Die Volkerrechtliche Verantwortlichkeit Der Europaischen Gemeinschaft Und Ihrer Mitgliedstaaten: Zugleich Ein Beitrag Zu Den Volkerrechtlichen ... Zum Europaischen Recht) (German Edition) 3428102355, 9783428102358


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Die Volkerrechtliche Verantwortlichkeit Der Europaischen Gemeinschaft Und Ihrer Mitgliedstaaten: Zugleich Ein Beitrag Zu Den Volkerrechtlichen ... Zum Europaischen Recht) (German Edition)
 3428102355, 9783428102358

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CHRISTIAN PITSCHAS

Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera und Detlef Merten

Band 78

Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten Zugleich ein Beitrag zu den völkerrechtlichen Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft

Von Christian Pitschas

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme

Pitschas, Christian:

Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten : zugleich ein Beitrag zu den völkerrechtlichen Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft I von Christian Pitschas. Berlin: Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zum europäischen Recht ; Bd. 78) Zug!.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1999/2000 ISBN 3-428-10235-5

D 188 Alle Rechte vorbehalten

© 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 3-428-10235-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 0

Meinen Eltern

Vorwort Diese Arbeit lag dem Juristischen Fachbereich der Freien Universität Berlin im Wintersemester 1999 I 2000 vor. Sie entstand im wesentlichen während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Herrn Univ.-Prof. Dr. Albrecht Randelzhofer, reicht in ihren Anfängen aber in die Zeit davor zuriick. Er hat die Arbeit betreut und das Erstgutachten erstattet. Dafür sowie für seine stetige Unterstützung und Förderung während meines Studiums und danach danke ich ihm sehr herzlich. Herr Univ.-Prof. Dr. Philip Kunig hat es übernommen, das Zweitgutachten zu erstatten. Er hat das in der ihm eigenen Weise und innerhalb kürzester Zeit getan. Doch gebührt ihm nicht nur dafür tiefer Dank, sondern gleichfalls für die Aufmunterung und Fürsprache, die er mir seit meiner Studentenzeit gewährt hat. Den Herausgebern, Herrn Univ.-Prof. Dr. Dr. Siegfried Magiera und Herrn Univ.-Prof. Dr. Detlef Merten, danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe. Ich bin während der Arbeit von einer Reihe von Freunden unterstützt worden, denen ich Dank sagen möchte: Herrn Dr. Andreas Eisenschenk für seinen nicht nachlassenden Ansporn, die Arbeit zu einem Abschluß zu bringen, Herrn Dr. Hartmut Grams für seine stete Gesprächsbereitschaft und kritischen Anmerkungen, Herrn Dennis Döpfer für die Durchsicht des Manuskripts und die Besprechung wichtiger Punkte sowie Herrn Stefan Groth für die Mühen des Korrekturlesens. Den größten Dank aber schulde ich meinen Eltern und meiner Großmutter Inge Materna, die meinen Werdegang mit fürsorglicher und nie erlahmender Anteilnahme begleitet, gefördert und geprägt haben. Ohne sie wäre weder diese Arbeit entstanden noch wäre mein Weg in dieser Weise verlaufen. Aus diesem und anderen Geiinden ist die Arbeit meinen Eltern gewidmet. Die Arbeit befindet sich auf dem Stand vom 1. Juli 2000. Berlin, im Juli 2000

Christian Pitschas

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

Erster Teil

Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit internationaler Organisationen und ihrer Mitglieder

26

1. Kapitel Volkerrechtliche Verantwortlichkeit internationaler Organisationen

26

A. Internationale Organisationen als Völkerrechtssubjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

I. Bedeutung der Völkerrechtssubjektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

II. Quelle der Völkerrechtssubjektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

1. Völkerrechtssubjektivität als Ausfluß der Gründungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . .

28

2. Völkerrechtlicher Charakter der Gründungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

III. Umfang der Völkerrechtssubjektivität.................. . ... . ...... .... ... .. . . .. .

31

IV. Reichweite der Völkerrechtssubjektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

1. Völkerrechtssubjektivität gegenüber den Mitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

a) Innenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

b) Außenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . .

35

2. Völkerrechtssubjektivität gegenüber Nichtmitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

B. Völkerrechtliche Verantwortlichkeit internationaler Organisationen

40

I. Verantwortlichkeit als Grundsatz des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

II. Eigene völkerrechtliche Regeln über die Verantwortlichkeit internationaler Organisationen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .

42

10

Inhaltsverzeichnis III. Analoge Anwendbarkeit der völkergewohnheitsrechtliehen Regeln über die Entstehung der Staatenverantwortlichkeit auf internationale Organisationen . . . . . . . .

43

IV. Auswirkungen struktureller Unterschiede zwischen Staaten und internationalen Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

1. Zurechenbarkeit von Organhandlungen im allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

a) Organe mit internationalen Beamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

b) Organe mit Vertretern der Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

c) Organleihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

2. Zurechenbarkeit von ultra-vires Handlungen im besonderen . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

a) Interne ultra-vires Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

b) Externe ultra-vires Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

3. Erschöpfung organisationsinterner Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

a) Volkerrechtswidrige Behandlung "fremder" Staatsangehöriger . . . . . . . . . . . .

63

b) Volkerrechtswidrige Behandlung internationaler Beamter . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

C. Ergebnisse des ersten Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

I. Volkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

II. Volkerrechtliche Verantwortlichkeit internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . .

68

2. Kapitel Indirekte völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Mitglieder

A. "Durchlässigkeit" der Volkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen . . . . . . I. Bedeutung griindungsvertraglicher Haftungsbeschränkungen

71 72 72

II. Auswirkung der Beitragspflicht der Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

III. Allgemeiner Rechtsgrundsatz über den Rückgriff auf die Mitglieder juristischer Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

1. Wesensverwandtschaft zwischen internationalen Organisationen und nationalen Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

2. Haftungsdurchgriff nach nationalem Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

Inhaltsverzeichnis B. Indirekte Verantwortlichkeit als Element völkerrechtlicher Verantwortlichkeit

11 81

I. Kontrolle als maßgebliches Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

II. Nichtübertragbarkeit des Kontrollkriteriums auf das Verhältnis zwischen internationalen Organisationen und ihren Mitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

III. Indirekte Verantwortlichkeit der Mitgliederaufgrund sonstiger Umstände . . . . . . .

85

1. Gefahrgeneigte Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

2. Ultra- Vires Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

a) Interne ultra-vires Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

b) Externe ultra-vires Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

IV. Verteilung der indirekten Verantwortlichkeit zwischen den Mitgliedern und ihr Verhältnis zur direkten Verantwortlichkeit der Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

V. Ausschluß der indirekten Verantwortlichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

C. Ergebnisse des zweiten Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

I. Volkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen und der Durchgriff auf ihre Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

II. Indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

Zweiter Teil

Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der EG und ihrer Mitgliedstaaten

103

1. Kapitel

Stellung der EG im Völkerrecht

103

A. Die EGalsinternationale Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 I. Eigenständigkeil der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 II. Supranationalität der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

12

Inhaltsverzeichnis lll. Bundesstaatlicher Charakter der EG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 1. Souveränität und Kompetenz-Kompetenz als Konstitutionsmerkmale staatlicher Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Normative Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 b) Soziologische Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. Souveränität und Kompetenz-Kompetenz im Verhältnis zwischen EG und Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 a) (Formale) Vorenthaltung der Kompetenz-Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 b) Die Mitgliedstaaten als "Herren der Verträge" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 aa) Auswirkung der WWU auf die Souveränität der Mitgliedstaaten . . . . . . 118 bb) Austrittsrecht der Mitgliedstaaten als Souveränitätsanker . . . . . . . . . . . . . 122 (1) Einseitiges Austrittsrecht einzelner Mitgliedstaaten?

122

(2) Gemeinsames Auflösungsrecht aller Mitgliedstaaten

124

c) Demokratiedefizit der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 d) Soziologische Heterogenität der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

B. Volkerrechtssubjektivität der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 I. Umfang der Volkerrechtssubjektivität der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

1. Vertragsschlußkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 a) Generelle Vertragsschlußkompetenz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 b) Ausdrückliche Vertragsschlußkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 aa) Währungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 bb) Zoll- und Handelsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 cc) Forschungs- und Technologieabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 dd) Umwelt(schutz)abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 ee) Entwicklungshilfeabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 ff) Assoziierungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

Inhaltsverzeichnis c) Stillschweigende Vertragsschlußkompetenzen

13 151

aa) Stillschweigende Vertragsschlußkompetenzen aufgrund aktualisierter primärrechtlicher Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 bb) Stillschweigende Vertragsschlußkompetenzen aufgrund nicht aktualisierter primärrechtlicher Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 d) Verhältnis der Vertragsschlußkompetenzen der EG zu den Vertragsschlußkornpetenzen der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 aa) Ausdrückliche Vertragsschlußkompetenzen der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (1) Währungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (2) Zoll- und Handelsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (3) Forschungs- und Technologieabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (4) Umwelt(schutz)abkornrnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 (5) Entwicklungshilfeabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 (6) Assoziierungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 bb) Stillschweigende Vertragsschlußkompetenzen der EG . . . . . . . . . . . . . . . . 178 (1) Stillschweigende Vertragsschlußkompetenzen aufgrund aktualisierter primärrechtlicher Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 (a) Ermächtigung zum Erlaß inhaltlich abschließender Sekundärrechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 (b) Ermächtigung zum Erlaß sekundärrechtlicher Mindestvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 (2) Stillschweigende Vertragsschlußkompetenzen aufgrund nicht aktualisierter primärrechtlicher Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 2. Sonstige Handlungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 a) Internationale Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 aa) Zusammenarbeit auf bestimmten Sachgebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (1) Bildungs-, Kultur- und Gesundheitspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (2) Transeuropäische Netze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 bb) Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 b) Wirtschaftssanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 aa) Allgerneiner Wirtschaftsverkehr. . . . . .. . . . .. ..... . . ... . ....... . . . ..... 195 bb) Kapital- und Zahlungsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 cc) Handelspolitische Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Il. Reichweite der Völkerrechtssubjektivität der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

C. Ergebnisse des ersten Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

14

Inhaltsverzeichnis 2. Kapitel

Verantwortlichkeitssphären der EG und der Mitgliedstaaten

215

A. Völkerrechtliche Verantwortlichkeit der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 I. Zurechenbarkeit der Organhandlungen im allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 1. Handlungen der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

2. Handlungen des Rates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 3. Beschlüsse der im Rat vereinigten Regierungsvertreter der Mitgliedstaaten . . 219 II. Zurechenbarkeit der ultra-vires Handlungen im besonderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 1. Interne ultra-vires Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

2. Externe ultra-vires Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 III. Verantwortlichkeit für gemischte Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 1. Begriff und gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit gemischter Abkommen . . . . 237 2. Gemischte Abkommen mit und ohne Bindungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 3. Auswirkungen auf die Verantwortlichkeit der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 a) Gemischte Abkommen ohne Bindungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 b) Gemischte Abkommen mit allgemeinen Bindungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . 244 c) Gemischte Abkommen mit spezifischen Bindungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . 246 IV. Erschöpfung gemeinschaftsinterner Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 V. Einfluß der Mitgliedstaaten auf die Verantwortlichkeit der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 1. Einbindung der Mitgliedstaaten in die Vertragserfüllung der EG . . . . . . . . . . . . . 253 2. Wirtschaftssanktionen der EG aufgrund mitgliedstaatlicher Beschlüsse im Rahmen der GASP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 B. Völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten

256

I. Direkte Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 1. Beschlüsse der im Rat vereinigten Regierungsvertreter der Mitgliedstaaten . .

2. Gemischte Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 3. GASP-Beschlüsse zur Verhängung von Wirtschaftssanktionen durch die EG 259 II. Indirekte Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

Inhaltsverzeichnis C. Ergebnisse des zweiten Kapitels

15 262

I. Volkerrechtliche Verantwortlichkeit der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 II. Volkerrechtliche Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

3. Kapitel

Zusammenfassung 266

Literaturverzeichnis . .. . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . . . . . . .. .. . . 269

Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . .. . . . .. . .. . . . . . . . . . . .. . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . .. . . . . 297

Abkürzungsverzeichnis a.A.

a. a. 0. ABI. a.E. a.F. AFDI AIDI AJIL AöR Arizona JI & CL Art. ASEAN Aufl. Austrian JPIL AVR BayVBl Bd. BDGV BGBI. bspw. Bull. BYIL bzw. Can. YIL CDE CMLR Colum. J. Transnat'l Law ders. d. h. dies. DÖV DVBl EA EAG EAGV EFAR

anderer Auffassung am angegebenen Ort Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften amEnde alte Fassung Annuaire Franyais de Droit International Annuaire de l'Institut de Droit International American Journal of International Law Archiv des öffentlichen Rechts Arizona Journal of International & Comparative Law Artikel Association of South-East Asian Nations Auflage Austrian Journal of Public International Law Archiv des Volkerrechts Bayerische Verwaltungsblätter Band Berichte der Deutschen Gesellschaft für Volkerrecht Bundesgesetzblatt beispielsweise Bulletin British Yearbook of International Law beziehungsweise Canadian Yearbook of International Law Cahiers de Droit Europeen Common Market Law Review Columbia Journal of Transnational Law derselbe das heißt dieselben Die Öffentliche Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt Europa-Archiv Europäische Atomgemeinschaft Vertrag über die Europäische Atomgemeinschaft European Foreign Affairs Revue

Abkürzungsverzeichnis EFTA

European Free Trade Association

EG

Europäische Gemeinschaft

EGKS

Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl

17

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

EJIL ELR EMRK

European Journal of International Law European Law Review Europäische Konvention zum Schutze der Grundfreiheiten und Menschenrechte

EP EPIL EPL EPZ

Europäisches Parlament Encyclopedia of Public International Law European Public Law Europäische Politische Zusammenarbeit

EU EuG

Europäisches Gericht erster Instanz

Europäische Union

Eu GE

Entscheidungssarnrnlung des Europäischen Gerichts erster Instanz

EuGH EuGHE

Europäischer Gerichtshof Entscheidungssammlung des Europäischen Gerichtshofs

EuGRZ EuR

Europäische Grundrechte Zeitschrift Europarecht

EUV

Vertrag über die Europäische Union

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EWR EWS

Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- & Steuerrecht

f. lff. FAO FAZ Fn. Fordham ILJ GA GA GASP GATS GITIE GV GYIL Harvard ILJ Hrsg. hrsg. IAO IBL IBLJ ICJ

folgende Food and Agriculture Organization

2 Pitschas

Frankfurter Allgemeine Zeitung Fußnote Fordham International Law Journal General Assembly ofthe United Nations Generalanwalt Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik General Agreement on Trade in Services Groeben I Thiesing I Ehlerrnann Generalversammlung der Vereinten Nationen German Yearbook of International Law Harvard International Law Journal Herausgeber herausgegeben Internationale Arbeitsorganisation International Business Lawyer International Business Law Journal International Court of J ustice

18

Abkürzungsverzeichnis

ICLQ

The International and Comparative Law Quarterly

IGH

Internationaler Gerichtshof

IGO ILC ILM Indian JIL iVm. JURA

International Governmental Organization International Law Commission International Legal Materials Indian Journal of International Law in Verbindung mit Juristische Ausbildung

JUS JWT JZ Leiden JIL LIEI LJZ m.w.Nachw.

Juristische Schulung Journal ofWorld Trade JuristenZeitung Leiden Journal of International Law Legal Issues of European Integration Liechtensteinische Juristen Zeitung mit weiteren Nachweisen

NAFTA n.F. NILR NJW No. Nordic JIL Nr. NUR NVwZ OECD Off. Rec.

North American Free Trade Association neue Fassung Netherlands International Law Review Neue Juristische Wochenschrift Nurober Nordic Journal of International Law Nummer Natur und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Organisation for Economic Cooperation and Development Official Records

ÖZöR ÖZöRV PICJ Pol. YIL RabelsZ

Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht und Völkerrecht Permanent International Court of Justice Polish Yearbook of International Law Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Revue Beige de Droit International Recueil des Cours d' Academie de Droit International Revue de Droit International, de Seiences Diplomatiques et Politiques Revue de Droit International et de Droit Compare Recht der Jugend und des Bildungswesens Revue Egyptienne de Droit International Reports Revue Generale de Droit International Public Reports of International Arbitration Awards Recht der internationalen Wirtschaft

RBDI RdC RDI RDIDC RdJB REgyDI Rep. RGDIP RIAA

RIW

Abkürzungsverzeichnis RL RMCUE

Richtlinie Revue du Marche commun et de !' Union europeenne

RMUE Rn. RTDE S. Ser. Sess. SEW Soviet YIL Suppl. Thür. VB! TRIPs TSP

Revue du Marche Unique Europeen Randnummer Revue Trimestrielle de Droit Europeen Seite Series I Serie Session Sociaal-Economische Wetgeving Soviet Yearbook of International Law Supplement Thüringische Verwaltungsblätter Trade Related Intellectual Property Rights Der Tagesspiegel

u. a. u. a.

und andere unter anderem von/vom vergleiche Virginia Journal of International Law Vereinte Nationen

V.

vgl. Virginia JIL VN

vo

Vol. VVDStRL WHO WTO WVK

wwu

Yale JIL Yale J. World Pub. Ord. YBILC YEL ZaöRV z. B. ZfRV ZHR ZIP ZLW ZöR ZRP ZVglRWiss

2*

19

Verordnung Volume Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer World Health Organization World Trade Organization Wiener Vertragsrechtskonvention Wirtschafts- und Wahrungsunion Yale Journal of International Law Yale Journal ofWorld Public Order Yearbook of the International Law Commission Yearbook of European Law Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Luftrecht und Weltraumrechtsfragen Zeitschrift für öffentliches Recht Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft

Einleitung Internationale Organisationen haben sich in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts zu gewichtigen Akteuren in den internationalen Beziehungen entwickelt 1. Diese Entwicklung beruht auf einer Abkehr von den traditionellen Mustern der internationalen Beziehungen. Jene waren bis zum Ende des Ersten Weltkriegs hauptsächlich durch bilaterale Kontakte zwischen den Staaten geprägt, die nur hin und wieder von Staatenkonferenzen unterbrochen wurden, um sich ad hoc bestimmten, als krisenhaftempfundenen Erscheinungen zu widmen2 . Diese Form des zwischenstaatlichen Austauschs wurde durch den Umstand begünstigt, daß die europäischen Mächte große Teile der Landkarte für sich beanspruchten. Der erste Weltkrieg führte zwar zu geänderten politischen Rahmenbedingungen, denen auf internationaler Ebene mit der Gründung des Völkerbundes Rechnung getragen werden sollte. Jedoch erfüllten sich die in diese Organisation gesetzten Hoffnungen letztlich nicht, weil die nationalistisch-isolationistischen Kräfte in den Mitgliedstaaten, auch und insbesondere in Deutschland, beharrlich gegen eine engere internationale Zusammenarbeit opponierten3 . Der Zweite Weltkrieg zerstörte dieses, in Teilen noch dem 19. Jahrhundert verhaftete, System. Spätestens seit dem Ende dieser Konfrontation setzte sich die Einsicht durch, daß es internationaler Foren bedarf, um staatenübergreifende Konflikte und Probleme einer friedlichen und sachlichen Lösung zuzuführen. Aufbauend auf dieser Erkenntnis rief man die Vereinten Nationen (VN) ins Leben, wobei man danach trachtete, die Schwächen der Völkerbundssatzung zu vermeiden. Darüber hinaus wurden sukzessive (Töchter-)Organisationen geschaffen, die sich der einzelnen ökonomischen, ökologischen, sozialen und kulturellen Herausforderungen annehmen sollten. Letzteren ist eine Komplexität und ein Ausmaß gemeinsam, die ihrer angemessenen Bewältigung auf staatlicher Ebene hinderlich ist. Zwei Beispiele belegen diesen Eindruck besonders nachhaltig. Zum einen ist die Vernetzung der nationalen Volkswirtschaften zu erwähnen, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs unaufhörlich voranschreitet, und die der Steuerung bedarf, damit alle VolkswirtI Zur Geschichte internationaler Organisationen vgl. Jacobsen, Networks of Interdependence, 21 ff.

2 Siehe zur Diplomatie der Staaten vor dem Beginn des 20. Jahrhunderts Gordon A. Craig I Alexander L. George, Zwischen Krieg und Frieden, 17 ff. 3 Siehe Craig/George, a. a. 0., 72 f. Zum Teil hatten diese Kräfte bereits einen Beitritt zum Volkerbund verhindert, wie im Fall der USA, zum Teil führten sie zu einem Austritt aus dem Volkerbund, wie etwa im Fall Deutschlands und Japans, siehe den Überblick bei Klein, in: Vitzthum, 4 . Abschnitt, Rn. 6.

22

Einleitung

schaften an dem durch sie generierten Wohlstand partizipieren und die durch sie hervorgerufenen sozialen Kosten tragen können. Zum anderen ist die fortschreitende Umweltzerstörung zu nennen, die nicht zuletzt auf die Steigerung des Wirtschaftswachstums zuriickgeht. Um sie zu stoppen, reichen wegen des Ineinandergreifens der verschiedenen Ökosysteme lokale bzw. regionale Schutzmaßnahmen in vielen Fällen nicht aus oder erweisen sich als lediglich suboptimaL Diese Sachlage verlangt eine überstaatliche Koordination und Kooperation, um ihrer Herr zu werden4 . Die internationalen Organisationen bieten einen Rahmen, in dem diese zwischenstaatliche Zusammenarbeit realisiert werden kann5 . Sie sind daher heute nicht mehr aus der Völkerrechtsordnung wegzudenken 6 . Der Europäischen Gemeinschaft (EG) kommt in diesem Prozeß eine herausgehobene Stellung zu. Sie ist aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hervorgegangen, die gemeinsam mit der Europäischen Atomgemeinschaft die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl ergänzte. Diese drei Organisationen entsprangen dem Streben nach verläßlichen Strukturen, mit denen ein Aufflammen der alten Feindseligkeiten in (West-)Europa vermieden werden sollte. Die Ausgangspositionen auf der globalen und auf dieser spezifischen regionalen Ebene waren also weitgehend gleich. Trotz dieser Parallelität verlief die Entwicklung auf beiden Ebenen in der Folgezeit nicht gleichläufig. Die unterschiedlichen ideologischen Vorstellungen zwischen "West" und "Ost" hemmten bis vor kurzem eine weitergehende Annäherung auf globalem Niveau, wohingegen im westeuropäischen Raum von Anfang an das Bemühen um einen Konsens überwog. Das blieb nicht ohne Einfluß auf die Wirkungsweise der EG. Der von den westeuropäischen Staaten mit der Vertiefung und Erweiterung der EG verfolgte integrative Ansatz führte dazu, die Position der EG sowohl nach innen wie nach außen zu festigen und auszubauen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Organisationen muß sie sich nicht auf ein bestimmtes Sachgebiet beschränken, sondern kann auf vielen Feldern aktiv werden7 . Aufgrund dessen ist es der Gemeinschaft wie keiner anderen Organisation - mit Ausnahme der VN - gelungen, zu einem Motor der internationalen Entwicklung zu werden 8 . Vor diesem Hintergrund kommt es nicht von ungefähr, daß die EG heute unbestritten eine ganz besondere internationale Organisation ist9 . Hält man sich die besondere Rolle der EG vor Augen, wird einem bewußt, daß sie diese Rolle unter anderem deshalb effektiv auszufüllen vermag, weil sie ihren Siehe C. F. Amerasinghe, Principles, 6 ff. s Siehe Klein, in: Vitzthum, 4. Abschnitt, Rn. 2. 6 Christoph Schreuer, 22 AVR 1984, 363 ff., der die Rolle der internationalen Organisationen als Mittel der Kommunikation hervorhebt. Zu weiteren Folgen der sog. "Globalisierung" für die Entwicklung des Völkerrechts und die Entstehung neuer Völkerrechtssubjekte siehe Stephan Hobe, 37 AVR 1999, 253, 261 ff., 264 ff. 7 Siehe dazu näher unten, zweiter Teil, 1. Kapitel, B. 8 Siehe Christiaan Timmermans, 4 EFAR 1999, 181, 184 f. 9 Siehe dazu näher unten, zweiter Teil, I. Kapitel, A. 4

Einleitung

23

völkerrechtlichen Pflichten nachkommt. Hätte sie sich in diesem für die Aufrechterhaltung der Völkerrechtsordnung zentralen Punkt als unzuverlässig erwiesen, wäre ihr auf Dauer nicht der Erfolg beschieden gewesen, den sie unzweifelhaft vorzuweisen hat. Die Rechtstreue der EG mag darauf zurückzuführen sein, daß sie wie alle internationalen Organisationen aufgrund ihres vertraglichen und damit vornehmlich rechtlich determinierten Ursprungs in besonderer Weise auf die Einhaltung des Völkerrechts achten muß 10 . Zugleich dürfte ihre Rechtstreue ganz wesentlich auf der Erkenntnis beruhen, keinen dauerhaften Rückhalt in der Völkerrechtsgemeinschaft zu finden, falls sie das geltende Völkerrecht in ihren Beziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten nicht beachtete. Die jederzeitige Befolgung der völkerrechtlichen Normen ist jedoch ein Idealzustand, der aus verschiedenen Gründen nicht zu erreichen ist; insofern unterscheidet sich die Völkerrechtsordnung nicht von nationalen Rechtsordnungen. Die Völkerrechtsordnung reagiert darauf auch nicht anders als die nationalen Rechtsordnungen: Sie kennt sekundäre Regeln, mit denen der Bruch der primären Regeln aufgefangen werden soll; man spricht diesbezüglich vom System völkerrechtlicher Verantwortlichkeit 11 • Ob und wie sich internationale Organisationen im allgemeinen und die EG im besonderen in dieses System einfügen, hat bislang relativ wenig Aufmerksamkeit erfahren 12 . Statt dessen steht vorrangig die Staatenverantwortlichkeit im Blickpunkt, was weder der zuvor angedeuteten, heutigen Bedeutung internationaler Organisationen im allgemeinen noch der der EG im besonderen gerecht wird. Vor diesem Hintergrund ist es angebracht zu untersuchen, wie es um die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der EG bestellt ist. Dabei werden zwei Komplexe herausgegriffen. Zum einen wird der Frage nachgegangen, welche Regeln für die Entstehung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit der EG gelten. Die Beschränkung auf die Entstehung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit beruht einerseits auf der Erwägung, daß es dabei um das Fundament völkerrechtlicher Verantwortlichkeit geht 13 , und andererseits darauf, daß die Entstehung der völkerrechtlichen IO Paul Reuter hat darauf hingewiesen, daß "(a)n international organization, more than any other institution, is obliged to derive its force from law, and consequently to respect the law", YBILC 1979 II/ 1, 125 (134). 11 Siehe dazu den Überblick bei Philip Kunig, JURA 1986, 344 ff. 12 Hervorzuheben sind Conze, Die völkerrechtliche Haftung der EG; Ginther, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit; Hirsch, The Responsibility of International Organizations; Werner Meng, 45 ZaöRV 1985, 324 ff.; v. Münch, Das völkerrechtliche Delikt, 250 ff.; Manuel Perez Gonzalez, 92 RGDIP 1988, 63 ff. 13 Die ILC hat ihre Arbeit über die Staatenverantwortlichkeit in drei Teile aufgeteilt, von denen sich der erste Teil mit der Entstehung der Staatenverantwortlichkeit, der zweite Teil mit den Rechtsfolgen der Staatenverantwortlichkeit und der dritte Teil mit der Streitbeilegung sowie der Durchsetzung der Staatenverantwortlichkeit auseinandersetzt, siehe 1993 11/2 YBILC, 34 (34; Rn. 193). Während die ILC den ersten Teil, der auf die Vorarbeiten des Sonderberichterstatters Roberto Ago zurückging, bereits 1980 vorläufig verabschiedete (siehe 1980 11/2 YBILC, 30 ff.; abgedruckt in 45 ZaöRV 1985, 357 ff.), dauerte es bis 1996, um

24

Einleitung

Verantwortlichkeit das einzige Gebiet aus der gesamten Materie ist, bei dem man sich auf einigermaßen sicherem Grund bewegt 14• Als Ausgangspunkt dienen Überlegungen, wie es in dieser Hinsicht bei internationalen Organisationen bestellt ist. Da die EG von ihrer Herkunft eine internationale Organisation ist, erscheinen die für internationale Organisationen gefundenen Ergebnisse auf die EG übertragbar. Die International Law Commission der VN (ILC) hat in ihrem Kommentar zu dem von ihr (vorläufig) verabschiedeten ersten Teil ihres Entwurfs über die Staatenverantwortlichkeit die nicht näher ausgeführte Aussage getroffen, daß die völkerrechtliche Verantwortlichkeit internationaler Organisationen nicht notwendigerweise denselben Gesetzmäßigkeitengehorche wie die der Staaten 15 . Diese Aussage ist in Anbetracht der Unterschiede zwischen Staaten und internationalen Organisationen zwar nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Dennoch wird ihr die Hypothese entgegengestellt, daß sich trotz der Unterschiede zwischen Staaten und internationalen Organisationen keine Abweichungen hinsichtlich der Entstehung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit feststellen lassen. Der zweite Komplex beschäftigt sich mit der Problematik, ob und unter welchen Umständen die Mitgliedstaaten für völkerrechtswidrige Handlungen der EG einzustehen haben. Dieser Untersuchungsgegenstand ist eng mit dem ersten verknüpft, denn er dreht sich gleichfalls um die Entstehung völkerrechtlicher Verantwortlichkeit aufgrundeines Verhaltens der EG. Die Besonderheit liegt darin, daß es um die Entstehung der (indirekten) Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten für das Verhalten der EG geht. Im Hinblick auf die Wesensverwandtschaft zwischen der EG und internationalen Organisationen werden auch hier zuerst die Organisationen in den Blick genommen, um anschließend zu prüfen, ob ihr Regime auf die EG anwendbar ist. Der Rückgriff auf die Mitglieder internationaler Organisationen rückte durch den Kollaps der Rohstofforganisation für Zinn in den achtziger Jahren in das Rampenlicht des öffentlichen lnteresses 16 . Obwohl die mit diesem Sachverhalt beauch die restlichen beiden Teile in erster Lesung zu verabschieden (siehe Report of the International Law Commission on the Work of its Forty-Eighth Session, 6 May - 26 July 1996, in: GA, Off. Rec., 51 Sess., Suppl. No. 10 (A/51/121 ff.); siehe dazu den Uberblick bei Yves Daudet, 42 AFDI 1996, 589 (598 ff.), Jörg Föh!lna Wiesner, 40 GYIL 1997, 598 (604 ff.). Siehe zum ersten Teil ausführlich Bruno Simma, 24 AVR 1986, 357 ff.; siehe zum zweiten Teil eingehend Claudia Annacker, 37 GYIL 1994, 206 ff. 14 Der erste Teil des ILC-Entwurfs über die Staatenverantwortlichkeit, der sich der Entstehung der Staatenverantwortlichkeit widmet, wird in weiten Teilen als Kodifikation des geltenden Volkergewohnheitsrechts angesehen, siehe lpsen, in: ders., § 39, Rn. 2; Christian Tomuschat, in: Vorträge, Reden und Berichte aus dem Europa-Institut (1994), 3 (5) m. w. Nachw. Kritisch Philipp Al/at, 29 Harvard ILJ 1989, 1 ff. Von den anderen beiden Teilen des ILC-Entwurfs über die Staatenverantwortlichkeit läßt sich das nicht mit gleicher Gewißheit sagen, was sich auch an der langen Zeitspanne bis zur vorläufigen Verabschiedung dieser Teile durch die ILC und der kontroversen Debatte innerhalb der ILC ablesen läßt; siehe auch Alain Pellet, 42 AFDI 1996, 7 ff. 15 Kommentar zu Art. 13 des ersten Teils, 1975 li YBILC, 47 (90; Rn. 9). 16 Allerdings spielte in diesem Fall die völkerrechtliche Verantwortlichkeit keine Rolle, da die Organisation ihre nach dem nationalen Recht ihres Sitzstaates eingegangenen Verbind-

Einleitung

25

faßten nationalen Gerichte eine Ausfallhaftung der Mitglieder ablehnten, wird im Schrifttum mit Blick auf die nationalen Rechtsordnungen für bestimmte Konstellationen ein Rückgriff auf die Mitglieder internationaler Organisationen für möglich gehalten 17 . Dem wird die Hypothese entgegengehalten, daß die nationalen Rechtsordnungen insofern von nur begrenzter Aussagekraft sind und daß ein Rückgriff auf die Mitglieder internationaler Organisationen bzw. der EG grundsätzlich nicht in Betracht kommt.

lichkeiten gegenüber privaten Gläubigern nicht erfüllen konnte, siehe dazu näher unten, erster Teil, 2. Kapitel, A. I. 17 So etwa Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten, 143 ff. ; 296 ff.; lgnaz Seidl-Hohenveldern, 11 ÖZöR 1961, 497 (506); ders., in: Festschrift für Hermann Mosler, 881 (887).

Erster Teil

Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit internationaler Organisationen und ihrer Mitglieder 1. Kapitel

Volkerrechtliche Verantwortlichkeit internationaler Organisationen A. Internationale Organisationen als Volkerrechtssubjekte Organisationen als international zu bezeichnen, besagt nicht, daß sie völkerrechtsfähig sind. Das ist nur der Fall, wenn sie über völkerrechtliche Rechte verfügen. Im Anschluß an Mosler 1 wird anstelle von Rechten der Begriff der Kompetenzen verwendet, da Organisationen Instrumente sind, um bestimmte funktionelle Zwecke zu erreichen2 .

I. Bedeutung der Volkerrechtssubjektivität

Die Stellungnahme des IGH im Gutachten Reparations for Injuries Suffered in the Service of the United Nations 3 führte in der Folgezeit dazu, internationale Or-

ganisationen als eine neue Kategorie eigenständiger Vcilkerrechtssubjekte anzuerkennen4, obwohl sich der IGH in seiner gutachterliehen Stellungnahme nur mit der Vcilkerrechtssubjektivität der VN auseinandersetzte. Der IGH vertrat die Ansicht, daß "the Organisation was intended to exercise and enjoy, and is in fact exercising and enjoying, functions and rights which can only be explained on the basis of the possession of a large measure of international personality and the capacity to operate upon an international plane."5 1

Hermann Mosler; 22 ZaöRV 1962, 1 (37 f.).

Zum Zusammenhang von Funktion und Kompetenz siehe Peter H.F. Bekker, The Legal Position of IGO's, 75 ff. 3 1949 ICJ Rep., 174 ff. 4 Eckhart Klein, 2 EPIL, 242 (244). Vgl. Bardo Fassbender, 37 ÖZöRV 1986, 17 (18 ff.) zum geschichtlichen Verlauf der Anerkennung internationaler Organisationen als Volkerrechtssubjekte. 2

1. Kap.: Volkerrechtliche Verantwortlichkeit

27

Diese Aussage deutet darauf hin, daß der IGH die Völkerrechtssubjektivität der VN als Voraussetzung für ihre völkerrechtlichen Kompetenzen ansieht. Dem darin zu Tage tretenden allgemeinen Verständnis über die Beziehung von Völkerrechtssubjektivität und völkerrechtlichen Kompetenzen internationaler Organisationen schloß sich der Berichterstatter der ILC über die Beziehungen zwischen Staaten und internationalen Organisationen, Diaz Gonzalez, an6 und stieß damit bei einem Teil der ILC-Mitglieder auf Zustimmung 7 . Jedoch unterläuft dem ILC-Berichterstatter und seinen ihm insoweit folgenden Kollegen ein Widerspruch. In seinem zweiten Bericht, der sich mit der Völkerrechtsfähigkeit internationaler Organisationen beschäftigt, geht Diaz Gonzalez nämlich davon aus, daß die völkerrechtlichen Kompetenzen internationaler Organisationen in einem unabweisbaren Zusammenhang mit ihren Funktionen stünden: Die Organisationen verfügten nur über diejenigen Kompetenzen, die erforderlich seien, um ihre Aufgaben und Zwecke zu erfüllen8 . Dieser functional approach liegt auch den Stellungnahmen der meisten ILC-Mitglieder in der Diskussion dieses und der ihm nachfolgenden Berichte zugrunde9 . Geht man aber von diesem funktionellen Ansatz aus, so stellt sich das Verhältnis von Völkerrechtssubjektivität und -kompetenz genau umgekehrt dar. Wären die Kompetenzen eine Folge der Rechtssubjektivität, käme es auf die Funktionen der jeweiligen Organisation gar nicht oder allenfalls in zweiter Linie an. Die Sichtweise des ILC-Berichterstatters blieb angesichts dieses Befundes im Kreis der ILC nicht unwidersprochen. Zu Recht wurde betont, daß die völkerrechtlichen Kompetenzen einer Organisation nicht aus ihrer Völkerrechtssubjektivität gefolgert werden könnten 10• s 1949 ICJ Rep., 174 (179). 6 1985 II I 1 YBILC, 112, Rn. 71: "Since international organizations possess international personality ... they possess legal powers at the internationallevel." Siehe allgemein zur Arbeit der ILC in diesem Bereich Abdullah El-Erian, in: Melanges Fernand Dehousse, Vol. I, 45 (48 ff.). Siehe auch Peter H.F Bekker, 6 Leiden JIL 1993, 3 (13 ff.) zu den Gründen, aus denen die ILC die Arbeit an diesem Thema (vorerst) eingestellt hat. 7 Siehe die Diskussion des zweiten Berichts, 1985 I YBILC, 286 ff., insbesondere die Stellungnahmen von Sucharitkul, 287, Rn. 31, und Balanda, 294, Rn. 47; die Diskussion des dritten Berichts, 1987 I YBILC, 188 ff., insbesondere die Stellungnahme von Reuter, 189, Rn. 6, sowie die Diskussion des vierten Berichts, 1990 I YBILC, 201 ff., insbesondere die Stellungnahme von Graefrath, 212, Rn. 59. 8 1985 II/ 1 YBILC, 110, Rn. 61 f. Bekker, 6 Leiden JIL 1993, 9, spricht insoweit von einem "functional necessity concept". 9 1985 I YBILC, 293, Rn. 37 (McCaffrey) und 300, Rn. 46 (Jagata) ; 1990 I YBILC, 201, Rn. 6 f. (Hayes), 205, Rn. 36 (Shi), 208, Rn. 19 (Raa), 215 f., Rn. 19 (Pellet), 217, Rn. 36 (McCaffrey).

IO Dies war die überwiegende Meinung während der Diskussion des vierten Berichts, 1990 I YBILC, 201, Rn. 6 (Hayes) ; 203, Rn. 21 (Tamuschat) ; 208, Rn. 19 (Raa) . Als die ILC sich in den sechziger Jahren das erste Mal mit dem Thema der Beziehungen zwischen Staaten und internationalen Organisationen befaßte, war es ebenfalls zu grundsätzlichen Divergenzen über die Frage der Volkerrechtspersönlichkeit internationaler Organisationen gekommen, vgl. die Zusammenfassung dieser Diskussion bei El-Erian, in: Melanges Fernand Dehousse, 50 f.

28

1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

Das Verständnis des IGH und des ILC-Berichterstatters ist außerdem in rechtsmethodischer Hinsicht unbefriedigend, denn es läßt offen, welche Kompetenzen aus der Völkerrechtssubjektivität abgeleitet werden können 11 • Subjekt einer Rechtsordnung wird man nur aufgrund von bestimmten Rechten und Pflichten, die diese Rechtsordnung zuweist; Rechtssubjektivität ist daher Ausdruck für die Gesamtheit der zugewiesenen Rechte und Pflichten 12. Dementsprechend meint Volkerrechtssubjektivität, Adressat (bestimmter) völkerrechtlicher Rechte und Pflichten zu sein 13 . Die Volkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen leitet sich demnach aus ihren völkerrechtlichen Kompetenzen ab und nicht vice versa 14 . Allerdings läßt sich aus dem so verstandenen Begriff der Volkerrechtssubjektivität allein nicht ablesen, welche Kompetenzen dem Volkerrechtssubjekt im einzelnen zustehen 15 . Es handelt sich um einen formalen und nicht um einen materiellen Begriff16. An diesem Begriffsverständnis wird kritisiert, daß es keinen praktischen Nutzen aufweise 17 . Dem kann nicht beigepflichtet werden, denn auch bei einem rein formellen Verständnis bleibt der Begriff sinnvoll, da er sichtbar macht, daß überhaupt eine - wenn auch im einzelnen unbestimmte - Volkerrechtsfähigkeit existiert. II. Quelle der Völkerrechtssubjektivität

1. Völkerrechtssubjektivität als Ausfluß der Gründungsverträge

Die Volkerrechtsordnung enthält keinen festen Kanon an Kompetenzen für internationale Organisationen. Diese Kompetenzen werden den Organisationen vielmehr von den Rechtssubjekten verliehen, die sie gründen 18 . Internationale OrganiII Zumeist wird insoweit auf die Vertragsschlußkompetenz verwiesen, Diaz Gonzalez, 1985 li I 1 YBILC, 112, Rn. 71; Sucharitkul, 1985 I YBILC, 287, Rn. 31; Reuter, 1987 I YBILC, 189, Rn. 6; Graefrath, 1990 I YBILC, 212, Rn. 59. So bereits auch Hersch Lauterpacht, 1953 II YBILC, 90 (141). 12 Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 455. 13 Amerasinghe, Principles, 78, 91 ff., 98 ff.; ders., 47 Austrian JPIL 1995, 123 (127); Julio A. Barberis, 179 I RdC 1983, 145 (168); Hans Kelsen, 84 III RdC 1953, I (101); Hermann Mosler, in: Melanges Offerts A Henri Rolin, 228 (233 f.) ; Pierre Pescatore, 103 II RdC 1961, 1 (29 f.). 14 So aber Bekker, The Legal Position of IGO's, 60; PK. Menon, 70 RDI 1992, 61 (68 ff.) ; Manuel Rama-Montaldo, 44 BYIL 1970, 111 (137 ff.). 15 Amerasinghe, 47 Austrian JPIL 1995, 127; Barberis, 179 I RdC 1983, 168; Kelsen, 84 III RdC 1953, 101; Mosler, in: Melanges Offerts A Henri Rolin, 240; Pescatore, 103 li RdC 1961, 44. Vgl. auch Elihu Lauterpacht, 152 IV RdC 1976, 377 (407); D.P O 'Connell, 67 RGDIP 1963, 5 (28 f.). 16 Bekker, The Legal Position of IGO's, 54 ff., spricht - trotz seines entgegengesetzten Ausgangspunkts - von einem statischen Begriff, der keine Information über die Modalitäten des Organisationsstatus enthalte . 17 Rama-Montaldo, 44 BYIL 1970, 113. Ablehnend auch Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten, 37.

1. Kap.: Vrilkerrechtliche Verantwortlichkeit

29

sationen sind daher keine originären Völkerrechtssubjekte wie die Staaten 19, weshalb sie auch als gekorene Völkerrechtssubjekte bezeichnet werden. Die Gründungsverträgesind das Vehikel, mittels dessen den Organisationen die völkerrechtlichen Kompetenzen übertragen werden. Deshalb determinieren die Gründungsverträge die Völkerrechtssubjektivität der Organisationen20. Hartwig kritisiert diese Sicht, weil sie die internationalen Organisationen vom Willen der Mitglieder abhängig mache, obwohl sie für die Dauer ihrer Existenz gegenüber den Mitgliedern Eigenständigkeil besäßen und ihnen gegenüber eigene Rechte geltend machen könnten21 . Daß internationale Organisationen als selbständige Rechtssubjekte von ihren Mitgliedern zu unterscheiden sind, kann ebensowenig bezweifelt werden wie der Umstand, daß die Organisationen auch gegenüber den Mitgliedern Rechte beanspruchen können22 . Doch läßt sich die Eigenständigkeil internationaler Organisationen nicht von ihrem Ursprung trennen. Die Selbständigkeit beruht auf Kompetenzen, die die Mitglieder den Organisationen übertragen haben23 . Die Ableitung der Kompetenzen vom Willen der Mitglieder besagt zwar nicht, daß diese die von ihnen übertragenen Kompetenzen nicht beachten müßten. In der Übertragung liegt eine Entäußerung, die es jedenfalls einzelnen Mitgliedern verwehrt, das Schicksal der Organisation in die Hand zu nehmen24 . Nur in ihrer Gesamtheit können die Mitglieder die Organisationen, so wie sie sie ins Leben gerufen haben, durch actus contrarius auch wieder vernichten25 . Gerade 18 Der lOH-RichterGroshat diese Tatsache wie folgt ausgedrückt: " ... each international organization has only the competence which has been conferred on it by the States which founded it, and its powers are strictly limited to whatever is necessary to perform the functions which the constitutive charter has defined. This is thus a competence d'attribution, i.e., only such competences as States have ,attributed' to the organization.... States are sovereign in the sense that their powers are not dependent on any other authority, but speciaiized agencies have no more than a special competence, that which they have received from those who constituted them .. ." Seperate opinion of judge Gros, Interpretation of the Agreement of 25 March 1951 betweeen the WHO and Egypt, Advisory Opinion, ICJ Rep. 1980, 99 (103). 19 A.A. Rama-Montaldo, 44 BYIL 1970, 147; Finn Seyerstedt, 4 Indian JIL 1964, l (61 f.). 2o Barsegov, 1990 I YBILC, 219, Rn. 47; Rene-Jean Dupuy, 100 II RdC 1960, 457 (532); F.A. Mann, 152 ZHR 1988, 303 (305); Pescatore, 103 II RdC 1961, 44; Kar[ Zemanek, 7 ÖZöR 1956, 335 (351). Siehe auch Gerald G. Fitzmaurice, 29 BYIL 1952, 1 (3). A.A. Bekker, The Legal Position of IGO's, 56 und 63 ff.; Seyerstedt, 4 Indian JIL 1964, 53. 21 Die Haftung der Mitgliedstaaten, 37. 22 Siehe dazu unten IV.l. 23 Seidl-Hohenveldern, in: Festschrift für Hermann Mosler, 884. 24 Das einzige selbständige Handlungsinstrument eines einzelnen Mitglieds ist das Recht auf Austritt aus der Organisation, wobei die Gründungsverträge dieses Recht zum Teil an gewisse Bedingungen knüpfen. Allerdings verbleibt immer ein uneingeschränktes Austrittsrecht im Fall der "clausula rebus sie stantibus", vgl. Art. 62 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (BGBI. 1985 II, S. 927) [im folgenden: WVK 1969], das nach seinem Art. 5 auch auf die Gründungsverträge internationaler Organisationen Anwendung findet. 25 Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der internationalen Organisationen, 79, Rn. 0609.

30

1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

daran zeigt sich aber besonders deutlich, daß internationale Organisationen in ihrem Bestand vom Willen der Mitglieder abhängen26 . Diese Abhängigkeit impliziert allerdings nicht, daß die Mitglieder die Handlungen ihrer Organisationen kontrollieren könnten 27 . Wenn Hartwig weiterhin darauf verweist, daß bestimmte Typen von internationalen Organisationen regelmäßig Völkerrechtssubjektivität aufwiesen28 , so ist dies darauf zurückzuführen, daß bestimmte Aufgaben zu ihrer Erfüllung bestimmte Kompetenzen nahelegen. Daraus kann aber weder eine Verpflichtung abgeleitet werden, solchen Organisationen immer die gleichen Kompetenzen zu übertragen, noch die Pflicht, solche Organisationen zu gründen; die Staaten sind insoweit nicht durch Völkergewohnheitsrecht gebunden.

2. Völkerrechtlicher Charakter der Gründungsverträge Damit die Gründungsverträge internationaler Organisationen völkerrechtliche Kompetenzen vermitteln können, muß es sich um völkerrechtliche Verträge handeln. Solche Verträge entstehen durch die Willenseinigung zwischen Völkerrechtssubjekten, da nur sie Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten sind29 . Organisationen, die kraft der Übereinkunft zwischen Völkerrechtssubjekten entstehen, werden als International Governmental Organizations30 bezeichnet31 • Im Gegensatz zu den durch Völkerrechtssubjekte gegründeten Organisationen stehen die sogenannten International Non-Governmental Organizations, die nicht der Völkerrechtsordnung unterstehen 32, sondern der Rechtsordnung des Staates, in dem sie 26 lngolf Pemice, 26 AVR 1988, 406 (431). V gl. auch den Beitrag von Beesley in der ILCDebatte, 1990 I YBILC, 221, Rn. 6. 27 So aber Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten, 38. Zur Kontrolle als (angeblichen) Maßstab für die indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder einer internationalen Organisation siehe unten 2. Kapitel, B. II. 28 Die Haftung der Mitgliedstaaten, 37; vgl. auch Bekker, The Legal Position of IGO's, 63 ff. 29 Eine Ausnahme bilden insoweit allenfalls die "quasi-völkerrechtlichen" Verträge, siehe dazu Verdross/ Simma, Universelles Volkerrecht, § 4. Meistens handelt es sich bei den völkerrechtlichen Gründungsverträgen um solche geschriebener Art, da sie für mehr Rechtssicherheit und -klarheit hinsichtlich der Ziele und Kompetenzen der Organisationen sorgen, Yasseen, in: Handbook, 34. Jedoch ist anerkannt, daß internationale Organisationen auch durch mündliche Abkommen gegründet werden können, Barberis, 179 I RdC 1983,217. 30 Diaz Gonzalez, 1985 II/ I YBILC, 106, Rn. 20 ff. 31 Die Fähigkeit solcher Organisationen, andere gleichartige Organisationen zu gründen, wird teilweise in Zweifel gezogen. Akzeptiert man jedoch die Mitgliedschaft internationaler Organisationen in anderen internationalen Organisationen, kann ihnen die Kompetenz zur Gründung solcher Organisationen nicht abgesprochen werden. Dies muß zumindest für den Fall gelten, daß die gegründete Organisation dazu beitragen kann, die Ziele der sie gründenen Organisationen zu unterstützen, Barberis, 179 I RdC 1983, 218. 32 Schermers / Blokker, Internationallnstitutional Law, 32, § 47.

1. Kap.: Völkerrechtliche Verantwortlichkeit

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gegründet werden33 . Sie sind daher zwar Subjekte des nationalen, aber nicht des Völkerrechts. Deswegen sind sie nicht fähig, völkerrechtliche Handlungen vorzunehmen34. Allerdings gibt es Organisationen, die durch völkerrechtliche Verträge geschaffen werden und trotzdem nicht über Völkerrechtssubjektivität verfügen, weil sie der Rechtsordnung eines Gründungsmitglieds unterstellt werden 35 . Die Gründungsverträge verleihen diesen Organisationen, die zumeist eine wirtschaftliche Zweckbestimmung aufweisen36, keine völkerrechtlichen Kompetenzen. Jedoch wird dies nur ausnahmsweise der Fall sein, da die anderen an der Gründung beteiligten Rechtssubjekte auf die betreffende Rechtsordnung keinen Einfluß haben und deshalb versuchen werden, diese Konstellation nach Möglichkeit zu vermeiden 37 . Anders beurteilt sich die Einordnung derartiger Organisationen, wenn lediglich zur "Lückenfüllung" auf die Rechtsordnung eines Gründungsmitglieds zurückgegriffen werden soll. Denn selbst wenn die Gründungsverträge einen solchen Rückgriff vorsehen, besitzen diese Organisationen im Umfang der ihnen ansonsten in den Gründungsverträgen zugestandenen völkerrechtlichen Kompetenzen Völkerrechtssubjektivitäe8. 111. Umfang der Völkerrechtssubjektivität

Der Umfang der Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen hängt von dem Ausmaß der ihnen übertragenen völkerrechtlichen Kompetenzen ab 39 . Ih33 Derartige Organisationen werden als international bezeichnet, weil sie internationale Zwecke verfolgen, Seidl-Hohenveldern I Loibl, Das Recht der internationalen Organisationen, 3, Rn. 0103. Zur Differenzierung zwischen verschiedenen Arten privater internationaler Organisationen sieheArcher, International Organizations, 38 ff. 34 Einzige Ausnahme in dieser Hinsicht ist das Internationale Komittee des Internationalen Roten Kreuzes. Obwohl nach schweizerischer Rechtsordnung gegriindet, hat es im Zusammenhang mit den vier Genfer Rotkreuzkonventionen vom 12. 8. 1949 (BGBI. 1954 II, S. 783; S. 813; S. 838; S. 917; BGBI. 1956 II, S. 1586) und den zwei Zusatzprotokollen vom 12. 12. 1977 (BGBI. 1990 II, S. 1551; S. 1637) eine beschränkte Völkerrechtssubjektivität 35 FA. Mann, 42 BYIL 1967, 145 (145); Barberis, 179 I RdC 1983, 232; Seidl-Hohenveldern, Corporations ,12. 36 Hinsichtlich der Terminologie besteht Uneinigkeit: Mann, 42 BYIL 1967, 145 ff., bezeichnet sie als International Corporations; l.Fl. Shihata, 25 REgypDI 1969, 119 (1 23 ff.) nennt sie International Public Ventures; Schermers I Blokker, International Institutional Law, 31, § 46, verwenden den Begriff der Public International Company; Seidl-Hohenveldern, Corporations, 109, charakterisiert sie als Common State-Enterprises, während H.T. Adam, Les Etablissements Publies Internationaux, 11, sie als Etablissements Publiques Internationaux kennzeichnet, und Barberis, 179 RdC I 1983, 232, von Entreprises Publiques Internationaux spricht. 37 Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der internationalen Organisationen, 50, Rn. 0334. 38 A.A. Mann, 42 BYIL 1967, 147. 39 Dupuy, 100 II RdC 1960, 530; Mosler, in: Melanges Offerts A Henri Rolin, 240.

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

re Völkerrechtssubjektivität ist daher im Gegensatz zu der der Staaten funktional beschränkt40. Die exakte Bestimmung des Umfangs der Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen kann sich insofern schwierig gestalten, als sich ihre Kompetenzen nicht nur aus ausdrücklichen Bestimmungen des Gründungsvertrages ergeben, sondern auch stillschweigend aus dem Gründungsvertrag abgeleitet werden können. Dies folgt aus dem Grundsatz der implied powers41 . Eine Theorie orientiert sich insoweit an den den Organisationen ausdrücklich verliehenen Kompetenzen und gesteht den Organisationen nur solche stillschweigenden Befugnisse zu, die erforderlich sind, um die ausdrücklichen Kompetenzen auszuüben42 . Die implied powers stellen sich bei dieser Lesart als Annexkompetenzen dar. Einer anderen Theorie zufolge kann von den den Organisationen zugewiesenen Aufgaben auf ihre stillschweigende Befugnis geschlossen werden, diese Aufgaben zu erledigen43. Nach dieser Auffassung sind die implied powers selbständige Kompetenzen. Die Grenze des nach dieser Theorie zulässigen Rückschlusses von der Aufgabe auf die Befugnis verläuft dort, wo die derart gewonnenen Befugnisse nicht mehr in einem sachnotwendigen Zusammenhang mit den Aufgaben stehen. Diesem weiten Verständnis von den implied powers hat sich auch der IGH im Reparations-Gutachten angeschlossen: "Under international law, the Organisation must be deemed to have those powers which, though not expressly provided in the Charter, are conferred upon it by necessary implication as being essential to the performance of its duties. " 44

Die Ableitung stillschweigender Befugnisse aus den Aufgaben einer Organisation ist problematisch, da sie die Gefahr birgt, die ursprünglichen Vorstellungen der Gründer vom Kompetenzkreis der Organisation zu überspielen. Auf der anderen Seite liegt der Vorteil dieses Modells darin, daß die Organisation sich neuen Entwicklungen anpassen kann. Diese Dynamisierungskomponente spricht zugunsten der zuletzt genannten Theorie, sofern sie in dem Sinne restriktiv gehandhabt wird, daß den Organisationen nur die Kompetenzen zugestanden werden, die sich als unbedingt erforderlich erweisen, um die jeweiligen Aufgaben zu erfüllen45 . 40 Bekker, The Legal Position of IGO's, 70 f.; Ginther, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit, 51. 41 Zur Herkunft dieser Rechtsfigur und zu ihrer Verwendung in der Judikatur des StiGH und des IGH siehe Diaz Gonzalez, 1985 II /1 YBILC, 110 ff., Rn. 63 ff., sowie Manfred Zuleeg, 7 EPIL, 312 ff. Kritisch gegenüber dem Begriff der implied powers Bekker, The Legal Position of IGO's, 68 f., der meint, daß statt dessen von "inherent capacities" gesprochen werden solle, da es nicht auf den Gründungsvertrag einer internationalen Organisation ankomme, sondern auf ihre Existenz. Dabei übersieht er, daß die Existenz einer Organisation von ihrem Gründungsdokument nicht abstrahiert werden kann, siehe dazu oben II. 1. 42 Zuleeg, 7 EPIL, 313. 43 Zuleeg, ebenda. 44 1949 ICJ Rep., 174 (182); u. a. bestätigt in Effects of Awards of Compensation Made by the United Nations Administrative Tribunal, 1954 ICJ Rep., 47 (56). 45 Siehe KrzysztofSkubiszewski, in: Essays in Honour of Shabtai Rosenne, 855 (861 f.).

1. Kap.: Vcilkerrechtliche Verantwortlichkeit

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Bekker geht darüber hinaus, indem er stillschweigende Befugnisse nicht nur den ausdrücklichen Kompetenzen und zugewiesenen Aufgaben entnehmen will, sondern auch der Praxis46. Dabei versteht er unter Praxis sowohl das Verhalten der Organe der jeweiligen Organisation (interne Praxis) als auch die allgemeine Praxis, wie sie sich aus dem Verhalten aller internationalen Organisationen entwickelt hat (externe Praxis)47 • Was die interne Praxis angeht, kann sich Bekker auf die Aussage des IGH im Reparations-Gutachten berufen, wonach nicht nur die Gründungsverträge, sondern auch die Praxis einer Organisation heranzuziehen sei, um implizite Kompetenzen zu bestimmen 48 . Dennoch ist es bedenklich, die Praxis der Organisation selbst zum Maßstab für die ihr zustehenden stillschweigenden Befugnisse zu machen, denn dann hätte es jede Organisation in der Hand, sich diejenigen Kompetenzen anzueignen, die sie für notwendig erachtet, ohne auf die Kompetenz- oder Aufgabenzuweisung im Gründungsdokument Rücksicht nehmen zu müssen. Deswegen verdient die interne Praxis nur Berücksichtigung, wenn es sich um eine ständige Praxis der jeweiligen Organisation handelt, die von ihren Mitgliedern einvernehmlich mitgetragen wird49 .

Dem Rückgriff auf die allgemeine Praxis aller internationalen Organisationen als Kriterium für bestehende stillschweigende Befugnisse stehen noch erheblich schwerere Bedenken gegenüber, da es maßgeblich darauf ankommt, wie die jeweilige Organisation durch ihren Gründungsvertrag ausgestaltet ist50. Die spezifische Ausfonnung jeder Organisation wird bei diesem Ansatz in einem Maß vernachlässigt, das die Vorstellungen der Mitglieder obsolet werden läßt und sie als genuine Quelle der Verbandskompetenzen verdrängt. Deshalb ist Bekker in dieser Hinsicht zu widersprechen 51 . Ungeachtet der Frage, wie sich stillschweigende Befugnisse ennitteln lassen, schließen sie es aus, die völkerrechtlichen Kompetenzen internationaler Organisationen allein anhand der ihnen nach den Gründungsverträgen ausdrücklich zustehenden Kompetenzen zu bestimmen. Der Umfang der Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen läßt sich also nur unter Berücksichtigung sowohl der ausdrücklichen als auch der stillschweigenden völkerrechtlichen Kompetenzen festlegen 52 .

The Legal Position of IGO's, 76 f. A.a. 0., 77. 48 " . . . the rights and duties of an entity such as the Organisation must depend upon its purposes and functions as specified or implied in its constituent documents and developed in practice." 1949 ICJ Rep., (174) 180 (Hervorhebung durch Verfasser). 46

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49 Diaz Gonzalez, 1985 11/1 YBILC, 111, Rn. 68. In diesem Sinne sind auch die zuvor zitierten Ausführungen des IGH zu verstehen, da dort von "developed in practice" die Rede ist. 50 Siehe Skubiszewski, in: Essays in Honour of Shabtai Rosenne, 868. 51 Erst recht abzulehnen ist daher der Standpunkt von lngolf Pernice, 48 ZaöRV 1988, 228 (236), der alle Organisationen für rechtlich befugt hält, diejenigen Handlungen vorzunehmen, die sie faktisch vornehmen können.

3 Pitschas

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

Einige Gründungsverträge sehen ausdrücklich vor, daß die durch sie begründeten Organisationen Völkerrechtssubjektivität genießen 53 . Derartige Erklärungen spiegeln den Willen der Gründungsmitglieder wider, eine Einheit zu schaffen, die über Völkerrechtsfähigkeit verfügt54 . Jedoch bewirken sie nicht, daß den Organisationen mehr Kompetenzen zukommen als ihnen im Gründungsvertrag - ausdrücklich oder stillschweigend- verliehen worden sind55 . IV. Reichweite der Volkerrechtssubjektivität

Um die Reichweite der Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen bestimmen zu können, ist zwischen ihren Mitgliedern einerseits und dritten Völkerrechtssubjekten andererseits, die keinen Mitgliedsstatus haben, zu unterscheiden. Die Notwendigkeit zu dieser Unterscheidung ergibt sich aus der ratione personae begrenzten Bindungskraft der Gründungsverträge. 1. Völkerrechtssubjektivität gegenüber den Mitgliedern

Die Mitglieder sind an die Gründungsverträge internationaler Organisationen gebunden 56 • Deshalb müssen die Mitglieder die den Organisationen durch die Verträge übertragenen völkerrechtlichen Kompetenzen und damit die daraus fließende Völkerrechtssubjektivität beachten; die Organisationen sind darum gegenüber ihren Mitgliedern eigenständige Völkerrechtssubjekte. Die Völkerrechtssubjektivität der Organisationen weist im Verhältnis zu ihren Mitgliedern eine doppelte Dimension auf, da die Gründungsverträge grundsätzlich zwei Ebenen unterscheiden müssen: das Innen- und das Außenverhältnis 57 . Wahrend es bei dem Innenverhältnis um die Beziehungen zwischen einer Organisation und ihren Mitgliedern innerhalb der Organisation selbst geht, meint das Außenverhältnis die Beziehungen der Organisation zu Dritten, wobei solche Dritte auch die Mitglieder sein können. 52 Siehe Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der internationalen Organisationen, 43, Rn. 0313. 53 So z. B. Art. 6 EGKS- und Art. 210 EG-Vertrag. Siehe zu Art. 210 EGV unten im zweiten Teil, 1. Kapitel, B. 54 Amerasinghe, 47 Austrian JPIL 1995, 132. 55 Seidl-Hohenveldern/ Loibl, Das Recht der internationalen Organisationen, 47, Rn. 0324; Zemanek, 7 ÖZöR 1956, 353. Siehe auch Amerasinghe, 47 Austrian JPIL 1995, 132; Mosler; in: Melanges Offerts A Henri Rolin, 245 f. V gl. noch den Diskussionsbeitrag von Balanda, 1985 I YBILC, 294, Rn. 47. A.A. Mann, 152 ZHR 1988, 306.

56 Diese Bindung beruht auf dem völkergewohnheitsrechtliehen Grundsatz pacta sunt servanda, vgl. Art. 26 WVK 1969. 57 Neben diesen beiden Ebenen gibt es eine dritte Ebene, nämlich die Stellung der Organisationen im Rahmen der nationalen Rechtsordnungen der Mitglieder; siehe zu dieser Dreiteilung Diaz Gonzalez, 1985 I YBILC, 284, Rn. 14 und den Diskussionsbeitrag von ArangioRuiz, a. a. 0., 291, Rn. 18 f., sowie Pescatore, 103 II RdC 1961, 32 ff.

1. Kap.: Volkerrechtliche Verantwortlichkeit

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a) Innenverhältnis Der Gründungsvertrag legt fest, welche Aufgaben die Organisation im Verhältnis zu ihren Mitgliedern verfolgen soll und überträgt ihr zu diesem Zweck - ausdrücklich oder stillschweigend- Kompetenzen58 . Dabei handelt es sich um Völkerrecht, da die Kompetenzen auf einem völkerrechtlichen Vertrag beruhen59. Darum ist die aus diesen Kompetenzen folgende Rechtspersönlichkeit der Organisation völkerrechtlicher Natur, auch wenn sie keine Außenwirkung entfaltet. Soweit es sich um das Innenverhältnis handelt, werden die Gründungsverträge internationaler Organisationen teilweise als Verfassungen qualifiziert. Das mag insoweit berechtigt sein, als dadurch die Bedeutung dieser Verträge für die Binnenstruktur der jeweiligen Organisation unterstrichen wird, aber es führt nicht zu einem staatsrechtlichen Charakter der Gründungsverträge; diese verbleiben innerhalb der völkerrechtlichen Sphäre60. Eine Ausnahme bildet insoweit allerdings die EG, deren interne Rechtsordnung trotz ihres völkerrechtlichen Ursprungs den völkerrechtlichen Rahmen hinter sich gelassen hat61 und eine Zwischenstufe auf dem Weg zum Staatsrecht bildet62. b) Außenverhältnis Die Gründungsverträge übertragen den Organisationen auch im Außenverhältnis ausdrückliche oder stillschweigende Kompetenzen, damit sie den für ihre Aufgabenerfüllung erforderlichen Kontakt mit dritten Völkerrechtssubjekten herstellen können63 . In der Regel handelt es sich bei den Dritten um Nichtmitglieder. Das muß aber nicht immer so sein64 . Vielmehr kann es vorkommen, daß die Mitglieder ihrer Organisation wie ein Nichtmitglied gegenübertreten, etwa beim Abschluß eiss Diaz Gonzalez spricht von intemallaw, 1985 I YBILC, 284 f. , Rn. 14 f. 59 Pescatore, 103 II RdC 1961, 32. Siehe auch Diaz Gonzalez, der durch seine Abgrenzung zwischen intemal law und international law proper zu erkennen gibt, daß er auch das intemallaw im weiteren Sinne zur Volkerrechtsordnung zählt, 1985 I YBILC, 285, Rn. 15. 60 A.A. Pemice, 48 ZaöRV 1988, 238, der das "Verfassungsrecht" der Organisationen vom Volkerrecht abgrenzt. 61 In diese Richtung deuteten schon die Aussagen des EuGH in der Rs. 26/62 (van Gend & Loos), E 1963, I (25): "neue Rechtsordnung des Volkerrechts", und in der Rs.6/ 64 (Costa/Enel), E 1964, 1251 (1269): "eigene Rechtsordnung". 62 Pescatore, 103 II RdC 1961, 32. Vgl. auch Albrecht Randelzhofe r; in: Der Rechtsstaat am Ende?, 123 (125); Gil Carlos Rodriguez Iglesias, NJW 1999, 1 (I ff.). Siehe dazu auch unten im zweiten Teil, 1. Kapitel, A. II. und III. 63 Es sind diese Außenkompetenzen, die bei der Betrachtung der völkerrechtlichen Kompetenzen der Organisationen im Vordergrund stehen; siehe Diaz Gonzalez, 1985 I YBILC, 285, Rn. 15, und Pescatore, 103 II RdC 1961, 35. 64 Vgl. den Beitrag von Balanda in der Diskussion der ILC, 1985 I YBILC, 293, Rn. 43. Deshalb greift die ausschließliche Konzentration auf den Verkehr mit Nichtmitgliedern zu kurz. 3*

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

nes Sitzabkornmens. Kommt es zu einem solchen face aface im Außenverhältnis, so ist die Organisation aufgrund ihrer für das Außenverhältnis maßgeblichen Kompetenzen insoweit Volkerrechtssubjekt gegenüber ihren Mitgliedern65 ; letztere sind wegen ihrer Bindung an den Gründungsvertrag gehalten, die (externe) Volkerrechtssubjektivität ihrer Organisation zu respektieren. Daß die Organisationen ihren Mitgliedern im Außenverhältnis als eigenständige Völkerrechtssubjekte begegnen, zeigt nicht zuletzt die Wiener Konvention über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen vom 21. März 198666 . Danach sind die von einer Organisation mit dritten Volkerrechtssubjekten geschlossenen Verträge für ihre Mitglieder nicht automatisch bindend, sondern es finden vielmehr die der WVK 1969 nachgebildeten Regeln über die Verträge zu Lasten und zugunsten Dritter Anwendung67 . Die ILC hatte zwar aufgrund eines entsprechenden Vorschlags ihres Sonderberichterstatters Paul Reuter68 in ihren Entwurf für die WVK 1986 einen gesonderten Artikel über die Bindung der Mitglieder an die von ihren Organisationen mit dritten Völkerrechtssubjekten geschlossenen Verträge aufgenommen69. Dieser Artikel hat jedoch keinen Eingang in die WVK gefunden, weil auf der Staatenkonferenz, auf der der ILC-Entwurf beraten wurde, die Auffassung vorherrschte, daß die von den Organisationen mit dritten Volkerrechtssubjekten geschlossenen Verträge hinsichtlich ihrer Mitglieder nach den "normalen" Regeln über die Verträge zu Lasten und zugunsten Dritter zu behandeln seien 70. Doch selbst wenn der von der ILC unterbreitete Artikel in die WVK gelangt wäre, hätte man daraus keine Einheit zwischen den Organisationen und ihren Mitgliedern im Außenverhältnis konstruieren können71. Der besagte Artikel sah jedenfalls in seiner endgültigen Fassung keine automatische Geltung der von einer Organisation mit dritten Volkerrechtssubjekten geschlossenen Verträge für ihre Mitglieder vor. Eine Bindung der Mitglieder an diese Verträge sollte nur eintreten, wenn (1) die Mitglieder einstimmig einer solchen Bindung zustimmen und ihre Zustimmung In diesem Sinne auch v.Münch, Das völkerrechtliche Delikt, 255. BGBI. 1990 II, S. 1415 [im folgenden: WVK 1986]. 67 Auch Pernice, 48 ZaöRV 1988, 237 f., und Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten, 194, sehen darin einen Beleg für die Eigenständigkeil der Organisationen gegenüber ihren Mitgliedern, 68 1977 II/ 1 YBILC, 119 (128 ff.). 69 1982 II/2 YBILC, 9 (43 ff.). Der von der ILC angenommene Artikel 36 bis wies allerdings erhebliche Unterschiede zu dem von Reuter vorgeschlagenen Art. 36 bis auf. Die ILC sah sich zu diesen tiefgreifenden Änderungen veranlaßt, weil Reuters Vorschlag in ihren Augen zu sehr auf den Sonderfall der EG abgestellt und das Konsensprinzip nicht hinreichend beachtet habe, a. a. 0., 46, Rn. 10. Zu dem von der ILC des weiteren hervorgehobenen Gedanken der Rechtssicherheit, gerade für die Entwicklungsstaaten, siehe Meinhard Schröder, 23 AVR 1985, 385 (406 f.). 70 Siehe G. E. do Nascimento e Silva, 29 GYIL 1986, 68 (78, 80 ff.). 71 Das räumen - bei grundsätzlicher Zustimmung zum ILC-Vorschlag - auch Klein! Pechstein ein, Das Vertragsrecht internationaler Organisationen, 35 ff. 65

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1. Kap.: Volkerrechtliche Verantwortlichkeit

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den Vertragsparteien mitteilen, und wenn (2) die Vertragsparteien ihren Willen, zugleich die Mitglieder zu binden, ausdrücklich erklären72 . 2. Völkerrechtssubjektivität gegenüber Nichtmitgliedern

Nichtmitglieder sind an die Gründungsverträge internationaler Organisationen nicht gebunden73 , weshalb diese res inter alias acta für dritte Völkerrechtssubjekte sind. Das bedeutet nicht, daß die Völkerrechtssubjektivität der Organisationen nur für diejenigen besteht, die die Gründungsverträge ratifiziert haben74 . Da die Organisationen auf Grund ihrer Völkerrechtssubjektivität völkerrechtliche Handlungen vornehmen dürfen, die sich auch auf Nichtmitglieder auswirken, existieren sie auch für letztere als Völkerrechtssubjekte. Bestünden die Organisationen für Nichtmitglieder als Völkerrechtssubjekte nicht, wäre nicht zu erklären, wieso ihre völkerrechtlichen Maßnahmen die Nichtmitglieder berühren können. Dennoch kann die Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen dritten Vcilkerrechtssubjekten nicht wie ein "Schutzschild" entgegengehalten werden, da die Gründungssubjekte dritten Parteien durch einen Vertrag keine Pflichten auferlegen können, es sei denn, diese Dritten haben ihre Einwilligung erteilt75 . Könnte die Völkerrechtssubjektivität von Organisationen den Nichtmitgliedern entgegengehalten werden, müßten sie die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Organisationen, die die notwendige Kehrseite ihrer Völkerrechtssubjektivität bildet76, akn Der von der ILC vorgeschlagene Art. 36 bis hatte folgenden Wortlaut: "Obligations and rights arise for States members of an international organization from the provisions of a treaty to which that organization is a party when the parties to the treaty intend those provisions to be the means of establishing such obligations and according such rights and have defined their conditions and effects in the treaty or have otherwise agreed thereon, and if: (a) the States members of the organization, by virtue of the constituent instrument of that organization or otherwise, have unanimously agreed to be bound by the said provisions of the treaty; and (b) the assent of the States members of the organization tobe bound by the relevant provisions of the treaty has been duly brought to the knowledge of the negotiating States and negotiating organizations." Siehe zu den Voraussetzungen des Art. 36 bis im einzelnen den Kommentar der ILC, YBILC 1982 Il/2, 43 (46 f.; Rn. 13 ff.). 73 Vgl. Art. 34 WVK 1969, wonach ein Vertrag für einen Drittstaat ohne dessen Zustimmung weder Pflichten noch Rechte begründet. Die ILC schreibt in ihrem Kommentar zu Art. 34: "There is abundant evidence of the recognition of the rule in State practice andin the decisions of international tribunals, as weil as in the writings of jurists." 1966 II YBILC, 172 (226). Im Kommentar zu Art. 35 WVK 1969 heißt es mit Blick auf die vorhergehende Regel: "That rule is one of the bulwarks of the independence and equality of States." A.a. 0 ., 227. Es ist also nicht übertrieben zu behaupten, daß der Satz pacta tertiis nec nocent nec prosunt Volkergewohnheitsrecht darstellt, so auch Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, § 12, Rn. 23. 74 Mosler, in: Melanges Offerts A Henri Rolin, 249. A.A. Seidl-Hohenveldem I Loibl, Das Recht der internationalen Organisationen, 46, Rn. 0321; Mann, 42 BYIL 1967, 152. 75 Vgl. Art. 35 WVK 1969. Vgl. auch die Diskussionsbeiträge von Arangio-Ruiz, 1985 I YBILC, 290, Rn. 11, und Tomuschat, 1985 I YBILC, 298, Rn. 26. Siehe allgemein zum Konzept der "Drittwirkung" 1.-G. Mahinga, 71 RDIDC 1994, 301 (333 ff.). 76 Dazu unten B. I.

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

zeptieren. Zwar könnte man meinen, daß die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Organisationen für die von ihren völkerrechtswidrigen Handlungen betroffenen Nichtmitglieder nicht nachteilig ist. Doch übersähe diese Meinung den Umstand, daß die Volkerrechtssubjektivität der Organisationen es jedenfalls ausschließt, unmittelbar auf ihre Mitglieder als "Ausfallschuldner" zurückzugreifen77 . Da sich die Volkerrechtssubjektivität von Organisationen aus ihren Gründungsverträgen ableitet, wäre die Pflicht, die vorrangige völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Organisationen hinzunehmen, eine - wenn auch mittelbare - Folge der Gründungsverträge. Deshalb kann die Volkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen Dritten nur entgegengehalten werden, falls sie die Organisationen als Volkerrechtssubjekte anerkannt haben78 . Hartwig geht davon aus, daß der Satz pacta tertiis nec nocent nec prosunt auf indirekte Nachteile für dritte Parteien, die auf den Gründungsverträgen internationaler Organisationen beruhen, nicht anwendbar sei 7 9 . Diesem Argument ist insoweit zuzustimmen, als es sich auf tatsächliche Folgen bezieht, die Gründungsverträge in dem eingangs beschriebenen Sinne zeitigen. Bei der hier ins Auge gefaßten völkerrechtlichen Verantwortlichkeit der Organisationen gegenüber dritten Parteien handelt es sich aber nicht um eine tatsächliche, sondern um eine rechtliche Folge. Diese sind von der besagten Regel erlaßt. Dem hält Hartwig entgegen, daß völkergewohnheitsrechtliche Vorgaben wie die völkerrechtliche Verantwortlichkeit, die an die Volkerrechtssubjektivität anknüpfen, vom Verbot der Wirkungserstreckung vertraglicher Bestimmungen ausgenommen seien80 . Dazu ist zu bemerken, daß die Volkerrechtssubjektivität eben nicht eo ipso besteht, sondern von den Gründungsverträgen abhängt, so daß auch die völkerrechtliche Verantwortlichkeit mittelbar auf den Gründungsverträgen beruht. Dies reicht für die Anwendung des Rechtssatzes pacta tertiis nec nocent nec prosunt aus 81 .

77 Zur (Un-)Durchlässigkeit der Volkerrechtssubjekti vität internationaler Organisationen siehe unten 2. Kapitel, A. 78 Dupuy, 100 II RdC 1960, 556; Mosler, in: Melanges Offerts A Henri Rolin, S. 249; Yasseen, in: Handbook, 47. A.A. Amerasinghe, Principles, 85 ff., 89 ff.; Rosalyn Higgins, 66 I AIDI 1995, 249 (276; 386, Rn. 30 f.). 79 Die Haftung der Mitgliedstaaten, 42. In diesem Sinne auch Christos C. Rozakis, 35 ZaöRV 1975, 1 (8; Fn. 19). 80 Die Haftung der Mitgliedstaaten, 43. SI Eine Unterscheidung zwischen unmittelbar und mittelbar auf völkerrechtlichen Verträgen beruhenden Pflichten für dritte Parteien nimmt die ILC in ihrem Entwurf über das Recht der Verträge nicht vor, sondern betont vielmehr: "There was complete agreement amongst the members that there is no exception in the case of obligations; a treaty never by its own force alone creates obligations for non-parties." 1966 II YBILC, 226. Dies spricht dafür, dieses Verbot weit zu verstehen und deshalb auch auf mittelbar auf dem Vertrag beruhende Pflichten zu erstrecken. Philippe Cahier, 143 III RdC 1974, 589 (707), meint, daß im Fall universeller Organisationen eine Ausnahme gemacht werden könne, da sie eine objektive Rechtsordnung errichten wollten. Insofern ist anzumerken, daß der vierte Berichterstatter der ILC über das Recht der Verträge, Sir Humphrey Waldock, Gründungsverträge universeller in-

1. Kap.: Volkerrechtliche Verantwortlichkeit

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Durch die Anerkennung internationaler Organisationen als Volkerrechtssubjekte erklären die Nichtmitglieder, daß ihnen deren Volkerrechtssubjektivität und damit deren völkerrechtliche Verantwortlichkeit entgegengehalten werden kann. Da die Volkerrechtssubjektivität aber bereits vor der Anerkennung für Nichtmitglieder besteht, verleihen die Dritten durch ihre Anerkennung den Organisationen keine neue Volkerrechtssubjektivität, die von der durch die Griindungsmitglieder verliehenen Volkerrechtssubjektivität zu unterscheiden wäre82. Die Anerkennung beinhaltet nur, daß die Dritten sich auf die bereits existierende Volkerrechtssubjektivität der Organisationen beziehen und sie akzeptieren. Die Volkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen ist in diesem Sinne objektiv83 . Der Anerkennung durch Dritte kommt daher nur deklaratorische Bedeutung zu 84 . Hartwig meint, es bestünde eine Pflicht, internationale Organisationen als Volkerrechtssubjekte anzuerkennen 85 . Er begrundet dies mit der staatlichen Souveränität, die es zu akzeptieren gelte86 . So sei beispielsweise die Griindung von Staatsunternehmen durch einen Staat hinzunehmen; bei der Griindung internationaler Organisationen auf völkerrechtlicher Ebene könne dies nicht anders sein87 • Diese Auffassung ist unzutreffend. Zwischen der Hinnahme einer Organisation als Faktum und ihrer Anerkennung als rechtliches Etwas besteht ein Unterschied. So sind internationale Organisationen als Ausdrucksform der zwischenstaatlichen Kooperation reale Wesen, vor denen man zwar die Augen verschließen kann, sie dadurch aber nicht beseitigt. Sie müssen also hingenommen werden. Das führt jedoch nicht dazu, daß sie auch anerkannt werden müssen. Die Anerkennung ist ein Rechtsakt, der auf dem freien Willen eines Staates beruht88 . Eine Pflicht zur Anerkennung internationaler Organisationen ist deshalb abzulehnen 89, obwohl sie als Wesen der Realität hinzunehmen sind. temationaler Organisationen aus seinem vorgeschlagenen Art. 63 über "objective regimes" herauslassen wollte, weil noch nicht hinreichend geklärt sei, auf welchem Prinzip die vom IGH im Reparations-Gutachten postulierte objektive Rechtspersönlichkeit der VN beruhe, 1964 II YBILC, 5 (31). Die ILC hat den von Waldock vorgeschlagenen Art. 63 ganz gestrichen, vgl. die Diskussion innerhalb der ILC, 1964 I YBILC, 1 (96 ff., 106). 82 Zemanek, 7 ÖZöR 1956, 357. 83 Amerasinghe, 47 Austrian JPIL 1995, 144 f.; Dupuy, 100 II RdC 1960, 555 f.; Fitzmaurice, 29 BYIL 1952, 4 f.; Hayes, 1990 I YBILC, 201, Rn. 5; Mosler; in: Melanges Offerts A Henri Rolin, 249 f.; Zemanek, 7 ÖZöR 1956, 357. Vgl. auch die Stellungnahme von ArangioRuiz, 1987 I YBILC, 194, Rn. 15. 84 Bekker; The Legal Position of IGO's, 60 f.; Dupuy, 100 II RdC 1960, 556; Zemanek, 7 ÖZöR 1956, 357; Pemice, 26 AVR 1988, 417; ders., 48 ZaöRV 1988,246. 85 Die Haftung der Mitgliedstaaten, 43 f. 86 Ebenda. 87 A.a. 0., 44. 88 Verdross / Simma, Universelles Volkerrecht, § 965. 89 So auch Cahier; der dies mit einem Umkehrschluß begründet: "Mais l' argument qui nous paralt decisif, c' est que le droit international n' oblige pas Ies Etats ase reconnaltre entre eux. Or, il serait paradoxal d'admettre que cette non-obligation viendrait a disparaltre dans Je

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

Der IGH hatte im Reparations-Gutachten eine andere Perspektive von der Reichweite der Völkerrechtssubjektivität der VN. Er führte aus, daß "fifty states, representing the vast majority of the members of the international community, bad the power, in conformity with international law, to bring into being an entity possessing objective international personality and not merely recognised by them alone, together with capacity tobring international claims." 90

Diese Aussage ist mit der Einstufung der Gründungsverträge als res inter alias acta nicht vereinbar. Selbst wenn die überwiegende Zahl der vorhandenen Staaten Mitglieder der VN sind, schafft das keine objektive Völkerrechtssubjektivität der VN dergestalt, daß sie Nichtmitgliedern entgegengehalten werden könnte91 . Dies folgt aus dem das Völkerrecht nach wie vor beherrschenden Konsensprinzip, welches auch dem Grundsatz derresinter alias acta innewohnt92 . Solange die Völkerrechtsgemeinschaft eine Gemeinschaft von Gleichen ist, kann die Mehrheit der Minderheit keine Pflichten durch einen Vertrag auferlegen, an dem die Minderheit nicht beteiligt ist. B. Völkerrechtliche Verantwortlichkeit internationaler Organisationen I. Verantwortlichkeit als Grundsatz des Völkerrechts

Die internationalen Organisationen aufgrund ihrer völkerrechtlichen Kompetenzen zukommende Rechtsfähigkeit zieht zwingend ihre Deliktsfähigkeit nach sich, denn Rechts- ohne Deliktsfähigkeit ist undenkbar93 . Die Deliktsfähigkeit der Organisationen ist nur annehmbar, wenn sie für die von ihnen begangenen Delikte die Verantwortung tragen94 , da Verantwortlichkeit ein unerläßliches Element eines jecas des Organisations internationales, alors que celles-ci sont creees par ces Etats et composees d'Etats souverains." 143 III RdC 1974, 706. 90 1949 ICJ Rep., 174 (185); diese Aussage des IGH hat nichts mit der vorgelagerten Frage zu tun, welche Kriterien für die Entstehung von Volkerrechtssubjektivität maßgeblich sind, Amerasinghe, 47 Austrian JPIL 1995, 132. 91 Dupuy, 100 II RdC 1960, 555. Seidl-Hohenveldern, Corporations, 88, meint, daß die derart verstandene objektive Volkerrechtssubjektivität der VN eine Ausnahme sei. Siehe demgegenüber Schermers I Blokker, International Institutional Law, 980, § 1568, die zwischen universellen und geschlossenen Organisationen unterscheiden und ersteren eine objektive Volkerrechtssubjektivität im Sinne des IGH zuerkennen. Vgl. auch Michael Bothe, 37 ZaöRV 1977, 121 (125), der davon ausgeht, daß sich eine gewohnheitsrechtliche Regel entwickele, derzufolge das Volkerrecht der Schaffung internationaler Organisationen durch eine Gruppe von Staaten objektive Wirkung zuerkenne. 92 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, § 12, Rn. 23. 93 Hans-fürgen Schlochauer, 16 AVR 1973175, 239 (247). Zum Verhältnis von Rechtsund Deliktsfähigkeit siehe auch Ipsen, in: ders., § 39, Rn. 29. 94 Mahnoush H. Arsanjani, 7 Yale J. World Pub. Ord. 1980, 131 (131 f.); Hirsch, The Responsibility of International Organizations, 8; Meng, 45 ZaöRV 1985, 328; v.Münch, Das völkerrechtliche Delikt, 254. A.A. Conze, Die völkerrechtliche Haftung der EG, 42.

1. Kap.: Vollcerrechtliche Verantwortlichkeit

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den Rechtssystems ist95 • Andernfalls gäbe es nur moralische, aber keine rechtlichen Verpflichtungen 96• Versteht man den Begriff der Völkerrechtssubjektivität als Ausdruck für die völkerrechtliche Rechtsfähigkeit der Organisationen97, ist ihre völkerrechtliche Verantwortlichkeit die Kehrseite ihrer Völkerrechtssubjektivität98 . Ginther unterscheidet dagegen zwischen Organisationen mit Haftungs- und solchen mit Integrationssubjektivität99 . Dabei versteht er unter den Organisationen mit Integrationssubjektivität diejenigen, die der Erzeugung von Völkerrecht dienen, während er unter die Organisationen mit Haftungssubjektivität diejenigen faßt, die die wirtschaftlichen Risiken bestimmter Vorhaben minimieren sollen 100. Ginthe r meint, daß nur die Organisationen mit Haftungssubjektivität völkerrechtlich verantwortlich seien 101 , obwohl er nicht bestreitet, daß Organisationen mit Integrationssubjektivität die Rechte dritter Völkerrechtssubjekte zumindest mittelbar verletzen könnten 102• Dennoch verneint er ihre Verantwortlichkeit für diese Verletzungen, da die Gründungssubjekte keinen Leistungsträger im zwischenstaatlichen Verkehr schaffen, sondern die Rechtserzeugung für bestimmte Sachgebiete zum Wohle der Gemeinschaft in besonderer Weise festlegen wollten 103 .

Dieser Sicht steht entgegen, daß die Trennung internationaler Organisationen in reine Haftungs- und Integrationssubjekte in der Realität nicht zu verwirklichen ist, was Ginther selbst zugesteht 104 . Des weiteren, und selbst wenn man der Unter95 Cheng, General Principles of Law as Applied by International Courts and Tribunals, 170. Max Huber führte in seinem Schiedsspruch Affaire Des Biens Britanniques Au Maroc Espagnol aus: "La responsabilite est Je corollaire necessaire du droit. Tous droits d' ordre international ont pour consequence une responsabilite internationale." II RIAA 1925, 615 (641). Siehe auch Roberto Ago, 1971 II YBILC, 199 (205 f.; Rn. 30 ff.); Eagleton, The Responsibility of States in International Law, 3, und Verdross, Volkerrecht, 373. 96 Berber, Lehrbuch des Volkerrechts, Band III, 2. 97 Siehe oben A. I. 98 Amerasinghe, Principles, 225; Bekker, The Legal Position of IGO's, 60; Bowett, The Law of International Institutions, 362 f. ; Brownlie, Principles of Public International Law, 696; Clyde Eagleton, 76 I RdC 1950, 319 (386); Epping, in: Ipsen, § 31, Rn. 40; Konrad Ginther, 5 EPIL, 162 (162).; Mosler, The International Society as a Legal Community, 50 und 170; Paul Reuter, in: Festschrift für Rudolf Bindschedler, 491 (505); ders., 1987 I YBILC, 189, Rn. 6; Ralf Zacklin, in: La Responsabilite Dans Le Systeme International, 91 (91). Wengier beschreibt das Verhältnis von Völkerrechtssubjektivität und Verantwortlichkeit mit den Worten: "Die Frage nach den Subjekten des Volkerrechts .. . ist vielmehr nur ein anderer Aspekt des wichtigsten materiellen Teiles des Volkerrechts, nämlich seiner Vorschriften über den Rechtszwang und die Schadenshaftung. Die Vollcerrechtssubjekte sind sozusagen die Personifizierung des jeweiligen Sanktionsrechts und des jeweiligen Haftungsrechts." 51 Die Friedenswarte 1951/53, 113 (141 f.). 99 Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit, 52 ff. 100 A.a. 0., 62 ff., 67, 74. 101 A.a. 0., 75 ff., 179 f. 102 A.a. 0 ., 77 f. 103 A.a. 0., 79. 104 A.a. 0 ., 75.

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

scheidung Ginthers folgte, ist nicht einsichtig, warum Organisationen mit Integrationssubjektivität nur deshalb völkerrechtlicher Verantwortlichkeit entgehen sollen, weil diese Problematik bei ihrer Gründung nicht im Vordergrund gestanden hat. Entscheidend ist, ob die Organisation Trägerin völkerrechtlicher Kompetenzen ist. Verantwortlichkeit ist ein notwendiges Korrelat der Rechtsinhaberschaft 105 , unabhängig davon, zu welchen Zwecken die Kompetenzen verliehen worden sind, da die Bewahrung der Rechtsordnung nur gelingen kann, wenn ihre Mißachtung sanktioniert wird.

II. Eigene völkerrechtliche Regeln über die Verantwortlichkeit internationaler Organisationen ? Die Feststellung, daß internationale Organisationen völkerrechtlich verantwortlich sind, beantwortet nicht die Frage, nach welchen Regeln sich diese Verantwortlichkeit richtet. Die ILC hat diese Frage verschiedentlich angeschnitten 106, ohne eine erschöpfende Antwort zu geben 107 . Zwar gibt es völkerrechtliche Verträge, die sich mit der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit internationaler Organisationen beschäftigen, aber der sachliche und personelle Anwendungsbereich dieser Verträge ist begrenzt. Erstens finden sie nur auf diejenigen Organisationen Anwendung, die diese Verträge ratifiziert haben. Zweitens regeln diese Verträge die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Organisationen nicht in allgemeingültiger Weise, sondern beschränken sich auf den jeweiligen Sachbereich, der durch sie normiert wird. Selbst insoweit enthalten die Verträge keine Aussage, nach welchen Regeln sich die Verantwortlichkeit der Organisationen vollzieht. Vielmehr wird lediglich statuiert, daß die Organisationen verantwortlich seien; wie diese Verantwortlichkeit begründet wird, lassen die Verträge offen 108 .

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Pemice, 26 AVR 1988,418.

Siehe dazu die kurze Anmerkung des (ersten) Berichterstatters El-Erian in seinem ersten Bericht über die Beziehungen zwischen Staaten und internationalen Organisationen, 1963 II YBILC, 167 (184; Rn. 172). Vgl. weiterhin die entsprechenden Bemerkungen durch die ILC-Mitglieder in der Diskussion des ersten Berichts des (zweiten) Berichterstatters Diaz Gonzalez zur seihen Thematik, 1985 I YBILC, 283 ff., vor allem 291, Rn. 15 (Arangio-Ruiz); 293, Rn. 34 (Yankov) ; 294, Rn. 50 (Balanda) ; 295, Rn. 5 (Ushakov); 296, Rn. 10 (Lacleta Munoz); 297, Rn. 18 (Francis); 299, Rn. 43 (Jagota) . 107 Bekker, 6 Leiden JIL 1993, 14, ist deshalb der Meinung, daß die ILC durch die Einstellung ihrer Arbeit an dem Thema der Beziehungen zwischen Staaten und internationalen Organisationen eine wertvolle Gelegenheit vergeben habe, das drängende Problem der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit internationaler Organisationen zu klären. JOB Beispielhaft dafür sind das Übereinkommen über die völkerrechtliche Haftung für Schäden durch Weltraumgegenstände vom 29. März 1972 (BGBI. 1975 II S. 1210) und das Seerechtsübereinkommen der VN vom 10. Dezember 1982 (BGBI. 1994 II S. 1799). So bestimmt Art. XXII (3) des Weltraumhaftungsvertrags: "Ist eine internationale zwischenstaatliche Organisation nach diesem Übereinkommen für einen Schaden haftbar ... ". Art. 6 I der Anlage IX zur VN-Seerechtskonvention lautet: "Vertragsparteien .. . sind für die Nichterfül106

1. Kap.: Volkerrechtliche Verantwortlichkeit

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Es scheint daher auf der Hand zu liegen, die völkergewohnheitsrechtliehen Regeln über die Verantwortlichkeit für die Verletzung völkerrechtlicher Pflichten, die sich aus der Staatenpraxis entwickelt haben, auf die Organisationen zu übertragen. Jedoch sind diese Regeln auf Organisationen nur anwendbar, falls die Praxis der Organisationen keine spezifischen Regeln über ihre völkerrechtliche Verantwortlichkeit hervorgebracht hat. Diese Regeln wären als spezielles Gewohnheitsrecht für alle Organisationen verbindlich. Mit Art. 38 IGH-Statut als authentischer Wiedergabe des Rechtsquellenkatalogs des Völkerrechts ist diese Sicht ohne weiteres vereinbar, da die zur Schaffung des Gewohnheitsrechts berufenen Völkerrechtssubjekte nicht näher qualifiziert werden. Dieses Schweigen erklärt sich zwar vorrangig aus dem Umstand, daß zu der Zeit, als das IGH-Statut abgefaßt wurde, nur Staaten als Völkerrechtssubjekte angesehen wurden. Das hindert aber nicht daran, die Entstehung einer neuen Kategorie von Völkerrechtssubjekten bei der Betrachtung des Rechtsquellenkatalogs zu berücksichtigen 109 • Darum sind auch die Organisationen als Völkerrechtssubjekte berechtigt, speziell auf sie anwendbares Völkergewohnheitsrecht zu schaffenu0 . Spezifische Regeln über die völkerrechtliche Verantwortlichkeit internationaler Organisationen, die aus ihrer Praxis hervorgegangen wären, sind jedoch nicht festzustellen 111 • Das beruht vor allem auf der bislang geringen Zahl an diesbezüglichen Fällen. 111. Analoge Anwendbarkeit der völkergewohnheitsrechtliehen Regeln über die Entstehung der Staatenverantwortlichkeit auf internationale Organisationen

Die einzig nachweisbaren Regeln über völkerrechtliche Verantwortlichkeit sind die, die sich aus der Staatenpraxis entwickelt haben. Reuter geht daher davon aus, daß die Verantwortlichkeit der Organisationen sich nach denselben Prinzipien richte wie die der Staaten 112 . Die Regeln über die Staatenverantwortlichkeit können aber nur auf Organisationen angewandt werden, wenn diese an das aus der Staatenpraxis entstandene Gewohnheitsrecht gebunden sind. Dies ist im Grundsatz zu bejahen, weil ein neues Völkerrechtssubjekt nicht außerhalb der Völkerrechtsordnung steht und dieser deshalb unterworfen ist 113 . Lehnte man die Bindung der Jung von Verpflichtungen und für alle sonstigen Verstöße gegen dieses Übereinkommen verantwortlich", während Art. 139 II desselben Übereinkommens stipuliert: "Unbeschadet der Regeln des Volkerrechts ... haftet ... eine internationale Organisation für einen Schaden, der auf das Versäumnis zurückzuführen ist, die ihnen aus diesem Teil erwachsenden Verantwortlichkeiten zu erfüllen .. .". Siehe zu Art. 6 I der Anlage IX und zu Art. 139 auch unten, 2. Kapitel, B. III. Vgl. Oppenheims' International Law, Vol. I, 45 ff., § 16. Vgl. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Band I, 43 f., und Jenks, The Common Law of Mankind, 190 f. 111 Meng, 45 ZaöRV 1985,329. 112 Reuter, in: Festschrift für Rudolf Bindschedler, 506. 109

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

Organisationen ab, entstünde ein rechtsfreier Raum 114, da kein anderes Völkerrecht über Verantwortlichkeit existiert. Die Anwendung des von Staaten gebildeten Gewohnheitsrechts auf internationale Organisationen wird durch das im Völkerrecht als allgemeiner Rechtsgrundsatz geltende Rechtsmißbrauchsverbot untermauert 115 • Das Völkergewohnheitsrecht ist entsprechend diesem Grundsatz deshalb auf Organisationen anwendbar, weil die Mitglieder der Organisationen nicht (mittelbar) ihren völkerrechtlichen Pflichten entrinnen können sollen, indem sie Organisationen schaffen, die nicht durch diese Pflichten gebunden sind 116. Dadurch ist auch erklärlich, warum die Situation internationaler Organisationen nicht der neuentstandener Staaten gleicht. Die Bindung dieser Staaten an das vor ihrer Entstehung entstandene Völkergewohnheitsrecht ist bezweifelt worden, da Staaten nicht an Völkergewohnheitsrecht gebunden sind, falls sie gegen die sich herausbildende Regel von Anbeginn protestieren 117 . Dies sei den neuentstandenen Staaten hinsichtlich des Gewohnheitsrechts, das vor ihrer Entstehung in Kraft getreten ist, nicht möglich gewesen, weshalb sie gegen dieses Recht Vorbehalte anmelden könnten 118 • Die Stichhaltigkeit dieser Argumentation muß an dieser Stelle nicht erörtert werden 119• Jedenfalls trifft sie vor dem Hintergrund des Rechtsmißbrauchsverbots auf Organisationen nicht zu, weil sich ihre Mitglieder ansonsten durch die Gründung einer Organisation (mittelbar) den für sie geltenden gewohnheitsrechtliehen Regeln entziehen könnten. Jl3 So für neuentstandene Staaten Schlochauer, 16 AVR 1973175, 241. Diese Überlegung steht wohl auch hinter der folgenden Aussage des IGH im WHO-Gutachten: "International organizations are subjects of international law and, as such, are bound by any obligations incumbent upon them under general rules ofinternationallaw .. .. ", ICJ Rep. 1980,73 (89 f.). 114 Albert Bleckmann, 37 ZaöRV 1977, 107 (117). 115 Das Rechtsmißbrauchsverbot ist eine Ausprägung des Prinzips von Treu und Glauben, Verdross! Simma, Universelles Völkerrecht, § 461, das seinerseits einen allgemeinen Rechtsgrundsatz bildet, Higgins, Problems & Process, International Law and How We Use it, 222; Shaw, International Law, 81; Vitzthum, in: ders., Rn. 143. A.A. lpsen, in: ders., § 39, Rn. 46. 116 Arsanjani, 7 Yale J. World Pub. Ord. 1980, 132; Bleckmann, 37 ZaöRV 1977, 116. Dieses Argument wird zumeist angeführt, um eine Verantwortung der Mitgliedstaaten für Delikte ihrer Organisationen zu begriinden, siehe etwa Meng, 45 ZaöRV 1985, 332, und die Kritik daran von Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten, 287 ff. 117 Siehe die Entscheidungen des IGH in den Rechtssachen Asylum, 1950 ICJ Rep., 266 (277 f.) und Fisheries, 1951 ICJ Rep., 116 (131). Es besteht Übereinstimmung, daß der Protest von dem Zeitpunkt an erhoben werden muß, von dem an die Praxis geübt wird, Shaw, International Law, 72. Gegen eine derartige völkerrechtliche Regel Jonathan /. Charney, 56 BYIL 1985, 1 (2). 118 Walter Rudolf, 17 AVR 1977178, 1 (31); Milan Sahovic, 12 AFDI 1966, 30 (34). Vgl. Michael Schweitzer, 7 EPIL, 349 (351 ). 119 Gegen diese Argumentation wenden sich Kelsen, Principles of International Law, 313, und Unger, Völkergewohnheitsrecht - objektives Recht oder Geflecht bilateraler Beziehungen, 149.

1. Kap.: Volkerrechtliche Verantwortlichkeit

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Allerdings dürfte eine rechtsmißbräuchliche Absicht der Mitglieder anläßlich der Gründung internationaler Organisationen - wenn überhaupt - nur in Ausnahmefällen vorhanden sein 120. Vielmehr ist den Mitgliedern an einer erfolgreichen Teilnahme ihrer Organisationen am Volkerrechtsverkehr gelegen, denn die Nichtbindung an das Volkergewohnheitsrecht gereichte den Organisationen nicht zum Vorteil, weil sich andere Volkerrechtssubjekte nicht auf Rechtsbeziehungen mit ihnen einließen bzw. nicht geneigt wären, ihnen beizutreten. Mit der Einführung der Organisationen in das System des Volkerrechts wollen die Gründungssubjekte zugleich die Regeln dieses Systems auf die Organisationen erstrecken, soweit sie ihrem Wesen nach anwendbar sind 121 • Ob dieser Wille in den Gründungsverträgen der Organisationen seinen Niederschlag findet, ist unbeachtlich; es gilt mithin dasselbe wie bei der Volkerrechtssubjektivität, die gleichfalls keiner ausdrücklichen Festlegung bedarf122. Sollten die Gründungssubjekte tatsächlich einmal treuwidrige Zwecke mit der Gründung einer Organisation verfolgen 123, verhindert das Rechtsmißbrauchsverbot, daß die Gründungssubjekte die Organisation von der Geltungskraft des Volkerrechts ausnehmen können. Allerdings wird das Abstellen auf den Willen der Gründungssubjekte aus zwei Gründen kritisiert. Zum einen erfährt es Widerspruch, weil dadurch die Unabhängigkeit der Organisationen als eigene Volkerrechtssubjekte vernachlässigt werde124. Dieser Kritik kann nicht zugestimmt werden, denn die Unabhängigkeit der Organisationen ist der Gründung nicht vorgelagert, sondern eine Folge derselben. Daher können bei der Konstituierung der Organisationen Vorgaben für ihr nachfolgendes Auftreten im völkerrechtlichen Verkehr gemacht werden, ohne daß darin ein Eingriff in die Eigenständigkeit der Organisationen zu erblicken ist. Zum anderen wird eingewandt, daß der Wille der Mitglieder gegenüber Dritten, die die Organisationen nicht anerkannt hätten, unerheblich sei 125 . Dieser Einwand geht fehl, weil es immer nur um das Rechtsverhältnis gegenüber den Mitgliedern oder den die Organisationen anerkennenden dritten Volkerrechtssubjekten gehen kann. Dritten, die die Organisationen nicht anerkennen, kann die Volkerrechtssubjektivität der Organisationen nicht entgegengehalten werden 126; sie können sich statt dessen an die Mitglieder der betreffenden Organisation halten.

Siehe Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten, 288. Eric David, in: Melanges en hornrnage aMichel Waelbroek, Vol. I, 3, 15, 20 ff. 122 Siehe oben A. III. a.E. 123 Da grundsätzlich davon auszugehen ist, daß den Organisationen die Beachtung des geltenden Volkerrechts vorgeschrieben wird, müßte sich ein anderweitiger Wille der Griindungssubjekte in irgendeiner Weise im Griindungsvertrag widerspiegeln, z. B. in einer gemessen an den Aufgaben der Organisation unzureichenden finanziellen Ausstattung oder einer völkerrechtswidrigen Zielsetzung der Organisation. 124 Morgenstern, Legal Problems of International Organizations, 32. 125 Bleckmann, 37 ZaöRV 1977, 119 f. 126 Dazu oben A. IV. 2. 120

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

Rechtfertigen die vorstehenden Überlegungen den Ausgangspunkt, Organisationen an das durch Staatenpraxis entstandene Gewohnheitsrecht gebunden zu halten, so stellt sich immer noch das methodische Problem, wie sich diese Bindung vollzieht. Diesbezüglich wird argumentiert, daß sich das aus der Übung der Staaten gewonnene Volkergewohnheitsrecht an alle Volkerrechtssubjekte richte und demnach unmittelbar auf Organisationen als Volkerrechtssubjekte anwendbar sei 127 . Dieses Argument beruht auf der stillschweigenden Prämisse, daß das auf Staatenpraxis beruhende Gewohnheitsrecht die Adressaten seiner materiellen Regelungen nicht benennt. Diese Prämisse ist unzutreffend, denn das Volkergewohnheitsrecht kennt keine adressatenlosen materiellen Rechtssätze; es richtet sich vielmehr immer an die Subjekte, die an seiner Entstehung beteiligt sind 128 • Da sich die Regeln über die völkerrechtliche Verantwortlichkeit allein aus der Staatenpraxis entwickelt haben, richten sie sich nur an Staaten und nicht an Organisationen. Letztlich besteht also eine Lücke, die es zu schließen gilt. Zu diesem Zweck bietet es sich an, das durch Staaten geschaffene Volkergewohnheitsrecht analog auf Organisationen zu übertragen 129 . Die Befürworter dieser Ansicht meinen, daß das Gebot der Widerspruchsfreiheit einer Rechtsordnung verlange, der Analogie einen Platz in der Volkerrechtsordnung zuzuweisen 130 . Dieses Rechtsinstitut fordere, gleiche Sachverhalte gleich zu behandeln 131 . Für diesen Ansatz läßt sich die WVK 1986 ins Feld führen, die überwiegend mit der WVK 1969 über das Recht der zwischenstaatlichen Verträge identisch ist. Der Sonderberichterstatter der ILC, Paul Reuter, der den Entwurffür die WVK 1986 vorbereitet hat, orientierte sich von Anfang an bewußt an der WVK 1969 132 und wurde darin von der ILC bestätigt 133 . 127 Berber, Lehrbuch des Vcilkerrechts, Band III, 18; Ewa Butkiewicz, 11 PolYEIL 1981 I 82, 117 (117 f.). Siehe auch Jean-Victor Louis, 13 RBDI 1977, 122 (125). 128 Bleckmann, 37 ZaöRV 1977, 111. 129 F.V. Garcia Amador, 1956 II YBILC, 173 (189; Rn. 83); Amerasinghe, Principles, 240 f.; Jimenez de Arechaga, in: Slj>rensen, Manual of Public International Law, 531 (595); Bleckmann, 37 ZaöRV 1977, 113; Hirsch, The Responsibility oflntemational Organizations, 11. In diese Richtung auch Fritz Münch, in: Festschrift für Hans Wehberg, 301 (323). 130 Bleckmann, 37 ZaöRV 1977, 115; Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten, 22. 131 Siehe die vorgenannten Autoren sowie Albert Bleckmann, 17 AVR 1977178, 161 (173 ff.); ders., 31 AVR 1993, 353 (363). Zur Analogie im Vcilkerrecht siehe auch Fastenrath, Lücken im Vcilkerrecht, 136 ff. 132 1972 II YBILC, 171 (195; Rn. 76): "Practically and historically, a study of the law of the treaties of international organizations takes the form of a complement to, and continuation of, the 1969 Convention, which provides the basis and starting point for reseach." 133 1982 Il/2 YBILC, 12 f., Rn. 36: " . . . the further stagein the codification of the law of treaties represented by the preparation of draft articles on the law of treaties between States and international organizations or between international organizations cannot be divorced from the basic text on the subject, namely the Vienna Convention.... The Comrnission had no better guide than to take the text of each of the articles of that Convention in turn and consider what changes of drafting or of substance are needed in forrnulating a sirnilar article dealing with the sarne problern in the case of treaties between States and international organizations or between international organizations."

1. Kap.: Völkerrechtliche Verantwortlichkeit

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Diese enge Übereinstimmung zwischen beiden Konventionen erklärt sich vor allem durch die Vergleichbarkeit der Regelungsbereiche "Verträge zwischen Staaten" und "Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen bzw. zwischen internationalen Organisationen" 134 . Es war diese inhaltliche Vergleichbarkeit, die bereits die Sonderberichterstatter der ILC für die WVK 1969 bewogen hatte, die Vertragspraxis internationaler Organisationen in ihren Entwürfen zu beriicksichtigen und vorzuschlagen, die Konvention auf diese Verträge auszudehnen135. Zwar drangen sie mit diesem Vorschlag nicht durch, aber die an die Annahme der WVK 1969 anschließenden Arbeiten über die WVK 1986 gaben ihnen nachträglich Recht. Geht man von der Analogiefähigkeit der aus der Übung von Staaten gewonnenen Rechtssätze aus, läßt sich das Völkergewohnheitsrecht über die Entstehung der Staatenverantwortlichkeit auf internationale Organisationen übertragen, soweit die Natur der von Organisationen einerseits und Staaten andererseits begangenen völkerrechtlichen Delikte einander ähnelt. Um dies herauszufinden, ist sowohl auf die Struktur völkerrechtlicher Delikte als auch auf die Struktur von Staaten und Organisationen einzugehen. Art. 3 des ILC-Entwurfs über die Staatenverantwortlichkeit nennt zwei Elemente, die für völkerrechtliche Delikte von Staaten konstitutiv sind: Zum einen muß ein dem betreffenden Staat völkerrechtlich zurechenbares Verhalten vorliegen, zum anderen muß das zurechenbare Verhalten eine völkerrechtliche Verpflichtung brechen 136 . Man hat also die beiden Tatbestandsmerkmale "Zurechenbarkeit" und "Normverstoß" auseinanderzuhalten. In Übereinstimmung mit diesen Merkmalen läßt sich von der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit einer Organisation sprechen, wenn sie in einer ihr zurechenbaren Weise eine sie bindende völkerrechtliche Norm verletzt 137. Die strukturellen Unterschiede zwischen Organisationen und Staaten lassen es jedoch nicht zu, die beiden Basiselemente völkerrechtlicher Verantwortlichkeit blindlings auf die Organisationen zu übertragen, sondern erfordern unter Umstän134 Klein/ Pechstein, Das Vertragsrecht internationaler Organisationen, 12 f. ; Pemice, 48 ZaöRV 1988, 235; Schröder, 23 AVR 1985, 388/391. 135 Siehe do Nascimento e Silva, 29 GYIL 1986, 71 ff. 136 Art. 3 lautet: "There is an internationally wrongful act of a state when: (a) conduct consisting of an action or ornission is attributable to the State under international law; and (b) that conduct constitutes a breach of an international obligation of the State.", GA, Off. Rec., 51 Sess. Suppl. No. 10 (A/ 51110) 121 ff. Gemäß Art. 16 des ILC-Entwurfs zur Staatenverantwortlichkeit liegt ein Bruch einer völkerrechtlichen Verpflichtung vor, wenn die Handlung des Staates nicht dem durch die entsprechende Pflicht geforderten Sollen entspricht. Art. 16 lautet wörtlich: "There is a breach of an international obligation by a State when an act of that State is not in conformity with what is required of it by that obligation.", ebenda. 137 Amerasinghe, Principles, 242; Hirsch, The Responsibility of International Organizations, 13.

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

den deren Modifikation 138 . Die ILC geht in ihrem Kommentar zu Art. 13 139 des Entwurfs über die Staatenverantwortlichkeit davon aus, daß sich die völkerrechtliche Verantwortlichkeit internationaler Organisationen nach Regeln richte, die nicht notwendigerweise dieselben seien wie die über die völkerrechtliche Verantwortlichkeit von Staaten 140. Obwohl die ILC ihren Ansatz nicht weiter ausführt, ist er nicht einfach abzutun, da die strukturellen Unterschiede zwischen Staaten und Organisationen unterschiedliche Bestimmungen über die jeweilige Ausgestaltung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit denkbar erscheinen läßt. Die Organisationen unterscheiden sich vor allem im organischen Aufbau und in der Kompetenzausstattung von den Staaten. Diese Andersartigkeit kann sich in erster Linie auf das Merkmal der "Zurechenbarkeit" auswirken, denn während die Organe das Verhalten einer Organisation steuern, entscheiden die ihr zugewiesenen Kompetenzen dariiber, inwieweit sie überhaupt handeln darf bzw. kann. Eine Auswirkung auf das Merkmal "Normverstoß" ist dagegen nur insoweit zu erwarten, als die Erfüllung einer völkerrechtlichen Pflicht mit der organischen Struktur des verpflichteten Völkerrechtssubjekts zusammenhängt. Die beschränkte Kompetenzausstattung der Organisationen wirkt sich zwar auf das potentielle Ausmaß ihrer völkerrechtlichen Verantwortlichkeit, aber nicht auf die Pflichtverletzung als solche aus, weil es insoweit nur darauf ankommt, ob eine entsprechende Pflicht besteht. Im Hinblick darauf erheben sich keine grundlegenden Bedenken dagegen, das Merkmal "Normverstoß" auf internationale Organisationen analog anzuwenden141. IV. Auswirkungen struktureller Unterschiede zwischen Staaten und internationalen Organisationen

1. Zurechenbarkeit von Organhandlungen im allgemeinen Art. 13 des zuvor erwähnten ILC-Entwurfs bezieht sich ausdrucklieh auf das Verhalten von Organen internationaler Organisationen, die in ihrer Organeigenschaft handeln. Allerdings soll mit dieser Vorschrift nicht die Verantwortlichkeit der Organisationen für ihre Organe statuiert werden 142. Vielmehr geht es allein um 138 Bleckmann, 37 ZaöRV 1977, 120; Hirsch, The Responsibility of International Organizations, 11. Siehe auch Müller, Grundsätze, 87. 139 Art. 13 lautet: "The conduct of an organ of an international organization acting in that capacity shall not be considered as an act of a State under internationallaw by reason only of the fact that such conduct has taken place in the territory of that State or in any other territory under its jurisdiction.", GA, Off. Rec., 51 Sess., Suppl. No. 10 (Al 51 I 10), 121 ff. 140 1975 II YBILC, 47 (90; Rn. 9). 141 Siehe dazu näher Hirsch, The Responsibility of International Organizations, 17 ff., 31 ff., 38 ff. 142 Die ILC stellt in Bezug auf Art. 13 ausdrucklieh fest: " .. . article 13 is nottobe taken as defining the responsibility of international organizations or the problems of attribution which such responsibility presents.", 1975 II YBILC, 90, Rn. 12.

1. Kap.: Volkerrechtliche Verantwortlichkeit

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die Frage, inwiefern das Handeln eines solchen Organs die Verantwortlichkeit des Staates auslöst, auf dessen Hoheitsgebiet das Organ agierte. In ihrem Kommentar zu Art. 13 hält die ILC daran fest, daß es ein Fehler sei, in ihrem Entwurf eine Lösung für das Problem zu suchen, inwiefern internationalen Organisationen das Verhalten ihrer Organe zuzurechnen sei, da sich der Entwurf ausschließlich mit der Verantwortlichkeit der Staaten beschäftige 143 . Trotzdem verweist die ILC auf Fälle in der völkerrechtlichen Praxis, in denen internationalen Organisationen die Handlungen ihrer Organe zugerechnet und dadurch die völkerrechtliche Verantwortlichkeit dieser Organisationen ausgelöst wurde 144• Auf der Grundlage dieser Beispiele zog der Berichterstatter für den ersten Teil des ILC-Entwurfs zur Staatenverantwortlichkeit, Roberto Aga, den Schluß: "Where persons who are organs of ... an international organization commit, in that capacity, in the territory of another State, acts injurious to a third State, the first obvious conclusion is that those acts involve the responsibility of the . .. organization of which the persons in question are organs." 145

Diese Aussage steht in Einklang mit Art. 5 des erwähnten ILC-Entwurfs. Danach ist den Staaten das Verhalten ihrer Organe zuzurechnen, sofern diese in ihrer Eigenschaft als staatliche Organe gehandelt haben 146 . Erste Voraussetzung des in dieser Vorschrift kodifizierten Gewohnheitsrechts ist die Eigenschaft der handelnden natürlichen Person(en) als Staatsorgan(e), was sich gemäß Art. 5 ausschließlich nach dem nationalen Recht des betreffenden Staates bestimmt. Will man nun die in Art. 5 niedergelegte Regel auf internationale Organisationen übertragen, muß als erstes festgestellt werden, ob die im Namen der Organisationen auftretenden Personen tatsächlich deren Organe sind 147 • Dazu müssen die Gründungsverträge und gegebenenfalls das auf ihrer Grundlage ergangene (sekundäre) Recht herangezogen werden, denn sie bilden das interne Recht der Organisationen 148 . Können die handelnden Personen nach dem internen Organisationsrecht als Organe der Organisationen eingeordnet werden, so hängt die Zurechnung ihrer Handlungen zu 1975 II YBILC, 90, Rn. 9. 1975 II YBILC, 87 f., wobei die Pauschalsummenverträge zwischen den VN und einigen Staaten hervorgehoben werden, mit denen die VN die Schäden der Staatsangehörigen dieser Staaten, die aus den Aktivitäten der VN im Kongo resultierten, kompensieren wollten. Die VN sahen sich zu diesen Entschädigungsleistungen verpflichtet, da sie ausdrücklich durch ihren Generalsekretär ihre Verantwortung für die friedenserhaltenden Operationen im Kongo anerkannten, siehe dazu Jean J.A. Salmon, 11 AFDI 1965, 468 (479 ff.), und Paul de Visscher; 54 I AIDI1971, 1 (52 ff.). 145 Fourth Report on State Responsibility, 1972 II YBILC, 71 (127; Rn. 148). 146 Art. 5 lautet: "For the purpose of the present articles, conduct of any State organ having that status under the internallaw of that State shall be considered as an act of the State concerned under internationallaw, provided that organ was acting in that capacity in the case in question.", GA, Off. Rec., 51 Sess. Suppl. No. 10 (A/51110), 121 ff. Siehe dazu Ago, 1971 II/ 1 YBILC, 238 ff., sowie den ILC-Kommentar zu Art. 5, 1973 II YBILC, 161 (193). 147 Vgl. Pemice, 26 AVR 1988, 416; Amador; 1956 II YBILC, 190, Rn. 87. 148 Vgl. Perez Gonzalez, 92 RGDIP 1988, 81. 143

144

4 Pitschas

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

den Organisationen - entsprechend Art. 5 des ILC-Entwurfs - weiterhin davon ab, ob sie bei der Vomahme der Handlungen auch in ihrer spezifischen Qualität als Organ tätig wurden 149 . Das ist vorrangig eine Frage des Einzelfalles und soll aus diesem Grund hier nicht vertieft werden. Im Rahmen der Zurechenbarkeit ist jedoch der Umstand besonders zu beachten, daß staatliche Organe und Organe internationaler Organisationen unterschiedlich zusammengesetzt sind. Wahrend staatliche Organe durchweg homogen strukturiert sind, überwiegt bei Organen von Organisationen eine heterogene Zusammensetzung, d. h., sie sind entweder mit Vertretern ihrer Mitglieder oder mit internationalen Beamten besetzt 150. Diese Verschiedenheit wirft die Frage auf, ob den Organisationen die Handlungen ihrer Organe in der gleichen Weise zugerechnet werden können wie das bei den Staaten der Fall ist 151 . Ungeachtet der unterschiedlichen Organstrukturen stellt sich diese Frage des weiteren dann, wenn andere Völkerrechtssubjekte ihre Organe an Organisationen ausleihen, und die ausgeliehenen Organe für die Organisationen tätig werden. a) Organe mit internationalen Beamten Die meisten Organisationen haben Organe, die mit nicht weisungsgebundenen internationalen Beamten besetzt sind und entweder administrative oder judikative Funktionen ausüben. Wenn diese Organe im Rahmen der ihnen durch die Gründungsverträge verliehenen Kompetenzen handeln, sind ihre Akte ausschließlich den Organisationen, aber nicht den Mitgliedern zurechenbar 152 . Das beruht auf den fehlenden (rechtlichen) Einflußmöglichkeiten der Mitglieder auf die Organe 153 • b) Organe mit Vertretern der Mitglieder Neben den zuvor genannten Organen verfügen internationale Organisationen auch über solche Organe, die mit Vertretern der Mitglieder besetzt sind und deren Weisungen Folge zu leisten haben. Dadurch unterscheiden sie sich wesentlich von den internationalen Beamten. Ein erster Anschein spricht daher dafür, die HandPerez Gonzalez, 92 RGDIP 1988, 81. Siehe Schermers/Blokker, International Institutional Law, 269 f., § 384. 15 1 Hirsch, The Responsibility of International Organizations, 63, bildet zwei weitere Fallgruppen, wonach internationalen Organisationen auch das Verhalten von Privatpersonen zugerechnet werden könne, falls die Organisationen (a) sich die Handlung der Privaten entweder in irgendeiner Weise zu eigen machten oder (b) die Handlung der Privatentrotz dazu vorhandener Möglichkeit nicht verhinderten. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß es sich bei diesen beiden Fallgruppen lediglich um Untergruppen im Rahmen der Zurechnung von Organhandlungen bzw. -Unterlassungen handelt. 152 Higgins, 66 AIDI 1995, 283,412, Rn. 101; Pemice, 26 AVR 1988, 416. 153 Butkiewicz, 11 PolYBIL 1981/82, 128 ff. Vgl. auch Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten, 272, der für Handlungen dieser Organe eine Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten wegen der fehlenden Kontrollmöglichkeiten der Mitgliedstaaten ablehnt. 149 150

1. Kap.: Volkerrechtliche Verantwortlichkeit

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Iungen dieser Organe nicht allein den Organisationen zuzurechnen. Bei näherer Betrachtung sind aber auch die Akte dieser Organe nur den Organisationen zurechenbar, denn die Weisungsgebundenheit der Organwalter macht die Organe nicht von den Mitgliedern abhängig. Die Willensbildung innerhalb dieser Organe ist nämlich das Ergebnis eines Dialogs zwischen den Vertretern der Mitglieder 154. Obwohl die Vertreter der Mitglieder hauptsächlich die Interessen der von ihnen vertretenen Mitglieder im Auge haben 155 , müssen sie auch die Interessen der anderen Mitglieder in Betracht ziehen und bei Gegenläufigkeit der Interessen einen Ausgleich herbeiführen 156. Das Resultat dieses Dialogs unterscheidet sich immer von dem Willen eines einzelnen Mitglieds 157 . Diese Einschätzung gilt sowohl für Organisationen, bei denen nur einstimmige Entscheidungen getroffen werden können, als auch für Organisationen, bei denen Mehrheitsentscheidungen möglich sind 158. Denn selbst in diesem Fall ist es nahezu ausgeschlossen, daß der Wille der die Mehrheit bildenden Mitglieder identisch ist. Allerdings könnte überlegt werden, die Handlungen nicht einem, sondern allen Mitgliedern zuzurechnen. Eine derartige Überlegung ginge jedoch fehl, weil die Mitglieder die Organisationen gegründet haben, um kollektiv als Gruppe handeln zu können. Die Gesamtheit der Mitglieder wird also durch die jeweilige Organisation vertreten, die als Amalgam aller Mitglieder fungiert. Aus diesem Grund ist auch die Abhängigkeit der Organisationen von ihren Mitgliedern als Gesamtheit unbeachtlich. Die Organisationen als Zusammenschlüsse der Mitglieder sind darum die einzigen rechtlichen Einheiten, denen die Handlungen der Organe zurechenbar sind 159. Jedoch gibt es eine Ausnahme von diesem Grundsatz. Erklären die Vertreter der Mitglieder ausdrücklich, nicht für die jeweilige Organisation, sondern für die von ihnen vertretenen Mitglieder aufzutreten 160, sind ihre Akte nur letzteren zuzurechnen161. Denn in diesem besonderen Fall handeln sie nicht als Organe der Organisationen, sondern stellen sich gerade außerhalb des Organisationsgefüges. 154 Vgl. Dupuy, 100 I1 RdC 1960, 544. 155 156

251.

A.J.P. Tammes, 94 II RdC 1958, 261 (354). Ignaz Seidl-Hohenveldern, in: Handbook, 89; v. Münch, Das völkerrechtliche Delikt,

157 Butkiewicz, 11 PolYBIL 1981/82, 126; Ginther; Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit, 79. Siehe auch Schreuer; 22 AVR 1984, 398. 158 Dupuy, 100 II RdC 1960, 544; v. Münch, Das völkerrechtliche Delikt, 251. Vgl. auch Butkiewicz, 11 PolYBIL 1981/82, 126 ff. 159 Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten, 275, begründet dieses Ergebnis damit, daß das Handeln der Mitgliedstaaten innerhalb eines solchen Organs nicht auf ihrem souveränen Willen beruhe, sondern auf ihrer Stellung als OrganteiL Für eine ausschließliche Zurechnung an die Organisationen auch Higgins, 66 AIDI 1995, 283,412, Rn. 101. 160 Bekanntestes Beispiel hierfür sind die im Rat der EG vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, vgl. dazu unten im zweiten Teil, 2. Kapitel, A. I. 3. 161 A.A. v. Münch, Das völkerrechtliche Delikt, 264, der davon ausgeht, daß diese Akte sowohl den Mitgliedern als auch den Organisationen zurechenbar sind.

4*

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I. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

c) Organleihe Nach Art. 9 des ILC-Entwurfs zur Staatenverantwortlichkeit ist das Handeln eines Organs, das einem Staat (Empfängerstaat) durch ein anderes Volkerrechtssubjekt ausgeliehen wurde, als ein völkerrechtliches Verhalten des Empfängerstaates anzusehen, falls das Organ in hoheitlicher Funktion für den Empfängerstaat tätig wurde 162 . Art. 9 stellt drei Bedingungen auf, bei deren Vorliegen die Handlungen eines ausgeliehenen Organs dem Empfängerstaat zugerechnet werden können 163 : Erstens muß das ausgeliehene Organ den Status eines Organs des verleihenden Volkerrechtssubjekts haben, zweitens muß das ausgeliehene Organ handeln, als wäre es ein Organ des Empfängerstaates, und drittens muß das ausgeliehene Organ den Anweisungen des Empfängerstaates Folge leisten, d. h., der Empfängerstaat muß die ausschließliche Kontrolle über das ausgeliehene Organ haben. Anstatt an einen Staat können Volkerrechtssubjekte ihre Organe auch an Organisationen (Empfängerorganisationen) ausleihen. Ein markantes Beispiel dafür sind die Streitkräfte, die die Mitglieder der VN denselben für friedenserhaltende Operationen bereitstellen. Die Handlungen solcher ausgeliehenen Organe sind den Empfängerorganisationen zuzurechnen, sofern die zuvor genannten Voraussetzungen erfüllt sind164. Die Kontrolle der Empfängerorganisationen über die ausgeliehenen Organe ist in dieser Hinsicht das wichtigste Kriterium 165 . Die Handlungen der ausgeliehenen Organe können nur dann als Handlungen der Empfängerorganisationen angesehen werden, wenn dem verleihenden Völkerrechtssubjekt kein Mitspracherecht zusteht 166 . Andernfalls müßten die Handlungen dieser Organe als Handlungen des verleihenden Volkerrechtssubjekts beurteilt werden 167 . 162 Art. 9 lautet: "The conduct of an organ which has been placed at the disposal of a State by another State or by an international organization shall be considered as an act of the former State under internationallaw, if that organ was acting in the exercise of elements of the governmental authority of the State at whose disposal it has been placed.", GA, Off. Rec., 51 Sess. Suppl. No. 10 (AI 51 I 10), 121 ff. 163 ILC-Kommentar zu Art. 9, 1974 II/ 1 YBILC, 157 (286 ff.). 164 So wurden die Einsätze der Streitkräfte der Mitgliedstaaten der VN im Kongo als Aktivitäten der VN betrachtet, da die Streitkräfte unter dem Kommando der VN standen, Ago, 1971 11/1 YBILC, 273, Rn. 212. A.A. insoweit Paul de Visscher, 40 RDIDC 1963, 165 (169). 165 Ago, 1971 II/ 1 YBILC, 272, Rn. 209; siehe auch Amerasinghe, Principles, 241 ; Eagleton, 76 I RdC 1950, 386; Hirsch, The Responsibility of International Organizations, 64 f., 76 f. 166 Butkiewicz, 11 Po1YBIL 1981 I 82, 124 und 134; Jean-Pierre Ritter, 8 AFDI 1962, 427 (444). Siehe Borhan Amrallah, 32 REgyDI 1976, 57 (73 f.), und de Visscher, 54 I AIDI 1971, 55 f., zu den VN. Vgl. auch Perez Gonzalez, 92 RGDIP 1988, 84. 167 Das ist der Grund, warum der Streitkräfteeinsatz in Korea, der auf die Uniting f or Peace-Resolution zurückging, nicht den VN zugerechnet wurde, denn die Streitkräfte standen

1. Kap.: Völkerrechtliche Verantwortlichkeit

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2. Zurechenbarkeit von ultra-vires Handlungen im besonderen Nach Art. 10 des angesprochenen ILC-Entwurfs ist das Verhalten eines Staatsorgans als völkerrechtliche Handlung des Staates anzusehen, selbst wenn das Organ seine Kompetenzen überschreitet oder direkte Anweisungen mißachtet 168 • Derartige Handlungen werden als ultra-vires bezeichnet 169• Nach Art. 10 gibt es bei staatlichen Organen nur eine denkbare Kategorie von ultra-vires Handlungen, die sich dadurch auszeichnet, daß die Organe ihre Organkompetenzen überschreiten. Die Situation, daß die Organe die Verbandskompetenz ihres Staates überschreiten, ist von Art. 10 zu Recht nicht behandelt, da diese bei Staaten unbeschränkt ist. Demgegenüber müssen bei internationalen Organisationen zwei Kategorien von ultra-vires Handlungen unterschieden werden 170, weil ihre völkerrechtlichen Kompetenzen funktional beschränkt sind 171 . Die eine Kategorie zeichnet sich durch die Mißachtung der den Organen durch die Griindungsverträge und das sonstige Organisationsrecht eingeräumten Kompetenzen aus 172, wobei ihr Handeln innerhalb der den Organisationen als Verbände übertragenen Kompetenzen verbleibt. Diese inunter dem Befehl der USA, vgl. Ago, 1971 II I l YBILC, 272, Rn. 211. Siehe aber auch Amerasinghe, Principles, 245, und Hirsch, The Responsibility of International Organizations, 65, die die Handlungen des ausgeliehenen Organs sowohl dem verleihenden Staat als auch der Empfängerorganisation zurechnen wollen, sofern beide gemeinsam das Organ kontrolliert haben sollten. Allerdings ist die Annahme einer gemeinsam ausübbaren Kontrolle verfehlt, siehe auch unten 2. Kapitel, B. II. 168 Art. 10 lautet: "The conduct of an organ of a State, of a territorial governmental entity or of an entity empowered to exercise elements of the governmental authority, such organ having acted in that capacity, shall be considered as an act of the State under international law even if, in the particular case, the organ exceeded its competence according to internal law or contravened instructions concerning its activity.", GA, Off. Rec., 51 Sess. Suppl. No. 10 (Al 51 I 10), 121 ff. Die Formulierung "entity empowered to exercise elements of the governmental authority" könnte, auch und gerade unter Betiicksichtigung der in Art. 7 II ILCEntwurf enthaltenen Definition, daran denken lassen, daß auch internationale Organisationen von Art. 10 erfaßt sind. Doch ergibt sich aus dem Hinweis der ILC in ihrem Kommentar zu Art. 13, daß sie nicht vom ILC-Entwurf erfaßt werden, 1975 II YBILC, 90, Rn. 9. 169 Siehe Franciszek Przetacznik, 61 RDI 1983, 67 ff.; 129 ff. 170 Diese Unterscheidung scheint auch der folgenden Aussage des IGH zu ultra-vires Akten der VN im Gutachten Certain Expenses of the United Nations zugrundezuliegen: "lf it is agreed that the action in question is within the scope of the functions of the Organization but it is alleged that it has been initiated or carried out in a manner not in conformity with the division of functions among the several organs which the Charter prescribes, one moves to the internal plane, to the internal structure ofthe Organization." 1962 ICJ Rep., 151 (168). So auch die Deutung von Philippe Cahier, 76 RGDIP 1972, 645 (664), Elihu Lauterpacht, in: Essays in Honour of Lord McNair ( 1965), 88 ( 111) und Rudolf Bernhardt, in: Essays in Honour of K. Skubiszewski, 599 (602 f). Siehe auch Amerasinghe, Principles, 167. 111 Siehe oben A. III. 172 Bernhardt, in: Essays in Honour of K. Skubiszewski, 602 f. ; Cahier, 76 RGDIP 1972, 664; Lauterpacht, in: Essays in Honour of Lord McNair, 111.

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

ternen ultra-vires Handlungen sind mit der in Art. 10 des besagten ILC-Entwurfs genannten Kategorie von ultra-vires Handlungen vergleichbar. Die andere Kategorie von ultra-vires Handlungen tritt auf, wenn die Organe die den Organisationen als Verbände verliehenen Kompetenzen überschreiten 173 . Diese externen ultra-vires Handlungen heben sich von den in Art. 10 ILC-Entwurf aufgeführten Varianten ab. Obwohl die externen ultra-vires Handlungen sowohl im Innen- als auch im Außenverhältnis auftreten können 174 , soll hier nur das Außenverhältnis in den Blick genommen werden, weil die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Organisationen nur in diesem Verhältnis eine Rolle spielt 175 . Unabhängig von den rechtlichen Konsequenzen, die die Überschreitung der Organ- oder Verbandskompetenzen im Innenverhältnis auslöst176, können sie schädliche Folgen für dritte Völkerrechtssubjekte haben 177 , auch wenn es sich dabei um Mitglieder der Organisationen handelt. Deshalb müssen die ultra-vires Handlungen einem Völkerrechtssubjekt zugeordnet werden können, das für sie die Verantwortung übernimmt. a) Interne ultra-vires Handlungen Interne ultra-vires Handlungen der Organe internationaler Organisationen unterteilen sich ihrerseits in zwei Arten. Die erste Variante besteht aus Handlungen von Organen in Bereichen, die anderen Organen zugewiesen sind 178. So hatte der IGH in seinem Gutachten Certain Expenses ofthe United Nations 179 die Frage zu beantworten, ob Ausgaben für friedenserhaltende Operationen der VN, die durch die Generalversammlung anstatt des Sicherheitsrates genehmigt worden waren, als Ausgaben im Sinne von Art. 17 der VN-Satzung anzusehen seien. Um diese Frage beantworten zu können, mußte geklärt werden, ob neben dem Sicherheitsrat auch die Generalversammlung friedenserhaltende Operationen autorisieren kann. Hätte der IGH diese Vorfrage mit der Begründung verneint, daß Kapitel VII der VN-Sat173 Vgl. Bernhardt, in: Essays in Honour of K. Skubiszewski, 602 f.; Cahier, 76 RGDIP 1972, 664; Lauterpacht, in: Essays in Honour of Lord McNair, 111. 174 Zur Unterscheidung zwischen Innen- und Außenverhältnis siehe oben A. IV. 1. 175 Die Überschreitung der Verbandskompetenz im Innenverhältnis kann nicht gegen andere völkerrechtliche Pflichten verstoßen als die, die Verbandskompetenz einzuhalten. Im Innenverhältnis geht es daher nur um die Frage, ob die externe ultra-vires Handlung gültig oder ungültig ist, sieheAmerasinghe, Principles, 167. 176 Siehe Amerasinghe, Principles, 179 ff., 183 ff.; Bernhardt, in: Essays in Honour of K. Skubiszewski, 608; R.Y. Jennings, in: Essays in Honour of Lord McNair (1965), 64 ff., und Ebere Osieke, 77 AJIL 1983, 239 ff. m Amerasinghe, Principles, 169; Bernhardt, in: Essays in Honour of K. Skubiszewski, 609; Jennings, in: Essays in Honour of Lord McNair, 66; Perez Gonzalez, 92 RGDIP 1988, 78 f. Dies verkennt Higgins, 66 AIDI 1995, 278, 407 f., Rn. 85. 178 Vgl. Felice Morgenstern, 48 BYIL 1976/77, 241 (246 ff.). 179 1962 ICJ Rep., 151 ff.

1. Kap.: Volkerrechtliche Verantwortlichkeit

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zung diese Zuständigkeit allein dem Sicherheitsrat zuweise, wäre die Genehmigung der friedenserhaltenden Operationen durch die Generalversammlung ultra-vires gewesen. Allerdings ging der IGH davon aus, daß die Generalversammlung unter bestimmten Umständen derartige Aktivitäten genehmigen dürfe 180 • Die zweite Variante besteht aus Organhandlungen, die nicht mit den bestehenden formellen und/ oder materiellen Anforderungen übereinstimmen 181 . In seinem Gutachten Constitution of the Maritime Safety Committee of the Inter-Govemmental Maritime Consultative Organization 182 sollte der IGH herausfinden, ob das Komittee in Übereinstimmung mit Art. 28 (a) der IMCO-Satzung gewählt worden war. Art. 28 (a) sah unter anderem vor, daß unter den Mitgliedern des Komittees die acht größten Schiffsnationen sein müßten. Obwohl Liberia und Panama zum fraglichen Zeitpunkt zu den acht Nationen mit der größten registrierten Schiffstannage gehörten, waren sie von der IMCO-Versammlung nicht in das Komittee gewählt worden. Daher war es zweifelhaft, ob die IMCO-Versammlung in Übereinstimmung mit Art. 28 (a) IMCO-Satzung gehandelt hatte. Der IGH kam nach Auslegung des Begriffes der acht größten Schiffsnationen zu dem Ergebnis, daß die Nichtberiicksichtigung von Liberia und Panama satzungswidrig gewesen sei 183 . Der Beschluß der IMCO-Versammlung war also ultra-vires. Beide Varianten von internen ultra-vires Handlungen internationaler Organisationen können mit denjenigen ultra-vires Handlungen verglichen werden, die Art. 10 des ILC-Entwurfs zur Staatenverantwortlichkeit im Auge hat, der ebenfalls zwischen zwei Arten interner ultra-vires Handlungen unterscheidet. Zum einen betrifft Art. 10 Handlungen, bei denen die Staatsorgane ihre Kompetenzen überschreiten. Das ist nach dem ILC-Kommentar zu Art. 10 der Fall, wenn Organe andere Aufgaben als die ihnen anvertrauten ausführen 184 . Diese Konstellation ist mit dem Fall vergleichbar, in dem die Organe von Organisationen in die Kompetenzbereiche anderer Organe eindringen, weil sie sich dann andere als die ihnen zugewiesenen Kompetenzen anmaßen. Zum zweiten widmet sich Art. 10 der Fallgestaltung, daß die Staatsorgane die ihnen gegebenen Anweisungen mißachten. In dieser Hinsicht bezieht sich Art. 10 laut Kommentar der ILC auf Fälle, in denen die Staatsorgane zwar im Rahmen der ihnen übertragenen Kompetenzen handeln, aber in einer Art und Weise vorgehen, die ihren generellen oder speziellen Anweisungen zuwiderlaufen 185 . Diese Alternative steht der zweiten Variante interner ultravires Handlungen der Organe von Organisationen nahe, sofern man die formellen und I oder materiellen Handlungsanforderungen der Griindungsverträge bzw. des sonstigen Organisationsrechts als Anweisungen an diese Organe versteht. Hier be180

1962 ICJ Rep., 162 ff.

181

Morgenstern, 48 BYIL 1976177, 251 ff.

182

1960 ICJ Rep., 150 ff. 1960 ICJ Rep., 171. 1975 II YBILC, 47 (70; Rn. 28). 1975 I1 YBILC, 70, Rn. 28.

183

184 185

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

wegen sich die Organe zwar innerhalb der ihnen durch das Organisationsrecht zugewiesenen Kompetenzen, aber dennoch widersprechen sie dem Organisationsrecht, indem sie dessen Vorgaben, wie sie ihre Kompetenzen auszuüben haben, außer Acht lassen. Beide Arten interner ultra-vires Handlungen können internationalen Organisationen entsprechend der Regel in Art. 10 des ILC-Entwurfs für ultra-vires Handlungen von Staatsorganen zugerechnet werden 186, da insoweit zwischen Staaten und internationalen Organisationen kein wesentlicher Unterschied auszumachen istl87_ Die Zurechenbarkeit interner ultra-vires Handlungen hat zur Folge, daß eine Organisation sich völkerrechtlich verantwortlich macht, falls eine ihrer Handlungen, die intern ultra-vires ist, gegen eine ihr obliegende völkerrechtliche Pflicht verstößt. Allerdings erhebt sich die Frage, ob die völkerrechtliche Verantwortlichkeit auch bei solchen internen ultra-vires Handlungen eingreift, die im Zusammenhang mit einem von der Organisation abgeschlossenen völkerrechtlichen Vertrag stehen. Um diese Frage zu beantworten, wird als Ausgangspunkt die WVK 1986 gewählt. Diese Konvention ist zwar noch nicht in Kraft getreten, aber sie folgt weitgehend dem Muster der in Kraft befindlichen WVK 1969 188. Letztere kodifiziert anerkanntermaßen in weiten Teilen Volkergewohnheitsrecht 189. Dieses Völkergewohnheitsrecht bindet internationale Organisationen zwar nicht per se 190 • Die inhaltliche Übereinstimmung zwischen den beiden Konventionen belegt jedoch, daß die Probleme, die die durch internationale Organisationen abgeschlossenen Verträge aufwerfen, grundsätzlich nach den gleichen Regeln zu lösen sind, wie sie für die zwischen Staaten abgeschlossenen Verträge gelten. Es ist daher gerechtfertigt, die WVK 1986 hier als Maßstab heranzuziehen. Nach Art. 27 II WVK 1986 darf sich eine Organisation nicht auf ihr Organisationsrecht191 berufen, um die Nichterfüllung eines völkerrechtlichen Vertrages zu 186 Siehe Higgins, 66 AIDI 1995, 278, 408, Rn. 85. Siehe auch Hirsch, The Responsibility oflntem ational Organizations, 88 ff., 94 f. Anders Butkiewicz, 11 PolYBIL 1981 I 82, 137 ff., die zwischen den ultra-vires Handlungen von Organen, die mit Vertretern der Mitglieder, und solchen, die mit internationalen Beamten besetzt sind, unterscheidet. Sie meint, daß nur Handlungen der letzteren den Organisationen zurechenbar seien. Es ist nicht ersichtlich, wieso die Besetzung der Organe in diesem Kontext einen Einfluß auf die Zurechnung an die Organisationen haben soll. Der ultra-vires Charakter einer Organhandlung ist von der Organzusammensetzung unabhängig und kann aus diesem Grund keine Zurechnung an die Mitglieder der Organisationen begründen. 187 Siehe unten 2. Kapitel, B. III. 2. a) zur Frage, ob die Mitglieder für völkerrechtswidrige interne ultra-vires Handlungen ihrer Organisation indirekt verantwortlich sind. 188 Siehe oben III. 189 Heintschel v. Heinegg, in: Ipsen, vor§ 9, Rn. 6; Verdross! Simma, Universelles Vcilkerrecht, § 672; Vitzthum, in: ders., Erster Abschnitt, Rn. 115. 190 Siehe oben III. 191 Art. 27 II WVK 1986 spricht von "Vorschriften der Organisation". Nach Art. 2 I (j) sind damit neben dem Gründungsvertrag die auf seiner Grundlage gefaßten Beschlüsse und

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rechtfertigen 192. Demzufolge wirken sich Handlungen einer Organisation, die wegen Verstoßes gegen das Organisationsrecht einen internen ultra-vires Charakter aufweisen, nicht auf ihre Pflicht aus, einen von ihr eingegangenen Vertrag zu erfüllen. Kommt sie dieser Erfüllungspflicht nicht nach, macht sie sich gegenüber ihren Vertragspartnern völkerrechtlich verantwortlich 193 . Die Unbeachtlichkeit des Organisationsrechts gilt grundsätzlich auch dann, wenn sich die interne ultra-vires Handlung auf den Abschluß des Vertrages bezieht, d. h., falls der Verstoß gegen das Organisationsrecht gerade darin besteht, daß ein nicht zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge ermächtigtes Organ im Namen der Organisation einen derartigen Vertrag eingeht, oder das vom Organisationsrecht vorgeschriebene Vertragsabschlußverfahren nicht eingehalten wird. Gemäß Art. 46 li WVK 1986 ist die betreffende Organisation auch in dieser Konstellation an den Vertrag gebunden und muß ihn erfüllen 194. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz sieht Art. 46 li WVK 1986 nur vor, falls der Verstoß (1) objektiv offenkundig war und (2) eine grundlegende Norm des Organisationsrechts betraf195 . In diesem (Ausnahme-)Fall darf sich die betreffende Organisation auf ihr Organisationsrecht berufen mit der Folge, daß der Vertrag ungültig ist. b) Externe ultra-vires Handlungen Externe ultra-vires Handlungen der Organe internationaler Organisationen sind nicht mit den von Art. 10 des ILC-Entwurfs erfaßten Fällen vergleichbar, weil die völkerrechtlichen Befugnisse der Staaten grundsätzlich unbegrenzt sind; deshalb können ihre Organe keine externen ultra-vires Handlungen begehen. Wegen der Lehre von den implied powers 196 haben jedoch nur diejenigen Handlungen internationaler Organisationen tatsächlich externen ultra-vires Charakter, die auch die Entscheidungen sowie die feststehende Übung der Organisation gemeint. Diese "Gemengelage" wird hier der Einfachheit halber als Organisationsrecht bezeichnet. 192 Art. 27 II WVK 1986 entspricht damit inhaltlich Art. 27 WVK 1969. 193 Art. 27 II WVK 1986 weist somit eine Verbindung zum Problemkreis der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit auf, obwohl Fragen der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit nach Art. 73 WVK 1986 nicht Gegenstand der WVK 1986 sind. Diese Verbindung hat auch die ILC in ihrem Kommentar zu Art. 27 WVK 1986 hervorgehoben, YBILC 198211/2, 9 (38 f.). 194 Art. 46 li WVK 1986 entspricht damit inhaltlich Art. 46 I WVK 1969. BeideRegeln sind Ausdruck des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit, siehe den Kommentar der ILC zu Art. 46 WVK 1969, YBILC 1966 II, 173 (242), sowie die Begründung des Sonderberichterstatters der ILC Reuter in Bezug auf Art. 46 WVK 1986, YBILC 197911/1, 133 f. 195 Das Erfordernis der objektiven Offenkundigkeit ergibt sich aus Absatz drei. Auch hinsichtlich der Ausnahmeregelung besteht zwischen Art. 46 WVK 1986 und Art. 46 WVK 1969 inhaltliche Übereinstimmung. Die ILC hatte zwar für Art. 46 WVK 1986 eine Fassung vorgeschlagen, die hinsichtlich der Verstöße gegen das Organisationsrecht auf das subjektive Element der Kenntnis bzw. des Kennenmüssens des oder der anderen Vertragspartner abstellte (siehe dazu den Kommentar der ILC, YBILC 1982 11/2, 52 f.), aber dieser Vorschlag hat keinen Eingang in die endgültige Fassung der WVK 1986 gefunden. 196 Siehe dazu oben A. III.

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

stillschweigenden völkerrechtlichen Kompetenzen der Organisationen überschreiteni97. Es scheint, als ob die externen ultra-vires Handlungen der Organe nicht den Organisationen zugerechnet werden könnten, da sie außerhalb der Verbandskompetenz der Organisationen liegen. Jedoch darf dabei nicht außer Betracht bleiben, daß externe ultra-vires Handlungen nicht beziehungslos neben den völkerrechtlichen Kompetenzen einer Organisation stehen. Externe ultra-vires Handlungen sind vielmehr mit diesen Kompetenzen verknüpft. Diese Verknüpfung ist zweifacher Art. Zum einen erlauben es die völkerrechtlichen Kompetenzen einer Organisation erst, völkerrechtlich relevante Handlungen vorzunehmen. Dieser Rechtsfähigkeit ist aber eine Kompetenzüberschreitung ebenso immanent wie die Deliktsfähigkeit der Rechtsfähigkeit. Externe ultra-vires Handlungen sind also die Kehrseite existenter Kompetenzen. Zum anderen werden einer Organisation externe ultra-vires Handlungen vor allem in den Bereichen unterlaufen, die an den Rändern der ihr übertragenen Kompetenzen liegen. Diese Konnexität zwischen Kompetenz und Kompetenzüberschreitung gebietet es, internationalen Organisationen ihre externen ultra-vires Handlungen zuzurechnen 198. In diesem Kontext ist auf den Vorschlag des Berichterstatters für den ersten Teil des ILC-Entwurfs zur Staatenverantwortlichkeit, Ago, hinzuweisen. Er war der Ansicht, daß Organhandlungen nicht der in Art. 10 des ILC-Entwurfs niedergelegten Regel unterlägen, wenn die fehlende Befugnis des Organs offensichtlich gewesen sei 199. Diese Ausnahme wurde von der ILC mit dem Hinweis abgelehnt, daß das Wissen über die Kompetenzüberschreitung (potentielle) Opfer der kompetenzwidrigen Handlung nicht befähige, den schädigenden Konsequenzen des Organhandeins zu entgehen200. Dieser Hinweis gilt, mutatis mutandis, auch für externe ultra-vires Handlungen internationaler Organisationen 201 . 197 In diese Richtung lassen sich auch die nachfolgenden Äußerungen des IGH im Certain Expenses-Gutachten deuten: "But when the Organization takes action which warrants the assertion that it was appropriate for the fulfilment of one of the stated purposes of the United Nations, the presumption is that such action is not ultra-vires the Organization." 1962 ICJ Rep., 168. Siehe Cahier, 76 RGDIP 1972, 665, und Lauterpacht, in: Essays in Honour of Lord McNair, 108 und 111. Allerdings ist Osieke, 77 AJIL 1983, 249, darin zuzustimmen, daß sich der ultra-vires Charakter einer Handlung selten eindeutig bestimmen läßt. 198 Siehe lgnaz Seidl-Hohenveldem, 21 REgyDI 1965, 35 (44), der insoweit auf das estoppel und das bona-fides Prinzip abhebt, und Hirsch, The Responsibility of International Organizations, 14 f. A.A. Amerasinghe, Principles, 182, und Higgins, 66 AIDI 1995, 278, 408, Rn. 85. Siehe unten 2. Kapitel, B. 111. 2. b) zur Frage, ob die Mitglieder einer Organisation eine indirekte Verantwortung für deren völkerrechtswidrige externe ultra-vires Handlungen trifft. 199 1972 II YBILC, 95, Rn. 58. 200 ILC-Kommentar zu Art. 10, 1975 II YBILC, 69, Rn. 25. Gegen das Kriterium der offensichtlich fehlenden Organkompetenz auch Fischer, La Responsabilite Internationale De L'Etat Pour Les Comportements Ultra Vires De Ses Organes, 222 f. 2o1 A.A. Hirsch, The Responsibility of International Organizations, 15, der wie selbstverständlich davon ausgeht, daß es der von der externen ultra-vires Handlung betroffenen dritten

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Die Zurechenbarkeit der externen ultra-vires Handlungen führt dazu; daß eine internationale Organisation völkerrechtlich verantwortlich ist, falls eine solche Handlung zugleich gegen ein völkerrechtliches Gebot verstößt. Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit stößt allerdings an eine gewisse Grenze, sofern die externe ultra-vires Handlung darin besteht, daß die Organisation einen völkerrechtlichen Vertrag abschließt, für dessen Materie sie keine Vertragsschlußkompetenz hat. Zwar gilt - wie im Zusammenhang mit den internen ultra-vires Handlungen erläutert - das Prinzip, daß die Nichtbeachtung des Organisationsrechts die Pflicht zur Vertragserfüllung nicht beeinflußt. Jedoch steht dieses in Art. 27 II WVK 1986 enthaltene Prinzip unter dem Vorbehalt, daß der Vertrag gültig zustandegekommen ise02. Man könnte nun behaupten, daß ein von einer Organisation abgeschlossener Vertrag, für den sie keine Vertragsschlußkompetenz besitzt, a priori ungültig zustandegekommen sei, und somit das Problem der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit erst gar nicht entstehe. Dies stünde jedoch im Gegensatz zu Art. 46 II WVK 1986, wonach die Verletzung des für den Abschluß völkerrechtlicher Verträge einschlägigen Organisationsrechts grundsätzlich unbeachtlich ist. Anders wäre es nur, wenn Art. 46 II WVK 1986 das Problem der fehlenden Vertragsschlußkompetenz nicht erfaßte. Dafür ließe sich ins Feld führen, daß Art. 46 WVK 1969, dem Art. 46 WVK 1986 nachgebildet ist, diese Problematik gar nicht aufgreift. Jedoch erklärt sich dieser Umstand aus der im Gegensatz zu internationalen Organisationen unbeschränkten Verbandskompetenz von Staaten. Dieser Unterschied zwischen Staaten und Organisationen spricht dafür, den in Überschreitung ihrer Verbandskompetenz durch eine Organisation getätigten Vertragsabschluß in den Anwendungsbereich des Art. 46 II WVK 1986 einzubeziehen. Sein Wortlaut ist dafür jedenfalls weit genug, denn dort ist ganz allgemein von "Vorschriften der Organisation über die Zuständigkeit zum Abschluß von Verträgen" die Rede203 . Dieser weite Wortlaut ist auch nicht zufällig gewählt worden. Der Sonderberichterstatter der ILC für die WVK 1986, Reuter, wies in seiner Begründung zu Art. 46 WVK 1986 darauf hin, daß es zwei Fallgestaltungen zu berücksichtigen gelte: "In certain cases the invalidity would stem from the fact that the organization concluded a treaty concerning a subject-matter for which it had not received the requesite competence: that subject-matter remains within the competence of the member States without diminu-

Partei in den Fällen, in denen die Kompetenzüberschreitung offensichtlich war, möglich gewesen wäre, das schädigende Ereignis zu vermeiden. 202 Dieser Vorbehalt ergibt sich aus der Sache und wird durch den in Absatz drei ausgesprochenen Verweis auf Art. 46 bestätigt. Siehe auch den ILC-Kommentar zu Art. 27 WVK 1986, YBILC 1982 Il/2, 39, sowie Klein/Pechstein, Das Vertragsrecht internationaler Organisationen, 31. 203 Für die Einbeziehung der Fallgruppe "Überschreitung der Verbandskompetenz" in den Regelungsbereich von Art. 46 II WVK 1986 unter Hinweis auf den Wortlaut auch Schröder, 23 AVR 1985, 400 f. Der- authentische- englische Text ist noch offener: "rules of the organization regarding competence to conclude treaties".

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder tion or Iimits. In other cases, it is the respective powers of the organs of the organization regarding the conclusion of treaties which have not been respected ... " 204

Die ILC hat die Auffassung ihres Sonderberichterstatters bestätigt205 . Hält man sich den Zweck von Art. 46 WVK 1986 vor Augen, die Rechtssicherheit zu bewahren206, gleichen die beiden von Reuter aufgeführten Situationen einander, weil sie im selben Maße geeignet sind, die Rechtssicherheit zu gefährden. Insbesondere das Vertrauen des Vertragspartners in die Gültigkeit des mit der betreffenden Organisation geschlossenen Vertrages, das einen wesentlichen Bestandteil des Gedankens der Rechtssicherheit bildet, ist im Fall der überschrittenen Verbandskompetenz nicht weniger schutzwürdig als im Fall der mißachteten Organkompetenz207. Zu überlegen ist daher allenfalls, ob die in Art. 46 II WVK 1986 stipulierte Ausnahme von der Unbeachtlichkeit der Verletzung des Organisationsrechts im Rahmen von externen ultra-vires Handlungen eher erfüllt ist als bei internen ultra-vires Handlungen. Es ließe sich zum einen argumentieren, daß die die Vertragsschlußkompetenz einer internationalen Organisation betreffenden Vorschriften eine grundsätzlichere Bedeutung haben als die über die Organkompetenzen208. Dieses Argument ist nicht so aufzufassen, als hätten Verstöße gegen Verfahrensvorschriften ein geringeres Gewicht. Eine solche "Herabsetzung" ist aus Sicht der Organisationen nicht gerechtfertigt, denn ihnen muß an der Einhaltung ihres Organisationsstatuts unabhängig davon gelegen sein, ob es sich um formelle oder materielle Vorschriften handelt209 . Vielmehr geht es um die Bedeutung der verletzten Vorschrift für das Auftreten der betreffenden Organisation beim Vertragsschluß. Insoweit läßt sich nicht bestreiten, daß den Vorschriften über die Vertragsschlußkompetenzen ein höherer Stellenwert zukommt als den Vorschriften über die Organkompetenzen, denn die Vertragsschlußkompetenzen entscheiden dariiber, ob die Organisationen überhaupt einen Vertrag schließen dürfen; sie sind daher immer grundlegende Vorschriften im Sinne des Art. 46 II WVK 1986210 . Zum anderen ließe sich vorYBILC 1979 II/ 1, 134. In ihrem Kommentar zu Art. 27 WVK 1986 meinte die ILC, daß die Vertragsschlußkompetenzen jeder Organisation im Hinblick auf ihre Aufgaben und Befugnisse gewissen Schranken unterliege. Würden diese Schranken überschritten, stelle sich die Frage nach der Gültigkeit des Vertrages, YBILC 1982 II/2, 39. 206 Siehe oben a). 207 Siehe Klein/ Pechstein, Das Vertragsrecht internationaler Organisationen, 26. 208 In diesem Sinne Klein/ Pechstein, Das Vertragsrecht internationaler Organisationen, 27; wohl auch Per Lachmann, 10 LIEI 1984, 3 (16). 209 Reuter weist zu Recht darauf hin, daß "(a)n international organization, more than any other institution, is obliged to derive its force from law, and consequently to respect the law", YBILC 1979 II/ I, 134. 210 An dieser Stelle offenbart sich ein Unterschied zwischen Art. 46 II WVK 1986 und Art. 46 I WVK 1969, denn die staatlichen Rechtsordnungen kennen keine Kategorie von Vorschriften, die per se von grundlegender Bedeutung im Sinne des Art. 46 II WVK 1986 sind. Dieser Umstand rührt aus dem unterschiedlichen Wesen von Staaten als "geborenen" und Organisationen als "gekorenen" Völkerrechtssubjekten her. 204

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bringen, daß die Überschreitung der Verbandskompetenz offenkundiger sei als die Nichteinhaltung der Organkompetenzen. Dieses Vorbringen mag auf den ersten Blick einleuchtend klingen, kann aber auf den zweiten Blick nicht überzeugen, weil es die den internationalen Organisationen auch im Außenverhältnis zukommenden implied powers nicht hinreichend berücksichtigt211 . Der Abschluß eines Vertrages, für den keine ausdrücklichen Vertragsschlußkompetenzen vorhanden sind, läßt sich unter Umständen im Hinblick auf die implied powers rechtfertigen. Die stillschweigenden Vertragsschlußkompetenzen lassen sich jedoch nicht immer leicht eruieren, so daß ihre Verletzung nicht ohne weiteres für jeden dritten Staat oder jede dritte internationale Organisation objektiv erkennbar ist, wie von Art. 46 III WVK 1986 gefordert. Es läßt sich deshalb nicht pauschal behaupten, daß die in Art. 46 II WVK 1986 stipulierte Ausnahme von der Unbeachtlichkeit des Organisationsrechts bei externen ultra-vires Handlungen eher zum Zuge käme als bei internen ultra-vires Handlungen. 3. Erschöpfung organisationsinterner Rechtsbehelfe

An dieser Stelle soll auf den Normverstoß als zweites Tatbestandsmerkmal der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit im Hinblick auf die in Art. 22 des ILC-Entwurfs über die Staatenverantwortlichkeit normierte Pflicht zur Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs212 näher eingegangen werden. Aufgrund der nicht unerheblichen Unterschiede zwischen den internen Strukturen von Organisationen und Staaten liegt die Vermutung nahe, daß insoweit Besonderheiten bei den Organisationen auftreten. Verstößt ein Staat gegen eine völkerrechtliche Norm, die ihm auferlegt, fremde Staatsangehörige in einer bestimmten Art und Weise zu behandeln213 , 211 Allerdings ist einzuräumen, daß das Kriterium der Offenkundigkeit gegenüber Mitgliedern, die einen Vertrag mit der Organisation schließen, eher erfüllt sein kann als bei Nichtmitgliedern, weil die Mitglieder das Recht ihrer Organisation im Zweifel besser kennen als die Nichtmitglieder. Aus diesem Grund hatte Sonderberichterstatter Reuter zwei Varianten für Art. 46 WVK 1986 vorgeschlagen, von denen eine hinsichtlich der Offenkundigkeil nur auf die Nichtmitglieder der betroffenen Organisation abstellte, YBILC 1979 II/ 1, 135. Jedoch lehnte es die ILC ab, eine solche die Mitgliedstaaten benachteiligende Vorschrift aufzunehmen, weil die Mitglieder im Außenverhältnis im wesentlichen Nichtmitgliedern gleichstünden, YBILC 198211/2, 52 f. 212 Auch als local remedies rule bezeichnet. Die Geltung dieser Regel als Volkergewohnheitsrecht ist unumstritten, Brownlie, Principles of Public International Law, 498. 213 Es kann sich dabei sowohl um gewohnheitsrechtliche Gebote wie den Mindeststandard des völkerrechtlichen Fremdenrechts (siehe dazu lpsen, in: ders., §50, und Verdross/Simma, Universelles Volkerrecht, §§ 1212 ff.) als auch um vertragliche Pflichten handeln. Das Erschöpfungsprinzip findet sich auch in Verträgen über den Menschenrechtsschutz, wie bspw. in Art. 35 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04. November 1950 (BGBJ. 195211 S. 686). Soweit Verträge den Parteien bestimmte Verhaltenspflichten hinsichtlich der Staatsangehörigen der anderen Partei(en) auferlegen, können sie von dem Erfordernis der vorherigen Erschöpfung innerstaatlicher Rechtsbehelfe durch die Drittstaatsangehörigen befreien, sofern die Befreiung ausdrücklich erfolgt, Elettronica Sicula S. p. A. (ELSI), ICJ Rep. 1989, 15 (42; Rn. 50).

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

so löst dieser Verstoß seine völkerrechtliche Verantwortlichkeit nur aus, falls er die völkerrechtswidrige Behandlung nicht durch nachfolgendes Verhalten behebt. Da es ihm in der Regel sowohl rechtlich als auch faktisch möglich sein wird, die rechtswidrigen Folgen seines Tuns zu beseitigen, sind fremde Staatsangehörige, die eine derartige völkerrechtswidrige Behandlung erlitten haben, nach der in Art. 22 zum Ausdruck kommenden Regel verpflichtet, die ihnen zur Verfügung stehenden innerstaatlichen Rechtsbehelfe auszuschöpfen. Erst wenn die Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe das von der völkerrechtlichen Norm geforderte Ergebnis oder, sofern dieses nicht mehr erreichbar ist, ein vergleichbares Ergebnis nicht herbeiführt, tritt die völkerrechtliche Verantwortlichkeit des Staates ein214 . Der Vorschrift des Art. 22 liegt der Gedanke zugrunde, daß ein grundsätzlich heilbarer Völkerrechtsverstoß erst beendet ist, wenn die innerstaatlichen Rechtsbehelfe erfolglos in Anspruch genommen worden sind215 . Der Staat, der den fremden Staatsangehörigen völkerrechtswidrig behandelt hat, soll die Gelegenheit haben, den durch ihn geschaffenen rechtswidrigen Zustand wieder ruckgängig zu machen und damit den völkerrechtsgemäßen status quo ante wiederherzustellen216. Nutzt der Staat diese Gelegenheit nicht, ist der Staat, dessen Staatsangehöriger betroffen ist, berechtigt, diplomatischen Schutz zugunsten seines Staatsangehörigen auszuüben217. 214 Art. 22 lautet: "When the conduct of a State has created a situation not in conformity with the result required of by an international obligation concerning the treatment to be accorded to aliens, whether natural or juridical persons, but the obligation allows that this or an equivalent result may nevertheless be achieved by subsequent conduct of the State, there is a breach of the obligation only if the aliens concerned have exhausted the effective local remedies available to them without obtaining the treatment called for by the obligation or, where that is not possible, an equivalent treatment.", GA, Off. Rec., 51 Sess. Suppl. 10 (A/51110), 121 ff. 21s Roberto Ago, 1977/1 YBILC, 3 (22; Rn. 52); Shaw, International Law, 567. 216 Ago, 1977/1 YBILC, 21, Rn. 49; ILC-Kommentar zu Art. 22, 1977/2 YBILC, 1 (30; Rn. 2 f.). 217 Die Staatsan- bzw. zugehörigkeit der betroffenen natürlichen oder juristischen Person ist also der wesentliche Faktor für die Ausübung des diplomatischen Schutzes. Nach Auffassung des IGH meint Staatsangehörigkeit: " ... a legal band having as its basis a social fact of attachment, a genuine connection of existence, interests and sentiments, tagether with the existence ofreciprocal rights and duties." Nottebohm (Second Phase), ICJ Rep. 1955,4 (23). Bestehe kein derartiges genuine link zwischen Staat und Staatsangehörigem, dürfe der Staat keinen diplomatischen Schutz ausüben, ICJ Rep. 1955, 26. Da der Entscheidung des IGH ein Staatsangehörigkeitserwerb kraft Einbürgerung zugrundelag, sprechen gute Gründe für die Annahme, daß der IGH allein diese Konstellation im Auge hatte, Albrecht Randelzhofer, 8 EPIL, 416 (421), der im übrigen dem Erfordernis des genuine link für Einbürgerungen kritisch gegenübersteht. Der genuine link-Test kann aber herangezogen werden, um in Fällen der Doppel- oder Mehrfachstaatsangehörigkeit die effektive Staatsangehörigkeit zu bestimmen, die in derartigen Fällen über das Recht zur Ausübung diplomatischen Schutzes entscheidet. Jedoch darf der Schutz nicht gegenüber denjenigen Staaten beansprucht werden,deren Staatsangehörigkeit die Person auch besitzt, selbst wenn es sich insoweit nicht um eine effektive Staatsangehörigkeit handelt, Gloria, in: Ipsen, § 24, Rn. 34, Randelzhof er, a. a. 0., 422 f., der im übrigen bezweifelt, ob sich die effektive Staatsangehörigkeit immer bestimmen lasse. A.A. Ver-

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a) Völkerrechtswidrige Behandlung "fremder" Staatsangehöriger Wendete man Art. 22 entsprechend auf die völkerrechtswidrige Behandlung von natürlichen und juristischen Personen durch internationale Organisationen an, so wären die Betroffenen gehalten, die Rechtsbehelfe der Organisationen auszuschöpfen, sofern ihre Staaten Mitglieder der Organisationen sind oder diese anerkennen. Angehörige von Staaten, die die Organisationen nicht anerkennen, müßten demgegenüber die Rechtsbehelfe der Organisationen nicht erschöpfen, da ansonsten die Situation einträte, die durch die Nichtanerkennung verhindert werden soll: Der Verweis auf die Pflicht zur vorherigen Erschöpfung organisationsinterner Rechtsbehelfe implizierte, diesen Nichtmitgliedern die Völkerrechtssubjektivität der Organisationen entgegenzuhalten 218 • Statt dessen könnten sie sofort diplomatischen Schutz zugunsten ihrer Staatsangehörigen ausüben. Sie müßten sich dabei aber direkt an die Mitglieder der Organisationen wenden, denn eine Ausübung diplomatischen Schutzes gegenüber den Organisationen hieße, sie stillschweigend anzuerkennen. Für eine entsprechende Anwendung des Art. 22 auf internationale Organisationen spricht die Überlegung, den Organisationen gleich den Staaten die Möglichkeit einzuräumen, die durch ihr Handeln entstandene rechtswidrige Situation wieder zu beseitigen219 • Dagegen könnte ins Feld geführt werden, daß internationale Organisationen kein eigenes Territorium haben und nur auf dem Hoheitsgebiet eines Mitglieds oder Nichtmitglieds tätig werden können220, was wiederum dafür spricht, die Rechtsbehelfe dieser Staaten als maßgeblich anzusehen. Dieser Einwand greift aber nicht bei den Organisationen, die mit Einwilligung des betreffenden Staates auf seinem Hoheitsgebiet tätig werden. Mit seiner Einwilligung erklärt sich der Staat mit der Ausübung von Hoheitsgewalt durch die Organisationen einverstanden; diese Hoheitsgewalt tritt an die Stelle der staatlichen Hoheitsgewalt Darum dross!Simma, Universelles Vcilkerrecht, § 1197. Die Regelung des Art. 20 (ex-Art. 8c) EGV, wonach Unionsbürger in dritten Staaten, in denen ihr eigener Staat nicht vertreten ist, den diplomatischen Schutz durch andere Mitgliedstaaten der EG beanspruchen können, ist unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten nur deshalb nicht zweifelhaft, weil die Vorschrift vorsieht, die für "diesen Schutz erforderlichen internationalen Verhandlungen" einzuleiten. Da Drittstaaten nicht verpflichtet sind, die Ausübung diplomatischen Schutzes durch andere EG-Mitgliedstaaten zu akzeptieren, bedarf es dazu einer Vereinbarung zwischen ihnen und den EGMitgliedstaaten, Albrecht Randelzhofer, in: Gedächtnisschrift für Eberhard Grabitz, 581 (593). Vgl. allgemein Rudolf Dolzer, 10 EPIL, 121 (122). Der Staatsangehörige hat kein Recht darauf, daß sein Staat zu seinen Gunsten tätig wird; das Recht auf diplomatischen Schutz ist ein Recht des Staates, Mavrommatis Palestine Concessions, PCIJ, Ser.A, No.2 (1924), 6 (12). Allerdings kann das nationale Recht den Staat verpflichten, zugunsten seiner Staatsangehörigen diplomatischen Schutz auszuüben. Für die Bundesrepublik Deutschland wird ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Ausübung diplomatischen Schutzes aus Verfassungsgewohnheitsrecht hergeleitet, Manfred Dauster, JURA 1990, 262 (264 ff.) m.w.Nachw. 218 Siehe dazu auch oben A. IV. 2. 219 So auch Amrallah, 32 REgyDI 1976, 76, bezüglich der VN. 22o Siehe ILC-Kommentar zu Art. 13, 1975 II YBILC, 87, Rn. 2.

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

obliegt es grundsätzlich auch dieser Gewalt, den Völkerrechtsverstoß zu beheben221. Einer entsprechenden Anwendung von Art. 22 steht daher insoweit nichts entgegen. Wird eine Organisation jedoch ohne Einwilligung auf dem Territorium eines Staates tätig222, so kommt das Erschöpfungsprinzip des Art. 22 nicht zum Tragen. Zwar war der Berichterstatter der ILC, Ago, der Auffassung, daß die Geltung der Erschöpfungsregel allein davon abhänge, ob adäquate und effektive Rechtsbehelfe existierten, die den betroffenen Personen offenstünden, unabhängig vom Begehungsort223. Die ILC schloß sich dieser Haltung an. Der extraterritoriale Charakter der völkerrechtswidrigen Handlung dürfe den handelnden Staat nicht der Chance berauben, die von ihm herbeigeführte völkerrechtswidrige Situation zu bereinigen224. Aber diese Sichtweise überzeugt nur, wenn der dritte Staat mit Einwilligung des Territorialstaates tätig wurde. Fehlt es an dieser Einwilligung, ist die Lage eine ganz andere, denn man würde den dritten Staat gleichsam dafür belohnen, daß er ohne Einwilligung des zuständigen Hoheitsträgers tätig wurde. Es ist darum nicht einzusehen, warum die auf dem Hoheitsgebiet des Territorialstaates befindlichen Personen in einem solchen Fall die innerstaatlichen Rechtsbehelfe des dritten Staates sollen erschöpfen müssen. Aus demselben Grund kann eine Organisation, die ohne Einwilligung des Territorialstaates aktiv wurde, nicht beanspruchen, daß die von ihren völkerrechtswidrigen Aktionen betroffenen Personen ihre organisationsinternen Rechtsbehelfe ausschöpfen, bevor deren Staaten diplomatischen Schutz ausüben. Art. 22 ist daher auf diese Konstellation nicht entsprechend übertragbar. Ansonsten steht der analogen Anwendung des Art. 22 auf internationale Organisationen nichts im Wege, sofern der im Rahmen der jeweiligen Organisation zur Verfügung stehende Rechtsbehelf effektiv ist225 . Von Effektivität darf in diesem Zusammenhang nur gesprochen werden, falls eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, daß der von der völkerrechtlichen Verpflichtung angestrebte Sollzustand oder ein ihm ähnlicher Zustand erreicht wird226. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um einen juristischen, administrativen, gewöhnlichen oder außergewöhnlichen Rechtsbehelf handelt227 . Allerdings ist unübersehbar, daß derartige Rechtsbehelfe im Rahmen der Organisationen so gut wie nicht existent sind228. Siehe Fritz Münch, in: Festschrift für Hans Wehberg, 323. Dies kann z. B. bei den Aktionen der VN nach Kapitel VII der VN-Satzung der Fall sein, ILC-Kommentar zu Art. 13, 1975 II YBILC, 87, Rn. 2. 223 Ago, 1977 I I YBILC, 37 f., Rn. 97. 224 ILC-Kommentar zu Art. 22, 1977/2 YBILC, 44, Rn. 39. 225 Siehe Ritter, 8 AFDI 1962, 454; vgl. auch Schermers I Blokker, International Institutional Law, 1167 f., § 1858. 226 Ago, 1977/1 YBILC, 41, Rn. 107. 221 Ago, a. a. 0., 41, Rn. 108. 228 Markantestes Beispiel für auch natürlichen und juristischen Personen offenstehende Rechtsbehelfe ist das Rechtsschutzsystem der EG, das auch Drittstaatsangehörige in Anspruch nehmen können, siehe dazu unten zweiter Teil, 2. Kapitel, A. IV. 221

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Trotz dieses Umstands ist Ritter der Ansicht, daß das Prinzip der Erschöpfung innerstaatlicher Rechtsbehelfe auch dann entsprechend auf Organisationen anzuwenden sei, falls sie Rechtsbehelfe nachträglich schüfen, oder falls sie sich einem Rechtsbehelf unterwürfen, der außerhalb ihres internen Rahmens verfügbar sei229 . Der ersten Alternative ist die Zustimmung zu versagen, denn bei ad hoc Rechtsbehelfen läßt sich nicht mit ausreichender Gewißheit vorhersagen, ob sie zur Beseitigung der völkerrechtswidrigen Lage beitragen können. Effektive Rechtsbehelfe sind nur solche, die bereits vor dem Völkerrechtsverstoß existierten, weil nur sie sich ex ante danach beurteilen lassen, ob sie echten Rechtsschutz gewähren. Für die ex ante Perspektive als Effektivitätskriterium spricht die gewohnheitsrechtliche Regel, daß innerstaatliche Rechtsbehelfe nicht ausgeschöpft werden müssen, wenn sie offenkundig keine Abhilfe schaffen können230 ; das läßt sich aber nur bei schon bestehenden Rechtsbehelfen einschätzen. Eine Einschränkung erfährt diese Schlußfolgerung jedoch in den Fällen, in denen die Staaten, auf deren Territorium die Organisationen tätig wurden, und die Organisationen übereinkommen, ad hoc einen neuen Rechtsbehelf einzurichten, um rechtswidrige Akte der Organisationen überprüfen zu lassen231 . Da die Erschöpfung der organisationsinternen Rechtsbehelfe eine conditio sine qua non für die Gewährung diplomatischen Schutzes ist, können die durch diese Bedingung Berechtigten und Verpflichteten dieselbe modifizieren, indem sie der Einrichtung neuer Rechtsbehelfe zustimmen. Allerdings wirkt diese Modifikation nur im Verhältnis zu ihren eigenen Staatsangehörigen. Dritte Staaten sind durch die Vereinbarungen mit den Organisationen nicht gebunden232, selbst wenn sie Mitglieder der Organisationen sind, denn im Außenverhältnis stehen sie ihren Organisationen wie Dritte gegenüber233 . Die Nichtbindung der Drittstaaten erklärt sich aus dem Umstand, daß die Pflicht zur Erschöpfung von ad hocRechtsbehelfen wegen der Unsicherheit hinsichtlich ihrer Effektivität eine andere Qualität aufweist als die Pflicht zur Erschöpfung bereits vorhandener Rechtsbehelfe und damit einer bislang inexistenten Pflicht gleichkommt. Die Staatsangehörigen dieser Drittstaaten müssen deshalb die durch die besagten Vereinbarungen geschaffenen ad hoc Rechtsbehelfe nicht ausschöpfen, es sei denn, die Drittstaaten lassen die besagten Vereinbarungen gegen sich gelten. Im Gegensatz zur ersten Alternative Ritters ist die von ihm vorgeschlagene zweite Alternative akzeptabel: die Unterwerfung der Organisationen unter einen schon bestehenden -effektiven- Rechtsbehelf außerhalb des Organisationsrahmens. Das Ritter; 8 AFDI 1962, 454; so wohl auch Perez Gonzalez, 92 RGDIP 1988, 96. Ago, 1977/1 YBILC, 42, Rn. 109; Verdross!Simma, Universelles VOikerrecht, § 1306 m. w.Nachw. 229

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231 So zum Teil geschehen für friedenserhaltende Operationen der VN, siehe Amrallah, 32 REgyDI 1976,75 f., und de Visscher; 54 I AIDI 1971, 59. Vgl. auch Clark/ Sohn, World Peace Through World Law, 331. 232 Siehe oben A. IV. 2. zum Grundsatz pacta tertiis nec nocent nec prosunt. 233 Siehe dazu oben A. IV. 1. b).

5 Pitschas

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

Augenmerk richtet sich dabei in erster Linie auf die nationalen Rechtsbehelfe der Staaten, auf deren Hoheitsgebieten die Organisationen aktiv sind. Staaten und Organisationen schließen teilweise Abkommen, in denen die Verantwortlichkeit der Staaten für rechtswidrige Akte der Organisationen auf den staatlichen Territorien festgelegt wird234 . Bestehen solche für die Organisationen haftungsbefreienden Klauseln, müssen die betroffenen Personen die Rechtsbehelfe der Territorialstaaten ausschöpfen, selbst wenn sie Staatsangehörige dritter Staaten sind. Die genannten Abkommen entfalten auch gegenüber Drittstaaten Wirkung, weil sie ihnen keine neue Pflicht auferlegen. Zwar wird die Pflicht zur Erschöpfung der organisationsinternen Rechtsbehelfe umgewandelt in eine Pflicht zur Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe. Damit ist aber kein Nachteil für die dritten Staaten verbunden, weil die innerstaatlichen Rechtsbehelfe, die es anstelle der organisationsinternen Rechtsbehelfe zu erschöpfen gilt, hinreichend sicher auf ihre Effektivität beurteilt werden können. Insoweit besteht ein grundlegender Unterschied zu den Fällen, in denen Territorialstaat und Organisation übereinkommen, einen ad hoc Rechtsbehelf einzurichten. Sollte es an der hinreichenden Effektivität des innerstaatlichen Rechtsbehelfs fehlen, bestünde keine Pflicht, ihn zu erschöpfen. b) Völkerrechtswidrige Behandlung internationaler Beamter Das Verhältnis zwischen internationalen Organisationen und ihren internationalen Beamten wird durch spezielle Regeln erfaßt235 , die auf der Grundlage der Gründungsverträge erlassen werden und daher völkerrechtlichen Ursprungs sind236 . Die Verpflichtungen der Organisationen aus diesen Regeln haben also ebenfalls völkerrechtlichen Charakter237 . Diese Verpflichtungen berechtigen aber nicht die Staaten, deren Staatsangehörigkeit die internationalen Beamten haben, sondern ausschließlich die internationalen Beamten selbst238 . Daher können diese Staaten, wenn die Organisationen die Beamten in ihren Rechten verletzen, keinen diplomatischen Schutz zugunsten der Beamten ausüben239. Die internationalen Beamten sind gegen rechtswidrige Handlungen seitens der Organisationen nur durch die administrativen oder juristischen Organe geschützt, die ihnen innerhalb der Organisationen dafür zur Verfügung stehen240. 234 Die Übereinkommen der VN über technische Hilfe enthalten z. B. solche Vereinbarungen, ILC-Kommentar zu Art. 13, 1975 11 YBILC, 89, Rn. 7. Siehe dazu Zack/in, in: La Responsabilite Dans Le Systeme International, 95. 235 Vgl. Schermers!Blokker, International Institutional Law, 362 ff., §§ 539 ff. 236 Seidl-Hohenveldem I Loibl, Das Recht der internationalen Organisationen, 213, Rn. 1503. 237 Siehe Amador; 1956 11 YBILC, 189 f., Rn. 84 (87). 238 Clive Parry, 9011 RdC 1956, 653 (716); Ritter, 8 AFDI 1962, 452. 239 Dieses Ergebnis findet seine Bestätigung in den Privilegien und Immunitäten, die die internationalen Beamten im Verhältnis zu ihren Staaten genießen. A.A. Ritter, 8 AFDI 1962, 452 f. V gl. allgemein zur Erschöpfung der organisationsinternen Rechtsbehelfe durch internationale BeamteA.A. Can(:ado Trindade, 57 RDI 1979,81 (86).

1. Kap.: Vcilkerrechtliche Verantwortlichkeit

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C. Ergebnisse des ersten Kapitels I. Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen

Internationale Organisationen sind Völkerrechtssubjekte, sofern und soweit sie berechtigt sind, völkerrechtlich zu handeln. Mit Völkerrechtssubjektivität ist also die Rechtsfähigkeit der Organisationen in der Völkerrechtsordnung gemeint. Rechtsfähig sind internationale Organisationen nur aufgrund von völkerrechtlichen Kompetenzen. Völkerrechtssubjektivität ist darum ein Ausfluß der den Organisationen zustehenden völkerrechtlichen Kompetenzen. Einen festen Katalog völkerrechtlicher Kompetenzen für internationale Organisationen hält das Völkerrechtssystem nicht bereit. Vielmehr werden den Organisationen ihre Kompetenzen in den Gründungsverträgen verliehen. Dazu muß es sich bei den Gründungsverträgen um völkerrechtliche Verträge, d. h. um Verträge zwischen Völkerrechtssubjekten, handeln. Die Völkerrechtssubjektivität der Organisationen ist daher abgeleitet von der ihrer (Gründungs-)Mitglieder. Sie ist zudem funktional beschränkt, denn die Organisationen erhalten nur die Kompetenzen übertragen, die notwendig sind, um ihre - begrenzten - Aufgaben zu erfüllen. Den Gründungsverträgen lassen sich über die ausdrücklich enthaltenen Kompetenzen hinaus stillschweigende Kompetenzen (implied powers) entnehmen, sofern diese für die Erfüllung der den Organisationen zugewiesenen Aufgaben erforderlich sind. Die Völkerrechtssubjektivität als Substrat der Gründungsverträge ist nur für die Mitglieder der Organisationen rechtlich verbindlich. Für Nichtmitglieder sind die Gründungsverträge res inter alias acta; die Völkerrechtssubjektivität ist also für die Nichtmitglieder rechtlich unbeachtlich, auch wenn sie die Existenz der Organisationen faktisch nicht negieren können. Im Falle eines von einer Organisation begangenen Völkerrechtsverstoßes können sich die davon betroffenen Nichtmitglieder unmittelbar bei den Mitgliedern schadlos halten. Diese Lage ändert sich erst mit der Anerkennung einer Organisation als Völkerrechtssubjekt Mit der- freiwilligen - Anerkennung akzeptieren die Nichtmitglieder die von den (Gründungs-) Mitgliedern an die Organisation verliehene Völkerrechtssubjektivität und müssen sich diese von den Mitgliedern entgegenhalten lassen. Das hier vertretene Verständnis der Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen mag "minimalistisch" erscheinen, aber es entspricht den tatsächlichen Gegebenheiten. Diese zeichnen sich dadurch aus, daß internationale Organisationen gegründet werden, um bestimmte Funktionen wahrzunehmen, die auf staatlicher Ebene nicht befriedigend erfüllt werden können. Internationale Organisatio240 Siehe das Gutachten des IGH zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts der VN in Effects of Awards of Compensation Made by the United Nations Administrative Tribunal, 1954 ICJ Rep., 47 ff. Vgl. dazu eingehend Hans-Joachim Prieß , Internationale Verwaltungsgerichte und Beschwerdeausschüsse, 87 ff.; 189 ff. Falls die Organisationen die Entscheidung ihrer zuständigen Überprüfungsorgane mißachten, sind die Mitgliedstaaten berechtigt einzuschreiten, Ritter, 8 AFDI 1962, 452 f. A.A. Parry, 90 II RdC 1956, 720 f.

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

nen dienen dazu, die staatlichen Kapazitäten zu bündeln; sie sind Instrumente der Koordination bzw. Kooperation. Ihre Entstehung und ihre Zweckbestimmung bleiben nicht ohne Einfluß auf ihre Stellung innerhalb der Völkerrechtsordnung. Beide Umstände lassen es nicht zu, sie rechtlich vollkommen mit den Staaten gleichzusetzen. Ein weiteres tritt hinzu: Die Völkerrechtsordnung ist kein hierarchisch organisiertes Rechtssystem wie die nationalen Rechtsordnungen, sondern geprägt durch die rechtliche Souveränität der Staaten. Die rechtliche Gleichheit der Staaten wäre beeinträchtigt, wollte man den von einigen Staaten gegriindeten Organisationen eine erga omnes wirkende Völkerrechtssubjektivität zuerkennen. Die vor diesem Hintergrund zu verstehende Völkerrechtssubjektivität beeinträchtigt nicht die Fähigkeit der Organisationen, den ihnen gestellten Aufgaben gerecht zu werden. Ihr Erfolg ist vielmehr in erster Linie davon abhängig, wie die (Griindungs-)Mitglieder den Griindungsvertrag ausgestalten. Sorgen sie für eine den Zielen angemessene Kompetenzausstattung, versetzen sie die betreffende Organisation in die Lage, effektiv tätig zu werden. Diese Effizienz wird die nicht an der Organisation mitwirkenden Staaten ermuntern, entweder um Aufnahme nachzusuchen oder die Organisation anzuerkennen, so daß rechtliche Kontakte geknüpft werden können. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, erweist sich die Forderung nach einer erga omnes wirkenden Völkerrechtssubjektivität nicht nur als rechtlich unhaltbar, sondern zudem als faktisch nicht erforderlich.

II. Völkerrechtliche Verantwortlichkeit internationaler Organisationen

Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit internationaler Organisationen ist eine zwingende Folge ihrer Völkerrechtssubjektivität Die Praxis der Organisationen hat keine eigenen Regeln über ihre völkerrechtliche Verantwortlichkeit hervorgebracht. Deshalb bildet das Völkergewohnheitsrecht über die Entstehung der Staatenverantwortlichkeit den Orientierungspunkt für die Frage, welchen Vorgaben die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Organisationen unterliegt. Die Bindung der Organisationen an die Regeln über die Staatenverantwortlichkeit ist unerläßlich, um einen rechtsfreien Raum zu verhindern. Das aus der Staatenpraxis entstandene Völkergewohnheitsrecht richtet sich zwar nur an die Staaten, aber es ist grundsätzlich analog auf die Organisationen anwendbar. Dies gilt auch für das Recht der Staatenverantwortlichkeit Die strukturellen Unterschiede zwischen Staaten und internationalen Organisationen vermögen daran nichts zu ändern. Den Organisationen können sowohl die Handlungen der mit internationalen Beamten besetzten Organe als auch die Handlungen der mit Vertretern der Mitglieder bestückten Organe zugerechnet werden. Im ersten Fall folgt das aus der (rechtlichen) Unabhängigkeit der Beamten, im zweiten Fall aus der Eigenart des Willensbildungsprozesses innerhalb des Organs, die verhindert, daß der Wille eines oder mehrerer Mitglieder mit dem Willen der jeweiligen Organisation identisch ist. Eine parallele Zurechnung an die Mitglieder

1. Kap.: Volkerrechtliche Verantwortlichkeit

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scheidet in beiden Fällen aus. Leihen die Organisationen sich bei einem anderen Völkerrechtssubjekt ein Organ aus, so müssen sie sich dessen Handlungen gleichfalls allein zurechnen lassen, sofern sie das ausgeliehene Organ kontrollieren. Einen Sonderfall bilden die ultra-vires Handlungen. Zu unterscheiden ist zwischen internen und externen ultra-vires Handlungen. Bei ersteren verstößt die Handlung zwar gegen das (interne) Organisationsrecht, verbleibt aber innerhalb der Verbandskompetenz der Organisationen. Sie müssen sich daher die internen ultra-vires Handlungen zurechnen lassen; ob daneben Raum für eine Zurechnung an die Mitglieder bleibt, ist im dritten Kapitel zu klären. Die Organisationen können sich gegenüber dritten Völkerrechtssubjekten nicht auf den Verstoß gegen das (interne) Organisationsrecht berufen, um ihrer völkerrechtlichen Verantwortlichkeit zu entgehen. Anders steht es nur, falls gegen eine für den Abschluß völkerrechtlicher Verträge maßgebliche Vorschrift verstoßen wurde, die von grundlegender Bedeutung ist, und der Verstoß für Dritte offenkundig war. Die externen ultra-vires Handlungen überschreiten die Verbandskompetenz der Organisationen im Außenverhältnis. Dennoch sind ihnen die externen ultra-vires Handlungen zuzurechnen, denn die Überschreitung der Verbandskompetenz ist in deren Festlegung immanent angelegt, so daß sich die Organisationen der Zuweisung derartiger Handlungen nicht entziehen können. Allerdings ist die Überschreitung des von den (Gründungs-)Mitgliedern gezogenen Handlungsradius ein trifftiger Grund, um über eine parallele Zurechnung an die Mitglieder nachzudenken; dies ist ein Gegenstand des dritten Kapitels. Die Zurechnung der externen ultra-vires Handlungen begründet die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Organisationen, falls eine derartige Handlung eine völkerrechtliche Pflicht bricht. Dies gilt selbst bei einem völkerrechtlichen Vertrag, der in Überschreitung der (ausdrücklichen oder stillschweigenden) Vertragsschlußkompetenzen abgeschlossen wurde, es sei denn, die Mißachtung der (stets grundlegenden) Vertragsschlußkompetenz war für dritte Völkerrechtssubjekte objektiv erkennbar. Der strukturelle Unterschied zwischen internationalen Organisationen und Staaten steht einer analogen Anwendung der local remedies rule auf die von den Organisationen begangenen Verstöße gegen völkerrechtliche Normen über die Behandlung fremder Staatsangehöriger gleichfalls nicht entgegen. Allerdings greift die local remedies rule nicht bei Staatsangehörigen von Nichtmitgliedern, die die Organisationen nicht anerkennen. Weiterhin setzt die analoge Anwendung dieser Regel voraus, daß die Organisationen mit Einwilligung des Territorialstaates auf seinem Hoheitsgebiet tätig geworden sind, weil die staatliche Hoheitsgewalt nur aufgrund dieser Einwilligung durch die Hoheitsgewalt der betreffenden Organisation verdrängt werden kann. Ungeachtet dessen greift das Erschöpfungsprinzip nur ein, wenn die betreffende Organisation über einen effektiven Rechtsbehelf verfügt. Ist dies nicht der Fall, so sind zwei Konstellationen zu unterscheiden. Schafft die betreffende Organisation

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

ad hoc einen Rechtsbehelf, so findet das Erschöpfungsprinzip keine Anwendung, es sei denn, der Territorialstaat stimmt der Schaffung eines solchen ad hoc Rechtsbehelfs zu. Diese Zustimmung bindet aber weder die (übrigen) Mitglieder noch die die Organisation anerkennenden Nichtmitglieder, so daß deren Staatsangehörige den ad hoc Rechtsbehelf nicht erschöpfen müssen. Hat die betreffende Organisation dagegen schon zuvor mit dem Territorialstaat vereinbart, sich seinen Rechtsbehelfen zu unterwerfen, so gilt diese Vereinbarung nicht nur für den Territorialstaat, sondern auch für die (übrigen) Mitglieder und die die Organisation anerkennenden Nichtmitglieder, denn hier erhält das Erschöpfungsprinzip keine neue Qualität; es wird ihnen also keine neue Pflicht auferlegt. Die Heimatstaaten internationaler Beamter dürfen dagegen keinen diplomatischen Schutz zugunsten der Beamten ausüben, sobald jene die ihnen innerhalb ihrer Organisationen offenstehenden Rechtsbehelfe erschöpft haben, weil das Rechtsverhältnis der Beamten zu den Organisationen für die Heimatstaaten unbeachtlich ist. Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit internationaler Organisationen ist untrennbar mit der ihnen zukommenden Völkerrechtssubjektivität verbunden. Keine Rechtsordnung kann aus Gründen des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit auf einen Mechanismus verzichten, der die Nichteinhaltung ihrer Regeln sanktioniert. Aus denselben Gründen ist es undenkbar, bestimmte Rechtssubjekte von diesem Mechanismus auszunehmen, soweit sie über Rechtsfähigkeit verfügen. Da aber die völkerrechtliche Rechtsfähigkeit internationaler Organisationen beschränkt ist, können sie sich grundsätzlich nur im Umfang dieser Rechtsfähigkeit völkerrechtlich verantwortlich machen. Die externen ultra-vires Handlungen stellen insoweit nur eine scheinbare Ausnahme dar, weil eine Freizeichnung der Organisationen von solchen Handlungen die Konnexität zwischen Kompetenzübertragung und -Überschreitung übersähe. Die Zurechenbarkeit externer ultra-vires Akte trägt zur Rechtssicherheit als einem wesentlichen Element jeder Rechtsordnung bei und sichert somit die Stellung der internationalen Organisationen als anerkennenswerte Mitglieder der Völkerrechtsordnung. Die Position internationaler Organisationen in diesem Rechtssystem wird im übrigen dadurch gestärkt, daß ihre strukturellen Eigenheiten, die sie im Vergleich zu den Staaten aufweisen, einer völkerrechtlichen Verantwortlichkeit nicht im Wege stehen. Unter Beachtung der zur Völkerrechtssubjektivität gemachten Ausführungen sind Staaten und internationale Organisationen insoweit vergleichbar.

2. Kap.: Indirekte völkerrechtliche Verantwortlichkeit

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2. Kapitel

Indirekte völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Mitglieder Die Untersuchung über die Entstehung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit internationaler Organisationen muß auch ihre Mitglieder einbeziehen, also der Frage nachgehen, ob die Mitglieder für völkerrechtliche Delikte ihrer Organisationen eine eigene Verantwortung trifft. Sofern eine solche Verantwortlichkeit der Mitglieder entstünde, könnte sie nur indirekter Natur sein, da es sich um die Verantwortlichkeit für ein anderes Völkerrechtssubjekt handelt. Die indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder wird im Schrifttum zumeist unter dem Stichwort "Haftung" behandelt 1. Dieser Begriff ist problematisch, da er auch im Zusammenhang mit anderen Sachverhalten verwendet wird. Insbesondere dient er bei der Erörterung, ob die Mitglieder für die Verbindlichkeiten ihrer Organisationen einzustehen haben, wobei der Begriff der Verbindlichkeiten vielschichtig ist. Teilweise sind nur Verbindlichkeiten nach nationalem Recht gemeint2 , teilweise werden alle Arten von Verbindlichkeiten, einschließlich solcher völkerrechtlichen Ursprungs, einbezogen, unabhängig davon, ob sie auf einem deliktischen Verhalten beruhen oder nicht3 . Angesichts der fehlenden Tiefenschärfe des Haftungsbegriffs wird hier von indirekter Verantwortlichkeit gesprochen, soweit es spezifisch um die Einstandspflicht der Mitglieder für das völkerrechtswidrige Verhalten ihrer Organisationen geht. Ungeachtet der Verschiedenheit von Haftung und indirekter Verantwortlichkeit sind beide nur denkbar, wenn die Völkerrechtssubjektivität der Organisationen dem Zugriff auf ihre Mitglieder nicht entgegensteht. Diese Frage gilt es zu beantworten, bevor die indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder selbst bestimmt wird. Allerdings ist vorweg zu unterscheiden, ob die jeweilige Organisation von dritten Völkerrechtssubjekten anerkannt worden ist. Da es im Völkerrecht an einer zentralen Rechtssetzungsgewalt fehlt, die die Rechtssubjektivität juristischer Personen für andere Rechtssubjekte verbindlich vorschreibt, kann die VölkerrechtssubjektiI Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten, 6 ff.; Seidl-Hohenveldern, 11 ÖZöR 1961, 497 ff.; Meng, 45 ZaöRV 1985, 324 ff.; v. Münch, Das völkerrechtliche Delikt, 250 ff., Wengler, Volkerrecht, Band li, Dritter Teil, 1295 ff. Die ILC verwendet den Ausdruck Verantwortlichkeit (responsibility) im Zusammenhang mit völkerrechtswidrigem Verhalten und den Begriff Haftung (liability) im Zusammenhang mit (gefahrgeneigtem) völkerrechtmäßigem Verhalten, vgl. dazu Alan E. Boyle, 39 ICLQ 1990, 1 ff.; Konrad Ginther; in: Festschrift für Kar! Zemanek, 335 ff.; N. L. J. T. Horbach, 4 Leiden JIL 1991, 47 ff. und Daniel B. Magraw, 80 AJIL 1986, 305 ff. 2 Carsten Thomas Ebenrothl Lambert Fuhrmann, JZ 1989, 211 ff.; Ulrich R. Haltern, 93 ZVglRWiss 1994,221 ff.; Wolfgang Müller; NJW 1991,2175 ff. 3 C. F. Amerasinghe, 85 AJIL 1991, 259 ff.; Higgins, 66 I AIDI 1995, 249 ff.; Matthias Herdegen, 47 ZaöRV 1987, 537 ff.; Gerhard Hoffmann, NJW 1988,585 ff.; Pernice, 26 AVR 1988, 406 ff.; Seidl-Hohenveldern, in: Festschrift für Hermann Mosler, 881 ff. ; Manfred Wenckstern, 61 RabelsZ 1997, 93 (94 f.).

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

vität einer Organisation den die Anerkennung versagenden Rechtssubjekten nicht entgegengehalten werden. Daher stellt sich die Frage, unter welchen Kautelen die Rechtspersönlichkeit einer Organisation umgangen werden darf, in diesem Fall gar nicht: Die die Organisation nicht anerkennenden Volkerrechtssubjekte dürfen die Mitglieder für die Volkerrechtsdelikte ihrer Organisation verantwortlich machen4 • Insofern handelt es sich gleichfalls um einen Fall indirekter Verantwortlichkeit, denn die Mitglieder werden für das Handeln eines anderen Rechtssubjekts verantwortlich gemacht. Dieses Handeln ist ihnen zurechenbar, weil sie die Organisation gegründet haben. Dagegen reicht der Gründungsakt gegenüber den die Organisation anerkennenden Volkerrechtssubjekten als Zurechnungskriterium nicht aus, weil dann die Volkerrechtssubjektivität insoweit funktionslos wäre5 .

A. "Durchlässigkeit" der Volkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen I. Bedeutung gründungsvertraglicher Haftungsbeschränkungen

Der Zusammenbruch des Zinnrates6 warf erstmals in verschärfter Form die Frage auf, ob Dritte die Volkerrechtssubjektivität einer internationalen Organisation negieren und auf ihre Mitglieder zurückgreifen können. Der Zinnrat war eine Rohstofforganisation7 , deren Aufgabe im wesentlichen darin bestand, den Preis für Zinn auf einem bestimmten Niveau zu halten 8 . Sitz der Organisation war London aufgrund der dort beheimateten Metallbörse (London Metal Exchange). Der für die Tagesgeschäfte der Organisation verantwortliche Manager hatte bei privaten Institutionen Kredite in Höhe von 900 Millionen Pfund aufgenommen, um den vom Zinnrat festgesetzten Zinnpreis über Ankäufe stabil zu halten9 . Nachdem der Manager an der Metallbörse offenbarte, daß die Organisation ihre Kredite nicht be4 Meng, 45 ZaöRV 1985, 326 f .; v. Münch, Das völkerrechtliche Delikt, 256 und 265; Seidl-Hohenveldem, 11 ÖZöR 1961, 502 f. ; ders., in: Etudes l'Honneur de Roberto Ago, Vol. III, 415 (422 f.); ders. I Loibl, Das Recht der internationalen Organisationen, 84, Rn. 0703. Siehe auch Ginther, 5 EPIL, 164. A.A. Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten, 42 f.; Higgins, 66 I AIDI 1995, 276, 386, Rn. 30 f.; Pernice, 26 AVR 1988, 417. Siehe auch Köckl Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, 592. 5 Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten, 285 f.; Herdegen, 47 ZaöRV 1987, 554. Siehe auch Louterpacht, 152 RdC IV 1976, 413. 6 Umfassend dazu Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten, 307 ff. 7 Allgemein zum Typus der Rohstofforganisationen Horst-Michael Pelikahn, Internationale Rohstoffabkommen, passim.

a

s Zur Wirkungsweise des Zinnrates siehe Eric J. McFadden, 80 AJIL 1986, 811 (815 ff.). Siehe auch Pierre Michel Eisemann, 21 AFDI 1985, 730 ff. 9 Zu den Einzelheiten siehe Eisemann, 21 AFDI 1985, 734 ff.; McFadden, 80 AJIL 1986, 823 ff., und Horst-Michael Pelikahn, 26 AVR 1988, 67 (74 ff.). Die internationalen Rohstoffmärkte sind nach wie vor durch Spekulationsgeschäfte geprägt, siehe "Zink, das Kind und die Spekulanten", FAZ v. 04. 09. 1997, S. 13.

2. Kap.: Indirekte völkerrechtliche Verantwortlichkeit

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dienen könne, wandten sich die Gläubiger an die Mitglieder des Zinnrates und forderten diese auf, für die Schulden aufzukommen. Diese lehnten das Ansinnen ab, worauf hin die Gläubiger die englischen Gerichte bemühten, um ihre Forderungen gegen die Mitglieder durchzusetzen 10. Im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzungen trugen die Kläger unter anderem vor, daß die Mitglieder für die (zivilrechtlichen) Verbindlichkeiten ihrer Organisationen ungeachtet deren Völkerrechtssubjektivität nach völkerrechtlichen Grundsätzen einzustehen hätten n . Als Beleg für diese These sahen sie insbesondere die Klauseln in den Gründungsverträgen von 16 internationalen Organisationen an, die die Haftung der Mitglieder auf ihre Einlageverpflichtungen beschränken bzw. klarstellen, daß die Mitglieder nicht für die von ihrer Organisation eingegangenen Verpflichtungen einzustehen haben 12. Nach Ansicht der Kläger machten solche Haftungsbeschränkungen nur Sinn, wenn andernfalls eine Haftung der Mitglieder eingreife. Da der Gründungsvertrag des Zinnrates die Haftung der Mitglieder nicht ausdrücklich beschränke, müßten sie für die (zivilrechtlichen) Verbindlichkeiten der Rohstofforganisation aufkommen 13 . Dieses Argument wies der Court of Appeal, Civil Division, zurück. Die von den Klägern angeführten Haftungsbeschränkungen könnten zwar auf eine völkerrechtliche Regel über die Haftung der Mitglieder für die (zivilrechtlichen) Verbindlichkeiten ihrer Organisationen deuten. Aber mindestens genauso gut sei vorstellbar, daß sie Unsicherheiten über den genauen Inhalt der völkerrechtlichen Normen in diesem Bereich beseitigen wollten sowie auf den Wunsch zurückgingen, die Funktion der eigenständigen Völkerrechtssubjektivität der Organisation für die (Nicht-)Haftung ihrer Mitglieder zu verdeutlichen 14. Das House of Lords bestätigte die Position des Court of Appeal, da die Kläger keinen plausiblen Beweis für die von ihnen behauptete völkerrechtliche Regel hätten vorlegen können15. Die englischen Richter sahen sich also in erster Linie wegen der Mehrdeutigkeit der Haftungsklauseln nicht in der Lage, dem von den Klägern aus diesen Klauseln 10 Zum Prozeßbeginn und -verlauf in der Eingangsinstanz P. Sands, 34 NILR 1987, 367 (373 ff.). II MacLaine Watson & Co. Ltd. v Department of Trade and Industry, 3 All ER 1988, 257 (351). 12 Eine Aufzählung der betreffenden Organisationen findet sich in 3 All ER 1988, 354. 13 3 All ER 1988, 354. 14 3 All ER 1988, Richter Gibson, 354 f.; so auch im Ergebnis Richter Kerr, 306, und Richter Nourse, 330. Der Richter der ersten Instanz, Staugthon J., sah sich anband der ihm vorgetragenen Argumente nicht im Stande, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob die Völkerrechtssubjektivität einer internationalen Organisation der Haftung ihrer Mitglieder entgegensteht, zitiert nach Sands, 34 NILR 1987, 385. Eisemann meint, daß die Völkerrechtssubjektivität des Zinnrates einen Rückgriff auf seine Mitglieder ausschlösse, 21 AFDI 1985, 745. 15 3 WLR 1989,969 (983) (Lord Templeman), (1014) (Lord Oliverof Aylmerton).

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

abgeleiteten völkerrechtlichen Grundsatz über die Haftung der Mitglieder zuzustimmen. Das wissenschaftliche Schrifttum stimmte dem Urteil des Court of Appeal überwiegend zu 16. Dagegen bestreitet Hartwig die Ambivalenz der Haftungsklauseln, wobei die von ihm gezogenen Schlüsse der klägerischen Stellungnahme im Zinnratsfall diametral widersprechen. Die von ihm untersuchten Griindungsverträge verschiedener internationaler Organisationen gehen ganz überwiegend von einer ausschließlichen Verantwortung der Organisationen aus und sehen keine (subsidiäre) Haftung der Mitglieder vor 17 • Nach Hartwig soll in dieser Vertragspraxis eine allgemeine Rechtsüberzeugung zum Ausdruck kommen, die auch im Außenverhältnis von Bedeutung sei 18 • Das erscheint bereits deshalb zweifelhaft, weil die von ihm herangezogenen Verträge nur eine Minderheit sind 19 ; die weitaus meisten Griindungsverträge enthalten keine Bestimmungen über die Aufteilung oder Beschränkung der Haftung20. Abgesehen davon entsprechen die griindungsvertraglichen Haftungsklauseln zwar dem verständlichen Interesse der Mitglieder einer Organisation, nicht für deren Verbindlichkeiten einstehen zu müssen. Dennoch kann daraus keine allgemeine Rechtsüberzeugung abgeleitet werden, denn umgekehrt wird jedem (völkerrechtsfähigen) Gläubiger einer Organisation daran gelegen sein, neben der Organisation auch die Mitglieder als weiteres Haftungssubjekt heranziehen zu können. Die von Hartwig untersuchte Vertragspraxis indiziert also keineswegs die von ihm postulierte opinio iuris21 • Daher kann an dieser Stelle festgehalten werden, daß die Haftungsbeschränkungen in den Griindungsverträgen internationaler Organisationen nichts über die "Durchlässigkeit" der Völkerrechtssubjektivität der Organisationen aussagen.

16 Higgins, 66 I AIDI 1995, 404, Rn. 75; Thilo Rensmann, 36 AVR 1998, 304 (339 f.). Nach Amerasinghe, Principles, 272; ders., 85 AJIL 1991, 272, lassen sich die Klauseln über Haftungsbeschränkungen sowohl in die eine als auch in die andere Richtung auslegen. Chimni, International Commodity Agreements: A Legal Study, 208, meint, die Analyse des Gründungsvertrages einer Organisation könne trotz fehlender Haftungsklausel eine beschränkte Haftung der Mitglieder ergeben. Wilhelm Kewenig, RIW 1990, 781 (782 f.), hält eine Auslegung der Haftungsklauseln im Sinne einer (dispositiven) Haftungsregel für verfehlt, da die Staaten vor dem Zusammenbruch des Zinnrates die Haftungsfrage schlicht nicht bedacht hätten. Auch lgnaz Seidl-Hohenveldern, 32 GYIL 1989, 43 (45) lehnt die Ableitung einer völkergewohnheitsrechtliehen Regel über die Haftung der Mitglieder aus den vorhandenen Haftungsklauseln ab und bekräftigt diese Haltung in seiner Besprechung der Arbeit von Hartwig, 35 AVR 1997, 244 (245). A.A. Wenckstern, 61 RabelsZ 1997, 1031108 f., demzufolge die Haftungsklauseln eine unbeschränkte, aber beschränkbare Haftpflicht der Mitglieder indizierten. 17 Die Haftung der Mitgliedstaaten, 146 ff., 194 ff. 18 Ebenda, 197. 19 Das räumt er an anderer Stelle seiner Arbeit selbst ein, a. a. 0., 147, 293. 20 Amerasinghe, Principles, 268; ders., 85 AJIL 1991, 273; Epping, in: Ipsen, § 31, Rn. 40; Haltern, 93 ZVglRWiss 1994, 245; Higgins, 66 I AIDI 1995, 271, 401, Rn. 69. 21 So im Ergebnis auch Hirsch, The Responsibility of International Organizations, 103.

2. Kap.: Indirekte völkerrechtliche Verantwortlichkeit

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II. Auswirkung der Beitragspflicht der Mitglieder

Geben die Haftungsbeschränkungen keinen Aufschluß, so doch möglicherweise die gleichfalls in den Gründungsverträgen verankerte Beitragspflicht der Mitglieder. Internationale Organisationen kennen verschiedene Einnahmequellen 22 , wobei die Beiträge ihrer Mitglieder die weitaus wichtigste Einnahmequelle darstellen 23 . Geht eine Organisation eine Verbindlichkeit ein, so hat sie diese aus ihren Mitteln zu begleichen. Da diese Mittel auf die Beiträge der Mitglieder zurückgehen, besteht zwischen den Verbindlichkeiten der Organisation und den Beiträgen der Mitglieder eine mittelbare Verbindung24 . Daraus ließe sich aber nur dann auf eine "Durchlässigkeit" der Völkerrechtssubjektivität der Organisation schließen, wenn die Gläubiger der Organisation von den Mitgliedern verlangen könnten, ihre ausstehenden Beiträge an die Organisation zu leisten. Ein solches Einforderungsrecht bejaht Hartwig. Er versteht die Beitragspflicht der Mitglieder nicht nur als inter parteswirkende Abmachung, sondern als Teil der "objektiven Ordnung", die eine internationale Organisation verkörpere; erst dieses Recht der Gläubiger versetze die Organisation in die Lage, ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen25 . Dieser Argumentation ist nicht zu folgen, denn sie beruht auf dem bereits verworfenen Konzept einer objektiven Volkerrechtssubjektivität26. Jeder Gründungsvertrag, der eine Beitragspflicht der Mitglieder statuiert, wäre danach zugleich ein Vertrag zugunsten Dritter. Eine Pflicht der Mitglieder stellt aber noch kein Recht Dritter dar27 ; eine solche Berechtigung bedarf vielmehr darüber hinausgehender Anzeichen. Im Vertragstext muß sich die Absicht der Vertragsparteien niederschlagen, den oder die Dritten zu begünstigen28 . Eine solche Position werden die Vertragsparteien im übrigen nur in Bezug auf konkrete Rechte einräumen wollen. Daran mangelt es beim Einforderungsrecht für Dritte schon deshalb, weil es jede zuDazu Henry G. Schermers, LJZ 1995, 74 ff. Schermers, LJZ 1995, 74; Seidl-Hohenveldem! Loibl, Das Recht der internationalen Organisationen, 265 f., Rn. 1801. 24 Die Mittelbarkeil wird noch dadurch erhöht, daß es regelmäßig eines Haushaltsbeschlusses seitens des zuständigen Organs der Organisation bedarf, um die Beiträge der Mitglieder auf die einzelnen Ausgabenposten zu verteilen. 25 Die Haftung der Mitgliedstaaten, 299 f.; ähnlich Hirsch, The Responsibility of International Organizations, 164 f., falls die dritte Partei in vertraglichen Rechten verletzt worden sei, und die Organisation die Entscheidung durch eine neutrale internationale Instanz ablehne. Da diese Haftung subsidiär und nicht gesamtschuldnerisch sein soll, Hartwig, a. a. 0., 304 f., stellt sich die Frage nach der praktischen Durchsetzbarkeil dieser Haftung. Wegen der durch eine subsidiäre, nicht gesamtschuldnerische Haftung der Mitglieder aufgeworfenen praktischen Vollzugsprobleme hält Schermers sie zur Lösung des Problems für ungeeignet, Henry G. Schermers, 23 LIEI 1996, 15 (20 f.). 26 Siehe oben 1. Kapitel, A. IV. 2. 27 So auch nachdriicklich Wenckstern, 61 RabelsZ 1997, 112; siehe auch Amerasinghe, Principles, 287 f. 28 Vgl. Art. 36 I WVK 1969. 22 23

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

künftige und damit noch gar nicht konkretisierte Forderung gegen die Organisation erfaßte. Eine solche Rechtsstellung der Gläubiger ergibt sich auch nicht aus ihrer Anerkennung der Organisation als Volkerrechtssubjekt, weil die Anerkennung kein wie auch immer geartetes Teilhaberecht begründet. Schließlich hieße es, Dritte besser zu stellen als Mitglieder, wollte man ihnen ein Einforderungsrecht einräumen. Denn ein solches Recht steht nicht einmal den Mitgliedern zu, da ihre Beitragspflicht allein gegenüber der Organisation besteht29 . Kommt ein Mitglied dieser Verpflichtung nicht nach, ist es Sache der Organisation, darauf zu reagieren 30. Allenfalls bei Untätigkeit der Organisation ließe sich an ein Reaktionsrecht einzelner Mitglieder denken, aber selbst das setzte voraus, daß sie durch die Nichtentrichtung der Beiträge anderer Mitglieder in eigenen Rechten beeinträchtigt wären. Demnach gibt die Beitragspflicht der Mitglieder genausowenig wie die Haftungsklauseln Aufschluß darüber, ob die Volkerrechtssubjektivität einer Organisation einen Durchgriff auf ihre Mitglieder zuläßt. 111. Allgemeiner Rechtsgrundsatz über den Rückgriff auf die Mitglieder juristischer Personen

Die Suche nach einem allgemeinen Rechtsgrundsatz über den Rückgriff auf die Mitglieder juristischer Personen bietet sich deshalb an, weil den nationalen Rechtsordnungen diese Problematik im Verhältnis zwischen Gesellschaften und ihren Gesellschaftern bekannt ist. Auch in diesem Verhältnis taucht die Frage auf, unter welchen Umständen die Gläubiger einer Gesellschaft auf die Gesellschafter zurückgreifen können, da die eigenständige Rechtspersönlichkeit der Gesellschaft in der Regel zu einer Haftungstrennung zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern führt31 . 1. Wesensverwandtschaft zwischen internationalen Organisationen und nationalen Gesellschaften

Soweit die nationalen Rechtsordnungen für das Haftungsverhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern Lösungsmodelle entwickelt haben, können diese 29 Wenckstem, 61 RabelsZ 1997, 112 f. Unklar Higgins, 66 I AIDI 1995, 285, 415, Rn. 112. 30 Zum Teil sehen die Gründungsverträge eine Sanktion für die Säumigkeit ihrer Mitglieder vor. So bestimmt Art. 19 S. 1 der VN-Charta, daß im Zahlungsverzug befindliche Mitglieder in der Generalversammlung kein Stimmrecht haben; dieser Stimmrechtsentzug tritt ex lege ein und bedarf keines gesonderten Beschlusses durch die Generalversammlung, Tomuschat, in: Kommentar zur UN-Charta, Art. 19, Rn. 13 ff. 31 Amerasinghe, Principles, 280; ders. , 85 AJIL 1991, 275 und 277; Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten, 119 f. Ablehnend Wenckstem, 61 RabelsZ 1997, 101, nach dem die Gesellschafterhaftung den Regelfall darstelle. Verneinend auch Haltern, 93 ZVglRWiss 1994, 249 f.; Hirsch, The Responsibility of International Organizations, 135; Müller, NJW 1991, 2176 f.

2. Kap.: Indirekte völkerrechtliche Verantwortlichkeit

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nur dann für die völkerrechtliche Fragestellung fruchtbar gemacht werden, falls nationale Gesellschaften und internationale Organisationen ausreichend vergleichbar sind. Dies wird zumeist nicht weiter problematisiert, sondern mehr oder weniger implizit vorausgesetzr3 2 • Demgegenüber meint Higgins, daß es auf nationaler Ebene keine Entsprechung zu internationalen Organisationen gäbe, da sie genuine Geschöpfe des Völkerrechts seien33 . Ihr Einwand kann nicht überzeugen, da es nicht um Identität im engen Sinne, sondern lediglich um Vergleichbarkeit geht. Gemessen an diesem Maßstab, bestehen genügend Ähnlichkeiten, um die nationalen Rechtsordnungen nach Gemeinsamkeiten zu befragen. Sowohl nationale Gesellschaften als auch internationale Organisationen werden durch vertragliche Absprachen zwischen bereits existierenden Rechtssubjekten gegründet und erhalten eine eigene Rechtspersönlichkeit Der Unterschied liegt darin, daß der Umfang der Rechtspersönlichkeit bei nationalen Gesellschaften durch die Rechtsordnung vorgegeben ist, während im Völkerrecht die Gründer selbst den Umfang der Rechtspersönlichkeit festlegen. Dieser Umstand tritt jedoch hinter den sonstigen Gemeinsamkeiten zurück. Allerdings wird darauf hingewiesen, daß internationale Organisationen öffentliche Zwecke verfolgten34 . Deshalb kämen allenfalls juristische Personen des öffentlichen Rechts als Bezugspunkt in Frage, bei denen es aber grundsätzlich keinen Durchgriff auf den Staat gebe35 . Der Hinweis auf die hoheitlichen Funktionen internationaler Organisationen ist zwar in der Sache zutreffend, spricht aber nicht gegen den angestellten Vergleich mit juristischen Personen des Privatrechts. Das Völkerrecht weist nämlich strukturell eine weit größere Verwandtschaft mit dem Privat- als mit dem öffentlichen Recht auf, da die Rechtssubjekte des Völkerrechts normativ gleichrangig sind und nicht in einem das öffentliche Recht überwiegend (noch) kennzeichnenden Über- und Unterordnungsverhältnis stehen36. Dieser normativen Gleichstufigkeil kommt größeres Gewicht zu als der hoheitlichen Aufgabenstellung internationaler Organisationen. 32 Seidl-Hohenveldern, 11 ÖZöR 1961, 506; ders., in: Festschrift für Hermann Mosler, 887. So auch Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten, 119 ff. 33 66 AIDI 1995, 287, 417, Rn. 115; in diesem Sinne auch Hirsch, The Responsibility of International Organizations, 134. Gegen eine Heranziehung des nationalen Gesellschaftsrechts auch der Generalanwalt Marco Darmon in seinen Schlußanträgen zur Rechtssache C241187 (Maclaine Watson), EuGHE 1990, 1797 (1821; Rn. 136); ablehnend auch J. Enno Harders, in: Handbuch Vereinte Nationen, 254, Rn. 29. 34 Meng, 45 ZaöRV 1985, 331; Henry G. Schermers, 1 Leiden JIL 1988, 3 (6). Siehe auch Pernice, 26 AVR 1988, 418. Dies gilt selbst für diejenigen Organisationen, die vornehmlich oder ausschließlich auf eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgerichtet sind, da es bei diesen Organisationen nicht allein um bloße Gewinnerzielung geht, sondern auch darum, öffentliche Belange zu fördern. So weisen bspw. die Rohstoffabkommen auch eine entwicklungspolitische Zielsetzung auf, Pelikahn, 26 AVR 1988, 86 ff. ; ders. Internationale Rohstoffabkomrnen, 41 ff. 35 Pernice, 26 AVR 1988, 418 f. 36 Albrecht Randelzhofer, 24 BDGV 1984, 35 (36).

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

2. Haftungsdurchgriff nach nationalem Gesellschaftsrecht Teilweise zieht man das nationale Gesellschaftsrecht für einen Umkehrschluß heran: Da das Völkerrecht keine Regeln kenne, die den gesetzlichen Haftungsbeschränkungen des nationalen Rechts für (Kapital-)Gesellschaften entsprächen, sei grundsätzlich von der Haftung der Mitglieder internationaler Organisationen auszugehen37. Dieser Umkehrschluß ist nicht tragfähig, da er die Haftung der Mitglieder als Regel voraussetzt, obwohl gerade dies erst zu belegen wäre; aus dem Fehlen eines Rechtssatzes kann nicht auf das Bestehen eines anderen geschlossen werden38 . Zumeist steht hinter dem Vergleich mit nationalen Gesellschaften die Überlegung, den Fallgruppen, in denen in den nationalen Rechtsordnungen ein Durchgriff auf die Gesellschafter einer Gesellschaft für zulässig erachtet wird, allgemeine Rechtsgrundsätze für das Völkerrecht zu entnehmen39 . Der IGH scheint dies im Fall Barcelona Traction, Light and Power Company Limited"0 für denkbar zu halten, wenn er ausführt: " .. . the process of ,Iifting the corporate veil' or ,disregarding the legal entity' has been found justified and equitable in certain circumstances or for certain purposes. The wealth of practice already accumulated on the subject in municipal law indicates that the veil is lifted, for instance, to prevent the misuse of the privileges of legal personality ... to protect third persons ... or to prevent the evasion of legal requirements or of obligations . ... In accordance with the principle expounded above, the process of Iifting the veil ... is equally admissible to play a similar roJe in internationallaw." 41

Nach Hartwig lassen die von ihm untersuchten Rechtsordnungen Deutschlands, Frankreichs und der USA jedenfalls bei Vermögensvermischung, Mißachtung der Formen, Formenmißbrauch und übermäßiger Kontrolle eine Aufhebung der - gesetzlich vorgesehenen - Trennung von Gesellschaft und Gesellschaftern zu und böten damit eine "Orientierung" für das Völkerrecht42 . Gegen diese Überlegungen läßt sich jedenfalls nicht ins Feld führen, daß es gar nicht darum gehe, einen all37 Meng, 45 ZaöRV 1985, 336; Schermers, 1 Leiden JIL 1988, 9, für vertragliche Verpflichtungen. Zustimmung bei Ebenroth/ Fuhrmann, JZ 1989, 211 (214). Ablehnend Shihata, 25 REgypDI 1969, 125; ihm beipflichtend Seidl-Hohenveldem, 32 GYIL 1989,47. 38 Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, 239 ff.; Haltern, 93 ZVglRWiss 1994,260 f. 39 Seidl-Hohenveldern, in: Festschrift für Hermann Mosler, 887 f.; vorsichtiger ders., 32 GYIL 1989, 45 f.; siehe auch Epping, in: Ipsen, § 31, Rn. 40. Zu oberflächlich insoweit Enno Harders, in: Handbuch Vereinte Nationen, 254 f., Rn. 29, und Pemice, 26 AVR 1988,424. 40 1970 ICJ Rep., 3 ff. 41 1970 ICJ Rep., 39, Rn. 56 f. Allerdings beschäftigt sich der IGH im folgenden nicht mit der Frage, unter welchen Umständen im Völkerrecht der Durchgriff auf die Gesellschafter einer juristischen Person zugunsten dritter Rechtssubjekte denkbar ist, sondern widmet sich vielmehr der Thematik, wann der "Körperschaftsschleier" einer juristischen Person zugunsten der Gesellschafter selbst gelüftet werden darf, a. a. 0 ., Rn. 58: " ... on the international plane also there may in principle be special circumstances which justify the Iifting of the veil in the interest of shareholders." 42 Die Haftung der Mitgliedstaaten, 144 f.

2. Kap.: Indirekte völkerrechtliche Verantwortlichkeit

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gemeinen Rechtsgrundsatz über den Haftungsdurchgriff zu finden, sondern um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, demzufolge die eigenständige Rechtspersönlichkeit a priori eine auf die juristische Person beschränkte Haftung bedeute43 • Denn dieser Ansatz übersieht, daß die Verleihung von Rechtspersönlichkeit grundsätzlich den Sinn hat, die Rechtssphären der juristischen Person und der hinter ihr stehenden Mitglieder voneinander zu trennen. Vor diesem Hintergrund müssen die nationalen Rechtsordnungen danach befragt werden, ob diese Trennung in Ausnahmefällen aufgehoben werden kann. Die vom IGH und von Hartwig genannten Fallgruppen können aber nicht unverändert in das Volkerrecht übernommen werden. Das hieße, die Methodologie, nach der allgemeine Rechtsgrundsätze im Volkerrecht gewonnen werden, zu mißachten. Die nationalen Rechtsordnungen sind zwar der Fundus, aus dem die allgemeinen Rechtsgrundsätze geschöpft werden. Dieser Prozeß vollzieht sich jedoch nicht in der Weise, daß einzelne nationale Rechtssätze in die Volkerrechtsordnung überführt werden. Vielmehr soll durch den Vergleich verschiedener nationaler Rechtsordnungen herausgefunden werden, ob ihnen ein übergreifender Rechtssatz gemeinsam ist44 • Läßt sich ein solch übergreifender gemeinsamer Rechtssatz finden, soll er als "allgemeiner Rechtsgrundsatz" auch im Volkerrecht zum Tragen kommen, nicht aber die ihm zugrundeliegenden einzelnen Fallgestaltungen. Das verkennen diejenigen Stimmen, die sich unter Hinweis auf die unterschiedlichen Regelungen des Gesellschaftsrechts in den nationalen Rechtsordnungen gegen eine Berücksichtigung derselben aussprechen45 . In welchen Situationen der allgemeine Rechtsgrundsatz im Volkerrecht Anwendung findet, wird durch das Volkerrecht selbst bestimmt. Dies belegt auch die Vorgeheusweise des IGH im Barcelona Traction Fall, indem er nach den besonderen Umständen auf der völkerrechtlichen Ebene fragt, die es zuließen, die Rechtspersönlichkeit juristischer Personen zu negieren46 • Die vom IGH und von Hartwig zitierten Fallgruppen sind daher nicht an sich - als solche - in das Volkerrecht zu übernehmen, sondern drücken einen allgemeinen Rechtsgrundsatz aus, dessen Gehalt sich mit den Worten des IGH wie folgt ausdrücken läßt: " ... the law has recognized that the independent existence of the legal entity cannot be treated as an absolute."47 So aber Haltern, 93 ZVglRWiss 1994,246 ff. Heintschel v. Heinegg, in: Ipsen, § 17, Rn. 3; Verdross!Simma, Universelles Volkerrecht, § § 602 ff. 45 So Higgins, 66 I AIDI 1995, 287, 417, Rn. 115; ihr folgend Rensmann, 36 AVR 1998, 340. So auch Meng, 45 ZaöRV 1985, 331, der im Widerspruch zu seiner eigenen Position doch von einem allgemeinen Rechtsgrundsatz, 333, bzw. von einem Grundsatz spricht, 340. Zu eng auch Amerasinghe, 85 AJIL 1991, 274. 46 ICJ Rep. 1970, 39, Rn. 58 f. 47 ICJ Rep. 1970, 39, Rn. 56. Dies verkennen Enno Harders, in: Handbuch Vereinte Nationen, 254, Rn. 28, und Pem ice, 26 AVR 1988, 425, wenn sie sich auf die eigenständige Vol43

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

Dieser allgemeine Rechtsgrundsatz ist nicht mit der von Meng behaupteten "Gerechtigkeitsvorstellung" gleichzusetzen, derzufolge sich niemand seiner Haftung gegenüber dritten Rechtssubjekten entziehen könne, indem er juristische Personen einschalte48 . In diesem Sinne hatte sich auch das (erste) Schiedsgericht im Fall Westland Helicopters Ltd. v. Arab Organization for Industrialization ausgesprochen. In seinem Schiedsspruch - der allerdings nur vorläufig war, da es allein um Zulässigkeitsfragen ging - führte das Schiedsgericht aus, daß es einem allgemeinen Rechtsprinzip entspräche, die Mitglieder einer internationalen Organisation für deren Verpflichtungen aufgrund wirtschaftlicher Tätigkeiten haftbar zu machen, es sei denn, sie hätten ihre Haftpflicht in einer für Dritte erkennbaren Weise ausgeschlossen49 . Die diesen Vorstellungen zugrundeliegende strikt akzessorische Haftung widerspricht dem zuvor herausgearbeiteten allgemeinen Rechtsgrundsatz. Danach steht die Rechtspersönlichkeit einer juristischen Person dem Rückgriff auf die hinter ihr stehenden Rechtssubjekte regelmäßig entgegen und erlaubt ihn nur ausnahmsweise50• Das bedeutet, daß die Völkerrechtssubjektivität einer Organisation eine indirekte Verantwortlichkeit ihrer Mitglieder nicht schlechthin entgegensteht51 . Damit ist aber noch nichts darüber gesagt, ob und kerrechtssubjektivität internationaler Organisationen berufen, um die Haftung ihrer Mitglieder auszuschließen. 48 45 ZaöRV 1985, 331 f.; siehe auch Ebenroth/Fuhrmann, JZ 1989, 216; Hoffmann, NJW 1988, 586, und Seidl-Hohenveldem, 11 ÖZöR 1961,502. Nach Wenckstern, 61 RabelsZ 1997, 108, gibt es einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, nach dem die Haftung der Mitglieder die Regel und die Haftungstrennung die Ausnahme sei; so auch Hirsch, The Responsibility of International Organizations, 136. Einschränkend Pemice, 26 AVR 1988, 418, der den Gesichtspunkt des Gläubigerschutzes allenfalls bei internationalen Organisationen mit wirtschaftlicher Zielsetzung anerkennen möchte. Ablehnend Haltern, 93 ZVglRWiss 1994, 258, demzufolge diese Gerechtigkeitsvorstellung eine Fürsorgepflicht der Mitglieder für die Gläubiger der Organisation voraussetze, die dem Volkerrecht fremd sei. 49 23 ILM 1984, 1071 (1084). Im daran anschließenden Schiedsverfahren, in dem es um die materiellen Fragen ging, erklärte das - nunmehr anders zusammengesetzte - Schiedsgericht, daß es keine völkerrechtliche Regel über die Haftung der Mitglieder internationaler Organisationen gebe, zitiert nach Higgins, 66 I AIDI 1995, 393, Rn. 49 f. Gegen eine solche Regel auch Philippe Cahier, in: Contemporary Problems in International Arbitration, 241 (244). 50 Siehe dazu Art. 5 der Resolution des Instituts für internationales Recht, The Legal Consequences for Member States of the Non-fulfilment by International Organizations of Their Obligations Toward Third Parties, 66 II AIDI 1996, 445 (449). 51 So im Ergebnis auch Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten, 296 ff.; Herdegen, 47 ZaöRV 1987, 553 f. ; ders. , 35 NILR 1988, 135 (140 ff.) ; Hirsch, The Responsibility of International Organizations, 136, 147; Seidl-Hohenveldern, 11 ÖZöR 1961, 505; ders. / Loibl, Das Recht der internationalen Organisationen, 85, Rn. 0709; vgl. auch Brownlie, Principles of Public International Law, 696: " ... when creating institutions states cannot always hide behind the organization when its acvtivities cause darnage to the interests of states or other organizations." Für eine unbegrenzte indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder Ginther, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit,176 ff. (für Organisationen mit Haftungssubjektivität); Meng, 45 ZaöRV 1985, 338 ff. ; Müller, Grundsätze, 88; Wengler, Volkerrecht, Band II, Dritter Teil, 1296 f.

2. Kap.: Indirekte völkerrechtliche Verantwortlichkeit

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inwieweit das Völkerrecht eine indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder tatsächlich kennt.

B. Indirekte Verantwortlichkeit als Element völkerrechtlicher Verantwortlichkeit I. Kontrolle als maßgebliches Kriterium

Die Frage nach indirekter völkerrechtlicher Verantwortlichkeit stellt sich nicht nur im Verhältnis zwischen internationalen Organisationen und ihren Mitgliedern, sondern auch in den Beziehungen zwischen Staaten. Die ILC nahm deshalb auf Vorschlag ihres BerichterstattersAgo einen Artikel 28 in den ersten Teil ihres Entwurfs zur Staatenverantwortlichkeit auf, der die (indirekte) Verantwortlichkeit eines Staates für völkerrechtswidrige Handlungen eines anderen Staates regelt52. Das entscheidende Kriterium für eine solche indirekte Verantwortlichkeit eines Staates ist nach dieser Vorschrift - abgesehen von dem Extremfall ausgeübten Zwangs53 - die Kontrolle, die dieser Staat über einen anderen Staat ausübt. Nach Ansicht der ILC führt diese Kontrolle allerdings nicht dazu, daß die die indirekte Verantwortlichkeit auslösenden Handlungen des kontrollierten Staates dem die Kontrolle ausübenden Staat zuzurechnen seien. Vielmehr handele es sich um einen Ausnahmefall, der es rechtfertige, den die Kontrolle ausübenden Staat für diese Handlungentrotz fehlender Zurechnung indirekt verantwortlich zu machen 54 . Im Ergebnis ist der ILC zwar zuzustimmen, aber ihrer Ansicht bezüglich der mangelnden Zurechenbarkeit kann nicht gefolgt werden. Denn Verantwortlichkeit kann nur entstehen, falls eine nach wertenden Gesichtspunkten zu bestimmende Verbindung zwischen dem völkerrechtswidrigen Akt und dem Träger der Verantwortlichkeit existiert. Ohne eine solche "Zurechenbarkeit" macht Verantwortung keinen Sinn. Die von einem Staat über einen anderen Staat ausgeübte Kontrolle bewirkt, daß die Handlungen des kontrollierten Staates dem die Kontrolle ausübenden Staat zuzurechnen sind, denn die Handlung geschieht nicht ohne die wie auch 52 Art. 28 lautet in seinem hier vornehmlich interessierenden Absatz eins: "An internationally wrongful act committed by a State in a field of activity in which that State is subject to the power of direction or control of another State entails the responsibility of that other State." GA, Off. Rec., 51 Sess., Suppt. 10 (Al 51 I 10), 121 ff. Die ILC sah davon ab, diese Vorschrift mit dem Terminus der indirekten Verantwortlichkeit zu überschreiben, weil dieser Begriff, obwohl überwiegend für die von Art. 28 erfaßten Fälle verwendet, zum Teil auch für andere Konstellationen benutzt werde, ILC-Kommentar zu Art. 28, 1979 III2 YBILC, 94 (106; Rn. 37). Ago hatte in seinem Bericht unterstrichen, daß der Begriff der indirekten Verantwortlichkeit allein auf die von Art. 28 erfaßten Situationen passe, 1979 II I I YBILC, 5, Rn. 3. Vgl. dazu auch J. H. W Verzijl, International Law in Historical Perspective, Part VI, 705 ff. 53 Dieser Fall ist in Art. 28 II geregelt. 54 19791112 YBILC, 94, Rn. 1 f., und 99, Rn. 17.

6 Pitschas

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

immer geartete Einflußnahme des letzteren. Es verhält sich so, als hätte er selber die Handlung vorgenommen. Diese Sicht wird durch die Ausführungen Agos gestützt, der sich zwar nicht ausdrücklich zur Frage der Zurechenbarkeit der völkerrechtswidrigen Handlung äußert, aber verdeutlicht, daß die Kontrolle die Entscheidungsfreiheit des kontrollierten Staates einschränkt55 . Eine derartige Einschränkung der Entscheidunsgsfreiheit spricht dafür, demjenigen die Entscheidung anzulasten, von dessen Entschluß sie tatsächlich abhing. In Anbetracht dessen erhebt sich die Frage, ob die völkerrechtswidrige Handlung zusätzlich noch dem kontrollierten Staat zugerechnet werden kann. Art. 28 des ILC-Entwurfs läßt dafür Raum, denn er sieht ausdrücklich vor, daß die Verantwortlichkeit des kontrollierten Staates unabhängig von der (indirekten) Verantwortlichkeit des die Kontrolle (oder den Zwang) ausübenden Staates nach den allgemeinen Regeln zu beurteilen sei56 . Die ILC begründet dies mit Fällen in der Staatenpraxis, in denen der kontrollierte Staat der Kontrolle hätte widerstehen können oder mehr getan habe, als von ihm verlangt worden sei. Eine Verantwortlichkeit des kontrollierten Staates scheide nur aus, falls er ausschließlich das getan habe, wozu er angehalten worden sei57 . Diese Begründung vermag nicht zu überzeugen, denn wenn der kontrollierte Staat mehr getan hat als von ihm verlangt worden war, ist er für diesen überschießenden Teil allein verantwortlich. Für eine indirekte Verantwortlichkeit verbleibt insofern kein Raum. Hätte sich der kontrollierte Staat der Kontrolle entziehen können, so handelt es sich in Wirklichkeit um einen Fall der Beihilfe nach Art. 2758 . Nur wenn die Kontrolle "unwiderstehlich" war und der kontrollierte Staat nicht mehr getan hat, als von ihm verlangt worden war, kann von einer indirekten Verantwortlichkeit die Rede sein. Wegen der "Unwiderstehlichkeit" und Vollständigkeit der Kontrolle scheidet dann allerdings eine fortbestehende Verantwortlichkeit des kontrollierten Staates aus59 . Es ist konsequent, letzteren von der Verantwortung freizustellen. Der ILC-Berichterstatter Ago kam nach Auswertung der einschlägigen Staatenpraxis zu einem den hiesigen Standpunkt bestätigenden Ergebnis: In allen einschlägigen Fällen sei es so gewesen, daß der die Kontrolle ausübende Staat anstelle und

1979 li/ 1 YBILC, 13, Rn. 17; 14, Rn. 18; 26, Rn. 45. Art. 28 III lautet: "Paragraphs I and 2 are without prejudice to the international responsibility, under the other articles of the present draft, of the State which has comrnitted the internationally wrongful act." 57 1979 11/2 YBILC, 104 f., Rn. 31. Für eine fortbestehende Verantwortlichkeit auch Henri Rolin, 77 II RdC 1950, 305 (446). ss Art. 27 lautet: "Aid or assistance by a State to another State, if it is established that it is rendered for the commission of an internationally wrongful act carried out by the latter, itself constitutes an internationally wrongful act, even if, taken alone, such aid or assistance would not constitute the breach of an international obligation." Siehe hierzu Eckart Klein, in: Festschrift für Hans-Jürgen Schlochauer, 425 ff. 59 Vgl. auch Hirsch, The Responsibility oflnternational Organizations, 83, 87. 55

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2. Kap.: Indirekte völkerrechtliche Verantwortlichkeit

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nicht etwa parallel zum kontrollierten Staat verantwortlich gemacht worden sei60. Ago zieht aus dieser Praxis den Schluß: "Logic and simple justice therefore require that the responsibility of the State whose organs acted in such conditions should be erased, and that the State for whose benefit the restriction in question was imposed should alone be required to answer in place of the State which engaged in the wrongful conduct."61

Ein weiterer Beleg für die ausschließliche Verantwortlichkeit des die Kontrolle ausübenden Staates ist die Regelung in Art. 9 des ILC-Entwurfs über die Organleihe. Nach dieser Bestimmung muß der Empfängerstaat für die von dem ausgeliehenen Organ ausgeführten Handlungen die Verantwortung übernehmen, sofern er das ausgeliehene Organ kontrollierte 62. Angesichts der Vergleichbarkeit der in Art. 9 und 28 geregelten Sachverhalte müßte man auch bei der Organleihe eine parallele Verantwortlichkeit desjenigen Völkerrechtssubjekts, das das Organ ausgeliehen hat, in Betracht ziehen. Eine solche parallele Verantwortlichkeit sieht Art. 9 aber nicht vor. II. Nichtübertragbarkeit des Kontrollkriteriums auf das Verhältnis zwischen internationalen Organisationen und ihren Mitgliedern

Im Gegensatz zu Art. 9, der auch die Organe internationaler Organisationen einbezieht, spart Art. 28 die Frage aus, ob ein Staat auch für andere Völkerrechtssubjekte als Staaten, insbesondere internationale Organisationen, indirekt verantwortlich gemacht werden kann. Ago wies in seinem Bericht darauf hin, daß die indirekte Verantwortlichkeit eines Staates für völkerrechtliche Delikte anderer Völkerrechtssubjekte als Staaten zwar vorstellbar, aber praktisch nicht relevant sei 63 . Die ILC hat sich diese Auffassung zu eigen gemacht64 . Abgesehen davon, daß diese Einschätzung aufgrund der zwischenzeitlich stark gewachsenen Bedeutung internationaler Organisationen nicht mehr zutrifft, läßt sich daraus noch nicht die Unfruchtbarkeit des Kontrollkriteriums für das Verhältnis zwischen internationalen Organisationen und ihren Mitgliedern ableiten. Zumindest findet sich die Aussage, daß die Mitglieder einer Organisation für deren Verbindlichkeiten hafteten, soweit sie die Organisation kontrollierten65 . Diese Theorie stützt sich auf einen Vergleich 197911/1 YBILC, 26, Rn. 45. 1979 II/ 1 YBILC, 26, Rn. 45 a.E. 62 Siehe dazu oben im 1. Kapitel, B. IV. 1. c). 63 Ago, 1979 II 11 YBILC, 5, Rn. 3. 64 ILC-Kommentar zu Art. 28, 197911/2 YBILC, 105, Rn. 32. 65 Herdegen, 47 ZaöRV 1987, 552 f.; ders. , 35 NILR 1988, 142; Romana Sadurska/ C. M. Chinkin, 30 Virginia JIL 1990, 845 (879 f .). Siehe auch Seidl-Hohenveldern, in: Etudes ä. l'Honneur de Roberto Ago, 420, und Perez Gonzalez, 92 RGDIP 1988,69. 6o

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6*

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I. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

zwischen internationalen Organisationen und Staatsunternehmen66 . Bei derartigen Unternehmen wird die durch den Staat über das Unternehmen ausgeübte Kontrolle als wesentlicher, wenn auch allein nicht hinreichender Grund für den Durchgriff auf den hinter dem Unternehmen stehenden Staat angesehen67 • Dieser Vergleich mag die Stimmigkeit des Kontrollkriteriums als Auslöser für die indirekte Verantwortlichkeit eines Staates für das völkerrechtswidrige Verhalten eines anderen Staates bestätigen. Dennoch ist dieses Kriterium ungeeignet, um die indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder einer internationalen Organisation zu begründen68 . Sowohl die dem Art. 28 des ILC-Entwurfs als auch die dem Durchgriff bei Staatsunternehmen zugrundeliegende Staatenpraxis zeichnet sich durch das beherrschende Verhalten eines Staates über einen anderen Staat oder ein Unternehmen aus. Daran zeigt sich, daß Kontrolle effektiv nur von einem Subjekt ausgeübt werden kann; eine Mehrheit an Subjekten ist dazu aufgrund ihrer unterschiedlichen Interessen nicht in der Lage69 . Im übrigen stünde die selbständige Völkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen samt ihrer grundsätzlichen Undurchlässigkeit gegenüber Zugriffen von dritter Seite auf die Mitglieder in Frage, falls ihre Mitglieder ihr Verhalten steuerten, da die Eigenständigkeit der Organisationen von der ungehinderten, d. h. unkontrollierten, Ausübung der den Organisationen eingeräumten Kompetenzen abhängt70.

66 Zur Stellung der Staatsunternehmen im Völkerrecht siehe Peter Fischer. 25 BDGV 1985, 7 ff. 67 Karl-Heinz Böckstiegel, in: Festschrift für lgnaz Seidi-Hohenveldern, 17 (30); Peter Bus/, RIW 1993, 189 (189); Mark M. Christopher. 25 Virginia JIL 1984/85,451 (454 ff.); Fischer. 25 BDGV 1985, 27; Bardia Khadjavi-Gontard!Rainer Hausmann, RIW 1980, 533 (540 ff.). Eine Differenzierung nach Fallgruppen versucht Böckstiege/, Der Durchgriff auf den Staat, 38 ff. 68 Auch Pernice, 26 AVR 1988, 420, hält die Kontrolle für ein ungeeignetes Kriterium, weil es sich insoweit um eine interne Willensbildung handele, die nicht nach außen trete; in diesem Sinne auch der GA Darmon, EuGHE I 990, 1822, Rn. 144. 69 So auch Amerasinghe, Princip1es, 285; ders., 85 AJIL 1991 , 278: "fictitious assumption of participation in decision making." . Higgins, 66 I AIDI 1995, 260 f., 388 f., Rn. 36 f., weist darauf hin, daß die Mitglieder nicht in allen Organen der Organisationen vertreten sind, weshalb das Verhalten der Mitglieder als "neutral" zu betrachten sei. Vgl. auch Riccardo Monaco, in: Festschrift für Walter Schätze!, 329 (331 f.). 70 Anders Hirsch, The Responsibility of International Organizations, 171, demzufolge die Kontrolle der Mitglieder über die Entscheidungsfindung ihrer Organisationen nichts an deren Selbständigkeit als Völkerrechtssubjekte ändere. Dennoch wendet auch er sich dagegen, diese Kontrolle als Anhaltspunkt für eine (in seinen Augen direkte) Verantwortlichkeit der Mitglieder anzusehen, weil dies "frequently Iead to the disregarding of the separate personality of numerous organizations" (Hervorhebung durch Verfasser); anders sei dies nur dann, wenn ein einzelnes Mitglied die Geschicke der Organisation lenke.

2. Kap.: Indirekte völkerrechtliche Verantwortlichkeit

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111. Indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder aufgrund sonstiger Umstände

Aus der Nichtübertragbarkeit des Kontrollkriteriums auf das Verhältnis zwischen internationalen Organisationen und ihren Mitgliedern kann zwar nicht zwingend geschlossen werden, daß das Völkerrecht eine indirekte völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Mitglieder nicht kennt. Prima facie spricht dieser Umstand jedoch gegen eine solche indirekte Verantwortlichkeit. Die im VN-Seerechtsübereinkommen vom 10. Dezember 1982 getroffene Verantwortlichkeitsaufteilung zwischen internationalen Organisationen und Mitgliedstaaten untermauert diesen Schluß. Anlage IX zur Seerechtskonvention regelt die Teilnahme internationaler Organisationen an der Konvention. Danach kann eine internationale Organisation Vertragspartei werden, falls ihre Mitgliedstaaten mehrheitlich die Konvention ratifiziert haben oder ihr beigetreten sind (Art. 3 1). Die Organisation ist in dem Umfang an die Konvention gebunden, in dem ihr ihre Mitgliedstaaten Kompetenzen auf den von der Konvention normierten Gebieten übertragen haben (Art. 4 II). Die einschlägigen Sachgebiete, für die die Organisation kompetent ist, müssen in einer Erklärung einzeln aufgeführt werden (Art. 5 1). Nach Art. 6 I obliegt die Verantwortlichkeit für die Nichterfüllung von und für sonstige Verstöße gegen Konventionsverpflichtungen den Vertragsparteien im Rahmen ihrer Kompetenzen. Das heißt, daß die Organisation selbst und allein verantwortlich ist, soweit ihre Kompetenzen für die durch die Konvention geregelten Bereiche reichen. Daß Art. 6 I eine alleinige Verantwortlichkeit im Auge hat, ergibt auch ein Vergleich mit Art. 4 III 2, wonach die Mitgliedstaaten keine Kompetenzen ausüben dürfen, die sie ihrer Organisation übertragen haben. Eine indirekte Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten kann auch nicht aus Art. 6 II hergeleitet werden. Zwar ist dort von einer gesamtschuldnerischen Haftung der Organisation und ihrer Mitgliedstaaten die Rede. Doch bezieht sich diese Anordnung nur auf den Fall, daß die Organisation und ihre Mitgliedstaaten einem anderen Vertragsstaat auf dessen Verlangen keine oder widersprüchliche Auskünfte über ihre Verantwortlichkeitssphären erteilt haben7 1. Die Einstandspflicht der Mitglieder für die vertragswidrigen Handlungen ihrer Organisationen, die in deren Kompetenzbereich fallen 72 , stellt danach nicht den Regelfall dar, sondern vielmehr die Ausnahme: Es ist eine Sanktion für die Nichtbefolgung einer Verhaltenspflicht und der daraus folgenden Benachteiligung einer anderen Vertragspartei 73 .

71 Damit wird die in Art. 5 V enthaltene Verpflichtung verstärkt, die Verteilung der für die Anwendung der Konvention erheblichen Kompetenzen auf Verlangen anderen Vertragsstaaten mitzuteilen. 72 Umgekehrt kann es nach Art. 6 li auch zu einer indirekten Verantwortlichkeit der Organisation für ihre Mitglieder kommen, falls das inkriminierte Verhalten in den Kompetenzbereich der Mitglieder fällt. 73 Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten, 183. Vgl. auch Meng, 45 ZaöRV 1985, 340, und Pernice, 26 AVR 1988,422.

1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

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Eine indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder statuiert schließlich auch Art. 139 III der VN-Seerechtskonvention nicht. Danach sind diejenigen Vertragsstaaten, die Mitglieder einer durch die Konvention gebundenen Organisation sind, verpflichtet, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um die Anwendung von Art. 139, der die Einhaltung der für die Meeresbodentätigkeiten maßgebenden Vorschriften betrifft, durch die Organisation sicherzustellen. Art. 139 III hält die Mitgliedstaaten dazu an, ihre Organisationen in die Lage zu versetzen, die für die Meeresbodentätigkeiten relevanten Pflichten zu erfüllen74. Erst wenn die Mitglieder ihrer Verpflichtung nach Art. 139 III entsprochen haben, vermag eine Organisation überhaupt, den Pflichten bezüglich des Meeresbodens nachzukommen oder dagegen zu verstoßen. Für einen solchen Verstoß trägt sie dann gern. Art. 139 li S. 1, HS. 1 die alleinige Verantwortlichkeit. Soweit Art. 139 li S. 1, HS. 2 von einer gesamtschuldnerischen Haftung von Vertragsstaaten und internationalen Organisationen spricht, bezieht sich das nur auf gemeinsame Aktivitäten von Staaten und Organisationen. Ungeachtet der in der VN-Seerechtskonvention enthaltenen Regelung werden als denkbare Fälle indirekter Verantwortlichkeit im Schrifttum insbesondere zwei Situationen hervorgehoben: die nicht ausreichende Finanzausstattung einer Organisation75 und ihre apriorivölkerrechtswidrige Zwecksetzung76. Diese Fallgruppen müssen bei der Betrachtung jedoch außen vorbleiben, da es bei ihnen nicht um eine "Einstandspflicht" für fremdes, sondern für eigenes Verhalten geht. Sie begrunden also keine indirekte, sondern eine direkte völkerrechtliche Verantwortlichkeit77 . Statt dessen verdienen diejenigen Handlungen verstärktes Augenmerk, die entweder ein erhöhtes GefahrenpotentiaC8 aufweisen oder ultra-vires erfolgen. Wahrend bei ersteren die in diesem Zusammenhang diskutierte Gefährdungshaftung eine indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder erwägenswert macht, ist es bei letzteren die Überschreitung der von den Mitgliedern übertragenen internen und externen Kompetenzen 79 •

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Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten, 183. Meng, 45 ZaöRV 1985, 338 f. Herdegen, 35 NILR 1988, 141 f.

77 Pemice, 26 AVR 1988, 419 f. Siehe auch Hirsch, The Responsibility of International Organizations, 169 ff. 78 Gemeint sind damit die sog. ultra-hazardous activities, die im folgenden als gefahrgeneigte Tätigkeiten bezeichnet werden. 79 Siehe Ginther, 5 EPIL, 165. Chimni, International Commodity Agreements: A Legal Study, 210 f., hält eine Haftung der Mitgliedstaaten des Zinnrates aufgrund des ultra-vires Charakters seiner Handlungen für übedegenswert Meng, 45 ZaöRV 1985, 342, meint, die Mitgliedstaaten einer Organisation seien für deren ultra-vires Handlungen direkt verantwortlich, da sie durch ihren Einfluß auf die Willensbildung der Organisation geeignete Vorkehrungen gegen die Kompetenzüberschreitung hätten ergreifen können. Dem kann nicht gefolgt werden, da von einer Kontrolle der Organisation durch ihre Mitglieder nicht die Rede sein kann; siehe oben II.

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1. Gefahrgeneigte Tcitigkeiten Im Bereich der gefahrgeneigten Tätigkeiten ordnet Art. XXII (3) des Weltraumhaftungsübereinkommens80 eine gesamtschuldnerische Verantwortung internationaler Organisationen und ihrer Mitglieder an. Allerdings prägen folgende Besonderheiten diese Gesamtschuld: Der Schadensersatzanspruch ist zuerst gegenüber der Organisation geltend zu machen, und nur wenn die Organisation die vereinbarte oder festgesetzte Schadenssumme nicht innerhalb von sechs Monaten gezahlt hat, kann der Anspruchsteller gegen die Mitglieder vorgehen; des weiteren können nur die Mitglieder in Anspruch genommen werden, die zugleich Parteien des Übereinkommens sind81 . Aus diesen Besonderheiten liest Hartwig heraus, daß Art. XXII (3) in Wirklichkeit keinen Durchgiff auf die Mitglieder wegen ihrer Mitgliedschaft in der betreffenden Organisation kodifiziere, sondern vielmehr eine bloße Garantenstellung der Mitglieder begründe82. Dem kann nicht zugestimmt werden. Zwar ist zuzugeben, daß es der Natur der Gesamtschuld mehr entspräche, dem Gläubiger die Auswahl seines Schuldners zu überlassen. Doch liegt Art. XXII (3) die von der eigentlichen Situation der Gesamtschuld gerade abweichende Vorstellung zugrunde, daß der Schaden durch die Organisation allein und nicht im Zusammenwirken mit den Mitgliedern verursacht worden ist. Dies erklärt den Wunsch, in erster Linie die Organisation für den Ersatz des von ihr verursachten Schadens heranzuziehen. Daß die Mitglieder nur nachrangig zur Verantwortung so Vgl. dazu allgemein Olivier Deleau, 17 AFDI 1971, 876 ff.; W F. Foster, 10 CanYIL 1972, 137 ff. 81 Teilweise wird bezweifelt, daß diese Vorschrift eine (echte) gesamtschuldnerische Haftung der Mitgliedstaaten untereinander festlegt: Der Wortlaut erlaube die Annahme, daß die betreffende Organisation auf der einen Seite und die Mitglieder en bloc auf der anderen Seite gesamtschuldnerisch haften sollen, Christian Patermann, in: Proceedings of the Fifteenth Colloquium on the Law of Outer Space, International Institute of Space Law of the International Astronautical Federation 1973, 118 (121 f.). Der für diese Auffassung herangezogene Zusammenhang mit Art. V (1) des Vertrages sprichtjedoch vielmehr für eine echte Gesamtschuld. Soweit dort von Gesamtschuld die Rede ist, ist damit die Berechtigung des geschädigten Staates gemeint, den gesamten Schadensersatz von einzelnen oder allen der gesamtschuldnerisch haftenden Startstaaten fordern zu können (Art. V (2)). Da Art. XXII (3) keine von Art. V (2) abweichende Regelung enthält, spricht alles dafür, den Begriff der Gesamtschuld hier wie dort gleichermaßen zu verstehen, siehe Zdzislaw Galicki, 5 PolYIL 1972173, 199 (207). Hätte der Begriff der Gesamtschuld in Art. XXII (3) einen anderen Inhalt haben sollen, hätte es nahegelegen, dies ausdrücklich klarzustellen. Vgl. Gerald F. Fitzgerald, 3 CanYIL 1965, 265 (273 ff.) zu den verschiedenen Vorschlägen während der Ausarbeitung des Weltraumhaftungsübereinkommens, wie die Haftung zwischen Organisation und Mitgliedstaaten aufgeteilt werden könnte. 82 Die Haftung der Mitgliedstaaten, 176 f. Hartwig meint weiterhin, daß die "Garantenstellung" der Mitglieder gar nicht an deren Mitgliedschaft anknüpfe, sondern aus einem anderen Rechtsgrund, nämlich dem Weltraumhaftungsübereinkommen selbst, herrühre, a. a. 0 ., 177. Dieses Argument vermag nicht zu überzeugen, denn eine gesamtschuldnerische Verantwortung müssen nur diejenigen Staaten des Übereinkommens übernehmen, die Mitglieder der betreffenden Organisation sind; die Mitgliedschaft bleibt also ungeachtet des vertraglichen Ursprungs der Gesamtschuld der entscheidende Gesichtspunkt.

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gezogen werden können sollen, ist kein entscheidendes Argument gegen den Durchgriffscharakter dieser Verantwortung; entscheidend ist vielmehr die Verantwortung der Mitglieder an sich83 . Die über diese Modifikation noch hinausgehende Beschränkung der Gesamtschuld auf diejenigen Mitglieder, die zugleich Vertragsparteien des Weltraumhaftungsübereinkommens sind, folgt aus dem Verbot, Dritten durch einen Vertrag Pflichten aufzuerlegen. Dieses Verbot erhält im hiesigen Kontext um so mehr Gewicht, als das Übereinkommen in Art. II eine Gefährdungshaftung für Schäden an der Erdoberfläche oder an Luftfahrzeugen im Flug normiert84. Das Konzept der Gefährdungshaftung war zum Zeitpunkt, als das Übereinkommen ausgearbeitet wurde, jedenfalls im Völkerrecht neuartig und konnte mitnichten als Gewohnheitsrecht angesehen werden 85 . Grund für diese Gefährdungshaftung ist das trotz grundsätzlicher Beherrschbarkeit der Weltraumaktivitäten nicht mit letzter Gewißheit auszuschließende Risiko eines Schadenseintritts für Dritte86 . Das den Weltraumtätigkeiten inherente (Rest-)Risiko wird gleichfalls herangezogen, um die Verankerung einer gesamtschuldnerischen Verantwortung von Organisationen und Mitgliedern im Weltraumhaftungsübereinkommen zu erklären 87 . Siehe auch Hirsch, The Responsibility of International Organizations, I 0 I f. Eingehend dazu Raimund Harndt, Volkerrechtliche Haftung, 529 (566 f.). 85 Soweit bereits Art. VII des Weltraumvertrages (BGBI. 1969 II, S. 1969) als Tatbestand einer völkerrechtlichen Gefährdungshaftung betrachtet wird, ist dem zu widersprechen. Harndts Exegese der Entstehungsgeschichte belegt, daß der Weltraumvertrag die Verantwortlichkeitsebene nur im Grundsatz kodifzieren, die Einzelheiten aber einem speziellen Vertrag, dem Weltraumhaftungsübereinkommen, überlassen wollte, Volkerrechtliche Haftung, 513 ff., 520; so auch Randelzhofer, 24 BDGV 1984, 53; gegen ein Verständnis von Art. VII als Tatbestand der Gefährdungshaftung unter Hinweis auf den Wortlaut auch Karl-Heinz Böckstiegel, in: Proceedings of the Nineteenth Colloquium on the Law of Outer Space, International Institute of Space Law of the International Astronautical Federation 1977, 234 (238). Weiterhin ist es zweifelhaft, ob Art. VI (3) des Weltraumvertrages eine indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder für internationale Organisationen bezweckt, so bspw. Kay Hailbronner, 30 ZaöRV 1970, 125 (131 f.). Die eigentliche Verantwortlichkeitsnorm findet sich in Art. VII, da dort von der völkerrechtlichen Haftung für Schäden die Rede ist; Art. VII bezieht sich aber nur auf Staaten und nicht auf internationale Organisationen. Soweit Art. VI 1 von Verantwortlichkeit spricht, ist damit die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen gemeint, wie sich aus der Bezugnahme auf staatliche und nichtstaatliche Stellen ablesen läßt. Wenn Satz drei einer gemeinsamen Verantwortlichkeit internationaler Organisationen und derjenigen Mitglieder, die Parteien des Weltraumvertrages sind, für die Befolgung des Vertrages das Wort redet, so soll damit in Übereinstimmung mit Satz eins zum Ausdruck kommen, daß beiden die Pflicht obliegt, den Bedingungen des Weltraumvertrages zu genügen. Im übrigen wäre nicht erklärlich, wieso bei den Verhandlungen über das Weltraumhaftungsübereinkommen so lange über die Haftungsfähigkeit internationaler Organisationen gerungen wurde, siehe dazu Galicki, 5 PolYIL 1972173, 199 ff.; Fitzgerald, 3 CanYIL 1965, 265 ff. 86 Hamdt, Volkerrechtliche Haftung, 538 ff., 554, 567; Randelzhofer, 24 BDGV 1984, 58 f.; der dritte Absatz der Präambel spricht diesen Gedanken an. Das Risiko von Schäden durch Weltraumaktivitäten ist in jüngster Zeit durch die starke Zunahme sogenannten "Weltraummülls" erheblich gestiegen, siehe "Immer mehr Müll im Weltraum", FAZ v. 26. 03. 1997, S.N2. 83

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2. Kap.: Indirekte völkerrechtliche Verantwortlichkeit

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Diese Argumentation übersieht den Zusammenhang zwischen dem Risikokapital der Weltraumaktivitäten und der durch das Übereinkommen eingeführten Gefährdungshaftung: Erst die Strenge der Gefährdungshaftung läßt es angezeigt erscheinen, denjenigen Mitgliedern, die durch das Übereinkommen gebunden sind, eine wenn auch subsidiäre indirekte Verantwortlichkeit aufzubürden. Die vertragliche Vereinbarung dieser indirekten Verantwortlichkeit vollzieht demnach die Erkenntnis über den Charakter der Gefährdungshaftung. Angesichts der Regelung in Art. XXII (3) des Weltraumhaftungsübereinkommens ist zu überlegen, ob die indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder immer dann eintritt, wenn ihre Organisationen risikobehaftete Tätigkeiten ausüben, und das Völkerrecht daran eine Gefährdungshaftung knüpft. De lege lata stößt diese Überlegung auf Hindernisse: Zum einen gibt es abgesehen von Art. XXII (3) des Weltraumhaftungsübereinkommens keine sonstige vertragliche Regelung, die eine indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder für die gefahrgeneigten Tätigkeiten ihrer Organisationen begründet. Das hängt insbesondere damit zusammen, daß das Weltraumhaftungsübereinkommen der einzige multilaterale Vertrag ist, der eine Gefährdungshaftung festlegt 88 . Sonstige multilaterale Verträge, die eine Gefährdungshaftung festlegen, vor allem für die zivile Nutzung der Nuklearenergie, etablieren keine genuine völkerrechtliche Verantwortlichkeit, sondern vielmehr nur eine zivilrechtliche Verantwortlichkeit des jeweiligen Betreibers89 . Zum anderen hat sich die Gefährdungshaftung noch nicht als universelles Völkergewohnheitsrecht durchsetzen können90. Auch im Bereich des Umweltvölkerrechts, für den die Gefährdungshaftung vor allem diskutiert wird91 - insbesondere von der ILC im Rahmen ihrer Kodifikationsbemühungen92 - , hat sich noch kein diesbezügliches Gewohnheitsrecht herausgebildet93 . Selbst als allgemeiner Rechts87 Herdegen, 47 ZaöRV 1987, 554. Siehe auch Adrian Bueckling, NJW 1969, 953 (957); ders., 21 ZLW 1972, 213 (219). 88 Art. 22 III des Genfer Übereinkommens über die Hohe See (BOB!. 1972 II, S. 1091) bzw. Art. llO III VN-Seerechtsübereinkommen ist entgegen manchen Stimmen kein Tatbestand einer völkerrechtlichen Gefährdungshaftung, sondern statuiert einen Aufopferungstatbestand, Harndt, Volkerrechtliche Haftung, 780 ff., 786, 805 ff., 839. 89 Rande/zhofer, 24 BDGV 1984, 50 ff.; Walter Rudolf, in: Festschrift für Otto Mühl zum 70. Geburtstag, 535 (538). 90 Eduardo Jimenez de Arechaga, International Law in the Past Third of a Century, 159 I RdC 1978, I (273); Dupuy, La Responsabilire Internationale Des Etats Pour Les Dommages D'Origine Technologique Et Industrielle, 210; Harndt, VO!kerrechtliche Haftung, 588 ff., 594, 848, 861; Rande/zhofe r, 24 BDGV 1984, 65 f.; Rudolf, in: Festschriffür Otto Müh1, 544. A.A. C. Wilfred Jenks, 117 I RdC 1966,99 (176 ff.); lohn M. Kelson, 13 Harvard ILJ 1972, 197 (233). 91 SieheAltan Rosas, 60 Nordic JIL 1991, 29 ff. 92 Siehe Horbach, 4 Leiden JIL 1991,61 ff. 93 Harndt, Volkerrechtliche Haftung, 324 ff., 480 ff., 510 f. ; Heintschel v. Heinegg, in: Ipsen, § 58, Rn. 47; Christine Langenfeld, NUR 1994, 338 (343). Zurückhaltend auch Rosas, 60 Nordic JIL 1991, 31.

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

grundsatz ist die Gefährdungshaftung nicht nachweisbar94. Kann die Gefährdungshaftung für gefahrgeneigte Tätigkeiten aber nicht einmal als solche im Kanon der Volkerrechtsquellen verortet werden, kommt eine indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder für ihre Organisationen noch viel weniger in Betracht. De lege ferenda ist jedoch überlegenswert, ob den Mitgliedern einer Organisation immer dann, wenn das Volkerrecht eine Gefährdungshaftung etabliert, der auch die betreffende Organisation unterliegt, eine indirekte Verantwortlichkeit aufzuerlegen ist. Dem durch die Unbedingtheit der Gefährdungshaftung hervorgerufenen Bedürfnis, einen solventen Haftungsträger zu haben, werden internationale Organisationen aufgrund ihrer in der Regel fremdgesteuerten Finanzierung95 nicht ohne weiteres gerecht. Gegen diese Überlegung läßt sich anführen, daß der ausreichenden Finanzausstattung einer Organisation zumindest bei denjenigen gefahrgeneigten Tätigkeiten, für die eine Gefährdungshaftung bestünde, gesteigertes Augenmerk geschenkt werden dürfte, unabhängig davon, auf welchen Gründen die Gefährdungshaftung im einzelnen beruht96 . Ob sich jedoch auch eine Pflicht der Mitglieder nachweisen läßt, ihre Organisation mit den für das entsprechende Tätigkeitsfeld adäquaten Finanzmitteln auszustatten, ist fraglich 97 . Selbst wenn man eine solche Pflicht annähme, bliebe die Schwierigkeit zu bestimmen, welche finanzielle Ausstattung im Hinblick auf die ausgeübte Aktivität als ausreichend anzusehen ist98 . Angesichts dieser Unsicherheiten erscheint die indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder eine angemessene Antwort auf die durch ihre Organisation ausgeführten risikobehafteten Tätigkeiten zu sein, für die eine Gefährdungshaftung existiert. Art. XXII (3) des Weltraumhaftungsübereinkommens zeigt den Weg, wie die indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder ausgestaltet werden kann.

2. Ultra-vires Handlungen Bei internationalen Organisationen sind zwei Kategorien von ultra-vires Handlungen zu unterscheiden: einerseits die internen ultra-vires Handlungen, andererseits die externen ultra-vires Handlungen99 . Eine Handlung kann jedoch nur unter Berücksichtigung der implied powers als ultra-vires eingeordnet werden, da die 94 Hamdt, Volkerrechtliche Haftung, 301 ff. ; Heintschel v. Heinegg, in: Ipsen, § 58, Rn. 47; Langenfeld, NUR 1994, 344; siehe auch Rudolf, in: Festschrift für Otto Mühl, 544. 95 Dazu Schermers, LJZ 1995, 74 ff. 96

57 ff.

Vgl. dazu Hamdt, Volkerrechtliche Haftung, 588 ff., und Randelzhofer, 24 BDGV 1984,

97 Eine solche Verpflichtung nimmt - ohne weitere Begründung - Meng an, 45 ZaöRV 1985, 336. 98 Darauf weist auch Herdegen hin, 47 ZaöRV 1987, 553. 99 Zur Unterscheidung zwischen internen und externen ultra-vires Handlungen siehe oben 1. Kapitel, B. IV. 2.

2. Kap.: Indirekte völkerrechtliche Verantwortlichkeit

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stillschweigenden Befugnisse die ausdrücklichen Kompetenzen ergänzen 100. Nicht nur externe, sondern auch interne ultra-vires Handlungen können völkerrechtliche Verpflichtungen einer Organisation gegenüber anderen Volkerrechtssubjekten verletzen, da der Widerspruch zum internen Organisationsrecht nicht bedeutet, daß die Handlung tatsächlich und rechtlich auf diesen internen Bereich beschränkt ist. Allerdings sagt der ultra-vires Charakter einer Handlung noch nichts über ihre Völkerrechtswidrigkeit im Verhältnis zu dritten Völkerrechtssubjekten aus, weil sich dies allein danach beurteilt, ob neben dem Organisationsrecht zugleich gegen eine völkerrechtliche Verpflichtung verstoßen wurde. Obwohl beide Formen von ultravires Handlungen potentiell gegen die Volkerrechtsordnung verstoßen können, sind sie für die hier zu entscheidende Frage zu trennen. a) Interne ultra-vires Handlungen Die Beeinträchtigung der Rechtspositionen von Nichtmitgliedern aufgrund einer internen ultra-vires Handlung begründet keine indirekte Verantwortlichkeit der Organisationsmitglieder, weil die Mißachtung des Gründungsvertrages bzw. des sonstigen Organisationsrechts hier den Binnenrechtskreis der Organisation betrifft und somit eine rein interne Angelegenheit darstellt 101 . Desweiteren ist der interne ultra-vires Charakter der Handlung für die Frage, ob die Organisation sie im Verhältnis zum verletzten Volkerrechtssubjekt vornehmen durfte, unbeachtlich, da es insoweit allein auf ihre Verbandskompetenz ankommt. Die Mißachtung der Organkompetenzen berührt die Verbandskompetenz nicht und ist kein ausreichender Grund, die Organisationsmitglieder indirekt verantwortlich zu machen 102. Eine möglicherweise vorhandene Erwartung des betroffenen Volkerrechtssubjekts, die Organisation werde ihr internes Recht beachten, verdient keinen Schutz, denn das hieße, Nichtmitglieder auf eine Stufe mit den Mitgliedern zu stellen 103 . Doch selbst wenn Zum Begriff der implied powers und ihrer Herleitung siehe oben 1. Kapitel, A. III. Nur wenn sich die interne ultra-vires Handlung auf den Abschluß eines Vertrages bezieht, kann der Verstoß gegen das (interne) Organisationsrecht unter den in Art. 46 II WVK 1986 normierten engen Voraussetzungen Außenwirkung erzeugen; siehe oben 1. Kapitel, B. IV. 2. a) a.E. Für die indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder kann daraus allerdings schon deshalb nichts hergeleitet werden, weil die engen Voraussetzungen des Art. 46 li WVK 1986 zur Ungültigkeit des Vertrages führen, so daß sich die Frage der Verantwortlichkeit, sei es der Organisation, sei es der Mitglieder, gar nicht stellt. Sind die engen Voraussetzungen des Art. 46 II WVK nicht erfüllt, bleibt es bei der Gültigkeit des Vertrages und damit, im Einklang mit Art. 27 II WVK 1986, bei der Unbeachtlichkeit des (internen) Organisationsrechts-und somit auch der internen ultra-vires Handlungen- für den oder die dritten Vertragspartner. 102 So im Ergebnis auch Higgins, 66 I AIDI 1995, 278, 407 f., Rn. 85. 103 Dafür lassen sich auch die Art. 27 II, 46 II WVK 1986 heranziehen. Wenn es danach grundsätzlich ausgeschlossen ist, daß sich eine Organisation im Rahmen der von ihr geschlossenen völkerrechtlichen Verträge auf ihr internes Recht beruft, muß - arg. e contrario - angenommen werden, daß sich Dritte in diesem Zusammenhang gleichfalls nicht auf das interne Recht der Organisation beziehen dürfen. 100 101

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man eine diesbezügliche Erwartung dritter Völkerrechtssubjekte als beachtlich ansähe, folgte daraus keine indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder, denn die Erwartung könnte sich nur auf die Einhaltung des internen Organisationsrechts beziehen, nicht aber darauf, die fragliche Maßnahme gänzlich zu unterlassen. Zweifel könnten immerhin entstehen, falls die völkerrechtswidrige interne ultravires Maßnahme einer Organisation ein Mitglied im Außenverhältnis betrifft 104. Man könnte insoweit argumentieren, daß die Überschreitung der Organkompetenzen gegenüber einem Mitglied aufgrund seines Mitgliedsstatus kein unbeachtliches Internum sei. Diese Argumentation verkennt, daß die Mitglieder im Außenverhältnis ihrer Organisation wie dritte, die Organisation anerkennende Völkerrechtssubjekte gegenübertreten 105 . Zwar sind die Mitglieder auch im Außenverhältnis an den Gründungsvertrag gebunden, aber diese Bindung spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Es geht allein um die Frage, ob die Organisation nach außen zur Vornahme der fraglichen Maßnahme berechtigt ist. Unterliegt diese Berechtigung keinen Bedenken, so ist die Mißachtung der Organkompetenzen ein auch für Mitglieder unerheblicher Begleitumstand - unabhängig davon, daß sie den internen ultra-vires Charakter im Rahmen des Innenverhältnisses zur Sprache bringen und auf Abhilfe dringen können. Eine andere Beurteilung ist auch nicht deshalb geboten, weil die betroffenen Mitglieder erwarten dürfen, daß ihre Organisation die Vorgaben ihrer Satzung befolgt, denn die Nichtbefolgung erweitert die Verbandskompetenz der Organisation nicht. Die - bei Mitgliedern berechtigte - Erwartung, die Organisation werde das interne Organisationsrecht beachten, ist darum unerheblich. Im übrigen ist nicht ersichtlich, wieso die Mitglieder besser gestellt sein sollten als Nichtmitglieder, obwohl sie es sind, die die Organisation zu ihrem Vorteil gegründet haben bzw. ihr beigetreten sind. Ihre "Schutzwürdigkeit" ist daher nicht größer als die der Nichtmitglieder. b) Externe ultra-vires Handlungen Im Gegensatz zu den internen ultra-vires Handlungen führen die völkerrechtswidrigen externen ultra-vires Handlungen einer Organisation zu einer indirekten Verantwortlichkeit ihrer Mitglieder 106 . Das beruht auf dem wesentlichen Unterschied zwischen internen und externen ultra-vires Handlungen: Wahrend die internen ultra-vires Handlungen die Verbandskompetenz einer Organisation beachten, überschreiten die externen ultra-vires Handlungen diese Verbandskompetenz. 104

IV. 1.

Zur Unterscheidung zwischen Innen- und Außenverhältnis siehe oben I . Kapitel, A.

Siehe v. Münch, Das völkerrechtliche Delikt, 270. A.A. Higgins, 66 I AIDI 1995, 278, 408, Rn. 85. Siehe auch Art. 6 c) der Resolution des Institut de Droit International, 66 II AIDI 1996, 449. 105

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2. Kap.: Indirekte völkerrechtliche Verantwortlichkeit

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Zwar beruht auch die Verbandskompetenz einer Organisation auf ihrem Gründungsvertrag, weshalb die Überschreitung dieser Kompetenz auf den ersten Blick ebenso ein Internum zu sein scheint wie die internen ultra-vires Handlungen. Jedoch kann das nicht darüber hinwegtäuschen, daß es die Mitglieder sind, die den durch die Verbandskompetenz gezogenen äußeren Handlungsradius der Organisation festlegen. Solange sich die Organisation innerhalb dieses Radius bewegt, handelt sie als selbständiges Vcilkerrechtssubjekt, weshalb für eine Zurechnung an die Mitglieder kein Raum bleibt, selbst wenn die Rechte dritter Völkerrechtssubjekte in Mitleidenschaft gezogen werden. Außerhalb des besagten Radius maßt sich die Organisation dagegen eine Völkerrechtssubjektivität an, die ihr nach dem Willen ihrer Mitglieder nicht zusteht. Aus diesem Grund können die Mitglieder den Rückgriffen von Nichtmitgliedern, die durch diese Kompetenzanmaßung nachteilig betroffen sind, nichts entgegensetzen. Die Situation ist damit vergleichbar mit der durch die Nichtanerkennung einer Organisation geschaffenen Lage: Dort führt die Nichtanerkennung dazu, daß die Völkerrechtssubjektivität den Nichtmitgliedern nicht entgegengehalten werden kann, hier besteht eine angemaßte Vcilkerrechtsubjektivität, die keine Schutzschildwirkung entfaltet 107 . Diese Konstruktion erklärt, warum an dieser Stelle einem häufig angenommenen pragmatischen Bedürfnis entsprochen werden darf, das ansonsten keine Berücksichtigung verdient. Dieses Bedürfnis wird zumeist dahin umschrieben, daß die indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder notwendig sei, um die Nichtmitglieder für die durch die Organisation hervorgerufenen Rechtsverluste zu kompensieren. Diese "Gerechtigkeitsvorstellung" stützt zwar keine unbeschränkte indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder, weil sonst die Funktion der Völkerrechtssubjektivität hinfällig wäre 108 . Vorliegend darf dieser Gedanke aber berücksichtigt werden, weil die Völkerrechtssubjektivität nur angemaßt ist und daraus die entsprechende Konsequenz zu ziehen ist. Die indirekte Verantwortlichkeit besteht auch gegenüber solchen Mitgliedern, die im Außenverhältnis von völkerrechtswidrigen externen ultra-vires Handlungen ihrer Organisation in ihren Rechten beeinträchtigt werden. Zwar könnte man meinen, daß die Mitglieder durch die Gründung der Organisation das Risiko einer völkerrechtswidrigen Kompetenzüberschreitung geschaffen haben, und jedes Mitglied I07 Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zu den Art. 27 II, 46 II WVK 1986. Zwar ist nach diesen Vorschriften das (interne) Organisationsrecht für dritte Völkerrechtssubjekte soweit es um die mit der Organisation geschlossenen völkerrechtlichen Verträge geht - unbeachtlich. Aber diese Unbeachtlichkeit dient nicht dem Schutz der Organisation, sondern dem Schutz der mit der Organisation vertraglich verbundenden Dritten. Mit diesem Schutzzweck läßt sich das hiesige Ergebnis ohne weiteres vereinbaren. Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß es nicht zu einer direkten Verantwortlichkeit der Organisation und somit auch nicht zu einer indirekten Verantwortlichkeit ihrer Mitglieder kommt, falls der mit einer dritten Partei geschlossene Vertrag wegen Erfüllung der in Art. 46 II WVK 1986 genannten engen Voraussetzungen ungültig sein sollte. ws Siehe oben A. III. 2. a.E.

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dieses Risiko für sich alleine tragen müsse. Doch entspricht es der Natur einer Organisation als Geschöpf aller Mitglieder eher, das Risiko einer völkerrechtswidrigen Kompetenzüberschreitung allen Mitgliedern gemeinsam aufzubürden. Im übrigen widerspräche eine Ungleichbehandlung der Mitglieder im Vergleich zu den Nichtmitgliedern dem Umstand, daß erstere im Außenverhältnis letzteren im wesentlichen gleichstehen. Die auch im Außenverhältnis bestehende Bindung der Mitglieder an den Gründungsvertrag der Organisation rechtfertigt an dieser Stelle keine Differenzierung zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern, weil die Organisation durch die externe ultra-vires Handlung den Gründungsvertrag mißachtet hat. Diese Mißachtung ist im Unterschied zu den internen ultra-vires Handlungen erheblich, weil sie die von den Mitgliedern eingeräumten Handlungsbefugnisse im Außenverhältnis betrifft. Unerheblich ist weiter, ob die externe ultra-vires Handlung auf einen einstimmigen oder einen Mehrheitsbeschluß zurückgeht. Die indirekte Verantwortlichkeit trifft nicht nur diejenigen Mitglieder, deren Vertreter im beschließenden Organ für die Vornahme der Handlung gestimmt haben. Andernfalls würde der Willensbildungsprozeß der Organisation 109 verkannt: Nicht die Stimmabgabe als solche begründet den Völkerrechtsverstoß, sondern dieser ist Folge des aus den einzelnen Stimmen der Mitglieder erwachsenen Willens der Organisation. Aus diesem Grund trifft die indirekte Verantwortlichkeit auch nicht etwa nur den Sitzstaat der jeweiligen Organisation; daß sein Territorium Ausgangspunkt der Handlung war, ist unbeachtlich 110• Die Verantwortlichkeit der Mitglieder für externe ultra-vires Handlungen ist indirekter Natur, denn die Mitglieder werden für die Handlungen eines anderen Völkerrechtssubjekts herangezogen, obwohl das andere Völkerrechtssubjekt in Bezug auf die die indirekte Verantwortlichkeit auslösende Handlung nur über eine angemaßte Völkerrechtssubjektivität verfügt. Die Organisation bleibt trotzdem selbst verantwortlich 111 • Zwar erscheint völkerrechtliche Verantwortlichkeit ohne echte Völkerrechtssubjektivität paradoxal, aber völlig aufgelöst ist das Band zwischen beiden nicht. Völkerrechtswidrige ultra-vires Handlungen kann eine Organisation nur vornehmen, wenn sie in einem anderen Bereich über völkerrechtliche Kampe109 Siehe dazu oben 1. Kapitel, B . IV. 1. b). Die überstimmten Mitglieder genießen auch keinen Vertrauensschutz, denn mit dem durch Ratifikation oder Beitritt zum Gründungsvertrag vermittelten Einverständnis haben sie zugleich zumindest implizit die Bereitschaft erklärt, auch Mehrheitsentscheidungen gegen sich gelten zu lassen; das muß auch Bestand haben, falls dadurch eine indirekte Verantwortlichkeit ausgelöst werden sollte, siehe Seidl-Hohenveldem, 11 ÖZöR 1961, 503. Vgl. auch Hirsch, The Responsibility oflnternational Organizations, 156 f., und F. Münch, in: Festschrift für Hans Wehberg, 322. 11o Das steht im Einklang mit Art. 13 des ILC-Entwurfs zur Staatenverantwortlichkeit Siehe auch Köck/ Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, 591. 111 Siehe oben 1. Kapitel, B. IV. 2. b) zur Zurechnung von externen ultra-vires Handlungen an eine Organisation und ihrer völkerrechtlichen Verantwortlichkeit im Falle der Völkerrechtswidrigkeit der ultra-vires Handlung.

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tenzen verfügt; Kompetenz und Kompetenzüberschreitung sind somit zwei Seiten derselben Medaille. Die Verantwortlichkeit für die nicht nur satzungs-, sondern auch völkerrechtswidrige Kompetenzüberschreitung ist also ohne eine echte Vcilkerrechtssubjektivität in anderen Bereichen unvorstellbar. Die Sanktion für die Kompetenzanmaßung entspricht auch einem praktischen Bedürfnis, denn alles andere hieße, den Organisationen einen "Freibrief' auszustellen. Bei der Annahme einer indirekten Verantwortlichkeit der Mitglieder für externe ultra-vires Handlungen dürfen allerdings zwei Faktoren nicht übersehen werden. Zum einen erschweren es die implied powers einer Organisation, ihre Verbandskompetenz zu überschreiten 112. Zum anderen dürfte die Kumulation von völkerrechtlicher Pflichtverletzung und Überdehnung der Verbandskompetenz nur selten vorkommen. In Anbetracht dessen wird die indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder für externe ultra-vires Handlungen ihrer Organisationen, die gegen Volkerrecht verstoßen, eine seltene Ausnahme bleiben.

IV. Verteilung der indirekten Verantwortlichkeit zwischen den Mitgliedern und ihr Verhältnis zur direkten Verantwortlichkeit der Organisation

Da die indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder neben die direkte Verantwortlichkeit der Organisation tritt, entsteht zwischen der Organisation und den Mitgliedern ein Gesamtschuldverhältnis. Das Institut der Gesamtschuld läßt sich zwar noch nicht als Vcilkergewohnheitsrecht, wohl aber als allgemeiner Rechtsgrundsatz nachweisen 113 • Dennoch ist fraglich, ob es sich hier um eine echte Gesamtschuld handelt, ob also das von einer völkerrechtswidrigen externen ultra-vires Handlung betroffene Völkerrechtssubjekt (1) nach seinem Belieben auf einzelne Mitglieder zurliekgreifen kann, um (2) von ihnen einen vollen Ausgleich für den erlittenen Schaden zu erhalten. Zuerst sei der Schadensausgleich thematisiert: Gegen eine echte Gesamtschuld ließe sich der Umstand anführen, daß die Beitragspflichten der Mitglieder gegenüber ihren Organisationen auf einen bestimmten Prozentsatz begrenzt sind. Nähme man diesen Prozentsatz als Bezugspunkt, so könnte ein betroffenes Vcilkerrechtssubjekt jedes Mitglied nur in Höhe dieses Prozentsatzes in Anspruch nehmen. Dies wird teilweise als ein Gebot der Fairneß bezeichnet 114. Doch beriicksichtigt diese Sicht nicht hinreichend, daß der Schlüssel für die Höhe der Mitgliedsbeiträge ein organisationsinternes Instrument ist. Es entfaltet daher nur für diejenigen Vcilker112 Vgl. Osieke, 77 AJIL 1983, 249; Lauterpacht, in: Essays in Honour of Lord McNair, 111, 117. 113 l ohnE. Noyes/Brian D. Smith, 13 Yale JIL 1988, 225 (242 ff., 249 ff.); siehe auch Brownlie, Principles of Public International Law, 459. 114 Schermers, 23 LIEI 1996, 20. Siehe auch Higgins, 66 I AIDI 1995, 420, Rn. 125.

1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

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rechtssubjekte Wirkung, die Mitglieder der Organisation sind, weil sie auch im Außenverhältnis an den Gründungsvertrag gebunden sind. Die von völkerrechtswidrigen externen ultra-vires Handlungen ihrer Organisationen betroffenen Mitglieder können daher die anderen Mitglieder nur in Höhe ihrer jeweiligen prozentualen Beitragspflicht zum Ausgleich der ihnen durch die Organisationsakte entstandenen Schäden in Anspruch nehmen. Für dritte Völkerrechtssubjekte ist die interne Beitragsaufteilung dagegen unbeachtlich, zumal sie vor der Schwierigkeit stünden, gegen alle Mitglieder vorgehen zu müssen, um einen vollen Ausgleich ihres Schadens zu erlangen 115• Wegen dieser praktischen Hürde wird eine Pflicht der Mitglieder angenommen, die Organisation in die Lage zu versetzen, für den Schaden aufzukommen 116• Aber damit löst man das Problem nicht, sondern verlagert es nur um eine Stufe auf eine andere Ebene. Vielmehr ist aufgrund der Unbeachtlichkeit der organisationsinternen Beitragsaufteilung für dritte Völkerrechtssubjekte zumindest insoweit von einer echten Gesamtschuld auszugehen, als sie jedes Mitglied in voller Höhe für den erlittenen Schaden heranziehen dürfen. Diese Lösung erscheint ihren Interessen angemessen zu sein, denn sie können sich das Mitglied heraussuchen, von dem sie am ehesten einen Schadensausgleich erwarten können 117 • Es liegt dann an diesem Mitglied, gemäß den Beitragspflichten der anderen Mitglieder einen internen Gesamtschuldausgleich herbeizuführen 118 . Sollten dabei Probleme auftauchen, hätte das in Anspruch genommene Mitglied immer noch die Möglichkeit, seine Beiträge an die Organisation auszusetzen. Allerdings ist damit noch nicht die zweite Frage beantwortet, ob das geschädigte Völkerrechtssubjekt - gleichgültig ob Mitglied oder Nichtmitglied - sich sogleich an das bzw. die Mitglieder wenden kann, oder ob es zuerst die Organisation in Anspruch nehmen muß. Die eigenständige Völkerrechtssubjektivität der Organisationen spricht dafür, sie vorrangig für den entstandenen Schaden aufkommen zu lassen. Zwar haben sie bei Begehung der völkerrechtswidrigen Handlung nur eine angemaßte Völkerrechtssubjektivität Aber wenn man sie aus den zuvor genannten Gründen trotzdem für verantwortlich hält, dann sollte es in erster Linie ihnen obliegen, den verursachten Schaden zu ersetzen 119 • Diese Sichtweise kann sich zudem auf Art. XXII (3) des Weltraumhaftungsvertrags stützen, der zwar ebenfalls eine Gesamtschuld von Organisation und Mitgliedstaaten vorsieht, aber der Organisation eine vorrangige Ausgleichspflicht aufbürdet.

115 116

Vgl. Hoffmann, NJW 1988, 586. Schermers, 23 LIEI 1996,20.

Vgl. Kewenig, RIW 1990, 786; Rensmann, 36 AVR 1998, 343. Siehe v. Münch, Das völkerrechtliche Delikt, 266; F.Münch, in: Festschrift für Hans Wehberg, 323; Wenckstem, 61 RabelsZ 1997, 97/114. Siehe auch Ebenrothl Fuhrmann, JZ 1989, 217. 11 9 Für eine vorrangige Ausgleichspflicht der Organisationen auch Meng, 45 ZaöRV 1985, 338 f., 342; Rensmann, 36 AVR 1998, 342. 117

11s

2. Kap.: Indirekte völkerrechtliche Verantwortlichkeit

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Ein Rückgriff auf die Mitglieder ist allerdings nicht schon dann zulässig, wenn sich die Organisation weigert, den Schadensersatzanspruch dem Grunde oder der Höhe nach anzuerkennen. Für einen solchen Rückgriff besteht erst dann Anlaß, wenn sich die Organisation einem Streitbeilegungsverfahren verweigert oder den in einem solchen Verfahren ergangenen Schiedsspruch nicht befolgt, oder wenn sie nicht in der Lage ist, für den entstandenen Schaden aufzukommen. V. Ausschluß der indirekten Verantwortlichkeit?

Trotz des geringen Anwendungsbereichs der indirekten Verantwortlichkeit erhebt sich die Frage, ob sich die Mitglieder ihr unter Berufung auf eine etwaige Haftungsbeschränkung im Gründungsvertrag entziehen können. Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, ob der in Rede stehende Verstoß ein Mitglied oder ein Nichtmitglied betrifft. Da die Mitglieder der Organisation an die Bestimmungen des Gründungsvertrages gebunden sind, kommt eine indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder gegenüber anderen Mitgliedern nicht in Betracht, wenn der Gründungsvertrag einen Haftungsausschluß enthält. Das deckt sich mit dem Gedanken, das Risiko einer Kompetenzüberschreitung durch die Organisation allen Mitgliedern aufzubürden 120, denn auch von einer gründungsvertraglichen Haftungsbeschränkung sind alle Mitglieder gleichermaßen betroffen. Gegenüber Nichtmitgliedern vermögen die im Gründungsvertrag enthaltenen Haftungsbeschränkungen keine Wirkung zu entfalten. Bei Nichtmitgliedern, die die Organisation nicht anerkennen, folgt die Unbeachtlichkeit des Gründungsvertrages schon aus dem Umstand der Nichtanerkennung 12 1• Bei den Nichtmitgliedern, die die Organisation anerkennen, könnte dagegen behauptet werden, daß die Anerkennung auch eine Billigung der Regelungen des Gründungsvertrages beinhalte. Jedoch ginge diese Behauptung zu weit. Die Anerkennung drückt die Bereitschaft aus, die Organisation als Völkerrechtssubjekt zu akzeptieren. Auf der Ebene der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit führt dies zwar dazu, daß das Nichtmitglied die direkte Verantwortlichkeit der Organisation hinnehmen muß. Aber darüber hinaus entfaltet die Anerkennung keine Wirkung 122 , denn sonst bestünde kein Unterschied mehr zwischen der bloßen Anerkennung und der Mitgliedschaft. Die Verteilung der Verantwortlichkeit zwischen Organisation und Mitgliedern durch den Gründungsvertrag bleibt demnach ein Internum, das für das die Organisation anerkennende Nichtmitglied unbeachtlich ist 123 . Siehe oben III. 2. b). Siehe Wengler, Volkerrecht, Band II, Dritter Teil, 1299. 122 Herdegen, 35 NILR 1988, 144; Meng, 45 ZaöRV 1985, 340; Seidl-Hohenveldern l Loibl, Das Recht der internationalen Organisationen, 87, Rn. 0713. 123 Siehe Rensmann, 36 AVR 1998, 343. A.A. Higgins, 66 I AIDI 1995, 420, Rn. 126; Hirsch, The Responsibi1ity of International Organizations, 104, und Hoffmann, NJW 1988, 587, jeweils mit der Einschränkung, daß dem Dritten die Haftungsbeschränkung offenkundig 120 121

7 Pitschas

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

Dieser Befund gilt jedenfalls für diejenigen Völkerrechtsverstöße, die nicht innerhalb vertraglicher Beziehungen begangen werden. Hinsichtlich vertraglicher Leistungsstörungen ließe sich dagegen argumentieren, daß der Vertragsschluß über die Anerkennung hinausreiche und auch eine Akzeptanz der gründungsvertraglichen Verantwortlichkeitsaufteilung zwischen Organisation und Mitgliedern getreu dem Motto darstelle: Wer eine Organisation als Vertragspartner aussucht, soll sich auch mit deren Eigenheiten abfinden 124 . Art. 46 II WVK 1986 entzieht diesem Argument jedoch die Grundlage, denn danach kann sich eine Organisation grundsätzlich nicht gegenüber ihrem Vertragspartner auf ihr internes Organisationsrecht berufen. Aus dieser prinzipiellen Unbeachtlichkeit des internen Organisationsrechts im vertraglichen Verhältnis kann weiter geschlossen werden, daß dem Vertragsschluß keine über die Anerkennung hinausreichende Bedeutung beizumessen ist.

C. Ergebnisse des zweiten Kapitels I. Volkerrechtssubjektivität internationaler Organisationen und der Durchgriff auf ihre Mitglieder

Unter indirekter Verantwortlichkeit der Mitglieder ist deren Einstandspflicht für völkerrechtswidrige Handlungen ihrer Organisationen zu verstehen. Zu einer solchen indirekten Verantwortlichkeit kann es nur kommen, falls die Völkerrechtssubjektivität dem Zugriff auf die Mitglieder nicht entgegensteht. Allerdings stellt sich dieses Problem nicht für diejenigen Nichtmitglieder, die die Organisationen nicht anerkennen, weil sie sich die Völkerrechtssubjektivität der Organisationen nicht entgegenhalten lassen müssen. Ob ein Durchgriff auf die Mitglieder ansonsten ausgeschlossen ist, läßt sich zumindest nicht den in den Gründungsverträgen einiger Organisationen enthaltenen Haftungsbeschränkungen entnehmen. Diese haftungsbeschränkenden Klauseln haben keine allgemeine Aussagekraft, weil die große Mehrzahl der Gründunsgverträge keine derartigen Klauseln kennt. Die wenigen existenten Haftungsbeschränkungen sind nicht repräsentativ genug, um sie als Ausdruck einer entsprechenden Rechtsüberzeugung werten zu können. Ebensowenig besagt die Beitragspflicht der Mitglieder etwas über die Durchlässigkeit der Völkerrechtssubjektivität der Organisationen, weil sich diese Pflicht auf das Innenverhältnis beschränkt. Dritte können die Erfüllung dieser Pflicht nicht einfordern. Als Anhaltspunkt verbleibt daher allein das nationale Gesellschaftsrecht Dem nationalen Gesellschaftsrecht läßt sich ein allgemeiner Rechtsgrundsatz entnehmen, demzufolge die Rechtspersönlichkeit einer Gesellschaft nicht schlechthin undurchlässig ist. Allerdings handelt es sich dabei um einen Ausnahmefall; von einer strikt gewesen sein müsse. Ohne derartige Einschränkung für eine unmittelbare Drittwirkung der Haftungsbeschränkungen Wenckstem, 61 RabelsZ 1997, 102. 124 So sinngemäß Hoffmann, NJW 1988,587, in diese Richtung auch Herdegen, 47 ZaöRV 1987, 554 f.

2. Kap.: Indirekte völkerrechtliche Verantwortlichkeit

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akzessorischen Haftung der Gesellschafter kann keine Rede sein. Dieser Rechtsgrundsatz läßt sich auf Organisationen übertragen, denn nationale Gesellschaften sind zumindest insoweit mit internationalen Organisationen vergleichbar, als es sich bei beiden um gekorene Geschöpfe handelt, die mit einer eigenen Rechtspersönlichkeit ausgestattet werden. Die Völkerrechtssubjektivität einer Organisation läßt daher in Ausnahmesituationen einen Durchgriff auf die Mitglieder zu. Die den Organisationen verliehene Völkerrechtssubjektivität erweist sich somit trotz ihrer Relativität als starker Panzer. Die einem solchen Panzer irrberente Undurchlässigkeit dient nicht so sehr den Mitgliedern als vielmehr den Organisationen selbst. Denn wäre die Völkerrechtssubjektivität statt dessen ein leicht zu lüftender Schleier, so drohten die mit der Gründung einer Organisation verbundenen Synergieeffekte verloren zu gehen, weil die Staaten entweder unwillig wären, internationale Organisationen zu gründen, oder versuchten, einen derartig starken Einfluß auf ihre Geschicke zu nehmen, daß jeglicher mit ihrer Tätigkeit verbundene Effizienzgewinn verloren ginge.

II. Indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder

Das Recht der Staatenverantwortlichkeit geht von der indirekten Verantwortlichkeit eines Staates für einen anderen Staat aus, falls der erste Staat die Handlungen des zweiten Staates kontrolliert. Dieses Kontrollkriterium ist auf die Beziehung zwischen den Organisationen und ihren Mitgliedern nicht übertragbar, weil Kontrolle nur von einem Subjekt ausgeübt werden kann; eine Mehrheit von Rechtssubjekten ist dazu nicht in der Lage. Statt dessen ist nach anderen Kriterien für eine indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder zu suchen. Vorstellbar erscheint eine indirekte Verantwortlichkeit zum einen bei der Gefährdungshaftung. Art. XXII (3) des Weltraumhaftungsvertrages sieht einen Durchgriff auf die Mitglieder einer Organisation vor. Grund dafür ist die in diesem Vertrag angeordnete Gefährdungshaftung. Jedoch ist letztere weder allgemein noch im Umweltvölkerrecht zu Völkergewohnheitsrecht erstarkt und auch nicht als allgemeiner Rechtsgrundsatz nachweisbar. Es ist daher allenfalls de lege ferenda zu überlegen, ob das Völkerrecht, soweit es, insbesondere auf vertraglicher Ebene, eine Gefährdungshaftung normiert, zugleich eine indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder internationaler Organisationen etablieren sollte. Zum anderen bieten sich völkerrechtswidrige ultra-vires Handlungen der Organisationen als Anknüpfungspunkt für eine indirekte Verantwortlichkeit ihrer Mitglieder an. Bei internen ultra-vires Handlungen, die gegen das Völkerrecht verstoßen, kommt eine indirekte Verantwortlichkeit jedoch nicht in Betracht, weil der ultra-vires Charakter auf das interne Organisationsrecht beschränkt ist. Die (Verbands-)Kompetenz der Organisationen zur Vomahme der fraglichen Handlung bleibt unberührt. Ein Vertrauensschutz dritter Völkerrechtssubjekte auf Einhaltung 7*

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I. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

des internen Organisationsrechts ist nicht anzuerkennen. Vcilkerrechtswidrige interne ultra-vires Handlungen lösen weiterhin keine indirekte Verantwortlichkeit aus, falls ein anderes Mitglied im Außenverhältnis betroffen ist, weil es auch insofern allein darauf ankommt, ob die Organisation über eine entsprechende Yerbaudskompetenz verfügt. Dagegen führen externe ultra-vires Handlungen, die eine völkerrechtliche Norm verletzen, zu einer indirekten Verantwortlichkeit der Mitglieder. Mit ihnen verlassen die Organisationen den ihnen zugewiesenen externen Rechtskreis und maßen sich eine ihnen nicht zustehende Vcilkerrechtssubjektivität an. Die Mitglieder können den von diesen Handlungen in Mitleidenschaft gezogenen dritten Vcilkerrechtssubjekten daher nichts entgegenhalten. Sie müssen für die unter Ausnutzung der angemaßten Vcilkerrechtssubjektivität begangenen völkerrechtlichen Delikte ihrer Organisationen einstehen; sie trifft eine Art "Rechtsscheinhaftung". Die indirekte Verantwortlichkeit trifft die Mitglieder auch gegenüber anderen Mitgliedern, da diese im Außenverhältnis nicht weniger schutzwürdig sind als sonstige Dritte. Ob die externe ultra-vires Handlung auf einen einstimmigen oder einen Mehrheitsbeschluß zurückgeht, ist unbeachtlich. Als Folge der internen Willensbildung kann die Handlung nur allen Mitgliedern zur gesamten Hand ungeachtet ihrer jeweiligen Stimmabgabe zugerechnet werden. Die indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder tritt neben die direkte Verantwortlichkeit der betreffenden Organisation; Organisation und Mitglieder sind Gesamtschuldner. Dieses Gesamtschuldverhältnis ist allerdings insofern "hinkend", als der Gläubiger vorrangig versuchen muß, die Organisation in Anspruch zu nehmen. Nur wenn dieser Versuch scheitert, dürfen die Mitglieder zum Schadensersatz herangezogen werden. Dabei ist wie folgt zu differenzieren: Den Nichtmitgliedern ist es erlaubt, auf ein Mitglied ihrer Wahl zurückzugreifen, um den ihnen entstandenen Schaden ersetzt zu verlangen. Das in Anspruch genommene Mitglied kann dann im Innenverhältnis einen Ausgleich mit den anderen Mitgliedern nach Maßgabe ihrer jeweiligen prozentualen Beitragspflicht herbeiführen. Handelt es sich dagegen bei dem Gläubiger um ein Mitglied, so darf er die anderen Mitglieder jeweils nur nach Maßgabe ihrer jeweiligen prozentualen Beitragspflicht in Anspruch nehmen. Die Einstandspflicht läßt sich durch Haftungsklauseln beschränken; solche Klauseln sind aber nur gegenüber den Mitgliedern wirksam. Für Nichtmitglieder sind solche Haftungsausschlüsse unbeachtlich. Haben sie die betreffende Organisation nicht anerkannt, folgt die Unbeachtlichkeit schon aus diesem Umstand. Aber selbst im Fall der Anerkennung ist der Haftungsausschluß unbeachtlich, weil in der Anerkennung keine Billigung des Organisationsrechts liegt. Etwas anderes gilt auch nicht bei Verträgen zwischen der Organisation und einem Nichtmitglied, weil selbst dem Vertragsabschluß keine billigende Wirkung zukommt. Obwohl die strukturellen Unterschiede zwischen Staaten und internationalen Organisationen einer analogen Übertragung der dem völkerrechtlichen Deliktsrecht

2. Kap.: Indirekte völkerrechtliche Verantwortlichkeit

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bekannten Zurechnungskriterien nicht im Wege stehen, schließen sie es aus, das nach diesem Recht für eine indirekte Verantwortlichkeit maßgebliche Kriterium der Kontrolle auf das Verhältnis Organisation - Mitglieder anzuwenden. Man ist daher gezwungen, nach anderen Merkmalen bzw. Umständen zu suchen, die sich für eine solche indirekte Verantwortlichkeit ins Feld führen lassen. Diesen Merkmalen bzw. Umständen muß eine Besonderheit immanent sein, die es ermöglicht, den Panzer der den Organisationen verliehenen Völkerrechtsubjektivität zu durchstoßen. Sieht man von den im Schrifttum diskutierten Fallgruppen ab, die keine indirekte, sondern allenfalls eine direkte Verantwortlichkeit der Mitglieder begründen, verbleiben allein die hier untersuchten Konstellationen. Betrachtet man diese näher, so wird man gewahr, daß die Möglichkeit einer indirekten Verantwortlichkeit der Mitglieder eher unwahrscheinlich ist. Erstens läßt sich eine indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder generell gegenüber Nichtmitgliedern vertreten, die die betreffende Organisation nicht anerkennen. Dafür wäre allerdings erforderlich, daß die Organisation den Nichtmitgliedern überhaupt einen Schaden zugefügt hat. Vertragliche Beziehungen scheiden dafür aus, so daß allein Delikte im engeren Sinne verbleiben. Die Wahrscheinlichkeit für ein deliktisches Verhalten einer Organisation gegenüber einem sie nicht anerkennenden Völkerrechtssubjekt dürfte jedoch gering sein. Des weiteren läßt sich aufgrund von Art. XXII (3) Weltraumhaftungsvertrag eine indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder im Zusammenhang mit gefahrgeneigten Tätigkeiten ausmachen. Aber abgesehen davon, daß nach dieser Bestimmung die direkte Verantwortlichkeit der betreffenden Organisation der indirekten Verantwortlichkeit ihrer Mitglieder vorgeht, läßt sich die Gefährdungshaftung als conditio sine qua non für die von dieser Vorschrift angeordnete indirekte Verantwortlichkeit weder als Völkergewohnheitsrecht noch als allgemeiner Rechtsgrundsatz nachweisen. Die indirekte Verantwortlichkeit bleibt also ratione materiae und ratione personae auf den Anwendungsbereich des Weltraumhaftungsvertrages beschränkt. Schließlich erscheint eine indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder gerechtfertigt, wenn ihre Organisation ihre Verbandskompetenz außer Acht läßt. Ungeachtet der auch in diesem Kontext anzunehmenden Vorrangigkeit der direkten Verantwortlichkeit der Organisation, ergibt sich die Schwierigkeit, eine Überschreitung der Verbandskompetenz überhaupt feststellen zu können. Diese Schwierigkeit hängt vor allem mit den jeder Organisation zukommenden implied powers zusammen. Eine externe ultra-vires Handlung wird man angesichts dessen erst annehmen dürfen, wenn die Organisation ihre Verbandskompetenz auch für Dritte offenkundig überschritten hat. Allerdings stellt sich dann noch die weitere Frage, wer dazu berufen ist, den ultra-vires Charakter der Handlung festzustellen. Schließlich muß die externe ultra-vires Handlung gegen eine völkerrechtliche Pflicht verstoßen.

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1. Teil: Internationale Organisationen und ihre Mitglieder

In Anbetracht dieser Umstände wird man nicht umhin können, die indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder für eine völkerrechtswidrige externe ultra-vires Handlung ihrer Organisationen zwar nicht als bloße Theorie anzusehen, aber doch als "quantite negligable". Daraus läßt sich schlußfolgern, daß die indirekte Verantwortlichkeit der Mitglieder einer Organisation außerhalb des Rahmens des Weltraumhaftungsvertrags kaum je akut werden wird. Dieses Ergebnis belegt die Eigenständigkeit der internationalen Organisationen als Volkerrechtssubjekte.

Zweiter Teil

Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der EG und ihrer Mitgliedstaaten 1. Kapitel

Stellung der EG im Völkerrecht A. Die EG als internationale Organisation I. Eigenständigkeil der EG

Die EG ist als selbständige internationale Organisation in Form einer International Governmental Organization konzipiert 1 , da sie mittels eines völkerrechtlichen Vertrags gegründet wurde2 , der eigene Organe vorsieht, die einen autonomen Willen zu bilden imstande sind. Die Eigenständigkeit der EG ist seit dem Vertrag von Maastricht in Frage gestellt worden, da dieser Vertrag eine Europäische Union (EU) errichtet, deren Grundlage nach Art. 1 (ex-Art. A) EUV die Europäischen Gemeinschaften, einschließlich der EG, sind. Diese Konstruktion hat zu der These geführt, daß die Europäischen Gemeinschaften mitsamt der EG in der EU aufgegangen, mit ihr verschmolzen seien, so daß die EG als eigenständige Organisation auf völkerrechtlicher Ebene zu existieren aufgehört habe3 . Diese These mag de lege ferenda diskussionswürdig sein, de lege lata entbehrt sie der Grundlage. Zu diesem Begriff siehe oben erster Teil, 1. Kapitel, A.ll. 2. Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 07. 02. 1992, BOB!. 1992 II S. 1253, geändert durch Beitrittsvertrag vom 24. 06. 1994, BOB!. 1994 II S. 2024, i.d.F. des Beschlusses vom 01. 01. 1995, ABI EG Nr. L 1, S. 1, in der Fassung des Vertrags von Amsterdam vom 02. 10. 1997, BOB!. 1998 II S. 387. Der EuG hat den völkerrechtlichen Charakter dieses Vertragesjüngst ausdrücklich bekräftigt, E 1998-11, 125 (140; Rn. 41). 3 Armin v. Bogdandy!Martin Nettesheim, NJW 1995, 2324 (2327), zustimmend Grams, Zur Gesetzgebung der Europäischen Union, 29 f.; in diesem Sinne auch Antonio Tizzano, RMUE 1998, 11, (35 ff.); ders., in: Me!anges en hommage a Michel Waelbroeck, 169, (198 ff.). Allerdings verstehen v. Bogdandy!Nettesheim den Verlust der (völkerrechtlichen) Rechtspersönlichkeit der Europäischen Gemeinschaften nicht als Auflösung derselben, da dies wegen der zahlreichen völkerrechtlichen Verpflichtungen insbesondere der EG kaum absehbare Komplikationen mit sich brächte, 31 EuR 1996, 3 (26). Hier offenbart sich ein Widerspruch, denn konsequent weitergedacht führt die "Verschmelzung" zu einem Übergang der völkerrechtlichen Verpflichtungen der Europäischen Gemeinschaften auf die EU; solange die Europäischen Gemeinschaften Zurechnungssubjekte völkerrechtlicher Pflichten sind, bestehen sie als selbständige Völkerrechtspersonen fort. I

2

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2. Teil: Die EG und ihre Mitgliedstaaten

Die fortbestehende Autonomie der EG zeigt sich schon an Art. 1 EUV. Er sieht in den Europäischen Gemeinschaften die "Grundlage" der EU. Selbst wenn das Wort "Grundlage" ambivalent sein mag4 , belegt die ausdrückliche Bezugnahme auf die Europäischen Gemeinschaften, daß sie fortbestehen 5 . Das kommt auch darin zum Ausdruck, daß Art. 1 EUV die durch den EUV eingeführten Politiken als "Ergänzung" zu den Europäischen Gemeinschaften sieht. Eine Fusion von Union und Europäischen Gemeinschaften kann daraus nicht herausgelesen werden; dafür hätte es vielmehr einer eindeutigen textlichen Aussage bedurft6 . Das um so mehr, als die drei Europäischen Gemeinschaften sowohl im (lnnen-)Verhältnis zu den Mitgliedstaaten als auch auf völkerrechtlicher Ebene fest etablierte Akteure sind, die man nicht so ohne weiteres "verschwinden" lassen kann. Art. 3 (ex-Art. C) EUV trifft keine derartige Aussage7 , weil der dort angesprochene einheitliche institutionelle Rahmen der EU geradezu zwingend aus dem Fortbestand der Europäischen Gemeinschaften folgt: Ohne einen solchen einheitlichen institutionellen Rahmen könnten die drei Gemeinschaften der EU keine Grundlage bieten8. Art. 5 (ex-Art. E) EUV verdeutlicht, was unter dem einheitlichen institutionellen Rahmen zu verstehen ist. Die Organe der Europäischen Gemeinschaften, die durch textlich eindeutige Beschlüsse für alle drei Gemeinschaften vereinheitlicht wurden9, werden zugleich als Organe der EU im Wege der Organleihe 10 tätig 11 • Dabei 4 v. BogdandyiNettesheim, NJW 1995, 2325, führen dieses Wort für ihre Auffassung an. Allerdings kann - und wie zu zeigen sein wird muß - der Begriff "Grundlage" so verstanden werden, daß die EU auf den Europäischen Gemeinschaften aufbaut, sie gleichsam überwölbt, ohne sie dadurch "aufzusaugen", in diesem Sinne auch Oliver Dörr, 30 EuR 1995, 334 (344). Zur "Dach- bzw. Mantelfunktion" der EU siehe Koenig I Pechstein, Die Europäische Union, 54 ff. s Hilf, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. A EUV, Rn. 16. Siehe auch Georg Ress, JUS 1992, 985 (987); SimmaiVedder, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 210, Rn. 4; Thun-Hohenstein, Der Vertrag von Amsterdam, 16. 6 Vgl. Oliver Dörr, NJW 1995, 3162 (3162). 7 So aber v. Bogdandy I Nettesheim, NJW 1995, 2326; dies., 31 EuR 1996, 13. s Siehe auch Christiane Trüe, in: Vorträge, Reden und Berichte aus dem Europa-Institut 1997, Nr. 357, 5 (24 ff.). 9 Siehe das Abkommen über gemeinsame Organe für die Europäischen Gemeinschaften vom 25. 03. 1957 (BGBI. 1957 Il, S. 1156), mit dem eine gemeinsame Versammlung Uetzt EP) und ein gemeinsamer Gerichtshof für die drei Gemeinschaften geschaffen wurde. Siehe weiter den Vertrag zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 08. 04. 1965 (BGBI. 1965 li, S. 1454), mit der die Organeinheit der Gemeinschaftsverträge auch für den Rat und die Kommission vollzogen wurde. IO Hilf, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. A EUV, Rn. 30; Hubert /sak, 49 Austrian JPIL 1995, 315 (325) m. w. Nachw. in Fn. 50. Kritisch dazu v. BogdandyiNettesheim, 31 EuR 1996, 10, Fn. 52. Christian Hillgruber; 34 AVR 1996, 347 (350) geht statt von Organleihe von einer Doppelfunktion der Organe aus, die er zugleich als Beleg für die Verschiedenheit von EG und EU sieht. II Darum kann aus der Identität der Organe nicht auf die Identität von EU und Europäischen Gemeinschaften geschlossen werden, Dörr, NJW 1995, 3163; ders., 30 EuR 1995, 345;

1. Kap.: Stellung der EG im Völkerrecht

105

unterscheidet Art. 5 EUV klar zwischen den Gemeinschaftsverträgen und dem EUV als jeweilige Kompetenzgrundlage für das Handeln der Organe 12 . Diese strikte Trennung wäre überflüssig, hätte die EU die anderen Gemeinschaften absorbiert. Die Behauptung, daß die Gemeinschaftsverträge durch Art. 5 EUV zu Teilverfassungsurkundender EU integriert würdeni3, verträgt sich nicht mit dem klaren grammatischen Befund in Art. 5 EUV. Das wird noch deutlicher, wenn man Art. 47 (ex-Art. M) EUV betrachtet. Danach läßt der EUV die Gemeinschaftsverträge "unberührt", soweit er sie nicht ausdrücklich abändert 14. Eine Wahrung des acquis communautaire soll damit nicht bezweckt werden 15 , denn dieses Ziel verfolgen bereits Art. 2 und 3 (ex-Art. Bund C) EUVausdrücklich. Vielmehr bedeutet diese "Unberührbarkeit" eine eindeutige Absage an einen Zusammenschluß von EU und Europäischen Gemeinschaften 16. Unzweideutig für eine organisatorische Trennung zumindest von EU und EG sprechen weiterhin die Bestimmungen des EUV über die polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in Strafsachen. Zum einen enthält Art. 29 (ex-Art. K.l) EUVeinen expliziten Vorbehalt zugunsten der Befugnisse der EG in den in Art. 29 EUV genannten Gebieten 17 • Ein solcher Vorbehalt ist nur dann erforderlich, wenn zwei organisatorisch getrennte Kompetenzträger agieren 18. Wäre die EG mit der EU identisch, bedürfte es eines solchen Kompetenzvorbehalts nicht, da es auf der horizontalen Ebene eines Verbandes keine "fremden" Yerbaudskompetenzen gibt, in die übergegriffen werden könnte. Zum anderen beläßt Art. 42 (ex-Art. K.9) EUV den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, Maßnahmen in den in Art. 29 EUV erwähnten Politikbereichen in den vierten Titel des EGV einzubeziehen19. Diese "Vergemeinschaftung" setzt jedoch eine Annahme der Mitgliedstaaten nach ihren verfassungsrechtlichen Bestimmungen voraus. Dieses Ratifikationserfordernis bringt ganz deutlich zum Ausdruck, daß EUV und EGV keine "Teilurkunden" ein und desselben Verbandes sind, da sich dann eine nochmalige förmliche Zustimmung der Mitgliedstaaten erübrigte20 . im Ergebnis auch Hillgruber; 34 AVR 1996, 350. A.A. v. Bogdandy / Nettesheim, 31 EuR 1996, 15 f. 12 Art. 5 EUV spricht von den Gemeinschaftsverträgen "einerseits" und dem EUV "andererseits". 13 So v. Bogdandy!Nettesheim, NJW 1995, 2326; dies., 31 EuR 1996, 13. 14 Demgegenüber meinen Koenig / Pechstein, Die Europäische Union, 63 f., daß Art. 47 EUV auch "eindeutige" implizite Änderungen der Gemeinschaftsverträge zulasse. 15 So aber v. Bogdandy! Nettesheim, NJW 1995, 2326; dies., 3 1 EuR 1996, 14. 16 Dörr; NJW 1995, 3162; ders., 30 EuR 1995, 344; Hillgruber; 34 AVR 1996, 350; Trüe, in: Vorträge, Reden und Berichte aus dem Europa-Institut 1997, Nr. 357, 24. 17 Art. 29 EUV ist somit noch eindeutiger als ex-Art. K.1 EUV, der von "Zuständigkeiten" statt von "Befugnissen" der EG sprach. 18 Siehe Dörr; NJW 1995, 3163; ders., 30 EuR 1995, 344. 19 Art. 42 EUV erfaßt weniger Politikbereiche als ex-Art. K.9 EUV, da ein guter Teil der in ex-Art. K.9 EUV entha1tenen Politikbereiche, insbesondere die Visa-, Asyl- und Einwanderungspo1itik, durch den Amsterdamer Vertrag in den EGV überführt wurden.

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2. Teil: Die EG und ihre Mitgliedstaaten

Schließlich zeigt sich die Eigenständigkeit jedenfalls der EG auch an dem durch den Vertrag von Maastricht in den EGV aufgenommenen Art. 300 (ex-Art. 228a). Danach kann ein gemeinsamer Standpunkt oder eine gemeinsame Aktion, die nach den Vorschriften des EUV über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik angenommen worden sind21 , nicht a priori der EG zugerechnet werden. Zwar geht die Vorschrift davon aus, daß die EG für eine Umsetzung der gemeinsamen Standpunkte oder Aktionen in diesem Bereich herangezogen werden kann, aber in der Notwendigkeit des Heranziehens kommt die organisatorische Verschiedenheit der EU auf der einen und der EG auf der anderen Seite zum Vorschein. In verfahrensrechtlicher Hinsicht wird dies von Art. 300 EGV noch dadurch verstärkt, daß es für das Tätigwerden der EG zusätzlich zu den Beschlüssen des Rates nach dem EUV nochmals eines Beschlusses des Rates auf der Grundlage des EGV nach vorherigem Vorschlag der Kommission bedarf22. Art. 300 EGV wäre unverständlich, handelte es sich bei EG und EU um ein und dasselbe Rechtssubjekt. Daß eine Änderung der Gemeinschaftsverträge und ein Beitritt zu den Gemeinschaften nur über den EUV führen, vermag an dem gefundenen Ergebnis nichts zu ändem23 . Zwar regeln Art. 48 und 49 (ex-Art. N und 0) EUV sowohl die Revision des EUV und der Gemeinschaftsverträge als auch den Beitritt zur EU und den Europäischen Gemeinschaften, während die Gemeinschaftsverträge selbst insoweit keine Bestimmungen mehr enthalten. Dennoch kann daraus nichts für einen einheitlichen Verband EU entnommen werden, mit dem die anderen drei Gemeinschaften verschmolzen wären, denn beide Bestimmungen vereinfachen lediglich die einschlägigen Verfahren24. Ungeachtet dessen liegt in der Sache eine Revision der Gemeinschaftsverträge bzw. ein Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften vor. Die Anordnungen in Art. 28 II und 41 II (ex-Art. J.ll II und Art. K.8 II) EUV, wonach die Verwaltungsausgaben der Organe in den Bereichen der Außen-, Sicherheits-, Justiz- und Innenpolitik zu Lasten des Haushalts der EG gehen, sind ebenfalls kein Indiz für eine Rechtsidentität von EU und EG25 . Vielmehr bestätigen diese Normen den hiesigen Standpunkt, denn bei Rechtseinheit von EU und EG gäbe es nur einen einzigen Haushalt26 . Soweit die Anhänger der Verschmelzungsthese die Praxis der Gemeinschaftsorgane für ihren Standpunkt anführen, die teilweise auch dann die Bezeichnung EU 20 Es handelt sich daher um mehr als die von v. Bogdandy/Nettesheim, 31 EuR 1996, 20, behauptete bloße Verfahrensänderung. 21 Dazu ausführlich Koenig I Pechstein, Die Europäische Union, 140 ff. 22 Von einer "unmittelbaren Geltung" der Ratsbeschlüsse nach dem EUV für die EG kann demnach keine Rede sein, so aber v. Bogdandy/Nettesheim, 31 EuR 1996, 20. 23 A.A. v. Bogdandy!Nettesheim, NJW 1995, 2325; dies., 31 EuR 1996,7. 24 Dörr; NJW 1995, 3163; ders., 30 EuR 1995, 345; Hillgruber, 34 AVR 1996, 351 ; Trüe, in: Vorträge, Reden und Berichte aus dem Europa-Institut 1997, Nr. 357, 31. 25 So aber v. Bogdandy!Nettesheim, NJW 1995, 2326; dies., 31 EuR 1996, 13. 26 Dörr; NJW 1995,3163.

1. Kap.: Stellung der EG im Volkerrecht

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verwenden, wenn es um Angelegenheiten der Europäischen Gemeinschaften geht27 , ist dazu zweierlei zu bemerken. Zum einen können die Gemeinschaftsorgane die Gemeinschaftsverträge nicht abändern, denn zumindest die EG ist in der Zwischenzeit zu einer Rechtsgemeinschaft28 herangewachsen, in der die rechtlichen Vorgaben des EGV nicht mehr zur Disposition der Organe stehen29 . Zum anderen überschätzt diese Sichtweise die Bedeutung der Terminologie, die gerade nicht kohärent verwendet wird. Auch für die Europäischen Gemeinschaften EWG, EGKS und EAG wurde der Begriff "Europäische Gemeinschaft" als Synonym benutzt, ohne daß damit eine einheitliche Verbandsstruktur gemeint war. Schließlich hilft auch der Verweis auf die Einheit der Rechtsordnung 30 nicht weiter. Die schon vor der Schaffung der EU bestehende Einheitlichkeit der Rechtsordnung im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften zeigt vielmehr, daß eine einheitliche Rechtsordnung nicht auf eine einzige Körperschaft angewiesen ist, sonderntrotzeiner Mehrheit an Verbänden entstehen kann31 . Es bleibt daher festzuhalten, daß die EG ihre Eigenständigkeit als internationale Organisation nicht durch die Gründung der EU eingebüßt hat. Die vom Vertrag von Amsterdam bewirkte Überführung der bisher der dritten Säule der EU angehörenden Materien der Asyl-, Visa- und Einwanderungspolitik in den EGV unterstreicht diesen Befund nachhaltig 32. Der demnach auch zukünftig geltende Status der Gemeinschaft als selbständige internationale Organisation sagt jedoch noch nichts über den Umfang ihrer Völkerrechtssubjektivität aus; dieser ist allein anhand der ihr im EGV zugewiesenen völkerrechtlichen Kompetenzen zu bestimmen33.

v. Bogdandy!Nettesheim, NJW 1995, 2324; dies. , 31 EuR 1996,5 f. Dazu Delf Buchwald, 37 Der Staat 1998, 189 ff.; Thomas Oppermann, JZ 1999, 317, (320, 324 ff.); Manfred Zuleeg, NJW 1994, 545 ff. Siehe auch Rodriguez lglesias, NJW 1999, 2. 29 EuGHE 1994, 3641 (3677); so auch der GA G. Tesauro in seinen Schlußanträgen, EuGH, a. a. 0 ., (3660 f.). 30 v. Bogdandy/Nettesheim, NJW 1995, 2326 f.; dies., 31 EuR 1996, 17 ff. 31 Siehe eingehend Trüe, in: Vorträge, Reden und Berichte aus dem Europa-Institut 1997, Nr. 357, 30 ff. 32 RudolfStreinz, JURA 1998, 57 (61). 33 Siehe unten B. Inwieweit die EU Volkerrechtssubjektivität genießt, ist hier nicht zu behandeln; siehe dazu bejahend v. Bogdandy / Nettesheim, NJW 1995, 2327 f. ; dies.; 31 EuR 1996, 24 f.; Sean van Raepenbusch, in: Melangesenhommage a Michel Waelbroeck, 261, (286 ff., 295 ff.); Ress, JUS 1992, 986; Thun-Hohenstein, Der Vertrag von Amsterdam, 75; Tizzano, RMUE 1998, 25 ff.; ders., in: Melangesenhommage aMichel Waelbroeck, 185 ff.; einschränkend Dörr, 30 EuR 1995, 337 ff., und Hillgruber, 34 AVR 1996, 351 ff.; verneinend Hilf, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. A EUV, Rn. 25 ff.; Koenig/Pechstein, Die Europäische Union, 28 ff. m. w. Nachw. in Fn. 42; Matthias Pechstein, 31 EuR 1996, 137 (140 ff.); Simma / Vedder, in: Grabitz /Hilf, Kommentar zur EU, Art. 210, Rn. 6. 27

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2. Teil: Die EG und ihre Mitgliedstaaten

II. Supranationalität der EG

Supranationalität meint in Steigerung des Begriffes "international" Überstaatlichkeit34 und kennzeichnet eine Eigenschaft, die dem Volkerrecht als Koordinations- bzw. Kooperationsrecht gemeinhin fremd ise 5 . Supranationale Organisationen weichen von herkömmlichen internationalen Organisationen vor allem in der Art und Weise ab, wie sie ihren Willen bilden und durchsetzen. Die Willensbildung einer supranationalen Organisation ist geprägt durch die Autonomie ihrer Organe und die Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip36, während die Durchsetzung ihres Willens durch seinen Vorrang gegenüber dem Recht ihrer Mitglieder und seine unmittelbare Geltung in den nationalen Rechtsordnungen erleichtert wird 37 . Weiterhin ist als Besonderheit gegenüber sonstigen Organisationen die finanzielle Autonomie einer supranationalen Organisation hervorzuheben 38 . Diese Merkmale stellen Ausnahmen im Recht der internationalen Organisationen dar. Daran mag man bei der Organautonomie noch zweifeln39, weil sie als Voraussetzung für einen eigenen Willen bei allen internationalen Organisationen unerläßlich ist40. Aber der Ausnahmecharakter des Mehrheitspinzips liegt auf der Hand, denn die souveräne Gleichheit der Staaten bedingt Einstimmigkeit. Ähnlich sieht es mit dem Vorrang und der Unmittelbarkeit des Willens einer supranationalen Organisation aus. Verbindliche Beschlüsse können einige internationale Organisationen erlassen41 , aber diese Verbindlichkeit setzt sich im Konfliktfall nicht automatisch gegen die nationale Hoheitsgewalt durch. Die Unmittelbarkeit des Willens geht darv. Lindeiner-Waldau, La Supranationalite, 42. Vgl. Stephan Breitenmoser, 55 ZaöRV 1995, 951 (971 ff.) mit Blick auf die EG. Zum Zusammenhang zwischen Supranationalität und Integration siehe Hermann Mosler, in: Festschrift für Walter Hallstein, 355 (371 ff.). Kritisch zur systembildenden Kraft des Begriffes der Supranationalität Helmut Lecheler, JUS 1974, 7 (8/10). Ein anderes Verständnis von Supranationalität offenbart Jonkheer WJ.M. van Eysinga, in: Festschrift für Hans Wehberg, 130 ff., der das Volkerrecht insgesamt für supranational hält. 36 v. Lindeiner-Waldau, La Supranationalite, 46 ff.; Paul Taylor, in: International Organization, A Conceptual Approach, 216 (217). 37 Siehe Armin v. Bogdandy, 48 Europa-Archiv 1993, 49 (51); A.S. Feshchenko, Soviet YIL 1987, 160 (161); Friauf, Die Staatenvertretung in supranationalen Gemeinschaften, 134; Hay, Federalism and Supranational Organizations, 31 f.; v. Lindeiner-Waldau, La Supranationalite, 56 ff.; Michael Schweitzer, in: Katholisches Soziallexikon, 3006 (3008); Taylor, in: International Organization, A Conceptual Approach, 226 f. Zurückhaltend bzgl. des konstitutiven Charakters der unmittelbaren Geltung Pescatore, Le Droit De L'Integration, 53. 38 Vgl. Taylor, in: International Organization, A Conceptual Approach, 220. 39 Ablehnend etwa Friauf, Die Staatenvertretung in supranationalen Gemeinschaften, 134 ff. 40 Siehe Hay, Federalism and Supranational Organizations, 31. V gl. auch Pescatore, Le Droit De L'Integration, 52 f. 41 So sieht etwa Art. 25 VN-Satzung vor, daß die Mitglieder die Beschlüsse des Sicherheitsrates anzunehmen und durchzuführen haben; zum Streit über den Charakter von Art. 25 VN-Satzung als Rechtsgrundlage siehe Philip Kunig, JURA 1991,214 (217). 34

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1. Kap.: Stellung der EG im Volkerrecht

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über noch einen Schritt hinaus, da sie den Verzicht auf jedweden Umsetzungsakt in das nationale Recht bedeutet. Ein solcher ist normalerweise unerläßlich, damit Beschlüsse internationaler Organisationen innerstaatlich Wirkung entfalten können42. Dem Grundsatz der Effektivität kommt insoweit- wie auch sonst im Völkerrechtein hoher Stellenwert zu: Die Organisation muß in der Lage sein, den Vorrang und die Unmittelbarkeit ihres Willens gegenüber ihren Mitgliedern durchzusetzen43 . Dies gelingt vor allem durch eine obligatorische Gerichtsbarkeit, die sich schon durch ihr obligatorisches Element von der sonstigen Streitschlichtung im Völkerrecht abhebt44 und einen Rückgriff auf die dort üblichen Streiterledigungsmittel und -mechanismen erübrigt. Die finanzielle Autonomie bewahrt die Organisation schließlich vor unziemlicher Einflußnahme durch die Mitglieder, weil die Finanzierung über Beiträge letzteren ein starkes Druckmittel an die Hand gibt45 . Von allen internationalen Organisationen vereinigt allein die EG sämtliche der vorstehenden Merkmale in sich46 . So trägt der EGV für die umfassende sachliche und persönliche Unabhängigkeit der Kommissionsmitglieder Sorge47. Den Einfluß der Mitgliedstaaten auf ihre Be- und Ernennung drängt der EGV durch das Erfordernis der Zustimmung seitens des EP48 sowie dadurch zurück, daß ausschließlich der EuGH über die Amtsenthebung der Kommissionsmitglieder entscheidet49. Die besondere Sorgfalt, die der EGV aufwendet, um gerade die Autonomie der Kommission sicherzustellen, erklärt sich nicht zuletzt aus der Vielfalt an Aufgaben und Befugnissen, die der Kommission zugewiesen sind50 . An erster Stelle stehen dabei ihre Funktion als "Hüter des Vertrages" und ihre Befugnis, das Gemeinschaftsrecht 42 Siehe Hay, Federalism and Supranational Organizations, 32; Hans-Peter Ipsen, in: Festschrift für Ulrich Scheuner, 211 (224). Zur Transformation bzw. Vollzug von Volkerrecht siehe Gloria, in: Ipsen (3. Auf.), § 73, Rn. 1 ff.. Nur ausnahmsweise sehen nationale Verfassungen vor, daß Volkerrecht innerhalb der von ihnen verfaßten Rechtsordnungen unmittelbar, d. h. ohne einen weiteren Transformations- oder Vollzugsakt, gilt; so z. B. Art. 25 GG. Dazu Geiger; Grundgesetz und Volkerrecht, 162 ff. 43 Ipsen, in: Festschrift für Ulrich Scheuner, 220 f.; Pescatore, Le Droit De L'Integration, 50 f. 44 Vgl. Art. 36 IGH-Statut. Die Besonderheit obligatorischer Gerichtsbarkeit verkennt Hay, Federalism and Supranational Organizations, 33 f. 45 Siehe zum Beitragssystem der VN Wilfried Koschorreck, 45 Vereinte Nationen 1997, 161 ff. 46 Bernhard Kempen, 35 AVR 1997, 273 (275); Pescatore, Le Droit De L'Integration, 52. Siehe auch Breitenmoser; 55 ZaöRV 1995, 980 ff., und Peter Fischer; in: Festschrift für Kar! Zemanek, 179 (182 ff., 190 ff., 201). Zu weiteren Besonderheiten der EG-Rechtsordnung im Vergleich zur Volkerrechtsordnung siehe Eileen Denza, 48 ICLQ 1999, 257, (261 ff.). 47 Vgl. Art. 213 (ex-Art. 157) EGV, der den gleichlautenden Art. 10 des Vertrages zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften (sog. Fusionsvertrag) abgelöst hat. Siehe dazu auch Ipsen, in: Festschrift für Ulrich Scheuner, 218. 48 Vgl. Art. 214 II (ex-Art. 158 II) EGV. 49 Vgl. Art. 216 (ex-Art. 160) EGV. so V gl. Art. 211 (ex-Art. 155) EGV, der jedoch selbst keine Befugnisse verleiht.

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2. Teil: Die EG und ihre Mitgliedstaaten

aus- und durchzuführen, die sogar legislatorische Komponenten enthält. Weiterhin kennt das Recht der EG das Mehrheitsprinzip bei Beschlüssen des Rates51 . Zwar hat der Luxemburger Komprorniß vom 29. 01. 196652 dazu geführt, daß dieses Prinzip aus politischen Erwägungen lange Zeit nicht zum Tragen kam53 . Aber ein "Vetorecht" der Mitgliedstaaten begründete er zu keinem Zeitpunkt, weil es dafür einer Vertragsänderung bedurft hätte54 . Stark ausgeprägt ist auch der (Anwendungs-)Vorrang des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts vor dem Recht der Mitgliedstaaten5 5 und seine unmittelbare Wirkung in ihren Rechtsordnungen56. Abgesichert wird beides durch die obligatorische Gerichtsbarkeit des EuGH57 , der insbesondere auch die Pflicht der Mitgliedstaaten zu gemeinschaftstreuem Verhalten betont hat58 . An letzter Stelle sei auf die finanzielle Selbständigkeit der EG hingewiesen, die durch den Eigenmittelbeschluß des Rates59 Gestalt bekam, und die die Einflußnahme der Mitgliedstaaten begrenzt.

Vgl. Art. 205 (ex-Art. 148) EGV. Ausführlich dazu Streinz, Die Luxemburger Vereinbarung, passim. 53 Zur Abstimmungspraxis des Rates seit der Luxemburger Vereinbarung siehe Volkmar Götz, in: Festschrift für Ulrich Everling, 339 (340 ff.), sowie Streinz, Die Luxemburger Vereinbarung, 52 ff. Eine gewisse Fortsetzung fand die Luxemburger Vereinbarung im Kompromiß von loannina, demzufolge eine Minderheit von Mitgliedstaaten, die über 23 Stimmen verfügt, eine Kompromißsuche erzwingen können soll, siehe dazu Jaque, in: G/T/E, EU-/ EGV-Kommentar, Art. 148, Rn. 23 f. 54 Siehe Beutler/Bieber/Pipkom! Streil, Recht der Europäischen Union, 136; Streinz, Die Luxemburger Vereinbarung, 48 ff. V gl. auch Götz, in: Festschrift für Ulrich Everling, 345 f. und Jaque, in: G/T /E, EU-/EGV-Kommentar, Art. 148, Rn. 22. 55 Siehe EuGHE 1964, 1251 (1269 f.); 1970, 1125 (1135); siehe auch BVerfGE 73, 339 (375). Zur Kontroverse über den Vorrang des Gemeinschaftsrechts, insbesondere vor dem nationalen Verfassungsrecht, siehe einerseits Hillgruber, 34 AVR 1996, 358 ff., 361 ff.; Theodor Schilling, 33 Der Staat 1994, 555 (556 ff.); ders., 37 Harvard ILJ 1996, 389 (390 ff.), und andererseits Jean-Victor Louis, 31 CDE 1995, 23 ff.; J. H. H. Weiler / Ulrich R. Haltern, 37 Harvard ILJ 1996,411 (417 ff.) 56 Siehe EuGHE 1963, 1 (25) [Rs. van Gend & Loos]. Die unmittelbare Anwendbarkeit des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts, das nicht Verordnungscharakter hat, ist damit nicht gemeint, da es insoweit um die auch dem traditionellen Völkervertragsrecht bekannte Erscheinung der self-executing Vorschriften geht, Hillgruber, 34 AVR 1996, 357. Allerdings tritt dieses Phänomen im Gemeinschaftsrecht sehr viel häufiger auf als im sonstigen Völkervertragsrecht und kann deshalb als weitere Besonderheit des Gemeinschaftsrechts bezeichnet werden. 57 Siehe Hillgruber, 34 AVR 1996, 357. Insbesondere das Rechtsschutzsystem der EG schließt es aus, auf die völkerrechtlichen Instrumente der Retorsion oder Repressalie zuriickzugreifen, siehe Jürgen Schwarze, 18 EuR 1983, 1 (22 f.); Ulrich Everling, in: Festschrift für Hermann Mosler, 173 (180 ff.). A.A. Albert Bleckmann, DÖV 1978, 391 (393 f.). 58 Als normativer Ansatzpunkt dient insbesondere Art. 10 (ex-Art. 5) EGV, siehe EuGHE 1986, 29 (81 ; Rn. 38). Vgl. ausführlich zu diesem Prinzip, das auch der Gemeinschaft Treuepflichten auferlegt, Epaminondas A. Marias, 21 LIEI 1994, 85 ff. 59 ABl. 1970, Nr. L 94, S. 19; zuletzt geändert durch Beschluß vom 01. 01. 1995, ABl. 1995, Nr. L 293, S. 9. 51

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1. Kap.: Stellung der EG im Volkerrecht

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Die genannten supranationalen Elemente wirken sich vornehmlich auf das Innenverhältnis zwischen der EG und ihren Mitgliedstaaten aus, indem sie die Position der EG gegenüber den Mitgliedstaaten stärken. Darüber hinaus bleiben die supranationalen Kriterien - etwa das Mehrheitsprinzip beim Abschluß völkerrechtlicher Abkommen 60 oder die unmittelbare Anwendbarkeit einzelner Bestimmungen der von der EG abgeschlossenen Übereinkommen im Gemeinschaftsrecht61 -nicht ohne Einfluß auf das Außenverhältnis der EG zu dritten Völkerrechtssubjekten. Aber dieser Einfluß ist - verglichen mit dem Innenverhältnis - marginal und führt nicht dazu, den Charakter der Gemeinschaft als internationale Organisation grundsätzlich zu verändern 62. 111. Bundesstaatlicher Charakter der EG?

Die zuvor getroffene Feststellung über das Wesen der EG als internationale Organisation wären hinfällig, falls sie die in den supranationalen Merkmalen sich andeutende Metamorphose zu einem Bundesstaat inzwischen vollendet hat. Ihr völkerrechtlicher Gründungsakt steht einer solchen Entwicklung nicht im Wege, denn die Einordnung eines Verbandes als Staatenbund oder Bundesstaat hängt nicht in erster Linie von seiner rechtlichen Entstehungsform ab63 , sondern von der Erfüllung bestimmter Merkmale, die von der Staatslehre in den Kategorien der Staatsgewalt, des Staatsvolkes und des Staatsgebietes zusammengefaßt werden64. Die Frage nach der (Bundes-)Staatlichkeit der EG soll nicht um ihrer selbst willen an dieser Stelle aufgeworfen werden. Es ist nicht zu verkennen, daß die internen Besonderheiten der Gemeinschaftsrechtsordnung mit dieser Einordnung nicht hinlänglich erlaßt werden können 65 . Dennoch muß die EG entweder als internationale Organisationen oder als Bundesstaat eingeordnet werden, denn das Völkerrecht ist nach wie vor von dieser Dichotomie geprägt66 . Wiese die EG bereits einen Siehe bspw. Art. 133 IV (ex-Art. 113 IV) EGV, Art. 300 II 1 (ex-Art. 228 II 1) EGV. Siehe EuGHE 1987, 3719 (3752; Rn. 14). 62 Siehe Hay, Federalism and Supranational Organizations, 37, und Hillgruber, 34 AVR 1996, 355. Vgl. auch Bleckmann, DOV 1978, 394, und Schwarze, 18 EuR 1983,4. 63 Günter Jaenicke, in: Volkerrechtliche und Staatsrechtliche Abhandlungen, 1 (8 ff.); siehe auch Georg Erler, 18 VVDStRL 1960,7 (14). 64 Siehe Peter M. Huber, in: Verfassungsrecht im Wandel, 349 (351). Das Volkerrecht hat diese Kategorienbildung übernommen, siehe Epping, in: Ipsen, § 5, Rn. 2 ff. 65 Siehe die Kritik von Bengt Beutler, in: Festschrift für Ernst-Wolfgang Böckenförde, 109 (110), Schuppert, 53 VVDStRL 1994, 111, und Dimitris Th. Tsatsos, EuGRZ 1995, 287 (291). Vgl. auch Armin v. Bogdandy, in: Die Europäische Option, 97 (123 f.); ders. , in: Auf dem Wege zu einer Europäischen Staatlichkeit, 9 (13 ff.) ; Rainer Pitschas, 5 Staatswissenschaften und Staatspraxis 1994,503,504 ff., 510 ff. 66 Siehe aber Habe, 37 AVR 1999, 261 ff., zu möglichen Veränderungen im Zuge der "Globalisierung". 60

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2. Teil: Die EG und ihre Mitgliedstaaten

(bundes)staatlichen Charakter auf, würde sich insbesondere die Frage erübrigen, inwieweit ein Durchgriff auf ihre Mitglieder möglich ist67 .

1. Souveränität und Kompetenz-Kompetenz als Konstitutionsmerkmale staatlicher Gewalt

a) Normative Voraussetzungen Angesichts der relativ geringfügigen Anforderungen an die Merkmale Staatsgebiet und Staatsvolk68 kommt der Staatsgewalt besonderes Gewicht zu, will man den rechtlichen Charakter einer bündischen Struktur erfassen. Hervorstechendstes Merkmal der Staatsgewalt ist ihre Souveränität69. Einem Verband kommt daher nur dann (bundes)staatlicher Charakter zu, wenn die Bundesgewalt souverän ist, d. h., wenn sie gegenüber der Gewalt der Gliedstaaten vorrangig ist. Das ist der Fall, wenn der Bund über die Kompetenz-Kompetenz verfüge0 . Darunter versteht man die Befugnis, über den Umfang der eigenen Kompetenzen zu bestimmen71 • Gewendet auf das Verhältnis zwischen Bund und Gliedstaaten ist es die Kompetenz des Bundes, seine Kompetenzen zu Lasten der Gliedstaaten zu erweitem72 . Die Kompetenz-Kompetenz ist demnach kein quantitativer, sondern ein qualitativer Begriff73 . Allerdings gibt es einen Punkt, an dem Quantität in Qualität um67 Vgl. Kar[ Doehring, ZRP 1993, 98 (102); ders., 53 VVDStRL 1994, 134, ihm zustimmend Hilf, ebenda, 152. 68 Siehe Epping, in: Ipsen, § 5, Rn. 4 f. 69 Siehe Krüger; Allgemeine Staatslehre, 851 ff. Vgl. auch Bruno Kahl, 33 Der Staat 1994, 241 (243), und Uwe Volkmann, DÖV 1998,613 (614). 70 Krüger; Allgemeine Staatslehre, 848; Manfred Baldus, 36 Der Staat 1997, 381 (381 I 390). Dementsprechend liegt die Kompetenz-Kompetenz in der Bundesrepublik beim Bund, BVerfGE 13, 54 (78 f.). Dagegen kritisiert Peter Lerche, in: Verfassungsrecht im Wandel, 409 (420), die so hergestellte Verbindung zwischen Souveränität und Kompetenz-Kompetenz, da Souveränität verfassungsunabhängig, Kompetenz-Kompetenz aber verfassungsabhängig sei. Diese Kritik geht fehl, da sie eine Identität zwischen Souveränität und Kompetenz-Kompetenz unterstellt, die tatsächlich nicht behauptet wird. Unabhängig davon bestreitet Lerche, a. a. 0., 422, daß der Begriff der Kompetenz-Kompetenz geeignet sei, Staatlichkeil zu bestinunen; Zweifel an der Aussagekraft des Begriffes äußert Jochen Abr. Frowein, 27 EuR 1992 (Beiheft 1), 63 (67 f.). Alfred Bleckmann, 23 AVR 1985, 450 (454) bemängelt die (einseitige) Konzentration auf diesen Topos, da damit nur ein schmaler Ausschnitt aus der Gesamtproblematik des Souveränitätsbegriffes herausgeschnitten werde. Dennoch soll hier an diesem Begriff festgehalten werden, da es an dieser Stelle nicht um einen Querschnitt der gesamten Souveränitätsproblematik gehen kann. 71 Siehe Theodor Maunz, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV,§ 94, Rn. 16. 72 Jaenicke, in: Völkerrechtliche und Staatsrechtliche Abhandlungen, 13. Enger Lerche, in: Verfassungsrecht im Wandel, 414, der unter Rückgriff auf die "Entstehungsgeschichte" dieses Begriffes beriicksichtigt wissen will, daß damit eine "unberechenbare Selbstausdehnungsmacht" gemeint sei. 73 Siehe Baldus, 36 Der Staat 1997, 389, und Koppensteiner, Souveränitätsproblem, 38.

1. Kap.: Stellung der EG im Volkerrecht

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schlägt74. Dieser Punkt ist erreicht, wenn sich ein Staat durch Abgabe seiner Kompetenzen der Fähigkeit beraubt, in der sogenannten "Grenzsituation" aus eigener Kraft Entscheidungen zu treffen75 • Grundsätzlich zeigt sich zwar in der Delegation von Staatsgewalt die Souveränität derselben: Weil sie souverän ist, läßt sie auch die Übertragung auf andere zu76 • Diese Übertragung muß jedoch jederzeit revidierbar sein77 . Eine Rücknahme der delegierten Staatsgewalt scheidet dann aus, wenn infolge der Delegation die Souveränität soweit ausgehöhlt ist, daß sie tatsächlich verloren gegangen ist. Der Eintritt eines Staates in einen Staatenbund und die Übertragung von Hoheitsrechten an diesen Verbund ist schadlos, solange der Staat seine Souveränität wahrt, d. h., solange er im Verhältnis zum Staatenbund über die Kompetenz-Kompetenz verfügt. Die Kompetenz-Kompetenz innerhalb eines Staatenbundes zeigt sich in letzter Konsequenz im Austritts- bzw. Kündigungsrecht seiner Mitglieder78, ungeachtet des Umstands, ob dieses Recht ausdrücklich im Gründungsvertrag verankert worden ist oder nicht. Allerdings muß dieses Recht auch faktisch wahrgenommen werden können 79 . Hat sich die Verflechtung zwischen den Mitgliedern derart verdichtet, daß sich die Mitglieder nicht mehr aus dem Verband lösen können, ohne ihr Dasein zu gefährden, besteht das Recht nur noch auf dem Papier und ist dann kein tauglicher Gradmesser mehr für die Souveränität der Mitgliedstaaten 80. Allerdings bedeutet der Verlust an Souveränität auf Seiten der Mitgliedstaaten nicht reziprok den Gewinn derselben durch den Bund. Die Zuerkennung der Kompetenz-Kompetenz an eine unmittelbar die einzelnen betreffende Hoheitsgewalt ist nach dem modernen Staatsverständnis, das - wenn auch zögernd - im heutigen

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74 Siehe Rudolf Bindschedler, in: Recueil d'Etudes de Droit International en Hommage Paul Guggenheim, 167 (173), und Zippelius, Allgemeine Staatslehre,§ 39 II a.E. Siehe auch Doehring, Allgemeine Staatslehre, Rn. 183 a.E. A.A. Koppensteiner, Souveränitätsproblem, 45 f., der jedoch zu formalistisch auf die Volkerrechtsunmittelbarkeit eines Staates abstellt. 75 Georg Erler, I BDGV 1957, 29 (36 ff.). 76 Krüger, Allgemeine Staatslehre, 871. 77 Jaenicke, in: Volkerrechtliche und Staatsrechtliche Abhandlungen, 27; Krüger, Allgemeine Staatslehre, 878. 78 Erler, 1 BDGV 1957, 39; Jaenicke, in: Volkerrechtliche und Staatsrechtliche Abhandlungen, 16 ff.; Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen, 193, 298 ff. ; Krüger, Allgemeine Staatslehre, 848 f. Kritisch v. Bogdandy, in: Die Europäische Option, 104. 79 Bindschedler, in: Recueil d'Etudes de Droit International en Hommage Paul Guggenheim, 173; Bleckmann, Allgemeine Staats- und Volkerrechtslehre, 492; Zippelius, Allgemeine Staatslehre,§ 10 III a.E. Er/er, 1 BDGV 1957, 37, weist darauf hin, daß die Kompetenz-Kompetenz dem Staat nicht nur theoretisch zustehen, sondern auch "verwirklichungsfähig" sein müsse. Nach Krüger; Allgemeine Staatslehre, 854, ist Souveränität ein Rechtsinstitut, das in besonderem Maße auf eine Entsprechung in der Welt der Tatsachen angewiesen sei. so Vgl. Bindschedler, in: Recueil d'Etudes de Droit Internationalen Hommage Paul Guggenheim, 178, und Erler, 1 BDGV 1957, 41. Vgl. auch Ermacora, Allgemeine Staatslehre, 1194.

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8 Pitschas

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2. Teil: Die EG und ihre Mitgliedstaaten

Volkerrecht81 , zumindest aber im europäischen Rechtsraum82 seinen Niederschlag findet, nur gerechtfertigt, wenn diese Gewalt durch die ihr Unterworfenen in Form von Wahlen legitimiert und repräsentiert wird83 . Solange die supranationale Gewalt nicht über diese demokratische Legitimation verfügt, ist sie nicht wahrhaft souverän84. b) Soziologische Voraussetzungen Der zuvor angesprochene Verdichtungsprozeß, den man auch als Integration bezeichnen kann, wird herausgefordert durch die Komplexität und Intensität ökonomischer, ökologischer und sozialer Probleme, die noch durch ihre Interdependenz gesteigert werden85 . Diese Probleme lassen sich zumeist nur noch angemessen lösen, wenn die auf der bisherigen staatlichen Ebene vorhandenen Kräfte auf einer übergeordneten Ebene gebündelt werden86. Diese Kapazitätsallokation auf interbzw. supranationalem Niveau führt aber nicht gleichsam automatisch zu einer neuen (bundes)staatlichen Struktur87 . Eine solche setzt vielmehr weiterhin eine soziologische Homogenität der Mitglieder des Bundes voraus 88 • Da die Grundlage der inter- bzw. supranationalen Zusammenarbeit nicht wie bei den klassischen Bundesstaaten emotionaler, sondern rationaler Art ist89, ist die soziologische Homogenität 81 Siehe Thomas M. Franck, 86 AJIL 1992, 46 ff. A.A. Albrecht Randelzhofer, in: Der Staatenverbund der Europäischen Union, 39 (40); Ress, 53 VVDStRL 1994, 124. 82 Tsatsos, EuGRZ 1995, 290. Siehe auch Kar/ Doehring, DVBI. 1997, 1133 (1133 f.), und Manfred Zuleeg, JZ 1993, 1069 (1070). 83 Juliane Kokott, 119 AöR 1994, 207 (232). Siehe auch Beutler, in: Festschrift für ErnstWolfgang Böckenförde, 114; Krüger, Allgemeine Staatslehre, 850, und Schachtschneider, 53 VVDStRL 1994, 108. Vgl. auch Ermacora, Allgemeine Staatslehre, 1195. Kritisch zur Konzentration des völkerrechtlichen Schrifttums auf Wahlen als den vorrangigen Gradmesser für demokratische Strukturen Susan Marks, 8 EJIL 1997, 449 (467 ff., 470 f.). 84 Doehring stellt daher zutreffend ein Spannungsverhältnis zwischen dem Demokratieprinzip und der Verwaltung von Großräumen fest, Allgemeine Staatslehre, Rn. 184. 85 Vgl. Erler, 1 BDGV 1957,40 ff. 86 Herzog, Allgemeine Staatslehre, 416 f.; Dietrich Schind/er, in: Gedenkschrift für Max Imboden, 355 (368); Schulze, Staat und Nation in der europäischen Geschichte, 337 f. 87 Erler, 1 BDGV 1957, 54 f.; Schindler, in: Gedenkschrift für Max lmboden, 368. 88 Siehe Bleckmann, 23 AVR 1985, 458; Doehring, Allgemeine Staatslehre, Rn. 161; Erler; 1 BDGV 1957, 51; Werner v. Simson/fürgen Schwarze, in: Handbuch des Verfassungsrechts, § 4, Rn. 21; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 40 V. Siehe auch Tsatsos, EuGRZ 1995, 288, und v. Bogdandy, 48 EA 1993, 52. Bereits Jellinek konstatierte: "(D)ie Anerkennung der staatlichen Natur des Bundes . . . hat die politische Voraussetzung, daß man in ihm die Verwirklichung des nationalen Gedankens oder einer anderen historischen Notwendigkeit finden will.", Die Lehre von den Staatenverbindungen, 298. Vgl. noch Theodor Schilling, Staatsrecht und Staatswissenschaft 1996, 387 (398 ff.), der zwischen formeller und materieller Homogenität unterscheidet. Ablehnend Ingolf Pernice, 120 AöR 1995, 100 (115) unter Berufung auf den Smendschen Integrationsbegriff. 89 Herzog, Allgemeine Staatslehre, 403 f.; v. Simson / Schwarze, in: Handbuch des Verfassungsrechts, § 4, Rn. 21 a.E.

1. Kap.: Stellung der EG im Vcilkerrecht

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nicht a priori vorhanden. Je nach dem Grad der sozio-kulturellen Kohäsion der Mitglieder ist es jedoch denkbar, daß sich die erforderliche soziologische Homogenität nach einem gewissen Zeitablauf einstellt90. 2. Souveränität und Kompetenz-Kompetenz im Verhältnis zwischen EG und Mitgliedstaaten

a) (Formale) Vorenthaltung der Kompetenz-Kompetenz Art. 5 UA 1 (ex-Art. 3b UA 1) EGV zieht der Tätigkeit der EG Grenzen, indem er ihr untersagt, außerhalb der ihr durch den EGV zugewiesenen Befugnisse und gesetzten Ziele zu handeln. Die ausdrückliche Nennung der Gemeinschaft macht deutlich, daß hier der Verband "Europäische Gemeinschaft" und nicht seine Organe gemeint sind, zumal deren begrenzte Ermächtigung in Art. 7 I 2 (ex-Art. 4 I 2) EGV zum Ausdruck kommt. Art. 5 UA 1 EGV hat also die Verbands- und nicht die Organkompetenz im Auge91 • Ist die EG auf die ihr zugewiesenen Befugnisse und gesetzten Ziele beschränkt, so darf sie sich keine anderen als die im EGV ausdrücklich oder stillschweigend übertragenen Kompetenzen aneignen92. Damit wird zwar nicht ausdrücklich, aber der Sache nach klargestellt, daß die EG keine Kompetenz-Kompetenz hat93 , d. h., sie kann ihre Kompetenzen nicht zu Lasten der mitgliedstaatliehen Kompetenzen ausweiten. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem expliziten Hinweis auf die der EG gesetzten Ziele. Zwar spielen die Ziele bei der (teleologischen) Auslegung konkreter Befugnisnormen eine Rolle, aber über diese (Hilfs-)Funktion kommen sie nicht hinaus; sie sind keine Grundlage für selbständige Kompetenzen94. Die in der Vcil90 Siehe Jaenicke, in: Vcilkerrechtliche und Staatsrechtliche Abhandlungen, 30. Vgl. auch Heinrich Schneider, in: Gedächtnisschrift für Eberhard Grabitz, 677 (713). 91 Siehe Geiger, EGV-Kommentar, Art. 3b, Rn. 2. 92 Sog. Prinzip der begrenzten Ermächtigung, siehe Langguth, in: Lenz, EGV-Kommentar, Art. 5, Rn. 4. Ernst Steindorff, EWS 1993, 341 (344) vertritt die Ansicht, daß sich dieses Prinzip in der Gemeinschaftspraxis vor allem wegen der in Art. 95 (ex-Art. lOOa) EGV verliehenen Harmonisierungskompetenz als weitgehend ineffektiv erwiesen habe. 93 v. Bogdandy I Nettes heim, in: Grabitz I Hilf, Kommentar zur EU, Art. 3b, Rn. 3; Callies, in: ders./ Ruffert, Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, Art. 5, Rn. 12; Alan Dashwood, 21 ELR 1996, 113 (115); ders., 23 ELR 1998,201 (209); Zuleeg, in: G/T/E, EU-/ EGV-Kommentar, Art. 3b, Rn. 2. Siehe auch Kahl, 33 Der Staat 1994, 247, und Christian Koenig, DÖV 1998, 268 (272 f.). Demgegenüber meint Jochen Abr. Frowein, 30 EuR 1995, 315 (319), daß weder der EG noch den Mitgliedstaaten Kompetenz-Kompetenz zukomme, da sie jeweils auf ihrem Gebiet die letzte Kompetenz hätten. 94 BVerfGE 89, 155 (209). v. Bogdandy!Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 3b, Rn. 6. Siehe auch Langguth, in: Lenz, EGV-Kommentar, Art. 5, Rn. 7 f. Dagegen meint Helmut Lecheler; 32 AVR 1994, 1 (13), daß die Heranziehung der Ziele, um den Umfang der Gemeinschaftskompetenzen zu bestimmen, in der Sache einem Schluß von der Aufgabe auf die Befugnis sehr nahe komme.

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2. Teil: Die EG und ihre Mitgliedstaaten

kerrechtslehre zum Teil befürwortete Herleitung von implied powers allein aus den Zielbestimmungen eines Gründungsvertrages findet ihre Berechtigung in der "Lückenhaftigkeit" völkerrechtlicher Gründungsverträge95 . Auf ein derart geschlossenes System wie den EGV ist dieser Ansatz allerdings nicht übertragbar, denn der EGV unterscheidet eindeutig zwischen Kompetenzen und Zielen. Es hieße, diese klare Trennung aufzuheben, wollte man auch den Zielen kompetenzbegründende Funktion zusprechen. Ein Beleg dafür ist auch und gerade Art. 308 (exArt. 235) EGV, der der Situation gerecht werden soll, daß die der EG gesetzten Ziele zwar ein Tätigwerden angeraten erscheinen lassen, aber die für dieses Tätigwerden notwendigen Befugnisse im EGV nicht vorhanden sind. Das in dieser Bestimmung vorgesehene gesonderte Verfahren, um die für die Erreichung der Ziele geeigneten Vorschriften zu erlassen, wäre überflüssig, ließe sich die Kompetenz zum Erlaß dieser Vorschriften allein auf die Zielvorschriften stützen. Auf der anderen Seite kann die Norm des Art. 308 EGV nicht herangezogen werden, um die der Gemeinschaft durch Art. 5 UA 1 EGV (formal) vorenthaltene Kompetenz-Kompetenz - sozusagen durch die Hintertür- doch zuzugestehen96 • Eine solche Systemwidrigkeit widerspräche dem verfassungsähnlichen Charakter des EGV97 und negierte die Aufgabe des Art. 5 UA 1 EGV, die Kompetenzordnung innerhalb der EG grundsätzlich zu regeln 98 . Im übrigen zeigt eine nähere Betrachtung des Art. 308 EGV, daß er als Grundlage einer Kompetenz-Kompetenz der EG nicht in Frage kommt. Er ermächtigt nämlich die EG lediglich dazu, einSiehe dazu oben erster Teil, 1. Kapitel, A. III. Beutler I Bieber I Pipkornl Streit, Die Europäische Union, 83; Grabitz, in: ders. I Hilf, Kommentar zur EU, Art. 235, Rn. 2; Ulrich HädeiAdelheid Putt/er, EuZW 1997, 13 (14); Klein, in: Handkommentar zum EUV / EGV, Art. 235, Rn. 3; Schwartz, in: G/T/E, EU-/ EGV-Kommentar, Art. 235, Rn. 9 f. So im Ergebnis auch das BVerfGE 89, 155 (210), und Theodor Schilling, 116 AöR 1991 , 32 (40 ff.). Der EuGH hat in seinem Gutachten 2/94, in dem es um die Zulässigkeit eines Beitritts der EG zur EMRK ging, in Bezug auf Art. 308 EGV klargestellt: "Als integrierender Bestandteil einer auf dem Grundsatz der begrenzten Ermächtigung beruhenden institutionellen Ordnung kann diese Bestimmung keine Grundlage dafür bieten, den Bereich der Gemeinschaftsbefugnisse über den allgemeinen Rahmen hinaus auszudehnen, der sich aus der Gesamtheit der Vertragsbestimmungen und insbesondere denjenigen ergibt, die die Aufgaben und Tätigkeiten der Gemeinschaft festlegen. Sie kann jedenfalls nicht als Rechtsgrundlage für den Erlaß von Bestimmungen dienen, die der Sache nach, gemessen an ihren Folgen, auf eine Vertragsänderung ohne Einhaltung des hierfür vom Vertrag vorgesehenen Verfahrens hinausliefen.", EuGHE 1996, 1759 (1788). Siehe zu den (konstitutionellen) Grenzen des Art. 308 auch unten 2. Kapitel, A. II. 2. 97 Der EuGH sieht im EGV die "Verfassungsurkunde einer Rechtsgemeinschaft", EuGHE 1991-1, 6079 (6102) [Gutachten 1/91 - EWR]. Siehe zur Verfassungsqualität des EGVauch Dieter Grimm, JZ 1995, 581 (584 ff.). Weitergehend Roland Bieber, in: Staatswerdung Europas? Optionen für eine Europäische Union, 393 ff.; Müller-Graf!, in: Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. 1, A. I, Rn. 60 ff., 67 ff. Vgl. auch v. Bogdandy, in: Die Europäische Option, 101 f., 106 ff.; ders., in: Auf dem Wege zu einer Europäischen Staatlichkeit, 24 ff.; Walter van Gerven, 2 EPL 1996, 81 ff. 98 Das BVerfG spricht von einer "Grundsatznorm", BVerfGE 89, 155 (193). Siehe dazu auch v. Bogdandy I Nettesheim, in: Grabitz I Hilf, Kommentar zur EU, Art. 3b, Rn. 1. 95

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1. Kap.: Stellung der EG im Völkerrecht

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zeine Vorschriften für ein bestimmtes Sachgebiet zu erlassen, aber nicht dazu, sich generell die (Legislativ-)Kompetenz für dieses Gebiet zuzusprechen99 . Sollten über die im Verfahren nach Art. 308 EGV erlassenen Vorschriften hinaus weitere Vorschriften erforderlich sein, um die für den betreffenden Politikbereich gesteckten Ziele zu verwirklichen, so bedarf es erneut des Rückgriffs auf Art. 308 EGV. Zudem darf die EG von Art. 308 EGV nur Gebrauch machen, falls dies erforderlich ist, um ein Ziel des Gemeinsamen Marktes zu erreichen. Damit wird dem Zugriff auf Art. 308 EGV als Lückenfüllungsklausel eine Grenze gezogen 100 . Schließlich normiert auch Art. 6 IV (ex-Art. F III) EUV keine Kompetenz-Kompetenz der EG 101 . Das schon deshalb nicht, weil Art. 6 IV EUV von der Europäischen Union, aber nicht der Europäischen Gemeinschaft redet. Aber selbst wenn man annähme, daß eine Kompetenz-Kompetenz der EU zugleich eine solche der EG wäre 102 , kommt doch Art. 6 IV EUV keine derartige Bedeutung zu. Schon der Wortlaut der Bestimmung spricht gegen eine solche Auslegung, denn der dort benutzte Begriff der Mittel ist ein anderer als der der Befugnis, den der EUV ansonsten verwendet, wenn er Kompetenzen meint 103 . Das zeigt der Vergleich mit Art. 5 EUV, der ausdrucklieh klarstellt, daß die EG-Organe ihre Befugnisse nach Maßgabe der Verträge der Europäischen Gemeinschaften einerseits und des EUV andererseits ausüben; dariiber hinaus bekräftigt Art. 5 EUV das Prinzip der begrenzten Ermächtigung für das Handeln der EG-Organe 104 . Auch die Systematik sperrt sich gegen eine Interpretation des vierten Absatzes von Art. 6 EUV als KompetenzKompetenz-Norm, denn Absatz drei bekräftigt die Achtung der nationalen Identiät der Mitgliedstaaten, die durch die Zuerkennung der Kompetenz-Kompetenz an die EU zumindest betroffen wäre 105. 99

Siehe Schwartz, in: GIT IE, EU-IEGV-Kommentar, Art. 235, Rn. 30.

Siehe Grabitz, in: ders. I Hilf, Kommentar zur EU, Art. 235, Rn. 64 f.; Schwartz, in: GITIE, EU-IEGV-Kommentar, Art. 235, Rn. 202 ff. Vgl. Geiger, EGV-Kommentar, Art. 235, Rn. 6 . 101 BVerfGE 89, 155 (194 ff.). Klein, in: Handkommentar zum EUV IEGV, Art. F, Rn. 13; Putt/er, in: CalliesiRuffert, Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, Art. 6 EUV, Rn. 200. Widersprüchlich Thomas C. W Beyer, 35 Der Staat 1996, 189, der einerseits von einer Kompetenz-Kompetenz der Gemeinschaftsorgane ausgeht (208 ff.), andererseits nur die Mitgliedstaaten für befugt hält, neue Gemeinschaftskompetenzen zu begründen (213 f.). 102 Etwa im Zusammenspiel mit Art. 202 (ex-Art. 145) EGV und Art. 205 (ex-Art. 148) EGV, siehe dazu BVerfGE 89, 155 (197); ablehnend Putt/er, in: CalliesiRuffert, Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, Art. 6 EUV, Rn. 203. 103 Vgl. Beutler, in: GIT IE, EU-IEGV-Kommentar, Art. F, Rn. 125 a.E. Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift zeigt, daß vorrangig an finanzielle Mittel gedacht wurde, siehe Hilf, in: Grabitz I ders., Kommentar zur EU, Art. F, Rn. 51. Für eine Begrenzung des Art. 6 IV EUV auf die Ausstattung mit finanziellen Mitteln Stephan Hobe!Bodo Wiegand, ThürVBl 1994, 204 (210). Die Begrifflichkeil des EGV wird als wenig konsistent angeprangert, vgl. v. Bogdandy!Nettesheim, in: GrabitziHilf, Kommentar zur EU, Art. 3b, Rn. 4. 104 BVerfGE 89, 155 (192). 105 Siehe Albert Bleckmann, JZ 1997, 265 (266), und Meinhard Hilf, in: Gedächtnisschrift für Eberhard Grabitz, 157 (164 und 168 f.). Siehe auch Dashwood, 23 ELR 1998, 202. 100

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2. Teil: Die EG und ihre Mitgliedstaaten

Weiterhin widerspräche eine Zuweisung der Kompetenz-Kompetenz durch Art. 6 IV EUV dem Umstand, daß es gerade der EUV in der Fassung des Maastrichter Vertrags war, der zur Aufnahme des Art. 5 UA 1 mit seiner (formalen) Vorenthaltung der Kompetenz-Kompetenz in den EGV führte 106. Zwar könnte man bei diesem Sachstand versucht sein, aus Art. 6 IV EUV eine andere als die hiesige Auslegung des Art. 5 UA 1 EGV abzuleiten, aber dieser Versuch wäre schon deshalb zum Scheitern verurteilt, weil einer solchen "Einflußnahme" des EUV auf die Interpretation des EGV Art. 47 EUVentgegensteht. Danach berührt der EUV- abgesehen von seinen ausdrücklichen Bestimmungen zur Änderung der Gemeinschaftsverträge - diese Verträge nicht. Zudem wäre die in Art. 2, 5. Spiegelstrich EUV ins Auge gefaßte und gern. Art. 48 EUV nur mit Zustimmung der Mitgliedstaaten durchführbare Revision des EUV überflüssig, wäre Art. 6 IV EUV eine Norm über die Kompetenz-Kompetenz 107 . Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß Art. 6 IV EUV eine Aussage über das Verfahren treffen müßte, damit die Kompetenz-Kompetenz aktualisiert werden könnte; eine "Leihe" bei den Verfahrensbestimmungen des EGV bedürfte einer ausdrücklichen Anordnung im EUV, die nicht vorhanden ist 108 . b) Die Mitgliedstaaten als "Herren der Verträge" aa) Auswirkung der WWU auf die Souveränität der Mitgliedstaaten Die Vorenthaltung der Kompetenz-Kompetenz in Art. 5 UA 1 EGVerwiese sich als rein formal 109, wenn die tatsächliche Kompetenzausstattung der EG inzwischen einen solchen Umfang angenommen hätte, daß man ein Umschlagen der Quantität in Qualität annehmen müßte 110 • Die bisherige Integrationsdynamik im Rahmen der EG hat zu einer "doppelten" Ausweitung der Gemeinschaftskompetenzen zu Lasten der Mitgliedstaaten geführt 111 : Zum einen hat die Kommission als autonomes EG-Organ die der Gemeinschaft nach dem EGV zustehenden Kompetenzen extensiv ausgelegt und ist darin vom EuGH jedenfalls teilweise bestätigt worden, zum anderen haben die bisherigen Vertragsänderungen durch die EEA sowie die VerträVgl. BVerfGE 89, 155 (195). Siehe BVerfGE 89, 155 (196). Vgl. Hilf, in: Grabitz I ders., Kommentar zur EU, Art. F, Rn. 55. Vgl. auch Schilling, 116 AöR 1991,63. 108 BVerfGE 89, 155 (196 f.); siehe Hilf, in: Grabitz/ ders., Kommentar zur EU, Art. F, Rn. 52. 109 Steindorff, EWS 1993, 344, wirft die Frage auf, ob der "Verbund der Einzelermächtigungen" nicht längst zu einer Generalermächtigung der Gemeinschaft herangewachsen sei. 110 Siehe Doehring, Allgemeine Staatslehre, Rn. 183 a.E. Grimm, JZ 1995, 585, stellt fest, daß die EG über Herrschaftsbefugnisse verfüge, wie sie traditionell nur Staaten besäßen. Schilling, 116 AöR 1991, 45, meint nach einer Durchsicht der von der EG beanspruchten Kompetenzen feststellen zu können, daß sich die Gemeinschaft nicht so sehr durch den Umfang als vielmehr durch die Intensität ihrer Kompetenzen von einem Staat unterscheide. 111 Siehe Randelzhofer, in: Der Rechtsstaat am Ende?, 126. 106 107

1. Kap.: Stellung der EG im Volkerrecht

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ge von Maastricht und Amsterdam zu weiteren Kompetenzzuweisungen an die EG geführt 112 • Insbesondere seit Irrkrafttreten des EUV wird kontrovers diskutiert, ob die in der supranationalen Struktur der EG angelegte Entwicklung zu einem Bundesstaat nunmehr ein Stadium erreicht habe, in dem der Übergang zur (Bundes-)Staatlichkeit unvermeidbar sei. Diese Diskussion entzündete sich vor allem an den durch den Vertrag von Maastricht in den EGV eingefügten Bestimmungen über die Wirtschafts- und Währungsunion. Zwar sehen diese Bestimmungen hinsichtlich der Wirtschaftspolitik im wesentlichen nur eine Koordinierung der nationalen Wirtschaftspolitiken vor113, aber bezüglich der Währungspolitik werden (relativ) genaue Vorgaben institutioneller und inhaltlicher Art gemacht 114. So legt der EGV einen (festen) Zeitplan für die Realisierung der Währungsunion fest 115 und bestimmt vier Kriterien, anhand derer geprüft werden soll, welche Mitgliedstaaten die für den Eintritt in die dritte und letzte Stufe der Währungsunion nötige Konvergenz aufweisen und sich für jene qualifizieren 116 • Weiterhin sieht der EGV die Errichtung eines Europäischen Währungsinstituts vor117 , das nach dem gemäß Art. 121 IV (ex-Art. 109j IV) EGV gefaßten Beschluß über die Teilnehmer an der dritten Stufe der Währungsunion 118 in der von den Mitgliedstaaten unabhängi112 Auch der Amsterdamer Vertrag hat zu weiteren Kompetenzübertragungen an die EG geführt; allerdings handelte es sich dabei im wesentlichen um die Abrundung bereits bestehender Kompetenzen der EG, siehe Ulrich Karpenstein, DVBI. 1998, 942 (945 f.). 113 Vgl. Art. 99 (ex-Art. 103) EGV. 114 Zu der Kompetenzaufspaltung im Bereich der Wirtschafts- und Währungspolitik siehe Martin Seidel, 27 EuR 1992, 125 (134 ff.). 115 Vgl. Art. 116 (ex-Art. 109e) EGV, Art. 121 ff. (ex-Art. 109j ff.) EGV. Das BVerfG war der Ansicht, daß der in Art. 121 IV (ex-Art. 109j IV) EGV festgesetzte Zeitpunkt für den Eintritt in die dritte Stufe der Währungsunion kein rechtlich durchsetzbares Datum, sondern eher als Zielvorgabe zu verstehen sei; die Bundesrepublik unterwerfe sich daher nicht einem in seinem Selbstablauf nicht mehr steuerbaren "Automatismus", E 89, 155 (201 ff.). Zu Recht zweifelnd Hobe/Wiegand, ThürVBI 1994, 210. Siehe auch Bandilla, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 109j, Rn. 46 f. In der Zwischenzeit hat der Rat auf der Grundlage von Art. 121 IV EGV die Mitgliedstaaten bestimmt, die an der dritten Stufe der Währungsunion teilnehmen sollen; sie hat dementsprechend am 01. Januar 1999 begonnen. Das BVerfG hat eine gegen die Teilnahme der Bundesrepublik an der dritten Stufe der Währungsunion gerichete Verfassungsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen, EuZW 1998, 279 (282 ff.). 116 Vgl. Art. 121 I EGV iVm dem Protokoll über die Konvergenzkriterien. Das wichtigste Konvergenzkriterium ist die auf Dauer tragbare Finanzlage der öffentlichen Hand, das in Art. 104 EGV iVm dem Protokoll über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit eine besondere Ausformung gefunden hat; entscheidend sind danach das Verhältnis bzw. die Entwicklung der Neuverschuldung zum BIP und der Gesamtverschuldung zum BIP, vgl. Art. 104 II EGV iVm Art. 1 des Defizitprotokolls. Siehe zu den Konvergenzkriterien Helge Kortz, RIW 1997, 357 ff. Siehe auch Gerd Morgenthaler, JUS 1997, 673 ff. 117 Vgl. Art. 117 (ex-Art. 109 f.) EGV. 11 8 Siehe dazu Ulrich Häde, JZ 1998, 1088 (1088 ff.). Dänemark, Griechenland, Schweden und das Vereinigte Königreich nehmen an der dritten Stufe der Währungsunion nicht teil. Die

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2. Teil: Die EG und ihre Mitgliedstaaten

gen 119 Europäischen Zentralbank (EZB) 120 aufgegangen ist 121 . Die EZB ist das Kernelement des Europäischen Systems der Zentralbanken, dem es seit dem Eintritt in die dritte Stufe am 01. Januar 1999 obliegt, die Währungspolitik der daran teilnehmenden Mitgliedstaaten zu steuern 122. Die nationalen Zentral banken, die über ihre Präsidenten im Rat der EZB vertreten sind 123, sind seit diesem Datum im wesentlichen die Rechtsakte der EZB 124 ausführende Organe. Die Währungspolitik wird als Kernbereich staatlicher Souveränität angesehen125. Die mit dem Beginn der dritten Stufe der Währungsunion verbundene vollständige Übertragung währungspolitischer Steuerungsmittel auf die EZB als Organ der EG 126 wird darum als Wendepunkt betrachtet, der die EG zu einem "QuasiStaat" mache 127 . Die Währungspolitik als übergeordnete staatliche Aufgabe mit erheblichen Auswirkungen auf die Gesellschaft könne von einem Staatenbund weder wahrgenommen noch verantwortet werden; die letzte Stufe der Währungsunion bedinge daher eine Umstrukturierung der EG in ein Staatswesen 128 . Gegen diese Konsequenz wird zum einen vorgebracht, daß die totale Unabhängigkeit der EZB gegenüber allen anderen EG-Organen 129 einen Übergang der den MitgliedNichtteilnahme von Dänemark und dem Vereinigten Königreich beruht auf den in den Protokollen Nr. 11 und 12 zum EUV getroffenen Vereinbarungen zwischen diesen beiden Staaten und der EU. Die Nichtteilnahme Griechenlands beruht auf der Nichterfüllung der Konvergenzkriterien. Schweden nimmt aufgrund eines negativen Votums seines Parlaments nicht an der dritten Stufe teil; siehe zur Vereinbarkeil des schwedischen Verhaltens mit dem Gemeinschaftsrecht Häde, a. a. 0., 1092. 119 Vgl. Art. 108 (ex-Art. 107) EGV. 120 Siehe zur Stellung der EZB Werner Heun, JZ 1998, 866 ff. 121 Vgl. Art. 123 I, II (ex-Art. 1091 I, II) EGV. 122 Vgl. Art. 105 (ex-Art. 105) EGV, Art. 106 (ex-Art. 105a) EGV. 123 Vgl. Art. 112 I (ex-Art. 109a I) EGV. 124 Vgl. Art. 110 (ex-Art. 108a) EGV. 125 Frowein, 30 EuR 1995, 331; Thomas Oppermann/Claus Dieter Classen, NJW 1993, 5 (9); Thorsten Stein, 53 VVDStRL 1994, 26 (31); Albrecht Weber, JZ 1993, 325 (328). Siehe auch Hobe/Wiegand, ThürVBI1994, 210. 126 Vgl. Art. 8 (ex-Art. 4a) EGV. 127 Schilling, 116 AöR 1991, 50 ff. Fritz Ossenbühl, DVBI. 1993, 629 (631) spricht von einer supranationalen Staatlichkeit. Rainer Lepsius, in: Staatswerdung Europas?, Optionen für eine Europäische Union, 19 (25), sieht darin einen entscheidenden Schritt in Richtung auf einen umfassenden Bundesstaat. Bereits 1951 sprach Hans-fürgen Schlochauer mit Blick auf die EGKS von einem "partiellen Wirtschaftsstaat", JZ 1951, 289 (290). Der französische Conseil Constitutionnel entschied Ende 1997, daß vor der Zustimmung zum Vertrag von Amsterdam die französische Verfassung geändert werden müsse, weil der Amsterdamer Vertrag "wesentliche Bedingungen der Ausübung nationaler Souveränität" berühre, FAZ vom 07. 01. 1998, S. 4. Siehe zu dieser Entscheidung Jan Hecker; JZ 1998, 938 ff. 12s Seidel, EuR 1992, 138 f. Vielfach wird betont, daß die gemeinsame Währungspolitik eine Vergemeinschaftung auch der - nach der bisherigen Konzeption noch bei den einzelnen Mitgliedstaaten verbleibenden - Wirtschaftspolitik erforderlich machen werde, siehe dazu den Kommentar von Hans D. Barbier, FAZ v. 14. 11. 1997, S. 17. Spätestens dieser Schritt schaffe einen europäischen Bundesstaat, Joachim Wolf, JZ 1993, 594 (596).

1. Kap.: Stellung der EG im VOikerrecht

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staatenentzogenen Souveränität auf die EG verhindere 130. Die Unabhängigkeit der Bundesbank nach altem Muster sei kein Gegenargument, da sie nicht so weit reiche wie die der EZB 131 . Zum anderen wird behauptet, daß auch die der Ausdehnung der Gemeinschaftskompetenzen um den Bereich der Währungspolitik immanente besondere Qualität keinen Verlust der Kompetenz-Kompetenz der Mitgliedstaaten herbeigeführt habe 132 . An dieser Kontroverse um die staatsrechtlichen Folgen der Währungsunion zeigt sich die Schwierigkeit, die für den Souveränitätsverlust der Mitglieder erforderliche Kompetenzfülle des Staatenbundes abstrakt zu bestimmen 133 . Das führt dazu, auf das Kriterium der Entscheidungsmöglichkeit in der sog. Grenzsituation zurückzugreifen. Diese Entscheidungsmöglichkeit liegt beim Staatenbund solange in den Händen der Mitglieder, solange sie sich vom Bund (rechtlich und faktisch 134) zu trennen vermögen 135 . Die EG-Mitgliedstaaten sind demzufolge dann noch souverän, wenn sie sich von der Gemeinschaft lösen können 136.

129 Der Wirtschafts- und Währungsausschuß des EP hatte einen Entwurf über die "demokratische Rechenschaftspflicht" der EZB gegenüber dem EP vorgelegt; die in diesem Entwurf vorgeschlagene Rechenschaftspflicht wurde auf Verlangen von EP-Abgeordneten wieder gestrichen, siehe FAZ v. 21. 03. 1998, S. 14. 130 Stein, 53 VVDStRL 1994, 31. 131 Doehring, ZRP 1993, 102. Siehe auch Albrecht Weber, JZ 1994, 53 (57). Gerd Winter, DÖV 1993, 173 (182) konstatiert eine Entpolitisierung der Währungspolitik, die mit einer für die Nationalstaaten beispiellosen Entparlamentarisierung einhergehe. Dementsprechend stellt das BVerfG fest, daß die Einflußmöglichkeiten des deutschen Bundestages nahezu vollständig zurückgenommen seien, soweit die EZB mit Unabhängigkeit gegenüber der EG und den Mitgliedstaaten ausgestattet sei; die verfassungsrechtliche Rechtfertigung findet das Gericht in Art. 88 S. 2 GG, der eine mit Art. 79 III GG vereinbare Modifikation des Demokratieprinzips herbeiführe, E 89, 155 (207). 132 Ulrich Everling, DVBI. 1993, 936 (938), Weber, JZ 1993, 328. Jürgen Schwarze, JZ 1993, 585 ff. meint, daß der EUV "eindeutig" keinen europäischen Bundestaat schaffe (587) und zwar auch nicht durch die Einführung einer gemeinsamen Währung (591). Siehe auch Grimm, JZ 1995, 582; Siegfried Magiera, JURA 1994, 1 (7); Müller-Graf!, in: Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. 1, A. I, Rn. 52; Thomas Oppermann, Der Staatenverbund der Europäischen Union, 87 (91), und Randelzhofer, in: Der Rechtsstaat am Ende?, 130, der immerhin eine partielle Annährung an einen Bundesstaat konstatiert, a. a. 0., 127. 133 Siehe Hermann-Josef Blanke, DÖV 1993, 412 (419), Markus Heintzen, 119 AöR 1994, 564 (568 ff.); Siegfried Magiera, in: Festschrift für Rudolf Morsey, 211 (226). 134 Kritisch zum Kriterium der faktischen Austrittsmöglichkeit Blanke, DÖV 1993, 420, der die Sezessionsfrage für eine (reine) Rechtsfrage hält. 135 Siehe oben 1. a) und Erler, 1 BDGV 1957, 38 f. 136 Von Beutler, in: Festschrift für Ernst-Wolfgang Böckenförde, 122, als "Kernfrage" bezeichnet.

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2. Teil: Die EG und ihre Mitgliedstaaten

bb) Austrittsrecht der Mitgliedstaaten als Souveränitätsanker (1) Einseitiges Austrittsrecht einzelner Mitgliedstaaten? Weder der EGV noch der EUV treffen Aussagen darüber, ob ein einzelner Mitgliedstaat aus der Gemeinschaft austreten kann. Primafacie spricht dieses Schweigen gegen ein Austrittsrecht einzelner Mitgliedstaaten. Dennoch läßt das Völkervertragsrecht auch in einem solchen Fall eine einseitige Vertragsbeendigung zu. Art. 56 WVK 1969 sieht ein einseitiges Beendigungsrecht vor, wenn die Vertragsparteien die Möglichkeit einer Beendigung (stillschweigend) zuzulassen beabsichtigten, oder wenn ein solches Recht aus der Natur des Vertrages hergeleitet werden kann. Ungeachtet der Frage, ob Art. 56 Völkergewohnheitsrecht widerspiegelt, was allein seine Anwendbarkeit im hiesigen Kontext zu rechtfertigen vermöchte 137, greifen die beiden von ihm geregelten Beendigungsgriinde beim EGV nicht 138 . Gegen einen impliziten Willen der Mitgliedstaaten, den Austritt eines einzelnen Mitgliedstaates zuzulassen, spricht die in Art. 312 (ex-Art. 240) EGVausgesprochene Unendlichkeit der Gemeinschaft 139. Dem vor allem durch die Vorstellung von einem Binnenmarkt einschließlich einer gemeinsamen Währungspolitik geprägten Charakter des EGV 140 kann ein solches einseitiges Beendigungsrecht gleichfalls nicht entnommen werden, denn die Herstellung eines solchen einheitlichen Wirtschaftsraumes wäre durch den Austritt eines Mitglieds beeinträchtigt 141 . Allerdings kennt das Völkergewohnheitsrecht einen einseitigen Beendigungsgrund für (mehrseitige) Verträge, der auch in die WVK 1969 aufgenommen wurde: die clausula rebussie stantibus 142 . Sie läßt nach ihrer in Art. 62 kodifizierten Fassung die Beendigung eines (mehrseitigen) Vertrages zu, wenn sich diejenigen Umstände, die bei Vertragsabschluß vorlagen, und die für die Zustimmung zum Vertrag wesentlich waren, so grundlegend geändert haben, daß das Ausmaß der aufgrund des Vertrages noch zu erfüllenden Verpflichtungen dadurch tiefgreifend um137 Die WVK 1969 ist aufgrund ihres Art. 4 nicht unmittelbar auf den EGV anwendbar, auch wenn sie gern. Art. 5 grundsätzlich auf die Gründungsverträge internationaler Organisationen Anwendung findet. Sie könnte daher nur mittelbar herangezogen werden, soweit sie Gewohnheitsrecht kodifiziert; bei den Vorschriften des fünften Teils der WVK 1969, zu denen Art. 56 zählt, ist dies allerdings im einzelnen umstritten, Heintschel v. Heinegg. in: Ipsen, § 15, Rn. 3. 138 Schweitzer, in: Grabitz /Hilf, Kommentar zur EU, Art. 240, Rn. 5; Manfred Zuleeg, in: Gedächtnisschrift für Christoph Sasse, Bd. I, 55 (62). A.A. Bleckmann, DVBI. 1997, 267, unter Verweis auf Art. 6 III (ex-Art. F I) EUV. 139 Siehe Beutler/Bieber/Pipkom/Streil, Die Europäische Union, 79; Hilf, in: G/T/E, EU-/EGV-Kommentar, Art. 240, Rn. 8. Siehe auch Everling, in: Festschrift für Hermann Mosler, 183 f., und Schwarze, 18 EuR 1983, 17. 140 Vgl. Art. 2 (ex-Art. 2) EGV.

Siehe auch Zuleeg, in: Gedächtnisschrift für Christoph Sasse, 62. Zur (heutigen) Natur der clausula rebus als Gewohnheitsrecht siehe Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, § 15, Rn. 98 ff.; zur Staatenpraxis siehe Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 836. 141

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1. Kap.: Stellung der EG im Volkerrecht

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gestaltet würde. Insbesondere das zuletzt genannte Kriterium der tiefgreifenden Umgestaltung der Vertragspflichten läßt es zweifelhaft erscheinen, ob die clausula rebus überhaupt auf den EGV angewendet werden kann, denn es geht dabei um "noch zu erfüllende" Vertragspflichten 143 . Die clausula rebus stellt also einerseits auf einzelne, spezifische Vertragspflichten, andererseits auf zeitlich begrenzte Vertragspflichten ab. Der EGV läßt sich aber wegen seines - spätestens nach Änderung durch die EEA sowie die Verträge von Maastricht und Amsterdam nicht mehr allein wirtschaftlich ausgerichteten - Integrationsprogramms nicht in einzelne, jeweils isoliert zu erfüllende Vertragspflichten aufspalten. Aus dem selben Grund sind die durch den EGV begründeten Pflichten auch nicht zeitlich befristet 144. Selbst wenn man annähme, daß die Ausformung der clausula rebus in der WVK 1969 nicht ihren ganzen gewohnheitsrechtliehen Umfang erfaßte und deshalb grundsätzlich auch auf den EGV anwendbar wäre, wirft die Dynamik und Prozeßhaftigkeit dieses Vertragswerks insoweit Probleme auf. Die bisherigen (Einstimmigkeit erheischenden) Modifikationen des EGV durch die EEA sowie die Verträge von Maastricht und Amsterdam belegen, daß der EGV entsprechend seinem Integrationsprogramm nicht als statisches Gebilde begriffen werden kann, sondern perspektivisch gesehen werden muß. Die Änderungen des EGV nehmen die innerund außerhalb der Gemeinschaft stattfindenden Veränderungen auf und beziehen sie ein; der EGV reagiert also permanent auf die geänderten regionalen und globalen Rahmenbedingungen. Die nächste Umgestaltung des EGV steht wegen der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten schon bevor. Angesichts dessen bleibt kein Raum für eine grundlegende Änderung der bei Vertragsschluß gegebenen Umstände im Sinne der clausula rebus 145 , weil diese Änderung nur bei einem "starren" Vertrag eintreten kann. Selbst wenn man trotzdem ein einseitiges Austrittsrecht einzelner Mitgliedstaaten auf der Grundlage der clausula rebus bejahen wollte 146, ist festzuhalten, daß 143 Ablehnend etwa Everling, in: Festschrift für Hermann Mosler, 184, und Schwarze, 18 EuR 1983, 17 f. 144 Art. 312 EGVist daher deklaratorischer Natur, vgl. Hilf, in: G/T /E, EU-/EGV-Kommentar, Art. 240, Rn. 5. 145 Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, 23 f. ; Kokott, 119 AöR 1994, 225. Siehe auch Hilf, in: G/T/E, EU-/EGV-Kommentar, Art. 240, Rn. 13. A.A. Huber; in: Verfassungsrecht im Wandel, 356; Albrecht Randelzhofer; in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. I§ 15, Rn. 34; Schilling, 116 AöR 1991, 44, Fn. 58. 146 Hillgruber; 34 AVR 1996, 368 ff., und Kempen, 35 AVR 1997, 282 ff., gelangen für den - sehr hypothetischen - Fall, daß die EG-Organe, vor allem der EuGH, fortgesetzt ultravires handeln, ohne daß der davon besonders betroffene Mitgliedstaat diese kompetenzwidrigen Handlungen über seine Einwirkungsmöglichkeiten auf die Organe bzw. über die Anrufung des EuGH zu beseitigen vermag, zu einem einseitigen Kündigungsrecht, räumen aber ein, daß es insofern an einer Volkergewohnheitsrecht begründenden Praxis fehle. Diese Position wirft natürlich die Frage auf, wer dazu berufen ist, über die ultra-vires Natur der Handlungen zu befinden. Siehe dazu Schilling, 37 Harvard ILJ 1996, 403 ff. einerseits, und Weiler/Haltern, 37 Harvard ILJ 1996,423 ff., 431 ff., 437 ff. andererseits.

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2. Teil: Die EG und ihre Mitgliedstaaten

dieses Recht de facto nicht ausgeübt werden kann 147 . Zumindest die wirtschaftliche, aber auch die rechtliche Interdependenz der Mitgliedstaaten hat ein solches Maß erreicht, daß ein einzelnes Mitglied keine reale Möglichkeit mehr hat, außerhalb des Gemeinschaftsgefüges zu bestehen 148 ; zu Recht wird die Gemeinschaft daher als "Schicksalsgemeinschaft" bezeichnet. Hinzu kommt, daß andere Regionen- hervorgerufen durch die bereits skizzierten Sachzwänge 149 - allmählich beginnen, eine der EG vergleichbare Entwicklung zu nehmen, wodurch sich die Völkerrechtsordnung immer mehr in ein System miteinander kommunizierender Blöcke umwandelt. Der Verlust zumindest des faktischen Austrittsrechts einzelner Mitgliedstaaten schwächt ihre Souveränität in erheblicher Weise. Diese Schwächung führt allenfalls dann nicht in ein "Abgleiten" in die "Gliedstaatlichkeit", wenn den Mitgliedstaaten in ihrer Gesamtheit ein Auflösungsrecht zukommt. (2) Gemeinsames Auflösungsrecht aller Mitgliedstaaten

Trotz des jedenfalls faktisch ausgeschlossenen einseitigen Austrittsrechts einzelner Mitglieder fehlt es der EG an der für einen (Bundes-)Staat erforderlichen Souveränität, wenn sie in ihrem Bestand nach wie vor von der Entscheidung der Gesamtheit ihrer Mitglieder abhängig ist. Aus dem Vertragsänderungsrecht der Mitgliedstaaten nach Art. 48 EUV läßt sich ein gemeinsames Auflösungsrecht aller Mitgliedstaaten allerdings nicht ableiten 150. Unabhängig davon, ob Art. 48 EUV den Mitgliedstaaten neben verfahrensmäßigen Beschränkungen auch inhaltliche Schranken auferlegt 151 , unterliegt die Änderungsbefugnis zumindest insofern einer 147 So wohl auch Everling, DVBI. 1993, 942. Huber, in: Verfassungsrecht im Wandel, 357, hält einen Austritt der Bundesrepublik in praktischer Hinsicht für ausgeschlossen. A.A. Randelhzofer, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. I,§ 15, Rn. 34; Ress, 53 VVDStRL 1994, 124; Stein, 53 VVDStRL 1994, 33. 148 Angedeutet bei v. Simson/Schwarze, in: Handbuch des Verfassungsrechts, § 4, Rn. 19. Siehe auch Heintzen, 119 AöR 1994, 582, der die Fähigkeit der Mitgliedstaaten, ernsthafte politische Krisen allein zu meistem, verneint. 149 Siehe oben 1. b ). 150 Markus Heintzen, 29 EuR 1994, 35 (46). 1s1 In diesem Sinne wird zum Teil die Aussage des EuGH im ersten EWR-Gutachten verstanden, wonach eine Änderung des Art. 310 (ex-Art. 238) EGV, die eine mit Art. 220 (exArt. 164) EGV unvereinbare Errichtung eines Gerichtssystems qua Assoziierungsabkommen zuließe, die Unvereinbarkeit dieses Gerichtssystems mit dem Gemeinschaftsrecht nicht beseitige, E 1991, 6079 (6112). Es wird behauptet, daß der EuGH damit einen "änderungsfesten Kern" des EGV feststelle, so bspw. v. Bogdandy, in: Auf dem Wege zu einer Europäischen Staatlichkeit, 28, und Klein, in: Handkommentar zum EUV /EGV, Art. N, Rn. 15. Es ist fraglich, ob diese Interpretation zutrifft, denn unter Berücksichtigung des Kontexts der Entscheidungsgründe spricht mehr dafür, daß der EuGH damit nur solchen Änderungen einen Riegel vorschieben wollte, die sich in Widerspruch zu den grundlegenden Bestandteilen des Gemeinschaftsrechts setzen, ohne damit zugleich diese grundlegenden Bestandteile selbst für änderungsresistent zu erklären; in diesem Sinne auch Hilf, 53 VVDStRL 1994, 89; ähnlich Heintzen, 119 AöR 1994, 577 f., der allerdings davon ausgeht, daß der EuGH implizit das

1. Kap.: Stellung der EG im Völkerrecht

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äußersten Schranke, als sie die Mitgliedstaaten nicht dazu berechtigt, den EGV völlig aufzuheben 152. Eine Totalaufhebung wäre mehr als eine (bloße) Änderung des Vertrags, die schon begrifflich ein auch nach dem Eingriff fortbestehendes Vertragswerk voraussetzt 153 • Eine ersatzlose Beseitigung der EG können die Mitgliedstaaten deshalb nur außerhalb des in Art. 48 EUV normierten Vertragsänderungsverfahrens erreichen 154 . Auf der anderen Seite schließen die ausdrückliche Normierung der Vertragsrevision in Art. 48 EUV und die deklaratorische Festlegung der unbegrenzten Geltungsdauer des EGV in Art. 312 ein gemeinsam auszuübendes Auflösungsrecht aller Mitgliedstaaten auch nicht aus 155 . Es entspricht herkömmlichen Vorstellungen des Volkervertragsrechts, daß die Partner eines Vertrages denselben durch einvernehmliches Handeln wiederbeenden können 156 ; Art. 54 b) WVK 1969 ist insoweit Ausdruck des Volkergewohnheitsrechts. Dementsprechend steht den Mitgliedstaaten nach Völkerrecht die Befugnis zu, den EGV durch einvernehmliches Handeln aufzuheben 157 • Aufhebungsrecht der Mitgliedstaaten beschneiden wolle; siehe zu diesem Punkt auch unten, 2. Kapitel, A. II. 2. 152 Vedder; in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 236, Rn. 4; siehe auch Beyer; 35 Der Staat 1996, 215. Offen gelassen von Meng, in: G/T/E, EWGV-Kommentar, Art. 236, Rn. 53. A.A. offenbar Wolf, DVBJ. 1993, 597. 153 Zuleeg, in: Gedächtnisschrift für Christoph Sasse, 58. Vgl. auch Vedder; in: Grabitz I Hilf, Kommentar zur EU, Art. 236, Rn. 4. 154 Zur Zulässigkeil von Vertragsänderungen außerhalb des in Art. 48 EUV normierten Verfahrens siehe Christian Koenig I Matthias Pechstein, 33 EuR 1998, 130 ff. 155 Klein, in: Handkommentar zum EUV /EGV, Art. 240, Rn. 2. Zweifelnd Everling, DVBJ. 1993, 942. Offen gelassen von Heintzen, EuR 1994, 42 und 46. 156 Siehe Verdross!Simma, Universelles Völkerrecht,§ 802. 157 Blanke, DÖV 1993, 420; Hillgruber; 34 AVR 1996, 365 f.; Huber; in: Verfassungsrecht im Wandel, 356; Magiera, in: Festschrift für Rudolf Morsey, 219 f. ; Randelzhofer; in: Der Rechtsstaat am Ende?, 130; Schilling, 116 AöR 1991, 44; Schweitzer; in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 240, Rn. 4; Christian Tomuschat, EuGRZ 1993, 489 (494 f.); Wagner, Grundbegriffe des Beschlußrechts der Europäischen Gemeinschaften, 118; Weber, JZ 1994, 58; Weiler/ Haltern, 37 Harvard ILJ 1996, 417 f. So aus dem Blickwinkel eines "pluralistischen" Verfassungsverständnisses ebenfalls Marcel Kaufmann, 36 Der Staat 1997, 521 (529 ff., 532 f.). Dies ist auch die Sicht des BVerfG, wenn es Deutschland als einen der "Herren der Verträge" bezeichnet, "die ihre . . . Zugehörigkeit aber letztlich durch einen gegenläufigen Akt auch wieder aufheben könnten.", E 89, 155 (190). Daß es damit nicht ein einseitiges Austrittsrecht Deutschlands stipulieren wollte, folgt aus dem Wort "die"; hätte das Gericht ein einseitiges Austrittsrecht annehmen wollen, hätte es das Wort "der" verwenden müssen. Wie hier Manfred Hilf, in: Der Staatenverbund der Europäischen Union, 75 (80); ders., in: G/T /E, EU-/EGV-Kommentar, Art. 240, Rn. 7. A.A. insoweit Heintzen, 119 AöR 1994, 571 m. w. Nachw.; Kokott, 119 AöR 1994, 224 f.; zweifelnd Jochen Abr. Frowein, 54 ZaöRV 1994, 1 (11), der im übrigen ein gemeinsames Aufhebungsrecht der Mitgliedstaaten für eine "Selbstverständlichkeit" hält, a. a. 0., 10. Demgegenüber hält Everling, in: Festschrift für Hermann Mosler, 188 f., eine Auflösung der EG durch einen übereinstimmenden Akt aller Mitgliedstaaten nur bei "Wandlungen mit revolutionärem Ausmaß" für möglich.

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2. Teil: Die EG und ihre Mitgliedstaaten

Wie beim einseitigen Austrittsrecht einzelner Mitgliedstaaten stellt sich natürlich auch hier die Frage, ob die Mitgliedstaaten ihr gemeinsames Auflösungsrecht faktisch in Anspruch nehmen können. Insoweit kann (noch) nicht von der objektiven Unmöglichkeit für einzelne Mitgliedstaaten auf die Gesamtheit der Mitgliedstaaten geschlossen werden. Entschlössen sich alle Mitgliedstaaten einvernehmlich zu diesem Schritt, würde dies zwar sowohl innerhalb der jeweiligen Mitgliedstaaten als auch im Verhältnis zueinander und zu Dritten zu erheblichen Friktionen, insbesondere wirtschaftlicher Art, führen 158, aber die jeweilige staatliche Existenz könnte in diesem Fall noch bewahrt werden 159. Sobald allerdings die oben angedeutete Blockbildung in anderen Regionen vollendet sein sollte, können die Mitgliedstaaten das ihnen gemeinsam zustehende Auflösungsrecht faktisch nicht mehr wahrnehmen, denn dann wären die Voraussetzungen für eine einzelstaatliche Existenz zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht nicht mehr vorhanden160. Aus dem den Mitgliedstaaten gemeinsam zustehenden und auch (noch) tatsächlich ausübbaren Auflösungsrecht folgt als Konsequenz, daß die EG derzeit kein (Bundes-)Staat ist 161. Allerdings läßt sich nicht leugnen, daß im Verhältnis zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten die angesichts des traditionellen Souveränitätsverständnisses paradox anmutende Situation einer Souveränitätsteilung eingetreten ist 162. Man könnte auch sagen: Die Souveränität bleibt in der Schwebe 163 , wobei sich die Waagschale auch aus den nachfolgend darzustellenden Griinden noch zugunsten der mitgliedstaatliehen Souveränität neigt. c) Demokratiedefizit der EG Ungeachtet des den Mitgliedstaaten in ihrer Gesamtheit zustehenden und faktisch wahrnehmbaren Austrittsrechts kann die von der EG ausgeübte supranatioSchon wegen dieser Auswirkungen ist ein solcher Schritt rein hypothetisch. Dagegen meint Doris König, 54 ZaöRV 1994, 17 (34), daß das gemeinsame Aufhebungsrecht der Mitgliedstaaten theoretischer Natur sei, da ihre wirtschaftliche Verflechtung faktisch nicht mehr reversibel sei; in diesem Sinne wohl auch Peter Graf Kielmansegg, FAZ v. 17. 02. 1995, S. 13, undBleckmann / Pieper, in: Bleckmann, Rn. 163. 160 Zweifelnd Panajotis Kondylis, FAZ v. 26. 10. 1994, S. 9. 161 A.A. Grams, Zur Gesetzgebung der Europäischen Union, 31 ff., 41 ff. 162 So prononciert Doehring, ZRP 1993, 100; auch Ress, 53 VVDStRL 1994, 123 f., und Weber, JZ 1993, 328. Vgl. auch v. Bogdandy, 48 EA 1993, 54 f.; Grams, Zur Gesetzgebung der Europäischen Union, 52; Jürgen Schwarze, Das schwierige Geschäft mit Europa und seinem Recht, JZ 1998, 1081 (1087 f.). 163 Everling, DVBI. 1993, 943 ; Frowein, 27 EuR 1992, Beiheft 1, 67; Oppermann, in: Der Staatenverbund der Europäischen Union, 96. So auch schon lpsen, in: Festschrift für Ulrich Scheuner, 215. Kokott, 119 AöR 1994, 232, meint, daß ein solcher Schwebezustand mit dem modernen Souveränitätsverständnis im Sinne von Volkssouveränität nicht vereinbar sei. 158

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1. Kap.: Stellung der EG im Völkerrecht

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nale Gewalt solange nicht als wahrhaft souverän erachtet werden, solange sie nicht im erforderlichen Umfang demokratisch legitimiert ist, d. h. ein in freier, unmittelbarer, gleicher, geheimer und allgemeiner Wahl 164 bestimmtes Parlament besitzt, das die wesentlichen Entscheidungen trifft 165 . Trotz der vor allen Dingen durch den EUV erweiterten Mitbestimmungsrechte des EP im Rechtssetzungsprozeß der EG, wie sie in den Verfahren der Mitentscheidung und der Zusammenarbeit zum Ausdruck kommen 166, entsprechen diese Mitwirkungsrechte-auch nach dem zwischenzeitliehen Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages - noch nicht in vollem Umfang 167 den Anforderungen des Demokratieprinzips 168.

164 Bislang ist es noch nicht zu dem von Art. 190 IV (ex-Art. 138 III) EGV angestrebten einheitlichen Wahlverfahren für das EP in allen Mitgliedstaaten gekommen. Das EP hat inzwischen einen neuen Vorstoß zur Vereinheitlichung der unterschiedlichen Wahlverfahren unternommen, siehe FAZ v. 02. 03. 1998, S. 8. Konrad Adam sieht bei den Wahlen zum EP ein auswegloses Dilemma zwischen der Arbeitsfähigkeit des Parlaments und dem Prinzip der repräsentativen Demokratie: Wolle man dem Grundsatz der Repräsentation genügen, entstünde ein wegen seiner Größe arbeitsunfähiges Parlament; erachte man die Arbeitsfähigkeit als entscheidendes Kriterium, zerstöre man den repräsentativen Anspruch des Parlaments, FAZ v. 10. 11. 1994, S. 37; dieses Bedenken teilt David Davis, FAZ v. 17. 01. 1995, S. 8, nicht aber Wemer Weidenfeld I Josef Janning, FAZ v. 03. 07. 1998, S. 8. Als Antwort auf das von ihm konstatierte Demokratie-Dilemma zeichnet sich nach Ulrich Beck die Herausbildung einer postparlamentarischen Demokratie ab, die durch Bilder ",reflexer Demokratie' im Sinne pluraler demokratischer Akteure und Institutionen" gekennzeichnet sei, Aus Politik und Zeitgeschichte, 11. 09. 1998, 3 (6 f.). Er warnt allerdings davor, daß diese Entwicklung die Grenzen zwischen Demokratie und Nicht-Demokratie verschwimmen lasse, a. a. 0 ., 8. 165 Siehe Seidel, EuR 1992, 140, sowie Zuleeg, JZ 1993, 1073. 166 Vgl. Art. 251 und 252 (ex-Art. Art. 189 b) und c)) EGV. Der Amsterdamer Vertrag hat den Anwendungsbereich des Verfahrens der Mitentscheidung merklich ausgedehnt, siehe Meinhard Hilf/ Eckhard Pache, NJW 1998, 705 (710). 167 Der EuGH sieht in der Einbindung des EP in das institutionelle System der EG ein grundlegendes demokratisches Prinzip verwirklicht, demzufolge die Völker durch eine Versammlung ihrer Vertreter an der Ausübung hoheitlicher Gewalt beteiligt sind, wobei er einräumt, daß die Mitwirkung des EP dieses demokratische Prinzip nur beschränkt widerspiegele, EuGHE 1980, 3333 (3360); 1980, 3393 (3424); 1995-I, 643 (668); 1995-1, 1827 (1851 f.). Demgegenüber bestreitet Randelzhofer, in: Der Staatenverbund der Europäischen Union, 42, daß ein übergeordnetes allgemeines Demokratieprinzip im Gemeinschaftsrecht existiere. 168 Siehe Weber, JZ 1993, 329. Vgl. auch Doehring, DVBI. 1997, 1134 f., und Weiler/Haltern, 37 Harvard ILJ 1996, 423. Diese Einschätzung wird auch in Bezug auf die durch den Vertrag von Arnsterdam geänderte Stellung des EP geteilt, siehe Hilf/ Pache, NJW 1998, 712; Matthias Pechstein, DÖV 1998, 569 (573 f.). Dennoch ist nicht zu verkennen, daß die durch den Amsterdamer Vertrag herbeigeführte Straffung und Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens die Position des EP deutlich aufgewertet hat, siehe Renaud Dehousse, 35 CMLR 1998,595 (603 ff.); Werner Berg / Rolf Karpenstein, EWS 1998,77 (82); Sally Langrish, 23 ELR 1998, 3 (7); Streinz, JURA 1998, 64. Nach Ansicht des BVerfG können die Wahlen zum EP allerdings nicht an den Maßstäben des GG gemessen werden; die gegenwärtige Verteilung der Sitze im EP nach einem pondierten Schlüssel verstoße nicht gegen den Grundsatz der Wahlgleichheit, NJW 1995, 2216 (2216); zustimmend Hans Heinrich Rupp, NJW 1995, 2210 ff.

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2. Teil: Die EG und ihre Mitgliedstaaten

Das Demokratiedefizit ist aber nicht allein dadurch zu beheben, daß man dem EP die nötigen Mitwirkungsrechte einräumt 169, denn dadurch würden zugleich die Mitwirkungsrechte der einzelstaatlichen Parlamente und damit die von ihnen ausgehende demokratische Legitimation der Gemeinschaftsgewalt geschwächt 170. Eine Verlagerung der parlamentarischen Kontrolle von den mitgliedstaatliehen Parlamenten auf das EP ist erst und nur dann gerechtfertigt, wenn die soziologischen Grundlagen für eine tiefer reichende demokratische Legitimation der Gemeinschaftsgewalt vorhanden sind; daran fehlt es derzeit 171. d) Soziologische Heterogenität der EG Die EG weist noch nicht die für einen Staat unerläßliche soziologische Homogenität auf172 . Diese Homogenität setzt kein Zusammenwachsen der europäischen Völker zu einem Volk voraus 173 , wohl aber ein gemeinsames Bewußtsein 174 , ein Zusammengehörigkeitsgefühl 175 , das auf gemeinsamen Erfahrungen, Überzeugungen und kulturellem Verständnis basiert 176 und die europäischen Belange über die der einzelnen Mitgliedstaaten stellt 177 • Ein Gemeinschaftsgefühl ist wohl schon entstanden, aber es hat noch nicht die Tiefe erlangt, die für eine einheitliche Staatsgewalt erforderlich ist 178 . Es ist hier nicht der Ort, um darüber zu spekulieren, ob 169 Diese Übertragung ist eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für eine vertiefte demokratische Legitimation der Gemeinschaftsgewalt, siehe Koenig, DÖV 1998, 268 (271); Thomas Läufer, in: Gedächtnisschrift für Eberhard Grabitz, 355 (365), Pitschas, 4 Staatswissenschaften und Staatspraxis 1994, 514, 517, und Schneider, in: Gedächtnisschrift für Eberhard Grabitz, 721. 170 BVerfGE 89, 155 (185 f.). Siehe Schilling, Staatsrecht und Staatswissenschaft 1996, 404. Vgl. auch Helmut Henrichs, DÖV 1994, 368 (376), und Grimm, JZ 1995, 589. 171 Siehe Davis, FAZ v. 17. 01. 1995, S. 8; Ulrich Fastenrath, FAZ v. 16. 09. 1994, S. 14; Grimm, JZ 1995, 588; Huber, in: Verfassungsrecht im Wandel, 351 ; Jean Franrois-Poncet, FAZ v. 17. 09. 1994, S. 8; Graf Kielmansegg, FAZ v. 17. 02. 1995, S. 13; Randelzhofer, in: Der Rechtsstaat am Ende?, 129; Schröder, DVBl. 1994, 318. Günterde Bruyn sprach davon, daß die EG in ihrer derzeitigen Verfassung dem nationalen Identitätsbedürfnis der Deutschen nicht gerecht werden könne, TSP v. 09. 03. 1997, S. Wl. 172 Vgl. Schilling, Staatsrecht und Staatswissenschaft 1996, 398 ff., 402. 173 Siehe Pemice, 120 AöR 1995, 112 f., und Steiger, 53 VVDStRL 1994, 142 f. Siehe auch Weber, JZ 1993,329. Zuleeg, JZ 1993, 1071 f., weist daraufhin, daß repräsentative Demokratie nicht an ein Staatsvolk gebunden sei. A.A. Bleckmann, JZ 1997, 267 f. ; Oppermann!Classen, NJW 1993, 8; Dietrich Schindler, 53 VVDStRL 1994,70 (79). 174 Jaenicke, in: Völkerrechtliche und Staatsrechtliche Abhandlungen, 28 ff.; Graf Kielmansegg, FAZ v. 17. 02. 1995, S. 13. 175 Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 40 V. 176 Siehe Grimm, JZ 1995, 589 f., und Ossenbühl, DVBl. 1993, 634. m Doehring, ZRP 1993, 103. 178 Siehe v. Bogdandy, 48 Europa-Archiv 1993, 53 f.; Ulrich Everling, in: Festschrift für Hans-Peter lpsen, 595 (614); ders., DVBI. 1993, 942; Oppermann, JZ 1999, 318 ff.; Ossenbühl, DVBL 1993, 634. Vgl. auch Alexander Gauland, FAZ v. 03. 01. 1998, S. 23; Schulze,

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das je und - wenn ja - wann das der Fall sein wird. Es genügt festzuhalten, daß eine solche Entwicklung vorstellbar ist 179; die vom EUV eingeführte Unionsbürgerschaft in Art. 17 (ex-Art. 8) EGV 180 zeigt das deutlich 181 . Die Vielsprachigkeit innerhalb der Gemeinschaft stellt insoweit keine unüberwindbare Hürde dar 182. Zwar erschwert sie die für eine offene Demokratie geradezu essentielle Kommunikation, aber sie macht sie nicht unmöglich 183. Der in allen Mitgliedstaaten geführte Diskurs über die zukünftige Gestalt und Politik der EG belegt dies auf eindrucksvolle Art und Weise. Jedoch ist dieser Diskurs noch zu sehr auf die Vorteile, die der einzelne Mitgliedstaat aus der weiteren Entwicklung innerhalb der Gemeinschaft ziehen kann, fixiert 184. Um eine wahrhaft gemeinschaftliche Öffentlichkeit zu erzeugen, müßten sich die nationalen Interessenverbände und Medien stärker vernetzen 185. Allerdings ist nicht zu verkennen, daß die Aufnahme neuer Staaten in die EG den sozio-kulturellen Vertiefungsprozeß verzögern186 und damit wiederum der "Demokratisierung" der Gemeinschaftsgewalt Grenzen ziehen wird 187 .

Staat und Nation in der europäischen Geschichte, 334; Wil/iam Wallace, FAZ v. 04. 06. 1998, S. 11, und Weidenfeld I Janning, FAZ v. 03. 07. 1998, S. 8, die dem Euro eine identitätsstiftende Funktion zutrauen. 179 Graf Kielmansegg, FAZ v.l7. 02. 1995, S. 13; Schilling, Staatsrecht und Staatswissenschaft 1996,403. Siehe auch Buchwald, 37 Der Staat 1998, 206 ff. Auch das BVerfG schließt eine solche Entwicklung nicht aus, E 89, 155 (185). 180 Dazu näher Manfred Degen, DÖV 1993, 749 ff. 181 Nach Tsatsos, EuGRZ 1995, 292, verkörpert die Unionsbürgerschaft die "Homogenitätsdimension" Europas. Wolf, JZ 1993, 597, stellt zutreffend fest, daß das Kommunalwahlrecht den gemeinschaftsverfassungsrechtlichen Ansatz zu einer Europäisierung der Staatsvölker der Mitgliedstaaten eröffne. Vgl. auch Beutler, in: Festschrift für Ernst-Wolfgang Bökkenförde, 118. 182 So aber Grimm, JZ 1995, 588 f.; ders., 53 VVDStRL 1994, 139, und Lepsius, in: Staatswerdung Europas? Optionen für eine Europäische Union, 27 f. Gegen Grimms These Frowein, 30 EuR 1995, 324. 183 Bieber, in: Verfassungsrecht im Wandel, 302, meint, daß die Grenzlinien europaweiter Meinungsbildung nicht entlang sprachlicher Barrieren, sondern vielmehr entlang soziologischer Faktoren wie Ausbildung, Alter oder Geschlecht verliefen. 184 Zum Kosten-Nutzen-Kalkül im Vergleich zu den USA siehe Barbara Zehnpfennig, FAZ v. 27. 11. 1997, S. 11. 185 Siehe Winter, DÖV 1993, 176. Vgl. auch Lepsius, in: Staatswerdung Europas? Optionen für eine Europäische Union, 29. 186 Doehring, ZRP 1993, 103; Schind/er, in: Gedenkschrift für Max Imboden, 363 f. ; Schind/er, 53 VVDStRL 1994, 79; Schneider, in: Gedächtnisschrift für Eberhard Grabitz, 713 f.; Schwarze, JZ 1993, 594; v. Simson/Schwarze, in: Handbuch des Verfassungsrechts, § 4, Rn. 22. Siehe Ulrich Fastenrath, 29 EuR 1994, Beiheft I , 101 (125); Nicole Fontaine, Europa im 21. Jahrhundert, FAZ v. 13.07. 2000, S. 16. Vgl. auch Rainer Pitschas, in: Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union, 95, 96 ff., 99 ff., Fernand Schockwei/er, 31 EuR 1996, 123 (130). 187 Graf Kielmansegg, FAZ v.17. 02. 1995, S. 13. 9 Pitschas

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2. Teil: Die EG und ihre Mitgliedstaaten

IV. Zwischenergebnis

Die EG ist nicht in der EU aufgegangen. Die mit dem Verhältnis von EG und EU befaßten Vorschriften des EUV zeigen deutlich, daß die EG als selbständige Organisation neben der EU fortbesteht. Die EG ist zudem eine supranationale Organisation. Die ihre Supranationalität kennzeichnenden Merkmale wirken sich vornehmlich auf ihre Beziehungen zu den Mitgliedstaaten aus, während ihre Stellung im Außenverhältnis weitgehend unbeeinflußt bleibt. Die Supranationalität lenkt die EG in Richtung eines (Bundes-)Staates. Noch ist sie aber kein (Bundes-)Staat, weil sie keine Kompetenz-Kompetenz hat. Formal wird dies durch Art. 5 UA 1 EGV klargestellt. Art. 6 IV EUV steht dem nicht entgegen, denn er enthält weder eine Aussage über eine Kompetenz-Kompetenz der EG noch der EU. Materiell bestätigt das Austrittsrecht der Mitgliedstaaten diesen Befund. Allerdings haben die Mitgliedstaaten als einzelne kein Austrittsrecht; selbst wenn sie ein solches Recht hätten, wären sie de facto nicht befähigt, es zu realisieren. Dagegen haben sie gemeinsam das Recht, die EG aufzulösen; dieses Recht können sie (noch) faktisch wahrnehmen. Angesichts dieser ambivalenten Situation wird man sagen dürfen, daß sich die Souveränitätsfrage im Verhältnis zwischen der EG und ihren Mitgliedstaaten in der Schwebe befindet.

B. Volkerrechtssubjektivität der EG Art. 281 (ex-Art. 210) EGV sichert der Gemeinschaft Rechtspersönlichkeit zu. Damit ist Volkerrechtspersönlichkeit gemeint, wie ein Vergleich mit Art. 282 (exArt. 211) EGV zeigt. Diese Vorschrift regelt- unter dem Terminus der Rechts- und Geschäftsfähigkeit- die Rechtspersönlichkeit, die die EG innerhalb der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten genießt. Somit kann sich Art. 281 EGV nur auf die Rechtspersönlichkeit beziehen, die der EG außerhalb dieser nationalen Rechtsordnungen, d. h. im Rahmen der Volkerrechtsordnung, zukommt. Diese ausdrückliche Verleihung der Volkerrechtssubjektivität ist jedoch bloß deklaratorischer Natur188 , weil sich Grund und Umfang der Volkerrechtssubjektivität einer internationalen Organisation wie der EG nur aus den ihr im Gründungsvertrag ausdrücklich oder stillschweigend übertragenen völkerrechtlichen Kompetenzen ergeben 189• Da völ188 Wie hier Rudolf L. Bindschedler, Rechtsfragen der europäischen Einigung, 94; Bleckmann, in: ders., Rn. 1381; Ernst-Werner Fuß, DVBI. 1972, 237 (239); Rudolf Geiger, 37 ZaöRV 1977, 640 (650); Pescatore, 103 RdC 1961 Il, 40/45 f. Siehe auch Robert Kovar, 27 AFDI 1971, 386 (392 ff.); W J. Ganshofvan der Meersch, 8 CDE 1972, 127 (136 f.); Röttinger, in: Lenz, EGV-Kommentar, Art. 281, Rn. 2; Christoph Sasse, 6 EuR 1971, 208 (225). A.A. Simma/Vedder, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 210, Rn. 2; Tomuschat, in: G/T/E, EU-/EGV-Kommentar, Art. 210, Rn. 6 f.; Ukrow, in: Callies/Ruffert, Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, Art. 281, Rn. 3. 189 Zu der Wechselbeziehung zwischen Kompetenzen und Rechtspersönlichkeit siehe oben erster Teil, 1. Kapitel A. I.

1. Kap.: Stellung der EG im Völkerrecht

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kerrechtliche Rechtsfähigkeit die Deliktsfähigkeit nach sich zieht 190, geben die im EGV verankerten völkerrechtlichen Kompetenzen zugleich Auskunft über das Ausmaß, in dem sich die Gemeinschaft potentiell völkerrechtlich verantwortlich machen kann 191 . Eine Untersuchung über die Entstehung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit der EG muß sich daher mit ihren völkerrechtlichen Kompetenzen befassen. I. Umfang der Völkerrechtssubjektivität der EG

Völkerrechtliche Kompetenzen internationaler Organisationen haben eine materiell- und eine verfahrensrechtliche Seite. Zu unterscheiden ist zwischen den Sachgebieten, auf denen eine Organisation tätig werden darf, und den Handlungsformen, in denen sich die Tätigkeit der Organisation vollziehen kann. Hinsichtlich des verfahrensrechtlichen Instrumentariums nehmen die Verträge eine herausgehobene Stellung ein, weil sie zu einer gegenseitigen Verpflichtung der an ihnen beteiligten Völkerrechtssubjekte führen 192. Ihnen wohnt daher im Vergleich zu anderen (einseitigen) Handlungsformen ein größeres Regelungspotential inne, das zugleich mehr Raum für Regelverstöße läßt. Dementsprechend konzentriert sich die nachfolgende Betrachtung der völkerrechtlichen Kompetenzen der EG in erster Linie auf diejenigen unter ihnen, die die Gemeinschaft zum Vertragsschluß mit dritten Völkerrechtssubjekten berechtigen. Völkerrechtliche Kompetenzen, die die EG zur Vomahme sonstiger völkerrechtlicher Handlungen ermächtigen, werden dagegen nur kurz gestreift, sofern sie nicht ein erhöhtes Risiko aufweisen, die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Gemeinschaft auszulösen; das betrifft in erster Linie die Kompetenz, wirtschaftliche Sanktionen gegen dritte Völkerrechtssubjekte zu verhängen.

1. Vertragsschlußkompetenzen

a) Generelle Vertragsschlußkompetenz? Eine generelle Vertragsschlußkompetenz der EG stünde mit ihrem Wesen als internationale Organisation im Einklang, weil eine solche Kompetenz wegen des auch für das völkerrechtliche Gemeinschaftshandeln geltenden Prinzips der begrenzten Ermächtigung 193 nicht über die ihr im Innenverhältnis eingeräumten Siehe zu dieser Korrelation oben erster Teil, 1. Kapitel, B. I. Vgl. auch Conze. Die völkerrechtliche Haftung der EG, 66. 192 Siehe Lachmann, 10 LIEI 1984, 3. 193 So ausdrücklich der Gerichtshof in seinem Gutachten 2 /94 über den beabsichtigten Beitritt der EG zur EMRK, EuGHE 1996, 1-1759 (1787). Siehe auch Christoph Vedder, 31 EuR 1996, 309 (311). 190 191

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2. Teil: Die EG und ihre Mitgliedstaaten

Kompetenzen hinausgehen könnte. Im übrigen bliebe eine Vertragsschlußkompetenz ohne interne materielle Entsprechung eine bloße Hülle. Allerdings sieht der EGV eine solche Kompetenz nicht ausdrücklich vor 194 . Sie kann auch sonst nicht aus dem EGV entnommen werden. Art. 281 EGV gibt aufgrunddes Zusammenhangs zwischen Kompetenz und Rechtssubjektivität für eine generelle Vertragsschlußkompetenz nichts her 195 • Zwar scheint der EuGH im AETR-Urteil Art. 281 EGV als Grundlage für eine generelle Vertragsschlußfähigkeit der EG anzusehen, wenn er dort ausführt: "Diese Bestimmung ... bedeutet, daß die Gemeinschaft in den Außenbeziehungen die Fähigkeit, vertragliche Bindungen mit dritten Staaten einzugehen, im gesamten Bereich der im ersten Teil des Vertrages ... umschriebenen Ziele besitzt." 196

Jedoch schränkt der EuGH diesen Standpunkt sogleich durch die zutreffende Aussage ein, daß es des Rückgriffs auf das System und die materiellen Vorschriften des Vertrages bedürfe, um im Einzelfall eine Vertragsschlußkompetenz der EG zu ermitteln 197 . Auf Art. 300 (ex-Art. 228) EGV läßt sich eine derartige generelle Vertragsschlußkompetenz gleichfalls nicht stützen, denn diese Norm legt lediglich das Verfahren fest, das beim Abschluß eines Vertrages durch die EG greifen soll. Das ergibt sich unzweifelhaft aus dem Wortlaut von Art. 300 I EGV: "Soweit dieser Vertrag den Abschluß von Abkommen zwischen der Gemeinschaft und einem oder mehreren Staaten oder internationalen Organisationen vorsieht, ...."Aus Art. 300 EGV lassen sich also nur Folgerungen für die interne Kompetenzverteilung ziehen, d. h. für die Frage, welches Organ zum Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages zuständig ist. Eine Absage ist schließlich dem Versuch zu erteilen, Art. 308 (ex-Art. 235) EGV für eine generelle Vertragsschlußkompetenz heranzuziehen, denn er greift immer nur dann ein, wenn es in einem einzelnen konkreten Fall an einer entsprechenden ausdrücklichen oder stillschweigenden Befugnis fehlt 198 . Mangelt es der EG demnach an einer generellen Vertragsschlußkompetenz, darf sie nur dann einen 194 Im Gegensatz dazu enthält der EAGV eine generelle Vertragsschlußkompetenz in Art. 101. Der umfassende Charakter der der EAG in dieser Vorschrift zugewiesenen Vertragsschlußkompetenz ergibt sich aus den Worten "im Rahmen ihrer Zuständigkeit". Dieser Rahmen wird nicht weiter begrenzt, d. h., es geht um den gesamten Bereich, in dem der EAGV der EAG Befugnisse überträgt. Dieser Unterschied zwischen EGV und EAGV erklärt sich aus dem Umstand, daß die EAG nur im eng umgrenzten Bereich der Kernenergie tätig werden soll (vgl. die Aufgabenzuweisung in Art. 2 EAGV), während die Tätigkeitsfelder der EG viel umfassender sind (vgl. die Aufgabenzuweisung in Art. 3 (ex-Art. 3) EGV). 195 Ukrow, in: Callies I Ruffert, Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, Art. 281, Rn. 9. A.A. wohl Röttinger, in: Lenz, EGV-Kommentar, Art. 281, Rn. 9. 196 EuGHE 1971, 263 (274). 197 EuGH, ebenda. 198 Siehe oben A. III. 2. a).

1. Kap.: Stellung der EG im Völkerrecht

133

völkerrechtlichen Vertrag abschließen, wenn sie in dem fraglichen Bereich über eine ausdrückliche oder stillschweigende Vertragsschlußkompetenz verfügt.

b) Ausdrückliche Vertragsschlußkompetenzen aa) Währungsabkommen Art. 111 (ex-Art. 109) EGV ermächtigt die Gemeinschaft dazu, seit dem Eintritt in die dritte Stufe der Wahrungsunion 199 völkerrechtliche Verträge über währungsspezifische Themen abzuschließen 200 • Gegen die Annahme einer Vertragsschlußkompetenz läßt sich nicht ins Feld führen, daß Art. 111 EGV in Absatz eins von "förmlichen Vereinbarungen" bzw. in Absatz drei von Vereinbarungen spricht, obwohl der EGV ansonsten den Begriff "Abkommen" verwendet, wenn er völkerrechtliche Verträge meint201 . Nach dem Kontext der beiden Absätze geht es um Vereinbarungen mit dritten Völkerrechtssubjekten. Sind diese förmlich, so handelt es sich um Verträge202 . Der Hinweis auf Art. 300 EGV im dritten Absatz bestätigt diese Auslegung, denn Art. 300 EGV ist die Norm, die - vorbehaltlich etwaiger Sonderbestimmungen - das beim Abschluß internationaler Abkommen übliche Prozedere innerhalb der Gemeinschaft festlegt. Die der EG in Art. 111 EGV verliehene Vertragsschlußkompetenz ist notwendig, weil die Währungsunion nur funktioniert, wenn die EG insoweit sowohl nach innen als auch nach außen handlungsfähig ist. Eine Währungspolitik kann angesichts der internationalen Verflechtung der Kapital- und Wirtschaftsmärkte sinnvoll nur betrieben werden, wenn sie auf die Entwicklungen auf diesen Märkten reagieren bzw. diese Entwicklungen beeinflussen kann203 . Zu den dafür erforderlichen Instrumenten zählt auch der völkerrechtliche Vertrag204• Art. 111 EGV unterscheidet zwischen zwei Arten von Wahrungsabkommen. Absatz eins befaßt sich mit Abkommen, die den Wechselkurs der einheitlichen europäischen Wahrung, des Euro205 , gegenüber den Währungen von NichtmitgliedstaaVgl. Art. 116 III 2 (ex-Art. 109e I1I 2) EGV. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Mitgliedstaaten gehalten, ihre Wechselkurspolitik als eine Angelegenheit von gemeinsamen Interesse zu betreiben, vgl. Art. 124 I (exArt. 109m I) EGV. 2o1 Vgl. Art. 133 I (ex-Art. 113 1), Art. 170 UA 2 (ex-Art. 130m UA 2), Art. 174 IV 2 (exArt. 130r IV 2), Art. 181 UA 1 (ex-Art. 130y UA 1), Art. 310 (ex-Art. 238) EGV. 202 Siehe Häde, in: Callies/Ruffert, Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, Art. 1ll, Rn. 6; Bernd Martenczuk, 59 ZaöRV 1999,93, 98. 203 Siehe Heun, JZ 1998, 870. 204 Siehe Catherine Flaesch-Mougin, 29 CDE 1993, 351 (354). 205 Siehe zur Namensgebung für die europäische Währung Bandilla, in: Grabitz I Hilf, Kommentar zur EU, Art. 1091, Rn. 3 f. 199

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2. Teil: Die EG und ihre Mitgliedstaaten

ten fixieren 206. Im Innenverhältnis erfolgte die Festlegung des Wechselkurses des Euro gegenüber den Währungen der an der dritten Stufe der Währungsunion teilnehmenden Mitgliedstaaten mit dem Beginn dieser Stufe, und zwar als fester Kurs207 . Im Verhältnis zu Drittstaatswährungen bedurfte es einer solchen automatischen Festlegung nicht, weil das auf internationaler Ebene im Rahmen des Internationalen Währungsfonds (IWF) eingerichtete System fester Wechselkurse anfangs der siebziger Jahre aufgegeben wurde208 . Wollte man ein derartiges System wieder etablieren, ermöglicht es Art. 111 I EGV der Gemeinschaft, daran teilzunehmen. Weiter reicht die Vertragsschlußkompetenz nach Absatz eins nicht; andere währungspolitische Fragen, die eine vertragliche Regelung erfordern, unterfallen der in Absatz drei verliehenen Vertragsschlußkompetenz. Die Bereitstellung einer allein auf die Festlegung des Wechselkurses des Euro gegenüber Drittstaatswährungen beschränkten Vertragsschlußkompetenz erklärt sich aus der enormen Bedeutung und Auswirkung, die eine solche Maßnahme auf die Finanz- und Wirtschaftsmärkte haben müßte209 . Betreffen die förmlichen Vereinbarungen nach Absatz eins demnach einen Ausnahmefall, der in absehbarer Zeit nicht aktuell werden wird210, widmet sich Absatz drei der alltäglichen Außenwährungs- und Zahlungspolitik. Absatz drei sieht den Abschluß von Abkommen über Währungsfragen und Devisenregelungen vor. Nicht nur die Weite insbesondere des Begriffes "Währungsfragen", sondern auch der Zusammenhang mit dem ersten Absatz verdeutlicht, daß diese Abkommen mit Ausnahme der Festlegung des Wechselkurses des Euro zu Drittstaatswährungen alle anderen währungs- und zahlungspolitischen Problemkreise aufgreifen und einer Lösung zuführen dürfen211 • Allein diese umfassende sachliche Reichweite der Vertragsschlußkompetenz entspricht der Logik der Währungsunion und der dem ESZB 206 Siehe Häde, in: Callies/Ruffert, Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, Art. 111, Rn. 5; Schill, in: Lenz, EGV-Kommentar, Art. 111, Rn. 2. Siehe auch Nicolaysen, Europarecht II, 391 f. 207 Vgl. Art. 123 IV (ex-Art. 1091 IV) EGV. Im Hinblick auf den Wechselkurs des Euro zu den Währungen der nicht von Anfang an an der dritten Stufe der Währungsunion teilnehmenden Mitgliedstaaten hatte der Europäische Rat auf seinem Gipfel in Amsterdam eine Entschließung angenommen, wonach mit Eintritt in die dritte Stufe ein innerhalb bestimmter Bandbreiten schwankungsfähiger Wechselkurs des Euro zu diesen Währungen geschaffen werden soll, siehe Bandilla, in: Grabitz I Hilf, Kommentar zur EU, Art. 109m, Rn. 9. 208 Siehe Hahn!Siebelt, in: Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. 1, F. I, Rn. 2 ff. 209 In verfahrensrechtlicher Hinsicht spiegelt sich das Gewicht einer solchen Maßnahme in der Abschlußbefugnis des Rates und im Einstimmigkeitserfordernis wider. Stimmberechtigt sind allerdings nur die Mitgliedstaaten, die an der dritten Stufe der Währungsunion teilnehmen, vgl. Art. 122 V (ex-Art. 109k V) EGV. 210 So auch die Einschätzung von Pernice, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 105, Rn. 14, und Piet Jan Slot, in: Essays in Honour of Henry G. Schermers, 229 (238). 211 Zu eng Chiara Ziliolil Martin Selmayr, 36 CMLR 1999, 272, 299 ff.

1. Kap.: Stellung der EG im Volkerrecht

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in Art. 105 II (ex-Art. 105 Il) EGV zugewiesenen Aufgabe, die Wechselkurspolitik, d. h. die auswärtige Währungspolitik, zu bestimmen212. bb) Zoll- und Handelsabkommen Nach Art. 133 I (ex-Art. 113 I) EGV ist die EG befugt, Zoll- und Handelsabkommen abzuschließen. Diese spezielle Vertragsschlußkompetenz soll es der Gemeinschaft ermöglichen, eine gemeinsame Handelspolitik nach einheitlichen Grundsätzen zu betreiben. Diese gemeinschaftliche Außenhandelspolitik bezweckt nach Art. 131 (ex-Art. 110) EGV, zu einer harmonischen Entwicklung des Welthandels beizutragen, die Behinderungen des internationalen Handelsverkehrs nach und nach zu reduzieren und Zölle abzuschaffen. Diese Zielsetzung erklärt sich nicht zuletzt aus dem Charakter der EG als Zollunion, die sich durch einen gemeinsamen Zolltarif gegenüber dritten Staaten auszeichnet. Art. XXIV (5) a) GATT 1994213 erlaubt einen solchen gemeinsamen Außenzoll, falls die Waren anderer GATT-Parteien dadurch nicht höhere tarifäre Belastungen als zuvor in den einzelnen EG-Mitgliedstaaten zu tragen haben. Art. XXIV GATT 1994 liegt unausgesprochen die Vorstellung zugrunde, daß derartige Zusammenschlüsse die Aufgabe des GATT 1994 erleichtern, tarifäre Hemmnisse zwischen den GATT- Parteien abzubauen214. Von daher erschließt sich auch der Inhalt der der Gemeinschaft in Art. 133 I EGV zugestandenen Kompetenz, Zollabkommen abzuschließen: Mit dieser Befugnis soll die Gemeinschaft in die Lage versetzt werden, ihren gemeinsamen Außenzoll auf der Basis von Gegenseitigkeit abzuändern. Diese externe Zollsatzänderungskompetenz korrespondiert mit der der EG in Art. 26 (ex-Art. 28) EGV zugewiesenen Kompetenz, autonom ihren Außenzoll zu ändern215 . Demgegenüber ist die Kompetenz zum Abschluß von Handelsabkommen nicht so eindeutig zu bestimmen. Da zum Zeitpunkt, als Art. 133 EGV in seiner ur212 Zur Rolle der ESZB bzw. der EZB siehe Zilioli/Selmayr; 36 CMLR 1999,305 ff. 213

BGBl. 1994 II, S. 1625.

214 SieheArmin v. Bogdandy, JURA 1992,407 (408). 215 Angesichts der Einbindung der EG in das GATI 1947 und nun das GATI 1994 und der daraus folgenden Bedeutung von Zollabkommen müßte man annehmen, daß Art. 26 EGV seine Bedeutung eingebüßt und durch Art. 133 EGV verdrängt worden ist. Allerdings vertrat der EuGH die Auffassung, daß die EG im Zolltarifbereich über eine "allgemeine" Zuständigkeit verfüge, die als solche sowohl unter Art. 26 als auch unter Art. 133 EGV falle, E 1988, 5545 (5560, Rn. 9). Diese Sicht ist unhaltbar, denn wie GA Lenz in seinen Schlußanträgen herausgearbeitet hat, stellen internationale Abkommen gerade keine von Art. 26 EGV vorausgesetzte autonome Zollsatzänderung dar, so daß eine Anwendung von Art. 26 EGV auf Zollabkommen "weder nach dem Wortlaut noch in der Wirklichkeit in Betracht" komme, a. a. 0., 5554. Soweit sich der EuGH zur Stützung seiner Auffassung auf die bisherige Praxis der Gemeinschaftsorgane bezieht (a. a. 0 ., 5561, Rn. 12), muß er sich seine eigene ständige Rechtsprechung entgegenhalten lassen, derzufolge eine bloße Praxis der Gemeinschaftsorgane nicht in der Lage sei, die Gemeinschaftsverträge zu ändern.

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2. Teil: Die EG und ihre Mitgliedstaaten

sprungliehen Form konzipiert wurde, vor allem mit Waren gehandelt wurde, und innerhalb der EG der Warenverkehr jedenfalls damals die dominierende Komponente des jetzt als Binnenmarkt bezeichneten Wirtschaftsraums ausmachte 216 , umfaßt die von Art. 133 I EGV eingeräumte Vertragsschlußkompetenz zumindest den Warenverkehr mit dritten Staaten. Allerdings läßt sich der Begriff der "Handelsabkommen" darauf nicht reduzieren, denn diese Abkommen haben eine dienende Funktion für die von der Gemeinschaft betriebene gemeinsame Handelspolitik. In bezug auf diese hat der Gerichtshof von Anfang an deutlich gemacht, daß es einer dynamischen Interpretation bedürfe, damit sich die Gemeinschaft an neuere Entwicklungen anpassen könne. Nachdem der EuGH bereits im Gutachten 1/75 die gemeinsame Handelspolitik als Ergebnis einer progressiven Entwicklung gekennzeichnet und damit Versuchen im Sinne einer statischen Auslegung dieses Begriffes zu Recht eine Absage erteilt hatte 217 , führte er im Gutachten 1 I 78 aus: "Art. 113 EWG-Vertrag datf ... nicht in einer Weise ausgelegt werden, die dazu führen würde, die gemeinsame Handelspolitik auf den Gebrauch der Instrumente zu beschränken, deren Wirkung ausschließlich auf die herkömmlichen Aspekte des Außenhandels gerichtet ist, und weiterentwickelte Mechanismen ... auszuschließen. Eine so verstandene ,Handelspolitik' wäre dazu verurteilt, allmählich bedeutungslos zu werden.... Eine einschränkende Auslegung des Begriffs der gemeinsamen Handelspolitik könnte wegen der Unterschiede, die dann in bestimmten Bereichen der Wirtschaftsbeziehungen zu den Drittländern fortbestehen würden, zu Störungen im innergemeinschaftlichen Handelsverkehr führen." 218

Die Argumentation des EuGH ist zweigeteile 19 . Einerseits stellt er auf die Wirkungen im Außenverhältnis ab, die einträten, falls man die gemeinsame Handelspolitik restriktiv verstünde: Die EG wäre dann daran gehindert, neuere Trends in der Weltwirtschaft in ihrem Sinne zu beeinflussen, und sähe sich somit in eine ihrer eigentlichen wirtschaftlichen Stärke nicht entsprechende Statistenrolle gedrängt. Andererseits sorgt sich der Gerichtshof um die Kohärenz des Binnenmarktes, falls die EG auf bestimmte - traditionelle - Felder des Außenhandels beschränkt wäre. Die Mitgliedstaaten müßten die ihnen in anderen Bereichen der Außenwirtschaft verbleibenden Kompetenzen nicht untereinander abstimmen, was zu unterschiedlichen Bindungen gegenüber dritten Staaten führen könnte. Derartige Disparitäten in den Außenwirtschaftsbeziehungen der Mitgliedstaaten könnten mit den einheitlichen Regeln in Konflikt treten, denen die Mitgliedstaaten im Binnenmarkt unterliegen, was sich negativ auf diesen auswirkte. 216 Nach neuesten Erhebungen hat der Warenhandel seine dominante Stellung eingebüßt, denn danach erwirtschaftet der Dienstleistungssektor inzwischen rund 50% des Bruttoinlandsprodukts der EG, siehe Horst Günter Krenzier I Hermann da Fonseca-Wollheim, 33 EuR 1998, 223 (225). 217 EuGHE 1975, 1355 (1363). 21s EuGHE 1979,2871 (1913; Rn. 44 f.). 21 9 Siehe zu dieser Zweiteilung auch Damian Chalmers, in: The European Union and World Trade Law, 46 (47 ff.).

1. Kap.: Stellung der EG im Völkerrecht

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Die vom Gerichtshof befürchtete Marginalisierung der EG in der Weltwirtschaft ist angesichts der fortschreitenden Interdependenz derselben nicht unbegründet. Diese Interdependenz verschärft die wirtschaftliche Konkurrenz und verlangt nach einem rechtlichen Ordnungsrahmen. Die Koordinaten dieses Ordnungsrahmens können einzelne Mitgliedstaaten nicht festlegen, weil es ihnen dazu an wirtschaftlicher Größe mangelt. Eine solche Steuerungsfunktion kommt nur der durch die Gemeinschaft repräsentierten Marktmacht zu. Sie kann diese aber nur in die Waagschale werfen, falls ihr die dafür benötigten Instrumente an die Hand gegeben werden220. Das bedeutet, ihre Außenhandelskompetenz nicht als ein für allemal festgefügt, sondern als flexibel zu begreifen221 . Dem EuGH ist auch darin zu folgen, daß nur eine an die wirtschaftlichen Veränderungen anpassungsfähige Außenhandelskompetenz der EG den Binnenmarkt vor Fragmentierungen bewahrt. Hielte die Außenhandelskompetenz der Gemeinschaft nicht mit den Neuerungen auf internationaler Bühne Schritt, entstünde ein Vakuum, das die Mitgliedstaaten zwangsweise zu füllen versuchten, auch wenn dieser Versuch, wie zuvor festgehalten, letztlich erfolglos bleiben müßte. Da sie ihr Vorgehen im Zweifel nicht koordinierten, ergäben sich zwischen ihnen Diskrepanzen, die auf den gemeinschaftsinternen Wettbewerb durchschlügen und damit gerade zu jenen Verfälschungen beitrügen, vor denen der Binnenmarkt geschützt werden so11222 . Eine abschließende Definition der gemeinsamen Handelspolitik und damit der Reichweite der Vertragsschlußkompetenz nach Art. 133 I EGV kann es nach dem Vorstehenden nicht geben; das Wesen dieser Vertragsschlußkompetenz ist gekennzeichnet durch ihre Offenheit für neue wirtschaftliche Sachverhalte223. Welchen Veränderungen die Weltwirtschaft unterworfen ist, haben mit aller Deutlichkeit die Verhandlungen im Rahmen der Uruguay-Runde zu Tage gefördert224 . Sie führten nicht nur zur Einrichtung einer Welthandelsorganisation (WTO), die die Anwendung der in der Uruguay-Runde vereinbarten Regeln überwachen soll und zugleich den institutionellen Rahmen für eine Weiterentwicklung dieser Regeln abgibt225 . Darüber hinaus bewirkten sie eine Reform des GATT 1947, die sich nicht darauf beschränkte, das GATT 1947 an die Entwicklungen im Bereich des Warenhandels Siehe Armin v. Bogdandy I Martin Nettesheim, EuZW 1993, 465 (466). Siehe Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 1493. Vgl. auch Dashwood, 21 ELR 1996, 119. 222 Vgl. Art. 3 g) EGV. Siehe auch v. Bogdandy, JURA 1992, 410; ders./Nettesheim, EuZW 1993,466, und Chalmers, in: The European Union and World Trade Law, 56. 223 Nicholas Emiliou, in: The European Union and World Trade L.aw, 31 (35); siehe auch Hahn, in: Callies I Ruffert, Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, Art. 133, Rn. 14. 224 Zu den Ergebnissen dieser Verhandlungen siehe näher Dietrich Barth, NJW 1994, 2811 ff.; lohn H. Jackson, 98 RGDIP 1994, 675 ff.; Emst-Ulrich Petersmann, 6 EJIL 1995, 161 (187 ff.). Zu den Herausforderungen nach Abschluß der Uruguay-Runde Thomas Oppermann/Marc Beise, EA 1994, 195 ff. 225 Vgl. Art. III WTO-Übereinkommen. Siehe näher zur WTO Wolfgang Benedek, VN 1995, 13 ff.; Bernhard Jansen, EuZW 1994, 333 ff. 220

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2. Teil: Die EG und ihre Mitgliedstaaten

anzupassen, sondern zugleich Notiz von der zunehmenden Bedeutung anderer wirtschaftlicher Aktivitäten nahm. Das WTO-Abkommen enthält daher nicht nur eine alle WTO-Mitglieder bindende multilaterale Übereinkunft über den Warenhandel (GATT 1994), sondern gleichfalls eine alle WTO-Mitglieder bindende multilaterale Übereinkunft über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) sowie eine alle WTO-Mitglieder bindende multilaterale Übereinkunft über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPs) 226. Vor allem die verbindliche Eingliederung des GATS und des TRIPs in das WTO-System warf die Frage auf, ob das WTO-Abkommen allein von der EG abgeschlossen werden darf, oder ob zusätzlich die Zustimmung der Mitgliedstaaten vonnöten ist. Da sich die Kommission und der Rat über diese Frage nicht einigen konnten, beantragte die Kommission gemäß Art. 300 VI EGV ein Gutachten beim EuGH, um diese Frage klären zu lassen. Der Gerichtshof hat in seinem Gutachten 1/94 die ihm vorgelegte Frage im Ergebnis dahin beantwortet, daß das WTO-Abkommen nicht in die ausschließliche ausdruckliehe oder stillschweigende Zuständigkeit der EG falle 227 . Das WTO-Abkommen ist darauf hin von der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten gemeinsam als gemischtes Abkommen abgeschlossen worden228. An dieser Stelle ist nur auf die Erwägungen einzugehen, mit denen der EuGH die Anwendbarkeit von ex-Art. 113 EGV sowohl auf das GATS als auch das TRIPs teilweise vemeinte229 . Im Hinblick auf das GATS führte der EuGH ganz im Einklang mit seinen Aussagen in den zuvor zitierten Gutachten aus, daß der offene Charakter der gemeinsamen Handelspolitik es nicht zulasse, die Entwicklung des internationalen Handels, die durch die zunehmende Bedeutung des Dienstleistungssektors und eine Umstrukturierung der Weltwirtschaft gekennzeichnet sei, unberiicksichtigt zu lassen; der Dienstleistungsverkehr könne daher nicht von vomherein und grundsätzlich vom Anwendungsbereich des Art. 133 EGV ausgeschlossen werden230. Im 226 BOB!. 1994 II, S. 1625. Dieper se Verbindlichkeit der genannten multilateralen Übereinkünfte für alle WTO-Mitglieder ergibt sich aus Art. II (2) WTO-Übereinkommen. Im Gegensatz dazu stehen die sog. plurilateralen Übereinkünfte, die nach Art. II (3) WTO-Übereinkommen nur für die WTO-Mitglieder verbindlich sind, die sie ausdrücklich annehmen. Ursprünglich handelte es sich dabei um vier Übereinkünfte, von denen seit dem 01. 0 1. 1998 nur noch zwei in Kraft sind, und zwar zum einen das Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen und zum anderen das Übereinkommen über den Handel mit Zivilluftfahrzeugen. 227 EuGHE 1994, I-5267 ff. 228 Siehe näher zur Figur der gemischten Abkommen und den damit verbundenen Problemen der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit der EG und ihrer Mitgliedstaaten unten, 2. Kapitel, A. III. 229 Zur Frage der stillschweigenden Vertragsschlußkompetenzen der EG siehe unten c). Zum Verhältnis der ausdrücklichen und stillschweigenden Vertragsschlußkompetenzen der EG zu den externen Kompetenzen der Mitgliedstaaten siehe unten d). 230 EuGH, a. a. 0., 5401; Rn. 41. Apriori ausgeschlossen hat der EuGH jedoch die Verkehrsdienstleistungen, weil sie Gegenstand eines besonderen Titels seien, a. a. 0., 5402 f.;

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Anschluß an diesen Obersatz untersucht der EuGH die vom GATS vorgenommene Unterteilung der verschiedenen Formen, in denen Dienstleistungen erbracht werden, und auf die das GATS Anwendung findet. Art. I (2) GATS unterscheidet zwischen folgenden vier Kategorien: (1) Dienstleistungserbringung über die Grenzen hinweg, (2) Dienstleistungserbringung an einen eingereisten Dienstleistungsempfänger, (3) Dienstleistungserbringung durch eine gewerbliche Niederlassung im Staat des Dienstleistungsempfängers und (4) Dienstleistungserbringung durch eine im Staat des Dienstleistungsempfängers niedergelassene natürliche Person. Der EuGH hält die Kategorie der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung für mit dem Warenverkehr vergleichbar, weillediglich die Dienstleistungen die Grenze überquerten; sie falle daher unter die gemeinsame Handelspolitik231 . Demgegenüber seien die drei anderen Arten der Dienstleistungserbringung nicht von Art. 133 EGV erlaßt, weil der EGV spezifische Kapitel über die Freizügigkeit natürlicher wie juristischer Personen enthalte232 . Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen, denn sie ist in sich widerspruchlieh und setzt zudem voraus, was erst zu beweisen wäre. Widerspruchlieh ist die Argumentation insofern, als die nach Meinung des Gerichtshofs von Art. 133 EGV umfaßte grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung im Innenverhältnis ebenfalls einem spezifischen Kapitel unterfällt, nämlich dem über Dienstleistungen. Nach der Logik des EuGH hätte dies einer Einbeziehung in den AnwendungsRn. 48 f. Das ist wenig überzeugend, wenn man sich vor Augen hält, daß der EuGH hinsichtlich des zur multilateralen Übereinkunft über den Warenhandel gehörenden Landwirtschaftsübereinkommens die Kompetenz der EG auf Art. 133 EGV stützt, obwohl der EGV ebenfalls einen besonderen Titel über die Landwirtschaft enthält. Soweit der EuGH, a. a. 0 ., 5397, Rn. 29, diesbezüglich ausführt, daß das Landwirtschaftsübereinkommen nicht die in Art. 33 (ex-Art. 39) EGV genannten Ziele verfolge, läßt sich gleiches auch für das Verhältnis zwischen dem Verkehrstitel des EGV und dem GATS behaupten, siehe Takis Tridimas I Piet Eeckhout, 14 YEL 1994, 143 (163). 23 1 EuGH, a. a. 0., 5401; Rn. 44. In diesem Sinne schon C.-D. Ehlermann, in: Melanges Offerts A Pierre-Henri Teitgen, 145 (162); Vedder, Die auswärtige Gewalt des Europa der Neun, 20. Gegen eine derartige Gleichsetzung grenzüberschreitender Dienstleistungserbringung mit dem Warenhandel Christiaan W A. Timmermanns, in: Liber Amicorum Pierre Pescatore, 675 (679), der im übrigen für eine Einbeziehung des grenzüberschreitenden Diensileistungsverkehrs in den Anwendungsbereich von Art. 133 EGV plädiert, sofern es um Maßnahmen gehe, die den Dienstleistungsverkehr behindern könnten wie Zugangsbeschränkungen und ähnliches, a. a. 0 ., 686 f. 232 EuGH, a. a. 0., 5402; Rn. 46. Der EuGH weist an dieser Stelle im übrigen darauf hin, daß Art. 3 EGV einen Unterschied zwischen der gemeinsamen Handelspolitik einerseits und der Einreise in den Binnenmarkt und dem Personenverkehr innerhalb desselben andererseits mache. Aus dieser Unterscheidung kann für den hiesigen Kontext jedoch nichts gewonnen werden, weil die in Art. 3 d) EGV angesprochene Einreise sowie der Personenverkehr unabhängig von wirtschaftlichen Transaktionen stattfinden, wie der Verweis auf den vierten Titel des EGV bestätigt. Damit kann Art. 3 d) EGV nichts über die im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Aktivitäten stehenden Personenbewegungen aussagen, sofern nur die wirtschaftliche Aktivität als solche unter den Begriff der gemeinsamen Handelspolitik fällt. Gegen den EuGH auch Tridimas/Eeckhout, 14 YEL 1994, 161.

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hereich des Art. 133 EGVentgegenstehen müssen233 . Das Kapitel über den Dienstleistungsverkehr deckt nach der Rechtsprechung des EuGH im übrigen nicht nur grenzüberschreitende Dienstleistungen ab, sondern läßt zudem die Einreise des Dienstleistungsempfängers in den Staat des Dienstleistungserbringers zu234 . Verhindert es das Kapitel über den Dienstleistungsverkehr nicht, die Erbringung von (grenzüberschreitenden) Dienstleistungen in die gemeinsame Handelspolitik einzubeziehen, müßte die Dienstleistungserbringung an einen eingereisten Dienstleistungsempfänger ebenfalls unter den Begriff der gemeinsamen Handelspolitik fallen235_ Des weiteren setzt die Argumentation des EuGH voraus, was erst zu beweisen wäre, weil sie wie selbstverständlich davon ausgeht, daß eine Vergleichbarkeit mit dem Warenverkehr gegeben sein müsse, damit Art. 133 EGV eingreifen könne. Damit reduziert sie die sachliche Reichweite des Art. 133 EGV von vomherein auf einen bestimmten Typ, die dem vom EuGH in den oben genannten Gutachten vertretenen und in seinem Obersatz bekräftigten Grundsatz von der Offenheit und Anpassungsfähigkeit der gemeinsamen Handelspolitik widerspricht236. Allenfalls unter Hinweis auf das vom Wort "Handel" in Art. 133 EGV vorausgesetzte grenzüberschreitende Austauschverhältnis237 ließe sich die restriktive Interpretation des EuGH stützen, denn die nach einer Niederlassung im Staat des Dienstleistungsempfängers erbrachte Dienstleistung stellt einen einseitigen Transfer dar238 . Allerdings ist dieser grammatischen Auslegung entgegenzuhalten, daß Art. 133 I EGV unter den Begriff der gemeinsamen Handelspolitik nicht nur synallagmatische, sondern auch autonome Maßnahmen faßt, wie sein Hinweis auf die Änderung von Zollsätzen, die Ausfuhrpolitik und die handelspolitischen Schutzmaßnahmen erweise39. Siehe auch Tridimas I Eeckhout, 14 YEL 1994, 161 f. EuGHE 1984, 377 (401; Rn. 10), da diese Variante die notwendige Ergänzung zu der in Art. 60 EGV ausdrücklich getroffenen Regelung darstelle, derzufolge der Dienstleistungserbringer vorübergehend in den Staat des Dienstleistungsempfängers einreisen darf, um seine Dienstleistung zu erbringen. Allerdings kann die letztere Form der Dienstleistungserbringung nicht mit der Niederlassung natürlicher Personen im Sinne des Art. I (2) d) GATS verglichen werden, weil es sich dabei um eine ständige Präsenz handelt, die von Art. 43 (ex-Art. 52) EGVerfaßt wird, siehe EuGHE 1995-1, 4165 (4195; Rn. 25). 235 Dafür auch v. Bogdandy, JURA 1992,411. 236 Siehe Jaques H. J. Bourgeois, 32 CMLR 1995, 763 (779 f.); ders., 22 Fordham ILJ 1999, Sl49, Sl61; Pierre Pescatore, 36 CMLR 1999, 387,391. Siehe auch Josiane AuvretFinck, 31 RTDE 1995, 322 (326 f.); Hahn, in: Callies/Ruffert, Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, Art. 133, Rn. 17; Müller-lbold, in: Lenz, EGV-Kommentar, Vorbem. Art. 131 - 134, Rn. 6. 237 Arnold, in: Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. 2, K. I, Rn. 3; Vedder, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 113, Rn. 24. 238 v. Bogdandy, JURA 1992, 411 ; Vedder, Die auswärtige Gewalt des Europa der Neun, 21 f. 239 Daher wird die gemeinsame Handelspolitik in einem umfassenden Sinne als die Summe derjenigen Wirtschaftsbeziehungen im Verhältnis zu dritten Staaten verstanden, die der EGV im Innenverhältnis der Regelungsbefugnis der Gemeinschaft unterstellt habe, Pieper, 233

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Mit Blick auf das TRIPs stellte der EuGH fest, daß diese Übereinkunft insoweit von Art. 133 EGV erlaßt werde, als sie Voraussetzungen für an der Grenze ergriffene Maßnahmen gegen nachgeahmte Produkte aufstelle 240 . Soweit das TRIPs darüber hinaus die Regeln über den Schutz des geistigen Eigentums harmonisieren wolle, führe auch der enge Zusammenhang zwischen geistigem Eigentum und Warenverkehr nicht zu einer Erstreckung des Art. 133 EGV auf das TRIPs, weil der Schutz des geistigen Eigentums nicht spezifisch den internationalen Warenhandel, sondern in gleichem Maße, wenn nicht stärker, den Binnenhandel betreffe241 . Außerdem würde eine ausschließliche externe Zuständigkeit der Gemeinschaft für den Schutz des geistigen Eigentums dazu führen, daß sie sich den Zwängen entziehen könne, denen sie hinsichtlich entsprechender interner Maßnahmen in Bezug auf das Verfahren und die Beschlußfassung unterliege242. Beide Argumente sind nicht stichhaltig. Das erste Argument hinsichtlich der Bedeutung des geistigen Eigentumsschutzes für den Binnenmarkt verkennt, daß Art. 133 EGV selbst dann nicht auf das Gebiet des Außenhandels beschränkt wäre, wenn er ausschließlich den Warenhandel erfaßte. Art. 133 EGV macht überhaupt nur Sinn, weil er es der Gemeinschaft ermöglichen will, wirtschaftliche Verbindungen zwischen dem Binnenmarkt und Drittlandsmärkten herzustellen243 . Andernfalls hätte der Gerichtshof in seinem Gutachten I I 78 nicht auf die Implikationen für den Binnenmarkt abstellen können, falls die von Art. 133 EGV erfaßten Abkommen keinerlei Auswirkungen auf den Binnenmarkt haben könnten und sollten. Im übrigen ist eine solche Beschränkung auch wirtschaftlich gänzlich undenkbar, zumal eingedenk der Rolle, die die Gemeinschaft in der Weltwirtschaft spielt. Das zweite Argument läuft auf die Behauptung hinaus, daß Verfahren und Beschlußfassung für Maßnahmen im Außenverhältnis denselben Anforderungen unterliegen müßten wie entsprechende Maßnahmen im Innenverhältnis. Zum einen ist insofern ein Widerspruch innerhalb des Gutachtens 1 I 94 selbst auszumachen. Im Hinblick auf das zur multilateralen Übereinkunft über den Warenhandel gehörende Landwirtschaftsübereinkommen bejahte der EuGH nämlich die Anwendbarkeit des Art. 133 EGV auf dieses Übereinkommen: Daß die im Rahmen des Landwirtschaftsübereinkommens eingegangenen Verpflichtungen den Erlaß interner Durchführungsmaßnahmen auf der Grundlage von Art. 37 (ex-Art. 43) EGV einschlössen, hindere nicht, das Übereinkommen selbst allein auf Art. 133 EGV zu stützen244. Art. 37 EGV erlaubt den Erlaß von Rechtsakten aber erst nach Anhöin: Bleckmann, Rn. 1436 f. : so tendentiell auch Antti Maunu, 22 LIEI 1995, 115 (124). Zu den handelspolitischen Schutzmaßnahmen siehe unten 2. b) cc). 240 EuGH, a. a. 0., 5404; Rn. 55. 241 EuGH, a. a. 0 ., 5405; Rn. 57. 242 EuGH, a. a. 0., 5406; Rn. 60. 243 Siehe auch Müller-lbold, in: Lenz, EGV-Kommentar, Vorbem. Art. 131 - 134, Rn. 6; Chalmers, in: The European Union and World Trade Law, 60 f. 244 EuGH, a. a. 0., 5398; Rn. 29.

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rung des EP. Einer solchen Anhörung bedarf es im Rahmen von Art. 133 EGVaber nicht, denn Art. 300 III EGV, der die vorherige Anhörung des EP für die von der EG abzuschließenden Verträge vorschreibt, nimmt Handelsabkommen nach Art. 133 EGV ausdrücklich von diesem Erfordernis aus. Gäbe es den vom EuGH bezüglich des TRIPs behaupteten Parallelismus, hätte er also bereits beim Landwirtschaftsübereinkommen zum Tragen kommen müssen. Zum anderen ist der Gedanke einer Parallelität des Verfahrens und der Beschlußfassung für materiell vergleichbare interne und externe Maßnahmen zurückzuweisen245 . Soweit eine Materie in den Anwendungsbereich der gemeinsamen Handelspolitik fällt, greifen die in Art. 133 und- soweit einschlägig- in Art. 300 EGV vorgesehenen prozeduralen Regeln ein. Ob für entsprechende interne Maßnahmen ein anderes Verfahren und ein anderes Stimmenquorum gilt, ist unbeachtlich. Ungeachtet aller Kritik an den Argumenten des EuGH, sind die Dienstleistungserbringung und der Schutz des geistigen Eigentums aufgrund dieses Gutachtens nur eingeschränkt Gegenstand der gemeinsamen Handelspolitik246• Daher hat es während der Revisionsverhandlungen zum Vertrag von Maastricht Überlegungen gegeben, wie diese beiden Sektoren in toto in den Anwendungsbereich des ex-Art. 113 EGV einbezogen werden könnten247 . Die Vorschläge reichten von einer umfassenden Erstreckung der gemeinsamen Handelspolitik auf die beiden Gebiete über eine anhand von in Annexen zu ex-Art. 113 EGV enthaltenen eingeschränkten Ausdehnung seines Anwendungsbereiches bis hin zu einer vorwiegend verfahrensmäßigen Lösung. Keiner dieser Vorschläge hat sich letztlich durchsetzen können. Statt dessen einigte man sich darauf, ex-Art. 113 EGV um eine "Ermächtigungsklausel" zu ergänzen. Der seit lokrafttreten des Amsterdamer Vertrages neue Art. 133 EGV enthält einen Absatz fünf, der es dem Rat ermöglicht, durch einstimmigen Beschluß die Absätze eins bis vier auf internationale Verhandlungen und Übereinkünfte über Dienstleistungen und Rechte des geistigen Eigentums auszudehnen, soweit sie nicht bereits von den anderen Absätzen erlaßt sind248 . So auch Anthony Amull, in: The European Union and World Trade Law, 343 (359). Siehe Hahn, in: Callies I Ruffert, Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, Art. 133, Rn. 18; Müller-lbold, in: Lenz, EGV-Kommentar, Vorbem. Art. 131-134, Rn. 9 ff. A.A. Pescatore, 36 CMLR 1999, 402, der diese Bereiche ungeachtet des EuGH-Gutachtens zu den Materien der gemeinsamen Handelspolitik nach Art. 133 EGV zählt. 247 Siehe zu diesen Überlegungen im einzelnen Krenzier/da Fonseca-Wollheim, 33 EuR 1998, 234 ff., sowie Olivier Blin, RMC 1998, 447 (449 ff.); Eleftheria Neframi, 34 CDE 1998, 137 (142 ff.). 248 Keine Erwähnung finden ausländische Direktinvestitionen, obwohl sie von den ursprünglichen Änderungsplänen zu ex-Art. 113 EGV erfaßt waren. In Anbetracht der auf internationaler Ebene, insbesondere im Rahmen der OECD und der WTO gemachten Anstrengungen, ein multilaterales Abkommen über den Schutz ausländischer Direktinvestitionen auszuarbeiten (siehe dazu Riyaz Dattu/lohn Boscariol, IBL 1999, 50 ff., und Mina Mashayekhil Murray Gibbs, 33(6) JWT 1999, I ff.), muß dieser Umstand als gravierendes Manko betrachtet werden, siehe Blin, RMC 1998,451. 245

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Der Wortlaut dieser Ermächtigungsklausel ist insofern ambivalent, als es danach sowohl denkbar erscheint, einen allgemeingültigen Beschluß über die Einbeziehung der beiden Bereiche in die gemeinsame Handelspolitik zu fassen 249 , als auch vorstellbar ist, ad-hoc Beschlüsse zu treffen, wenn dafür aufgrund laufender Verhandlungen oder konkret bevorstehender Abkommen ein aktuelles Bedürfnis besteht250. Angesichts der Umstände, die zum Gutachten 1194 führten, als auch der Verhandlungen während der Revisionskonferenz erscheint es unwahrscheinlich, daß der Rat nach Art. 133 V EGV beschließen wird, die Dienstleistungen und das Recht des geistigen Eigentums generell in den Anwendungsbereich der gemeinsamen Handelspolitik einzubeziehen251 . cc) Forschungs- und Technologieabkommen Die Forschungs- und Technologiepolitik der Gemeinschaft ist gern. Art. 163 I (ex-Art. 130 f. I) EGV darauf ausgerichtet, die wissenschaftlichen und technologischen Grundlagen der in der EG angesiedelten Industrie auszubauen und damit deren internationale Konkurrenzfähigkeit zu stärken. Zu den Instrumenten, um diese Zielsetzung zu realisieren, zählt nach Art. 164 b) (ex-Art. 130g b)) EGV auch die Zusammenarbeit mit dritten Ländern und internationalen Organisationen. Die Aufnahme der internationalen Kooperation in den Maßnahmekatalog des Art. 164 EGV spiegelt die Erkenntnis wider, daß Fortschritte auf wissenschaftlich-technologischem Gebiet nicht durch Abschottung zu erreichen sind. Die Kosten, die die Förderung der Forschung und Technologieentwicklung verschlingt, sind zu hoch, und die jeweiligen Materien sind zu komplex, als daß es einer Wirtschaftsregion allein gelänge, sie alle gleichzeitig und in gleichem Maße voranzutreiben. Die Grundzüge der in diesem Bereich zu ergreifenden Maßnahmen legen die Gemeinschaftsorgane in einem auf mehrere Jahre bezogenen Rahmenprogramm fest, das seinerseits durch spezifische Programme umgesetzt wird252. An dieser Stelle setzt Art. 170 (ex-Art. 130m) EGV an: Er gesteht der EG die Kompetenz zu, bei der Umsetzung des Rahmenprogramms mit dritten Parteien zusammenzuarbeiten und die Einzelheiten dieser Zusammenarbeit vertraglich zu regeln. Die Reich-

249 Siehe Hahn, in: Callies I Ruffert, Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, Art. 133, Rn. 39 ff. Diese Möglichkeit verneint Alan Dashwood, 35 CMLR 1998, 1019, 1022 f., während Bourgeois, 22 Fordham ILJ 1999, 153 f. davon ausgeht, daß Dienstleistungen und das Recht des geistigen Eigentumsaufgrund des Art. 133 V EGV nunmehr in Gänze dem Allwendungsbereich des Art. 133 EGV unterfielen, und es lediglich des in Absatz fünf vorgesehenen einstimmigen Ratsbeschlusses bedürfe, um diese Kompetenz zu realisieren. 250 Siehe Neframi, 34 CDE 1998, 150 f. A.A. Krenzier/ da Fonseca-Wollheim, 33 EuR 1998, 239, die von einer permanenten Ausdehnung ausgehen. 251 Siehe auch Blin, RMC 1998, 455 f. 252 Vgl. Art. 166 (ex-Art. 130i) EGV.

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weite dieser Vertragsschlußkompetenz wird in zweifacher Hinsicht begrenzt: Es muß (1) ein Rahmenprogramm geben, und (2) muß sich der Vertrag auf das Gebiet der gemeinschaftlichen Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration konzentrieren. Das Erfordernis eines Rahmenprogramms zur Ausübung der Vertragsschlußkompetenz folgt der inneren Logik des Titels über Forschung und technologische Entwicklung. Das Rahmenprogramm steckt das Feld ab, auf dem sich die EG mit ihren einzelnen Maßnahmen bewegen darf. Solange noch kein Rahmenprogramm vorhanden ist, darf die EG keine Maßnahmen ergreifen und somit auch nicht nach außen tätig werden253 . Sobald die EG das Rahmenprogramm verabschiedet hat, darf sie auf den durch das Rahmenprogramm benannten Gebieten Verträge mit dritten Parteien abschließen. Art. 170 UA 1 EGV verdeutlicht die Anhindung der Vertragsschlußkompetenz an das jeweils laufende Rahmenprogramm mit den Worten "bei der Durchführung des mehrjährigen Rahmenprogramms". Die zur Konkretisierung der internationalen Zusammenarbeit gedachten völkerrechtlichen Abkommen dürfen also das Rahmenprogramm umsetzen, ohne daß zuvor ein spezifisches Programm aufgestellt werden müßte254 . Vielmehr stellen die internationale Zusammenarbeit und die in diesem Zusammenhang getroffenen vertraglichen Vereinbarungen selbst eine besondere Form eines spezifischen Programms dar255 . Diese grammatische und systematische Auslegung wird durch eine teleologische Überlegung gestützt: Hinge die internationale Zusammenarbeit im Forschungsund Technologiesektor und damit der Abschluß völkerrechtlicher Verträge nicht nur vom Vorliegen eines Rahmenprogramms, sondern daneben vom Vorliegen eines spezifischen Programms ab, wäre der Bewegungsspielraum der EG auf dem internationalem Parkett sehr eingeengt. Dieses Ergebnis wird durch die Praxis der Gemeinschaft bestätigt, denn sowohl das bis 1998 laufende vierte Rahmenprogramm256 als auch das bis 2002 laufende fünfte Rahmenprogramm257 sahen bzw. sehen als einen von vier eigenständigen Aktionsbereichen die Sicherung der internationalen Stellung der Gemeinschafts253 Siehe Curtius, in: Lenz, EGV-Kommentar, Art. 170, Rn. 2; Erberich, in: Bleckmann, Rn. 2798; Grunwald. in: GI TI E, EWGV-Kommentar, Art. 130n, Rn. 1. Siehe auch Kallmayer. in: CalliesiRuffert, Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, Art. 170, Rn. 1; Ullrich, in: Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. 2, N, Rn. 6. Aus Effizienzgründen wird man es allerdings für zulässig erachten müssen, wenn die von der EG in Durchführung des Rahmenprogramms abgeschlossenen internationalen Abkommen zeitlich über die Laufzeit des jeweiligen Rahmenprogramms hinausgehen, Grunwald, in: GIT IE, EWGV-Kommentar, Art. 130n, Rn. 25. 254 Siehe Curtius, in: Lenz, EGV-Kommentar, Art. 170, Rn. 3; Glaesner I Fischer-Dieskau, in: GrabitziHilf, Kommentar zur EU, Art. 130m, Rn. 2. A.A. offenbar Grunwald, in: GIT I E, EWGV-Kommentar, Art. 130n, Rn. 23 f. 255 Siehe Schweitzer!Hummer, Europarecht, Rn. 1558. 256 ABI. 1994 Nr. L 126, S. 1. 257 Abi. 1999 Nr. L 26, S. 1.

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forschung mittels Zusammenarbeit mit Drittländern und internationalen Organisationen vor, die anband eines spezifischen Programms entwickelt werden soll258 . Zum anderen hat die EG schon vor dem vierten Rahmenprogramm sogenannte Rahmenabkommen geschlossen, die ohne Bezug auf bestimmte Themen allgemein eine Zusammenarbeit im Forschungs- und Technologiesektor vereinbart haben, und die darauf ausgerichtet sind, durch weitere spezifische Übereinkommen ausgeführt zu werden259 . Die Befugnis, das Rahmenprogramm durch internationale Abkommen umzusetzen, schließt natürlich die Möglichkeit ein, im Anschluß an ein zur Durchführung des Rahmenprogramms gedachtes "normales" spezifisches Programm und bezogen auf seine jeweiligen Inhalte eine Zusammenarbeit mit dritten Parteien zu vereinbaren und vertraglich zu fixieren 260. Die Anhindung der Vertragsschlußkompetenz an das jeweilige Rahmenprogramm bedeutet einerseits eine verfahrensmäßige Anforderung an die Wahrnehmung dieser Kompetenz. Das Rahmenprogramm ist andererseits auch eine materielle Schranke der Vertragsschlußkompetenz, da die jeweils zu vereinbarenden Vertragsinhalte nicht über die Inhalte des Rahmenprogramms hinausreichen dürfen261. Das besagt allerdings nur etwas über die sachliche Reichweite einzelner durch die EG abzuschließender Verträge mit interessierten Dritten, aber nichts über die potentielle sachliche Reichweite der Vertragsschlußkompetenz im allgemeinen. Auf den ersten Blick scheint es, als sei die Vertragsschlußkompetenz der EG enger als ihre diesbezügliche interne Kompetenz, denn Art. 170 EGV beschränkt die internationale Zusammenarbeit ausdrücklich auf die Gebiete der "gemeinschaftlichen Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration". Entgegen diesem Anschein verlaufen die interne und externe Kompetenz der Gemeinschaft parallel, weil die zuvor erwähnten Begriffe nicht nur die generelle Grenze der Vertragsschlußkompetenz kennzeichnen, sondern zugleich den sachlichen Umfang des gesamten Titels über Forschung und technologische Entwicklung und damit der internen Kompetenz der EG auf diesem Sektor beschreiben. Das wird deutlich, wenn man sich Art. 163 III EGV betrachtet, der die Gemeinschaft dazu verpflichtet, alle Maßnahmen in anderen Politikbereichen auf dem Gebiet der Forschung und technologischen Entwicklung, unter Einschluß der Demonstrationsvorhaben, in Übereinstimmung mit den Vorgaben dieses Titels zu ergreifen. Diese Verpflichtung entfaltet nur dann volle Wirksamkeit, wenn die genannten Begriffe den gesamten Bereich der gemeinschaftlichen Technologie- und Forschungspolitik umschreiben. 258 Das spezifische Programm zur Sicherung der internationalen Stellung der Gemeinschaftsforschung in den Jahren 1998-2002 ist vom Rat am 25. Januar 1999 beschlossen worden, Abi. 1999, Nr. L 64, S. 78. 259 Siehe Macleodl Hendry/ Hyett, The Extemal Relations of the EC, 318 f. 260 Macleodl Hendry/Hyett, The Extemal Relations of the EC, 313. 261 Grunwald, in: G/T/E, EWGV-Kommentar, Art. 130n, Rn. 23 f. Soweit die Gemeinschaft außerhalb des jeweils gültigen Rahmenprogramms Verträge abgeschlossen hat, sind diese ultra-vires. A.A. wohl Macleod/ Hendry I Hyett, The Extemal Relations of the EC, 314.

10 Pitschas

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dd) Umwelt(schutz)abkommen Zu den Zielen der von der EG zu betreibenden Umweltpolitik zählt nach Art. 174 I, 4. Spiegelstrich (ex-Art. 130r I, 4. Spiegelstrich) EGV u. a. die Förderung von Maßnahmen auf internationaler Ebene, um Umweltprobleme regionaler oder globaler Art anzugehen. Diese Zielsetzung entspricht der Einsicht, daß bestimmte natürliche Medien wie insbesondere Luft und Wasser aufgrund ihres Wesens nicht an (Landes-)Grenzen gebunden sind und sich deshalb einer rein gemeinschaftsinternen Regelung entziehen 262. Die Erkenntnis, daß sich Umweltpolitik jedenfalls in Teilbereichen - wirkungsvoller auf einer inter- bzw. supranationalen Ebene verfolgen läßt, hat schon die Aufnahme des Titels über die Umwelt in den EGV inspiriert. Die in diesem Titel erklärte Absicht, im internationalen Maßstab an der Bewältigung regionaler und globaler Umweltprobleme mitzuwirken, beruht somit in doppelter Hinsicht auf der Einsicht in die begrenzte Wirksamkeit nationaler bzw. regionaler Umweltpolitik. Denn so wie die Mitgliedstaaten zumindest einige ihrer Umweltprobleme durch gemeinsame Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene besser in den Griff bekommen können, so kann die Umweltpolitik der EG von einer internationalen Zusammenarbeit profitieren263 . Angesichts dessen verwundert es nicht, daß Art. 174 IV 1 EGV der EG vorschreibt, mit dritten Ländern und zuständigen internationalen Organisationen zusammenzuarbeiten, um regionale und globale Umweltprobleme264 einer Lösung zuzuführen, denn diese Probleme können sich auch auf die Umwelt der EG auswirken. Die Verpflichtung, sich an einem internationalen Umweltmanagement zu beteiligen, ergibt sich aus der unbedingten Formulierung in Satz eins, denn es heißt dort "Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten arbeiten ...". Es ist- neben der Nennung der für die internationale Zusammenarbeit in Frage kommenden Akteure - dieser verpflichtende Charakter des ersten Satzes, der ihm sein eigenes Gepräge verleiht265 . Es wäre daher verfehlt, Satz eins als bloße Wiederholung des im ersten Absatz gesetzten Zieles zu verstehen266. Die Besonderheit dieser Vorschrift wird durch den Vergleich mit Art. 170 UA 1 EGV herausgestrichen, denn diese Bestimmung überläßt die Entscheidung über eine internationale Zusammenarbeit der EG, wie sich aus dem dort verwendeten Wort "kann" ergibt. Trotz des Hintergrunds für die in Satz eins ausgesprochene Verpflichtung - Minderung der von regionalen oder globalen Umweltproblemen auf die Umwelt der Siehe Grabitzl Nettesheim, in: Grabitz I Hilf, Kommentar zur EU, Art. 130r, Rn. 105. Siehe Siegfried Breier, 28 EuR 1993, 340 (341). 264 Regionale Umweltprobleme sind solche, die bloß die EG und ihre unmittelbaren Nachbarn betreffen (Beispiel Ostsee), globale Umweltprobleme dagegen solche, die sich jeglicher örtlicher Begrenzung entziehen, siehe Breier/Vygen, in: Lenz, EGV-Kommentar, Art. 174, Rn. 9. 265 Siehe Pieper, in: Bleckmann, Rn. 2829. 266 So aber wohl Grabitz /Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 130r, Rn. 104. 262 263

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