorab konkrete Ziele und Inhalte einer künftigen Wettbewerbspolitik entwickelt werden mußten10• Darüber hinaus bestanden Unklarheiten bzw. unterschiedliche Auffassungen über die Rechtsnatur der Art. 85, 86 EWGV11 und über Fragen der Zuständigkeit nationaler und europäischer Behörden12• Die anfangs geübte wettbewerbspolitische Zurückhaltung beruhte allerdings zum Teil auch auf einem Informationsdefizit der Kommission, insbesondere auf einem "Mangel an Unterlagen über die Marktverhältnisse" 13, Diese Hinweise zeigen die Bedeutung jener Verordnung, die die genannten Kontroversen weitgehend entschied und damit die europäische Wettbewerbspolitik auf eine sichere verfahrensrechtliche Grundlage stellte14• I. Verbotene Unternehmensvereinbarungen
1. Gebietskartelle
Ein zentrales Anliegen der europäischen Wettbewerbspolitik besteht seit jeher darin, zu verhindern, daß Unternehmen Vereinbarungen treffen, die eine geographische Aufteilung der Märkte bewirken; denn damit würde die integrationspolitisch gewünschte Verschmelzung der 10 Vgl. Kommission der EWG: Dritter Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaft. 0. 0. 1960, S. 115 f. 11 Vgl. Kommission der EWG: Erster Gesamtbericht ..., S. 65 f.- Kommission der EWG: Zweiter Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaft. 0. 0. 1959, S. 84. 12 Vgl. Kommission der EWG: Erster Gesamtbericht ..., S. 66.- Kommission der EWG: Zweiter Gesamtbericht ..., S. 83 ff. 13 Kommission der EWG: Zweiter Gesamtbericht ..., S. 83. 14 Vgl. hier insbesondere die Art. 9- 11, 14 VO Nr. 17.
B. Kartelle
43
nationalen Märkte zu einem gemeinsamen Markt verhindert1 5• Die Kommission hat dieses Ziel stets mit Nachdruck vertreten16 und zur Grundlage vieler Verbotsentscheidungen gemacht. Solche Gebietskartelle können durch Vereinbarungen zwischen Unternehmen gleicher oder unterschiedlicher Produktionsstufe zustande kommen. Im einen Fall handelt es sich um horizontale, im anderen um vertikale Wettbewerbsbeschränkungen. Die letztgenannten waren offenbar insbesondere zu Beginn der EWG-Wettbewerbspolitik weit verbreitet. In den ersten Jahren galt ihnen daher das besondere Interesse seitens der EG-Behörden. a) Vertikale Vereinbarungen Bei den vertikalen Vereinbarungen, von denen zuerst die Rede sein soll, geht es vornehmlich um die vertragliche Gestaltung des Vertriebs zwischen Produzenten und Händlern verschiedener europäischer Länder. Vorwiegend handelt es sich dabei um sog. Alleinvertriebsvereinbarungen oder um die Installierung selektiver Vertriebssysteme, bei denen viele Einzelhändler vom Verkauf der Waren ausgeschlossen werden. Der wesentliche Inhalt wettbewerbsbeschränkender Alleinvertriebsvereinbarungen besteht darin, daß ein Hersteller einzelnen Händlern Vertriebsgebiete zuweist und ihnen die Ausfuhr in das anderen Vertragshändlern zugesicherte Gebiet untersagt. Dies sei an Hand eines Falles demonstriert, der die Kommission im Jahre 1964 erstmalig zu einer Verbotsentscheidung veranlaßte, die vom EuGH bestätigt wurde und weithin Bedeutung erlangte17. Die "Grundig Verkaufs-GmbH" hatte dem Unternehmen "S. A. R. L. Consten" einen absoluten Gebietsschutz für Frankreich gewährt, indem den Händlern in den übrigen Ländern der Export nach Frankreich untersagt worden war. Die französischen Nachfrager konnten Grundig-Erzeugnisse somit nur von "Consten" beziehen. Die Kommission wandte sich gegen diese Vereinbarung, weil sie mögliche Importe nach Frankreich verhindere, von Siehe oben S. 16. So heißt es bereits kurz nach Abschluß des EWG-Vertrages: "Je mehr die öffentlich-rechtlichen Beschränkungen des zwischenstaatlichen Handels abgebaut werden, desto wichtiger wird es, daß ... private Wettbewerbsbeschränkungen (nicht) dazu benutzt werden, die Auswirkungen des Abbaus staatlicher Handelsbeschränkungen . . . aufzufangen ...". Kammission der EWG: Zweiter Gesamtbericht ..., S. 82 f. - "Sie (die Kommission, Anm. d. Verf.) sorgt im Hinblick auf die Öffnung der Märkte dafür, daß die Wettbewerbsbedingungen auf diesem neugeschaffenen weiträumigen Markt nicht durch .. . private Maßnahmen verfälscht werden ...". Kammission der EWG: Dritter Gesamtbericht ..., S. 117. 17 Vgl. dazu Kommission der EWG: Achter Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaft. 0. 0. 1965, S. 68 f.- 1. Wettbewerbsbericht, S. 61 f. 15
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2. Kap.: Wettbewerbspolitik im Integrationsverlauf
daher den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtige und den Wettbewerb auf der Handelsstufe erheblich einschränke. Eine Freistellung lehnte die Kommission mit dem Argument ab, daß die Wettbewerbsbeschränkung weit über das zur Verbesserung der Warenerzeugung und -verteilung erforderliche Maß hinausgehe und auch nicht erkennbar sei, daß die Verbraucher angemessen am entstehenden Gewinn beteiligt würden18• Da nun Alleinvertriebsvereinbarungen in überaus großer Zahl auftraten, von denen freilich viele aus wettbewerbspolitischer Sicht eher unbedeutend oder unproblematisch waren, hielt man nach einer Lösung Ausschau, die eine schnellere Abwicklung solcher "Routinefälle" ermöglichte. Diese Überlegungen bewogen die Kommission 1967 zum Erlaß einer Verordnung, die eine Gruppenfreistellung für bestimmte Alleinvertriebsvereinbarungen enthieltlD. Von diesem Zeitpunkt an brauchen Vertriebsvereinbarungen nicht mehr bei der Kommission angemeldet zu werden, sofern sie die in der Verordnung genannten Voraussetzungen erfüllen, insbesondere keine Export- oder Importbeschränkungen enthalten. Es ist bemerkenswert, wie weit die Kommission den Kreis der Vereinbarungen zieht, die in den Genuß der Gruppenfreistellung kommen sollen: Sowohl Konkurrenzverbote, bei denen sich ein Vertragspartner (Händler) verpflichtet, keine mit den Vertragswaren konkurrierenden Produkte anzubieten, als auch Werbeverbote, die einen Vertragspartner verpflichten, außerhalb des ihm zugewiesenen Gebietes weder Kunden zu werben noch Verkaufsniederlassungen oder Auslieferungslager zu unterhalten, sind demnach vom Kartellverbot freigestellt2D. Diese recht weitgehende wettbewerbspolitische Konzessionsbereitschaft der Kommission ließe sich mit dem Hinweis rechtfertigen, daß mit Werbe- und Niederlassungsverboten gekoppelte Alleinvertriebsvereinbarungen den Außenhandel mit den betreffenden Waren zwar erschweren mögen, ihn gleichwohl nicht generell ausschließen2 t. Eine weitere Variante vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen, die neben den Alleinvertriebsvereinbarungen größere Bedeutung erlangt hat, bilden die sog. "selektiven Vertriebssysteme", bei denen Hersteller Vgl. Kommission der EWG: Achter Gesamtbericht ..., S. 68 f. Vgl. VO Nr. 67/67. ABI. Nr. 57 vom 25. 3. 1967, S. 849. Hierzu war die Kommission zwei Jahre zuvor vom Rat ermächtigt worden. Vgl. VO Nr. 19/ 65. ABI. Nr. 36 vom 6. 3. 1965, S. 533. 20 Vgl. Kommission der EWG: Zehnter Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaft. 0. 0. 1967, S. 108. 21 Im übrigen weisen nach Meinung der Kommission Alleinvertriebsvereinbarungen eine Reihe positiver Merkmale auf, die sich ohne partielle Wettbewerbsbeschränkung gar nicht auswirkten. Vgl. ebenda, S. 107. 18
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B.Kartelle
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den Vertrieb ihrer Waren einzelnen nach bestimmten Kriterien ausgewählten Händlern übertragen, während gleichzeitig alle übrigen Händler vom Vertrieb ausgeschlossen werden. Derartige Vertriebssysteme werden innerhalb der EG insbesondere von der Automobil-, Uhren-, Parfüm- und elektrotechnischen Industrie praktiziert22• Wenn nun auch der offizielle und in der Literatur vorherrschende Sprachgebrauch, der "Alleinvertriebsvereinbarungen" und "selektive Vertriebssysteme" unterscheidet, nahelegt, es handele sich dabei um unterschiedliche Formen der Wettbewerbsbeschränkung, so wird verkannt, daß diese weit mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede aufweisen und von daher wettbewerbspolitisch gleichbehandelt werden sollten23• Zur Veranschaulichung sei exemplarisch auf den "selektiven Vertrieb", wie er von der Bayerischen Motorenwerke AG (BMW) gehandhabt wird, hingewiesen24• BMW trifft unter den in Frage kommenden Händlern eine Auswahl nach vorwiegend qualitativen Gesichtspunkten (gewisse wirtschaftliche Bedeutung des Geschäftsbetriebes; Fähigkeit und Einverständnis, das Personal in Zusammenarbeit mit BMW auszubilden und den Kundendienst gemäß BMW-Richtlinien zu gestalten). Mag es sich nun bei den genannten qualitativen Anforderungen an die jeweiligen Vertragshändler um eine rein kaufmännische Obliegenheit handeln, so ist aus wettbewerbspolitischer Sicht immerhin bemerkenswert, daß BMW darüber hinaus auch aus absatzpolitischen Erwägungen die Zahl der Händler begrenzt. Trotz der mit der Selektion der Händler einhergehenden Beschränkung des tatsächlichen oder potentiellen25 Wettbewerbs auf der Handelsstufe hat die Kommission die BMW-Vereinbarungen vom Kartellverbot freigestellt, nachdem die in den Vertriebsvereinbarungen enthaltenen Exportverbote aufgehoben worden waren, die es den Händlern verwehrten, ihren Absatzradius 22 Vgl. Thompson, Dennis: Die Wettbewerbspolitik in der Europäischen Gemeinschaft. Eine übersieht über die Arbeit der Kommission in den Jahren 1973- 1976. Tübingen 1978, S. 23 ff. - Ausführlicher Vajda, Christopher: Selective Distributi-on in the European Community. Journal of World Trade Law, 1979, No. 5, S. 409 ff. 28 So im Ergebnis Frignani, der die von der Kommission vorgenommene Systematik und die Entscheidungspraxis im Zusammenhang mit Alleinvertriebsvereinbarungen und ,.selektiven Vertriebssystemen" kritisiert. Vgl. Frignani, Aldo: Das ,.selektive Vertriebssystem" in der EWG: Eine falsch ausgelegte und schlecht gelöste Frage. Wirtschaft und Wettbewerb, Jg. 28 (1978), H. 6, S. 365 ff. 24 Vgl. hierzu Kommission der EG: Vierter Bericht über die Wettbewerbspolitik. Brüssel, Luxemburg 1975, S. 67 ff. (Zitierweise: 4. Wettbewerbsbericht). 2s Zur Bedeutung des potentiellen Wettbewerbs im Zusammenhang mit der europäischen Wettbewerbspolitik vgl. Bellis, J.-F.: Potential Competition and Concentrati.on Policy: Relevance to EEC Antitrust. Journal of World Trade Law, Vol. 10 (1976), H. 10, S. 23 ff.
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2. Kap.: Wettbewerbspolitik im Integrationsverlauf
auch auf das übrige Gebiet des Gemeinsamen Marktes auszudehnen26. Inwiefern eine solche Verkaufspolitik in Anbetracht der Konstruktion selektiver Vertriebssysteme wahrscheinlich ist, oder ob nicht auch weiterhin die Händler fast ausschließlich Kunden ihres Vertragsgebietes beliefern werden, muß offenbleiben. Das Kartellverbot erstreckt sich ebenso auf Vereinbarungen zwischen Herstellern und Händlern, die zwar kein ausdrückliches Ausfuhrverbot, gleichwohl vergleichbare handelsbeschränkende Klauseln enthalten (indirektes Exportverbot). Dabei kann es sich nach Meinung der Kommission beispielsweise um Bestimmungen handeln, wonach (1) Großhändler nur an Einzelhändler und letztere nur an Verbraucher verkaufen dürfen27, (2) Großhändler eines Mitgliedstaates andere Großhändler nur mit
Zustimmung des Herstellers beliefern dürfen28,
(3) Abnehmern die normalerweise eingeräumten Preisnachlässe und
Rabatte nicht gewährt werden, wenn sie die betreffenden Erzeugnisse in andere EG-Mitgliedstaaten exportieren29,
(4) Einzelhändler Erzeugnisse an Verbraucher nur zu den vom Hersteller festgelegten Verbraucherpreisen anbieten und verkaufen dürfen (vertikale Preisbindung)3o, (5) einzelne Hersteller sich zur ausschließlichen Belieferung bestimmter Händler verpflichten. Letztere erklären sich im Gegenzuge bereit, die betreffenden Waren ausschließlich von den Vertragspartnern zu beziehen (sog. "gegenseitige kollektive Ausschließlichkeitsvereinbarungen"). Ohne daß es eines ausdrücklichen Exportverbots bedarf, wird auf diese Weise ein einheitlicher Markt in zwei Teilmärkte gespalten, zwischen denen Handelsströme nicht möglich sind: Der Teilmarkt, auf dem die Kartellmitglieder agieren, ist den abseits stehenden Herstellern und Händlern weitgehend verschlossen, weil 28 Zu den in der Freistellungsentscheidung hervorgehobenen positiven Wirkungen vgl. 4. Wettbewerbsbericht, S. 69 f. Kritisch zu dieser Entscheidung Frignani, Aldo: Das "selektive Vertriebssystem" ..., S. 367 f. 27 Vgl. Kommission der EG: Dritter Bericht über die Wettbewerbspolitik. Brüssel, Luxemburg 1974, S. 58 (Zitierweise: 3. Wettbewerbsbericht). 4. Wettbewerbsbericht, S. 71. 2B Vgl. 4. Wettbewerbsbericht, S. 76.- Kommission der EG: Sechster Bericht über die Wettbewerbspolitik. Brüssel, Luxemburg 1977, S. 94 (Zitierweise: 6. Wettbewerbsbericht). 2o Vgl. 7. Wettbewerbsbericht, S. 118. so Vgl. 3. Wettbewerbsbericht, S. 61. - Kommission der EG: Achter Bericht über die Wettbewerbspolitik. Brüssel, Luxemburg 1979, S. 97 (Zitierweise: 8. Wettbewerbsbericht).
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sie von den exklusiven Einkaufs- bzw. Verkaufswegen ausgeschlossen sind31• Es wurde deutlich, daß sich die Verbotsentscheidungen der Kommission in bezug auf vertikale Wettbewerbsbeschränkungen, seien es Alleinvertriebsvereinbarungen, selektive Vertriebssysteme oder Abmachungen sonstiger Art, bislang vornehmlich auf die darin enthaltenen außenhandelsbeschränkenden Klauseln bezogen, wohingegen andere wettbewerbsbeschränkende Teile dieser Vertriebsvereinbarungen häufig genehmigt wurden. Herstellern und Händlern wird somit bei der Gestaltung ihrer Geschäftsbeziehungen seitens der europäischen Wettbewerbspolitik eine recht weitgehende Vertragsfreiheit zugebilligt, die lediglich dort strikt begrenzt wird, wo das Bestreben erkennbar wird, den Gemeinsamen Markt unter einzelnen Händlern aufzuteilen und die entstehenden Teilmärkte mit Hilfe von Exportverboten etc. gegeneinander abzuschotten. b) Horizontale Vereinbarungen Nachdem sich die Kommission in den ersten Jahren der europäischen Integration vorwiegend den häufig auftretenden vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen zugewandt hatte, richtete sie ihr Augenmerk in zunehmendem Maße auch auf Vereinbarungen zwischen Unternehmen der gleichen Produktionsstufe, insbesondere auf der Ebene der Hersteller (mögliche horizontale Wettbewerbsbeschränkungen). Zu Beginn sei auf jene besonders offenkundigen Wettbewerbsbeschränkungen hingewiesen, bei denen die Unternehmen die Absatzgebiete untereinander aufteilen (Gebietskartell) oder sich auf gemeinsame Preise bzw. Preisänderungen einigen (Preiskartell). Bei einem typischen internationalen Gebietskartell verpflichten sich die Hersteller verschiedener Länder normalerweise zu einer gegenseitigen Respektierung der nationalen Absatzmärkte, d. h. die Kartellmitglieder verzichten wechselseitig auf mögliche Exporte in die jeweils geschützten Gebiete, sei es, daß Exporte völlig eingestellt oder lediglich mengenoder wertmäßig kontingentiert werden. Auf diese Weise kann jedes Mitglied des Kartells eine weitgehend autonome Preispolitik verfolgen, ohne mit nennenswerter "störender" Auslandskonkurrenz via Importe rechnen zu müssen. Da ein auf der Grundlage eines gegenseitigen Exportverzichts bzw. Exportverbots praktiziertes Gebietskartell Handel und Wettbewerb innerhalb der Europäischen Gemeinschaft im allgea1 Die Kommission hat zu diesem Komplex eine Vielzahl von Entscheidungen getroffen. Vgl. insbesondere 1. Wettbewerbsbericht, S. 40 ff. - 3. Wettbewerbsbericht, S. 52 f. - 4. Wettbewerbsbericht, S. 60 f. - 5. Wettbewerbsbericht, S. 49 f.
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meinen stark beeinträchtigen würde und damit den Zielen der EGWettbewerbspolitik zuwiderliefe, wandte sich die Kommission stets vehement gegen derartige Wettbewerbsbeschränkungen32 , wenngleich sie in den ersten Jahren der wettbewerbspolitischen Entscheidungspraxis eine eher untergeordnete Rolle spielten, sei es, daß Gebietskartelle in dieser Form selten praktiziert wurden, sei es, daß sie der Wettbewerbspolitik anfangs verborgen blieben. Für die erste Alternative spricht, daß ein wachsender "Bedarf" nach internationaler Kartellbildung erst peu a peu im Zuge des stufenweisen Zollabbaus innerhalb der EG auftrat, da die Unternehmen zuvor weitgehend durch nationale Zölle geschützt waren. Für die zweite Alternative lassen sich die bereits erwähnten Anlaufschwierigkeiten der europäischen Wettbewerbspolitik anführen. Eine horizontale Vereinbarung, die eine Gebietsaufteilung bezweckte, verbot die Kommission erstmalig im Jahre 1965. Einige niederländische und belgisehe Unternehmen der Waschmittelbranche hatten vereinbart, ihre Erzeugnisse weder direkt noch indirekt auf dem Inlandsmarkt des Partners abzusetzen33• Dabei bedarf es oftmals flankierender Vereinbarungen, um den "Erfolg" eines solchen internationalen Gebietskartells sicherzustellen. So kann es sich als notwendig erweisen, zusätzliche Vereinbarungen über die Produktionsmengen zu treffen. Damit soll u. a. verhindert werden, daß in einzelnen EG-Ländern eine Überschußproduktion entsteht, die einzelne am Kartell beteiligte Unternehmen zum Export in "geschützte Gebiete" und damit zum Austritt aus dem Kartellverbund veranlassen könnte. Um darüber hinaus zu verhindern, daß ein zwischen Herstellern vereinbartes Gebietskartell durch Exporte seitens der Abnehmer (insbesondere Händler) konterkariert wird, bieten sich ergänzende vertikale Vereinbarungen an, in denen den Abnehmern jeder Weiterverkauf, der diese Marktaufteilung beeinträchtigen könnte, untersagt wird. In welcher Weise ein solches Geflecht von sich ergänzenden Vereinbarungen praktiziert werden kann, verdeutlicht ein von europäischen Zuckerherstellern errichtetes und von der Kommission verbotenes Kartell. So hatten die Hersteller nicht nur ihre Angebote 32 So äußerte die Kommission bereits im Jahre 1960, daß sie Gebiets- und Preiskartellen ihre besondere Aufmerksamkeit widme. Vgl. Kommission der EWG: Dritter Gesamtbericht ..., S. 117. Auch in den folgenden Jahren läßt die Kommission keine Zweifel an ihrer grundsätzlichen Haltung aufkommen, wenn sie betont, daß auf dem Gebiet horizontaler Vereinbarungen Absprachen über Marktaufteilungen sowie Im- und Exporte die schwerwiegendsten Arten von Wettbewerbsbeschränkungen seien. Vgl. Kommission de1· EWG: Achter Gesamtbericht ..., S. 64. ss Vgl. Kommission der EWG: Achter Gesamtbericht ..., S. 70 f.
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aufeinander abgestimmt und die noch vorhandenen Überschußmengen gegenseitig kontrolliert, sondern auch Händlern und sonstigen Abnehmern Exportbeschränkungen auferlegt, "um eine Störung der Verkaufspolitik der betreffenden Hersteller durch diese Abnehmer zu verhindern"34. Es sei noch darauf hingewiesen, daß Vereinbarungen, die eine Abschirmung der nationalen Märkte bewirken, häufig nicht wie im soeben geschilderten Fall weitgehend selbständig auftreten, sondern Teil eines umfassenderen Vertrages sind, dessen übrige Abmachungen grundsätzlich freistellungsfähig sind. Dies wurde bei der Erörterung der vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen besonders deutlich, gilt aber in gleichem Maße z. B. auch für Vereinbarungen über gewerbliche Schutzrechte (insbesondere Patentlizenzen und Warenzeichen), die oftmals handelsbeschränkende Klauseln enthalten, denen zufolge "der Inhaber eines nationalen Schutzrechtes die Wiedereinfuhr der in einem anderen Mitgliedstaat in den Verkehr gebrachten Originalerzeugnisse verbieten kann" 35 (sog. Territorialitätsprinzip). Es führte zu weit, auf die teilweise sehr komplizierten und auch umstrittenen juristischen Detailprobleme einzugehen, zumal auch nach Meinung der Kommission die damit zusammenhängenden Fragen "über das Gebiet der Wettbewerbspolitik hinausreichen"36, Im übrigen werden die Grenzen der freistellungsfähigen Unternehmenskooperation in einem späteren Abschnitt ausführlicher erörtert. An dieser Stelle interessieren vorwiegend die in Vereinbarungen über gewerbliche Schutzrechte eingeflochtenen handelsbeschränkenden Klauseln, die wegen ihrer "nationalen Prägung geeignet (sind), den freien Warenverkehr zu behindern und die Wettbewerbsordnung der Gemeinschaft zu beeinträchtigen" 37• Die Kommission hat sich daher zu Wettbewerbsbeschränkungen im Zusammenhang mit gewerblichen Schutzrechten mehrfach geäußert und eine Reihe von Verboten ausgesprochen, wenn mit Hilfe direkter oder indirekter Ausfuhrverbote ein sehr weitreichender Gebietsschutz gewährt wurde38 • u 2. Wettbewerbsbericht, S. 38 f. 1. Wettbewerbsbericht, S. 73. ae 4. Wettbewerbsbericht, S. 21 f. - Vgl. in diesem Zusammenhang auch Art. 36 EWGV, wonach unter bestimmten Voraussetzungen innerhalb der EG sogar staatliche Einfuhrbeschränkungen zum Schutz des gewerblichen oder kommerziellen Eigentums legitimiert sind. sr 1. Wettbewerbsbericht, S. 73. as Vgl. 1. Wettbewerbsbericht, S. 75- 77. - 2. Wettbewerbsbericht, S. 5860. - 3. Wettbewerbsbericht, S. 23. - 4. Wettbewerbsbericht, S. 23 ff. (grundsätzliche überlegungen der Kommission zur Frage der Zulässigkeit von Exportverboten im Rahmen gewerblicher Schutzrechte) und S. 55 f. - 5. Wettbewerbsbericht, S. 65 und 68 f . - 6. Wettbewerbsbericht, S. 95 f. - 7. Wettbewerbsbericht, S. 123 f. - 8. Wettbewerbsbericht, S. 103 f. - Einen guten überblick über die Gesamtproblematik vermittelt Ritter, Lennart: Aktuelle Grundsatzfragen des EWG-Kartellrechts. Köln 1978, S. 27 ff. as
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Allerdings lassen die Begründungen zu einigen der zitierten Einzelentscheidungen erkennen, daß ein sachlich und zeitlich begrenzter Gebietsschutz in bestimmten Fällen freigestellt werden kann, um eine wirtschaftliche Nutzung des Schutzrechts zu ermöglichen. Da insbesondere Lizenzverträge weit verbreitet sind311, bemüht sich die Kommission - ähnlich wie bei Alleinvertriebsvereinbarungen seit jeher, mit Hilfe von Bekanntmachungen4o oder Gruppenfreistellungen41 eine möglichst allgemeine Regelung zu treffen und die Zahl der zu bearbeitenden Einzelfälle zu verringern.
2. Preis-, Rabattkartelle und Verkaufssyndikate Wie einleitend bemerkt, können zwischenstaatlicher Handel und Wettbewerb in der EG nicht nur durch Vereinbarungen über die Absatzgebiete, sondern ebenso durch Vereinbarungen über Preise oder sonstige Verkaufsbedingungen beschränkt werden; denn bei einer abgestimmten Preispolitik ist den einzelnen Unternehmen die Möglichkeit genommen, durch Preissenkungen die Ausfuhr ihrer Produkte in andere Länder der EG zu erhöhen. Daß Preiskartelle in besonderer Weise wettbewerbsbesChränkend sind und dem EWG-Vertrag ganz offenkundig zuwiderlaufen, unterstrich die Kommission mit zwei Verbotsentscheidungen im Jahre 1969, bei denen sie erstmalig gegen die beteiligten Unternehmen Geldbußen verhängte, mithin ihrer Wettbewerbspolitik besonderen Nachdruck verlieh42. Die eine Entscheidung betraf ein internationales "Chinin-Kartell", bei dem französische, deutsche und ein niederländisches Unternehmen Absprachen über Preise und Rabatte bei Ausfuhren in EG- und Drittländer getroffen hatten, so daß "jegliche Gefahr für das Niveau der 39 Vgl. dazu Kommission der EG: Neunter Bericht über die Wettbew~rbs politik. Brüssel, Luxemburg 1980, S. 21 (Zitierweise: 9. Wettbewerbsbericht). 40 "Bekanntmachung über Patentlizenzverträge". ABI. Nr. 139 vom 24. 12. 1962 ,S. 2922. - Vgl. dazu Kommission der EWG: Sechster Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaft. 0. 0. 1963, S. 69. 41 Im Anschluß an einen Vorentwurf (vgl. o. V.: Zähes Ringen um die europäische Lizenzordnung. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 7. 12. 1978) hat die Kommission nunmehr den Entwurf einer Gruppenfreistellungsverordnung für Patentlizenzvereinbarungen vorgelegt. In Art. 3 des Entwurfs werden jene Klauseln aufgezählt, die einer Gruppenfreistellung entgegenstünden: u. a. Vereinbarungen über eine unbegrenzte Dauer des Vertrages, Wettbewerbsverbote, mengenmäßige Beschränkungen und Preisbindungen. Sie könnten "nur individuell und nur bei Vorliegen einer überzeugenden Begründung ... freigestellt werden ...". Vgl. 9. Wettbewerbsbericht, S. 21 ff., hier insbes. S. 23. 42 Vgl. Kommission der EG: Dritter Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaften. Brüssel, Luxemburg 1970, S. 66.
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Inlandspreise der Kartellmitglieder ... ausgeschaltet wurde" 43• Die andere mit einer Geldbuße gekoppelte Verbotsentscheidung betraf eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise in Form einer einheitlichen und nahezu gleichzeitigen Preiserhöhung, an der fast alle Farbenhersteller innerhalb der EG beteiligt waren44 • Dieses Beispiel zeigt sehr deutlich, daß eine Beeinträchtigung des Außenhandels, ohne daß es der ausdrücklichen Vereinbarung von Exportverboten bedürfte, allein aus einem gleichförmigen preispolitischen Verhalten resultieren kann, weil bei den Abnehmern jedes Interesse an zusätzlichen Importen schwindet. Eine kartellartige Preisabsprache kann auch darin bestehen, daß sich einzelne Unternehmen gegenseitig über Preise bzw. wesentliche Preisbestandteile informieren (open price system)45 oder eine gemeinsame unverbindliche Preisliste festlegen46 • Die Kommission vertritt hierzu die Meinung, daß die Unternehmen bei einem "open price system" weitaus weniger geneigt seien, einseitig Preisänderungen vorzunehmen, weil die Konkurrenten sofort unterrichtet würden und möglicherweise entsprechend reagierten. Wahrscheinlicher seien deshalb kollektive Preisänderungen. Die Kommission sieht sich in dieser Frage vom EuGH bestätigt, der in einem Urteil hervorhob, daß bereits die Festsetzung von Richtpreisen eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs darstelle, weil somit alle Beteiligten die Möglichkeit erhielten, sich ein hinreichendes Maß an Gewißheit über die künftige Preispolitik ihrer Konkurrenten zu verschaffen47• Ähnlich kann man argumentieren, wenn Unternehmen untereinander diesbezügliche Informationen über Produktions- und Absatzmengen austauschen48 ; denn in diesem Falle besteht die Gefahr, daß der Wettbewerb durch eine gleichförmige Mengenpolitik beschränkt wird. In diesem Zusammenhang verdient eine weitere Verbotsentscheidung der Kommission Beachtung. Die führenden Aluminiumhersteller innerhalb der EG hatten sich verpflichtet, bestimmte "Regeln über lauteren Wettbewerb" einzuhalten, die u. a. Empfehlungen hinsichtlich der Kostenrechnung, der Rabattgewährung und das Verbot, Dumping zu 1. Wettbewerbsbericht, S. 31. Vgl. ebenda, S. 32. - Kommission der EG: Dritter Gesamtbericht ..., s. 66. 4S Vgl. 3. Wettbewerbsbericht, S. 53 (Niederländisches Jagdpatronenkartell).- 4. Wettbewerbsbericht, S. 60 f. (Niederländisches Schallplattenkartell). 48 Vgl. 4. Wettbewerbsbericht, S. 62 (Belgisches und niederländisches Elektrodenkartell). 47 Vgl. 2. Wettbewerbsbericht, S. 32. 48 Zu einzelnen Fällen vgl. 7. Wettbewerbsbericht, S. 104 (Papierhersteller).- 8. Wettbewerbsbericht, S. 84 f. (Bleiweißhersteller). 48
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betreiben, enthielten. Die Einhaltung der Regeln wurde von einer in Liechtenstein ansässigen Gesellschaft (IFTRA)49 überwacht. Die Kommission begründete ihr Verbot damit, daß "Regeln über lauteren Wettbewerb" in Wirklichkeit eine Beschränkung des Preiswettbewerbs darstellen, weil das Marktverhalten in wichtigen Bereichen aufeinander abgestimmt werde. Überdies könne es privaten Unternehmen nicht überlassen bleiben, zu entscheiden, wann etwa ein Dumping o. ä. vorliege. Die Kommission wies auch die Rechtfertigung der Unternehmen zurück, die wirtschaftliche Lage in diesem Sektor habe zu unlauteren Geschäftspraktiken geführt, die eine "private Wettbewerbsordnung" erfordern würdenso. Mehrfach sind in der letzten Zeit Fälle sog. "Gesamtumsatzrabattkartelle" bekannt geworden, die sowohl im nationalen (Bundesrepublik) als auch im europäischen Rahmen verboten wurden51 • Es handelt sich dabei um eine subtile Variante eines Rabattkartells, bei dem beispielsweise Produzenten eines EG-Mitgliedstaates vereinbaren, den Käufern Rabatte zu gewähren, deren Sätze gemeinsam auf Grund der Gesamtkäufe festgesetzt werden, die während des Bezugszeitraumes bei allen der Vereinbarung angeschlossenen Produzenten getätigt werden. Sofern die Bezüge bei ausländischen Herstellern nicht mitgezählt werden, ist eine Konzentration der Aufträge bei heimischen Anbietern zu erwarten. Nach Meinung der Kommission werde dadurch den ausländischen Anbietern der Marktzugang erschwert und somit die Verwirklichung eines gemeinsamen Marktes behindert52• Besonders offenkundig ist die Beschränkung des Preiswettbewerbs, wenn einzelne Unternehmen den Vertrieb ihrer Erzeugnisse einem gemeinsamen Organ übertragen (Verkaufssyndikat), das den Produzenten Lieferquoten zuteilt und die Preise sowie sonstige Verkaufsbedingungen einheitlich festsetzt. Ihrer grundsätzlich ablehnenden Haltung gegenüber Verkaufssyndikaten hat die Kommission mit einer Reihe von Verbotsentscheidungen Nachdruck verliehen53 • Verkaufsco IFTRA: International Fair Trade Practice Rules Administration. Vgl. Thompson, Dennis: Die Wettbewerbspolitik ..., S. 15. so Vgl. 5. Wettbewerbsbericht, S. 39 f. Einen ähnlichen Fall, bei dem sich
Hersteller von Verpackungsglas zur Einhaltung bestimmter "IFTRA-Regeln" verpflichtet hatten, verbot die Kommission bereits im Jahr zuvor. Vgl. 4. Wettbewerbsbericht, S. 51 -54. 51 Der Bundesminister für Wirtschaft (Hrsg.): Bundeskartellamt untersagt Rabattkartell der Hersteller von Schleifscheiben und Schleifkörpern. BMWiTagesnachrichten, Nr. 7680 vom 15. 12. 1978, S. 3. - 1. Wettbewerbsbericht, S. 43 f. - 2. Wettbewerbsbericht, S. 46. - 3. Wettbewerbsbericht, S. 51 f. 4. Wettbewerbsbericht, S. 54 f. 52 Vgl. 1. Wettbewerbsbericht, S. 44. 58 Vgl. etwa 1. Wettbewerbsbericht, S. 34- 40. 9. Wettbewerbsbericht, s. 68f.
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syndikate seien lediglich zulässig, sofern sich die Vereinbarung auf den heimischen Markt oder auf die Ausfuhr in Drittländer beschränke, der Wiederverkauf auf dem Gemeinsamen Markt nicht eingeschränkt werde und keinerlei Rückwirkungen auf den Wettbewerb in der EG zu erwarten seien54• Ausnahmen seien im übrigen bei kleinen oder mittleren Unternehmen sowie bei Unternehmen, die nicht miteinander im Wettbewerb stehen, gebotenss. Angemerkt sei, daß entsprechend auch auf der Nachfrageseite der Wettbewerb durch Einkaufsvereinigungen etc. beschränkt werden kann, wenngleich, wie auch die Diskussion in der Bundesrepublik über das Problem der Nachfragemacht gezeigt hat, die Wettbewerbspolitik in dieser Frage häufig eine eher konziliante Haltung eingenommen hat56• Dies scheint zum Teil auch für die europäische Wettbewerbspolitik zu gelten. Zwar betont die Kommission, daß das Kartellverbot gleichermaßen für Absprachen zwischen Verkäufern und Käufern gelte, weist jedoch im gleichen Zusammenhang auf das Positivum hin, daß Einkaufsvereinbarungen zwischen Handelsunternehmen dem Einzelhandel ausländische Versorgungsquellen innerhalb der EG erschließen könnten57• Ihre positive Haltung gegenüber Einkaufsvereinigungen unterstrich die Kommission überdies im Jahre 1975 mit der Erteilung eines Negativattestes, womit die Gründung der "lntergroup Trading" durch die "Spar"-Ketten verschiedener europäischer Länder genehmigt wurde58• U. Zulässige Unternehmensvereinbarungen
Es werden nunmehr vorwiegend jene Unternehmensvereinbarungen (bzw. Teile derselben) in den Mittelpunkt gerückt, die von vornherein oder nachdem sie auf Betreiben der Kommission hin entsprechend modifiziert werden, nicht unter das Kartellverbot fallen, sei es, weil keine spürbare Wettbewerbsbeschränkung vorliegt (Negativattest) oder die positiven Wirkungen der Vereinbarung die damit verbundene Wettbewerbsbeschränkung rechtfertigen (Freistellung). Dabei wird der Spielraum deutlich, innerhalb dessen eine Unternehmenskooperation in der EG wettbewerbspolitisch vertretbar erscheint. Vgl. 1. Wettbewerbsbericht, S. 35-37. &s Vgl. ebenda, S. 39 f. 58 Vgl. Begründung zum Regierungsentwurf vom 26. Mai 1978 BTDrucksache 8/2136 - eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Wirtschaft und Wettbewerb, Jg. 30 (1980), 6'
H . 5, S. 342. &7 Vgl. 1. Wettbewerbsbericht, S. 57.
ss Vgl. 5. Wettbewerbsbericht, S. 56 f.
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1. "Spürbarkeit" wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und wettbewerbsneutrale Kooperation Sieht man einmal von den sonstigen Voraussetzungen ab, so erteilt die Kommission im allgemeinen ein Negativattest, wenn keine Wettbewerbsbeschränkung vorliegt. Diese Aussage muß nun insofern allerdings modifiziert werden, als die Kommission in Anlehnung an die wettbewerbspolitische Praxis in der Bundesrepublik eine Vereinbarung auch dann genehmigt, wenn die darin enthaltene Wettbewerbsbeschränkung nicht spürbar ist59• Die dem Begriff der "Spürbarkeit" innewohnende Unschärfe ließ rasch das Bedürfnis nach Rechtssicherheit aufkommen, dem die Kommission 1970 mit einer Bekanntmachung Rechnung trug60• Im Jahre 1977 wurde diese von einerneuen Bekanntmachung abgelöst, womit neueren Entwicklungen und Erfahrungen Rechnung getragen werden sollte61• Darin äußert die Kommission, sie wolle mit dieser Bekanntmachung "insbesondere die Zusammenarbeit zwischen kleinen und mittleren Unternehmen erleichtern". Demzufolge "fallen Vereinbarungen, die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten und den Wettbewerb nur geringfügig beeinträchtigen, nicht unter das Kartellverbot". Dies sei dann anzunehmen, "wenn die Erzeugnisse, die Gegenstand der Vereinbarung sind, ... in einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes nicht mehr als 5 O/o des Marktes sämtlicher dieser Erzeugnisse ausmachen". Darüber hinaus dürfe "der gesamte jährliche Umsatz der . . . beteiligten Unternehmen innerhalb eines Geschäftsjahres 50 Millionen Rechnungseinheiten" nicht überschreiten. Dagegen ist es belanglos, in welchem Bereich die Unternehmen kooperieren. Diese zahlenmäßige Konkretisierung relativiert die Kommission aber gleichzeitig, indem sie einräumt, es sei "im Einzelfall durchaus möglich, daß auch Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die oberhalb der ... aufgeführten Schwellen liegen, den ... Wettbewerb unter Umständen nur geringfügig beeinträchtigen und deshalb nicht unter Artikel 85 Absatz 1 fallen". ae Vgl. Müller-Henneberg, H. und Schwartz, G. (Hrsg.): Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ..., S. 202. - 1. Wettbewerbsbericht, S. 44 f. - Die in diesem Zusammenhang häufig zitierten Entscheidungen betrafen die Fälle "Socemas" und "Machines-outils". Vgl. 1. Wettbewerbsbericht, S. 57 f. Kommission der EG: Zweiter Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaften. Brüssel, Luxemburg 1969, S. 46 f. - Analog hierzu verlangt die Kommission auch bei einer Freistellung nach Art. 85111 EWGV von derbetreffenden Vereinbarung, daß sie "spürbar objektive Vorteile mit sich bringen" müsse. Kommission der EWG: Zehnter Gesamtbericht ..., S. 105. 80 Vgl. Bekanntmachung über Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen von geringer Bedeutung ... ABI. C 64 vom 2. 6. 1970, s. 1. et Vgl. ABI. C 313 vom 29. 12. 1977, S. 3.
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Es fällt an der Formulierung auf, daß nur der Fall erwähnt wird, bei dem die Schwellenwerte überschritten werden, ohne daß die "Umstände" näher beschrieben würden, unter denen eine solche Vereinbarung wettbewerbskonform wäre. Dagegen wird in der Bekanntmachung nicht der Fall in Betracht gezogen, daß eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung vorliegt, obwohl die kritischen Werte nicht erreicht werden. Gleichwohl muß man der Kommission konzedieren, daß sie mit einer Bekanntmachung kein Präjudiz schafft, mithin im Rahmen einer Einzelentscheidung Besonderheiten angemessen berücksichtigen könnte. Bereits zwei Jahre zuvor hatte die Kommission eine Bekanntmachung vorgelegt, in der wettbewerbskonforme Bereiche zwischenbetrieblicher Kooperation benannt wurden, wobei die Privilegierung vorwiegend auf Grund qualitativer Merkmale erfolgte62 • Dieser Bekanntmachung war eine Reihe von Einzelentscheidungen vorangegangen, die zu einem Negativattest geführt hatten. Aufgabe dieser Bekanntmachung sei es, "insbesondere die Kooperation zwischen kleinen und mittleren Unternehmen zu erleichtern", die die Kommission ausdrücklich begrüßt. Im darauffolgenden Satz heißt es, daß "auch die Kooperation zwischen großen Unternehmen ... wirtschaftlich sinnvoll und wettbewerbspolitisch unbedenklich sein" könne. Insofern gilt "diese Bekanntmachung . .. (auch) für alle Unternehmen ohne Unterschied der Größe". Von daher ist der besondere Hinweis auf die Kooperationserfordernisse kleiner und mittlerer Unternehmen mißverständlich; denn die Bekanntmachung regelt den Bereich wettbewerbsneutraler Kooperation schlechthin. In der Bekanntmachung werden acht Kategorien von Vereinbarungen aufgeführt und kurz kommentiert, die "nicht als Wettbewerbsbeschränkungen anzusehen sind"G3. Der in der Bekanntmachung genannte Katalog wettbewerbskonformer Vereinbarungen umfaßt einen recht weiten Bereich unternehmerischer Tätigkeit. In einigen der hier genannten Fällen können nun allerdings durchaus Zweifel auftreten, ob eine Wettbewerbsbeschränkung grundsätzlich nicht gegeben sei, zumal die Kommission selbst in der Bekanntmachung einige Einschränkungen vornimmt. So äußert die Kommission, daß gemeinsame "Kalkulationsschemata, die bestimmte Kalkulationssätze enthalten . .., zu einer Wettbewerbsbeschränkung führen können". An anderer Stelle heißt es, "die Trennung zwischen wettbewerbsneutralen Informationen und wettbewerbseinschränken62 Vgl. Bekanntmachung über Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine zwischenbetriebliche Zusammenarbeit betreffen. ABI. C 75 vom 29. 7. 1968, S. 3. Zitiert im folgenden nach Mestmäcker, E.-J.: Europäisches Wettbewerbsrecht ..., S. 797 ff. 63 Vgl. Mestmäcker, E.-J.: Europäisches Wettbewerbsrecht .., S. 798.
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dem Verhalten (ist) bei . . . Preismeldestellen besonders schwierig In dieser recht vagen Formulierung kommt nur ungenügend die von der Kommission in mehreren Einzelentscheidungen vertretene Auffassung zum Ausdruck, ein "open price system" sei in Wirklichkeit oftmals eine Art subtiler Preisabsprache65. Auch beim Informationsaustausch wird eingeräumt, daß "eine Wettbewerbsbeschränkung ... in einem Oligopolistischen Markt mit homogenen Gütern eintreten" könne. Ähnlich ließe sich auch hinsichtlich einer Zusammenarbeit bei der Finanzbuchhaltung argumentieren, sofern damit ein Informationsaustausch über Preise oder wesentliche Preisbestandteile einherginge. •••" 64 •
Ihre positive Haltung gegenüber gemeinsamer Forschung miteinander im Wettbewerb stehender Unternehmen kommentiert die Kommission in der Bekanntmachung mit folgender apodiktisch anmutenden Formulierung: "Abreden, auf einem Gebiet gemeinsam zu forschen oder die Forschungsergebnisse bis zur Produktionsreife gemeinsam zu entwickeln, berühren die Wettbewerbssituation nicht." Im folgenden wird diese Aussage dann allerdings dahingehend eingeschränkt, daß dies nicht gelte, sofern die Unternehmen Bindungen eingehen, die ihre eigene Forschungstätigkeit oder die Verwertung der gemeinsamen Ergebnisse beschränken86. Aus der Bekanntmachung geht nicht hervor, daß das soeben Gesagte nicht auch für die gemeinsame Forschung von Großunternehmen gelten solle. Gerade bei Großunternehmen sind jedoch die Aufwendungen für "Forschung und Entwicklung" ein im allgemeinen sehr bedeutender Aktionspararneter, um im Wettbewerbsprozell mittels Innovationen einen Vorsprung vor den Konkurrenten zu erlangen. Insbesondere auf solchen Märkten, auf denen der Preiswettbewerb eine vergleichsweise untergeordnete Rolle spielt, verringerte sich die Wettbewerbsintensität erheblich, gingen die Unternehmen zu einer gemeinsamen Forschung über. Die Kommission hat später in einer Einzelentscheidung ("Henkel-Colgate") ihre in der Bekanntmachung geäußerte grundsätzlich positive Haltung gegenüber gemeinsamer Forschung dahingehend korrigiert, daß bei Großunternehmen der Wettbewerb auf der Ebene der Forschung eine wichtige Rolle spiele und folglich nicht eingeschränkt werden dürfe67• Wenn die Kommission in diesem Fall auch eine Freistellung gewährte, rückte sie damit gleichwohl von ihrer ehemaligen Position ab, daß es sich bei gemeinsamer " Zum Zusammenhang zwischen Preismeldestellen und Wettbewerbsbeschränkungen vgl. Mestmäcker, E.-J.: Europäisches Wettbewerbsrecht ...,
s. 287.
es Siehe oben 2. Kap., B. I. 1.
Vgl. hierzu die Einzelentscheidung der Kommission im Fall "Eurogypsum". 1. Wettbewerbsbericht, S. 51. 11 V~l. eb