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German Pages [347]
Bernd Jürgen Warneken
Fraternité! Schöne Augenblicke in der europäischen Geschichte
2016 BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.
Umschlagabbildung: Helman et Charles Monnet. »Fédération générale des Français au Champs du Mars« © Musée Carnavalet / Roger-Viollet © 2016 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Meinrad Böhl, Leipzig Einbandgestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Bettina Waringer, Wien Druck und Bindung: Dimograf, Bielsko-Biala Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-205-20248-6
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
1
Das Urfest der Fraternité . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
»Ein Blitz der Ewigkeit« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Crescendo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatsfeier, Volksfest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Werben um die Gegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Der Tag war fruchtbar und schön« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Melancholie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15 21 38 47 67 71
2 Tage der Internationale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
Der schönste Tag der Arbeiterbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Fantaisies Parisiennes: Über die Arbeiterverbrüderung zur Völkerverbrüderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Die Trias von 1889: Weltausstellung, Republikfest, Arbeiterkongress 79 Der Umgang mit Verschiedenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Die größte Antikriegsbewegung vor 1914 . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Zwei Augusterlebnisse. Die deutsche Sozialdemokratie zwischen nationaler und internationaler Solidarität . . . . . . . . . . . August 1914: Bekämpfte, geduldete, gewollte Entbrüderung . . . . . Der Tag von Echterdingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geistesakrobatik 1908 und 1914 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
115 115 124 141
Die Weihnachtsinternationale der Soldaten . . . . . . . . . . . . . . . 145 Soziale Triebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 5
»Soldiers’ Truce« – Waffenstillstand von unten . . . . . . . . . . . . . 152 Veteranen aller Länder! Ein Nachkriegsecho . . . . . . . . . . . . . . . 190
3 Wendepunkte der Immigrationsgeschichte . . . . . . . . . .
197
Die Rebellion der Gastarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Die endliche Langmut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .199 Ein Desaster und ein Durchbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Gastkollegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Plötzlich wird es langsam besser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Ein Fuß in der Tür . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Moscheebau in Deutschland: Konflikt als Kontakt . . . . . . . . . . . . 237 Die Konfrontation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Eskalation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Moderation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Notabene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
270
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
312
Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
6
Vorwort
»Man sah alte Männer, die in den Straßen knieten und Gott priesen, dass sie in ihrem Leben Zeugen dieses glücklichen Augenblicks werden durften«, berichtet die britische Schriftstellerin Helen Maria Williams über das Pariser Föderationsfest von 1790. »Denkwürdiges Datum, welches das herrlichste Stadium in der Geschichte des Proletariats bezeichnet, für das sich die Arbeiter des unteren Universums vereint haben«, jubelt die Zeitschrift »El Obrero« in Santiago de Chile 1890 nach der ersten dortigen Arbeitermaifeier. »Dies ist der schönste Tag meines Lebens«, sagt 1973 ein älterer Metallarbeiter der Firma Pierburg in Neuss, als sich die deutschen Facharbeiter nach vier Tagen den streikenden ausländischen Arbeiterinnen anschließen. »Heute halten wir alle zusammen, das habe ich noch nie in meinem Leben erlebt!« Die schönen Augenblicke, die hier von Zeitzeugen gefeiert werden, sind Augenblicke der Verbrüderung oder, was nicht nur im letzten Fall richtiger ist, der Verschwisterung. Der französischen Föderationsbewegung der Jahre 1789 und 1790, die im Marsfeldfest des 14. Juli 1790 gipfelt, ist es um die nationale Fraternité, um eine Volk, König, Kirche einschließende Einigung auf die neue revolutionäre Verfassung zu tun. Der erste Arbeitermai von 1890 ist der erste Arbeitstag der 1889 gegründeten Zweiten Sozialistischen Internationale, des ersten auf eine breite gewerkschaftliche und politische Massenbasis gestützten Versuchs der Arbeiterbewegung, eine europaweite, im Ansatz bereits weltweite Gegenmacht gegen Kapitalismus und Krieg zu bilden. Die Solidarisierung von deutschen, griechischen und türkischen Belegschaftsmitgliedern im Metallbetrieb Pierburg-Neuss, vergleichsweise kleinformatig, ist ein Ereignisausschnitt aus der Welle »wilder Streiks«, mit denen ausländische, vor allem türkische ArbeiterInnen in überraschender Breite und Entschlossenheit dieselben Lohn- und Arbeitsbedingungen durchsetzen wollten, wie sie die deutschen Belegschaften hatten. Und der hier begonnene Kampf um Gleichstellung in der Arbeitswelt bildet den Anfang der Bemühung um gleiche Migrantenrechte auf allen Lebensebenen. Ein Beispiel für diese nächste Etappe sind die ab den 1990er-Jahren in 7
Vorwort
Deutschland errichteten repräsentativen Moscheen, deren Geschichte dieses Buch abschließt. Die drei Augenblicke der Verschwisterung stehen jeweils für den Anfang eines großen emanzipatorischen Projekts: für die nationale Einigung auf der Grundlage bürgerlicher Freiheit und Gleichheit, für die Überwindung nationaler Klassensolidarität durch internationale Arbeiter- und letztlich Völkersolidarität und für die Integration, besser: die soziale Anerkennung und politische Gleichstellung von Zuwanderern in der heutigen Einwanderungsgesellschaft. Es sind unterschiedliche Gegner und Partner, die hier miteinander interagieren, und unterschiedliche Grade und Formen der Einigung, die jeweils angestrebt werden. Dennoch sind diese drei Projekte historisch und logisch miteinander verbunden. Der Gründungskongress der Zweiten Internationale in Paris steht in wohlüberlegter Beziehung zur dort gleichzeitig stattfindenden Jahrhundertfeier der Französischen Revolution und dem mit ihr verbundenen Fest des bürgerlich-kapitalistischen Kosmopolitismus, der Pariser Weltausstellung von 1889. Die proletarische Solidarität versteht sich als dialektische Fortsetzung und Überschreitung der bürgerlichen Fraternität, der proletarische Internationalismus will mit der Universalität der 1789 deklarierten Menschenrechte Ernst machen. Das Projekt der sozialen und rechtlichen Inklusion von Arbeitsmigranten wiederum, das mit dem expandierenden Weltmarkt der Arbeitskraft immer größere Relevanz gewinnt, ist nicht zuletzt ein Erbe der Sozialistischen Internationale, die sich auf ihrem Stuttgarter Kongress 1907 gegen den Ausschluss ausländischer Arbeiter von den politischen, sozialen und ökonomischen Rechten der Einheimischen und für eine Erleichterung ihrer Einbürgerung aussprach. Als schöner, gar schönster Augenblick erlebte Ereignisse können sich – Faust II lässt grüßen – als Chimären herausstellen: als reiner Betrug, als naive Illusion oder als zwar nicht aus der Luft gegriffene, aber sich schließlich doch in Luft auflösende Hoffnung. Wohl deshalb ist die Scheu davor, einst als Aufbruch in eine Zukunft der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gefeierte Augenblicke mit Empathie, wenn nicht Sympathie in Erinnerung zu rufen, gerade bei AutorInnen, die grundstürzende gesellschaftliche Veränderungen für nötig halten, ungemein groß. Das gilt sogar für Ernst Blochs »Prinzip Hoffnung«, diese Enzyklopädie des Vorscheins geglückten Lebens: Sie sucht ihre Beispiele unter anderem in Religion und Philosophie, in Märchen, Gemälden, Opern, Filmen, im Liebesglück und im Naturerlebnis, aber kaum eimal in Momenten der Realgeschichte; zwar wird kurz 8
Vorwort
einmal der »Tanz auf der Bastille« während des Föderationsfests erwähnt, aber wo Bloch sich ausführlich der »Marseillaise über der gefallenen Bastille« zuwendet, sind keine Pariser Revolutionsfeste gemeint, sondern der »große Augenblick« in Beethovens »Fidelio«, wo das Trompetensignal die Befreiung Florestans einleitet. Und dieser ist ja nun auch sehr viel schwerer desavouierbar, als es die Freude über die nationale Fraternité von 1790 war, die alsbald zerbrach. Auch die anderen in diesem Buch geschilderten Augenblicke der Einigkeit oder zumindest Einigung brachten, wie man weiß, nicht den großen Umbruch, den sich viele Beteiligte von ihnen versprochen hatten. Die europäische Arbeiterbewegung wird 1914 das Obsiegen der nationalen über die internationale Solidarität erleben: Dem Julierlebnis von 1889 und dem Maierlebnis von 1890 folgt das Augusterlebnis von 1914. Und die in den »wilden Streiks« von 1973 und in den Moscheebauprojekten seit den 1990ern eingeforderte soziale Anerkennung und rechtliche Gleichstellung von Einwanderern, zumal wenn sie türkischer Abstammung und muslimischen Glaubens sind, können nicht nur für Deutschland – auf das sich der dritte Teil dieses Buchs konzentriert – bestenfalls als unabgeschlossen gelten. Das alles soll aber nicht bedeuten, dass die schönen Augenblicke, die diese Ereignisse enthalten, so wenig wert sind wie die champagnerselige Verschwisterung, welche die multikulturelle Wiener Hautevolee in der »Fledermaus« zelebriert: »Brüderlein und Schwesterlein, lasst das traute Du uns schenken, für die Ewigkeit, immer so wie heut, wenn wir morgen noch dran denken!« Die Darstellung und, so meine ich, auch das Dargestellte verweigern sich vielmehr der Alternative einer tragischen Geschichtsauffassung, in der Momente des zwischenmenschlichen Gelingens nur als kurze Unterbrechung einer kontinuierlichen Katastrophe aufgefasst werden, und eines Fortschrittsglaubens, demzufolge transitorisch bleibende oder gar scheiternde Verbrüderungen in emanzipatorischer Absicht als Antizipation, als Vor-Schein einer verbürgerten oder auch nur wahrscheinlichen späteren Geschichtsstufe gedeutet werden. Gezeigt werden soll vielmehr etwas Drittes: dass die geschilderten Augenblicke intersozialen Glücks tatsächlich Ereignisse in dem emphatischen Sinn waren, dass sie Strukturen, Praxen und Diskurse veränderten, dass die Welt danach nicht mehr dieselbe war oder zumindest neu gesehen wurde. Die inneren Widersprüche und Begrenzungen der drei geschilderten Aufbrüche und auch die auf sie folgenden Rückschläge nicht verkleinernd, lenkt die Darstellung die Aufmerksamkeit auf deren historische Produktivität: auf die Ermutigung hier und das Umdenken dort, das sie auslösten, auf kreative 9
Vorwort
Erweiterungen, welche eigentlich nur für eine begrenzte Klientel gedachte Mitwirkungsmöglichkeiten erfuhren, auf lebensweltliche Veränderungen, die zwar nicht erfüllten, was versprochen oder erhofft wurde, aber deshalb doch einen greifbaren, erlebbaren Fortschritt darstellten. Und sie vertraut im Übrigen auf die Möglichkeit, dass auch gescheiterte oder unvollkommen realisierte Projekte, sofern man sich ihrer erinnert, später wieder aufgegriffen und unter günstigeren Bedingungen realisiert werden können. Tschu En-Lai soll einst auf die Frage Henry Kissingers, was er denn von der Französischen Revolution halte, geantwortet haben: »Too soon to tell.« In dem Versuch, schöne Augenblicke der Sozialgeschichte vor ihren Verächtern zu retten, drückt sich nicht nur eine altersbedingte Disposition des Verfassers aus, der nach dem persönlichen Miterleben und der wissenschaftlichen Behandlung vieler gesellschaftspolitischer Enttäuschungen dem Prinzip Hoffnung das letzte Wort lassen will. Dieser Versuch knüpft auch an einige jüngere Beiträge zur Politik- und Sozialgeschichte an, die einer Darstellung der neuesten Geschichte als einer Aneinanderkettung zwischenmenschlicher Katastrophen und einem dementsprechend dunkelgefärbten Menschenbild zumindest ein »Ja, aber« entgegensetzen wollen. Gemeint ist damit zum Beispiel das 2006 publizierte Buch »Dreams of Peace and Freedom« der US-amerikanischen Historikerin Jay Winter, die der, wie sie meint, bislang vorherrschenden »zynischen« Fokussierung auf das Monströse und Schockierende eine Erörterung der keineswegs marginalen Friedens- und Versöhnungsbewegungen im 20. Jahrhundert gegenüberstellt. In eine ähnliche Richtung gehen neue Studien zum Ersten Weltkrieg, etwa Benjamin Ziemanns »Gewalt im Ersten Weltkrieg. Töten – Überleben – Verweigern« (2013) oder der von Julia Eichenberg und John Paul Newman herausgegebene Sammelband »The Great War and Veterans’ Internationalism« (2014), welche die weitverbreitete Brutalisierungsthese von George Mosse infrage stellen – unter Hinweis auf die hohe Zahl von Kampfverweigerungen im Krieg und auf die Mitgliederstärke pazifistischer Veteranenorganisationen, welche die ihrer militaristischen Pendants weit übertraf. In eine ähnliche Richtung weisen aktuelle Tendenzen in den Sozial- und Lebenswissenschaften, welche die Evolution von Kooperativität und Empathiefähigkeit zum Thema haben. Dazu gehört zum Beispiel Richard Sennetts 2011 erschienenes Buch »Together. The Rituals, Pleasures and Politics of Cooperation«, in dem es heißt: »Die radikalen Vereinfacher der Moderne mögen unsere Fähigkeit des Zusammenlebens unterdrücken und entstellen, aber sie wer10
Vorwort
den und können diese Fähigkeit nicht vollends zerstören. Als soziale Tiere sind wir zu einer tieferen Kooperation fähig, als die bestehende Sozialordnung dies vorsieht«. Viel wagt der Psychologe Steven Pinker in seinem 2011 erschienenen Monumentalwerk »The Better Angels of Our Nature: Why Violence Has Declined«. Dieser Versuch des empirischen Nachweises einer insbesondere in der Neuzeit deutlich gewachsenen Empathiefähigkeit, die zunehmend auch über die Eigengruppe hinausgreife, wird zwar insbesondere in methodischer Hinsicht kritisiert, aber zumeist nicht einfach vom Tisch gewischt. Der Kultursoziologe Thomas Kleinspehn, der dem Buch viele Schwächen attestiert, sagt zum Diskussionsstand post Pinker treffend, man könne nach der Lektüre »wahrscheinlich nicht mehr an einem orthodoxen Kulturpessimismus festhalten«. Meine Darstellung fügt der aktuellen Diskussion keine neue Theorie, auch keine Abhandlungen, sondern Erzählungen hinzu. Ihre Absicht ist es, in Anlehnung an Methoden der historischen Ethnographie »dichte Beschreibungen« zu liefern, die auch »dichte Bewertungen« erlauben. Entpauschalisierende Bewertungen, die den unterschiedlichen Akteuren und ihren oft widersprüchlichen Absichten gerecht werden, die scheinbar homogenen Bewegungen und auch gemeinsame Handlungen pluralisieren, Bewertungen, die sowohl auf Intentionen wie auf tatsächliche Effekte Rücksicht nehmen und auch nicht nur die kurzfristigen unter diesen Effekten bedenken. Fast könnte man diese Schilderungen als Novellen bezeichnen, denn für sie gilt die bekannte Goethe’sche Formel für dieses Genre, dass es »eine sich ereignete unerhörte Begebenheit« darstellt, und auch hier stehen Konflikte, Normenbrüche, Katastrophen im Zentrum, deren Höhe- und Wendepunkte szenisch vergegenwärtigt werden. Doch um das Missverständnis zu vermeiden, dass es sich um Belletristik handle, ist wohl besser die Bezeichnung »Fallgeschichten« angebracht. Sie zeigt an, dass sich hier um wissenschaftliches Erzählen handelt, manifestiert nicht nur in der Angabe aller Quellen und im Bezug auf Sekundärliteratur, sondern auch in der Auflösung (»Analyse«) der Abläufe in kleine Abschnitte, die jeweils einen Themenaspekt behandeln, und in Fallvergleichen – des »Augusterlebnisses« von 1914 mit dem Zeppelinerlebnis von 1908, die sich wechselseitig erhellen können, sowie des Fordstreiks und des Pierburgstreiks von 1973 als Beispiel für einen unterschiedlichen Umgang mit dem damaligen Möglichkeitshorizont. Für Hilfe und Hinweise zu danken haben ich vielen, insbesondere Götz Bachmann, Reinhard, Bahnmüller, Hartmut Eichholz, Lutz Eichholz, 11
Vorwort
Hanns-Werner Heister, Michael Henke, Nigar Yardim, Luca Lennartz, Gerhard Luther, Lukas Mathiaschek, Helga Maria Poll, Hartmut Stirner, Andrea Wetterauer und Andreas Wittel. Ich widme dies Buch Katrin Pallowski, auf deren ebenso einfallsreiche wie geduldige Mitarbeit beim Denken und Schreiben ich auch diesmal zählen konnte, und Felix Warneken, dessen evolutionspsychologisches Interesse an Kooperationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft meinen sozialhistorischen Fragestellungen unleugbar verwandt ist.
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1
Das Urfest der Fraternité
Abb. 1: Das Föderationsfest auf dem Marsfeld. Kupferstich von Isidore Stanislaus Helman.
»Ein Blitz der Ewigkeit« Das elektrisierte Frankreich
»An diesem feierlichen Tag«, schreibt der Zeitzeuge Louis Sébastien Mercier, »war es wie bei einem Experiment mit der Elektrizität: Jeder, der mit der Menschenkette in Berührung kam, spürte die Spannung«.1 Der Stromschlag, der am 14. Juli 1790 durch Frankreich fährt, ist ein öffentlicher Eid auf die neue, revolutionäre Verfassung, der auf Beschluss der Nationalversammlung »im gleichen Augenblick im ganzen Reich gesprochen werden soll«, ein Eid, »der alle zum Ruhm und zur Bewahrung des Werks vereint, das wir uns zu vollenden anschicken, welches die Freiheit und das Glück Frankreichs sichern wird«.2 An der zentralen Föderationsfeier in Paris, die auf den ersten Jahrestag des Bastillesturms gelegt wird, nehmen in einem eigens errichteten Amphitheater auf dem Marsfeld 50.000 bis 60.000 Nationalgardisten und Soldaten aus dem ganzen Land und – die Angaben differieren – auf den Tribünen 200.000 bis 300.000, auf den umliegenden Hügeln nochmals über 100.000 Zuschauer aus Paris und Umgebung teil; die Hauptstadt hat damals etwa 600.000 Einwohner. Charles Maurice de Talleyrand hält in seiner Eigenschaft als Bischof von Autun zusammen mit 200 oder 300 Priestern – die Historiker sind auch hier uneinig – am »Altar des Vaterlands« eine Messe ab. Der Marquis de La Fayette, Kommandeur der Pariser Nationalgarde und Präsident der Föderation, leistet einen Eid: auf die Nation, das Gesetz und den König (in dieser Reihenfolge), die Verfassung, den Schutz der Personen und des Eigentums, die freie Zirkulation des Getreides und der Lebensmittel, die Beitreibung der Steuer und die Vereinigung aller Franzosen durch die unlösbaren Bande der Fraternité. Nun schwören, jeweils von Kanonenschüssen unterbrochen, die Nationalgardisten und Linientruppen sowie Mitglieder der Nationalversammlung, und Hunderttausende von Zuschauern stimmen in das »Je le jure« mit ein. Der Jubel überschlägt sich, als der König die ihm vorgeschriebene Eidesformel spricht: »Ich, König der Franzosen, schwöre der Nation, all die Macht, wel15
Das Urfest der Fraternité
che mir durch das verfassungsgemäße staatliche Recht übertragen ist, dafür zu gebrauchen, dass die Verfassung gewahrt und die Gesetze befolgt werden.«3 Auch in den Straßen von Paris heben Männer, Frauen und Kinder, als die Kanonen vom Marsfeld herübertönen, die Hand zum Schwur.4 Und überall in Frankreich feiert man auf gleichzeitig stattfindenden Festen den Pariser Augenblick mit. Einer seiner Augen- und Ohrenzeugen, der Schweizer Baron d’Escherny, Freund der Enzyklopädisten und damals auch noch der Revolution, schreibt dazu: »Hundert Kanonenstücke verkündigten der Hauptstadt und dem Reiche den Eid. Das Geschütz der benachbarten Municipalitäten rief diesen Eid den entfernteren zu, die ihn ebenfalls durch ihre Artillerie schnell bis zu den Gränzen Frankreichs verbreiteten. Ganz Frankreich war auf einmal in ein ungeheures Märzfeld verwandelt, wo vier und zwanzig Millionen verbündeter Franzosen in demselben Augenblicke schwuren, das Gesetz zu vertheidigen, dem Könige treu zu seyn, und fürs Vaterland zu leben und zu sterben.«5 William Wordsworth erlebt den 14. Juli in Calais mit. In »The Prelude« schreibt er später: »In any age, without an impulse sent From work of nations and their goings-on, I should have been possessed by like desire; But ’twas a time when Europe was rejoiced, France standing on the top of golden hours, And human nature seeming born again. Bound, as I said, to the Alps, it was our lot To land at Calais on the very eve Of that great federal day; and there we saw, In a mean city and among a few, How bright a face is worn when joy of one Is joy of tens of millions (…).«6 Nicht nur in Frankreich vereinigt man sich zu einem einzigen Hier und Jetzt. Auch in den Niederlanden, in England, in Deutschland finden gleichzeitige Feiern statt. Im Garten des Hamburger Kaufmanns Georg Heinrich Sieveking werden um 12:30 Uhr Böller gezündet – in Paris, wo es jetzt zwölf Uhr ist, soll in diesem Moment der Föderationseid geleistet werden.7 Deutsche, schweizerische, französische, amerikanische, englische Revolutions16
»Ein Blitz der Ewigkeit«
freunde sind versammelt, die Frauen tragen Trikolorebänder an den Hüten, man singt ein von Sieveking verfasstes Freiheitslied: »Freie Deutsche! singt die Stunde, Die der Knechtschaft Ketten brach. Schwöret Treu’ dem großen Bunde Unsrer Schwester Frankreich nach! Eure Herzen seyn Altäre Zu der hohen Freyheit Ehre! (Chor:) Laßt uns großer That uns freun! Frei und reines Herzens seyn!« Sophie Reimarus – ihr späterer Schwiegersohn Karl Friedrich Reinhard wird zeitweilig französischer Außenminister sein – schreibt an ihren Bruder: »Erst sangen wenige im Chor mit bald aber alle, und es war fast kein Auge ohne Thränen als ob ein Ton gerührt wurde womit alles, alles einstimmte«.8 Ça ira! Wir schaffen das!
Zum »ewigen Garanten unseres Glücks« hat die Pariser Stadtregierung in ihrer Einladung zum Föderationsfest diesen »pacte de famille« erklärt.9 Zum Fest entsteht ein zukunftsfrohes Lied, in dem es unter anderem heißt: »Ah, ça ira, ça ira, ça ira! Pierette et Margot chantent à la guinguette; Ah, ça ira, ça ira, ça ira! Réjouissons-nous, le bon temps viendra! Le peuple français, jadis à quia; L’ aristocrate dit: mea culpa! Ah, ça ira, ça ira, ça ira! Le clergé regrette le bien qu’il a; Par justice la nation l’aura. Par le prudent Lafayette Tout trouble s’ appaisera. Ah, ça ira, ça ira, ça ira!«
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Das Urfest der Fraternité
»Ah, das wird geh‘n, das wird geh‘n, das wird geh‘n! Pierette und Margot singen in der Taverne; Ah, das wird geh‘n, das wird geh‘n, das wird geh‘n! Seien wir fröhlich, die guten Zeiten werden kommen! Das französische Volk schweigt nicht mehr still; Der Aristokrat sagt: Mea culpa! Ah, das wird geh‘n, das wird geh‘n, das wird geh‘n! Der Klerus trauert seinem Besitz nach; Zu Recht wird die Nation ihn sich nehmen. Durch die Umsicht La Fayettes Werden alle Wirren verschwinden, Ah, das wird geh‘n, das wird geh‘n, das wird geh‘n!«10 »An jenem Tage war alles möglich«, schreibt Jules Michelet in seiner »Geschichte der Französischen Revolution« seinerseits euphorisch über die Euphorie des 14. Juli. »Jede Spaltung hatte aufgehört, es gab weder Adel, noch Bürgertum, noch Volk mehr. Die Zukunft war Gegenwart ... Das heißt: die Zeit war zu Ende ... Ein Blitz der Ewigkeit. Nichts schien damals der Verwirklichung des sozialen und religiösen Zeitalters der Revolution im Wege zu stehen. Wenn die Güte dieses Augenblicks hätte fortbestehen können, so hätte die Menschheit ein Jahrhundert oder mehr gewonnen; in einem Anlauf hätte sie eine Welt von Schmerzen hinter sich gelassen. Kann ein solcher Zustand dauern? War es möglich, dass die sozialen Schranken, die an jenem Tage gefallen waren, am Boden liegen blieben, daß das Vertrauen sich festigte zwischen Menschen, verschieden an Klassen, an Interessen, an Anschauungen? Das war sicher schwer, aber dennoch weniger schwer als zu irgendeiner anderen Zeit der Weltgeschichte.«11 Die erste kalte Dusche erfolgt schon tags darauf: Ein gewisser Bonne-Savardin, der wegen Agententätigkeit für emigrierte Aristokraten im Gefängnis gesessen hat, ist am Abend des 14. Juli entflohen.12 Offenbar hat er einfluss reiche Helfer gehabt. Dann ein noch größerer Schock: Am 27. Juli erfährt die Nationalversammlung, dass Ludwig XVI. der österreichischen Armee, welche die Revolution der südlichen Niederlande unterdrücken soll, den Durchzug durch Frankreich gestattet hat.13 »Es scheint sonderbar«, schreibt der Korrespondent des »Journal des Luxus und der Moden« Anfang August nach Hause, »daß es nach dem großen National-Bundes-Feste am 14ten Jul., von dem man mit Rechte die Vollendung von Frankreichs Staats-Wiederge18
»Ein Blitz der Ewigkeit«
burt erwartete, unruhiger bey uns ist als zuvor; die ganze Armee ist in einer fürchterlichen Insubordination, und begeht Ausschweifungen, die Nationalversammlung selbst hat heftige Stürme in sich selbst, und muß mehrere übelgesinnte Mitglieder ausstoßen und arretiren lassen«. Gleichzeitig versucht er abzuwiegeln: »Man bedenke, daß eine abführende Arzney gerade dann noch die meisten Unruhen im Körper macht, wenn sie am besten wirkt. Es sind die letzten Convulsionen der sterbenden Hierarchie und Aristokratie, die gerade ihre sichersten Todeszeichen sind.«14 Doch die Konflikte häufen sich. Im August meutern Soldaten der Garnison in Nancy, weil ihre Offiziere die Überprüfung der Regimentskassen verweigern. 20 Soldaten werden hingerichtet, 40 kommen auf die Galeere. La Fayette, gerade noch Maître de Plaisir des Föderationsfests, unterstützt diese Maßnahmen – sein Image als großer Volksversöhner ist seitdem beschädigt. Im September 1790 beginnt dann die zweite große Migrationswelle von französischen Adligen, und gleichzeitig breitet sich der Widerstand der katholischen Geistlichkeit gegen die Zivilverfassung für den Klerus aus, die am 12. Juli im Schwung der Föderationsbewegung beschlossen wurde. Auch der interkonfessionelle Friede, den man mit dieser Bewegung fördern wollte, erweist sich mehr und mehr als brüchig. In Nîmes, Béziers, Aix, Marseilles, Arles, Uzès kommt es zu teilweise blutigen Kämpfen zwischen Katholiken und Protestanten.15 Vor allem vermag der gemeinsame Antifeudalismus immer weniger die unterschiedlichen Interessen des dritten Standes, von Kaufleuten, Kleinhändlern, Handwerkern, Bauern, Landarbeitern, Dienstboten und Tagelöhnern, zu überdecken. Die Hoffnung, die Revolution sei mit den reichsweiten Verbrüderungen von 1790 beendet, wird aufs Heftigste enttäuscht. Die großen Kämpfe, die Schreckensherrschaft der Radikaldemokraten, die Gegenrevolution der Bauern, der vom eigenen Adel mehrheitlich unterstützte Koalitionskrieg gegen die Republik – all dies steht Frankreich erst noch bevor. Eine tragische Illusion?
Der blutige Fortgang der französischen Geschichte hat die Freude des 14. Juli in den Augen vieler Betrachter nachhaltig getrübt. Hatte Jean-Paul Marat, so fragt man sich auf der Linken, nicht doch recht, als er im Juli 1790 zu den wenigen Stimmen gehörte, welche das Föderationsfest rundum ablehnten: Die Einheit des Volks sei leeres Gerede, man könne nicht mit Gleichgültigen und Schurken zusammen feiern; das Fest täusche ein glück19
Das Urfest der Fraternité
liches Volk vor, während es in Wirklichkeit Hunger leide.16 Muss man nicht dem liberalen Republikaner Edgar Quinet beipflichten, der das Föderationsfest als tragische Illusion betrachtet, gezeichnet von Heuchelei hier und Leichtgläubigkeit da, als Abbild der politischen Schwäche, sich nicht zwischen Republik und Königtum entscheiden zu können?17 Und sollte man nicht, so fragt mit der politischen Rechten auch der anthropologische Pessimismus, Hippolyte Taine zustimmen, für den die Föderation ein Beispiel für die Irrationalität und die Unverbesserlichkeit des kleinen Mannes ist: »An Aufregung und gutem Willen hat es den Leuten nicht gemangelt; sie waren begeistert, entzückt, übermäßig gerührt; sie haben sich feierlich verbrüdert. Ihre Anstrengung hat alles zustande gebracht, was sie überhaupt zustande bringen konnte: eine Flut von Herzensergüssen und Phrasen, einen mündlichen, aber keinen echten Vertrag, eine oberflächliche, scheinbare Brüderlichkeit, ein ernstgenommenes Maskenfest, eine leicht verdunstende Gefühlsaufwallung, kurz – einen heiteren, aber nur einen Tag währenden Karneval. Ist dieser vorbei, so kehren die Teilnehmer zu ihren alten Gewohnheiten zurück. Sie bleiben unwissend, anmaßend, vorurteilsvoll, mißtrauisch und gehässig; sie behalten ihre eingewurzelten Geistes- und Herzenseigenschaften bei; sie sind Menschen, und ihr Magen will jeden Tag befriedigt sein.«18 Sicher ist: Der schöne Augenblick der Föderation war kein rettender Augenblick. Aber kann man ihn selbst nicht dennoch retten? Nicht schon deshalb, weil er schön, sondern weil er vielleicht doch nicht so ganz transitorisch, weil er trotz oder auch in seinen Illusionen teilweise nützlich war? Antworten (und neue Fragen) bringt der Blick auf einzelne Ereignisse, verschiedene Eigenschaften, unterschiedliche Akteure, organisierte und spontane Elemente, beabsichtigte und unbeabsichtigte Folgen der französischen Verbrüderungen. Freiheit, schöner Götterfunken
Die Föderationsfeier bezieht ihre Kraft nicht nur aus einer Hoffnung oder einem Versprechen, sondern vor allem auch aus Entwicklungen, die sich schon vollzogen haben; es ist kein in triste Alltage eingelassener, sondern ein biblischer Sonntag, der ertragreiche Arbeitstage abschließt. Frankreich ist umgestaltet worden, man ist der Verwirklichung von bürgerlicher Gleichheit, politischer Freiheit, nationaler Einheit um große Schritte nähergekommen. In der Nacht vom 4. zum 5. August 1789 hat man 20
Crescendo
die Abschaffung der Leibeigenschaft, der adligen Jagdrechte, des Kirchenzehnten und die Ablösbarkeit aller anderen Feudalrechte beschlossen. Am 26. August ist die Erklärung der Menschenrechte gefolgt: Sie garantieren jedem das Recht auf Freiheit, Eigentum, Sicherheit und Widerstand gegen Unterdrückung.19 Der Gleichheitsgrundsatz ist natürlich nicht materiell gemeint, sondern postuliert die rechtliche Gleichbehandlung, und auch hier gibt es eine Fülle von Einschränkungen – Frauen dürfen »natürlich« überhaupt nicht wählen, und bei den Männern ist das Wahlrecht nach Einkommen gestuft. Die neuen Rechte sind dennoch ein Sprung nach vorn. Die Justiz wird unabhängig, die Pressezensur abgeschafft, die Religionsfreiheit garantiert. Zu Weihnachten 1789 bekommen die Protestanten die staatsbürgerlichen Rechte, im Januar 1790 die südfranzösischen Juden (anderswo müssen sie noch einige Jahre darauf warten).20 Anfang 1790 übt ganz Frankreich die neuen Mitwirkungsrechte aus. Bei den Kommunalwahlen vom Januar bis März werden neue Bürgermeister, Gemeinderäte und Notabeln gewählt,21 wobei man den Adelseinfluss entschieden zurückdrängt.22 Am 14. Juli feiert man mithin spürbare, sichtbare Veränderungen, und vor allem: Man feiert die tatsächlich vorhandene überwältigende Zustimmung, die sie bei den Franzosen genießen. »Ein Fest der Utopie? Nein, vor allem ein Bild des freiwilligen, vertrauensvollen und friedlichen Einheitsstrebens, in dem man die Morgenröte einer neuen Epoche sah.«23
Crescendo Jugendbewegung
Das Föderationsfest vom 14. Juli 1790 ist keine Eintagsfliege. Es ist der Höhepunkt einer Volksbewegung, die monatelang durch ganz Frankreich ging. Man könnte auch sagen: einer Jugendbewegung, denn ihren Kern bilden junge Bürger, die sich in Nationalgarden organisiert haben. Die erste dieser von der Bürgerschaft selbst aufgestellten Milizen bildet sich in den Tagen des Bastillesturms in Paris; ihr Kommandant, der Marquis de La Fayette, ist damals selbst erst 31 Jahre alt. Er will mit seiner Nationalgarde zum einen die »gefährlichen«, die unterbürgerlichen Massen in Schach halten, zum andern ein Gegengewicht gegen die königlichen Linientruppen bilden. In der Provinz haben sich teilweise schon vor dem 14. Juli 1789 Bürgerwehren formiert, die sich gegen die alte Ordnung stellen.24 Diese Selbst21
Crescendo
die Abschaffung der Leibeigenschaft, der adligen Jagdrechte, des Kirchenzehnten und die Ablösbarkeit aller anderen Feudalrechte beschlossen. Am 26. August ist die Erklärung der Menschenrechte gefolgt: Sie garantieren jedem das Recht auf Freiheit, Eigentum, Sicherheit und Widerstand gegen Unterdrückung.19 Der Gleichheitsgrundsatz ist natürlich nicht materiell gemeint, sondern postuliert die rechtliche Gleichbehandlung, und auch hier gibt es eine Fülle von Einschränkungen – Frauen dürfen »natürlich« überhaupt nicht wählen, und bei den Männern ist das Wahlrecht nach Einkommen gestuft. Die neuen Rechte sind dennoch ein Sprung nach vorn. Die Justiz wird unabhängig, die Pressezensur abgeschafft, die Religionsfreiheit garantiert. Zu Weihnachten 1789 bekommen die Protestanten die staatsbürgerlichen Rechte, im Januar 1790 die südfranzösischen Juden (anderswo müssen sie noch einige Jahre darauf warten).20 Anfang 1790 übt ganz Frankreich die neuen Mitwirkungsrechte aus. Bei den Kommunalwahlen vom Januar bis März werden neue Bürgermeister, Gemeinderäte und Notabeln gewählt,21 wobei man den Adelseinfluss entschieden zurückdrängt.22 Am 14. Juli feiert man mithin spürbare, sichtbare Veränderungen, und vor allem: Man feiert die tatsächlich vorhandene überwältigende Zustimmung, die sie bei den Franzosen genießen. »Ein Fest der Utopie? Nein, vor allem ein Bild des freiwilligen, vertrauensvollen und friedlichen Einheitsstrebens, in dem man die Morgenröte einer neuen Epoche sah.«23
Crescendo Jugendbewegung
Das Föderationsfest vom 14. Juli 1790 ist keine Eintagsfliege. Es ist der Höhepunkt einer Volksbewegung, die monatelang durch ganz Frankreich ging. Man könnte auch sagen: einer Jugendbewegung, denn ihren Kern bilden junge Bürger, die sich in Nationalgarden organisiert haben. Die erste dieser von der Bürgerschaft selbst aufgestellten Milizen bildet sich in den Tagen des Bastillesturms in Paris; ihr Kommandant, der Marquis de La Fayette, ist damals selbst erst 31 Jahre alt. Er will mit seiner Nationalgarde zum einen die »gefährlichen«, die unterbürgerlichen Massen in Schach halten, zum andern ein Gegengewicht gegen die königlichen Linientruppen bilden. In der Provinz haben sich teilweise schon vor dem 14. Juli 1789 Bürgerwehren formiert, die sich gegen die alte Ordnung stellen.24 Diese Selbst21
Das Urfest der Fraternité
bewaffnung vor allem junger Leute nimmt sprunghaft zu, als im Juli und August in Frankreich die »Grande Peur«25, die Große Angst, umgeht: Wegen einer Missernte herrscht vielfach Hunger, vagabundierende Haufen überfallen Dörfer und gefährden die Lieferwege; die Angst vervielfacht die Brigantengefahr und verbindet sich mit der Überzeugung, hinter den Räubern stünden Aristokraten, welche die Revolution in der Wiege erwürgen wollten. Entrüstete Bauern stürmen die Schlösser ihrer Feudalherren. Nun breiten sich die Milizen in ganz Frankreich aus; zumeist sind es junge Leute aus dem Kleinbürgertum einschließlich der Handwerker, in ländlichen Gegenden befehligen jedoch manchmal auch Bauern die örtlichen Nationalgarden.26 Deren politische Ausrichtung variiert: Meist schützen sie das Eigentum der Grundherren gegen aufständische Bauern, manchmal aber nehmen sie selbst an der Erstürmung von Schlössern teil,27 und nach der »Zweiten Jacquerie«, den erneuten Bauernaufständen im Winter 1789/90, treten sie oft einer harten Bestrafung militanter Bauern entgegen.28 Die Föderationsbewegung, die im 14. Juli 1790 mündet, beginnt mit Bündnissen zwischen den Nationalgarden benachbarter Gemeinden, wobei sich diese feierlich Hilfe gegen die Banditen und ihre Hintermänner versprechen. Schnell kommen zu den lokalen Zweierbündnissen übergreifende regionale Föderationen hinzu, und bald taucht der Plan einer gesamtnationalen Verbrüderung auf. Am 27. September 1789 versammeln sich die Bürger von Saint-Sauveur in der Franche-Comté und rufen »alle Städte, Dörfer und Gemeinden von ganz Frankreich (...) zu einem Bund der Brüderlichkeit, der Ehre, der vereinten Anstrengung für das Gemeinwohl, der Tugend, des Respekts und der Liebe zu Vaterland, König und Gesetz.«29 Am 29. November hört man bei einem Föderationsfest in Bourg d’Étoile, wo sich Einwohner des Vivarais und der Dauphiné verbrüdern, die Parole: »Wir sind keine Dauphinés mehr. Ihr seid keine Languedociens mehr. Wir sind Franzosen«.30 Nicht alle dieser neuen Verbrüderungen verfolgen dieselben Ziele. Manche Föderationen – etwa in einigen Orten des Languedoc – treten sogar gegen Beschlüsse der Nationalversammlung und für alte royale und klerikale Rechte ein.31 Die allermeisten wenden sich jedoch gegen die im Herbst vermehrt beobachtbaren Bestrebungen von Adligen, Kirchenleuten und Notabeln, durch die bisherigen Reformen eingebüßte Rechte und Ämter wiederzuerlangen.32 Zum Beispiel beschließen am 2. November 1789 14 Städte der Franche-Comté in Besançon einen Föderationsvertrag, der sich vor allem mit der Verhinderung des Getreideexports ins Ausland beschäftigt, 22
Crescendo
dessen Präambel aber ein allgemeineres Ziel proklamiert: den Kampf gegen die Feinde der Regeneration des Staates, sprich: gegen die Aristokratie.33 In Bourg d’Étoile schwören die 12.000 Nationalgardisten, den »Brüdern in Paris« und in jedem andern Ort zu Hilfe zu kommen, wo Gefahr für die Freiheit drohe.34 »Vivre libre ou mourir!«, »Frei leben oder sterben!« wird zu einer verbreiteten Parole der Föderierten. »Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern«, »Lieber den Tod, als in der Knechtschaft leben«: Die berühmten Sätze aus dem »Wilhelm Tell« sind keine bloße dichterische Erfindung, sondern auch eine Übersetzung französischer Föderationsschwüre. Mancherorts nimmt die Verbrüderung auch den ausdrücklichen Charakter von Versöhnung an. Die Föderation von Cravant und Vermenton wird als Friedensschluss zwischen diesen seit 200 Jahren zerstrittenen burgundischen Städten zelebriert;35 in Nyons im Departement Rhône-Alpes, traditionell ein Schauplatz religiöser Auseinandersetzungen, finden sich Katholiken und Protestanten am Altar des Vaterlands zusammen, der Pastor umarmt die anwesenden Priester.36 In Saint-Jean-du-Gard, so zitiert es Jules Michelet aus zeitgenössischen Quellen, endet die Zeremonie »mit einer feierlichen Versöhnung derer, die Streit miteinander hatten«, und in Lons-le-Saulnier trinkt man »[a]uf alle Menschen, sogar auf unsere Feinde, die wir zu lieben und zu schützen schwören!«.37 »Ich glaube nicht«, kommentiert Michelet, »daß das Herz des Menschen zu irgendeiner Zeit weiter und größer gewesen ist, daß die Unterschiede der Stände, Vermögen und Parteien jemals so vergessen waren. Besonders in den Dörfern gab es weder reich noch arm, weder adlig noch bürgerlich; die Lebensmittel sind gemeinsam, die Tische gemeinsam. Die soziale Trennung, die Zwietracht ist verschwunden; die Feinde versöhnen sich, sich befehdende Gemeinschaften werden Brüder, die Gläubigen, die Philosophen, die Protestanten, die Katholiken.«38 Gewiss, Michelet ist kein kühler Beobachter, er ist der Panegyriker der Föderationsbewegung, er redet die auch im festlichen Augenblick noch gewahrten Distinktionen und Exklusionen klein. Aber er liest seinen Enthusiasmus nicht einfach in die Ereignisse hinein. Es gibt in diesen Monaten vielerorts tatsächlich ein Vergessen von Standesgrenzen und Interessengegensätzen. Immer wieder ist in den lokalen Festberichten von der gerührten, der freudigen, der trunkenen Verbrüderungsstimmung der Festteilnehmer die Rede. Und mehrmals registrieren die Berichte den glücklichen Seufzer: »Jetzt kann ich ruhig sterben.«39 In den ersten Monaten des Jahres 1790 vervielfachen sich die Treffen. Die Nationalgarden verschiedener Städte verbünden sich miteinander – wie etwa 23
Das Urfest der Fraternité
die von Dijon, Grenoble, Avignon, du Puy und andere am 3. Januar 1790 in Valence, wo man 9000 Bürgersoldaten und 30.000 Zuschauer zählt. Dazu tun sich Regionen zusammen. In Dijon trifft sich die patriotische Jugend der Bourgogne, in Besançon die der Franche-Comté, in Quimper die der Bretagne. Auch Allianzen zwischen den Nationalgarden benachbarter Regionen werden geschlossen: so zwischen der Bretagne und der Normandie, der Bretagne und Anjou, dem Elsass und der Champagne.40 Mehr und mehr nehmen auch Armeesoldaten an den Föderationen teil. Anfangs noch, wie im April 1790 in Nancy, gegen den Willen ihrer Offiziere, ab Juni jedoch mit königlicher Zustimmung. Jedes Regiment, so verfügt Ludwig XVI., soll »an diesen staatsbürgerlichen Festen teilnehmen, um die Einheit aller Bürger zu festigen«.41 Auch in Paris will man der Verbrüderungswelle nicht nur zuschauen. Man überlegt, wie man sie bündeln und dabei auch kontrollieren kann. Im März schlägt die Gesellschaft der Freunde der Konstitution, später bekannt als Jakobinerklub, eine allgemeine Föderation vor. Sie sei das einzige Mittel, die Revolution zu stützen, eine Aufsicht über das ganze Königreich zu etablieren und die Projekte der allzu Verwegenen, der Unzufriedenen und der Rebellen zu zersprengen.42 Am 14. Mai 1790 lädt die Pariser Stadtregierung Abordnungen aller Gemeinden Frankreichs zu einem Föderationsfest am Jahrestag des Bastillesturms ein. Nur die Aktivbürger!
Delegationen aus ganz Frankreich – das ist natürlich nicht gleichzusetzen mit Delegationen aller Franzosen. Französinnen sind schon einmal nicht gemeint. Auch Zivilisten, die man zunächst einbeziehen wollte, schließt man dann doch aus: Nur der bewaffnete Citoyen, der Nationalgardist, soll – zusammen mit ausgewählten Liniensoldaten – nach Paris kommen. Und dieser bewaffnete Citoyen ist, wie gesagt, nicht immer, aber zumeist ein Bourgeois. Er stammt in der Regel aus dem Kreis der »Aktivbürger«, denen die Wahlrechtsordnung vom Dezember 1789 das Wahlrecht vorbehalten hat. Zu ihnen gehört nur, wer zumindest so viel direkte Steuern entrichtet, wie ortsüblich für drei Arbeitstage bezahlt wird; das trifft auf etwa vier Millionen Franzosen zu. Die rund drei Millionen, die weniger oder nichts besitzen,43 sind »Passivbürger«, denen das Wahlrecht nicht zuletzt deshalb vorenthalten wird, weil Besitzlose allzu leicht zu willenlosen Werkzeugen von Agitatoren würden.44 Ein Gesetz vom 12. Juni 1790 verschärft die hier waltende Exklu24
Crescendo
sion: Nun dürfen nur die Aktivbürger und ihre Söhne den Milizen beitreten; die Passivbürger, die ihnen bereits angehören – wie in Paris etwa die »Bastillekämpfer« vom Juli 1789 –, hinauszuwerfen wagt man jedoch nicht.45 Jean Jaurès schreibt über die Pariser Einladungspolitik in der »Histoire socialiste de la Révolution française«: »Man wollte keine irgendwie tumultuösen und spontanen Delegationen zulassen, die den von der Nationalversammlung schon festgelegten legalen Rahmen überschritten hätten. (...) Vielleicht hätten ja die Bauern, die seit einigen Monaten merkten, dass das Feudalregime de facto kaum abgeschafft war und dass die Adligen mit Unterstützung der Beamten und der Nationalversammlung selbst weiterhin die höchsten Abgaben erhoben, die neuen Beschwerdehefte, die sie in einigen Regionen führten, nach Paris zur verfassungsgebenden Versammlung und zum König getragen? Und vielleicht hätten die klarsichtigsten und stolzesten Arbeiter, diejenigen, die wenn auch noch ganz schwach begonnen hatten, sich über die einseitige Gesetzgebung aufzuregen, die ihnen das Wahlrecht verweigerte, eine bescheidene aber lästige Petition für das allgemeine Wahlrecht auf das Marsfeld getragen? (...) So ist es die bewaffnete Bourgeoisie, die ›Elite‹ der Aktivbürger, welche ihre Idee von Frankreich nach Paris trägt, es ist die Revolution, die auf den Ruf der Revolution hin herbeieilt, aber es ist die gemäßigte, bürgerliche und mit Wahlrecht ausgestattete Revolution. Es ist das ›aktive‹ Land, es sind die revolutionären Wahlbürger, die sich auf dem Marsfeld versammeln.«46 Wie heißt es doch in Mirabeaus Entwurf für den Artikel 17 der neuen Verfassung: »Bürgerliche Gleichheit heißt nicht Gleichheit hinsichtlich des Eigentums oder der gesellschaftlichen Stellung.«47 Doch die, welche dies nun auch bei den Föderationsfeiern zu spüren bekommen, denken in aller Regel nicht an einen Boykott der Feierlichkeiten, ja sie lassen keinerlei innere Distanzierung spüren: »Aber wie groß war die allgemeine Begeisterung!«, sagt auch Jaurès. »Sogar die Passivbürger nahmen tief bewegt an dem großen Fest teil; sie fühlten sich trotz allem zusammen mit der ganzen Nation erhoben, und ich weiß nicht, welche einmütige Hoffnung und welche einmütige Zärtlichkeit für einen Augenblick, trotz des Anteils an Egoismus und Oligarchie der neuen Institutionen, die Einheit der Nationen, die Einheit der Klasse Wirklichkeit werden ließ.«48 Der beste Beleg dafür ist die »Woche der Schubkarren«, der große Freiwilligeneinsatz zur Herrichtung eines Föderationsstadions.
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Das Urfest der Fraternité
Selbsteinschluss der Ausgeschlossenen
Das neue Fest muss sich einen neuen Festplatz schaffen. 12.000 bis 15.000 Arbeiter werden eingesetzt, um auf dem Exerzierareal vor dem Faubourg St. Germain einen Zirkus zu gestalten: ein Bassin auszuheben und aus dieser Erde die Tribünenwälle aufzuschütten. Ende Juni zeichnet sich ab, dass man den Termin 14. Juli nicht wird halten können. Nicht von oben, sondern zuerst von unten wird daraufhin Alarm geschlagen. Ein »Bürgersoldat« des X. Bataillons, Cartheri, regt an, Pariser Nationalgardisten sollten die Arbeiter ab 18 Uhr ablösen und in Abend- und notfalls Nachtschichten »den Feinden der Republik zeigen, dass sie keine Mühen scheuten, wenn es um die Sicherung der Freiheit geht«.49 Die Nationalgarde erklärt sich einverstanden und ruft am 4. Juli auch die unbewaffneten Bürger von Paris auf, sich an den Bauarbeiten zu beteiligen. Die Polizeidirektion hat Bedenken: Man könne sich leicht das Chaos vorstellen, das aus solch einem Wettbewerb von Freiwilligen entstehe.50 Doch diese sind nicht aufzuhalten. Aus allen Pariser Distrikten und aus den umliegenden Dörfern strömen sie zum Marsfeld. Erschreckt und bewundernd registriert die Duchesse de Tourzel, Gouvernante der Königskinder: »Ein patriotischer Eifer bemächtigte sich aller Anhänger der Revolution. Jeder wollte an dem Werk teilnehmen; dies war heilige Erde, wehe dem, der hier nicht Hand angelegt hätte.«51 Und zu den Massen von Volontären kommt eine Masse von Zuschauern, von denen viele mit anpacken: »Das erste mal als ich dahin ging«, schreibt d’Escherny, »war der Abend sehr schön, und der Zulauf außerordentlich. Beim Hineintreten erblickte ich das außerordentlichste Schauspiel! hundertfünfzigtausend Menschen von jedem Geschlechte, jedem Alter und jedem Stande, durch die Freiheit an die gröbsten Arbeiten gekettet, an Karren gespannt und freiwillig zu dem beschwerlichen Fortschaffen der Erde verurtheilt. Erhabner und rührender Frohndienst!« Mercier spricht ebenfalls von 150.000 Bürgern, die er gleichzeitig arbeiten gesehen habe.52 An einem Tag, dem 8. Juli, sollen es sogar 250.000 gewesen sein.53 Nicht nur die geschätzten Teilnehmerzahlen legen es nahe, dass die Rede vom Zusammenkommen aller Stände in diesem Fall kein Euphemismus ist; auch die Auflistungen der ganz unterschiedlichen Helfergruppen, welche die erstaunten Zeitzeugen hinterlassen haben, belegen eine Bandbreite vom Adel bis zur Arbeiterschaft. »Man sieht Seminaristen, Schuljungen, Pflegeschwestern, in Einsamkeit alt gewordene Kartäusermönche, die jetzt 26
Crescendo
ihr Kloster verlassen«, berichtet der Marquis de Ferrières, als Delegierter der Noblesse Mitglied der Nationalversammlung, »alle eilen sie zum Marsfeld, eine Schaufel auf dem Rücken und Banner mit patriotischen Emblemen tragend. Dort bilden diese bunt vermischten Bürger zusammen eine unermessliche Werkstatt, die stets in Bewegung ist und an jeder Stelle eine andere Gruppe in unterschiedlicher Zusammensetzung zeigt: Die zügellose Kurtisane findet sich neben der prüden Bürgerin, der Kapuziner zieht den Karren zusammen mit dem Ritter vom Orden Saint-Louis, der Lastenträger mit dem Dandy aus dem Palais-Royal, das stämmige Fischweib schiebt die Schubkarre, die von der eleganten Dame beladen wurde (...).«54 Georg Forster, der mit Wilhelm von Humboldt das Marsfeld besucht – wobei auch sie sich am Schubkarren betätigen –, zählt auf: »Alte und Junge, Männer und Weiber, Herzoge und Tagelöhner, Generalpächter und Schuhputzer, Bischöfe und Schauspieler, Hofdamen und Poissarden [Fischhändlerinnen, B. J. W.], Betschwestern und Venuspriesterinnen, Schornsteinfeger und Stutzer, Invaliden und Schulknaben, Mönche und Gelehrte, Bauern aus den umliegenden Dörfern, Künstler und Handwerker unter ihren Fahnen kamen Arm in Arm in buntscheckigem Zuge, und griffen rüstig und mutig zur Arbeit.«55 Von morgens vier Uhr bis abends elf Uhr hört man die Trommler, welche mit Schaufeln, Hacken und Piken armierte Kolonnen zum Marsfeld führen – ein fröhlicher Zug zur Arbeit, so wie ihn sich später Charles Fourier für die Landkooperativen seiner Zukunftsgesellschaft vorstellt. Die meisten kommen in großen, nach Distrikten, Dörfern und Berufen geordneten Gruppen. Manche gehen im Familienverband, der Vater an der Spitze, dahinter die Kinder und Domestiken.56 Daneben fahren aber auch Kutschen zum Marsfeld, an denen die Wappen entfernt oder überstrichen sind,57 aus denen adlige Damen steigen und sich ein Schäufelchen geben lassen. Viele Helfer haben ihre Berufspflichten suspendiert, andere erscheinen nach Beendigung ihres Arbeitstags, wie zum Beispiel die Bauarbeiter vom Pont Louis XVI, die unter dem Applaus der Zuschauer mit ihren Arbeitsgeräten auf dem Rücken zum Marsfeld marschieren. Das geht so acht Tage. Am 11. Juli ist die Terrassierung des riesigen Festgeländes abgeschlossen. Die Festteilnehmer, die am 14. Juli auf den Tribünen sitzen, sind keine Gäste: Es ist ihr Werk, das sie in Besitz nehmen. Als Goethes Faust, erblindet, die Lemuren sein Grab schaufeln hört, beschwört das »Geklirr der Spaten« in ihm das Bild einer »kühn-emsigen Völkerschaft« herauf, die – von »Gemeindrang« erfüllt – einen Sumpf tro27
Das Urfest der Fraternité
ckenlegt, aus der dabei gewonnenen Erde einen Hügel aufwälzt und »ein paradiesisch Land« schafft. Fausts Fantasiebild, das er als seinen »höchsten Augenblick« feiert, trägt Züge der Marsfeldrealität von 1790.58 Die vier konkreten Utopien des Marsfelds
Die Föderationsfeste selbst feiern eine Errungenschaft: die Geburt einer Bürgernation. Die Festvorbereitungen auf dem Marsfeld gehen darüber hinaus, sie haben weiter weisende, konkret-utopische Qualität. Da ist zunächst die ungewohnte Rolle, welche die arbeitende Bevölkerung dabei einnimmt. Sie handelt in diesen Tagen, wie beim Bastillesturm und beim Marsch auf Versailles, als Aktivbürger. Nicht nur, dass sie der Revolution ihren Arm leiht, sie erhebt dabei auch ihre eigene Stimme. Die Helferkolonnen singen bei ihrem Zug zum Marsfeld das neue Föderationslied Ça ira, manche tragen eine Stange mit sich, die von einer phrygischen Mütze gekrönt ist, auf mitgeführten Fahnen stehen Parolen wie »Frei leben oder sterben« oder »Die Sklaven des Despotismus sind zu den Kindern der Freiheit geworden«.59 Dabei fallen die Meinungskundgaben von Handwerkern und Gesellen auf. Im Zug der Kohlenbrenner geht, wie einst beim römischen Triumphzug, ein Gefesselter mit: Er stellt einen Adligen dar. Und die Metzger haben in ihre traditionelle Fahne ein langes Messer eingenäht, darunter die Schrift: »Aristokraten, zittert! hier sind die Schlächtergesellen!«60 Überhaupt rangieren die Werktätigen in diesen Marsfeldtagen ausnahmsweise nicht unter »ferner liefen«: Die Presse lobt, dass sie sich »nach anstrengender Tagesarbeit« bis in die Nacht hinein für die Nation einsetzen,61 und in Augenzeugenberichten spürt man die Anerkennung für die Fähigkeiten, die sie bei den kraftraubenden Terrassierungsarbeiten demonstrieren können. Mercier hat eine solche Szene in »Das neue Paris« dargestellt. Ein »junger wohlgekräuselter, duftender, geschniegelter Geistlicher« schaut den Arbeitenden zu; »›zum Schiebekarren, zum Schiebekarren!‹ erscholls um ihn her; nachlässig stellt er sich an einen; ein baumstarker Patriot, der, ein ächtes Tagewerk zu fertigen, einen Tragekorb auf die Schultern geladen, und noch dazu einen Karren vor sich herschob, geht an ihm vorbei; dreht sich um, sagt: laßt das Ding stehn! Ihr schändets nur! verlässt seinen Schiebekarren, nimmt den des Aebtchens, und leert ihn draußen vor dem Märzfelde aus, dass es nicht verunreinigt werde; kehrt wieder, lädt seine Last auf, und setzt sein Werk fort.«62 28
Crescendo
Ein weiteres utopisches Element: die Kooperation von Menschen verschiedenster Herkunft und Profession. Es gibt hier keine Oberleitung, keine Hierarchie – was auch manche Konfusion hervorruft63 –, und die Ausführung derselben Arbeitsaufgaben wird, wie d’Escherny beobachtet, auch von demonstrativen Gesten der Ständevermischung begleitet: »Hier stand ein Soldat in eine Mönchskappe gehüllt, dort ein Geistlicher mit einer Grenadiermütze, dort wieder ein Freudenmädchen mit dem Brustschleier einer Nonne. Es schien, als ob man bei dieser unzähligen Menge, die sich gleichen und einförmigen Arbeiten unterzogen, und wo sich der eine gleichsam wie durch eine Art von gegenseitiger Verwandlung zum andern umschuf, den Unterschied des Standes auslöschen und nichts als Franzosen, Bürger und Brüder bemerken lassen wollte.«64 Was die Zeitgenossen besonders überrascht, ist die Diszipliniertheit und die Friedlichkeit, mit der die verschiedenen sozialen Gruppen hier zusammenarbeiten: »Kein Schmähwort, kein Streit, kein Durcheinander«, schreibt die »Chronique de Paris«, »kein einziger Wachtposten«, aber »nicht die mindeste Unordnung; man sah keinen einzigen Betrunkenen«.65 Und es fehlt nicht an Kommentaren, die aus diesem Bild von Selbstherrschaft und Selbstbeherrschung politische Schlüsse ziehen. »Alles, was auf dem Marsfeld passierte«, heißt es in den »Révolutions de Paris«, »zeigte, dass ein freies Volk mehr gesunden Menschenverstand hat als seine Beamten Geist.«66 Georg Forster schreibt: »Unendlich war die Abwechselung der arbeitenden Gruppen, und unbegreiflich, ohne die Begeisterung des Augenblicks in Rechnung zu bringen, die Ordnung, die allenthalben herrschte. Hier waren keine Wachen ausgestellt, hier kannte man nicht die gebieterische Stimme des Aufsehers, und noch weniger seinen Stecken; auch die Bienen und Ameisen bauen ohne Tyrannen und Satelliten, und voll enden doch den Bau ihres kleinen Freistaats.«67 Die dritte Utopie, welche die Marsfeldmenge transitorisch verwirklicht, ist die Versöhnung von Arbeit und Genuss. »Sogar die Proletarier, die nicht wählen durften«, schreibt Jean Jaurès, »arbeiteten freudigen Herzens bei der Herrichtung des Marsfelds mit: Es gab da die ›weiße Seite‹ und die ›schwarze Seite‹, die Kohlenhändler, ganz schwarz von Kohle, und die Arbeiter der Markthallen, ganz weiß von Mehl, und zwischen Schwarzen und Weißen gab es eine fröhliche Rivalität, wer wohl am meisten Erde zu Ehren der Revolution bewegen würde.«68 D’Escherny beschreibt die spielerischen Formen, welche die Arbeit hier annimmt: Junge Frauen ziehen mit Erde beladene Wagen den Hang hinauf und junge Männer schieben von den Frauen 29
Das Urfest der Fraternité
angeblich unbemerkt mit. Oben angekommen, freuen sich die Mädchen ihres Erfolgs: »aber die dienstfertigen und verborgenen Gehülfen kamen zum Vorscheine, näherten sich mit lautem Geschrei und bestraften mit einem Kusse die stolzen Schönen und empfingen auf diese Weise die Belohnung ihres Dienstes. Nun hoben sie sie mit ihren nervigen Armen in die Höhe, ließen sie den Platz der ausgeschütteten Erde einnehmen und füllten den leeren Wagen mit dem reizenden Gespanne an. Mitten unter dem Geschreie und der lärmenden Freude machten sich der mit jungen Mädchen angefüllte Wagen von der Höhe des Hügels los, und rollte mit der größten Schnelligkeit auf die Ebene herab. Darauf kehrte man zurück und lud wieder neue Materialien und frische Erde aus.«69 D’Escherny schließt seinen Marsfeldbericht in dem Bewusstsein, etwas Einzigartiges, Unwiederholbares gesehen zu haben: »Alle diese eben so außerordentlichen und noch merkwürdigern Gemälde als alle die vorhergehenden waren für eine Epoche aufgehoben, die das den Augen der Menschen darstellen sollte, was sie niemals gesehn haben und nie wieder sehn werden.«70 »Die Frauen vergessen ihr Geschlecht«
Starke und galante Männer, die schwachen Frauen zu Hilfe kommen: Die Marsfeldszene, die d’Escherny zeichnet, lässt sich als patriarchalische Idylle lesen. Man darf aber darüber nicht die Basisinformation vergessen, die sie enthält: dass auch Frauen, wiewohl von der politischen Mitarbeit ausgeschlossen, sich an den Vorbereitungen zum Föderationsfest beteiligten und sich also nicht darauf beschränken, bei der Feier selbst als lebender Festschmuck auf der Tribüne zu sitzen. Und wieder fällt den Beobachtern eine ganz ungewohnte Ständevermischung auf: Neben Marktfrauen, Dienstbotinnen und Verkäuferinnen sind es gut gekleidete Damen und schwarz gewandete Nonnen, die hier Hand in Hand arbeiten. Die Presse hütet sich in diesem Fall, das öffentliche Engagement von Frauen zu tadeln und sie auf ihre häuslichen Pflichten zu verweisen. Und anders als bei d’Escherny wird sogar immer wieder anerkennend beschrieben, welche körperliche Tüchtigkeit die Frauen bei den Arbeiten bewiesen. »Eine im Alter schon fortgeschrittene Frau, an Anstrengungen wohl nicht gewohnt, trägt in ihrer Schürze mehr als 20mal Erde herbei.«71 »Frauen mit Hut, mit Federn und Rouge, fürchteten nicht, mit ihren zarten Händen den Spaten zu führen und die mit Erde gefüllten Körbe zu heben.«72 »Die Frauen, die der sonntägli30
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Abb. 2: Arbeiten auf dem Marsfeld. Radierung von François-Robert Ingouf.
che Müßiggang herbeigeführt hatte, vergessen auf einmal ihr Geschlecht und ihren Putz; sie machen den Männern die mühseligsten Arbeiten streitig.«73 Gleichberechtigte gemeinsame Arbeit der Geschlechter – das ist die vierte konkrete Marsfeld-Utopie. Damalige Zeitungsberichte sehen das freilich nicht so. Sie deuten die Marsfeldszenen nicht als Antizipation eines neuen Geschlechterverhältnisses, sie wundern sich vielmehr über die Kräfte, welche die Frauen mobilisieren, und schreiben dies Phänomen einem ganz ungewöhnlichen und gänzlich unalltäglichen Augenblicksenthusiasmus zu. Konsequenzen für die Frauenrechte im Staat und die Frauenrolle in der Gesellschaft werden nicht gezogen, ebenso wenig wie aus der vorhergegangenen Beteiligung von Frauen beim Bastillesturm und beim Zug nach Versailles. Der zur gleichen Zeit, am 3. Juli 1790, erschienene Artikel des Marquis de Condorcet »Über die Zulassung der Frauen zum Bürgerrecht« bleibt zunächst eine einsame Stimme. Auch die französischen Patriotinnen fordern zu diesem Zeitpunkt nicht die Gleichstellung mit den Männern (erst im Herbst 1791 wird Olympe de Gouges’ »Die Rechte der Frau« publiziert), wohl aber beteiligen sich immer mehr an der politischen Diskussion. Das auf dem Marsfeld sichtbar werdende Engagement ist keine Eintagsfliege, sondern eingebettet in eine seit Anfang 1790 beobachtbare Entwicklung. Frauen zeigen sich auf der Tribüne 31
Das Urfest der Fraternité
der Nationalversammlung, sie nehmen an Sitzungen politischer Clubs teil und gründen in vielen Städten patriotische Frauenvereinigungen,74 ja es bilden sich Frauenbataillone und Frauenregimenter, welche die Revolution nach außen wie innen verteidigen möchten. Doch dieser Aufschwung politischer Partizipation wird von den Männern nur wenige Jahre geduldet oder gar belobigt: Im Frühjahr 1793 werden kämpfende Frauen aus dem Armeedienst ausgeschlossen,75 im Herbst 1793 politische Frauenclubs verboten. In einem der erfolgreichsten Theaterstücke aus Anlass der Föderation, »La Famille patriote ou la Fédération«, das im Juli und August 1790 16-mal gespielt wird,76 singt die Bürgerstochter Mariette: »Oh, ça ira, ça ira, ça ira! S’il fait encore un peu d’aide à cela Avec ardeur femme ou fille aidera, Du sexe la différence Aussi-tôt disparoîtra.« »Oh, das wird geh‘n, das wird geh‘n, das wird geh‘n! Wenn noch etwas Hilfe nötig ist, Wird Frau oder Tochter mit Begeisterung helfen. Der Unterschied der Geschlechter Wird sofort verschwinden.«77 Mariette meint es ernst, der Autor wohl eher nicht. Bis die Französinnen wenigstens das gleiche Wahlrecht ausüben können, wird es noch 155 Jahre dauern. Von wegen getürkt
Am 19. Juni steht die Nationalversammlung im Zeichen des Föderationsfests: Sie empfängt Nationalgardisten aus Tours und Chartres. Sie beschließt, den Bastillekämpfern auf dem Marsfeld einen Ehrenplatz einzuräumen. Danach betritt eine auffällig gekleidete Männergruppe den Saal und tritt vor die Barre des Präsidenten. Es sind 36 Personen in den Trachten europäischer, asiatischer und amerikanischer Völker, angeführt von einem in Paris lebenden Deutschen, Jean-Baptiste de Cloots. Dieser bekommt das Wort erteilt und ruft die Versammlung auf, das Föderationsfest nicht nur als Fest der Franzosen, sondern als »Fest der ganzen Menschheit« zu bege32
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hen: »Die Trompete, die die Erhebung eines großen Volkes verkündet, hat ihr Echo in allen vier Teilen der Welt gefunden, und die Freudenrufe eines Chors von 25 Millionen freier Menschen haben die Völker aufgeweckt, die in einer langen Sklaverei begraben lagen.«78 Cloots beantragt, ihn und seine Begleiter zur Marsfeldfeier einzuladen.79 Ein Türke aus der Gruppe hält ebenfalls eine Ansprache, bleibt dabei aber den Franzosen unverständlich. Die Abgeordneten der Nationalversammlung stimmen dem Cloots‘schen Antrag per Akklamation zu. Der Präsident der Versammlung, Jacques François Baron de Menou, formuliert nur eine Bedingung: »daß Sie Ihren Landsleuten, wenn Sie in Ihre Heimat zurückkehren, erzählen, was Sie bei uns gesehen haben.«80 Zur Verärgerung der Botschafter der europäischen Monarchien – die Cloots in seiner Ansprache als »Gesandte der Tyrannen« bezeichnet hat, die das »erhabene Fest nicht ehren« könnten81 – nimmt die Cloots‘sche Truppe auf dem Marsfeld dann tatsächlich in der Nähe des diplomatischen Korps Platz. Von monarchistischer und aristokratischer Seite ergießt sich alsbald grober Spott über diese Delegation. Man kolportiert, sie habe aus Bedienten und Gepäckträgern bestanden, denen man Kostüme aus einem Opernfundus angezogen habe.82 Anderen Gerüchten zufolge handelt es sich um ausländisches Gesindel: um Bankrotteure, Deserteure, Diebe und sogar einen Mörder.83 Cloots verteidigt sich am 30. Juni in der »Chronique de Paris«: Wahr sei, dass er Exilierte dabei gehabt habe, aber diese seien Männer von Rang und Stand gewesen: Brabanter, Schweizer, Holländer, die ihr Vaterland aus politischen Gründen hätten verlassen müssen. Der wegen seiner verunglückten Rede in der Nationalversammlung belachte Orientale meldet sich in der »Chronique« am 30. September selbst zu Wort: Er heiße Chavis, sei tatsächlich Türke und arbeite als Übersetzer an der Königlichen Bibliothek. »Echt« ist auch ein anderer Orientale in der Gruppe, Cazadom Chammas, den Georges Avenel in seiner Cloots-Biografie von 1865 als an der Nationalbibliothek arbeitenden Übersetzer identifiziert. Verlässliche Informationen über andere Mitglieder bzw. Unterstützer der Deputation liefert dann erst John Goldsworth Alger im Jahre 1902. Alger, dem das von 36 Personen unterzeichnete Manuskript der Clootsschen Rede vor der Nationalversammlung vorliegt, schließt aus den Signaturen auf womöglich 17 Herkunftsländer der Deputationsmitglieder. Die stärkste Untergruppe bilden darin die Niederländer, unter denen sich unter anderem diese prominenten Namen finden: 33
Das Urfest der Fraternité
Balthasar Elias Abbema, Bankier, einer der Direktoren der französischen Ostindienkompanie, Z. van Staphorst, Bankier aus Amsterdam, Paul Henri Marron, der erste protestantische Pfarrer in Paris, Benjamin Comte de Boetzelaer, der als Exilant in Paris lebt. Neben mehreren Engländern und Deutschen (»Goy«, »Osiander Jh.«) findet sich bei den Unterzeichnern auch ein Pole, Zalkind Hourwitz, bekannt geworden als Vorkämpfer für die Gleichberechtigung der Juden; 1788 hat er für seinen Essay »Vindication of the Jews« den Preis der Königlichen Akademie für Kunst und Wissenschaft der Stadt Metz gewonnen. Bei dem Unterzeichner »A. Dumas« handelt es sich möglicherweise um den aus Haiti stammenden Mulatten Thomas Alexandre Dumas, später General unter Napoleon, Vater des Schriftstellers Alexandre Dumas; und die Eintragung »Casanova« könnte von dem damals in Paris lebenden Maler Francesco Casanova stammen, dem Bruder von Giacomo Casanova. Auch wenn ganz große Namen nicht in der Liste enthalten sind: Dass es sich bei der Cloots‘schen Deputation um Bedienstete, Gauner, Habenichtse gehandelt habe, wie die konservative Presse damals unkt, ist nichts als üble Nachrede.84 Und woher auch immer die exotische Bekleidung kam, die sich die Gruppe für den Besuch der Nationalversammlung gewählt hat: Sie scheint tatsächlich aus Angehörigen mehrerer Völker aus drei Erdteilen bestanden zu haben. Wenn man es auch großspurig nennen kann, sie als »Vertreter« oder gar »Gesandte« ihrer Nationen zu bezeichnen, so stehen sie doch für die vielen mit der Revolution sympathisierenden Ausländer, die zu jener Zeit in Paris leben. Etwa 1000 von ihnen, so heißt es, nehmen an der Marsfeldfeier teil (eine der von Cloots ausgestellten Bescheinigungen über diese Teilnahme ist erhalten85) und machen sie damit zu einem transnationalen Ereignis. Cloots, der Redner des Menschengeschlechts
Wie weit man in der Nationalversammlung weiß, dass in der Cloots‘schen Truppe durchaus renommierte Köpfe aus der Exilantenszene vertreten sind, muss unklar bleiben. Sicher ist aber, dass Jean-Baptiste de Cloots (der 34
Crescendo
in diesen Tagen den bürgerliche Namen Anacharsis Cloots annimmt) vielen Abgeordneten vertraut ist. 1755 in Cleve geboren, kam er mit elf Jahren auf das Pariser Collège du Plessis, das übrigens bald darauf auch der zwei Jahre jüngere La Fayette besuchte,86 war später Stammgast in den Salons der Stadt, wie zum Beispiel bei Fanny de Beauharnais, der Schwägerin von Josephine de Beauharnais,87 und trat 1789 dem Jakobinerclub bei, wo er im März 1790 seine erste Rede hielt.88 Aber nicht nur, dass er sozial kein Außenseiter ist. Er ist es ebenso wenig in seinem internationalistischen Anliegen. Die Französische Revolution hatte ja ein starkes kosmopolitisches Moment. Seit der Erklärung der Menschenrechte, die ja nicht »Erklärung der Franzosenrechte« hieß, war dies explizit, allerdings ohne dass daraus eine praktisch-politische Programmatik entwickelt worden wäre. Cloots’ Vorstoß berührt eine Saite, die schon gespannt war, aber noch nicht gespielt wurde. Deshalb die Beifallsstürme der Parlamentarier, die seine Rede am 19. Juni immer wieder unterbrechen; deshalb die überwiegend positive Reaktion in der bürgerlichen Presse – im »Courrier«, in der »Chronique de Paris«, im »Moniteur universelle« und in den »Révolutions de France et de Brabant«, wo Camille Desmoulins ein Jahr später schreibt: »Hoffen wir, dass es die Unterteilung in Königreiche bald nicht mehr gibt, sondern nur noch ein einziges Volk, das man das Menschengeschlecht nennen wird.«89 Konservative Blätter verlachen Cloots, wie konservative Historiker noch 200 Jahre danach, als Possenspieler, aber die Nationalversammlung sieht das etwas anders. Sie lässt seinen Appell in 500.000 Exemplaren drucken.90 Cloots nennt sich nun, an den eingeführten Begriff »orateur du peuple« anspielend, »l’orateur du genre humain«, und er legt nach: 1792 veröffentlicht er »La République universelle ou Adresse au Tyrannicides«, 1793 die »Bases constitutionelles du genre humain«, in denen eine Weltrepublik und gleich auch deren Verfassung vorgeschlagen werden. Das Echo hierauf ist beachtlich. Natürlich gibt es Gegenrede, gibt es wiederum das Verdikt der Narretei, aber die »Chronique de Paris« nennt Cloots ein »Genie«.91 »Die Vernachlässigung des politischen Denkens von Cloots durch die Historiographie der politischen Philosophie«, schreibt 2004 Francis Chevenal, »ist Bestandteil jenes hartnäckig sich haltenden Vorurteils, wonach die Revolution immer schon die Konstitution einer französischen ›nation‹ angestrebt habe. Der Begriff der ›nation‹ war aber während der ersten Revolutionsjahre ebenso wie der Begriff des ›Patriotismus‹ nicht oder nicht nur nationalstaatlich besetzt, sondern in hohem Maße Vehikel eines kosmopolitischen Ideals.«92 35
Das Urfest der Fraternité
Produktives Missverständnis
In seiner Rede vor der Nationalversammlung hat sich Cloots für die »versklavten« Völker in aller Welt eingesetzt. Er meint damit, wie es aufklärerischer Sprachgebrauch ist, die Versklavung durch die absolutistische Herrschaft und die sie stützenden Ideologien. Was er nicht meint, ist die nicht-metaphorische, die reale Sklaverei. Er bewegt sich damit im Mainstream der Revolution und ihrer Vordenker – auch bei Rousseau wird die Praxis der Sklavenhaltung nicht thematisiert.93 Nur wenige, wie etwa die 1788 gegründete Gruppe »Amis des Noirs«, verbinden 1790 mit dem Eintreten für die Menschenrechte auch das Programm einer (meist schrittweisen, nicht sofortigen) Sklavenbefreiung – obwohl oder, besser noch, weil in den französischen Kolonien Hunderttausende von Sklaven arbeiten. Über zwanzig Prozent der französischen Bourgeoisie profitieren von Handelsaktivitäten, die in irgendeiner Form mit Sklaverei zu tun haben.94 Die Plantagenbesitzer in den Kolonien, die in der Nationalversammlung eine starke Lobby besitzen, reüssieren mit dem Argument, dass das Recht auf Freiheit und Gleichheit nicht über das Recht auf Eigentum gestellt werden dürfe, auch nicht über das an Leibeigenen.95 Sie können jedoch nicht verhindern, dass die Revolutionstrompete, die laut Cloots »an allen vier Enden der Welt widerhallt«, auch von den Kolonialvölkern gehört wird. In der reichsten und volkreichsten französischen Kolonie, in Saint-Domingue, sind es in erster Linie die Mulatten – freie, oft grundbesitzende Farbige –, die von der Konstitution der Nationalversammlung und der Erklärung der Menschenrechte ermutigt werden. Sie schicken noch 1789 eine Delegation nach Paris, die dort für ihre Gleichberechtigung wirbt; doch anders als der Cloots‘schen Truppe wird ihr das Rederecht in der Nationalversammlung verweigert.96 Erst nach zahlreichen blutigen Auseinandersetzungen auf der Insel und etlichem gesetzgeberischem Hin und Her erhalten Mulatten und freie Schwarze im April 1792 endgültig die Gleichberechtigung.97 Zur gleichen Zeit stehen in Saint-Domingue aufständische Sklaven im Kampf gegen ihre Herren – gegen Weiße, aber auch Mulatten. Sie sind allerdings nicht erst durch die Pariser Trompete geweckt worden. Immer wieder, zuletzt 1777, 1782 und 1787, haben sie gegen die Kolonialherren rebelliert.98 Dass sie im August 1791 wieder zu den Waffen greifen, ist wohl weniger auf überspringende Revolutionspropaganda – die es vereinzelt gleichwohl gab99 – zurückzuführen als auf die verstärkte Repression, welche 36
Crescendo
Abb. 3: »Frei auch ich«. Zeitgenössischer Stich von Jean-Louis Darcis.
die weißen Pflanzer aus Angst vor einer solchen Propaganda ausüben.100 Einzelne Aufstandsführer argumentieren zwar in der Tat mit den Menschenrechten, aber sie machen ihre eigene, auch von noch virulenten afrikanischen Vorbildern mitgeprägte Politik:101 Dazu gehört, dass sie sich als Parteigänger des französischen Königs verstehen und nicht mit den Republikanern zusammenarbeiten wollen; nachdem Frankreich zur Republik geworden ist, erklären sie sich zu Untertanen des Königs von Spanien.102 Schließlich gelingt es dem Zivilkommissar Léger-Félicité Sonthonax, die Aufständischen doch noch für die französische Republik zu gewinnen. Seine »Légion de l’Égalité«, aus einem weißen Expeditionsheer und Mulatten zusammengesetzt, sieht sich im Juni 1793 einer Rebellion der für ihre alten Alleinrechte kämpfenden Pflanzer gegenüber. Sonthonax ruft die aufständischen Sklaven zu Hilfe und verspricht ihnen dafür die Befreiung – wobei übrigens der Zwang der Verhältnisse mit seiner eigenen, lang gehegten abolitionistischen Überzeugung zusammentrifft. Am 4. Februar 1794 vollzieht der Konvent in Paris das Fait accompli nach. Das Protokoll vermerkt den Auftritt der ersten nicht nur symbolischen farbigen Delegation in der Versammlung: »Die Deputierten Bellay [scil. Belley, B. J. W.], ein Schwarzer, Mills, ein Mulatte, und Dufay, ein Weißer, betreten den Saal. Beim Anblick der Farbi37
Das Urfest der Fraternité
gen erhebt sich langanhaltender Beifall. (...) Die Deputierten betreten die Tribüne und werden vom Präsidenten umarmt und auf beide Wangen geküßt. Die Abgeordneten erheben sich von ihren Plätzen und klatschen Beifall.«103 Die Föderation vom 14. Juli 1790 ist hiermit, wenngleich nicht ganz freiwillig, ergänzt worden. Der Vater bekennt sich zu seinem zunächst verleugneten Sohn. Der Abgeordnete Levasseur schlägt der Versammlung folgende Resolution vor: »Als wir den Plan einer Verfassung für das französische Volk entwarfen, haben wir das unglückliche Volk der Neger vergessen. Die Nachwelt wird uns hieraus einen Vorwurf machen. Laßt uns unser Versäumnis wettmachen, proklamieren wir die Freiheit für die Neger.«104 Man beschließt, die Sklaverei in allen französischen Kolonien abzuschaffen. Acht Jahre später führt Napoleon sie wieder ein.
Staatsfeier, Volksfest Polizeilose Ordnung
Im Vorfeld der Marsfeldfeier werden also Weiterungen praktiziert oder eingefordert, die über die Pläne der Nationalversammlung und der Pariser Stadtregierung hinausgehen. Und Erfahrungen mit der Spontaneität des peuple und zumal des Pöbels lassen viele daran zweifeln, ob die Einhegungsarbeit von La Fayette und seinen Mitstreitern greifen wird. »Diese regellosen Massen nach Paris ziehen, in das Zentrum der Aufreizung, hieß das nicht einen furchtbaren Tumult wagen, Plünderung und Metzeleien«?105 Britische Besucher der französischen Hauptstadt befürchten Unruhen, »occasioned by the intoxication of many thousand people assembled together«,106 und ein Korrespondent der Vossischen Zeitung schreibt am 9. Juli, die Feier werde »mit Zittern erwartet«.107 Unter den Adligen ist die Angst vor Übergriffen, gar vor einem Massaker verbreitet. Viele von ihnen verlassen über die Festtage die Hauptstadt.108 Zur Angst vor einem Chaos gesellt sich die Furcht, das Fest könne gelingen. Christoph Girtanner, ein in Paris lebender deutscher Mediziner, schildert eine ganze Kette von Sabotageversuchen: »Da die Feinde der Revolution einsahen, daß alle Versuche die Feier des Nationalfestes zu verhindern fehl geschlagen hatten: so versuchten sie nun dasselbe so wenig zahlreich als möglich zu machen. Sie verbreiteten daher mancherlei Gerüchte, um Furcht und Schrecken unter den Parisern zu erwecken. (...) Es wurde gesagt, das ganze 38
Das Urfest der Fraternité
gen erhebt sich langanhaltender Beifall. (...) Die Deputierten betreten die Tribüne und werden vom Präsidenten umarmt und auf beide Wangen geküßt. Die Abgeordneten erheben sich von ihren Plätzen und klatschen Beifall.«103 Die Föderation vom 14. Juli 1790 ist hiermit, wenngleich nicht ganz freiwillig, ergänzt worden. Der Vater bekennt sich zu seinem zunächst verleugneten Sohn. Der Abgeordnete Levasseur schlägt der Versammlung folgende Resolution vor: »Als wir den Plan einer Verfassung für das französische Volk entwarfen, haben wir das unglückliche Volk der Neger vergessen. Die Nachwelt wird uns hieraus einen Vorwurf machen. Laßt uns unser Versäumnis wettmachen, proklamieren wir die Freiheit für die Neger.«104 Man beschließt, die Sklaverei in allen französischen Kolonien abzuschaffen. Acht Jahre später führt Napoleon sie wieder ein.
Staatsfeier, Volksfest Polizeilose Ordnung
Im Vorfeld der Marsfeldfeier werden also Weiterungen praktiziert oder eingefordert, die über die Pläne der Nationalversammlung und der Pariser Stadtregierung hinausgehen. Und Erfahrungen mit der Spontaneität des peuple und zumal des Pöbels lassen viele daran zweifeln, ob die Einhegungsarbeit von La Fayette und seinen Mitstreitern greifen wird. »Diese regellosen Massen nach Paris ziehen, in das Zentrum der Aufreizung, hieß das nicht einen furchtbaren Tumult wagen, Plünderung und Metzeleien«?105 Britische Besucher der französischen Hauptstadt befürchten Unruhen, »occasioned by the intoxication of many thousand people assembled together«,106 und ein Korrespondent der Vossischen Zeitung schreibt am 9. Juli, die Feier werde »mit Zittern erwartet«.107 Unter den Adligen ist die Angst vor Übergriffen, gar vor einem Massaker verbreitet. Viele von ihnen verlassen über die Festtage die Hauptstadt.108 Zur Angst vor einem Chaos gesellt sich die Furcht, das Fest könne gelingen. Christoph Girtanner, ein in Paris lebender deutscher Mediziner, schildert eine ganze Kette von Sabotageversuchen: »Da die Feinde der Revolution einsahen, daß alle Versuche die Feier des Nationalfestes zu verhindern fehl geschlagen hatten: so versuchten sie nun dasselbe so wenig zahlreich als möglich zu machen. Sie verbreiteten daher mancherlei Gerüchte, um Furcht und Schrecken unter den Parisern zu erwecken. (...) Es wurde gesagt, das ganze 38
Staatsfeier, Volksfest
Marsfeld sey untergraben, und mit Schießpulver angefüllt, und am Tage des Festes werde dasselbe, mit allen darauf befindlichen Menschen, in die Luft gesprengt werden. Um dieses Gerücht zu widerlegen, sah sich Hr. Bailly [der Bürgermeister, B. J. W.] genöthigt, mit einem Ausschusse des Bürgerraths, durch die unterirdischen Wasserleitungen, unter dem Märzfelde, durchzu kriechen, und nachher öffentlich bekannt zu machen, daß er kein Schießpulver daselbst gefunden habe, und daß er alle diese Kanäle habe mit Wasser anfüllen lassen. Hierdurch wurden die Gemüther beruhigt. Nun hieß es: aus einer, nahe bei dem Märzfelde sich befindenden Menagerie, würden, während der Feier des Festes, die wilden Thiere losgelassen werden, um Schrecken und Unordnung unter die Zuschauer zu bringen. Hr. Bailly befahl, daß diese Thiere an einen andern Ort gebracht werden sollten. Nun sagte man: es würde Feuer angelegt, und die hölzernen Bänke des Amphitheaters würden alle verbrannt werden. – Hr. Bailly ließ Feuerspritzen nach dem Marsfelde hinfahren, welche daselbst, mit Wasser angefüllt, in Bereitschaft stehen mußten. Jetzt ward gesagt: die hölzernen Bänke stünden nicht fest, und würden von der Last zusammenbrechen. Auch dieses Gerücht ließ Hr. Bailly widerlegen. Endlich behaupteten einige: in der Stadt Paris würde, an dem Tage des Festes, an verschiedenen Orten zugleich, Feuer angelegt, und die ganze Stadt in einen Aschenhaufen verwandelt werden. Hr. Bailly macht aber bekannt, daß er die Sorge für die Sicherheit der Hauptstadt dem Hrn. la Fayette übertragen habe, und daß daher jedermann ruhig seyn könne. Endlich befahl Hr. Bailly, daß, am 14. Julius, als an dem Tage des Festes, jedermann verboten seyn solle einen Stock zu tragen. Aller dieser Anstalten ungeachtet, war dennoch die Furcht allgemein.«109 Das Massenfest verläuft dann völlig friedlich. Keine Zwischenfälle, nicht einmal Unfälle werden gemeldet. Verzögerungen erträgt man ebenso heiter wie den teilweise heftigen Regen, der den Tag begleitet. (Man scherzt: ›Es sind die Thränen der Aristokraten, welche auf uns herabfallen.‹«110) Und dies, obwohl doch die meisten Zuschauer den unteren Sozialschichten angehören, die von oben und außen gerne als undiszipliniert, ungeduldig, verwahrlost, rauflustig angesehen werden.111 Dabei hat man während des stundenlangen Festzugs durch die Pariser Straßen keine Polizei eingesetzt. Freiheit, schreibt der »Patriote français«, sei der beste Garant der Ordnung.112
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Das Urfest der Fraternité
Zu Fuß
Niemand, außer dem König und seinem Gefolge, darf am Föderationsfest eine Kutsche benutzen. Alle sollen zu Fuß gehen. Das hilft gegen die Verstopfung der Straßen und gegen Unfälle, es ist jedoch auch eine Demonstration von Gleichheit, diesmal sogar von materieller. Die ehrpusseligen ausländischen Botschafter in Paris verstehen diese Symbolik sofort: Sie folgen der königlichen Einladung zur Marsfeldfeier nur unter der Bedingung, dass sie trotz des allgemeinen Verbots im Wagen kommen dürfen, begleitet von jeweils zwei Soldaten zu Pferd.113 Die Ausnahmegenehmigung wird erteilt – nur für das letzte Stückchen Weg müssen die Herrschaften aussteigen. Die Parole »zu Fuß!« ist keine Eingebung des Augenblicks. Die Kritik an den »stolzen, bedrohlichen Rädern der Reichen«114 und die Propagierung des Gehens als bürgerliche Tugend sind Standardthemen der Zeit. »Wer bist du, Fürst, daß ohne Scheu / Zerrollen mich dein Wagenrad, / Zerschlagen darf dein Roß?«, dichtet Gottfried August Bürger 1773, und Mercier schreibt in seinem 1781 bis 1788 verfassten »Tableau de Paris« vom Fußvolk, das nicht dazu bestimmt sei, »seinen Geist unter den gedämpften Rädern einer Equipage auszuhauchen«: »Sokrates ging zu Fuß; Horaz ging zu Fuß, Jean-Jacques Rousseau ging zu Fuß. Daß ein Jourdain [Molières »Bürger als Edelmann«, B. J. W. ] unserer Tage, irgendein Lump, ein englisches Kabriolett und eine Toreinfahrt sein eigen nennt, nun gut, man nimmt es hin. Desgleichen daß er die Fußgänger mit Kot bespritzt, wohlan, man wischt es wieder ab. Aber daß er uns nicht auch noch im Morast zerquetsche, denn wer sich seiner Beine zu bedienen weiß oder beim Gehen ein bißchen vor sich hinträumt, begeht deswegen noch lange kein Verbrechen, das durch Räderung zu sühnen wäre!«115 Zugleich loben bürgerliche Aufklärer das Gehen als Ausdruck von Selbstbestimmtheit und Stärke – »Zu Fuße! zu Fuße! da ist man sein eigner Herr!«, heißt es am berühmten Schnepfenthaler Philanthropinum116 – und spotten über vornehme Schwächlinge, die »ihren Kräften kaum zutrauten, von einem Haus zum andern in der Stadt, zu Fuße zu gehen«.117 Der Leitspruch des Italienwanderers Johann Gottfried Seume, »Fahren zeigt Ohnmacht, Gehen Kraft«118, ist auch die Maxime vieler Festdelegierter aus der französischen Provinz, die den Weg nach Paris und retour ganz zu Fuß zurücklegen – wie die bretonischen Föderierten, denen man in der Pariser Presse besonders applaudiert: »Die Bretonen, die schon immer ein gutes Beispiel gegeben haben, besiegten die Erschöpfung, so wie sie den Despotismus besiegt haben.«119 40
Staatsfeier, Volksfest
Die Revolution gibt der Gehpraxis nicht nur der Bürger, sondern auch der Bürgerinnen einen Schub. Im Oktober 1789 appelliert ein Schuh macher an die Herausgeber des »Journal des Luxus und der Moden«, sie sollten doch »die Damen (...) dahin bringen, mehr als jetzt zu Fuße zu gehen«, und ihnen »verkündigen, dass es in Paris und London von der Königin bis zum Fischweibe herab, jetzt neueste Mode sey, immer selbst zu Fuße zu gehen, und sich nicht mehr heben, tragen und fahren zu lassen, wenn man noch gehen kann«.120 Die Ermutigung und die Selbstermutigung der Frauen, sich längerer und beschwerlicher Fußmärschen fähig zu erweisen, führt auch zu einer Umstellung beim Schuhwerk. Ein warnendes Beispiel dafür, wie hinderlich niedliche Schühchen sein können, gibt der verregnete Tag der Föderation: Viele Zuschauerinnen haben im Matsch des gerade umgegrabenen Geländes ihre liebe Mühe, etliche müssen ihre stecken gebliebenen Schuhe zurücklassen.121 In den Folgejahren verstärkt sich der Trend zu bequemeren und zweckmäßigeren Frauenschuhen. In Paris ist er eng mit der republikanischen Frauenbewegung verknüpft. Diese will Gleichberechtigung auch beim Gehen und Marschieren (Frauen seien schließlich keine »Haustiere«122) und zieht sich entsprechend an. Im September 1792 berichtet das »Journal des Luxus und der Moden«, dass die Pariser Frauen androgyne Züge annähmen: Sie ritten, föchten, gingen viel zu Fuß und trügen vielfach »vollkommene Männerschuhe«.123 Gemäßigt und abgewandelt geht diese Emanzipation – wörtlich: das Verlassen der Herrenhand – durch Europa, bis die Restaurationsperiode sie für Jahrzehnte unterbricht. Beinahe gleich
Traditionelle Feste feierten immer auch die soziale Distinktion. Das Fest auf dem Marsfeld will die neue Gleichheit feiern. Schon bei der Entscheidung über seinen architektonischen Rahmen soll es keine Privilegien geben: Das Organisationskomitee ruft alle Pariser Künstler auf, sich mit Vorschlägen zu beteiligen.124 Es gibt keinen leitenden Architekten, sondern man verbindet die Einreichungen zu einem »Gemeinschaftsplan«.125 Die einzige Vorgabe für die Ästhetik ist, und dies nicht nur aus Kostengründen, der Verzicht auf Prunk: Was dem Fest am besten anstehe, sei ein »Ton der Simplizität«.126 Altar und Triumphbogen, sonst Schauplätze von Herrschaft und Unterwerfung, sollen eine neue Botschaft verkünden. Eine der Inschriften lautet: »Alle 41
Das Urfest der Fraternité
Sterblichen sind gleich; nicht die Geburt, sondern allein die Tugend macht einen Unterschied zwischen ihnen.«127 Und die neue Ordnung ist nicht nur an die Wand gemalt. Sie drückt sich auch in der Choreographie des Festes aus. Gewiss, der König wird immer noch herausragend platziert, aber er muss sich dieses Vorrecht nun mit dem Präsidenten der Nationalversammlung teilen. Beide sitzen, wie es nach langwierigen Verhandlungen schließlich beschlossen wird, auf gleicher Höhe und auf zwei gleichen Stühlen nebeneinander.128 Am Lehnstuhl des Königs ist die Krone abgetrennt und eine Freiheitsmütze eingestickt.129 Die Kleidung von König und Königin weicht ebenfalls signifikant von der höfischen Fest etikette ab – man muss deren damals überragende, magische Bedeutung kennen, um dies angemessen würdigen zu können. Ludwig XVI. tritt ohne Königsmantel auf, Marie Antoinette hat auf Diamanten verzichtet und trägt einen Hut mit Federn in den drei Nationalfarben.130 Sie ist ebenso in Weiß gekleidet wie die Bürgerinnen, die auf den Zuschauertribünen Platz genommen haben. Und dies, wie Augenzeugen immer wieder hervorheben, nicht in getrennten Abteilungen, sondern neben den Männern, die ihrerseits nicht mehr ständisch geordnet sind: »Personen, von jedem Range, Alter und Geschlecht, saßen vermischt, unter und neben einander«, berichtet Girtanner. »Es fand hier kein Unterschied statt. Man wollte das Fest der völligen Gleichheit aller Stände und aller Menschen feiern; und da konnte es keine Ehrenplätze geben.«131 Staunend schildert er die Szene nach dem Eid des Königs auf die Verfassung, in der sich dieses Nebeneinander zu einem Ineinander steigert: »Nun ward jeder von Freude begeistert und außer sich. Jeder umarmte, auf beyden Seiten, diejenigen, welche zunächst neben ihm saßen, ohne Rücksicht auf Rang, Alter und Geschlecht. Alle nannten sich Brüder, Schwestern, Freunde. Jeder versprach seinem unbekannten Nachbarn brüderliche Liebe und Treue.«132 Fast besser noch als die vielen enthusiasmierten belegen die seltenen indignierten Zeugen, dass hier wirklich etwas Besonderes geschieht. Ein Zuschauer aus Genf, aber offensichtlich kein Rousseauist, nennt im »Mercure de Paris« die Ständemischung auf dem Marsfeld, bei der »die Dame neben der Kurtisane« gesessen habe, eine »Karnevalsszene«. Die »Chronique de Paris« ist empört und dreht den Spieß um: Diese Beschreibung sei »eine unverschämte und groteske Travestie eines der schönsten und interessantesten Schauspiele, die je der Patriotismus einer Nation geboten habe (…).«133 Bei genauerem Hinsehen sind die sozialen Schranken freilich nicht 42
Staatsfeier, Volksfest
gänzlich nivelliert. In der großen gedeckten Galerie, welche für die königliche Familie und ihre Entourage reserviert war, werden auch zwei Reihen für Diplomaten und für Parlamentarier freigehalten. Das wird von der öffentlichen Meinung gutwillig hingenommen. Ärger aber gibt es, als man die in der bürgerlichen Demokratie notorische Erfahrung machen muss, dass gleiche Zutrittsrechte das Privileg kurzer Wege nicht aushebeln: Präsidenten und Kommissare der Pariser Distrikte, so kritisiert die »Chronique de Paris«, hätten Logenbillette an Freunde und Nachbarn weitergegeben.134 Während des Fests zeigt sich dann allerdings, dass die Gewährung solcher Vorrechte nicht unbedingt deren Durchsetzbarkeit bedeutet. »Aus dem Korridor hinter den Galerien«, berichtet der bei den Diplomaten sitzende d’Escherny, »waren verschiedene Arbeitsleute geblieben, die dieselben aufgebaut hatten, nebst andern Gesellen, ihren guten Freunden. Einige hatten Fernröhre, die sie aus einander zogen und in die Galerie zwischen unsre Köpfe durch steckten und sie beinahe ohne alle Umstände auf unsre Schultern legten. Man konnte sich nicht umdrehen ohne an einen Tubus zu stoßen. Verrückte man beim Aufstehn ihre Richtung oder verdeckte dieß Glas, so riefen sie: Nieder, m(eine) H(erren), nieder, wir können sonst nicht sehn. Sie zupften uns vertraut am Kleide um uns zum Sitzen zu bringen. Einige Leute drehten sich um, wollten verdrüßlich seyn und ihnen Stillschweigen gebieten, aber sie antworteten lachend: ›Meine Herren, bedenken Sie doch, wir sind ja alle Brüder, und wir haben das Recht so gut zu sehn wie Sie, weil wir alle an Rechten gleiche Menschen sind.‹ Konnte man unwillig werden? Die Galerie fing auch an zu lachen.«135 Und als mitten in der Zeremonie erneut ein Wolkenbruch loslegt, flüchten sich um ihre Hüte und Frisuren fürchtende Frauen von den nicht überdachten Tribünen zur Galerie. Auch Nationalgardisten aus der Mitte der Arena drängen hinzu: »Jetzt waren wir von allen Seiten durch die Menge gedrückt und von dem Wasser, das von den Stürmenden abtropfte, ganz durchnäßt«, schreibt, nun doch etwas konsterniert, d’Escherny. »Die Ambassadeure und fremden Minister mit ihren Frauen, die in dieser Galerie waren, behielten nur mit Mühe ihren Platz, und mehrere verließen ihn und gingen weg. Die federale Trunkenheit, der unaufhörlich in aller Munde wiederholte Name Bruder machten, daß man diese Heftigkeit bloß für eine natürliche Folge der Freiheit und Gleichheit hielt. Eine für den Hof bestimmte Loge! Eine Loge für die Ambassadeure vom Publiko eingenommen ohne das geringste Murren zu erregen! Wer hätte das vor zwei Jahren geglaubt?«136 43
Das Urfest der Fraternité
Technical lag
Die kleinen Unbotmäßigkeiten auf den Rängen ändern freilich nichts daran, dass dem Volk bei der Marsfeldfeier nur eine Zuschauerrolle zugedacht ist. In diesem zentralen Punkt hat es mehr von höfischer Tradition als von Demokratie. Ganz am Anfang der Festplanung hat der Veranstalter, die Stadt Paris, noch ein allgemeines Bürgerfest in Erwägung gezogen; nun aber sind, neben politischen und kirchlichen Repräsentanten, nur zwei große Akteursgruppen, nämlich Delegierte der Nationalgarden und der Linien truppen, vorgesehen. Und auch hier sieht man bei der Auswahl genau hin: Die Teilnehmer aus der Miliz werden in einem zweistufigen Wahlverfahren bestimmt, und von den Liniensoldaten sind nur die dienstältesten zugelassen.137 Im akribisch geordneten Festzug138 vom Boulevard du Temple zum Marsfeldstadion bilden die Zivilisten – Abgeordnete, Beamte, Wahlmänner – nur kurze Unterbrechungen der langen Marschreihen der Milizen und Militärs. Auch bei der Stadionfeier selbst sind die 300.000 bis 400.000 Normalbürgerinnen und -bürger lediglich eine – wenn auch höchst eindrucksvolle – Kulisse, und ihr Enthusiasmus wird durch die lang gedehnte und immer wieder von Regengüssen begleitete Veranstaltung strapaziert. Immerhin wird der viele Stunden dauernde Einzug der Föderierten und Soldaten in die Arena durch eine spontane Einlage verkürzt: Tausende von Nationalgardisten verlassen ihre Formation, fassen sich an den Händen und tanzen unter dem Beifall des Publikums eine große Farandole. »Unterdeß daß sich alles zur Zeremonie anschickte«, schreibt d’Escherny, »waren alle Soldaten von den äußersten Enden Frankreichs herbei gekommen, näherten sich unbekannt einer dem andern, mischten sich unter einander und lernten sich kennen. Brüderlich schlangen sie Arm in Arm, tanzten und überließen sich der Freude, sich beieinander zu finden.«139 Die Dankbarkeit, mit der das Publikum diese volkstümliche Einlage registriert, folgt aus der Langeweile, welche sich auf den Rängen auszubreiten droht. Es fehlen einfach die technischen Mittel, um die Hunderttausenden auch nur optisch und akustisch in das Zeremoniell einzubeziehen. Und was wohl die größte Leerstelle ist: Es gibt noch nicht die Nationalhymne, die – wie seit 1792 die Marseillaise – von allen gemeinsam gesungen werden kann. Positiv gesehen: Es gibt keine autoritäre Massenregie, die das Volk zum Ornament formt, negativ: Aus den Zuschauern wird kein kollektiver Akteur.
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Staatsfeier, Volksfest
D’Escherny bringt diese auch von anderen Zeitgenossen geteilte ambivalente Erfahrung der ersten großen Revolutionsfeier wie kein anderer auf den Punkt, wenn er seinen bis dahin begeisterten Festbericht in eine plötzliche Peripetie lenkt: »Schriebe ich fürs Publikum, so würde ich hierbei stehen bleiben. (...) allein, wenn ich dem Plane, den ich mir gemacht, Ihnen die Geschichte meiner Empfindungen mitzutheilen, getreu bleiben will, so sehe ich mich gezwungen, den Glanz dieser prächtigen Szene ein wenig zu verdunkeln. (...) Dieß Fest war in seiner Absicht und in seiner Wirklichkeit selbst weit über alles erhaben, was ich Ihnen davon habe beschreiben können: aber in seiner Beziehung auf mich habe ich mehr das gemalt, was seyn sollte als was es gewesen ist; und meine Einbildungskraft, durch die Größe und Wichtigkeit der Dinge erhöht, hat alles zu dem Interesse hergegeben. Ich habe nichts deutlich gesehen und gehört, als was sich um mich herum in einer der bedeckten Galerien zutrug, worinn ich war. Die Gegenstände des Zirkus waren zu entfernt und zu zahlreich. (...) Wir waren für dieß Gemälde zu klein, oder dieß Gemälde für uns zu groß. Dieß war ein zu ausgedehntes Feld für Menschen von fünf bis sechs Fuß. Es war überhaupt kein Verhältniß zwischen dem Schauspiele und den Zuschauern.«140 In der Tat: Die Teilhabe der Massen wird am 14. Juli nicht nur durch politischen Unwillen, sondern auch durch technisches Unvermögen gebremst. Auf der Suche nach einer Problemlösung fragt d’Escherny zeittypisch: Wie machten es die Alten, die antiken Republiken? Er antwortet: »Sie verbanden Mittel aus der Mechanik und der Musik miteinander (...). Sie hatten Mittel erfunden auf ihren großen Theatern den Körper zu vergrößern, und die Stimme durch tönende Masken zu verstärken, und Sprachröhre sicherten in der Loge die Worte ihrer Redner und verbreiteten sie sehr weit.«141 Ein Rückgriff auf die Antike, der wie ein Vorgriff auf Lautsprecher und Filmprojektion erscheint. Urbilder, modern
Am Abend geht Paris von der feierlich beschworenen wieder zu der fröhlich praktizierten und nicht Berufene und Hinzugerufene trennenden Fraternität über, die bei den Marsfeldarbeiten geherrscht hat. Der nach den Stadionstrapazen offenbar reanimierte d’Escherny ist Augenzeuge des nächtlichen Festes auf den Champs Elysées, damals noch ein gemeinhin von besseren Kreisen genutzter Park: »Die elysäischen Felder von Paris schienen ein bezauberter 45
Das Urfest der Fraternité
Wald zu seyn; oder ihrer ersten Benennung wieder gegeben, erinnerten sie wirklich an diesen alten Aufenthalt der Seligen. Erfrischungen, Orchester, körperliche Spiele waren über dieses weite Terrain verbreitet. Die patriotische Armee der Hauptstadt und der Provinzen unter das Volk und die Einwohner von Paris, beiderlei Geschlechts, unter einander gemischt, tanzten die ganze Nacht daselbst (...). Es ist merkwürdig, dass man dieses Volksfest, das man mitten in dem Brennpunkte / des Hasses und der Meuterei anstellte, ohne Unordnung, ohne Verwirrung, ohne Zank und Schändlichkeiten vorüber ging, ob es gleich nicht durch eine bewaffnete Wache oder durch Reuter Marechaussee [berittene Polizei, B. J. W.] beschützt wurde.«142 Auch Girtanner ist von der Friedlichkeit der Szene hingerissen: »An einigen Stellen«, so berichtet er, »sah man tanzende Gruppen; an andern Stellen hatten sich große Haufen auf das Gras gelagert, welche, friedlich und freundschaftlich, die mitgebrachten Speisen und das Getränke unter sich theilten, und die Vorübergehenden zu dem ländlichen Schmause einluden. (...) (Hier) theilte Jeder seinen Vorrath mit demjenigen, welcher zunächst neben ihm saß. Wer da hatte, der gab demjenigen, der da nicht hatte. (...) In einiger Entfernung schliefen Männer, Weiber, Mädchen, Kinder, welche sich müde getanzt und gesprungen hatten, ruhig unter und neben einander.«143 18 Jahre später schreibt Kleist die berühmte »Talszene« seiner Novelle »Das Erdbeben in Chili«: Nach dem verheerenden Erdbeben – vielleicht, ja wahrscheinlich eine Metapher für die Französische Revolution – finden die aus der Stadt Geflohenen im Freien zusammen: »Auf den Feldern, so weit das Auge reichte, sah man Menschen von allen Ständen durcheinander liegen. Fürsten und Bettler, Matronen und Bäuerinnen, Staatsbeamte und Tagelöhner, Klosterherren und Klosterfrauen: einander bemitleiden, sich wechselseitig Hülfe reichen, von dem, was sie zur Erhaltung ihres Lebens gerettet haben mochten, freudig mitteilen, als ob das allgemeine Unglück alles, was ihm entronnen war, zu einer Familie gemacht hätte.«144 Für Literaturhistoriker, denen der geistesgeschichtliche Rock näher ist als das realgeschichtliche Hemd, ist das nur eine Fantasie in der Nachfolge Rousseaus145. Es ist aber auch die Reprise eines realgeschichtlichen Augenblicks. Ebenfalls friedlich, aber zugleich kämpferisch geht es am Ende der Pariser Festwoche an der Stelle zu, wo ein Jahr zuvor noch die Bastille gestanden hat. Der Maurermeister und Bauunternehmer Pierre-François Palloy, der – zunächst eigenmächtig – den Abriss der Festung durchgeführt hat und mit Tausenden von Trümmerstücken ein europaweites Versandgeschäft betreibt, 46
Das Werben um die Gegner
lässt auf ihren Fundamenten einen Tanzplatz erbauen, mit neugepflanzten Baumalleen an der Seite und einer Holzpyramide in der Mitte, auf der eine Jakobinermütze thront. Auch hierbei sind, wie auf dem Marsfeld, Freiwillige tätig.146 Die Pariser Behörden behindern zeitweise die Vorbereitungen, da ihnen diese patriotische Initiative von unten nicht ganz geheuer ist, und in der Tat ist das Volksfest an der Bastille revolutionärer als die Marsfeldfeier. Zwar wird hier, vor allem, getanzt und auch getafelt, daneben aber werden politische Couplets zum Besten gegeben und patriotische Umzüge veranstaltet – ein Triumphzug, flankiert von Nationalgardisten, trägt eine Büste von Rousseau zum Bastilleplatz, während ein »Trauerzug der Aristokratie« fünf abgeschlagene Köpfe mit sich führt.147 Das ausgelassene Tanzen auf den Ruinen der Bastille wird zu einer Ikone des Föderationsfests. Ernst Bloch schreibt im »Prinzip Hoffnung«, nicht alle Archetypen des Utopischen seien archaischen Ursprungs: »(M)anche tauchten ab origine erst im Verlauf der Geschichte auf, so der Tanz auf den Trümmern der Bastille – ein neu ergreifendes Urbild, von den archaischen Reigen der Seligen durch ganz neue Inhalte abgetrennt.«148
Das Werben um die Gegner Auftritt als Bürgerkönig
Am 8. Juli erscheint auch Ludwig XVI. auf dem Marsfeld. »Ihm wurde sehr applaudiert«, berichtet der ebenfalls anwesende spanische Botschafter Fernán-Nuñez.149 Die »Chronique de Paris« schreibt: »Der König ist gekommen, um sich an diesem neuen Schauspiel zu ergötzen. Sogleich hatte er Schaufel und Hacke auf der Schulter, die Bürger haben eine Ehrengarde um ihn herum gebildet; er hat einige Schubkarren geschoben, er hat sich vor einen Wagen gespannt, und er hat alle arbeitenden Gruppen besucht.«150 Ob er tatsächlich selbst mit Hand angelegt hat, ist heute umstritten.151 Der Besuch der Schanzarbeiten ist nicht der einzige Auftritt, den Ludwig XVI. als »Erster Föderierter« vor einem dankbaren Publikum absolviert. Am Vorabend der Eidesfeier findet eine Revue der Bürgersoldaten vor den Tuilerien statt, wo der König seit dem Oktobersturm auf das Versailler Schloss residiert, und er hält eine umjubelte Ansprache: »Sagt Euren Mitbürgern (...): ihr König sei ihr Vater, ihr Bruder, ihr Freund; er könne nicht anders glücklich seyn, als wenn sie glücklich seyen; nicht anders groß, als durch 47
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lässt auf ihren Fundamenten einen Tanzplatz erbauen, mit neugepflanzten Baumalleen an der Seite und einer Holzpyramide in der Mitte, auf der eine Jakobinermütze thront. Auch hierbei sind, wie auf dem Marsfeld, Freiwillige tätig.146 Die Pariser Behörden behindern zeitweise die Vorbereitungen, da ihnen diese patriotische Initiative von unten nicht ganz geheuer ist, und in der Tat ist das Volksfest an der Bastille revolutionärer als die Marsfeldfeier. Zwar wird hier, vor allem, getanzt und auch getafelt, daneben aber werden politische Couplets zum Besten gegeben und patriotische Umzüge veranstaltet – ein Triumphzug, flankiert von Nationalgardisten, trägt eine Büste von Rousseau zum Bastilleplatz, während ein »Trauerzug der Aristokratie« fünf abgeschlagene Köpfe mit sich führt.147 Das ausgelassene Tanzen auf den Ruinen der Bastille wird zu einer Ikone des Föderationsfests. Ernst Bloch schreibt im »Prinzip Hoffnung«, nicht alle Archetypen des Utopischen seien archaischen Ursprungs: »(M)anche tauchten ab origine erst im Verlauf der Geschichte auf, so der Tanz auf den Trümmern der Bastille – ein neu ergreifendes Urbild, von den archaischen Reigen der Seligen durch ganz neue Inhalte abgetrennt.«148
Das Werben um die Gegner Auftritt als Bürgerkönig
Am 8. Juli erscheint auch Ludwig XVI. auf dem Marsfeld. »Ihm wurde sehr applaudiert«, berichtet der ebenfalls anwesende spanische Botschafter Fernán-Nuñez.149 Die »Chronique de Paris« schreibt: »Der König ist gekommen, um sich an diesem neuen Schauspiel zu ergötzen. Sogleich hatte er Schaufel und Hacke auf der Schulter, die Bürger haben eine Ehrengarde um ihn herum gebildet; er hat einige Schubkarren geschoben, er hat sich vor einen Wagen gespannt, und er hat alle arbeitenden Gruppen besucht.«150 Ob er tatsächlich selbst mit Hand angelegt hat, ist heute umstritten.151 Der Besuch der Schanzarbeiten ist nicht der einzige Auftritt, den Ludwig XVI. als »Erster Föderierter« vor einem dankbaren Publikum absolviert. Am Vorabend der Eidesfeier findet eine Revue der Bürgersoldaten vor den Tuilerien statt, wo der König seit dem Oktobersturm auf das Versailler Schloss residiert, und er hält eine umjubelte Ansprache: »Sagt Euren Mitbürgern (...): ihr König sei ihr Vater, ihr Bruder, ihr Freund; er könne nicht anders glücklich seyn, als wenn sie glücklich seyen; nicht anders groß, als durch 47
Das Urfest der Fraternité
Abb. 4: Der König besucht die Marsfeldarbeiten (anonymer Stich). Ob er tatsächlich mit anpackte, wie die Presse damals berichtete, ist umstritten.
ihren Ruhm; nicht anders mächtig, als durch ihre Freiheit; nicht anders reich, als durch ihren Wohlstand; und nur betrübt wegen der Uebel die sie drücken.«152 Bei der Marsfeldfeier selbst ist der Eid des Königs auf die Verfassung der Höhepunkt der Veranstaltung. Und als Marie Antoinette danach den Dauphin, den man als kleinen Nationalgardisten angezogen hat,153 in die 48
Das Werben um die Gegner
Höhe hält und ruft: »Hier mein Sohn; er vereint sich, ebenso wie ich, in denselben Empfindungen!«154, folgen minutenlange Freudenschreie: »Vive le roi, vive la reine, vive Monsieur le dauphin!«155 Auch die Abschlusszeremonie der Föderationswoche am 19. Juli sieht den König in einer Hauptrolle: Die Delegierten der Nationalgarde und der Armee paradieren am Étoile an ihm vorbei, er reitet die Front ab und spricht mit allen Kommandeuren, die Königin folgt in der Kalesche, lässt sich die herausgestreckte Hand küssen, wiederum ist die Begeisterung groß.156 Der König, der seit seiner zwangsweisen Umsiedlung nach Paris auf große Feste und große Auftritte verzichtet hat, meint danach befriedigt, die Tage des Föderationsfests seien die seit Langem glücklichsten für ihn gewesen.157 Und die Duchesse de Tourzel wird über die Abschiedsparade später schreiben: »Das war der letzte schöne Tag der Königin«.158 Ist Ludwig XVI. nun wirklich ein Bürgerkönig geworden, der die kon stitutionelle Monarchie akzeptiert hat? Er ist es nicht. Unter Vertrauten und in seinem Briefverkehr mit dem österreichischen Kaiser, dem spanischen König und dem Papst betont er, dass ihm die Reformen zuwider seien, die in der Nationalversammlung beschlossen werden: die Erklärung der Menschenrechte, die Abschaffung des Adels, die Zivilverfassung des Klerus. Aber offenbar hofft er, das Blatt könne sich wieder wenden; er verweigert die Flucht, er gibt sich kompromissbereit. Im Februar 1790 hat er in der Nationalversammlung sogar eine von seinem Finanzminister Necker aufgesetzte Rede gehalten, in der er Verluste, aber auch Vorteile anführt, welche Adel und Geistlichkeit durch die neue Gesetzgebung erlitten haben, und die Überzeugung äußert, »dass alle Franzosen ohne Ausnahme den Vor theil der gänzlichen Abschaffung des Unterschieds der Stände anerkennen würden«.159 Er erklärt: »Also werde ich die konstitutionelle Freiheit, deren Grundsätze nach dem Wunsch der Allgemeinheit und mit meinem Einverständnis aufgestellt worden sind, verteidigen und aufrechterhalten.«160 Die Mehrheit der Nationalversammlung scheint ihm zu glauben.161 In der Pariser Bevölkerung beginnt sich das Ansehen des Königs ebenfalls zu erholen. In der Folgezeit zeigt er sich mit Marie Antoinette wieder des Öfteren in den Pariser Straßen, besucht Theateraufführungen162 und genießt die Hochrufe aus der Menge. Die Vertrauens-, ja Liebesbekundungen, die ihm in den Julitagen zuteilwerden, sind also nicht nur Ausdruck einer momentanen Stimmung und einer trügerisch-harmonistischen Festinszenierung.
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Altes oder neues Königshoch?
Aber sind sie wirklich nur eine Freudebekundung über einen beigelegten Streit, über die nun anscheinend vollzogene Versöhnung des neuen Souve räns mit dem alten? Manche patriotischen Beobachter haben da ihre Zweifel, sie sind von der Inbrunst, mit der auf dem Marsfeld und an den Tuilerien »Vive le roi« und »Vive la reine« gerufen wird, irritiert. Charles de Lameth, der die Szene am 13. Juli beobachtet hat, meint indigniert: »Unglückliche, ihr seid der Freiheit nicht würdig«. Und Mirabeau soll gesagt haben: »Was wollen Sie mit einer Nation machen, die nur schreien kann: Es lebe der König?«163 Der Republikaner Élisée Loustalot wundert sich in seinen «Révolutions de Paris«: Warum zieht es so viele Delegationen zu den Tuilerien und so wenige zu einem Besuch der Nationalversammlung? Warum, fragt er, rufen Nationalgardisten aus der Provinz immer nur »Vive le roi« und nicht auch »Vive la nation«? Hat man da am Ende statt guter Kompatrioten Royalisten eingeladen, die das Föderationsfest zu einer Heerschau konterrevolutionärer Kräfte umfunktionieren?164 Es stimmt: Die heftigen Bekundungen von Königstreue finden sich außer bei den Abordnungen der Linientruppen auch bei Nationalgardisten aus der Provinz. Und dort gibt es, wie erwähnt, eher konservativ-royalistisch dominierte Ortsverbände. Aber man darf das Ganze nicht nur politisch sehen. Hier wirkt alte Ehrfurcht, spielt alte Magie mit. Mona Ozouf sieht die Wanderung der Föderierten nach Paris als Pilgerreise zu einem heiligen Ort – geheiligt durch den Sturm auf die Bastille, aber auch durch die Präsenz des Königs. »Keiner der Föderierten«, schreibt sie, «hätte seine Reise für vollkommen gehalten, wenn er nicht die Bastille gesehen hätte. Aber die Tuilerien waren ein ebenso wichtiger Anziehungspunkt. In Paris, da war der König, der die Stadt heiligte.«165 Zahlreiche Zeugnisse belegen den Wunsch, zum ersten Mal im Leben den leibhaftigen Ludwig XVI. erblicken zu können, belegen die Ergriffenheit von Delegierten aus der Provinz, als sie ihn bei der Marsfeldfeier auf seinem Thron sitzen sehen,166 und ihre Begeisterung, wenn er sie sogar anspricht, sie seine treuen Söhne und sich ihren treuen Vater nennt, sie umarmt: »Der erstgeborene Monsieur Capet«, beschreibt Camille Desmoulins eine solche Szene, »schien einige Schritte auf seine Mitbürger zu machen zu wollen, die von weit hergekommen waren, um ihn zu sehen. (...) Er küsst den bretonischen Kommandanten, und zwar nicht flüchtig. sondern indem er seine Wange an die des Bretonen klebt.«167 Eine 50
Das Werben um die Gegner
Abb. 5: Bescheinigung für einen Nationalgardisten aus der Provinz, dass er sich als Ehrenwache für den König betätigt hat.
Berührung durch den französischen König ist mehr als eine Ehre: Jahrhundertelang galt sie als wundertätig. Bei seiner Weihe in Reims hatte auch Ludwig XVI. selbst das Heilritual praktiziert und 1400 Tuberkulosekranken die Hand aufgelegt, und dieses Zeremoniell immer wieder – wahrscheinlich bis 1789 – ausgeübt.168 Das muss mitgedacht werden, wenn Ozouf von den zum König pilgernden Nationalgardisten schreibt: »Sie wollten ihn sehen, vielleicht berühren können.«169 Aber nicht allein die traditionelle Strahlkraft des Königtums, die traditionelle Treue zum gesalbten Herrscher sind es, die das lauthalse »Vive le roi!« in den Föderationstagen hervorbringen. Seit dem Juli 1789 ist die alte Anhänglichkeit ans Königshaus mit neuen Inhalten gefüllt. Hat der König nicht die vom dritten Stand konstituierte Nationalversammlung anerkannt? Hat er nicht die Abschaffung der Adelsprivilegien geduldet? Ist es nicht sogar im Sinne des Königs, adlige Machenschaften gegen die neue Ordnung 51
Das Urfest der Fraternité
zu bekämpfen?170 Das Föderationslied, mit dem die jurassischen Nationalgardisten nach Paris ziehen, ist eine einzige Hymne auf Ludwig XVI., die allen Feinden »seiner bewunderten Person« den Kampf ansagt und ihn »Heinrichs würdigen Sohn« nennt. Würdig warum? »Er hat die Ketten zerbrochen / der schmachvollen Sklaverei«, »Er will für all seine Kinder / das allerhöchste Glück.«171 Der Marquis de Ferrières kolportiert einen Dialog zwischen dem König und Lutant de Thiévaut, der die Deputation der bretonischen Nationalgardisten anführt: Der Bretone, dem König sein Schwert überreichend: »Sire, ich übergebe Euch das reine und heilige Schwert der treuen Bretonen: Es möge sich allein durch das Blut Ihrer Feinde färben.« Der König: »Dies Schwert könnte in keinen besseren Händen sein als in den Händen meiner treuen Bretonen; ich habe niemals an eurer Liebe und Treue gezweifelt: seid gewiss, dass ich der Vater, der Bruder, der Freund aller Franzosen bin.« Der Bretone: »Sire, alle Franzosen, wenn ich nach unseren Gefühlen urteile, lieben Euch und werden Euch lieben, weil ihr ein Bürgerkönig (roi citoyen) seid.«172 De Ferrières spricht denn auch mit einigem Recht von einer Illusion all der Aristokraten, die angesichts der Sympathiebezeugungen von Föderierten für den König die Konterrevolution marschieren sehen. »Sie merkten nicht, dass diese schmeichelhaften Bekundungen dem König und nicht der alten Ordnung galten und dass alle Franzosen ihr Wunsch nach einem König mit dem Wunsch nach einer Verfassung verband.«173 Der ehrliche Meineid
In der Entourage Ludwigs XVI. rumort es nach der Marsfeldfeier: Man bekommt das frenetische »Vive le roi!« nicht aus dem Ohr. Und hat ständig die Nationalgardisten vor Augen, die vor den Tuilerien beglückt Wache schieben. Könnte sich der König nicht mit diesen offenbar königsbegeisterten jungen Leuten verbünden? Eine Reise in die konservativ dominierten Departements zur Mobilisierung der Anhänger des Ancien Régime wird erwogen. Aber diesen Schritt wagt Ludwig denn doch nicht. Zwei Jahre später, als er nach missglücktem Fluchtversuch als Gefangener von Varennes nach Paris gebracht wird, kommt man in der Kutsche anscheinend auf dieses 52
Das Werben um die Gegner
Zögern zurück. Die Schwester des Königs, die Prinzessin Elisabeth, spricht – so berichtet es die Duchesse de Tourzel – von einer verpassten Gelegenheit, und der Abgeordnete Antoine Barnave, der mit im Wagen sitzt, konzediert: »Wenn der König damals die Gelegenheit zu nutzen gewusst hätte, wären wir [die Revolutionäre, B. J. W. ] alle verloren gewesen.«174 Die Flucht nach Varennes ist das spektakuläre Ende einer erpressten Versöhnung. Nun vermehrt der Marsfeldeid, der ihm zunächst so viel Sympathie gebracht hat, die Enttäuschung über den angeblichen Bürgerkönig. »Weil Ludwig XVI. diesem ehrwürdigen Schwure ungetreu geworden ist«, schreibt Mercier, »den er Angesichts des Himmels, und vor einem edlen Volke abgelegt hat, kann er der Uebel halber nicht bedauert werden, so er auf sein Haupt, durch den verabscheuungswürdigsten der Meineide, herabgerufen hat.«175 Freilich, von einem Meineid zu sprechen ist nicht ganz berechtigt. Nicht nur, weil der Bruch mit dem Parlament an jenem 14. Juli 1790 noch keine beschlossene Sache ist, sondern auch, weil die Zeremonie selbst eine Reservatio mentalis offenbart: Ludwig XVI. tritt bei seinem Eid nicht – wie die anderen – an den Altar des Vaterlandes, sondern bleibt dabei im Schatten seiner Galerie. Das zeitigt auch sofort Wirkung: Nachdem die Beifallsstürme verklungen sind, wird Kritik laut. Am 15. Juli ist der Umstand, dass der König buchstäblich keinen Schritt auf sein Volk zugegangen ist, Pariser Tagesgespräch. Nicht nur die französische Presse berichtet darüber: »Die Franken«, heißt es in Christian Friedrich Daniel Schubarts »Chronik«, »grollen über ihren König und ersten Bürger, daß er am grosen Bundesfeste (...) nicht den Eid auf dem Vaterlandsaltare abgelegt hat.«176 Die Kluft zwischen Wort und Tat, die sich beim Föderationseid des Königs auftut, wird also von keiner ebensolchen Kluft zwischen Fest und Realität begleitet; sie findet vielmehr in der Inszenierung selbst ihren Ausdruck. Der »beau moment« – so nennen ihn die »Révolutions de Paris«177 – hat vielleicht getäuscht, aber er hat nicht gelogen. Adlige Überläufer
Als man am 14. Juli 1790 im Garten des Hamburger Kaufmanns Sieveking das französische Föderationsfest mitfeiert, ist auch Adolph Freiherr von Knigge dabei. Tags darauf schreibt er seiner Tochter: »Alles, was von rechtlichen, für die Freiheit warmen Leuten in Hamburg lebt, war zugegen, kein Edelmann, außer mir, dem Grafen Dohna und Ramdohr aus Celle – kein 53
Das Urfest der Fraternité
Fürstenknecht war dazu eingeladen. Alle Frauenzimmer waren weiß gekleidet und trugen weiße Strohhüte mit dem Nationalbande, wovon ich Dir hier eine Probe schicke – auch Schärpen und Ordensbänder davon. Die Damen gaben dann auch den Herren Stücke von diesem Bande. Als ich mein Stückchen erhielt, machte ich meinen Orden los und heftete statt dessen dies Band an, welches allgemeinen Beifall fand.«178 Beim zentralen Festakt in Paris sieht es ähnlich aus: Von der Aristokratie ist kaum jemand zugegen. In der offiziellen Zeremonie ist kein Platz für sie vorgesehen: weder im Festzug noch auf den Rängen. Und im Publikum ist sie ebenfalls schwach vertreten. Viele Adlige haben, wie berichtet, Paris schon Tage vorher ängstlich oder auch nur indigniert verlassen, die anderen sind zu Hause geblieben oder machen sich möglichst unsichtbar – abgesehen von einigen wenigen Mutigen, die sich während der Föderationswoche zum Zeichen der Trauer um vergangene Zeiten ganz in Schwarz kleiden.179 Selbst die Galerie des Königs ist nur zur Hälfte besetzt, viele Höflinge haben die Einladung ausgeschlagen. Aber es gibt auch die französischen von Knigges. Zwei Adlige, die sich auf die Seite des Bürgertums geschlagen haben, spielen auf dem Marsfeld die Hauptrollen: La Fayette, Kommandant der Pariser Nationalgarde, der als Erster den Eid auf Nation, Gesetz und König spricht, und Talleyrand, der als »Reformbischof« die Messe am Altar des Vaterlands zelebriert. Damit bietet die Föderationsfeier ein ziemlich realistisches Bild der politischen Sympathien des französischen Adels. In der Mehrheit lehnte er die neue Ordnung, ja sogar Kompromisse mit den Vertretern des dritten Standes ab; er ist nicht bereit, auf die ererbten Privilegien zugunsten der neuen, aus dem nach Reichtum abgestuften Wahlsystem erwachsenden Vorteile zu verzichten.180 Doch auch in der Noblesse findet man eine stattliche Minderheit von Patrioten. Schon im Juni 1789 kündigen 47 Abgeordnete, angeführt von Louis-Philippe II., Herzog von Orléans, ihrem Stand – dem zweiten Stand, hinter dem Klerus – die Gefolgschaft auf und treten dem dritten bei. Wie Orléans spielen zahlreiche andere liberale Aristokraten in den ersten Revolutionsjahren eine Führungsrolle.181 Von den 54 Präsidenten der Verfassungsgebenden Versammlung entstammen 33 dem Adel. In vielen politischen Clubs, in Paris wie in den Departements, sieht es ähnlich aus.182 Den Pariser Jakobinerclub zum Beispiel leiten neben bürgerlichen Politikern der Duc d’Aigullion, Alexandre de Beauharnais und Victor de Broglie.
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Was treibt diese Männer an? Warum verbrüdern sich Aristokraten mit den Feinden der Aristokratie? Denkbar ist: Altruismus. Man entscheidet sich gegen das Eigeninteresse, um anderen zu helfen. Eine Variante davon: Mutualismus. Man ahnt oder weiß, dass man auf die Hilfe der anderen angewiesen ist oder einmal angewiesen sein könnte. Oder aber: Vermittlung des Egoismus mit einem Ideal des Gemeinwohls. Möglich aber auch: ein Widerstreit zwischen mehreren Eigeninteressen, etwa Macht- und Gewinnstreben und dem Wunsch nach sozialer Anerkennung. Und dann noch die verschiedenen Spielarten von uneigentlichem Interessenverzicht: auf der einen Seite die Finte, bei der man einen taktischen Schritt zurückgeht, um bei besserer Gelegenheit zwei Schritte vorwärts zu machen (Modell »Münchner Abkommen«), auf der anderen Seite die nur durch moralischen oder sozialen Druck erreichte Zustimmung (Modell »Lysistrata«). All diese Varianten sind vor allem anhand eines besonders merkwürdigen Revolutionsereignisses diskutiert worden: der von François Noël Babeuf so genannten »glückseligen Sitzung«.183 Fürsten werden Bettlern Brüder
In der Abendsitzung der Nationalversammlung am 4. August 1789 erhebt sich der Vicomte de Noailles. Er spricht die Bauernaufstände an, die seit Juli durchs Land gehen. Mit Waffengewalt seien sie nicht zu beruhigen, sondern nur durch Beseitigung der Ungerechtigkeiten, die zu ihnen geführt hätten. Er schlägt vor, alle Lehns- und gutsherrschaftlichen Rechte für ablösbar zu erklären, und verzichtet für seine Person schon einmal auf diese Privilegien. Einer der reichsten Grundbesitzer Frankreichs, der Duc d’Aiguillon, von dem der Antrag eigentlich stammt, plädiert ebenso. Der Duc de Chatêlet schließt sich an. Es folgt, was der Politiktourist Joachim Heinrich Campe als »Wettstreit zwischen Großmuth und Großmuth, zwischen Patriotismus und Patriotismus«184 bezeichnet. Der Vicomte de Beauharnais beantragt, alle Bürger zu öffentlichen Ämtern zuzulassen; der Duc de La Rochefoucauld, die Dienstbarkeit im ganzen Königreich aufzuheben. Der Abgeordnete Cottin fordert das Ende der gutsherrlichen Gerichtsbarkeit. Der Duc de Castries, der Duc d’Aumont, der Comte d’Egmont und der Comte de Latour-Maubourg treten die Rechte ihrer Baronien ab. Der Comte d’Estourmel, der Comte d’Aoust und Alexandre de Lameth verzichten auf ihr Vorrecht, in die Stände von Artois einzutreten, das Gleiche erklären die 55
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Bischöfe von Autun und Auxerre für die Stände von Burgund.185 Bis zum Sitzungsschluss um zwei Uhr fallen auch die adligen Jagdrechte, der Kirchenzehnte und die Priestergebühren, die Sonderrechte von Städten und Provinzen.186 30 Anträge jagen einander in einem solchen Tempo, dass – wie Campe berichtet – die Protokollführer die Feder niederlegen und das Aufzeichnen auf den nächsten Morgen verlegen.187 Am 5. August wird den Einzelbeschlüssen der Satz vorangestellt: »Die Nationalversammlung zerstört vollständig das Feudalregime.«188 Als die Nachricht von der Nachtsitzung in Paris bekannt wird, kommt es auf den Straßen zu Verbrüderungsszenen – spontaner, als sie dann die Föderationstage liefern. »Das Palais royal«, erzählt Campe, »war gegen Abend mit unzählichen Menschen angefüllt, welche Kopf an Kopf in unübersehbaren, dicht in einander geschobenen Haufen standen, und die Luft mit brausendem Geräusch erfüllten; auf allen großen Straßen und öffentlichen Plätzen bildeten sich ähnliche Gruppen von exaltirten Menschen, welche einander Glück wünschten (...). Entzückte und liebevolle Brüderlichkeit – wenn es erlaubt ist für ein so neues Schauspiel ein neues Wort zu prägen – schien die einzige herrschende Empfindung durch die ganze unermeßliche Stadt zu seyn. Der Bürger fiel dem Soldaten des Vaterlandes, dieser jenem, wo sie sich begegneten, in die Arme, und theilten, an einander hangend, sich gegenseitig die Fülle ihrer neuen Glückseligkeit mit. Welch ein Schauspiel für den theilnehmenden Menschenfreund!«189 Rausch und Ratio
Von »einer Art edler Trunkenheit« spricht Mirabeau, von einer »neuen Pfingstnacht« Thomas Carlyle.190 »Die Nacht vom 4. August«, schreibt später der Mitakteur Alexandre de Lameth, »wird durch die freiwillige Entsagung auf Auszeichnungen und Vorrechte, welche die Nation in Kasten theilten, und beständige Reibungen zwischen den Bevorrechteten und denen, die es nicht waren, unterhielten, auf immer berühmt in der Geschichte bleiben.«191 In der Tat: Die plötzliche und einmütige Abschaffung jahrhundertealter Privilegien hat die Nachwelt immer wieder hingerissen, man hat sie als Ausdruck jener »unwiderstehlichen sympathetischen Gewalt« verstanden, die dem Rousseauisten Campe zufolge sogar den ärgsten Despoten dazu bringen kann, »auf seine unrechtmäßige willkürliche Herrschaft – denn wo gab es jemals eine rechtmäßige? – freiwillig Verzicht zu thun, um des gro56
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ßen Anblicks, den ein freigewordenes, und dadurch auch zugleich moralisch wiedergebohrnes, veredeltes und beglücktes Volk gewährt, noch einmal und zwar mit dem Zusatze von Vaterfreude zu genießen, den das Bewußtseyn, der Urheber davon zu seyn, notwendig mit sich führen müßte.«192 Andere sind da skeptischer. Allen voran Jean-Paul Marat, der im »Ami du peuple« spottet: »Wenn es Wohltätigkeit war, die jene Opfer diktierte, dann muss man zugestehen, dass es ziemlich lange gedauert hat, bis sie ihre Stimme erhob. Ach was! Erst im Lichtschein ihrer gebrandschatzten Schlösser finden sie die Seelengröße, auf das Vorrecht zu verzichten, die Männer in Fesseln zu halten, die ihre Freiheit mit der Waffe in der Hand wiedererlangt haben. Erst beim Anblick der Qualen, die die Erpresser, Leuteschinder und Trabanten des Despotismus trifft, finden sie endlich die Großzügigkeit, auf ihren Zehnten zu verzichten und von den Armen, die kaum etwas zum Leben haben, nichts weiter zu fordern.«193 Marat hat recht: Die ausgedehnten Bauernaufstände haben vielerorts Fakten geschaffen, die gewaltsam zu revidieren schwergefallen wäre. Der Marquis de Ferrières von der Gegenseite sieht es ähnlich, wenn er auf die »unglücklichen Umstände« hinweist, in denen sich der Adel damals befunden habe: »der allgemeine Aufstand, der sich überall gegen ihn erhoben hat, die Provinzen Franche-Comté, Dauphiné, Burgund, Elsaß, Normandie, Limousin von höchst gewaltsamen Erschütterungen heimgesucht und teilweise verwüstet; mehr als 150 angezündete Schlösser, wütend aufgespürte und verbrannte Herrschaftszeichen; die Unmöglichkeit, sich der Woge der Revolution entgegenzuwerfen, die schlimmen Folgen, die ein Widerstand, der obendrein nutzlos wäre, nach sich zöge«.194 Tatsächlich verlieren Adel und Klerus durch ihre »freiwilligen Opfer« weit weniger, als sie bei weiterem Zuwarten riskiert hätten. Und diese Opfer sind bei genauerem Hinsehen begrenzt: Die Frondienste wären nach der geplanten Verfassung, welche die persönliche Freiheit des Einzelnen verkündete, ohnehin abgeschafft worden; und bei allen anderen Feudalrechten, auch dem Kirchenzehnten, hat man nur die Möglichkeit einer Ablösung beschlossen – solange die Bauern das Geld dafür nicht aufbrachten, blieben sie weiter zinspflichtig.195 Zudem desavouiert die Art und Weise des Zustandekommens der Beschlüsse Campes Vorstellung vom edlen Vergessen aller Interessen. Es ist kein Adliger, der die Aufhebung der Jagdvorrechte vorschlägt, sondern der Bischof von Chartres; von den Adelsbänken ertönt Unmut, aber die ganze Geistlichkeit erhebt sich und unterstützt den Antrag. Dar57
Das Urfest der Fraternité
aufhin rächt sich der Duc de Châtelet mit dem Vorschlag, den aus Naturallieferungen bestehenden Zehnten für ablösbar zu erklären. Das trifft fast nur die Geistlichkeit, entlastet aber den Adel, der einen guten Teil des Kirchenzehnten aufbringt. Auch einige andere Anträge – gegen die Käuflichkeit von Ämtern zum Beispiel oder für eine bessere Sklavenbehandlung in den Kolonien – werden von Abgeordneten gestellt, die damit eher gewinnen als verlieren. Mitten in ihrer »edlen Trunkenheit« bleiben die Abgeordneten zurechnungs- und rechenfähig.196 Doch das heißt nicht, dass es in dieser Nacht gar keinen Taumel, keine philanthropischen Aufwallungen gegeben hat. Selbst der marxistische Revolutionshistoriker Walter Markov konzediert: »Man kann sich dabei gewiß des Eindrucks schwer erwehren, als hätten die Mimen so hinreißend über die Regie hinausgespielt, daß sie auf diesem Schleichweg bei der Überführung der feudalen in eine kapitalistisch orientierte Landwirtschaft am Ende selbst der Suggestivkraft ihrer Rollen erlagen.«197 Dafür sprechen die euphorische Stimmung, das Händeschütteln, die Umarmungen, die Freudentränen, von denen Campe aus dieser Nacht berichtet. Die Szene hatte wohl doch etwas von dem »glücklichen Augenblick«, den Elias Canetti den Einzelnen mitunter in der Menge erleben lässt – dem Augenblick, in dem alle zusammen sich gestatten, was sich jeder für sich normalerweise verbietet: die Gebote der Hierarchie, die Regeln der sozialen Distanz, die auch die Privilegierten zuweilen als einschnürend empfinden, einzuziehen und sich – sagen wir es ruhig so – als Mensch unter Menschen zu fühlen.198 Dass ein momentaner Überschwang brüderlicher Gefühle tatsächlich stattgefunden hat, belegt am besten der Puntila-Effekt am nächsten Morgen. Etliche Delegierte bereuen nun ihre nächtliche Nachgiebigkeit, vor allem trauern viele Geistliche ihrem Kirchenzehnten nach, und einige Adlige fechten nochmals um Alleinrechte bei der Jagd und Tierhaltung.199 Doch beides ist vergebens. Die Mehrheit will den Lorbeerkranz für den anscheinenden Sieg über sich selbst nicht wieder abnehmen. Entkettungsreaktion
Paris, 19. Juni 1790: Wieder eine Nachtsitzung der Nationalversammlung. Die Stadt erwartet das große Föderationsfest und Zehntausende Gäste aus ganz Frankreich. Der Abgeordnete Alexandre de Lameth fordert die Entfernung der vier mit Ketten gefesselten Figuren, die zu Füßen der Statue 58
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Ludwigs XIV. an der Place des Victoires angebracht sind. Sie repräsentieren Deutschland, Piemont, Spanien und Holland, gegen die der Sonnenkönig den für ihn erfolgreichen »Holländischen Krieg« geführt hat, der Frankreich die Franche-Comté, die Freigrafschaft Burgund, einbrachte. Fälschlich wird kolportiert, eine der Skulpturen stelle dieses hinzugewonnene Burgund dar.200 Die Versammlung stimmt dem Antrag zu: Diese Symbole der Knechtschaft widersprächen dem Geist der nationalen Verbrüderung; insbesondere seien sie eine Beleidigung der burgundischen Delegierten. Aber warum lediglich die steinernen Manifestationen von Herrschaft und Unterwerfung entfernen? Der Abgeordnete Lavie fordert – offenbar für alle überraschend –, man solle gleich alle Adelstitel abschaffen. Die Rechte tobt, aber die liberale Adelsfraktion übt sich wie am 4. August im Verzicht. Unter anderen sprechen der Vicomte de Noailles, der Marquis de La Fayette und der Duc de Montmorency für den Antrag.201 Beschlossen wird schließlich: Da der erbliche Adel in einem freien Staat nicht weiterleben könne, werden die Titel Duc, Comte, Marquis, Baron, Excellence, Grandeur, Abbés und andere abgeschafft. Auch Livreen und Wappen sollen aus der Öffentlichkeit verbannt werden.202 Jubel auf den Galerien, der sich danach auf den Straßen fortsetzt. Die Entscheidungen vom 19. Juni tragen dazu bei, dass das Föderationsfest von revolutionärer Siegesstimmung beherrscht wird. Aristokraten, die weiterhin in vollem Ornat auftreten, bekommen das zu spüren. Als der spanische und der neapolitanische Botschafter bei einer Nachtfahrt zwei Kolonnen von Arbeitern begegnen, die auf dem Marsfeld geschanzt haben, ruft man ihnen entgegen: »Nieder mit den Livreen! Nieder mit den Wappen! Die Aristokraten an die Laterne!«203 Zu körperlichen Übergriffen kommt es jedoch in der gesamten Festzeit offenbar nicht. In den Liedern, Sprüchen, Bildern dieser Tage ist der Adel, natürlich, nach wie vor der Feind,204 aber es überwiegt nicht der Aufruf zum Kampf, sondern der Spott über die angeblich schon Besiegten. Typisch dafür sind der schon erwähnte gefesselte Adlige, den die Kohlenbrenner auf ihrem Arbeitszug zum Marsfeld mit sich führen, und die Inschrift auf ihrer Fahne: »Der letzte Seufzer der Aristokraten«.205 Nicht nur Konservative, auch Revolutionsfreunde betrachten aber auch bloß symbolische Manifestationen gegen die Noblesse als nicht festtauglich. Angesagt sei vielmehr Großmut gegenüber den Besiegten. Camille Desmoulins »Révolutions de Paris« über die Marsfeldarbeiten: »Die Schaufeln vieler Bürger waren verziert mit drohenden Losungen gegen die Aristokraten. Brüder und Freunde! Zum Charakter eines freien Volkes gehört, dass 59
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Abb. 6: Das Reiterstandbild Ludwigs XIV. an der Place des Victoire. Gefesselt zu seinen Füßen von ihm besiegte Länder.
es die Hochmütigen in die Schranken weist und den Besiegten vergibt. Die Aristokraten sind es nicht mehr wert, dass ihr euch über sie empört. Dieser schöne Tag soll durch keinen Hass, keine Ausschreitung, keine Rache, weder politische noch private, getrübt werden: Genießt euer Glück und eure Feinde werden gestraft genug sein.«206 60
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Doch der Föderationsdiskurs kennt nicht nur den besiegten, er kennt auch den bekehrten Adligen. »Der Aristokrat sagt mea culpa«, heißt es, wie schon zitiert, in der gemäßigten Föderationsversion von »Ça ira«, in welcher der heute bekannteste Liedvers »Die Aristokraten an die Laterne« nicht vorkommt. In den Pariser Theatern findet man einen ähnlichen Optimismus. Am 12. Juli wird am Theater des Palais Royal die Komödie »La Fête de la liberté ou Le Diner des patriotes« uraufgeführt. Eine der Hauptfiguren ist ein Herzog, der Frankreich in der ersten Revolutionszeit verlassen hat, kurz vor dem Föderationsfest heimkehrt und sofort von der patriotischen Stimmung angesteckt wird. Er lässt sich eine Kokarde an den Hut heften und überrascht seine Tischgenossen mit dem Toast »Vive la liberté«! Einem Abbé ist das zuwider, aber schließlich wird er davon überzeugt, dass ein bürgerlicher besser als ein feudaler Klerus sei, und verzichtet auf sein Amt. Die Herzogin schimpft zwar darüber, dass Titel abgeschafft und Wappen verboten wurden, begleitet die anderen dann aber doch zum Marsfeld.207 Besonders erfolgreich ist ein anderes Föderationsdrama, das zur selben Zeit am angesehenen »Théâtre de Monsieur« gespielt wird: »La famille patriote ou la fédération«. Hier hat der Geistliche, ein Prior, schon zu Anfang auf alle Privilegien verzichtet und sich auf die Seite der Revolution geschlagen. Ein Adliger, Monsieur de Monticour, erklärt sich zunächst noch für die alten Hierarchien; aber nachdem ihm ein Diener das Föderationsfest geschildert hat, schließt auch er sich der neuen Ordnung an: »Ich habe auf immer meinen Vorurteilen abgeschworen ... Ich bin wieder Bürger geworden ... Hier diese schimärenhaften Titel – ich lege sie ab, ich opfere sie ... auf dem Altar des Vaterlands.«209 Beide Theaterstücke repräsentieren geradezu idealtypisch das Programm und die Hoffnung der Föderation: das nicht nach Herkunft und Partei fragende Angebot der Versöhnung, die allmähliche Überzeugung aller Franzosen von den Vorteilen des neuen Gesellschaftsvertrags. Diese Botschaft erhält noch eine besondere Bedeutung, wenn man die weitere Entwicklung ihrer Autoren kennt. »La Fête de la liberté« stammt von Charles Philippe Ronsin, der hernach einer der radikalsten Vertreter der revolutionären Terreur wurde. Er spielte eine führende Rolle bei der brutalen Niederschlagung der royalistischen Aufstände in der Vendée und der girondistischen Revolte in Lyon.210 »La famille patriote« schrieb Jean-Marie Collot d’Herbois. Er wurde 1793 Präsident des Konvents, wo er die Todesstrafe für Emigranten forderte; nach der Besetzung des aufständischen Lyon ließ er dort etwa 2000 Personen, darunter über 100 Priester und Nonnen, 61
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Abb. 7: In der Revolutionszeit keimt die Hoffnung, dass nicht nur die Räuber in der Menschenwelt friedfertig werden können.208 Bernardin de Saint-Pierre, 1791 zum Direktor des Jardin des Plante ernannt, nennt als Beispiel einen Löwen, der in Versailles einträchtig mit einem Hund zusammenlebt (Kupferstich von Edme Bovinet).
inrichten. Man nannte ihn »le mitrailleur«, den Kartätscher.211 Die beiden h hätten sich für ihr »Versöhnlertum« von 1790 eigentlich selbst hinrichten müssen. Wer es nie gekonnt
Die heftigste publizistische Kritik am Versöhnungsglauben kommt, wie schon gesagt, von Marat: Für ihn dient die ganze Föderation der Einschläferung, der Vernebelung der entscheidenden Frage: Wer wen? »O Franzosen, Franzosen, ihr eitlen und leichtfertigen Menschen, ihr ergebt euch dem Freudentaumel beim Anblick dieses eitlen Pomps, mit dem man euren Augen schmeichelt, ihr schlaft am Rand des Abgrunds ein, in den Armen eurer Feinde, aber dieser trügerische Pakt, der eure Freiheit sichern sollte, wird euch bald wieder unters Joch beugen und eure Ketten schmieden.« 212 Warnungen vor allzu viel Gutgläubigkeit, vor einem Wiedererwachen der aristokratischen Hydra gibt es aber auch bei den Feiernden. Selbst in der harmonieseligen Schlussszene der »Famille patriote«, in der ein Arbeiter, ein 62
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Unternehmer, ein Priester und ein Adliger einander und dem König Liebe und Treue schwören, ist eine mahnende Stimme eingebaut, die auf schwarze Schafe hinweist, welche der Revolution noch immer feindlich gesonnen seien.213 Und am 20. Juli bringt die »Chronique de Paris« so etwas wie eine Reportage über einige adlige Damen, die am Sonntag beim Abschlussfest der Föderation aus den Fenstern schauten. Eine von ihnen rief demnach: »Meine liebe Freundin, ich komme gerade aus der Nationalversammlung, ich würde gern dreißig dieser Banditen von der Linken eingesperrt in einem eisernen Käfig sehen, ohne Nahrung und gezwungen, sich gegenseitig zu zerfleischen.« Eine andere »bat sie, als sie auf einer Schachtel das Portrait von M. de La Fayette erblickte, darauf spucken zu dürfen«. Neuigkeiten von ihren Söhnen austauschend, äußerten die Damen die Hoffnung, »sie im Duell mit Patrioten zu sehen«. Dann, so heißt es, kamen sie auf die jüngsten Unruhen im katholisch-royalistisch regierten Montauban zu sprechen: »Als sie von den Massakern in Montauban [an patriotischen Protestanten, B. J. W.] erfuhren, konnten sie ihre Freude nicht verbergen.« Ganz offenbar, schließt die »Chronique«, hatten die Damen, »so sanft, so sensibel, so mitfühlend«, einen gemeinsamen heißen Wunsch: »den Bürgerkrieg«.214 Ob wahr, ob erfunden: Der Bericht ist ein Indiz mehr dafür, dass nicht nur die nationale Versöhnung begrenzt war, sondern auch die Illusion darüber. Segenswünsche
Vereint zeigen sich bei den Föderationsfeiern Revolution und Religion. Kirchenvertreter und Kirchenritus werden einbezogen, patriotische und christliche Symbolik verbinden und vermischen sich. Die Glocken läuten, im Festzug werden Kreuze und Kirchenfahnen mitgetragen,215 man tauft Kinder sowohl mit dem Kreuz wie mit der Kokarde,216 Priester beten oder predigen am Altar des Vaterlands,217 den Schluss bildet häufig das Te Deum. Beim Pariser Fest wird es gleich zweimal gesungen: am Vorabend bei einer Messe in Notre Dame, zu der sich zahlreiche politische Repräsentanten zusammen mit Nationalgardisten und Soldaten versammeln, und zum Abschluss der Feier auf dem Marsfeld. Und an dieser Messe am Altar des Vaterlands sind ja Hunderte von Geistlichen beteiligt. D’Escherny lobt sie in den höchsten Tönen: »Nicht wie ehemals wollten diese Priester als heilige Betrüger, von Herrschbegierde geleitet, auf dem Altare die Unterdrückung der Völker rechtfertigen, und die Tyrannei der Könige einsegnen, um daran Theil 63
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zu nehmen: nein, sie wollten den Vertrag, den die Nation mit ihrem Oberhaupte und beide mit der neuen Konstitution gemacht hatten, durch das himmlische Siegel bestätigen. Auf diesem Altare wollten, nach einem tausendjährigen Kriege zwischen der Vernunft und dem Aberglauben, Theologen mit der Philosophie sich verbrüdern, sich den von ihr diktirten Gesetzen unterwerfen, und das Organ zur Verkündigung der Freiheit werden, wovor sie bis auf diesen Augenblick nur zitterten.«218 Das dreimalige »Sie wollten«, wie bewusst auch immer gesetzt, passt auf die Situation: Es behauptet nicht, dass die Verbrüderung nunmehr vollzogen, wohl aber, dass sie von den Akteuren nicht nur gespielt, sondern gewünscht und erhofft wird. Und diese Hoffnung ist keineswegs aus der Luft gegriffen. Nicht nur Pfarrer aus der protestantischen Minderheit, auch viele katholische Priester und einige katholische Bischöfe verkünden zu dieser Zeit den Gleichklang christlicher und revolutionärer Prinzipien. Zu den Wortführern gehören hierbei der Bischof von Lyon, Lamourette, der die Idee einer »christlichen Demokratie« verficht,219 und der Abbé Claude Fauchet, Bischof von Paris. Fauchet, der auch bei der Beerdigung gefallener Bastillekämpfer predigt, und seine Bewegung der »Fauchetins« wenden sich gegen das Bündnis von Kirche und Aristokratie (Fauchet: »Es ist die Aristokratie, die Gottes Sohn getötet hat«220). Sie begrüßen die Abschaffung der kirchlichen Privilegien als Rückkehr zum Urchristentum. Der niedere Klerus hat es mit der Zustimmung zur Ablösbarkeit des Kirchenzehnten von August 1789 und der Nationalisierung der Kirchengüter, die im April 1790 beschlossen wird, noch wesentlich leichter: Er stellt sich durch die Umstellung auf ein staatliches Gehalt in der Regel besser als vorher.221 In den Wochen vor dem Föderationsfest verstärkt sich die Hoffnung, dass sich die Geistlichkeit mehr und mehr zur neuen Ordnung hinüberziehen lässt. Die Pariser Presse ist begeistert, dass sich – wie oben schon erwähnt – auch katholische Seminaristen, Priester, Äbte, Mönche und Nonnen an den Marsfeldarbeiten beteiligen. »Man sah Ritter vom Orden Saint-Louis, Priester, sogar Mönche, wie sie die Schubkarren schoben und die Rollwagen mit erstaunlicher Geschwindigkeit auf die künstlichen Hügel, die man errichtete, hochzogen«222, schreibt das »Journal de Paris«: »Wagen wurden gezogen von Priestern in Soutanen, andere von Mönchen«223, meldet die »Chronique de Paris«. »Sogar die Kartäuser haben ihre Zellen verlassen, um teilzunehmen.«224 Allerdings bekunden nicht nur konservative Zeugen, dass hierbei vielfach Druck ausgeübt wird. Man zieht vor die Klöster, fordert die Insassen 64
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zum Mitkommen auf und führt sie dann im geschlossenen Zug zum Marsfeld. Das bedeutet gleichwohl nicht, dass die Mönche und Nonnen diesen Aufforderungen allesamt nur ungern Folge leisten. Die britische Schriftstellerin Helen Maria Williams erzählt in einem ihrer Reisebriefe: »A young Abbé of my acquaintance told me, that the people beat a drum at the door of the convent where he lived, and obliged the Superior to let all the Monks come out, and work in the Champ de Mars. The Superior with great reluctance acquiesced. ›Quant à moi,‹ said the young Abbé, ›je ne demandois pas mieux.‹«225 («Was mich angeht, hätte ich mir nichts Besseres wünschen können.«) Zwang hinter scheinbarer Harmonie, Einverständnis hinter scheinbarem Zwang – eine unübersichtliche Gemengelage. Eine ganz ähnliche Verschränkung von Mit- und Gegeneinander zeigt eine ebenfalls bei Williams geschilderte Szene vom 14. Juli: »Several parties of the national guard came from the Champs Elysées, dancing along the walks of the Tuilleries with a woman between every two men; and all the priests whom they met in their way, they obliged to join in the dance, treating them as women, by placing them between two soldiers, and sometimes sportively dressing them in grenadiers caps.«226 Belästigung und Einladung, Verspottung und Verbrüderung – noch scheint nicht entschieden, wohin die Waage sich neigen wird. »Bringen Sie mich nicht zum Lachen!«
Eine fragile Kompromissbildung ist auch das Zeremoniell der Feier selbst. Manchen Revolutionären geht dessen Reverenz vor dem Katholizismus zu weit. Ein offener Brief an die »Chronique de Paris« protestiert dagegen, dass man am 14. Juli das Te Deum anstimmen wolle: Dies sei von Tyrannen und bei Verbrechen gesungen worden: »Ah! Das ist nicht die Hymne des 14. Juli!«227 Andere sind generell dagegen, einem Nationalfest einen christlichen Charakter zu geben: Die Feier der Freiheit und des Gesetzes solle nicht mit einem »appareil religieus«228 vermischt werden. Vor allem jedoch sind es konservative Katholiken, die sich über die Amalgamierung von Gottes- und Verfassungstreue ärgern. Mit betretenem Schweigen reagiert die Nationalversammlung, als der Bischof von Clermont mitten in die Föderationseuphorie hinein erklärt, er gebe ja seinen letzten Blutstropfen für die Verfassung, seinen Eid aber spare er für spirituelle Gegenstände auf.229 Ein Menetekel, das die Ablehnung der Messe auf dem Marsfeld durch viele Kleriker und Gläubige vorwegnimmt. Ein Altar, an dem nicht Gott, sondern das Vater65
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land verehrt wird! Priester, die zum weißen Chorherrenhemd einen Trikoloregürtel tragen! »Mit Pein«, schreibt die Duchesse de Tourzel, hätten »die wirklich Religiösen« einer Zeremonie beigewohnt, die für sie eine »Profanation der ehrwürdigsten Mysterien unserer Religion« darstellte.230 Wenn sie erst mitbekommen hätte, dass Talleyrand, als er mit Mitra und Krummstab zum Altar schritt, La Fayette zuflüsterte: »Bringen Sie mich nicht zum Lachen!«231 Vom teilbaren zum unteilbaren Konflikt
Die Marsfeldfeier ist auch eine Feier der Zivilkonstitution der Kirche. Die neue Kirchenverfassung ist zwei Tage vorher von der Nationalversammlung beschlossen worden. Ihre wesentlichen Inhalte: Auflösung von Klöstern und Orden, entschiedene Reduktion der Bischofssitze und der Pfarrgemeinden, Wahl der Bischöfe und der Pfarrer durch politische Gremien, Besoldung der Geistlichen durch den Staat – die Kirchengüter sind ja enteignet worden –, wobei die Bischöfe weniger, die Gemeindepfarrer, wie schon erwähnt, mehr als bisher verdienen.232 Die ablehnende Haltung der überstimmten geistlichen Abgeordneten hält an. Besonders lautstark rufen ins monarchische Ausland übersiedelte Bischöfe zum Widerstand auf. Gleichzeitig nimmt die kirchenfeindliche Stimmung in der französischen Öffentlichkeit zu. Alles wartet auf die Stimme des Papstes, den die Nationalversammlung um das Plazet zur neuen Kirchenverfassung gebeten hat. Ende November verlieren die Abgeordneten die Geduld und beschließen, allen Geistlichen den Eid auf die Nation, das Gesetz und den König abzuverlangen. Nur ganz wenige Bischöfe kommen der Aufforderung nach, bei den Pfarrern ist es etwa die Hälfte, und auch die tun es vielfach nur mit Vorbehalten.233 Als Pius VI. im März 1791 dann doch Stellung nimmt, die Zivilverfassung als ketzerisch ablehnt und den Priestern den Verfassungseid verbietet, wird – in der Terminologie der Konfliktforschung – aus einem teilbaren endgültig ein unteilbarer Konflikt. Es gibt nur noch ja, ja oder nein, nein. Viele der konstitutionellen Priester widerrufen nun. Nach Beginn des Krieges mit Österreich und Preußen betrachtet und behandelt der Konvent die Eidverweigerer als Helfershelfer des Gegners. Eine der brutalsten Priesterverfolgungen der europäischen Geschichte setzt ein. Drei Jahre nach dem auf dem Marsfeld zelebrierten Frieden zwischen Kirche und Revolution sind Hunderte, wenn nicht mehr Priester hingerichtet, viele Tausende verhaftet und Zigtausende emigriert. 66
»Der Tag war fruchtbar und schön«
»Der Tag war fruchtbar und schön« Die Integration der Armee
Misst man also die Föderationsfeste an dem Versuch, einen Modus Vivendi zwischen neuen und alten Mächten – König, Adel, Kirche – zu finden, so sind sie ephemer geblieben: ein zündender Beitrag vielleicht in einer marxistischen Lehrsammlung, welche das notwendige Scheitern einer »sentimentalen Ausgleichung der sich widersprechenden Klasseninteressen« belegen möchte,234 aber eine bloße Fußnote in der Geschichte der Französischen Revolution. Sie bestärken und beschleunigen jedoch eine andere, für deren Fortgang ungemein folgenreicheVerbrüderung: die zwischen den patriotischen Bürgern, den unbewaffneten wie den bewaffneten, des dritten Standes. Das meint Jean Jaurès, wenn er in seiner »Histoire socialiste de la Révolution française« über die Föderationsbewegten schreibt: »Sie betrügen sich nicht selbst, wie die sorgenvollen oder miesepimpelig-klarsichtigen Geister meinen, denn in diesen Ausbrüchen von Hoffnung und vielleicht unbesonnener Freude bestätigen sich angestaute Energien und erneuert sich der Mut.«235 Sein Resümee des 14. Juli 1790: »Der Tag war also fruchtbar und schön.«236 Anschauliche Belege für diese Fruchtbarkeit finden sich in den Berichten über die Rückkehr der Föderierten in ihre Heimatgemeinden. Sie führen Andenken aus Paris mit sich: Bilder des Königs und La Fayettes, ein Faksimile der Menschenrechtserklärung, dazu Medaillen, Diplome und nicht zuletzt das Banner der Föderation, das auf der Rückreise jeden Abend in das Zimmer des Ältesten gelegt wird: »Man sprach ihm Wunderkräfte zu. Angesichts dieses ›Zeichens des Bündnisses‹ hatte jede Rivalität zu verschwinden, ›jeder Gedanke, der nichts mit Glück zu tun hatte, zu vergehen‹.«237 Zu Hause angekommen, stellt man die Souvenirs in der Wohnung aus und paradiert damit auch durch die Straßen.238 Anlässe gibt es genug: den festlichen Empfang, den die Städte und Dörfer ihren Delegierten bereiten, oder die sich in den Wochen danach anschließenden patriotischen Versammlungen, bei denen immer wieder der Geist der Föderation beschworen wird. Und es bleibt nicht beim Feiern. Im bretonischen Quimperlé treffen die aus Paris heimkehrenden Delegierten am 8. August ein. »Das war eine Stunde lebhafter Erregung«, schreibt Armand DuChatellier in seiner Revolutionsgeschichte der Bretagne, »in der sich die Erinnerungen an das Marsfeld mischten mit den Hoffnungen, die man dort geschöpft hatte.«239 67
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Einige Balkone mit Wappen, die an Häusern von Adligen angebracht sind, rufen Unmut bei den Föderierten und ihren Begleitern hervor. Man ruft, die Nationalversammlung habe diese Insignien des Feudalismus verboten. Man dringt in mehrere Häuser ein, reißt Wappenverzierungen herunter und wirft wappengeschmückte Möbel aus den Fenstern. Danach geht’s zur Benediktinerabtei, wo ebenfalls die Wappen zerstört werden.240 Auch die Föderierten, die am 10. August in Quimperlé eintreffen, verlangen als Erstes, dass Adelssymbole an Balkonen und Haustüren entfernt werden. Nach wenigen Stunden erlässt der Bürgermeister eine entsprechende Verordnung.241 Das Pariserlebnis, so zeigt sich, befeuert die Revolution in der Provinz. Von Soldaten, die zum nationalen Föderationsfest abkommandiert worden sind, liest man ebenfalls, dass sie mit einem anderen Selbstbewusstsein an ihre Standorte zurückkehren. Die Offiziere registrieren eine Zunahme von Disziplinlosigkeit und beklagen den schlechten Einfluss, dem die Delegierten in Paris ausgesetzt gewesen seien – etwa beim Besuch politischer Clubs und dem engen Kontakt mit Nationalgardisten.242 In immer mehr Regimentern bilden sich nach der Rückkehr der Armeedelegierten aus Paris Soldatenkomitees, die dafür eintreten, dass besonders reaktionäre Offiziere abgesetzt und brutale Strafmethoden abgeschafft werden und die Vorgesetzten ihnen genaue Rechenschaft über Soldrechte und Soldzahlungen zu geben haben.243 Auch verzeichnen die Garnisonen nach der Nationalfeier eine Zunahme von Zwischenfällen wie die Entwendung der Regimentskasse, aber auch die Ermordung verhasster Vorgesetzter.244 Begonnen haben die Insubordinationen freilich schon vorher. Seit dem Frühjahr haben an den lokalen und regionalen Föderationsfeiern, die dem Pariser Treffen vorausgehen, immer häufiger Soldaten teilgenommen – mancherorts gegen den Willen ihrer Offiziere. Bekannt ist das schon erwähnte Beispiel von Nancy, wo es im April 1790 zu einer Meuterei kommt, weil den Soldaten dort das Tragen der Kokarde und die Teilnahme an der Föderationszeremonie zunächst verboten werden.245 Im Mai revoltieren auch in Tours fünf Kompanien vor der örtlichen Feier gegen ihre Vorgesetzten und leisten dann den Eid zusammen mit den Nationalgarden. Manchmal verbrüdern sich zudem Einheiten der Linientruppen untereinander, so zum Beispiel Infanterieregimenter der Beauce und der Normandie, welche gemeinsame Verteidigung des Vaterlands und Hass auf die Aristokratie schwören.246 »The most extensive attempt to politicize the army was the federation movement«, schreibt der britische Militärhistoriker Samuel F. Scott. «Arising sponta68
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neously in different areas of France, this series of celebrations aimed at the commemoration of national and revolutionary sentiments in an atmosphere of fraternity. A common element in these festivities was the exchange of promises of friendship between Royal Army and National Guard units in order to bind together soldier-citizens and citizen-soldiers. (...) These activities strengthened bonds between soldiers and some civilians, usually the most actively pro-revolutionary elements of the civil populace, but at the same time they tended to undermine the authority of officers over their men.«247 Freilich lässt sich die Bedeutung des Faktors Föderation nicht isoliert bestimmen. Hier wirken die Revolutionsereignisse insgesamt. So hat es gewiss zur Stärkung der patriotischen Gesinnung der Mannschaften beigetragen, dass die Nationalversammlung die Besoldung und die staatsbürgerlichen Rechte der unteren Ränge verbessert hat.248 Zudem sind die Soldaten keineswegs in ihren Kasernen eingesperrt und von den politischen Ereignissen abgeschnitten. Häufig gehen sie ihres geringen Soldes wegen auch einer zivilen Berufstätigkeit nach, und etwa ein Fünftel der Mannschaften pflegt von Herbst bis Frühjahr bei halben Bezügen Heimaturlaub zu machen.249 Die meisten von ihnen sind Söhne von Kleinbürgern, von Handwerkern und Ladenbesitzern,250 die als Aktivbürger in die politischen Umwälzungen seit Juli 1789 einbezogen sind. Viele erleben die lokalen Wahlkämpfe im Winter 1789/90, die Zurückdrängung der Adligen bei den Kommunalwahlen und die gleichzeitig durch Frankreich gehende Föderationsbewegung an ihren Wohnorten mit. Der seit Anfang 1790 zunehmende Ungehorsam gegen Offiziere, die ja in aller Regel Aristokraten und oft Verteidiger des Aristokratismus sind,251 wendet das draußen Gelernte nun auch hinter den Kasernenmauern an. Der 14. Juli, gefeiert in Paris wie in der Provinz, fügt dieser Gärung ein beschleunigendes Ferment hinzu. »Von diesem Tag an«, schreibt Jaurès, »war die Armee nicht mehr den gegenrevolutionären Kräften ausgeliefert. Ein neuer Geist begann unter der alten Hülle zu wirken.«252 »Die Geographie ist erloschen«
Die basalste und zugleich stärkste Wirkung der Föderationsfeiern aber ist ihr Einfluss auf die Nationbildung. Die Hochstimmung, die sich bei großen politischen Kundgebungen oft einstellt, ist ja nicht nur die Freude über eine unübersehbare Menge von Gleichgesinnten. Es ist auch die Entdeckung, dass viele unterschiedliche Gruppen und viele Menschen, die man noch nie 69
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gesehen hat, sich als gleich gesinnt offenbaren, dass sich – wie man so klischeehaft wie treffend zu sagen pflegt – »wildfremde Menschen um den Hals fallen«. Das gilt nicht nur für die Bewohner aus den verschiedensten Ständen und Wohngegenden von Paris, die sich bei der gemeinsamen Marsfeldarbeit näherkommen. In der Föderationswoche machen die Pariser zudem die Bekanntschaft von Zehntausenden Delegierten aus allen Ecken Frankreichs. Wer den Besuchern eine Unterkunft zu bieten hat, kann sich auf dem Rathaus einschreiben. Der Andrang dort ist groß. »Arm in Arm«, berichtet Girtanner, führt man später die Ankömmlinge zu den Wohnungen, wo sie freie Logis und meist auch freie Kost erwartet.253 Nicht jede Begegnung mit Fremden, so wissen wir, verbessert das Bild vom anderen. Aber hier sind die Bedingungen für den Abbau regionalistischer Vorurteile und sozialer Distanzen optimal – sie erfüllen ziemlich genau, was Gordon Allport als Bedingungen für einen positiven Effekt von Fremdbegegnungen postuliert: gleicher Status in der Kontaktsituation, gemeinsame Ziele, Kooperation und nicht Kompetition, die Unterstützung der Interaktion durch soziale Normen und Autoritäten. Dasselbe gilt für die Kontakte, welche sich bei den Reisen der Föderationsdelegierten nach und von Paris ergeben. Diese Reisen sind ja oft sehr weit und führen dann über viele Stationen. Ein großer Teil der Delegationen ist etwa einen Monat lang unterwegs.254 Die aus Burgund braucht für ihre Anreise vier bis fünf, die aus der Provence zwölf und die aus der Garonne fast 16 Tage.255 Die Rückreise dauert bei den Föderierten der l’Ain zehn Tage,256 bei denen aus Nantes zwei Wochen.257 Die Reisezeit resultiert dabei lediglich teilweise aus der Streckenlänge, sie hat auch mit den vielen Feiern und Festessen zu tun, welche am Wegesrand warten: »Jede Stadt bemühte sich, die Rückkehrer ein wenig länger zu halten als die vorige.«258 Und nicht nur der Verbrüderungszeremonien wegen erleben die patriotischen Pilger ihre Gastgeber als Landsleute. Sie reisen nun durch einen seit dem Sommer 1789 staatlich und wirtschaftlich vereinheitlichten Raum, durch ein Frankreich ohne die vielen feudalistischen Grenzziehungen und die ständigen Zollerhebungen, die bisher gegolten haben. Michelet, hyperbolisch: »Die Geographie ist erloschen.«259 Was bei den überregionalen Föderationen des Winters beschworen wurde: »Wir sind keine Dauphinés mehr, keine Pikarden, keine Bretonen, sondern Franzosen!«, das wird jetzt zur Erfahrung. Einer Sonntagserfahrung, gewiss, aber doch einer reelleren als bloße Sonntagsreden. 70
Melancholie
Melancholie Das Finale von Beethovens Neunter Symphonie ist keine Vertonung des Föderationsfestes. Doch formale Parallelen und inhaltliche Gemeinsamkeiten sind leicht konstruierbar oder, mutiger gesagt, entdeckbar. Da ist zunächst das Generalthema, die Feier der Fraternité, zu der sich Solisten und Chor vereinen. Da ist der Bruderkuss, der in Schiller‘schem und Cloots‘schem Überschwang der ganzen Welt offeriert wird. Und dann ist da der Kehlen und Ohren strapazierende Jubel, la joie, l’allegresse, in welche die nun Verbündeten ausbrechen. Beide Mal geht es nicht nur um die Verbrüderung von Gleichgesinnten, sondern auch um Versöhnung: Das dissonante Presto, das dem Freudenchor vorausgeht, bildet ja nicht – wie schwafelnde Konzertführer das sagen – irgendwelche »Gewalten der Finsternis« nach, sondern schwere Kämpfe, die der dazwischengehende Ausruf »Freunde, nicht diese Töne!« zu beenden mahnt. Vor allem aber zeichnet die Symphonie mehr als den guten Willen zur Brüderlichkeit ab, nämlich – in einem langsam anschwellenden Marsch – ein Zusammenströmen und Zusammengehen. »Man hört, wie die Menge, die Menschengemeinschaft wächst. Immer mehr kommen da zusammen, finden nach und nach zueinander; man erfährt, wie die Menge, die Menschengemeinschaft wächst; man erfährt, wie die Hunderte zu Tausenden, zu Zehntausenden werden, wie immer aufs neue alle, alle, alle gemeint sind, weil erst in der Vielzahl und der Vollzahl der Satz wirklich wahr und singbar wird: Alle Menschen werden Brüder.«260 Darin unterscheidet sich Beethovens nachrevolutionäre Symphonie von Schillers vorrevolutionärer Ode: Bei Schiller bietet ein freudetrunkenes »Wir« den Millionen Umarmung und Kuss an, bei Beethoven umarmen und küssen sich die Millionen untereinander. Das ist nicht die Beschwörung einer besseren Zukunft, das ist Wunscherfüllung. Und dieses Bild der Erfüllung führt geradewegs zu einem Phänomen, das sowohl die Beethoven‘sche Neunte wie das Föderationsfest hervorgerufen haben: Melancholie. »Der Neunten Symphonie muß man sich stellen«, schreibt Hans Mayer. »Da gibt es keine hübschen Melodien, sondern Kämpfe und Rückschläge, und dennoch gibt es auch den schönen Götterfunken. Bei jeder Aufführung der Neunten springt er von neuem über. Selbst wenn er traurig macht.«261 Diese Traurigkeit ist, als Mayer dies schreibt, sicher von der Erfahrung des Faschismus mitgeprägt – der Erfahrung, die den Komponisten Adrian 71
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Leverkühn in Thomas Manns »Doktor Faustus« auf den Gedanken bringt, die Neunte »zurückzunehmen«. Aber melancholische Wirkungen begleiten diese Symphonie von Anfang an. Der Musikwissenschaftler Andreas Eichhorn, der über ihre Rezeptionsgeschichte geschrieben hat, notiert die »hohe Zahl derjenigen Hörer«, die im Anschluss an die Neunte Symphonie »Wehmut artikulieren«.262 Er zitiert unter anderem einen 1866 verfassten Bericht über ein Düsseldorfer Musikfest: »(...) übermächtig ringt sich die Sehnsucht nach Freude hervor, und wie das Zauberwort erklingt, da braust und wogt der entfesselte Strom dahin, endlos, unaufhaltsam. – Und hat er [Beethoven, B. J. W.] die Freude gefunden? Ach nein! Das erfüllt uns mit so tiefer Wehmut, daß in allem Jubel und Jauchzen, in der erhabensten Verzückung, im ausgelassensten Taumel die wahre Freude doch nicht erklingt. Dem naht sie nicht mehr, der sie suchen muß.«263 Und das ist keine spezifisch deutsch-romantische Haltung. 1877 schreibt der Korrespondent von »Dwight’s Journal of Music« nach einer Aufführung der Neunten in Leipzig: »The lady who was with me at the Gewandhaus remarked that the symphony filled her with sadness. This I quite understand, and the feeling is one which to a great I share. I was even myself oppressed by a subtle sadness amidst the grandest bursts of gladness in the symphony.«264 Ganz ähnliche Reaktionen werden von den Föderationsfesten berichtet. Christoph Girtanner, entdeckt bei der auf dem Marsfeld versammelten Menge neben und in den freudigen auch traurige Gefühle: »Eine so große Menge von Menschen versammelt; alle von einer Empfindung belebt; alle dieselben Worte im Munde: dies ist ein Anblick, der so sehr mit demjenigen kontrastirt, was wir zu sehen und zu hören gewohnt sind, daß die Neuheit der Empfindung uns mit einem unwillkührlichen Schauder durchdringt, und unsre Seele in eine traurige, melancholische Stimmung versetzt, die wir sonst nur fühlen, wo wir eine Gefahr vermuthen, deren Größe uns unbekannt ist. Sichtbar waren alle Zuschauer in einer solchen Stimmung: und dieses gab dem Feste etwas Großes und Erhabenes. Die tiefste Stille folgte auf das tobendste Freudengeschrei.«265 Und Michelet schreibt, eine zeitgenössische Quelle referierend: »In irgendeinem Dorf hatten sich die Männer allein in einem großen Gebäude versammelt, um gemeinschaftlich eine Adresse an die Nationalversammlung zu richten. Die Frauen kommen und hören zu, sie treten mit Tränen in den Augen ein, sie wollen auch dabei sein. Da liest man ihnen die Adresse vor, sie schließen sich ihr mit vollem Herzen an. Dieses feste Band zwischen Familie und Vaterland ging mit einer nie gekann72
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ten Empfindung durch alle Seelen. So wurde unvermutet ein Fest daraus und war nur umso rührender. Es war kurz, wie all unser Glück, es dauerte nur einen Tag. Der Bericht endet mit einem naiven Wort der Melancholie und der Selbstbesinnung: ›So verging der schönste Augenblick unseres Lebens.‹«266 Melancholie: Bis heute scheint sie das klügste Gefühl zu sein, das die Föderationsfeste von 1789 und 1790 hervorrufen können. Für die damals Beteiligten mag sie nur das Bewusstsein ausgedrückt haben, dass man nun in einen Alltag zurückkehre, in dem das festlich antizipierte Happy End Schritt für Schritt erarbeitet werden müsse. Für spätere Betrachter antizipiert sie die Erfahrung des mörderischen Bruderzwists, der auf die Tage der Verbrüderung folgt. Diese Melancholie muss dennoch nicht, wie bei Jules Michelet, mit der geschichtsphilosophischen Resignation zusammenfallen, dass »die heiligen Tage der Welt, die glücklichen Tage der Geschichte«267 immer ein Intermezzo bleiben müssen, verewigbar nur, wenn man im richtigen Moment die Zeit anhalten könnte, so wie das, Walter Benjamin zufolge, Pariser Revolutionäre von 1830 zumindest symbolisch versuchten, indem sie auf die Turmuhren schossen – »pour arrêter le jour«, schrieb dazu ein Augenzeuge.268 Die der namenlosen Freude folgende Melancholie entsagt dem Glauben an eine verbürgte Glückszukunft, ohne sich deshalb gleich dem Glauben an eine verbürgte Dauermisere hinzugeben. Die heimliche deutsche Nationalhymne, von den Gebildeten aller Stände pflichtschuldig verachtet, »So ein Tag, so wunderschön wie heute«, bringt diese nicht ganz hoffnungsvolle, aber auch nicht pessimistische Haltung sprachlich auf den Punkt: Der Schlussvers »So ein Tag, der dürfte nie vergeh’n« bleibt in der Schwebe zwischen Irrealis und Optativ.
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Abb. 8: Die Föderation der Proletarier: Das wohl bekannteste Maiplakat (1895 von Walter Crane entworfen, hier eine deutsche Version) zeigt die sozialistische Weltverbrüderung überwölbt von einer Marianne mit Jakobinermütze und der Parole »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit«.
Der schönste Tag der Arbeiterbewegung »Der 1. Mai 1890 zählt zu den wichtigsten Daten dieses Jahrhunderts«, schreibt Paul Lafargue im Jahr danach mit ebenso viel Begeisterung wie Berechtigung. »An ihm zeigte die Geschichte der Menschheit zum ersten Male das Schauspiel, daß die Proletarier der ganzen Welt in dem gleichen Gedanken geeint, von dem gleichen Willen bewegt, auch der gleichen Losung folgen, daß sie die Kräfte zu einer gemeinsamen, einheitlichen Aktion zusammenschließen.«1 100 Jahre nach dem nationalen Föderationsfest der Franzosen feiert man eine neue Föderation: die Internationale der Arbeiterbewegung. Die sprichwörtlichen, seit 1789 so oft vergeblich zum Bruderkuss aufgerufenen Millionen machen sich an diesem Tag (oder am Sonntag darauf ) tatsächlich auf den Weg, streiken, demonstrieren, agitieren gemeinsam für den Achtstundentag als einen Schritt zur »Befreiung der Arbeit« überhaupt. In London finden sich am Sonntag, dem 4. Mai 1890, 250.000 bis 300.000 Menschen zur Maikundgebung im Hydepark ein. Friedrich Engels, nicht als Schwärmer bekannt, schreibt danach an August Bebel, dass in England »die wirkliche sozialistische Massenbewegung mit dem 4. Mai begonnen hat. (...) Von dem Pläsir, das ich diese letzten vierzehn Tage erlebt, habt Ihr keine Vorstellung. Es kommt aber auch dick. Erst Deutschland im Februar,2 dann der 1. Mai drüben und in Amerika, und nun dieser Sonntag, wo seit vierzig Jahren zum erstenmal wieder die Stimme des englischen Proletariats ertönt. Ich trug den Kopf zwei Zoll höher, als ich von dem alten Güterwagen herabstieg.«3 Ähnlich der Erfolg in Österreich: Allein in Wien kommen über 100.000 Arbeiter zur Kundgebung. Im Land werden 1890 an die hundert neue Arbeitervereine gegründet, die meisten nach der Maifeier. 4 »Schichten von Proletariern wurden aus der Lethargie aufgeweckt, die uns sonst nicht zugänglich gewesen wären«, urteilt Victor Adler.5 Auch in den USA, dem Geburtsland des Arbeitermai, wo in vielen Städten gefeiert wird – aus Chicago werden um die 30.000 Teilnehmer gemeldet –, bleibt die Mobilisierung nicht ephemer: Es folgt eine ausgedehnte Streikwelle.6 Insgesamt 77
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finden in mindestens 25 Ländern Versammlungen, Demonstrationen oder Streiks statt. Auch wenn man von den Teilnehmerangaben der Arbeiterpresse einiges abzieht, bleiben beeindruckende Zahlen. 100.000 und mehr Kundgebungsteilnehmer werden außer aus London und Wien auch aus Paris und Barcelona gemeldet; 40.000 bis 50.000 aus Stockholm, aus Buda pest, aus Lyon und Marseille. 20.000 bis 40.000 sollen es in Madrid, Roubaix, Lille, Charleroi, Brüssel, Hamburg, Kopenhagen, Göteborg, Prag und Triest gewesen sein, 10.000 bis 20.000 in Berlin, Leipzig und Dresden, in Calais, St. Quentin, Bordeaux, Reims, Angers, Charleroi sowie in den belgischen Städten Mons und Leeuwarden, 5000 bis 10.000 in Augsburg und Nürnberg, in Troyes, in Antwerpen, Gent und Lalouvière, in Aberdeen und Northampton, in Bukarest, in Valladolid und im schwedischen Sundsvall. Hunderte von kleineren Veranstaltungen kommen hinzu – so in 160 bis 200 Orten Frankreichs und in den meisten Städten Deutschlands. Außerhalb Europas begeht man den Arbeitermai außer in den USA auch im australischen Melbourne7: »May Day, this is our May Day (…), the newborn celebration of the passing of the worker’s winter of discontent«, schreibt der australische »Brisbane Worker«. Und aus Lateinamerika hört man von Kundgebungen in Havanna, in Montevideo sowie mehreren Städten Argentiniens. Der Deutsch-Argentinier Joséf Winiger ruft bei der Maifeier im Prado Español von Buenos Aires der Menge zu: »La victoria del socialismo es sólo cuestión de tiempo.«8
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Fantaisies Parisiennes: Über die Arbeiterverbrüderung zur Völkerverbrüderung
Fantaisies Parisiennes: Über die Arbeiterverbrüderung zur Völkerverbrüderung Die Trias von 1889: Weltausstellung, Republikfest, Arbeiterkongress
Die Anlaufzeit für die Maiaktion in drei Kontinenten war kurz. Der Beschluss dazu ist keine zehn Monate ante festum von einem Sozialistenkongress in Paris gefasst worden, zu dem man die »Arbeiter und Sozialisten Europas und Amerikas« zusammengerufen hat: »Wir laden sie ein, das Band der Brüderlichkeit zu festigen, das, indem es die Proletarier aller Länder in ihrem Kampfe stärkt, den Beginn der neuen Welt beschleunigen wird.«9 Örtlich und zeitlich fällt dieser Kongress mit dem 100-Jahr-Fest der Französischen Revolution und der 10. Weltausstellung zusammen. Die Koinzidenz der neuen mit der Feier der alten Fraternité und des bürgerlichen mit dem proletarischen Weltfest ist gewollt, und die von Paul Lafargue und einigen seiner französischen Mitstreiter formulierte Einladung bezieht sich sowohl auf das Revolutionsjubiläum als auch – was von der Historik wenig beachtet wurde – auf die Exposition universelle: »Die Kapitalisten laden die Reichen und Mächtigen zu der Weltausstellung ein, das Werk der Arbeiter zu betrachten und zu bewundern, die inmitten des kolossalsten Reichtums, den je eine menschliche Gesellschaft besessen, zum Elend verurteilt sind. Wir Sozialisten, deren Streben die Befreiung der Arbeit, die Abschaffung der Lohnsklaverei und die Errichtung eines Gesellschaftszustandes ist, in dem alle, ohne Unterschied des Geschlechtes und der Nationalität, ein Recht auf den durch ihre gemeinsame Arbeit geschaffenen Reichtum haben – wir laden die wirklichen Produzenten ein, mit uns am 14. Juli in Paris zusammenzutreffen.«10 Zum Fest der nationalen Fraternité und zum Fest des Weltmarkts gesellt sich ein neues Projekt, das die Utopie der »Einheit des Menschengeschlechts« aus ihren bürgerlichen Fesseln befreien will. Erstmals eine Massenbasis
Als 1864 die Internationale Arbeiterassoziation, die »Erste Internationale«, in London zusammenfand, war die Zahl der Proletarier, die sich vereinigen 79
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wollten, noch sehr überschaubar. Zu den größten beteiligten Verbänden gehörte neben englischen Gewerkschaften der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein, der bei Gründung der IAA gerade einmal 4600 Mitglieder hatte.11 Sozialistische Arbeiterparteien gab es damals nur in Deutschland (ab 1863), in Dänemark (1871) und in Portugal (1875). 1889 steht hinter den Pariser Kongressteilnehmern eine ungleich größere Macht. Die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften sind vor allem seit Mitte der 1880er Jahre enorm gestiegen: in England zum Beispiel von 598.000 im Jahr 1885 auf 817.000 im Jahr 1889, in Frankreich zur selben Zeit von 90.000 auf 173.000, in Deutschland von 136.000 auf knapp 237.000.12 Und es sind zahlreiche neue sozialistische Parteien gegründet worden: 1876 in den USA, 1878 in Tschechien (damals österreichisch), 1879 in Frankreich, 1880 in Ungarn, 1881 in England, 1882 in Holland, 1885 in Belgien, 1888 in Österreich, 1888 in Schottland, der Schweiz und in Spanien, 1889 in Schweden. Die größte der in Paris vertretenen Parteien, die deutsche Sozialdemokratie, hat, obwohl verboten, bei der Reichstagswahl 1887 10 % der Stimmen erhalten; 1890 werden es fast 20 % sein. Der Aufschwung sozialistischer Bewegungen befördert auch den Wunsch nach einer Belebung oder, besser: Wiederbelebung der übernationalen Zusammenarbeit. 1876 war die Erste Internationale, schon seit Jahren mehr tot als lebendig, zu Grabe getragen worden. Im Vorfeld von Revolutionsjubiläum und Weltausstellung verstärken französische Sozialisten und Gewerkschafter ihre Bemühungen um einen großen internationalen Kongress. Skepsis
Allerdings stellt sich sofort das altbekannte Phänomen wieder ein, dass sich die Proletarier zwar mit denen anderer Länder, aber nicht mit denen anderer Fraktionen vereinigen wollen. Es kommt zu einer konkurrierenden Kongressplanung von Marxisten und Reformisten. Im Herbst 1888 beauftragt ein internationaler Gewerkschaftskongress in London die französischen Reformsozialisten, die sogenannten »Possibilisten«, mit der Vorbereitung einer Tagung in Paris, aus der eine internationale Organisation hervorgehen soll. Gleichzeitig beschließen marxistisch ausgerichtete französische Gewerkschaften in Bordeaux, im nächsten Jahr einen internationalen Kongress in Paris durchzuführen. Mehrere Einigungsversuche folgen und scheitern, die gegenseitigen Vorwürfe eskalieren. »It is 80
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exceedingly difficult«, kommentiert die Historikerin Yvonne Kapp, »to keep in mind when wading through the public prints and private letters of the time that what they were about was the international brotherhood of the working class.«13 Streit gibt es auch innerhalb des marxistischen Lagers. Friedrich Engels wirft Wilhelm Liebknecht mit scharfen Worten eine falsche Einschätzung der Possibilisten und Illusionen vor, was die Möglichkeit eines gemeinsamen Kongresses betrifft.14 Liebknecht reagiert empört.15 Vier Monate lang herrscht Funkstille zwischen den beiden. Überhaupt hält Engels, ebenso wie Bebel, ein Treffen mit dem Ziel einer neuen Internationale für derzeit gefährlich. Beide befürchten, der Schritt zu einer solchen Organisation ziehe weitere Verfolgungen der vom Sozialistengesetz kujonierten deutschen sowie der ähnlich bedrängten österreichischen Sozialdemokratie nach sich.16 Die französischen Marxisten um Lafargue und Guesde treiben die Kongressplanungen jedoch voran; sie sind entschlossen, den Possibilisten, denen sie insbesondere ihre partielle Kooperation mit bürgerlichen Parteien verübeln, nicht das Feld zu überlassen: Am 11. Mai 1889 laden sie die europäische und amerikanische Arbeiterbewegung nach Paris ein. Ein kurz davor geschriebener Brief von Friedrich Engels an Wilhelm Liebknecht demonstriert, wie wenig begeistert er von der Kongressidee ist: »Ich habe seit 4 Wochen wegen der verdammten Geschichte keinen Strich am III. Band [des »Kapitals«, B. J. W.] tun können«.17 Schub von unten
Interner Streit, langes Zögern, grundsätzliche Skepsis vor allem in der deutschen Sozialdemokratie. Und doch stellt diese am Ende mit nicht weniger als 81 Kongressteilnehmern die mit Abstand größte Gastdelegation. Der Grund dafür ist das große Engagement ihrer Mitglieder. Bei ihnen wird die Aussicht auf ein internationales Zusammengehen weit weniger durch Flügelkämpfe getrübt – Bebel hatte das vorausgesehen, als er an Engels schrieb, dass »unsere eigenen Leute (...) von all den Differenzen und Streitereien nichts wissen und nichts wissen wollen«18. Ein Aufruf der SPD-Reichstagsfraktion an die deutschen Arbeiter, Vertreter zum Pariser Marxistenkongress zu schicken (vereinzelte Voten, gleichzeitig den Possibilistenkongress zu beschicken, blieben unberücksichtigt), findet ein breites Echo. Das »Berliner Volksblatt« berichtet von 125 Versammlungen in Deutschland, auf denen das Thema besprochen wird. Wo man wegen polizeilichen Verbots nicht tagen 81
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darf, trägt man in Fabriken, Werkstätten und Gastwirtschaften Wahllisten herum, die der Zeitung zufolge »oft mit vielen tausenden von Unterschriften bedeckt waren«.19 Der Gewerkschafter und Sozialdemokrat Julius Bruhns, der in Bremen vor – so erinnert er sich – über 1500 Arbeitern für die Teilnahme wirbt, schreibt später, die Kongressidee habe »überall in Deutschland Begeisterung erregt. Auch die Bremer Genossen waren Feuer und Flamme für diesen Kongreß und beschlossen seine Beschickung.«20 In Frankfurt am Main, wo eine solche Versammlung verboten wird, erlässt ein Arbeiterausschuss einen geheimen Wahlaufruf. Mit über 2000 Unterschriften wird dabei die Entsendung eines Lithographen nach Paris unterstützt.21 Ganz offensichtlich wird der Kongress von vielen als außerordentliches Ereignis empfunden, das mehr als die angekündigten Verhandlungen über einen besseren Arbeiterschutz verspricht. Ein Aufruf der Münchner Sozialdemokratie zum Beispiel, der laut »Berliner Volksblatt« in wenigen Tagen 600 Unterschriften bekam, begrüßt »den sich in Paris versammelnden internationalen Arbeitertag als eine feierliche Kundgebung des allgemeinen menschlichen Geistes, welcher die trennenden Schranken der Stammes- und Landesangehörigkeit überwindet und des Gefühles der Strebensgemeinschaft, welches die fortgeschrittenen Arbeiter der ganzen gebildeten Welt beseelen muß«22. Eine Versammlung der Holzarbeiter Berlins schickt den Gewerkschafter Theodor Glocke nach Paris mit dem Auftrag, dort für den Achtstundentag, die Aufhebung der Kinderarbeit und die »Regelung – nicht Beschränkung, wie von einer Seite vorgeschlagen war – der Frauenarbeit« einzutreten, verzichtet aber dabei ebenfalls nicht auf eine Pathosformel: »Gleichzeitig soll der Kongreß ein Verbrüderungsfest der Arbeiter der ganzen Welt sein.«23 Die Saalversammlungen dienen nicht nur der Stimmabgabe. Sie sind offenbar in der Regel auch Schulungen in Globalisierungsfragen. Vor Berliner Steindruckern und Lithographen referiert der Gewerkschafter Preuß über »die Internationalität des Kapitals, des Handels und Verkehrs usw. und auf die Gemeinsamkeit der Interessen der gesammten Arbeiterklasse aller Länder hinweisend, regte er zur eifrigen Organisation an«24. Bei einer Maurerversammlung in Berlin führt der Kollege Julius Wernau laut dem »Berliner Volksblatt« aus, »daß das ganze gesellschaftliche Leben international durchhaucht sei. Ein Blick auf die Nahrungsmittel, Kleidung, Verkehrsmittel u. dgl. m. liefern einen vollgiltigen Beweis dafür. Die modernen Verkehrsmittel hätten es dahin gebracht, daß von einer spezifischen Nation nicht mehr die Rede sein könne. Dies lehre wiederum ein Blick auf die statisti82
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schen Tabellen über Ein- und Auswanderung. In Anbetracht dessen scheine auch eine internationale Gesetzgebung geboten. Auch die moderne Produktionsweise gestalte sich international und sei auch hier eine internationale Regelung am Platze. Die Nothwendigkeit eines internationalen Schutzes der Arbeit sei heute bereits allerorten erkannt worden.«25 Wernau wird danach als Delegierter vorgeschlagen. Mehrere stimmen zu, dann meldet sich ein Gegenredner: »Er war der Meinung, daß die Kosten, die ein Delegirter verursache, jetzt bessere Verwendung finden könnten zur Speisung hungriger Kinder. Arbeitervertreter wären auch genug dort, die auch die Maurer vertreten würden. Ein Delegirter würde nur das ›Stimmvieh‹ vermehren. Die Maurer sollten sich lieber seiner Zeit die Protokolle des Kongresses kaufen.«26 Das Votum ist nicht unverständlich. Die Reisekosten nach Paris sollen in der Regel nicht die Delegierten, sondern die sie entsendenden Organisationen tragen. Und sie werden nicht aus den Mitgliedsbeiträgen finanziert, sondern müssen durch zusätzliche Spenden aufgebracht werden. Die sozialdemokratische Presse hat ihre Leser vorab informiert, wieviel für einen Delegierten zusammenkommen muss: Reisedauer elf bis zwölf Tage, Tagesverbrauch in Paris etwa zwölf Mark, Bahnfahrt in der dritten Klasse, die ab Berlin etwa hundert Mark kostet.27 Insgesamt sind das etwa zweihundertfünfzig Mark – so viel wie ein Durchschnittslohn für etwa zehn Wochen Arbeit. Dennoch votieren die meisten Versammlungen in Deutschland für einen eigenen Vertreter. Auch die Berliner Steindrucker. Gegen nur drei Neinstimmen beschließen die etwa sechshundert Anwesenden, den Pariser Kongress beschicken zu wollen. »Mit einem dreifachen Hoch auf die Internationalität schloß die Versammlung.«28 Von »Vereinigt euch!« zu »Vereinigen wir uns!«
Wie in Deutschland, so wird auch in 21 anderen Ländern erfolgreich nach Delegierten für den Marxistenkongress gesucht. Unter seinen schließlich 467 Mitgliedern sind neben 223 Franzosen 184 ausländische Gäste:29 aus Deutschland, Großbritannien, Belgien, Holland, Österreich, der Schweiz, Norwegen, Dänemark, Schweden, Finnland (damals russisch), Italien, Spanien, Portugal, Russland, Polen (damals russisch), Tschechien und Ungarn (beides zu Österreich-Ungarn gehörig), Bulgarien, Rumänien und den USA. Die größten Delegationen sind neben der französischen (223) und der deut83
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schen (81) die aus England (22), Belgien (14), Österreich (8), Russland und der Schweiz (je 6). Der Possibilistenkongress kann es mit dieser Bandbreite nicht aufnehmen: Ihn besuchen neben 524 Franzosen 82 Gäste aus neun anderen Nationen, vor allem britische Gewerkschafter.30 Deutsche sind hier nicht vertreten. Dass der marxistische Kongress (auf den sich die folgende Darstellung konzentrieren wird) die ungleich größere Bedeutung hat und dann auch die größere Wirkungskraft entwickelt, liegt neben seiner ausgefächerteren Internationalität daran, dass hier ohne Zweifel die Creme des europäischen Sozialismus mitarbeitet: Jules Guesde und Paul Lafargue, die Gründer des Parti ouvrier; Edouard Vaillant, einst Minister der Commune und später Mitgründer des Parti socialiste français; August Bebel und Wilhelm Liebknecht, die Führer der deutschen Sozialdemokratie; Keir Hardie, damals Erster Sekretär der Scottish Labour Party; Robert Bontine Cunninghame-Graham, Präsident der Scottish Labour Party; John Burns, britischer Gewerkschaftsführer; William Morris, einer der führenden Köpfe nicht nur des Arts and Crafts Movement, sondern auch der britischen Socialist League; Victor Adler, der gerade die österreichische Arbeiterbewegung in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei zusammengeführt hat; Hjalmar Branting, Chefredakteur der Zeitung »Sozialdemokraten« und 1889 Gründungsmitglied der sozialdemokratischen Partei Schwedens; Georgi Plechanow, der Kopf der russischen Gruppe »Befreiung der Arbeit«; Leó Frankel, Mitbegründer der Allgemeinen Arbeiterpartei Ungarns; Pablo Iglesias, Gründer der Partida Socialista Obrero Español; Ferdinand Domela Nieuwenhuis, anarchistischer Sozialist, damals Abgeordneter im niederländischen Parlament; César De Paepe, Nestor der belgischen Arbeiterbewegung; Edouard Anseele, der Mitbegründer der Flämischen Sozialistischen Partei; Jean Volders, Mitgründer des Parti Ouvrier Belge; Émile Vandervelde, später Erster Sekretär der Zweiten Internationale; Andrea Costa, Gründer des Partito Socialista Rivoluzionario und erster Sozialist in der italienischen Abgeordnetenkammer; 84
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Amilcare Cipriani, berühmter Communarde von 1870/71, Anarchist; Felix Daszynski, Mitgründer der polnischen sozialdemokratischen Partei. Ein Aufgebot, das die kleine, aber feine Veränderung rechtfertigt, welche die Tagungsveranstalter an der Parole des Kommunistischen Manifests vorgenommen haben: Das »Proletarier aller Länder, vereinigen wir uns«, das in großen roten Lettern an der Front des Versammlungssaals steht, sieht die Proletarier nicht mehr als Objekt, sondern als Subjekt des Solidaritätsappells. 30 Jahre später, nach dem Weltkrieg, den die Zweite Internationale hatte verhindern wollen und an dem sie zerbrochen war, steht Julius Bruhns noch immer unter dem »großen, unvergeßlichen Eindruck«, den »dieses Parlament von Arbeitern und Arbeiterinnen aus allen Ländern der Erde, soweit der Kapitalismus seine gewaltigen Fänge erstreckt«, auf ihn gemacht hat: »War doch schon die Tatsache, daß Millionen Arbeiter aus den allerverschiedensten Ländern, die verschiedensten Sprachen redend, mit den allerverschiedensten Anschauungen, Sitten und Gebräuchen, hierher ihre Vertreter schickten, damit sie zusammen beraten und beschließen sollten, was gegenüber diesem gemeinsamen Feind, dem Kapitalismus, geschehen solle, ein weltgeschichtliches Ereignis, wie es bisher niemals dagewesen.«31 Vierhundert Brüder, sieben Schwestern
Den Pariser Kongress, wie Bruhns in seinen Erinnerungen von 1921, ein »Parlament von Arbeitern und Arbeiterinnen« zu nennen, entspricht nicht dem 1889 herrschenden Sprachgebrauch. Hier sind die Grußadressen und die Reden an die »Proletarier«, die »Brüder«, die »citoyens« gerichtet. Und dies mit 98,3-prozentiger Berechtigung: Unter den 407 Delegierten sind nur sieben Frauen: Maria Jankowska aus Polen, Gräfin Guillaume-Schack und Tochati [wohl: Tochatti, B .J. W.] aus England, die Französinnen Rigal und Valette, dazu die Deutschen Emma Ihrer und Clara Zetkin. Zetkin, die als Exilantin in Paris lebt, hat den Kongress mitorganisiert. Verglichen mit dem hohen Anteil von Frauen in der europäischen Arbeiterschaft ist ihre Delegiertenzahl marginal. In Deutschland stellen Frauen 1895 42 % der Lohnabhängigen in der Landwirtschaft, knapp 17 % in der Industrie und knapp 30 % in Handel und Verkehr. In Frankreich lauten 1891 die entsprechenden Zahlen 41 %, 35 % und 31 %. In England und Wales machen Frauen 1891 27 % der Industriearbeiterschaft aus.32 Doch 85
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schon in den Gewerkschaften sind Frauen um ein Vielfaches unterrepräsentiert – in Deutschland zum Beispiel haben die der Generalkommission angeschlossenen Gewerkschaften 1892 nur 4355 weibliche Mitglieder,33 und anderswo sieht es ähnlich aus. Die niedrigen Zahlen sind auch auf männliche Abwehr zurückzuführen: In vielen Gewerkschaften sind Frauen gar nicht zugelassen; sie sollen sich um den Haushalt kümmern und nicht den Männern die Arbeitsplätze wegnehmen. Noch weit geringer ist die Frauenquote bei den Arbeiterparteien. Nirgendwo in Europa sind Frauen wahlberechtigt, in einigen Abb. 9: Clara Zetkin. Ländern dürfen sie nicht einmal politischen Vereinen beitreten. Und die sozialistischen Männer treten zu dieser Zeit nur mit gebremster Kraft und mit großen Vorbehalten für staatsbürgerliche Gleichberechtigung ein. Die Frauen auf dem Pariser Kongress begegnen dieser Situation offensiv. Sie treten den Männern nicht nur zur, sondern auch in die Seite. Selbstbewusst konstatiert Emma Ihrer: »Wenn zu den Organisationen der Männer nicht solche der Arbeiterinnen hinzukommen, wird es sehr schwierig, ja sogar unmöglich sein, daß die Arbeiter in ihren öconomischen Kämpfen gegen das Kapital siegreich sind.«34 Sie schließt mit den Worten: »Das Wort ›Proletarier aller Länder vereinigt Euch!‹ heißt auch: Arbeiterfrauen aller Länder vereinigt Euch!, und dies muß unsere Devise werden.«35 Noch deutlicher wird Clara Zetkin, die in Paris ihre erste große Rede zur »Frauenfrage« hält – es ist der Anfang ihrer Karriere in der deutschen und der internationalen Arbeiterinnenbewegung. Sie parallelisiert kapitalistische und patriarchale Abhängigkeitsverhältnisse: »Wie der Arbeiter vom Kapitalisten unterjocht wird, so die Frau vom Manne; und sie wird unterjocht bleiben, so lange sie nicht wirthschaftlich unabhängig dasteht. (...) Ohne Beihilfe der Männer, ja oft sogar gegen den Willen der Männer sind die Frauen unter das socialisti86
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sche Banner getreten (...). Sie werden unter ihm kämpfen für ihre ›Emancipation‹, für ihre Anerkennung als gleichberechtigte Menschen.«36 Der Kongress wird ihr insoweit folgen, als er die gleichberechtigte Aufnahme von Frauen in die Arbeiterparteien und die Gewerkschaften beschließt. Die Resolution beflügelt den Kampf der Frauen um innerparteiliche Teilhabe, doch es bleibt ein Kampf. Wie sagt doch Carl Legien, Kongressteilnehmer in Paris und bald darauf deutscher Gewerkschaftschef, im März 1890 laut Polizeibericht auf einer Versammlung: Es sei richtig, »daß die Frauen ebenfalls das Recht haben müßten, in politischen Angelegenheiten mitsprechen zu dürfen, trotzdem die Frauen etwas weniger Gehirn haben sollten als die Männer; dieses der Frauen sei aber auch noch schwächer und könne deshalb nicht so viel leisten, mithin gehöre den Frauen nur die häusliche Arbeit, sowie Erziehung der Kinder«.37 Immerhin: Mit dem Rückenwind ihres Pariser Auftritts wird Emma Ihrer noch im selben Jahr zu Legiens Vorstandskollegin. Auf den Schultern des Gegners
Das Marxistentreffen beginnt, ebenso wie das der Possibilisten, am Vormittag des 14. Juli. Draußen feiern Hunderttausende: Die 100-Jahr-Feste der Französischen Revolution haben eine unerwartet große Resonanz und helfen im Verein mit der imposanten, vom Eiffelturm gekrönten und von 32 Millionen Menschen besuchten Weltausstellung dabei mit, die Dritte Republik zu stabilisieren, die gerade durch die von den Monarchisten alimentierte Bewegung des Generals Boulanger bedrängt wird. Doch drinnen im Saal scheint man zunächst intransigent gegenüber dem großen Jubiläum. Ein Transparent an der Bühnenwand des Tagungssaals greift weder auf den Bastillesturm von 1789 noch auf die Republik von 1792 zurück, sondern stellt sich ganz in eigene Traditionslinien. »Im Namen des Paris vom Juni 1848 und vom März, April und Mai 1871 und des Frankreich der Babeuf, Blanqui und Varlin38 Gruß den sozialistischen Arbeitern beider Welten«.39 Und Paul Lafargue nimmt in seiner Eröffnungsrede nur negativen Bezug auf das Fest vor der Tür: »Die Bourgeoisie feiert das Hundertjahr ihrer Revolution, dieser Revolution, welche verkündigte, sie werde Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit unter den Menschen aufrichten, und welche mit nichts Besserem zu endigen wußte, als mit der grausamsten und schrankenlosesten Ausbeutung der Arbeiter. Die Bourgeois haben den Adel nur niedergeschlagen, um 87
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sich die Beherrschung der Gesellschaft anzueignen, sie haben die feudale Bastille wegrasirt, nur um im ganzen Lande kapitalistische Arbeits-Bastillen zu errichten, in denen sie Kinder, Frauen und Männer des Proletariats zu den Qualen der Ueberarbeitung verdammen. Die Delegirten des internationalen Socialistencongresses von 1889 erklären schon durch ihr bloßes Zusammentreten, daß sie etwas Anderes auszuführen haben als das Werk der Revolution von 1789, die ja doch nur die Rechte des Bürger-Geldsackes sind.«40 Wilhelm Liebknecht, zusammen mit Edouard Vaillant zum Kongressvorsitzenden gewählt, sagt es in seiner Begrüßungsrede etwas anders. Er formuliert weniger einen revolutionären Bruch mit 1789 als eine evolutionäre Weiterentwicklung: »Frei von Nationalvorurtheilen, frei von dem selbstsüchtigen Streben, herrschen und ausbeuten zu wollen, wird das Proletariat die Ideale verwirklichen, welche den Helden der großen Revolution, die heute ihren hundertsten Geburtstag feiert, vorgeschwebt haben – die Ideale der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, welche aber mit dem Egoismus der zur Herrschaft gelangenden Bourgeoisie in Widerspruch standen, und darum bisher nicht verwirklicht werden konnten.«41 Das Zusammenfallen des Sozialistenkongresses mit der Jahrhundertfeier wird also einmal nur als gegnerischer Kontrapunkt, das andere Mal auch als freundliche Referenz artikuliert. Einig ist man sich, dass man in diesen Tagen etwas ganz Neues auf den Weg bringen will: dass man am 14. Juli 1789 zu beginnen, aber nicht mit dem 14. Juli 1789 aufzuhören gewillt ist. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass die Versammlung auf dem Boden bürgerlicher Errungenschaften steht. Im französischen Kongress Protokoll werden die Delegierten nicht etwa mit »camarade«, sondern mit »citoyen« bezeichnet. In der deutschen Ausgabe des Protokolls ist das beibehalten: Es wird vom »Bürger Liebknecht«, dem »Bürger Vaillant«, der »Bürgerin Zetkin« gesprochen. Zudem wissen die Delegierten natürlich, dass ihre Versammlung von bürgerlichen Freiheiten profitiert, derer etliche ihrer Herkunftsländer bislang entbehren. Die russischen, polnischen, finnischen Sozialisten können im Zarenreich, wo weder Arbeiterparteien noch Gewerkschaften zugelassen sind, nur illegal arbeiten, andere Parteien wie zum Beispiel die Österreicher und die Italiener leiden unter stetigen polizeilichen Repressalien. In Deutschland ist die sozialdemokratische Partei wie gesagt verboten, die freien Gewerkschaften werden massiv unterdrückt. Staunend registrieren die deutschen Delegiertenberichte aus Paris, dass man die beiden »congrès révolutionnaires«, wie sie die Tageszeitung »Le Temps« bezeich88
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net, hier nicht nur duldet, sondern der Pariser Gemeinderat deren Mitglieder sogar zu einem großen Empfang einlädt, wo ihnen ein Abendessen und ein vin d’honneur kredenzt werden. Immer wieder dröhnen durch das Hôtel de Ville »donnernde Hochrufe auf die Kommune und die soziale Revolution«,42 ohne dass jemand einschreitet. Ein ähnliches Erlebnis ungewohnter politischer Freiheit sind für die Deutschen auch die Veranstaltungen zum 14. Juli, bei denen sie – Lafargues Schmähung dieses »Fests der Bourgeoisie« zum Trotz – mit großem Vergnügen mitmachen. Julius Bruhns beschreibt eine Straßenszene am Vorabend des Nationalfeiertags: »Mitten auf den Straßen sammelten sich die Leute, ein paar Musikanten, ein Drehorgel- oder Harmonikaspieler waren bald zur Hand, und nun wurde ein flottes Tänzchen gemacht und Jung und Alt, Männlein und Weiblein, Leute in der Bluse des Arbeitsmannes und Leute im Salonrock mit dem Zylinderhut auf dem Kopf drehten sich im fröhlichen Kreise. (...) In den Pausen zwischen den einzelnen Tänzen stieg immer wieder das alte Revolutionslied, die Marseillaise, gen Himmel, und ab und zu erklang auch wohl noch ein anderes gepfeffertes revolutionäres Lied, wie die blutige Carmagnole, dazwischen. Und wo war die Polizei? So fragt ängstlich der biedere Deutsche, dessen Volksleben nur im Schatten unserer Pickelhauben, nur unter treuester Fürsorge und Ueberwachung des Schutzmanns gedeihen kann. Nun, die Pariser Polizei half eifrig dem Volk, sich ganz nach seinem Geschmack zu amüsieren, (...) und (die Polizisten) wiesen zum Beispiel herankommende Wagen an, einen anderen Weg zu nehmen, denn hier gerade eben tanzte das souveräne Volk und durfte nicht belästigt werden. Wir beiden biederen, polizeifrommen Deutschen glaubten im Märchenland zu sein.«43 Ähnlich fasziniert zeigt sich Wilhelm Liebknecht in seinem Bericht für die »Berliner Volks-Tribüne« vom Verlauf des 14. Juli selbst: »Die Delegierten zerstreuen sich über ganz Paris, um die Feier des hundertjährigen Jahrestages der Erstürmung der Bastille auf sich einwirken zu lassen. Der dadurch empfangene Eindruck, die Erkenntniß, in welcher gesitteten und würdigen Weise, ohne Eingriffe und Uebergriffe der Polizei, ein hochgebildetes Volk solche Feste zu feiern vermag, wird besonders den deutschen Delegirten unvergeßlich bleiben. Sie haben den handgreiflichen Unterschied zwischen solchen wirklichen ›Volksfesten‹ und den kurz vorher erlebten Festen der Amtlichkeit und des Byzantinismus in lebendigen Bildern erfahren.«44 Mischung der Klassen, Offenheit des Worts, keine Gängelung durch die Polizei: Es ist, als würden die deutschen Sozialisten im Jahre 1889 aus Cam89
Tage der Internationale
pes Pariser Briefen vom Sommer 1789 abschreiben. Und als habe Deutschland 100 Jahre lang in einem politischen Winterschlaf gelegen. Besichtigung der Erbmasse
Auch der Weltausstellung stehen die Pariser Sozialistenkongresse nicht so antithetisch gegenüber, wie es in der zitierten Einladungspassage klingt (»Die Kapitalisten laden die Reichen und Mächtigen zu der Weltausstellung ein (...) – wir laden die wirklichen Produzenten ein«). Die Beziehung zwischen den beiden Ereignissen ist dialektischer und vielfältiger. Dies schon dadurch, dass die Ausstellung, ein Höhepunkt des Technikoptimismus des 19. Jahrhunderts, eine Demonstration der Entwicklung der Produktivkräfte ist, von denen die Sozialisten überzeugt sind, dass sie die bürgerlichen Produktionsverhältnisse sprengen werden: dass sie den Reichtum bereitstellen, der das sozialistische Programm »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen« zu realisieren erlaubt, und dass sie alle Nationen in den Strom desselben ökonomischen und, mit sozialistischer Nachhilfe, auch politischen Fortschritts münden lässt. Marx und Engels haben diese Sichtweise schon anlässlich der ersten Weltausstellung in London mustergültig formuliert: »Diese Ausstellung ist ein schlagender Beweis von der konzentrierten Gewalt, womit die moderne große Industrie überall die nationalen Schranken niederschlägt und die lokalen Besonderheiten in der Produktion, den gesellschaftlichen Verhältnissen, dem Charakter jedes einzelnen Volks mehr und mehr verwischt. Indem sie die Gesamtmasse der Produktivkräfte der modernen Industrie auf einen kleinen Raum zusammengedrängt zur Schau stellt, gerade zu einer Zeit, wo die modernen bürgerlichen Verhältnisse schon von allen Seiten untergraben sind, bringt sie zugleich das Material zur Anschauung, das sich inmitten dieser unterwühlten Zustände für den Aufbau einer neuen Gesellschaft erzeugt hat und noch täglich erzeugt.« Schlusssatz: »Bei einer zukünftigen Ausstellung werden die Bourgeois vielleicht nicht mehr als Inhaber dieser Produktivkräfte, sondern nur noch als ihre Ciceroni figurieren.«45 Das sozialistische Interesse an den Weltausstellungen hat diesen ungebärdigen Optimismus überlebt. Auch jetzt, 1889, bringt zum Beispiel die deutsche Partei- und Gewerkschaftspresse Ausstellungsberichte: Im »Berliner Volksblatt« wird das Palais des industries diverses, die große Maschinenhalle, bewundert,46 im »Correspondent«, dem Organ der Druckergewerkschaft, 90
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werden »Setzmaschinen auf der Pariser Weltausstellung« vorgestellt;47 die ebenfalls gewerkschaftliche »Neue Tischler-Zeitung« führt ihre Leser durch deren Länderabteilungen.48 Und natürlich gehen auch viele Kongressdelegierte auf das Marsfeld. Die Tagungsplanung hat dazu ausreichend Freizeit eingeplant: Die Kongressverhandlungen sollen um 14 Uhr enden, damit auch die Delegierten »Paris, Stadt und Leute kennenlernen«.49 Zwar dauern die Sitzungen dann regelmäßig länger, aber manche sind schlecht besucht, und man kann sich denken, warum. In den Kongressberichten, die deutsche Delegierte an die heimische Arbeiterpresse schicken, ist in der Regel von solchen Ausstellungsbesuchen nicht die Rede – wahrscheinlich wollen die Autoren, die schließlich zumeist auf Kosten ihrer Verbände nach Paris gereist sind, zu Hause nicht als Müßiggänger erscheinen. In der Tat ist die Weltausstellung ja nicht nur eine Schule der technologischen Entwicklung, sondern auch ein Ort und eine Schule des Vergnügens. Ein potenziertes Warenhaus, ist sie ein Kraftwerk der Begehrlichkeit, ein Antidot gegen die von Lassalle beklagte »verdammte Bedürfnislosigkeit der Arbeiter«. In Korrespondentenberichten der Arbeiterpresse wird dieses Moment keineswegs übergangen. So schwärmt das »Berliner Volksblatt« von der Vielzahl neuer Haushaltungsmaschinen, die es zu sehen gebe, von amerikanischen Korbmöbeln, die »auf ein sehr behagliches Leben schließen lassen«, und lobt an einer Abteilung mit französischen Teppichen und Tapeten »das Streben, die kunstindustriellen Fortschritte allgemein zugänglich zu machen«.50 Wilhelm Liebknecht, dessen ausführliche Reiseberichte für dieselbe Zeitung den Genussaspekt der Weltausstellung ebenfalls nicht aussparen, schreibt ausführlich darüber, dass dort auch für den »inneren leiblichen Menschen« gesorgt sei und man für »nicht allzu viel ›Arbeitergroschen‹« neue Esserfahrungen machen könne: »(I)n der Ausstellung (...) sind billige Restaurationen – nur daß sie den internationalen Charakter an der Stirn tragen, was jedoch kein Nachteil ist, sintemalen in solchen Dingen alle Völker einen guten Geschmack und obendrein wohlberechtigte Eigenthümlichkeiten haben, die zu kennen und womöglich nachzuahmen nur von Nutzen sein kann.«51 Erweiterung der Fähigkeiten und der Bedürfnisse durch Internationalisierung: Dieses Motiv verbindet die Weltausstellung des Kapitals und den Kongress der Arbeiterschaft.
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Der Begleitschatten
Arbeiter sind auf den Weltausstellungen keine Zaungäste. Seit jeher firmieren diese nicht nur als Warenschau, sondern auch als »Würdigung der Arbeit« – und teilweise auch der Arbeiter. Bei der Ausstellungseröffnung am 6. Mai 1889 sagt Ministerpräsident Tirard, das republikanische Frankreich liebe und ehre die Arbeiter aller Länder, in denen es »Mitarbeiter an dem großen Werke der Menschlichkeit und des Friedens der Welt« erblicke, und Staatspräsident Carnot begrüßt in seiner Ansprache »Arbeiter der ganzen Welt«, die an diesem Werk des Fortschritts mitgewirkt hätten.52 Ähnlich wie 1851 in London, wo die Bauherren des Kristallpalastes den am Bau beteiligten britischen und ausländischen Arbeitern ein Festessen spendierten,53 findet am 13. Juli ein Ball zu Ehren der Arbeiter statt, die für die Weltausstellung tätig waren.54 Allerdings ist die Mitarbeit von Arbeiterorganisationen bei der Planung der Ausstellung unerwünscht. Das hat ebenfalls Tradition. Als 1850 in England die Einsetzung eines Central Working Class Committee gefordert wird, das als Unterabteilung in der mit der Ausstellungsorganisation betrauten Royal Commission mitwirken sollte, wurde dieses Ansinnen abgelehnt.55 Und bei der Vorbereitung für 1889 weisen die Organisatoren einen Vorstoß der Sozialisten ab, die auf der Ausstellung eine Sektion in eigener Regie gestalten wollten. Georges Berger, stellvertretender Direktor der Exhibition universelle, macht seine Präferenzen überdeutlich: »Dies ist das große Datum der Industrie, von Volta, Watt, Fulton, Stephenson, Jacquard, Philippe de Girard etc., und meine Freude wird vollkommen sein, wenn die Kollektivisten oder Feinde des Kapitals uns nicht um Unterstützung bitten würden.«56 In die Ausstellung integriert wird dagegen eine Abteilung »Sozialer Frieden«, eine schönfärberische Darstellung der Situation der französischen Arbeiterschaft.57 Schon deshalb ist es kein Wunder, dass untere Sozialschichten als Zuschauer durchaus willkommen sind – und nicht nur die »Reichen und Mächtigen«, wie es die Einladung zum Sozialistenkongress polemisch formuliert. Auf der ersten Weltausstellung in London hatte man neben »1-Pfund-Tagen« und »5-Shilling-Tagen« auch »1-Shilling-Tage«58 eingeführt, um die working class anzulocken – wobei, wie der Journalist Hermann Scherer in seinen »Londoner Briefen über die Weltausstellung« schreibt, die »elegante Welt« am ersten Billigtag aus Furcht vor »Volksscenen« ausblieb, das Publikum sich aber entgegen den üblichen Befürchtungen »mit Sitte und 92
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Anstand« benahm.59 Nun, 1889, gibt es keinen sozial gestuften Einlass mehr, sondern alle Besucher erfreuen sich derselben billigen Eintrittspreise. Und diese werden nicht nur von einheimischen Arbeiterfamilien genutzt. Auch Arbeiter- und Gewerkschaftsdelegationen, aus Frankreich wie dem Ausland, besuchen die Ausstellung – und tauschen sich bei dieser Gelegenheit mit Pariser Kollegen aus. Besondere Beachtung findet eine etwa zweihundert Mann starke Arbeiterdelegation aus Mailand, die vom Gemeinderat empfangen wird.60 Ihr gehört der Sozialistenführer Osvaldo Gnocchi-Viani an, der sich dabei über die Pariser Bourse de Travail, das örtliche Gewerkschaftskartell, informiert. 1891 wird auf seine Initiative hin in Mailand das Pendant dazu, eine »Camera del Lavoro« gegründet.61 Es ist nicht der erste arbeiterpolitische Transfer, der durch eine Weltausstellung ausgelöst wird. 1862 initiierte Napoleon III., der sich nach vielen Streikkämpfen kompromissbereit, ja als Arbeiterfreund gab, den Besuch von 200 nach Fachbereichen ausgewählten französischen Arbeitern auf der Londoner Weltausstellung. Die Reise entwickelt eine Eigendynamik: In London feiern die Gäste zusammen mit englischen Arbeitern ein Verbrüderungsfest. Nach ihrer Rückkehr fordern sie für Frankreich dasselbe Koalitionsrecht und dasselbe Streikrecht, das ihre britischen Kollegen haben. 1864 erzielen sie damit nach einem langen Arbeitskampf zumindest einen Teilerfolg. Im selben Jahr reisen wiederum französische Arbeiter nach London. Bei einem Meeting in der St. Martin’s Hall verlesen sie ein Manifest: Freihandel ohne Solidarität der Arbeiter bringe eine neue Form der Leibeigenschaft, weshalb sich die Arbeiter aller Länder vereinigen müssten. Man wählt einen Ausschuss, der eine solche Vereinigung vorbereiten soll. Das ist der Startschuss für die Erste Internationale.62 »Freilich«, schreibt Winfried Kretschmer, »lieferte die Londoner Welt ausstellung nur den ersten Anstoß für die ›Internationale Arbeiter Association‹. Doch illustriert deren Gründungsgeschichte den immensen Wert der Weltausstellungen für die internationale Kommunikation in einer Zeit, in der es kein Telefon, kein Radio, kein Fernsehen, keinen Massentourismus gab«.63 Nun, 1889, treffen die Arbeiter nicht anlässlich einer Weltausstellung aufeinander, woraus sich eine Vereinigung entwickelt, sondern organisieren eine Parallel- und Konkurrenzveranstaltung. Beide Mal gilt jedoch: Die Geschichte der Weltausstellungen ist nicht ohne die der Arbeiterinternationale und die der Arbeiterinternationale nicht ohne die Geschichte der Wel ausstellungen zu haben. 93
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Schnittmengen
Als Völkertreffen haben die Weltausstellungen zu Sozialistentreffen beigetragen, und als Weltversammlung der neuesten Produktionsmittel und Produkte informieren sie die Sozialisten über das Heranwachsen eines Reichtums, dessen Verteilung an die Allgemeinheit erstmals in der Geschichte mit allgemeinem Wohlstand vereinbar ist. Aber es gibt nicht nur diese dialektischen Bezüge zwischen den beiden internationalen Veranstaltungen, sondern auch Schnittmengen in ihren inhaltlichen Zwecksetzungen. Die Weltausstellungen sind ja keine bloßen Messen der Industrie und des Kunstgewerbes, auf denen einerseits Firmen und Nationen miteinander konkurrieren und andererseits der nationenübergreifende technologische – und mehr und mehr auch der soziale und kulturelle – Fortschritt gefeiert wird. Von Anfang an verbindet sich mit ihnen die Idee eines durch den expandierenden Weltmarkt und neue Verkehrs- und Kommunikationstechniken ermöglichten Zusammenrückens, ja Sichangleichens der Nationen, was die Erwartung oder zumindest Hoffnung eines friedlich-freihändlerischen Weges zu dieser großen Fortschrittsgemeinschaft in sich schließt. Prince Albert, Vorsitzender der Royal Commission, welche die Londoner Ausstellung von 1851 organisierte, sprach damals von der »Zeit eines wunderbaren Ueberganges (...), welcher der Verwirklichung des großen Zieles, auf das in der That die ganze Weltgeschichte gerichtet ist – der Darstellung der Einheit des Menschengeschlechtes –, rasch zustrebt«, und proklamierte als Ziel der World Fair »die gedeihliche Beförderung aller Zweige des menschlichen Fleißes und die Befestigung der Bande des Friedens und der Freundschaft unter allen Nationen der Erde«.64 Bei der Förderung technischer und organisatorischer Verbindungen und Verknüpfungen der Nationen können die Weltausstellungen zweifellos Erfolge vorweisen, nicht nur durch den Wissensaustausch bei der Messe selbst, sondern auch durch Beschlüsse und Anregungen in der Ausstellung integrierter Konferenzen. Das betrifft zum Beispiel die Internationalisierung der Bevölkerungsstatistik, der Längenmaße, der Copyrightbestimmungen und die Einrichtung einer internationalen Postunion.65 Das Friedensthema jedoch tritt auf den Ausstellungen nach 1851 merklich zurück und der Gedanke des nationalen Wettstreits und des Ringens um Vorherrschaft in den Vordergrund – wobei unter anderem die vom deutschen Kaiserreich mit wachsender Begeisterung präsentierten Krupp-Kanonen demonstrieren, dass dieses Ringen sich nicht auf Mittel der friedlichen Konkurrenz beschränkt. 94
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In der Rhetorik und wohl tatsächlich auch im Selbstverständnis der Veranstalter gehören Völkerverständigung und Völkervereinigung allerdings nach wie vor zu den Essentials der Ausstellungen. Das gilt nicht zuletzt für 1889, wo der französische Staatspräsident Carnot sich überzeugt gibt, dass diese »großartigen Feste der Arbeit (...) die Zeit immer näher bringen, wo die Einkünfte der Völker aus dem Ertrage ihrer Arbeit nur noch Werken des Friedens gewidmet sein werden«66. Auf den zahlreichen internationalen Kongressen, die zum Ausstellungsprogramm gehören, gibt es durchaus Kräfte, die solche Proklamationen beim Wort zu nehmen und daran anzuknüpfen suchen. Das gilt insbesondere für den vom 23. bis 27. Juni in Paris tagenden »International Peace Congress«, das erste größere internationale Treffen der bürgerlichen Friedensbewegung seit 1853, auf dem die Einrichtung eines internationalen Schiedsgerichtshofs gefordert wird (wie man ihn dann, allerdings erst zwei Weltkriege später, in Den Haag einrichtet). In seiner Eröffnungsrede rekurriert der Tagungspräsident Frédéric Passy auf die gleichzeitige Weltausstellung, die er »nothing else than a great Pacific Congress« nennt: »This manifestation of the unity of labour, amid the struggle for existence, is a symbol of the moral unity of the human race. The Exhibition shows the fraternity of things; the Congress declares the fraternity of man.«67 Auf dem marxistischen Arbeiterkongress, der keine drei Wochen später beginnt, bezieht sich niemand auf den Kongress der bürgerlichen Pazifisten. Die Maxime heißt hier nicht Menschheitsverbrüderung, sondern Arbeitersolidarität. Doch hinter dem Nahziel, die sozialistische Bewegung international zu koordinieren, taucht auch hier das Fernziel der Völkerverbrüderung, ja der Völkervereinigung auf. »Das Proletariat«, sagt Lafargue in seiner Eröffnungsrede, »wird durch Aufhebung der Klassengegensätze beenden, was 1789 und 1793 begonnen ward. Das Proletariat legt den Grundstein zur großen Liga des Friedens und der Freiheit, zur Liga der Vereinigten Staaten der ganzen Welt.«68 Und Edouard Vaillant schließt seine Begrüßungsrede mit dem Ausruf: »Hoch die sociale internationale Republik!«69 Wilhelm Liebknecht nimmt die Parole am Ende des Kongresses bei einem »Verbrüderungs-Bankett« wieder auf und toastet nicht nur »auf die Verbrüderung der Völker durch den Sozialismus«, sondern auch »auf die Vereinigten Staaten der Welt«.70 Die erscheinen allerdings noch so weit entfernt, dass die Ausführungsbestimmungen – ein Bundesstaat, ein Staatenbund? – sinnvollerweise unerörtert bleiben. 95
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Doch so weit die Parolen im »Salle des Fantaisies Parisiennes« – so heißt einer der beiden Tagungssäle des Kongresses – der Gegenwart vorauseilen, in einem bleiben sie ihr über Gebühr verhaftet: Bei der künftigen Weltrepublik sind zwar, anders als bei der universalistischen Utopie der bürgerlichen Revolution, die Freiheits- und Gleichheitsrechte der Arbeiter mitgedacht, aber die der Dritten Welt bleiben weiterhin ausgeklammert. »Die sociale Umgestaltung«, sagt Lafargue, »vorbereitet durch die nationale und internationale Entwicklung und Organisation der Produktivkräfte wird die civilisirten Nationen Europas und Amerikas zusammenschmelzen zu einem einzigen Volke von freien Erzeugern und Besitzern der aus gemeinsamer Arbeit entsprungenen Reichthümer.«71 Von der Selbstbestimmung der Kolonialvölker, die zur selben Zeit auf den Champs de Mars als Neuerwerbungen der Grande Nation vorgezeigt werden, ist auf dem Kongress noch nicht die Rede. Das Sein der Arbeiterbewegung bestimmt ihr Bewusstsein. »Im internationalen Maßstab«, schreibt Eric Hobsbawm in »Das imperiale Zeitalter«, »blieb der Sozialismus vor 1914 weitgehend eine Bewegung von Europäern und weißen Auswanderern oder deren Nachkommen. Der Kolonialismus war für ihre Interessen von untergeordneter Bedeutung.«72 Ein Cloots, welcher der Versammlung dieses Manko ad oculos demonstriert, findet sich 1889 nicht. Rheinischer Sozialismus
Wenn die Völker Brüder werden sollen, das wissen die 221 französischen und 81 deutschen Kongressdelegierten, dann müssen sie hier und heute damit den Anfang machen: Sie müssen ein Zeichen gegen die deutsch-französische Feindschaft setzen. Diese erlebt gerade wieder eine Blütezeit. Die Annexion von Elsass-Lothringen nach dem 1870er-Krieg schwelt als Dauerbelastung über den Beziehungen. Die mit einem Revolutionsdatum verbundene Weltausstellung wird von Deutschland noch strikter boykottiert als von anderen Monarchien. Vice versa hat ein Jahr zuvor der – inzwischen abgesetzte – Kriegsminister Boulanger nach der Verhaftung eines französischen Polizeikommissars in Deutschland eine Teilmobilmachung angeordnet, und die revanchistische Boulangistenbewegung rumort noch immer. Der Arbeiterkongress reagiert auf die gespannte Situation mit aller rhetorischen und symbolischen Macht, die ihm zur Verfügung steht. Bei seiner Eröffnungsrede am 14. Juli begrüßt Lafargue »ganz besonders« die Deut96
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schen, die mit ihrem zahlreichen Kommen bewiesen, »dass zwischen dem socialistischen Deutschland und dem socialistischen Frankreich keine Rede ist von jenen thörichten Gehässigkeiten und blinden Leidenschaften, welche die Chauvinisten beider Länder mit soviel Eifer lebendig erhalten«.73 Bezeichnend, wer anschließend zu den beiden Kongressvorsitzenden gewählt wird: Edouard Vaillant, einst Medizinstudent in Tübingen, wo er Ende der 1860er Jahre eine Gruppe junger Sozialisten um sich versammelte, und wie gesagt Wilhelm Liebknecht, dessen damaliges Eintreten für die Pariser Kommunarden und gegen die Abtrennung von Elsass-Lothringen – wofür er, wie Bebel, für zwei Jahre ins Gefängnis kam – bei den französischen Sozialisten unvergessen ist. Liebknecht sagt in seiner Dankesrede, in die er mehr und mehr vom Deutschen ins Französische hinüberwechselt: »Nach dem furchtbaren Bruderkrieg, in dem unsere beiden Nationen sich zerfleischt, reichen sich so in unserer Person gewissermaßen die beiden Völker die Hand: das socialdemokratische Deutschland dem socialdemokratischen Frankreich. (Die Vorsitzenden schütteln einander die Hand unter brausendem Jubel der Versammelten.) Die Feindschaft Deutschlands und Frankreichs war bisher das Haupthindernis des politischen und socialen Fortschritts in Europa. Die Verbrüderung Frankreichs und Deutschlands ist der Triumph des Friedens, der Civilisation, des Socialismus.«74 Auch die anderen Mitglieder der deutschen und der französischen Delegation möchten Zeichen setzen. Während der Kongressverhandlungen geben die Deutschen bekannt, dass sie 1000 Francs für die Opfer eines Grubenunglücks in St. Etienne spenden. Als das Tagungsbüro dazu auffordert, diesem Beispiel zu folgen, verlangen französische Delegierte, dass der Ertrag mit derzeit streikenden Bergleuten in Westfalen geteilt werde. Worauf die Deutschen insistieren, dass ihre 1000 Francs ausschließlich nach St. Etienne gehen.75 »Auf unserem Kongress herrschte die echteste Brüderlichkeit«, schreibt Lafargue später an Engels. »Die französischen Teilnehmer verhalten sich sehr respektvoll gegenüber den Ausländern und speziell den Deutschen. Bebel und die anderen, die sich davor fürchteten, nach Paris zu kommen, sind jetzt beruhigt. Ein Deutscher sagte mir beim Bankett. ›Ich bin nicht zufrieden, ich bin aus tiefstem Herzen froh.‹«76 Dieselbe Erleichterung spricht auch aus Briefen und Berichten, welche deutsche Delegierte nach Hause schicken. Dabei wird immer wieder hervorgehoben, dass einen nicht nur französische Arbeiter »ihrer durchaus brüderlichen Gefühle für die Deutschen versichert hätten«,77 sondern die Bevölkerung allgemein den deutschen 97
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Gästen freundlich begegnet sei. Man muss dazu wissen, dass in nationalistischen deutschen Blättern damals ganz andere Meldungen umgehen. Dort wird vor Besuchen der Weltausstellung gewarnt, da deutsch sprechende Touristen in Frankreich beschimpft und misshandelt würden.78 Der Stuttgarter Gewerkschafter Karl Kloß rückt das in der »Neuen Tischler-Zeitung« zurecht, wenn er über den Empfang des Pariser Magistrats für die Kongressdelegierten schreibt: »Die Worte der Begrüßung verstanden wir nicht, aber die Kraft und Wärme des Händedruckes schien nicht von Revanchegelüsten zu zeugen.«79 Und die »Berliner Volks-Tribüne« preist »die echte herzliche Liebenswürdigkeit, welche den deutschen Delegirten, die die Fahne ihrer Landsmannschaft durchaus nicht zu verbergen brauchten, sondern sich überall als ›Prussiens‹ bekennen durften, von allen Volkskreisen entgegen gebracht wurde. Von dem durch unsere Reptilienblätter den Franzosen vorgeworfenen Deutschenhaß und Chauvinismus haben wir keine Spur gefunden.«80 Es freue die Franzosen sogar, wenn sie Deutsche reden hörten, weil es zeige, dass viele trotz der Antipathie der Reichsregierung die Weltausstellung besuchten: »Die Angst vor dem Krieg beherrscht hier Alles; und daß die Deutschen so massenhaft herkommen, wird allgemein als eine Friedensbürgschaft aufgefaßt. (...) Es wäre komisch, wenn es nicht so traurig wäre, dieses internationale Mißverständniß: die Franzosen gleich den Deutschen fürchten nichts mehr als den Krieg und die Franzosen fürchten von den Deutschen, die Deutschen von den Franzosen angegriffen, überfallen zu werden.«81 Die Botschaft ist klar: Wie auch immer Regierungen und Zeitungen denken – bei der großen Masse der Bevölkerung diesseits und jenseits des Rheins herrscht nicht Kriegslüsternheit, sondern Kriegsangst. Eben dies ist die Ratio der von Edouard Vaillant vorgelegten und von deutscher und französischer Seite mitredigierten Resolution, die der Sozialistenkongress am 21. Juli verabschiedet. An die Stelle stehender Heere soll die allgemeine Volksbewaffnung treten. Sind die Armeen erst einmal zu einer »Organisation des ganzen Volkes« geworden, so ist man überzeugt, werden sie nicht mehr Instrumente einer monarchischen oder kapitalistischen Angriffspolitik, sondern einer »friedlichen Demokratie« sein.82
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Der Umgang mit Verschiedenheit „Verschiedene Temperamente“
Der Kongress ist nicht nur eine Bühne, auf der Völkerverständigung propagiert und zelebriert wird. Er demonstriert auch etliche kulturelle Unterschiede, die eine solche Verständigung erschweren. Da sind einmal die Sprachhürden. Die Konferenzsprachen sind, wie heute bei der Europäischen Union, Französisch, Englisch und Deutsch, jeder Redebeitrag muss also zweimal übersetzt werden. Vor allem aber stoßen verschiedene politische Kulturen aufeinander. Dabei zeigt sich, dass die angeblich vaterlandslosen Gesellen in ihrem Reisegepäck eine Menge vaterländischer Idiosynkrasien mit sich führen. Markante Beispiele dafür finden sich in der Post, die Georg von Vollmar, damals Landtagsabgeordneter in Sachsen, später Vorsitzender der bayerischen SPD, seiner Frau nach Hause schickt. Schon von der Anreise genervt (»Die französischen Wägen elend«, »Das Ganze verangenehmt durch einen ebenso spezifischen als durchdringenden Geruch der anwesenden Italiener«), überkommt ihn gleich nach der Ankunft »eine riesenhaft anschwellende germanische Waldwuth gegen das quixende, lärmende, r ollende stinkende Babel«.83 Viele andere Parisberichte deutscher Sozialdemokraten fallen freundlicher aus, doch stößt man immer wieder auf negative Stereotype vom ›typisch Französischen‹ und die Bereitschaft, sie bestätigt zu finden. So wird die Tatsache, dass die Pariser Genossen zu wenig Unterkünfte besorgt und einen zu kleinen Saal bestellt haben, als Beispiel für französische Unzuverlässigkeit ausgelegt. Im »Sozialdemokrat« wird den Franzosen zudem eine mangelnde Diskussionsdisziplin attestiert und die »Mannszucht«, der Takt und der gute Humor empfohlen, derer sich vor allem die Deutschen befleißigt hätten.84 Auch Karl Pinkau, Gewerkschafter aus Borsdorf bei Leipzig, vermeldet einen gelinden Kulturschock darüber, dass bei den Franzosen »jeder in die Rede eines andern hineinreden kann. Den Deutschen kam das anarchistisch vor (...).« Gegenseitigen Chauvinismus, so fügt er hinzu, habe er keinen erlebt, aber »die verschiedenen Temperamente und die verschiedenen Eigenschaften der Nationen kollidierten öfters«85. Diese Erlebnisse kultureller Differenz sind freilich auch Anstöße zu gut ethnologischen Relativierungen der eigenen Maßstäbe. Wilhelm Liebknecht, Volkspädagoge der Völkerverständigung, macht das im »Berliner Volksblatt« 99
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vor. Zunächst schildert er drastisch das »Höllenspektakel«, das ihm bei einer Stadtratssitzung in Paris entgegenschlug: »Franzosen, die mit einander streiten, können, ohne daß es ernst wird, mindestens das dreifache Maß äußerlicher Leidenschaft erreichen, welches bei uns die Grenze zwischen Worten und – Handlungen bedeuten würde.« Doch dann empfiehlt er nicht den Franzosen mehr Zurückhaltung beim Reden, sondern seinen deutschen Lesern mehr Zurückhaltung in ihrem Urteil: »Ich sage: äußerlicher Leidenschaft – denn der Schein ist leidenschaftlicher als die Wirklichkeit. Jedenfalls haben wir, weil unser Temperament ein kühleres ist, kein Recht, auf diese nationale Eigenthümlichkeit der Franzosen mit Verachtung herab zu sehen. Sie hat beiläufig auch ihre Vortheile, indem sie den Verhandlungen ein größeres dramatisches Interesse verleiht und – was wichtiger – die Debatten eingehender und fruchtbarer macht. Der Redner wird zu sofortiger Gegenrede gezwungen und mancher Gedanke, der bei unserer Manier unausgesprochen bliebe, kommt zum Ausdruck. Im amerikanischen Kongreß ist die Unterbrechung und sofortige kurze Gegenrede offiziell durch die Geschäftsordnung anerkannt; und die Einrichtung hat sich in der Praxis vortrefflich bewährt.«86 Fast dieselbe Belehrung erteilt übrigens Friedrich Engels August Bebel, der sich bei ihm über die französischen Genossen beklagt, bei denen alles auf öffentliche Wirkung und äußeren Effekt berechnet sei:87 Was Bebel beobachtet habe, schreibt Engels, sei »kein bloß französischer Fehler. Hier [in Großbritannien, B. J. W.] und in Amerika ist es gradeso. Das ist Folge des freieren und länger gewohnten politischen Lebens.«88 Auch auf dem Kongress selbst scheint die interkulturelle Kommunikation Fortschritte gemacht zu haben. So berichtet der Gewerkschafter Pinkau, die Delegierten der verschiedenen Nationen »finden es in der ersten Zeit unbegreiflich, daß nach anderen Regeln verhandelt werden soll«. Jedoch: »In den letzten Tagen ließ jede Nation von ihren eigentümlichen parlamentarischen Formen etwas fallen und infolge dessen hatten die letzten Sitzungen einen ruhigeren Charakter.«89 Und »Der Sozialdemokrat« schreibt: »In den ersten Tagen berührte (die Deutschen) das schnelle Aufschäumen des gallischen Temperaments etwas fremdartig, nachdem sie aber gesehen, wie schnell da auf den Sturm die Ruhe folgt, ließen sie sich nicht mehr außer Fassung bringen, wenn infolge irgendeines Missverständnisses oder anderen Zwischenfalles die Versammlung, wie die Franzosen es nennen, houleuse – übersetzen wir es mit stürmisch erregt – wurde. Sie begriffen, wie übrigens auch Andre, daß ein Internationaler Kongreß ohne gegenseitige Toleranz ein Unding ist.«90 100
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Auch Berichte von britischen Delegierten konstatieren eine zunehmende Annäherung der Vertreter verschiedener Nationalitäten. »These Englishmen have gained much by their presence«, urteilt John Burns. »The Congress has toned down many of their similar prejudices, and, I believe, idealised them to a greater extent than I thought possible. There has been reciprocity of feeling and action that must be productive of great good to the workers of the world.«91 Robert Cunninghame Graham schreibt befriedigt: «Men who had read of one another met and talked and smoked together. National angularities were smoothed off, and toned down. The German and Frenchman fraternised. They saw that not they but their Government were enemies, they parted mutually satisfied, and with the feeling that there was nothing intrinsically bad in a Frenchman or a German.« Und er fügt einen bemerkenswerten Satz hinzu: «The English Trade Union gave organizing power, the Italians sincerity and fire, the Germans steadiness and the French independence of character.«92 Gewiss, das sind – wenngleich nicht aus der Luft gegriffene – Nationenklischees. Das ändert aber nichts daran, dass hier das A und O jedes glückenden Internationalismus festgehalten wird: kulturelle Vielfalt nicht nur, wie das der eben zitierte »Sozialdemokrat« tut, aus Einsicht in die Notwendigkeit zu tolerieren, sondern sie als Zugewinn, als Kumulation nützlicher Fähigkeiten zu begreifen. Internationalismus wird in Paris nicht nur beschworen, sondern bereits eingeübt. Niemanden ausschließen!
Der Kongress hat es nicht nur mit den nationalen, sondern mehr noch mit den politischen Grenzen zu tun, welche die Arbeiterbewegung trennen. In allen Ländern existieren konkurrierende Arbeiterparteien und in vielen Ländern dementsprechend gespaltene Gewerkschaften. Die gastgebenden Franzosen sind gar in sechs Fraktionen zersplittert: Broussisten, Guesdisten, Blanquisten, Allemanisten, Syndikalisten und Anarchisten93. Die Kongresseinladung hat keine Richtung ausgeklammert: Alle sozialistischen Arbeiterorganisationen und Gewerkschaften sind zur Teilnahme berechtigt. Ein Bekenntnis zu bestimmten Theorien und politischen Strategien ist nicht verlangt worden.94 Damit sind auch die Anarchisten nicht von den Verhandlungen ausgeschlossen, an deren Grundsatzstreit mit den Marxisten einst die Erste Internationale zerbrochen war. Mit der Spaltung in ihren und den 101
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gleichzeitigen Possibilistenkongress wollen sich die Delegierten ebenfalls nicht abfinden. Bemühungen um eine Kooperation zwischen den Marxisten auf der einen, den Anarchisten bzw. den Reformsozialisten auf der anderen Seite prägen über weite Strecken den Kongressverlauf: Die Breite des Bündnisses ist vielen Delegierten wichtiger als die Reinheit der Lehre. Sonntag, 14. Juli Bei der Wahl des Kongresspräsidiums werden neben Costa, Anseele, Frankel und Lawroff die Anarchisten Francesco Savario Merlino und Amilcare Cipriani sowie der anarchistischen Positionen nahestehende Ferdinand Domela Nieuwenhuis gewählt. Ein beachtenswerter Vorgang: Schließlich erinnert man sich auf parteisozialistischer Seite schmerzlich an die staatlichen Repressionen, welche die eigenen Organisationen nach anarchistischen Putschversuchen und Anschlägen trafen – zum Beispiel zehn Jahre zuvor in Italien und fünf Jahre zuvor in Österreich, wo solche Attentate mit einem noch immer andauernden Ausnahmezustand beantwortet wurden, der den Handlungsspielraum der Arbeiterbewegung erheblich einschränkte.95 In Deutschland war es die Pistolenattacke eines Anarchisten auf den Kaiser, der Bismarck das Verbot der Sozialdemokratie erleichterte. Was das Verhältnis zu den Possibilisten betrifft, wird sofort nach den Eröffnungsreden von mehreren Seiten beantragt, die Spaltung in zwei Sozialistenkongresse zu beheben. »Bürger Werner aus Berlin erklärt, daß er ebenso wie mehrere seiner Mitdelegirten beauftragt ist, alles Mögliche zu thun, um eine Einigung der beiden Congresse herbeizuführen.«96 »Bürger Costa erklärt, daß alle italienischen Delegirten das Mandat erhalten haben, sich beiden Congressen anzuschließen, und alle Anstrengungen aufzubieten, um sie in einen zu verschmelzen.«97 Montag und Dienstag, 15. und 16. Juli Die Frage, wie man die beiden Kongresse integrieren könne, wird zum Hauptthema der Sitzungen. Die Meinungen divergieren, doch der Wunsch nach einer Einigung dominiert. Der Sprecher der radikalen Gewerkschafter aus Marseille wirft den Possibilisten zwar vor, sie seien »Pseudo-Socialisten à la Bismarck«,98 denen man nicht entgegenkommen dürfe, doch er gibt ihre Anhängerschaft ebenfalls nicht für verloren und fordert sie zum Übertritt auf: »Dem ungeachtet rufen wir allen Delegirten der Gruppen, Zirkel und Gewerkschaften auf ’s Neue zu, daß sie mit der Herzlichkeit aufgenommen 102
Fantaisies Parisiennes: Über die Arbeiterverbrüderung zur Völkerverbrüderung
werden, welche in der Natur unabhängiger Socialisten liegt. (...) Sie sehen also, dass wir Niemand ausschließen wollen. Alle Organisationen, welche sich uns nähern, sollen willkommen sein.«99 Der US-Amerikaner Bushe meldet, er besitze ein Mandat für beide Kongresse, habe die Possibilisten aber »nicht socialistisch genug befunden« und nehme nun nur am Marxistenkongress teil. Aber auch er ist für eine Einigung.100 »Lebhaften Beifall« verzeichnet das Protokoll, als Domela Nieuwenhuis ausruft: »Wir wollen eine internationale Verständigung, keine internationale Spaltung. (...) Marx hat nicht gesagt: Socialisten aller Länder!, sondern schlechthin: ›Proletarier aller Länder!‹ Wohlan, wir verkündigen dies Evangelium!«101 Schließlich wird mit deutlicher Mehrheit – zwölf gegen sechs Nationen – ein Vorschlag von Wilhelm Liebknecht angenommen, wonach der Kongress »auch jetzt noch zur Verständigung und Einigung bereit ist«.102 Mittwoch 17. Juli Das Tagungsprotokoll, das bisher über einige Wortmeldungen von Anarchisten, aber über keine Konfrontation berichtet hat, vermerkt: »Bürger Sebastien Faure, Anarchist, protestirt sowohl in seinem Namen wie in dem seiner Kameraden gegen jede Annahme, daß von ihrer Seite systematisch Schwierigkeiten bereitet würden. ›Wir sind keine Gegner‹ – fügt er hinzu.« »Grade in diesem Augenblick«, fährt das Tagungsprotokoll fort, »wurde übrigens im Congreßsaale selbst ein Plakat angeheftet, mittels dessen die ›Genossen‹ die Socialisten aufforderten, sich ihrer angemaßten ›Führer‹ zu entledigen, wobei behauptet wurde, die Letzteren seien nichts anderes als Feinde der Proletarierverbrüderung.«103 In der Abendsitzung lässt der belgische Tagespräsident Anseele einige Anarchisten, die den Bericht von Piotr Lawroff über die russische Arbeiterbewegung mehrfach unterbrechen, als »systematische Störer« vor die Tür setzen. Der Kongress beschließt (unklar ist, ob danach oder schon zuvor), einen Ordnerdienst einzurichten. Wie Julius Bruhns in seinen Erinnerungen stolz berichtet, wird dieser von deutschen Delegierten gestellt: »Wer eignete sich dazu wohl besser als die biederen Deutschen, die, wenn auch Sozialdemokraten, doch alle etwas vom Schutzmann im Blut stecken haben! Eine Anzahl der größten und stärksten unserer Leute tat sich also zusammen, um diejenigen anarchistischen Störenfriede, die sich gar nicht anders davon überzeugen lassen wollten, daß sie nicht gern gesehene Gäste dieses Kongresses seien, dadurch zu dieser Erkenntnis zu bringen, daß man 103
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sie mehr oder weniger sanft, je nach ihrem eigenen Verhalten, vor die Tür setzt.«104 Nachdem die Auseinandersetzung mit den Anarchisten eskaliert ist, bringt Vaillant die Nachricht, dass auch eine Einigung mit den Possibilisten nicht möglich war. Man tröstet sich damit, dass die holländischen, italienischen105 und dänischen106 Delegierten des anderen Kongresses inzwischen zum Marxistenkongress übergewechselt sind und etliche, vor allem britische Teilnehmer107 der anderen Seite sich bei den Marxisten zumindest sehen lassen. Donnerstag, 18. Juli Der Anarchist Merlino hält eine Grundsatzrede. Er erklärt die Bemühung um Reformen wie zum Beispiel den Achtstundentag für »eine anti-socialistische, eine Bourgeois-Arbeit«, die nur zur Korruption der Arbeiterschaft führe, und prognostiziert: »Der Socialismus wird mehr und mehr zeigen, daß er unfähig ist, die Emancipation der Menschheit zu verwirklichen; sein Tod wird daher nicht zu beklagen sein.«108 In Zwischenrufen wird gefordert, dem Redner das Wort zu entziehen, doch die Mehrheit bleibt darauf bedacht, sich nicht den Vorwurf der Zensur einzuhandeln. Und ihre Stimmung ist nicht vollkommen feindselig. Als Merlino, dem offiziellen Dolmetscher misstrauend, seine Rede auf Englisch und Deutsch wiederholt, ertönt bei der deutschen Version Beifall. Die Applaudanten geben aber zu Protokoll, »daß ihr Beifall sich ausschließlich auf die Uebersetzung, nicht auf den Inhalt der Rede beziehe«109. Der »Sozialdemokrat« wird es später zu den Vorzügen des Kongresses rechnen, dass keiner Richtung in der modernen Arbeiterbewegung das Wort versagt geblieben sei: »Selbstverständlich ist, daß man auf einem internationalen Arbeiterkongreß niemand seiner abweichenden Gesinnung halber zurücksetzen oder gar ausschließen darf. Jeder, der die allgemeinen Zulaßbedingungen erfüllt, hat Anspruch darauf, gehört und als gleichberechtigt berücksichtigt zu werden.«110 Freitag, 19. Juli Der Kongress nimmt einen Antrag von Lafargue an, mehreren oder mindestens einem Anarchisten mehr als die üblichen 15 Minuten Redezeit einzuräumen, »damit sie sich nicht über Unduldsamkeit beklagen können, die man der Auseinandersetzung ihrer Theorien entgegengebracht habe«111. Abends empfängt der Pariser Magistrat die Teilnehmer der beiden sozi104
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alistischen und einiger Gewerkschaftskongresse, die zu dieser Zeit in der Stadt tagen, im Rathaus. »There the delegates from both Congresses met and chatted in a very friendly spirit«, erzählt John Burns. »One English delegate who had voted against the union [der zwei Kongresse, B. J. W.] remarked to me that if that meeting had been held the day before the two Congresses opened there would have been amalgamation.«112 Samstag, 20. Juli Der Kongress stimmt über die eingebrachten Resolutionen ab. Anarchistische Delegierte verlangen mehr Diskussion und machen laut Protokoll so systematisch Lärm, dass man sie verdächtigt, sie wollten »den socialistischen Congreß auseinandersprengen, ehe derselbe zu Resultaten gelangt wäre«113. Drei von ihnen, darunter Merlino, werden aus dem Saal gebracht; acht Delegierte folgen ihnen aus Solidarität nach.114 Zur selben Zeit enthüllt sich die starke inhaltliche Konvergenz zwischen dem Marxisten- und dem Reformistenkongress. Hier wie dort werden Resolutionen verabschiedet, welche die Begrenzung der täglichen Arbeitszeit auf acht Stunden, ein weitgehendes Verbot von Nachtarbeit und ein generelles Verbot der Kinderarbeit sowie die ökonomische Gleichstellung von Mann und Frau, also gleichen Lohn bei gleicher Arbeit fordern. Zwei wichtige Beschlüsse fassen allerdings nur die Marxisten: eine Resolution zur Abschaffung der stehenden Heere – der Frieden, so heißt es darin, sei »die erste und unerläßliche Bedingung jeder Arbeiter-Emancipation«115 – und die Durchführung einer länderübergreifenden Manifestation (in der deutschen Übersetzung: Kundgebung) am 1. Mai, die für den Achtstundentag und alle anderen Forderungen der Versammlung eintreten soll. Eine bessere internationale Zusammenarbeit der Sozialisten propagieren jedoch beide Kongresse. Die Possibilisten beschließen, zwischen den sozialistischen Organisationen der verschiedenen Länder mithilfe von Syndikatskammern und Fachgruppen dauernde Beziehungen herzustellen.116 Der Marxistenkongress lehnt zwar den Vorschlag, einen internationalen »Zentralausschuss« zu gründen, mit Rücksicht auf die Gesetzeslage in vielen Ländern ab – die revolutionären Sozialisten müssen in der Tat staatliche Repressionen wegen einer internationalen »Verschwörung« mehr fürchten als die reformistischen. Gewählt wird immerhin eine fünfköpfige Exekutivkommission, die vor allem die Aufgabe haben soll, den nächsten Kongress einzuberufen.117 Auch die Jubelrufe am Ende der Kongresse ähneln sich. In der Rue de 105
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Lancry, bei den Possibilisten, schließt die Versammlung mit den Rufen: »Es lebe die Kommune! Es lebe die Internationale! Es lebe die soziale Revolution!«118 Für die Marxisten in der Rue Rochechouart vermerkt das Protokoll: »Minutenlang mischen sich in französischer und deutscher Sprache die Rufe: Vive la République sociale! Vive la Révolution sociale!« Und beim anschließenden Festbankett bringt Vaillant einen Toast auf die »neue Internationale«119 aus. Sonntag, 21. Juli Delegierte beider Kongresse besuchen den Mur de Fédéres im Friedhof Père Lachaise, wo nach der Niederlage der Commune 147 Kommunarden hingerichtet wurden. Sie legen Kränze nieder und halten Ansprachen. Allerdings zelebriert man die Konkordialität getrennt: Die Marxisten kommen um 10 Uhr, die Possibilisten um 15 Uhr zur Gedenkfeier. Föderativ, nicht zentralistisch
»In einer großen freien Partei«, wird August Bebel 1907 sagen, »muß es verschiedene Standpunkte geben. Die Einigkeit der Geister ist eine Torheit.«120 So oft die einzelnen Arbeiterparteien gegen diese Einsicht verstoßen haben: Die Weltpartei des Sozialismus, von der Bebel hier spricht, hat tatsächlich zeitlebens einen Binnenpluralismus praktiziert oder zumindest zu praktizieren versucht. Was den Versuch angeht, so ist damit die Einbeziehung der Anarchisten gemeint, die mit dem Eklat von 1889 nicht als endgültig gescheitert betrachtet wird. Auf dem Zürcher Kongress 1893 diskutieren die ungleichen Brüder wiederum über einen Modus Vivendi. Die Mehrheit entscheidet schließlich, dass künftig bloß Delegierte zugelassen werden sollen, die nicht nur der direkten Aktion, etwa dem Streik, anhängen, sondern auch die »Notwendigkeit der politischen Aktion«, etwa der Beteiligung an allgemeinen Wahlen, anerkennen. Die Anarchisten lehnen dieses Ansinnen entrüstet ab – wiederum endet die Debatte in Tumult und Saalausschluss. Doch 1896 beim Londoner Treffen klopfen die Anarchisten wieder an die Tür, und die Kongressleitung demonstriert wiederum Gesprächsbereitschaft. Sie lässt die Zürcher Resolution nochmals zur Debatte stellen. Die Briten Keir Hardie und Tom Man eröffnen die Diskussion mit einem Appell zur Toleranz: Niemand solle seiner Meinung wegen zurückgestoßen werden, und ein Drittel der britischen Delegierten – allesamt keine Anhänger des Anarchismus, 106
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sondern des Fair Play – folgt ihnen. Die Niederländer und die Franzosen (diese mit 57 gegen 56 Stimmen) votieren gegen den Zürcher Resolution, doch sie bleiben damit allein. Am Ende wird beschlossen, die Anarchisten definitiv aus der Sozialistischen Internationale auszuschließen.121 Was bei den Anarchisten misslingt, gelingt bei den Reformisten. Ab dem zweiten Kongress der Internationale, 1891, tagen sie gemeinsam mit den Marxisten. Das bedeutet einerseits, dass man sich permanenten Streit ins Haus holt, andererseits, dass man über diesen Streit permanent verhandelt. Es ist bei Weitem nicht der einzige Graben, den die rote Internationale zu überbrücken hat, die weiterhin mit inter- wie innernationalen Verwerfungen konfrontiert ist. Und man ist sich oder wird sich bewusst, dass die zwischen und in ihren Ländern unterschiedlichen, ja divergierenden Sozialismen nicht durch Machtworte zu vereinheitlichen sind und eine Machtpolitik der großen Parteien die Gesamtbewegung schwächen würde. Deshalb, und nicht aus nationaler Borniertheit, stimmt man weiterhin nicht nach Parteienstärke, sondern nach Ländern ab, wobei jedes Land eine seiner Mitgliederstärke entsprechende Stimmenzahl erhält. Die Zweite Internationale, so lobt Camille Huysmans, seit 1905 Leiter des Internationalen Sozialistischen Büros in Brüssel, »(ließ) an die Stelle des radikalen Zentralisationsprinzips ihrer Vorgängerin das Föderationsprinzip treten«.122 »Die föderative Struktur der Internationale«, so stellt der Sozialhistoriker Karl-Heinz Klär einleuchtend heraus, »war (...) nicht nur das zwanghafte Spiegelbild des zeitgenössischen politischen Systems, sie entsprach auch den Anforderungen, die die proletarische Emanzipationsbewegung als ganze erfüllen mußte. Sie gewährleistete besser als eine zentralistische Organisation den unmittelbaren Kontakt mit den sehr unterschiedlichen Verhältnissen der einzelnen Länder und die intime Vertrautheit mit deren politischen, sozialen und ökonomischen Eigenheiten.«123 Mit zum Föderationsprinzip gehört, dass das Büro seine Funktion als Leitorganisation mit der eines Schiedsgerichts verbindet. Im Zweifelsfall sucht man einen Mittelweg – das »Correspondenzblatt« der deutschen Gewerkschaften nennt die internationalen Sozialistenkongresse einmal »Kompromißschmieden«124 – oder vertagt die Entscheidung. Diese freiwillige Unterwerfung unter die Diktatur des proletarischen Kompromisses vergrößert den Einflussbereich des Bündnisses und begrenzt seine Einflussmöglichkeiten. Im Ernstfall kann sie die Hyperaktiven an die Besonnenen oder aber die mit gutem Grund Entschlossenen an die leider noch Zögerlichen 107
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fesseln. Die Faust der Zweiten Internationale besteht aus fünf Fingern ohne Fausthandschuh. Sleepereffekt
Die sechs Tage von Paris waren, so ist wohl deutlich geworden, kein sechs tägiges Verbrüderungsfest, sondern sechs anstrengende Arbeitstage: lange, überlange Sitzungen in einem schlecht gelüfteten Saal, in dem – so Cunninghame Graham – »the cloud of tobacco smoke (...) hung over the assembly like canon smoke over a battle-field«125; das umständliche doppelte Übersetzen aller Redebeiträge, die sich zudem – Mikrofone gibt es ja nicht – schwer gegen den hohen Lärmpegel durchsetzen können; dazu harte Auseinandersetzungen zwischen den Fraktionen und mehrmals unschöne Tumulte. Kein Wunder, dass etliche Delegierte sich längere Auszeiten gönnen oder, wie auch William Morris, vorzeitig abreisen.126 Der laute Jubel, mit dem die Tagung endet, entspringt neben der Freude über die großen Mehrheiten, mit denen die wichtigsten Kongressanträge durchgegangen sind, sicherlich auch der Erleichterung darüber, dass die Strapaze endlich vorbei ist. Und er wird von etlichen grummelnden Kommentaren begleitet. So gibt sich zum Beispiel Georg von Vollmar in einer Postkarte an seine Frau gänzlich unen thusiastisch (»bin überhaupt rein Beobachter«) und attestiert den anderen deutschen Delegierten eine ähnliche Haltung: »Die Germanen sind ziemlich abgekühlt.«127 Noch Monate später seufzt Bebel in einem Brief an Domela Nieuwenhuis: »Ich hoffe, daß ein zweiter internationaler Kongreß, den ich so bald nicht wünsche, einen glatteren und alle Seiten zufriedenstellenderen Verlauf nimmt als der Pariser.«128 Auch in der öffentlichen Berichterstattung der Arbeiterbewegung werden, anders als man es – von heutigen PR-Erfahrungen ausgehend – erwarten könnte, die Mühen und die Konflikte der Tagung nicht verschwiegen. Das Resümee jedoch ist durchweg positiv. Der »Sozialdemokrat« zum Beispiel verbucht, mit einiger Plausibilität, die Verwerfungen auf dem Kongress als Beweis seiner Authentizität und spricht von Kinderkrankheiten, die sich legen werden: »Man merkt ihm noch in jeder Hinsicht den Werdeprozeß an. Das war in prinzipieller Hinsicht ein Vorzug, es bekundet seine Aechtheit, aber in Bezug auf die Abwickelung seiner Geschäfte war es ein Nachtheil, es verlieh ihm eine gewisse Unbeholfenheit – das Werden hat immer etwas chaotisches – und bewirkte ebenfalls manchen Zeitverlust.«129 Hier ist nicht ein108
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fach Schönfärberei am Werk, hier spricht der unerschütterliche Optimismus, der die a priori revolutionsgläubige und inzwischen durch sprunghaft wachsende Anhängerzahlen bestärkte Sozialdemokratie dieser Jahre auszeichnet. Mit einigen Wochen Abstand von der Schwerarbeit der internationalen und interfraktionellen Verständigung wird der Ton der deutschen Parteizeitungen bereits enthusiastisch. »Der Sozialdemokrat« schreibt am 10. August: »Das Pariser Arbeiterparlament hat für die Geschichte des gesammten Welt-Proletariats dieselbe Bedeutung, wie das Versailler Bürgerparlament weiland für das französische Bürgerthum«, und greift zum Topos von den großen historischen Augenblicken, die erst aus einiger Distanz heraus erkennbar würden: »Der internationale Arbeiterkongreß in Paris gehört zu jenen Ereignissen, die – umgekehrt wie die Sensationsereignisse des Tags – um so größer erscheinen, je mehr man sich zeitlich von ihnen entfernt. Alle wirklich bedeutungsvollen Ereignisse haben diese Eigenschaft: ihre Tragweite, die anfangs nur von Wenigen begriffen wird, macht sich erst allmählich, durch die Logik der Thatsachen, den Massen klar.«130 Das ist zu diesem Zeitpunkt eine sehr mutige Prognose, die sich jedoch als richtig erweisen wird. Die beiden Pariser Kongresse gründen de facto die Zweite Internationale – ein Begriff, der sich erst viel später einstellt –, mit ihnen beginnt eine 25-jährige Zusammenarbeit, die sich in einer kleinen Dachorganisation, dem Internationalen Sozialistischen Büro in Brüssel, und vor allem in einem zweijährlich tagenden, von mehr und mehr Ländern und Delegierten beschickten internationalen Arbeiterparlament manifestiert, das die Politik der nationalen sozialistischen Organisationen zu koordinieren sucht. Eine noch längere, und vor allem: eine äußerst wirkmächtige Tradition hebt der Maifeierbeschluss des Marxistenkongresses aus der Taufe. Zunächst wird er von den Beteiligten gar nicht sehr hoch gehängt. Das klingt ex post verwunderlich. Doch im Beschlussmoment war es, wie Friedrich Giovanoli, der erste Historiker des Arbeitermai, ganz zu Recht bemerkt, »ein kühner und verwegener Gedanke(,) mit dieser Manifestation in internationalem Maßstabe die ganze Arbeiterklasse der bürgerlichen Welt gegenüberzustellen. ›Ihr Gelingen setzte nicht nur ein bisher unerhörtes internationales Solidaritätsbewusstsein der Massen voraus, sondern auch ihre entschiedene Übereinstimmung über die Mittel und die Ziele des Klassenkampfes.‹«131 Erst im Frühjahr 1890, als es an die Umsetzung des Maivorhabens geht, wird erkennbar, dass dieses tatsächlich den Nerv der organisierten Arbeiterschaft trifft. »Die Resolution zum 1. Mai war die beste, die unser Kongreß 109
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annahm«, schreibt Engels am 16. April 1890 an Laura Lafargue. »Sie beweist unsere Macht in aller Welt, sie erneuert die Internationale besser als alle formalen Versuche zur Reorganisation und zeigt wieder einmal, welcher der beiden Kongresse der repräsentative war.«132 Die größte Antikriegsbewegung vor 1914 Über Binnen- und Außengrenzen hinweg
Verständlich, dass angesichts des überwältigenden Echos des Maiaufrufs alsbald in mehreren Ländern zugleich die Forderung laut wird, die Aktion im nächsten Jahr erneut durchzuführen – was auch geschieht. Und bald setzt sich eine weiter gehende Idee durch: Der nächste internationale Sozialistenkongress, der im August 1891 in Brüssel tagt, beschließt, den großen Tag der sich globalisierenden Arbeiterbewegung jedes Jahr zu wiederholen. Für Jahrzehnte werden Maikundgebung oder Maidemonstration zum Aushängeschild der Zweiten Internationale. Sie stehen für ihre Fähigkeit zur Massenmobilisierung, aber auch für ihre nur begrenzte Bereitschaft, die auch in friedlichen Aufmärschen enthaltene Botschaft »Wir sind so viele, wir könnten auch anders« zu überschreiten und tatsächlich zum Massenstreik oder gar zum Massenaufstand aufzurufen. Die 1890 noch vielerorts virulente Angst von Bürgertum und Staat, die Maifeier könnte stante pede in einen Arbeiteraufstand übergehen, nimmt im Lauf der Zeit ab. Zumindest die Binnenwirkung dieser schönen Augenblicke der Arbeiterbewegung bleibt gleichwohl groß und ist nicht nur transitorisch. Enthusiasmiert schreibt der deutsche Sozialdemokrat Hans Müller 1892 in seiner Broschüre »Werth und Bedeutung politischer Demonstrationen. Festschrift zur Maifeier«: »Nichts kann das Selbstgefühl und Machtbewußtsein der unterdrückten Klasse so sehr heben und steigern, als wenn sich die Arbeiter in Masse vereinigen und mit ihren Fahnen die Straßen durchziehen. (...) Es ermuthigt einen jeden Theilnehmer, wenn er sieht, daß viele Tausende, die er nicht kennt, die er niemals gesehen, mit ihm für eine gemeinsame Sache kämpfen.«133 Dass die Teilnehmerzahl in der Regel größer ist, als man sie von Parteiveranstaltungen her kennt, hat auch damit zu tun, dass beim Arbeitermaifest die Frauen, die ja vor dem Weltkrieg fast nirgends – außer in Finnland, Norwegen, Australien und zwei US-Bundesstaaten – wahlberechtigt sind und sich deshalb am politischen Kampf nur begrenzt beteili110
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gen können, mitmarschieren dürfen und sollen und auch Jugendliche sich mitlaufend und mitsingend als Mitglieder der »Arbeiterbewegung« betätigen und erleben können. Zudem bringen die Maiaktionen häufig die sonst so oft getrennt handelnden Flügel der Arbeiterbewegung, die Anarchisten, Marxisten und Reformisten, zusammen. In manchen Fällen entstehen daraus sogar dauerhafte Kooperationen vorher verfeindeter Brüder, so etwa in Argentinien, wo die Manifestation von 1890 die Vereinigung der beiden sozialistischen Organisationen und der Gewerkschaften in der »Federación Obrera« anstößt. Nicht unpathetisch, aber deshalb nicht unbedingt unrealistisch schreibt Friedrich Giovanoli: »An diesem Tag fühlt sich der klassenbewusste Arbeiter über alle (...) Schranken der inneren Gegensätze einzelner Organisationen und Richtungen hinweg, als Glied einer und derselben Bewegung mit den gleichen Aspirationen und einem Endziel.«134 Was die Maiaktionen besonders attraktiv macht, ist ihr Charakter der grenzüberschreitenden Simultaneität. Paul Lafargue hat dieses Moment damals sofort erfasst und eindrücklich geschildert: »Der Internationalismus drückt der Maimanifestation ein eigenthümliches, fast mystisches Gepräge auf. Es ist rührend, wenn Arbeiter, die nie aus ihrem kleinen Industrieorte herausgekommen sind, und die abseits von jeder Agitation leben, sich eifrig erkundigen, wie es um die Maimanifestation in anderen Ländern steht, deren Namen sie kaum kennen, und deren geographische Lage ihnen sicher ganz unbekannt ist. Sie hoffen auf den ersten Mai wie auf einen Tag der Erlösung, denn sie sagen sich, daß der Kampf der Kameraden da draußen, sie wissen selbst nicht recht wo, auch auf die Besserung ihres elenden Geschickes hinwirken müsse. Die Schüchternsten werden an diesem Tage kühn und ergreifen die Gelegenheit, um vom Unternehmer Verbesserungen der Arbeitsbedingungen zu fordern oder auch um Strikes zu erklären, ohne zu wissen, wie sie dieselben führen und aushalten sollen. In ihren Augen wohnt dem ersten Mai eine geheimnißvolle Macht inne, welche ihnen zum Siege verhelfen muß.«135 Eric Hobsbawm nennt die alljährlichen Kundgebungen zum 1. Mai »die die Gemüter wohl am tiefsten bewegende Institution zur Behauptung des Internationalismus der Arbeiterklasse«.136 Ein emphatischer und doch zugleich nüchterner Superlativ, da er die Maistimmung nicht mit der Werktagsstimmung der Arbeiterbewegung gleichsetzt.
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Eine neue Maiparole: Weltfrieden!
Zum Ruf nach dem Achtstundentag gesellt sich bald noch eine andere Maiparole: die Kampfansage gegen den Militarismus und den Krieg als Mittel der Politik. Schon der Pariser Kongress hat dem Feiertag auch die Forderung nach einer Abschaffung stehender Heere mit auf den Weg gegeben. Einem Beschluss des Zürcher Sozialistenkongresses von 1893 folgend, wird das Friedensmotto zum ersten Mal bei den Maifeiern von 1894 besonders herausgestellt. »Nie ertönt das ›K r i e g d e m K r i e g e ‹ , ›Guerre à la Guerre‹, das ›Guerra contra la Guerra‹ in der Arbeiterbewegung lauter und ungestümer als am 1. Mai«, schreibt Giovanoli. »Maifest und Weltfriede sind identische Begriffe geworden.« Auch in der Arbeit des Internationalen Sozialistischen Büros rückt das Thema Kriegsverhinderung mehr und mehr in den Mittelpunkt. Immer wieder wird einhellig konstatiert, dass »die Arbeiterklasse (...) eine natürliche Gegnerin des Krieges (ist), der im Widerspruch zu ihrem Ziele steht: Schaffung einer auf sozialistischer Grundlage beruhenden Wirtschaftsordnung, die die Solidarität der Völker verwirklicht.«137 Über die Möglichkeiten der Arbeiterbewegung, drohende Kriege zu verhindern, bleiben sich die in der Internationale versammelten Nationen und Fraktionen allerdings uneinig: Können Kriege vor dem Sturz des Kapitalismus überhaupt verhindert werden? Ist Landesverteidigung gegen einen Angreifer erlaubt – und wenn ja, wie lässt sich in actu feststellen, ob ein solcher Fall vorliegt? Wäre es erfolgversprechend, bei Kriegsgefahr über »moralische« Einwirkung wie Appell und Demonstration hinaus zu Massenstreiks aufzurufen, oder würde das nur die Existenz der Arbeiterparteien aufs Spiel setzen? Es reicht nur zu Formelkompromissen, wie sie der Internationale Sozialistische Kongresses in Stuttgart nach langer kontroverser Diskussion präsentiert: »Droht der Ausbruch eines Krieges, so sind die arbeitenden Klassen und deren parlamentarische Vertretungen in den beteiligten Ländern verpflichtet (...), alles aufzubieten, um durch die Anwendung der ihnen am wirksamsten erscheinenden Mittel den Ausbruch des Krieges zu verhindern (...).«138 Neben den Meinungen über die beste Strategie differiert auch die Bereitschaft zu gemeinsamen antimilitaristischen Initiativen. Immer wieder klagen vor allem die französischen Genossen darüber, dass die zahlenmäßig stärkste Kraft der Internationale, die deutsche Sozialdemokratie, sich zu passiv verhalte – so etwa im Russisch-Japanischen Krieg 1905 oder in der zwischen Frankreich und 112
Fantaisies Parisiennes: Über die Arbeiterverbrüderung zur Völkerverbrüderung
Abb. 10: Die Reportagezeichnung des »Vorwärts« sucht die stupende Massenbeteiligung zu veranschaulichen, welche die Berliner Friedenskundgebung während der Zweiten Marokkokrise erfährt: »Die Kundgebung der Berliner Arbeiter im Treptower Park ist sicherlich die größte Friedensdemonstration, die die Welt je gesehen hat. (...) Würdig war dieser Tag der Hauptstadt der deutschen Sozialdemokratie, der Hauptstadt der völkerverbrüdernden Internationale.« (Vorwärts, 4.9.1911.)
Deutschland ausgebrochenen Ersten Marokkokrise 1904 bis 1906, als sich die SPD der Aufforderung der französischen, britischen und belgischer Genossen zu gemeinsamen Protestaktionen lange verweigert.139 Ein Hauptgrund dafür ist die ständige Angst der Parteiführung, dass solche Aktivitäten sie in den Ruch des Landesverrats bringen und sie zudem die Stimmen von Arbeitern kosten könnten, die in »doppelter Loyalität« zu Arbeiterbewegung und Vaterland stehen.140 Mit all diesen Mängeln bilden die Parteien der Zweiten Internationale eine zwar zerklüftete und zögerliche, aber eben doch die größte und entschiedenste Antikriegsbewegung der Zeit.141 Während der Zweiten Marokkokrise 1911 zum Beispiel sind es neben bürgerlichen Pazifisten vor allem die europäischen Sozialisten, die zu Friedenskundgebungen aufrufen. Deren Zentren sind zunächst Paris und London; die SPD-Führung ruft erst 113
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nach vehementen Appellen des linken Flügels zu Massenkundgebungen auf. In Berlin sind es 200.000, die sich im Treptower Park versammeln und in einer Resolution die Friedensbereitschaft des internationalen Proletariats beschwören: »Ueberwältigend wirkte die Abstimmung«, schreibt enthusiasmiert der sozialdemokratische »Vorwärts«. »Als sich die Hunderttausende von Händen zum Himmel reckten (...), da fühlte jeder die Wucht des historischen Augenblicks: ›Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr‹«.142 Ähnliches wiederholt sich ein Jahr später beim Ersten Balkankrieg. In vielen europäischen Ländern versammeln sich hunderttausende Sozialisten zu Antikriegskundgebungen.143 Im Deutschen Reich bringen nicht zuletzt spontane lokale Initiativen die noch abwartende SPD-Führung dazu, ebenfalls zu »wuchtigen Demonstrationen« aufzurufen. Die Mitglieder sind zur Stelle: Der »Vorwärts« meldet eine »Riesenbeteiligung«: so zum Beispiel 15.000 in Kiel, 12.000 in Dortmund, 7000 in Köln – und über 200.000, die in Berlin gegen Dreiklassenwahlrecht, Teuerung und Kriegsgefahr demonstrieren. Diese Massenresonanz mindert die resignative Stimmung, die viele Internationalisten in der Frage der Kriegsverhinderung ergriffen hatte, und nährt den Optimismus, dass die Regierungen es sich aus Angst vor massiver Gefolgschaftsverweigerung zweimal überlegen, bevor sie einen Krieg vom Zaun brechen. Bestärkt wird das erneuerte »Kraftbewusstsein«144 der Arbeiterfriedensbewegung im November 1912 durch den erfolgreichen Verlauf des Basler Friedenskongresses der Zweiten Internationale und sein breites, auch in bürgerliche Kreise hineinwirkendes Echo. »Ich sehe ihn noch vor mir«, schreibt Helene Stöcker über den SPD-Reichstagsabgeordneten Eduard David, »wie er nach der Rückkehr von Basel zuversichtlich und tief befriedigt bei mir eintraf, sich behaglich in einem Sessel zurecht setzte und auf meine Frage nach dem Verlauf meinte: ›Nun haben wir den Weltfrieden gerettet.‹ Die öffentliche Erklärung der Vertreter aller sozialistischen Parteien in Europa gegen den Krieg musste – so glaubte selbst ein so kluger einsichtsvoller Mann wie David – genügend Eindruck auf die Regierungen machen, um sie von einer Kriegserklärung, die den Weltkrieg bedeutete, wie alle wussten, zurückzuhalten.«145
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Zwei Augusterlebnisse. Die deutsche Sozialdemokratie zwischen nationaler und internationaler Solidarität August 1914: Bekämpfte, geduldete, gewollte Entbrüderung Das vergessene Julierlebnis
Man kann behaupten, dass die deutschen Sozialdemokraten die Kriegsgefahr, die nach dem Attentat von Sarajewo heraufzog, wochenlang unterschätzt haben. Sie haben das mit vielen anderen Akteuren gemein. Aber als diese Gefahr durch das Ultimatum Österreich-Ungarns an Serbien am 24. Juli und die österreichische Teilmobilmachung vom 25. Juli unübersehbar wird, wacht die Arbeiterbewegung auf. Während das Gros der bürgerlichen Presse bereits in Kriegsstimmung ist und in vielen Städten »patriotische« Demonstrationen stattfinden, ruft der »Vorwärts« zu Massenkundgebungen für den Frieden auf: Man müsse »den Machthabern zeigen, muß der Welt beweisen, daß die breiten Massen sich einig fühlen mit den Brüdern und Schwestern jenseits der Grenze. Friede, Verständigung, nicht aber Völkermord und Völkerhaß, das ist der Wille des Volkes.«1 Die Resonanz ist größer als erwartet – und weit größer, als das kulturelle Gedächtnis der Deutschen es heute abbildet. In Groß-Berlin reichen die 27 Säle, in denen Versammlungen stattfinden, bei weitem nicht aus. Es kommen etwa 100.000 Menschen. In Leipzig gehen um die 50.000 auf die Straße. Aus Duisburg und Frankfurt werden zehntausende Friedensdemonstranten gemeldet, aus Dresden 35.000, aus Hamburg 30.000, aus Düsseldorf 20.000, aus Bremen 10.000. In 163 deutschen Gemeinden, so hat Wolfgang Kruse gezählt, finden in den letzten Julitagen 288 sozialdemokratische Kundgebungen gegen den drohenden Krieg statt.2 Die Gesamtsumme der Teilnehmer schätzt er auf 750.000.3 Die Mitgliederzahl der SPD beträgt damals etwa eine Million, ihre Wählerschaft sechs Millionen. 115
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Die kriegsbegeisterten Umzüge zur selben Zeit finden in der bürgerlichen Presse zwar ein weit größeres Echo, aber sie haben viel weniger Teilnehmer. Arbeiter sind hier ganz offenbar kaum dabei; neben gesetzten Herren sind es vor allem Gymnasiasten, Studenten und Handlungsgehilfen.4 Es ist also kein Pfeifen im Walde, wenn der »Vorwärts« am 29. Juli schreibt: »Der absurde Schwindel, daß das Volk in seiner Mehrheit von Kriegsbegeisterung befallen sei, wurde am Dienstag von der Arbeiterschaft gründlichst zuschanden gemacht.« Und auch seine Beteuerung, dass es sich in anderen Ländern ebenso verhalte,5 lässt sich bestätigen. In Paris demonstrieren Zigtausende von Arbeitern für den Frieden,6 in Russland finden am 20. und 27. Juli große Antikriegsstreiks statt, an denen sich allein in St. Petersburg um die 200.000 Arbeiter beteiligen,7 am 2. August gehen »ungeheuere Massen in allen Städten Englands«8 auf die Straße. Der Trafalgar Square, auf dem die Mitgründer der Zweiten Internationale, Keir Hardie und Cunninghame Graham, gegen eine englische Teilnahme am Krieg aufrufen, sieht die größte Demonstration seit Jahren.9 Die Kapitulation
»Gestern abend hatten wir hier eine ungeheure Demonstration gegen den Krieg«, schreibt der Sozialdemokrat Walter Stoecker am 30. Juli aus Leipzig an seine Braut. »40–50.000 Mann zogen wir 1 ½ Stunden durch die Stadt. Habe mich ganz heiser gesungen und gerufen. Es war eine so erhebende und begeisternde Kundgebung, daß ich sie nicht vergessen werde.«10 Anders als von jubelnden Kriegsunterstützern sind von der Leipziger Demonstration, ebenso wie von den vielen anderen Antikriegskundgebungen dieser Tage, keine Fotos bekannt – einer der Gründe für ihr fast völliges Verschwinden aus dem Gedächtnis. Ein anderer ist ihre durchschlagende Wirkungslosigkeit. Schon einige Tage danach erweisen sich die machtvollen Demonstrationen von Friedenswillen als Demonstrationen der Ohnmacht: Deutschland und Österreich-Ungarn auf der einen Seite und Serbien, Russland, Luxemburg, Frankreich, Belgien und Großbritannien auf der anderen Seite sind im Kriegszustand. War die Arbeiter-Internationale beim besten Willen zu schwach, um die Katastrophe zu verhindern? Hätte sie ihr Gewicht durch radikalere Maßnahmen vergrößern können? Hielt sie solche Maßnahmen für unnötig, weil sie den Krieg, gegen den sie lautstark agitierte, in Wahrheit doch als unwahrscheinlich einschätzte? Die Diskussion über diese Fragen ist 116
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noch immer unabgeschlossen. Mit einiger Plausibilität lässt sich sagen, dass deutsche, französische und britische Sozialisten ihren Regierungen den Willen zu einer friedlichen Lösung unterstellten. Zum Generalstreik oder gar Militärstreik aufzurufen, schien in den Tagen vor dem Krieg auch denjenigen Gruppen, die dieses Wagnis im Prinzip einzugehen bereit waren, verfrüht oder überzogen; aber von dem Tag an, an dem das eigene Land im äußeren Kriegszustand und also im inneren Belagerungszustand war, schätzte man – mit guten Gründen – einen solchen Sabotageversuch als Kamikazeunternehmen ein. Und überall hielten die Parteiführungen die weitere Parteiexistenz für wichtiger als die Hoffnung auf das Selbstwertgefühl, das ein vergebliches Sichaufbäumen hätte bringen können. Hinzu kommt, dass die Internationale ihre Friedensschwüre stets auf imperialistische Kriege bezogen hat, die Pflicht zur Landesverteidigung aber nie in Frage stellte und das Problem, im Ernstfall einen manipulativ oder irrtümlich ausgerufenen Verteidigungsfall von einem tatsächlichen unterscheiden zu müssen, nicht wirklich anging.11 Nun aber ruft allenthalben die eigene Regierung eben diesen Verteidigungsfall aus, und die verfügbaren Informationen machen es nicht leicht, dies als Schutzbehauptung zu entlarven. Am Ende tragen alle großen Parteien der Zweiten Internationale, deren Länder Anfang August in den Krieg eintreten, diese Entscheidung ihrer Regierungen mit: die deutschen und österreichischen ebenso wie die belgischen und die französischen Sozialisten – übrigens einschließlich der revolutionären Syndikalisten – sowie die britische Labour Party. Im neutralen Holland stimmt die reformistische SDAP ebenfalls für die Mobilisierungskredite, nur die linksradikale, nicht im Parlament vertretene SDP hält dagegen und erklärt: »Wir ziehen den Bürgerkrieg einem Blutbad mit unsern Brüdern in Deutschland, Belgien, Frankreich, England vor.«12 In Russland stimmen die 14 bolschewistischen und in Serbien die beiden sozialistischen Abgeordneten mit Nein.13 Die einzige einigermaßen mitgliederstarke Partei, die sich jetzt und den ganzen Krieg über strikt pazifistisch verhält, ist die I. L. P., die British Independent Labour Party. Am 13. August – Deutschland ist bereits im neutralen Belgien einmarschiert und steht deshalb auch im Kriegszustand mit England – verbreitet sie ein Manifest gegen den Krieg, in dem es heißt: »Wir sehen in den Arbeitern Deutschlands und Österreichs wie in den Arbeitern Frankreichs und Russlands unsere Genossen und Brüder (...). Über das Gebrüll der Kanonen hinweg senden wir den deutschen Sozialisten unsere Sympathien und Grüße. Sie haben unermüdlich für gute 117
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Beziehungen mit England gerungen, wie wir mit Deutschland. Sie sind nicht unsere Feinde, sondern unsere treuen Freunde (...). Lang lebe der internationale Sozialismus!«14 Ein rotes Kaiserhoch
Noch am 29. Juli hatte Hugo Haase, zusammen mit Friedrich Ebert SPD-Vorsitzender, auf einer Massenkundgebung zum Kampf gerufen: »Unsere Feinde mögen sich in acht nehmen! Es könnte sonst geschehen, daß das Volk, müde der Bedrückung und des Leidens, aufsteht und einen sozialistischen Staat errichtet.«15 Und gegenüber den in Brüssel auf einer Eilkonferenz versammelten Genossen – unter anderen Jaurès, Guesde, Vandervelde und Hardie – erklärte er, dass die sozialdemokratische Reichstagsfraktion, käme es doch zum Krieg, keine Kriegskredite bewilligen werde.16 Fünf Tage später ist dieser Ernstfall bereits eingetreten: Die deutsche Regierung hat Russland, Luxemburg, Frankreich und Belgien den Krieg erklärt, und der Reichstag soll dazu nun Ja und Amen sagen. Haase gehört zu denen, welche in der Fraktionssitzung für Enthaltung plädieren. Die interne Abstimmung ergibt 78 zu 14 für eine Kreditbewilligung. Jetzt wird er, welche Demütigung, zur Verlesung der Zustimmungserklärung verpflichtet: »Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich. Wir fühlen uns dabei im Einklang mit der Internationale, die das Recht jedes Volkes auf nationale Selbständigkeit und Selbstverteidigung jederzeit anerkannt hat, wie wir auch in Übereinstimmung mit ihr jeden Eroberungskrieg verurteilen.«17 Anschließend, so erinnert sich der liberale Reichstagsabgeordnete Conrad Haußmann, rufen einige Sozialdemokraten das von ihnen sonst verweigerte Kaiserhoch leise mit.18 Und wie einst Kant bei der Nachricht von der Französischen Revolution gesagt haben soll: »Herr, laß deinen Diener in Frieden scheiden, nachdem ich den Tag des Heils gesehen habe«,19 so schreibt der SPD-Abgeordnete Eduard David am Abend des 4. August in sein Tagebuch: »Wenn ich nun auch nichts mehr tun könnte, so könnte ich doch mit dem Bewußtsein sterben, dem deutschen Volke und der Sozialdemokratie einen großen Dienst erwiesen zu haben.«20 Andere Todesgedanken haben in diesem Augenblick Clara Zetkin und Rosa Luxemburg: Sie denken daran, sich umzubringen.21
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Straßenjubel, Saalprotest
Führende Sozialdemokraten und ihnen folgende Historiker haben immer wieder vorgebracht, die SPD-Führung sei am 4. August nolens volens der kriegsbegeisterten bis kriegsbereiten Volksstimmung gefolgt, auf die in den ersten Augusttagen auch die Mitgliederstimmung eingeschwenkt sei. Diese Position ist, wie man inzwischen weiß, mehr als fragwürdig. Unzweifelhaft ist zwar, dass die liberale und die konservative Presse mehr und mehr in einen Kriegsrausch verfielen und dass die Straßen vieler Städte und Dörfer seit Ende Juli chauvinistische Kundgebungen erlebten. Doch mittlerweile haben vor allem Lokalstudien gezeigt, dass das Bild von der einigen Kriegsnation Deutschland eine optische Täuschung war. Öffentliche Szenen, bei denen Hurra gerufen und die Wacht am Rhein gesungen wurde, prägten sich ein und wurden von den Medien eingeprägt. Dabei blieb weitgehend unbeachtet, wie es hinter der Bühne aussah. Die Gefühle der Bevölkerung waren gemischt, bis hinein in den Einzelnen: Nationale Hochstimmung, Angst um die Söhne, Furcht vor wirtschaftlicher Not, Wut auf das Versagen der Regierungen gingen Hand in Hand. Nationalistische Töne, so erinnern sich Zeitzeugen später, waren insgesamt nicht beherrschend. Heute neigt die Forschung sogar mit Jeffrey Verhey zu der Meinung, dass »die Mehrheit der Deutschen im Juli und August 1914 keine Kriegsbegeisterung empfand«22 – und das gilt insbesondere für die ländliche Bevölkerung und für die Arbeiterschaft. Gewiss gab es unter sozialdemokratischen Arbeitern nationalistische und militaristische Regungen. Schließlich war auch das Proletariat an staatlichen Schulen erzogen, hatten viele Arbeiter ihre Urkunden vom Militärdienst in der Schublade und neben einem Bebelbild ein Kaiserporträt an der Wand; mal mehr, mal weniger waren sie, wie der russische Sozialist Paul Axelrod es 1915 in seiner Schrift »Die Krise und die Aufgaben der internationalen Sozialdemokratie« schrieb, »physisch und kulturell mit dem nationalen und staatlichen Gemeinwesen, zu dem sie gehören, verwachsen«.23 Nicht nur in Briefen, Tagebüchern und Erinnerungen von rechten Sozialdemokraten wird von patriotisch gestimmten Arbeitern berichtet; auch SPD-Linke wie Clara Zetkin, Rosa Luxemburg oder Walter Stoecker konstatieren entsetzt, dass Proletarier nicht vor Chauvinismus gefeit sind. Doch sowohl die rechtssozialistische Apologie des eigenen Oppositionsverzichts wie die zeitweise linkssozialistische Enttäuschung über das Versiegen des 119
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Massenprotests überzeichnen das Ausmaß der unterschichtlichen Kriegsbegeisterung. Nimmt man zusammen, was von der Geschichtsschreibung inzwischen über die damalige innere Verfassung der Arbeiterschaft eruiert wurde, so scheint sie in ihrer Mehrheit damals weder kriegsfreundlich noch kriegsfeindlich gewesen zu sein, sondern das Einrücken an die Fronten als alternativlos, als Pflicht hingenommen zu haben.24 Bei den Kriegsfreiwilligen – deren Gesamtzahl übrigens lange Zeit überschätzt wurde – waren Arbeiter allem Anschein nach unterrepräsentiert.25 Gewiss, auch in Arbeitervierteln wird nach den ersten deutschen Siegen im Westen teilweise schwarzweiß-rot geflaggt. Doch zur selben Zeit berichten Berliner Polizeispitzel über eine gedrückte Stimmung in den Vororten26 und Hamburger Polizisten über kriegskritische Gespräche in Arbeiterkneipen.27 Wirksam artikulieren konnte sich diese Haltung nicht mehr: Mit Kriegsbeginn herrschte Belagerungszustand, die Presse stand unter Zensur, Parteiversammlungen waren verboten, und die Parteijugend, die sich bei den Antikriegsprotesten im Juli besonders aktionsbereit gezeigt hatte, war inzwischen großenteils eingezogen worden. Zum verzerrten Bild einer in Kriegsbereitschaft vereinten Nation hat die Politik des SPD-Vorstands schon vorher beigetragen. Zum einen bremst er den regierungskritischen, pazifistischen Kurs der Parteipresse. Auslöser dafür ist ein Krisengespräch, zu dem der wegen der großen Antikriegskundgebungen des 28. Juli besorgte Reichskanzler Bethmann Hollweg den Reichstagsabgeordneten Südekum gebeten hat. Der Kanzler droht Maßnahmen gegen die SPD an und wirbt gleichzeitig für die Regierungspolitik, die um die Erhaltung des Friedens bemüht sei. Südekum versichert ihm, in Absprache mit Friedrich Ebert, Otto Braun, Hermann Müller und anderen, dass seine Partei keinerlei weitere Aktionen, insbesondere keine Streiks und dergleichen vorhabe.28 Am selben Tag noch schickt der Parteivorstand ein Rundschreiben an die sozialdemokratische Presse: Die deutsche Regierung wolle nach wie vor keinen Krieg, und die Redaktionen sollten »Vorsicht walten (…) lassen«, da sonst Repressalien zu befürchten seien. Zum andern ist die SPD-Führung bemüht, den Antikriegsprotest auf Saalveranstaltungen zu beschränken – sie scheut die Konfrontation mit der Polizei. Dass es in mehreren Städten im Anschluss an die Versammlungen doch zu spontanen Umzügen kommt, ist vielen Funktionären unlieb. »Wir werden gewarnt vor Umzügen«, beklagt sich ein Hamburger Arbeiter über die dortige Parteiführung, »und die können machen, was sie wollen, bloß weil die für den 120
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Krieg sind und die ›Wacht am Rhein‹ singen«.29 Als sich am Abend des 28. Juli eine aktionsbereite Masse vor dem Vorwärts-Gebäude einfindet, rufen der Reichstagsabgeordnete Theodor Fischer und der Berliner SPD-Führer Eugen Ernst zum Heimgehen auf. Darauf ertönt es laut Polizeibericht aus der Menge: »Ihr Affenarschlöcher, wenn wir keinen Klamauk und Krakehl machen sollen, dann hättet ihr uns ja nicht rufen brauchen.«30 Patriotismus als Kalkül und Gefühl
Von den eigenen Mitgliedern zur Kriegszustimmung gedrängt wird die SPD-Führung nicht – wenngleich das teilweise bis heute so kolportiert wird, getreu dem Topos vom »Irrationalismus und Fanatismus der Massen (...), den gerade die Intellektuellen, die in der Regel die Geschichte schreiben, oft verinnerlicht haben«31. Es war eher einer Eigenentscheidung der Reichstagsfraktion, und bei dieser ist es in letzter Instanz wohl das Nationalgefühl, das alle Bedenken hinwegfegt. Gewiss spielt hier neben Patriotismus auch sozialdemokratischer »Organisationspatriotismus« eine Rolle, die Angst vor einem Verbot der Partei und einer Zerschlagung ihrer verzweigten politischen und kulturellen Organisationen. Die SPD hatte auf den Internationale-Kongressen die vor allem von französischen und englischen Delegierten geforderte Verpflichtung, einem Krieg den Generalstreik entgegenzusetzen, immer mit der Begründung abgelehnt, man habe einfach nicht die Machtmittel, um auf eine Mobilmachung mit Streik oder Kriegsdienstverweigerung zu antworten, und riskiere mit einem solchen Verhalten nur die eigene Existenz. Doch um einen Rachefeldzug der Regierung zu vermeiden, hätte es wohl genügt, sich bei den Kriegskrediten der Stimme zu enthalten. Diese Verweigerung verweigert die Mehrheit der SPD-Fraktion mit dem Argument, man befinde sich in einem Verteidigungskrieg. Schon in der Julikrise scheint in sozialdemokratischen Verlautbarungen öfters die Überzeugung durch, dass der Kanzler wie der Kaiser den Frieden wolle, und nun, am 3. und 4. August, glauben viele den Meldungen, dass russische Truppen bereits in Ostpreußen stünden und französische Flieger deutsche Städte zu bombardieren begonnen hätten. Andererseits weiß man in der Reichstagsfraktion nichts vom deutschen Einmarsch im neutralen Belgien, der am Morgen des 4. August stattfindet. Doch bei der Entscheidung für die Kriegsunterstützung ist mehr als Gutgläubigkeit im Spiel. Zumindest Vertreter der 121
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Parteirechten interessieren sich im entscheidenden Moment in Wahrheit überhaupt nicht für die Kriegsschuldfrage, sondern folgen der Parole »Right or wrong, my country«: Es ist ihnen einfach darum zu tun, dass Deutschland keine Niederlage erleidet.32 Ohne die Existenz nationalistischer Strömungen und nationaler Unterströmungen in der Fraktion ist es auch schwer erklärbar, dass man über das Ja zu den Kriegskrediten weit hinausgeht und den bekannten »Burgfrieden« mit der Regierung und den übrigen Parteien schließt. Dieser aber bedeutet, wie Friedhelm Boll es formuliert, »eine nach außen kritiklose und totale Zustimmung zum Krieg und das Einstellen jeglicher Oppositionspolitik in Innern«.33 Das aber ist nun wirklich der Bruch mit dem Geist und dem Buchstaben der von der Sozialistischen Internationale gefassten Beschlüsse. Hinter diesem Bruch steht auch politisches Kalkül: Man setzt darauf, dass sich die Herrschenden für die Loyalität der SPD erkenntlich zeigen, dass sie zum Beispielzum Beispiel das Dreiklassenwahlrecht in Preußen zügig abschaffen, die Arbeit der Gewerkschaften erleichtern und Sozialdemokraten als gleichberechtigte Mitbürger anerkennen. Bemerkenswert ist, dass die SPD es dabei beim – letztlich unerfüllten – Hoffen belässt und für ihren Oppositionsverzicht keinerlei Gegenleistung verlangt – anders als die französischen Sozialisten und die britische Labour Party, welche sich ihren nationalen Schulterschluss mit einer Regierungsbeteiligung honorieren lassen.34 Die Vorkämpfer dieser Vorschusspolitik sind schon länger für mehr Zusammenarbeit mit bürgerlichen Kräften und eine kompromissbereitere Haltung zu Regierungsvorlagen eingetreten. Das gilt zumindest für ihren reformistischen Flügel, zu dem auch die meisten Führer der zu Kriegsbeginn sofort burgfriedlichen Gewerkschaften zu zählen sind. Der unwillkommene Krieg bietet ihnen die willkommene Gelegenheit, diese Integrationspolitik noch offener und entschiedener als vorher zu betreiben. Und internationale Solidarität ist für Exponenten der SPD-Rechten schon immer zweitrangig gewesen. Ein Georg von Vollmar – erinnert sei an seine skeptische Haltung beim Pariser Sozialistenkongress – ist schon lange der Überzeugung, man müsse mehr auf nationale Solidarität als auf internationale Zusammenarbeit setzen,35 und Gustav Noske hat schon 1907 im Reichstag ausgerufen: »Wir Sozialdemokraten sind davon durchdrungen, daß Deutschland wehrhaft sein muß«36 – auch, um beim Kolonialismus mitmischen zu können, den SPD-Rechte, bei aller Kritik an dessen derzeitiger Handhabung, je länger je mehr als für Deutschland wie für die »Eingeborenen« im Prinzip segensreich verteidigen.37 122
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Bei den rechten SPD-Abgeordneten ist die Kriegskrise demnach nicht die Mutter, sondern nur die Hebamme ihrer nationalistischen Proklamationen. Der August 1914 ist bei ihnen ein Augenblick der Selbstenthüllung. Doch es gibt auch einige bis dahin dezidiert linke Sozialdemokraten, die in diesen Tagen plötzlich die schwarzweißrote Flagge hissen. Hier findet kein fließender Übergang statt, für sie gilt nicht der evolutionäre Neptunismus, sondern der Vulkanismus: Hier ist das Augusterlebnis ein Bekehrungserlebnis. Das oft zitierte und in der Tat unverzichtbare Zeugnis dieses Vorgangs stammt von dem Reichstagsabgeordneten Konrad Haenisch, der noch Ende Juli ein militanter Gegner einer integrationistischen Strategie ist, sich aber in den ersten Augusttagen zu einem der engagiertesten Sozialpatrioten wandelt. Der schaurig-große Moment des Kriegszustands schleudert – so zumindest schildert er es – eine bisher ihm selbst verborgene Bewusstseinsschicht an die Oberfläche: »(U)m alles in der Welt möchte ich jene Tage inneren Kampfes nicht noch einmal durchleben! Dieses drängendheiße Sehnen, sich hineinzustürzen in den gewaltigen Strom der allgemeinen nationalen Hochflut und von der anderen Seite her die furchtbare seelische Angst, diesem Sehnen rückhaltslos zu folgen, der Stimmung ganz sich hinzugeben, die rings um einen herumbrauste und brandete, und die, sah man sich ganz tief ins Herz hinein, auch vom eigenen Innern ja längst schon Besitz ergriffen hatte! Diese Angst: Wirst Du auch nicht zum Halunken an Dir selbst und Deiner Sache – darfst Du auch so fühlen, wie es Dir ums Herz ist? Bis dann – ich vergesse den Tag und die Stunde nicht – plötzlich die furchtbare Spannung sich löste, bis man wagte, das zu sein, was man doch war, bis man – allen erstarrten Prinzipien und hölzernen Theorien zum Trotz – zum ersten Male (zum ersten Male seit fast einem Vierteljahrhundert wieder!) aus vollem Herzen, mit gutem Gewissen und ohne jede Angst, dadurch zum Verräter zu werden, einstimmen durfte in den brausenden Sturmgesang: Deutschland, Deutschland über Alles!, unbekümmert um den schnöden Mißbrauch, der so lange mit diesem schönen Liede des wackeren alten Demokraten Hoffmann von Fallersleben getrieben worden war!«38 »Zum ersten Mal seit fast einem Vierteljahrhundert wieder!« Das spielt wohl auf das Jahr 1893 an, als der junge Haenisch, aus großbürgerlichem, konservativem Hause stammend, sich zur Sozialdemokratie bekannte, vom Gymnasium verwiesen und von seiner Familie in eine Nervenheilanstalt gebracht wurde.39 Auch die anderen Reichstagsabgeordneten der SPD, die in diesen Tagen von links nach rechts wechseln – Max Grunwald, Paul 123
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Lensch, Heinrich Schulz –, stammen aus bürgerlichen Familien. Offenbar, kommentiert Wolfgang Kruse, traten nun bei ihnen »die nationalen Werte des sozialen Herkunftsmilieus wieder in den Vordergrund«.40 Aber auch bei anderen Sozialdemokraten, die jetzt plötzlich zu Kriegspatrioten werden, offenbart sich, dass sie nicht einfach selbstbewusste Avantgardisten waren, sondern unter ihrem Bruch mit der Mehrheitsgesellschaft litten.41 »Wie eine längst ersehnte Entschuldigung wegen der früheren Angriffe gegen die herrschenden Klassen klang es jetzt«, schreibt der Schweizer Sozialdemokrat Robert Grimm über den August 1914, »als man die vaterländischen Aufrufe und Zeitungsartikel in der Arbeiterpresse der kriegführenden Länder las«; das Paradebeispiel dafür sei die SPD.42 Dabei weisen es die sozialdemokratischen Bellizisten weit von sich, mit diesem Beitritt zum nationalen Lager das Arbeiterlager verlassen zu haben. Sie betonen in diesen Tagen und später in Rückblicken immer wieder, dass ihre Entscheidung von der sozialdemokratischen Arbeiterschaft mitgetragen oder gar mitveranlasst worden sei. »Wenn sich jemals die sozialdemokratische Reichstagsfraktion in vollster Übereinstimmg mit dem Fühlen und Denken der Massen befunden hat, dann an jenem in der Geschichte unseres Volkes unauslöschlichen vierten August«, glaubt Konrad Haenisch,43 und sein Reichstagskollege Wolfgang Heine schwärmt: »Zum einzigen Mal sah ich ein einziges deutsches Volk, einen deutschen Geist, einen deutschen Willen.«44 Erstmals seit der Reichsgründung und zum ersten Mal seit Bestehen der deutschen Sozialdemokratie ein einiges Deutschland über alle Klassen und Parteien hinweg – dies vermerken ebenso entzückt wie erstaunt auch bürgerliche Kommentatoren in diesen Tagen immer wieder. Das erinnert an ein deutsches Einheitserlebnis, das sechs Jahre davor stattgefunden hat: die Volksbewegung für den Weiterbau des Zeppelins nach der Luftschiffhavarie von Echterdingen. Dieses ›Augusterlebnis von 1908‹ weist so deutliche Parallelen zu dem von 1914 auf, dass sich die Frage stellt, ob es vielleicht als Menetekel für die SPD-Haltung bei Kriegsausbruch verstanden werden kann.45 Der Tag von Echterdingen
Nachdem erfolgreiche Flugversuche insbesondere 1906 und 1907 dem Luftschiff des Grafen Zeppelin bereits eine beträchtliche Popularität verschafft haben, glückt ihm am 1. Juli 1908 der erste Fernflug: von Friedrichshafen über den Bodensee in die Schweiz und wieder zurück. Motorflugzeuge 124
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haben eine solche Distanz bis dahin nicht annähernd überwunden. Diese »Eroberung der Luft« durch einen deutschen General und Ingenieur löst in Deutschland, insbesondere in Württemberg und Baden, eine Begeisterungswelle aus. Sie steigert sich, als Graf Zeppelin am 4. August zu einem Langstreckenflug nach Norden startet. LZ 4 erreicht wie geplant Mainz, muss auf dem Rückflug jedoch wegen eines Motorschadens bei Echterdingen zwischenlanden. Dort wird das wenig verankerte Luftschiff von einem Sturm losgerissen; der mit Wasserstoff gefüllte Riesenleib geht sofort in Flammen auf. Noch am Unfallort beschließen Zuschauer, dem Grafen durch Spenden zu einem neuen Luftschiff zu verhelfen. Andernorts geschieht fast gleichzeitig dasselbe. In Ulm etwa bekundet eine auf der Straße versammelte Menschenmenge, Zeppelin finanziell unterstützen zu wollen, das Gleiche verkündet eine spontane Volksversammlung in Speyer. In ganz Deutschland melden sich Zeitungsredaktionen als Sammelstationen. Der »Tag von Echterdingen« wird, so liest man es später, zum Geburtstag der deutschen Luftfahrt. Die »Volksspende« für Graf Zeppelin erbringt sechs Millionen Reichsmark, er kann nun neue Luftschiffe bauen. Diese werden dann quasi als Volkseigentum empfunden, was sich auch im fast fordernden Charakter der Bitten um einen Luftschiffbesuch äußert, die aus allen Landesteilen an den Grafen herantragen werden. Wenn sich der Zeppelin künftig durch eine Bugneigung vor den Hinaufgrüßenden verneigt, kann das von unten mit einem selbstbewussten »Gern geschehen« registriert werden. Im Einklang mit vielen Zeitzeugen schreibt Theodor Heuss in seinen Erinnerungen über die Volksbewegung, die von der Echterdinger Havarie hervorgerufen wird: »Die Erschütterung, die durch die Nation ging, hat im geschichtlichen Sinn einen politischen Rang: ›das Volk‹ fühlte sich in jener ›Spende‹ als Einheit. Das hatte es, vergleichbar, in Deutschland noch nie gegeben«.46 Der Geldbeutel des Arbeiters
Der Flugzeugkonstrukteur Ernst Heinkel, der damals an der Technischen Hochschule in Stuttgart studierte und bei der Echterdinger Landung dabei war, berichtet in seinen Lebenserinnerungen: Ein Arbeiter habe dem Grafen Zeppelin, als dieser von seinem zerstörten Luftschiff stand, »Mut, Mut« zugerufen und ihm einen Geldbeutel in den offenen Wagen geworfen.47 Die Anekdote, ob nun erfunden oder nicht, reiht sich bruchlos in andere Zei125
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tungsberichte ein. Da ist die Geschichte von dem armen Jungen aus dem Nordosten Berlins, der 10 Pfennig für Zeppelin opfert,48 oder die Meldung, dass »einfache Arbeiter (...) sich entschließen, den Verdienst eines Arbeitstages für diesen Zweck zu opfern«.49 Die erfreute Bemerkung, dass die bei nationalen Festanlässen gern abseitsstehende Arbeiterschaft mit im Boot sei, wird den Zeppelinkult auch später begleiten. So schildert der »Schwäbische Merkur« einen Kölnbesuch des Grafen im August 1909. Dieser zeigt sich auf dem Balkon des Militärkasinos, vor dem sich halb Köln versammelt hat: »Einige Generale sehen lächelnd auf das Gewühl hernieder, schließlich winken sie zwei Arbeitern, die in der Menge unten stehen und begeistert immer wieder die Wacht am Rhein oder Deutschland, Deutschland über alles anstimmen. Sie sind einigermaßen verdutzt, können nicht recht glauben, dass sie wirklich gemeint sind. (...) Nach kurzer Zeit erscheinen sie oben auf dem Balkon, Zeppelin in der Mitte (...). Der eine winkt und bittet um Ruhe – es wird still.« Einer der Arbeiter habe dann ein Hoch auf »Baron Zeppelin« ausgebracht, das unten bejubelt worden sei. »Es war ein erhebendes, ergreifendes Bild, der jugendfrische Graf, umgeben von ordensgeschmückten Generalen, inmitten zweier einfacher Arbeiter im Werktagskleid; ein Symbol, dass arm und reich, hoch und gering eins sind in der Liebe zu dem großen und doch so bescheidenen Erfinder«.50 Das Symbol nationaler Einheit ist diesmal nicht erschlichen: Der Zeppelinkult führt tatsächlich die verschiedensten Bevölkerungsgruppen einschließlich der Arbeiterschaft zusammen. Und nicht nur das: Auch Sozialdemokraten sind mit dabei. Nach der »Katastrophe von Echterdingen« unterstützen viele SPD-Stadträte die Gewährung städtischer Spenden für den Bau eines neuen Luftschiffes – in Ludwigshafen ist es sogar die SPD-Gemeinderatsfraktion, die die Initiative zu einer solchen Hilfe ergreift. Mehrere badische und württembergische Tageszeitungen der SPD richten – wie die bürgerliche Konkurrenz – Sammelstellen für Zeppelinspenden ein. Zu den Unterzeichnern eines Karlsruher Spendenaufrufs, der die Unterstützung des als »nationale Errungenschaft« bezeichneten Zeppelin-Luftschiffs eine »Ehrenpflicht des deutschen Volkes« nennt, gehört der bekannte badische SPD-Landtagsabgeordnete Kolb.51 Der Vorsitzende der württembergischen Landtagsfraktion der SPD, Tauscher, ist Mitglied im Stuttgarter Komitee für die Zeppelinspende.52 Zweifellos konzentriert sich diese erste Welle der Zeppelinbegeisterung auf die süddeutschen Sozialdemokraten, aber ein Ausreißer aus der Parteilinie ist sie nicht. Im April 1908 hat die 126
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Reichstagsfraktion der SPD einer Subventionszahlung des Reichs an das Zeppelin‘sche Unternehmen zugestimmt. Zwar gibt es – wir werden darauf zurückkommen – in der sozialdemokratischen Presse dazu auch kritische Kommentare, doch es bleibt zu konstatieren: Die in der bürgerlichen Presse artikulierte Freude über eine ungewöhnlich große Parteieneinigkeit im Zeichen Zeppelins hat durchaus ihre Berechtigung. »Von unten herauf«
Dass sich große Teile der Sozialdemokratie in die Volksbewegung für Graf Zeppelin und seine Zeppeline einreihen, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass diese demokratische und antiwilhelminische Züge trägt. In ihr rumort Kritik an den preußischen Behörden, welche den Plänen des Schwaben Zeppelin mit Skepsis gegenüberstehen, und an Kaiser Wilhelm selbst, der den Grafen und seine Erfindung bisher sehr ungnädig behandelt hat. Viele Deutsche vergleichen den unbesonnenen, dilettantischen, auf Cäsarengesten setzenden Kaiser, dessen Ansehen soeben durch die Daily-Telegraph-Affäre, d. h. durch unbedachte außenpolitische Äußerungen schwer gelitten hat, mit dem immer wieder als jovial, ruhig und tüchtig bezeichneten Grafen, der in dieser Zeit – ähnlich wie später im Weltkrieg Hindenburg – den Status eines Volkskaisers erhält. Auch manifestiert sich im Zeppelinkult das generelle Unbehagen an einem Obrigkeitsstaat, der die Bürgerinitiative für den Zeppelinbau wie jede plebiszitäre Regung mit Misstrauen beobachtet. Der »Schwäbische Merkur« meint, die Volksspende sei »ein guter und schöner Gedanken von unten herauf«: »Alles ist in den ersten Tagen zustande gekommen ohne Nachhilfe von oben, ohne Eingreifen der Regierungen und ohne Protektoren«.53 Als bekannt wird, dass der AEG-Vorsitzende Walter Rathenau dem Kaiser auf einem Spazierritt im Berliner Tiergarten vorgeschlagen hat, die Spendengelder von einem »Reichskuratorium« verwalten zu lassen, erhebt sich ein Sturm der Entrüstung. Nicht nur der »Vorwärts« nennt dies eine »großindustrielle Einmischung«; ein liberales Blatt wie »Das freie Wort« meint ebenfalls, dann solle dies Kuratorium gefälligst »die Gelder der AEG in Berlin mit überwachen«, und das gewiss nicht antibürgerliche, aber eben süddeutsche Lokalblatt »Tübinger Chronik« attackiert geradezu klassenkämpferisch die Kreise, »die zu einer Zeit, wo die misera plebs mit vornübergeneigtem Rumpf in ihre Bureaus eilt, hoch zu Roß den Tiergarten 127
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durchstreifen können«54. Die Proteste haben Erfolg: Die im Tübinger-Chronik-Artikel als »obrigkeitlich« bezeichnete Idee wird schon nach kurzer Zeit fallen gelassen. Als Ausdruck eines endlich einmal ungegängelten Volkswillens feiern viele Beobachter auch die Volksaufläufe, zu denen das Auftauchen eines Luftschiffs führt, und die spontanen Volksfeste, auf denen dem Grafen selbst gehuldigt wird. Die sozialliberale Zeitschrift »Die Hilfe«, die Friedrich Naumann herausgibt, spricht von einer »spontanen, freiwilligen Begeisterung« und setzt sie gegen die »mehr oder weniger inszenierten Massenkundgebungen für dieses oder jenes gekrönte Haupt«.55 Zur entfesselnden Wirkung der Zeppeline gehört, dass neben Schülern, die bei deren Erscheinen am Himmel einfach den Unterricht verlassen und dem Luftschiff mitunter bis über die Stadt hinaus nachrennen, auch Arbeiter sozusagen in den Zeppelinstreik treten. Als LZ 4 sich im August 1908 Echterdingen nähert, laufen sie in Scharen aus den Fabriken. In Mönchengladbach, in Aachen56 und in Hamborn ist es später nicht anders, worauf ein Hamborner Beigeordneter fordert, Zeppelinflüge über Industriegebieten zu verbieten, da örtlichen Firmen bei der letzten Luftschiffvisite ein Schaden von mehreren hunderttausend Mark entstanden sei.57 Über eine unfreiwillige Zeppelinlandung bei Göppingen berichtet die Ortspresse: »Der Werktag hatte sich zum Festtag verwandelt; aber statt der Sabbatstille herrschte das bunteste Jahrmarkttreiben. Alles war aus Rand und Band, nicht bloß der Zeppelinsche Ballon, sondern auch die große Menschenmasse. In den Fabriken, die nicht von selbst schlossen, wurde gestreikt, nicht durch ›bewusstes und gewolltes Zusammenwirken‹ der Arbeiter, sondern mehr ungewollt, es kam eben so.«58 Vor allem für sozialdemokratische Beobachter ist es hochpolitisch konnotiert, dass die zeppelinbegeisterte Menge sich immer wieder unangemeldet auf Plätzen versammelt und dabei auch ungeniert polizeiliche Absperrungen durchbricht. Kämpfen Sozialdemokraten und Linksliberale doch seit mehreren Jahren in Preußen, aber auch in anderen Ländern wie Sachsen, Mecklenburg und Hessen verstärkt gegen ein ungleiches, undemokratisches Landtagswahlrecht und reklamieren dabei auch ihr »Recht auf die Straße«, auf politische Aufzüge. Dass die Massen sich dieses Recht bei Zeppelinlandungen und Zeppelinkundgebungen spontan genommen haben und dies auch ohne polizeiliche Vorgaben und polizeiliches Eingreifen friedlich und störungsfrei vor sich gegangen sei, wird in der Folge zu einem Argument für 128
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ein liberaleres Demonstrationsrecht. Die »Vossische Zeitung« schreibt am 9. März 1910, nach einer trotz Verbots durchgeführten Wahlrechtsdemonstration der SPD: »Wenn fünfzigtausend Menschen morgen auf dem Tempelhofer Feld zusammenkommen und ›Hoch das freie Wahlrecht!‹ rufen, haben sie dazu grundsätzlich dasselbe Recht, wie wenn sie dorthin kämen, um ›Hoch Zeppelin!‹ zu rufen.« Eine Revolutionsfantasie
»A hint of revolutionary fervor« attestiert Guillaume de Syon dem Zeppelinkult im Kaiserreich.59 In einem Augenzeugenbericht der sozialdemokratischen »Schwäbischen Tagwacht« vom Echterdinger Unglück bekommt das ganz konkrete Züge. Danach hielt, als nach der Landung des Luftschiffs ein Sturm aufkam, nur ein Teil der anwesenden Soldaten die Stricke des Zeppelinluftschiffs fest, während andere »nach schneidigem Kommando« den Absperrungsdienst versahen und einige Offiziere keine Zeit gehabt hätten, »sich der heiligen Mission zu erinnern, die ihnen übertragen war, denn sie mussten, zum Teil mit Damen, in abstoßender Gespreiztheit auf dem abgesperrten Platze einherstolzieren, sich mit dem Ballon als Hintergrund photographieren lassen und immer aufs neue die Soldaten zum Zurückdrängen der Menschenmassen anfeuern«. Männer aus der Menge, welche mit anpacken wollten, seien zurückgedrängt worden, und so sei dann die Explosion des Luftschiffs eingetreten. »Und dann schrien die Zehntausende eine Anklage zum Himmel; eine fürchterliche Anklage gegen den Geist, der uns regiert und lenkt, der unser ganzes öffentliches Leben vergiftet (...). Und fürchterlich verzerrten sich die Gesichter; Blitze schossen aus den Augen und die Fäuste ballten sich drohend und die Arme reckten sich gen Himmel. Stoßen, drängen und drücken. (...) Ein Soldat fasst sein Gewehr beim Lauf. ›Schlagt mit dem Kolben drein!‹ schrie er. ›Ja, das könnt ihr; und absperren, das könnt ihr auch’, schreit es hundertstimmig zurück. Ein junger Leutnant kommt hinzu: ›Der ist’s, der hat die Griffe üben lassen’, brüllen alle. Und ein Toben bricht los gegen die unschuldigen Opfer des Uniformgeistes. Ein Toben und Schreien. Eine Sekunde noch, dann wäre die Schlacht losgegangen. Entsetzliches Schauspiel. Doch da kam Zeppelin im Automobil; starren Auges sah er den Trümmerhaufen und da löste sich die entsetzensvolle Spannung. Was kümmerte die Zehntausende die Uniform, wenn er, der Held und Meister, da ist.«60 129
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Die Revolution, mit der man droht und die man fürchtet – es ist schwer zu sagen, wie viel in dieser halb angst-, halb lustvollen Schilderung Realität ist und was Fantasie. Genosse Zeppelin
Es ist nicht nur die Zeppelinbewegung, die vielen Sozialdemokraten mit den eigenen Bestrebungen zu konvergieren scheint, es ist auch der Zeppelin selbst. Das Luftschiff wird ihnen, was Wunder!, zum Inbegriff des Fortschritts der Produktivkräfte, welche bald der freien Entfaltung und dem Vergnügen aller dienen werden. »Was ist es im Grunde, das auch die breiten Massen für Zeppelin so enthusiasmiert?«, fragt der »Vorwärts« am 7. August 1908. »Es ist das ästhetische Wohlbehagen über den neuen Sieg des Menschengeistes über die Materie«. Dasselbe Blatt schreibt ein Jahr später, in Erwartung der ersten Zeppelinfahrt nach Berlin: »(…) sinnenfälliger hat sich noch nie ein Erfolg der Technik offenbart, mit höherem Stolze ist noch nie ein Triumph des Menschengeistes empfunden worden! Die Eroberung der Luft ist das Wahrzeichen des Siegs über widerstrebende Naturgewalten, die Verheißung des endlichen Sieges der Vernunft und des festen Menschenwillens über alle Hemmnisse.«61 Das Luftschiff bedeute außer einer Erleichterung des Personen- und Gütertransports eine sprunghafte Steigerung des »Lebensgenusses der Menschheit«. Zwar weiß der »Vorwärts« wohl, dass sich zumindest einstweilen »nur Angehörige der Bourgeoisie den Luxus des Reisens durch die Luft leisten können«, doch das sei »für das Proletariat nur ein Ansporn mehr, dem Kapitalismus und den privilegierten Klassen die Herrschaft über die Technik aus der Hand zu winden, damit nicht nur die Arbeitsmaschinen zum Wohle der Menschheit rationell verwendet werden können, sondern alle technischen Errungenschaften, die den Lebensgenuss, die Lebensfreudigkeit der Menschheit steigern können! Und welch höherer Genuss lässt sich denken, als der Flug durchs unendliche Äthermeer, als die Beherrschung des Ozeans der Luft!«62 Die sozialdemokratischen Satireblätter »Der wahre Jacob« und der »Süddeutsche Postillon« finden, dass der Zeppelin überhaupt kein adäquates Gefährt für die herrschende Klasse sei. Ein dicker Herr, Typus Kapitalist, zu einem Luftschiff aufblickend: »Ick wirde ja ooch jerne den Luftflottenverein beitreten, aber ick jloobe, mit meine drei’nhalb Zentner Lebendjewicht lassen se mir in keen Ballon ’rin!«63 In einem »Der Knallprotz« überschriebenen Dialog zwischen einem Grafen und einem Kommerzienrat 130
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erklärt Letzterer, er fahre prinzipiell nicht mit dem Luftschiff: »Hat ja nicht ma’ erste Klasse!«64 In Formulierungen, in denen sich der sozialdemokratische Glauben an die letztlich systemsprengende Kraft der Technikentwicklung lehrbuchhaft manifestiert, erklärt die österreichische »Arbeiter-Zeitung« aus Anlass des ersten Zeppelinbesuchs in Wien Luftschiff und Revolution zu Verbündeten: »In ihm [Graf Zeppelin, B. J. W.] ward ein neuer, ward der letzte Sieg des schöpferischen Menschengeistes über die Naturgewalten begrüßt, in seinem majestätischen Schiff der Triumph vergeistigter Arbeit, in seiner Tat ein neuer Sieg im endlosen Siegeszuge weltumwälzender Technik, die, heute noch vom Kapital in Fesseln geschlagen, selbst in unendlichem Fortschreiten die Waffen schmiedet, die einst die Fesseln brechen.«65 Die Internationale der Luft
Bei den Fesseln, welche der Zeppelin sprengen werde, denken die sozialdemokratischen Kommentatoren vor allem an Staatsgrenzen. Der »Süddeutsche Postillon« schreibt: »Der ›Lenkbare‹ ist ein gewaltiger Schritt zum Sozialismus, mögens auch die Hurraschreier bis jetzt noch nicht begreifen. Er lehrt die Ueberflüssigkeit und zugleich die Unhaltbarkeit der Grenzen, mehr als Dampf und Elektrizität – und die kommende Zeit wird ihre Konsequenzen daraus ziehen«.66 Der badische Sozialdemokrat und Schriftsteller Anton Fendrich, der in der Unterhaltungsbeilage des »Vorwärts« und anderer Parteizeitungen erscheint, feiert die Souveränität des Luftschiffers, der sich um die Grenzziehungen der Souveräne nicht zu kümmern brauche: »Ledig aller Erdenschwere lachte (das Luftschiff ) der Zollwächter und Grenzpfähle«.67 Mit solchen Vorstellungen steht die Sozialdemokratie nicht allein: Sie begleiten – man denke nur an Jean Pauls Luftschiffer Giannozzo – die Geschichte des Fliegens von Beginn an, und sie sind um 1900 ebenfalls virulent, und dies auch unter Luftfahrern selbst. »Die Grenzen der Länder würden ihre Bedeutung verlieren, weil sie sich nicht mehr absperren lassen«, schreibt Otto Lilienthal vom künftigen Flugwesen, »die Unterschiede der Sprache würden mit der zunehmenden Beweglichkeit der Menschen sich verwischen. Die Landesverteidigung, weil zur Unmöglichkeit geworden, würde aufhören, die besten Kräfte der Staaten zu verschlingen, und das zwingende Bedürfnis, die Streitigkeiten der Nationen auf andere Weise zu schlichten als dem blutigen Kämpfen um die imaginär gewordenen Grenzen, würde uns den ewigen Frieden verschaffen.«68 Die sozialistische Zeppelinbegeisterung adaptiert die 131
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Tradition aufklärerischer Flugutopien und reklamiert für sich, sie anders als die heutigen Bürger auch realisieren zu können. In diesem Sinne nennt die »Mannheimer Volksstimme« den Zeppelin »eine weitere Etappe auf dem Wege der allgemeinen Verbrüderung der Völker und Nationen (...), das große humanitäre Ideal der internationalen Sozialdemokratie«.69 Zur Sonne, zur Freiheit
Dergestalt als Überwinder sowohl natürlicher als auch sozialer und nationaler Schranken bewundert, kann der Zeppelin zum Symbol der sozialdemokratischen Bestrebungen überhaupt werden. Am 4. August 1908 veröffentlicht »Der wahre Jacob« ein Gedicht des in der Schweiz lebenden deutschen Sozialdemokraten Robert Seidel, das wohl von der »Schweizerfahrt« des Zeppelin im Juli veranlasst wurde: »Das Luftschiff. Was der Dichter einst gesungen, Der Prophet im Geist erschaut, Groß und herrlich ist’s gelungen; Staunend hat’s die Welt geschaut. Durch die Lüfte kam ein Brausen Mitten in den Sonnenschein – Ist’s des Heiligen Geistes Sausen? Bricht der jüngste Tag herein? Tausend blickten auf voll Schrecken Nach des Himmels lichtem Raum – Will die Phantasie uns necken? Ist es Wahrheit? Ist’s ein Traum? Droben in den blauen Wogen Zieht ein golden Schiff die Bahn, Neigt sich grüßend und im Bogen Steigt’s zur Sonne kühn hinan.
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Abb. 11: »Hoch die Freiheit!« Der Zeppelin als sozialdemokratisches Gefährt (Titelblatt des sozialdemokratischen Satireblatts »Der wahre Jacob«, 15.8.1908).
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Und es bricht aus jedem Munde, Donnernd auf ein Jubelschrei: Großer Tag und große Stunde, Nun sind wir in Lüften frei! Nun sind wir nicht bloß auf Erden Herrscher über Raum und Zeit, Nun muss auch der Himmel werden Uns mit seiner Herrlichkeit.« Das Titelbild derselben Zeitschrift, das dem SPD-Parteitag von 1908 in Nürnberg gewidmet ist, zeigt nichts anderes als einen die Sozialdemokratie tragenden Zeppelin. Das Rad, an dem der Metallarbeiter im Alltag steht und an dem er in der sozialdemokratischen Bildsymbolik zu erkennen ist, ist zum Steuerrad des Luftschiffs geworden; Blumen streuende Mädchen, in der Allegorik der Arbeiterbewegung die Ankunft des Völkerfrühlings, der neuen Zeit symbolisierend, rücken auch den Zeppelin in dieses Assoziationsfeld, während das betont mittelalterlich gezeichnete Nürnberg die bald überwundene alte Zeit darstellt. Im Zeppelin schweben die Sozialdemokraten zur Sonne, zur Freiheit. Der Arbeitergraf
Die sozialdemokratische Projektionsarbeit macht nicht beim Luftschiff halt, sie wird auf dessen Erfinder ausgedehnt. In der SPD-Publizistik wird immer wieder versucht, Parallelen zwischen Arbeiterbewegung und Biografie, Charakter und Zielen des Grafen herzustellen. Die »Schwäbische Tagwacht« grüßt ihn als Bruder im Utopismus, der »den Unverstand der Philister wie kaum ein zweiter gekostet« habe, der, als Fantast verlacht, »unter all den Reichen und Mächtigen kaum einen offenen, ehrlichen Freund« gefunden habe, der ihm geholfen hätte.46 Der »Vorwärts« setzt nach dem Unglück von Echterdingen das sozialistische »Trotz-alledem«-Motiv als Adapter zwischen Zeppelin und der Arbeiterbewegung ein: »Auch (Graf Zeppelins) Leben ist ein Leben der Arbeit und des Kampfes gewesen, und in dieser Stunde, die dem Unermüdlichen nochmals den Preis seines Mutes entriss, drängt es uns, die wir uns mit Stolz Arbeiter und Kämpfer nennen, auszusprechen, wie sehr wir sein Unglück bedauern«.70 Der »Süddeutsche Postil134
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lon« ruft unter der Überschrift »Zeppelin-Gedanken« aus: »Glück oder Unglück – vorwärts! ist die Losung«, und umwirbt den Mann der Stunde mit der Behauptung: ;,Wir Proletare sind dem Grafen Zeppelin näher verwandt als alle die Hurraschreier und Schranzen, die sich jetzt um ihn drängen, denn er ist Arbeiter, wie wir – und das mag sein schönster Ehrentitel sein!«71 Mit allen Schalmeientönen, zu denen Arbeiterkapellen fähig sind, werben hier die Sozialisten um die Anerkennung, um die Vaterliebe des in diesen Jahren beliebtesten Deutschen. Von einer Gegenliebe ist nichts bekannt. Graf Zeppelin ist vielmehr Mitglied des »Reichsverbands gegen die Sozialdemokratie«.72 Eine Eskamotage
Was die Elogen auf den genialen Luftschiffer und auf das Luftschiff als Freiheits- und Friedensbringer ausblenden, sind die mit diesem verknüpften militärischen Zielsetzungen. Dabei ist Graf Zeppelin selbst eifrig bemüht, gerade diesen Nutzen seiner Erfindung herauszustellen: Sie tauge, so verkündet er, nicht nur für Forschungs- und Verkehrszwecke, sie könne auch »zur siegreichen Führung des Kriegs wesentlich beitragen« – ja, es heißt: »des Kriegs«, nicht »eines Kriegs«.73 Die erste Fernfahrt im August 1908 dient in der Tat der Prüfung der Militärtauglichkeit des Luftschiffs, welche Flüge hinter die feindlichen Linien und wieder zurück voraussetzt. Der preußische Kriegsminister von Einem hat eine erfolgreich absolvierte 24-stündige Dauerfahrt zur Bedingung einer weiteren finanziellen Beteiligung der Reichsregierung am zeppelinschen Unternehmen gemacht.74 Was von einem Luftschiffeinsatz im Krieg erhofft wird, ist insbesondere die Überwindung des Ärmelkanals. Seit 1906, als die englische Marine das erste Schlachtschiff der Dreadnought-Klasse in den Dienst nahm, hinkt Deutschland im Wettrüsten zur See hinterher. Nun setzen deutsche Strategen und Möchtegernstrategen auf den Zeppelin. Schon im Juli 1908, nach der »Schweizerfahrt« von LZ 4, protzt der Science-Fiction-Autor Rudolf Martin in einem Interview mit der »Daily Mail«, mit 350 Luftschiffen könne man 350.000 Mann auf die britischen Inseln schaffen.75 Unter englischen Küstenbewohnern gibt es zur selben Zeit schon Panikattacken, weil man Wolkengebilde über dem Kanal für sich nähernde Luftschiffe hält. Die Möglichkeiten und die Absichten einer militärischen Zeppelinverwendung werden auch in der sozialdemokratischen Presse registriert. Nach 135
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Abb. 12: Der Zeppelin als Instrument des deutschen »Luftmilitarismus« (Der wahre Jacob, 5.1.1909).
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dem »Tag von Echterdingen« ist es vor allem der »Vorwärts« in Berlin, der sich der in den süddeutschen SPD-Zeitungen vorherrschenden Luftschiff euphorie entgegenstellt. »Es ist dringend geboten, diese militärische Seite des Luftschiffproblems hervorzuheben, um die über Zeit, Raum und unseren Kapitalismus hinwegstürmende Begeisterung naiver Luftschiffenthusiasten durch die Erinnerung an die militärisch-kapitalistische Realität zurückzurufen.«76 Einen Tag später legt er nach: Die Zeppeline hätten eine viel zu geringe Tragkraft, um als Verkehrsmittel infrage zu kommen. »Deshalb wird sich auch der Militarismus der Erfindung Zeppelins sicherlich in höherem Maße bemächtigen, als dem Reichsetat und dem Steuerzahler zuträglich sein dürfte. (...) Das deutsche Proletariat hat also alle Ursache, den luftigen Veitstanz gewisser Elemente nicht mitzumachen! Das Proletariat hat wahrhaftig Grund genug, sich um seine Interessen, seine Rechte zu kümmern; der Luftmilitarismus wird schon dafür sorgen, daß Zeppelins Erfindung nicht verloren geht!«77 Die Wendung von der »über Zeit, Raum und unseren Kapitalismus hinwegstürmende(n) Begeisterung« trifft dabei genau die Denkweise, mit der die Zeppelinisten unter den Sozialdemokraten das Problem des Militärzeppelins wegzaubern. Vorexerziert hat sie der SPD-Reichstagsabgeordnete Paul Singer, der im März 1908 die Zustimmung seiner Fraktion zum Ankauf eines Zeppelin-Luftschiffs durch das Deutsche Reich bekundete: »Wir sind der Überzeugung, daß, wenn auch vorläufig überwiegend militärische Zwecke mit dem Luftschiff verbunden sind, das Werk des Grafen Zeppelin weit über diese Zwecke hinaus wissenschaftlichen und Verkehrs interessen dienen und damit zu einem Kulturwerk für die ganze Welt werden wird! (Allseitiges Bravo).«78 Die »Schwäbische Tagwacht« vom 8. Juli 1908 fordert, den gegenwärtigen Zeppelinbau primär von einer postimperialistischen Zukunft her zu beurteilen: »(...) schließlich wird und muss die Vernunft der großen Volksmassen die Ursachen der Kriege aus der Welt schaffen. Von diesem Gesichtspunkte aus bewerten wir die große Tat Zeppelins«.79 Mit derselben Begründung votiert das Blatt am 8. August 1908 für eine sozialdemokratische Beteiligung an der Zeppelinspende: »(U)nbestreitbar bleibt, dass eine Erfindung, die es möglich macht, die Luft zu durchsegeln, unter allen Umständen einen Kulturfortschritt darstellt, und wenn diese Errungenschaft im bürgerlichen Klassenstaat zunächst für den Militarismus reklamiert wird, so ändert das nichts daran, dass in einer künftigen Gesellschaft das Luftschiff eben nur kulturellen Zwecken dienen 137
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wird. Wann hätte sich die Sozialdemokratie jemals einem Kulturfortschritt widersetzt?« Denselben Luftschiffoptimismus vertritt die »Schwäbische Tagwacht« anlässlich eines Münchener Zeppelinbesuchs vom April 1909: »Die Hoffnung braucht nicht aufgegeben zu werden, dass, noch ehe ein zuverlässiges Kriegsluftschiff in Aktion tritt, eine Vereinbarung unter den zivilisierten Völkern erfolgt, die es ihnen möglich macht, lieber den großen Aufgaben aufbauender Kultur nachzugehen, statt auf immer neue Werke der Zerstörung zu sinnen«.80 Wer trotzdem noch Skrupel hat, den trösten die sozialdemokratischen Zeppelinenthusiasten mit dem Hinweis, dass die von ihnen so hoch geschätzte Erfindung ja doch sehr störanfällig sei: Die »Luftmilitaristen«, schreibt die »Schwäbische Tagwacht«, müssten sich noch gedulden, hätten die Flugprobleme bei der Berlinfahrt doch gezeigt, dass die Luftschifffahrt »zwar eine herrliche, zukunftsreiche, aber immer noch recht unsichere Sache ist. Wir haben also immer noch Zeit für die Fortschritte der Zivilisation, wie sie uns die Technik bietet, durch politischen Kulturfortschritt reif zu werden.«81 Eben diese Berlinfahrt des Luftschiffs Z III, bei der Hunderttausende den Grafen auf dem Tempelhofer Feld feierten, lässt auch den «Vorwärts« dahinschmelzen: »Noch fronen diese eisernen Sklaven«, schreibt er von den maschinellen Errungenschaften der Gegenwart, »zwar erst im Dienste des Kapitalismus, statt in dem der Menschheit – allein die Existenz der modernen Arbeiterbewegung, eines starken internationalen Sozialismus und die Siegesgewißheit dieses Sozialismus ist doch nur der Entwicklung der modernen Technik, der Verbreitung der menschliche Arbeitskraft sparenden Maschinen zu danken. (...) Selbst die Tatsache, daß sich einstweilen der Militarismus und der Sport der Luftfahrzeuge bemächtigen werden, vermag die Freude an Luftschiffen und Flugmaschinen nicht zu trüben.«82 Ein Manifest der Begeisterung, das zugleich den Tenor einer Rechtfertigung hat: nicht nur ganz allgemein gegenüber einem sozialistischen ÜberIch, sondern konkret gegenüber dem »internationalen Sozialismus«, dem man hier mitten im Zeppelinüberschwang die Treue schwört. Und eine solche Rechtfertigung ist angezeigt: Schließlich hat man sich 1907 auf dem Internationalen Sozialistenkongress in Stuttgart gegenseitig verpflichtet, »mit allen Kräften die Rüstungen zu Wasser und zu Lande zu bekämpfen, und die Mittel hierfür zu verweigern«.83 Auch wenn hier die – scheinbar noch in den Sternen stehende – Luftwaffe nicht aufgeführt ist: Ist es mit 138
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diesen Beschlüssen vereinbar, dass die Reichstagsfraktion der SPD der Subvention des Zeppelinbaus zustimmt? Wo sie doch gleichzeitig kritisiert, dass dieser »vorläufig überwiegend militärische Zwecke« verfolge? Ja, sagt der »Vorwärts« nun: Es wäre kleinmütiger Zweifel am baldigen Sieg des Sozialismus, wenn die »derzeitige« Kriegsverwendung von Luftschiffen als eine ernstzunehmende Gefahr angesehen würde. Und da der technische Fortschritt der große Verbündete des internationalen Proletariats ist, verstieße eine Ablehnung des deutschen Zeppelinbaus gegen die Interessen der Zweiten Internationale. Kurz: der Zeppelin ist Sozialdemokrat, und deshalb dürfen die Sozialdemokraten Zeppelinisten sein. Schon zwei Jahre danach wird dieser Fortschrittsoptimismus widerlegt: Im Italienisch-Osmanischen Krieg von 1911/12 bombardieren italienische Luftschiffe Tripolis. Als kurz darauf die deutsche Regierung im Reichstag Geld für eine Luftflotte beantragt, ist die SPD aus ihrem Wunschtraum erwacht: Sie verweigert ihre Zustimmung und fordert, »daß, bevor diese Seuche der gewaltsamsten Menschenvernichtung überhandnimmt, internationale Abmachungen getroffen werden, die die Benutzung der Luftschiffe zu solchen Zwecken unmöglich machen«84. Es hilft nichts: Die deutschen Militärzeppeline werden gebaut. Auf den Lippen, nicht im Herzen!
In der Zeppelineuphorie der Jahre 1908 und 1909 unterschätzt die Sozialdemokratie nicht nur die Gefahren des Luftmilitarismus, sondern auch die chauvinistische Komponente im Zeppelinkult. Dieser zeigt, wie gesehen, Formen »direkter Demokratie«, ist seinem Inhalt nach aber uneinheitlich und mehrdeutig. In ihm mischen sich die sinnliche Überwältigung durch die schiere Masse der Luftschiffe – LZ 4 zum Beispiel ist 136 Meter lang –, Bewunderung für die moderne Ingenieurskunst, die Hoffnung auf eine kosmopolitische Wirkung von Fernflügen und die Vorfreude aufs Mitfliegen mit dem Stolz auf die deutsche Führungsrolle beim Luftschiffbau, mit nationalistischen Erwartungen einer künftigen deutschen Weltmachtstellung bis hin zu Fantasien der Zerstörungen, die Zeppelinbomben in London oder Paris anrichten könnten. Zu den häufigsten Liedern, welche die Menge bei der Landung, ja schon beim Anblick eines Zeppelins anstimmt, gehört »Deutschland, Deutschland über alles«. Der Zeppelinkult ist eine Etappe auf dem Weg des Deutschlandlieds zur Nationalhymne. 139
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In der SPD-Presse werden die nationalbornierten und aggressiven Stimmen unter den Zeppelinbewunderern nicht übersehen. Sie warnt vor Leuten, welche die Volksspende für den Grafen »zu einem Mittel nationaler Völkerverhetzung und Friedensstörung« machen wollten,85 und kritisiert den »chauvinistischen Wind«, der in der Zeppelinbegeisterung mitwehe.86 Doch gleichzeitig gibt sie, vor allem in den Kulminationsaugenblicken des Zeppelinkults, immer wieder dem unerschütterten Glauben Ausdruck, dessen herrschende Tendenz sei Fortschrittsbegeisterung. So beruhigt sich die »Schwäbische Tagwacht« am 7. August 1908 über den vom Zeppelin entzündeten »furor teutonicus« in »ein(em) Teil unserer bürgerlichen Presse«: »Wir sind überzeugt, dass die große Mehrzahl des deutschen Volkes sich zur Höhe eines solchen ›nationalen‹ Empfindens nicht aufzuschwingen vermag, das in der Katastrophe von Echterdingen weiter nichts sieht, als eine verpasste Gelegenheit, demnächst zur höheren Ehre Deutschlands fremden Völkern von oben her Dynamitpatronen an den Kopf zu werfen.« Dieselbe Zeitung registriert bei der »Pfingstfahrt« Zeppelins 1909, das Luftschiff sei diesmal ohne militärische Besatzung gefahren: »Dafür haben die Massen des Volkes (...) den kühnen Männern umso rückhaltloser zugejubelt«.87 Und ein in der »Schwäbischen Tagwacht« und der »Münchner Post« abgedruckter Korrespondentenbericht, der Eindrücke von der Berlin-Ankunft Zeppelins im August 1909 zusammenfasst, meldet zwar: »Auch in Berlin fehlt es nicht an gedankenlosen Mengen, die ein wirklich menschliches Kulturfest gemäß ihrer eigenen geistigen Beschaffenheit auf das Niveau einer Militärparade oder einer höfischen Einweihungsfeier herabziehen möchten.« Aber am Ende des Artikels heißt es dann doch: »Während das unvermeidliche ›Heil dir im Siegerkranze‹ steigt, klingt es doch ganz anders in hunderttausend Herzen: ›Der Erde Glück, der Sonne Pracht, Des Geistes Licht, des Wissens Macht Dem ganzen Volke sei’s gegeben!‹«88 Was hier als Cantus firmus unter der kaisertreuen Oberstimme angenommen wird, sind Zeilen aus der Hymne der Sozialdemokratie, dem »Sozialistenmarsch«. Die Kaiserhymne als bloßer Lippendienst, der Sozialismus als Herzenswunsch der Deutschen. Die Wirklichkeit erscheint hier nurmehr als dünner Vorhang vor einer dahinter bereitstehenden sozialistischen Zukunft. 140
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Geistesakrobatik 1908 und 1914
Der deutsche Lufteroberer Zeppelin, der Krieg fürs Vaterland: zwei Integrationsmaschinen, die auch in der Sozialdemokratie ihre Wirkung tun. Doch nicht auf dieselbe Weise und nicht mit derselben Reichweite, weshalb sich bei den Augusterlebnissen von 1908 und von 1914 nur bedingt von Vorspiel und Ernstfall reden lässt. Die nationalistische Propaganda hat die Stimmung zu Kriegsbeginn noch jahrzehntelang so ausgemalt, dass sie der Zeppelinstimmung ähnelte: als allgemeine Klassenverschmelzung und ohrenbetäubender Jubel. In Wahrheit, wir haben es dargelegt, wurde dieser Jubel von überschaubaren Gruppen getragen und wich, als der Krieg erklärt war, zunehmend einem teilweise heiligen, teilweise aber nur grimmigen Ernst. Die Zeppelinbewegung hingegen schafft tatsächlich klassen- und parteiübergreifend Einheitserlebnisse, die zudem im Gedächtnis der Deutschen mit gutem Grund als kollektive Lusterfahrung konnotiert sind, als »Freudenschrei aus allen Kehlen«, der das über den Dächern auftauchende Luftschiff zu begrüßen pflegte. Doch es ist eben nicht nur die Freude an einem neuen Genuss, einer neuen Beweglichkeit und Freiheit, sondern auch ein neues Machtgefühl angesichts einer erhofften deutschen Lufthoheit, die im Ernstfall kriegswichtig sein kann. Und im Umgang mit dieser militaristischen Komponente des Zeppelins gibt es eine frappierende Parallele zwischen 1908 und 1914. Während von der bürgerlichen Presse, von Regierungsstellen und vom Erfinder selbst unermüdlich die Vorteile betont werden, welche die Luftschiffe im Kriegsfall für Deutschland bringen würden, versuchen zeppelinbegeisterte Sozialdemokraten, wie gesehen, diese Perspektive auszublenden oder aber mit roter Farbe zu überpinseln. Ganz ähnlich im August 1914: Vehement leugnet die Kriegsfraktion der Sozialdemokraten jede Annäherung an nationalistische Positionen und versteht oder inseriert ihre Burgfriedenspolitik als gut sozialistisch. Die zentrale und sicher wirkungsvollste Parole der sozialdemokratischen Kriegsbefürworter ist im August 1914, dass der Krieg notwendig sei, vor allem zur Abwehr eines russischen Vordringens nach Mitteleuropa, wodurch das reaktionäre zaristische Regime die Macht über das ungleich fortschrittlichere Deutschland erringen könnte. Und man erinnert daran, dass dieses Regime – spätestens seit der niedergeschlagenen Revolution von 1905 – der Hauptgegner der Zweiten Internationale war. »Es ist selbstverständlich«, 141
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schreibt die sozialdemokratische »Bremer Bürger-Zeitung« am 4. August 1914, »daß die Herzen der internationalen Sozialdemokratie nie schlagen, wo die Fahnen des russischen Zarrats wehen, und daß im Interesse des Proletariats und der Kultur, im Interesse der deutschen, aber auch der internationalen Arbeiterklasse, alles geschehen muß, um die Macht des Blutzaren und seiner verbrecherischen Regierungsclique zu brechen«.89 Worüber die erdrückende Mehrheit der SPD-Blätter, die Anfang August auf Kriegskurs gehen, möglichst schweigt, ist der deutsche Kriegszustand mit Frankreich und England – wohingegen in diesen zweifellos demokratischer verfassten Ländern wenig vom Verbündeten Russland und viel vom halbfeudalen preußischen Militärstaat die Rede ist, den zu bekämpfen Sozialistenpflicht sei. Nach den ersten großen Schlachten im Westen wird das Prinzip »Sozialistische Worte – Patriotische Taten«,90 wie es der linke Sozialdemokrat Wilhelm Baumann in einem Aufsatz von 1914 nennt, dann auch auf den Kampf gegen England angewandt. Der zu Kriegsbeginn vom linken auf den rechten SPD-Flügel gewechselte Paul Lensch zum Beispiel charakterisiert die internationale Rolle Großbritanniens, was noch einigermaßen mitvollzogen werden kann, als die einer »ausbeutenden, herrschenden Klasse«, tut von da aus jedoch einen halsbrecherischen zweiten Schritt: »Welchen anderen Inhalt hat nun dieser Krieg, als den, die englische Klassenherrschaft über die Welt zu stürzen?«91 In der Zeppelineuphorie seit dem August 1908 wiederum wird der geplante Einsatz deutscher Luftschiffe für Kriegszwecke »dialektisch« wegdiskutiert: Angesichts des baldigen Siegs des Sozialismus müsse über die aktuelle Situation hinausgedacht werden; die Volksspende für die Zeppeline sei in Wahrheit die Spende für den allen wohl- und niemand wehtuenden Volkszeppelin der Zukunft. Analog dazu wird im August 1914 ein Sieg Deutschlands im Weltkrieg als Sieg letztlich des Sozialismus dargestellt, da es das Land mit der stärksten Sozialdemokratie und den besten Chancen auf eine soziale Umwälzung sei. »Die Sozialdemokraten«, so paraphrasiert der Sozialhistoriker Dieter Groh diesen Gedankengang, »verteidigten nicht das Deutsche Reich, wie es bestand, sondern die sozialistische Gesellschaft, die in naher oder ferner Zukunft auf deutschem Boden realisiert werden sollte, aber nur in einem Land verwirklicht werden konnte, das volle nationale Unabhängigkeit besaß.«92 Diesem Ziel, so die weitere Argumentation, komme man durch den Burgfrieden, den Verzicht auf politische Opposition, auf Lohnkämpfe und so weiter auf doppelte Weise näher: nach außen, indem 142
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sich die deutsche Wehrkraft damit ungestörter entfalten könne, nach innen, weil die Sozialdemokratie der Regierung und dem Volk ihren Patriotismus und ihre Disziplin beweise und damit ihre Chancen auf einen Wahlsieg nach dem Krieg enorm vergrößere. Und weder in der Zeppelin- noch in der Kriegsfrage kommen die sozialdemokratischen Unterstützer auf die Idee, ihr Ja an irgendwelche Bedingungen zu knüpfen: Ebenso wenig wie die Fraktionsmehrheit im August 1914 eine Regierungsbeteiligung – oder auch nur die baldige Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts in Preußen – verlangt, findet sich in den zeppelineuphorischen Beiträgen der SPD-Presse von 1908 so etwas wie die Forderung, den von der Volksspende ermöglichten Weiterbau von Luftschiffen nicht zur Herstellung von »Luftkreuzern« zu verwenden oder keine Luftschiffe an das Militär zu liefern. Der Verzicht auf Bedingungen für das eigene Mitmachen, auf ein »Ja, wenn« oder sogar ein »Ja, aber«, wird hier wie dort erleichtert durch Illusionen über die Absichten der anderen Mitglieder der nationalen Koalition. Im Fall des Zeppelins zeigen sie sich zum einen in der Neigung, den chauvinistischen Anteil bei der Luftschiffbegeisterung herunterzuspielen, zum andern und vor allem in den Wunschprojektionen auf den Grafen Zeppelin, die dessen Denken und Handeln fantasievoll sozialdemokratisieren. Bei Kriegsbeginn richten sich solche Illusionen auf die Reichsregierung und den Kaiser, denen die Parteiführung und ein Großteil der Parteipresse bis zuletzt Friedenswillen attestieren; dankbar und gläubig nimmt die Parteirechte die Thronrede am 4. August entgegen, in welcher der Kaiser bekundet, nun keine Parteien, sondern nur noch Deutsche kennen zu wollen. »Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr«, jubelt tags darauf die »Karlsruher Volkszeitung«. Und Eduard David schreibt nach der Reichstagssitzung überwältigt in sein Tagebuch: »Der ungeheure Jubel der gegnerischen Parteien, der Regierung, der Tribünen, als wir uns zur Zustimmung erheben, wird mir unvergessen sein.«93 Tatsächlich jedoch wird am 4. August nicht einmal der Schein gewahrt, dass die Sozialdemokraten ob ihrer Kriegszustimmung nun allenthalben als legitime politische Kraft anerkannt würden. Zwar hat es der Liberale Conrad Haußmann – auf eine dringende Bitte des Sozialdemokraten Ludwig Frank hin – erreicht, dass seine Demokratische Volkspartei, das Zentrum und die Nationalliberalen nach der SPD-Erklärung für die Kriegskredite applaudieren. Die Konservativen jedoch sind vom Kriegspatriotismus der Sozis ungerührt – sie bleiben, wie Bethmann Hollweg, der die SPD unbedingt 143
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einbinden will, mit Schrecken vermerkt, »eiskalt«.94 »Die parlamentarischen Vertreter der in Preußen und Deutschland herrschende Klasse«, so Dieter Groh, »verharrten in ihrer Reserve (...). Die tradierten innenpolitischen Feindmarkierungen wurden für diese Schicht auch nicht durch das ›August erlebnis‹ aufgehoben.«95 Epilog: Hardie’s night
Der Sozialist und Pazifist Keir Hardie, 1889 Teilnehmer des Internationalen Arbeiterkongresses in Paris, besucht – er ist, kein Zufall, seit August 1914 schwer krank – im Frühjahr 1915 zum letzten Mal eine Konferenz der Independent Labour Party. Sein Biograf William Stewart berichtet: »There had been night-time Zeppelin raids on the Norfolk coast, and when, on Easter eve, the I. L. P. delegates (…) reached Norwich, they entered a city of dreadful night, and had to be piloted through utter darkness to their hotels and lodgings.«96 Einige Monate später apportiert der »Vorwärts« die Nachricht: »Deutsche Marineluftschiffe bombardieren London«: »15 kleine Wohnhäuser wurden zerstört oder ernstlich beschädigt (...). Getötet zwei Männer, drei Frauen, fünf Kinder; verwundet dreizehn Männer, sechzehn Frauen, vierzehn Kinder. Ein Mann und zwei Frauen werden vermißt. Alle sind Zivilpersonen mit Ausnahme eines Soldaten, der verwundet wurde.«97 Tags darauf meldet der »Vorwärts«, die Stadt Middlesbrough sei ebenfalls von Zeppelinen angegriffen worden: »Auch hier konnte guter Erfolg festgestellt werden. – Die amtliche englische Berichterstattung verschweigt aus naheliegenden Gründen, wie üblich, die bedeutenden materiellen Erfolge der deutschen Luftangriffe und beschränkt sich im wesentlichen auf die Angabe einer willkürlich gegriffenen Zahl von Menschenverlusten.«98
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Die Weihnachtsinternationale der Soldaten Soziale Triebe
Der Weltkrieg hat nicht nur die politischen Erwartungen desavouiert, mit denen die sozialistischen Parteien sich auf dem Pariser Kongress 1889 zusammengeschlossen hatten; er hat zudem die Anthropologie, auf welche sich das sozialistische Projekt implizit oder explizit stützte, in Zweifel gezogen: die Überzeugung, dass nicht ein unausrottbarer Kampfinstinkt die Menschheitsgeschichte bestimme, sondern man auf die Existenz und die Weiterentwicklung prosozialer Eigenschaften bauen könne, welche Egoismus und Aggressionslust zu zähmen oder gar zu überwinden imstande seien. In den Jahrzehnten und vor allem in den Jahren vor dem Krieg haben sich die Sozialisten neben bürgerlichen Ökonomen auch bürgerlicher Naturwissenschaftler zu erwehren, welche – wie etwa Herbert Spencer, Thomas Henry Huxley oder Ernst Haeckel – das Vorhaben einer kooperativ organisierten Gesellschaft unter Berufung auf Darwins Formulierung vom evolutionsbestimmenden »struggle for life« als naturwidrig bezeichnen.1 Englische, deutsche, französische und italienische »Linksdarwinisten« halten – im Einklang mit bürgerlichen Sozialreformern – dagegen und weisen darauf hin, dass Darwin selbst den »struggle« als lediglich metaphorischen Begriff bezeichnet und von die Evolution mitbestimmenden »sozialen Instinkten« gesprochen habe. 1884 veröffentlicht Karl Kautsky, der Cheftheoretiker der deutschsprachigen Sozialdemokratie, in der »Neuen Zeit« einen Aufsatz unter dem Titel »Die sozialen Triebe in der Menschenwelt«. Vererbte aggressive Neigungen nicht leugnend, postuliert er darin unter Berufung auf Darwin die Existenz vererbter prosozialer Strebungen. Der Kapitalismus unterdrücke diese, doch in den heutigen sozialen Kämpfen würden »Solidarität und Opfermut, Sympathie und Freigebigkeit« wieder gestärkt.2 In der sozialdemokratischen Publizistik und in Vorträgen zur Arbeiterbildung wird diese Auffassung einem breiteren Publikum vermittelt.3 Eine zumindest ebenso große Rolle spielt das Thema unter britischen Sozialisten, vor 145
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allem in der Independent Labour Party und in der Fabian Society.4 Einen Schub erhält die Kritik an einem Sozialdarwinismus, der Kapitalismus und Imperialismus mit der Würde von Naturnotwendigkeiten versieht, durch die 1903 erschienene Abhandlung »Mutual Aid. A Factor of Evolution« des in England lebenden russischen Anarchisten Piotr Kropotkin. Sie wird alsbald in mehrere Sprachen übersetzt – 1904 bringt Gustav Landauer eine deutsche Ausgabe heraus5 – und, ungeachtet ihrer anarchistischen Tendenz, zu einer Lieblingslektüre von Sozialdemokraten.6 Kropotkin sucht zum einen die Existenz altruistischer Instinkte bereits bei Tieren und zum andern deren größere Effizienz in der Evolutionsgeschichte nachzuweisen: Auf Solidarität basierende tierische und menschliche Gemeinschaften seien erfolgreicher gewesen als Gruppen, die auf der Macht der Aggressiveren und Stärkeren aufbauten. Auch in der Menschheitsgeschichte seien die Praxis der Kooperation und die Ethik des Mitleids zunächst auf kleine, territorial zusammenlebende Einheiten beschränkt gewesen, doch zeige sich eine »allmähliche Ausdehnung der Prinzipien gegenseitiger Hilfe vom Stamm aus zu den immer umfassenderen Gebilden, so daß sie schließlich eines Tages die ganze Menschheit umfassen, ohne Unterschied der Glaubensbekenntnisse, Sprachen und Rassen«7. Sozialdemokratische Autoren wie Anton Pannekoek (»Marxismus und Darwinismus«)8 und wiederum Karl Kautsky knüpfen an diese geschichtsoptimistischen Überlegungen an. Der Geltungsbereich der sozialen Triebe, schreibt Kautsky in seiner Schrift »Ethik und materialistische Geschichtsauffassung«, »wächst (...) in dem Maße, in dem die Arbeitsteilung fortschreitet, die Produktivität der menschlichen Arbeit wächst, sowie die Mittel des Menschenverkehrs sich vervollkommnen. (...) So bildet sich eine Grundlage zur endlichen Verwirklichung jener sittlichen Anschauung, die schon das Christentum aussprach, aber sehr voreilig, so daß es sie nicht zu verwirklichen vermochte (...), der Anschauung, daß die sozialen Triebe, die sittlichen Tugenden allen gegenüber in gleicher Weise zu betätigen seien.« Er fügt allerdings hinzu: »Diese Moral ist aber auch heute noch weit entfernt davon, eine Moral aller Menschen auch nur in den ökonomisch fortgeschrittensten Ländern zu sein. Sie ist bis heute noch im wesentlichen die Moral des klassenbewußten Proletariats«.9 Ein praktischer Ausdruck dieser Moral, so darf man ergänzen, ist demnach die Sozialistische Internationale.
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Dass die Entwicklung der Zivilisation die Gewaltbereitschaft der Menschen gesenkt habe und die im 19. Jahrhundert vervielfachten globalen Beziehungen, der Weltmarkt der Dinge und der Weltverkehr der Ideen nationale Kriege zunehmend anachronistisch werden ließen, ist nicht nur die Überzeugung sozialistischer, sondern auch liberaler und pazifistischer Wissenschaftler, die sich in den Jahren vor dem Weltkrieg zu Wort melden. So verkündet der Mediziner (und spätere Nobelpreisträger) Charles Richet »(l)e passé de la guerre et l’avenir de la paix« – Bertha von Suttner übersetzt das Buch 1912 ins Deutsche:10 Naturgegebene »kriegerische Instinkte« gebe es nicht, und so sei es möglich, dass der Krieg zunehmend aus der Mode gekommen sei. Großen Einfluss unter europäischen Pazifisten hat auch der russische, in Frankreich lebende Evolutionist Jacques Novicow, der eine Entwicklung vom Kampf zum Wettkampf der Nationen zu beobachten meint und auf die friedensschaffende Wirkung von immer weiter reichenden Föderationen setzt – der Österreicher Alfred Hermann Fried, Gründer der Zeitschrift »Die Waffen nieder« und Friedensnobelpreisträger von 1911, übersetzt Novicows Buch »Die Föderation Europas« ins Deutsche. Die europäischen Massen, schreibt Novicow im Jahr 1912, seien Kriegsgegner, allerdings gebe es aggressive Minderheiten, die man bekämpfen müsse – und Rückschläge seien immer möglich.11 Zwei Jahre später tritt ein solcher Rückschlag ein, und das sogleich in einer von Kriegsgegnern wie Kriegstreibern ungeahnten Wucht. Die vielverbreiteten Bilder der Massenbegeisterung zu Kriegsbeginn und die danach losbrechende Massenschlächterei stürmen auf die Theorien der Verfriedlichung ein und bestärken die Auffassung vom Menschen als »bête humaine« oder als »animal pugnans«, als kämpfendes Tier. Immer wieder trifft man nun auf die Metapher von der dünnen Patina der Zivilisation, unter welcher der alte Adam, besser: der alte Kain überlebt habe. »Reductionist images of man as fighting ape or primal predator flourished during the war«, schreibt Paul Crook in «Darwinism, war and history«, »especially in the fields of medicine and psychology.«12 Bellizisten begrüßen dieses Menschen- oder Männerbild und fordern, das kriegerische Erbe gegen verweichlichende Tendenzen in der nationalen Erziehung und Politik zu wahren – unter anderem durch Verweigerung des Frauenwahlrechts; Pazifisten fühlen sich zu dem Eingeständnis gedrängt, vor dem Krieg einer zu optimistischen Anthropologie angehangen zu haben: »We awakened«, schreibt damals der amerikanische Pazifist John Haynes Holmes, »to discover that we were still barbarians.«13 147
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Neue Nachrichten
Im Notizenbuch »Impressions and Comments« von Havelock Ellis, dem britischen Mediziner, Psychologen und Sozialisten, findet sich diese Eintragung vom 1. Januar 1915: »A year is over that has held for me more of sadness and loss than any year I can well remember. And submerging all personal griefs, this year has brought the greatest catastrophe – as one is sometimes tempted to regard it – that ever befall our race (…). It has not only blotted out from the lovely earth many spots that for me were loveliest, but it has cut roughly athwart – who knows for how long? – my ideals for the world and my hopes for mankind.«14 Am selben Tag berichtet die Londoner »Times« von »kaum glaublichen« Vorkommnissen an der Westfront. Britische und deutsche Soldaten hätten dort »fraternisiert«, hätten sich an Heiligabend zwischen den Schützengräben getroffen, Geschenke ausgetauscht und für ihren Frontabschnitt eine Waffenruhe für den 1. Weihnachtsfeiertag verabredet. In den folgenden Tagen erscheinen in vielen britischen Zeitungen ähnliche Informationen. Am 9. Januar notiert Ellis: »›French and German soldiers who had fraternised between the trenches at Christmas subsequently refused to fire on one another and had to be removed and replaced by other men.‹ Amid the vast stream of war news which nowadays flows all over our newspapers I chanced to find that little paragraph in a corner of a halfpenny evening journal. It seems to me the most important item of news I have read since the war began. ›Patriotism‹ and ›War‹ are not human facts. They are merely abstractions; they belong to the sphere of metaphysics, just as much as those ancient theological conceptions of Godhead and the Trinity, with their minute variations, for the sake of which once Catholics and Arians so gladly slew and tortured each other. But as soon as the sunshine of real humanity makes itself felt the metaphysics of Patriotism and War are dissipated as surely as those of theology. When you have reckoned that your enemy is not an abstraction but a human being, as real a human being as you are yourself, why want to kill him any more than you want to 148
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13: Daily Graphic, 8.1.1915.
kill yourself? (…) It has been achieved on a single Christmas Eve in men whose hatred of each other had been artificially excited to the highest pitch. Is it much to expect that one day this process will be extended on the world’s fighting-line until so many men have ›had to be removed‹ that there will be none left to replace them?«15 Eine ähnliche Wende zeigt sich in diesen Tagen bei Edward Carpenter, Teilnehmer des Pariser Sozialistenkongresses von 1889, Mitglied der pazifistisch gebliebenen Independent Labour Party. Er, der in einer früheren Publikation über »Civilization: Its Cause and Cure« noch von einer erst durch die Klassengesellschaften korrumpierten menschlichen Natur ausging, schreibt unter dem Eindruck der Schlachten an der Westfront im Januar 1915 einen Artikel »War and the sex impulse«. Darin heißt es: »Of course we need not leave out of sight the ordinary theory and explanation, that wars are simply a part of the general struggle for existence – culminating explosions of hatred and mutual destruction between peoples who are competing with each other 149
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for the means of subsistence. That there is something in this view one can hardly deny.«16 Zugleich fallen Carpenter Kriegsberichte über eine »extraordinary ecstasy«17 auf, die Männer auf dem Schlachtfeld ergreifen könne. Das führt ihn zu der Vermutung, dass bei diesen Kämpfen nicht einfach aggressive, sondern auch tief liegende sexuelle Strebungen befriedigt würden – »in the direction of a physiological impact and fusion between the two (or more) peoples concerned, which fertilizes and regenerates them, and is perhaps as necessary in the life of Nations as the fusion of cells as in the life of Protozoa, or the phenomena of sex in the evolution of Man. (…) And the dear creatures in the trenches and the firing-lines give their lives – equally beautiful, equally justified, on both sides: fascinated, rapt, beyond and beside themselves, as foes hating each other with a deadly hatred; seized with hideous, furious, nerve-racking passions«.18 Kurz darauf erreichen auch ihn die Meldungen vom Weihnachtsfrieden in den Schützengräben. Unter dem Titel »The friendly and the fighting in stincts« schreibt Carpenter nun: «Fighting is certainly a deeply ingrained instinct in the human race – the masculine portion. (…) There is no greater bond in early stages between the members of a group or tribe than the consciousness that they have a common enemy. It is also obviously still a great pleasure to a very large proportion of our male populations – as, indeed, the fact of its being the fulfilment of a deep instinct would lead us to expect. It does not follow, however, from these remarks that we expect war in its crudest form to continue for ever. There will come a term to the phase of evolution. (…) If fighting is an ingrained instinct, the sociable or friendly instinct is equally ingrained. We may, indeed, suppose it roots deeper. In the midst of warfare maddes foes will turn and embrace each other. (…) In the present war there are hundreds of stories already in circulation of acts of grace and tenderness between enemies, as well as the quaintest quips and jokes and demonstrations of sociability between men in opposing trenches who ›ought‹ to have been slaying each other. (…) Finally the fraternizations last Christmas between the opposing lines in Northern France almost threatened at one time to dissolve all the proprieties of official warfare. If they had spread a little farther and lasted a little longer, who knows what might have happened? (…) Could anything more clearly show the beating of the great heart of Man beneath the thickly overlying husks of class and class-government?«19
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Im Februar 1915 hält Carpenter nochmals seine Folgerungen aus dem Weihnachtsfrieden fest: »Finally, and looking back on all we have said, and especially on the Christmas scenes and celebrations between the trenches in this war and the many similar fraternizations of the rank and file of opposing armies in former wars, one realizes the monstrosity and absurdity of the present conflict – its anachronism and out-of-dateness in the existing age of human thought and feeling (…). Underneath all the ambitions of certain individuals and groups, underneath all the greed and chicanery of others; underneath the widespread ignorance, mother of prejudice, which sunders folk of different race or colour – deep down the human heart beats practically the same in all lands, drawing us little mortals together.«20 Überschrieben ist der Artikel mit »The tree of life« – eine Metapher Darwins für die Interdependenz alles Lebendigen. Der weihnachtliche Soldatenfrieden von 1914 als Gegenpart des August erlebnisses, als Zeichen dafür, dass das linksdarwinistische Menschenbild doch nicht desavouiert und die Völkerverbrüderungsidee der Zweiten Internationale nicht auf Sand gebaut ist? Das wären weitreichende Schlüsse aus einem Ereignis, das die Geschichtsschreibung lange Zeit »dismissed in official history as an aberration of no consequence«21. Die inzwischen vorliegenden, vor allem aus Großbritannien stammenden Studien zeigen, dass die Frontverbrüderungen im Winter 1914/15 keineswegs eine seltene Ausnahme und eine kurze Episode waren – und sich in ihnen nicht, wie oft herunterspielend gesagt wurde und teilweise immer noch gesagt wird,22 das bloße Bedürfnis nach einer Erholungspause ausdrückte. Und wenngleich sie den Kriegsverlauf kaum beeinflussen, haben sie doch politische Folgen. Teilnehmer der im Frühjahr 1915 einsetzenden bürgerlich-pazifistischen Konferenzen, die zu einer Verständigung der kriegführenden Nationen beitragen wollen, und auch Sozialisten, die sich dem nationalen Durchhaltekurs ihrer Parteiführungen entgegenstellen, sehen sich durch die Schützengrabenverbrüderungen ermutigt. Die Geschichte des Weihnachtsfriedens und die Geschichte der Zweiten Internationale sind miteinander verbunden.
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»Soldiers’ Truce« – Waffenstillstand von unten Nicht nur zur Weihnachtszeit«
Den Schützengrabenverbrüderungen an den Weihnachtstagen sind unsagbar blutige Kämpfe vorausgegangen. Die Franzosen, Belgier und Engländer haben den deutschen Marsch nach Paris gerade noch abwehren können. Um einen hohen Preis: Etwa 306.000 französische, 241.000 deutsche, 30.000 britische und 30.000 belgische Soldaten haben den Tod gefunden.23 Seit Ende September beginnen sich die Armeen einzugraben, der Bewegungskrieg geht in den Stellungskrieg über. Bei Ypern – später einer der Schauplätze von Verbrüderungen – kommt es allerdings nochmals zu einer großen Angriffsschlacht, die bei den Briten über 50.000 und bei Deutschen und Franzosen noch weit mehr Tote und Verwundete zeitigt. Die Opfer, die der Sommer und Herbst 1914 an der Westfront fordern, sind, gemessen an der Stärke der beteiligten Truppen, die höchsten des ganzen Weltkriegs.24 Im Dezember 1914 ist die Grabenlinie vom Ärmelkanal bis zur Schweizer Grenze vervollständigt. Es beginnt eine vergleichsweise ruhige Kriegsphase, zwar mit vielen kleineren Artillerie- und Infanterieattacken, aber nicht mehr mit so großen Schlachten wie zuvor. Die Heeresleitungen müssen auf Nachschub an Männern und Munition warten. Die dezimierten Mannschaften sind nicht nur erschöpft, sondern vielfach auch entsetzt von der Schlächterei und enttäuscht vom Kriegsverlauf, der den allseits erhofften Sieg nach kurzem Kampf nicht gebracht hat: Man wird Weihnachten nicht zu Hause, sondern im Feld verbringen, und die an einem Teil der Front eingetretene Beruhigung wird wohl neuen blutigen Kämpfen weichen. In dieser Situation setzt die Welle der Weihnachtsverbrüderungen ein – von aller Welt als Wunder bestaunt und doch alles andere als unerklärlich. Ihren Schwerpunkt haben die Verbrüderungen im britischen Frontsektor zwischen Ypres/Ypern und La Bassée, der etwa 30 km lang ist. Malcolm Brown schätzt, dass es auf zwei Dritteln der Front mehr oder minder intensive und extensive Treffen gegeben hat;25 Modris Eksteins meint, dass hier fast drei Viertel der Truppen auf irgendeine Weise an der »friendly communication« beteiligt waren.26 Es sind in der Tat nicht nur kleine Grüppchen der sich gegenüberliegenden Infanteristen, sondern oftmals Hunderte, die auf beiden Seiten aus den Gräben steigen und aufeinander zugehen. In vielen Fällen versuchen die Offiziere, die friedlichen Begegnungen – manchmal 152
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erfolgreich, manchmal nicht – zu verbieten, oftmals nehmen sie aber selbst an ihnen teil.27 Die Beteiligten ahnen vom geografischen Ausmaß dieser Treffen nichts. Absprachen mit anderen Regimentern der eigenen Seite haben sie nicht getroffen, und sie erfahren wohl in aller Regel nicht einmal etwas von benachbarten Begegnungen. An der langen Frontlinie, an der sich Franzosen und Deutsche gegenüberliegen, sind die weihnachtlichen Verbrüderungen nicht so ausgedehnt, jedoch keineswegs selten – was die französische Presse aber anders als britische und teilweise auch deutsche Zeitungen verschweigt: Das Fraternisieren mit dem im eigenen Land stehenden Feind ist in Frankreich hoch tabuisiert, und dies lange über die Kriegszeit hinaus. Der deutsche Offizier Ralf von Rangow berichtet vom ersten Weihnachtstag in den Schützengräben bei Courcy: »Zu Hunderten hatten sich auf der ganzen Front unsere Leute und die Franzosen etwa auf der Mitte zwischen den Stellungen zusammengefunden, schüttelten sich die Hände, tauschten Schokolade, Zigaretten usw. aus und schwatzten miteinander.«28 Und sogar an dem kleinen Frontabschnitt nördlich von Ypern, wo die belgische Armee erbittert den letzten unbesetzten Zipfel ihres Landes verteidigt, finden Verbrüderungen statt.29 Im kollektiven Gedächtnis war der Weihnachtsfrieden zumindest bis vor Kurzem nur in Großbritannien verankert.30 Bis heute wird von den friedlichen Treffen an der Westfront31 zumeist als einem Ausnahmeereignis an einem Ausnahmedatum gesprochen: vom »Christmas Truce«, vom »Weihnachtsfrieden« 1914. Dass Soldaten, die sich soeben noch erbittert bekämpft haben, friedlich aufeinander zugehen, wird so als Weihnachtswunder deutbar, als von der Engelsbotschaft »Frieden auf Erden« ausgehende Verzauberung. Auch viele der damaligen Akteure haben es so empfunden, und das Weihnachtsfest ist zweifellos der entscheidende Auslöser der Ereignisse. Ihre Raison d’être jedoch ist es nicht. Das zeigt sich allein schon daran, dass sie keineswegs plötzlich und unvorbereitet eintreten. Freundschaftliche Frontkontakte zwischen gegnerischen Soldaten gibt es schon seit Beginn des Stellungskriegs. Eine Karikatur des »Punch« vom 28. Oktober bezeugt, dass solche Verständigungen über die Gräben hinweg kein Geheimnis waren. In Deutschland ist es insbesondere die sozialdemokratische Presse, die schon im Herbst 1914 über solche Kontakte berichtet. So druckt das »Hallesche Volksblatt« folgende Episode aus dem Feldpostbrief eines deutschen Soldaten ab: »Am Morgen des 28. [November, B. J. W.] sehen wir zu unserem Erstaunen, wie die links von uns liegenden Deutschen ... und mehrere 153
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Franzosen sich aus ihren Schützengräben erhoben und auf einmal ohne Waffen aufeinander zugingen, sich die Hände reichten. Im Nu hatte ein Franzose eine Flasche aus der Tasche gezogen und sie einem Deutschen gereicht. Auf einmal winkten die uns gegenüberliegenden Franzosen, Radfahrer und Husaren, die das ganze Schauspiel auch mit angesehen hatten, mit weißen Tüchern und Mützen freundlich zu uns herüber und gleich darauf kam ein Franzose mit der Versöhnungsflasche auf unseren Schützengraben zu. (...) Bald waren noch einige zwanzig Franzosen und ebenso viele Deutsche an derselben Stelle angelangt und reichten sich freundlich die Hand zum Gruße. Es ist fast unglaublich, aber wahr. Zu erwähnen ist noch, daß viele, wenn auch nicht alle, so viel Deutsch sprachen, dass sie uns mitteilen konnten, daß sie noch keinen Schuß nach uns aus den Schützengräben abgegeben hätten und auch nicht schießen würden wenn wir nicht schössen.«32 Von einem offenbar noch ausgedehnteren Treffen berichtet der Feldpostbrief eines Sozialdemokraten, der in der »Bergischen Arbeiterstimme« abgedruckt wird. An einem Sonntag im November hätten plötzlich Franzosen auf dem Graben gestanden, »da winkten sie und sagten, sie schössen nicht mehr, wir sollten hinüber, und sie hielten die Hände hoch. Zuerst gingen drei von unserem Regiment und verteilten Zigarren. Es dauerte nicht lange, da war die halbe Kompanie drüben. (...) Es sind die nächsten drei Tage keine Schüsse zwischen uns gefallen, dann wurden wir abgelöst.«33 Und die »Leipziger Volkszeitung« zitiert aus einem offenbar ebenfalls im Spätherbst geschriebenen Feldpostbrief: Ein deutscher Hauptmann habe plötzlich »eine Unmenge Franzosen« auf dem Rande des deutschen Grabens sitzen sehen und befohlen, sie sofort gefangen zu nehmen. Worauf seine Leute ihm gesagt hätten: »Das geht nicht, Herr Hauptmann, von uns sind 60 Mann bei den Franzosen.«34 »Seit November 1914«, fasst der Militärhistoriker Pierre Miquel zusammen, »werden Verbrüderungen von der ganzen Front gemeldet.«35 Englische Kommandostellen erlassen am 22. November einen Befehl, der solchen grenzüberschreitenden Verkehr mit dem Feind verbietet,36 und am 28.11. warnt der Generalstabschef des deutschen Feldheeres: »Aus mehrfachen hierher gelangten Mitteilungen aus der Front und aus Zeitungsartikeln geht hervor, daß sich an einzelnen Stellen unserer vorderen Linie, wo sich Freund und Feind besonders nahe gegenüberliegen, eine Art von Fraternisieren beider Parteien herausgebildet hat. Es soll sogar zu Verabredungen, gegenseitig das Schießen einzustellen, gekommen sein. In solchen Vorgängen liegt eine außerordentliche Gefahr. Der feste Wille jedes Einzelnen, jeder 154
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Zeit und überall mit allen Kräften dem Gegner Abbruch zu tun, darf unter keinen Umständen Einbuße erleiden. Wenn wir siegen wollen – und wir wollen und müssen siegen –, dann müssen wir auch die Pflege der bisherigen Kampfesfreudigkeit unserer Leute uns angelegen sein lassen. Auch der Positionskampf, da wo es augenblicklich zu einem solchen gekommen sein sollte, muß überall der Vernichtung des Gegners gelten!«37 Doch danach geht es erst wirklich los. Für Stunden, Tage, Wochen
Der »Weihnachtsfrieden von unten«, der alle bisherigen Verbrüderungen in den Schatten stellt, beginnt oft mit der Feier im eigenen Graben: Man singt Weihnachtslieder und die Gegner drüben applaudieren oder fallen, wenn sie das Lied kennen, in den Gesang ein. Lichter, Papierlaternen, Weihnachtsbäume werden auf den Grabenrand gestellt, sodass sie drüben zu sehen sind, dazu gibt es Rufe wie »Merry Christmas« oder »Fröhliche Weihnachten«. Vielerorts beginnt dann die zweite Phase: Man will die Weihnachtsgrüße persönlich übergeben, will sich treffen, und einzelne Mutige steigen aus den Gräben und gehen, »Hello Fritz«, »Hello you English« oder einfach »Kameraden« rufend, auf die gegnerischen Linien zu. Das geht nicht immer gut. Es kommt vor, dass nur mit Geschenken bewaffnete Soldaten aus Missverstehen oder Übelwollen unter Feuer genommen werden. Und manches Treffen zwischen den Gräben endet abrupt, sei es, dass über die Situation uninformierte Artillerie dazwischenballert, sei es, dass Vorgesetzte befehlen, dem Treiben durch Warn- oder auch Scharfschüsse ein Ende zu machen. Der Sozialist Hendrik de Man, der in einer belgischen Einheit kämpfte, erzählt später: »Drüben lagen Sachsen, und aus dem Hin- und Hergerede über die Brustwehren hinweg ergab sich nach und nach ein Privatgespräch mit einem früheren Kommilitonen aus Karl Büchers volkswirtschaftlichem Seminar. Zuletzt erklangen gemeinsam gesungene Weihnachtslieder – bis irgendein Trottel oder Angsthase eine Handgranate warf; sofort war natürlich aus Ärger über die heimtückische Tat wieder der Teufel los.«38 Oder wie es Tony Asworth sagt: »It took many men to make peace, but only one man to break it.«39 Zumeist jedoch sind die Bemühungen um Kontakt erfolgreich. An etlichen Frontabschnitten, an denen kurz zuvor noch gekämpft wurde, verabredet man zunächst eine Waffenpause, um die Toten im Niemandsland zu 155
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bergen und zu begraben. In einigen Fällen werden dabei gemeinsame Gottesdienste abgehalten. Vielerorts wird – was weiter unten detaillierter zu schildern sein wird – gemeinsam Weihnachten gefeiert. Danach verabschiedet man sich zumeist mit dem gegenseitigen Versprechen, die Kampfpause zumindest den ersten Weihnachtsfeiertag über einzuhalten. Häufig spricht man auch von zwei oder drei Tagen und manchmal von einer Woche.40 Ein Leutnant Dougan Chater schreibt am 27. Dezember an seine Mutter, der Frontfrieden dauere nun schon zwei Tage. »We exchanged cigarettes and autographs and some more people took photos. I don’t know how long it will go on for (…). We are, at any rate, having another truce on New Year’s Day as the Germans want to see how the photos come out!«41 Das Geschichtsbuch des Sächsischen Infanterieregiments 133 berichtet von einer stillschweigenden Übereinkunft mit englischen Soldaten, bis nach Neujahr nicht mehr aufeinander zu schießen. »Das haben wir auch getreulich eingehalten und die drüben auch.«42 Anders als manche Frontoffiziere, die das Fraternisieren als willkommene Erholungspause für ihre Mannschaften dulden, reagieren wiederum die Heeresleitungen. Am 29. Dezember verbietet ein deutscher Armeebefehl jede friedliche Annäherung an den Feind im Schützengraben,43 am 1. Januar befiehlt der Kommandeur der britischen 2. Armee: »informal understandings with the enemy are to cease«;44 Offiziere, die sie erlaubten, kämen vors Kriegsgericht. Dasselbe verkündet das französische Oberkommando.45 Harte Bestrafungen scheint es dann allerdings nirgends gegeben zu haben – doch werden später einige vordere Einheiten ausgetauscht, die nun als unzuverlässig gelten.46 Die Verbote und Strafandrohungen minimieren zwar die offene Verbrüderung, können jedoch den stillschweigenden »Soldiers’ Truce« – im Englischen ein feststehender Begriff – nicht sofort und überall beenden. Zwischen dem französischen 99. Infanterieregiment und dem 20. Bayerischen Reserveregiment, die bei Boiscommun an der Aisne liegen, herrscht bis Mitte Januar Waffenruhe.47 In einem Abschnitt südlich von Armentières, wo Engländer und Deutsche sich gegenüberliegen, hält der Soldatenfrieden teilweise bis in den Februar hinein; bei Plogsteert dauert er bis Mitte März 1915.48 Ermöglicht wird dies dadurch, dass die beiderseitigen Heeresleitungen in diesen Abschnitten einstweilen keine Offensive befehlen, bewirkt aber wird er durch den Willen, in dieser Situation auch auf den die Nerven aufreibenden und ebenfalls seine Opfer fordernden ›kleinen Grenzkrieg‹ zu verzichten. 156
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»Ich hoffe, ihr macht keinen Ärger«
Die gängigen Bezeichnungen »Christmas Truce« und »Weihnachtsfrieden« heben nicht auf das Moment der Verbrüderung, des Fraternisierens ab, sondern auf das der temporären Waffenruhe. Sie können die Weihnachtsereignisse an der Westfront damit leicht als bloße Verdichtung von soldatischen Taktiken erscheinen lassen, die beim Stellungskrieg 1914 bis 1918 ständig auftreten: des »Live-and-let-live«-Systems. Als »live and let live« werden von englischer Seite, offenbar seit dem Sommer 191549, die meist stillschweigenden Vereinbarungen zwischen sich gegenüberliegenden Grabenbesatzungen bezeichnet, mit denen diese ihr Leben zu verlängern suchen. Tony Ashworth nennt diese Schonpraxis ein während des ganzen Stellungskriegs im Ersten Weltkrieg auftretendes endemisches Handlungsmuster.50 Manchmal wird es nur zwischen zwei Soldaten, manchmal aber auch zwischen ganzen Regimentern praktiziert, und es kann Minuten, Stunden, Tage oder eine Woche, an einigen Frontabschnitten sogar Monate dauern. Es bedeutet zum Beispiel, den Gegner nicht in der Frühstückszeit zu beschießen („Frühstücksfrieden«) und ihn während eines Klogangs in Ruhe zu lassen.51 Häufig wird das Schießen zudem eingestellt, wenn beide Seiten nach Regenfällen ihre Gräben wieder instand setzen, wobei solche Waffenpausen mitunter über ihren Anlass hinaus ausgedehnt werden.52 Bei Eliteeinheiten seltener, bei anderen häufiger wird der gegenseitige Beschuss so gut es geht vermieden. Ein Soldat vom I. Bayerischen Armeekorps, Otto Weber, der Ende 1915 einer französischen Einheit gegenüberliegt, erzählt später: »Des öfteren hörten wir von ›drüben‹ eine Stimme und ein Kopf zeigte sich: ›Kamerad, nix mehr bumm bumm!‹ Selbstverständlich waren wir damit einverstanden.«53 Neulinge an der Front werden von den Älteren häufig über die Schonregeln instruiert und zum Beispiel neue Artilleriebeobachter mit »Ich hoffe, du machst keinen Ärger« begrüßt.54 Bei unumgänglichen, befohlenen Schießattacken ist es außerdem in manchen Einheiten und Situationen verbreitet, über den Gegner hinweg oder an ihm vorbei zu zielen – ein solches Vermeidungsverhalten ist schließlich schwer nachweisbar. Ein Weg, um sicherzustellen, dass das Gegenüber dieses rücksichtsvolle Danebenschießen angemessen würdigt und nicht als bloßes Unvermögen deutet, ist der demonstrative Volltreffer eines Gegenstands im Blickfeld des Gegners.55
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Ein britischer Soldat, Charles Hamilton Sorley, formuliert die Logik dieser Übereinkünfte in einem Brief an seine Mutter: »Without at all ›fraternizing‹ (…) we refrain from interfering with Brother Bosch seventy yards away, as long he is kind to us. (…) For either side to bomb the other would be a useless violation of the unwritten laws that govern the relations of combatants permanently within a hundred yards of distance of each other, who have found out that to provide discomfort for the other is but a roundabout way of providing it for themselves«.56 »Without fraternizing« – in diesem Sinn hat der amerikanische Politologe Robert Axelrod, ein prominenter Vertreter der Rational-Choice-Theorie, das Live-and-let-live-System als Beispiel für eine Kooperation aus individuellem Interesse, nicht aus Gruppeninteresse oder gar aus Altruismus analysiert.57 Bei kurzfristigen und einmaligen Begegnungen mit dem Feind, so Axelrod, sei der Versuch der beständigen Schwächung des Feinds rational, da er bei einem späteren Kampf dann weniger Schaden anrichten könne; bei längere Zeit lokal verharrenden – und, wie man hinzufügen sollte, etwa gleich starken – Gegnern jedoch führe aggressives Verhalten tendenziell zu einer fortlaufenden wechselseitigen Bestrafung, die beide Seiten dezimiere.58 Auch ohne alle freundschaftlichen Gefühle entscheide man sich deshalb möglicherweise für eine Kooperation, die unnötiges Blutvergießen zu vermeiden suche. Manche Frontoffiziere sehen das ähnlich. Ein Captain Maurice Mascall von der Royal Garrison Artillery notiert am 28. Dezember: »There is no sniping, and the men of both sides stand up and repair their parapets, and wave to each other, and sometimes make each other tea, and it is all most gentlemanly! Also it is very sensible, as the useless and annoying sniping can have no real effect on the progress of the campaign.«59 Auch viele deutsche Unteroffiziere und Leutnants, die vorn in den Gräben Dienst tun, tolerieren Waffenstillstände von unten am ehesten in Phasen, wo die eigene Truppenstärke oder einfach das Wetter keine erfolgversprechenden Kampfhandlungen erlauben.60 Höhere Kommandostellen dagegen veranschlagen, wie der oben zitierte deutsche Erlass vom November 1914, den kriegsökonomischen Nutzen solcher Absprachen geringer als ihren kriegspsychologischen Schaden; sie fürchten um die Kampfmotivation, um den »Angriffsgeist« der eigenen Truppen und um den Bestand des dafür nötigen Feindbilds.61 Und mit diesen Bedenken liegen sie durchaus nicht falsch. Schon in den rudimentärsten Schonungspraktiken steckt oft mehr als kalte Berechnung. Das sieht auch Axelrod so: Wenn sich da ein sächsischer Soldat bei den Bri158
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Abb. 14: Soldaten des 134. Sächsischen Regiments und des Royal Warwickshire Regiments am 26.12.1914.
ten für das Verhalten der »verfluchten preußischen Artillerie« entschuldige, so gehe das über den Versuch einer Abwendung von Vergeltung hinaus; es spiegele das moralische Bedauern eines Vertrauensbruchs und die Besorgnis, es könnte jemand verletzt worden sein.62 Solche Ansätze von frontüberschreitendem Mitgefühl werden durch die Grabensituation gefördert. Hier liegt man sich meist in einer Entfernung von 100 bis 400 Metern, an manchen Stellen 50, manchmal nur 20 Metern gegenüber.63 Man hört die gegnerischen Soldaten rufen, fluchen, singen, musizieren, hört ihr Geschirr klappern und ihre Körpergeräusche auf dem Abtritt; man bekommt mit, dass auch sie mit dem Regen und mit dem Matsch in ihren Gräben kämpfen, und vielen geht es wie dem britischen Soldaten, der nach Hause schreibt: »We hated their guts when they killed any of our friends. But otherwise we joked about them and I think they joked about us. And we thought: poor beggars; they’re in the same muck as we are.«64 Damals und später liest man oft, die Verständigungen zwischen den Grabensoldaten seien ein Zeichen von «Menschlichkeit«. Doch es geht hier wohl um weniger und um mehr: nämlich um Empathie und Sympathie nicht aufgrund der gemeinsamen condition humaine, sondern aufgrund einer gemeinsamen condition sociale als Infanterist im Schützengraben. Was hier wirkt, ist mithin ein Gefühl von Solidarität. 159
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Im stillschweigenden live and let live bleiben solche Regungen stumm. Während der Weihnachtstage jedoch treten sie plötzlich in aller Deutlichkeit und Heftigkeit zutage. Man will nicht nur seine Weihnachtsruhe haben und lässt sie deshalb auch dem Gegner; man begnügt sich nicht damit, ihm freundliche Weihnachts- oder später Neujahrsgrüße hinüberzuschicken, sondern will sich mit ihm treffen, mit ihm reden, ihm die Hand schütteln. Das gegenseitige Ergreifen der unbewaffneten Rechten wird nun wieder zu dem Friedenszeichen, als das es einst entstanden ist. »For many men«, schreiben Brown und Seaton, »the shaking of an enemy hand was the most striking memory of the day.«65 Ein Soldat der 1. Royal Warwicks: »I had a drink of rum off one of the Saxons and then I drank his health. He nearly shook my hand off.«66 C. Hunter, ein Private der 2. Monmouthshires: »The first man I came to was an old man, and when we shook hands I thought he was not going to let my hand go. The tears came rolling down his cheeks, and I felt so sorry for him as he was old, and wanted to go home.«67 Ein bayerischer Soldat, Fridolin Solleder: »Wir, die wir uns gegenüber lagen mit der totbringenden (sic!) Waffe in der Hand, winkten uns zu und drückten uns die Hände, tauschten Geschenke, als wären wir Freunde, wären wir Brüder!«68 In der Tat: Mit dem großen Händeschütteln zwischen den Schützengräben ist die Grenze zwischen lebensrettender Zurückhaltung und Fraternisieren überschritten. Nach diesem Initialereignis zelebrieren die Soldaten vielerorts nicht weniger als ein ausgewachsenes Friedensfest – begeisterte Akteure und erstaunte Zuschauer eines Ereignisses, das viele von ihnen sofort zum unvergesslichen Augenblick erklären. Es geschieht, was der Sergeant A. Lovell von der 3. Rifle Brigade in einem Brief vom 25. Dezember voraussagt: »You will hardly credit what I am going to tell you: but thousands of our men will be writing home today telling the same strange and wonderful story.«69 »Ich glaube, dieser Tag mit seinen Einzelheiten wird wohl einzig in der Geschichte dastehen, ich werde ihn nie vergessen und freue mich, dass ich ihn mit erlebt habe.« (Deutscher Soldat.)70 »Christmas in the trenches! It must have been sad, do you say? Well, I am not sorry to have spent it there, and the recollection of it will ever be one of imperishable beauty.« (Belgischer Soldat.)71 »I think I have seen one of the most extraordinary sights that anyone has ever seen.« (Britischer Soldat.)72
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Vom Hass „O du Deutschland, jetzt hasse mit eisigem Blut, Hinschlachte Millionen der teuflischen Brut, Und türmten sich berghoch in Wolken hinein Das rauchende Fleisch und Menschengebein. O du Deutschland, jetzt hasse, geharnischt in Erz, Jedem Feind einen Bajonettstich ins Herz! Nimm keinen gefangen, mach jeden gleich stumm, Schaff zur Wüste den Gürtel der Länder ringsum!« Badische Landeszeitung »Down with the Germans, down with them all! O Army and Navy, be sure of their fall! Spare not one of them, those deceitful spies, Cut their tongues, pull out their eyes! Down with them all!«73 Daily Graphic
»In your letter you say that every German will hate England until it is destroyed. Two days before you wrote these words, German and English soldiers alarmed their officers by leaving their trenches and chatting, smoking and playing football together. (…). It is all hallucination, this war spirit: we all talk nonsense.« 74 George Bernhard Shaw Seit Kriegsbeginn peitschen Politiker, Geistliche, Wissenschaftler, Journalisten, Karikaturisten, Lyriker, Romanciers aller kriegsführenden Länder ihre Soldaten mit Hasspropaganda in die Schlacht: gegen den französischen »Erbfeind«, gegen die deutschen »Hunnen«, gegen das »perfide Albion«. Und diese Aufstachelung ist, in der Kriegslogik gedacht, bitter nötig. Denn an der Front ist der Hass auf die gegnerischen Nationen weit weniger verbreitet als bei den Hurrapatrioten zu Hause. Zwar pflegt man auch bei den Soldaten, natürlich, seine nationalistischen Vorurteile, zwar steht man hier ebenfalls unter dem Eindruck von Berichten, über eine barbarische Kampfführung des Gegners oder dessen unmenschliche Behandlung von Kriegs161
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Abb. 15: Karikatur im »South Wales Echo« vom 5.1.1915: Ein deutscher Professor, in der Hand eine Ehrenurkunde für seine Abhandlung »Wie man hasst«, zeigt konsterniert auf eine Verbrüderungsszene an der Front: »Ich habe umsonst gelebt!«
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gefangenen, und gewiss gibt es während des Kampfs Momente, in denen wilde Wut und wilde Rachegedanken dominieren. Doch insgesamt spielt das Kampfmotiv Hass bei den britischen und den deutschen sowie, mit Einschränkungen, bei den französischen Truppen, die erbittert gegen die deutschen Eindringlinge kämpfen, offenbar eine untergeordnete Rolle.75 Der Journalist Theodor Wolff zitiert in einem Tagebucheintrag vom 4. Januar 1915 aus dem Brief eines an der Westfront liegenden Rittmeisters: »Es ist eine eigentümliche Erscheinung, dass, vom Kriegsbeginn abgesehen, Hass und Verachtung nicht an der Front, sondern ausschließlich daheim zu finden sind. Wir hier vorn tun unsere Pflicht und achten den Feind, der sie auch erfüllt.« Wolff kommentiert: »Liegt in einem solchen Ausspruch nicht eine weit tiefere, ruhigere Kraft als in dem Gebaren manches sogenannten Heimkriegers, der in seinem häuslichen Draufgängertum sich und anderen um Himmels willen nicht schwächlich erscheinen will?«76 Und der schon erwähnte Regimentskommandeur Ralf von Rangow schreibt angesichts der Weihnachtsbegegnungen zwischen den Gräben: »Daß zwischen uns und den Franzosen kein allgemeiner Haß bestand, wußte ich schon immer, aber nie ist mir das klarer geworden als bei diesem Anblick. Und der Wahnsinn dieses Krieges trat hier sinnfällig in Erscheinung.«77 Ganz ähnlich schreibt später der Infanteriegeneral a. D. Berthold von Deimling: »Ein dunkles, menschliches Gefühl war für Stunden stärker als der Wahnsinn des Krieges. Das ›Gott strafe England‹ der heimischen Biertische hat der Frontsoldat nie recht verstanden und nur selten gebraucht.«78 Weiter noch geht der britische Captain J. L. Jack, der in seinem Tagebuch über die Verbrüderungen notiert: »These incidents seem to suggest that, except in the temper of battle or of some great grievance, educated men have no desire to kill one another, and that, were it not for aggressive National Policies, or the fear of them by others, war between civilized peoples would seldom take place.«79 „Ganz nette Kerle“
Den anderen nicht zu hassen, muss nicht bedeuten, ihn sympathisch zu finden. Auch Soldaten, die an den Treffen zwischen den Gräben teilgenommen haben, zeichnen mitunter ein wenig schmeichelhaftes Bild von ihrem Gegenüber. Ein Leutnant Hulse schildert zwei deutsche Offiziere, die er traf, als »looking very red and full of sausage and beer and wine, and … not very friendly«.80 Bruce Bairnsfather, der betont, dass es während des Weihnachts163
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friedens »not an atom of hate on either side« gegeben habe,81 etikettiert in »Bullets and Billets«, seinen 1916 in London erschienenen Fronterfahrungen, die deutschen Gesprächspartner ebenfalls als »sausage-eating wretches«82 und resümiert: »The shortest effect I can give of the impression I had was that our men, superior, broadminded, more frank, and lovable beings, were regarding these faded, unimaginative products of perverted kulture as a set of objectionable but amusing lunatics whose heads had got to be eventually smacked.«83 Weniger erstaunlich als solche Unfreundlichkeiten – die ja im Übrigen wenig anders ausfallen als die Karikaturen, die der »Wahre Jacob« oder der »Simplizissimus« vor dem Krieg von wilhelminischen Militärs gezeichnet haben – ist ihre Seltenheit unter den Augenzeugenberichten. »Many other British soldiers«, so Brown/Seaton, »found the Germans much more amiable than they would ever have imagined«,84 und Weintraub konstatiert für beide Seiten: »Many troops had discovered through the truce that the enemy, despite the best efforts of propagandists, were not monsters. Each side had encountered men much like themselves«.85 Die Belege dafür sind zahlreich. Die »Times« zitiert einen Offizier des North Stafford Regiment: »The whole thing is extraordinary. The men were all so naturally and friendly«, und einen Soldaten der Scots Guards: »I must say some of them were very nice fellows, and did not show any hatred, which makes me think that they are forced to fight.«86 Befriedigt berichtet ein deutscher Offizier, der sich mit Briten unterhalten hat: »Man hörte dort allgemein, die Deutschen seien doch ganz nette Kerle, das hätten sie nicht gewusst.«87 Doch wieder muss man relativieren: Selbst wo man die andern »ganz nett« findet, heißt das nicht, dass man mit ihnen nur Nettigkeiten austauscht. Teilweise wird bei den Frontgesprächen zwar der Krieg unterbrochen, der Propagandakrieg aber fortgesetzt. Da renommieren Deutsche mit Erfolgen an der Ostfront und drohen, nach ihrem baldigen Sieg über Russland hätten die Engländer und Franzosen keine Chance mehr. Briten spotten über die deutsche Flotte, die sich nicht zur Schlacht stelle,88 und fragen, ob den Deutschen denn nicht bald die Nahrung ausgehe. »Wir bebauen die eroberten Flächen«, antworten diese, »und, wenn nötig, erobern wir noch genügend dazu.«89 Ein britischer Offizier erzählt von einem deutschen Studenten mit Schmissen im Gesicht: »He was the most serious of all. He told me grimly that Germany would never lose her hatred for the English for having, as he expressed it, left her in the lurch (…). (He) was one of those 164
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hopelessly iron Germans with whom it is impossible to converse upon any national topic with safety.« Doch die Erzählung nimmt eine unerwartete Wendung: »He went on to express his disapproval of the manner in which our German prisoners were treated in the concentration camps, another case of hopeless, of course. ›Newspapers‹, was the only answer I could give, leaving him, of course, quite unsatisfied. But here another little fellow, a private, (…) joined in and said, ›Yes, the papers had been responsible for the whole war.‹«90 Andere Berichte belegen ebenfalls, dass die Diskussionen über Kriegswahrheiten und Kriegslügen nicht immer so kontrovers enden, wie sie begonnen haben. Es zeigt sich, dass das Vertrauen in die eigene Presse – nicht zuletzt aufgrund vieler als falsch oder übertrieben entlarvbarer Siegesmeldungen – bei vielen Soldaten erschüttert ist.91 »Send us an English newspaper that we may hear the verity«, ruft, einem englischen Divisionsbericht zufolge, ein sächsischer Soldat über den Graben.92 Und ein deutscher Soldat schreibt an seine Eltern von einem Gespräch im Niemandsland. »Ein Sergeant zeigte einem Franzosen eine deutsche Zeitung und sagte ihm, daß die Deutschen wieder 11.000 Russen gefangen hätten. Der Franzose aber sagte: ›Ich glaube es nicht; Ihre Zeitung schreibt so, unsere wieder anders, indem die Russen 50.000 Deutsche gefangen haben sollen. Wer hat nun recht?‹ fragte er; er sei der Meinung, daß alle beide schwindelten.«93 Interkultur
Bei den Begegnungen zwischen de Fronten werden kulturelle Gemeinsamkeiten aktiviert, die das Kriegsgeschehen und dessen Begleitgetöse fast vergessen lassen. Die Gemeinsamkeit, welche die Verbrüderungen am meisten befeuert, ist das christliche Weihnachtsritual. Soldaten auf beiden Seiten betrachten das Fest nicht nur als Einladung zu einer Feiertagsruhe, sondern werden sich des Widerspruchs zwischen dem Glauben an einen dem eigenen Heer voranstürmenden Kriegsgott und dem Gott der weihnachtlichen Friedensbotschaft bewusst. Und sie bauen darauf, dass die andere Seite diese Erkenntnis teilt. Die »Times« zitiert einen britischen Offizier, der über die Weihnachtsereignisse schreibt: »So there you are: all this talk of hate, all this fury at each other that has raged since the beginning of the war, quelled and stayed by the magic of Christmas. Indeed, one German said: »But you are of the same religion as us, and to-day is the Day of Peace’!« 165
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Während der Waffenruhe zeigen sich noch andere kulturelle Schnittmengen. Etwa, dass bei einer Weihnachtsfeier Weihnachtslieder gesungen werden – und teilweise sogar dieselben. »Our opponents began to sing ›Stille Nacht, Heilige Nacht‹«, erzählt ein Graham Williams von der London Rifle Brigade. »This was actually the first time I heard this carol, which was not so popular in this country as it has since become. They finished their carol and we thought that we ought to retaliate in some way, so we sang ›The First Nowell‹, and when we finished that they all began clapping; and then they struck up another favourite of theirs, ›O Tannenbaum‹. And so it went on. First the Germans would sing one of their carols and then we would sing one of ours, until we started up ›O Come All Ye Faithful‹ the Germans immediately joined in singing the same hymn to the Latin words ›Adeste Fideles‹. And I thought, well, this was really a most extraordinary thing – two nations both singing the same carol in the middle of a war.«94 Allerdings: Nicht immer ist das Singen über die Gräben hinweg freundlich gemeint. In der Regimentsgeschichte des Reserve-Infanterieregiments 15 wird erzählt, man habe an Heiligabend Weihnachtslieder angestimmt und die Franzosen gegenüber hätten daraufhin den Wunsch nach einem Dacapo übermittelt: »Er wird erfüllt, und als Zugabe rauscht es noch mit aller Kraft feindwärts: ›Deutschland, Deutschland über alles ...‘.«95 Und die 2. Scots Guards haben zunächst nur die Absicht, den gewohnten Kriegsgesängen von gegenüber zuvorzukommen. »We are going to give the enemy every conceivable song in harmony, from carols to Tipperary«, berichtet ein schottischer Leutnant. »Our object will be to (shout) down the now too-familiar strains of Deutschland über alles and the Wacht am Rhein, we hear from their trenches every evening.« Doch dann entwickelt sich die Sache anders: Die Deutschen vom 15. Westfälischen Regiment kommen dem von den Briten geplanten musikalischen Sperrfeuer zuvor – nicht mit nationalen, sondern mit weihnachtlichen Gesängen. Und sie schließen mit »It’s a long way to Tipperary«, dem Lied, das man später als die inoffizielle britische Soldatenhymne bezeichnet hat. Nun ist die Stimmung gerettet: Die Schotten tragen weitere populäre Songs vor, die in Deutschland ebenfalls bekannt sind, und das Ganze endet mit »Auld Land Syne«, in deutscher Version: »Nehmt Abschied, Brüder«, das beide Seiten zusammen singen.96 Auch bei den 2nd Bedfordshires, berichtet Private W. J. Quinton, wird das Eis dadurch gebrochen, dass die Deutschen gegenüber das schottische Lied »Annie Laurie« zum Besten geben, und das »in perfect English«. Die Briten 166
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applaudieren begeistert und rufen: »Encore! Good old Fritz!«97 In einigen Fällen geht die Seitenverkehrung so weit, dass man die Nationalhymne des Gegners anstimmt oder wenigstens mitsingt. »The Saxons (…) sang one of their national airs to the tune of ›God Save the King‹«, berichtet Rifleman P. H. Jones von den Westminster Rifles. »We replied with the Austrian hymn, at which the applause was terrific.«98 Ein deutscher Soldat, Sozialdemokrat, schreibt an die »Leipziger Volkszeitung«: »Die Franzosen wollten das deutsche Kaiserlied hören. Dafür wurde ihnen das bayrische: ›Heil unserm König, heil‹ vorgetragen, was drüben mit Beifall aufgenommen wurde. Dann wurde hinübergerufen: Singt einmal die Marseillaise. Man merkte sofort, daß der Wunsch mit der größten Freude aufgefaßt wurde. Das alte Revolutionslied wurde mit einem fortreißenden Schwunge gesungen, wie von einer gutgeschulten Sängerschar. Der Beifall von unsrer Seite war außergewöhnlich stark. Die meisten werden sich ihrer ›hochverräterischen Handlung‹ gar nicht bewußt gewesen sein.«99 In der sächsischen Infanterie dienen viele Sozialdemokraten – vielleicht unterlegen sie der französischen Darbietung den Text der bei ihnen vielgesungenen »Arbeitermarseillaise«. Man verschränkt also im Zeichen von X-mas die Musikkulturen, betont Identisches, demonstriert die Kenntnis und die Wertschätzung des anderen. Vertreter der wegen ihrer Kriegsführung wechselseitig als »Barbaren« apostrophierten Feindnationen bemühen sich jeweils um den Nachweis, ja stellen sich gegenseitig das Zeugnis aus, eine Kulturnation zu sein. Das zeigt sich zum einen in dem häufig dokumentierten Bemühen der Chöre, nicht zu grölen, sondern schön zu singen, zum andern in der Einbeziehung ›anspruchsvoller‹ Musik. Ein Offizier des North Staffordshire Regiments bittet die deutschen Soldaten, die ihnen an Heiligabend auf der Brustwehr ihrer Gräben gegenübersitzen, doch ein deutsches Volkslied anzustimmen, was diese tun; danach fragt er einen Deutschen, der sich als Solist hervorgetan hat, ob er nicht ein Schumann-Lied vortragen könne: »So he sang ›The Two Grenadiers‹ splendidly«.100 Britische Soldaten beklatschen die Darbietung eines deutschen Klarinettisten und danach eines Geigers, der vor dem Graben stehend das »Largo« des Englanddeutschen Händel spielt. Auch Gesangsvirtuosen treten auf: Ein belgischer Tenor singt »Wiener Blut« und lässt sich danach an einem improvisierten Floß über den Bach ziehen, der die belgischen und deutschen Stellungen trennt.101 Der Pariser Revuesänger Jean Granier (1890–1976) singt »Minuit, Chrétiens, c’est l’heure solenelle« zum deutschen Graben hinüber, und an einem anderen Frontabschnitt, in 167
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den Argonnen, gibt der berühmte Berliner Opernsänger Walther Kirchhoff (1879–1951) – ein Tenor, was ihn weithin hörbar macht – dem Gegner so etwas wie ein Weihnachtskonzert. Danach klettern französische Soldaten aus ihren Gräben und applaudieren so lange, bis er eine Zugabe gibt. Sogar Kronprinz Wilhelm von Preußen, der Kirchhoffs württembergisches Regiment an Weihnachten besucht, scheint beeindruckt: »Hier hatte das Weihnachtslied mitten im bitteren Ernst des heimtückischen Grabenkrieges ein Wunder gewirkt und von Mensch zu Mensch eine Brücke geschlagen.«102 Schlachtfelder zu Fußballfeldern
Zur gemeinsamen Kultur, die bei den Verbrüderungen genutzt wird, gehört neben alten Weihnachtsliedern ein neuer Volkssport: der Fußball. In England seit zwei Generationen, in Deutschland und Frankreich seit einer Generation etabliert, ist er auf beiden Seiten der Front eine beliebte Pausenunterhaltung. Und bei den ersten Weihnachtstreffen zwischen den Fronten kommt gleich mehrmals die Idee auf, man könne doch ein Fußballspiel organisieren. Prinz Heinrich Ernst von Sachsen, dessen 133. Infanterieregiment bei Armentières stationiert ist, berichtet von einem Engländer, der zu einem sächsischen Offizier gesagt habe: »It’s a pity to fight, and it would be far better to play football, our regiment against yours.«103 Mehrere Matches zwischen Briten und Deutschen104 und eines zwischen Franzosen und Deutschen sind glaubwürdig belegt;105 weitere sind wahrscheinlich. In Großbritannien werden diese Spiele zum Schlüsselsymbol für den Weihnachtsfrieden. Schon der erste »Times«-Artikel über die Ereignisse ist »Football with the Enemy« betitelt; inzwischen sind die Fußballspiele im Niemandsland in Großbritannien, anders als in Deutschland, durch Zeichnungen und Karikaturen, später auch Romane und Kinderbücher zum Allgemeinwissen geworden.106 Die äußeren Bedingungen für die Spiele sind, wie man sich denken kann, alles andere als günstig. Es herrschen, fußballsprachlich gesagt, katastrophale Platzverhältnisse. Der Boden ist oft uneben und matschig. Torpfosten gibt es nicht, und so behilft man sich zum Beispiel mit zwei Mützen. In einigen Fällen lässt sich auf die Schnelle nicht einmal ein Lederball auftreiben, so dass man mit einer Blechdose, einer Rübe107 oder einer ausgestopften Helmeinlage spielt. Bei zwei Matches im Frontabschnitt bei Armentières, über die von Spielteilnehmern berichtet wird, sollen jeweils einige hundert Soldaten mit168
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gemacht haben.108 Es geht dabei oft recht chaotisch zu, aber von einer Fortsetzung des Kriegs mit anderen Mitteln kann keine Rede sein: »Everybody seemed to be enjoying themselves«, schreibt Williams. »There was no sort of ill-will between us.«109 Siegeswillen und Siegesmeldungen gibt es jedoch durchaus. Von einigen Spielen, die einigermaßen regelgerecht, mit Schiedsrichter, Foul-Ahndung und Abseitsverbot ablaufen, werden auch Ergebnisse kolportiert. Die »Glasgow News« vom 2. Januar 1915 verkünden, dass das Infanterieregiment Argyll and Sutherland Highlanders seine deutschen Gegner »easily« mit 4 : 1 geschlagen hätten.110 Das entsprach dem 3 : 0, das die Engländer im letzten Länderspiel vor dem Krieg gegen Deutschland erzielt haben – die Spiele davor waren 5 : 1 (1908), 9 : 0 (1909) und 2 : 2 (1911) ausgegangen. Als ziemliche Sensation wird angesichts dieser Bilanz die Niederlage des North Wessex Regiment gegen eine sächsische Auswahl gehandelt: »They beat us 3-2«, erzählt Wessex-Captain Pomeroy, fügt jedoch hinzu, dass daran ihr Regimentspfarrer, Reverend Jolly, schuld gewesen sei, der bei diesem Spiel den Schiedsrichter machte: »The Padre had shown too much Christian charity – their outside-left shot the deciding goal, but he was miles offside«.111 Das Wembley-Tor zum 3 : 2 im WM-Endspiel von 1966 beglich also eine alte Rechnung. Das erste deutsch-englische Länderspiel nach dem Krieg findet erst 1930 statt. Es endet 3 : 3. Deutsche Londoner und Berliner Franzosen
An der deutsch-britischen Front, an der mit Abstand die meisten Gespräche zwischen den Gegnern stattfinden, verständigen sich die Soldaten zumeist auf Englisch. Dabei macht man eine Entdeckung: Die Deutschen haben ihr Englisch häufig nicht am Gymnasium oder an der Oberrealschule, sondern in England gelernt, manche sind dort aufgewachsen, andere haben dort gearbeitet, bis sie zum Kriegsdienst nach Deutschland beordert wurden. Und sie spielen diese Transnationalität nun aus. Die »Times« berichtet von sächsischen Soldaten, die lange in London gelebt hätten, ihre englischen Gesprächspartner mit Cockney entzückten und sich mit ihnen über den »Peecadeely« austauschten.112 Ein Deutscher ruft zu den Briten hinüber: »Are you the Warwicks? Any Brummagem lads there?« Er hat, wie sich herausstellt, in Birmingham (»Brummagem«) eine Frau und fünf Kinder.113 Ein anderer deutscher Soldat, der bei der Waffenruhe mit den Queens West169
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minster Rifles dolmetscht, teilt seinem Gegenüber mit, er komme aus Suffolk und habe dort »a girlfriend and a 3,5 hp motorbike« zurückgelassen.114 Öfters, so stellt sich heraus, waren die deutsch-englischen Soldaten auf der Insel als Friseure tätig, noch häufiger als Kellner – im Londoner Hotel Cecil, in De Keyer’s Royal Hotel, im Great Central Hotel, im London Trocadero.115 Bei den britischen Truppen kursiert damals ein Scherz: Einmal habe ein Tommy »Waiter!« über die Linien gerufen, und daraufhin hätten 50 Fritze ihren Kopf aus dem Graben gereckt und mit »Coming, Sir« geantwortet.116 Wo von englischen oder französischen Soldaten erzählt wird, die ihr Deutsch in Deutschland gelernt haben, sind es in der Regel Akademiker. Ein britischer Offizier berichtet den Deutschen, dass er in Köln die Handelshochschule besucht habe, und bittet, seine Freunde in Köln darüber zu informieren, dass es ihm noch gut gehe.117 Ein Fahnenjunker aus Grunewald schreibt nach Hause, er habe einen französischen Posten getroffen, der ihn »ganz tadellos deutsch« angeredet und ihm erzählt habe, dass er jahrelang in Lichterfelde gewohnt und an der Realschule in Berlin-Steglitz Französisch unterrichtet habe: »Er kannte auch das Grunewalder Gymnasium und unseren dortigen Franzosen Deschamps, bei dem ich jahrelang Konversation getrieben habe. Bei Euch soll ich anfragen, ob man in Lichterfelde oder Steglitz ihn, den Oberlehrer Périgard, kenne.«118 Besondere Aufmerksamkeit erregt es, wenn man auf der anderen Seite auf Bekannte oder gar Verwandte trifft. So stößt zum Beispiel ein sächsischer MG-Offizier auf einen Schotten, mit dem er in einer Birminghamer Textilfabrik gearbeitet hat, und ein Londoner Soldat entdeckt bei den Deutschen seinen Friseur aus High Holborn – die beiden zelebrieren ihr Wiedersehen mit einem Haarschnitt zwischen den Fronten.119 Ein deutscher Kriegsfreiwilliger namens Goldschmidt wiederum erfährt, dass sein Schwager, britischer Kompanieführer, im Graben gegenüber steht. Die beiden initiieren den weihnachtlichen Waffenstillstand zwischen ihren Einheiten.120 Solche Begegnungen demonstrieren den Zwangscharakter der Dichotomie, welche die Schützenlinien in die Landschaft eingegraben haben. Die saubere Teilung in »wir« und »die«, in Freund und Feind, erweist sich als unmöglich. Und das gilt nicht nur für Einzelfälle: Das Europa von 1914 ist zwar noch nicht so multikulturell wie das heutige, aber Migration und Transmigration, dazu Berufs- und Ferienreisen, haben schon damals eine massenhafte Internationalität des Alltagslebens geschaffen, die quer zum gleichzeitig boomenden Nationalismus steht. Jeder Dritte der 13.000 Studenten an den technischen 170
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Hochschulen des Kaiserreichs ist Ausländer.121 1911 lebten in England und Wales über 53.000 Deutsche.122 Die Vielzahl der damaligen interkulturellen Beziehungen und transnationalen Identitäten wurde nicht erst ex post erkannt. Schon zeitgenössische Nationalismuskritiker sprachen von dem Widersinn, dass eine Periode zunehmender europäischer »Völkervermischung« nun in einen europäischen Krieg münde. »Annähernd eine halbe Million deutscher Reichsangehöriger«, schreibt Magnus Hirschfeld im Herbst 1914, »befand sich bei Beginn des Krieges in Feindesland«,123 und führt ein Beispiel dafür an, wie brutal der Weltkrieg die zahlreichen »verwandschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen« in Europa durchkreuze: »Von einer älteren Dame vom Rhein wird berichtet, daß ihr ältester Sohn auf deutscher, ihr zweiter auf französischer, ihr dritter auf englischer Seite kämpft.«124 Der österreichische Pazifist Alfred Hermann Fried, Friedensnobelpreisträger von 1911, notiert in seinem Kriegstagebuch: »Nach dem Krieg wird es sich lohnen, einmal nachzuforschen, wie sehr die Internationalität der Familien bereits ausgebildet war und wie sehr diese darunter gelitten haben.«125 In den Tagen der Schützengrabenverbrüderung werden aus solchen erlittenen Spaltungen begehrte interkulturelle Kompetenzen. Wieder kämpfen?
Wird es nicht schwierig werden, die Männer, die sich bei den Fronttreffen persönlich nahegekommen sind, wieder zum Kämpfen zu bringen? »They seem to get more friendly every day«, schreibt ein Captain Mascall über die Soldaten an seinem Frontabschnitt, »and Heaven knows how they will ever start fighting again.«126 Sie taten es, und wie es aussieht, erschien es den meisten Soldaten selbstverständlich oder zumindest unausweichlich, dass sie früher oder später wieder auf die feindlichen Kameraden zu schießen hatten. Sie dachten offenbar so wie ein von Brown/Seaton zitierter französischer Offizier, der über die Verbrüderungen schreibt: »We feel that there are certain times when one can forget that one is here to kill«, aber dann sofort betont: «Not that that would stop us doing our duty a moment later.« Ganz ähnlich sagt es Bruce Bairnsfather: »There was not an atom of hate on either side that day; and yet, on our side, not for a moment was the will to war and the will to beat them relaxed. It was just like the interval between the rounds in a friendly boxing match.«127 Dass es dieselbe Haltung auch auf der 171
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Gegenseite gab, belegt unter anderem der Bericht eines englischen Offiziers in der »Times«, wonach sich die Deutschen nach zwei brüderlichen Weihnachtstreffen mit einer ganz unbrüderlichen Ankündigung verabschiedeten: »They said, ›Kaiser he no d----d good‹, and that Russia had been completely wiped out, and that they weren’t going to bother us till January 1, when their Eastern army would have returned, and then they were going to wipe us off the face of the earth. We roared with laughter, but they were quite serious about it and evidently believed it all.«128 In anderen Fällen fällt die Abschiedsszene freundlicher aus, die Stimmung ist pflichtbewusst, aber bedrückt. Ein deutscher Artillerieoffizier, der eine Zeit lang in London gelebt hat, trennt sich von dem britischen Rifleman Eade, wie dieser erzählt, mit den Worten: »Today we have peace. Tomorrow you fight for your country; I fight for mine – good luck.«129 Ein britischer Offizier berichtet in der »Morning Post«, »daß eine ganze deutsche Kompanie, die abgelöst werden sollte, noch zuvor zu den Engländern herüberkam, um von den Feinden Abschied zu nehmen.«130 Es bleibt nicht bei resignierten Äußerungen darüber, dass »das Spiel« nach Weihnachten leider weitergehe. Soldatenbriefe und Soldatenerinnerungen dokumentieren, was in Regimentsberichten, aber in der Regel auch in Zeitungsberichten ausgespart bleibt: Nicht selten kommt es zu gegenseitigen Bekenntnissen von Kriegsmüdigkeit, ja Kriegsgegnerschaft. Leutnant F. H. Black von den 1. Royal Warwicks schreibt am 31. Dezember nach Hause: «The Germans are just as tired of the war as we are, and said they should not fire again until we did.«131 Sächsische und bayerische Soldaten bekunden, das Ganze sei sowieso nicht ihr Krieg, sondern der Krieg der Preußen – manchmal mit dem Zusatz, die Alliierten sollten es den preußischen Truppen nach Weihnachten ordentlich geben.132 Frank Richards, dessen Waliser Bataillon mit einem sächsischen Regiment fraternisiert, erzählt später: »One of their men, speaking in English, mentioned that he had worked in Brighton for some year and that he was fed up to the neck with this damned war und would be glad when it was all over. We told him that he wasn’t the only one that was fed up with it«.133 Die sozialdemokratische »Leipziger Volkszeitung« zitiert einen deutschen Feldpostbrief vom 28. Dezember: »Die Engländer meinten, sie hätten den Krieg satt, Kitchener [der britische Kriegsminister, B. J. W.] solle heraus kommen und sich hauen.«134 Gustave Berthler, der eine Verbrüderung an der deutsch-französischen Front schildert, schreibt: »Sie sind es genauso leid wie wir, Krieg zu führen, sie sind 172
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verheiratet wie ich auch, was sie an meinem Ehering gesehen haben, und sie wollen nur eins, nach Hause. Möglichst schnell nach Hause.«135 Ein anderer Franzose berichtet seiner Mutter, in seinem Frontabschnitt habe man sich in beiden Sprachen zugerufen: ›Nieder mit dem Krieg!«136 Und ein deutscher Soldat, bei Reims stationiert, zitiert Friedensparolen der Franzosen: »Wir sind alle Familienväter. Wir wünschen uns Frieden!« »Es sind nur die Machthaber, die den Krieg wollen!«137 Verweigerungen
Nicht überall bleibt es bei der sehr freien Meinungsäußerung. Mancherorts tun sich die Frontoffiziere nach Weihnachten schwer, den Befehl zum Weiterkämpfen durchzusetzen. Ein belgischer Infanterist erzählt, dass ihre deutschen Gegenüber die am 25. Dezember gepflegte Waffenruhe tags darauf erneuern wollten. »Nachdem sie gegrüßt haben, versichern sie nochmals, daß sie nicht schießen wollen, solange wir das nicht auch tun würden (...). Aber kaum sind sie weg, kommt ein Oberleutnant und sagt, daß wir schießen müssen, erst in die Luft um die Deutschen zu benachrichtigen, dann auf die Deutschen, denn das Spiel muß weitergehen. Wir sahen uns gezwungen zu schießen, aber wenn wir konnten, wurde in die Luft geschossen.«138 In einigen anderen Fällen kommt es sogar zur offenen Befehlsverweigerung. Der Marburger Student Karl Aldag, der englischen Truppen gegenüberliegt, schreibt an seine Eltern. »Ganz eigenartig war Silvester hier. Es kam ein englischer Offizier mit weißer Fahne herüber und bat um Waffenruhe von 11 bis 13 Uhr zur Beerdigung der Toten. Sie wurde gewährt und danach noch ausgedehnt. Die Engländer kamen nun aus ihrem Graben heraus in die Mitte und tauschten mit uns Zigaretten, Fleischkonserven, auch Photographien; sie sagten, sie wollten nicht mehr schießen. So herrschte völlige Ruhe, die uns sehr seltsam vorkam. Es konnte so nicht weitergehen, und so sagten wir den Briten, sie möchten doch bitte wieder in ihren Graben gehen, wir müßten nun schießen. Da antwortete der englische Offizier, es täte ihm leid, aber seine Leute gehorchten nicht. Sie hätten keine Lust mehr zum Kriegführen. Sie wollten nicht länger in ihrem nassen Graben liegen. Frankreich sei längst kaputt. Wir schossen natürlich nicht. (...) Ob das ganze englische Heer streikt, fragten wir uns.«139 Über den Weihnachtsfrieden zwischen den britischen Yorks- und Lancs-Regimentern und einer sächsischen Einheit berichtet Ende 1915 später ein britischer Augenzeuge dem Captain Sir Morgan Crofton: 173
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»This unauthorized truce was more or less kept up for some time, both sides becoming very friendly, and there were occasions when one side borrowed the other side’s mallets and wire to improve some of their entanglements. (…) At last the German officers came to the conclusion that the truce should end, but they found that they could not get their men back into the trenches, so they came over and proposed to our infantry that they should fire on them and thus drive them in. Naturally this they refused to do, and altho’ they fired volleys they were all in the air, and were greeted with loud cries of ‘Good shot’ from the Bosche who continued to sit in rows on the parapet. Failing to persuade our infantry to help them in this respect they applied to our artillery, who, not being so near were not on such friendly terms. Chortling at the idea of such an unusual target they agreed, and a shower of well-aimed shrapnel ended this extraordinary truce. The authorities on both sides, especially ours, were very annoyed at this lapse, and several punishments were meted out to the senior officers in charge, the Brigadier being sent home.«140 Vielleicht hätte es mehr solcher Verweigerungen gegeben, wenn die Soldaten von den vielen Verbrüderungen insbesondere entlang der deutsch-englischen Frontlinie gewusst hätten. Aber so, wie sie nicht durch ein die Front entlangziehendes Lauffeuer entstanden, sondern spontan und selbstständig aufflammten, verloschen sie jede für sich. Der Gedanke, was wohl geschehen wäre, wenn es damals schon Mobiltelefone gegeben hätte, ist ebenso müßig wie animierend. A ray of light«. Sozialistische Reaktionen Die SPD-Presse: Erfreut, erstaunt, befremdet
In den sozialistischen Parteien der westalliierten Länder, in Belgien, Frankreich und Schottland, plädiert man im Winter mehrheitlich fürs »Durchhalten«, für eine Weiterführung des Kriegs, zumindest bis die deutsche Besetzung belgischen und französischen Gebiets beendet ist. Die einzige Ausnahme ist wiederum die pazifistisch gebliebene Independent Labour Party. Deren Leitorgan »Labour Leader« widmet dem Christmas Truce 174
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eine ganze Sonderseite. Sie schließt mit dem Kommentar: »The incidents of that Christmas Day shoot a ray of light through the darkness of these times and offer us a vision of the great day when the peoples of all lands will shake the dead weight of militarism from their backs and determine to live in concord and in unity.« Keir Hardie, Vorsitzender der I. L. P., kommentiert den spontanen Waffenstillstand der Soldaten zwei Tage später im walisischen »Merthyr Pioneer«. Er lässt sich darin nicht, wie geschrieben worden ist, zu der falschen Hoffnung hinreißen, dass ein solcher Vorfall zur allgemeinen Verwandlung der gegnerischen Soldaten in verbrüderte Internationalisten führen könne,141 sondern sieht im Weihnachtsfrieden lediglich ein ermutigendes Zeichen für die Nachkriegsentwicklung: »Why are men who can be so friendly sent out to kill each other? They have no quarrel (...). When the war is over (...) each will realise that the lies told them by their press and their politicians had been deliberately concocted to mislead them. They will realise (…) that the workers of the world are not ›enemies‹ to each other, but comrades.«142 Auch in der deutschen Sozialdemokratie herrscht zu diesem Zeitpunkt die Meinung vor, dass der Krieg nun erst einmal weitergeführt werden müsse, bis die Gefahr einer deutschen Niederlage abgewendet sei. Doch die Gegenstimmen mehren sich. Dass Karl Liebknecht am 2. Dezember 1914 aus der Fraktionsdisziplin ausschert und eine neuerliche Kriegskreditvorlage ablehnt, ist nur die Spitze des Eisbergs oder, besser: die erste Blüte einer schnell wachsenden Pflanze. Eine zunehmende Zahl von Parteimitgliedern wendet sich gegen die Politik der SPD-Führung, und seit sich mit Beginn des Herbstes die deutschen Erwartungen eines raschen Siegs zerschlagen haben, fordert nicht mehr nur der äußerste linke Flügel, sondern auch das linke Zentrum um Kautsky und Haase eine Friedensinitiative.143 Bereits am 4. Oktober 1914 ist der Berliner Reichstagsabgeordnete Richard Fischer, der die Burgfriedenspolitik des Parteivorstands verteidigt, bei einer Mitgliederversammlung des II. Berliner Wahlkreises auf heftigen Protest gestoßen,144 wonach der Groß-Berliner Zentralvorstand beschließt, künftig keine öffentlichen Versammlungen mehr abzuhalten.145 In anderen SPD-Zentren wie Hamburg, Leipzig, Bremen vermehrt sich ebenfalls die Opposition gegen den Parteivorstand – vor allem unter Frauen und unter Jugendlichen. Die zunehmende Spaltung spiegelt sich in der sozialdemokratischen Presse, auch in deren Berichterstattung über die Schützengrabenverbrüderungen.
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In Blättern wie der »Leipziger Volkszeitung«, der »Magdeburger Volksstimme«, dem »Volksfreund« aus Braunschweig oder der »Bergischen Arbeiterstimme« aus Solingen, die dem Burgfriedenskurs distanziert bis kritisch gegenüberstehen, wird über den Weihnachtsfrieden weit ausführlicher berichtet als in rechtssozialdemokratischen Blättern wie der Düsseldorfer »Volkszeitung«, dem hannoverschen »Volkswillen«, der Frankfurter »Volksstimme« oder der Mainzer »Volkszeitung«. Der »Vorwärts« hält ungefähr die Mitte. Die »Leipziger Volkszeitung« zum Beispiel lässt mehrmals sozialdemokratische Soldaten zu Wort kommen, die über Friedenssehnsucht hinaus eine prinzipielle Kriegsgegnerschaft äußern: »Lieber Wilhelm«, schreibt ein Genosse, der eine deutsch-belgische Verbrüderung miterlebt hat, »während der kurzen Zeit meines Hierseins habe ich den Krieg gründlich satt, wie überhaupt sich alles nach dem Frieden sehnt. Jetzt, wo ich hier in der Revierstube schreibe und überall, wo man hinkommt, bei allen nur ein Wunsch: Wenn’s nur bald ein Ende hätte.«146 Ein anderer Roter in Feldgrau berichtet, wie dieselbe Zeitung zitiert, seiner Mutter vom Weihnachtsfrieden: »Am Morgen kamen die Engländer bis zu uns herüber, wir gingen hinüber (...). Kein Mensch dachte mehr an Krieg; wir fragten die Engländer, wie sie über die Lage dächten, sie sagten, daß sie einen baldigen Frieden wünschten, wir konnten ihnen dasselbe von uns bestätigen. (...) Hochgebildete Leute haben wir hier unter den Engländern gefunden, und das, was hier gesprochen worden ist, gereicht beiden Teilen zu Ehre. Der Gedanke taucht auf, warum die Menschheit heute noch nicht so weit ist, daß sie ohne blutige Kriege ihre Geschicke lenkt. Nun, Du weißt, ich kenne die Ursachen, kenne die Triebkräfte, wie sie sich aus den wirtschaftlichen Verhältnissen ergeben. Aber dieser Tag wird nicht vergessen werden«.147 Mit eigenen Kommentaren sind die Redakteure vorsichtig – mit Grund: Die deutsche Presse steht unter Militärzensur, und immer wieder werden SPD-Zeitungen wegen klassenkämpferischer oder pazifistischer Tendenzen für einige Tage verboten. So etwa die »Bergische Arbeiterstimme« aufgrund eines Artikels von Eduard Bernstein, aus dem – wie der ›wachhabende‹ General von Gayl vom VII. Armeekorps in Münster moniert – die landesverräterische Aufforderung an die sozialdemokratischen Soldaten herausgelesen werden könne, nicht auf die Gegner zu schießen.148 So ist es denn mutig, wenn der Braunschweiger »Volksfreund« am 14. Januar schreibt: »Durch Armeebefehl der deutschen Heeresleitung ›ist das Fraternisieren und überhaupt jede Annäherung an den Feind im Schützengraben‹ verboten 176
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worden. Aber die Stimmung, aus der diese ›Verbrüderungen‹ entsprangen, die wird sich wohl nicht so leicht ›verbieten‹ lassen, die wird bleiben. (...) Die heiße Sehnsucht nach Frieden und Freundschaft zwischen den Völkern muß naturgemäß dort am stärksten sein, wo die schwere und herbe Bitternis des Krieges ausgefochten wird; und daß die Soldaten, die vor der Begegnung aufeinander geschossen haben, sich bei dieser freundschaftlich die Hände reichen können, das zeigt, wie sie der Wunsch nach dem Ende des Krieges erschüttert. Die Schützengraben-Freundschaft ist der Wille zum Frieden.« Wenig können dagegen die vorstandstreuen SPD-Blätter mit den Schützengrabenverbrüderungen anfangen. Wie in bürgerlichen Blättern werden diese auch hier gern mit dem ambivalenten Epitheton »merkwürdig« belegt. Man nennt sie menschlich anrührend, aber kriegspolitisch fragwürdig. Das »Hamburger Echo«, das keinerlei Soldatenberichte über die Verbrüderungen abdruckt, begnügt sich mit einer neunzeiligen Meldung über deren Verbot durch das deutsche Oberkommando und zeigt dafür volles Verständnis: »Es lag die Gefahr vor, daß die Energie der Kriegführung dadurch Einbuße erleide; ferner war die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß beim freundschaftlichen Verkehr vom Gegner allerlei Beobachtungen gemacht werden konnten.« Ausführlicher geht die »Volkszeitung« aus Mainz auf die Weihnachtsereignisse ein, auch sie jedoch nicht in Form womöglich empathiefördernder Schilderungen, sondern mit einem Kommentar, der sich alle Mühe gibt, die Leser zu Hause und an der Front gegen den Verbrüderungsvirus zu immunisieren. Dabei entsteht ein eindrückliches Gemälde kriegssozialistischer Aporien. Sozialdemokratische Seelenlandschaft mit eingefrorenem Internationalismus
»Das Ende der Schützengrabenfreundschaft«. Aus der Mainzer »Volkszeitung«: »Durch Armeebefehl vom 29. Dezember ist, wie die ›Tägliche Rundschau‹ zu melden weiß, das Fraternisieren und überhaupt jede nicht kriegerische Annäherung an den Feind verboten worden. Wir werden also in Zukunft auf die zahlreichen, stets mit Freude gelesenen Feldpostbriefe verzichten müssen, in denen geschildert wurde, wie sich unsere Volks177
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genossen in Waffen während der Kampfpausen mit französischen und stellenweise sogar auch mit englischen Soldaten ganz freundschaftlich unterhielten. Diese Unterhaltungen berührten menschlich wohltuend, zu dem Kriegszweck standen sie allerdings, wie man zugeben muß, in einem gewissen Gegensatz. Es kämpft sich schwerer, wenn sich einmal Fäden kameradschaftlicher Vertraulichkeit zwischen den feindlichen Schützengräben herüber und hinüber gesponnen haben, es tritt dadurch leicht ein Zustand des Geistes- und Gefühlslebens ein, der dem Zweck der Kriegführung, der gegenseitigen schonungslosen Vernichtung, hinderlich ist. Dagegen kann man einwenden, daß dieses Hindernis auf beiden Seiten gleich stark ist, das Kräfteverhältnis also nicht geändert wird. Aber man denke sich einmal die begonnene Entwicklung bis ins Unendliche fortgesetzt: die Folge wäre, daß man überhaupt keinen Krieg führen könnte! Es ist also nur logisch, daß diejenigen, die den Krieg führen wollen, gleich den Anfängen wehren und jede kameradschaftliche Annäherung an den Feind verbieten. Das ist eben der Krieg. Ein Nachmittagskaffee, von Deutschen und Franzosen gemeinsam getrunken, mag an sich etwas sehr Hübsches und Verständiges sein, es ist aber das G e g e n t e i l von Krieg. Und der unvermeidliche Umschlag von Idyll in die kriegerische Wirklichkeit wirkt dann doppelt empfindlich. Darum müssen eben alle Vertraulichkeiten auf die Zeit verschoben werden, bis wieder Frieden sein wird. Wir aber wünschen den Tag zu erleben, an dem kein Krieg, kein Armeebefehl, kein Völkerhaß die Angehörigen der verschiedenen Nationen mehr hindern wird, einander die Hand zu reichen – für immer!«149 Der ganze Artikel ist, im rhetorischen Vokabular gesprochen, als persuasio, als Überredung, angelegt: Er geht von der Annahme aus, dass die sozialdemokratischen Leser mit den Verbrüderungen sympathisieren (was ja, bei soldatischen Lesern, auch heißen kann, dass sie sich von ihnen zur Nachahmung animiert fühlen). Diese Sympathie wird nicht frontal angegriffen, sondern als verständlich bezeichnet: Die weihnachtlichen Frontereignisse durften »mit Freude« zur Kenntnis genommen, sie durften als »menschlich wohltuend« empfunden werden. Gleichzeitig werden die Treffen zwischen den Fronten jedoch heruntergespielt. Die Behauptung, dass sie »in den Kampfpausen« stattgefunden hätten, verschließt sich – man darf wohl sagen: in Projektion der eigenen Subalternität – der staunenswerten Tatsache, dass 178
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die Soldaten die Waffenruhe in eigener Regie herbeigeführt haben. Von gegenseitigen Bekundungen der Kriegsmüdigkeit oder gar von den Anklagen gegen die Kriegstreiber, die gerade den Empfängern von ›roter Feldpost‹ kaum verborgen geblieben sein kann, ist nicht die Rede. Dazu passt, dass der Begriff »Verbrüderung«, der selbst in der bürgerlichen Presse nicht selten gebraucht wird, im ganzen Artikel nicht vorkommt. Der concessio, dass die freundlichen Frontbegegnungen vom menschlichen Standpunkt aus begrüßenswert seien, folgt die adhortatio, solchen Regungen nicht nachzugeben. In diese eingebaut ist die Antizipation von Gegenargumenten (»Dagegen kann man einwenden«) und die wohl als Bekundung eigener humanitärer Regungen gemeinte Formulierung, dass der Zweck der Kriegführung die »gegenseitige schonungslose Vernichtung« sei. Doch der scheinbar kritischen Wortwahl folgt das gott- und kaiserergebene »Das ist eben der Krieg«. Der erschreckte Aufschrei gilt nicht seiner Fortsetzung, sondern der Vorstellung, dass die Schützengrabentreffen ausufern könnten: »Die Folge wäre, daß man überhaupt keinen Krieg führen könnte!« Die menschliche Regung ist damit in einen vaterlandslosen Schweinehund verwandelt. Doch nach der strengen Ermahnung folgt eine Umschmeichelung der Leser, der Kanonendonner weicht den Harfenklängen von einem dereinstigen Völkerfrühling, in dem der eingefrorene Internationalismus wieder auftaut. Ganz ähnlich hält es der beim »Augusterlebnis« vom Paulus zum Saulus gewordene Konrad Haenisch, der in der »Arbeiter-Jugend« vom März und April 1915 die Schützengrabenverbrüderungen und ähnliche freundschaftliche Akte zwischen gegnerischen Soldaten thematisiert. Haenisch erkennt diese ebenfalls als »Züge schöner Menschlichkeit« an – wobei er Friedenssehnsucht nur den anderen, nicht aber den eigenen Soldaten attestiert –, fordert aber gleichzeitig seine sozialdemokratische Leserschaft dazu auf, den Krieg »zu einem für das deutsche Volk ersprießlichen Ende zu führen«. Auch er schließt mit dem frommen Wunsch, dass die freundschaftlichen Szenen zwischen den Fronten »ein gutes Vorzeichen« dafür sein mögen, »daß nach dem männermordenden Kriege die Völker willens und fähig sein werden, ohne Haß sich wieder einander zu nähern«.150 In denselben Wochen liefert Rosa Luxemburg die Prosafassung einer solchen Versöhnungspoesie: »Proletarier aller Länder, vereinigt euch im Frieden und schneidet euch die Gurgeln ab im Krieg! Also heute: ›Jeder Schuß ein Ruß – jeder Stoß ein Franzos!‹ und morgen, nach Friedensschluß ›Seid umschlungen Millionen, diesen Kuß der ganzen Welt‹.«151 179
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Der Frieden als Frauenarbeit
Eine zunehmende Friedenssehnsucht zu Hause und an der Front wird auch im SPD-Parteiausschuss registriert. Auf dessen Sitzung vom 12. und 13. Dezember 1914 fordert der Frankfurter Gewerkschafter Robert Dißmann (später Mitgründer der USPD) von der Parteiführung »Friedenskundgebungen« und untermauert dies mit dem Hinweis: »Friedenssehnsucht kommt nicht nur von den Frauen, sondern auch aus den Schützengräben«.152 Der Ausschuss fasst dann jedoch den Beschluss, einen Friedensvorstoß nur zusammen mit der »gesamten Internationale« zu unternehmen.153 Im Protokoll der ersten Ausschusssitzung des Jahres 1915, die am 7. März stattfindet, ist zwar keine Erwähnung der Weihnachtsverbrüderungen zu entdecken. Allerdings rekurriert der Leipziger SPD-Vorsitzende Richard Lipinski (auch er wird 1917 der USPD beitreten) bei seinem Votum für eine sofortige sozialdemokratische Friedensaktion ebenfalls auf Nachrichten von der Westfront: »Aus den Schützengräben in Nordfrankreich hörte ich eine Stimme, die zeigt, wie man dort über die Opfer, die der Krieg auferlegt, denkt.«154 Und in der Ausschussdebatte vom 7. und 8. April kommt neben Dißmann der Dresdner Landtagsabgeordnete Hermann Fleißner (ebenfalls später USPD-Mitglied) auf die Stimmung unter Frontsoldaten zu sprechen: »Das Friedensbedürfnis ist auch in bürgerlichen Kreisen und auch in anderen Ländern vorhanden, auch in unseren Schützengräben.«155 Die Mehrheit bleibt dabei, dass eine Friedensinitiative nur opportun sei, wenn sie von den sozialistischen Parteien der Entente mitgetragen werde. Ein Alleingang würde bei den Kriegsgegnern Zweifel am deutschen Durchhaltewillen wecken.156 Mit ähnlichen Argumenten weigern sich 1915 die französischen und die belgischen Sozialisten sowie – unter anderem aus Rücksicht auf die Franzosen – die britische Labour Party, sich mit den deutschen und österreichischen Genossen zusammenzusetzen, um über kriegsbeendende Maßnahmen zu beraten.157 Die Sozialistische Internationale bleibt gelähmt. Doch es gibt auch Gruppen in den kriegführenden Nationen, die in dieser Zeit direkte gegenseitige Kontakte organisieren. Die ersten dieser Treffen sind zwei internationale Frauenkonferenzen im Frühjahr 1915: eine kleine Konferenz von Sozialistinnen, die Ende März in Bern stattfindet, einen Monat später ein großes Treffen bürgerlicher Pazifistinnen in Den Haag. Und bei beiden Gelegenheiten wird deutlich, dass die Weihnachtsereignisse an der Westfront zur Ermutigung der Kriegsgegnerinnen beigetragen haben. 180
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Abb. 16: Soldaten des Infanterie-Regiments 75 an der Westfront. Auf dem Plakat steht: »1. Mai 1915. Die Weltfeiertag-Demonstranten«. Der Erste von rechts ist der sorbische Sachse Karl Jannack aus Cölln/Chelno bei Bautzen, seit 1914 SPD-Mitglied.
Die ersten Sozialdemokraten der Feindesländer, die ein Treffen über die Fronten hinweg zustande bringen, sind also Sozialdemokratinnen. Die proletarische Schwesterlichkeit ist der proletarischen Brüderlichkeit voraus. Treibende Kraft dabei ist Clara Zetkin, bei der Gründung der Zweiten Internationale in Paris noch Novizin, nun Sekretärin (heute würde es heißen: Präsidentin) der Fraueninternationale. Auf ihre Einladung hin treffen sich in Bern 28 Genossinnen aus Großbritannien, Deutschland, Russland, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Polen und der Schweiz.158 Die Konferenz ruft die sozialistischen Frauen zur Aktion auf, welche »die Vorläuferin der allgemeinen Aktion der Arbeitermassen für die Beendigung des Bruderkrieges« sein solle.159 Ein Aufruf der »Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz« an die »Frauen des arbeitenden Volkes«, der am 3. April 1915 in der »Berner Tagwacht« erscheint, verleiht diesem Avantgardebewusstsein der Frauen ebenfalls Ausdruck: »Die Männer der kriegführenden Länder«, heißt es dort, »sind zum Schweigen gebracht worden. Der Krieg hat ihr Bewußtsein getrübt, ihren Willen gelähmt, ihr ganzes Wesen entstellt.« 181
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Doch einige Sätze später wird dieses Urteil relativiert – durch eine Anspielung auf das Fraternisieren an der Front: »Genug des Mordens! Dieser Ruf erschallt in allen Sprachen. Millionen von proletarischen Frauen erheben ihn. Er findet Widerhall in den Schützengräben, wo das Gewissen der Volkssöhne sich gegen das Morden empört.«160 Den bolschewistischen Delegierten aus Russland ist dieser Hinweis noch zu schwach. Sie fordern eine genauere Benennung der Maßnahmen, mit denen der Krieg bekämpft werden sollte, wozu auch die Schützengrabenverbrüderung gehöre.161 Da die Mehrheit der anwesenden Genossinnen in ihren Proklamationen nicht derart konkret werden will, unterzeichnen die Russinnen die Konferenzresolution nicht. Den meisten der Genossen zu Hause geht sie trotzdem noch zu weit, und für die Behörden ist sie geradezu ein rotes Tuch: In Karlsruhe werden 17 SPD-Mitglieder festgenommen, weil sie die Berner Resolution verteilt haben.162 Ungleich besser besucht als das Berner Sozialistinnentreffen ist die von Frauenrechtlerinnen und Pazifistinnen organisierte Haager Friedenskonferenz. Hier versammeln sich 1136 Frauen aus zwölf Ländern: 1000 aus Holland, 47 aus den USA, 28 aus Deutschland, sechs aus Österreich, fünf aus Belgien; aus Großbritannien und Irland können nur drei dabei sein – etwa 180 andere durften nicht ausreisen.163 Die Begrüßungsansprache hält die amerikanische Pazifistin, Frauen- und Bürgerrechtlerin Jane Addams. Sie spricht vom »goodwill«, der auch bei den gegnerischen Nationen zu spüren sei, und kommt dabei sofort auf die Erfahrungen im Schützengrabenkrieg zu sprechen: »We have many evidences at the present moment that inchoate and unorganized as it is, it may be found even in the midst of this war constantly breaking through its national bonds. The very soldiers in the opposing trenches have to be moved about from time to time, lest they come to know each other, not as the enemy but as individuals, and a sense of comradeship overwhelm their power to fight.«164 Weitere Äußerungen zu diesem Thema lassen sich im Konferenzprotokoll nicht finden. Es ist aber unübersehbar, dass die Berufung auf die zahlreichen jungen Männer, welche das Mordhandwerk hassten und das Schießen möglichst zu vermeiden suchten, bei den Friedensaktivistinnen eine große Rolle spielt. Addams selbst, die nach der Konferenz mit einigen anderen Frauen mehrere europäische Länder bereist und dabei unter anderem Lazarette besucht, berichtet von vielen Gesprächen, in denen die Soldaten ihren Unwillen zu töten bekundet hätten, ja von Fällen, in denen die zur Front Kommandierten die Selbsttötung der Tötung anderer 182
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vorzogen.165 Als sie im Juli 1915 in den USA berichtet, sie habe in mehreren Ländern gehört, dass man den Soldaten vor einem Kampfauftrag Stimulantien gebe, empören sich amerikanische, britische und französische Zeitungen wochenlang über diese angebliche Ehrverletzung.166 Über 20 Jahre später, im Jahr 1931, erhält Jane Addams – als zweite Frau nach Bertha von Suttner – den Friedensnobelpreis. Agitation für die Schützengrabenverbrüderung!
Der Vorschlag der bolschewistischen Delegation in Bern, zu weiteren und weiter gehenden Schützengrabenverbrüderungen aufzurufen, hat einen Mentor. In einem Brief, den er am 9. Februar 1915 aus seinem Schweizer Exil an die in Paris erscheinende menschewistische Zeitung «Nasche Slowo« schickt, entwirft Lenin für eine bevorstehende Londoner Konferenz von Sozialisten der alliierten Länder eine Deklaration der russischen Sozialdemokraten. Er fordert, die Basler Resolution der Internationale von 1912 in die Tat umzusetzen: dass die Sozialdemokraten aller Länder nach Ausbruch eines Kriegs für dessen rasche Beendigung eintreten müssten. Er schlägt dafür acht Maßnahmen vor, die unter anderem den Bruch mit »nationalen Blocks« wie dem deutschen Burgfrieden und den »energischen Klassenkampf (...) gegen die Bourgeoisie des eigenen Landes« enthalten. Unter Punkt 6 heißt es: »alle Versuche unterstützen, im Heer und in den Schützengräben eine Annäherung und Verbrüderung der Sozialisten der kriegführenden Länder herbeizuführen, ungeachtet der Verbote der Militärbehörden Englands, Deutschlands usw.«167 Das Echo der Menschewiki in Paris auf diese Vorschläge ist ablehnend, und die Bolschewiki finden auf der Londoner Konferenz keine Beachtung.168 In einer Resolution der Auslandssektionen der russischen Sozialdemokratie, die sich vom 27. Februar bis 4. März in Bern treffen, wird unter den notwendigen Schritten zur »Umwandlung des gegenwärtigen imperialistischen Kriegs in den Bürgerkrieg« wiederum die Unterstützung der Schützengrabenverbrüderung gefordert – wobei diesmal allerdings nicht nur von der Verbrüderung sozialistischer Soldaten, sondern »der Soldaten der kriegführenden Nationen« die Rede ist.169 Ein Artikel Lenins im russischen Parteiorgan »Sozial-Demokrat« vom 29. März 1915 leitet die Durchführbarkeit eines Waffenstillstands von unten ausdrücklich aus den Erfahrungen mit dem Weihnachtsfrieden an der Westfront ab. Unter Hinweis auf schweizerische, 183
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englische und deutsche Zeitungsberichte konstatiert er: »Fraternisieren und Annäherungsversuche sind also Tatsache. Die deutsche Heeresleitung ist dadurch beunruhigt: folglich legt sie ihr ernsthafte Bedeutung bei.« Damit seien die »sozialistischen Opportunisten« – wie zum Beispiel Kautsky – widerlegt, die behauptet hätten, »Vereinbarungen zwischen den Sozialisten der kriegführenden Länder über Aktionen gegen den Krieg seien unmöglich (...). Man stelle sich vor, Hyndman, Guesde, Vandervelde, Plechanow, Kautsky usw. hätten, anstatt der Bourgeoisie Hilfestellung zu leisten, womit sie jetzt beschäftigt sind, ein internationales Komitee gegründet zur Agitation für ›Fraternisieren und Annäherungsversuche‹ zwischen den Sozialisten der kriegführenden Länder in den ›Schützengräben‹ wie in der Armee überhaupt. Welche Resultate hätte man innerhalb weniger Monate erzielt, wenn jetzt, sechs Monate nach Kriegsbeginn, entgegen allen Häuptlingen, Führern und Sternen erster Größe, die den Sozialismus verraten haben, die Opposition gegen die Kreditbewilliger und gegen die Ministerialisten überall wächst und die militärischen Vorgesetzten das ›Fraternisieren‹ mit Todesstrafe bedrohen!«170 Die »Bürgerkriegslosung« wird damals nur von der SDAPR, den Bolschewiki, vertreten, die in Russland damals keine Massenbasis haben und in der europäischen Sozialdemokratie eine absolute Außenseiterposition einnehmen. Nicht ganz dasselbe gilt für Lenins Auffassung, eine sozialistische Agitation für Frontverbrüderungen könne den Krieg beenden helfen. Sind nicht viele Soldaten Arbeiter, ja Genossen? – und schreibt nicht auch ein bürgerlicher Pazifist wie Stefan Zweig in einem Brief an Romain Rolland, aus den Weihnachtsverbrüderungen hätte »leicht eine Einigung des Proletariats (…) erfolgen können, denn wenn die Soldaten hüben und drüben sahen, dass sie nur den Frieden wollten – was dann?«171 So sagt Robert Grimm vom linken Flügel der Schweizer Sozialdemokraten, Chefredakteur der »Berner Tagwacht«, auf einer Sitzung des Parteivorstands vom 28. März 1915, die Beschlüsse der Internationale verpflichteten zu klassenkämpferischen Maßnahmen gegen die Weiterführung des Kriegs: »Sollen wir uns vielleicht von den Frauen in den kriegführenden Ländern, die öffentlich zu demonstrieren anfangen, beschämen lassen? Sollen wir unsere ganze Vergangenheit verleugnen? Denken wir auch an die Propaganda in den Schützengräben, an die Weihnachtskundgebungen.«172 Auf einer Vorstandssitzung am 22. Mai kommt Grimm wieder auf das Thema zu sprechen: »Daß die Sozialdemokratie – würde sie ihren internationalen Verpflichtungen, vorge184
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schrieben durch die Kongresse in Stuttgart, Kopenhagen, usw. nachkommen – vieles zum Abbruch des Krieges beitragen könnte, geht aus einer Äußerung des Genossen Racowsky hervor. Er erklärte, daß der Balkankrieg in dem Moment zusammenbrach, als die Sozialisten in den Schützengräben streikten und die Idee des Klassenkampfes proklamierten.«173 Die von dem Bulgaren Christian Georgijewic Rakowsky, Mitglied der SDAPR, vertretene These über das Ende des Zweiten Balkankriegs hat zumindest einen wahren Kern: Nachdem Anfang Juli 1913 die Serben an der Bregalnitsa über die bulgarische Armee gesiegt hatten, liefen die total erschöpften Soldaten offenbar beiderseits massenweise zum Feind über oder schlossen informelle Waffenstillstandsvereinbarungen, die bis zum Kriegsende im August andauerten.174 Der Hinweis auf den Balkankrieg wird die sozialdemokratische Diskussion über die Wirksamkeit von Schützengrabenverbrüderungen begleiten. Der kleine Jubel von Zimmerwald
Das erste Treffen, zu dem sich nicht nur Sozialistinnen, sondern auch Sozialisten aus mehreren verfeindeten Ländern zu einer Friedensinitiative zusammenfinden, findet Anfang September 1915 in Zimmerwald bei Bern statt. Die 37 TeilnehmerInnen kommen aus zwölf Ländern, den neutralen Staaten Niederlande, Rumänien, Schweiz, Schweden und den sich bekriegenden Staaten Frankreich, Russland/Polen und Italien auf der einen, Deutschland und Bulgarien auf der anderen Seite. (Drei Delegierte der Independent Labour Party haben von ihrer Regierung keine Reisepässe erhalten.) Unter ihnen sind der Gastgeber Robert Grimm, Henriette Roland Holst (Niederlande), Angelica Balabanova (Italien), Albert Bourderon und Alphonse Merrheim (Frankreich), Karl Radek (Polen), Pavel Axelrod, Wladimir Iljitsch Uljanow/Lenin, Leo Trotzki (alle Russland). Aus Deutschland sind Adolph Hoffmann, Georg Ledebour, Ernst Meyer und Bertha Talheimer angereist – Karl Liebknecht ist eingezogen worden und Rosa Luxemburg sitzt im Gefängnis. Anhänger der Burgfriedenspolitik, des »Sozialpatriotismus«, sind nicht vertreten, was zu diesem Zeitpunkt heißt: Es sind nur Vertreter oppositioneller Parteiminderheiten oder aber kleiner Parteien, die hier miteinander beraten. Und auch sie vertreten unterschiedliche Positionen. Radek und Lenin bringen eine Resolution ein, die russische, lettische, litauische, polnische und schwedisch-norwegische Parteigliederungen sowie ein Schweizer und ein deutscher Genosse unterzeichnet haben.175 Diese 185
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fordert, den Kampf für den Frieden mit dem revolutionären Klassenkampf zu verbinden, und nennt dafür nötige Maßnahmen. Neben »Ablehnung der Kriegskredite«, »Austritt aus den Ministerien«, Straßendemonstrationen und ökonomischen Streiks taucht dabei wieder »die Propaganda der internationalen Solidarität in den Schützengräben« auf.176 Lenin und der bulgarische Delegierte Kolarov, Teilnehmer am Balkankrieg, weisen dabei auf das Beispiel der serbisch-bulgarischen Verbrüderungen im Sommer 1913 hin.177 Es entspinnt sich eine kontroverse Diskussion: Grimm (Schweiz): »In Betreff auf die Resolution-Lenin möchte ich erstens bemerken, dass diese sich ausschliesslich an die organisierten Parteigenossen, nicht an die Massen, wendet. Zweitens, dass es unzweckmässig ist, unsere taktischen Massnahmen vor dem Gegner zu enthüllen.« (...) Lenin: »Grimm irrt sich, wenn er sagt, unsere Resolution und unser Manifest richten sich nicht an die Massen.« (...) Ledebour (Deutschland): »Gewiss ist eine Agitation in den Schützengräben wünschenswert, es wird schon darauf hingearbeitet, jedoch sie wird auf eine mehr praktische Art betrieben, als wozu im Leninschen Manifest aufgerufen wird. In den kriegführenden Ländern wären die Unterzeichner und Verbreiter eines solchen Manifestes gleich erledigt, schon deshalb kann, wer wirkliche Aktion will, ihm unmöglich zustimmen.« (...) Lenin: »Ich (bestreite), dass man die Kampfesmittel nicht erwähnen soll. Es ist dies in allen revolutionären Perioden geschehen. Man muss die Mittel vor die Massen bringen, damit sie erläutert und diskutiert werden können.« (...) Grimm: »Die Forderung einer Agitation in den Schützengräben können wir nicht aufstellen; so etwas tut man, aber sagt es nicht. (Stimmen: sehr richtig).«178 Das »Zimmerwalder Manifest«, das schließlich verabschiedet wird, enthält anders als die von Lenin eingebrachte Resolution weder den Aufruf zur »sozialen Revolution« noch konkrete Handlungsvorschläge, sondern wählt die Formulierung, der Kampf für den Frieden sei auch ein Kampf für den Sozialismus, der als »unversöhnlicher proletarischer Klassenkampf« und mit »voller Wucht« geführt werden müsse. Lenin und sechs andere Genossen verfassen ein Zusatzprotokoll, in dem sie die Resolution für »nicht vollständig befriedigend« erklären, unter anderem, weil sie die »Hauptkampfesmittel gegen den Krieg« nicht klar charakterisiere;179 sie treten dann aber ebenfalls dem mehrheitlich beschlossenen Manifest bei. 186
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Zugestimmt wird durch Aufstehen. Als sich nach und nach auch die vier Delegierten, die bis zuletzt bei ihrer Opposition geblieben waren, von ihren Stühlen erheben, bricht laut Protokoll »großer Jubel« aus. »Grimm konstatiert unter großer Begeisterung, es sei das Manifest mit allgemeinen Stimmen angenommen. Die Anwesenden stimmen in die ›Internationale‹ ein.«180 Für Adolph Hoffmann, den einzigen Konferenzteilnehmer, der 1889 den Schlussjubel beim Pariser Kongress miterlebte, ein bescheidenes Déjà-vu. «A slightly tender corner in my heart«
Dem Aufruf von Zimmerwald folgen weitere Jahre, in denen Proletarier aller Länder, die am Krieg beteiligt sind, aufeinander schießen. An der ganzen Westfront wird das Ausmaß der Weihnachtsverbrüderungen von 1914 bis zum Kriegsende nicht mehr erreicht. Die Gründe dafür sind vielschichtig und schwer zu gewichten. Ein wirkmächtiger Faktor ist dabei, dass die Fraternisierungsverbote allerseits verschärft worden sind. Als Weihnachten 1915 heranrückt, befiehlt der deutsche Oberbefehlshaber Erich von Falkenhayn: Wer seinen Graben verlässt und in Richtung Feind geht, soll sofort erschossen werden.181 Bei der französischen 5. Armee wird angeordnet: Wenn Deutsche sich an Weihnachten den Gräben nähern, soll man sie erst nahe herankommen lassen und dann Sperrfeuer geben.182 Von vielen britischen Einheiten ist bekannt, dass ihnen Schießbereitschaft befohlen wird, sobald Deutsche sich auf der Brustwehr zeigen.183 Trotzdem gibt es am 24. und 25. Dezember 1915 Versuche zu erneuten weihnachtlichen Verbrüderungen. Einige scheitern daran, dass die Gegenseite die friedliche Annäherung tatsächlich mit Schüssen beantwortet, einige Treffen glücken. Auch zu anderen Zeiten kommt es immer einmal wieder zu gegenseitigen Beschenkungen sowie Besuchen, aber ganz offensichtlich bleiben sie selten.184 Weit häufiger sind die stillen Vereinbarungen zur gegenseitigen Schonung oder zeitweiligen Waffenruhe.185 Doch ihrer Ausbreitung und ihrer Wirksamkeit stehen technische und strategische Entwicklungen entgegen. Seit Ende Dezember 1915 werden immer häufiger Stoßtruppunternehmen befohlen;186 beim Sturm auf die feindlichen Gräben aber bleibt wenig Spielraum für wechselseitige Rücksichtnahme. Zudem verstärkt der zunehmende Einsatz von Minen und vor allem Maschinengewehren im Schützengrabenkrieg die Bedenkenlosigkeit bei der Vernichtung des Gegners und die Neigung zu Racheaktionen.187 Und: Seit April 1915 wird Giftgas verwendet, 187
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zuerst von den Deutschen. »I had no feeling of hatred in my heart at this time«, schreibt ein Leutnant Chandler Ende 1915 über Weihnachten 1914; «later I was to see the effects of German asphyxiating gas, and this changed everything; but even now I have a slightly tender corner in my heart for the Saxons, and these were Saxons opposite us now.«188 Werden Verbrüderungen seltener, so nehmen Verweigerungen zu. Das gilt zum Beispiel für die Simulation von Erkrankungen, die Selbstverletzung, die Flucht in die Gefangenschaft. Bei Transporten von Wiedergenesenen an die Front ereignen sich seit 1917 oft Widersetzlichkeiten.189 Massenhafte Meutereien, die über einzelne Befehlsverweigerungen hinausgehen, gibt es kaum. Die große Ausnahme ereignet sich im Frühjahr 1917, als etwa 40 der 100 französischen Divisionen sich gegen ein weiteres Verheiztwerden wehren – die Kämpfe bei Verdun haben zu dieser Zeit bereits Hunderttausende an Opfern gekostet. Dieser Aufstand hat politische und er hat sogar sozialistische Implikate: Bei den Meuterern droht man mit einem Marsch nach Paris, zum Parlament, und es gibt Gruppen, die rote Fahnen hissen und die »Internationale« singen.190 Für eine wesentliche, gar führende Rolle sozialistischer Soldaten gibt es jedoch keine Belege. Generell lässt sich für die an der Westfront stehenden Truppen sagen, dass die pazifistische oder gar revolutionäre Agitation bis kurz vor Kriegsende nur ein geringes Ausmaß hat. Man kann das auf den Mangel an Mitkämpfern oder auf Mängel der Organisation, muss es aber auch auf die sehr begrenzten Handlungsmöglichkeiten zurückführen. Die Presse, die an die Front kommt, unterliegt der Militärzensur, und das Einschmuggeln von antimilitaristischen Schriften und Flugschriften wird zwar immer wieder versucht, aber dann nicht selten entdeckt und bestraft. Der spätere Vorsitzende des Berliner Arbeiter- und Soldatenrats Richard Müller, als Metallgewerkschafter und als Soldat ein aktiver Kriegsgegner zu Hause und an der Front, schreibt dazu aus deutscher Perspektive: »Die U. S. P. D. und der Spartakusbund haben bis zum Sommer 1918 kein revolutionäres Propandamaterial an die Front gelangen lassen. Das hat seine guten Gründe. Das Material konnte nur an Freunde und Gesinnungsgenossen geschickt oder bei der Rückkehr vom Urlaub mit an die Front genommen werden. Die militärische Organisation und die strenge Überwachung machten das einfach unmöglich, zumal die als Mitglieder oder Gesinnungsgenossen linksstehender Parteien bekannten Soldaten besonders streng überwacht wurden.«191 Müller resümiert, und spätere Untersuchungen geben ihm recht: »Die Kampfkraft des Heeres ist durch die Propaganda 188
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gegen den Krieg bis zum Sommer 1918 nur sehr wenig geschwächt worden.«192 Anders an der Ostfront
Die am entschiedensten auf eine Propaganda des Fraternisierens gedrängt haben, sind die russischen Bolschewisten. Und es sind russische Soldaten, welche es dann in weit größerem Umfang praktizieren als die Soldaten anderer Armeen. Doch diese Massenverbrüderungen sind nicht, wie das 1915 von Lenin gemeint war, ein Auslöser, sondern die Folge einer Revolution. Zwar sind informelle Absprachen mit dem Feind, wie auch andere Insubordinationen bis hin zur Fahnenflucht, bei den russischen Truppen schon früh verbreitet, doch die große Stunde der Verbrüderungen an der Ostfront kommt erst nach der Februarrevolution, um Ostern 1917. Die daran beteiligten russischen Soldaten haben dabei neben dem reinen Überlebensmotiv die Absicht, neue militärische Niederlagen und eine darauf antwortende Konterrevolution der Zaristen zu verhindern;193 auf deutscher Seite arbeitet die Militärführung selbst mithilfe von Abgesandten auf Verbrüderungsaktionen hin, da man mit jeder Beruhigung im Osten mehr Truppen an die Westfront verlagern kann.194 Allerdings gibt es daneben spontane Waffenstillstände zwischen einzelnen Einheiten.195 Lenin, seit wenigen Wochen in Russland, propagiert am 28. April in der »Prawda« eine Ausdehnung des Fraternisierens, das eine revolutionäre Initiative der Massen in Richtung Frieden darstelle, aber der Organisation und eines politischen Programms bedürfe.196 Nachdem eine vom neuen Kriegsminister Kerenski durchgesetzte Offensive Mitte Juli scheitert, häufen sich bei den russischen Truppen Desertionen und vor allem Meutereien. Als nach der Oktoberrevolution Friedensverhandlungen aufgenommen werden, bald begleitet von einem Waffenstillstand, nehmen die Frontverbrüderungen wieder zu – mit Unterstützung beider Heeresleitungen. Die deutsche beabsichtigt dabei die Schwächung des Gegners, die sowjetische sieht eine Chance, die Deutschen bei solchen Treffen für eine Revolution in Deutschland zu begeistern.197 Die beteiligten Soldaten aber wollen vor allem Frieden. Kameraden, der Krieg ist zu Ende!
Im Osten kommt das Kriegsende am 3. März, im Westen erst am 11. November 1918. Als die Nachricht vom Waffenstillstand die Schützengrä189
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ben zwischen Ärmelkanal und Alpen erreicht, feiern die gegnerischen Soldaten vielerorts gemeinsam. »Plötzlich erschallte laute Musik«, beschreibt die französische Soldatenzeitung »L’ Argonaute« eine solche Szene, »und aus dem deutschen Schützengraben sprangen die Boches heraus wie die Springteufel, sie kamen mit erhobenen Armen auf uns zu und schrien: Kameraden, der Krieg ist aus! – Sie sangen, ihre Gesichter leuchteten vor Freude. Wirklich, sie wirkten glücklicher als wir, diese Besiegten. Aber ich sah in ihren Gesichtern, die sich zu uns niederbeugten, wie auf unseren eigenen Gesichtern eine glühende Erleichterung. Im Grunde haben wir heute denselben Gedanken, wir sind einander gleich, Männer, die endlich erlöst sind«.198 Veteranen aller Länder! Ein Nachkriegsecho
Im Winter 1931/32 kommt in mehreren europäischen Ländern der Film »Niemandsland« heraus. Regisseur ist der Russe Victor Trivas, die Drehbuchvorlage stammt von Leonhard Frank, die Musik von Hanns Eisler. Der Film handelt von gegnerischen Soldaten im Ersten Weltkrieg, die sich während einer Schlacht in denselben Unterstand zwischen den Fronten flüchten, einander näherkommen und schließlich den Krieg zu ihrem gemeinsamen Gegner erklären. Die fünf Hauptdarsteller Ernst Busch, Hugh Stephens, Georges Péclet, Louis Douglas und Vladimir Sokoloff spielen einen deutschen Tischler, einen britischen Offizier, einen französischen Fabrikarbeiter, einen schwarzen Varietétänzer und einen jüdischen Schneider. In Berlin wird die Premiere von der SA gestört.199 »Der Stahlhelm«, Organ des gleichnamigen deutschen Veteranenverbandes, kritisiert den Film als würdelos, als »Beschimpfung der Frontkämpfer aller Nationen«, und findet es bezeichnend, dass darin der »Nigger« die Initiative ergreift und »den Kampf der Nationen sabotiert«.200 Auf Initiative des rechtsnationalen Medienoligarchen Alfred Hugenberg werden weitere Aufführungen von »Niemandsland« aus »Sicherheitsgründen« verboten.201 Man könnte aus diesen Vorgängen schließen, dass – zumindest in Deutschland – das Erinnerungs- und das Wunschbild einer Soldatenverbrüderung über die Schützengräben hinweg nur die Sache einer kleinen Minderheit gewesen sei. Das würde mit der »Brutalisierungsthese« übereinstimmen, der verbreiteten Ansicht, dass die Kampferfahrungen des Weltkriegs »eine gewaltbereite und nationalistische Generation«202 erzeugt und nicht zuletzt die organisierten Veteranen für retrospektive Kriegsverherrlichung und prospektive Milita190
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risierung gestanden hätten. Doch ein solches Bild von den Weltkriegsteilnehmern ist verzerrt. Was die Organisationen ehemaliger Frontkämpfer angeht, so repräsentiert die pazifistische Botschaft von »Niemandsland« in Deutschland wie in Europa eher eine Mehrheits- als eine Minderheitsposition. Der deutschnationale »Stahlhelm« hatte wohl nie mehr als 350.000 Mitglieder.203 Der von Sozialdemokraten dominierten Veteranenvereinigung »Reichsbanner«, die eine pazifistische, wenngleich nicht radikalpazifistische Linie vertrat, gehörten um 1930 herum mindestens eine Million Deutsche an. Stark im linken Arbeitermilieu verankert war auch der ebenfalls pazifistisch ausgerichtete »Reichsbund der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegerhinterbliebenen«, der größte Kriegsopferverband in Deutschland mit damals etwa 400.000 Mitgliedern204 – Leute, die ihren Antimilitarismus größtenteils nicht erst im Krieg gelernt hatten. Das große außenpolitische Ziel von Reichsbanner und Reichsbund ist die Aussöhnung mit Frankreich. Ihr wichtigster Partner dort ist die UF, die Union der französischen Veteranen und Kriegsopfer, die um diese Zeit 450.000 Mitglieder meldet.205 Einen enormen Schub erfahren die internationalen Veteranenbeziehungen in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre. Nach einer Phase, in der bei den kriegsbeteiligten Nationen »Trauer und Haß«206 vorgeherrscht haben, treten insbesondere die Westeuropäer in eine Phase »geistiger Demobilisierung« ein.207 Schlüsselereignisse hierfür sind die Verträge von Locarno mit ihrem Garantiepakt zwischen Frankreich, Belgien und Deutschland und die darauf folgende Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund. Nun, 1926, schließen sich mitte-links-orientierte Veteranenverbände in Genf zur CIAMAC zusammen, zur »Conférence internationale des associations de mutilés de guerre et anciens combattants«. Ihr treten der Reichsbund und später auch das Reichsbanner bei. Die CIAMAC organisiert von da an immer wieder Treffen ehemaliger Kriegsgegner. 1928 in Berlin sind es Delegierte von 19 Verbänden aus neun Ländern, die sich im Zeichen von Frieden und Versöhnung versammeln. Sie repräsentieren über drei Millionen Mitglieder, wobei Deutsche, Franzosen und Polen den Kern bilden. In seiner Berliner Rede erinnert der französische Delegierte Fonteny an die gemeinsamen Leiden in den Schützengräben und spricht, zweifellos überhöht, allen Grabenkämpfern den Status schon damals miteinander mitleidender Opfer zu: »Nur durch wenige Meter blutigen Drecks voneinander getrennt, haben wir gegenseitig unermeßliches Erbarmen füreinander empfunden, als wir unsere Artillerie und die gegnerische Artillerie ohne Unter191
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Abb. 17: Im Zuge der Vorbereitungen zu einem Versöhnungstreffen von Veteranen veröffentlicht »Das Reichsbanner« am 25.1.1930 das Foto einer »deutsch-französischen Befreundungsszene« von 1915.
schied unsere Granatlöcher und die, in die sich unsere Gegner geflüchtet hatten, bombardieren sahen; als wir sahen, wie sie dasselbe Unglück erduldeten, dieselben Unbilden der Witterung aushielten und denselben Gefahren ausgesetzt waren wie wir, ohne mehr für die Entfesselung dieser Scheußlichkeiten verantwortlich gemacht werden zu können wie wir auch. Dieses unge192
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heure gegenseitige Mitgefühl, was alle Kriegführenden füreinander empfunden haben, ist es, das den Friedenswillen aller ehemaligen Kriegsteilnehmer geboren hat.«208 In den späten 1920er Jahren kommt es mehrmals zu solchen deutsch-französischen Veteranentreffen.209 Auch Vortragsreisen ins jeweils andere Land werden immer häufiger organisiert. Der Reichsbund zum Beispiel unterstützt Deutschlandtourneen von französischen Pazifisten: Die Tribüne des Redners ist mit der Trikolore und die des Übersetzers mit der Reichsflagge geschmückt, die Zuhörer gehen öfters in die Tausende.210 Nun kommen deutsche und französische Kriegsteilnehmer auch auf den Gedanken, genau dort für eine friedliche Zukunft zu demonstrieren, wo der Schützengrabenkrieg die meisten Opfer forderte. Im Januar 1930 berichtet das »Reichsbanner« von der Absicht einer Reichsbannerfahrt nach Verdun und dem Chemin des Dames bei Reims.211 Es zitiert aus dem zustimmenden Brief eines französischen Veteranen, J. Morange: »Die volle Aussöhnung wird statthaben auf den Höhen von Douaumont zwischen alten Soldaten, wenn anders sie wirklich vollkommen erzielt werden soll.«212 Zur Einstimmung auf das Ereignis wird der Bericht über einen wochenlangen Soldatenfrieden vom Sommer 1917, der am Chemin des Dames stattfand, ergänzt durch ein »Deutsch-französische Befreundungsszene 1915« unterschriebenes Foto, das die Realität solcher Verbrüderungsakte beglaubigt. Das geschilderte Geschehen – hat Leonhard Frank von ihm gewusst? – ähnelt dem Szenario von »Niemandsland«: »Eines Tages aber fanden sich fünf Deutsche und vier Franzosen in einem großen Sprengtrichter zwischen den Gräben zusammen und die Hände der Feinde legten sich als Brüder ineinander.«213 Es ist nicht das erste und nicht das letzte Mal, dass das »Reichsbanner« seine Friedensarbeit mit Erinnerungen an freundschaftliche Soldatenbegegnungen zwischen den Fronten unterfüttert: zwischen Deutschen und Russen, Engländern und vor allem Franzosen.214 Diese friedlichen Begegnungen zwischen Feinden werden dabei nicht als Ausdruck von »Ritterlichkeit« oder momentane mitmenschliche Anwandlungen, sondern als pazifistische Akte dargestellt. »Die Franzosen waren genau wie wir über das Sinnlose und Unmenschliche eines solchen Krieges empört.«215 »Feinde gab es von nun an für uns nicht mehr. Wir, die wir dieses Erlebnis mit den Russen hatten, sahen immer durch die Drahtverhaue, die Sperrfeuer, die Gaswolken und Uniformen den Menschen, den Bruder, der Ostern 1915 in uns auferstanden war.«216 Oder, schon 1924 und mit deutlichem Seitenblick auf die damaligen 193
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Abb. 18: Martha Harnoß vom »Reichsbund der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegerhinterbliebenen« spricht bei der deutsch-französischen Gedenkfeier auf dem Friedhof von Soupir im Juli 1930.
erbitterten Auseinandersetzungen um den Versailler Vertrag geschrieben: »Dem Spaße machten die höheren Kommandostellen diesseits und jenseits bald ein Ende. Aber seitdem lief ein Wort durch alle Schützengräben: wenn es von uns Soldaten abhinge, wenn nicht die Diplomaten, wenn deutsche, französische und englische Soldaten über den Frieden zu beraten hätten – sie würden bestimmt und sehr schnell zu einem allseitig befriedigenden Ergebnis kommen.«217 Das vom Reichsbanner avisierte Treffen bei Verdun findet dann doch nicht statt – der nationalistische Protest auf beiden Seiten ist zu stark.218 Aber im selben Jahr kommt es nach einer CIAMAC-Konferenz in Paris zu einer pazifistischen Kundgebung am Chemin des Dames. Mehr als 400 Vertreter aus zwölf Nationen, so berichtet der »Reichsbund«, stehen am 28. Juli 1930 auf dem Friedhof von Soupir, wo 10.000 Deutsche und 50.000 Franzosen begraben liegen. Martha Harnoß, Vorstandsmitglied beim Reichsbund, hält im Namen der deutschen Kriegerwitwen, -eltern und -waisen eine Ansprache. Ein solches Auftreten von Frauen in der internationalen Kriegs teilnehmer- und Kriegsopferbewegung ist neu;219 es dürfte die Akzeptanz der deutschen Delegation wesentlich erleichtert haben. Harnoß bezeichnet die 194
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Abb. 19: Veteranen aus sechs Ländern vor der damals noch kriegsbeschädigten Kathedrale in Reims, Dezember 1931.
Toten als »Brüder«, die hier »in den Gräbern vereinigt« seien: »Und so steigt aus diesen Gräbern eine Macht der Versöhnung, eine Macht des wahren Friedens, der wahren Menschlichkeit. Sie sind die Samenkörner für ein fried195
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liches Europa, für eine von Demokratie, Frieden und Menschlichkeit erfüllte Welt«.220 Nach dieser Rede, schreibt der österreichische Veteran Hans Hirsch, »ging ein Schluchzen durch die Reihen der Männer und Frauen, ein Schluchzen aus der Tiefe des Herzens, ein Schluchzen, das die Ströme von Tränen und die unendliche Trauer der Frauen und Kinder der ganzen Welt versinnbildlichte, denen der Krieg den Sohn, den Gatten, den Vater – ihr alles – geraubt hat«.221 Weitere Friedenskundgebungen an den Kriegsschauplätzen Frankreichs und Belgiens folgen. Bei einer »Gedächtnisfahrt« des Reichsbundes durch Flandern, die im November 1931 stattfindet, besucht man auch das einst hart umkämpfte Reims.222 Auf einem Foto, das zuerst in der »New York Times« veröffentlicht und vom »Reichsbund« nachgedruckt wird, sieht man Veteranen aus Frankreich, England, Italien, den USA, Österreich und Deutschland, die Arm in Arm vor der im Krieg schwer beschädigten Kathedrale stehen. Viele, unter ihnen de Gaulle und Adenauer, Mitterand und Kohl haben später auf denselben Schlachtfeldern zu ähnlichen Versöhnungsgesten gefunden. Die Ersten aber waren linke Veteranen: zu Kriegsopfern gewordene Erben der Zweiten Internationale.
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Wendepunkte der Immigrationsgeschichte
Die Rebellion der Gastarbeiter »Der Kongreß erkennt die Schwierigkeiten, welche in vielen Fällen dem Proletariat eines auf hoher Entwickelungsstufe des Kapitalismus stehenden Landes aus der massenhaften Einwanderung unorganisierter und an niederer Lebenshaltung gewöhnter Arbeiter (...) erwachsen, sowie die Gefahren, welche ihm aus einer bestimmten Form der Einwanderung entstehen. Er sieht jedoch in der übrigens auch vom Standpunkt der proletarischen Solidarität verwerflichen Ausschließung bestimmter Nationen oder Rassen von der Einwanderung kein geeignetes Mittel, sie zu bekämpfen. Er empfiehlt daher folgende Maßnahmen: I. Für das Land der Einwanderung: 1. Verbot der Aus- und Einfuhr derjenigen Arbeiter, welche einen Kontrakt geschlossen haben, der ihnen die freie Verfügung über ihre Arbeitskraft wie ihre Löhne nimmt. 2. Gesetzlichen Arbeiterschutz durch Verkürzung des Arbeitstages, Einführung eines Minimallohnsatzes, Regelung des Sweating-Systems und der Heimarbeit, strenge Aufsicht über die Wohnungsverhältnisse. 3. Abschaffung aller Beschränkungen, welche bestimmte Nationalitäten oder Rassen vom Aufenthalt in einem Lande und den sozialen, politischen und ökonomischen Rechten der Einheimischen ausschließen oder sie ihnen erschweren, weitgehendste Erleichterung der Naturalisation.« (...)1 Resolution des Internationalen Sozialistenkongresses 1907 in Stuttgart
Die endliche Langmut
»Kein Politiker dieser Zeit«, schreibt Ulrich Herbert über die frühen 1960er Jahre, »schloß eine Rede über die Gastarbeiter ohne Hinweise auf die überaus positiven politischen Auswirkungen ihrer Anwesenheit in der Bundesrepublik im Sinne von Völkerverständigung und europäischer Integration.«2 Auch die 1961 begonnene Anwerbung türkischer Arbeiterinnen und Arbeiter wird damals auf beiden Seiten unter diesen hellen Horizont gestellt. In 199
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den türkischen Schulbüchern ist zu lesen, dass Türken und Deutsche – Verbündete im Ersten Weltkrieg – Brudervölker seien.3 Hans-Günter Kleff fasst »die typische Erzählung in den türkischen Dörfern« so zusammen: »Wir schicken euch alten Kriegsbrüdern unsere Söhne und Enkel zu guten Händen. Kümmert euch um sie wie um eure eigenen und schickt sie uns dann ausgebildet und als ganze Männer zurück!«4 Vice versa verspricht ein »Ratgeber für türkische Arbeitnehmer«, 1963 von der Bundesanstalt für Arbeit herausgegeben, dass man »mit Fleiß und Aufrichtigkeit« die »Nähe«, ja die »Freundschaft« zu den Deutschen finden könne.5 Die erste Desillusionierung bringt die Anfahrt, die damals nicht per Flugzeug, sondern mit Sonderzügen erfolgt. Die Bundesbahn hat für die Fahrt von Istanbul nach München, die zwei Tage und drei Nächte dauert, aus Ersparnisgründen Nahverkehrszüge eingesetzt, in denen man nicht einmal den Kopf anlehnen kann – erst ab 1971 verwendet man Liegewagen. Die Toiletten werden unzureichend gewartet, oft gibt es kein Fließwasser, im Winter fallen öfters die Heizungen aus.6 Bei der Ankunft auf Gleis 11 des Münchner Hauptbahnhofs, viele Jahre lang die Endstation der Arbeiterzüge aus dem Orient, werden die Ankommenden in einen neben dem Gleis liegenden umgebauten Luftschutzbunker geführt. Man will der Öffentlichkeit den Anblick der oft völlig übermüdeten Menschen ersparen, da sonst – wie ein Vertreter der Bundesanstalt der Arbeit 1963 ausführt – der »Eindruck eines Kriegszustandes« oder des »Sklavenhandels« entstehen könne.7 Im Bunker wird man registriert und auf die Zielorte verteilt. Die Werkswohnungen, in denen die ausländischen Arbeiter untergebracht werden, sind häufig schäbig und eng. Einer Person stehen, so die 1964 erlassene Vorschrift, gerade einmal vier Quadratmeter in einem Sechsbettzimmer zu. »Für viele war das Ankommen im Wohnheim ein Schock. Manche glaubten ein Krankenhaus oder ein Gefängnis vor sich zu haben.«8 Zusätzlich zur Sprachbarriere erschwert das Wohnheimleben den Kontakt mit den Deutschen. Und diese zeigen sich an den Beziehungen, gar an den Freundschaften, die den Türken in Aussicht gestellt wurden, herzlich desinteressiert. Ein türkischer Hilfsarbeiter sagt 1963, eine verbreitete Stimmung ausdrückend, dem »Echo der Zeit«: »Bei uns in der Türkei hatten wir eine sehr gute Meinung von Deutschland, heute denken wir anders! Wir sind immer allein, und kein Mensch kümmert sich um uns. Für uns ist das Leben sehr schwer.«9 Auch in der Arbeitswelt warten Enttäuschungen. Die allermeisten Türkinnen und Türken werden, oft unterhalb der mitgebrachten Qualifikation, 200
Die Rebellion der Gastarbeiter
zu Niedriglöhnen an den körperlich anstrengendsten und unfallträchtigsten Arbeitsplätzen eingesetzt.10 Einer Umfrage von 1964 zufolge sind 62 % der befragten Türkinnen und 44 % der Türken mit ihrem Verdienst unzufrieden.11 Nicht immer bleibt es bei leisem Murren oder passivem Widerstand wie Krankfeiern oder Bummeln: Schon Anfang der 1960er Jahre kommt es zu mehreren kleineren Streiks, sei es wegen Lohnfragen, dem Arbeitstempo am Fließband oder den Wohnverhältnissen. Meist wird hart zurückgeschlagen.12 Als zum Beispiel im März 1962 auf der Essener Zeche Hagenbeck der Stinnes-AG über hundert türkische Bergleute spontan die Arbeit niederlegen, da sie in Unkenntnis der deutschen Regeln mit der Auszahlung des vertraglichen Bruttolohns gerechnet haben, werden zehn »Rädelsführer« fristlos entlassen; man entzieht ihnen die Arbeitserlaubnis, womit sie ihr Aufenthaltsrecht verlieren, und verweist sie des Landes.13 Es liegt also nicht nur an Kismet-Ergebenheit und anatolischer Genügsamkeit, sondern auch an der Angst vor Abschiebung, wenn die Türken – wie andere ausländische Arbeiter – ihrer Unterprivilegierung über Jahre kaum offensiven Widerstand entgegensetzen. Das heißt jedoch nicht, dass sie sich von den Gewerkschaften fernhalten: 1971 sind 22 % der »Gastarbeiter« in den deutschen Gewerkschaften organisiert, in der IG Metall sind es 1971 über 30 %, 1972 schon 40 %, wobei die Türken mit über 48 % sogar um einen Prozentpunkt vor den Deutschen platziert sind.14 Sie beteiligen sich engagiert, teilweise engagierter als ihre deutschen Kollegen an den Tarifkämpfen.15 Seit Ende der 1960er Jahre wagen sich ausländische Arbeiter und immer mehr auch Arbeiterinnen zunehmend in eigener Sache hervor. 1967 sind es zum Beispiel Spanierinnen bei Bahlsen in Barsinghausen, 1969 Italiener und Spanier bei Hella in Lippstadt, 1970 Türken bei Ford in Köln, 1971 Spanier bei der Glanzstoff AG in Kelsterbach, 1972 Italiener bei BMW in München und Spanier bei Opel in Bochum, die für Verbesserungen ihrer speziellen Situation zu »wilden« Streiks greifen.16 1973 erreicht diese Entwicklung ihren Höhepunkt. Zwischen Februar und November legen laut einer Zählung des Redaktionskollektivs »express« etwa 275.000 Beschäftigte in 335 Betrieben zeitweise die Arbeit nieder, fast ausnahmslos in der Metallindustrie.17 Dort hat die Große Tarifkommission der IG Metall, nachdem diese erst 16 % mehr Lohn gefordert hatte, im Januar einen Abschluss von 8,5 % empfohlen, was die Gewerkschaftsbasis angesichts einer starken Inflation vor allem in den unteren Lohngruppen, wo die meisten Ausländer eingeordnet sind, als unbefriedigend ansieht.18 In vielen Großbetrieben 201
Wendepunkte der Immigrationsgeschichte
Abb. 20: Karikatur von Klaus Pielert im »Handelsblatt«, 30.8.1973.
stimmen über 70 % der Gewerkschafter gegen den Abschluss19 – für eine Ablehnung sind allerdings 75 % der Stimmen nötig. Die Kritiker des Tarifabschlusses wollen aber nicht nur mehr Lohn. Der SPIEGEL zitiert einen Fordarbeiter: »›Für uns ist das Geld gar nicht mal so wichtig‹, berichtete ein Italiener, ›der Arbeitsplatz muß menschlicher werden. Wenn einer von uns mal pissen muß, dann muß er ein dutzendmal fragen. Die Leute sind so erbittert, dass sie Eisen fressen könnten.‹«20 Letztlich geht es um viel mehr. In der hohen Streikbereitschaft der ausländischen Arbeiter und – zum Erstaunen der Öffentlichkeit21 – auch der ausländischen Arbeiterinnen verschafft sich die angestaute Wut über eine unablässige Benachteiligung Luft: über besonders schlechte Bezahlung, verweigerten betrieblichen Aufstieg, mangelnden Respekt deutscher Meister, Vorarbeiter und anderer Arbeiter, dies alles verbunden mit ausgrenzenden und herabsetzenden Praktiken im außerbetrieblichen Bereich, durch Ämter, Polizisten, Vermieter, deutsche Nachbarn.22
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»Streik-Analytiker«, schreibt der SPIEGEL, »sagen den diesjährigen Lohnkämpfen, die von den Arbeitern auf eigene Faust ausgetragen werden, mehr Spätfolgen voraus als allen vorausgegangenen. Anders selbst als im September 1969, als zum ersten Mal seit Kriegsende eine bedeutende Welle spontaner Streiks ein verändertes, selbstbewußteres Verhalten der Arbeitnehmer signalisierte, kündigte eine bisher stille und stets gefügige Gruppe plötzlich Protestbereitschaft an: die Gastarbeiter, die in einigen Betrieben sogar die Vorreiter machten«.23 Auch wenn das mit der bisherigen Gefügigkeit bestenfalls halbrichtig ist: Die Rebellion von 1973 wird in der Tat zu einem crucial point in der Einwanderungsgeschichte der Nachkriegszeit. Sie ist zum einen ein Augenblick der Wahrheit, offenbart vieles über die Lage und Gefühlslage der neuen Unterschichten im Land und das Verhältnis zwischen ihnen und den Deutschen, zumal ihren Arbeitskollegen. Zum andern ist sie ein Augenblick der Entscheidung über die weitere Entwicklung der Einwanderungsgesellschaft – zu Segregation oder Integration, zu Diskriminierung oder Anerkennung. Fehlschläge, Kompromisse
Die Verläufe und die unmittelbaren Ergebnisse dieser »wilden« und – das ist eine ihrer Schwächen – unkoordinierten Streiks sind unterschiedlich. Größere Konzessionen der Unternehmen erreichen nur wenige, und von den deutschen Kolleginnen und Kollegen werden die Kämpfe nur teilweise und streckenweise mitgetragen. So wehren sich bei der Metzeler Reifenfabrik in Breuberg/Odenwald Griechen, Spanier und Portugiesen ziemlich alleine – allerdings unterstützt von einer Minderheit im Betriebsrat – und letztlich erfolglos gegen eine Akkordverschärfung.24 In der Landmaschinenfabrik John Deere in Mannheim streiken ausländische und deutsche Arbeiter zunächst gemeinsam für mehr Lohn, bezahlte Pausen und eine Verringerung des Arbeitstempos, doch dann gehen Meister und höhere Angestellte gewaltsam gegen die Streikenden vor, ausländerfeindliche Parolen grassieren, die Mehrheit der Vertrauensleute votiert schließlich für Streikabbruch. Am Ende gibt es eine gewisse Lohnerhöhung und 30 fristlose Kündigungen, von denen der Betriebsrat jedoch einige abwendet.25 Im Fordwerk Köln-Merkenich, wo für mehr Lohn, mehr Urlaub und geringeres Arbeitstempo gestreikt wird, stehen deutsche und ausländische Kollegen besser zusammen, haben jedoch keinen Erfolg.26 Bei Karmann in Osnabrück sind, ähnlich wie 203
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bei Opel, nach dem Sommerurlaub 300 der 1600 Portugiesen und Spanier wegen verspäteter Rückkehr entlassen worden. Nun streiken die Iberer für eine bessere Urlaubsregelung. Zuerst solidarisieren sich die etwa 5000 deutschen Kollegen; die Geschäftsleitung droht mit Aussperrung, am zweiten Streiktag nehmen die Deutschen die Arbeit wieder auf. Der Betriebsrat handelt einen Kompromiss aus: kein längerer, aber ein zusammenhängender Urlaub. Damit sind die ausländischen Arbeiter aber so unzufrieden, dass etwa dreihundert von ihnen aus der Gewerkschaft austreten.27 Im ValvoBildröhrenwerk in Aachen streiken Jugoslawen, Türken und Deutsche ohne Unterstützung durch Betriebsrat und Gewerkschaft zunächst gemeinsam für mehr Lohn und eine Teuerungszulage, die Abschaffung der zweituntersten Lohngruppe und der Samstagsschicht sowie bezahlte Arbeitspausen, doch später brechen auch hier die Deutschen weg; man erzielt einen Teilerfolg, bei dem aber die Anliegen der Ausländer nicht erfüllt werden.28 Beim Autozulieferer Hella in Lippstadt und Paderborn initiieren die mehrheitlich ausländischen Arbeiterinnen und Arbeiter aus den Montagehallen einen Streik für eine Lohnzulage; vom Betriebsrat und von deutschen Kollegen aus anderen Abteilungen werden sie – nur oder immerhin – partiell unterstützt. Sie setzen ihre Forderungen weitgehend durch.29 Am meisten Aufsehen erregen die Arbeitsniederlegungen bei der A. Pierburg Auto-Gerätebau AG in Neuss, getragen vor allem von griechischen, türkischen und jugoslawischen Arbeiterinnen, und bei den Fordwerken in Köln-Niehl, die bei Weitem größte und härteste Auseinandersetzung, an der sich nicht nur, aber vor allem türkische Arbeiter beteiligen. Die beiden Fälle und ihr Ausgang markieren die gegensätzlichen Pole der Streikbewegung. Ein Desaster und ein Durchbruch Der Fordstreik
Erster Streiktag 1973 gibt es in Deutschland um die 400.000 türkische Arbeiter und um die 100.000 türkische Arbeiterinnen; sie bilden die mit Abstand größte Gruppe der »Gastarbeiter«.30 Der Betrieb mit den meisten Türken ist Ford in KölnNiehl, wo etwa 10.000 von ihnen beschäftigt sind – um die 80 % unmittelbar in der Produktion.31 Die Y-Halle, in der die Endfertigung der Autos stattfindet, ist durch besonders stressige Arbeit bekannt – im Arbeitermund 204
Die Rebellion der Gastarbeiter
heißt sie »Vietnam«.32 Eben dort nimmt am Nachmittag des 24. August 1973, einem Freitag, ein »wilder Streik« seinen Ausgang: Türkische Arbeiter legen die Arbeit nieder. Sie lehnen sich damit gegen die Mehrarbeit auf, die ihnen nach der Kündigung von 300 – manche Quellen sprechen von 500 – türkischen Kollegen abverlangt wird.33 Die Entlassenen haben die Werksferien, die am 27. Juli endeten, um ein bis zwei Wochen überzogen. Teilweise haben die verspäteten Rückkehrer ärztliche Atteste vorgezeigt, von denen die Geschäftsleitung aber viele für ›getürkt‹ erklärt.34 Anträge auf unbezahlten Urlaub werden abgelehnt,35 wobei möglicherweise eine momentan schlechte Auftragslage der Firma hineinspielt.36 Nun ziehen etwa tausend Arbeiter über das Werksgelände und rufen zur Arbeitsniederlegung auf. Gegen 18 Uhr findet eine Streikversammlung von mehreren Tausend ausländischen und etwa zweihundert deutschen Arbeitern statt. Man einigt sich auf drei Forderungen: 1. Zurücknahme der Entlassung der mehreren Hundert Türken. 2. 1 DM mehr Stundenlohn für alle. Nachdem der Tarifabschluss vom Januar hinter der seitherigen Inflation zurückgeblieben ist, sind schon auf mehreren Betriebsversammlungen Forderungen nach einem Nachschlag erhoben worden.37 Der Betriebsrat hat aber bisher keine Lohnerhöhung erreicht. 3. Herabsetzung der Bandgeschwindigkeit. Ford hat die Produktion in den letzten Jahren wenig modernisiert, dafür aber die Taktzeiten erhöht.38 Das betrifft meistens nur ausländische Arbeitnehmer: Von den 12.000 Türken, 1500 Italienern und 600 Jugoslawen im Werk arbeiten fast alle am Fließband, von den etwa 10.000 Deutschen nur wenige.39 Auch zu dieser Frage hat der Betriebsrat von der Geschäftsleitung schon lange Verhandlungen angemahnt – erfolglos.40 Nach dem Streik sagt Yilmaz Karahasan, damals Sekretär für Ausländerarbeit bei der IG Metall (später erstes türkisches Mitglied im IG-Metall-Vorstand), der Aufstand bei Ford sei das Ergebnis von vier Jahren unzumutbarer Bandarbeit.41 Die gesamte Spätschicht, etwa 8000 Mann, und die Mehrheit der Nachtschicht schließen sich dem Streik an.42 Zu diesem Zeitpunkt handelt es sich also nicht um einen »Türkenstreik« – auch wenn Presseberichte ihn tags darauf so etikettieren.43
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Zweiter Streiktag Nachdem am Samstag – an dem keine Bandfertigung stattfindet – normal gearbeitet worden ist, wird der Streik am Montagmorgen fortgesetzt. Nach einem Werbeumzug durch das Werksgelände treffen sich mehrere Tausend ausländische und mehrere hundert deutsche Arbeiter vor einer der Hallen. Das kleine Rednerpodest des Betriebsrats Kuckelhorn, der einige der Streikforderungen vom Freitag unterstützt, aber den Streik verurteilt, wird von streikbereiten Kollegen zum Einsturz gebracht; ein türkischer Betriebsrat, der zur Wiederaufnahme der Arbeit auffordert, wird ausgepfiffen.44 Nach dem Rückzug der Betriebsräte wählt man eine autonome Streikleitung, der neun Türken, zwei Italiener, zwei Deutsche und ein Jugoslawe angehören. Ihre beiden Sprecher sind Baha Targün, Soziologiestudent an der Universität Köln, der mit der KPD sympathisiert, und Dieter Heinert, Werkspraktikant, Mitglied der KPD/ML.45 Die Versammlung applaudiert dem Forderungskatalog aus einem Flugblatt, das die Gruppe »Kölner Fordarbeiter« (vor allem Mitglieder der KPD/ML und eines Anarchosyndikats) am Wochenende in den Wohnheimen für türkische Arbeiter verteilt hat:46 Er ergänzt die drei Postulate des ersten Streiktags um drei weitere: Bezahlung der Streikstunden, keine Disziplinarmaßnahmen gegen Streikende, 600 DM für Lehrlinge. Wieder ziehen mehrere Tausend durch das Werk. Die Geschäftsleitung schickt die Arbeiter, die nicht mitstreiken, nach Hause. Viele, vor allem deutsche Arbeiter kommen der Aufforderung nach, darunter auch ein Teil der gewerkschaftlichen Vertrauensleute.47 Um spätere Schichten vom Kommen abzuhalten, lässt Ford über Rundfunk und Fernsehen bekanntgeben, dass im Werk nicht mehr gearbeitet werde und die ausgefallenen Schichten bezahlt würden. Der Buspendelverkehr zwischen Werk und Umland wird eingestellt. Der Deutschenanteil an den Streikenden wird immer geringer. An den Fabriktoren versuchen Streikposten, streikunwillige Arbeiter nach ihrer Schicht am Weggehen zu hindern. Gleichzeitig versuchen sie Arbeiter der Spätschicht, die ungeachtet der Durchsagen der Geschäftsleitung zur Arbeit erschienen sind, zum Mitmachen bei der Werksbesetzung zu bewegen – womit sie teilweise Erfolg haben.48 Aber es kommt auch zu Handgreiflichkeiten, vor allem zwischen Türken und Deutschen. Tagsüber streiken um die 6000, etwa vierhundert davon bleiben über Nacht im Werk: 15 Deutsche, vor allem aus linken Betriebsgruppen, einige Italiener und Jugoslawen, alle anderen sind Türken.49 Nach einer Aufforde206
Die Rebellion der Gastarbeiter
Abb. 21: Tanzende Arbeiter in einer Streiknacht bei Ford.
rung der Polizei, das Werk zu räumen, bewachen die Werksbesetzer die Tore – eingeteilt nach gemeinsamen Herkunftsstädten in der Türkei.50 Man isst südländisches Abendbrot mit Tomaten, Gurken, Oliven, Käse und Brot. 51 Zum Abendgebet hat man einige Hodschas ins Werk geholt. Dann erklingt türkische Musik, es wird getanzt, ein Geschichtenerzähler tritt auf, es gibt Agitprop-Theater. Man feiert ein Fest, ein Siegesfest. »Das Erlebnis, ein derart großes Werk zum Erliegen gebracht und ›besetzt‹ zu haben«, schreibt Jörg Huwer, »erzeugte allgemein eine euphorische Stimmung.«52 Dirigiert von Targün, singt ein nach Hunderten zählender Chor den »Unabhängigkeitsmarsch«, die türkische Hymne: »Getrost, der Morgenstern brach an, Im neuen Licht weht unsre Fahn‘. Ja, du sollst wehen, Solang ein letztes Heim noch steht, Ein Herd raucht in unserem Vaterland. Du unser Stern, du ewig strahlender Glanz, Du bist unser, dein sind wir ganz. 207
Wendepunkte der Immigrationsgeschichte
Abb. 22: Auseinandersetzungen zwischen Streikenden und Arbeitswilligen am Werkszaun (Foto von J. H. Darchinger).
Nicht wend‘ dein Antlitz von uns, O Halbmond, ewig sieggewohnt. Scheine uns freundlich Und schenke Frieden uns und Glück, Dem Heldenvolk, das dir sein Blut geweiht. Wahre die Freiheit uns, für die wir glühn, Höchstes Gut dem Volk, das sich einst selbst befreit.«53 Dritter Streiktag IG Metall und Betriebsrat versuchen, die Initiative wiederzugewinnen. Über Lautsprecherwagen wird verkündet, man habe Verhandlungen mit der Geschäftsleitung begonnen: »Hört nicht auf die Chaoten, hört auf die Vertrauensleute.«54 Die Gewerkschafter halten auf dem Busbahnhof vor dem Werk eine Versammlung ab. Sie melden einen Erfolg: Die Entlassungen seien zurückgenommen – sofern Entschuldigungen für die Fehlzeiten vorlägen. Dann ziehen 400 bis 500 betriebsratstreue Arbeiter, fast alle Deutsche, auf das Betriebsgelände, wo sie auf eine Streikversammlung von 4000 bis 5000 meist türkischen Kollegen stoßen. Der Betriebsrat hat einen Lautspre208
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cher installiert. Als er der Streikleitung das Mikrophon verwehrt, lassen die Streikenden abstimmen. Eine große Mehrheit stellt sich hinter ihre Sprecher. Nun schlagen Gewerkschafter eine Demonstration durch die Stadt vor, was die Streikenden als Preisgabe des Werksgeländes ablehnen.55 Am Nachmittag eskalieren die Auseinandersetzungen. Polizisten rücken an, um die Spätschicht am Betreten des Werks zu hindern. Streikende hängen ein Tor aus; die Kollegen draußen können nun doch zu ihnen stoßen. Es gibt Rempeleien zwischen streikwilligen Türken und deutschen Werkschützern – in der Presse liest man darüber: »Türken verprügeln deutsche Arbeiter«.56 Danach kommt es zwar im Betriebsratsbüro zu Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Streikleitung, aber alsbald geht das Gerücht um, der Betriebsrat wolle die Streiksprecher dort isolieren und verhaften lassen. Darauf blockieren etwa zwanzig Streikende das Büro.57 Die Gespräche drinnen enden ohne Einigung. Unter den Türken draußen geht die Parole um: »Sendika satılmış«, »Die Gewerkschaft ist käuflich«.58 Am Abend stehen etwa 7000 Arbeiter im Streik.59 Deutsche sind kaum noch darunter. Vierter Streiktag 7000 bis 8000 Arbeiter, fast nur Türken, kommen ins Werk, streiken und demonstrieren weiter. Um 14 Uhr greift ein Betriebsrat zum Megafon: »Achtung, Achtung! Lasst euch von den Chaoten nicht missbrauchen! Sie belügen und betrügen euch! Sie wollen ihr politisches Süppchen kochen! Hört auf die IG Metall-Vertrauensleute! Der Betriebsrat verhandelt weiter! 280 DM sind für jeden vereinbart! Drei Streiktage werden bezahlt! Der Betriebsrat verhandelt weiter!«60 Auch die Wiedereinstellung der entlassenen Türken, die ein Attest für ihren verlängerten Urlaub vorlegen können, wird zugesagt.61 Nicht durchgesetzt sind: Verminderung des Bandtempos und Erhöhung des Stundenlohns. Darüber, so der Betriebsrat, müsse man später noch einmal reden.62 Bei den deutschen Arbeitern reagiert man mit Händeklatschen, bei den türkischen mit Pfiffen.63 Eine Streikversammlung missbilligt die Vereinbarung, die Streikleitung lehnt weitere Verhandlungen ab.64 Wieder bildet sich ein Protestzug, es sind um die 5000. Es kommt zu Beschimpfungen und Schlägereien. Empörte Türken legen sich mit arbeitswilligen Deutschen an, mutmaßlich Werkschutzleute zerstören die beiden Megaphone der Streikenden. Diese beschuldigen die Betriebsleitung, sie 209
Wendepunkte der Immigrationsgeschichte
habe bereits »Schlägertruppen« angeheuert und beim Betriebsrat angefragt, ob er einem Polizeieinsatz zustimme. Es wird Abend. Die Tagesereignisse haben die Streikenden offenbar nicht eingeschüchtert, sondern eher angestachelt. Während in der Nacht zuvor etwa hundertfünfzig Mann im Werk ausgeharrt haben, sind es nun 1000 bis 2000.65 Man macht Umzüge durchs Werk, es kommt zu Redegefechten mit Streikgegnern, vor allem Meistern, Angestellten und Werkschutzleuten. Und wieder gibt es ein Fest, man singt und tanzt, ein Märchenerzähler erweitert das traditionelle Repertoire und unterhält die Menge mit Streikgeschichten und Streikwitzen.66 Fünfter Streiktag Die über Nacht Dagebliebenen vereinigen sich mit Arbeitern der Frühschicht zu einem etwa 5000 Mann starken Aufmarsch. Zu ihrer Überraschung tritt ihnen ein Zug von Gegendemonstranten in den Weg – man schätzt bis zu 1000 deutsche Streikgegner,67 vor allem Vorarbeiter, Meister und Obermeister.68 Voran marschiert der Betriebsratsvorsitzende Lück,69 einige andere Betriebsräte sowie Vertrauensleute der Gewerkschaft sind ebenfalls dabei.70 Etliche Meister haben unter ihren Arbeitskitteln Knüppel verborgen, mit denen sie nun losschlagen; auch Kinnhaken, schreibt der SPIEGEL, »wurden reichlich verteilt«.71 Nach den ersten Prügeleien greift die Polizei ein – gegen die Streikenden. Später wird erzählt, der vorderste Polizist habe »Schlagt die Ratten tot!« gerufen, bevor er das Visier herunterklappte und mit erhobenem Schlagstock in die Menge stürmte.72 Dass das Vorgehen gegen das »Türkenpack« (wie ein Polizeioffizier zitiert wird)73 sehr heftig war, wird durch viele Augenzeugen bestätigt. »Mehrfach wurde dabei beobachtet«, meldet der »Berliner Extra-Dienst«, »wie Angestellte aus dem Ford-Management auf die von Polizisten festgehaltenen Arbeiter losgingen und sie zusätzlich mit Schlägen und Tritten traktierten.«74 Ein Polizeilautsprecher gibt auf Türkisch durch, wer das Werksgelände nicht sofort verlasse, müsse mit sofortiger Abschiebung rechnen.75 Die streikenden Arbeiter, die wenig Widerstand geleistet haben, versuchen, sich zu verdrücken. Es kommt zu »Hasenjagden« auf die Fliehenden.76 Etwa achtzig Türken, darunter Targün, werden verletzt.77 Etliche Streikende – eine Schätzung spricht von 3078 – werden in Gewahrsam genommen, darunter auch die Mitglieder der Streikleitung.79
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Die Rebellion der Gastarbeiter
In der BILD heißt es danach: »Deutsche Arbeiter kämpfen Ford frei«.80 290 Jahre nach Wien hat man Köln vor den Türken gerettet. Die Niederlage Nach der Zerschlagung des Streiks patrouillieren sechs- bis siebenköpfige »Arbeiterschutzstreifen« durch das Werksgelände, um zusammenstehende Gruppen aufzulösen.81 Die Spätschicht nimmt die Arbeit wieder auf, aber Ruhe herrscht noch nicht. »Es (gab) Krach in der Y-Halle«, schreibt die »Betriebszelle Ford«. »Während der ganzen Schicht pfiffen und buhten die Türken, aber es gab keine Führung, die den Widerstand hätte zusammenfassen können.«82 Was die Streikforderungen angeht, so einigt sich die Geschäftsleitung mit dem Betriebsrat auf eine einmalige Zahlung von 280 DM, eine geringe Anhebung des 13. Monatslohns, die Bezahlung der Streiktage, aber nicht an aktiv Streikbeteiligte, sowie eine individuelle Prüfung der Entlassungen wegen Urlaubsüberziehung.83 Das heißt: Die speziell im Interesse der türkischen Arbeiter liegenden Forderungen – die Anhebung der geringen Stundenlöhne am Band sowie, vor allem, die Verminderung der Bandgeschwindigkeit – werden nicht erfüllt oder, wie die Urlaubsfrage, mit einer vagen Versprechung abgehakt. Folgt man dem Bericht der »Gruppe Arbeiterkampf«, so herrscht allerdings auch bei den Facharbeitern keine Siegesstimmung: »280 DM kassiert und nicht einmal dafür gekämpft zu haben«, schreibt die »Betriebszelle Ford«, »ließ die meisten Deutschen in den Tagen nach dem Streik mit spürbar schlechtem Gewissen herumlaufen.«84 In den Tagen nach dem Streik werden über hundert Arbeiter, fast alle Türken, aufgrund ihrer Streikbeteiligung fristlos entlassen.85 Mindestens dreihundert, manche Quellen sagen: bis zu sechshundert Arbeiter86 nehmen ein Angebot von Ford an und kommen der fristlosen durch eine freiwillige Kündigung zuvor. Sie verlieren damit auch ihren Wohnheimplatz und den Nachweis eines festen Wohnsitzes. Von den Türken, die bleiben, treten viele aus der Gewerkschaft aus.87 Bei den weiter bei Ford arbeitenden Türken herrscht, so wird berichtet, eine Stimmung zwischen Angst, Wut und Resignation.88 Der SPIEGEL schreibt am 10. September 1973: »Überfahren von der Werksleitung, verlassen von den Betriebsräten, unverstanden von den deutschen Kollegen und in der Rechts-Presse geschmäht, sahen sich die Türken bei Ford am Ende ihres Streiks weiter in die Isolierung gedrängt als zuvor.«89 211
Wendepunkte der Immigrationsgeschichte
Der Pierburgstreik
Erster Streiktag Am Montag, 13. August, sammeln sich vor der Frühschicht zahlreiche Arbeiterinnen und einige Arbeiter vor der Vergaserfabrik Pierburg in Neuss bei Düsseldorf. Die Streikenden vor dem Werkstor fordern 1 DM mehr Stundenlohn für jeden und die Abschaffung der Leichtlohngruppe 2. Diese Forderung betrifft fast alle ausländischen Arbeitskräfte. Diese stellen knapp drei Viertel der Arbeiterbelegschaft90 – 831 kommen aus Griechenland, 650 aus der Türkei, 311 aus Jugoslawien, 213 aus Spanien, 158 aus Italien und 149 aus Portugal.91 Etwa 70 % von ihnen sind Frauen.92 Es ist schon die zweite spontane Arbeitsniederlegung in diesem Jahr: Im Juni haben Pierburg-Arbeiterinnen und -Arbeiter zwei Tage lang erfolglos für die Streichung der Leichtlohngruppe 2 gestreikt, in der man pro Stunde 5,28 DM verdient (ein Vorarbeiter in der Lohngruppe 10 bekommt 10,24 DM)93 – und dies bei galoppierendem Arbeitstempo: 1970 hat eine Fließbandeinheit noch 800 Vergaser pro Schicht produziert, zur Zeit des Streiks sind es 1300.94 Seitdem sind Gespräche zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung im Gang. Nun ist vielen KollegInnen die Geduld ausgegangen. Einige Hundert stehen vor dem Werkstor, rufen »Streik!« und »Alles raus!« Die Geschäftsleitung holt sofort die Polizei. Einige Beamte ziehen ihre Schusswaffe. Der herbeigeeilte Neusser Polizeidirektor Knecht sagt den später vielzitierten Satz: »Eine wilde Arbeitsniederlegung gilt als Revolution!«95 Deutsche Vorarbeiter zeigen auf die Griechin Elefteria Marmela – sie gilt ihnen als eine der Streikführerinnen. Die Polizei will sie verhaften, sie wehrt sich, wird mit Knüppeln geschlagen und kommt mit einer Kollegin zusammen für zehn Stunden in Polizeihaft, wo man sie auf politische, sprich: kommunistische Verbindungen hin verhört.96 Der Polizeieinsatz verunsichert offenbar viele ArbeiterInnen. Zu Beginn der Frühstückspause stehen nur noch etwa hundertfünfzig Frauen vor dem Werkstor, die weiterhin »Alle raus!« rufen. Doch während der Pause stoßen an die sechshundert weitere Kolleginnen zu ihnen – Griechinnen, Jugoslawinnen, Türkinnen, Spanierinnen, auch einige Deutsche. Die Produktion ist lahmgelegt, gegen Mittag wird der Betrieb geschlossen.97 Der Betriebsrat Leipziger meint später: »Der Deutsche ist immer ein bisschen reserviert und traut sich nicht so richtig dran. Das war also bei den ausländischen Kollegin212
Die Rebellion der Gastarbeiter
nen ganz anders. Ich muss es ganz klar sagen, wenn das ein rein deutscher Betrieb gewesen wäre, hätte es diesen Streik in dieser Form nicht geben können.«98 Zweiter Streiktag Etwa dreihundertfünfzig bis fünfhundert Arbeiterinnen99 versammeln sich morgens vor dem Werkstor. Die Streikfront hat gehalten, die Fünf-Nationen-Koalition, auch die der im Betriebsalltag mitunter aneinandergeratenden Griechinnen und Türkinnen,100 arbeitet gut zusammen. Dann fahren drei Polizeibusse vor, die Beamten springen heraus und schlagen auf die Streikenden ein. Mehrere Arbeiterinnen, unter ihnen Elefteria Marmela, werden erheblich verletzt.101 Der Betriebsrat Leipziger schildert diese Situation später so: »Und da gab es das große Schiebetor, elektrisch, das wollten die schließen. In dem Moment wäre keiner mehr raus, keiner mehr rein gekommen. Und die Frauen haben das verhindert, zum Beispiel die Elephteria, die war hochschwanger, die hat sich einfach zwischen das Tor hingesetzt – so weit sind sie dann nicht gegangen, um die Frau zu zerquetschen – und hat einen Meter das Tor, den ganzen Tag offen gehalten. Die saß da drin, die wurde versorgt mit Essen. Und über diesen kleinen Spalt konnte die Kommunikation nach außen und innen (...) florieren. In dem Sinn, war das schon ’ne Heldin, die Frau, was die gemacht hat. Der eine Vorarbeiter – der ist ja auch entlassen worden, der zu der Elephteria gesagt hat: ›Wenn du jetzt nicht von dem Tor weggehst, hol ich dir dein Kind aus dem Bauch!‹ Solche Sprüche sind da gekommen.«102 Aber m Unterschied zum ersten Streiktag sind nun Rundfunk- und Fernsehreporter vor Ort. Als Fernsehkameras zu surren beginnen, ziehen sich die Polizisten zurück.103 Mitglieder der DKP und der KPD/ML verteilen vor dem Tor Flugblätter. Anders als bei Ford-Köln haben K-Gruppen und Syndikalisten innerhalb des Betriebs keinen nennenswerten Einfluss. Und auch die Agitation von außen bleibt ziemlich wirkungslos. Eine Arbeiterin schreibt später: »Wir verstanden die Leute nicht und einige griechische und türkische Kolleginnen sagten: ‚Ihr hier nix arbeiten, auch nix verstehn – wir alleine kämpfen!’«104 Die BILD-Zeitung erscheint tags darauf mit der Schlagzeile: »Neuss: ›Kommunisten schüren den Streik‹«.105 Vonseiten des Pierburg-Betriebsrats gibt es energischen Widerspruch: Der Streik sei keineswegs von außen hereingetragen worden, sondern eine Reaktion auf jahrelang verschleppte Missstände.106 213
Wendepunkte der Immigrationsgeschichte
Gegen Mittag wird es brütend heiß. »Anwohner brachten Getränke und öffneten ihre Türen, damit die Streikenden die Toiletten benutzen konnten«, erzählt später die Jugendvertreterin Gabi Schemann. »Diese Solidarität ist mir richtig ans Herz gegangen.«107 Die Arbeitsverweigerungen mehren sich, die deutschen Kollegen halten sich allerdings heraus. Das polizeiliche Vorgehen am Vormittag ruft öffentlichen Protest hervor. Der Arbeitskreis ausländischer Arbeiter, Vertreter der evangelischen Kirche und der Jungsozialisten verteilen in Düsseldorf Flugblätter, welche die Polizei kritisieren und über die Streikgründe informieren. Auch die Neusser Ortsverwaltung der IG Metall verurteilt, nach einigem Zögern, den Polizeieinsatz. Am Abend kommen die Gewaltszenen im Fernsehen. Dritter Streiktag Etwa zweihundert Frauen stehen vor dem Werkstor und rufen unentwegt »Alle raus!« und »Mehr Geld!«. Der größte Teil der Belegschaft geht zu seinen Arbeitsplätzen, doch gearbeitet wird nicht. Die Polizei ist mit sechs Mannschaftswagen und Wasserwerfern angerückt, der Betriebsratsvorsitzende und zwei SPD-Landtagsabgeordnete verlangen von der Geschäftsleitung vergeblich eine Erklärung dafür. Diesmal greift die Polizei aber nicht ein – wohl auch angesichts zahlreicher Fernseh- und Pressereporter – und zieht schließlich ab.108 In der Frühstückspause drängen Arbeiterinnen und Arbeiter aus den Werkshallen in den Innenhof. Vorarbeiter spannen eine Kette, um sie zurückzuhalten, doch diese wird von den Vorwärtsdrängenden ausgeklinkt. Einige Arbeiterinnen erreichen das Tor und klettern nach draußen, die große Mehrheit verharrt im Hof.109 In der Mittagspause ist er übervoll. Es ist sehr heiß geworden. Firmenangestellte blockieren die Kantine, so dass keine Getränke mehr geholt werden können, und drehen die Wasserhähne an der Außenmauer ab.110 Eine Arbeiterin berichtet: »Viele meiner Kolleginnen sind heiser und verzweifelt.« Ein türkischer Arbeiter droht, sich zu verbrennen, man umringt ihn und kann ihn beruhigen.111 Die Haltung der deutschen Facharbeiter ist uneinheitlich. »Wir haben zwei Formen festgestellt«, erzählt 1975 ein Betriebsrat, »einmal eine Verhärtung, die sich dadurch ausgedrückt hat, dass diese Vorarbeiter, Meister und Einrichter versucht haben, die Frauen an den Bändern zu halten und die Frauen richtig brutal zur Arbeit anzuhalten – das ging soweit, dass sie ihnen Schläge angedroht oder sie sogar geschlagen haben. Auf der anderen Seite gab es ein solidarisches, passives Verhalten, 214
Die Rebellion der Gastarbeiter
Abb. 23: Streikende Arbeiterinnen bei Pierburg.
das sich darin geäußert hat, daß einige Meister während der ganzen 5 Tage überhaupt nicht zu sehen waren. Und die haben auch dafür gesorgt, dass ihre Einrichter und Vorarbeiter auch verschwunden waren.«112 Nachmittags meldet sich erstmals die IG-Metall-Verwaltungsstelle: Sie dürfe einen spontanen Streik nicht unterstützen, sei aber mit den Forderungen solidarisch. Die Geschäftsleitung lehnt nach wie vor Verhandlungen mit den Streikenden und auch dem Betriebsrat ab. Aber die Streikfront steht. Mehr und mehr deutsche Arbeiter machen mit. Vierter Streiktag »The woman worker needs bread, but she needs roses too«, hieß es in der Rede der New Yorker Gewerkschafterin Rose Schneiderman von 1911, was später zu dem Streiklied «Bread and Roses” führte. Die in Neuss streikenden Frauen meinen, dass das auch die Männer brauchen könnten. Um 6:30 Uhr erscheinen sie mit einem großen Strauß roter Rosen im Werkzeugbau und überreichen ihn den dort arbeitenden deutschen Kollegen: »Wir warten auf euch, um neun Uhr!« Um 7 Uhr werden die Tore geschlossen. Etwa achthundert Streikende stehen davor. Drinnen reden Betriebsräte auf die nach wie vor arbeitenden Deutschen ein.113 Um 9 Uhr öffnet sich die Tür der Werkzeughalle. In Dreierreihen ziehen die Facharbeiter nach draußen, einer hält den Rosenstrauß in die Höhe. Plötzlich ist das Werkstor offen, die streikenden ausländischen Arbeiterinnen laufen den deutschen Arbeitern entgegen. Bravorufe, Händeklatschen, Sprechchöre: »Solidarität! Solidarität!« Frauen und Männer umarmen sich, tanzen miteinander, einige der Ausländerinnen fallen in Ohnmacht.114 Die Facharbeiter der anderen Hallen legen nun die Arbeit nieder. Auf dem Rasen des Werksgeländes beginnt ein Fest. 215
Wendepunkte der Immigrationsgeschichte
Abb. 24: Vor der Kamera jubelnde Arbeiterinnen bei Pierburg.
Es hat etwas von einer Massenhochzeit. Neusser Bürger bringen Pfirsiche, Brötchen, Bier. Ein türkischer Dudelsackpfeifer spielt auf, man tanzt zusammen türkische Tänze, die Arbeiterinnen zeigen den deutschen Arbeitern, wie das geht. »Es wurde viel geflirtet«, so erinnert sich der damalige Betriebsrat Dieter Braeg, »Arm in Arm liefen einige Pärchen rum. Ein paar Kinder spielten Fußball und Fangen auf der Wiese vor dem ›blauen Salon‹ (Pierburgs kostspielig eingerichteter Verhandlungsraum). Mehrere Frauengruppen saßen auf dem Rasen und klatschten. ‚›Streik ist gut, ich habe ein Fräulein kennengelernt‹, schwärmte ein Arbeiter und streichelte zärtlich eine junge Ausländerin und küßte sie mitten auf dem Werksgelände – in der Arbeitszeit. (...) ›Heute ist unser Tag, wir müssen feiern und tanzen‹, jubelt ein Türke ins Megaphon. (...) ›Dies ist der schönste Tag meines Lebens‹, sagt ein älterer deutscher Arbeiter, ›heute halten wir alle zusammen, das habe ich noch nie in meinem Leben erlebt. Pierburg kann uns nicht schaffen!‹«115 Der Erfolg Am Tag nach der Solidarisierung im Werkshof wird zunächst weiter gestreikt. Man wartet auf das Ergebnis der Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung, welche diese drei Tage lang abgelehnt, aber 216
Die Rebellion der Gastarbeiter
tags zuvor kurz nach dem Solidarisierungsmoment zugestanden hat. Um 6:40 Uhr dringt ein Angebot der Unternehmerseite nach draußen: 12 Pfennig mehr pro Stunde ab sofort und zwei weitere Pfennig ab 1. Januar. Der Betriebsrat hat diesen Vorschlag mit einer Stimme Mehrheit akzeptiert. 116 Anders die Streikenden: Auf dem Hof antwortet ein Hohnlachen auf die Durchsage, der nunmehr vereinte ausländisch-deutsche Ausstand geht weiter. Kurz vor 16 Uhr eine neue Nachricht – der Durchbruch: Ein Lohnzuschlag von 53 bis 65 Pfennig pro Stunde und eine Monatszulage für Angestellte; die Leichtlohngruppe 2 wird abgeschafft.117 Für das Tarifgebiet Nordrhein-Westfalen, wo die IG Metall erst im Januar die noch niedrigere Lohngruppe 1 abschaffen konnte, ein absolutes Novum.118 Man feiert, tanzt trotz der Hitze, singt in mehreren Sprachen, ruft immer wieder: »Solidarität«. Am Montag streiken 120 bis 150 ausländische Arbeiterinnen weiter, um Entlassungen von StreikteilnehmerInnen vorzubeugen – 32 waren tatsächlich geplant – und die Bezahlung aller Streiktage zu erreichen. Wieder taucht Polizei auf. Doch die am vierten Streiktag geschmiedete männlich-weibliche und deutsch-ausländische Koalition erweist sich als stabil: In der Mittagspause marschieren die Facharbeiter der Werkzeugabteilung zum Betriebsrat, um die Forderungen der Frauen zu unterstützen. Die Geschäftsleitung gibt nach, sie sieht von Kündigungen ab und bezahlt immerhin vier der fünf durchstreikten Tage.119 Eine Pierburg-Arbeiterin vermerkt bei Streikende in ihrem Tagebuch: »Aber bei mir machte sich kein Gefühl des Sieges breit. Ich dachte nach, jetzt hatten wir Frauen gewonnen, aber irgendwie würden die Gegner versuchen uns den Erfolg wegzunehmen. NICHT OHNE KAMPF!«120 Sie behält mit beidem recht. Pierburg versucht nachzukarten, aber die selbstbewusst gewordene Belegschaft hält dagegen. Im Herbst 1973 verkündet die Geschäftsleitung, man werde etwa hundertvierzig Arbeitsplätze in einen anderen Pierburg-Betrieb verlagern. Die Belegschaft hält dagegen und veranstaltet eine Protestdemonstration durch Neuss. Am Ende verzichtet die Firma auf ihr Vorhaben.121 Im April 1974 kündigt Pierburg vier Betriebsräten wegen Mithilfe bei der Vorbereitung des »wilden Streiks«. Ihre Betriebsratskollegen widersprechen der Maßnahme und die Belegschaft wählt die vier im Mai 1974 wieder. Nun zieht der Unternehmer vors Arbeitsgericht. Der Verhandlungssaal ist jedes Mal von Belegschaftsmitgliedern überfüllt. Schließlich das Urteil: Die außerordentliche Kündigung der Betriebsräte Braeg, Jimenez, Kelidis und Leipziger wird zurückgewiesen.122 217
Wendepunkte der Immigrationsgeschichte
Gastkollegen
Ein Sieg, wie ihn ausländische Arbeiterinnen noch nie erkämpft, und eine krachende Niederlage in dem größten Arbeitskampf, den Ausländer in der Bundesrepublik auf eigene Faust geführt haben. Eine spektakuläre Verbrüderung und eine spektakuläre, in Gewaltakten gipfelnde Spaltung zwischen einheimischer und eingewanderter Arbeiterschaft: Pierburg und Ford sind, wie gesagt, die Extreme, zwischen denen sich die über hundert spontanen Streiks von 1973 bewegen. Im Durchschnitt der Fälle verhalten sich die deutschen Kollegen bei den von ausländischen Arbeitern initiierten Streiks weniger kollegial als passiv oder ablehnend.123 Insbesondere Forderungen nach verringertem Bandtempo oder verlängertem Urlaub, die für die Ausländer essenziell sind, finden bei ihnen zumeist nur halbherzige oder keine Unterstützung.124 Das Maß, in dem immigrierte und einheimische Arbeiter zusammenstehen, ist dabei stark von den gewerkschaftlichen Strukturen und Positionen vor Ort bestimmt: dem betrieblichen Organisationsgrad, der Zusammensetzung und Haltung des Vertrauensleutekörpers und des Betriebsrats, der Ausländerarbeit der gewerkschaftlichen Orts- und Bezirksverwaltung – und natürlich der Beschlusslage und dem Diskussionsstand im DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften generell. Gewerkschaften sind üblicherweise skeptisch, wenn es um den Import von Arbeitskraft geht: Sie fürchten, nicht von ungefähr, Lohndumping und den Missbrauch von Ausländern als Streikbrecher. Auch die im Motto zu diesem Kapitel zitierte Resolution des Internationalen Sozialistenkongresses von 1907, die generelle Beschränkungen der Arbeitereinwanderung verurteilt, kam erst nach heftiger Diskussion und gegen heftige Bedenken nicht zuletzt deutscher Gewerkschaftsvertreter zustande. Der schließliche Beschluss war aber von wünschenswerter Eindeutigkeit (wie viel später für seine Umsetzung getan wurde, ist eine andere Frage): Nicht die Einwanderung, sondern die Ungleichbehandlung der Eingewanderten sei zu bekämpfen – bis hin zur Durchsetzung gleicher »politischer Rechte« der Arbeitsimmigranten. So viel verlangen die westdeutschen Gewerkschaften 50 Jahre später nicht, als die Bundesrepublik Deutschland die ersten Anwerbeabkommen für ausländische Arbeitskräfte plant. Aber sie fordern mit Erfolg, dass die bestehenden Tarifverträge auch für ausländische Arbeitskräfte gelten und diese den Deutschen sozialrechtlich gleichgestellt werden sollen. Und sie sorgen sich, wie die Sozialisten von 1907, um die Wohnstandards: Die deutschen Arbeitergeber 218
Die Rebellion der Gastarbeiter
müssen eine menschenwürdige Unterbringung der ausländischen Arbeiter nachweisen.125 Dass keine Rede von weiter gehenden Bürgerrechten der Migranten ist, hängt natürlich auch damit zusammen, dass für diese gar kein längerer Aufenthalt vorgesehen ist. Ihre Arbeitsverträge, an die das Aufenthaltsrecht gebunden ist, gehen meist nur über ein Jahr. Man betrachtet sie als Konjunkturpuffer, auf den man bei anderer Arbeitsmarktlage wieder verzichten kann, als »Gastarbeiter« eben (ein Begriff, der sich in den 1960er Jahren gegen die auch in den Gewerkschaften benutzte, NS-belastete Bezeichnung »Fremdarbeiter« durchsetzt). Als in der Rezession 1966/67 ausländischen Arbeitern überdurchschnittlich gekündigt wird, erfährt dieses Vorgehen kaum gewerkschaftliche Kritik.126 Und auch um die in Deutschland Beschäftigten kümmert man sich zunächst recht wenig. Man wirbt, schon um keine Konkurrenzverbände aufkommen zu lassen, um ihren Gewerkschaftsbeitritt, man gibt heimatsprachliches, auch türkisches Informationsmaterial für die ausländischen Kollegen heraus, aber diese Angebote sind dünn gesät. Dem ostdeutschen Migrationsforscher Lothar Elsner zufolge bringt der DGB in den 1960er Jahren jährlich etwa eine Million DM für Ausländerarbeit auf, nimmt aber von den nichtdeutschen Mitgliedern etwa 15 Millionen DM an Beiträgen ein.127 Bis 1968 gibt es beim DGB-Bundesvorstand keinen Türkisch sprechenden Dolmetscher.128 Eine intensivere Ausländerarbeit leistet die IG Metall. Die Leitfigur hierbei ist der ehemalige Spanienkämpfer und SPD-Linke Max Diamant, seit 1963 Gastarbeiterreferent beim IG-Metall-Vorstand. Seit 1963 veranstaltet die Metallgewerkschaft zentrale und dezentrale Schulungen für migrantische Kollegen und Vertrauensleute,129 1965 empfiehlt sie in einer Arbeitsanleitung für Betriebsratswahlen, ausländischen Kandidaten aussichtsreiche Listenplätze zu geben.130 Dennoch bleiben Migranten unter den Betriebsräten und Vertrauensleuten auch bei der IG Metall deutlich unterrepräsentiert. 1973 sind fast 13 % ihrer Mitglieder, aber nur 4,7 % der Vertrauensleute Ausländer, bei den Türken beträgt das Verhältnis gar 4 : 1.131 Die Quote migrantischer Betriebsräte liegt 1972 im IG-Metall-Bereich mit 2,2 % nur wenig über dem DGB-Durchschnitt von 1,8 %, bei den türkischen liegt man mit 0,4 % sogar genau in der Mitte.132 Die geringe Zahl ausländischer und insbesondere türkischer Betriebsräte hat teilweise mit der Gesetzeslage zu tun: Ausländer aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft können nur dann gewählt werden, wenn sie mindestens drei Jahre dem Betrieb angehören; Türken, als Nicht-EG-Angehörige, sind vor 1972 überhaupt nicht wähl219
Wendepunkte der Immigrationsgeschichte
bar. Hinzu kommt ein vorurteils- und konkurrenzbedingtes Abwehrverhalten einheimischer Gewerkschafter und Betriebsräte133 – und ein verbreitetes Desinteresse der Migranten selbst, die ja zunächst einen nur kurzen Arbeitsaufenthalt in Deutschland geplant haben.134 Und dann noch das Sprachproblem: Angesichts der Rückkehrabsichten und des Mangels an Lernangeboten bleiben die Deutschkenntnisse der ausländischen Arbeiter meist gering, und es gibt, zumal auf Orts- und Betriebsebene, kaum gewerkschaftliche Dolmetscher und nur wenig fremdsprachige Informationen. Gegen Ende der 1960er Jahre, als immer mehr Gastarbeiter sich in Einwanderer verwandeln, verstärken die Gewerkschaften ihre Ausländerarbeit. Dabei spielt sicher eine Rolle, dass die gewerkschaftliche Linke durch die Studenten- und Jugendrevolte und den Wahlerfolg Willy Brandts gestärkt worden ist. Vorreiter ist bei dieser Korrektur wiederum die IG Metall. 1971 verabschiedet sie einen Appell an den DGB, sich in allen gesellschaftlichen Bereichen gegen die Diskriminierung ausländischer Arbeiter einzusetzen und deren Integration zu fördern. Der Bundeskongress des DGB nimmt im selben Jahr die »Förderung der sozialen Integration der ausländischen Arbeiter« in seine Satzung auf. 1972 verabschiedet der DGB-Kongress den von der IG Metall eingebrachten Antrag, dass ausländische Kollegen bei Betriebsratswahlen gleichgestellt werden sollen.135 In der gewerkschaftlichen Praxis vor Ort haben die Appelle für eine bessere Ausländerintegration zum Zeitpunkt der wilden Streiks noch wenig Wirkung erzielt. Das gilt auch für den Bereich der IG Metall. Der Belegschaftsanteil der Ausländer liegt hier 1972 bei einem Siebtel, ihre Betriebsrätequote aber bei wenig mehr als einem Fünfzigstel. Etwas besser sieht es bei den Vertrauensleuten aus, deren Ausländerquote von 1967 bis 1973 von 0,7 % auf 4,7 % ansteigt.136 Die Durchschnittswerte verdecken dabei jedoch große Unterschiede zwischen Groß- und Kleinbetrieben sowie innerhalb der Großbetriebe selbst, und schon gar nichts sagen sie über die große Bandbreite von kollegialen bis frostigen Alltagsbeziehungen zwischen deutschen und ausländischen Arbeitskräften aus. Ein schlagendes Beispiel für diese Bandbreite sind die Verhältnisse bei Ford-Köln und Pierburg-Neuss. Startvorteil Pierburg
Bei Ford sind um die 90 % der ausländischen Arbeiter IG Metall-Mitglieder, doch in die Gewerkschaftsarbeit sind sie kaum integriert. Sie stellen zwar 500 220
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Vertrauensleute, aber von den 25 von der Arbeit freigestellten nur drei. Unter den 36 Betriebsräten sind nur fünf Türken, und vier davon sind Betriebsdolmetscher, die sich – so der SPIEGEL – oft »als verlängerter Arm der Meister aufführten und vielfach ihre Kollegen schurigelten«.137 Yilmaz Karahasan, Ausländerreferent beim IG-Metall-Vorstand und früher selbst Fordarbeiter, nennt 1973 die Übersetzer »die bestgehaßten Leute unter den Türken«.138 Der fünfte türkische Betriebsrat, Mehmet Özbagci, hat nicht auf der Gewerkschaftsliste kandidiert – wobei eine Rolle gespielt haben dürfte, dass Türken auf diesen Listen oft weit hinten platziert werden. Er erhält, Beweis einer großen türkischen Unzufriedenheit mit der Gewerkschaft, 5667 Stimmen; die gesamte IG-Metall-Liste bringt es auf 9980 Voten.139 Özbagcis Wählerschaft hätte für mindestens zehn Betriebsratssitze gereicht – aber er war nun einmal der Einzige auf der Liste.140 Eine Freistellung wird ihm von seinen Betriebsratskollegen verweigert: Er wisse zu wenig über Arbeitsrecht und spreche zu schlecht Deutsch.141 Özbagcis Wähler sind verärgert. Sie sammeln Unterschriften für seine Freistellung, was aber nichts hilft, und dann Geld, damit er Arbeit und Betriebsratsaufgaben besser vereinbaren kann.142 Die deutschen Kollegen, so ist nicht nur der Eindruck der Türken, kümmern sich wenig um deren Belange: »Mit den Problemen der türkischen Arbeiter«, so urteilt auch eine Ford-Studie von Delp, Schmidt und Wohlfahrt, »haben sich Betriebsrat und Vertrauensleutekörper nie ernsthaft beschäftigt.«143 Das bringt viele Türken dazu, auf linksradikale Gruppen zu setzen, die seit Ende der 1960er Jahre bei Ford aktiv sind. So erhalten die als Marxisten-Leninisten firmierenden Kandidaten der Liste »Automobilarbeiter« 1972 immerhin 1718 Stimmen.144 Zusammengefasst: Das Verhältnis von Gewerkschaft und türkischer Belegschaft bei Ford ist angespannt. Auch bei Pierburg kümmern sich die Gewerkschafter lange Zeit nicht sonderlich um die Situation der griechischen, türkischen, spanischen Arbeiterinnen. Ein Streik, den sie 1970 wegen niedriger Bezahlung, schlechten Arbeitsplätzen und schlechter Behandlung durch Vorgesetzte beginnen, sieht den Betriebsrat weitgehend untätig.145 Die Belegschaft reagiert: 1972 werden von den 23 bisherigen Betriebsräten nur sechs wiedergewählt. Als man keinen von ihnen freistellt, treten diese zurück. Dem neuen Pierburg-Betriebsrat gehören 17 deutsche, fünf ausländische Arbeiter und zwei ausländische Arbeiterinnen an.146 Zum Programm der auch im IG-Metall-Spektrum eher links einzuordnenden Arbeitervertretung gehört konsequente Vielsprachigkeit. Sie 221
Wendepunkte der Immigrationsgeschichte
ist möglich, weil dem Betriebsrat nun Kollegen aus allen größeren Belegschaftsnationen angehören. Die Informationsblätter, die er regelmäßig herausbringt, sind jetzt mehrsprachig, und neu ankommende Beschäftigte werden in ihrer Sprache angesprochen und gebrieft. »Wir haben«, sagt ein 1975 interviewter Betriebsrat, »wenn die Leute eingestellt worden sind, uns mit ihnen unterhalten, so eineinhalb bis zwei Stunden lang, ihnen erzählt, was sie hier machen müssen, wer wir hier sind etc. Das haben wir in allen Sprachen erzählt, was die Personalabteilungen und die Geschäftsleitung ja nie konnten. Wir waren also in dieser Beziehung überlegen, d. h. wir konnten sie in Spanisch, Portugiesisch, Türkisch und Italienisch, also in jeder Sprache, durch einen Kollegen begrüßen (...).«147 Das Programm betrieblicher Integration und Gleichstellung der bisherigen »Gastarbeiter«, zu dem sich die im DGB vereinten Gewerkschaften allmählich durchgerungen haben, wird bei Pierburg umgesetzt. Die vergebene Chance
Die Ausgangslagen in Neuss und Köln sind also recht unterschiedlich. Aber bei Streikbeginn ist noch nicht entschieden, dass die transnationale Koalition hier glücken, dort missglücken wird. Die Beschlüsse, die in den Streiktagen gefällt werden, sowie Geschehnisse, die nicht vorhersagbar waren, geben den Auseinandersetzungen hier den Schub ins Happy End, dort ins Desaster. »Am Freitag war noch alles drin«, schreibt die »Betriebszelle Ford« in ihrem Streikbericht.148 Den Umzügen durch die Hallen, in denen noch gearbeitet wurde, schließen sich auch viele Deutsche an.149 Sie sind ebenfalls damit unzufrieden, dass die eine Woche zuvor auf einer Betriebsversammlung erhobene Forderung »60 Pfennig mehr für alle« vom Betriebsrat nicht aufgegriffen worden ist.150 Hätte man sofort ein Streikkomitee gewählt, so lässt sich spekulieren, wären wohl etliche deutsche Vertrauensleute und Gewerkschafter darunter gewesen. Bei dem großen Streikzug am Montagmorgen sind ebenfalls noch zahlreiche deutsche Arbeiter dabei. Dann kommt die Streikversammlung, die am Betriebsrat vorbei eine von Maoisten geführte Streikleitung wählt. »Schon hier«, urteilt das Redaktionskollektiv »express« über die Montagsversammlung, »hat das massive und anmaßende Auftreten von ›KPD-Funktionären‹ bei den deutschen Kollegen Misstrauen hervorgerufen und viele abgeschreckt. Ein am Streik beteiligter deutscher Arbeiter meint später: ›Durch Aussagen wie ‚die KPD hat schon alles für 222
Die Rebellion der Gastarbeiter
Euch organisiert’, mußten sich die Deutschen manipuliert und verwaltet vorkommen.‹«151 Bei dieser Einschätzung mag innerlinke Konkurrenz mitspielen, doch auch andere Beobachter sprechen davon, dass die Streikführer keinen Draht zu den deutschen Arbeitern fanden. Was der Streikleitung gelingt, ist eine ungewohnte innertürkische Koalition: »Unter uns gibt es Moslems, Christen, Sozialisten, Faschisten, Demokraten und Kommunisten«, sagt Targün zu einem Reporter,152 und man kann ergänzen: Türken und Kurden, Sunniten und Aleviten.153 Bezeichnend, dass während der Streiktage immer wieder die türkische Nationalhymne gesungen wird. Offenbar erzeugt diese zuvor nie erlebte Einigkeit und Entschlossenheit von Tausenden ein übersteigertes Kraftgefühl: Man meint, auf Unterstützung durch die Deutschen nicht unbedingt angewiesen zu sein, und man lässt die deutschen Vertrauensleute und vor allem den Betriebsrat sozusagen rechts liegen.154 Als Geschäftsleitung und Betriebsrat, auch sie von den mobilisierten Massen beeindruckt, über ihren Schatten springen und gemeinsame Verhandlungen mit dem Streikkomitee anbieten, lehnt dieses eine Einbeziehung des in ihren Augen korrupten Betriebsrats ab.155 Begleitet wird die Entscheidung von einer Grundsatzpolemik gegen die Gewerkschaften, die auch der Gruppe »Arbeiterkampf« »maßlos« erscheint.156 Die deutschen Arbeiter, die sich sowieso nur mit einem Teil der Streikforderungen identifizieren können – was soll ihnen ein geringeres Bandtempo und ein längerer Türkeiurlaub bringen? – reagieren darauf allermeist mit Unverständnis. Das hat auch damit zu tun, dass die antigewerkschaftliche Militanz der Streikenden physische Gestalt annimmt. Der Versuch türkischer Arbeiter, Betriebsräte »symbolisch« gefangen zu nehmen, der in massiven Schlägereien mündet, lässt auch bis dahin unentschlossene deutsche Kollegen zu Streikgegnern werden.157 Schon zuvor haben sich türkische Arbeiter auf Prügeleien mit arbeitswilligen Deutschen eingelassen: Die BILD schreibt von türkischen »Terroristen«158, und auch andere Zeitungen machen Stimmung gegen die angeblich durchgedrehten Ausländer. Am Abend des 28. August wendet sich auch Bundeskanzler Willy Brandt, ein ungewöhnlicher Vorgang, in einer Fernsehansprache gegen die Arbeitsniederlegungen in Nordrhein-Westfalen, wobei natürlich der große Fordstreik den Anlass bildet. Die sozialliberale Regierung fürchtet eine Ergänzung der außerparlamentarischen durch eine außergewerkschaftliche Opposition und um den Erfolg ihrer Stabilitätspolitik: Deutlich höhere Löhne könnten wiederum die Preise treiben.159 Brandt 223
Wendepunkte der Immigrationsgeschichte
mahnt, die »erprobten Spielregeln« einzuhalten und »in die Arme der Gewerkschaft zurückzukehren«.160 Der Ton ist väterlich, aber die Fronten sind nun klar: Hier steht Deutschland, dort stehen die türkischen Chaoten. Die genutzte Chance
Bei Pierburg wie bei Ford ist der Streik also mehr oder minder Ausländer- und Ausländerinnensache. Und hier wie dort erklärt der Betriebsrat den Ausstand für illegal. Doch während sich bei Ford diese Spaltungen von Tag zu Tag vertiefen, bleiben sie bei Pierburg begrenzt. Parolen wie »Die Gewerkschaft ist käuflich« hört man in Neuss nicht – antigewerkschaftliche Gruppen haben hier, anders als in Köln, keinen nennenswerten Einfluss. Umgekehrt halten die Vertrauensleute und der – wie erwähnt: hälftig mit Migranten besetzte – Betriebsrat mit den Streikenden Kontakt. Noch mehr: Der Betriebsrat praktiziert »verdeckte Solidarisierung«.161 Er ruft zwar, unter dem Druck der IG-Metall-Ortsverwaltung, pflichtschuldig zur Wiederaufnahme der Arbeit auf,162 aber gleichzeitig helfen Betriebsratsmitglieder beim Verfassen und Übersetzen von Streikflugblättern mit.163 Bei Ford hat es das Streikkomitee abgelehnt, den Betriebsrat in Gespräche mit der Geschäftsleitung einzubeziehen, bei Pierburg verweigert die Geschäftsleitung tagelang Verhandlungen mit ihm. Das sehen auch die deutschen Facharbeiter je länger, je mehr als Affront an.164 Zumal viele von ihnen selbst mit der kürzlich ausgehandelten Lohnerhöhung unzufrieden sind und die Rufe »Eine Mark mehr!« durchaus nicht abwegig finden.165 Dieter Braeg rekonstruiert ein abendliches Kneipengespräch unter deutschen Arbeitern: »›So geht das nicht mehr weiter. Wir müssen auch etwas tun, Freunde. (...) Außerdem kämpfen die auch für uns. So toll sind unsere Löhne ja nicht! Dann die Polizei, prügelt wehrlose Mädchen.‹ (...) Einer hat die Idee: ‚Mein Bruder ist Gärtner, wir sammeln jetzt Geld, fahren zu ihm hin und kaufen alle roten Rosen, die er hat. Morgen vor dem Tor kriegt jeder eine rote Rose mit zwei Worten: ›Übt Solidarität!‹«166 Das Vorgehen der Polizei gegen »wehrlose Mädchen«: Andere Zeitzeugen meinen ebenfalls, dass dies der Anfang vom Ende der Belegschaftsspaltung gewesen sei. Es war bei »wilden Streiks« völlig üblich, dass Geschäftsleitungen die Polizei riefen, dass diese mit großem Aufgebot anrückte und sich gegebenenfalls brachial in den Arbeitskampf einmischte. Bei Ford, zwei Wochen später, erscheint vielen das aggressive Vorgehen von Werkschutz 224
Die Rebellion der Gastarbeiter
und Meistern gegen eine zahlenmäßige Übermacht türkischer Männer als berechtigte Notwehr. Aber Frauen zu misshandeln, die weder radikale Parolen noch gar zur Gewalt aufriefen, ist etwas anderes. Und vollends, als das Fernsehen Bilder davon zeigt, als sich außerhalb des Betriebs immer mehr Protest gegen diese Übergriffe entwickelt, wird es den Facharbeitern offenbar peinlich, sich herauszuhalten. Der Patriarchalismus, der sich oft genug in einem abschätzigen, ja rüden Umgang mit den angelernten ausländischen Arbeiterinnen gezeigt hat, verwandelt sich nun, wie ein Betriebsratsmitglied später sagt, in »männlichen Beschützerinstinkt«.167 Der Augenblick des Zusammenfindens ist dann wunderbar zweideutig: Der stramme Auftritt der Vorarbeiter, die in Dreierreihen auf den Hof marschieren, hat etwas Machohaftes, er sagt: Ohne uns Männer seid ihr offenbar zu schwach. Aber zugleich ist der Auftritt unleugbar ein Beitritt zu einer Sache, welche die Frauen initiiert haben. Er ist auch eine Unterwerfung unter deren Willen. In der Summe ergibt das einen Moment des sozialen Gleichgewichts: von Männern und Frauen, Deutschen und Ausländern. Plötzlich wird es langsam besser »Erstmals unübersehbar«
In der deutschen Öffentlichkeit fördern die »wilden Streiks« von Frühjahr und Sommer 1973, vor allem der kämpferische Fordstreik, die Ängste vor den »wilden Gastarbeitern«. Wieder einmal hat die Forderung nach einer Verminderung ausländischer Arbeitskräfte Konjunktur. Dass die Regierung Brandt im Dezember 1973 einen – von den Gewerkschaften mitgetragenen – Anwerbestopp für Gastarbeiter beschließt (der übrigens noch heute gilt), ist freilich nicht solchen Ängsten geschuldet: Diese Maßnahme reagiert auf die ölkrisebedingte Zunahme der Arbeitslosigkeit. Bei den ausländischen ArbeiterInnen, welche die Streiks hauptsächlich getragen haben, und bei den Gewerkschaften, die von ihnen mehr oder weniger überrascht wurden, hat der »Aufstand der Konjunktur-Kulis«168 eine produktive Wirkung. Er verstärkt beiderseits die Bemühungen um die innergewerkschaftliche, damit auch die innerbetriebliche und letztlich die gesamtgesellschaftliche Integration der Zuwanderer. Wenngleich ihr Ausgang nur teilweise erfolgreich und teilweise sogar niederschmetternd gewesen ist, führen die Streikerfahrungen 225
Wendepunkte der Immigrationsgeschichte
der ausländischen Arbeitskräfte weniger zu Resignation als zu einer selbstbewussteren Vertretung der eigenen Interessen – nun aber zunehmend innerhalb der Gewerkschaften. Waren dort 1974 25 % der Ausländer Mitglied, so sind es 1978 31 %; bei den Türken steigt die Quote in dieser Zeit sogar von 31 % auf 48 %.169 Größere autonome Streiks von Migranten gibt es von nun an nicht mehr.170 Auf der anderen Seite bewegen sich die Gewerkschaften. 1973, so der Soziologe Peter Kühne, »traten die ausländischen Kolleginnen und Kollegen erstmals als Streikende unübersehbar hervor. Dies verfehlte seinen Eindruck auf eine große – zunächst – gewerkschaftliche Öffentlichkeit nicht.«171 Vor allem in der IG Metall, dann aber auch im DGB insgesamt begreift man, dass die Anliegen der ausländischen KollegInnen mehr als bisher unterstützt werden müssen – unter anderem deshalb, weil man die Entstehung von Konkurrenzorganisationen fürchtet. So ist es nicht zuletzt den »wilden Streiks« von 1973 zu danken, dass sich die Gewerkschaften mehr als bisher um eine Verringerung der physischen und psychischen Belastungen der immer schneller gewordenen Fließbandarbeit kümmern. Auf einer im Mai 1974 veranstalteten Bundeskonferenz des DGB zur »Humanisierung des Arbeitslebens« sagt der DGB-Chef Heinz Oskar Vetter, viele Arbeiter litten inzwischen unter einem »übersteigerten Arbeitstempo«: »In manchen Bereichen ist der Bogen bereits so gespannt, dass ein Funke genügt, um eine Explosion auszulösen. Ich darf vereinzelte Streiks im vergangenen Sommer als warnendes Signal in Erinnerung rufen. Dort ging es eben nicht allein um Lohn, sondern auch um die Arbeitsbedingungen.«172 Vor allem aber ist es den 1973er-Streiks zuzuschreiben, dass sich die Bemühungen um die organisatorische Integration sowie um die Gleichstellung der Migranten in die Gewerkschaftsarbeit verstärken.173 In der IG Metall rufen unter anderen der Ausländerreferent Max Diamant und der Kölner Ortsbevollmächtigte Günter Tolusch zu einer Verbesserung der Ausländerarbeit auf174 – nicht umsonst: Der IG-Metall-Vorstand empfiehlt seinen lokalen Verwaltungsstellen, künftig eigene Arbeitskreise für ausländische Arbeitnehmer einzurichten. Der DGB-Bundesvorstand wertet im Dezember 1973 sein Referat »Ausländische Arbeitnehmer« auf, indem er es in eine eigene Abteilung umwandelt.175 Und man verstärkt die Appelle, mehr ausländische Gewerkschafter in die Vertrauenskörperleitungen und die Betriebsräte zu bringen. Damit geht es dann, besonders was türkische KollegInnen angeht, zwar sehr langsam, aber immerhin voran. Bei der IG Metall 226
Die Rebellion der Gastarbeiter
sind 1972 0,2 % der Betriebsräte Türken, 1975 1 % und 1978 1,3 % – bei einem Mitgliederanteil von etwa 5 %.176 Weit höher als im Durchschnitt sind die Anteile freilich in den Großbetrieben. Aber auch hier gibt es bei deutschen Betriebsräten und Vertrauensleuten Wurstigkeit oder Widerstände gegenüber der Einbeziehung ausländischer Kollegen, die oft weniger als Unterstützung denn als Konkurrenz betrachtet wird. So zum Beispiel bei den Fordwerken in Köln, wo sich die deutschen Gewerkschaftsvertreter noch eine ganze Zeit lang gegen die Mitbestimmungswünsche der türkischen Kolleginnen und Kollegen sperren – allerdings mit zunehmenden Unkosten, die auch hier letztlich einen Kurswechsel einleiten. Fordschritte
Bis zu sechshundert Türken haben, wie berichtet, Ford-Köln nach der Streikniederlage «freiwillig« verlassen, doch die dort weiter beschäftigten geben nicht klein bei. Gleich nach dem Streik fordern einige Hundert von ihnen auf einer Betriebsversammlung den Rücktritt des Betriebsratsvorsitzenden Lück, der ja die gewaltsame Niederschlagung des Streiks angeführt hatte. Lück gibt Fehler zu, eine Abstimmung wird umgangen, die alte Crew bleibt im Amt.177 Bei den nächsten Betriebsratswahlen im April 1975 kandidieren neben der IG-Metall-Liste auch mehrere oppositionelle Gruppen, darunter eine Liste »Türkische Arbeiter«. Sie kritisiert das Fließbandtempo und fordert mehr Kommunikation zwischen deutsch und ausländisch dominierten Abteilungen sowie zwischen Belegschaft und Betriebsrat.178 Die IG-Metaller bei Ford suchen mit Schläue dagegenzuhalten: Neben einer deutschen ›Einheitsliste‹ präsentiert sie fünf ›Türkenlisten‹ – zum einen, um Stimmen von ausländischen Kollegen zu bekommen, welche die harten Streikgegner von 1973 nicht wiederwählen wollen, zum andern, um die türkischen Voten zu splitten, so dass sie im Betriebsrat keinen Block bilden können.179 Dennoch erhalten die nicht-gewerkschaftlichen Listen – die im Übrigen sehr unterschiedliche Positionen vertreten180 – in der Wählergruppe der Arbeiter 18 Sitze, worunter zwei der Türkischen Liste zufallen,181 die IG-Metall-Listen dagegen nur 13 Sitze, wobei einer an einen türkischen Kollegen geht.182 Insgesamt fällt die IG Metall auf ein knappes Drittel der Belegschaftsstimmen zurück – das hat es noch nie gegeben.183 Sie lernt daraus. »In der nachfolgenden Periode bis 1978«, schreibt Hans-Günter Kleff, »wurde die Konfrontation zwischen den Betriebsräten 227
Wendepunkte der Immigrationsgeschichte
der offiziellen IG Metall-Liste und denen der oppositionellen Listen zum großen Teil abgebaut.«184 1978 ist fast jeder zweite Betriebsrat Ausländer, bei der Belegschaft ist es nur ein gutes Drittel.185 Auch die Repräsentanz der Türken macht Fortschritte, doch sind sie noch immer unterdurchschnittlich vertreten: Sie stellen demnach 42 % der Fordarbeiter, aber nur neun der 47 Betriebsräte – von einer oppositionellen Liste sind es zwei, von der IG-Metall-Liste sieben, von denen aber nur einer freigestellt wird.186 Im selben Jahr wird zum ersten Mal ein Türke, Salih Güldiken, über die IG-Metall-Liste zu einem der zehn Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat der Fordwerke gewählt.187 Von unten nach vorn
In einigen der Betriebe, in denen 1973 erfolglos gestreikt wurde, sind ausländische Arbeitskräfte zu Hunderten enttäuscht aus der Gewerkschaft ausgetreten. Doch langfristig ist es umgekehrt: Die Mitgliedschaftsquote der Türken im DGB steigt 1974 bis 1985 von 34 % auf 50,1 %,188 die türkischen Metallarbeiter sind 1984 zu 67,7% organisiert (die deutschen bringen es auf 67,3 %).189 Und diese vielen migrantischen Gewerkschaftsmitglieder sind keine Karteileichen, wie sich besonders deutlich bei den großen Streiks zwischen Ende der 1970er und Mitte der 1980er Jahre zeigt. Die ausländischen Kolleginnen und Kollegen betreiben dabei »Integration von unten«: Sie beteiligen sich in größerer Zahl und aktiver als die Deutschen und zeigen damit, dass nicht nur sie auf die Gewerkschaften, sondern diese auch auf sie angewiesen sind. Das gilt für den Streik baden-württembergischer und hessischer Metallarbeiter im März und April 1978, der zeitweise 80.000 Streikende zählt, ebenso wie für den sechswöchigen Arbeitskampf, den Stahlarbeiter vor allem in Nordrhein-Westfalen für einen Einstieg in die 35-Stunden-Woche, mehr Lohn und mehr Urlaub führen, und einen siebenwöchigen Streik für die 35-Stunden-Woche, auf dessen Höhepunkt im Frühjahr 1984 57.500 streiken und 390.000 ausgesperrt werden. Über diesen letzteren, den bis dahin ausgedehntesten bundesdeutschen Tarifkampf schreibt der SPIEGEL: »Wo immer in den letzten sechs Wochen in den Streikländern Baden-Württemberg und Hessen die Posten vor den Werkstoren aufzogen, wo immer die Arbeiter zu den Gewerkschaftskundgebungen marschierten, da sah man die südländischen Kollegen mit den mächtigen schwarzen Schnurrbärten an vorderster Front. ›Die ausländischen Arbeit228
Die Rebellion der Gastarbeiter
nehmer begreifen viel besser, was auf sie zukommt, und sind viel engagierter als deutsche Kollegen‹, sagt Ghaouti Mimoune, Leiter eines Arbeitskreises der IG Metall für ausländische Arbeitnehmer in Bruchsal.«190 Erhebungen bestätigen diesen Eindruck: Bei den Warnstreiks im März und April 1984, an denen sich 367.000 Metaller beteiligen, sind AusländerInnen mit 68 % am stärksten vertreten; bei den Facharbeitern – allermeist Deutsche – sind es nur 55 %.191 Yilmaz Karahasan, damals Sekretär in der Vorstandsverwaltung der IG Metall, listet 1988 folgende »mögliche Gründe der Kampfbereitschaft und Kampffähigkeit der ausländischen Kolleginnen und Kollegen« auf: * »Die ›Gewerkschaft‹ ist für sie in einem mehr oder weniger ›feindlich‹ eingestellten Umfeld die einzige Stütze, an die sie sich wenden, ja klammern können. * Sie sind kampffreudiger. Soweit vorhanden, bringen sie hier andere Erfahrungen mit. Kampf ist keine traurige Angelegenheit, sondern ein freudiges Ereignis. Deshalb muß auch die Freude des Kampfes zum Ausdruck gebracht werden. * Sie sind kampfbereiter, weil sie die Unterdrückung, Ausbeutung und die Diskriminierung in den Betrieben und außerhalb der Betriebe konkreter und stärker erleben und empfinden als ihre einheimischen Kolleginnen und Kollegen. * Sie sind kampffähiger, weil sie zu ›ihren‹ Arbeitgebern ein anderes Verhältnis bzw. kaum eine Beziehung haben. Die Identifikation mit dem Betrieb bzw. mit dem ›Chef‹ ist nicht oder kaum vorhanden. Zusammenfassend kann man sagen, daß der Kampf den ausländischen Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit gibt, sich zu beweisen, ihre Anerkennung zu erreichen und gleichzeitig ihre Selbstachtung zu festigen.« »Verbrüderungsstimmung«
Die hohe Präsenz der AusländerInnen an den Werkstoren, bei Kundgebungen, bei Streikfesten, bei Demonstrationen, wo oft auch Familienangehörige von ihnen mitlaufen, führt zu intensiveren Kontakten zu den deutschen KollegInnen, als sie im Betriebsalltag üblich sind, wo man in den Pausen oft nach Nationen getrennt sitzt. Vor allem sind es Kontakte, in denen anders als 229
Wendepunkte der Immigrationsgeschichte
am Arbeitsplatz für ein selbstgestecktes gemeinsames Ziel kooperiert wird. Vom baden-württembergischen Metallerstreik 1978 berichtet die »Frank furter Rundschau«, dass »vor den Werkstoren (...) teilweise innige Verbrüderungsstimmung zwischen Ausländern, deutschen Arbeitern und Angestellten herrscht«.192 Yilmaz Karahasan wagt anlässlich des Streiks von 1984 noch eine emphatischere Formulierung: »Die Verbrüderung verschiedener Nationalitäten und Kulturkreise an den Werkstoren, bei den Solidaritätsveranstaltungen und Straßenfesten wurde möglich. Ein Stück proletarischer Internationalismus wurde praktiziert.«193 Beim Fordstreik 1973 war nicht nur in der BILD-Zeitung, sondern auch bei deutschen Arbeitern von wilden oder wild gewordenen Türken die Rede. Beim gemeinsamen Streik wird die Militanz ausländischer Streikteilnehmer, seien es lautstarke Demonstrantengruppen oder entschlossen auftretende Streikposten, von den deutschen Kollegen als Positivum registriert: »Es waren die Gastarbeiter, die sich (...) als die streikwilligste und radikalste Gruppe benommen hat«.194 Und noch andere Seiten des sogenannten »südländischen Temperaments« tun der Streikkultur gut. Stolz berichtet ein Reporter von »Hürriyet« 1979 aus Bremen: »Unsere Arbeiter, die am zweiten Streiktag vor Klöckner mit Trommeln und Zurna [ Oboenart, B. J. W.] zum Hora [Ringtanz, B. J. W.] aufspielten, haben die gespannte Atmosphäre vertrieben, die mit dem erstmaligen Streik in der Bremer Stahlindustrie aufkam. Die deutschen Arbeiter, denen ein Streik mit Trommeln und Zurna ungewohnt war, standen verwirrt, aber auch bewundernd dabei. Die türkischen Arbeiter jedenfalls wissen sehr genau, weshalb sie diese fröhliche Stimmung verbreiten.«195 Die »Frankfurter Rundschau« schildert eine Szene vor den Mannesmann-Hüttenwerken in Duisburg: »Viele Türken haben sich eingefunden, singen und tanzen im Kreis zur Musik einer Gruppe aus ihrer Heimat. (...) Deutsche machen mit.«196 Türkische Folklore, die beim Fordstreik noch ausgrenzende Effekte hat, wird beim Stahlstreik in Nordrhein-Westfalen ein Teil der deutschen Gewerkschaftskultur. Zu den zahlreichen Kulturveranstaltungen, mit denen der Streik unterstützt wird – Wolf Biermann singt, die Folk- und Rockband »Schmetterlinge« schreibt eigens ein Streiklied –, gehören auch bejubelte türkische Abende mit Hunderten von Besuchern.197 Nicht anders beim Metallstreik 1984, wo auch – wie Karahasan berichtet – die bisher reservierte Haltung der Gewerkschaften gegenüber den ausländischen Arbeitervereinen, zumindest den demokratischen, gelockert wird: »Die Führungen und die Mitglieder dieser Vereine standen 230
Die Rebellion der Gastarbeiter
mit ihren Familienangehörigen als Streik- und Ausgesperrtenposten an den Toren. Sie sorgten für das leibliche Wohl mit heißen und kalten Getränken, mit ihren Spezialitäten. Mit ihren Arbeiterchören, Theater- und Folkloregruppen trugen sie dazu bei, die Kampfmoral zu stärken.«198 Nur mit Druck
»Die Streikbereitschaft der ausländischen Arbeiter verbesserte das soziale Klima zwischen den in- und ausländischen Arbeitern«, schreiben Hasan Kamalak und Ufuk Altun über 1984.199 Spürbar ist das vor allem in der Gewerkschaft, wo die migrantischen KollegInnen von deutscher Seite viel Lob zu hören bekommen. Was viele von ihnen aber nicht zufriedenstellt. Sie wollen mehr als ein Schulterklopfen, sie drängen darauf, dass mehr für ihre Gleichstellung in den Betrieben und in den Gewerkschaften selbst getan wird. Sie klagen darüber, dass sie bei den Streiks »an die Front geschickt« wurden, aber keine verantwortlichen Positionen übernehmen durften; dass sie zum Beispiel, da nur selten in die Ortsverwaltungen gewählt, auch an den örtlichen Streikleitungen so gut wie nicht vertreten gewesen und bei größeren Kundgebungen nur ganz selten als Redner eingesetzt worden seien.200 Auf deutscher Seite wird auf solche Mahnungen reagiert – vor allem wiederum bei der IG Metall, in der damals etwa die Hälfte der ausländischen GewerkschafterInnen organisiert ist. 1986 veranstaltet die IG Metall ihre erste bundesweite Ausländerkonferenz. IG-Metall-Vorstandsmitglied Willi Sturm erklärt dazu: »Die Solidarität, die in zahlreichen Arbeitskämpfen durch die ausländischen Kolleginnen und Kollegen erbracht wurde (...), ist Verpflichtung unsererseits den ausländischen Arbeitnehmern gegenüber. Wir stehen im Wort.«201 1987 finden solche Ausländertagungen in allen IG-Metall-Bezirken statt.202 Die Substruktur dieser Treffen sind lokale »Ausländerausschüsse«, welche die Gewerkschaft seit 1983 erlaubt: Ende 1987 gibt es bereits 94 davon.203 Auf diesen Konferenzen und in diesen Ausschüssen artikulieren sich all die noch unerfüllten Gleichstellungsforderungen. Immer wieder angesprochen werden betriebliche Diskriminierungen bei Einstellung, Weiterbildung und Beförderung, wobei häufig deren Duldung durch deutsche Betriebsräte kritisiert wird. Erhebungen der Friedrich-Ebert-Stiftung bestätigen den Eindruck einer breiten Unzufriedenheit: 1980 und 1985 bezeichnet unverändert nur ein Drittel der MigrantInnen die Arbeit der Betriebsräte als »aus231
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reichend«; besonders klagen die türkischen und die griechischen Befragten und generell die Frauen, dass diese die Probleme der AusländerInnen nicht kennen oder nicht berücksichtigen würden.204 Damit verbindet sich immer wieder die Forderung, die Gewerkschaften müssten bei Betriebsrats- und Vertrauensleutewahlen ausländische KandidatInnen mehr als bisher unterstützen.205 Ein Dauerthema in den Ausländergremien sind auch zunehmend aggressive Formen von Fremdenfeindlichkeit und die Erfolge rechtsradikaler Parteien wie der 1983 gegründeten »Republikaner«. Begrüßt wird hierbei der 1986 auf Betreiben der DGB-Jugend und des DGB-Vorstands gegründete Verein »Mach meinen Kumpel nicht an«, ein Import der französischen Initiative »Touche pas à mon pote«, doch zugleich werden auch die eigenen KollegInnen ermahnt: »Internationale Solidarität ist auch der tägliche Umgang miteinander, die Freundschaft im Betrieb und in der Nachbarschaft«.206 Ausgehend von Beschlüssen der 1. Ausländerkonferenz 1986 veranstaltet die IG Metall 1987 zusammen mit kirchlichen Organisationen eine ausgefächerte Schwerpunktaktion »Wahlrecht ist Menschenrecht«, bei der sich deutsche Kollegen allerdings nicht in der erhofften Zahl beteiligen.207 Geworben wird dabei für das kommunale Wahlrecht von EU- und Nicht-EU-Ausländern, die schon länger in Deutschland leben. Bei der IG Metall ist diese Forderung schon seit 1980 – damals gegen erheblichen Widerstand der Gewerkschaftsführung – Beschlusslage; der DGB-Bundeskongress zieht, nach jahrelang vergeblichem Drängen vor allem ausländischer KollegInnen, 1986 nach.208 Das bleibt zwar hinter Postulaten zurück, wie sie die Grünen im Grundsatzprogramm haben – Kommunalwahlrecht für Immigranten gleich nach der Einwanderung, Landes- und Bundestagswahlrecht nach fünf Jahren –, doch der DGB geht damit der SPD voran, wo in den 1980er Jahren nur der nordrhein-westfälische Landesverband diese Position teilt. Die Gewerkschaften sind, von ihren migrantischen Mitgliedern angetrieben, zur stärksten Lobby für deren Bürgerrechte geworden.
Der 8. Mai der ausländischen Arbeitnehmer
Am 8. Mai 1989 ziehen um die 15.000 vornehmlich ausländische GewerkschafterInnen durch Frankfurt: Sie demonstrieren zum Auftakt der 2. Ausländerkonferenz der IG Metall für Gleichstellung, für die überfällige Umwandlung der Gastarbeiter in Mitbürger. Eine der Rednerinnen auf der 232
Die Rebellion der Gastarbeiter
Abb. 25: Demonstration aus Anlass der Ausländerkonferenz der IG Metall in Frankfurt am Main im Mai 1989.
abschließenden Kundgebung am Römer ist die Türkin Mine Moray, 1971 eingewandert und bei einer Elektronikfirma in Schwenningen als Dolmetscherin angestellt, dort seit 1972 Betriebsrätin und inzwischen zweite Betriebsratsvorsitzende. Moray bilanziert das Soll und Haben ihrer Einwanderergeneration: »Ich bin eine Türkin und gehöre noch zur sogenannten ersten Generation der ausländischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik. Wir wurden angeworben mit dem Zuckerbrot der Hoffnung auf Gerechtigkeit, Zukunftssicherung, Verbesserung unserer sozialen und ökonomischen Lage. Wir hatten auch die Hoffnung, in einem demokratischen Land als gleichwertige Menschen akzeptiert zu werden. (...) Wir, die erste Ausländergeneration, haben vieles hinnehmen und ertragen müssen: – wir haben in Sammelunterkünften gewohnt, – wir haben mit vielen unsere teuren Schlafplätze geteilt, und den Hausbesitzern zu Ansehen und Wohlstand verholfen, – wir haben Auseinandersetzungen mit Behörden und Amtspersonen begonnen. 233
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Wir haben auch einiges erreicht: – Viele von uns haben das Vertrauen ihrer Kolleginnen und Kollegen im Betrieb durch die Wahl als Betriebsratsmitglied und Vertrauensleute erworben. – Durch die Aktionen ‚Aufenthaltsberechtigung’ haben viele von uns ihren AE-Status209 verbessern können. – Wir haben im gemeinsamen Kampf mehr Urlaub, mehr Lohn und kürzere Arbeitszeit erreicht und standen dabei immer in den vordersten Reihen. Aber bei allen Erfolgen standen und stehen wir auch nach der Arbeit meist allein. Auch wenn es vereinzelt gute, freundschaftliche Verbindungen zwischen Ausländern und Deutschen gibt, reichen sie nicht aus, den politischen Kräften entgegenzuwirken, die an einer neuen Schuldlüge stricken. Dabei sind es nicht die rechtsradikalen reaktionären Gruppierungen allein, die uns mit Angst und Sorge erfüllen. Größere Angst macht uns die Politik der Bundesregierung, die mit falschen Daten und Fakten Fremdenangst schürt (...). Vergeßt nicht, daß wir Ausländer seit vielen Jahren in dieser Gesellschaft sind, wo wir unseren Lebensmittelpunkt haben, jedoch politisch nicht mitgestalten, mitbestimmen und mitentscheiden dürfen. Wir sehen uns als Mitbürger dieses Landes, sind jedoch zu Randgruppen dieser Gesellschaft degradiert worden. (...) Die ausländischen Arbeitnehmer fordern rechtliche und politische Gleichstellung, um den aufenthaltsrechtlichen Status von uns und unseren Familien zu festigen. (...) Der Abschiebepolitik auf dem Amtsweg muß Einhalt geboten werden. – Wir fordern kommunales Wahlrecht, – wir möchten Erleichterungen bei der Einbürgerung (...), – wir möchten gleiche Arbeits- und Lebensbedingungen, – wir möchten bei der beruflichen Integration nicht benachteiligt werden. Bei der Vermittlung von Arbeitslosen darf es keine Vorrangstellung der Nationalitäten geben (...). Kämpfen wir für Frieden, fürs freie Wochenende, kürzere Arbeitszeiten und höhere Löhne. Vor allem für die Menschheit und Menschenwürde!«210
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Ein Fuß in der Tür
Ein Faktencheck unterstützt das höchst widersprüchliche Bild, das Mine Moray von der Arbeits- und Lebenssituation ausländischer Arbeitskräfte zeichnet. 1989, gegen Ende der alten Bundesrepublik, ist die Integration der Migranten in die deutschen Gewerkschaften weit vorangekommen. Ihre Mitgliedsquote hat sich seit 1971 mehr als verdoppelt und liegt nun bei über 46 %.211 Damit sind die MigrantInnen mehr als die deutschen Arbeitskräfte und fast so häufig wie die deutschen Arbeiterinnen und Arbeiter organisiert.212 Ihre gleichzeitig gestiegene Anerkennung bei den einheimischen Gewerkschaftern, von der Moray spricht, zeigt sich unter anderem in der Zunahme ausländischer Betriebsräte und -rätinnen. Ihre Zahl klettert zwischen 1972 und 1990 von 3824 auf 8381, obwohl die der ausländischen Beschäftigten von 2,4 auf 1,9 Millionen abnimmt.213 Damit sind ausländische Beschäftigte214 zwar kaum halb so stark repräsentiert wie deutsche, aber ihre Quote hat sich immerhin fast verdoppelt.215 Bei der IG Metall ist der Anteil der migrantischen BetriebsrätInnen in dieser Zeitspanne von 1445 auf 3228 und derjenige der türkischen von 277 auf 1478 angestiegen; bei den IG-Metall-Vertrauensleuten nehmen MigrantInnen von 3700 auf 9000 und Türken von 1100 auf 4500 zu.216 Das eine große Manko: Nicht einmal 10 % der ausländischen Mitglieder in Betriebsräten und Vertrauensleutekörper sind Frauen.217 Das andere: Bei den Hauptamtlichen in den Orts- und Bezirksverwaltungen sind die ausländischen Kollegen noch sehr wenig vertreten.218 Das gewerkschaftliche Engagement der MigrantInnen war, auch hier hat Moray Recht, keineswegs für die Katz‘: Sie haben Tarifabschlüsse mitermöglicht, von denen sie mitprofitiert haben: neben den schon erwähnten Erleichterungen bei der Bandarbeit die Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf zunächst 38,5 (1985), dann 37 Stunden (1989), die Erhöhung des Urlaubsanspruchs von 24 auf 30 Tage (1983) sowie Lohnerhöhungen, die in den 1970er und, abgeschwächt, den 1980er Jahren Reallohnsteigerungen bedeuten. Türkische Arbeitnehmer verzeichnen dabei zwischen 1984 und 1989 die höchsten Einkommenssteigerungen – von brutto 2302 DM auf brutto 2813 DM. Das bedeutet allerdings lediglich, dass sie jetzt mit den anderen Ausländergruppen fast gleichauf liegen.219 Und ihre Lohnzuwächse sind, ähnlich wie bei anderen ausländischen ArbeiterInnen insgesamt, weniger durch beruflichen Aufstieg als durch Nachtarbeit und Überstunden zu erklären, die sie häufiger in Kauf nehmen als die Deutschen – mit der Folge, 235
Wendepunkte der Immigrationsgeschichte
dass sie weit häufiger Gesundheitsprobleme haben.220 Nach wie vor sind Ausländer zudem häufiger in Krisenbranchen tätig und liegt ihre Arbeitslosenquoten deutlich höher als bei den Deutschen – bei weitem am höchsten ist sie bei den Türken.221 Freilich hat sich auch bei den eingenommenen Berufspositionen etwas getan: Der Ausländeranteil bei den FacharbeiterInnen und Angestellten ist gestiegen – nicht zuletzt bei den Türken. Waren 1984 noch 74 % der zweiten türkischen Einwanderergeneration als un- oder angelernte Arbeiter tätig, so sind es 1989 58 %. Der Anteil der Facharbeiter unter den Türken hat sich von 9 % auf 29 % erhöht. Dabei spielen neben Aufwärtsmobilität mitgebrachte höhere Qualifikationen eine Rolle. Die Angestelltenquote unter ihnen verharrt allerdings bei 13 %, das ist deutlich unterhalb des Ausländerdurchschnitts.222 Wie Delegierte auf der Frankfurter Konferenz mehrfach betonen, ist dieser sehr begrenzte Berufsaufstieg nicht nur auf niedrige bzw. schlechte Schulabschlüsse, mithin auf bildungsferne Elternhäuser und zu wenig schulische Förderung zurückzuführen, sondern hat auch mit einer wenn nicht direkt ausländerfeindlichen, so doch ausländerskeptischen sowie klientelistischen Einstellungs- und Beförderungspraxis zu tun, bei welcher die Betriebsräte ihr – gewiss begrenztes – Mitspracherecht zu selten zugunsten ausländischer Bewerber nutzen. Ist es beim sozialen Status der Immigranten immerhin langsam vorangegangen, so hat sich bei ihrem bürgerrechtlichen Status fast nichts bewegt. Nach wie vor haben die meisten keine Aufenthaltssicherheit und keinerlei politische Wahlrechte. Und für das Gros der Einwanderer, die Türken, wird sich daran so bald nichts ändern. Die Forderungen, die der Ausländerkongress von 1989 hierzu erhebt, eilen ihrer Zeit weit voraus: Das kommunale Wahlrecht für Ausländer, dessen kautelenlose Einführung der Kongress verlangt, wird 1992 EU-BürgerInnen gewährt, andere Ausländer besitzen es bis heute nicht. Das Postulat, Kindern von Ausländern, die in Deutschland geboren sind, die deutsche Staatsbürgerschaft zu verleihen, wird – mit etlichen Kautelen – erst im Jahr 2000 realisiert. Und die Option auf eine doppelte Staatsbürgerschaft, wie sie der Kongress fordert, ist ebenfalls erst anno 2000 und nur für EU-Bürger erlaubt. Bei anderen, zum Beispiel türkischen Einwanderern ist sie – mit etlichen Einschränkungen – erst seit 2014 möglich. »Wir haben in der IG Metall eine neue Heimat gefunden«, sagt Mato Lalic von der IG-Metall-Verwaltungsstelle Stuttgart auf dem Frankfurter Kongress223 – in der damaligen Bundesrepublik Deutschland noch nicht. 236
Moscheebau in Deutschland: Konflikt als Kontakt
Das Wunder von Marxloh
Am 26. Oktober 2008 feiert man in Duisburg die Einweihung der DITIB-Merkez-Moschee, der größten Moschee Deutschlands. Es ist eine interreligiöse Feier. Zu den Rednern gehören Ali Bardakoglu, der Präsident des türkischen Amtes für religiöse Angelegenheiten, Felix Genn, der katholische Bischof von Essen, Nikolaus Schneider, der Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland, und Michael Rubinstein von der jüdischen Gemeinde Duisburg-Mühlheim-Oberhausen. Die Spitze der nordrhein-westfälischen Landesregierung ist ebenso vertreten wie der Geschäftsführer der Duisburger Mercedes-Niederlassung. Die Feier ist aber auch ein Volksfest und ein Völkerfest. Die Moschee ist völlig überfüllt, drinnen drängen sich 3500 Gäste und etwa eben so viele auf dem Vorplatz, die Mehrheit türkischer Herkunft, dazu eine Menge alteinheimischer Duisburger.1 Die »Westdeutsche Allgemeine« berichtet: »Für beide Seiten gibt es zur Eröffnungsfeier Wasser vom Rhein und Limonade von ›Uludag‹, gibt es Cola und Ayran. Man singt die deutsche und die türkische Hymne, trägt Kostüm und/oder Kopftuch, hat Kinder dabei, die ›Mama‹ rufen oder ›Anne‹. Und dazwischen gibt es viele Umarmungen. Solche von Pfarrern und Imamen, von Fotografen festgehalten als Symbol, aber noch mehr am Rande, die wohl mehr sagen: wie die zwischen Filiz Güngor, 20, und Hannelore Dausend, 65. Mit Tränen in den Augen begrüßen sich die Frauen, wie es Türken tun: Küsschen links, Küsschen rechts, dass der alten Mutter von Frau Dausend die Brille von der Nase rutscht. Nachbarinnen waren sie, haben sich länger nicht gesehen, und nun treffen sie sich an der neuen Moschee wieder, die sie ›wunderbar‹ finden.«2 Zerah Yilmaz, Mitglied der Marxloher DITIB- Gemeinde, wird mit dem Satz zitiert: »Für mich ist die neue Moschee ein Zeichen dafür, dass wir angekommen sind in Deutschland. Ich und meine Religion gehören zu dieser Gesellschaft dazu.«3 237
Wendepunkte der Migrationsgeschichte
Abb. 26: Einweihung der Merkez-Moschee in Duisburg-Marx loh. Foto: Friedhelm Geinowski.
Schon während der Bauzeit hat man die Duisburger Moschee »Das Wunder von Marxloh« genannt. Weniger des staunenswerten Anblicks wegen, den sie mit ihrer 23 Meter hohen Kuppel und ihrem 34 Meter hohen Minarett bietet, sondern weil Planung und Errichtung ohne größere Probleme und Proteste vonstattengingen. Nachdem es Mitte der 1990er Jahre zu heftigen Auseinandersetzungen über den Antrag zweier Moscheevereine gekommen war, an zwei Hinterhofmoscheen in Marxloh und in Laar einen technisch verstärkten Gebetsruf einzurichten (was beide Mal in einen Kompromiss, nämlich einen unverstärkten »Ezan« mündete), hat man sich in Duisburg um einen vermehrten interkulturellen Dialog bemüht; und bei der Planung der DITIB-Merkez-Moschee organisieren Stadtverwaltung und Bauherren von Beginn an eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, die alle Betroffenen einbezieht, was zu einem zwar nicht konsensualen, aber friedlichen Ablauf beiträgt. Dass dies als »Wunder« betrachtet wird, ist angesichts der vielen, manchmal erbitterten Moscheekonflikte der vorausgegangenen deutschen und europäischen Erfahrungen verständlich: Vor allem in Spanien, Italien, Österreich und der Schweiz, aber auch in Frankreich, Belgien, Großbritannien, Dänemark, Schweden und Deutschland ist der seit den 1990er Jahren zunehmende Wunsch muslimischer Einwanderer nach repräsentativen Moscheen häufig auf breiten, zuweilen erbitterten Widerstand gestoßen.4 Dennoch ist die Rede vom Marxloher Wunder eigentlich nicht gerechtfertigt – einmal, weil die meisten dieser Bauvorhaben dennoch zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht worden sind,5 aber vor allem, weil sich der Moscheebau vielerorts als Motor der Integration von Zuwanderern erwiesen hat. Und dies nicht nur in den wenigen Fällen, wo sie recht geräuschlos über die Bühne gingen. Es waren gerade die konflikthaften Abläufe, die – 238
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Abb. 27: Die Yavuz-Sultan-Selim-Moschee in Mannheim-Jungbusch. Foto: Hubert Berberich.
Abb. 28: Die Khadija-Moschee in Pankow-Heinersdorf.
gewiss nicht immer, aber doch auffallend häufig – zu einer Vermehrung und letztlich zu einer Verbesserung der Kontakte zwischen einheimischen und türkischen bzw. muslimischen Einwohnern führen. Ein frühes deutsches 239
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Beispiel dafür ist der Streit um die Yavuz-Sultan-Selim-Moschee im Mannheimer Stadtteil Jungbusch, 1995 fertiggestellt und mit ihren etwa 2500 Gebetsplätzen bis zum Bau der Marxloher Moschee das größte muslimische Gotteshaus in Deutschland. Auch die Auseinandersetzungen um die 2008 eröffnete Khadija-Moschee der islamischen Ahmadiyya-Gemeinschaft in Pankow-Heinersdorf, mit 500 Gebetsplätzen und einem 13 m hohen Minarett die erste größere Moschee auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, sind ein Exempel für dieses »Konflikt-als-Kontakt«-Modell. Mannheim, Pankow-Heinersdorf und Duisburg-Marxloh werden im Folgenden als »Ankerbeispiele« dienen. »Wir sind für immer hier. Ätsch.«
1990 leben im wiedervereinigten Deutschland um die drei Millionen Muslime, etwa zwei Millionen davon sind türkischer Herkunft. Sie treffen sich in 2000 bis 2500 Gebetsräumen. Nur etwa zehn davon sind größere, repräsentative Gebäude – so etwa die Ahmadiyya-Moschee in Berlin-Wilmersdorf (1924), die Imam-Ali-Moschee in Hamburg Uhlenhorst (1961) oder die Freimann-Moschee in München (1973). Die allermeisten aber sind so gut wie unsichtbar. In den ersten Gastarbeiterjahren hat man sie – wenn der Hausmeister es erlaubte – in Wohnheimen eingerichtet,6 ab den 1970er Jahren integriert man sie mehr und mehr in Privatwohnungen oder Vereinsräume, bringt sie in Läden, Kellern, Garagen, Baracken, Fabriken unter. Ihre Träger sind allermeist lokale muslimische Gemeinden, denen schlicht das Geld für größere Bauten fehlt. Anfang der 1980er Jahre wird dann eine erste Dachorganisation, die »Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion« (DITIB), gegründet, und der türkische Staat beginnt, die Moscheegemeinden in Deutschland insbesondere dadurch zu unterstützen, dass er Imame schickt und bezahlt.7 Kosten für die Miete oder gar den Bau von Moscheen übernimmt er nicht. Das Bedürfnis nach größeren und schöneren Räumen nicht nur für das Freitagsgebet, sondern auch für die religiöse Erziehung der nachwachsenden zweiten Generation, für Kultur-, Seniorenund Jugendarbeit wächst.8 Die Abhilfe kommt schließlich von unten. Es ist in der Regel die Eigen initiative der Moscheegemeinden, die zur Errichtung einer größeren Moschee führt. Zu Hilfe kommt diesen dabei, dass sich allmählich ein kleiner türkischer Mittelstand herauszubilden beginnt, der solche Pläne mit dem 240
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nötigen Selbstbewusstsein sowie mit größeren Geldsummen unterstützt.9 Dennoch blieben die Baukosten unerschwinglich, wenn nicht die Mitgliedsbeiträge und massenhaften Spenden anderer Gemeindemitglieder hinzukämen. Die repräsentativen Moscheen, die seit Anfang der 1990er Jahre aus dem deutschen Boden sprießen, sind Monumente einer großen gemeinsamen Anstrengung. In Mannheim sind es die Beiträge von eingetragenen und die Spenden nichteingetragener Gemeindemitglieder, aus denen das Großprojekt finanziert wird.10 Für die Heinersdorfer Moschee wird überregional und international gesammelt: Eine Million, so heißt es, bringen dabei Ahmadiyya-Frauen auf11 – den Bauentwurf liefert die Architektin Mubashra Ilyas aus Frankfurt, auch sie eine Ahmadi. In Marxloh werden zwei Drittel der Baukosten durch eine Vielzahl von Spenden aus dem In- und Ausland gestemmt,12 das dritte Drittel stammt – zum Unwillen von Moscheegegnern – aus Fördergeldern des Landes und der EU, da die Moschee in ein Programm zur Stadtentwicklung einbezogen ist.13 Im Jahr 2011 zählt man in Deutschland schon über hundertzwanzig repräsentative Moscheen, vor allem im Rhein-Ruhr-, Rhein-Main- und Rhein-Neckar-Gebiet,14 und zahlreiche andere sind in Planung. Diese Bauwerke signalisieren, dass ihre Besitzer und Benutzer in Deutschland angekommen sind und bleiben wollen. »(W)ir sind keine gastarbeiter mehr«, hält ein Leser der online-Ausgabe von »Der Westen« zahlreichen moschee kritischen Webkommentaren entgegen, »ich glaub, das geht nicht so ganz in eure köpfe rein. wir gehen nicht wieder zurück. das ist euer problem. wir sind für immer hier. ätsch«.15 Zugleich bekunden die neuen Moscheen, dass die muslimischen Zuwanderer ihre mitgebrachte Religion nicht nur beibehalten, sondern auch zeigen wollen (wobei es übrigens nirgends zu der »Machtdemonstration« kommt, dass Minarette einen benachbarten Kirchturm überragen, auch wenn Pressefotos das manchmal so erscheinen lassen). Und dies wiederum ist nicht nur ein Wunsch oder eine Forderung nach religiöser, sondern nach sozialer Gleichstellung überhaupt. Was vielen einheimischen Beobachtern als bloße Revitalisierung von Tradition erscheint, ist auch ein Symptom und ein Schritt gesellschaftlicher Emanzipation. Hier wird verkündet: Nun sind wir nicht mehr Zimmermieter, sondern Bauherrn; die Phase, in der wir wenn nicht klaglos, so doch machtlos die ›Unterschichter der deutschen Unterschicht‹ gespielt haben, ist vorbei. Allerdings: So repräsentativ die Architektur mancher neuen Moscheen daherkommen mag – ihr Standort ist es in aller Regel nicht. Die meisten der 241
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neuen Stadtteil- oder Stadtmoscheen finden sich nicht in Stadtzentren, sondern in ehemaligen Arbeiterquartieren mit einem hohen Anteil an migrantischer Bevölkerung oder an der Peripherie, in Gewerbe- oder Mischgebieten.16 Das gilt auch für die Moscheen in Mannheim, Duisburg und Berlin. Mannheim-Jungbusch, vorher ein Rotlichtviertel mit vielen Hafenarbeitern und US-Soldaten, hat Mitte der 1990er Jahre einen Migrantenanteil von knapp 70 %,17 gezeichnet von hoher Arbeitslosigkeit, schlechter Bausubstanz und Verkehrslärm. Die Moschee liegt an einer von Schwerlastern frequentierten Hauptverkehrsader. Die DITIB-Merkez-Moschee in DuisburgMarxloh befindet sich etwas abgeschieden an einer Einfahrtsstraße am Ortsrand. Marxloh, wo zur Bauzeit der Moschee etwa 50 % Migranten wohnen, gilt bis Ende der 1990er Jahre deutschlandweit als Synonym für ein Proletarier- und Armutsviertel; dann setzt durch EU-geförderte Entwicklungsprojekte, mit denen auch der Marxloher Moscheebau gefördert wird, sowie durch die Initiative von lokalen Unternehmern und Bürgergruppen eine gewisse Besserung ein.18 Die Heinersdorfer Moschee wiederum liegt im Berliner Norden, weit entfernt von dichter besiedelten Stadtteilen, in einem dünn bebauten und teilweise verwilderten, aber wegen der Flugschneise nach Tegel und einer benachbarten Fernstraße doch recht lauten Industriegebiet, in das sich einige wenige Wohnhäuser verirrt haben – ein passendes Symbol für das Ineinander neuer Inklusions- und alter Exklusionstendenzen, die von Neigungen zur Selbstisolation ergänzt werden. Es braucht nach dem Moscheebauboom vor und nach der Jahrhundertwende kein Vergrößerungsglas mehr, um den Islam in Deutschland zu entdecken, aber vielerorts doch noch ein Fernglas. Konfrontation Der Rechtsstreit, als »systemische Integration« betrachtet
Als eine muslimische Gemeinde 1994 im hessischen Oberursel den Bauantrag für eine Moschee stellt, sagt der Bürgermeister: »Solange in Mekka kein christliches Gotteshaus steht, solange ist auch in Oberursel keine Moschee möglich.«19 Eine solche fundamentalistische Abwehrhaltung ist für deutsche Kommunalbehörden untypisch – und rechtlich gar nicht zu halten. Es gibt sogar durchaus Fälle, wo sie die Moscheebaupläne ausdrücklich begrüßen, wie zum Beispiel jener CSU-Bürgermeister im bayerischen Lauingen, der 242
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Anfang der 1990er- Jahre ›seinen‹ Muslimen riet, einen stattlicheren Bau zu wagen als den von ihnen beantragten.20 Oft freilich zieht sich die Genehmigung einschlägiger Gesuche über Jahre hin, was natürlich auch bei größeren anderen Bauvorhaben vorkommt, wobei hier aber doch spezifische Gründe mitspielen. Schnell stellt sich zum Beispiel die Befürchtung ein, dass ein großer Gebetssaal die Straßen freitags mit zu vielen quartierfremden Autos und die künftigen Moscheenachbarn mit zu viel Parksuchverkehr belästigen könnte. Schnell gelten die geplanten Minarette als an dieser Stelle überdimensioniert, vor allem aber schreckt auch hier die Aussicht auf einen womöglich lautsprecherverstärkten Ezan. Hinzu kommt, dass die antragstellenden muslimischen Vereine im Umgang mit kommunalen Behörden oft völlig ungeübt sind, sich weder mit dem Baurecht im Allgemeinen noch mit Stadtbildsatzungen im Besonderen auskennen – und manche zudem meinen, deutsche Stellen hätten ihnen bei Moscheen nicht dreinzureden.21 Anders gewendet bedeutet dies jedoch: Diese großen Bauvorhaben führen bei deutsch-türkischen bzw. muslimischen Communities, die bisher in freiwilliger oder unfreiwilliger Selbstbezogenheit verharrten, zu vermehrten Außenbeziehungen und besseren Kenntnissen über die geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze der Mehrheitsgesellschaft. Die inhaltliche Konfrontation fördert die formelle Integration. Und Kommunalverwaltungen, die kein Vergnügen daran finden, migrantische Antragsteller auflaufen zu lassen, versuchen in der Folge, die Kommunikation ihrerseits zu erleichtern: mit mehrsprachigen Informationen und mit der Einstellung migrantischer Angestellter. Die niederländische Religionswissenschaftlerin Gerdien Jonker hat die Verbesserung von Informationsflüssen durch den Konfliktkontakt bei Moscheebauvorhaben anhand der Geschichte der Mevlana-Moschee in Berlin-Kreuzberg anschaulich dargestellt. Seit 1985, so berichtet sie, hat ein Gründungsverein, bestehend aus der Islamischen Föderation Berlin und der Islamischen Gemeinde Milli Görüs-Berlin,22 vergeblich ein Baugrundstück neben der bisherigen Moschee gesucht, um dort ein größeres Gebäude – mit Kuppel und Minarett – zu errichten. Nachdem er 1999 endlich eines gefunden hat, wird ihr Bauvorhaben von der Behörde abgelehnt – unter anderem, weil die vorgesehene Baumasse für das Grundstück zu groß sei. Die Bauträger kaufen nun ein zweites Grundstück neben dem ersten; allerdings haben sie das Bauamt vorher nicht informiert und müssen bald überrascht erfahren, dass an der geplanten Stelle gar nicht gebaut werden darf. Inzwischen hat 243
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die Verzögerung der Baugenehmigung zu einem Versiegen des Spendenaufkommens geführt. Nun beantragt die Moscheegemeinde 500.000 € aus den Geldern für das Quartiersmanagement, da schließlich die ganze Nachbarschaft von den im Moscheezentrum eingeplanten Sozialeinrichtungen profitiere. Die Antragsteller blitzen wieder ab: Sie wussten nicht, dass der ganze Jahresetat des Quartiersmanagements bei nicht mehr als 500.000 € liegt. Dennoch schafft es die Islamische Föderation in der Folgezeit, fünf weitere Kreuzberger Grundstücke für künftige Moscheebauten zu erwerben. Das führt auf deutscher Seite, die ihrerseits wenig über die internen Strukturen der türkischen Community weiß, zu der irrigen Annahme, dass hinter der Islamischen Gemeinschaft eine schwerreiche Organisation stünde. In der Berliner Presse liest man von illegalen Öl- und Geldgeschäften. Diese Gerüchte verärgern wiederum die Islamische Gemeinschaft, hinter der gar kein geheimnisvolles Imperium, sondern einzelne Moscheegemeinden stehen, die die nötigen Gelder aufzutreiben versuchen. Die Berliner Muslime beginnen eine öffentliche Kampagne gegen den Kreuzberger Bürgermeister und versuchen ihr Glück auch vergeblich mit mehreren Klagen vor Gericht. Es wird noch Jahre brauchen, bis es zu einem erfolgreichen Antrag auf Baugenehmigung kommt. Aber im Verlauf der Auseinandersetzung haben sich beiderseits die Kenntnisse über die andere Seite durch Trial and Error, wenngleich mit hohen emotionalen Unkosten, verbessert. Auch hier wirkt also eine List der Vernunft. Dass Migranten den Klageweg beschreiten, mag ein Auslöser einer allseits schlechten Stimmung und in bestimmten Fällen ein deutlicher Fehler sein; es ist aber auch, wie der Ethnologe Werner Schiffauer zu Recht anmerkt, ein »zentrales Merkmal für systemische Integration«23. Ängste
Die größten Widerstände gegen Moscheebauten kommen, in Deutschland und in Europa insgesamt, nicht von kommunalen Behörden und nicht von Kommunalparlamenten, sondern aus der Zivilgesellschaft. Auf überfüllten Bürgerversammlungen wird heftiger Zorn artikuliert, oft folgen eine Unterschriftenaktion und die Gründung einer Bürgerinitiative. Vordergründig geht es bei der Moscheebaukritik von Anrainern um die erwähnten Alltagsfragen: die Furcht vor einem größeren Verkehrsaufkommen, vor knapp werdenden Parkplätzen, vor Lärmbelästigung durch den »Ezan«, den Gebetsruf. Doch dahinter stecken meist generelle Probleme: Schwierigkeiten, welche 244
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die Alteinheimischen mit der zunehmenden Präsenz türkischstämmiger Zuwanderer und vor allem mit deren teilweisem sozialen Aufstieg haben – und dem steigenden Anspruch auf Gleichbehandlung und Gleichberechtigung, der sich damit verbindet. Der Ärger über vergrößerte und verschönerte Moscheen ist auch ein Ärger über die Erosion einer als natürlich empfundenen Vorherrschaft. Besonders heftig leiden marginalisierte Deutsche unter dieser Entwicklung: an- und ungelernte Arbeiter zum Beispiel, die überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen oder bedroht, oder Rentner, die wirtschaftlich abgehängt und sozial isoliert sind – unter anderem durch den Wegzug vieler deutscher und den Zuzug migrantischer Nachbarn.24 Dazu kommen Mittelschichtler, die über einen Exodus der »besseren Kreise« aus ihrem Stadtteil klagen und es als Heimatverlust empfinden, wenn nun mehr und mehr türkische Gemüseläden, Friseurläden, Reisebüros und Anwaltsbüros eröffnet werden. Unzufriedenheit mit der eigenen Situation kann dabei ein unbewusst bleibendes Handlungsmotiv von Moscheekritikern sein, aber auch ganz bewusst von ihnen eingesetzt werden – so wie in Mannheim-Jungbusch, wo ein nach Bekanntwerden der Moscheebaupläne gegründeter »Bewohnerverein« auf einer Pressekonferenz droht: »Würde nicht im Vorfeld seitens der Stadt etwas an den sozialen Mißständen im Stadtteil geändert, dann wäre die Realisierung des Projekts zum jetzigen Zeitpunkt ›der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt‹«.25 Der Bewohnerverein präsentiert der Stadt einen Forderungskatalog: »Schöne Wohnungen und Appartements an der Hafenstraße, ein kleiner zentraler Einkaufsmarkt, eine spürbare Verbesserung der katastrophalen Raumsituation an der Jungbuschschule, ein Ausbau der Kindergarten-, Hort- und Krippenplätze, die brennendsten Punkte auf dieser langen Jungbusch-Wunschliste müssten erst abgehakt werden, ehe die Stadtteilstreiter grünes Licht für eine Moschee geben.«26 Das zeigt Wirkung. Der »Mannheimer Morgen« startet eine Artikelreihe »Jungbusch – der vergessene Stadtteil«; die Evangelische Bezirkssynode erklärt, dass die Moscheediskussion »von den sozialen Problemen belastet und überlagert«27 werde, und fordert ihrerseits infrastrukturelle Verbesserungen. Und auf einer Bürgerversammlung pflichten die Vertreter der Stadtverwaltung der Forderung bei, man müsse nun die Fragen von Wohnungsnot, Verkehrsbelastung, Kindergarten- und Schulmisere im Jungbusch zügig in Angriff nehmen.28 Moscheekonflikte, so sieht man, können nicht nur zur systemischen Integration von marginalisierten Migranten, sondern auch von marginalisierten Einheimischen beitragen. 245
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Eskalation
Doch selbst dann, wenn man wie in Mannheim-Jungbusch auf die Vernachlässigungsklagen eingeht, die von moscheekritischen Quartierbewohnern erhoben werden, ist natürlich nicht das Problem gelöst, dass diese die Errichtung einer repräsentativen Moschee nur als zusätzliche Belastung empfinden und nicht auch als Baustein zur Aufwertung des Stadtteils, die sie fordern. Und man ist noch nicht zu den Beweggründen dafür vorgedrungen, warum Anwohner auf die Moscheepläne oft mit Wutausbrüchen reagieren, die vergleichbare Verkehrs- und Lärmbelästigungen in der Vergangenheit nicht erzeugt haben. Eine solche Wut lässt sich zum Beispiel bei einer Mannheimer Bürgerversammlung im Juli 1991 beobachten. Eine Bürgerin bekundet, sie wolle am liebsten auf das Moscheemodell »eine Bombe schmeißen«. 29 »Großen Beifall«, meldet die Rhein-Neckar-Zeitung, »fanden rechte Parolen vom anwesenden Kreisvorstand der Jungen Union, die auch mächtig applaudierte, als der CDU-Bürgermeister Südmersen als ›Kartellpolitiker‹ beleidigt wurde – ein Ausdruck, den die Nazis 1933 gegen demokratische Politiker angewandt hatten.«30 Konkrete städte- und verkehrsplanerische Einwände gegen das Bauvorhaben, unbestimmte Ängste vor Überfremdung und aggressive Fremdenfeindlichkeit fließen ineinander. Was in der Mannheimer Moscheediskussion zwischen 1991 und 1995 noch kaum eine Rolle spielt, ist eine Frontstellung gegen den Islam generell und die Warnung vor einer »Islamisierung« Deutschlands und Europas. Das ändert sich in den Moscheediskussionen der Folgejahre. Die Gründe dafür liegen in der politischen Großwetterlage. Seit dem Ende des Kalten Krieges setzt bekanntlich eine punktuelle, seit dem Attentat vom 9. September 2001 eine grassierende postkoloniale Auseinandersetzung ein, die schnell als »Kampf der Kulturen« etikettiert wird. Der Soziologe Wolf-Dietrich Bukow schreibt 2009: »Die Debatten [über Moscheebauten, B. J. W.] waren noch vor wenigen Jahren deutlich gelassener.« Heute hinterließen sie »mehr und mehr den Eindruck, dass das christliche Abendland in seiner Substanz bedroht sei«.31 Der orientalische Einwanderer, so der Ethnologe Werner Schiffauer, wird für mehr und mehr Einheimische zum »unheimlichen Muslim«. Die Speerspitze bei der Ideologisierung der Moscheekonflikte bilden dabei rechte und rechtsradikale Organisationen. In Großbritannien ist es die National Front, in Frankreich der Front National, in Österreich die FPÖ, in Italien die Lega Nord, in Spanien die Fuerza Nueva, in Deutsch246
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land sind es die Republikaner, die NPD und Bürgerbewegungen wie »Pro Köln« oder »Pro Deutschland«, welche die Moscheekonflikte zur Agitation zu nutzen suchen, was die lokalen Baugegner teilweise dulden, teilweise aber auch ablehnen. Es kommt zu tumultuarischen Bürgerversammlungen, zu Straßendemonstrationen, manchmal zu Anschlägen auf die Bauplätze – und immer mehr zu Hasskampagnen im Internet. Besonders große Resonanz findet dabei der 2004 begonnene Blog »Politically Incorrect«,32 der die Rettung Deutschlands und Europas vor der Islamisierung auf seine Fahnen geschrieben hat und sich mit härtester Polemik auch in lokale Moscheediskussionen einschaltet. Ein Beispiel für solche erbitterten Auseinandersetzungen ist Heinersdorf. Zu einer öffentlichen Diskussion des Bauvorhabens, das von den Lokalbehörden unterstützt wird, erscheinen im März 2006 um die 1500 meist moscheekritische BürgerInnen, von denen nur etwa die Hälfte in der Heinersdorfer Sporthalle Platz findet. Von draußen wird versucht, den Saal zu stürmen, es kommt zu wüsten Schreiereien, aus denen ausländerfeindliche Parolen herauszuhören sind, die Veranstaltung wird abgebrochen. Danach gründet sich die »IPAHB«, die »Interessengemeinschaft Pankower und Heinersdorfer Bürger«, die ein Bürgerbegehren gegen die Ahmadiyya-Moschee auf den Weg zu bringen sucht – womit sie dann aber scheitert. Im Juni und September 2006 organisiert sie drei Demonstrationen mit etwa 1500, 2000 bzw. 1000 Teilnehmern, darunter jeweils eine größere Gruppe von Rechtsextremen.33 Radikale der Gegenseite antworten mit einem Brandanschlag auf das Haus des prominentesten Moscheekritikers am Ort, des Berliner CDU-Abgeordneten René Stadtkewitz. Die Grundsteinlegung im Januar 2007 wird von einem Nachbargrundstück aus mit Lautsprecherdurchsagen und Sprechchören gestört. Im März 2007 brennt ein Lkw auf der Baustelle, danach wird sie außer von der Polizei auch von Gemeindemitgliedern bewacht.34 Im Juli 2007 organisiert die IPAHB nochmals eine Protestdemonstration, an der sich etwa 1500 Personen beteiligen, darunter eine Gruppe von etwa 80 Rechtsradikalen.35 Von Balkonen wehen große Deutschlandflaggen, im Demonstrationszug sieht man Plakattexte wie »Ausländer raus!« oder »Deutsche Wurst statt Gammeldöner«, von denen sich die IPAHB-Leute distanzieren, ohne jedoch gegen sie vorzugehen.36 Etwa 150 Antifaschisten halten mit einer Kundgebung dagegen.37 Im Juli 2008 wird die noch unfertige Moscheekuppel mit der Parole »Raus mit diesem Scheiß! NSDAP« besprüht.38 Begleitet wer247
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Abb. 29: Eine der Demonstrationen gegen den Moscheebau in Pankow-Heinersdorf, Juli 2007. Foto: Wolfgang Kumm.
den die Auseinandersetzungen von wilden Gerüchten: »Auch anderswo sind wir nicht mit Blumen empfangen worden«, sagt Imam Abdul Basit Tariq. »Hier wird uns sogar unterstellt, dass wir nur in der Nähe der Autobahn gebaut hätten, damit wir nach Attentaten schnell flüchten können.«39 »Und im Keller unserer Moschee, die gar keinen Keller besitzt, dort würden Bomben gebastelt.«40 Viele Muslime reagieren auf solche Offenbarungen von Angst und Feindseligkeit geschockt: Sie wohnen und arbeiten nun schon lange, oft Jahrzehnte im Land, manchmal sogar am selben Ort, sie haben sich als nach und nach akzeptierte ArbeitskollegInnen, NachbarInnen, GewerkschaftskollegInnen, GeschäftspartnerInnen, VereinskameradInnen gefühlt und erleben nun, dass sie aus Deutschland hinausdefiniert, dass sie zu Unterfällen eines landesfremden, negativ stereotypisierten Kollektivs erklärt werden. »Ich dachte bisher, ein Teil der Gesellschaft geworden zu sein«, sagt die hessische Journalistin Canan Topcu, nachdem der Streit um eine Moschee in Frankfurt-Hausen eskaliert ist. »Diese Wahrnehmung verändert sich seit dem Streit um den Moscheebau in Frankfurt.«41 »Die Jüngeren (...) fühlten sich hier zu Hause – bis der Moscheestreit kam«, schreibt die »Süddeutsche Zeitung« zu den Auseinandersetzungen um einen Moscheebau in München-Sendling und zitiert einen jungen Deutschtürken: »›Man will uns hier nicht haben‹, 248
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hat Önder Yildiz (...) gesagt. Er lebt jetzt seit 22 Jahren hier, aber plötzlich erscheint ihm Deutschland manchmal wieder so fremd wie damals, als er ein kleiner Junge von fünf Jahren war und noch in der Osttürkei lebte.«42 Ent-Täuschung
Die heftige Abwehr von Moscheebauten bedeutet eine Ent-Täuschung: Sie enthüllt Spaltungen und Spannungen, die viele überwunden glaubten oder nicht so ernst genommen haben. Sie bricht keinen Konflikt vom Zaun, sondern ist der Übergang von einem kalten in einen heißen Konflikt.43 Nun geht die stumme Feindseligkeit in die laute Anschuldigung über, und was bisher gruppeninterner Schimpfklatsch war, wird dem anderen ins Gesicht gesagt. Natürlich kann das die Gräben vertiefen, destruktiv wirken, es kann aber auch produktiv sein, da die gegensätzlichen Meinungen nun offengelegt und damit bearbeitbar sind. Bei den Bürgerversammlungen über Moscheeplanungen findet man beide Varianten. So endet zum Beispiel eine Diskussionsveranstaltung in Duisburg-Laar, welche die örtliche SPD 1996 beim Streit um einen lautsprecherverstärkten Ezan organisiert, in einem Desaster. Eine 1999 interviewte Duisburgerin berichtet, dass bei der Versammlung »ungefähr 200, 300 Personen waren, hauptsächlich Deutsche, auch ältere Personen hauptsächlich, und die sich überhaupt nicht bereit erklärt haben, ein vernünftiges Gespräch durchzuführen. Die haben noch nicht mal zugehört, die Nichtdeutschen haben keine Plätze bekommen, die durften auch nicht sitzen. Ständig diese Rufe ›Haut doch ab! Was wollt ihr hier?‹ (...) Also die Atmosphäre kann durch Worte überhaupt nicht wiedergegeben werden, was dort an Aggressivität, an faschistoidem Gedankengut dargestellt worden ist«.44 Die »Neue Ruhr Zeitung« schreibt über dieselbe Veranstaltung: »Mit Pfiffen und lautstarken Zwischenrufen werden Befürworter des Gebetsrufs unterbrochen. Wer sich gegen den ›Ezan‹ ausspricht, erhält ohrenbetäubenden Applaus. (...) Nur wenige Stimmen mahnten zur Beruhigung: ›Das ist doch der reinste Alptraum, was man hier erlebt‹, sagt eine türkische Ärztin, die seit mehreren Jahren in Laar wohnt. ›Anstatt miteinander zu diskutieren, gießen einige Redner noch Öl ins Feuer.‹«45 Den Gegenpol repräsentiert eine öffentliche Veranstaltung, die neun Jahre später in Duisburg-Marxloh beim Bau der DITIB-Merkez-Moschee stattfindet. Ganz offenbar hat man unter anderem aus dem Laarer und dem Marxloher Streit von 1996/97 gelernt.46 »Nachdem die 249
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Pläne der DITIB-Merkez Gemeinde eine konkretere Form angenommen haben«, schreibt Johanna Schoppengerd in ihrer Studie »Moscheebauten in Deutschland«, »organisierte der Moscheeverein mit Unterstützung der Stadt Duisburg vor der Erteilung der Baugenehmigung eine Informationsveranstaltung über das Projekt, an der etwa 150 Personen aus dem Stadtteil teilnahmen. (...) Die sachliche Präsentation der Pläne wurde durch ein Rollenspiel ergänzt, in dem die Entwicklung des Zusammenlebens im Stadtteil thematisiert wurde. ‚Ein älterer Migrant und ein älterer Deutschstämmiger haben sich getroffen und über ihre Erfahrungen in den 60er und 70er Jahren gesprochen. Der Muslim hat erzählt, was er empfunden hat, als er in Räumen von 4 x 4 m Größe gebetet hat und alles noch nicht so öffentlich war und sie sich auch nicht so wohl gefühlt haben, und der deutsche Kollege hat erzählt, dass sie sich immer gewundert haben, was die da machen.’ (Zülfiye Kaykin, damals Geschäftsführerin der Begegnungsstätte in der Marxloher Moschee, d. V.) Das Projekt wurde bei der Veranstaltung überwiegend positiv aufgenommen, und viele Nachbarn begrüßten die Pläne.«47 Auch wo es weniger konsensual zugeht, erweisen sich die Diskussionen oft als nützlich. Vertreter von Moscheegemeinden, die sich am liebsten auf Verhandlungen zwischen Vereins-zu Stadtoberhaupt beschränken würden und generell wenig Außenkontakte gepflegt haben, lernen es dabei, stadtöffentlich aufzutreten und ihre Position den Mitbürgern zu erklären.48 Moscheekritische Bürger wiederum bekommen die Chance, ihr Bild von den anderen zu überprüfen und möglicherweise zu korrigieren – so wie auf der Jungbuscher Bürgerversammlung von 1991, über die das Stadtmagazin »Meier« berichtet: »Wütendes Gemurre verdichtete sich (aus dem Mund einer etwa 50 Jahre alten Frau) zu Ausbrüchen wie ›Italiener und Spanier sinn kää Problem. Was mich uffregt sinn die Türke mit ihre Kopptücher!‹ Groß war deshalb die Verunsicherung, als eine junge Türkin mit Kopftuch in bestem Hochdeutsch um die Toleranz den Andersgläubigen gegenüber bat, wie sie dem Rotlichtmilieu [das im Jungbusch ansässig war, B. J. W.] entgegengebracht wird.«49 Muslimische DiskutantInnen sammeln auch Punkte, wenn sie auf laute, erregte Anschuldigungen in ruhigem Ton antworten – und damit den Fanatismusvorwurf ins Leere oder zu den Kontrahenten zurücklaufen lassen. So etwa bei einer Bürgerversammlung in Halle bei Bielefeld im Jahr 2001, bei der über ein geplantes Minarett gestritten wird. Die anwesenden Muslime werden mit fremdenfeindlichen Äußerungen von Alteingesessenen empfan250
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gen, jedoch, so der Haller Bürgermeister später im Interview: »Da haben die Türken auch wiederum ganz vernünftig reagiert. Wie diese zwei, drei Sprüche da ..., sind die trotzdem ruhig geblieben und da hat sich der Herr El Khadib [ein ortsansässiger Arzt, B. J. W.] dann auch zum ersten Mal zu Wort gemeldet. Und hat sehr vernünftig da reingesprochen. Also es war auch von den Türken ganz klar das Vorhaben zu sehen, sie wollten irgendwelchen Konsens. (...) Und wenn sie (...) auch erst mal drauf bestanden [auf einem Minarett, B. J. W.], so haben sie das aber in sehr vernünftiger Form immer wieder gesagt. (...) Und (El Khadib) brachte dann ganz vernünftige Argumente und beruhigte auch die Stimmung seitens der Türken, dass die nicht hochgingen«.50 Der Soziologe Jörg Hüttermann sieht in solchen lebhaft bis erbittert ausgetragenen Bürgerversammlungen Elemente einer »Konfliktzeremonie«. Er verweist auf Julian Pitt-Rivers’ Studie «Das Gastrecht«, in welcher der britische Ethnologe verschiedene Arten von Prüfungsritualen beschreibt, denen um Zutritt zu einer Gruppe bemühte Fremde in vielen Gesellschaften unterworfen werden – so etwa die »Ohrfeigenzeremonie« bei Inuitstämmen, welche damit die Fähigkeit des Fremden zur Selbstbeherrschung testen: »Der Fremde, der sich in eskalationsträchtigen Situationen beherrscht, ist ungefährlich. (...) Nebenbei nutzt natürlich auch der Fremde solche Zeremonien, um die Gefahren, die ihm von Seiten der Alteingesessenen drohen können, zu ermessen.«51 Im Fall von Halle, so Hüttermann, bestehen die Muslime den Test: »Nicht nur die Fähigkeit, Konflikteskalation zu vermeiden, findet in der Nachbarschaft Anerkennung. Nach den ersten drei von insgesamt sechs Bürgerversammlungen in Halle wissen Nachbarn auch davon zu berichten, dass einige Befürchtungen hinsichtlich einer fehlenden religiösen Toleranz türkischer Muslime durch den Konflikt um das Minarett zerstreut worden sind.«52 Moderation »Sagt mal, seid ihr auch dagegen?«
Aber auch wenn Moscheegegner einen Dialog verweigern, kann sich das produktiv auswirken. Bei den untersuchten Konflikten zeigt sich immer wieder, dass das Auftreten aggressiver Islamkritiker bisher desinteressierte oder hinund hergerissene Bürger aus der Passivität reißt. 251
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»Ich war anfangs neutral«, erzählt Ruth Misselwitz, Pfarrerin in Alt-Pankow, im Interview. »Ich hab‘ da weder die eine noch die andere Seite so ganz massiv vertreten. Bis auf ein Ereignis. Ich war bei dieser denkwürdigen Veranstaltung in der Sporthalle in Heinersdorf. (...) Und da ist es ja zu so schrecklichen tumultartigen, pogromartigen Auseinandersetzungen gekommen. Das hat mich so zutiefst entsetzt und erschüttert, weil ich nicht geglaubt habe, dass so ein Hass und so ein Rassismus hier in dieser Stadt und in diesem Land überhaupt möglich ist. (...) Nach diesem Sporthallen-Fiasko haben wir gesagt, wir müssen einfach nochmals so ein Gespräch, eine Plattform für ein Gespräch anbieten, das kann nicht sein, dass die hier niedergeschrien werden und dann können die sich überhaupt nicht äußern. Und dann haben wir hier in unserer Kirche eine öffentliche Veranstaltung gemacht, ein interreligiöses Gespräch.«53 Ganz ähnlich die Heinersdorferin Sandra Caspers. Sie konnte, wie sie sagt, die kritischen Fragen an die Ahmadiyya-Gemeinde durchaus nachvollziehen: »Hier wohnen ja überhaupt keine Moslems – wieso entsteht dann hier jetzt eine Moschee?« Doch sie erschrak über die aufgeheizte Atomsphäre: »In dieser Stimmung wurde jedes negative Argument, was es zu Islam, zu Frauen im Islam, zu allen möglichen Dingen gibt, wie Terrorismus und so weiter, so hoch aufgebauscht und hochgekocht, dass es der Religion gegenüber sehr unfair war. Also die haben alle pauschal zu Kapitalverbrechern erklärt: ›Die schlagen alle ihre Frauen‹, und lauter solche Vorurteile. Man muss es [den Islam, B. J. W. ] ja nicht gut finden, nur die Art, wie man dagegen ist, die war wirklich menschenunwürdig. (...) Wir bekamen auch Anrufe von sonst wo, die dann gefragt haben, weil das ja in den Medien auch so rüberkam, dass der ganze Ortsteil dagegen ist – dass die gesagt haben: Sagt mal, seid ihr auch dagegen? Und dann hat man halt gesagt: Na ja, eigentlich nicht. Und dann hat sich so ein gewisser Druck aufgebaut, man müsse das jetzt auch laut sagen.«54 Mit Gleichgesinnten gründet Caspers im Herbst 2006 die Initiative »Heinersdorf, öffne dich«. Vom Nutzen körperlicher Kopräsenz
Eine verbreitete Reaktion auf eskalierende Moscheekonflikte ist die Einrichtung von Dialoggruppen. In Mannheim gründet man nach einer tumultuösen Bezirksbeiratssitzung und angesichts einer Meinungsumfrage, in 252
Moscheebau in Deutschland: Konflikt als Kontakt
der sich 30 % für und 42 % gegen die Moscheepläne aussprachen,55 einen »Christlich-Islamischen Gesprächskreis«, bei dem sich alle 14 Tage Vertreter der Muslime, der Kirchen, der Stadt und des Gemeinschaftszentrums Jungbusch treffen.56 In Duisburg ruft man nach den heftigen Ezan-Auseinandersetzungen der 1990er Jahre einen »interkulturellen Dialog« aus, der gemeinsame Veranstaltungen und Projekte auf die Beine stellt – zum Beispiel eine Broschüre »Islam in Duisburg« oder eine Fotoausstellung »Moscheen in Deutschland«. In die Planung der DITIB-Merkez-Moschee wird von Anfang an ein Beirat einbezogen, in dem die Moscheegemeinde, Kirchen, Schulen, die Stadtverwaltung, die Universität, Vereine und Anwohner vertreten sind;57 und noch während der Bauzeit wird eine »Begegnungsstätte Jetzt« eingerichtet.58 In Heinersdorf regt der Berliner Integrationsbeauftragte professionell moderierte Gesprächsrunden mit allen örtlichen Akteuren an, die dann ab Sommer 2006 mehrmals stattfinden.59 Es ist evident, dass diese Treffen, bei denen man öfters und in überschaubarer Zahl zusammenkommt, prinzipiell bessere Möglichkeiten zur Verständigung bieten als eine große Bürgerversammlung. Zum einen aus dem trivialen Grund, dass dabei mehr Zeit für das Debattieren, das Ausloten von Meinungsmotiven, die Klärung von Missverständnissen bleibt. Zum andern, weil man sie gern mit gemeinsamen Aktivitäten verbindet, bei denen Koexistenz nicht nur beredet, sondern praktiziert wird. Man besichtigt zusammen eine Moschee oder ein Rathaus, man geht zusammen zu Tisch, wobei dann gern Kombinationen von einheimischer und türkischer Küche angeboten werden, oder man nutzt ein fast ebenso altes und weltweit verbreitetes Werkzeug der Verständigung, den zivilen Gleichschritt des Zweierspaziergangs. Was die Chancen einer Annäherung erhöht, sind dabei neben einem guten Gesprächsarrangement die vielen Lücken in dem Wissen, das Deutsche und Deutschtürken, Christen und Muslime übereinander haben, und die oft unguten Mutmaßungen, mit denen diese Lücken gefüllt werden.60 So glaubten laut einer Erhebung von 2005 zum Beispiel 80 % der befragten Deutschen, Muslime blieben am liebsten unter sich.61 Von einige Zeit darauf befragten Muslimen aber wünschte sich nur 1 % keinen, 69 % aber mehr Kontakt zu Deutschen.62 Ähnliche Fehlannahmen gibt es offenbar auf türkischer Seite: Mehr als 80 % der türkischen Befragten gingen laut einer im Jahr 2000 publizierten Erhebung davon aus, dass mindestens die Hälfte der Deutschen sie für Arbeitslosigkeit und mangelhafte soziale Unterstützung verantwortlich machten. Ein Drittel meinte sogar, dass »fast alle Deutschen« 253
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das so sähen. Von den gleichzeitig befragten Deutschen unterstützte aber nur ein Viertel eine solche Schuldzuweisung.63 Man kann freilich annehmen, dass viele TeilnehmerInnen an Moscheedialogen mehr Ahnung von ihrem Gegenüber haben als der Durchschnitt der Bevölkerung. Dennoch hört man auch hier von Überraschungen, von Sprüngen der Erkenntnis und Gefühlen der Erleichterung. So berichtet zum Beispiel der katholische Theologe und Islamwissenschaftler Oliver Lellek von »Missverständnissen«, auf die man im Mannheimer Christlich-Islamischen Gesprächskreis habe eingehen können: »Immer wieder stellen wir fest, dass türkische Muslime viele deutsche Gegebenheiten, Verhaltensweisen und Gebräuche mit dem Christentum gleichsetzen. (...) Seien es leichtbekleidete Damen auf Illustrierten-Titelseiten, vorweihnachtlicher Konsumrausch, materielles Denken, Abtreibung oder Feuerwerkskörper zu Weihnachten – alles, was in der deutschen Gesellschaft mißfällt, gilt als christlich.«64 Christlichen TeilnehmerInnen an den Dialogen wiederum wird demonstriert, dass der Islam alles andere als homogen ist, und sie lassen sich davon überzeugen, dass die örtliche Moscheegemeinde keineswegs mit dem Djihadismus sympathisiert. Sie hören, dass die (häufigen) angebahnten Ehen nicht mit den (selteneren) Zwangsehen gleichzusetzen seien, dass das Kopftuchtragen selbstbestimmt sein könne und im Herkunftsland der meisten hiesigen Muslime, der Türkei, Christen durchaus toleriert würden. Eine Mannheimerin, die als Moscheekritikerin zum Mannheimer Gesprächskreis gestoßen ist, erzählt, dass sie dort ihre Vorbehalte gegen das Kopftuchtragen kundgetan und eine Muslimin ihr erwidert habe: »Sie hat aber dann gesagt, wegen dem Kopftuch, sie war auf der Universität und sie hätte freiwillig das Kopftuch getragen, obwohl es in der Universität in der Türkei damals verboten gewesen wäre, ein Kopftuch zu tragen. Das hat mir zu denken gegeben.«65 »Wir waren erstaunt«, sagt ein Haller Bürger. »Das war des Volkes Meinung: ›Ja, in der Türkei gibt es ja keine christlichen Kirchen, was wollt ihr denn, hier wollt ihr welche Moscheen haben und in eurem Lande dürfen keine Kirchen gebaut werden!‹ Und da kam in der dritten Versammlung der Bruder von dem zweiten Vorsitzenden und zeigte uns Bilder von christlichen Kirchen in der Türkei«.66 Der Unversöhnliche
Sicherlich: Die Einrichtung eines Moscheedialogs ist kein Allheilmittel. Schon deshalb nicht, weil es fraglich ist, ob sich die draußen gebliebenen 254
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BürgerInnen von seinen Ergebnissen überzeugen lassen. Und auch die, die sich in kleiner Runde treffen, kommen sich dabei nicht unter allen Umständen näher; die Face-to-Face-Begegnung kann zu neuem Befremden führen. In Heinersdorf etwa beginnt die erste Begegnung zwischen Vertretern der moscheekritischen »IPAHB« und der Ahmadiyya-Gemeinde mit einem Eklat. Joachim Swietlik und andere Männer der Bürgerinitiative sind höchst irritiert, als ihnen die muslimischen Frauen bei der Begrüßung nicht die Hand geben. In eher trotziger als logischer Reaktion verweigern sie nun ihrerseits den muslimischen Männern den Handschlag.67 Swietlik ist auch ein Beispiel dafür, dass eine beim persönlichen Kennenlernen entstandene persönliche Wertschätzung keineswegs mit einer Annäherung in der Sache verbunden sein muss. Sieben Mal, so berichtet die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« im Juli 2007, hätten sich Swietlik und Abdul Basit Tariq, der Heinersdorfer Imam, nun schon zu Gesprächen getroffen. Beide würden sich attestieren, »als Mensch freundlich«, »friedlich« und »normal« zu sein, aber ihre Positionen hätten sich nicht angeglichen: »Wir haben uns sogar weiter voneinander entfernt«, sagt Swietlik.68 Im Oktober 2008, einige Tage vor der Moschee-Eröffnung, führt der Berliner »Tagesspiegel« ein Gespräch mit den beiden – das inzwischen zehnte, wie Swietlik vermerkt: »Imam Abdul Basit Tariq: Ich habe ihm eine Einladung mitgebracht und würde mich freuen, wenn er sie annimmt. Joachim Swietlik: Das kann ich leider nicht. Wir als Bürgerinitiative werden an diesem Abend demonstrieren. Tagesspiegel: Sie wollen gegen die Eröffnung der Moschee demonstrieren? Swietlik: Ja. Ich habe nichts gegen Herrn Tariq. Er wäre von seiner menschlichen Ausstrahlung her durchaus ein passabler Großvater für meine Kinder. Aber er ist eben auch der Vertreter einer Ideologie, die wir bekämpfen.« Es folgt ein längerer Schlagabtausch, vor allem zum Thema Frauenrechte, an dessen Ende der »Tagesspiegel« fragt: »Herr Swietlik, ab Donnerstag ist die Moschee in Pankow eröffnet. Werden Sie Ihre Bürgerinitiative auflösen?« »Swietlik: Wir werden weitermachen. Genauso wie Herr Tariq mit seiner Gemeinde sein demokratisches Recht genutzt hat, dieses Bauwerk zu 255
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Abb. 30: Der Moscheegegner Joachim Swietlik und der Imam Abdul Basit Tariq in der Heinersdorfer Moschee. Foto: Uwe Steinert.
errichten, werden wir weiter unser Recht wahrnehmen und informieren, wofür die Ahmadiyya stehen und dagegen protestieren.«69 Gleichwohl: Swietlik hat es nicht verhindern können, dass nichtmuslimische TeilnehmerInnen der Gesprächsrunden sich mehr und mehr mit dem Moscheebau angefreundet haben – und, wie die Pfarrerin Ruth Misselwitz berichtet, sogar einige zunächst »sehr skeptische« Heinersdorfer ihre Position durch den ständigen Kontakt mit den Ahmadi verändert haben.70 „Ein Freund“
Die Gegenerzählung zur Geschichte vom unversöhnlichen Joachim Swietlik, die ebenfalls durch die Medien ging, ist die des Mannheimer Metzgermeisters Norbert Herrmann. Herrmann ist Katholik, er gehört dem Vorstand des Pfarrgemeinderats der Liebfrauenkirche an, in deren Nachbarschaft die neue Moschee entstehen soll. Er ist ein entschiedener Gegner der Moscheebaupläne, auf einer Bürgersammlung hält er eine emotionale Rede: Er bezeichnet den Standort im von sozialen Missständen geplagten Jungbusch als völlig ungeeignet. Als einige Kirchengemeinderäte sich mit Vertretern des Islamischen Bunds treffen, ist er dabei. »Es war ein freundliches Gespräch«, 256
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sagt er danach, »die Meinungen blieben aber unterschiedlich.«71 Bis dahin hatte er kaum Kontakte zu deutsch-türkischen Nachbarn: »Man grüßt sich, aber darüber hinaus zum Sprechen kommen ist’s jetzt nicht.«72 Nun, angesichts des Moscheestreits, bedauert er diese sprachlose Koexistenz: »Man muss miteinander reden«,73 sagt er der Presse und engagiert sich im bald darauf gegründeten »Christlich-Islamischen Gesprächskreis«. Er kommt schließlich zu der Überzeugung, dass man den Bauwunsch der Moscheegemeinde tolerieren müsse. In einem Interview, das er 1999 gibt, wird deutlich, dass tolerieren für ihn tatsächlich erdulden heißt, aber immerhin sieht er dieses Erdulden als unverhandelbare religiöse und demokratische Pflicht an: »Solang’ die Türken oder die Muslime (...) bei uns leben und mit uns arbeiten und Steuer bezahlen, solang’ haben sie das Recht ihre Gotteshäuser zu bauen, ob uns das passt oder net. Man sagt zwar immer wieder, sie dürfen dort net und dort net, aber wir haben ein Grundgesetz und da ist die Glaubensfreiheit garantiert und des muss man eben akzeptieren. (...) Zumal ich ja versuche demokratisch zu reagieren und der Gemeinderat, die haben die überwiegende Mehrheit für die Moschee gehabt.«74 2007 kommt die »Frankfurter Allgemeine« anlässlich des Moscheestreits in Köln-Ehrenfeld noch einmal auf den Mannheimer Fall und insbesondere auf den Jungbuscher Metzgermeister zu sprechen. »Herr Herrmann weiß jetzt viel mehr über den Islam. Darüber ist er froh. ›Das, was ich anfangs über Muslime wusste, hatte ich von Karl May‹, sagt er. (...) ›Und da kommen die ja nicht besonders gut weg.‹ Herr Herrmann referiert dann kurz über die verschiedenen Richtungen im Islam. Er war inzwischen öfter in der Mannheimer Sultan-Selim-Moschee, gegen deren Bau er sich so erbittert gewehrt hatte. Er war sogar in Istanbul, zusammen mit den anderen Mitgliedern der ›Christlich-Islamischen Gesellschaft Mannheim‹.« Mit dabei war Bekir Alboga, einst Imam in Mannheim und muslimischer Vorstand des dortigen Christlich-Islamischen Gesprächskreises. »Herr Alboga bezeichnet Herrn Herrmann inzwischen als Freund.«75 Vom Türken zum Muslim?
Wenn über und gegen den Islam gesprochen wird, muss das nicht aus christlicher Perspektive geschehen, und wer Bedenken gegen einen Moscheebau hegt, ist häufig weder Katholik noch Protestant und tut dies, auch wenn er einer ist, zumeist nicht vorwiegend aus Glaubensgründen. Wenn bei der 257
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Moderation von Moscheestreitigkeiten dennoch so viel vom »christlich-muslimischen Dialog« die Rede ist, ist das ganz vordergründig darauf zurückzuführen, dass häufig die örtlichen Kirchen- und Moscheegemeinden solche Gesprächskreise ins Leben rufen und entsprechend taufen. Es fügt sich zudem in die übergreifende Entwicklung ein, dass linke und liberale Gruppierungen unter den türkischstämmigen Einwanderern, im Einklang mit der Machteinbuße des Laizismus in der Türkei, ihre lange Zeit ausgeübte Führungsrolle vielerorts an konservative und religiöse Gruppierungen abgeben mussten und dass gleichzeitig die bisherigen »Türken« im deutschen Diskurs zunehmend zu »Muslimen« wurden. Der Kulturalisierung von Moscheebaudiskussionen ist zu Recht vorgeworfen worden, dass sie die Grenzen, die sie zu überwinden vorgibt, erst herbeirede. Jörg Hüttermann schreibt: »Lokale feldspezifische Umgangsweisen – also etwa der regelgeleitete sportliche Wettkampf, die gesetzlich vorgeordnete wirtschaftliche Konkurrenz, die lebensweltlich eingebettete wohnumfeldbezogene Nachbarschaftlichkeit – geraten dann zu besonderen, ganz und gar nicht mehr beiläufigen, problematischen Begegnungen.«76 Und Levent Tezcan urteilt: »Auffallend ist, dass der Versuch, die Muslime und Nicht-Muslime in einen Dialog zu bringen, die Vorstellung von getrennten Blöcken erst recht betont«.77 Die Gefahr dabei ist mindestens dreifach: Nichtreligiöse Gruppen und Personen könnten bei den Dialogrunden übergangen werden oder sich nicht angesprochen fühlen; religiöse Unterschiede könnten thematischen Vorrang vor sozialen Gemeinsamkeiten bekommen; Störungen im lokalen Zusammenleben könnten primär in unterschiedlichen Glaubenssystemen gesucht und andere, womöglich bedeutsamere Problemfaktoren vernachlässigt werden. Betrachtet man jedoch die Fallbeispiele Mannheim, Marxloh und Heinersdorf, so zeigt sich: Das Gespräch vor Ort – man kann auch einfach sagen: das Leben – ist klüger als befürchtet. Nicht überall gibt sich der Dialog eine kulturalistische Rahmung, und selbst wenn es geschieht, geht die Praxis vielfach über sie hinaus. In den Mannheimer »christlich-muslimischen Gesprächskreis« sind, wie schon dargestellt, auch städtische Institutionen und bürgerschaftliche Organisationen einbezogen. Die dort diskutierten Themen unterteilt Oliver Lellek in seinem Erfahrungsbericht in »(k)onkrete Hilfe bei Alltagsproblemen« (womit praktische Probleme bei der Glaubensausübung in Mannheim gemeint sind), »Glaubensinformation und religiöse Vertiefung« und »gesellschaftliche Fragen«, wo es etwa um das Zusammenleben auf kommunaler 258
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Ebene, aber ebenso um Folgen des Jugoslawienkriegs geht.78 Der Vorsitzende des Islamischen Bundes Mannheim, Osman Özay, schreibt in einem Grußwort öfter von »Türken« als von »Muslimen« und außer vom »christlich-islamischen Dialog« von »deutsch-türkischer Zusammenarbeit«.79 Das Institut, das aus dem Gesprächskreis entsteht, heißt denn auch »Institut für deutsch-türkische Integrationsstudien« und sein erster Forschungsschwerpunkt soll der Frage nachgehen, ob Türken »Ausländer zweiter Klasse« sind.80 Als in Duisburg Ende der 1990er Jahre ein »christlich-islamischer Dialog« eingerichtet wird, gibt es zunächst einen Ausschlussversuch, nämlich sunnitischen Widerstand gegen die Einbeziehung von Aleviten. Er wird jedoch überwunden.81 In den Planungsbeirat der DITIB-Merkez-Moschee sind zahlreiche nichtreligiöse Organisationen und Bürger einbezogen. Die Marxloher Moscheediskussionen zeichnen sich dabei durch den Versuch aus, eine gemeinsame soziale Identität statt unterschiedlicher religiöser Identitäten starkzumachen. »Viele der Zuwanderer, die heute am Bau der Moschee mitwirken«, sagt Beiratsmitglied Michael Kemper, Pfarrer der 300 Meter von der geplanten Moschee entfernten Kirche St. Peter, »arbeiteten einst unter Tage, Seit an Seit mit deutschen Kumpeln. Dort unten haben beide zutiefst gelernt, einander zu vertrauen, sich aufeinander zu verlassen.«82 Und Zehra Yilmaz, ebenfalls im Marxloher Beirat aktiv, bestätigt: »Unsere gemeinsamen Wurzeln liegen tausend Meter unter der Erde.«83 Sie ist Mitglied der muslimischen Gemeinde, welche ihre erste, kleine Moschee in einer früheren Zechenkantine des Bergwerks Marxloh eingerichtet hat, in dem deutsche und türkische Bergleute in den 1970er Jahren zusammen arbeiteten. Wenn Kemper 2008 bei der Eröffnung der großen Marxloher Moschee sagt: »Deutsche und türkische Kumpel haben Seite an Seite gearbeitet. Die mussten sich verstehen, sich aufeinander verlassen können. Das hat sich auf den Stadtteil übertragen«,84 ist das gewiss sehr kurz geschlossen und allzu euphemistisch. Doch unrealistischer als der Mythos vom »Kampf der Kulturen« ist der von der deutsch-türkischen Kollegialität in Marxloh sicher nicht. Noch weit weniger von der Idee eines Dialogs der Religionen bestimmt sind die Vermittlungsgespräche in Heinersdorf. Neben den gegenseitigen Besuchen von evangelischer und Ahmadiyya-Gemeinde gibt es hier auch die Veranstaltungen der laizistischen Bürgerinitiative »Heinersdorf, öffne dich«, die »alle Heinersdorferinnen und Heinersdorfer, Stadtplaner und Politiker« einlädt, sich gegen Fremdenfeindlichkeit und für die Verbesserung der lokalen Lebensqualität einzusetzen.85 Zudem finden auf Anregung des 259
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Berliner Integrationsbeauftragten vom »Mobilen Beratungsteam Ostkreuz« moderierte Gesprächsrunden statt, bei denen die Moscheekritik am Ort de- und rekonstruiert wird. Man entdeckt, so berichten die Moderatoren später, neben und im Moscheestreit »zahlreiche weitere Konfliktlinien (...): Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschen, Alt- und Neuheinersdorfer/ innen sowie politischer Elite und tatsächlichen oder vermeintlichen Bürgerrechtlern. Hinzu kam als Kernkonflikt das Gefühl vieler Heinersdorfer, in einem von Politik und Kommune ›vergessenen Tal‹ eingeklemmt zwischen Alt-Pankow, Prenzlauer Berg und Weißensee zu leben und kaum Gestaltungsmöglichkeiten im Gemeinwesen zu haben. Vor diesem Hintergrund entwickelten die Heinersdorfer/innen ein identitäres Grundgefühl von Bevormundung, Benachteiligung, mangelnder Anerkennung und gefühlter Nichtteilhabe.«86 Im Verlauf der Gespräche, so heißt es weiter, »stellten sich die Heinersdorfer unabhängig vom Ausgangskonflikt die Frage, wie sie zukünftig ihr Gemeinwesen gestalten wollten«87. Bald darauf wird das Bürgerbündnis »Zukunftswerkstatt« gegründet, das ein tolerantes Heinersdorf, mehr Bürgerbeteiligung in der Kommunalpolitik und ein besseres kulturelles Angebot anstrebt. Offensichtlich mit Erfolg. »Durch den Moscheebaukonflikt haben sich die Bürger/innen des Stadtteils teilweise erst kennen gelernt«88, sagt die Stiftung SPI. »Ohne die Moschee«, so der Bezirksbürgermeister Matthias Köhne, »hätte es zwar den Gegenprotest nicht gegeben, aber die guten Entwicklungen auch nicht.«89 Der Kompromiss als Gastgeschenk
Wo sich das Diskussionsklima verbessert, ist das nicht nur auf eine Selbstbesinnung der nichtmuslimischen Seite, auf bessere Informationen über den Islam und persönliche Kontakte zu Muslimen zurückzuführen. Es hängt zumeist auch mit der Erfahrung zusammen, dass muslimische Gesprächspartner sich ebenfalls bewegen, sich über verbale Distanzierungen von islamischem Fundamentalismus hinaus dadurch als undogmatisch erweisen, dass sie bei der Konzeption der Moscheen den Wünschen der Umgebungsgesellschaft entgegenkommen. Solches Entgegenkommen entspricht der westlichen Erzählung von orientalischer Höflichkeit, hat aber auch mit der westlichen Situation der türkischen Migranten ohne deutschen Pass zu tun: Sie haben, anders als EU-BürgerInnen, in Deutschland nach wie vor kein kommunales (und schon 260
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gar kein weiter gehendes) Wahlrecht. Die deutschen Parteien und Wählervereinigungen sind also nicht einmal in migrantenstarken Wahlbezirken dazu gezwungen, auf ihre Belange Rücksicht zu nehmen. Zudem sind die islamischen Religionsgemeinschaften hierzulande – mit Ausnahme einer Ahmadiyya-Gemeinde in Hessen – nicht als Körperschaften öffentlichen Rechts anerkannt, d. h. sie haben zwar einen Anspruch auf Niederlassung, der von ihnen angemeldete Raumbedarf kann aber, anders als bei Anträgen von Landeskirchen und jüdischen Gemeinden, von der Behörde angezweifelt werden.90 Und auch in Punkten, wo das Verbotsrecht der kommunalen Baubehörden strittig ist, neigen Moscheegemeinden vielfach zu einem Verzicht auf rechtliche Schritte. Man sieht sich häufig als Gast, der das Hausrecht des Gastgebers nicht antasten sollte. Man kann das sehr verbindlich ausdrücken wie der von Jörg Hüttermann erwähnte Imam in Bielefeld-Halle, der den örtlichen Moscheekritikern für ihre Bereitschaft zur Diskussion dankt: »Das hätten Sie ja auch lassen können, das ist Ihr Land«.91 Es lässt sich aber auch so bitter sagen, wie es der schon angeführte Mannheimer Osman Özay tut: Man müsse »halt vorsichtig sein in einem Land, wo man kein gleichberechtigter Mensch ist«, zitiert ihn der »Mannheimer Morgen« »wo viele in den türkischen Mitbürgern nur Arbeitstiere, Analphabeten und Hammeltreiber sehen«.92 Bereitschaft zu Kompromissen zeigen die Moscheegemeinden zunächst einmal bei baulichen Merkmalen. Neben der Größe des Moscheesaals und der Kuppelhöhe geht es dabei insbesondere um die für viele Einheimische essentielle Frage der Minaretthöhe und vor allem des Ezan. Ein technisch verstärkter Gebetsruf, wie ihn viele Moscheegemeinden zunächst vorsehen, ist das Accessoire, das bei nichtmuslimischen Nachbarn, was nicht schwer nachzuempfinden ist, auf heftigen Widerstand zu treffen pflegt. In den meisten Streitfällen – und das gilt nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa93 – sind die muslimischen Gemeinden in diesem Punkt nachgiebig, auch wenn sie dabei oft gegen starken internen Gegenwind angehen müssen. In Mannheim einigt sich der Islamische Bund mit den lokalen Gesprächspartnern darauf, keinen nach außen dringenden Ezan vorzusehen.94 Beim doppelten Duisburger Ezan-Konflikt von 1996/97 verzichten die betroffenen Moscheegemeinden nach langen Diskussionen schließlich ebenfalls auf den Lautsprecher. 95 Für die Marxloher DITIB-Merkez-Moschee kommt man überein, dass der Muezzinruf nur im Innenhof hörbar sein soll. In das Minarett der Heinersdorfer Moschee baut man erst gar keinen Treppenaufgang ein. 261
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Neben dem Verzicht auf optische und akustische »Triumphgebärden«96 trägt das Versprechen einer »offenen Moschee« zur Konfliktentschärfung bei. Das beginnt bei eher symbolischen Gesten wie dem exzessiven Gebrauch von Glas, so wie in Marxloh, wo hohe Rundbogenfenster in die Fassade eingelassen sind: »Die Muslime wollen zeigen: Wir haben keine Geheimnisse vor Euch«, schreibt Melanie Bergs dazu in »Der Westen«.97 Vor allem aber geht es um eine praktisch-soziale Öffnung. In vielen Fällen, so auch in Mannheim und Duisburg, wird vorgesehen, eine Cafeteria oder ein Bistro in den Baukomplex zu integrieren; auf dem Gelände der Heinersdorfer Moschee soll ein für alle zugänglicher Kinderspielplatz eingerichtet werden. Und man kommt überein, die in der Bauphase begonnenen oder verstärkten Kontakte auf Dauer zu stellen. In Mannheim versprechen die Bauherren, aus der neuen Moschee »ein Haus der sozialen, interreligiösen und interkulturellen Begegnung« zu machen,98 wofür ein »Institut für deutsch-türkische Integrationsforschung« gegründet wird, das dort gleich nach der Einweihung einen Raum bezieht. Im Marxloher Beirat beschließt man, die Moschee solle »ein Ort für alle Marxloher« werden, die dort außer dem Restaurant auch die Bibliothek nutzen und zu Seminaren und Festen zusammenkommen könnten.99 So groß ist hier die Rücksicht auf die »German angst« vor dem, was sich in Abwesenheit von Gästen in der Moschee abspielen könnte, dass der Gemeindesprecher Mustafa Kücük die Absicht verkündet, »mit Hilfe einer Webcam auf der Homepage des Moscheevereins zu zeigen, was drinnen vor sich geht«100. Normalisierung
Mehr als jeder Dialog beruhigt eine fertige Moschee die Moscheekonflikte. Nicht, dass die lokalen Moscheegegner oder gar islamophobe Internetblogs nach der Eröffnung verstummten. Aber selbst in Orten, die während der Bauzeit turbulente Bürgerversammlungen und lautstarke Demonstrationen gegen die Moscheepläne erlebt haben, verändert sich danach zumeist das Meinungsklima. Diese Entwicklung, die sich an vielen deutschen und europäischen Fällen aufzeigen ließe, gilt auch für Mannheim und Heinersdorf. Viele gegnerische Aktivisten haben angesichts des Fait accompli schlicht resigniert, zumal es offenbar keine Anlässe gibt, die erneute Aufwallungen rechtfertigen würden. »In Mannheim-Jungbusch ist es seit dem Bau der Moschee still geworden«, beobachtet Iris Keßner um das Jahr 2000. »Von Seiten der 262
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Anwohner regen sich keine öffentlichen Proteste mehr.«101 Über ihre Interviews mit Moscheegegnern berichtet sie: »In keinem Fall gab jemand an, dass die Befürchtungen gegenüber der Moschee übertroffen wurden. Vielmehr scheint sie in der Gegenwart für die beteiligten Interviewpartner nicht mehr bedeutsam zu sein. Sie steht dort und man mag sie nicht, jedoch hat man sich mit ihrer Existenz abgefunden und es tauchen keine realen Konfliktpunkte mehr auf.«102 Für Heinersdorf bestätigt René Stadtkewitz das Erlahmen früherer Mitstreiter nach der Moschee-Eröffnung: »Aus der damaligen Bürgerinitiative haben sich die meisten eigentlich wieder zurückgezogen. Der Hintergrund war aus meiner Sicht völlig klar: Sie haben gar nichts erreicht. (...) Keineswegs ist es so, dass die Moschee nun als akzeptiert gilt. Wenn Sie eine Umfrage machen würden in diesem Ortsteil, dann würden die meisten so eine Antwort geben: ‚Lassen Sie mich damit in Ruhe’. Die Moschee ist jetzt da, aber sie wollen darüber auch nicht mehr reden.«103 Dieselbe Tendenz schildert in freilich positiverem Ton der Bezirksbürgermeister Matthias Köhne: Abgesehen von einzelnen Moscheegegnern habe sich die Stimmung in Heinersdorf »entspannt und normalisiert« – und erklärt das unter anderem damit, dass sich viele Befürchtungen der Heinersdorfer wie lautstark übertragene Predigten oder Missionierungsversuche im Ortsteil nicht bestätigt hätten.104 Wenn er mit seiner Frau durch den Ort gehe, so erzählt Imam Tariq ein Jahr nach der Moschee-Eröffnung der Zeitung, hörten sie nie feindselige Sprüche: »Wir fühlen uns sicher, glücklich und ruhig.«105 Wer das Vergnügen hatte, den in jedem Satz, jeder Geste um Freundlichkeit bemühten Imam kennenzulernen, weiß, dass in seiner Schilderung Abbild und Wunschbild nicht zu trennen sind. Sandra Caspers relativiert die Idylle, wenn sie erzählt, dass noch Jahre später einige »vom harten Kern« der Moscheegegner die Straßenseite wechselten, wenn sie sich ihnen nähere.106 Treffpunkt Moschee
»Wenn einer gebaut hat und schließlich eingezogen ist, ändert sich meist das Klima. Jetzt ist er da, er gilt vielleicht als merkwürdig, aber nicht mehr als unheimlich«, schreibt Matthias Drobinski in der »Süddeutschen Zeitung«.107 Und wenn der neue Nachbar ein attraktives Gebäude hingestellt hat, das sogar Touristen anlockt, kann sein Zuzug sogar als Bereicherung gelten. Durch die Mannheimer Moschee werden in den ersten sieben Jahren über 300.000 Gäste geführt. 2010 berichtet die »Süddeutsche Zeitung« von aktu263
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ell 15.000 Besuchern pro Jahr – und registriert auch das Ungemach, das die Besuchten, um die Erfüllung des Wunsches nach einer »offenen Moschee« bemüht, dabei auf sich nehmen: »(Die Muslime) führen Kindergärten, Schulklassen, Senioren-, Frauen- und Konfirmationsgruppen über den Teppich ihres Gebetsraums, sie lassen sich bei der rituellen Waschung vor dem Gebet begaffen, als gäbe es keine Scham.«108 Durch die DITIB-Merkez-Moschee in Marxloh werden 2009 über 100.000, 2010 etwa 65.000 und 2011 etwa 25.000 Besucher geführt.109 Und selbst die weit weniger imposante, abgelegene Khadija-Moschee in Heinersdorf wird im ersten Jahr nach ihrer Eröffnung von Tausenden, darunter auch vielen Einheimischen besichtigt.110 Die vielfach als überraschend prächtig empfundenen Interieurs und die in aller Regel als ausnehmend höflich erlebten Gastgeber erzeugen zweifellos Wirkung – bis hin zu Reuegefühlen. Yahya Dindarol, Pressesprecher der DITIB Selimiye Moschee in Lünen, erzählt: »Die Leute, die damals auch zu den Unterschriftenaktionen mitgemacht haben: Nach dem Bau waren die auch mehrmals zur Besichtigung, da haben die sich schon selbst die Frage gestellt, wieso haben wir damals überhaupt die Unterschriftenaktion gestartet.«111 Und die neuen Moscheen ermöglichen mehr als Besuchskontakte, sie treten vielfach auch in die erwünschten und versprochenen Dauerbeziehungen mit der Umgebungsgesellschaft. Ein Modell dafür liefert die Yavuz-Sultan-Selim-Moschee in Mannheim, wo sich mit Moscheeplanungen befasste Kommunalpolitiker anderer Städte seit 1995 immer wieder informieren. In Mannheim ist aus dem Christlich-Islamischen Gesprächskreis, der sich zur Schlichtung des Moscheekonflikts gebildet hat, eine »Christlich-Islamische Gesellschaft« hervorgegangen, die sich außer mit religiösen mit gesellschaftspolitischen Fragen befasst: Integration von Zuwanderern, Jugendarbeit, Rolle der Frau. Die Mehrheit, so berichtet Iris Keßner 2004, stellen Christen; die zwischen fünf und 20 Muslime (selten auch Musliminnen), die zu den Treffen erscheinen, gehören verschiedenen Gemeinschaften an, wobei neben den Sunniten der Moschee auch das alevitische Kulturzentrum vertreten ist – der christlich-islamische ist zugleich ein innerislamischer Dialog.112 Deutlich säkularer ausgerichtet ist das der Moschee angegliederte »Institut für Deutsch-Türkische Integrationsstudien und interreligiöse Arbeit e. V.«. Es betreibt den Besucherdienst für die Moscheebesichtigungen, leistet Öffentlichkeitsarbeit, gibt eine Schriftenreihe heraus und führt Forschungsprojekte, Seminare und Tagungen durch.113
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Auch in Marxloh erweisen sich die in der Bauphase der DITIB-Merkez-Moschee verstärkten Außenkontakte der Moscheegemeinde nicht als ephemer. Lutz Eichholz zufolge, der die Auswirkungen von Moscheen auf städtische Quartiere untersucht hat, ist der interkulturelle und interreligiöse Dialog am Ort auch »mehrere Jahre nach der Fertigstellung der Moschee (...) zwischen unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen noch sichtbar und wird nach wie vor von Vertretern der christlichen Religionen gefördert«114. Eine zentrale Rolle spielt dabei, wie erhofft, die zur Moschee gehörige »Bildungsund Begegnungsstätte Marxloh«. Diese versucht, insbesondere Hilfe bei der Besserstellung und Integration der migrantischen Community zu leisten, wobei sie mit den christlichen Kirchen, der jüdischen Gemeinde, kommunalen Ämtern, Schulen, Vereinen und Bürgerinitiativen zusammenarbeitet. Sie entlastet also die Kommunen bei sozialen Aufgaben, ist eine Anlaufstelle für andere Duisburger Vereine und Institutionen und verstetigt umgekehrt die Außenkontakte ihrer türkischen bzw. muslimischen Klientel. An programmatischen Schwerpunkten nennt die Website der Begegnungsstätte im Jahr 2014: • die emanzipatorische und soziale Gerechtigkeit im Stadtteil herzustellen; • Chancengleichheit für benachteiligte Migranten; • die eigene Verantwortung und die Kompetenzen der StadtteilbewohnerInnen mit Migrationshintergrund zu fördern; • Angebote für Familien und deren Kinder mit Migrationshintergrund zu verbessern; • Beratungsmöglichkeiten für alle DuisburgerInnen zu schaffen; • die interkulturelle Kompetenz der sozialen Einrichtungen in Duisburg zu stärken; • die partnerschaftliche Zusammenarbeit aller gesellschaftlichen Gruppen, von freien und öffentlichen Trägern und Migrantenselbstorganisationen (MSOs) zu fördern; • die interkulturelle Sensibilisierung von Schulen, Krankenhäusern, Studienseminaren und sonstigen Einrichtungen; • Motivierung, Aktivierung und Qualifizierung von Ehrenamtlichen in MSOs. Unter der Überschrift »Türken lieben die Stadt Duisburg« berichtet die »Westdeutsche Allgemeine« Anfang 2014: »Komsuscuk, Mert und Helga Maria Poll [die Vorsitzenden von Moscheegemeinde und Begegnungsstätte, B. J. W.] begrüßten gemeinsam Nachbarn, Kooperationspartner, Lands265
Wendepunkte der Migrationsgeschichte
leute und Ehrengäste zum traditionellen Neujahrsempfang und zogen in ihren Reden eine positive Bilanz. Es klappe gut mit dem Vertrauen und der Zusammenarbeit zwischen Gemeinde und Begegnungsstätte.«115 Die örtlichen Aktivitäten der Amadiyya-Moscheegemeinde in Heinersdorf sind weniger ausgefächert, da die Gemeinde relativ klein ist und ihre Mitglieder über Berlin verstreut wohnen. Hier steht der interreligiöse Dialog im Zentrum: »Wir haben Tagungen«, so Imam Tariq 2012 im Interview, »wo die Hinduisten, Buddhisten, Juden und Christen eingeladen werden, um dann irgendwie eine gemeinsame Meinung zu finden«. Zu sogenannten »Friedensgesprächen« lade die Moscheegemeinde aber auch Politiker ein.116 Umgekehrt sind Ahmadi bei der evangelischen Gemeinde und in örtlichen Schulen zu Gast und feiern zumindest ab und zu gemeinsame Feste. »Es hat sich für uns und alle, die sich gegenüber der Moschee geöffnet haben, eine neue Welt geöffnet«, sagt Ruth Misselwitz. »Wir haben eine neue Kultur kennengelernt, wir haben neue Menschen kennengelernt (...). Wir werden ja immer mehr eine gemischte Gesellschaft, und auch dieses homogene Pankow muss sich ja nun auch immer mehr dieser Tatsache öffnen.« 117 Fragilität
Die Beispielfälle Mannheim, Marxloh und Heinersdorf sind, wie schon eingangs gesagt, keine Sonderfälle. Andere Untersuchungen zu Moscheen in Deutschland, etwa von Sabine Kraft (2002), Thomas Schmitt (2003) und Johanna Schoppengerd (2008) schildern jeweils für mehrere Städte ähnlich verlaufende Konflikte, die aufgrund dieser Konflikte hergestellten Kontakte zwischen den Moscheegemeinden und ihrer Umgebungsgesellschaft und deren Fortbestehen nach der Eröffnung der Moscheen, die somit wider alle Befürchtungen nicht zu Brückenköpfen des Islamismus geworden sind, sondern sich als Brückenorte etabliert haben.118 »Etabliert« heißt freilich nur, dass sich die Brücke über einen längeren Zeitraum, d. h. hier: mehrere Jahre über die Moschee-Eröffnung hinaus gehalten haben. Es bedeutet weder, dass sie auf Dauer gesichert ist, noch, dass sie ohne Störungen und Enttäuschungen funktioniert. Personelle Veränderungen, neue Zuwanderergruppen, krisenhafte soziale und politische Entwicklungen führen in der Tat immer wieder zur Gefährdung des einmal Erreichten. Man erlebt zum Beispiel, dass Begegnungsstätten durch Etatkürzungen von türkisch-muslimischer oder städtischer Seite gefährdet oder ausgehandelte Kompromisse 266
Moscheebau in Deutschland: Konflikt als Kontakt
in Frage gestellt werden – etwa, wenn ein Moscheesprecher erklärt, dass der Verzicht auf einen lautsprecherverstärkten Gebetsruf wohl doch nicht der Weisheit letzter Schluss gewesen sei.119 Auch die Einsetzung eines neuen Imams, der kaum Deutsch spricht, oder die Ablösung eines liberalen durch einen konservativen Moscheevorstand erzeugen des Öfteren Irritationen auf einheimisch-deutscher Seite und zu nicht immer, aber oft vorschnellem Islamismusalarm. Die Mannheimer Yavuz-Sultan-Selim-Moschee zum Beispiel erlebt eine Krise, nachdem 1997 in der Türkei der religiös-konservative Necmettin Erbakan die Wahlen gewonnen hat. In der Folge agitiert das türkische Generalkonsulat in Frankfurt gegen das Institut für Deutsch-Türkische Integrationsstudien, dessen Dialogorientierung ihm offenbar zu weit geht, und unterbindet das von Institut, Moscheeverein und Schulverwaltung entwickelte Vorhaben eines deutschsprachigen Koranunterrichts.120 Auch die liberale Führungsriege des Islamischen Bundes in Mannheim wird von türkischer Regierungsseite angegriffen – unter anderem mithilfe des Vorwurfs von Veruntreuungen;121 diese setzt gegen erheblichen Widerstand in der Mitgliedschaft die Wahl eines neuen Vorstands durch, in dem Parteigänger der nationalistischen »Grauen Wölfe« eine knappe Mehrheit haben.122 Die »Rhein-Neckar-Zeitung« fragt: »Macht Mannheims Moschee die ›Schotten dicht‹?«, und DER SPIEGEL titelt »Mit den Wölfen heulen« – ohne Fragezeichen.123 Doch die Situation beruhigt sich wieder: Der neue Vorstand bricht den interkulturellen Dialog nicht ab und wird im Übrigen schon 2001 wieder abgewählt. 2004 resümiert Iris Keßner: »Wenngleich bereits betont wurde, dass es für die deutsche Öffentlichkeit auch bei einer offenen Moschee schwierig bleibt, die internen Vorgänge und Veränderungen zu beurteilen, soll abschließend nach mehreren Jahren des kontinuierlichen Kontakts und der teilnehmenden Beobachtung festgestellt werden, dass das Modell der offenen Moschee Bestand hat und die Arbeit des Instituts für Integrationsstudien und interreligiöse Arbeit e. V. mit großer Intensität weitergeführt wird.«124 Gelungene Konfliktlösungen beim Moscheebau und bewältigte Krisen beim Moscheebetrieb – auch Marxloh macht 2009/10 eine solche durch – wirken zweifellos überlokal lehrreich und ermutigend. Eine Wende in den deutschen Moscheedebatten haben sie jedoch nicht herbeigeführt. Nach wie vor stoßen große muslimische Bauprojekte auf ebenso große Bedenken bis hin zu erbittertem Protest, mitunter begleitet von Schweinekopfattacken und Brandanschlägen. Fast hat man den Eindruck, die Schlichtung müsse an jedem neuen Schauplatz wieder bei null beginnen; zumindest lässt sich 267
Wendepunkte der Migrationsgeschichte
sagen, dass die beiderseitigen Lernerfolge bei der Beilegung von Moscheekonflikten Mühe haben, mit der Reproduktion und Neuproduktion von Beziehungsstörungen Schritt zu halten. Das liegt nicht nur an islamistischen Hasspredigern und Djihadisten auf der einen Seite und islamophoben Rechtspopulisten auf der anderen, die beide eine polemische Kulturalisierung wirklicher und gefühlter sozialer Ausgrenzungen pflegen. Es hat auch mit einem in der deutschen Mehrheitsgesellschaft nach wie vor verbreiteten Homogenitätswunsch zu tun: Bei Moscheekritikern findet sich, wie es Levant Tezcan über Gegner des Gebetsrufs sagt, »paradoxerweise die Vorstellung von einer Integration, die nur ein harmonisches Zusammenleben gelten lassen will, in dem es keine Differenzen, keine Auffälligkeiten geben darf«125. »Für Imam Tariq«, schreibt Sascha Lennartz in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, »ist Integration erreicht, wenn beide Seiten wissen, dass sie verschieden sind. Für die IPAHB erst dann, wenn die Muslime aufhören, anders zu sein.«126 Moscheen, zumal wenn sie im traditionellen Stil gebaut sind, sind für ein solches ethnozentrisches Integrationsverständnis eine gebaute Herausforderung. Sie pochen auf die Legitimität von Differenz. Natürlich kann sich deren Charakter und Ausmaß, was die Ansätze zu einem »europäischen Islam« bestätigen, verändern. Ein Anspruch auf solche Annäherungen und Angleichungen besteht jedoch nicht, und die neuen Moscheen in Deutschland symbolisieren die Möglichkeit, dass eventuelle künftige Angleichungen nicht in einer Assimilation münden werden – nicht an das Christentum und leider auch nicht an den Atheismus. Sie stehen für den Anspruch auf Gleichstellung ohne Gleichheit. Nicht Einigkeit, aber Recht und Freiheit.
268
Moscheebau in Deutschland: Konflikt als Kontakt
Notabene
Am Beginn dieses Buchs: das bürgerliche Projekt einer zunächst nationalen, aber von einem Weltbürgertum träumenden Fraternité. Danach: das sozialistische Projekt einer internationalen Proletarierverbrüderung, die den Weg zur Völkerverbrüderung bereiten sollte. Und am Ende: das Bemühen um die soziale und kulturelle Gleichstellung von Zuwanderern auf betrieblicher und lokaler Ebene. Diese Sequenzierung könnte so gedeutet werden, dass sie den – sei’s auch melancholischen – Abschied von den großen Sozialutopien und die realistische Bescheidung mit kleinen Schritten zu friedlicher Koexistenz und gleichberechtigter Kooperation nahelegt. Das wäre, alles in allem, ein Missverständnis. Zwar ist die konfliktlose, konsensuale Gesellschaft, die in großen historischen Verbrüderungsmomenten am Horizont aufzutauchen scheint, in der Tat eine irrealistische Hoffnung, offen für nutzlose Gesundbeterei wie für totalitäre Brachialpolitik. Doch das impliziert keine Zustimmung zu der klassisch-liberalen Theorie, dass die Anerkennung des Konflikts als notwendigem Ingrediens allen sozialen Handelns nicht nur den Gedanken an ein irdisches Paradies, sondern auch den einer Überwindung von Klassengesellschaften ausschließe.127 Die Unabschaffbarkeit divergierender Interessen und damit die Notwendigkeit und Wünschbarkeit von Meinungspluralismus und Kompromiss kann nicht bedeuten, dass sich gesellschaftsspaltende, Ausbeutung und Ausgrenzung implizierende Produktionsverhältnisse und Staatsordnungen unter das schützende Begriffsdach »unabschaffbarer Sozialkonflikt« flüchten dürfen. Das Projekt des interkulturellen Dialogs, des multikulturellen Zusammenlebens ist die notwendige Ergänzung, aber nicht der Ersatz des Kampfs für die Freiheits- und Gleichheitsutopien, die sich in den schönen Augenblicken von 1790 und 1890 Bahn gebrochen haben. Dixi.
269
Anmerkungen
1 Das Urfest der Fraternité 1 2
3 4 5
6
7 8
9 10 11 12 13 14 15
270
Louis Sébastien Mercier: Das neue Paris. (Übersetzt von Bürger C. F. Cramer. Bd. I, Braunschweig 1799, S. 77 Journal de Paris, 8.7.1790. (Zitate aus französischsprachiger Primär- und Sekundärliteratur wurden von Gerhard Luther, Katrin Pallowski und dem Verfasser ins Deutsche übersetzt.) Maurice Lambert: Les Féderations en Franche-Comté et la Fête de la Fédération du 14 Juillet 1790. Paris 1890, S. 52. Vgl. Révolutions de France et de Brabant, Jg. 1790, Nr. 456, S. (517). François Louis d’Escherny: Briefe eines Einwohners von Paris an seine Freunde in der Schweiz und in England. Ueber die Begebenheiten vom Jahre 1789, 1790, und bis zum vierten April 1791. Hg. von Eberhard August Wilhelm von Zimmermann. Berlin 1791, S. 333. William Wordsworth: The Prelude 1799, 1805, 1850. Authoritative Texts. Context and Reception. Recent Critical Essays. Hg. von Jonathan Wordsworth/M. H. Abrams/Stephen Gill. New York, London 1979, S. 204. (Enthalten ist die zitierte Passage in der Prelude-Fassung von 1805.) Vgl. Lambert, S. 50. Sophie Reimarus an ihren Bruder August von Hennings, 3.8.1790. In: Horst Gronemeyer (Bearb.): Paris an der Alster. Die Französische Revolution in Hamburg. Herzberg 1989, S. 28 und S. 25. Étienne Cabet: Histoire populaire de la Révolution Française de 1789 à 1830. Bd. 1, Paris 1839, S. 443. Vgl. Martha Bringemeier: Ein Modejournalist erlebt die Französische Revolution, Münster 1981, S. 152. Jules Michelet: Geschichte der Französischen Revolution. Buch I: Die Ursachen der Revolution und die Ereignisse des Jahres 1789. Frankfurt a. M. 1998, S. 380. Vgl. Journal de Paris, 16.7.1790; Michelet, S. 375. Vgl. Michelet, S. 375. Vgl. Bringemeier, S. 147. Vgl. Mémoires du Marquis de Ferrières, avec une notice sur sa vie, des notes et des éclaircissemens historiques, par MM. Berville et Barrìere. Bd. 2, Paris 1822, S. 102.
Anmerkungen
16 L’ Ami du Peuple, Nr. 163, 16.7.1790. In: Jean-Paul Marat: Œuvres Politiques 1789–1793. Hg. von Jacques DeCock. Bd. 2, Brüssel 1991, S. 1062 f. 17 Vgl. Simone Bernard-Griffiths: La fête révolutionnaire vue par Edgar Quinet, ou l’illusion tragique. In: Jean Ehrard/Paul Viallaneix (Hg.): Les fêtes da la Révolution. Colloque de Clermont-Ferrand. Paris 1977, S. 605–619. 18 Hippolyte Taine: Die Entstehung des modernen Frankreich. Revolution und Kaiserreich. Berlin, Frankfurt a. M. 1954, S. 88 f. 19 Vgl. Albert Soboul: Die Große Französische Revolution. Ein Abriß ihrer Geschichte (1789–1799). Frankfurt a. M. 1988, S. 149. 20 Vgl. ebd., S. 153. 21 Vgl. Anatoli V. Ado: Die Bauern in der Französischen Revolution 1789–1794. Leipzig 1997, S. 161. 22 Vgl. Georges Carrot: La garde nationale (1789–1871). Une force publique ambiguë. Paris u. a. 2001, S. 70. 23 François Furet/Denis Richet: Die Französische Revolution. München 1968, S. 146. 24 Vgl. Mona Ozouf: Föderation. In: François Furet/Mona Ozouf (Hg.): Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution. Bd. I, Frankfurt a. M. 1988, S. 67–81; hier S. 69 und S. 71. 25 Vgl. Georges Léfèbrve: La grande peur de 1789. Paris 1970. 26 Vgl. Ozouf 1988, S. 72. 27 Vgl. ebd. 28 Vgl. Ado, S. 140. 29 Lambert, S. 14. 30 Carrot, S. 65. 31 Vgl. Roger Dupuy: La Garde nationale 1789–1872. Paris 2010, S. 88. 32 Vgl. Carrot, S. 64. 33 Vgl. Lambert, S. 18. 34 Vgl. Cabet, S. 430. 35 Mona Ozouf: La fête révolutionnaire 1789–1799. Paris 1976, S. 54. 36 Vgl. Jean Nicolas: La Révolution Française dans les Alpes: Dauphiné et Savoie 1789–1799. Toulouse 1989, S. 99. 37 Michelet, S. 364. 38 Ebd., S. 361. 39 Ebd., S. 363. 40 Vgl. Cabet, S. 430–434. 41 Ebd., S. 24. 42 Vgl. Actes de la Commune de Paris, Serie I, Bd. IV. Hg. von Sigismond Lacroix. Paris 1896, S. 481–488; Carrot, S. 83. 43 Vgl. Soboul, S. 153. 44 Vgl. Karl Griewank: Die Französische Revolution 1789–1799. Köln, Wien 1980, S. 46 f. 45 Vgl. Ozouf 1988, S. 73; Roger Dupuy, S. 98. 271
Anmerkungen
46 Jean Jaurès: La Constituante (1789–1791). Histoire Socialiste (1789–1900), Bd. 1, Paris 1901, S. 551 f. 47 »L’ égalité civile n’ est pas l’ égalité des proprietés ou des distinctions.« Zit. nach: Jost Hermand: Liberté – Égalité – Fraternité. Die Postulate einer unvollendeten Revolution. In: Gerhard Bott (Hg.): Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit. 200 Jahre Französische Revolution in Deutschland. Nürnberg 1989, S. 31–40; hier S. 33. 48 Jaurès, S. 552. 49 Actes de la Commune de Paris, Serie I, Bd. IV. Hg. von Sigismond Lacroix. Paris 1897, S. 412. 50 Vgl. ebd., S. 414. 51 Mémoires de Madame La Duchesse de Tourzel, gouvernante des enfants de France de 1789 à 1795. Paris 1986, S. 96. 52 D’Escherny, S. 35f.; vgl. Mercier 1799, S. 75. 53 Vgl. Chronique de Paris, 10.7.1790. 54 Mémoires du Marquis de Ferrières, S. 90. 55 Georg Forster: Erinnerungen aus dem Jahr 1790 in historischen Gemälden und Bildnissen von D. Chodowiecki, D. Berger, Cl. Kohl, J. F. Bolt und J. S. Ringck. In: Georg Forsters Werke, Bd. 8, bearb. von Siegfried Scheibe. Berlin/DDR 1991, S. 263–352; hier S. 287. 56 Vgl. Chronique de Paris, 9.7.1790. 57 Vgl. Lambert, S. 45. 58 Goethes Werke, Bd. III. Hg. von Erich Trunz. München 1976, S. 348. 59 Chronique de Paris, 10.7.1790. 60 Mercier 1799, S. 82. 61 Vgl. Chronique de Paris, 9.7.1790. 62 Mercier 1799, S. 82 f.; Chronique de Paris, 9.7.1790. 63 Vgl. Mémoires du Général Bon Thiébault. Hg. von Fernand Calmettes. Bd. I, 1769–1795, Paris 1893, S. 259. 64 D’Escherny, S. 352. 65 Chronique de Paris, 9. und 10.7.1790. 66 Révolutions de Paris, 2. Jg. 1790, Nr. 52, 3.–10.7.1790, S. (755). 67 Forster 1991, S. 287. 68 Jaurès, S. 552. 69 D’Escherny, S. 352 f. 70 Ebd., S. 353 f. 71 Chronique de Paris, 9.7.1790. 72 Journal de Paris, 8.7.1790. 73 Revue de Paris, S. 753; siehe auch Adrien-Joseph Colson: Lettres d’un bourgeois de Paris à un ami de Province. Saint-Cyr-sur-Loire 1993, S. 142. 74 Vgl. Dominique Godineau: Citoyennes tricoteuses. Les femmes du peuple à Paris pendant la Révolution française. Aix-en-Provence 1988, S. 113–115. 75 Vgl. Helga Grubitzsch/Roswitha Bockholt: Théroigne de Méricourt. Die 272
Anmerkungen
Amazone der Freiheit. Pfaffenweiler 1991, S. 371. 76 Vgl. Michel Biard: La fédération des ombres. Fête patriotique et théâtres parisiens dans l’été 1790. In: Pascal Dupuy (Hg.): Le Fête de la Fédération. Rouen 2012, S. 43–59; hier S. 55. 77 Michel Biard: Jean-Marie Collot d’herbois: Homme de théâtre et homme de pouvoir (1749–1796). Paris 1993, S. 220. 78 Selma Stern: Anacharsis Cloots, der Redner des Menschengeschlechts. Ein Beitrag zur Geschichte der Deutschen in der französischen Revolution. Berlin 1914, S. 95. 79 Ebd., S. 96. 80 Ebd., S. 97. 81 Ebd., S. 96. 82 Vgl. Georges Avenel: Cloots. L’orateur du genre humain. Paris 1865, S. 192. 83 Vgl. Stern, S. 104. 84 Vgl. Avenel, S. 179–182; vgl. John Goldworth Alger: Paris 1789–94. Farewell letters of victims of the guillotine. London 1902, S. 54–71; Stern, S. 108. 85 Vgl. Bernd Schminnes (Hg.): Anacharsis Cloots. Der Redner des Menschengeschlechts. Kleve 1988, S. 9–26; hier S. 25. 86 Vgl. ebd., S. 13. 87 Vgl. ebd., S. 17. 88 Vgl. ebd., S. 23. 89 Révolutions de France et de Brabant, Nr. 31, 1790, S. (318 f.). 90 Vgl. Stern, S. 100. 91 Vgl. Chronique de Paris, 25.3.1792. 92 Vgl. Francis Chevenal: Der kosmopolitische Republikanismus – erläutert am Beispiel Anacharsis Cloots’. In: Zeitschrift für philosophische Forschung, 58. Jg. 2004, H. 3, S. 373–396; hier S. 378. 93 Vgl. Susan Buck-Morss: Hegel und Haiti. Für eine neue Universalgeschichte. Berlin 2011, S. 52 f. 94 Vgl. ebd., S. 50. 95 Vgl. Walter Markov: Revolution im Zeugenstand. Frankreich 1789–1799. Bd. 1: Aussagen und Analysen. Leipzig 1986, S. 109. 96 Vgl. Franz Sundstral: Aus der schwarzen Republik. Der Neger-Aufstand auf Santo Domingo oder Die Entstehungs-Geschichte des Staates Haïti. Leipzig 1903, S. 40 f. 97 Vgl. Marie Biloa Onana: Der Sklavenaufstand von Haiti. Ethnische Differenz und Humanitätsideale in der Literatur des 19. Jahrhunderts, Köln u. a. 2010, S. 27. 98 Vgl. Alex Dupuy: Haiti in the World Economy. Class, Race, and Underdevelopment. London 1989, S. 34. 99 Vgl. Oliver Gliech: Saint-Domingue und die Französische Revolution. Das Ende der weißen Herrschaft in einer karibischen Plantagenwirtschaft. Köln u. a. 2011, S. 288 f. 100 Vgl. ebd., S. 280 f. 273
Anmerkungen
101 Vgl. ebd., S. 334. 102 Vgl. ebd., S. 337. 103 Zit. nach Hans Christoph Buch: Die Scheidung von San Domingo. Wie die Negersklaven von Haiti Robespierre beim Wort nahmen. Berlin 1976, S. 87 f. 104 Zit. nach ebd., S. 88. 105 Michelet, S. 367. 106 Vgl. Peter Burley: Witness to the Revolution. American and British Commentators in France 1788–94. London 1989, S. 113. 107 Vossische Zeitung, Berlin 1790, Nr. 86, zit. nach Susanne Böhme-Kuby (Hg.): Das Neueste aus Paris. Deutsche Presseberichte 1789–1795. München 1989, S. 107. 108 Vgl. Ozouf 1976, S. 57; Mémoires du Marquis de Ferrières, S. 88 f. 109 Christoph Girtanner: Historische Nachrichten und politische Betrachtungen über die französische Revolution. Bd. 4, Berlin 1792, S. 15 f. 110 Ebd., S. 19. 111 Vgl. Jean-Paul Bertaud: Alltagsleben während der Französischen Revolution. Freiburg, Würzburg 1989, S. 24. 112 Vgl. ebd. 113 Vgl. Albert Mousset: Un témoin ignoré de la Révolution. Le comte de Fernan Nuñez, Ambassadeur d’Espagne à Paris 1787–1791. Paris 1923, S. 108 f. 114 Louis Sébastien Mercier: Mein Bild von Paris. Frankfurt a. M. 1979, S. 37 f. 115 Ebd., S. 220. 116 Christian Gotthilf Salzmann: Reisen der Salzmannischen Zöglinge. Bd. 2, Leipzig 1786, S. 93. 117 Vieth, Gerhard Ulrich Anton: Versuch einer Encyklopädie der Leibesübungen. Frankfurt a. M. 1970, S. 151 f. (zuerst: 1794/95). 118 Johann Gottfried Seume: Mein Sommer 1805. In: Ders.: Werke in zwei Bänden. Hg. von Jörg Drews. Bd. 1, Frankfurt a. M. 1993, S. 544. 119 Vgl. Ozouf 1976, S. 68. 120 Journal des Luxus und der Moden, 4. Jg. 1789, S. 521. 121 Vgl. d’Escherny, S. 342. 122 Vgl. Susanne Petersen: Marktweiber und Amazonen. Frauen in der Französischen Revolution. Dokumente – Kommentare – Bilder. Köln 1987, S. 175. 123 Journal des Luxus und der Moden, 7. Jg. 1792, S. 589 f. 124 Vgl. Journal de Paris, 8.7.1790. 125 Vgl. Gisela Gramaccini: Jean-Guillaume Moitte (1746–1810). Leben und Werk. Bd. 1, Berlin 1993, S. 73. 126 Journal de Paris, 8.7.1790. 127 Chronique de Paris, 15.7.1790. 128 Vgl. Adolphe Thiers: Geschichte der französischen Revolution. Bd. 1, Tübingen 1844, S. 165. 129 Vgl. Girtanner, S. 25 f. 130 Vgl. ebd., S. 26. 274
Anmerkungen
131 132 133 134 135 136 137 138 139 140 141 142 143 144
145 146
147 148 149 150 151
152 153 154 155 156 157 158 159
160 161 162 163 164
Ebd., S. 18. Ebd., S. 29. Chronique de Paris, 20.7.1790. Vgl. ebd., 16.7.1790. D’Escherny, S. 339. Ebd., S. 338. Vgl. Ozouf 1988, S. 77. Vgl. Chronique de Paris, 13.7.1790. Vgl. d’Escherny, S. 330. Ebd., S. 336–342. Ebd., S. 343 f. Ebd., S. 345–347. Girtanner, S. 39. Heinrich von Kleist: Das Erdbeben in Chili. In: Ders.: Sämtliche Werke und Briefe. Hg. von Helmut Sembner. Bd. 2, Darmstadt 1962, S. 144–160; hier S. 152. Vgl. Diethelm Brüggemann: Kleist. Die Magie. Würzburg 2004, S. 244. Vgl. Rolf Reichardt: »Ici l’on danse«. Les fêtes populaires à la Bastille en juillet 1790. In: Pascal Dupuy (Hg.): Le Fête de la Fédération. Rouen 2012, S. 129–138. Vgl. ebd., S. 136 f. Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung. Frankfurt a. M. 1959, Bd. 1, S. 186. Vgl. Mousset, S. 105. Chronique de Paris, 11.7.1790; siehe auch Forster 1991, S. 287 f. Vgl. Philippe de Carbonnières: Iconographie de la fête de la Fédération. In: Pascal Dupuy (Hg.): La Fête de la Féderation. Rouen 2012, S. 73–114; hier S. 74. Girtanner, S. 14. Vgl. Mémoires de la Marquise de la Tour du Pin. Journal d’une femme de cinquante ans (1778–1815). Paris 1989, S. 130. «Voilà mon fils; il se réunit, ainsi que moi, dans les mêmes sentiments.« Mémoires du Marquis de Ferrières, S. 95. Vgl. Lambert, S. 73. Vgl. ebd. Mémoires de Madame La Duchesse de Tourzel, S. 102. Helene Marie Williams (Hg.): Politische und vertraute Correspondenz Ludwig’s XVI mit seinen Brüdern, und mehrern berühmten Personen während der lezten Jahre seiner Regierung, und bis an seinen Tod. Straßburg 1804, S. 115. Evelyne Lever: Ludwig XVI. Stuttgart 1988, S. 434. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 435. Lambert, S. 44. Vgl. Révolutions de Paris, 2. Jg. 1790, Nr. 53, 10.–17.7.1790, S. (9)–(12). 275
Anmerkungen
165 166 167 168 169 170 171 172 173 174 175 176 177 178 179 180 181
182 183 184 185 186 187 188 189 190 191 192 193 194 195 196 276
Ozouf 1976, S. 59. Vgl. ebd. Révolutions de France et de Brabant, Nr. 34, 1790, S. (469). Vgl. Marc Bloch: Die wundertätigen Könige. München 1998, S. 423 und S. 426. Ozouf 1976, S. 59. Vgl. Ado, S. 119. Lambert, S. 112 f. Mémoires du Marquis de Ferrières, S. 96. Ebd., S. 99. Mémoires de Madame La Duchesse de Tourzel, S. 103. Mercier 1799, S. 78. Christian Friedrich Daniel Schubart: Nachspiel. Chronik, 23.7.1790, S. 509. Révolutions de Paris, 2. Jg. 1790, Nr. 53, S. (10). Paris an der Alster, S. 26–28. Vgl. Bertaud, S. 14. Vgl. Ado, S. 129. Michel Vovelle: Ideologische Kontroversen um den 200. Jahrestag der Französischen Revolution. In: 1789. Weltwirkung einer großen Revolution. Plenarreferate der wissenschaftlichen Konferenz vom 21.–24. Juni 1988. Leipzig 1989, S. 37–48; hier S. 40. Vgl. Furet/Richet, S. 148. Vgl. Markov, S. 98. Joachim Heinrich Campe: Briefe aus Paris zur Zeit der Revolution geschrieben. Hildesheim 1977, S. (81). Vgl. Alexander Lameth: Geschichte der constituirenden Versammlung. Stuttgart 1830, S. 152. Vgl. Griewank, S. 40. Campe, S. (82). Vgl. Griewank, S. 40. Campe, S. (86 f.). Vgl. Jochen Köhler: Das Gewitter der Freiheit. Bedeutung und Wirkung der Französischen Revolution heute. Frankfurt a. M. 1989, S. 77. Lameth, S. 153 f. Campe, S. (35)–(37). L’ Ami du peuple, Nr. 11, 21.9.1789. In: Jean-Paul Marat: Œuvres politiques 1789–1793. Hg. von Jacques DeCock. Bd. 1, Brüssel 1989, S. 62 f. Marquis de Ferrières: Correspondance inédite (1789, 1790, 1791). Hg. von Henri Carré. Paris 1932, S. 114. Vgl. u. a. Albert Mathiez: Die Französische Revolution. Bd. 1, Hamburg 1950, S. 78 und S. 81. Vgl. Heinrich Cunow: Die revolutionäre Zeitungsliteratur Frankreichs während der Jahre 1789–94. Berlin 1908, S. 57–61.
Anmerkungen
197 198 199 200 201 202 203 204 205 206 207 208
209 210 211 212 213 214 215 216 217 218 219 220 221 222 223 224 225 226 227
Markov, S. 98. Vgl. Elias Canetti: Masse und Macht. Frankfurt a. M. 1980, S. 12 f. Vgl. Cunow, S. 62. Vgl. Lambert, S. 32. Vgl. Avenel, S. 186 f. Vgl. Journal de Paris, 21.6.1790; Carl Richter: Anacharsis Clootz. Ein historisches Bild aus der französischen Revolution von 1789. Berlin 1865, S. 65. Vgl. Mousset 1923, S. 105. Vgl. zum Beispiel Chronique de Paris, 10.7. und 16.7.1790. Ebd., 9.7.1790. Révolutions de Paris, 2. Jg. 1790, Nr. 52, S. (755). Vgl. Charles Philippe Ronsin: La fête de la Liberté, ou Le diner des Patriotes. Comédie. Paris 1790. Vgl. Hans Christian und Elke Harten: Die Versöhnung mit der Natur. Gärten, Freiheitsbäume, republikanische Wälder, heilige Berge und Tugendparks in der Französischen Revolution. Reinbek 1989, S. 65 f. Vgl. Biard 1993, S. 218 f. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Philippe_Ronsin (letzter Zugriff am 7.3.2016). Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Marie_Collot_d’Herbois (letzter Zugriff am 7.3.2016). L’ Ami du peuple, Nr. 166, 19.7.1790. In: Jean-Paul Marat: Œuvres politiques 1789–1793. Hg. von Jacques DeCock. Bd. 2, Brüssel 1991, S. 1080. Vgl. Biard 1993, S. 219. Chronique de Paris, 20.7.1790. Vgl. u. a. Eugène Dubois: Histoire de la Révolution dans l’Ain. I: La Constituante (1789–1791). Bourg 1931, S. 356. Vgl. Suzanne Desan: Reclaiming the Sacred. Lay Religion and Popular Politics in Revolutionary France. Ithaca, London 1990, S. (7). Vgl. Ozouf 1976, S. 64. D’Escherny, S. 331 f. Vgl. Hans Maier: Revolution und Kirche. Zur Frühgeschichte der Christlichen Demokratie. Freiburg u. a. 1988, S. 114. Vgl. Gary Kates: The Cercle Social, the Girondins, and the French Revolution. Princeton 1985, S. 47. Vgl. Maier, S. 107; Walter Grab: Die Französische Revolution. Aufbruch in die moderne Demokratie. Stuttgart 1989, S. 66. Journal de Paris, 8.7.1790. Chronique de Paris, 9.7.1790. Ebd., 11.7.1790. Helen Maria Williams: Letters from France. New York 1975, S. 7. Ebd., S. 20. Chronique de Paris, 8.7.1790. 277
Anmerkungen
228 Sur les fêtes publiques, civiles et militaires. In: Travail sur l’education publique, trouvé dans les papiers de Mirabeau l’Aimé; hg. von P. J. G. Cabanis. Paris 1791, S. 74–96; hier S. 93. 229 Vgl. Journal de Paris, 11.7.1790. 230 Mémoires de Madame La Duchesse de Tourzel, S. 100. 231 Mémoires du Cancelier Pasquier. T. 1, Bd. 1: 1789–1810. Paris 1893, S. 247. 232 Vgl. Griewank, S. 50 f.; Eva Schleich: Kirche, Klerus und Religion. In: P loetz. Die Französische Revolution. Hg. von Rolf Reichardt, S. 172–185; hier S. 180 f. 233 Vgl. Grab, S. 67; Desan, S. (6). 234 Karl Marx: Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850. In: Ders./Friedrich Engels: Werke. Bd. 7, Berlin 1966, S. 9–107; hier S. 21. 235 Jaurès, S. 556. 236 Ebd., S. 554. 237 Ozouf 1976, S. 71. 238 Vgl. ebd. 239 Armand DuChatellier: Histoire de la Rèvolution en Bretagne 1788–1792. Bd. I, Berrien 1977, S. 136. 240 Vgl. ebd., S. 136 f. 241 Vgl. ebd., S. 137 und S. 139. 242 Vgl. Roger Dupuy, S. 111 f. 243 Vgl. ebd., S. 111. 244 Vgl. Carrot, S. 90. 245 Vgl. Samuel F. Scott: The Response of the Royal Army to the French Revolution. The Role and Development of the Line Army 1787–93. Oxford 1978, S. 91–93. 246 Vgl. ebd., S. 150. 247 Ebd., S. 149. 248 Vgl. Wilhelm von Blume: Die Armee und die Revolution in Frankreich 1789– 1793. Braunschweig 1863, S. 57–60. 249 Vgl. Scott, S. 43 f. 250 Vgl. ebd., S. 17. 251 Vgl. Roger Dupuy, S. 105. 252 Jaurès, S. 554. 253 Vgl. Girtanner, S. 10; Marquis de Ferrières, S. 242. 254 Siehe auch Lambert, S. 38, über die Delegierten von Besançon. 255 Vgl. Bertaud, S. 15. 256 Dubois, S. 351. 257 Vgl. Ozouf 1976, S. 72. 258 Ebd. 259 Michelet, S. 357. 260 Dieter Hildebrandt: Die Neunte. München 2005, S. 145. 278
Anmerkungen
261 Hans Mayer: Neunte Symphonie und Song of Joy. In: Ders.: Ein Denkmal für Johannes Brahms. Versuche über Musik und Literatur. Frankfurt a. M. 1983, S. 28–39; hier S. 39. 262 Andreas Eichhorn: Beethovens Neunte Symphonie. Die Geschichte ihrer Aufführung und Rezeption. Kassel u. a. 1993, S. 238. 263 Ebd., S. 239. 264 Ebd. 265 Girtanner, S. 23 f. 266 Michelet, S. 359. 267 Ebd., S. 64. 268 Vgl. Walter Benjamin: Geschichtsphilosophische Thesen. In: Ders.: Illuminationen. Ausgewählte Schriften. Frankfurt a. M. 1961, S. 268–279; hier S. 277.
2 Tage der Internationale Fantaisies Parisiennes: Über die Arbeiterverbrüderung zur Völkerverbrüderung 1
Paul Lafargue: Der erste Mai und der Stand der sozialistischen Bewegung in Frankreich. In: Die Neue Zeit, 9. Jg. 1890/91, H. 36, S. 289–304; hier S. 291. 2 Sprung der SPD – damals noch SAPD – bei der Reichstagswahl 1890 von 9,6 % auf 19,7 %. 3 Friedrich Engels an August Bebel, 9.5.1890. In: Werner Blumenberg (Hg.): August Bebels Briefwechsel mit Friedrich Engels. London u. a. 1965, S. 391 f. 4 Vgl. Harald Troch: Rebellensonntag. Der 1. Mai zwischen Politik, Arbeiterkultur und Volksfest in Österreich (1890–1918). Wien, Zürich 1991, S. 41–44. 5 Zit. nach Julius Braunthal: Geschichte der Internationale. Bd. 1, Berlin, Bonn 1978, S. 255. 6 Vgl. Donna T. Haverty-Stacke: America’s Forgotten Holiday. May Day and Nationalism, 1867–1960. New York 2009, S. 39 f. 7 Vgl. Berliner Volksblatt, 3.5.1890; Maurice Dommanguet: Histoire du Premier Mai. Paris 1972; Udo Achten/Matthias Reichelt/Reinhard Schultz in Zusammenarbeit mit Kai Reschke: Mein Vaterland ist international. Internationale Illustrierte Geschichte des 1. Mai 1886 bis heute. Oberhausen 1986; Andrea Panaccione (Hg.): The Memory of May Day. An Iconographic History of the Origins and Implanting of a Workers’ Holiday. Venezia 1989. 8 Vgl. Leónidas Ceruti: El 1. de Mayo de 1890 en la Argentina (http://argentina. indymedia.org/news/2012/04/813155.php; letzter Zugriff am 18.3.2016). 9 Der Sozialdemokrat, 1.6.1889. 10 Ebd. 11 Vgl. Helga Grebing: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Ein Über279
Anmerkungen
blick. München 1966, S. 62. 12 Vgl. Friedhelm Boll: Arbeitskämpfe und Gewerkschaften in Deutschland, England und Frankreich. Ihre Entwicklung vom 19. zum 20. Jahrhundert. Bonn 1992, S. 633–635. 13 Yvonne Kapp: Eleanor Marx, Vol. II: The Crowded Years (1884–1898). London 1976, S. 293. 14 Vgl. Friedrich Engels an Wilhelm Liebknecht, 4.4. und 5.4.1889: In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke. Bd. 37, Berlin/DDR 1967, S. 177–181. 15 Vgl. Wilhelm Liebknecht an Friedrich Engels, 19.4.1889. In: Georg Eckert (Hg.): Wilhelm Liebknecht. Briefwechsel mit Karl Marx und Friedrich Engels. London u. a. 1963, S. 336–338. 16 Vgl. Friedrich Engels an Laura Lafargue, 28.6.1889. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke. Bd. 37, Berlin/DDR 1967, S. 240. 17 Friedrich Engels an Wilhelm Liebknecht, 4.4.1889. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke. Bd. 37, Berlin/DDR 1967, S. 178. 18 August Bebel an Friedrich Engels, 2.7.1889. In: Werner Blumenberg (Hg.): August Bebels Briefwechsel mit Friedrich Engels. London u. a. 1965, S. 364. 19 Berliner Volksblatt, 19.7.1889. 20 Julius Bruhns: »Es klingt im Sturm ein altes Lied! –«. Aus der Jugendzeit der Sozialdemokratie. Stuttgart, Berlin 1921, S. 91. 21 Tägliche Rundschau, 14.7.1889. 22 Berliner Volksblatt, 16.7.1889. 23 Ebd., 6.7.1889. 24 Ebd. 25 Ebd., 10.7.1889. 26 Ebd. 27 Vgl. ebd., 18.6.1889. 28 Ebd.,10.7.1889. 29 Vgl. Protokoll des Internationalen Arbeiter-Congresses zu Paris. Abgehalten vom 14. bis 20. Juli 1889. Deutsche Übersetzung. Mit einem Nachwort von Wilhelm Liebknecht. Nürnberg 1890, S. 31. 30 Vgl. Der Sozialdemokrat, 27.7.1889. 31 Bruhns, S. 99. 32 Vgl. Lily Braun: Die Frauenfrage. Ihre geschichtliche Entwicklung und ihre wirtschaftliche Seite. Leipzig 1901, Tabelle zwischen S. 252 und S. 253. 33 Vgl. ebd., S. 436. 34 Protokoll, S. 88 f. 35 Ebd., S. 89. 36 Ebd., S. 81 und S. 85. 37 Richard J. Evans: Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich. Berlin 1979, S. 68. 38 Louis-Eugène Varlin (1839–1871) war ein führendes Mitglied der I. Internationale und der Commune von 1871. 280
Anmerkungen
39 40 41 42 43 44 45
46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56
57 58 59 60 61 62
63 64 65 66 67
Protokoll, S. 1. Ebd., S. 1 f. Ebd., S. 4. Berliner Volks-Tribüne, 20.7.1889. Bruhns, S. 96 f. Berliner Volks-Tribüne, 20.7.1889. Karl Marx/Friedrich Engels: Revue, Mai bis Oktober 1850 (= Artikel aus der Neuen Rheinischen Zeitung). In: Dies.: Werke. Bd. 7, Berlin/DDR 1969, S. 421-463; hier S. 431. Berliner Volksblatt, 11.7.1889. Vgl. Der Correspondent, 3.7.1889. Vgl. Neue Tischler-Zeitung, 21.7.1889. Berliner Volksblatt, 18.7.1889; Der Sozialdemokrat, 20.7.1889. Berliner Volksblatt, 19.7.1889, Beilage. Berliner Volksblatt, 13.7.1889. Berliner Tageblatt, 7.5.1889, Morgen-Ausgabe. Vgl. H. Scherer: Londoner Briefe über die Weltausstellung. Leipzig 1854, S. 157. Vgl. Brenda Nelms: The Third Republic and the Centennial of 1789. New York, London 1987, S. 215. Vgl. Winfried Kretschmer: Geschichte der Weltausstellungen. Frankfurt a. M., New York 1999, S. 27. L’intransigeant, 14.8.1887, zit. in: Joy H. Hall: Sheetiron, Syphilis, and the Second International: The Paris International Exposition of 1889. In: Proceedings of the Western Society for French History, 11/1984, S. 244–254; hier S. 246. Vgl. John E. Findling/Kimberly D. Pelle (Hg.): Historical Dictionary of World’s Fairs and Expositions, 1851–1988. New York u. a. 1990, S. 113. Vgl. Scherer, S. 187. Ebd., S. 188. Vgl. Berliner Volksblatt, 24.7.1889. Vgl. Daniel L. Horowitz: The Italian Labor Movement. Cambridge/Mass. 1963, S. 42. Vgl. Madeleine Rebérioux: Les ouvriers et les expositions universelles de Paris au XIXe siècle. In: Robert Bordaz (Hg.): Le livre des expositions universelles 1851–1989. Paris 1983, S. 195–208; hier S. 198; Kretschmer, S. 74 f. Kretschmer, S. 75. Ebd., S. 26 und S. 19. Vgl. Werner Plum: Weltausstellungen im 19. Jahrhundert. Schauspiele des sozio-kulturellen Wandels. Bonn-Bad Godesberg 1975, S. 95 f. Berliner Tageblatt, 7.5.1889, Morgen-Ausgabe. The Universal Peace Congress. Paris, 1889. In: The American Advocate of Peace and Arbitration, vol. 51, No. 4/5, September/Oktober 1889, S. 97–101; 281
Anmerkungen
hier S. 97. Berliner Volks-Tribüne, 20.7.1889. Protokoll, S. 3. Ebd., S. 128. Ebd., S. 2. Eric Hobsbawm: Das imperiale Zeitalter: 1875–1914. Frankfurt a. M., New York 1989, S. 97 f. 73 Protokoll, S. 1. 74 Ebd., S. 3. 75 Vgl. ebd., S. 30. 76 Paul Lafargue an Friedrich Engels, 23.7.1889. In: Friedrich Engels, Paul et Laura Lafargue: Correspondance. Hg. von Émile Bottigelli. Bd. 2, Paris 1956, S. 305. 77 So Wilhelm Liebknecht laut Der Sozialdemokrat, 10.8.1889. 78 Vgl. dazu u. a.: »Weltausstellungs-Briefe. Die Eröffnung«. In: Berliner Tageblatt, 9.5.1889, Abendausgabe. 79 Neue Tischler-Zeitung, 11.8.1889, Beilage. 80 Berliner Volks-Tribüne, 20.7.1889. 81 Berliner Volksblatt, 14.7.1889, Beilage. 82 Vgl. Protokoll, S. 119 f. 83 Brief von Georg von Vollmar an Julia Vollmar, 13.7.1889 (Internationales Institut für Sozialgeschichte Amsterdam, Vollmar-Archiv, V 2750). 84 Der Sozialdemokrat, 27.7.1889. 85 Graphische Presse, 31.8.1889. 86 Berliner Volksblatt, 14.7.1889. 87 August Bebel an Friedrich Engels, 17.10.1889. In: Blumenberg (Hg.), S. 366 f. 88 Friedrich Engels an August Bebel, 15.11.1889. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke. Bd. 37, Berlin/DDR 1967, S. 370. 89 Graphische Presse, 31.8.1889. 90 Der Sozialdemokrat, 27.7.1889. 91 John Burns: The Paris International Congress. In: The Labour Elector, 3.8.1889, S. 73–75; hier S. 75. 92 R. B. Cunninghame Graham: The Marxist Congress. In: The Labour Leader, 3.8.1889, S. 71. 93 Vgl. Braunthal, S. 217. 94 Ebd., S. 258. 95 Vgl. ebd., S. 223. 96 Protokoll, S. 5. 97 Ebd. 98 Ebd., S. 17. 99 Ebd. 100 Vgl. ebd., S. 21. 101 Ebd., S. 20. 68 69 70 71 72
282
Anmerkungen
102 Protokoll, S. 16. 103 Ebd., S. 23. 104 Bruhns, S. 99. 105 Vgl. Protokoll, S. 39. 106 Vgl. Berliner Volks-Tribüne, 20.7.1889. 107 Vgl. Burns, S. 73. 108 Protokoll, S. 65. 109 Ebd. 110 Der Sozialdemokrat, 27.7.1889. 111 Protokoll, S. 85. 112 Burns, S. 75. 113 Protokoll, S. 119. 114 Vgl. ebd. 115 Ebd., S. 120. 116 Vgl. Der Sozialdemokrat, 3.8.1889. 117 Vgl. Protokoll, S. 121. 118 Berliner Volks-Tribüne, 27.7.1889. 119 Protokoll, S. 128. 120 Zit. nach Georges Haupt: Programm und Wirklichkeit. Die internationale Sozialdemokratie vor 1914. Neuwied, Berlin 1970, S. 157. 121 Vgl. Braunthal, S. 260. 122 Zit. nach Haupt 1970, S. 32. 123 Karl-Heinz Klär: Der Zusammenbruch der Zweiten Internationale. Frankfurt a. M., New York 1981, S. 25. 124 Correspondenzblatt, 20. Jg., Nr. 35, 10.09.1910, S. 559. 125 Cunninghame Graham, S. 71. 126 Fiona MacCarthy: William Morris. A Life for Our Time. London 1994, S. 579f. 127 Georg von Vollmar, Postkarte mit Pariser Stempel vom 18.7.1889, an Julia Vollmar (Internationales Institut für Sozialgeschichte Amsterdam, Vollmar Archiv, V 2750). 128 August Bebel: Ausgewählte Reden und Schriften. Bd. 2: 1878 bis 1890. 2. Halbband, Berlin/DDR 1978, S. 344. 129 Der Sozialdemokrat, 27.7.1889. 130 Ebd.,10.8.1889. 131 Friedrich Giovanoli: Die Maifeierbewegung. Ihre wirtschaftlichen und soziologischen Ursprünge und Wirkungen. Karlsruhe 1925, S. 14. Zitat im Zitat: Zur Maifeier. In: Die Neue Zeit, 9. Jg. 1890/91, H. 31, S. 129. 132 Karl Marx/Friedrich Engels: Werke. Bd. 37, Berlin/DDR 1967, S. 388. 133 Berlin 1892, S. 25 f. 134 Giovanoli, S. 90. 135 Lafargue 1890/91, S. 301 f. 283
Anmerkungen
136 Hobsbawm 1989, S. 167. 137 Aus der Resolution des Internationalen Sozialistischen Kongresses zu Stuttgart 1907, zit. nach Braunthal, S. 370. 138 Ebd., zit. nach Braunthal, S. 371 f. 139 Vgl. Jolyon Howorth: The Left in France and Germany, Internationalism and War: A Dialogue of the Deaf 1900–1914. In: Eric Cahm u. a.: Socialism and nationalism. Nottingham 1979, S. 81–100. 140 Vgl. Dieter Groh/Peter Brandt: »Vaterlandslose Gesellen«. Sozialdemokratie und Nation 1860–1990. München 1992, S. 143. 141 Vgl. Kevin J. Callahan: Demonstration Culture. European Socialism and the Second International, 1889–1914. Leicester 2010. 142 Vorwärts, 4.9.1911. 143 Vgl. Callaghan, S. 268 f. 144 Vgl. Karl Kautsky: Sozialisten und Krieg. Ein Beitrag zur Ideengeschichte des Sozialismus von den Hussiten bis zum Völkerbund. Prag 1937, S. 361. 145 Helene Stöcker: Lebenserinnerungen. Die unvollendete Autobiographie einer frauenbewegten Pazifistin. Hg. von Reinhold Lütgemeier-Davin und Kerstin Wolff. Wien u. a. 2015, S. 181.
Zwei Augusterlebnisse. Die deutsche Sozialdemokratie zwischen nationaler und internationaler Solidarität 1 2
Vorwärts, 27.7.1914. Wolfgang Kruse: Krieg und nationale Integration. Eine Neuinterpretation des sozialdemokratischen Burgfriedensschlusses 1914/15. Essen 1993, S. 31. 3 Wolfgang Kruse: Die Kriegsbegeisterung im Deutschen Reich zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Entstehungszusammenhänge, Grenzen und ideologische Strukturen. In: Marcel van der Linden/Gottfried Mergner (Hg.): Kriegsbegeisterung und mentale Kriegsvorbereitung. Interdisziplinäre Studien. Berlin 1991, S. 73–87; hier S. 74. 4 Vgl. Jeffrey Verhey: Der »Geist von 1914« und die Erfindung der Volksgemeinschaft. Hamburg 2000, S. 60 f. 5 Vorwärts, 29.7.1914. 6 Vgl. Karl-Heinz Klär: Der Zusammenbruch der Zweiten Internationale. Frankfurt a. M., New York 1981, S. 78 f. 7 Vgl. ebd., S. 85. 8 Julius Braunthal: Geschichte der Internationale. Bd. 1, Berlin, Bonn 1978, S. 361. 9 Vgl. ebd. 10 Vgl. Helmuth Stoecker: Walther Stoecker – Die Frühzeit eines deutschen 284
Anmerkungen
Arbeiterführers 1891–1920. Berlin/DDR 1970, S. 78. 11 Vgl. Agnes Blänsdorf: Die Zweite Internationale und der Krieg. Die Diskussion über die internationale Zusammenarbeit der sozialistischen Parteien 1914–1917. Stuttgart 1979, S. 30. 12 Klär, S. 125. 13 Vgl. Lewis L. Lorwin: Labor and Internationalism. New York 1929, S. 30. 14 Julius Braunthal: Geschichte der Internationale. Bd. 2, Berlin, Bonn 1974, S. 43. 15 Zit. nach Kenneth R. Calkins: Hugo Haase. Demokrat und Revolutionär. Berlin 1976, S. 54 f. 16 Vgl. George Douglas Howard Cole: The Second International 1889–1914. London 1956, S. 92. 17 Verhandlungen des Reichstags. Bd. 306, Berlin 1916, S. 9. 18 Vgl. Conrad Haußmann: Schlaglichter. Reichstagsbriefe und Aufzeichnungen. Frankfurt a. M. 1924, S. 8. 19 Zit. nach Hans-Wolf Jäger: Nachwort. In: Ders. (Hg.): Joachim Heinrich Campe. Briefe aus Paris zur Zeit der Revolution geschrieben. Hildesheim 1977, S. 74–100; hier S. 77. 20 Das Kriegstagebuch des Reichstagsabgeordneten Eduard David 1914 bis 1918. In Verbindung mit Erich Matthias bearb. von Susanne Miller. Düsseldorf 1966, S. 13. 21 Vgl. Dieter Groh: Negative Integration und revolutionärer Attentismus. Die deutsche Sozialdemokratie am Vorabend des Ersten Weltkrieges. Frankfurt a. M., Berlin 1973, S. 707. 22 Verhey 2000, S. 191. 23 Paul Axelrod: Die Krise und die Aufgaben der internationalen Sozialdemokratie. Zürich 1915, S. 8. 24 Vgl. Friedhelm Boll: Frieden ohne Revolution? Friedensstrategien der deutschen Sozialdemokratie vom Erfurter Programm 1891 bis zur Revolution 1918. Bonn 1980, S. 115. 25 Vgl. Kruse 1993, S. 58. 26 Ebd., S. 59. 27 Vgl. Volker Ullrich: Vom Augusterlebnis zur Novemberrevolution. Beiträge zur Sozialgeschichte Hamburgs und Norddeutschlands im Ersten Weltkrieg 1914–1918. Bremen 1999, S. 12. 28 Vgl. Kruse 1993, S. 51. 29 Zit. nach Ullrich, S. 13. 30 Kruse 1993, S. 42. 31 Kruse 1991, S. 77. 32 Kruse 1993, S. 68 f. 33 Boll 1980, S. 90. 34 Vgl. Kruse 1993, S. 11. 35 Vgl. Reinhard Jansen: Georg von Vollmar. Eine politische Biographie. Düssel285
Anmerkungen
dorf 1958, S. 108. 36 Vgl. Verhandlungen des Reichstags. Bd. 228, Berlin 1907, S. 1093–1101; hier S. 1100. 37 Vgl. Abraham Ascher: Imperialists within German Social Democracy prior to 1914. In: Journal of Central European Affairs. Bd. 20, Oktober 1960, Nr. 3, S. 397–422. 38 Konrad Haenisch: Die deutsche Sozialdemokratie in und nach dem Weltkriege. Berlin 1919 (zuerst 1916), S. 110 f. 39 Vgl. Kruse 1993, S. 99. 40 Ebd., S. 100. 41 Vgl. Friedhelm Boll: Massenbewegungen in Niedersachsen 1906–1920. Eine sozialgeschichtliche Untersuchung zu den unterschiedlichen Entwicklungstypen Braunschweig und Hannover. Bonn 1981, S. 163. 42 Robert Grimm: Zimmerwald und Kiental. Bern-Belp 1917, S. 10 f. 43 Haenisch, S. 24. 44 Zit. bei Groh, S. 705. 45 Die Darstellung greift passagenweise zurück auf: Bernd Jürgen Warneken: Zeppelinkultur und Arbeiterbewegung. Eine mentalitätsgeschichtliche Studie. In: Zeitschrift für Volkskunde, 80. Jg. 1984, S. 59–80. Wieder abgedruckt in: Ders.: Populare Kultur. Gehen – Protestieren – Erzählen – Imaginieren. Hg. von Thomas Fliege u. a. Köln u. a. 2010, S. 259–267. 46 Theodor Heuss: Erinnerungen 1905–1933. Tübingen 1963, S. 140. 47 Vgl. Peter Fritzsche: A nation of flyers. German aviation and the popular imagination. Cambridge/Mass., London 1992, S. 15. 48 Vgl. ebd., S. 16. 49 Hamburger Nachrichten, 9.8.1908, zit. nach Helmut Reinicke: Deutschland hebt ab. Der Zeppelinkult – Zur Sozialpathologie der Deutschen. Köln 1998, S. 35. 50 Schwäbischer Merkur, 7.8.1909, Mittagsblatt. 51 Vgl. Karlsruher Volksfreund, 7.8.1908. 52 Vgl. Der Beobachter, Stuttgart, 13.8.1908. 53 Schwäbischer Merkur, 11.8.1908, Mittagsblatt. 54 Tübinger Chronik, 14.8.1908. 55 P. Zsch.: Im Zeichen Zeppelins. In: Die Hilfe, Jg. 1909, Nr. 56 vom 5.9.1909, S. 573 f. 56 Vgl. Rüdiger Haude: Grenzflüge. Politische Symbolik der Luftfahrt vor dem Ersten Weltkrieg. Das Beispiel Aachen. Köln u. a. 2007. 57 Vgl. Hans Rosenkranz: Ferdinand Graf von Zeppelin. Die Geschichte eines abenteuerlichen Lebens. Berlin 1931, S. 177 f. 58 Der Hohenstaufer, 2.6.1909. 59 Guillaume de Syon: Zeppelin! Germany and the Airship, 1900–1939. Baltimore 2002, S. 40. 60 Schwäbische Tagwacht, 7.8.1908. 286
Anmerkungen
61 Vorwärts, 29.8.1909. 62 Ebd. 63 Der wahre Jacob, Nr. 581 vom 27.10.1908, S. 5995. 64 Süddeutscher Postillon, Jg. 1909, Nr. 1, S. 7. 65 Arbeiter-Zeitung, Wien, 10.6.1913. 66 Süddeutscher Postillon, Jg. 1908, Nr. 18, S. 145. 67 Unterhaltungsblatt des Vorwärts, 14.7.1908. 68 Zit. nach Helmuth Trischler: Utopie und Realität. Flugvisionen in der Ära der technischen Verwirklichung des Fliegens. In: Dieter R. Bauer/Wolfgang Behringer (Hg.): Fliegen und Schweben. Annäherung an eine menschliche Sensation. München 1997, S. 344–360; hier S. 355 f. 69 Zit. nach Schwäbische Tagwacht, 9.7. 1908. 70 Vorwärts, 6.8.1908. 71 Süddeutscher Postillon, Jg. 1908, Nr. 18, S. 145. 72 Vgl. Karl Clausberg: Zeppelin. Die Geschichte eines unwahrscheinlichen Erfolges. München 1979, S. 71; siehe auch Jeannine Zeising: »Reich und Volk für Zeppelin!« Die journalistische Vermarktung einer technologischen Entwicklung. In: Zeppelin-Museum Friedrichshafen: Wissenschaftliches Jahrbuch 1998. Hg. von Wolfgang Meighörner. Friedrichshafen 1998, S. 67–227; hier S. 105. 73 Ferdinand Graf von Zeppelin: Die Eroberung der Luft. Stuttgart, Leipzig 1908, S. 26. 74 Karl von Einem: Erinnerungen eines Soldaten 1853–1933. Leipzig 1933, S. 163; siehe auch Hugo Eckener: Graf Zeppelin. Sein Leben nach eigenen Aufzeichnungen und persönlichen Erinnerungen. Stuttgart 1938, S. 155. 75 Vgl. de Syon, S. 72. 76 Vorwärts, 6.8.1908. 77 Ebd., 7.8.1908. 78 Verhandlungen des Reichstags. Bd. 231, Berlin 1908, S. 3873. 79 Schwäbische Tagwacht, 8.7.1908. 80 Ebd., 3.4.1909. 81 Ebd., 30.8.1909; siehe auch Münchner Post und Karlsruher Volksfreund, 31.8.1909. 82 Vorwärts, 29.8.1909. 83 Vgl. Braunthal, Bd. 1, S. 370. 84 Verhandlungen des Reichstags. Bd. 285, Berlin 1912, S. 1999. 85 Neckarecho, 12.8.1908. 86 Schwäbische Tagwacht, 30.8.1909. 87 Ebd., 1.6.1909. 88 Ebd., 30.8.1909; siehe auch Münchner Post und Karlsruher Volksblatt, 31.8.1909. 89 Zit. nach Kruse 1993, S. 75. 90 Wilhelm Baumann: Krieg und Proletariat. Wien 1924, S. 48. 91 Paul Lensch: Die Sozialdemokratie, ihr Ende und ihr Glück. Leipzig 1916, S. 287
Anmerkungen
92 93 94 95 96 97 98
114. Groh, S. 579. Das Kriegstagebuch des Reichstagsabgeordneten Eduard David, S. 12. Vgl. Groh, S. 701. Ebd., S. 702. William Stewart: J. Keir Hardie. A Biography. London 1925, S. 386 f. Vorwärts, 10.9.1915. Ebd., 11.9.1915.
Die Weihnachtsinternationale der Soldaten 1
2
3
4 5 6 7 8 9 10
11 12 13 14
288
Vgl. Paul Crook: Darwinism, war and history. The debate over the biology of war from the »Origin of Species« to the First World War. Cambridge/UK 1994; Richard Saage: Zwischen Darwin und Marx. Zur Rezeption der Evolutionstheorie in der deutschen und der österreichischen Sozialdemokratie vor 1933/34. Wien u. a. 2012. Die Neue Zeit, 2. Jg. 1884, H. 1, S. 13–19, H. 2, S. 49–59, H. 3, S. 118–125; das Zitat: S. 124. Siehe auch Karl Kautsky: Darwinismus und Marxismus. In: Die Neue Zeit, 13. Jg. 1894/95, H. 23, S. 709–716. Vgl. Curt Grottwitz: Naturwissenschaft und Moral. In: Die Neue Welt, Jg. 1907, Nr. 28, S. 219, und Nr. 29, S. 227 f.; Wilhelm Bölsche: Daseinskampf und gegenseitige Hilfe in der Entwicklung. In: Kosmos, Bd. VI, 1909, H. 1, S. 14–16, und H. 2, S. 42–46; Gustav Hoffmann: Solidarität. In: Arbeiter-Jugend, 5. Jg. 1913, S. 139. Vgl. Saage, S. 107. Peter Kropotkin: Gegenseitige Hilfe in der Entwicklung. Autorisierte deutsche Ausgabe, besorgt von Gustav Landauer. Leipzig 1904. Vgl. Karl Retzlaw: Spartacus. Aufstieg und Niedergang. Erinnerungen eines Parteiarbeiters. Frankfurt a. M. 1971, S. 46. Kropotkin, S. 205 f. Leipzig 1909. Karl Kautsky: Ethik und materialistische Geschichtsauffassung. Leipzig 1906, S.108 f. Charles Richet: Die Vergangenheit des Krieges und die Zukunft des Friedens. Einzig berechtigte Uebersetzung von Bertha von Suttner. Dresden, Leipzig 1912. Vgl. Crook, S. 114. Ebd., S. 137. Crook, S. 112. Havelock Ellis: Impressions and Comments. Second Series 1914–1920. London 1921, S. 64.
Anmerkungen
15 Ebd., S. 64–66. 16 Edward Carpenter: The healing of nations and the hidden sources of their strife. London 1915, S. 182 f. 17 Ebd., S. 181. 18 Ebd., S. 183 f. 19 Ebd., S. 194 f. und S. 200 f. 20 Ebd., S. 208 und S. 214. 21 Stanley Weintraub: Silent Night. The remarkable Christmas Truce of 1914. London u. a. 2001, S. XVII. 22 Vgl. Markus Pöhlmann: Der »Weihnachtsfrieden« war keiner. Neue Zürcher Zeitung, 23.12.2014. 23 Vgl. Roman Leick: Das große Sterben. In: Stephan Burgdorff/Klaus Wiegrefe (Hg.): Der Erste Weltkrieg. Die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. München 2004, S. 59–72; hier S. 65. 24 Vgl. Hew Strachan: The First World War. Vol. I: To Arms. Oxford 2001, S. 278; Lexikon Erster Weltkrieg (http://www.lexikon-erster-weltkrieg.de/ Erste_Flandernschlacht; letzter Zugriff am 18.3.2016). 25 Malcolm Brown: The Christmas Truce 1914: The British Story. In: Marc Ferro/Malcolm Brown/Rémy Cazals/Olaf Mueller: Meetings in No Man’s Land. Christmas 1914 and Fraternization in the Great War. London 2007, S. 13–77; hier S. 46 f. 26 Modris Ekstein: Rites of Spring. The Great War and the Birth of the Modern Age. London u. a. 1989, S. 113. 27 Vgl. Malcolm Brown/Shirley Seaton: Christmas Truce. The Western Front December 1914. London 2001 (zuerst 1984), S. XXIV. 28 Heinrich Rieker: Nicht schießen, wir schießen auch nicht. Versöhnung mit Kriegsgegnern im Niemandsland 1914–1918 und 1939–1945. Bremen 2007, S. 77. 29 Vgl. Brown/Seaton, S. 71 f. 30 Vgl. Ross J. Wilson: Cultural Heritage of the Great War in Britain. Farnham 2013, S. 72–76. 31 Ausgeklammert bleibt hier die Ostfront, wo es zu Weihnachten 1914 ebenfalls zu Fraternisierungen zwischen gegnerischen Schützengrabenmannschaften kam, worüber u. a. in der deutschen – der bürgerlichen wie der sozialdemokratischen – Presse auch berichtet wurde (vgl. zum Beispiel Bergische Arbeiterstimme, 13.1.1915). 32 Arbeiter-Zeitung, Wien, 2.1.1915. 33 Bergische Arbeiterstimme, 14.1.1915. 34 Leipziger Volkszeitung, 2.1.1915. 35 Rieker, S. 85. 36 Vgl. Rieker, S. 163. 37 Ebd., S. 160 f. 38 Hendrik de Man: Gegen den Strom. Memoiren eines europäischen Sozialisten. 289
Anmerkungen
Stuttgart 1953, S. 124. 39 Tony Ashworth: Trench Warfare 1914–1918. The Live and Let Live System. London, Basingstoke 1980, S. 129. 40 Vgl. Weintraub, S. 156. 41 Brown 2007, S. 52 f. 42 Christian Bunnenberg: Dezember 1914: Stille Nacht im Schützengraben – Die Erinnerung an den Weihnachtsfrieden in Flandern. In: Tobias Arand (Hg.): Die »Urkatastrophe« als Erinnerung – Geschichtskultur des Ersten Weltkriegs. Münster 2006, S. 15–59; hier S. 30. 43 Vgl. Vossische Zeitung, 6.1.1915. 44 Brown 2007, S. 60. 45 Vgl. Michael Jürgs: Der kleine Frieden im Großen Krieg. Westfront 1914: Als Deutsche, Franzosen und Briten gemeinsam Weihnachten feierten. München 2003, S. 124. 46 Vgl. Weintraub, S. 168 f.; Brown 2007, S. 59; de Man, S. 124. 47 Vgl. Jürgs, S. 277; dazu auch Rémy Cazals: Good Neighbours. In: Marc Ferro/Malcolm Brown/Rémy Cazals/Olaf Mueller: Meetings in No Man’s Land. Christmas 1914 and Fraternization in the Great War. London 2007, S. 78–166; hier S. 122. 48 Vgl. Brown/Seaton, S. 157 und S. 185 f. 49 Ashworth, S. 18. 50 Vgl. ebd., S. 22. 51 Vgl. Brown/Seaton, S. 28. 52 Vgl. Robert Axelrod: Die Evolution der Kooperation. München 2000, S. 71. 53 Bernd Ulrich/Benjamin Ziemann (Hg.): Frontalltag im Ersten Weltkrieg. Ein Historisches Lesebuch. Essen 2008, S. 110. 54 Axelrod, S. 73. 55 Vgl. ebd., S. 72. 56 Jean Moorcroft Wilson (Hg.): The Collected Letters of Charles Hamilton Sorley. London 1990, S. 236. 57 Vgl. Axelrod, S. 6. 58 Vgl. ebd., S. 68–70. 59 Brown/Seaton, S. 165 f. 60 Vgl. Benjamin Ziemann: Verweigerungsformen von Frontsoldaten in der deutschen Armee 1914–1918. In: Andreas Gestrich (Hg.): Gewalt im Krieg. Ausübung, Erfahrung und Verweigerung von Gewalt in Kriegen des 20. Jahrhunderts. Münster 1996, S. 99–122; hier S. 103 f. 61 Vgl. Ulrich/Ziemann (Hg.) 2008, S. 108 und S. 111; J. G. Fuller: Troop Morale and Popular Culture in the British and Dominion Armies 1914–1918. Oxford 1990, S. 64. 62 Vgl. Axelrod, S. 77. 63 Vgl. Ashworth, S. 4. 290
Anmerkungen
64 Brown 2007, S. 16. 65 Brown/Seaton, S. 98. 66 Ebd. 67 Ebd., S. 102. 68 Bunnenberg, S. 33. 69 Brown/Seaton, S. 62. 70 Feldpostbrief vom 26.12.1914 an die Mutter; Leipziger Volkszeitung, 23.1.1915. 71 The Times, 2.1.1915. 72 Brown/Seaton, S. 93. 73 Zit. nach Karl Kautsky: Kriegssitten. In: Die Neue Zeit, 33. Jg. 1914/15, H. 3, S. 65–76; hier S. 65 f. 74 Brief an Siegfried Trebitsch, 19.1./4.2.1915. In: Samuel A. Weiss (Hg.): Bernard Shaw’s Letters to Siegfried Trebitsch. Stanford 1986, S. 184. 75 Vgl. Bernd Ulrich/Benjamin Ziemann: Das soldatische Kriegserlebnis. In: Wolfgang Kruse (Hg.): Eine Welt von Feinden. Der Große Krieg 1914–1918. Frankfurt a. M. 1997, S. 127–166; hier S. 140 f. und S. 143 f. 76 Theodor Wolff: Vollendete Tatsachen 1914–1917. Berlin 1918, S. 21 f. 77 Rieker, S. 77. 78 Berthold von Deimling: Aus der alten in die neue Zeit. Lebenserinnerungen. Berlin 1930, S. 201. 79 Brown 2007, S. 66. 80 Brown/Seaton, S. 94. 81 Bruce Bairnsfather: Bullets and Billets. London 1916, S. 92. 82 Ebd. 83 Ebd., S. 95. 84 Brown/Seaton, S. 94. 85 Weintraub, S. 170. 86 The Times, 2.1.1915 und 11.1.1915. 87 Rieker, S. 47. 88 Vgl. Weintraub, S. 57. 89 Rieker, S. 74. 90 The Times, 14.1.1915. 91 Vgl. Fuller, S. 158 f. 92 Ashworth, S. 35. 93 Arbeiter-Zeitung, Wien, 2.1.1915. 94 Brown 2007, S. 29. 95 Rieker, S. 73. 96 Vgl. Weintraub, S. 43. 97 Ebd., S. 85. 98 Brown/Seaton, S. 66. 99 Leipziger Volkszeitung, 19.1.1915. 100 The Times, 2.1.1915. 291
Anmerkungen
101 Bunnenberg, S. 37 f. 102 Kronprinz Wilhelm: Meine Erinnerungen an Deutschlands Heldenkampf. Berlin 1923, S. 115. 103 Bunnenberg, S. 28. 104 Vgl. Brown/Seaton, S. 136. 105 Vgl. Jürgs, S. 179. 106 Zum 100. Jubiläumsjahr erschien dann auch in Frankreich und Deutschland ein Kinderbuch über die Fußballspiele zwischen den Gegnern: »Le ballon de la paix« bzw. »Ein Ball für den Frieden«. Text: Géraldine Elschner, Illustrationen: Fabien Doulut. Paris bzw. Köln 2014. 107 Vgl. Leipziger Volkszeitung, 19.1.1915. 108 Vgl. Bunnenberg, S. 28. 109 Weintraub, S. 122. 110 Ebd., S. 128. 111 Ebd., S. 123. 112 The Times, 2.1.1915. 113 Vgl. Weintraub, S. 142. 114 Vgl. Brown/Seaton, S. 100. 115 Vgl. ebd., S. 98. 116 Vgl. Ashworth, S. 46. 117 Tägliche Rundschau, 8.1.1915, Morgenausgabe. 118 Arbeiter-Zeitung, Wien, 6.1.1915. 119 Vgl. Brown 2007, S. 43. 120 Vgl. Jürgs, S. 34. 121 Vgl. Jochen Oltmer: Migration im 19. und 20. Jahrhundert. München 2013, S. 21. 122 Panikos Panayi: Fremdenfeindlichkeit in Großbritannien. Ihr Aufstieg und Wandel ca. 1890–1920. In: Karen Schönwälder/Imke Sturm-Martin (Hg.): Die britische Gesellschaft zwischen Offenheit und Abgrenzung. Einwanderung und Integration vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Wien 2011, S. 72–90; hier S. 73. 123 Magnus Hirschfeld: Warum hassen uns die Völker? Eine kriegspsychologische Betrachtung. Bonn 1914, S. 4. 124 Ebd., S. 5. 125 Alfred Hermann Fried: Mein Kriegstagebuch. 7. August 1914 bis 30. Juni 1919. Hg. von Gisela und Dieter Riesenberger. Bremen 2007, S. 84 (Eintragung vom 2.6.1915). 126 Brown/Seaton, S. 166. 127 Bairnsfather, S. 92. 128 The Times, 2.1.1915. 129 Brown/Seaton, S. 140. 130 Bergische Arbeiterstimme, 9.1.1915. 131 Brown/Seaton, S. 102. 292
Anmerkungen
132 133 134 135 136 137 138 139 140 141
Vgl. Ashworth, S. 34. Brown/Seaton, S. 120 f. Leipziger Volkszeitung, 12.1.1915. Jürgs, S. 118. Weintraub, S. 36. Rieker, S. 74. Bunnenberg, S. 41. Rieker, S. 87. Brown 2007, S. 59. Vgl. Kenneth O. Morgan: Keir Hardie, radical and socialist. London 1975, S. 268. 142 Zit. nach Adam Hochschild: To end all Wars. A Story of Loyalty and Rebellion, 1914–1918. Boston, New York 2011, S. 131 f. 143 Vgl. Karl-Heinz Klär: Der Zusammenbruch der Zweiten Internationale. Frankfurt a. M., New York 1981, S. 200. 144 Vgl. Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Bd. 1, Juli 1914–Oktober 1917. Berlin/DDR 1958, S. 42. 145 Friedhelm Boll: Frieden ohne Revolution? Friedensstrategien der deutschen Sozialdemokratie vom Erfurter Programm 1891 bis zur Revolution 1918. Bonn 1980, S. 115. 146 Leipziger Volkszeitung, 23.1.1915. 147 Ebd. 148 Wilhelm Dittmann: Erinnerungen. Hg. von Jürgen Rojahn. Bd. 2, Frankfurt a. M., New York 1995, S. 315. 149 Volkszeitung. Sozialdemokratisches Organ für die Reichstagswahlkreise Mainz-Oppenheim, Bingen-Alzey, Worms-Heppenheim-Wimpfen und Erbach-Bensheim, 9.1.1915. 150 Konrad Haenisch: Menschliches aus dem Kriege. In: Arbeiter-Jugend, 7. Jg. 1915, H. 3, S. 22 f., und H. 4, S. 30 f. 151 Rosa Luxemburg: Der Wiederaufbau der Internationale. In: Dies.: Gesammelte Werke. Bd. 4, Berlin/DDR 1987, S. 20–32; hier S. 25. (Zuerst in »Die Internationale«, H. 1 vom 15.4.1915.) 152 Protokolle der Sitzungen des Parteiausschusses der SPD, 1912 bis 1921. Hg. von Dieter Dowe. Bd. 1, Berlin, Bonn 1980, S. (119). 153 Ebd., S. (130). 154 Ebd., S. (142). 155 Ebd., S. (158). 156 Vgl. Agnes Blänsdorf: Die Zweite Internationale und der Krieg. Die Diskussion über die internationale Zusammenarbeit der sozialistischen Parteien 1914–1917. Stuttgart 1979, S. 145. 157 Vgl. ebd., S. 44, S. 137, S. 139 und S. 150. 158 Vgl. Jules Humbert-Droz: Der Krieg und die Internationale. Die Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal. Wien u. a. 1964, S. 119. 293
Anmerkungen
159 Ebd., S. 121. 160 Clara Zetkin: Ausgewählte Reden und Schriften. Bd. 1, Berlin/DDR 1957, S. 670. 161 Vgl. Olga Hess Gankin/H. H. Fisher: The Bolsheviks and the World War. The Origin of the Third International. Stanford 1960, S. 294. 162 Vgl. Autorenkollektiv: Geschichte der deutschen Arbeiterjugendbewegung 1904–1945, Dortmund 1973, S. 121. 163 Vgl. Gisela Brinker-Gabler (Hg.): Frauen gegen den Krieg. Frankfurt a. M. 1980. S. 127. 164 Jane Addams: Presidential Address. In: Internationales Frauenkomitee für Dauernden Frieden/Comité international de femmes pour une paix permanente/International Women’s Committee of Permanent Peace (Hg.): Internationaler Frauenkongress/Congrès international des femmes/International Congress of Women: Bericht – Rapport – Report. Amsterdam 1915, S. 18–22; hier S. 20. 165 Vgl. Jane Addams/Emily G. Balch/Alice Hamilton: Women at The Hague. The International Congress of Women and its results. Urbana, Chicago 2003, S. 34. 166 Vgl. ebd., S. 35, und Jane Addams: The second twenty Years at Hull-House. September 1909 to September 1929. New York 1930, S. 131–133. 167 Lenin, W. I.: Werke. Bd. 21, Berlin/DDR 1970, S. 14 f. 168 Ebd., S. 475, Anm. 65. 169 Ebd., S. 150. 170 Ebd., S. 171 f. 171 Brief von Zweig an Rolland vom 17.1.1915. In: Romain Rolland/Stefan Zweig: Von Welt zu Welt. Briefe einer Freundschaft 1914–1918. Berlin 2014, S. 115. 172 Humbert-Droz, S. 105. 173 Ebd., S. 118. 174 Leo Trotzki: Die Balkankriege 1912–13. Essen 1996, S. 389. 175 Vgl. Horst Lademacher (Hg.): Die Zimmerwalder Bewegung. Protokolle und Korrespondenz. I. Protokolle. The Hague, Paris 1967, S. 126. 176 Vgl. Lademacher, S. 123–126. 177 Vgl. Hess Gankin/Fisher, S. 346 und S. 343. 178 Lademacher, S. 126–130. 179 Ebd., S. 153 f. 180 Ebd., S. 157. 181 Vgl. Jürgs, S. 313. 182 Vgl. ebd., S. 314 f. 183 Vgl. Brown/Seaton, S. 198. 184 Vgl. Cazals 2007, S. 82 f., S. 93 und S. 103 f.; Brown 2007, S. 71 und S. 83; Ashworth, S. 34. 185 Vgl. Kruse 2009, S. 73. 294
Anmerkungen
186 187 188 189 190 191
192 193
194 195 196 197 198 199 200 201 202
203 204
205 206
207
Vgl. Ashworth, S. 184 f. Vgl. ebd., S. 82 und S. 199. Brown 2007, S. 41 f. Vgl. Ziemann 1996, S. 119. Vgl. Kruse 2009, S. 73. Richard Müller: Vom Kaiserreich zur Republik. Ein Beitrag zur Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung während des Weltkrieges. Berlin 1974, S. 114. Ebd., S. 115; siehe auch Erich Otto Volkmann: Der Marxismus und das deutsche Heer im Weltkriege. Berlin 1925, S. 101. Vgl. Marc Ferro: Russia: Fraternization and Revolution. In: Ders. u. a.: Meetings in No Man’s Land. Christmas 1914 and Fraternization in the Great War. London 2007, S. 212–231. Vgl. Ziemann 1996, S. 107. Vgl. ebd. Vgl. Ferro 2007, S. 219 f. Vgl. ebd., S. 230 f. Stéphane Audoin-Rouzeau: 14–18. Les combattants des tranchées. À travers leurs journaux. Paris 1986, S. 193. Vgl. Hans Steidle: Von ganzem Herzen links. Die politische Dimension im Werk Leonhard Franks. Würzburg 2005, S. 134. »Niemandsland«. In: Der Stahlhelm, Nr. 51, 20.12.1931, 3. Beilage, S. 14. Vgl. Steidle, S. 134. Benjamin Ziemann: Republikanische Kriegserinnerung in einer polarisierten Öffentlichkeit. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold als Veteranenverband der sozialistischen Arbeiterschaft. In: Historische Zeitschrift, Bd. 267, 1998, S. 357–398; hier S. 358. Ders.: Gewalt im Ersten Weltkrieg. Töten – Überleben – Verweigern. Essen 2013a, S. 169. Christian Weiß: »Soldaten des Friedens«. Die pazifistischen Veteranen und Kriegsopfer des »Reichsbundes« und ihre Kontakte zu den französischen anciens combattants 1919–1933. In: Wolfgang Hardtwig (Hg.): Politische Kulturgeschichte der Zwischenkriegszeit 1918–1939. Göttingen 2005, S. 183–204; hier S. 184. Vgl. Reichsbund, 12. Jg., Nr. 11, 10.6.1929, S. 83. Laurence Van Ypersele: Mourning and Memory, 1919–45. In: John Horne (Hg.): A Companion to World War I. Oxford 2010, S. 576–590; hier S. 578– 582. Vgl. Ypersele, S. 582–585; John Horne: Beyond Cultures of Victory and Cultures of Defeat? Inter-war Veterans’ Internationalism. In: Julia Eichenberg/John Paul Newman (Hg.): The Great War and Veteran’s Internationalism. Basingstoke u. a. 2013, S. 207–222; hier S. 216 f.; Mona L. Siegel: The Moral Disarmament of France. Education, Pacifism, and Patriotism 1914–1940. Cam295
Anmerkungen
bridge/UK 2004 u. a., S. 135–137. 208 A.-J. Fonteny: Nous voulons la paix (Wir wollen Frieden). In: Reichsbund, 11. Jg., Nr. 15, 1.8.1928, S. 116 f.; hier S. 117. 209 William Mulligan: German Veterans’ Associations and the Culture of Peace: The Case of the Reichsbanner. In: Julia Eichenberg/John Paul Newman (Hg.): The Great War and Veterans’ Internationalism. Basingstoke u. a. 2013, S. 139– 161; hier S. 145–148. 210 Vgl. Weiß, S. 200. 211 Vgl. »Reicht euch die Bruderhand!!« Das Treffen am Chemin des Dames. In: Das Reichsbanner, 7. Jg., Nr. 4, 25.1.1930, S. 28; Reichsbannerfahrt nach Verdun 1930. Deutsche und französische Zuschriften. In: Ebd., 7. Jg., Nr. 5, 1.2.1930, S. 34 f. 212 Ebd., 7. Jg., Nr. 5, 1.2.1930, S. 35. 213 Ebd., 7. Jg., Nr. 4, 25.1.1930, S. 28. 214 Vgl. ebd., Reichsbanner, 1. Jg., Nr. 10, 1.10.1924, Titelseite; 5. Jg., Nr. 46, 30.12.1928, S. 373; 6. Jg., Nr. 13, 30.3.1929, S. 98; 6. Jg., Nr. 51, 21.12.1929, S. 417; 7. Jg., Nr. 59, 6.12.1930, S. 393 f.; 8. Jg., Nr. 29, 18.7.1931, S. 229 f.; 9. Jg., Nr. 52, 24.12.1932, S. 431. Siehe auch Benjamin Ziemann: Contested Commemorations. Republican War Veterans and Weimar Political Culture. Cambridge/UK 2013b, S. 83 f. 215 Zwischen den Gräben. Eine Kriegserinnerung von Simon Scharnagl. In: Das Reichsbanner, 7. Jg., Nr. 49, 6.12.1930, Beilage, S. 393 f. 216 E. Teßloff: Auferstanden. Ein Ostererlebnis im Kriege. In: Das Reichsbanner, 6. Jg., Nr. 13, 30.3.1929, S. 98. 217 Soldaten des Friedens. Erinnerungen. In: Das Reichsbanner, 1. Jg., Nr. 10, 1.10.1924, Titelseite. 218 Vgl. Karl Rohe: Das Reichsbanner Schwarz Rot Gold. Ein Beitrag zur Geschichte und Struktur der politischen Kampfverbände zur Zeit der Weimarer Republik. Düsseldorf 1966, S. 151; Ziemann 2013a, S. 160. 219 Vgl. Weiß, S. 201; Ziemann 2013a, S. 160. 220 Gelöbnis der Kriegshinterbliebenen aller Länder. Die Rede unserer Kameradin Harnoß an den Gräbern von Soupir. In: Reichsbund, 13. Jg., Nr. 16, 25.8.1930, S. 151 f.; hier S. 152. 221 Ebd. 222 Vgl. Friedensfahrt nach Reims. In: Reichsbund, 14. Jg., Nr. 23, 5.12.1931, S. 257–259.
296
Anmerkungen
3 Wendepunkte der Immigrationsgeschichte Die Rebellion der Gastarbeiter 1 2
3 4
5 6
7 8 9 10 11 12 13
14 15
Kongress-Protokolle der Zweiten Internationale. Band 2, Glashütten/Ts. 1976, S. 58. Ulrich Herbert: Geschichte der Ausländerbeschäftigung in Deutschland 1880 bis 1980. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter. Berlin, Bonn 1986, S. 198. Vgl. Karin Hunn: »Nächstes Jahr kehren wir zurück ...« Die Geschichte der türkischen Gastarbeiter in der Bundesrepublik. Göttingen 2005, S. 112. Hans-Günter Kleff: Täuschung, Selbsttäuschung, Enttäuschung und Lernen. Anmerkungen zum Fordstreik im Jahre 1973. In: Jan Motte/Rainer Ohliger (Hg.): Geschichte und Gedächtnis der Einwanderungsgesellschaft. Migration zwischen historischer Rekonstruktion und Erinnerungspolitik. Essen 2004, S. 251–257; hier S. 251 f. Vgl. Hilke Gerdes: Türken in Berlin. Berlin 2009, S. 82. Mathilde Jamin: Fremde Heimat. Zur Geschichte der Arbeitsmigration aus der Türkei. In: Jan Motte/Rainer Ohliger/Anne von Oswald (Hg.): 50 Jahre Bundesrepublik – 50 Jahre Einwanderung. Nachkriegsgeschichte als Migrationsgeschichte. Frankfurt a. M., New York 1999, S. 145–164; hier S. 154. Vgl. ebd. Vgl. Gerdes, S. 90. Hunn 2005, S. 116. Vgl. ebd., S. 116–118. Vgl. ebd., S. 117. Vgl. Manuela Bojadžijev: Die windige Internationale. Rassismus und Kämpfe der Migration. Münster 2008, S. 152 f. Vgl. Hunn 2005, S. 113 f.; Hans-Günter Kleff: Vom Bauern zum Industriearbeiter. Zur kollektiven Lebensgeschichte der Arbeitsmigranten aus der Türkei. Mainz, Ingelheim 1985, S. 142–146; Manfred Burazerovic: Die Türken in der jungen Geschichte des Ruhrgebietes – unter besonderer Berücksichtigung des Essener Raumes. Essen 1995, S. 22 Vgl. Andreas Geiger: Herkunftsbedingungen der türkischen Arbeiter in der Bundesrepublik und ihr gewerkschaftliches Verhalten. Berlin 1982, S. 169 f. Vgl. Godula Kosack/Stephen Castles: Gewerkschaften und ausländische Arbeiter. In: Otto Jacobi/Walther Müller-Jentsch/Eberhard Schmidt (Hg.): Gewerkschaften und Klassenkampf. Kritisches Jahrbuch 1974. Frankfurt a. M. 1974, S. 176–190; hier S. 176; Manfred Budzinski: Gewerkschaftliche und betriebliche Erfahrungen ausländischer Arbeiter. Untersuchung in einem Chemie- und einem Metallbetrieb in Baden-Württemberg. Frankfurt.a. M., New York 1979, S. 129. 297
Anmerkungen
16 Vgl. Eckart Hildebrandt/Werner Olle: Ihr Kampf ist unser Kampf. Ursachen, Verlauf und Perspektiven der Ausländerstreiks 1973 in der BRD (Teil 1). Offenbach 1975, S. 13 f. und S. 45; Stephen Castles/Godula Kosack: Immigrant Workers and Class Structure in Western Europe. Oxford 1985, S. 158–160; Peter Birke: Wilde Streiks im Wirtschaftswunder. Arbeitskämpfe, Gewerkschaften und soziale Bewegungen in der Bundesrepublik und Dänemark. Frankfurt a. M., New York 2007, S. 292 f. 17 Redaktionskollektiv »express«: Spontane Streiks 1973. Krise der Gewerkschaftspolitik. Offenbach 1974, S. 22. 18 Vgl. Hildebrandt/Olle 1975, S. 126 f. 19 Vgl. »IG Metall – ein angeschlagener Dinosaurier«. In: DER SPIEGEL 36/1973, 3.9.1973, S. 19–26, hier S. 21. 20 Ebd., S. 24. 21 Vgl. Autorenkollektiv: pierburg-neuss: »Deutsche und ausländische Arbeiter – ein Gegner – ein Kampf. Streikverlauf – Vorgeschichte – Analyse – Dokumentation – Nach dem Streik. Frankfurt a. M. 1974, S. 109. 22 Vgl. Geiger, S. 185. 23 IG Metall – ein angeschlagener Dinosaurier, S. 20. 24 Vgl. Hildebrandt/Olle 1975, S. 62–66. 25 Vgl. ebd., S. 25–31. 26 Vgl. ebd., S. 56–60. 27 Vgl. ebd., S. 22–25. 28 Vgl. ebd., S. 60–62. 29 Vgl. ebd., S. 31–36. 30 Vgl. Herbert Bretz: Migration und Integration türkischer Arbeiter und ihrer Familien. Eine empirische Untersuchung am Beispiel der Kölner Ford-Arbeiter. Bonn 1978, S. 77; Jamin, S. 152. 31 Vgl. Jörg Huwer: »Gastarbeiter« im Streik. Die spontane Arbeitsniederlegung bei Ford Köln im August 1973. In: Geschichte im Westen, 22. Jg. 2007, S. 223– 249; hier S. 235. (Siehe auch die Neufassung: Jörg Huwer: »Gastarbeiter« im Streik. Die Arbeitsniederlegung bei Ford Köln im August 1973. Köln 2013.) 32 Vgl. Peter Kessen: »Und dann haben sie aufgehört zu arbeiten.« Eine alternative Integrationsgeschichte. Hörspiel, WDR 2009. 33 Vgl. Hunn 2005, S. 243 (»rund 300«); Betriebszelle Ford, S. 54 (»500«). 34 Vgl. Vergangene Zeiten und zukünftige Aufgaben. Vom »Wilden Streik« bei Ford zur gleichberechtigten Teilhabe in Betrieb und Gesellschaft? Ein Zeitzeugengespräch fast 30 Jahre danach. In: Jan Motte/Rainer Ohliger (Hg.): Geschichte und Gedächtnis in der Einwanderungsgesellschaft. Migration zwischen Rekonstruktion und Erinnerungspolitik. Essen 2004, S. 273–285; hier S. 274. 35 Vgl. Betriebszelle Ford der Gruppe Arbeiterkampf (Hg.): Streik bei Ford Köln. Köln 1973, S. 54. 36 Vgl. Hildebrandt/Olle, S. 46; Huwer 2007, S. 235. 298
Anmerkungen
37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58
59 60 61
62 63 64 65 66 67 68
69
Vgl. Redaktionskollektiv »express«, S. 101; Betriebszelle Ford, S. 55. Vgl. Huwer 2007, S. 229. Vgl. Betriebszelle Ford, S. 34. »IG Metall – ein angeschlagener Dinosaurier«, S. 24. Vgl. ebd., S. 25. Vgl. Redaktionskollektiv »express«, S. 102. Vgl. Bretz, S. 94. Vgl. Betriebszelle Ford, S. 58. Vgl. Hunn 2005, S. 246. Vgl. Betriebszelle Ford, S. 57. Vgl. Hunn 2005, S. 247. Vgl. Betriebszelle Ford, S. 61. Vgl. Huwer 2007, S. 238. Vgl. Betriebszelle Ford, S. 61. Vgl. ebd., S. 62. Vgl. Huwer 2007, S. 239. Übersetzung von Eduard Zuckmayer. Betriebszelle Ford, S. 63. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 63 f. Ebd., S. 64. Serhat Karakayali: »Sechs bis acht Kommunisten, getarnt in Monteursmänteln.« Die wahre Geschichte des Fordstreiks in Köln 1973 (http://www. kanak-attak.de/ka/text/fordstreik.html; letzter Zugriff am 18.3.2016). Vgl. Hunn 2005, S. 250. O-Ton in Kessen. Karin Hunn: Aufstand der »Konjunktur-Kulis«. Ein Rückblick auf den »Türkenstreik« bei Ford in Köln im Sommer 1973. In: iz3w (blätter des informationszentrums 3. welt), H. 264, Oktober 2002, S. 16–19; hier S. 18. Vgl. Hunn 2005, S. 251. Vgl. Betriebszelle Ford, S. 65 f. Hunn 2002, S. 18. Huwer spricht von 2000 (Huwer 2007, S. 24), Hunn von 1000 (Hunn 2005, S. 252). Vgl. Betriebszelle Ford, S. 67. Vgl. DER SPIEGEL 37/1973, 10.9.73, S. 29; Hildebrandt/Olle, S. 51; Hunn 2005, S. 252. Vgl. Ein kurzer historischer Augenblick von Widerstand, Selbstbewusstsein und unverhoffter Anarchie. Eine WDR-Reportage zum Fordstreik 1973. In: Jan Motte/Rainer Ohliger (Hg.): Geschichte und Gedächtnis in der Einwanderungsgesellschaft. Migration zwischen Rekonstruktion und Erinnerungspolitik. Essen 2004, S. 237–249; hier S. 247 f. Volker Delp/Lothar Schmidt/Klaus Wohlfahrt: Gewerkschaftliche Betriebs299
Anmerkungen
politik bei Ford. In: Jacobi/Müller-Jentsch/Schmidt 1974, S. 161–175; hier S. 174. 70 Vgl. »IG Metall – ein angeschlagener Dinosaurier«, S. 19; Hunn 2005, S. 252. 71 »IG Metall – ein angeschlagener Dinosaurier«, S. 19. 72 Vgl. Motte/Ohliger, S. 248. 73 Pogromhetze gegen streikende Türken. Berliner Extra-Dienst, 31.8.1973, S. 3. 74 Ebd. 75 Vgl. Betriebszelle Ford, S. 70. 76 Vgl. Hildebrandt/Olle, S. 52. 77 Vgl. ebd. 78 Vgl. Betriebszelle Ford, S. 70. 79 Vgl. Hunn 2002, S. 18. 80 Vgl. ebd., S. 18. 81 Vgl. Betriebszelle Ford, S. 70. 82 Ebd. 83 Vgl. ebd., S. 74. 84 Ebd., S. 180. 85 Vgl. ebd., S. 74. 86 Vgl. Redaktionskollektiv »express«, S. 48 („rund 300«); Betriebszelle Ford, S. 74 (»mehr als 600«). 87 Delp/Schmidt/Wohlfahrt 1974, S. 174. 88 Vgl. Betriebszelle Ford, S. 74 f.; Huwer 2007, S. 241. 89 Faden gerissen. In: DER SPIEGEL 37/1973, 10.9.1973, S. 28–33; hier S. 29. 90 Vgl. Kleff 1985, S. 146. 91 Vgl. Hildebrandt/Olle, S. 39. 92 Vgl. Kleff 1985, S. 147. 93 Vgl. Dieter Braeg: »Wilder Streik – das ist Revolution«. Der Streik der Arbeiterinnen bei Pierburg in Neuss 1973. Berlin 2012, S. 32. 94 Vgl. Reiner Taudien/Bernd Mansel: 5 Tage standen die Räder still. In: Deutsche Volkszeitung, 23.8.1973. 95 Kolleginnen und Kollegen von Pierburg Autogerätebau Neuss, in Verbindung mit Claus Armann: Streik bei Pierburg, Neuss. In: Otto Jacobi/Walther Müller-Jentzsch/Eberhard Schmidt (Hg.): Gewerkschaften und Klassenkampf. Kritisches Jahrbuch 1974. Frankfurt a. M. 1974, S. 71–81; hier S. 74. 96 Vgl. Braeg, S. 17 und S. 32 f. 97 Vgl. Kleff 1985, S. 147. 98 O-Ton in Kessen. 99 Vgl. Kleff 1985, S. 148. 100 Vgl. ebd., S. 149. 101 Vgl. Braeg, S. 32 f.; Hildebrandt/Olle, S. 40. 102 O-Ton in Kessen. 103 Vgl. Braeg, S. 33. 104 Autorenkollektiv, S.14. 300
Anmerkungen
105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122
Neuss: »Kommunisten schüren den Streik«. BILD, 16.8.1973. Keine Ruhe nach dem Streik. Kölner Stadt-Anzeiger, 22.8.1973. Braeg, S. 27. Hildebrandt/Olle, S. 40. Vgl. Braeg, S. 18. Taudien/Mansell in Deutsche Volkszeitung, 23.8.1973. Vgl. ebd. Hildebrandt/Olle, S. 172 f. Autorenkollektiv, S. 15. Vgl. ebd., S. 107. Braeg, S. 23. Vgl. Autorenkollektiv, S. 16. Vgl. ebd., S. 98; Braeg, S. 36. Vgl. Kolleginnen und Kollegen von Pierburg, S. 78. Vgl. Braeg, S. 36. Autorenkollektiv, S. 17. Vgl. Kolleginnen und Kollegen von Pierburg, S. 79. Vgl. Kollegen von Pierburg (Hg.): Der »Pierburg-Prozess«. Hannover o. J., S. 169. 123 Vgl. Hildebrandt/Olle, S. 104. 124 Vgl. Redaktionskollektiv «express”, S. 103. 125 Vgl. Safter Çınar: Die Ausländerpolitik der Bundesdeutschen Gewerkschaftsbewegung. In: Sami Özkara (Hg.): Türkische Migranten in der Bundesrepublik Deutschland/Federal Almanya’da Türk Göçmenler. Bd. I, Frankfurt a. M. 1988, S. 75–89; hier S. 75. 126 Vgl. Hunn 2005, S. 197. 127 Vgl. Budzinski, S. 68. 128 Vgl. Hunn 2005, S. 127. 129 Vgl. Budzinski, S. 47. 130 Vgl. Hunn 2005, S. 129 f. 131 Vgl. Kleff 1985, S. 134. 132 Vgl. ebd., S. 13 5. 133 Vgl. Budzinski, S. 73. 134 Vgl. Geiger, S. 172. 135 Vgl. Peter Kühne: Grundzüge gewerkschaftlicher Ausländerpolitik. In: Ders. u. a. (Hg.): »Wir sind nicht nur zum Arbeiten hier ...« Ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter in Betrieb und Gewerkschaft. Hamburg 1988, S. 21–28; hier S. 21 f. 136 Kosack/Castles 1974, S. 183 f. 137 Vgl. »IG Metall – ein angeschlagener Dinosaurier«, S. 24; Hunn 2005, S. 238 f. 138 Ebd. 139 Vgl. Betriebszelle Ford, S. 43. 301
Anmerkungen
140 Vgl. Günter Hinken: Vom »Gastarbeiter« aus der Türkei zum gestaltenden Akteur. Mitbestimmung und Integration von Arbeitsmigranten bei Ford in Köln. In: Jan Motte/Rainer Ohliger (Hg.): Geschichte und Gedächtnis in der Einwanderungsgesellschaft. Migration zwischen historischer Rekonstruktion und Erinnerungspolitik. Essen 2004, S. 259–272; hier S. 265. 141 Ebd., S. 266. 142 Vgl. Hunn 2005, S. 239 f. 143 Delp/Schmidt/Wohlfahrt, S. 173. 144 Vgl. Hildebrandt/Olle, S. 46. 145 Kolleginnen und Kollegen von Pierburg, S. 71 f. 146 Vgl. Hildebrandt/Olle, S. 39; Autorenkollektiv, S. 111. 147 Vgl. Hildebrandt/Olle, S. 157. 148 Betriebszelle Ford, S. 79. 149 Vgl. ebd. 150 Vgl. Hunn 2005, S. 243 f. 151 Redaktionskollektiv »express”, S. 103. 152 Vgl. Hunn 2005, S. 249. 153 Vgl. Kleff 2004, S. 257; Huwer 2007, S. 247. 154 Vgl Kleff 1985, S. 154f. 155 Vgl. Redaktionskollektiv »express”, S. 103. 156 Vgl. Betriebszelle Ford, S. 158. 157 Vgl. Vergangene Zeiten und zukünftige Aufgaben (in Motte/Ohliger 2004), S. 277. 158 Vgl. »Türken-Terror bei Ford« in BILD, 30.8.1973. 159 Vgl. »IG Metall – ein angeschlagener Dinosaurier«, S. 20. 160 Vgl. Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 101/1973, S. 1009. 161 Hildebrandt/Olle, S. 131. 162 Kollegen und Kolleginnen von Pierburg, S. 76 f. 163 Vgl. Autorenkollektiv, S. 112. 164 Vgl. Hildebrandt/Olle, S. 172; siehe auch den Dokumentarfilm »Pierburg: Ihr Kampf ist unser Kampf« von 1973 (DVD-Beilage zu Braeg 2012). 165 Vgl. Hildebrandt/Olle, S. 169. 166 Braeg, S. 20 f. 167 Vgl. Hildebrandt/Olle, S. 172. 168 Hunn 2002, S. 16. 169 Vgl. Kleff 1985, S. 132. 170 Vgl. ebd., S. 169. 171 Peter Kühne: Alltagsprobleme gewerkschaftlicher Betriebsarbeit. In: Ders. u. a. (Hg.): 1988, S. 167–182; hier S. 180. 172 Heinz-Oskar Vetter: Referat. In: Ders. (Hg.): Humanisierung der Arbeit als gesellschaftspolitische und gewerkschaftliche Aufgabe. Protokoll der Konferenz des Deutschen Gewerkschaftsbundes vom 16. und 17. Mai 1974 in München. Frankfurt a. M., Köln 1974, S. 25–38; hier S. 31. 302
Anmerkungen
173 Vgl. Hunn 2005, S. 259. 174 Vgl. ebd. 175 Vgl. Hasan Kamalak/Ufuk Altun: Arbeitsmigration in der Bundesrepublik Deutschland und die Gewerkschaften. Borsdorf 2012, S. 103. 176 Vgl. Kleff 1985, S. 134. 177 Vgl. Hunn 2005, S. 257 f. 178 Vgl. Urs Bitterli/Volkhard Brandes: Betriebsratswahlen bei Ford, Klöckner-Humboldt-Deutz, Felten & Guillaume in Köln. In: Otto Jacobi/Walther Müller-Jentzsch/Eberhardt Schmidt (Hg.): Gewerkschaften und Klassenkampf. Kritisches Jahrbuch ’75. Frankfurt a. M. 1975, S. 64–72; hier S. 68. 179 Vgl. ebd., S. 69. 180 Vgl. ebd., S. 70. 181 Vgl. Kleff 1985, S. 155. 182 Vgl. ebd. 183 Vgl. Hinken, S. 266. 184 Kleff 1985, S. 155. 185 Vgl. Hinken, S. 268. 186 Vgl. Kleff 1985, S. 136; Hinken, S. 265–269. 187 Vgl. Kleff 1985, S. 156. 188 Vgl. Andreas Treichler: Arbeitsmigration und Gewerkschaften. Das Problem der sozialen Ungleichheit im internationalen Maßstab und die Rolle der Gewerkschaften bei der Regulation transnationaler Migrationen, untersucht am Beispiel Deutschlands und der Arbeitsmigrationen aus der Türkei und Polen. Münster 1998, S. 184. 189 Vgl. Peter Kühne: Die gewerkschaftliche Organisationsarbeit mit ausländischen Kollegen(innen). In: Kühne u. a. (Hg.) 1988, S. 129–151; hier S. 131. 190 Michael Schmidt-Klingenberg: »Wir fühlen uns wie die Tiere behandelt«. In: DER SPIEGEL 26/1984, 25.6.1984, S. 90 f.; hier S. 90. 191 Vgl. Reinhard Bahnmüller: Der Streik. Tarifkonflikt um Arbeitszeitverkürzung in der Metallindustrie 1984. Hamburg 1985, S. 95. 192 Frankfurter Rundschau, 28.3.1978, zit. nach Kleff, S. 165. 193 Yilmaz Karahasan: Erfahrungen aus den Tarifbewegungen 1984 und 1987. In: Kühne u. a. (Hg.) 1988, S. 154–166; hier S. 156. 194 metall, H. 18/1985, zit. nach Kühne: Alltagsprobleme, S. 182. 195 Kleff 1985, S. 168. 196 Frankfurter Rundschau, 27.12.1978, zit. nach Kleff 1985, S. 169. 197 Vgl. Kleff 1985, S. 168 f. 198 Karahasan 1988, S. 156. 199 Kamalak/Altun, S. 114. 200 Vgl. Karahasan 1988, S. 155. 201 metall, H. 9/1986, S. 4. 202 Vgl. Berichterstattung für die 2. Ausländerkonferenz der Industriegewerkschaft 303
Anmerkungen
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Metall für die Bundesrepublik Deutschland. Frankfurt am Main, 9. bis 11. Mai 1989. Frankfurt a. M. 1989, S. 115. Vgl. ebd., S. 120; Musa Kirbas: »Unser Ziel nicht aus den Augen verlieren ...« Zur Arbeit des Ausländerausschusses der IG Metall in Landshut/Bayern. In: Kühne u. a. (Hg.) 1988, S. 189–193; hier S. 190. Hannemor Keidel: Mein Kollege ist Ausländer. Die Integration in den Gewerkschaften. In: Wolfgang Benz (Hg,): Integration ist machbar. Ausländer in Deutschland. München 1993, S. 47–61; hier S. 55. Vgl. Kühne: Alltagsprobleme, S. 174. Ebd., S. 165. Vgl. ebd., S. 163. Vgl. Kleff 1985, 131; Kamalak/Altun, S. 111; Çınar, S. 83. AE: Aufenthaltserlaubnis. Protokoll 2. Ausländerkonferenz der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland. Frankfurt, 9. bis 11. Mai 1989. Frankfurt a. M. 1989, S. 494–498. Berichterstattung für die 2. Ausländerkonferenz, S. 94. Vgl. Peter Kühne: Den Dialog organisieren! Zum Verhältnis ausländischer und deutscher Arbeitnehmer in den Gewerkschaften. In: Gewerkschaftliche Monatshefte H. 11, 1989, S. 683–690; hier S. 684. Vgl. Burazerovic, S. 21. Vgl. Berichterstattung für die 2. Ausländerkonferenz, S. 97. Vgl. Kleff 1985, S. 135. Yilmaz Karahasan: 50 Jahre Migration ohne Emanzipation. Wie geht es weiter? Redemanuskript vom Oktober/November 2011 (http://www.migration-online.de/data/rbeabkommenmitdertrkeireferatiiiin12.punkteschrift2011.pdf; letzter Zugriff am 18.3.2016). Keidel 1993, S. 58. Vgl. Berichterstattung für die 2. Ausländerkonferenz, S. 116. Wolfgang Seifert: Die Mobilität der Migranten. Die berufliche, ökonomische und soziale Stellung ausländischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik. Eine Längsschnittanalyse mit dem Sozio-Ökonomischen Panel, 1984–1989. Berlin 1995, S. 153 und S. 179. Vgl. Hermann Schäfer: Das Ende der »Gastarbeiterära«. Zur Arbeitsmarktsituation ausländischer Arbeitnehmer. In: Kühne u. a. (Hg.) 1988, S. 35–55; hier S. 41; Seifert, S. 155. Vgl. Seifert, S. 172. Vgl. ebd., S. 148 f. Protokoll 2. Ausländerkonferenz, S. 92.
Anmerkungen
Moscheebau in Deutschland: Konflikt als Kontakt 1 2 3 4
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Vgl. Das Wunder von Marxloh, Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 27.10.2008; Die Bewährungsprobe beginnt, Neue Rhein Zeitung, 27.10.2008. Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 27.10.2008. Moschee der Versöhnung, Der Westen, online-Portal, 21.10.2008. Vgl. Stefano Allievi: Conflicts over Mosques in Europe. Policy issues and trends. London 2009; Jocelyne Cesari: Mosque Conflicts in European Cities: Introduction. In: Journal of Ethnic and Migration Studies, vol. 31, Nr. 6, November 2005, S. 1015–1024; Thomas Schmitt: Moscheen in Deutschland. Konflikte um ihre Errichtung und Nutzung. Flensburg 2003. Vgl. Bärbel Beinhauer-Köhler/Claus Leggewie: Moscheen in Deutschland. Religiöse Heimat und gesellschaftliche Herausforderung. München 2009, S. 118. Rauf Ceylan: Islam und Urbanität – Moscheen als multifunktionale Zentren in der Stadtgesellschaft. In: Alexander Häusler (Hg.): Rechtspopulismus als »Bürgerbewegung«. Kampagnen gegen Islam und Moscheebau und kommunale Gegenstrategien. Wiesbaden 2008, S. 183–197; hier S. 185–190. Johanna Schoppengerd: Moscheebauten in Deutschland. Rahmenbedingungen, Fallbeispielanalyse, Empfehlungen für die kommunale Ebene (Dortmunder Beiträge zur Raumplanung, 131). Dortmund 2008. Vgl. Ceylan, S. 189. Vgl. Schoppengerd, S. 33. Bekir Alboga: Symbole der Integration türkischer Kultur in die Stadt – der Moscheeneubau in Mannheim. In: Joachim Brech/Laura Vanhué (Hg.): Migration – Stadt im Wandel. Darmstadt 1997, S. 216–223; hier S. 217. Der Tagespiegel, 30.11.2008. Vgl. Neue Rhein Zeitung, 27.10.2008. Gelungenes Miteinander in Duisburg-Marxloh: Deutschlands größte Moschee. Goethe-Institut: Religionen in Deutschland (http://www.goethe.de/ges/phi/ thm/red/de4230275.htm; letzter Zugriff am 18.3.2016). Siehe auch Lutz Eichholz: Auswirkungen von Moscheen auf städtische Quartiere. Fallbeispiele Duisburg-Marxloh und Lünen. Abschlussarbeit an der TU Kaiserslautern, Juli 2014, S. 56. Vgl. Thomas Schmitt: Städtebaulich markante Moscheen in Deutschland. In: Nationalatlas Aktuell (http://aktuell.nationalatlas.de/moscheen-4_04-20110-html; letzter Zugriff am 18.3.2016). http://politikforen.net/archive/index.php/t-87261.html (letzter Zugriff am 18.3.2016). Vgl. Schoppengerd, S. 30. Vgl. Alboga 1997, S. 218. Vgl. Wolf-Dietrich Bukow: Verständigung über ein religiös-pluralistisches 305
Anmerkungen
Zusammenleben am Beispiel des Moscheebaus an Rhein und Ruhr. In: Mathias Tanner u. a. (Hg.): Streit um das Minarett. Zusammenleben in der religiös pluralistischen Gesellschaft. Zürich 2009, S. 189–223; hier S. 203. 19 Iris Keßner: Christen und Muslime – Nachbarn in Deutschland. Ein Beitrag zu einer interkulturellen Hermeneutik. Bielefeld 2004, S. 180. 20 Jörg Hüttermann: Das Minarett. Zur politischen Kultur des Konflikts um islamische Symbole. Weinheim, München 2006, S. 209. 21 Vgl. Levent Tezcan: Kulturelle Identität und Konflikt. Zur Rolle politischer und religiöser Gruppen der türkischen Minderheitsbevölkerung. In: Reimund Anhut/Wilhelm Heitmeyer (Hg.): Bedrohte Stadtgesellschaft. Soziale Desintegrationsprozesse und ethnisch-kulturelle Konfliktkonstellationen. Weinheim, München 2000, S. 401–448; hier S. 434 f. 22 Vgl. Gerdien Jonker: The Mevlana Mosque in Berlin-Kreuzberg: An Unsolved Conflict. In: Journal of Ethnic and Migration Studies, vol. 31, Nr. 6, November 2005, S. 1067–1081; hier S. 1072–1078. 23 Werner Schiffauer: Der unheimliche Muslim – Staatsbürgerschaft und zivilgesellschaftliche Ängste. In: Monika Wohlrab-Sahr/Levent Tezcan (Hg.): Konfliktfeld Islam in Europa. Baden-Baden 2007, S. 111–133; hier S. 125. 24 Vgl. u. a. Thomas Schmitt: Religion, Raum und Konflikt – Lokale Konflikte um Moscheen in Deutschland: das Beispiel Duisburg. In: Berichte zur deutschen Landeskunde, Bd. 78, 2004, H. 2, S. 19–-212; hier S. 206 f. 25 Streit wegen Moschee im Jungbusch, Rhein-Neckar-Zeitung, 31.5.1991. 26 Beauftragter für ausländische Einwohner der Stadt Mannheim (Hg.): Dokumentation zum Bau einer Moschee in Mannheim. 6. Aufl., November 1993, S. 13. 27 Beschluss der Bezirkssynode Mannheim, 14./15.6.1991. In: Beauftragter für ausländische Einwohner der Stadt Mannheim (Hg.) 1993, S. 17. 28 Ebd., S. 36. 29 Ebd. 30 Ebd., S. 38. 31 Bukow, S. 189. 32 Vgl. dazu Daniel Müller: Lunatic Fringe Goes Mainstream? Keine Gatekeeping-Macht für Niemand, dafür Hate Speech für Alle – zum Islamhasser-Blog Politically Incorrect. In: Annegret März/Daniel Müller (Hg.): Internet: Öffentlichkeit(en) im Umbruch. In: Navigationen, Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaften, 8. Jg., H. 2, 2008, S. 109–126. 33 Vgl. Stefan Strauß: Gebete unter Polizeischutz. Berliner Zeitung, 13.10.2008. 34 Vgl. ebd. 35 Vgl. Beinhauer-Köhler/Leggewie, S. 170 f. 36 Moschee-Streit in Berlin, WELT online, 12.7.2007. 37 Vgl. ebd. 38 Vgl. ebd. 39 Sascha Lehnartz: Am Ende des Toleranzbereichs. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 25.7.2007. 306
Anmerkungen
40 Interview mit Abdul Basit Tariq, Januar 2012 (Seminargruppe am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität Berlin: Lea Brun, Ivan Kovalenko und Keren Kraus. Lehrveranstaltung Kaschuba/Warneken: Öffentlicher Raum als Kontakt- und Kreativzone, Wintersemester 2011/12). 41 Fabian Engler: Repräsentation kultureller Unterschiede als Mittel zur Ausgrenzung – Der Konflikt um den Bau einer Moschee in Frankfurt/Hausen und das Feindbild Islam. Unveröff. Magisterarbeit am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Frankfurt a. M. 2009, S. 72. 42 Joachim Käppner: Die Angst der Gottesfürchtigen. Süddeutsche Zeitung, 19.2.2007. 43 Vgl. zu »heißen« und »kalten« Konflikten Friedrich Glasl: Konfliktmanagement. Diagnose und Behandlung von Konflikten in Organisationen. Bern, Stuttgart 1980. 44 Schmitt 2003, S. 293 f. 45 Neue Rhein Zeitung, 30.11.1996, zit. nach Schmitt 2003, S. 293. 46 Vgl. Schmitt 2003, S. 306–309. 47 Schoppengerd, S. 94 f. 48 Vgl. Hüttermann 2006, S. 60 f. 49 Bernd Oehler: Die Moschee, die Stadt und das Volk. In: Beauftragter für ausländische Einwohner der Stadt Mannheim (Hg.): Dokumentation zum Bau einer Moschee in Mannheim. 6. Aufl., November 1993, S. 47. 50 Hüttermann 2006, S. 89. 51 Ebd., S. 87. 52 Ebd., S. 89. 53 Interview mit Ruth Misselwitz, Januar 2012 (Seminargruppe am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität Berlin: Lea Brun, Ivan Kovalenko und Keren Kraus. Lehrveranstaltung Kaschuba/Warneken: Öffentlicher Raum als Kontakt- und Kreativzone, Wintersemester 2011/12). 54 Interview mit Sandra Caspers, Januar 2012 (Seminargruppe am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität Berlin: Lea Brun, Ivan Kovalenko und Keren Kraus. Lehrveranstaltung Kaschuba/Warneken: Öffentlicher Raum als Kontakt- und Kreativzone, Wintersemester 2011/12). 55 Alboga 1997, S. 219. 56 Vgl. FAZ.NET, 16.10.2007. 57 Vgl. Schoppengerd, S. 96. 58 Vgl. Leyla Özmal: Kommunikation und zivilgesellschaftliches Engagement am Beispiel des Projekts »Begegnungsstätte in der Moschee” in Duisburg-Marxloh. In: Alexander Häusler (Hg.): Rechtspopulismus als »Bürgerbewegung«. Kampagnen gegen Islam und Moscheebau und kommunale Gegenstrategien. Wiesbaden 2008, S. 224–231; hier S. 227. 59 Stiftung SPI: Herausforderungen und Chancen von lokalen Konflikten in der Einwanderungsgesellschaft. Dialogstrategien für ein gleichberechtigtes Miteinan307
Anmerkungen
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der im Gemeinwesen. Internetbroschüre, S. 11 ( http:///mbt-ostkreuz.de/mbt/ publikationen/Flyer-und-Broschueren/1-Pro-aktiv-Broschuere-2009.pdf ). Vgl. Schmitt 2003, S. 226. Vgl. Jürgen Leibold/Steffen Kühnel/Wilhelm Heitmeyer: Abschottung von Muslimen durch generalisierte Islamkritik. In: Aus Politik und Zeitgeschehen, 1-2/2006, S. 3–10; hier S. 5. Vgl. Sonja Haug/Stephanie Müssig/Anja Stichs: Muslimisches Leben in Deutschland. Nürnberg 2009, S. 274 f. Vgl. Helmut Schröder u. a.: Ursachen interethnischer Konfliktpotentiale. Ergebnisse einer Bevölkerungsbefragung von deutscher Mehrheitsbevölkerung und türkischer Minderheit. In: Reimund Anhut/Wilhelm Heitmeyer (Hg.): Bedrohte Stadtgesellschaft. Soziale Desintegrationsprozesse und ethnisch-kulturelle Konfliktkonstellationen. Weinheim, München 2000, S. 101–198; hier S. 117. Oliver Lellek: Dialog an der Basis: Erfahrungen in der Christlich-Islamischen Gesellschaft Mannheim. In: Ludwig Hagemann/Reiner Albert (Hg.): Dialog in der Sackgasse? Christen und Muslime zwischen Annäherung und Abschottung. Altenberge 1998, S. 153–173; hier S. 169. Keßner, S. 116. Hüttermann 2006, S. 90. Vgl. Kolja Mensing/Robert Thalheim: Moschee DE. Berlin 2011, S. 34 f. Lehnartz, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 25.7.2007. »Kommen Sie doch mal zum Abendessen«. Der Tagesspiegel, 13.10.2008. Vgl. Interview mit Ruth Misselwitz. Beauftragter für ausländische Einwohner der Stadt Mannheim (Hg.) 1993, S. 32. Keßner, S. 109. Beauftragter für ausländische Einwohner der Stadt Mannheim (Hg.) 1993, S. 48. Keßner, S. 109. Christoph Ehrhardt: Ganz anders als bei Karl May. FAZ.NET, 16.10.2007. Jörg Hüttermann: Entzündungsfähige Konfliktkonstellationen. Eskalationsund Integrationspotentiale in Kleinstädten der Einwanderungsgesellschaft. München 2010, S. 303. Levent Tezcan: Kultur, Gouvernementalität der Religion und der Integrationsdiskurs. In: Monika Wohlrab-Sahr/Levent Tezcan (Hg.): Konfliktfeld Islam in Europa. Baden-Baden 2007, S. 51–74; hier S. 63. Lellek 1998, S. 160–165. Beauftragter für ausländische Einwohner der Stadt Mannheim (Hg.): Dokumentation II zum Bau einer Moschee in Mannheim. 7. Aufl., April 1995, S. 4 f. Forschungsauftrag Islam. Mannheimer Morgen, 23.2.1995. Vgl. Schmitt 2003, S. 314. Die Ängste, es gab sie durchaus. Der Westen, online-Portal, 22.10.2008.
Anmerkungen
83 84 85 86 87 88 89 90
Jenna Günnewig: Offene Moschee statt Hinterhof. WRD.de, 26.10.2008. SPIEGEL online, 26.10.2008. www.heinersdorf-oeffne-dich.de (letzter Zugriff am 18.3.2016). Stiftung SPI 2009, S. 11. Ebd., S. 12. Ebd., S. 26. Der Imam von nebenan. Der Tagesspiegel, 18.10.2009. Vgl. Claus Leggewie/Angela Joost/Stefan Rech: Der Weg zur Moschee. Eine Handreichung für die Praxis. Bad Homburg 2002, S. 38 f. 91 Hüttermann 2006, S. 77. 92 Wo ein Prüfstein für Toleranz gebaut wird. Mannheimer Morgen, 3.7.1991. 93 Cesari, S. 1020. 94 Stefan Klein: Unter der Kuppel ist viel Platz. Süddeutsche Zeitung, 12.9.2008. 95 Vgl. Schmitt 2003, S. 295–305. 96 Vgl. Beinhauer-Köhler/Leggewie, S. 124. 97 Melanie Bergs: Moschee der Versöhnung. Der Westen, 21.10.2008. 98 Alboga 1997, S. 219. 99 Vgl. Bergs in Der Westen, 21.10.2008. 100 Größte deutsche Moschee eröffnet. RP Online, 26.10.2008. 101 Keßner, S. 66. 102 Ebd., S. 126. 103 Interview mit René Stadtkewitz, 19.1.2012 (Seminargruppe des Instituts für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität Berlin: Lea Brun, Ivan Kovalenko und Keren Kraus. Lehrveranstaltung Kaschuba/Warneken: Öffentlicher Raum als Kontakt- und Kreativzone, Wintersemester 2011/12). 104 Der Imam von nebenan. Der Tagesspiegel, 18.10.2009. 105 Ebd. 106 Interview mit Sandra Caspers. 107 Süddeutsche Zeitung, 16.2.2007. 108 Karin Steinberger: Mach dir ein Bild. Süddeutsche Zeitung, 18.2.2010. 109 2013 und 2014 hat sich die jährliche Besucherzahl auf ca. 11.000 verringert, wobei Personalkürzungen und eine damit verbundene Drittelung der Führungstermine eine Rolle spielen (schriftliche Auskunft von Nigar Yardim, Bildungs- und Begegnungsstätte in der DITIB-Merkez-Moschee, 31.8.2015). 110 So Abdul Basit Tariq in: Der Tagespiegel, 18.10.2009. 111 Eichholz 2014, S. 88. 112 Vgl. Keßner, S. 66. 113 Vgl. Reiner Albert: Das moderne Theorieverständnis und der christlich-islamische Dialog. In: Hagemann/Albert (Hg.) 1998, S. 107–151; hier S. 134. 114 Eichholz 2014, S. 78. 115 Sabine Merelt-Rahm: Türken lieben die Stadt Duisburg. Der Westen, 11.2.2014. 309
Anmerkungen
116 117 118 119 120
Interview mit Abdul Basit Tariq. Interview mit Ruth Misselwitz. Vgl. Cesari, S. 1020. Vgl. zum Beispiel Beinhauer-Köhler/Leggewie, S. 133. Vgl. Keßner, S. 67 f.; Günter Eitenmüller: Öffentliche Aufgabe oder Privat angelegenheit? Inhalte und Formen des Islamunterrichts – »Mannheimer Modell«. In: Reiner Albert/Wilfried Dettling SJ (Hg.): Im Schatten der Politik. Einwirkungen auf das christlich-islamische Gespräch. Altenberge 2002, S. 207–221. 121 Reiner Albert: Nachwort: Das Ende einer »offenen Moschee«? Mannheimer Turbulenzen. In: Hagemann/Albert (Hg.) 1998, S. 175–179; hier S. 175. 122 Ebd. 123 DER SPIEGEL, 17/1998, S. 58–61. 124 Keßner, S. 71. 125 Tezcan 2000, S. 429. 126 Lehnartz, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 25.7.2007. 127 Vgl. zum Beispiel Ralf Dahrendorf: Gesellschaft und Freiheit. Zur soziologischen Analyse der Gegenwart. München 1961, S. 121.
310
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Abbildungsnachweis
Abb. 1: Isidor Stanislaus Helman und Charles Monnet: »Fédération générale des Français au Champ-de-Mars«. © Musée Carnavalet / Roger-Viollet, 27023-14. Abb. 2: François-Robert Ingouf: »Travaux au Champ-de-Mars pour la fête de la Fédération«. © Musée Carnavalet / Roger-Viollet, 36037-2. Abb. 3: Jean-Louis Darcis: »Moi libre aussi«, 1794. © Musée Carnavalet / Roger-Viollet, 27290-14. Abb. 4: „Le roi piochant au Champ-de-Mars (juillet 1790)«. © Musée Carnavalet / Roger-Viollet, 41900-9. Abb. 5: Aus: Maurice Lambert: Les Féderations en Franche-Comté et la Fête de la Fédération du 14 Juillet 1790. Paris 1890. Repro: Staatsbibliothek Berlin. Abb. 6: Aus: Maurice Lambert: Les Fédérations en Franche-Comté et la Fête de la Fédération du 14 Juillet 1790. Paris 1890. Repro: Staatsbibliothek Berlin. Abb. 7: Aus: Georges Toscan: Histoire du Lion de la ménagerie du Muséum national d’histoire naturelle et de son chien. Paris An III (= 1794/95). Repro: Staatsbibliothek München. Abb. 8: Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn. Abb. 9: Bundesarchiv, Berlin (Bestände des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Zentrales Parteiarchiv). Abb. 10: Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn. Abb. 11: Repro: Staatsbibliothek Berlin. Abb. 12: Repro: Staatsbibliothek Berlin. Abb. 13: Repro: Staatsbibliothek Berlin. Abb. 14: Abb. 15: British Library Document Supply. Abb. 16: Bundesarchiv, Berlin (Bundesarchiv Berlin, Bestände des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Zentrales Parteiarchiv). Abb. 17: Repro: Staatsbibliothek Berlin. Abb. 18: Repro: Staatsbibliothek Berlin. Abb. 19: Repro: Staatsbibliothek Berlin. Abb. 20: Digitales Bildarchiv des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik, Bonn. Abb. 21: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn. Abb. 22: Fotoarchiv J. H. Darchinger im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn, Foto 6/FJHD002181. Abb. 23: Aus: Dieter Braeg: »Wilder Streik – das ist Revolution«. Der Streik der Arbeiterinnen bei Pierburg in Neuss 1973. Berlin 2012.
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Abbildungsnachweis
Abb. 24: Aus: Dieter Braeg: »Wilder Streik – das ist Revolution«. Der Streik der Arbeiterinnen bei Pierburg in Neuss 1973. Berlin 2012. Abb. 25: Aus: Protokoll 2. Ausländerkonferenz der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland. Frankfurt, 9. bis 11. Mai 1989. Frankfurt a. M. 1989, S. 489. Abb. 26: www.derwesten.de/staedte/duisburg/merkez-moschee-in-marxloh-feierlich-eroeffnet-img3-id1045290html (letzter Zugriff am 28.5.20156). Abb. 27: http://images.google.de/imgres?imgurl=https://upload.wikimedia.org/ wikipedia/commons/thumb/6/65 (letzter Zugriff am 18.3.2016). Abb. 28: https://en.wikipedia.org/wiki/Khadija_Mosque#/media/File:Khadija-Moschee,_Berlin,_Germany_-_20110603.jpg (letzter Zugriff am 18.3.2016). Abb. 29: Foto: Dpa Picture – Alliance GmbH. Abb. 30: Fotoarchiv: Uwe Steinert, Berlin.
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Personenregister
Abbema, Balthasar Elias 34 Addams, Jane 182 f. Adler, Victor 77, 84 Albert von Sachsen-Coburg und Gotha 94 Alboga, Bekir 257 Aldag, Karl 173 Alger, John Goldworth 33 Allport, Gordon 70 Altun, Ufuk 231 Anseele, Edouard 84, 102 Asworth, Tony 155, 157 Avenel, Georges 33 Axelrod, Paul (Pavel) 119, 185 Axelrod, Robert 158 f. Babeuf, François Noël 55, 87 Bailly, Jean Sylvain 39 f. Bairnsfather, Bruce 163 f., 171 Balabanova, Angelica 185 Bardakoglu, Ali 237 Barnave, Antoine 53 Baumann, Wilhelm 142 Beauharnais, Alexandre vicomte de 54 f. Beauharnais, Fanny de 35 Bebel, August 77, 81, 84, 100, 106, 108, 119 Beethoven, Ludwig van 9, 71f. Belley, Jean-Baptiste 37 Benjamin, Walter 73 Berberich, Hubert 239 Berger, Georges 92 Bergs, Melanie 262 Bernstein, Eduard 176 Berthler, Gustave 171
336
Bethmann Hollweg, Theobald von 120, 143 Biermann, Wolf 230 Bismarck, Otto Fürst von 102 Black, Frank H. 171 Blanqui, Louis-Auguste 87 Bloch, Ernst 8, 47 Boetzelaer, Benjamin comte de 34 Boll, Friedhelm 122 Bonne-Savardin, Bertrand de 18 Boulanger, Georges 87, 96 Bourderon, Albert 185 Bovinet, Edme 62 Braeg, Dieter 216 f., 224 Brandt, Willy 220, 223 f., 225 Branting, Hjalmar 84 Braun, Otto 120 Broglie, Victor de 54 Brown, Malcolm 160, 164, 171 Bruhns, Julius 82, 85, 89, 103 Bücher, Karl 155 Bukow, Wolf-Dietrich 246 Bürger, Gottfried August 40 Burns, John 84, 101, 105 Busch, Ernst 190 Bushe (auch: Busche), J.F. 103 Campe, Joachim Heinrich 55-58 Canetti, Elias 58 Carlyle, Thomas 56 Carnot, Sadi 92, 95 Carpenter, Edward 149-151 Cartheri 25 Casanova, Francesco 34 Caspers, Sandra 252, 263 Castries, duc de 55
Personenregister
Chammas, Cazadom 33 Châtelet, duc de 58 Chater, Dougan 156 Chavis (auch: Dom Chavrek) 33 Chevenal, Francis 36 Cipriani, Amilcare 85, 102 Cloots, Jean-Baptiste de (auch: Ana charsis Cloots) 33–38, 71, 96 Collot d’Herbois, Jean-Marie 61 Condorcet, Marquis de 32 Costa, Andrea 84, 102 Cottin, Jacques-Edme-Léger 55 Crane, Walter 76 Crofton, Morgan 173 Crook, Paul 147 Cunninghame-Graham, Robert Bontine 84, 101, 108, 116 D’Aiguillon, duc 54 f. D’Aoust, comte 55 D’Egmont, comte 55 D’Escherny, François Louis 16, 26, 29 f., 43-46, 63 D’Estourmel, comte 55 Darcis, Jean-Louis 37 Darwin, Charles 145, 151 Daszynski, Felix 85 Dausend, Hannelore 237 David, Eduard 114, 118, 143 De Paepe, César 84 Deimling, Berthold von 163 Delp, Volker 221 Desmoulins, Camille 35, 50, 59 Diamant, Max 219, 226 Dindarol, Yahya 264 Dißmann, Robert 180 Dohna-Schlobitten, Friedrich Ferdinand Alexander zu 53 Domela Nieuwenhuis, Ferdinand 84, 102, 108 Douglas, Louis 190 Drobinski, Matthias 263
D’Aumont et de Villequier, duc 55 DuChatellier, Armand 67 Dufay, Louis-Pierre 37 Dumas, Alexandre 34 Dumas, Thomas Alexandre 34 Ebert, Friedrich 118, 120 Eichenberg, Julia 10 Eichholz, Lutz 265 Eichhorn, Andreas 72 Einem, Karl von 135 Eisler, Hanns 190 Eksteins, Modris 151 El Khadib 251 Elisabeth de France 53 Ellis, Havelock 148 f. Elsner, Lothar 219 Engels, Friedrich 77, 81, 90, 97, 100, 110 Ernst, Eugen 121 Falkenhayn, Erich 187 Fauchet, Claude 64 Faure, Sébastien 103 Fendrich, Anton 131 Fernán-Nuñez, Conde de 47 Ferrières, Marquis de 27, 52, 57 Fischer, Richard 175 Fischer, Theodor 121 Fleißner, Hermann 180 Fonteny, A.J. 191-193 Forster, Georg 27, 29 Fourier, Charles 27 Frank, Leonhard 190, 193 Frank, Ludwig 143 Frankel, Leó 84, 102 Fried, Alfred Hermann 147, 171 Gayl, Egon von 176 Geinowski, Friedhelm 238 Genn, Felix 237 Giovanoli, Friedrich 109, 111 f. 337
Personenregister
Girtanner, Christoph 38 f., 42, 46, 70, 72 Glocke, Theodor 82 Gnocchi-Viani, Osvaldo 93 Goethe, Johann Wolfgang von 11, 27 Goldschmidt 170 Gouges, Olympe de 3 Goy 34 Granier, Jean 167 Grimm, Robert 124, 184–187 Groh, Dieter 142, 144 Grunwald, Max 123 Guesde, Jules 81, 84, 118, 184 Guillaume-Schack, Gertrud(e) Gräfin von 85 Güldiken, Salih 228 Güngor, Filiz 237 Haase, Hugo 118, 175 Haeckel, Ernst 145 Haenisch, Konrad 123 f., 179 Händel, Georg Friedrich 167 Hardie, Keir 84, 106, 116, 118, 144, 175 Harnoß, Martha 194–196 Haußmann, Conrad 118, 143 Heinert, Dieter 206 Heinkel, Ernst 125 Heinrich Ernst, Prinz von Sachsen 168 Helman, Isidore Stanislaus 14 Herbert, Ulrich 199 Herrmann, Norbert 256 f. Heuss, Theodor 125 Hindenburg, Paul von 127 Hirsch, Hans 196 Hirschfeld, Magnus 171 Hobsbawm, Eric 96, 111 Hoffmann, Adolph 185, 187 Holmes, John Haynes 147 Horaz 40 Hourwitz, Zalkind 34 Hugenberg, Alfred 190 Hulse, Edward 163 338
Humboldt, Wilhelm von 27 Hunter, C. 160 Hüttermann, Jörg 251, 258, 261 Huwer, Jörg 207 Huxley, Henry 145 Huysmans, Camille 107 Hyndman, Henry 184 Iglesias, Pablo 84 Ihrer, Emma 85-87 Ilyas, Mubashra 241 Ingouf, François-Robert 31 Jack, J. L. 163 Jankowska, Maria 85 Jannack, Karl 180 Jaurès, Jean 25, 29, 67, 69, 118 Jimenez, Pedro 217 Jones, P.H. 167 Jonker, Gerdien 243 Kamalk, Hasan 231 Kant, Immanuel 118 Karahasan, Yilmaz 205, 221, 229 f. Kautsky, Karl 145 f., 175, 184 Kaykin, Zülfiye 250 Kelidis, Anestis 217 Kemper, Michael 259 Kerenski, Alexander Fjodorowitsch 189 Keßner, Iris 262–264, 267 Kirchhoff, Walter 168 Kissinger, Henry 10 Klär, Karl-Heinz 107 Kleff, Hans-Günter 200, 227 f. Kleinspehn, Thomas 11 Kleist, Heinrich von 46 f. Kloß, Karl 98 Knecht, Günther 212 Knigge, Adolph Freiherr von 53 f. Köhne, Matthias 260, 263 Kolarov, Vasil Petrov 185 Kolb, Wilhelm 126
Personenregister
Komsuscuk, Ismael 265 Kraft, Sabine 266 Kretschmer, Winfried 93 Kropotkin, Piotr 146 Kruse, Wolfgang 124 Kuckelhorn, Wilfried 206 Kücük, Mustafa 262 Kühne, Peter 226 Kumm, Wolfgang 248 La Fayette, Marquis de 15, 18 f., 21, 35, 38, 54, 59, 63, 66 f. La Rochefoucauld, vicomte de 55 Lafargue, Laura 110 Lafargue, Paul 77, 79, 81, 84, 87, 95–97, 104, 111 Lalic, Mato 236 Lameth, Alexandre de 55 f., 58 Lameth, Charles de 50 Landauer, Gustav 146 Lassalle, Ferdinand 91 Latour-Maubourg, comte de 55 Lavie, Marc-David 59 Lawroff, Piotr 102 f. Ledebour, Georg 185 f. Legien, Carl 87 Leipziger, Peter 212 f., 217 Lellek, Oliver 254, 257 Lenin, Wladimir Iljitsch 183–186, 189 Lennartz, Sascha 268 Lensch, Paul 123 f., 142 Levasseur, René 38 Liebknecht, Karl 175, 185 Liebknecht, Wilhelm 81, 84, 88 f., 91, 95, 97, 99, 103 Lilienthal, Otto 131 Lipinski, Richard 180 Louis-Philippe II., duc d’Orléans 54 Loustalot, Élisée 50 Lovell, A. 160 Lück, Ernst 210 Ludwig XIV. 59
Ludwig XVI. 15, 18, 24, 42, 47–53, 67 Luxemburg, Rosa 118 f., 179, 185 Man, Hendrik de 155 Man, Tom 106 Mann, Thomas 72 Marat, Jean-Paul 19, 57, 62 Marie Antoinette 42, 48 f. Markov, Walter 58 Marmela, Elefteria 212 f. Marron, Paul Henri 34 Martin, Rudolf 135 Marx, Karl 90, 103 Mascall, Maurice 158, 171 Mayer, Hans 71 Menou, Jacques François Baron de 33 Mercier, Louis Sébastien 15, 26, 28, 40, 53 Merlino, Francesco Savario 102, 104 f. Merrheim, Alphonse 185 Mert, Necati 265 Meyer, Ernst 185 Michelet, Jules 18, 23, 70, 72 f. Mills, Jean-Baptiste 37 Mimoune, Ghaouti 229 Miquel, Pierre 154 Mirabeau, comte de 25, 50, 56 Misselwitz, Ruth 252, 256, 266 Molière 38, 40 Montmorency, duc de 59 Morange, J. 193 Moray, Mine 233–235 Morris, William 84, 108 Mosse, George 10 Müller, Hans 110 Müller, Hermann 120 Müller, Richard 188 f. Napoleon I. 38 Napoleon III. 93 Naumann, Friedrich 128 Necker, Jacques 49 339
Personenregister
Newman, John Paul 10 Noailles, vicomte de 55, 59 Noske, Gustav 122 Novicow, Jacques 147 Osiander, Jh. 34 Ozäy, Osman 259, 261 Özbagci, Mehmet 221 Ozouf, Mona 50 f. Palloy, Pierre-François 46 Pannekoek, Anton 146 Passy, Frédéric 95 Paul, Jean 131 Péclet, Georges 190 Pielert, Klaus 202 Pinkau, Karl 99 f. Pinker, Steven 11 Pitt-Rivers, Julian 251 Pius VI. 66 Plechanow, Georgi 84, 184 Poll, Helga Maria 265 Preuß 82 Quinet, Edgar 20 Quinton, W.J. 166 Radek, Karl 185 Rakowsky, Christian Georgijewic 185 Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von 53 Rangow, Ralf von 153, 163 Reimarus, Sophie 17 Reinhard, Karl Friedrich 17 Richards, Frank 171 Richet, Charles 147 Rigal 85 Roland-Holst, Henriette 185 Ronsin, Charles Philippe 61 Rousseau, Jean-Jacques 36, 40, 47 Rubinstein, Michael 237
340
Saint-Pierre, Bernardin de 62 Schemann, Gabi 214 Scherer, Hermann 92 Schiffauer, Werner 244, 246 Schiller, Friedrich 71 Schmidt, Lothar 221 Schmitt, Thomas 266 Schneider, Nikolaus 237 Schneiderman, Rose 215 Schoppengerd, Johanna 250, 266 Schubart, Christian Friedrich Daniel 53 Schulz, Heinrich 124 Schumann, Robert 167 Scott, Samuel F. 68 Seaton, Shirley 160, 164, 171 Seidel, Robert 132 f. Sennett, Richard 10 Seume, Johann Gottfried 40 Shaw, George Bernhard 161 Sieveking, Georg Heinrich 16, 53 Singer, Paul 137 Sokoloff, Vladimir 190 Sokrates 40 Solleder, Fridolin 160 Sonthonax, Léger-Félicité 37 Sorley, Charles Hamilton 158 Stadtkewitz, René 247, 263 Staphorst, Z. van 34 Steinert, Uwe 254 Stephens, Hugh 190 Stewart, William 144 Stöcker, Helene 114 Stoecker, Walter 116, 119 Sturm, Willi 231 Südekum, Albert 120 Südmersen, Carsten 246 Suttner, Bertha von 183 Swietlik, Joachim 255 f. Syon, Guillaume de 129
Personenregister
Taine, Hippolyte 20 Talleyrand, Charles Maurice de 15, 54, 56, 66 Targün, Baha 206 f. Tariq, Abdul Basit 248, 255 f., 263, 266, 268 Tauscher, Leonhard 126 Tezcan, Levent 258, 268 Thalheimer, Bertha 185 Tirard, Pierre 92 Tochati (wohl: Tochatti) 85 Tolusch, Günter 226 Topcu, Canan 248 Tourzel, duchesse de 25, 53, 66 Trivas, Victor 190 Trotzki, Leo 185 Tschu En-Lai 9 Vaillant, Edouard 84, 88, 95, 97 f., 104 Valette, Aline 85 Vandervelde, Émile 84, 118, 184 Varlin, Eugène 87 Verhey, Jeffrey 119 Vetter, Heinz Oskar 226 Volders, Jean 84 Vollmar, Georg von 99, 108, 122
Weber, Otto 157 Weintraub, Stanley 164 Wernau, Julius 82 f. Werner, Wilhelm 102 Wilhelm II. 127, 143 Wilhelm, Kronprinz von Preußen 168 Williams, Graham 166, 168 Williams, Helen Maria 7, 65 Winiger, Joséf 78 Winter, Jay 10 Wohlfahrt, Klaus 221 Wolff, Theodor 163 Wordsworth, William 16 Yildiz, Önder 249 Yilmaz, Zerah 237, 259 Zeppelin, Ferdinand Graf von 125– 131, 134 f., 137 f., 140 f., 143 Zetkin, Clara 85 f., 118 f., 181 f. Ziemann, Benjamin 10
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EVA MARIA WERNER, KARIN SCHNEIDER
EUROPA IN WIEN WHO IS WHO BEIM WIENER KONGRESS 1814/15
Während des Wiener Kongresses bildete die Hauptstadt der österreichischen Monarchie das politische und gesellschaftliche Zentrum Europas. Schätzungen zufolge hielten sich bis zu 100.000 Gäste in der Stadt auf. Monarchen, Staatsmänner und Diplomaten, aber auch Künstler, Lobbyisten, Glücksritter, einflussreiche Frauen und viele mehr kamen in Wien zusammen. Wer waren all diese Kongressteilnehmer, wo bewegten sie sich und wie tagten sie? Und was hat es mit dem Mythos vom tanzenden Kongress auf sich? 2015. 385 S. 25 S/W-ABB. GB. 155 X 235 MM | ISBN 978-3-205-79488-2
böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, a-1010 wien, t: + 43 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar
OK! AUC H ALS eBO
HEINZ DUCHHARDT
1648 – DAS JAHR DER SCHLAGZEILEN EUROPA ZWISCHEN KRISE UND AUFBRUCH
Das Jahr 1648 – ein Jahr mit vielen Konnotationen, mit einer unglaublichen Spannung von »himmelhochjauchzend« bis zu »zu Tode betrübt«: in Gestalt der letzten Kriegshandlungen im Rahmen des langen europäischen Konfliktes und des mühevoll ausgehandelten Friedens von Münster und Osnabrück, von gewaltigen sozialen Aufständen und Herrscherwechseln, Palastrevolutionen und Türkenkriegen, Prozessen gegen Fürsten und dynastischer Unsicherheiten, Reformbemühungen und neuem Auf bruch in Architektur und Kunst, eines neu auf blühenden literarischen Lebens. All das wurde durch die Medien zu einem europäischen Ereignis, breit kommuniziert und rezipiert. Die »Explosion« des Zeitungswesens hatte ihre Früchte getragen. Der Historiker Heinz Duchhardt stellt eindrucksvoll dar, in welchem Ausmaß das Schlüsseljahr 1648 politisch, kulturell und gesellschaftlich prägend war und den Kontinent innehalten und Atem schöpfen ließ. Ein spannender Gang durch die europäische Staatenlandschaft. Dieser Titel liegt auch für eReader, Tablet und Kindle vor. 2015. 204 S. 14 S/W-ABB. GB. 135 X 210 MM | ISBN 978-3-412-50120-4
böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar
HORST DIETER SCHLOSSER
DIE MACHT DER WORTE IDEOLOGIEN UND SPRACHE IM 19. JAHRHUNDERT
Der große Einfluss von Sprache auf politische und gesellschaftliche Entwicklungsprozesse wird in historischen Analysen häufig unterschätzt. Hier setzt das neue Buch von Horst Dieter Schlosser an. Der Sprachforscher zeichnet an einer Vielzahl von konkreten Beispielen die verschiedenen Wirkmechanismen von Worten und Sprachbildern im 19. Jahrhundert nach. Von der unkritischen Vereinnahmung bis zur kritischen Reflexion, von identitätsstiftend bis rassenideologisch-abgrenzend, von „Einheit“ über „Nation“ und „Volk“ bis „Freiheit“: Schlossers Analyse schließt eine Lücke in der historisch-politischen Geschichtsschreibung und veranschaulicht, wie die bewusstseins- und realitätsbildende Macht der Worte sogar bis in die Gegenwart wirkt. Ein Buch für alle, die die Geschichte des 19. Jahrhunderts anders lesen, verstehen und reflektieren möchten. Liegt auch als EPUB für eReader, iPad und Kindle vor. Dieses DRM-freie eBook ist unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten zitierfähig und enthält Interaktionen: Anmerkungen und Registereinträge sind verlinkt, Querverweise und Weblinks sind interaktiv. 2016. 308 S. GB. 155 X 230 MM. ISBN 978-3-412-50557-8 [BUCH] | ISBN 978-3-412-50679-7 [E-BOOK]
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