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German Pages 177 Year 2002
Stefan L. Eichner
Wettbewerb, Industrieentwicklung und Industriepolitik
Stefan L. Eichner
Wettbewerb, Industrieentwicklung und Industriepolitik Ein neuer wettbewerbstheoretischer Ansatz auf der Basis des Lebenszykluskonzepts und Implikationen für eine wettbewerbs-, wachstums-und beschäftigungsfördernde Industriepolitik
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Eichner, Stefan L.:
Wettbewerb, Industrieentwicklung und Industriepolitik : Ein neuer wettbewerbstheoretischer Ansatz auf der Basis des Lebenszykluskonzepts und Implikationen für eine Wettbewerbs-, wachstums- und beschäftigungsfördernde Industriepolitik I von Stefan L. Eichner. Berlin : Duncker und Humblot, 2002 ISBN 3-428-10774-8
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© 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 3-428-10774-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 §
Vorwort Wachsturn und Beschäftigung sind in der wirtschaftswissenschaftlichen und wirtschaftspolitischen Diskussion ein zentrales Thema. Das in der Bundesrepublik und in der Europäischen Union seit vielen Jahren bestehende Wachstums- und Beschäftigungsproblem ist auch zu Beginn des neuen Jahrtausends nicht gelöst, sondern eher noch drängender geworden. Altbewährte Lösungskonzepte erweisen sich immer mehr als wirkungslos. Neue Konzepte sind ganz offensichtlich notwendig, doch es fehlt noch daran. Vor dem Hintergrund dieser Situation ist dieses Buch entstanden. Es sollte bewusst eine neue Perspektive auf die Frage der Förderung von Wachsturn und Beschäftigung gesucht und eingenommen werden. Als Ausgangspunkt der Suche nach differenzierten und mitunter neuen Orientierongen für die Gestaltung einer wachstums- und beschäftigungsfördernden Industriepolitik wurde das Wettbewerbsverständnis bzw. Wettbewerbsleitbild gewählt, welches der Industriepolitik zugrunde liegt. Verschiedene existierende Wettbewerbsleitbilder wurden in Bezug auf ihre Orientierungsleistung für die Gestaltung von Industriepolitik analysiert. Dabei wurden grundsätzliche Schwächen aufgezeigt, welche letztlich die Forderung nach einem neuen, evolutorischen Wettbewerbsverständnis begründeten. Im Anschluss ging es darum, vor dem Hintergrund des Konzepts der Bedarfsmarkt-Entwicklung zeitliche und räumliche Kennzeichen des Wettbewerbs zu differenzieren und daran anknüpfend das Wettbewerbsleitbild "evolutorischer Wettbewerb" zu entwickeln. Dieses Buch richtet sich an Studierende der Wirtschaftswissenschaften, Ökonomen und Wirtschaftspolitiker. Es war mein besonderes Anliegen, es leicht verständlich abzufassen. Ich hoffe, dies ist mir gelungen. Bedanken möchte ich mich an dieser Stelle ganz besonders bei PD Dr. Hans Frambach, Dr. Martin Oberstraß, Dr. Andreas Weida, Daniela Neuhaus und bei meinen Eltern, die ich bei der Erstellung des Manuskripts um Rat fragen konnte und die mir wertvolle Anregungen und Hilfen gegeben haben. Die Verantwortung für den Inhalt dieses Buches liegt selbstverständlich alleine bei mir. Bedanken möchte ich mich ferner bei Prof. Dr. Dr. h. c. Erich Hödl, gegenwärtig Rektor der Technischen Universität Graz, der sich in seiner Zeit als Rektor der Bergischen Universität-GHS Wuppertal nachhaltig für eine stärkere Ausrichtung von Forschung und Lehre auf Fragen und Aspekte der
Vorwort
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·Europäischen Union eingesetzt hat. Durch seine Unterstützung ist das von der Europäischen Kommission im Rahmen des Jean-Monnet-Projekts geförderte und von mir am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der UniversitätGHS Wuppertal vertretene Lehrangebot überhaupt erst möglich geworden. Wuppertal, Dezember 2001
Stefan L. Eichner
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung und Problemstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Industriepolitik und Wettbewerb - wettbewerbstheoretische Argumente für und wider die Industriepolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Industriepolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Internationale Wettbewerbsfähigkeit und Industriepolitik........ . . . . 2. Kritik an der Industriepolitik und Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . II. Wettbewerb und Ordnungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Leistungswettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. . . .. . . . . . . . . .. . . . a) "Wettbewerb" und "Markt" als zwei Kategorien von Merkmalen für die Beschreibung des Leistungswettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . b) "Arbeitsweise" und "Wesen" des Leistungswettbewerbs . . . . . . . . . 2. Ordnungspolitik und Leistungswettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erhalt des Leistungswettbewerbs durch formale Verhaltensregeln?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Wirkung materialer Verhaltensregeln auf den Leistungswettbewerb........................... . .. .. . .... . ...... . ...... . III. Wettbewerb und Interventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vom Wettbewerbsleitbild zur Industriepolitik - Kennzeichen und Orientierungen unterschiedlicher Wettbewerbsleitbilder. . . . . . . . . . . . . 2. Wettbewerbs- versus Industriepolitik - Die falsche Frontstellung . . . . 3. Industriepolitik zur Stärkung des Leistungswettbewerbs . . . . . . . . . . . .
11 14 14 14 18 20 24 25 27 29 30 34 36 36 43 49
C. Evolutorischer Wettbewerb. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . 55 Das Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung als Analyserahmen für den "evolutorischen Wettbewerb" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Phasenkonzept der Produktmarkt-Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Phasenkonzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung................ . 3. Begriffsbestimmungen................... .. ....... .. ........... . a) "Innovation" und "Innovationsprozess". . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) "Prozess- und ökonomische Entwicklungsqualität" des Wettbewerbs und "ökonomische Signifikanz" von Innovationen . . . . . . . . II. Zeitlich und räumlich differenzierte Kennzeichen des "evolutorischen Wettbewerbs" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Verhalten als Bestimmungsfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unternehmertypen und Innovation in den Phasen der Bedarfsmarkt-Entwicklung................. . . ... .... .. ... . . ........ . b) Allgemeine Motiv- und Verhaltenstypologie von Wirtschaftssubjekten..... . . .... ................ . .. .... ... . .... .. ........ . I.
55 56 62 71 72 75 80 82 82 87
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Inhaltsverzeichnis c) Das Innovationsverhalten im Lebenszyklus eines Unternehmens. . d) Unternehmensgröße und Innovationsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Marktform und Marktverhalten im Phasenablauf. .......... . .. . . 2. Zur Wettbewerbsrelevanz der Inputfaktoren ............ . ..... . .... 3. Regionaler Entwicklungsstand und Wettbewerb .. . . . ......... . . . ... III. Arbeitsweise und Wesen des "evolutorischen Wettbewerbs" ..... . . . . . . 1. Vor- und nachstoßender Wettbewerb in der Bedarfsmarkt-Entwicklung ............ . .................... . . . .................. . . .. 2. "Evolutorischer Wettbewerb" und "ökonomische Signifikanz" von Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Formen des "evolutorischen Wettbewerbs" ................... .. .. .
D. Wettbewerbsstärkende Industriepolitik ...... . . ................. ..... . I. Zeitliche und räumliche Differenzierung von Ansatzpunkten - Eine Zusammenfassung ..... . . ... ............. . . .. .................... . .. II. Bedarfsmarkt- und Wettbewerbsanalyse und Gestaltung von Industriepolitik ..... .. . . . . . . .............. . ..... .. . . . ..... .. .......... . . . 1. Kennzeichen ökonomischen Wandels - Szenario I .... .. . . . . . .. ... . 2. Kennzeichen einer dauerhaft geringen "ökonomischen Entwicklungsqualität" - Szenario li. .... . ............ ... .................. . . . 3. Regionen mit niedrigem Entwicklungsstand .. ..................... III. Zur Frage der adäquaten Art und Ansatzpunkte der lndustriepolitik. . . . . 1. Folgerungen bezüglich der Art industriepolitischen Handeins . . . . . . . 2. Folgerungen hinsichtlich der Wahl der Ansatzpunkte für ordnungsund prozesspolitische Maßnahmen .. ...... ... ... . . . .. .. . . .... .. . . 3. Handlungsorientierungen des Konzepts der Bedarfsmarkt-Entwicklung und des "evolutorischen Wettbewerbs". . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. lmplikationen für die Förderung von Wachstum und Beschäftigung .... V. lmplikationen für Unternehmen ..... ... .. . . ... .. . . . .. ... ... . ... . . . .
94 99 108 115 119 124 125 128 130 133 133 137 139 142 144 145 145 147 153 156 157
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
Verzeichnis der Abbildungen Abb. 1:
Industriepolitik als "Querschnittspolitik". . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
Abb. 2:
Vom "funktionsfähigen Wettbewerb" zur Industriepolitik . . . . . . . . . . . 44
Abb. 3:
Das Phasenkonzept der Produktmarkt-Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . 58
Abb. 4:
Gewichtung von Funktionalität/Qualität und Preis/Kosten als Wettbewerbsparameter im Prozess der Bedarfsmarkt-Entwicklung . . . . . . . 66
Abb. 5:
Das "chain-linked-model" des Innovationsprozesses...... . . . . . . . . . . 76
Abb. 6:
Motive und Verhalten von Wirtschaftssubjekten in der BedarfsmarktEntwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
Abb. 7:
Patterns of Industrial Innovation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
Abb. 8:
Current Pattern of Segmentation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
Abb. 9:
Unternehmensgrößenspezifisches Verhalten und Bedarfsmarkt-Entwicklung .. ... ..... .. . .. ....... . .. . ....... .. ... . ..... . . . .. . ... 106
Abb. 10: Leistungswettbewerb, Marktform und Bedarfsmarkt-Entwicklung . . . . 110 Abb. 11 : Marktphase und Faktorrelevanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Abb. 12: Regionales Entwicklungsstadium und Faktorverfügbarkeit .. . . .. .. . . 122 Abb. 13: Vor- und nachstoßender Wettbewerb in der Bedarfsmarkt-Entwicklung . .. . ... .. .. ..... .... .. . .. ... . . ..... .. .. . . .. . .. . .... . . . . . . . 127 Abb. 14: Prozess- und ökonomische Entwicklungsqualität des vor- und nachstoßenden Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Abb. 15: Formen des "evolutorischen Wettbewerbs" in der Bedarfsmarkt-Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
Verzeichnis der Tabellen Tabelle 1: Systematischer Vergleich von Wettbewerbsleitbildern. . . . . . . . . . . . . . 40 Tabelle 2: Wettbewerbsleitbilder: Abstraktionsniveau und Orientierungsleistung für ergebnisorientiertes staatliches Handeln.. . ................. .. . 50 Tabelle 3: Phasenspezifische Dominanz von Unternehmertypen und Wettbewerb. . .................. . ............ .. ....... . ....... . . . . ... 87 Tabelle 4: Größenspezifische Unternehmenstypologie . .. . ........ . ..... ..... 105 Tabelle 5: "Harte" und "weiche" Standortfaktoren .. ... ...... . ......... . .. . . 120 Tabelle 6: Verhalten als Indikator für "ökonomische Entwicklungsqualität" . . . . 150
A. Einleitung und Problemstellung Wenn es den deutschen und europäischen Unternehmen gelingt, ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, werden wir dann wieder hohe Wirtschaftswachstumsraten und einen hohen Beschäftigungsstand erreichen? Unternehmen, Gewerkschaften und Politiker beantworten diese Frage einhellig mit ,,Ja"! Auch der für eine Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit einzuschlagende Weg scheint kaum strittig zu sein: Effizienzsteigerungen, Kostensenkungen und der Abbau von Arbeitsplätzen werden als notwendig und unvermeidbar angesehen. Arbeitnehmervertretungen und Arbeitgeber konzentrieren sich deswegen in Verhandlungen darauf, eine für beide Seiten akzeptable und verträgliche Ausgestaltung entsprechender Maßnahmen zu erreichen. Es geht um die Frage, in welchem Umfang und in welchem zeitlichen Rahmen Beschäftigung notwendigerweise abgebaut werden muss, damit die Unternehmen den Anschluss an die internationale Konkurrenz bewerkstelligen und bei Einsetzen der Aufwärtsentwicklung wieder neue Arbeitsplätze schaffen können.1 Weil jedoch mit einem langfristig absinkenden Bedarf an Arbeitskräften gerechnet wird, war zwischenzeitlich sogar von der Notwendigkeit einer Umverteilung der Arbeit die Rede: Wenn alle weniger arbeiten, haben wieder mehr Menschen eine Arbeit. Neue, alternative Lösungsvorschläge für die Wachstums- und Beschäftigungsproblematik sind in der Diskussion in den vergangeneo Jahren nicht mehr aufgetaucht. Es ist unwahrscheinlich, dass auf diesem Weg das Wachstums- und Beschäftigungsproblem tatsächlich gelöst werden kann. Fraglich ist zudem, ob die eingangs formulierte Frage überhaupt mit einem eindeutigen "Ja" beant1 Gemäß der allgemein übereinstimmenden Auffassung über den Zusammenhang von Innovation, Wachstum und Beschäftigung kann über eine Ausdehnung der Innovationsaktivitäten die internationale Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie gesteigert werden. Einerseits haben Innovationen demnach infolge des Rationalisierungspotenzials zwar auch einen beschäftigungssenkenden Effekt. Dieser wird aber in der Regel als geringer eingeschätzt als der beschäftigungssteigemde Effekt, welcher sich infolge der verbesserten internationalen Wettbewerbsfähigkeit aus der Vergrößerung des Anteils der inländischen Industrie am Welthandel ergeben kann. Siehe dazu z.B. Rothwell, R./Zegveld, W. (1988), S. 19 ff., insbesondere S. 23. Diese Auffassung wird unter anderem auch von der Europäischen Kommission vertreten. Kommission der Europäischen Gemeinschaften (1993), S. 43 ff., insbesondere S. 47-48.
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A. Einleitung und Problemstellung
wortet werden kann, wenn man sich die ökonomischen Zusammenhänge zwischen Wettbewerb und der Entwicklung von Märkten vor Augen führt. Nicht in jeder Phase der Bedarfsmarkt-Entwicklung wird der Wettbewerb von Preis- und Kostengesichtspunkten dominiert. Dies ist erst in den späten Phasen der Fall. Das zentrale Kennzeichen dieser in der ökonomischen Markttheorie beschriebenen späten Phasen ist es aber, dass auf den entsprechenden Bedarfsmärkten nur noch in geringem Umfang Wachstums- und Beschäftigungspotenziale bestehen. Denn von der spezifischen Erscheinungsform des Wettbewerbs, der auf solchen Bedarfsmärkten stattfindet, gehen kaum noch Impulse auf die wirtschaftliche Entwicklung aus. Die Beschäftigung wird nicht mehr weiter ausgedehnt, sondern sukzessive abgebaut? Ohne große Schwierigkeiten lässt sich eine ganze Reihe von Faktoren zusammenstellen, die zusammengenommen zumindest die Befürchtung aufkommen lassen müssten, dass zahlreiche, gesamtwirtschaftlich bedeutsame Märkte - auch und gerade jene, die Gegenstand des allseits zu beobachtenden technologischen Wettlaufs sind - bereits seit Jahren in die späten Phasen der Marktentwicklung eingetreten sind: Das Vorherrschen oligopolistischer Märkte, der erreichte hohe Grad an Markttransparenz, der hohe Stellenwert des Preis- und Kostenwettbewerbs, das oft in hohem Maße gleichartige Verhalten der Nachfrager, die spezielle Form der Bindung von mittelständischen Unternehmen in Kooperationen mit Großunternehmen, die ökonomische Tragweite bzw. "ökonomische Signifikanz" von getätigten Innovationen und, nicht zuletzt, die Ähnlichkeiten bezüglich der Qualifikationsprofile des von den Unternehmen nachgefragten Humankapitals. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht könnte es deswegen durchaus als besorgniserregend angesehen werden, wenn immer mehr Märkte eine globale Dimension erreichen, ohne dass zugleich auch völlig neue Bedarfsmärkte entstehen und heranwachsen. 3 Wenn die Wirtschaftspolitik folglich Unternehmen gezielt dabei unterstützt, im weltweiten Preis- und Kostenwettbewerb besser bestehen zu können, aber die Bedarfsmärkte, auf denen sie agieren, zahlreiche Kennzeichen der späten Entwicklungsphasen tragen, dann ist aus dieser veränderten Perspektive heraus betrachtet nicht mit einer Überwindung, sondern viel eher mit einer weiteren Verschärfung der Wachstums- und Beschäftigungsprobleme zu rechnen. Ist deswegen vielleicht sogar gerade die gegenwärtige Siehe dazu ausführlich Eichner, S. (1997), S. 33 ff. Zu einer ganz ähnlichen Einschätzung gelangt beispielsweise auch Rich aufgrund seiner theoretischen und historischen Analyse der ökonomischen Entwicklung der Industriestaaten: Beschäftigung und Wachstum sinken trotz steigender internationaler Wettbewerbsfähigkeit der Industrie (Rich, D. Z. (1994), S. 215 ff., insbesondere S. 247-250). Er spricht in diesem Zusammenhang vom "paradox of modern industrialization" (Rich, D. Z. (1994), S. 68 und S. 69). 2
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A. Einleitung und Problemstellung
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Form der intensiven Förderung der internationalen Wettbewerbsfahigkeit der europäischen Industrie eine Ursache für das Andauern der Wirtschaftsund Beschäftigungskrise? Werden sich durch die in Europa etablierte Form der Industriepolitik möglicherweise die Chancen auf ein beschäftigungsintensives Wachstum vermindern? Beide Fragen lassen sich nicht endgültig beantworten. Prognosen sind grundsätzlich schwierig. Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen sind zudem in hohem Maße interdependent. Beobachtbare Wirkungen lassen sich kaum einem einzelnen Politikbereich oder gar einer einzelnen Maßnahme zurechnen. Auf der wettbewerbstheoretischen Ebene lassen sich jedoch bestimmte Zusammenhänge verdeutlichen, die in begrenztem Umfang Aufschluss darüber geben, wie diese Fragen zu beantworten sind. Denn die Gestaltung der Industriepolitik orientiert sich in hohem Maße an dem theoretischen Verständnis von Wettbewerb und seiner Funktionsweise. Allerdings gibt es, was heute in der Diskussion über das Für und Wider der Industriepolitik noch kaum berücksichtigt wird, nicht nur eine Theorie des Wettbewerbs. Deswegen wird auch nicht in Betracht gezogen oder sogar geprüft, ob die etablierte Form der Industriepolitik bzw. die in ihrem Rahmen ergriffenen Maßnahmen vor dem Hintergrund anderer Theorien des Wettbewerbs nicht ganz anders beurteilt werden müssten. Insofern ist es wenig überraschend, dass die beiden im vorangegangenen Absatz formulierten Fragen in der gegenwärtigen Diskussion über die Industriepolitik und die Möglichkeiten der Überwindung der Wirtschafts- und Beschäftigungskrise in dieser Weise gar nicht gestellt werden. In der anschließenden Untersuchung sollen im Rahmen des Kapitel B unterschiedliche Theorien des Wettbewerbs und unterschiedliche Wettbewerbsleitbilder vergleichend betrachtet und ihre Bedeutung für die gegenwärtige Industriepolitik aufgezeigt werden. Dabei ist insbesondere die Frage zu erörtern, ob staatliche Eingriffe grundsätzlich wettbewerbsverzerrend sind und die Leistung des Wettbewerbs negativ beeinflussen. Neben den Leitbildern "freier Wettbewerb" und "funktionsfahiger Wettbewerb" soll in Kapitel C ein davon zu unterscheidendes Wettbewerbsleitbild erarbeitet und verdeutlicht werden. Weil dieses neue Wettbewerbsleitbild im Unterschied zu den zuvor genannten den Wettbewerb sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Hinsicht differenziert, soll es hier im Folgenden "evolutorischer Wettbewerb" genannt werden. In Kapitel D werden nach einer kurzen Zusammenfassung der Resultate der vorangegangenen Untersuchung Handlungsoptionen aufgezeigt, die sich aus der Anwendung des Konzepts der Bedarfsmarkt-Entwicklung und des "evolutorischen Wettbewerbs" für eine wettbewerbs-, wachstums- und beschäftigungsfördernde Industriepolitik ergeben. Der letzte Abschnitt des Kapitel D thematisiert Implikationen des Konzepts für das wettbewerbsstrategische Verhalten von Unternehmen.
B. Industriepolitik und Wettbewerb wettbewerbstheoretische Argumente für und wider die Industriepolitik Markt und Wettbewerb sind als Grundprinzipien der Wirtschaftssysteme westlicher Industriestaaten fest etabliert. Das über die vergangeneo Jahrzehnte hinweg realisierte Wirtschaftswachstum und der heute erreichte Grad an Wohlstand in den Industriestaaten werden allgemein als Beleg für die Überlegenheit dieser dezentralen Steuerungsmechanismen der Wirtschaft gewertet. Inwieweit staatliche Interventionen in die Markt- und Wettbewerbsprozesse für die Realisierung von Wachstums- und Beschäftigungszielen dennoch erforderlich sind, darüber gehen die Auffassungen der Ökonomen auseinander. Die Argumente für und wider Interventionen stützen sich dabei im Kern auf das theoretische Verständnis von der Funktionsweise von Markt- und Wettbewerbsprozessen ab. Allerdings existieren gerade bezüglich des Wettbewerbs - der treibenden Kraft für technischen Fortschritt, Wirtschaftswachstum und wirtschaftliche Entwicklung - verschiedene Theorien. Damit eröffnen sich Interpretationsspielräume hinsichtlich der Notwendigkeit und des Umfangs staatlicher Intervention.
I. Industriepolitik Die Industriepolitik beeinflusst Märkte. Dabei werden ordnungspolitische Instrumente eingesetzt, wie etwa Richtlinien und andere Regeln mit Bezug zu wirtschaftlichen Aktivitäten innerhalb von Branchen. Vornehmlich operiert die Industriepolitik jedoch mit vielfältigen Fördermaßnahmen, d. h. mit der Vergabe von finanziellen Fördermitteln. Letztere werden von liberalen Ökonomen in der Regel als prozesspolitische Mittel bzw. als Interventionen angesehen, welche den Wettbewerb verzerren. Aus diesem Grund steht die Industriepolitik in der liberalen Kritik. l. Internationale Wettbewerbsfähigkeit und Industriepolitik
In Anbetracht der globalisierten Wirtschaft ist es heute üblich, nicht mehr von der "Wettbewerbsfähigkeit", sondern von der "internationalen Wettbewerbsfähigkeit" der Unternehmen zu sprechen. Es sind die "neuen" Erfordernisse dieses "internationalen" Wettbewerbs, welche Unternehmen
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zu entsprechenden Anpassungen zwingen: Gesteigerte FuE-Anstrengungen für die Verbesserung von Produkten und für die Rationalisierung von Produktions- und Administrationsprozessen, Einführung moderner Informations- und Telekommunikationstechnologien und deren Einbindung in die unternehmensinternen und weltweiten Netzwerke, neue Organisations- und Managementformen, wie etwa das "outsourcing" und das "lean management", Abbau von Arbeitsplätzen, Betriebsschließungen, Kooperationen mit anderen Unternehmen und vor allem auch Unternehmensfusionen sind Beispiele für bekannte Maßnahmen, zu denen sich nicht nur die Großunternehmen, sondern auch der Mittelstand gezwungen sieht. So betrachtet ist "internationaler Wettbewerb" nichts völlig Neues. Es handelt sich dabei vorrangig um Preis- und Kostenwettbewerb in einer auf Massenproduktion ausgerichteten Wirtschaft. Seine Arbeits- und Wirkungsweise wird von der neoklassischen Theorie erklärt. Eine Veränderung hat sich lediglich in der geographischen Grenzziehung der Märkte ergeben, auf denen dieser ausgetragen wird. Der Preis- und Kostenwettbewerb findet nicht mehr nur oder vornehmlich in den Grenzen nationaler Volkswirtschaften statt. Wettbewerb ist "international" geworden. Dennoch hat die bundesdeutsche und europäische Wirtschafts- und Industriepolitik in den zurückliegenden Jahren in wachsendem Umfang auf die Internationalisierung der Märkte und des Wettbewerbs reagiert. Um im Handel auf den Weltmärkten gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika und Japan nicht zurückzufallen und um die Abwanderung von Unternehmen an kostengünstigere Standorte und den damit verbundenen Verlust von Arbeitsplätzen zu bremsen, wurden seit Beginn der 80er Jahre zahlreiche Maßnahmen der EG-Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission konsequent auf die Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen ausgerichtet. Dies ist das zentrale Ziel der "lndustriepolitik". Der Begriff "Industriepolitik" - die deutsche Übersetzung des englischen Begriffs "Industrial policy" - suggeriert zunächst, die darunter gefassten Maßnahmen seien ausschließlich auf den Industriesektor bezogen. Tatsächlich ist die Industriepolitik nicht auf die Industrie beschränkt. 1 Es werden vor allem auch Dienstleistungsbranchen adressiert. Auf der Ebene der Europäischen Union gibt es beispielsweise zahlreiche auf den Dienstleistungssektor bezogene industriepolitische Maßnahmen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien (etwa in der Forschungsförderung und bezüglich der Förderung der Verwirklichung der Informationsgesellschaft)2 und für den Groß- und Einzelhandel (Weißbuch für den Handel)3 . Siehe Meißner, W./Fassing, W. (1989), S. 135. Siehe zur europäischen Industriepolitik Kommission der Europäischen Gemeinschaften (1993) sowie zur europäischen Forschungsförderung Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (1999), S. 1-33, insbesondere S. 14-16 und exemplarisch 1
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B. Industriepolitik und Wettbewerb
Obwohl die Industrie in der Regel im Zentrum industriepolitischer Konzepte steht, wäre es deswegen treffender, "Industrial policy" mit "Branchenpolitik" oder "sektoraler Wirtschafts- bzw. Strukturpolitik" zu übersetzen. Im Allgemeinen geht es im Rahmen der Industriepolitik darum, mit entsprechenden ordnungspolitischen Maßnahmen, aber vor allem auch mit Hilfe von vielfältigen Interventionen, die Struktur, die Produktivität und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft gezielt zu beeinflussen.4 Je nachdem, ob die Industriepolitik dabei darauf gerichtet ist, lediglich die Anpassung der Unternehmen an den Strukturwandel zu erleichtern und zu beschleunigen, den Strukturwandel in bestimmten Branchen abzubremsen oder zu verhindem oder den Strukturwandel in bestimmten Branchen aktiv zu gestalten, spricht man von einer anpassungspolitischen, erhaltenden oder gestaltungspolitischen Konzeption. 5 Während die anpassungspolitische Konzeption in der Regel indirekte, also nicht unmittelbar auf einzelne Branchen oder gar Unternehmen gerichtete Maßnahmen einsetzt, bedienen sich die anderen beiden Konzeptionen direkter bzw. diskretionärer Maßnahmen. 6 Andere Systematiken differenzieren primär zwei verschiedene Formen der Industriepolitik, nämlich die auf die gesamte Wirtschaft gerichtete "horizontale lndustriepolitik" und die auf einzelne Branchen gezielte "vertikale (oder sektorale) Industriepolitik". Beide Formen können ihrer Intention nach "defensiv" sein, d. h. der Strukturwandel soll abgebremst werden oder "offensiv". Im letztgenannten Fall steht die Förderung oder Gestaltung des Strukturwandels im Vordergrund. 7 Die nur in geringem Umfang auf interventionistische Mittel rekurrierende bzw. anpassungspolitische Variante der "sektoralen Strukturpolitik" wird dort nicht als eine typische Form von Industriepolitik abgehandelt, weil "Industriepolitik" eher als interventionistische Variante der "sektoralen Strukturpolitik" verstanden wird. 8 Über ein eigenes Instrumentarium, dass für die Verfolgung dieser Ziele eingesetzt werden könnte, verfügt die Industriepolitik indes nicht. 9 Stattdessen werden einzelne oder eine ganze Reihe von Maßnahmen in unterschiedzur Informationsgesellschaft Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2000), s. 1- 28. 3 Siehe dazu KOM (1999), S. 1-28. 4 Meißner, W./Fassing, W. (1989), S. 135; siehe auch Simons, J. (1997), S. 8. 5 Meißner, W./Fassing, W. (1989), S. 133 ff. 6 Oberender, P./Daumann, F. (1995), S. 3 ff. 7 Siehe beispielsweise Simons, J. (1997), S. 17-19. 8 Siehe dazu Simons, J. (1997), S. 9 f. sowie Meißner, W./Fassing, W. (1989), S. 181 ff. Vgl. Oberender, P./Daumann, F. (1995), S. 3- 7. 9 Meißner, W./Fassing, W. (1989), S. 159. Meißner und Fassing beziehen sich hier auf die "sektorale Strukturpolitik". Die enger definierte "lndustriepolitik" ist darin jedoch eingeschlossen.
I. Industriepolitik
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Quelle: Eigene Darstellung.
Abb. 1: Industriepolitik als "Querschnittspolitik"
liehen Politikbereichen durch die besondere Ausrichtung auf die Ziele der Industriepolitik zu Mitteln derselben. Dazu gehören insbesondere die Forschungs- und Technologiepolitik, die Innovations- und Mittelstandspolitik, die Regionalpolitik sowie die Wettbewerbs- und die Handelspolitik. Als "Querschnittspolitik" tangiert sie somit verschiedene Politikbereiche, wie die Abbildung 1 veranschaulicht, welche dadurch jedoch ihre Eigenständigkeit nicht vollständig verlieren. Auf dem Wege der gezielten Förderung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit soll die Industriepolitik letztlich maßgeblich dazu beitragen, das übergeordnete wirtschaftspolitische Ziel eines beschäftigungsintensiven Wirtschaftswachstums in der Bundesrepublik und der Europäischen Union zu erfüllen. 10 Bedingt durch die strukturelle Krise, die seit Anfang der 90er Jahre für stagnierendes Wachstum und für steigende Arbeitslosigkeit in den europäischen Mitgliedstaaten sorgt, hat die Industriepolitik weiter an Bedeutung gewonnen.
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Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften (1993).
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B. Industriepolitik und Wettbewerb
2. Kritik an der Industriepolitik und Ziel der Untersuchung
Eine durchgreifende und nachhaltige Besserung der wirtschaftlichen Lage hat sich in den europäischen Mitgliedstaaten bislang trotz vielfältiger industriepolitischer Maßnahmen noch nicht ergeben. Nicht nur aus diesem Grund bleibt die "sektorale Strukturpolitik" bzw. die "Industriepolitik" unter Ökonomen umstritten. Theorien des Marktversagens, die "Theorie des strategischen Handels" und die "Neue Wachstumstheorie" liefern zwar Argumente für eine über die Wettbewerbspolitik hinausgehende, Unvollkommenheiten des Marktes korrigierende und das Wachstumsresultat des Wettbewerbs weiter steigemde Industriepolitik. 11 Ordnungspolitische Vertreter erheben jedoch unter Berufung auf die neoklassische oder die klassische Theorie seit langem grundsätzliche theoretische Bedenken gegen industriepolitisch motivierte Interventionen. 12 Die vielfältigen prozesspolitischen und diskretionären Eingriffe in die Wirtschaftsprozesse verfälschten den Wettbewerb, lautet der Einwand, und sie seien deswegen als Ursache dafür anzusehen, dass die ordnenden und wohlfahrtssteigemden Kräfte des Wettbewerbs erst recht nicht wirksam werden könnten. Aus diesem Grund wird von ihnen auch kein anderes Konzept für die Industriepolitik vorgeschlagen, sondern oft jegliche Industriepolitik konsequent abgelehnt, zugunsten einer rein ordnungspolitisch agierenden und auf den Erhalt des Wettbewerbs ausgerichteten Wettbewerbspolitik. Zu einer Auflösung des Konfliktes zwischen Befürwortem und Gegnern der Industriepolitik ist es noch nicht gekommen. Die Erfolglosigkeit der bisherigen Industriepolitik in der Europäischen Union scheint, oberflächlich betrachtet, zunächst den Gegnern von Interventionen recht zu geben. Es ist dabei jedoch relativierend zu berücksichtigen, dass die in der Realität bedeutsamen evolutorischen Aspekte des Wettbewerbs und des Marktgeschehens bisher nur zum Teil erforscht worden sind. Weder die Gegner noch die Befürworter der Industriepolitik können gegenwärtig für sich in Anspruch nehmen, bei der Begründung ihrer Position auf eine Theorie oder einen theoretischen Ansatz zu rekurrieren, der diese evolutorischen Phänomene ausreichend berücksichtigt und erklärt. Dadurch wird aber die theoretische Grundlage, auf der ihre Folgerungen hinsichtlich der Art des staatlichen Handeins aufbauen, fragwürdig. Insofern ist es ebenso fraglich, ob das 11 Siehe zu den genannten Erklärungsansätzen und zu ihrer Kritik beispielsweise Eickhof, N. (1986), S. 468-476, Klodt, H. (1993), S. 196-212 sowie Oberender, P.l Daumann, F. (1995), S. 8-14. 12 Diese Position wird vor allem von deutschen Ökonomen in der seit langem geführten Diskussion über die Vereinbarkeit der Industriepolitik mit dem Wettbewerb vertreten. Siehe dazu beispielsweise Hamm, W. (1972), S. 118-131 und jüngere Beiträge, etwa von Besters, H. (1988), S. 53-69, Streit, M. E. (1992) sowie Immenga, U. (1994), S. 14-18 u.a.
I. Industriepolitik
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liberale Gebot der "Nicht-Intervention" eine adäquate Empfehlung für den Umgang mit dem Wachsturns- und Beschäftigungsproblern darstellt. Gleichwohl wird dadurch aber die Kritik nicht entkräftet, welche aufgrund des ausbleibenden Erfolges gegen die von den Befürwortern theoretisch abgeleiteten Interventionserfordernisse und vor allem gegen die empfohlenen wettbewerbs- und industriepolitischen Korrekturen bzw. Interventionen insbesondere von liberalen Vertretern vorgebracht wird. Die Ursache für die bisherige Erfolglosigkeit der Industriepolitik kann dann aber nicht grundsätzlich darin gesehen werden, dass sie interventionistisch angelegt ist. Ein wesentlicher Grund dafür scheint vielmehr zu sein, dass in den für die Begründung der Interventionen herangezogenen theoretischen Ansätzen der Befürworter der Industriepolitik die evolutorischen Aspekte des Wettbewerbs und des Marktes gleichfalls nur unzureichend oder überhaupt nicht erfasst sind und es deswegen teilweise zu einer falschen Einschätzung der Interventionserfordernisse kommt. Inwieweit bei der Gestaltung der Wirtschafts- und Industriepolitik grundsätzlich von einem unvereinbaren Gegensatz zwischen Wettbewerbspolitik und Industriepolitik bzw. zwischen Wettbewerb und staatlichen Interventionen ausgegangen werden muss, ist folglich eine Frage des wettbewerbstheoretischen Standpunktes und des Wettbewerbsleitbildes. In der Diskussion wurde bisher vornehmlich auf der Grundlage der neoklassischen Theorie und des Leitbildes vorn "funktionsfähigen Wettbewerb" argumentiert. Zum Teil erfolgte auch ein Rückgriff auf Irnplikationen der klassischen Theorie und des Leitbildes vorn "freien Wettbewerb". In Kapitel C wird es darum gehen, die Grundzüge eines Wettbewerbsleitbildes "evolutorischer Wettbewerb" darzulegen und sich damit der Aufgabe der Überwindung der Wachsturns- und Beschäftigungskrise aus einer anderen, von der herrschenden Theorie abweichenden Perspektive zu nähern. Dazu ist es erforderlich, die Merkmale dieses "evolutorischen Wettbewerbs" vor dem Hintergrund der zeitlichen und räumlichen Entwicklung von Bedarfsmärkten zu unterscheiden. Im Ergebnis soll eine wettbewerbstheoretisch verankerte Basis entstehen, die für die differenzierte Beurteilung der Wettbewerbswirkungen von Interventionen genutzt werden kann. Ein solcher Ansatz kann dazu beitragen, über die scheinbar unüberbrückbaren Gegensätze in der Frage des Für und Wider von Interventionen und der Industriepolitik hinwegzuhelfen, weil die Diskussion sich bisher darauf konzentriert hat, ein generelles Urteil bezüglich der Wettbewerbswirkungen von Interventionen zu treffen. Im Folgenden gilt es zunächst darzulegen, dass und aus welchem Grund Interventionen und die Industriepolitik nicht grundsätzlich im Widerspruch zu einem solchen Wettbewerb stehen, der entwicklungs-, wachsturns- und beschäftigungsfördernde Wirkungen entfaltet. Dabei hebt sich die Begründung allerdings deutlich von den herkömmlichen Begründungen für die In2*
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B. Industriepolitik und Wettbewerb
dustriepolitik ab, weil das in Kapitel C darzulegende Wettbewerbsverständnis von dem der bekannten Wettbewerbsleitbilder abweicht. 13 Insofern wird eine wichtige Aufgabe darin bestehen, die Unterschiede zwischen den Wettbewerbsleitbildern "freier Wettbewerb" und "funktionsfähiger Wettbewerb" einerseits und zum "evolutorischen Wettbewerb" andererseits zu verdeutlichen. Das besondere Augenmerk gilt deswegen der Herausarbeitung und vergleichenden Gegenüberstellung der verschiedenen Merkmale der Leitbilder. Auf dieser Grundlage sollen die jeweils daraus abgeleiteten Argumente für bzw. gegen die Industriepolitik hinterfragt werden. Als Ausgangspunkt für die weiteren Ausführungen wird zuvor auf den für die Diskussion um die Industriepolitik zentralen Zusammenhang zwischen Wettbewerbsverständnis und "Nicht-Interventionspostulat" eingegangen.
11. Wettbewerb und Ordnungspolitik Der Streit um die Frage der Zulässigkeil von staatlichen Interventionen in die Wirtschaftsprozesse bzw. um die Frage der Vereinbarkeil mit der Marktwirtschaft hat in Deutschland eine lange Tradition. Er geht auf die Zwischenkriegsphase zurück, in welcher die Wirtschaftspolitik von vielniltigen, zusammenhangslosen und primär an kurzfristigen Interessen verschiedener Gruppen ausgerichteten Eingriffen gekennzeichnet war. Eucken bezeichnete diese Phase als die "Periode der Experimente" und die damit verbundene Art von Politik wurde von liberalen Ökonomen als wettbewerbsbeeinträchtigender und wohlfahrtsmindernder "Interventionismus" kritisiert. 14 Im Vordergrund des Disputes um die Zulässigkeil des Interventionismus stand die Frage, inwieweit ein marktwirtschaftliches System auf Dauer überhaupt Bestand haben könnte, wenn der Staat den Marktmechanismus durch Eingriffe störte. Ludwig von Mises begründete die später insbesondere auch von Wilhelm Röpke vertretene "Unvereinbarkeitslehre", nach der eine Intervention in die Marktprozesse zwangsläufig immer mehr Eingriffe nach sich zieht und das marktwirtschaftliche System damit sukzessive in eine Planwirtschaft transformieren muss. 15 Als Konsequenz daraus wurde oft eine strikte Begrenzung staatlichen Handeins auf Ordnungspolitik gefordert. Die Auffassung, dass nur die Ordnungspolitik mit 13 Siehe für eine vergleichende Gegenüberstellung verschiedener Wettbewerbsleitbilder und des in dieser Arbeit entwickelten Leitbildes "evolutorischer Wettbewerb" unten Kapitel B.III.l: "Vom Wettbewerbsleitbild zur Industriepolitik - Kennzeichen und Orientierungen unterschiedlicher Wettbewerbsleitbilder". 14 Eucken, W. (1949), S. 7 ff., insbesondere S. 17 und Mises, L. von (1976) sowie Pütz, Th. (1948), S. 148 ff. 15 Siehe Mises, L. von (1976), S. 9- 12 und Röpke, W. (1942). Diese Befürchtung ist durch die Geschichte widerlegt worden und kann deswegen heute sicher nicht mehr als zeitgemäß gelten.
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dem Wettbewerbs- und Marktmechanismus vereinbar ist, weil sie lediglich Regeln oder, allgemeiner formuliert, den Rahmen für das Marktgeschehen vorgibt, aber die Wettbewerbs- und Wirtschaftsprozesse selbst nicht beeinflusst, wird unverändert von vielen Ökonomen vertreten. 16 Für die Begründung der ablehnenden Haltung gegenüber staatlichen Interventionen und einer über die Wettbewerbspolitik hinausgehenden Industriepolitik ist das Wettbewerbsverständnis von zentraler Bedeutung. Während die an die klassische Lehre von Adam Smith anknüpfenden Vertreter des "freien Wettbewerbs" den Wettbewerb als ein Selbstregulierungssystem verstehen, welches sich einer ergebnisorientierten staatlichen Steuerung grundsätzlich entzieht und aus diesem Grund letztlich nur ein Prinzip der Ordnung und Koordination von Märkten darstellt, knüpfen die Vertreter des "funktionsfahigen Wettbewerbs" 17 an die mechanistische Sichtweise der Neoklassik an. Im Grundsatz wird von dort auch die Annahme unverändert übernommen, dass Wettbewerb über die Eigenschaft der Selbsttätigkeit ver.. t 18 f ug. Obwohl die Auffassungen der Vertreter des "freien Wettbewerbs" und des "funktionsfahigen Wettbewerbs" bezüglich der Voraussetzungen für ein ungestörtes Arbeiten des Wettbewerbs sehr deutlich divergieren - Freiheit bzw. das Vorliegen bestimmter Marktstruktur- und Marktverhaltensbedingungen -, besteht bei beiden Leitbildern dennoch eine weitreichende Übereinstimmung darin, dass Wettbewerb als ein Prozess zu verstehen ist, dessen Dynamik aus der unendlichen Abfolge von Innovations- und Imitationshandlungen resultiert. Diese Vorstellung vom Wettbewerbsprozess impliziert, dass er über selbstregulierende und selbsterhaltende Kräfte verfügt. Dabei wird von den konkreten, wechselnden Bedingungen abstrahiert, die sich im historischen Zeitablauf und aus den spezifischen räumlichen Merkmalen von Märkten ergeben. 16 Siehe dazu als Beispiele die Beiträge von Schmidtchen, D. (1994), S. 143-166, Kirzner, I. (1994), S. 101-110 sowie von Streit, M. E. (1995), S. 3-28. 17 Der Begriff "funktionsfähiger Wettbewerb" wird zum einen der Gruppe der verschiedenen "Workability-Konzepte" der Harvard School zugeordnet, welche in Anknüpfung an den im American Economic Review 30 von 1940 veröffentlichten Aufsatz von J. M. Clark, "Towards a Concept of Workable Competition" entwickelt wurden. Darüber hinaus wird er aber auch für den von Kantzenbach entwickelten Ansatz der "optimalen Wettbewerbsintensität" verwendet. Siehe dazu Bartling, H. (1980), S. 20-40. Es sollen aufgrund der engen Verwandtschaft zwischen den "Workability-Konzepten" und dem Konzept der "optimalen Wettbewerbsintensität" im Folgenden immer beide Ansätze angesprochen sein, wenn der Begriff "funktionsfähiger Wettbewerb" verwendet wird. 18 Siehe für eine vergleichende Betrachtung wettbewerbstheoretischer Ansätze Bartling, H. (1980), S. 8- 58, Tuchtfeldt, E. (1981), S. 173-186 sowie insbesondere auch Kowalski, A. (1997).
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Die Annahme der Selbsttätigkeit des Wettbewerbsprozesses im Hinblick auf den Ablauf und auf die ökonomischen Ergebnisse schließt ein staatlich steuerndes Intervenieren im Prinzip aus. Für die Frage nach der Art des staatlichen Handeins kann die Konsequenz aus dieser einheitlichen Auffassung vom Wesen des Wettbewerbs insofern nur sein, dass ein staatliches Eingreifen in die Wirtschaftsprozesse dem Wesen des Wettbewerbs widerspricht und diesen sowie die ökonomische Entwicklung bzw. seine Wachstumsresultate unausweichlich negativ beeinflussen muss. Anders als das Modell der "vollkommenen Konkurrenz" ist der "funktionsfähige Wettbewerb" jedoch nicht an die Erfüllung ähnlich restriktiver Bedingungen geknüpft. 19 Vielmehr wird für eine Reihe von verschiedenen Merkmalen, welche für die Charakterisierung von Märkten als relevant angesehen werden, jeweils nur ein Bereich von Merkmalsausprägungen (Marktforrn, Markttransparenz, Produktheterogenität usw.) festgelegt. "Funktionsfahiger Wettbewerb" besteht folglich bei durchaus unterschiedlichen Ausprägungen der in der Marktstruktur- und Marktverhaltensanalyse differenzierten Merkmale. Darüber hinaus wird dem "funktionsfahigen Wettbewerb" auch kein exakt definiertes Wohlfahrtsergebnis zugeordnet. Dies ist die unmittelbare Konsequenz davon, dass keine exakten Marktmerkmalsausprägungen als Ideal vorgegeben werden. Stattdessen wird lediglich eine Reihe von gesamtwirtschaftlichen Funktionen bzw. Marktergebnisnormen definiert, die der Wettbewerb erfüllen soll. Infolgedessen kann das Wirtschaftswachstum, welches der "funktionsfahige Wettbewerb" hervorbringt, unterschiedlich hoch ausfallen, je nachdem welche Merkmalsausprägungen bzw. konkreten Marktgegebenheiten vorliegen?0 "Funktionsfahiger Wettbewerb" bewirkt insofern zwar selbsttätig Wirtschafts- bzw. Wohlfahrtswachstum, aber in welchem Umfang dies geschieht, hängt von den Marktbedingungen ab, unter denen er sich vollzieht?' Aufgrund der von den Vertretern des "freien Wettbewerbs" abweichenden Auffassung, es bestehe eine genaue oder hinreichend genaue Kenntnis der Funktionsbedingungen und der Funktionsweise des WettbeSiehe dazu Bartling, H. (1980), S. 9 ff. Vgl. Bartling, H. (1980), S. 20-40. Bartling führt hier eine vergleichende und kritische Betrachtung der von Vertretern der Harvard School entwickelten "Workability-Konzepte" und Kantzenbachs Leitbild der "optimalen Wettbewerbsintensität" durch. Siehe darüber hinaus Kantzenbach, E. (1967), S. 15-18 und S. 32 ff. 21 Dies zeigt sich beispielsweise sehr deutlich bei Kantzenbachs Überlegungen zu den Marktbedingungen für eine im Hinblick auf die Erfüllung der Fortschrittsfunktion und des Erhalts der Anpassungsflexibilität der Wirtschaft "optimale Wettbewerbsintensität", die er letztlich im Bereich weiter Oligopole bei mäßiger Marktunvollkommenheit vermutet. Siehe Kantzenbach, E. (1967), S. 39 ff. und insbesondere S. 87 ff. 19
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werbs, ergibt sich hier jedoch die Möglichkeit einer ergebnisbezogenen staatlichen Steuerung oder genauer gesagt Feinsteuerung des Wettbewerbs. Wettbewerb stellt deswegen gemäß der Auffassung der Vertreter des "funktionsfähigen Wettbewerbs" ein Instrument dar, gesamtwirtschaftliches Wohlfahrtswachstum zu erreichen. Insofern ergibt sich für den Staat gegebenenfalls auch die Aufgabe, die Bedingungen über Marktstrukturinterventionen im Rahmen der Wettbewerbspolitik zu modulieren, um die "Funktionsfähigkeit" des Wettbewerbsmechanismus zu verbessern. Ein solches Eingreifen ist im Rahmen der Wettbewerbspolitik im Prinzip immer dann gerechtfertigt, wenn die gesamtwirtschaftlichen Ergebnisse des Wettbewerbs als ungenügend angesehen werden. Die von der Gleichgewichtstheorie und der "vollkommenen Konkurrenz" übernommene Selbsttätigkeitsthese wird folglich nicht grundsätzlich in Frage gestellt, sondern lediglich relativiert. Die wettbewerbspolitische Intervention stellt aus diesem Grund in der Perspektive der Vertreter des "funktionsfahigen Wettbewerbs" die Ausnahme dar. Es gilt auch hier das Primat der Ordnungspolitik. Jöhr hat in einer ausführlichen Auseinandersetzung mit dem "Nicht-Interventionspostulat" schon 1943 dargelegt, dass für die Annahme, Wettbewerb bewirke selbsttätig Wohlfahrt, weder die klassischen Ansätze noch die neoklassische Theorie einen ausreichenden Halt bieten.22 Er kommt in seiner Untersuchung zu dem Resultat, dass die abstrakte, mechanistische Gleichgewichtstheorie und das daraus abgeleitete individuelle bzw. gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtsoptimum aufgrund der realitätsfernen Annahmen letztlich rein "hypothetischen" Charakter haben.Z3 Die ganzheitliche, auf die prinzipielle Undurchschaubarkeil der Wirkungsweise des Wettbewerbsund Marktprozesses aufbauende klassische Theorie von Adam Smith und seinen Nachfolgern kann das Zustandekommen von Wohlfahrtssteigerungen aus sich heraus gar nicht erklären. Die Begründungen sind vielmehr entweder rein "metaphysisch" oder empirisch angelegt. 24 Es spricht deswegen nichts dafür, dass ausschließlich ein von staatlicher Einflussnahme ungehinderter, "vollkommener" oder "freier" Wettbewerb in der Realität individuelle Wohlfahrt, gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt oder Wohlfahrtssteigerungen bewirken wird.25 Mit dem Hinweis auf diese frühe Kritik am "Nicht-Interventionspostulat" soll an dieser Stelle nur die Aufmerksamkeit darauf gelenkt werden, wie eng die Auffassung über die "richtige" Art des staatlichen Handeins mit der Richtigkeit der in beiden theoretischen Linien verankerten Vorstellung vom 22 23 24 25
Jöhr, Jöhr, Jöhr, Jöhr,
W. A. W. A. W. A. W. A.
(1943). (1943), S. 69 ff. (1943), S. 6 ff. sowie S. 32 ff. (1943), S. 262 ff.
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B. Industriepolitik und Wettbewerb
Wettbewerb als selbsttätigem Mechanismus bzw. Selbstregulierungssystem verknüpft ist. 26 Wenn die Selbsttätigkeitsthese bezüglich des Wettbewerbs aufgegeben wird, dann ist auch die völlige Negierung von staatlichen Interventionen theoretisch nicht mehr ausreichend abgesichert. Die geforderte Begrenzung auf eine bestimmte Art staatlichen Handelns, d. h. auf Ordnungspolitik, lässt sich insofern auch nicht mehr schlüssig damit begründen, dass nur unter dieser Bedingung das ungehinderte Arbeiten des Wettbewerbs sichergestellt ist und dieser Wohlfahrt bzw. Wohlfahrtssteigerungen bewirken kann. Andererseits macht es dann aber ebenso wenig Sinn, industriepolitische Interventionen damit zu rechtfertigen, dass der Markt- oder der Wettbewerbsmechanismus versagt hat. Denn ein Versagen würde in der Konsequenz nur aufgrund der fehlenden Eigenschaft der Selbsttätigkeit vorliegen. 1. Leistungswettbewerb
Die Auffassungen darüber, was Wettbewerb oder genauer gesagt Leistungswettbewerb ist, gehen auseinander, wie die Existenz unterschiedlicher Wettbewerbsleitbilder belegt. Die Leitbilder sind nicht in jeder Hinsicht voneinander verschieden. Sie weisen bezüglich der jeweils festgelegten Merkmale und Eigenschaften des Leistungswettbewerbs durchaus Gemeinsamkeiten auf. Diese Gemeinsamkeiten, aber auch die definitorischen Schwächen der Leitbilder, sind leichter zu erkennen, wenn die verschiedenen Dimensionen des Wettbewerbsbegriffs getrennt betrachtet bzw. wenn verschiedene Kategorien von Merkmalen gebildet werden. In diesem Sinne lassen sich erstens Merkmale und Eigenschaften des Leistungswettbewerbs differenzieren, welche sich unmittelbar auf den Wettbewerbsprozess selbst beziehen - hier als Merkmalskategorie "Wettbewerb" bezeichnet - und zweitens solche, die den Markt kennzeichnen, auf welchem Leistungswettbewerb besteht - im Folgenden Merkmalskategorie "Markt" genannt. Die Merkmalskategorie "Wettbewerb" lässt sich weiter unterteilen, in die Kennzeichen der "Arbeitsweise" und solche des "Wesens" des Wettbewerbs. In der Kategorie "Markt" gehen die Auffassungen der Wettbewerbsleitbilder bezüglich des Leistungswettbewerbs zum Teil weit auseinander. In der Kategorie "Wettbewerb" sind die Unterschiede dagegen eher marginal. Allerdings können gerade in der zuletzt genannten Kategorie grundsätzliche Schwächen der im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Leitbilder "funktionsfähiger Wettbewerb" und "freier Wettbewerb" ausgemacht werden.
26 Siehe dazu ausführlich Eichner, S. (1997), S. 24 ff., insbesondere S. 25 und bezüglich der zentralen Bedeutung der Selbsttätigkeitsthese des Wettbewerbs und des Marktes in der ökonomischen Theorie löhr, W. A. (1943), S. 113 f.
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a) "Wettbewerb" und "Markt" als zwei Kategorien von Merkmalen für die Beschreibung des Leistungswettbewerbs
Beim Leitbild "funktionsfahiger Wettbewerb" wird das Wettbewerbsideal mit Hilfe von Marktstruktur-, Marktverhaltens- und Marktergebnisnormen definiert. Im Rahmen des Leitbildes "freier Wettbewerb" wird eine positive Normierung des Wettbewerbs über entsprechende Marktmerkmale bewusst negiert. 27 Gerade weil der Markt als ein komplexes und evolutorisches System betrachtet wird, erscheint eine solche Definition und auch die Voraussage irgendeines gesamtwirtschaftlichen Ergebnisses im Grundsatz unmöglich zu sein. 28 Zentral ist in beiden Leitbildern jedoch die Auffassung von der spezifischen Arbeitsweise des Wettbewerbs und die Annahme bezüglich seiner Wesensmerkmale. Insofern ergibt sich durchaus die Möglichkeit zu einer getrennten Analyse erstens des Wettbewerbsprozesses selbst bzw. seiner Arbeitsweise und seines Wesens und zweitens der mit dem jeweiligen Wettbewerbsleitbild verknüpften Aussagen über den Markt, auf welchem Leistungswettbewerb herrscht. Im Verständnis des Leitbildes vom "freien Wettbewerb" lassen sich für den zuletzt genannten Bereich der Analyse, d. h. bezüglich der Kategorie "Markt", generell keine verallgemeinerungsfähigen Charakteristika ableiten, und zwar bedingt durch die Annahme der grundsätzlichen Offenheit der ökonomischen Entwicklung. Insofern ergeben sich in dieser Sicht des Marktes für die Gestaltung von wettbewerbliehen Märkten auch keine konkreten Orientierungen. Gestaltende Eingriffe wie überhaupt das Intervenieren in die Marktprozesse, gleichgültig, ob dies im Rahmen der Wettbewerbs- oder der Industriepolitik geschieht, 29 ist als Handlungsoption für den Staat hier nicht vorgesehen?0 Im Gegensatz dazu definiert das Leitbild vom "funktionsfahigen Wettbewerb" ein Set von Normen bzw. ein echtes Marktideal. 31 Es wird eine Momentaufnahme des Marktes als Ideal für den dynamischen "funktionsfahigen Wettbewerb" vorgegeben, d. h. ein Zustand, der sich über einen Bereich von Marktmerkmalsausprägungen definiert. Während der Wettbewerb selbst Siehe Bartling, H. (1980), S. 20 ff. Siehe Hayek, F. A. von (1968) und Hayek, F. A. von (1972); siehe ferner Hoppmann, E. (1968), S. 17 ff. 29 Siehe dazu unten Tabelle 2: "Wettbewerbsleitbilder: Abstraktionsniveau und Orientierungsleistung ... "in Kapitel B.III.2: "Wettbewerbs- versus IndustriepolitikDie falsche Frontstellung". 30 Siehe Bartling, H. (1980), S. 41 ff., insbesondere S. 44-49. 31 Dies trifft sowohl für die "Workability-Konzepte" der Industrial Organization bzw. Harvard School zu als auch für das Konzept der "optimalen Wettbewerbsintensität" von Kantzenbach. Siehe Bartling, H. (1980), S. 20 ff. sowie Kantzenbach, E. (1967). 27
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als dynamischer Prozess angesehen wird, ist das Marktideal, welches zugleich die Bedingung des Wettbewerbsideals darstellt, folglich im Prinzip als statische Situation festgelegt. Für den "funktionsfähigen Wettbewerb" kommt es also nicht auf eine Veränderung der Marktbedingungen bzw. -Verhältnisse an, die im Rahmen des definierten Bereiches von Merkmalsausprägungen sehr wohl zulässig ist. Vielmehr gilt es gerade, für einen dauerhaften Erhalt oder anders ausgedrückt für eine relative Konstanz in den Marktbedingungen Sorge zu tragen. 32 Aus diesem Grund kann der "funktionsfähige Wettbewerb" als dynamisiertes gleichgewichtstheoretisches Leitbild aufgefasst werden? 3 Als Konsequenz für staatliches Handeln ergibt sich somit, und zwar zunächst für den Bereich der Wettbewerbspolitik, diese Bedingungen herzustellen bzw. die damit verknüpfte Marktsituation auf Dauer zu erhalten. Weiter unten wird bezüglich der Beschreibung des Wettbewerbs über entsprechende Merkmale des Marktes versucht, die Marktbedingungen aus einer Perspektive heraus zu betrachten, die zwischen den genannten Extremen "Evolutorik des Marktes" und "Marktzustand" liegt. 34 Allerdings orientieren sich die Ausführungen im Zusammenhang mit der Merkmalskategorie "Markt" stärker am evolutorischen Marktverständnis. Eine geschlossene evolutorische Theorie, die für die Erklärung der mit der Entwicklung von Märkten bzw. Volkswirtschaften zusammenhängenden Phänomene herangezogen werden könnte, existiert jedoch nicht. Das Phasenkonzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung wird insofern lediglich als eine Hilfskonstruktion zur Erklärung der Entwicklung von Märkten verstanden und verwendet. Innerhalb der Merkmalskategorie "Wettbewerb", d.h. bezüglich der Arbeitsweise und des Wesens des Wettbewerbs, sind die Unterschiede zwischen "freiem Wettbewerb" und "funktionsfähigem Wettbewerb" nicht sehr weitreichend. Im Folgenden soll am Beispiel des Verständnisses der Vertreter des "freien Wettbewerbs" darauf eingegangen werden, weil zum einen die Beschreibung des Wettbewerbsprozesses von ihnen recht ausführlich dargelegt wurde. 35 Zum anderen knüpft die zu entwickelnde Vorstellung vom "evolutorischen Wettbewerb" an der Hayek' sehen Vorstellung vom 32 Siehe unten die zusammenfassende Tabelle 1: "Systematischer Vergleich von Wettbewerbsleitbildem" in Kapitel B.III.l: "Vom Wettbewerbsleitbild zur Industriepolitik- Kennzeichen und Orientierungen unterschiedlicher Wettbewerbsleitbilder". 33 Siehe unten die zusammenfassende Tabelle 2: "Wettbewerbsleitbilder: Abstraktionsniveau und Orientierungsleistung .. ." in Kapitel B.III.2: "Wettbewerbs- versus Industriepolitik - Die falsche Frontstellung". 34 Siehe unten Kapitel C.II: ,,Zeitlich und räumlich differenzierte Kennzeichen des evolutorischen Wettbewerbs". 35 Siehe dazu insbesondere Hoppmann, E. ( 1968).
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"Wettbewerb als Entdeckungsverfahren" an. 36 Deswegen ist es in den folgenden Abschnitten notwendig, die Unterschiede zwischen den beiden Leitbildern "freier Wettbewerb" und "evolutorischer Wettbewerb" zu verdeutlichen. b) "Arbeitsweise" und "Wesen" des Leistungswettbewerbs
Die Arbeitsweise des Leistungswettbewerbs wird im Leitbild "freier Wettbewerb" unter dem Begriff "Parallelprozess" beschrieben. Darunter wird ein Prozess vor- und nachstoßender Handlungen verstanden, der sowohl zwischen Anbietern (Parallelprozess auf der Angebotsseite) als auch zwischen Nachfragern (Parallelprozess auf der Nachfrageseite) ablaufen kann. Der Prozessablauf stellt sich wie folgt dar: 37 Auf den innovativen Vorstoß eines Unternehmers reagieren die übrigen Unternehmen in der Regel mit Nachahmung - manchmal jedoch auch unmittelbar mit einem erneuten innovativen Vorstoß -, um im Austauschprozess zwischen Angebot und Nachfrage verloren gegangene Nachfrageanteile zurückzugewinnen. Dadurch kommt es zur Verbreitung der Innovation und zugleich bewirken die nachahmenden Unternehmer eine kontinuierliche Erosion der Monopolrente des Unternehmens, welches den innovativen Vorstoß durchführte. Seine temporäre Monopolstellung geht infolge dieses Nivellierungsprozesses verloren, so dass am Ende wieder alle Marktteilnehmer die gleichen Chancen für die Durchführung eines neuen Vorstoßes haben. Jene Unternehmer, welche im Zuge des Parallelprozesses Marktanteile verlieren, sind gezwungen neue Wege zu finden, neue Produkte, Produktionsverfahren oder Leistungen zu entwickeln bzw. zu "entdecken", um ihren Fortbestand auf dem Markt zu sichern. Dies gilt ebenso für die Unternehmen auf der Nachfrageseite. Auch sie sind unter den beschriebenen Bedingungen zur Suche nach neuen und besseren Substitutionsmöglichkeiten und damit zum Parallelprozess gezwungen. 38 Aufgrund des Anreizes oder Zwangs zur Suche nach neuen Wegen und Möglichkeiten, der vom Wettbewerb ausgeht, hat Hayek ihn als Entdeckungsverfahren bezeichnet. 39 36 37
Hayek, F. A. von (1968).
Hoppmann, E. (1968), S. 40-43. Die Vorstellung vom Wettbewerb als vor- und
nachstoßendem Prozess liegt ebenso dem Leitbild "funktionsflihiger Wettbewerb" und dem unten dargelegten Leitbild "evolutorischer Wettbewerb" zugrunde. Bezüglich der Arbeitsweise bestehen folglich kaum Unterschiede zwischen den drei Leitbildern. Dies gilt ansonsten nur für sehr wenige Merkmale. Siehe unten Tabelle 1: "Systematischer Vergleich von Wettbewerbsleitbildern" in Kapitel B.III.l: "Vom Wettbewerbsleitbild zur Industriepolitik - Kennzeichen und Orientierungen unterschiedlicher Wettbewerbsleitbilder". 38 Hopptru:lnn, E. (1968), S. 40-43. 39 Hayek, F. A. von (1968).
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B. Industriepolitik und Wettbewerb
In der liberalen Vorstellung ist der Wettbewerb seinem Wesen nach als Prinzip anzusehen und als ein sich selbst tragender bzw. sich selbst erhaltender sowie zugleich die individuelle Wohlfahrt fördernder Prozess vorund nachstoßender Handlungen, sofern zwei Voraussetzungen erfüllt sind: 1. Es existiert ein Ordnungsrahmen, der unzulässige Verhaltensweisen bzw. negative Verhaltensregeln definiert, ihre Beachtung überwacht und dadurch verhindert, dass die Marktteilnehmer in einer Weise handeln, die diesen Wettbewerb untergräbt. 40 Denn die Marktteilnehmer haben durchaus den Wunsch, sich dem Wettbewerbsdruck zu entziehen und ihre Marktposition auf andere Weise dauerhaft zu festigen. 41 Weil Innovationen der Antrieb dieses Prozesses sind, bedeutet dies jedoch zugleich, dass es nicht in jedem Fall im Interesse von Unternehmen liegen kann, ökonomisch durchgreifende Innovationen zu tätigen. Dies gilt vor allen Dingen in jenen Fällen, in denen es einem Unternehmen aufgrund früherer Innovationsaktivitäten gelungen ist, eine starke bzw. überlegene Marktposition zu erlangen. Eine Verdrängung durch andere Marktteilnehmer ist dann nicht mehr ohne weiteres möglich und der Konkurrenzdruck, der die Innovationsbereitschaft desselben Unternehmens in der Vergangenheit förderte, ist für dieses in der Gegenwart nur noch in geringem Maße spürbar. 42 Insofern ist es fraglich, ob sich aufgrund des veränderten Suchverhaltens nicht ebenso die Innovationsrate und die "ökonomische Signifikanz" von Innovationen im Zuge der zeitlichen Entwicklung von Märkten verändern. Ein Wandel im Innovationsverhalten ist allerdings mit der obigen Beschreibung des Parallelprozesses und den daran geknüpften liberalen Annahmen der Selbsttätigkeit und der prinzipiellen ökonomischen Vorteilhaftigkeit des Wettbewerbs nicht ohne weiteres vereinbar. 2. Der Staat sieht aufgrund seiner unvollkommenen Information über die. marktrelevanten Faktoren in der Wirtschaft von jeglicher Intervention in die Wirtschaftsprozesse, d. h. von prozesspolitischen Maßnahmen, ab. Staatliche Interventionen werden grundsätzlich als Störungen oder Verzerrungen des Wettbewerbs aufgefasst, die seine Leistungsfähigkeit mindern.43 40 Hayek, F. A. von (1969d), S. 160 ff., insbesondere S. 176-177 und S. 196 sowie Hayek, F. A. von (1969c), S. 206 ff. 41 Hayek, F. A. von (1968), S. 15; vgl. dazu auch Eucken, W. (1949), S. 5. 42 Siehe dazu ausführlich unten Kapitel C.II: "Zeitlich und räumlich differenzierte Kennzeichen des evolutorischen Wettbewerbs". 43 Diese Auffassung besteht in dieser Strenge nur bei den Vertretern des "freien Wettbewerbs", die sich dabei auf F. A. von Hayek abstützen. Im Kern entspricht sie der von L. von Mises 1929 in die Diskussion um die Vereinbarkeit von Interventionen mit dem Marktmechanismus eingebrachten und später von W. Röpke weiterentwickelten "Unvereinbarkeitsthese". Siehe dazu ausführlich Eichner, S. (1997), S. 9-20.
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Gemäß der liberalen Auffassung ist Wettbewerb ein Prozess, welcher immer Evolution der Wirtschaft bewirkt und grundsätzlich für jeden ökonomisch vorteilhaft ist, weil der Charakter des vor- und nachstoßenden Wettbewerbs bzw. das Wesen des Wettbewerbs sich nicht verändert. Die obige Beschreibung der Arbeitsweise des Wettbewerbs wird damit implizit nicht lediglich als anzustrebendes Ideal aufgefasst, sondern darüber hinaus auch als einzig mögliche Form des Wettbewerbs bzw. als allgemeingültige Definition von Wettbewerb. Deswegen können die Vertreter des "freien Wettbewerbs" davon ausgehen, dass es möglich und für den Erhalt eines Evolution und individuelle ökonomische Wohlfahrt bewirkenden Wettbewerbs auch ausreichend ist, staatliches Handeln auf eine ordnungspolitisch agierende Wettbewerbspolitik zu beschränken, welche lediglich allgemeingültige formale Verhaltensregeln aufzustellen hat.44 Ist es jedoch ein zentrales Wesensmerkmal des Wettbewerbs, dass sich sein Charakter bzw. der des vor- und nachstoßenden Wettbewerbs im Zeitablauf ändert, dann sind auch die Wirkungen des "Wettbewerbs" auf die Wirtschaft bzw. auf die Märkte und deren ökonomische Entwicklung verschieden. Damit sind die Positionen festgelegt, welche beim "evolutorischen Wettbewerb" zentral sind und in welchen sich dieses Leitbild in Bezug auf die Vorstellung von der Arbeitsweise und dem Wesen des Wettbewerbs speziell vom "freien Wettbewerb" unterscheidet. Weitere Unterschiede ergeben sich darauf aufbauend hinsichtlich der Haltung gegenüber der Ordnungspolitik und Interventionen. 2. Ordnungspolitik und Leistungswettbewerb
Das Wettbewerbsleitbild "freier Wettbewerb" lässt keinen Raum für staatliche Interventionen in die Wirtschaftsprozesse und damit ebenso wenig für Industriepolitik. Vor dem Hintergrund der bisherigen kritischen Auseinandersetzung mit den Wettbewerbsleitbildern "funktionsfahiger Wettbewerb" und "freier Wettbewerb" in den vorangegangenen Abschnitten erscheint es 44 In der Extremposition der Liberalisten wird sogar negiert, dass es für den Erhalt der Freiheit und des Wettbewerbs überhaupt einer obrigkeitlichen Instanz bedürfe, und sei es nur für die Aufstellung der notwendigen allgemeinen abstrakten Regeln. Denn es besteht die Auffassung, jede Gesellschaft schaffe aus sich heraus eine Handeinsordnung und die dieser zugrunde liegenden allgemeinen Regeln seien nicht das Resultat rationaler Überlegung, sondern eines Prozesses der gesellschaftlichen Entwicklung, im Rahmen dessen sich Werte und Regeln ganz ohne menschliche Planung herausbilden und weiter vermittelt werden. Solche handlungsleitenden allgemeinen Werte und Regeln sind den Individuen oft nicht bewusst und infolgedessen oft auch nicht explizit formuliert. Sie lenken das Handeln der Individuen implizit. Siehe zu diesem Gedankengang Hayeks ausführlich Hayek, F. A. von (1969a), S. 79-82 sowie Hayek, F. A. von (1969b), S. 70-71.
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B. Industriepolitik und Wettbewerb
fraglich, inwieweit die strikte Beachtung der liberalen Nicht-Interventionsforderung als einzige Voraussetzung und damit als Garant für Leistungswettbewerb sowie für die damit verbundenen Wohlfahrtswirkungen gelten kann. a) Erhalt des Leistungswettbewerbs durch formale Verhaltensregeln?
Wird den Wirtschaftssubjekten durch Vorgabe von überindividuellen Zielen oder durch den Zwang anderer die Freiheit genommen, ihre Ziele selbst (frei) zu wählen und ihre Fähigkeiten und Mittel für deren Verfolgung einzusetzen, dann wird damit in der Sicht der Vertreter des "freien Wettbewerbs" der Wettbewerb als Prinzip in Frage gestellt. Denn diese Freiheit ist gemäß dieses Leitbildes die zentrale Voraussetzung des Leistungswettbewerbs. Seine Fähigkeit, die Märkte in einer der staatlichen Steuerung überlegenen Weise zu ordnen und Evolution bzw. Wohlfahrtssteigerungen zu bewirken, wird von liberalen Ökonomen seit Adam Smith im Wesentlichen auf die Freiheit der Individuen zurückgeführt. Eine generelle Einschränkung derselben, etwa durch überindividuelle Zielvorgaben, wird immer auch die Leistungsfähigkeit des Wettbewerbs beeinträchtigen. Weil der Markt als evolutorisch, der Wettbewerb aber von den Vertretern des "freien Wettbewerbs" wie oben dargelegt als selbsttätiger, in immer gleicher Weise ablaufender und wohlfahrtsbringender Prozess betrachtet wurde, haben F. A. von Hayek und seine Nachfolger den Schluss gezogen, dass jegliche Intervention des Staates in die Wirtschaftsprozesse unterbleiben muss. Ferner wird gefordert, dass auch die den Wettbewerb sichernden ordnungspolitischen Regeln bestimmten Anforderungen gerecht werden müssen, damit es den Wirtschaftssubjekten möglich ist, ihre Ziele frei zu bestimmen.45 Deswegen sollen sich ordnungspolitische Regeln grundsätzlich nur auf das Verhalten der Wirtschaftssubjekte beziehen. Sie müssen darüber hinaus dem Grundsatz der Allgemeinheit genügen. Er besagt, dass eine Regel auf jedermann anwendbar sein muss. Des Weiteren ist bei der Aufstellung von Regeln sicherzustellen, dass sie die Handlungsmöglichkeiten nicht positiv, sondern negativ erfassen. Regeln sollen als Verbote formuliert werden. Dabei handelt es sich um die Forderung der Abstraktheit. Zu verbieten sind Handlungen, welche die Wettbewerbsfreiheit anderer ungebührlich einschränken.46 Die dritte Eigenschaft, über die Regeln verfügen sollen, ist jene der Gewissheit. Damit ist gemeint, dass Handlungsmöglichkeiten nur fÜr solche Umstände und Fälle ausgeschlossen werden, welche von den Wirtschaftssubjekten als vorhersehbar unterstellt werden können. 47 45
46
Siehe dazu Bartling, H. (1980), S. 41 ff. Hoppmann, E. (1968), S. 31.
II. Wettbewerb und Ordnungspolitik
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Gemäß dieser Vorstellung von Ordnungspolitik ist Wettbewerb dann gegeben, wenn der Staat dafür Sorge trägt, dass die Freiheit der Wirtschaftssubjekte formal besteht. Die materiale Freiheit kann in diesem Verständnis nicht als Bezugspunkt staatlichen Handeins gelten, weil dazu der Rückgriff auf endzustandsbezogene materiale Normen erforderlich ist, was der Vorstellung der Freiheit der Wirtschaftssubjekte bzw. des "freien Wettbewerbs" widerspricht. Es wird unterstellt, dass Wettbewerb erstens besteht, wenn Freiheit formal gegeben ist und zweitens grundsätzlich für jeden ökonomisch vorteilhaft ist. 48 Aufgrund der Selbsttätigkeitsthese bezüglich des Wettbewerbs sowie der implizit vorgenommenen Idealisierung der oben beschriebenen "Arbeitsweise" und aufgrund der Sicht des Marktes als komplexes und evolutorisches System ist es ihnen möglich, die strikte Forderung der "Nicht-Intervention" aufzustellen und gleichzeitig jegliche Ergebnisorientierung staatlichen Handeins abzulehnen. 49 Infolge der Ablehnung endzustandsbezogener Normen existiert jedoch kein Maß und damit keine Möglichkeit zu überprüfen, inwieweit Freiheit besteht und ob und inwieweit Wettbewerb für jeden ökonomisch vorteilhaft ist. Inwieweit einmal aufgestellte formale Verhaltensregeln zur Sicherung der Freiheit der Wirtschaftssubjekte bzw. des "freien Wettbewerbs" oder Leistungswettbewerbs beitragen, lässt sich aufgrund der Ablehnung von Ergebnisnormen nicht feststellen. 50 Die Argumentation der liberalen Vertreter, die für den Erhalt des freien Wettbewerbs durch formale Verhaltensregeln eintreten, weil nur diese die Wirksamkeit des selbsttätig ablaufenden Wettbewerbsprozesses bzw. des Entdeckungsverfahrens Wettbewerb nicht beeinträchtigen, kann darüber hinaus aus zwei weiteren Gründen in Frage gestellt werden: Erstens bietet Wettbewerb keine Gewähr für eine dauerhafte Machtbalance zwischen den Wirtschaftssubjekten.51 Es ist durchaus denkbar, dass die Chance zu vorund nachstoßendem Wettbewerb als Folge der Veränderung der Merkmale desselben im historischen Zeitablauf für einzelne oder auch für eine größere Zahl von Marktteilnehmern verloren geht. Zweitens bezieht sich das Entdeckungsverfahren Wettbewerb nicht nur auf sachliche Aspekte bzw. Informationen, die marktrelevant sein können, also z. B. neue Technologien und ihre Anwendungsmöglichkeiten, sondern auch auf das Verhalten der Wirtschaftssubjekte selbst, d. h. der Nachfrager und der Konkurrenten. 5 2 Zu den Regelungseigenschaften siehe Wegner, G. (1991), S. 123. Hoppmann, E. (1968), S. 21. 49 Siehe oben Kapitel B.II.1, Abschnitt b) "Arbeitsweise" und "Wesen" des Leistungswettbewerbs. 50 Bartling, H. (1980), S. 51-53; vgl. auch Wegner, G. (1991), S. 131-132. 51 Eichner, S. (1997), S. 15 f. und Bartling, H. (1980), S. 49-51. 52 Eichner, S. (1997), S. 48 sowie S. 30, insbesondere Fußnote 116. 47
48
32
B. Industriepolitik und Wettbewerb
Verhaltensänderungen werden damit ebenso wie Marktergebnisse unvorhersehbar und können einmal aufgestellte Verhaltensregeln unwirksam werden lassen. Die Freiheit, seine Ziele zu verfolgen, ist eine Funktion der Mittel, Kenntnisse und Fähigkeiten, über die das einzelne Individuum in Relation zu anderen verfügt. 53 Wenn Wettbewerb ein Entdeckungsverfahren ist, aber nicht über die Eigenschaft der Selbsttätigkeit verfügt, dann kann es keine Garantie dafür geben, dass sich die Freiheitsrelationen, die notwendigerweise niemals ausgeglichen sein dürfen, wenn vor- und nachstoßender Wettbewerb überhaupt stattfinden soll, nicht auf ein dauerhaftes Ungleichgewicht zu bewegen. Einmal werden die Wirtschaftssubjekte zumindest zum Teil auch neue Handlungsmöglichkeiten zu entdecken suchen, um bestehende formale Verhaltensregeln zu umgehen und auf diese Weise dem vor- und nachstoßenden Wettbewerb und dem damit verbundenen Verlustsowie gegebenenfalls auch Existenzrisiko zu entgehen. Zum anderen verläuft die Suche nach neuen Möglichkeiten zur Durchsetzung der eigenen Handlungen und Zwecke oder zur Ausschaltung des Wettbewerbs aufgrund unterschiedlicher relativer Freiheiten nicht für alle Wirtschaftssubjekte erfolgreich. Es liegt in der Natur des Wettbewerbs bzw. seiner im vorangegangenen Gliederungspunkt beschriebenen Arbeitsweise, dass sich die relative Freiheit eines Wirtschaftssubjekts mit einer erfolgreichen Wettbewerbshandlung vergrößert. Die Mittel, Kenntnisse und Fähigkeiten, die es erworben und hinzu gewonnen hat, verlieren dann aber nicht notwendigerweise ihren Wert, d. h. die Möglichkeiten, die eigenen Zwecke gegenüber anderen durchzusetzen, bleiben erhalten oder verbessern sich gegebenenfalls weiter. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Suchprozesse der Konkurrenten nicht oder nicht ausreichend erfolgreich verlaufen oder wenn es einem oder mehreren Unternehmen gelingt, den erzielten Vorsprung durch Abschwächung oder partielle Ausschaltung des Wettbewerbs zu konservieren.54 Dies muss nicht bedeuten, dass überhaupt keine Innovationen mehr getätigt werden und der Wettbewerbsprozess vollständig zum Erliegen kommt. Die ökonomische Entwicklung weist jedoch infolge der schwächeren Impulse, die dann von den im Rahmen des Wettbewerbs getätigten Innovationen ausgehen, eine im Vergleich zum vorherigen Zeitraum, in welchem keinem Marktteilnehmer eine Abschwächung des vor- und nachstoßenden Wettbewerbs gelungen ist, geringere Qualität auf. Als unmittelbare Folge kann sich beispielsweise eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums ergeben. 53 54
Eichner, S. (1997), S. 20 ff. Eichner, S. (1997), S. 48-50.
II. Wettbewerb und Ordnungspolitik
33
Es lässt sich in letzter Konsequenz keine generelle Aussage über die Wirkungsweise des Wettbewerbs machen, wenn er nicht als selbsttätig ablaufender dynamischer Prozess aufgefasst werden kann, sondern als ein von historischen Gegebenheiten abhängiger, sich wandelnder Prozess. Als solcher entzieht er sich nicht nur einer ergebnisorientierten Steuerung weitgehend. Mehr noch erscheint selbst das Aufstellen eines Rahmens von Verhaltensregeln, also die von den Vertretern des "freien Wettbewerbs" für den Erhalt des Leistungswettbewerbs einzig akzeptierte Form staatlichen Handelns, aufgrund des Fehlens dazu erforderlicher Orientierungen keine zuverlässige Handlungsoption zu sein. Denn es ist, wie Hayek dargelegt hat, streng genommen nicht nur unmöglich vorherzusehen, welche Informationen, Tatsachen und Faktoren von den Wirtschaftssubjekten im Wettbewerbsprozess "entdeckt" und zur Verfolgung und Durchsetzung ihrer individuellen Zwecke genutzt werden und welche Wohlfahrtsresultate der Wettbewerb für die einzelnen Wirtschaftssubjekte und für die Gesamtwirtschaft erbringt.55 Ungewiss ist es vielmehr ebenso, welche Rückwirkungen sich aus dem konkreten Verlauf des Wettbewerbsprozesses für diesen selbst ergeben. Es besteht deswegen in letzter Konsequenz gar keine zuverlässige Möglichkeit, den Wettbewerb als Instrument zur Verfolgung konkreter gesamtwirtschaftlicher Wohlfahrtsziele zu nutzen, aber ebenso wenig, den Leistungswettbewerb bzw. - in der Tenninologie der liberalen Vertreter den "freien Wettbewerb" zu erhalten. Eine Chancengleichheit, die Voraussetzung dafür, dass Wettbewerb als Entdeckungsverfahren in hohem Maße wirksam bleibt, weil jeder zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit zum vorstoßenden und nachstoßenden Wettbewerb hat bzw. weil einmal erworbene Mittel, Kenntnisse und Fähigkeiten im Prozessablauf immer wieder ganz oder teilweise entwertet werden, lässt sich deswegen durch formale Verhaltensregeln nicht dauerhaft sicherstellen. Freiheit alleine mit Hilfe formaler Regeln sichern zu wollen, um auf diese Weise einen für jeden ökonomisch vorteilhaften Wettbewerb zu erhalten, reicht nicht aus: Die relativen Freiheiten der Wirtschaftssubjekte, die in den jeweils verfügbaren Mitteln, Kenntnissen und Fähigkeiten und damit nur in den materialen Gegebenheiten zum Ausdruck kommen, können sich erstens durch den Wettbewerbsprozess selbst nachhaltig verändern. Zweitens kann die Frage, ob ungebührliche Macht vorliegt, nur in Abhängigkeit von den Zwecken beantwortet werden, für welche die verfügbaren Mittel, Kenntnisse und Fähigkeiten bzw. die Macht von den Wirtschaftssubjekten eingesetzt werden.56 Vgl. Hayek, F. A. von (1968). Siehe Eichner, S. (1997), S. 20 ff.; vgl. ebenso Bartling, H. (1980), S. 54-57 und insbesondere auch Eickhof, N. (1990), S. 228-230. 55
56
3 Eichncr
34
B. Industriepolitik und Wettbewerb
b) Zur Wirkung materialer Verhaltensregeln auf den Leistungswettbewerb
Wird die Selbsttätigkeitsthese aufgegeben, dann folgt daraus, dass sich die Determinanten des Wettbewerbs in Abhängigkeit von historischen und sozialen Bedingungen fortlaufend wandeln und die Wirksamkeit der oben beschriebenen Arbeitsweise, d. h. des vor- und nachstoßenden Wettbewerbs, beeinflussen. So betrachtet kann eine allgemeingültige Definition für "Wettbewerb" nicht gefunden werden. Und auch bezüglich der Wohlfahrtswirkung bzw. des Wohlfahrtsergebnisses lässt sich vor dem Hintergrund des Wettbewerbs als sich wandelnder Prozess im voraus keine eindeutige Antwort finden. Denn das "Ergebnis" eines evolutorischen Wettbewerbsprozesses ist Veränderung bzw. gesellschaftliche und ökonomische Evolution. Sie ist weder als rein materielle Wohlfahrt zu verstehen noch lässt sie sich mit einem Zustand gesamtwirtschaftlicher allokativer Effizienz gleichsetzen. Weil es für das prozessuale Ziel "Evolution" keine allgemeingültige Vorstellung geben kann, denn sowohl der Grad als auch die Richtung der Veränderung sind variabel und im Prinzip unvorhersehbar, besteht hier im Zusammenhang mit dem Ziel des Erhaltes des Leistungswettbewerbs für den Staat grundsätzlich ein Bewertungsproblem, das sich immer bzw. im Zeitablauf immer wieder neu stellt.57 Ein solcher sich wandelnder Wettbewerb ist nicht in jeder der vielfaltigen Formen, in denen er auftreten kann58 - selbst wenn der Staat das liberale "Nicht-Interventionspostulat" befolgt -, gleichbedeutend mit dem Vorliegen der größtmöglichen oder des idealen Maßes an Wettbewerbsfreiheit Der Freiheitsgrad der einzelnen Wirtschaftssubjekte kann erheblich variieren. Und insofern repräsentiert auch nicht jede Form von Wettbewerb den gleichen Grad der Wohlfahrtssteigerung. Das Problem, wie - eine allgemeine individuelle oder gesamtwirtschaftliche - Wohlfahrt exakt bestimmt werden kann, bleibt dabei grundsätzlich weiterhin unlösbar. Dies gilt auch für das Leitbild "evolutorischer Wettbewerb". Denn "Wohlfahrt" ist letztlich ein subjektiver und deswegen vieldeutiger Begriff. Sowohl der "Grad der Wettbewerbsfreiheit" als auch der damit verknüpfte "Grad der Wohlfahrtssteigerung" können nicht absolut, sondern immer nur als Relation abgebildet werden.59 Es ist deswegen treffender zu sagen, dass nicht jede Form von Wettbewerb über die gleiche "ökonomische Entwicklungsqualität" verfügt. 60 Die Vgl. Eichner, S. (1991), S. 67 f. Siehe zu den verschiedenen möglichen Formen bzw. Ausprägungen des Wettbewerbs Amdt, H. (1986), S. 59- 71. 59 Eichner, S. (1997), S. 22 f. 60 Der Begriff "Prozess- und ökonomische Entwicklungsqualität" ist in Kapitel C.l.3: "Begriffsbestimmungen" genauer erklärt. 57
58
II. Wettbewerb und Ordnungspolitik
35
Frage des exakten Maßes der allgemeinen individuellen oder der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt, die der jeweilige Wettbewerb bewirkt, kann und muss damit offen bleiben. Wenn Wettbewerbsprozesse mit Hilfe von materialen Regeln, also auf Wettbewerbsmittel und die Art bzw. den Zweck ihres Einsatzes bezogene Regeln, beeinflusst werden, dann muss dies folglich nicht notwendigerweise im Sinne einer gesamtwirtschaftlichen und nach liberaler Auffassung - aufgrund der damit verbundenen Einschränkung der individuellen Freiheit wettbewerbsschädlichen Zielhierarchie geschehen. Es ist ebenso möglich, dass der Wettbewerb - in einer zu einem gegebenen Zeitpunkt vorliegenden Erscheinungsform - seine Funktion der Machtkontrolle nur unzureichend erfüllt.61 Mit anderen Worten es ist entweder ein dauerhaftes Machtungleichgewicht zwischen den Wirtschaftssubjekten entstanden oder ein dauerhaftes Machtgleichgewicht. In beiden Fällen ist die "Prozessqualität" des vor- und nachstoßenden Wettbewerbs stark zurückgegangen. Daraus resultiert zugleich auch ein starker Rückgang der "ökonomischen Entwicklungsqualität" des Wettbewerbs bzw. eine Verminderung seiner Wirkung auf das Wohlfahrtswachstum. Der Staat kann deswegen versuchen, beispielsweise durch entsprechende materiale Verhaltensregeln, korrigierend auf das bestehende Machtungleichgewicht bzw. Machtgleichgewicht einzuwirken, um die "Prozess- und ökonomische Entwicklungsqualität" des Wettbewerbs zu erhöhen. 62 Als Resultat wird dann lediglich eine höhere "ökonomische Entwicklungsqualität" des vor- und nachstoßenden Wettbewerbs angestrebt und nicht die Erfüllung vorgegebener wohlfahrtsökonomischer Normen bzw. eines gesamtwirtschaftlichen Zielkataloges. Entsprechend ist zwar davon auszugehen, dass materiale Regeln die individuelle Freiheit der Wirtschaftssubjekte beeinflussen. Dies muss aber nicht zwingend den Leistungswettbewerb beeinträchtigen. Sofern Wettbewerb nicht die Eigenschaft der Selbsttätigkeit besitzt, sondern einem Wandel unterliegt, dann ergibt sich aus dem Wettbewerbsprozess selbst heraus die Möglichkeit der Verstetigung einer ungleichgewichtigen oder gleichgewichtigen Verteilung der individuellen Freiheiten. Vor diesem Hintergrund kann eine dauerhafte Sicherung des Leistungswettbewerbs überhaupt nicht gelingen, wenn für die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit sowie für das Verhalten von Wirtschaftssubjekten relevante materiale Gegebenheiten im staatlichen Handeln völlig unberücksichtigt bleiben.63 Die Aufgabe der Selbsttätigkeitsthese führt darüber hinaus dazu, dass Verhaltensregeln gege61 Siehe dazu Wegner, G. (1991 ), S. 133 ff., insbesondere S. 138; vgl. ebenso Eichner, S. (1997), S. 24-33. 62 Siehe dazu Eichner, S. (1997), S. 20 und S. 24 ff. 63 Siehe dazu oben Kapitel B.ll.2, Abschnitt a) ,,Erhalt des Leistungswettbewerbs durch formale Verhaltensregeln?". 3*
36
B. Industriepolitik und Wettbewerb
benenfalls auch verändert und angepasst werden müssen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass der reale Wettbewerb immer weniger jener oben beschriebenen Idealvorstellung von der Arbeitsweise des Wettbewerbs entspricht, die wegen der erwarteten positiven Wirkungen auf die Ordnung sowie Evolution der Wirtschaft als gesamtwirtschaftlich wünschens- und erstrebenswert gilt. Grundsätzlich können sich materiale Regeln wie auch jegliche andere staatlichen Maßnahmen sowohl positiv als auch negativ auf den Leistungswettbewerb auswirken. Denn generelle Urteile über die verschiedenen Arten staatlichen Handeins sowie über die verschiedenen Instrumente und Maßnahmen können nur gefällt werden, wenn die Determinanten des Wettbewerbsprozesses ein Datum sind bzw. wenn es für den Wettbewerb selbst nur eine einzige, allgemeingültige Definition gibt.
111. Wettbewerb und Interventionen Inwieweit staatliche Interventionen in die Wirtschaftsprozesse als wettbewerbsschädlich angesehen werden müssen, diese Frage lässt sich je nach Wettbewerbsverständnis und wettbewerbstheoretischer Perspektive unterschiedlich beantworten. Die verschiedenen existierenden Wettbewerbsleitbilder geben voneinander abweichende Orientierungen für staatliches Handeln. Diese Orientierungen für auf die Verwirklichung von Leistungswettbewerb - also einen für Wachstum, wirtschaftliche Entwicklung und Beschäftigung in hohem Maße förderlichen Wettbewerb - gerichtetes staatliches Handeln müssen im Lichte der Stärken und Schwächen der einzelnen Wettbewerbsleitbilder gesehen werden. 1. Vom Wettbewerbsleitbild zur Industriepolitik - Kennzeichen und Orientierungen unterschiedlicher Wettbewerbsleitbilder Im Rahmen des Leitbildes "funktionsfähiger Wettbewerb" wird die Marktform innerhalb einer Reihe von Marktstrukturmerkmalen oft als zentraler Indikator für die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs behandelt. 64 Dies gilt insbesondere auch für das Leitbild der "optimalen Wettbewerbsintensität", welches als deutsches Pendant zu den überwiegend von den Vertretern der Harvard School geprägten "Workability-Konzepten" gelten kann. Übereinstimmend werden im Rahmen dieser Leitbilder Oligopolistische Marktstrukturen in der Wirtschaft nicht lediglich als unvermeidbar akzeptiert, sondern seit J. M. Clark auch als vorteilhaft für die Realisierung einer 64
Vgl. Eickhof, N. (1992), S. 178 ff.
III. Wettbewerb und Interventionen
37
effizienten Faktorallokation und der Fortschritts- bzw. Wachstumsfunktion des dynamischen Wettbewerbs angesehen. 65 Die Vertreter des "freien Wettbewerbs" lehnen die Idealisierung einer bestimmten Marktform - aufgrund der evolutorischen Sicht des Leistungswettbewerbs in der Merkmalskategorie "Markt"66 - als grundsätzlich falsch ab. 67 Die Marktform kann danach kein sicherer Indikator für Leistungswettbewerb sein. Denn gerade der Leistungswettbewerb bewirkt einen Wandel, d.h. die Evolution von Märkten und Marktstrukturen. 68 Wettbewerbs- bzw. freiheitsbeschränkende Handlungen sind in ihrer Sicht zudem unabhängig von der jeweiligen Marktform möglich: "Die Annahme einer strukturell-gegebenen, d. h. exogen bestimmten Marktform ist aus zwei Gründen als Ansatz untauglich: 1. Die Marktform, definiert durch die Anbieterzahl und den Unvollkommenheitsgrad, ist dem Wettbewerbsprozess nicht "vorgegeben". Sie ist selbst ein Ergebnis des Wettbewerbsprozesses. Durch die Annahme einer strukturell-gegebenen Marktform wird vom "evolutorischen" bzw. "dynamischen" Prozess abstrahiert; die Marktform wird zum Datum und die Analyse statisch. Die Marktform ist gewissermaßen die Momentaufnahme während eines dynamischen Marktprozesses. Sie verrät weder etwas über die Kräfte, die zu diesem Zustand geführt haben, noch darüber, wie sich der Prozess weiter entwickeln wird. ... 2. Die unterschiedlichen Marktformen stehen in keiner eindeutigen Korrelation zum Ausmaß an Wettbewerbsfreiheit. Ein hoher Vollkommenheitsgrad und eine geringe Anbieterzakt können Ausdruck bzw. Ergebnis sowohl eines freien Wettbewerbs als auch eines großen Ausmaßes von Beschränkungen der Wettbewerbsfreiheit sein. Das gleiche gilt für einen geringen Vollkommenheitsgrad und eine große Anbieterzahl. Es besteht also keine invariante Beziehung zwischen den Marktformen und dem Ausmaß an Wettbewerbsfreiheit. "69
Entsprechend fordern die Befürworter des Konzeptes der Wettbewerbsfreiheit, das Augenmerk staatlichen Handeins auf die formale Freiheit bzw. auf das Marktverhalten der Wirtschaftssubjekte zu richten. 70 Diese Forderung und die Möglichkeiten, den Leistungswettbewerb mit Hilfe formaler Regeln zu erhalten, waren bereits oben in Kapitel B, Abschnitt 2 "OrdClark, J. M. (1961). Siehe zur Differenzierung von Beschreibungskategorien des Leistungswettbewerbs oben Kapitel B.II.l, Abschnitt a) ",Wettbewerb' und ,Markt' als zwei Kategorien von Merkmalen zur Beschreibung des Leistungswettbewerbs". 67 Vgl. dazu Bartling, H. (1980), S. 41 ff. 68 Hoppmann, E. (1966), S. 305 ff.; vgl. ebenso Heuss, E. (1965), S. 264-266. 69 Hoppmann, E. (1966), S. 310. 70 Vgl. dazu kritisch Bartling, H. (1980), S. 49 ff. sowie Eickhof, N. (1990), s. 225-238. 65
66
38
B. Industriepolitik und Wettbewerb
nungspolitik und Leistungswettbewerb" Gegenstand einer genaueren, kritischen Analyse. Obwohl die These der Optimalität des Oligopols in der wettbewerbstheoretischen Diskussion umstritten geblieben ist, hat das übereinstimmend bejahende Votum der Wirtschaftspolitik der Industrieländer dem wissenschaftlichen Disput die Schärfe genommen: Die Leitbilddiskussion wurde seitdem nicht mehr fortgesetzt. 71 Von einer grundsätzlichen Überlegenheit dieses weiterhin bevorzugten wettbewerbstheoretischen Ansatzes kann deswegen nicht gesprochen werden. Ausschlaggebend für den Ausgang der Diskussion war vielmehr, dass es den Kritikern der in den sechziger Jahren entwickelten These der Optimalität des Oligopols nicht gelungen ist, einen alternativen theoretischen Ansatz zu erarbeiten, der ein vergleichbares Maß an Geschlossenheit und Operationalisierbarkeit anbot. Als ein wichtiger Aspekt muss in diesem Zusammenhang gewertet werden, dass sich die Befürworter des Oligopols auf der herrschenden neoklassischen Theorie abstützen konnten und eine evolutorische Theorie, auf die sich die Vertreter des Konzeptes der Wettbewerbsfreiheit (oder alternative wettbewerbstheoretische Ansätze) hätten stützen können, allenfalls in Ansätzen existierte. 72 An dieser Situation hat sich bis heute im Grundsatz nicht viel geändert. Es ist bisher nicht abzusehen, ob es den Ökonomen in der nächsten Zukunft gelingen wird oder ob es überhaupt möglich sein kann, zu einer geschlossenen evolutorischen Theorie zu kommen, die als Grundlage bestehender oder neuer Wettbewerbstheorien dienen kann. 73 Infolgedessen bleibt weiterhin das Risiko bestehen, dass aufgrund der Unvollkommenheiten bzw. der geringen Realitätsnähe der Theorien, welche den Wettbewerbsleitbildern "funktionsfähiger Wettbewerb", "optimale Wettbewerbsintensität" und "Wettbewerbsfreiheit" (bzw. "freier Wettbewerb") zugrunde liegen, fehlerhafte Orientierungen für staatliches Handeln abgeleitet werden. 71 Als ein eindrucksvoller Beleg dafür, dass bis heute das Leitbild vom "funktionsfähigen Wettbewerb" als Grundlage für die Wirtschaftspolitik unumstritten ist, kann beispielsweise das Weißbuch "Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung" der Europäischen Kommission gelten. Im entsprechenden Votum zur Verabschiedung desselben bekannten sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten im Rahmen der Gipfelkonferenz am 10. und 11. November 1993 zu jenem Ansatz für die industrielle Entwicklung, "der von der globalen Wettbewerbsfähigkeit als Faktor für Wachstum und Beschäftigung ausgeht. " Der Bezug auf das Leitbild des "funktionsfähigen Wettbewerbs" wird hier insofern deutlich, als zwischen dem Begriff der "globalen Wettbewerbsfähigkeit" bzw. der "internationalen Wettbewerbsfähigkeit" und der Vorstellung von der Optimalität oligopolistischer Märkte regelmäßig ein enger Zusammenhang gesehen wird. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (1996), S. 55. 72 Als ein solcher Versuch kann im deutschsprachigen Raum z. B. der Aufsatz von Riese gelten. Riese, H. (1972), S. 380-435. 73 Vgl. dazu Kowalski, A. (1997).
III. Wettbewerb und Interventionen
39
Tabelle 1 stellt in einem systematischen Vergleich die zentralen Merkmale der Wettbewerbsleitbilder "vollkommene Konkurrenz", "funktionsfähiger Wettbewerb" und "freier Wettbewerb" sowie jene des unten in Kapitel C im Detail darzulegenden Leitbildes "evolutorischer Wettbewerb" heraus. Aus den in der Tabelle aufgeführten zentralen Merkmalen lassen sich für die einzelnen Leitbilder die folgenden zusammenfassenden Charakterisierungen ableiten: "Vollkommene Konkurrenz " (einschließlich der verschiedenen Abwandlungen, z. B. "vollständige Konkurrenz" bei W. Eucken74)
Unter den marktseitig exakt definierten und als allgemeingültig angesehenen Bedingungen der vollkommenen Konkurrenz wird Wettbewerb selbsttätig und zu einem nach erkennbaren Regeln oder Gesetzen funktionierendem Automatismus, der unabhängig von zeitlichen und räumlichen Gegebenheiten funktioniert und einen Gleichgewichtszustand bzw. einen wohlfahrtsoptimalen Zustand der Wirtschaft bewirkt. "Funktionsfähiger Wettbewerb"
Unter den marktseitig definierten und als allgemeingültig aufgefassten Bedingungen, welche den Bereich von Marktmerkmalsausprägungen bezeichnen, innerhalb dessen sich der Markt im "dynamischen" Idealzustand befindet, wird Wettbewerb zu einem selbsttätigen Mechanismus, der unabhängig von zeitlichen und räumlichen Gegebenheiten und nach erkennbaren Regeln oder Gesetzen in einer Weise abläuft, die Wohlfahrtswachstum bewirkt. "Freier Wettbewerb"
Zwar wird der Markt hier als evolutorisches Phänomen beschrieben, aber nicht der Wettbewerb. Implizit wird vielmehr die allgemeingültig definierte Arbeitsweise des Wettbewerbs zur Vorstellung vom Ablauf realer Wettbewerbsprozesse und damit letztlich auch zum Wettbewerbsideal gemacht. Dies hat Konsequenzen für die Stimmigkeit der aus dem Leitbild abgeleiteten Folgerungen bezüglich der Leistung des Wettbewerbs. Sie werden zudem dadurch negativ verstärkt, dass eine Prüfkonzeption für die Wettbewerbsleistung nicht bereitgestellt werden kann. Die Annahme lautet, dass der vor- und nachstoßende Wettbewerb, solange nur für jeden die Freiheit 74
Siehe Eucken, W. (1949), S. l-99.
• Struktur-, VerbalBei Erfüllung der tens- und ErgebnisStruktur- und Verbalnormen tensbedingungen: • nicht exakt, aber all- • Erfüllung der gegemeingültig defisamtwirtschaftlichen Funktionen nierter dynamischer Idealzustand • gesamtwirtschaftliebes Wohlfahrtswachsturn
• Prozess (vor- und nachstoßend) • Mechanismus (selbsttätig) • Instrument
----
• industriepolitisch: Marktversagen; strategisehe Handelspolitik (= ergebnisorientierte Kompensation von Funktionsmängeln oder weitere Steigerung des Wachstums)
• Wettbewerbspolitisch: Funktionsfabigkeit zwecks Erreichung des Wachstumsziels erhalten/herstellen; (= ergebnisorientierte Korrektur)
• Wettbewerbspolitisch: Bedingungen des Ideals herstellen ( = ergebnisorientierte Korrektur)
Bei Erfüllung der Bedingungen des Ideals: • Gleichgewichtszustand • Gesamtwirtschaftliebes Wohlfahrtsoptimum
,.Funktionsfähiger Wettbewerb" (Workability-Vertreter; Kantzenbach)
Begründung für staatliche Interventionen
Abgeleitetes Ergebnis des Wettbewerbs
• Bedingungen der vollkommenen Konkurrenz (insb. Polypol)
Marktseilige Definition des Wettbewerbsideals über/als
• Gleichgewichtsmechanismus (selbsttätig) • Instrument
Wettbewerbsverständnis (Arbeitsweise und Wesen)
.. Vollkommene Konkurrenz" (einschließlich Abwandlungen)
Wettbewerbsleitbild
Tabelle 1
Systematischer Vergleich von Wettbewerbsleitbildern
• Wettbewerbs- und ggf. Industriepolitik • Ordnungspolitik und Interventionen
• Wettbewerbspolitik (primär); • Ordnungspolitik und Interventionen
Abgeleitete Aufgabe des Staates und Art des staatlichen Handeins
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Quelle: Eigene Darstellung.
• ökonomische(r) Ent• Marktprozesse sind wicklung/Wandel historisch und evo• individuelle Wohllutorisch fahrtssteigerungen • vereinfachend über und -Verluste; (Veridealtypische Definition unterschiedlileiJung jedoch unvorhersehbar; dauereher Entwicklungshaft ungleichgestadien und -phasen wichtige Verteilung des Raumes bzw. der individuellen der Märkte Chancen für Wohl• evolutorisch (profahrtssteigerungen zessuales Ideal bzw. ist möglich!) Wandel)
• Prozess (vor- und nachstoßend/Entdeckungsverfahren) • evolutorischer Prozess (nicht selbsttätig) • Instrument (eingeschränkt)
"Evolutorischer Wettbewerb" (in Anlehnung an Amdt, Hayek, Heuss, Eichner)
Grundsätzlich: • Spontane Ordnung des Marktes; • Evolution der Wirtschaft; • individuelle Freiheil; • individuelle ökonomische Vorteile (Wettbewerb als Ziel in sich selbst.)
• Marktprozesse sind historisch und evolutorisch • marktseilige allgemeingültige und positive Normierung unmöglich (evolutorisehe Vielfalt) • Wettbewerb existiert bei Freiheit/Freiheit als Norm
• Prozess (vor- und nachstoßendiEntdeckungsverfahren) • Selbstregulierungssystem (selbsttätig) • Prinzip
"Freier Wettbewerb" (Hayek; Hoppmann u. a.)
• Wettbewerbs- und industriepolitisch: Prozessund ökonomische Entwicklungsqualität des Wettbewerbs erhalten/ verbessern, um dauerhaft ungleichgewichtige Verteilung individueller Wohlfahrtssteigerungschancen zu vermeiden/ aufzulösen (= prozessorientierte Korrektur)
• Interventionen sind grundsätzlich nicht statthaft ( = ergebnisorientierte Korrektur unmöglich und unnötig) I
• Wettbewerbs- und I ggf. Industriepolitik : • Ordnungspolitik und I Interventionen
• Nur Wettbewerbspolitik • nur Ordnungspolitik (Rahmensetzung), zum Teil nur formale Verhaltensregeln als zulässig akzeptiert (RadikalIiberalismus)
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F3 ~
42
8. Industriepolitik und Wettbewerb
dazu besteht, grundsätzlich selbsttätig eine Evolution und Ordnung der Wirtschaft sowie individuelle ökonomische Vorteile bewirkt und zwar vollkommen unabhängig von zeitlichen und räumlichen Gegebenheiten (evolutionärer Marktpositivismus)75 . Wettbewerb wird deswegen zum Ziel in sich selbst und zum einzigen Ziel für auf die Wirtschaft gerichtetes staatliches Handeln. Wäre Wettbewerb im Freiheitskonzept als evolutorischer Prozess aufgefasst worden, so hätte analog zum vertretenen evolutionären Marktverständnis davon ausgegangen werden müssen, dass er sich im historischen Zeitablauf wandelt und bedingt dadurch in grundsätzlich unterschiedlicher Weise auf die Evolution und die Ordnung des Marktes sowie auf die Höhe und die Verteilung der individuellen ökonomischen Vorteile auswirken kann. Wohlfahrt und Wohlfahrtswachstum können dann nicht prinzipiell als regelmäßiges bzw. regelmäßig positives Resultat des Wettbewerbs angesehen werden. "Evolutorischer Wettbewerb"
Auch hier wird der Markt im Grundsatz als evolutorisches Phänomen aufgefasst. Zwar wird die Arbeitsweise bzw. das Arbeitsprinzip des Wettbewerbs allgemeingültig definiert, aber nicht sein Wesen. Wettbewerb ist gemäß dieser Vorstellung nicht selbsttätig, sondern er unterliegt ebenso wie der Markt einem Wandel und kann unterschiedliche Formen annehmen. Infolgedessen ist es im historischen Zeitablauf grundsätzlich auch möglich, dass der "evolutorische Wettbewerb" seine "Prozess- und ökonomische Entwicklungsqualität" teilweise oder gänzlich einbüßt. Eine evolutorische Theorie, welche die entsprechenden Phänomene erklären kann, existiert bisher nicht. Eine Hilfskonstruktion, die für Erklärungszwecke genutzt werden kann, lässt sich auf der Grundlage der bekannten phasen- und stadientheoretischen Ansätze erstellen. Gemäß des Konzeptes der Bedarfsmarkt-Entwicklung verändert sich das Wesen des "evolutorischen Wettbewerbs" in Abhängigkeit von zeitlichen und räumlichen Gegebenheiten. Im Zeitablauf wandelt sich in idealtypischer Vorstellung des Konzeptes die Form der Wettbewerbsführung bzw. des Wettbewerbs auf Bedarfsmärkten tendenziell in einer Weise, welche zu einer Verminderung seiner "Prozess- und der ökonomischen Entwicklungsqualität" führt. Die "ökonomische Entwicklungsqualität" wird dabei als Indikator aufgefasst für die Verteilung der individuellen Chancen für Wohlfahrtssteigerungen und für das Ausmaß, in welchem ökonomische Vorteile entstehen. Sinkt die "ökonomische Entwicklungsqualität", so entstehen gesamtwirtschaftlich betrachtet - im Vergleich zum vorherigen Zeitabschnitt - in geringerem Ausmaß ökonomische Vor75 Diese Bezeichnung wählt Wegner für die Charakterisierung der Auffassung der Vertreter des "freien Wettbewerbs". Wegner, G. (1991), S. 121.
III. Wettbewerb und Interventionen
43
teile und es kommt zu einer ungleichgewichtigen Verteilung der Chancen für individuelle Wohlfahrtssteigerungen oder zu einer geringeren Dynamik der durch den vor- und nachstoßenden Wettbewerb bewirkten ständigen Neuverteilung der individuellen Chancen für das Erzielen ökonomischer Vorteile. Im Leitbild "evolutorischer Wettbewerb" werden folglich verschiedene Elemente aus den Leitbildern "funktionsfähiger Wettbewerb" und "freier Wettbewerb" aufgegriffen und neue theoretische Aspekte ergänzt. Für die gegenwärtigen Konzeptionen von Industriepolitik lässt sich feststellen, dass sie am Leitbild vom "funktionsfähigen Wettbewerb" anknüpfen, denn vor dem Hintergrund des "freien Wettbewerbs" ergibt sich infolge des kategorischen "Nicht-lnterventionspostulates" keine Rechtfertigung dafür. Abbildung 2 veranschaulicht, in welchem Begründungszusammenhang der "funktionsfähige Wettbewerb", die darauf ausgerichtete spezifische Form von Wettbewerbspolitik und die Industriepolitik stehen. Danach lassen sich industriepolitische Aktivitäten vor dem Hintergrund dieses Wettbewerbsleitbildes rechtfertigen, wenn auf Märkten spezifische Gegebenheiten vorliegen, wie beispielsweise Fälle von Marktversagen oder internationaler Handel. Neben theoretischen Begründungen der Industriepolitik werden jedoch oft auch politische Argumente genannt, wie etwa der zu beobachtende internationale Subventionswettlauf, dem sich ein einzelner Industriestaat nicht ohne weiteres entziehen kann. 2. Wettbewerbs- versus Industriepolitik Die falsche Frontstellung Liberale Ökonomen, welche sich auf das Leitbild des "freien Wettbewerbs" berufen, fassen jegliche Intervention in die Wirtschaftsprozesse als wettbewerbsverzerrend auf. Sie lehnen die Industriepolitik wie überhaupt jegliche Intervention seitens des Staates kategorisch ab und treten stattdessen für ein rein wettbewerbs- und ordnungspolitisches Vorgehen ein. Anders verhält es sich bei den Befürwortern von Industriepolitik. In Anknüpfung an das Leitbild vom "funktionsfähigen Wettbewerb" erachten sie eine ergebnisbezogene Steuerbarkeil des Wettbewerbs für möglich und bejahen deswegen fallweise Interventionen sowie auch Industriepolitik, sofern eine Fehlfunktion des Wettbewerbs vorliegt oder eine weitergehende Steigerung des Wohlfahrtswachstums erzielt werden kann. Dazu stützen sie sich auf verschiedene an die Gleichgewichtstheorie anknüpfende theoretische Ansätze ab, wie etwa auf die Theorie des strategischen Handels, die Neue Wachstumstheorie, auf Marktversagenstheorien und verschiedene regionaltheoretische Konzeptionen, wie z. B. die Theorie der Wachstumspole und andere. Sie alle stellen mögliche Erklärungen dafür bereit, dass bzw. wann
Quelle: Eigene Darstellung.
• weitere Steigerung des Wirtschaftswachstums
Ziele: • Ergebnisorientierte Kompensation von Funktionsmängeln des Wettbewerbs;
Industriepolitik
Abb. 2: Vom "funktionsfähigen Wettbewerb" zur Industriepolitik
Theoretische Begründungen für ergänzende Maßnahmen: • Marktversagen; • Neue Wachstumstheorie; • Theorie des strategischen Handels; • Regionalpolitische Ansätze.
Mittel: Ordnungs- und Prozesspolitik.
Mittel: Ordnungs- und Prozesspolitik.
Wettbewerbspolitik Ziele: • Erfüllung gesamtwirtschaftlicher Funktionen bzw. insb. Wirtschaftswachstum; • Erhalt und Feinsteuerung des Wettbewerbs.
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III. Wettbewerb und Interventionen
45
der Wettbewerbsmechanismus nicht bzw. nicht zufriedenstellend ohne staatliche Intervention arbeitet. 76 Der anhaltende Disput zwischen den Vertretern dieser beiden unterschiedlichen Konzeptionen entzündet sich damit in letzter Konsequenz an der Frage, ob Interventionen grundsätzlich zu wohlfahrtsmindernden Wettbewerbsverzerrungen führen oder nicht. Wenn Wettbewerb jedoch kein selbsttätiger Mechanismus oder Selbstregulierungssystem ist, sondern nur als ein von historischen Gegebenheiten abhängiger evolutorischer Prozess verstanden werden kann, dann beruht der Disput zwischen den Vertretern einer rein wettbewerbs- bzw. ordnungspolitischen Konzeption und jenen einer industriepolitischen bzw. interventionistischen Konzeption auf einer falschen Frontstellung: 1. Sowohl die neu-klassische als auch die herrschende (neoklassische)
ökonomische Theorie beschreiben den Wettbewerb als ein Phänomen, dass selbsttätig entweder individuelle oder gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt erbringt. Nur wenn die Annahme der Selbsttätigkeit zutrifft und eine wirtschaftspolitische Grundsatzentscheidung zugunsten des Wettbewerbs als Koordinations- und Ordnungsprinzip der Wirtschaft vorliegt, ist es aus ökonomisch-theoretischer Perspektive konsequent, für den Erhalt des Wettbewerbs lediglich ordnungspolitische Instrumente einzusetzen.
2. Umgekehrt ist es dann ebenso konsequent, Wettbewerbs- oder Marktversagen zu konstatieren, wenn auf einem Markt nach Ausschöpfung des ordnungspolitischen Instrumentariums das Merkmal der Selbsttätigkeil nicht vorliegt. Eine staatliche Steuerung und vor allem industriepolitische Interventionen können jedoch theoretisch nicht schlüssig mit Wettbewerbs- oder Marktversagen begründet werden, wenn der Wettbewerb das Merkmal der Selbsttätigkeit generell nicht aufweist. In diesem Fall ist die Orientierungsleistung der Wettbewerbs- oder Marktversagenstheorien in der Frage des Interventionserfordernisses stark beeinträchtigt. Es lässt sich dann nämlich ein nahezu unbegrenztes Interventionserfordernis ableiten. Deswegen sind gerade solche Interventionen als fragwürdig anzusehen, welche die scheinbaren Störungen des Wettbewerbs- und Marktmechanismus kompensieren oder heilen sollen. 3. Hinsichtlich des Wann, Wo und Wie von Interventionen geben die unter den beiden vorangegangenen Abschnitten angesprochenen Theorien keine bzw. nur eingeschränkt gültige Orientierungen. Die Vertreter des neu-klassischen "freien Wettbewerbs" negieren Interventionen grundsätzlich mit der Begründung, sie seien wettbewerbs76 Siehe für einen Überblick über die theoretischen Begründungsversuche der Industriepolitik Oberender, P./Daumann, F. (1995), S. 7-14.
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B. Industriepolitik und Wettbewerb
schädlich und wohlfahrtsmindernd. 77 Aus der Theorie des "funktionsfähigen Wettbewerbs" lassen sich hingegen marktstrukturelle wettbewerbspolitische Interventionen ableiten, wenn auf einem Markt die Kriterien für das Marktideal nicht erfüllt sind. Industriepolitisches Eingreifen ist darüber hinaus möglich, wenn Wettbewerbs- oder Marktversagen konstatiert werden kann. Es läßt sich ebenfalls mit dem Hinweis auf den internationalen Wettbewerb (Theorie des strategischen Handels) oder wachstumstheoretisch (Neue Wachstumstheorie) begründen. Einschränkungen der Orientierungsleistung für Interventionen ergeben sich jedoch aus den genannten neoklassischen Theorien, weil sie auf ein Wettbewerbsideal Bezug nehmen und somit Leistungswettbewerb allgemeingültig definieren. Die Handlungsempfehlungen korrespondieren folglich nur mit den für das Wettbewerbsideal festgelegten Marktbedingungen, welche, wie in einer Art Momentaufnahme der Marktentwicklung, eine ganz bestimmte Marktsituation widerspiegeln. Es wird damit negiert, dass bei deutlich abweichenden Bedingungskonstellationen bzw. in anderen Marktsituationen Leistungswettbewerb bzw. "funktionsfähiger Wettbewerb" bestehen kann. Im Zuge der Entwicklung von Märkten kommt es jedoch notwendigerweise zu signifikanten Veränderungen der Marktsituation. Beispielsweise ist ein Unternehmen, welches ein neues Produkt auf einem Markt einführt, zunächst Monopolist. Von den Gewinnaussichten angelockt, werden aber bald andere Unternehmen mit ähnlichen Produkten in den Markt eindringen. Die Monopolstellung ist somit - in der Regel - nur eine temporäre, für die Entwicklung von Märkten allerdings notwendige Erscheinung. Es ist deswegen nicht möglich, von einer bestimmten Marktmerkmalskonstellation auf Leistungswettbewerb zu schließen.78 Aus der - vom Wettbewerb angetriebenen - Markt- und räumlichen Entwicklung ergeben sich vielmehr Rückwirkungen auf den Wettbewerb, die diesen sukzessive und systematisch verändern. Diese Rückwirkungen blendet das Leitbild "funktionsfähiger Wettbewerb" aus, weil es mit der Definition eines Bereiches von Marktmerkmalsausprägungen,79 welcher als ursächlich für den Leistungswettbewerb angesehen wird, nur eine der vielen möglichen Marktsituationen abbildet und damit letztlich auch nur eine mögliche Erscheinungsform von Wettbewerb erfasst. Die Möglichkeiten für differenzierte Orientierungen hinsichtlich des Wann, Wo und Wie von Interventionen sind als Folge der eingeschränkten theoretischen Perspektive Siehe oben Kapitel B.ll.2: "Ordnungspolitik und Leistungswettbewerb". Darauf hat Hoppmann bereits in seiner Kritik an Kantzenbach hingewiesen. Hoppmann, E. (1966), S. 305 ff.; siehe dazu oben Kapitel B.III.l: "Vom Wettbewerbsleitbild zur Industriepolitik - Kennzeichen und Orientierungen unterschiedlicher Wettbewerbsleitbilder". 79 Siehe dazu oben Kapitel B.II: "Wettbewerb und Ordnungspolitik". 77
78
III. Wettbewerb und Interventionen
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des "funktionsfähigen Wettbewerbs" und der darauf aufbauenden Theorien, welche für die Begründung von Interventionen herangezogen werden, nicht nur begrenzt. Es besteht darüber hinaus die Gefahr fehlerhafter Orientierungen, weil sich die Bedingungen für Leistungswettbewerb im Verlauf der Entwicklung von Märkten und Räumen verändern. 4. Aufgrund der Selbsttätigkeitsthese wird in der Regel davon ausgegangen, dass staatliche Maßnahmen entweder "prozesspolitische Interventionen" darstellen oder "ordnungspolitische Regelungen", die den Rahmen bzw. die Rahmenbedingungen für das Wirtschaften betreffen. Letztere stellen in der liberalen Sicht keine Beeinflussung der Wettbewerbs- und Wirtschaftsprozesse dar und sie werden deswegen als wettbewerbsneutral bzw. als "Nicht-Intervention" angesehen. Es ist jedoch fraglich, inwieweit die Unterscheidung staatlicher Maßnahmen in prozesspolitische und ordnungspolitische Maßnahmen 1. möglich ist und 2. zur Klärung der Frage beiträgt, ob eine wettbewerbsschädigende Handlung des Staates vorliegt. 80 Üblicherweise werden "Datenänderungen" seitens des Staates als ordnungspolitische Maßnahmen aufgefasst, die Beeinflussung der "Planelemente" der Wirtschaftssubjekte dagegen als Prozesspolitik. Eine solche Unterscheidung gelingt allerdings nur vor dem Hintergrund der herrschenden Theorie, welche eher die Bedingungen einer Kreislaufwirtschaft widerspiegelt, aber nicht jene einer sich entwickelnden Wirtschaft erfasst. 81 In einer realen, von einem evolutorischen Wettbewerb getragenen und sich entwickelnden Volkswirtschaft, ist es dagegen kaum möglich allgemeingültig festzustellen, welche Größen für die Wirtschaftssubjekte ein "Datum" sind und was für diese ein "Planelement" darstellt. Insofern ist es grundsätzlich schwierig zu entscheiden, welche staatlichen Maßnahmen dem "Nicht-lnterventionspostulat" genügen und welche als prozesspolitische Interventionen und deswegen als wettbewerbsschädigend anzusehen sind. 82 Darauf wurde oben im Zusammenhang mit dem Leitbild des "freien Wettbewerbs" eingegangen.
80 Siehe dazu Eichner, S. (1997), S. 72-110. Letztlich gehen auch von ordnungspolitischen Maßnahmen Wirkungen auf die Wirtschaftsprozesse aus. Insofern können sie durchaus als Interventionen angesehen werden. Darauf hat insbesondere Küng hingewiesen. Küng, E. (1941), S. 3. 81 Siehe dazu ausführlich Amdt, H. (1994). Auf die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen zwei Zuständen der Wirtschaft, nämlich Kreislaufwirtschaft und Entwicklung, hat im Übrigen vor allem Schumpeter hingewiesen. Schumpeter, J. A. (1911). 82 Siehe dazu ausführlich Eichner, S. (1997), S. 93 ff., insbesondere S. 101-107.
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B. Industriepolitik und Wettbewerb
5. Wenn Wechselwirkungen zwischen Markt-/räumlicher Entwicklung und dem Wettbewerb existieren, die zur Evolution des Wettbewerbs führen und seine Wohlfahrtswirkungen verändern, dann ist davon auszugehen, dass industriepolitische Interventionen je nach Markt-/räumlichen Gegebenheiten sehr unterschiedliche Wirkungen auf den Wettbewerb und seine Wohlfahrtseffekte haben können. Es ist dann nicht mehr ohne weiteres möglich, bestimmte wirtschaftspolitische Instrumente oder Wirtschafts- und industriepolitische Maßnahmen als generell wettbewerbsschädlich einzustufen. Werden diese Einwände berücksichtigt, dann lässt sich in dem oben skizzierten Disput, der sich letztlich auf die Interventionsfrage reduziert, keine Lösung herbeiführen. Denn die Frage, ob Interventionen und speziell industriepolitische Interventionen wettbewerbsschädlich sind, lässt sich nicht ohne weiteres beantworten. Die Annahme, Interventionen seien prinzipiell wettbewerbsschädlich, ist jedoch kaum aufrechtzuerhalten. Auf der anderen Seite erscheinen die bisherigen theoretischen Begründungsversuche der Befürworter der Industriepolitik für die Notwendigkeit von Interventionen im Rahmen einer am Leitbild des "funktionsfähigen Wettbewerbs" ausgerichteten Wettbewerbs- und Industriepolitik in einem neuen Licht: Die Orientierungsleistung der Wettbewerbs- und Marktversagenstheorien und der anderen, auf der Basis der Gleichgewichtstheorie entwickelten theoretischen Ansätze ist für die Ausgestaltung der Industriepolitik unzureichend, weil ihr Bezugspunkt die Annahme der Selbsttätigkeit des Wettbewerbs und des Marktes ist. Auf der Grundlage eines evolutorischen Wettbewerbsverständnisses müssen sich andere Orientierungen für die Industriepolitik ergeben. Inwieweit Wettbewerb positive Wirkungen auf Wohlfahrtswachstum oder wirtschaftliche Entwicklung zeitigt, lässt sich nicht auf eine einzige allgemeingültige Definition von Marktbedingungen zurückführen. Vielmehr muss gerade der Wandel der Marktstrukturen und des Marktverhaltens als Voraussetzung für das angesehen werden, was man sich vom "Leistungswettbewerb" verspricht, nämlich Wohlfahrt bzw. Wohlfahrtssteigerung. Wenn Wettbewerb jedoch infolge von Rückwirkungen von der Markt- und räumlichen Entwicklung unterschiedliche Formen annehmen kann, dann ist anzunehmen, dass Wettbewerb differenzierte und nicht in jedem Fall positive Wirkungen im Hinblick auf den Wandel und die Wohlfahrtssteigerung der Wirtschaft entfaltet. Entsprechend können sich industriepolitische Interventionen auf den Wettbewerb und auf dessen ökonomische Wirkungen positiv oder negativ auswirken. Wenngleich auch, wie oben dargelegt wurde, eine exakte ergebnisbezogene Steuerbarkeil des evolutorischen Wettbewerbs unmöglich ist, so können Interventionen doch wesentlich dazu beitragen, seine "Prozess- und ökonomische Entwicklungsqualität" zu steigern. Sie können diese
III. Wettbewerb und Interventionen
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aber auch reduzieren. Das Gleiche gilt für alle ordnungspolitischen Mittel, die nicht nur in der Wettbewerbspolitik, sondern ebenso in der Industriepolitik Anwendung finden. 83 Die Frage der Bejahung oder Negierung von Industriepolitik ist folglich abhängig vom gewählten Wettbewerbsleitbild. Von dem der Industriepolitik zugrunde gelegten Wettbewerbsleitbild hängt es auch ab, wie Interventionen begründet werden können bzw. unter welchen Umständen Interventionen den Wettbewerb positiv beeinflussen. Hier ergeben sich aus den verschiedenen Wettbewerbsleitbildern unterschiedliche Orientierungen. In Tabelle 2 wird auf dem Wege eines kategorialen Vergleiches eine Beurteilung der verschiedenen Leitbilder hinsichtlich ihrer Orientierungsleistung für ergebnisorientiertes staatliches Handeln vorgenommen. Ergänzend wird die mit den verschiedenen Wettbewerbsvorstellungen verbundene Haltung gegenüber staatlichen Interventionen angegeben und auf diese Weise auch angezeigt, inwieweit auf der Basis der einzelnen Leitbilder überhaupt eine Möglichkeit besteht, Industriepolitik zu begründen. 3. Industriepolitik zur Stärkung des Leistungswettbewerbs Die Vertreter des .,freien Wettbewerbs" haben im Anschluss an die Arbeiten Hayek's den Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, als historischen und sozialen Prozess und damit letztlich als evolutorisches Phänomen bezeichnet. Tatsächlich haben sie jedoch nur den Markt als evolutorisches Phänomen behandelt (Ablehnung wohlfahrtsökonomischer Normen), aber nicht den Wettbewerb (Negierung jeglicher staatlichen Einflussnahme auf die Wettbewerbsprozesse). Ebenso wie beim Leitbild "funktionsfähiger Wettbewerb" ist der Wettbewerb seinem Wesen nach ein selbsttätiger Prozess des Vor- und Nachziehens, der in immer gleicher Weise abläuft und grundsätzlich positive Wohlfahrtseffekte produziert. Nur unter dieser Voraussetzung ist es sinnvoll, wenn sich der Staat dem "Nicht-Interventionspostulat" verpflichtet und nur wenn der Wettbewerbsprozess selbst ein Datum ist, können einmal aufgestellte Verhaltensregeln, wie es die liberalen Vertreter fordern, den Wettbewerb dauerhaft sicherstellen. Nur dann kann auf der anderen Seite den Vertretern des "funktionsfähigen Wettbewerbs" der Versuch gelingen, die Marktstrukturbedingungen und das Marktverhalten auf dieses Datum hin abzustimmen. Wenn der Wettbewerbsprozess, wie es hier vertreten wird, kein Datum, keine Konstante ist, dann sind die beiden Lösungswege, d. h. jener der Vertreter des "freien Wettbewerbs" und jener der Vertreter des "funktionsfahigen Wettbewerbs", einen wohlfahrts- bzw. wachstumsstei83
Eichner, S. (1997), S. 77 ff. und S. 101 ff.
4 Eichner
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B. Industriepolitik und Wettbewerb Tabelle 2
Wettbewerbsleitbilder: Abstraktionsniveau und Orientierungsleistung für ergebnisorientiertes staatliches Handeln Gleichgewichtstheoretische Vorstellung - Marktgleichgewicht repräsentiert vollkommenen Wettbewerb- Wettbewerb als Zustand (Neoklassische Theorie): Vollkommene Konkurrenz Zentrale Merkmale: - Abstraktion von Zeit und Raum; - extrem hohes Abstraktionsniveau (positive Normierung eines Wettbewerbsideals); - sehr hohe Realitätsfeme; - sehr hohe Orientierungsleistung für ergebnisorientiertes staatliches Handeln (exakte Kriterien), aber aufgrund der realitätsfernen Annahmen sehr hohes Fehlerrisiko. Intervention zwecks Herstellung der Bedingungen des Wettbewerbs- bzw. Marktideals zulässig (Wettbewerbspolitik u. a.).
Dynamisierte gleichgewichtstheoretische Vorstellung - dynamisches Marktgleichgewicht repräsentiert funktionsfähigen Wettbewerb - Wettbewerb als selbsttätiger mechanistischer Prozess (an neoklassischer Theorie orientiert): Funktionsfähiger Wettbewerb (Workable Competition; optimale Wettbewerbsintensität) (insb. J. M. Clark u. a. und E. Kantzenbach) Zentrale Merkmale: - Abstraktion von Zeit und Raum; - hohes Abstraktionsniveau (positive Normierung eines Wettbewerbsideals als Bereich zulässiger Merkmalsausprägungen); - Realitätsfeme durch veränderte, pragmatische Kriterien reduziert, - deswegen zwar sehr hohe Orientierungsleistung für ergebnisorientiertes staatliches Handeln, aber aufgrund des Versuchs der allgemeingültigen Definition des funktionsfähigen Wettbewerbs und eines Idealzustands des Marktes als Referenzstandard bzw. als Folge der Nichtberücksichtigung des evolutorischen Charakters realer Markt- und Wettbewerbsprozesse hohes Fehlerrisiko. Intervention zum Erhalt und zur Steigerung des Wettbewerbs zulässig (Wettbewerbspolitik); Intervention darüber hinaus im Rahmen der Industriepolitik zulässig bei Vorliegen spezifischer Tatbestände (Marktversagen etc.) zwecks Korrektur von Fehlfunktionen oder zur weiteren Steigerung des Wachstums.
III. Wettbewerb und Interventionen
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Fortsetzung Tabelle 2:
Dynamische evolutorische Vorstellung - formale Freiheit repräsentiert Evolution des Marktes und ökonomische Vorteile bewirkenden Wettbewerb - Wettbewerb als Selbstregulierungssystem (sog. Neu-Klassik): Freier Wettbewerb (Wettbewerb als Entdeckungsverfahren) (F. A. von Hayek; E. Hoppmann u. a.) Zentrale Merkmale: - Maximale Differenzierung der Kennzeichen des wettbewerbliehen Marktes Abstraktion von der Realität nicht möglich (evolutorische Vielfalt), deswegen Ablehnung einer Idealvorstellung (d.h. kein Wettbewerbsideal bzw. negative Normierung des "Freien Wettbewerbs"); - sehr realistisches Marktverständnis, jedoch realitätsfernes Wettbewerbsverständnis (von zeitlichen bzw. historischen und räumlichen Bedingungen unabhängiger, selbsttätiger und prinzipiell wohlfahrtsbringender Prozess), - deswegen nur geringe Orientierungsleistung für staatliches Handeln (nur "Mustervoraussagen", aber keine Mess- und Prüfkonzeption für Wettbewerbsleistung); - keine Orientierung für ergebnisorientierte Steuerung. Intervention unzulässig. Lediglich die Vorgabe formaler Verhaltensregeln (Ordnungspolitik) ist erlaubt (Wettbewerbspolitik).
Zeitlich und räumlich differenzierte Vorstellung vom Wettbewerb - dynamische Machtbalance repräsentiert Evolution des Marktes bewirkenden Wettbewerb Wettbewerb als evolutorischer Prozess: Evolutorischer Wettbewerb (in Anlehnung an Hayek, Heuss, Amdt, Eichner und Rostow) Zentrale Merkmale: - Idealtypische Differenzierung von verschiedenen Formen des Wettbewerbs im Zeitablauf anband bedarfsmarktphasenspezifischer Unterscheidung von Motiven, Verhaltensweisen und der Relevanz verschiedener Inputfaktoren; - mittleres Abstraktionsniveau; - Realitätsnähe relativ hoch, da kein Idealzustand als Referenzstandard vorgegeben wird, sondern ein für die ökonomische Entwicklungsqualität maßgeblicher Wechsel zwischen unterschiedlichen Formen des Wettbewerbs (prozessuales Ideal); - hohe Orientierungsleistung für staatliches Handeln, jedoch nur eingeschränkt für ergebnisorientierte Steuerung (Beeinflussung des Wettbewerbs im Hinblick auf seine "Prozess- und ökonomische Entwicklungsqualität" möglich, aber nicht bezüglich des konkreten Wohlfahrtsergebnisses und der Entwicklungsrichtung); - mäßiges Fehlerrisiko. Intervention zwecks Erhalt des Wettbewerbs (Wettbewerbspolitik) und zur Steigerung der "Prozess- und der ökonomischen Entwicklungsqualität" des Wettbewerbs (lndustriepolitik) zulässig. Quelle: Eigene Darstellung 4•
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B. Industriepolitik und Wettbewerb
gernden "Leistungswettbewerb" zu erhalten, bereits im Ansatz mit Fehlern behaftet. Denn es können keine Verhaltensregeln gefunden werden, welche die Selbsttätigkeit des Wettbewerbs erhalten, weil dieser kein Selbstregulierungssystem darstellt. Und es können ebenso wenig die richtigen Marktstruktur- und Marktverhaltensbedingungen gefunden werden, bei denen der Wettbewerb zu einem Mechanismus wird, der selbsttätig abläuft und Wohlfahrt produziert. Aus dem gleichen Grund ist es dann allerdings auch fragwürdig, staatliche Interventionen mit dem Vorliegen eines Wettbewerbsoder Marktversagens zu rechtfertigen. Im Grundsatz könnte jede staatliche Intervention auf diese Weise begründet werden, weil diese Ansätze von der Selbsttätigkeitsthese ausgehen, der Nachweis der Selbsttätigkeit des Wettbewerbs in der Realität aber nicht gelingen kann. Aus dieser Perspektive betrachtet, handelt es sich bei dem Streit um die "richtige" Art staatlichen Handeins bzw. um die Befürwortung oder Negierung der Industriepolitik um eine falsche Frontstellung. In den Mittelpunkt zu rücken ist stattdessen die Frage, unter welchen Bedingungen ordnungspolitische Maßnahmen und prozesspolitische Interventionen den Wettbewerb positiv beeinflussen können, d. h. die "Prozess- und die ökonomische Entwicklungsqualität" desselben steigern. Unter der Voraussetzung evolutorischer Märkte entfällt dabei jedoch die Möglichkeit der Orientierung an einer endzustandsbezogenen Norm. Insofern ist die hier angesprochene Beeinflussung des Wettbewerbs deutlich zu unterscheiden von jener, die aus der Perspektive des Leitbildes "funktionsfähiger Wettbewerb" vorgenommen werden kann. Der evolutorische Wettbewerb kann auf evolutorischen Märkten nicht als Instrument zur Verwirklichung konkreter endzustandsbezogener Normen aufgefasst werden. Die Vertreter des "freien Wettbewerbs" gehen davon aus, dass der Markt ein evolutorisches Phänomen, der Wettbewerb aber ein selbsttätig ablaufender Prozess ist. Die Marktergebnisse sind unter dieser Voraussetzung nicht prognostizierbar und der Wettbewerb kann nicht als Instrument eingesetzt werden, bestimmte gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtsresultate zu erzielen. Dazu müsste der Markt tatsächlich der in der Theorie behandelten Kreislaufwirtschaft gleichen, deren Determinanten bekannt bzw. ein Datum sind. Insofern bleibt aus dieser Perspektive für den Staat nur die Möglichkeit, die Selbsttätigkeit des Wettbewerbs mit Hilfe eines formalen Regelwerkes zu sichern. Es wird dabei unterstellt, dass die Ergebnisse des Wettbewerbsprozesses grundsätzlich positiv sind, solange ein ausreichendes Maß an Wettbewerbsfreiheit der Wirtschaftssubjekte gegeben ist. Eine Ergebnisorientierung staatlichen Handeins wird grundsätzlich abgelehnt. Wenn jedoch der Wettbewerb selbst auch ein evolutorisches Phänomen ist bzw. nicht über die Eigenschaft der Selbsttätigkeit verfügt, dann kann nicht mehr angenommen werden, dass einmalig aufgestellte formale Regeln
III. Wettbewerb und Interventionen
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die Wettbewerbsfreiheit der Wirtschaftssubjekte bzw. den "freien Wettbewerb" dauerhaft sicherstellen können. Denn der Wettbewerb ist nicht immer mit einem permanenten Prozess des Auf- und Abbaus von Machtpositionen oder, mit anderen Worten, von Wettbewerbsvorteilen identisch. Vielmehr kann es zu dauerhaften Veränderungen in den Macht- bzw. Freiheitsrelationen zwischen den Wirtschaftssubjekten kommen. 84 Sobald sich ein Machtgleichgewicht oder ein Machtungleichgewicht verstetigt, ist die Qualität des Prozesses des vor- und nachstoßenden Wettbewerbs beeinträchtigt. Die Folge davon ist, dass dieser Wettbewerb nur noch im verminderten Umfang eine Evolution des jeweiligen Bedarfsmarktes bewirkt. Weil auf evolutorischen Bedarfsmärkten die Orientierung an einer endzustandsbezogenen Norm nicht möglich ist, muss gezwungenermaßen die materiale Freiheit der Wirtschaftssubjekte als Grundlage des staatlichen Handeins herangezogen werden. Entscheidend für die "ökonomische Entwicklungsqualität" des Wettbewerbs, die nicht mit der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt der neoklassischen Wohlfahrtsökonomie verglichen und nicht in einem mathematisch exakten Sinne "gemessen" werden kann, ist es dann, dass es immer wieder zu einem Auf- und Abbau von Machtpositionen kommt. Denn nur dann haben die Innovationen, die der vor- und nachstoßende Wettbewerb hervorbringt, auch tatsächlich eine Entwertung der von vorstoßenden Wettbewerbern zuvor erlangten wettbewerbsrelevanten bzw. "machtschaffenden Faktoren", also z. B. spezifisches technisches Wissen, Erfahrung, Sachkapital, zur Folge. Dass es zu einer solchen Entwertung der "machtschaffenden Faktoren" kommt, auf denen der Wettbewerbsvorsprung eines Unternehmens vor seinen Konkurrenten beruht, ist als die zentrale Voraussetzung dafür anzusehen, dass die Wirtschaftssubjekte immer wieder zur Suche nach neuen Möglichkeiten, nach Innovationen, gezwungen werden. Darauf hat bereits Schumpeter mit seinen Ausführungen zum Prozess der schöpferischen Zerstörung hingewiesen.85 In diesem Sinne erhält der Wettbewerb auch die Funktion eines - wie Hayek es bezeichnete - Entdeckungsverfahrens, welches Evolution und Wohlfahrtssteigerungen hervorbringt. Es muss dann die Aufgabe des Staates sein, dafür Sorge zu tragen, dass der Wettbewerb diese Qualität behält oder wieder erhält. Für die Erfüllung dieser Auf84 Max Weber hat hervorgehoben, dass "Macht" eine soziale und keine ökonomische Kategorie ist. Er definiert Macht als " . .. jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf die Chance beruht." Weber, M. (1972), S. 28. Die Möglichkeit der Durchsetzung des .,eigenen Willens" in Wettbewerbsprozessen ist damit von materiellen oder immateriellen "machtschaffenden" Faktoren bzw. von erreichten Machtpositionen abhängig. Zu denken ist hier z. B. an eine im Vergleich zum Kontrahenten überlegene Ausstattung mit finanziellen Mitteln oder überlegene Humankapital-Ressourcen. Siehe dazu Eichner, S. (1997), S. 20-24. 85 Schumpeter, J. A. (1950), S. 134 ff. Siehe insbesondere auch Schumpeter, J. A. (1911), s. 110 ff.
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B. Industriepolitik und Wettbewerb
gabe kommen sowohl ordnungspolitische Maßnahmen als auch Interventionen in Betracht. Wenn aus der oben dargelegten Perspektive heraus die Wettbewerbsvorstellung sowohl der herrschenden Lehre als auch der Vertreter der NeuKlassik sowie die daraus hervorgegangenen Wettbewerbsleitbilder "funktionsfähiger Wettbewerb" und "freier Wettbewerb" als wenig hilfreiche Orientierung für die Wettbewerbs- und Industriepolitik eingestuft werden müssen, dann stellt sich die Frage, welche theoretischen Ansätze sich für eine differenzierende Beurteilung von materialen Verhaltensregeln bzw. ordnungspolitischen Maßnahmen und Interventionen bzw. prozesspolitischen Maßnahmen vor dem Hintergrund eines evolutorischen Wettbewerbsverständnisses respektive Wettbewerbsleitbildes in der ökonomischen Literatur bieten. Für eine zeitlich und räumlich differenzierende theoretische Analyse wettbewerblieber Prozesse und der ökonomischen Entwicklung sowie für eine solchermaßen angelegte Evaluation staatlicher und supranationaler Maßnahmen können, in Ermangelung einer geschlossenen evolutorischen Theorie, phasen- und stadientheoretische Ansätze genutzt werden. Im Hinblick auf die in den vorangegangenen Abschnitten vorgenommene Klassifizierung der Wettbewerbsleitbilder nach ihrer Marktsicht - statisch ("funktionsfähiger Wettbewerb") und evolutorisch ("freier Wettbewerb") -, kann der "evolutorische Wettbewerb" als ein Leitbild betrachtet werden, welches bezüglich der Marktperspektive eine Position zwischen den Leitbildern "funktionsfähiger Wettbewerb" und "freier Wettbewerb" einnimmt. Es wird weder ein Marktideal vertreten, noch auf der in der Realität prinzipiell unendlichen Vielfalt von Marktsituationen aufgebaut. Stattdessen wird eine begrenzte Anzahl von unterschiedlichen Marktsituationen beschrieben und mit verschiedenen Formen des Wettbewerbs in Verbindung gesetzt. Die in Kapitel C folgenden Ausführungen basieren auf einem Evaluationsrahmen für staatliche und supranationale Interventionen, der auf einem evolutorischen Wettbewerbs- und Marktverständnis sowie auf den bekannten phasenund stadientheoretischen Ansätzen aufbaut. 86
86
Siehe dazu ausführlich Eichner, S. (1997).
C. Evolutorischer Wettbewerb Die Vorstellung von einem sich wandelnden bzw. "evolutorischen Wettbewerb" leitet sich aus den oben vorgestellten Leitbildern "freier Wettbewerb" und funktionsfähiger Wettbewerb" ab. In gewisser Weise handelt es sich um eine partielle Synthese der beiden Wettbewerbsleitbilder, denn es werden verschiedene Annahmen wie etwa "prinzipielle Unvorhersehbarkeit der Entwicklung des Marktes" ("freier Wettbewerb") und "instrumenteller Charakter/ergebnisorientierte Steuerbarkeil des Wettbewerbs" ("funktionsfähiger Wettbewerb") übernommen. 1 Allerdings geschieht dies - als Folge der Ablehnung der Selbsttätigkeitsthese - in veränderter Form. Es wird nicht mehr von der vollkommenen Unvorhersehbarkeit der Entwicklung von Märkten ausgegangen, sondern von einer eingeschränkten Vorhersehbarkeit: Denn vor- und nachstoßender Wettbewerb treibt die Entwicklung von Märkten voran, determiniert sie, aber die Entwicklung von Märkten wirkt - wie im Folgenden vor dem Hintergrund des Phasenkonzepts der Bedarfsmarkt-Entwicklung verdeutlicht werden soll - auf den Wettbewerb zurück, sprich verändert ihn und damit den weiteren Verlauf der Entwicklung. Es ist deswegen nur möglich, zu Aussagen über Voraussetzungen für Leistungswettbewerb bzw. für einen Wettbewerb mit einer hohen "Prozess- und ökonomischen Entwicklungsqualität" zu gelangen. Die dem Leitbild "funktionsfähiger Wettbewerb" zugrunde liegende Annahme, Wettbewerb sei ein Instrument und lasse eine ergebnisorientierte Steuerung zu, lässt sich damit hier nicht aufrecht erhalten. An die Stelle der Vorstellung von der ergebnisorientierten Steuerbarkeif des Wettbewerbs tritt beim Leitbild "evolutorischer Wettbewerb" jene von der prozessorientierten Steuerbarkeif des Wettbewerbs ("Prozess- und ökonomische Entwicklungsqualität des Wettbewerbs").
I. Das Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung als Analyserahmen für den "evolutorischen Wettbewerb" Das Phasenkonzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung basiert auf dem Phasenkonzept der Produktmarkt-Entwicklung. Allerdings stellt das Phasenkonzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung eine Weiterentwicklung dar und weist 1 Siehe dazu oben die vergleichende Gegenüberstellung der Leitbilder in Tabelle I und Tabelle 2.
C. Evolutorischer Wettbewerb
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deswegen etmge Modifizierungen und Ergänzungen auf, welche für die Charakterisierung der unterschiedlichen Formen des evolutorischen Wettbewerbs wesentlich sind. 2 Im Folgenden werden zuerst die Grundzüge des Phasenkonzepts der Produktmarkt-Entwicklung dargelegt. Anschließend wird erläutert, worin sich das Phasenkonzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung von dem der Produktmarkt-Entwicklung unterscheidet. In Abschnitt 3 werden Begriffe erläutert und definiert, welche für das Verständnis des "evolutorischen Wettbewerbs" zentral sind. In diesem Zusammenhang ist insbesondere der Innovationsbegriff zu klären. 1. Das Phasenkonzept der Produktmarkt-Entwicklung
Im Phasenkonzept der Produktmarkt-Entwicklung wird die quantitative Entwicklung eines Produktmarktes in vier aufeinander folgende Phasen unterteilt:3 Die Experimentierungsphase, in welcher ein völlig neues Produkt geschaffen wird und ein entsprechender Markt entsteht, stellt die erste Phase der Produktmarkt-Entwicklung dar. Die Nachfrage ist hier zunächst noch sehr gering. In der zweiten Phase, d. h. in der Expansionsphase, findet eine Selbstzündung des Marktes statt. Es kommt zu einer sprunghaften Ausweitung des Gesamtvolumens der Produktion sowie des Marktes und zu einer sehr raschen Diffusion der Neuerung. In kurzer Folge auftretende Innovationen führen zu wesentlichen Verbesserungen des Produktes. Weitere zentrale Kennzeichen dieser Phase sind die Produktvariation und vor allem die zügige Weiterentwicklung der Herstellungsverfahren. In der Ausreifungsphase hat sich das Marktwachstum deutlich verlangsamt. Produkt- und Produktionstechnologie sind weitestgehend ausgereift. Die Innovationsaktivitäten der Anbieter stellen im Wesentlichen nur noch auf marginale Verbesserungen am Produkt und am Verfahren ab. Die Innovativität und Dynamik des Marktes ist deutlich reduziert. Das Marktgeschehen ist deswegen für die Marktteilnehmer überschaubar und das Ausmaß an sowie die Richtung von Veränderungen kalkulierbar geworden. Die Stagnations- und Rückbildungsphase kennzeichnet, was die Entwicklung des Produktmarktes anbelangt, entweder einen Stiiistand oder das Absterben des Marktes. Das Markt- bzw. Nachfragepotenzial ist vollständig ausgeschöpft und die Gesamtproduktion lässt sich infolgedessen nicht mehr weiter ausdehnen. Wenn das Produkt Konkurrenz durch ein anderes, überlegenes Substitut erhält oder ein Wandel in den Präferenzen der Nachfrager auftritt, bildet sich der Markt zurück. Grenzunternehmer scheiden aus dem Markt aus. Produktionskapazitäten und Beschäftigung werden abgebaut. Siehe dazu Eichner, S. (1997), S. 33 ff. und Heuss, E. (1965). Siehe dazu ausführlich Heuss, E. (1965), S. 25 ff. sowie zur Veranschaulichung Abbildung 3: "Das Phasenkonzept der Produktmarkt-Entwicklung". 2
3
I. Das Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung
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Diese idealtypische Vorstellung von der Produktmarkt-Entwicklung ist zentraler Bestandteil der dynamischen Markttheorie. 4 Aus empirischen Erkenntnissen über den Verlauf der Entwicklung unterschiedlicher Märkte für industriell gefertigte Produkte,5 wurde das folgende allgemeine Verlaufsmuster für das mengenmäßige Wachstum der Gesamtproduktion auf Produktmärkten abgeleitet:6 Nach einer zu Beginn nur geringfügig ansteigenden Gesamtproduktion kommt es mit dem Eintritt in die Expansionsphase zu einem sprunghaften Anstieg, der sich gegen Ende der Expansionsphase und über die Phase der Ausreifung hinaus stark abflacht. Wenn der Markt nicht weiterhin stagniert, sondern das Produkt Konkurrenz von einem anderen, neuen Produkt bzw. Substitut erhält, welches mehr und mehr Nachfrage auf sich zieht, dann tritt dieser in die Rückbildungsphase ein. Die Gesamtproduktionsmenge sinkt rasch ab. Dadurch kommt es zu dem in der Abbildung 3 dargestellten S-förmigen Verlauf der Kurve für das Wachstum der Gesamtproduktion. In der Literatur gibt es hinsichtlich der quantitativen Entwicklung von Produktmärkten - in der Regel wird von einer S-förmigen Entwicklung der Nachfrage nach einem Produkt ausgegangen - durchaus unterschiedliche Auffassungen. 7 Die mit dem Versuch der allgemeingültigen Definition des Verlaufes von Produkt-Lebenszyklen verbundenen grundsätzlichen Probleme können letztlich auch als ein Grund für die Suche nach anderen theo4 Als Protagonist der dynamischen Markttheorie kann Heuss gelten (Heuss, E. (1965)). Dabei rekurriert sein theoretischer Ansatz, der neoklassische Bezüge aufweist, sehr stark auf das Gedankengut von Schumpeters "Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung" (Schumpeter, 1. A. (1911)). 5 Siehe zur Ableitung des spezifischen Verlaufs der Entwicklung von Produktmärkten das Kapitel "Die theoretische Ausgangslage" bei Heuss, E. (1965), S. 6 ff., insbesondere S. 15-24. 6 Heuss, E. (1965), S. 15. 7 Siehe dazu z.B. Duijn, 1. J. van (1981), S. 261-275, Marshall, M. (1987) sowie Bathelt, H. (1991), S. 287 ff., insbesondere S. 299 ff. In der neueren industrieökonomischen Literatur wird angezeigt, dass es bedingt durch branchenspezifische, technologische und produktbezogene Unterschiede zu verschiedenartigen Entwicklungsverläufen kommen kann. Eine Verallgemeinerung erscheint vor diesem Hintergrund kaum möglich zu sein. Siehe dazu z.B. Utterback, 1. M. (1994), der vor allem auf deutliche Unterschiede in der Marktentwicklung gefertigter und nicht-gefertigter Produkte (z. B. Energie) hinweist, Tether, B. S.!Storey, D. 1. (1998), S. 947971, die Unterschiede zwischen den Sektoren innerhalb eines Staates und im zwischenstaatlichen Vergleich der Entwicklung der Sektoren feststellen, Bonaccorsi, A.!Giuri, P. (2000), S. 847-870, die am Beispiel der Entwicklung des Marktes für Turboprop-Antriebe in der Luftfahrtindustrie Unterschiede zur klassischen Annahme bezüglich des Verlaufes des Industrielebenszyklus verdeutlichen und, nicht zuletzt, Rycroft, R. W.!Kash, D. E. (1999), welche eine Tendenz für eine ansteigende technische Komplexität bei Produkten und Systemen feststellen und die sich daraus ergebenden Abweichungen des Verlaufes der Marktentwicklung für diese Produktund Systemklasse (sog. CoPS) diskutieren.
C. Evolutorischer Wettbewerb
58 Experimentierung
Phase
Expansion
Gesamt- j~ produktion (A) und Markttransparenz (B)
./ ·,././,.
B
Ausreifung
Stagnation und Rückbildung
? · · · ·· · · · · · · · · · · : : :·:: :·:: -. : : :
')····· ....
........
l ... A
f
~ ·---
..
Zeit .. Quelle: Siehe Heuss. E. (1965). S. 15 und S. 251.
Abb. 3: Das Phasenkonzept der Produktmarkt-Entwicklung
retischen Erklärungsansätzen für die Entwicklung von Märkten und der Wirtschaft angesehen werden. Evolutorische Theorien haben in diesem Zusammenhang in der wissenschaftlichen Diskussion in den vergangeneo Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. 8 Die dynamische Theorie der Marktentwicklung knüpft zwar an die statische Gleichgewichtstheorie an.9 Sie unterscheidet sich jedoch von letzterer 8 Als ein Beispiel sei hier die Arbeit von Nelson und Winter aufgeführt, welche der Diskussion um die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels in der Ökonomie Anfang der achtziger Jahre neue Impulse gab (Nelson, R. R./Winter, S. G. (1982)). Einen guten Überblick über die verschiedenen Ansätze und ihre Einordnung im Bereich der evolutorischen Ökonomik bieten Seifert, K./Priddat, B. P. (1995), S. 1038. Eine vollständige Ablösung des Lebenszykluskonzeptes hat jedoch nicht stattgefunden. Das Lebenszykluskonzept wird beispielsweise auch in der neueren Literatur zur Erklärung der Veränderung des Verhaltens der Unternehmen auf und der Entwicklung von Märkten herangezogen (siehe Rich, D. Z. (1994)). Es findet darüber hinaus auch in anderen Bereichen eine breite Anwendung. Siehe für Anwendungen im Bereich der Regionaltheorie z.B. Markusen, A. R. (1985), Bathelt, H. (1991), S. 287 ff. und Stemberg, R. (1995), S. 30-36, für den Bereich der betriebswirtschaftlichen Management-Literatur exemplarisch Corsten, H. (1998), S. 56 ff., insbesondere S. 73-74 sowie vor allem Porter, M. E. (1999), S. 214 ff. und S. 253 ff. und für den Bereich des Marketing etwa Benkenstein, M. (1997), S. 24 ff., insbesondere S. 52 ff.
I. Das Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung
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und insbesondere von anderen Markt- und Oligopoltheorien sehr deutlich durch die Einführung des Faktors ,,Zeit" und infolge der Berücksichtigung unterschiedlicher Unternehmertypen, die sich durch ein jeweils spezifisches Innovationsverhalten auszeichnen. Der technische Fortschritt selbst ist in der dynamischen Markttheorie kein endogenes Resultat des Marktprozesses, sondern ein exogener Einflussfaktor. Damit wird der Gedankengang Schumpeters aufgegriffen. Er hat die wirtschaftliche Entwicklung mit Hilfe der These zu erklären versucht, es seien plötzlich und scharenweise auftretende "dynamische Unternehmer", welche mit der Durchsetzung neuer Faktorkombinationen die Kreislaufwirtschaft temporär in einen Ungleichgewichtszustand überführten und die übrigen Unternehmen zur Anpassung an die Neuerungen oder zum Untergang zwängen. 10 Schumpeter nannte diesen Ablauf später den "Prozess der schöpferischen Zerstörung", weil der Preis für die Schaffung und Durchsetzung des Neuen die völlige Entwertung der bisherigen, aber plötzlich veralteten Produktionen und damit die Vernichtung von Kapital ist. 11 Die in Abweichung von Schumpeters Analyse zeitlich differenzierte und darüber hinaus genauere Beschreibung des Ablaufes der wirtschaftlichen bzw. in diesem Fall der Produktmarkt-Entwicklung wird in der dynamischen Markttheorie durch Integration des Lebenszykluskonzeptes erreicht. 12 Im Mittelpunkt der Betrachtung steht dabei nicht der Lebenszyklus eines Produktes in der engen einzelwirtschaftlichen Perspektive, sondern der gesamte Produktmarkt und die für dessen quantitative Entwicklung bzw. für sein Wachstum bedeutsamen Determinanten. Dazu gehören in der ursprünglichen Fassung der dynamischen Markttheorie das Innovations- und Marktverhalten der Unternehmen sowie das Verhalten der Nachfrage in Bezug auf Menge und PreisY Der Ansatz wurde erst viel später um die phasenspezifische Bedeutung der unterschiedlichen Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital, Rohstoffe und Externalitäten ergänzt. 14 Das Phasenkonzept der Produktmarkt-Entwicklung stellt sich folglich als Instrument der mikro- und mesoökonomischen Analyse dar. Bezüglich der Definition und Abgrenzung des Produktmarktes wird die Homogenitätsannahme der Gleichgewichtstheorie weitestgehend übernommen.15 Heuss, E. (1965). Schumpeter, J. A. (1911), S. 88 ff. 11 Schumpeter, J. A. (1950), S. 134 ff. 12 Heuss, E. (1965). 13 Siehe dazu Heuss, E. ( 1965). 14 Siehe Oberender, P. (1988), S. 21 ff. 15 Heuss bezieht sich in seiner Abhandlung auf im Wesentlichen ähnliche Produkte und Leistungen. Als Indikator für eine hohe Ähnlichkeit von Produkten bzw. für die Marktabgrenzung nutzt er die Preisinterdependenz. Siehe Heuss, E. (1965), S. 22-24 und S. 67 ff. 9
10
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C. Evolutorischer Wettbewerb
Der idealtypisch unterstellte Verlauf der quantitativen Entwicklung von Produktmärkten geht in der markttheoretischen Perspektive primär auf Unterschiede im Innovationsverhalten der dort tätigen Unternehmer zurück und auf einen Wandel im Marktverhalten derselben. Es wird angenommen, dass in jeder Phase der Produktmarkt-Entwicklung ein anderer Unternehmertypus prägend ist. Dominieren anfangs, in der Phase der raschen Ausweitung der Produktion, noch initiative, d. h. innovierende sowie spontan imitierende Unternehmer, so sind es im weiteren Verlauf der Entwicklung, in welchem kaum noch Nachfragezuwächse zu verzeichnen sind, zunehmend passive Unternehmertypen, die eine geringe Innovationsneigung aufweisen. Dieses Muster bezüglich der phasenspezifischen Dominanz unterschiedlicher Unternehmertypen auf Produktmärkten wird für die Erklärung des Verlaufes der Produktmarkt-Entwicklung genutzt:16 In den frühen Phasen der Marktentwicklung steht der Produktmarkt als Folge signifikanter Produkt- und Prozessinnovationen, die von "dynamischen Unternehmern" bzw. "Pionierunternehmern" getätigt werden, und seiner im Wesentlichen unvorhersehbaren Entwicklung ganz im Zeichen des Umbruchs bzw. der "Mutation" und er zeichnet sich damit durch Intransparenz aus. 17 Letzteres bedeutet, dass die marktrelevanten Faktoren, also insbesondere Produkt- und Produktionstechnologie, aber auch das Marktpotenzial, die Gewinnchancen und ebenso das Verhalten von Konkurrenten und Nachfragern für die Marktteilnehmer unbekannt sind. Marktintransparenz ist hier gleichbedeutend mit hoher Unsicherheit und hohem Risiko. Allerdings kommt es durch den Zustrom von Unternehmen, die durch die Gewinnaussichten auf diesem Produktmarkt angelockt werden, recht bald zur Imitation und damit zur Verbreitung der Kenntnisse über die Produktsowie Produktionstechnologie und zur Ausschöpfung des Marktpotenzials. Aufgrund der sich verbessernden Kenntniss und der gesammelten Erfahrungen wird für die Marktteilnehmer im Zeitablauf immer besser ersichtlich, welches die für das Bestehen auf dem Markt relevanten Faktoren und Verhaltensweisen sind. Für die Beschreibung dieses Prozesses wird in der dynamischen Markttheorie der Begriff "Markttransparenz" verwendet. 18 Die Siehe Heuss, E. (1965), S. 25-135. Die Begriffe "Mutation" und "Iteration" verwendet in diesem Zusammenhang Heuss, E. (1965), S. 212 ff. 18 Heuss, E. (1965), S. 250--252. Ohne den Begriff "Markttransparenz" explizit zu verwenden, hat Hayek diesen dennoch implizit annähernd identisch verwendet, nämlich im Zusammenhang mit seinen Erklärungen zum "Wettbewerb als Entdeckungsverfahren". Für den "Wettbewerb als Entdeckungsverfahren" ist der Zustand der Intransparenz des Marktes als Ausgangspunkt kennzeichnend. Durch die von den Wirtschaftssubjekten eingeleiteten Suchprozesse kommt es jedoch zur sukzessiven Aufdeckung der marktrelevanten Tatsachen. Wettbewerb bewirkt nach Hayek folglich einen sukzessiven Anstieg der Markttransparenz. Siehe Hayek, F. A. von 16
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I. Das Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung
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idealtypisch unterstellte Veränderung des Grades der Markttransparenz im Phasenablauf veranschaulicht die Kurve B in der obigen Abbildung 3. Als Folge der steigenden Markttransparenz können sich in den späten Phasen der Produktmarkt-Entwicklung Unternehmen mit einem konservativen Innovationsverhalten behaupten. Im Vordergrund steht bei diesem Verhaltenstypus das Ziel, die bestehenden Marktverhältnisse zu bewahren bzw. zu konservieren, um auf diese Weise die eigene Marktposition längerfristig zu sichern. Weil signifikante Innovationen zu gravierenden Veränderungen in den Marktverhältnissen führen und ein solcher umfangreicher Wandel nicht im Interesse konservativer Unternehmer liegt, zeichnet sich das in der dynamischen Markttheorie beschriebene konservative Verhalten durch eine geringe Innovationsneigung aus. In den späten Marktphasen verläuft die Zeit als "Iteration", d.h. es treten nur geringfügige, schrittweise und deswegen kalkulierbare Veränderungen auf. Die hohe Markttransparenz in den späten Phasen der Marktentwicklung erlaubt es den Unternehmern darüber hinaus, zu einem oligopolistischem Verhalten bzw. zu einer Politik der festen Preisrelationen überzugehen. 19 Diese Politik ist mit wettbewerbsbeschränkendem Verhalten gleichzusetzen. Dadurch kann es in diesem Entwicklungsabschnitt durchaus zum Erliegen des Wettbewerbs, genauer gesagt des Preiswettbewerbs, kommen. 20 Hinter der Einführung unterschiedlicher Unternehmertypen in das Phasenkonzept der Produktmarkt-Entwicklung steht wie bei Schumpeter die Überzeugung, dass die Markt- bzw. Wirtschaftsentwicklung nicht erklärt werden kann, wenn für alle Wirtschaftssubjekte grundsätzlich nur zweckrationales Verhalten angenommen wird. 21 Obwohl infolgedessen bezüglich des Innovationsverhaltens die gleichgewichtstheoretische Annahme vom "homo oeconomicus" als einzig mögliche Form des Verhaltens in der dynamischen Markttheorie aufgegeben wird, behält sie ihre Gültigkeit für das Markt- und Wettbewerbsverhalten aller dort unterschiedenen Unternehmertypen. Denn im Phasenkonzept der Produktmarkt-Entwicklung stellt sich der Wettbewerb von der Experimentierungsphase, über die Expansions- und Reifephase bis hin zur Stagnations- und Rückbildungsphase unverändert als jener Preiswettbewerb dar, den die neoklassische Preistheorie beschreibt. 22 Qualitative Aspekte werden damit in dieser Betrachtung weitestgehend ausgeblendet. Selbst die für die Reifephase angenommene Möglichkeit des Auftretens von Produktdifferenzierung wird nicht als Kennzeichen eines (1968), S. 3 f. Siehe dazu auch unten Kapitel C.III: "Arbeitsweise und Wesen des evolutorischen Wettbewerbs". 19 Heuss, E. (1965), S. 90 ff. 20 Heuss, E. (1965), S. 231 ff., insbesondere S. 250-252 und S. 262-268. 21 Heuss, E. (1965), S. 6 ff. 22 Heuss, E. (1965), S. 25 ff.
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C. Evolutorischer Wettbewerb
eigenständigen "Qualitätswettbewerbs" gewertet, in welchem nicht der Preis das Maß für die Konkurrenzfähigkeit von Unternehmen ist. Vielmehr wird Produktheterogenität nur als ein Faktor diskutiert, welcher sich auf den Preiswettbewerb auswirkt.Z3 Allerdings war es auch nicht der Anspruch der dynamischen Markttheorie, eine kritische wettbewerbstheoretische Analyse zu liefern. Wettbewerb definiert sich deswegen in diesem markttheoretischen Ansatz ausschließlich als Preiswettbewerb.24 2. Das Phasenkonzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung
Das im Folgenden für die zeitliche und räumliche Differenzierung von Merkmalen des Wettbewerbs herangezogene und ausführlich dargelegte Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung knüpft zwar an das oben kurz beschriebene Phasenkonzept der Produktmarkt-Entwicklung an. 25 Es stellt jedoch in verschiedener Hinsicht eine Veränderung und Erweiterung des ursprünglichen Konzepts dar. 26 Bevor auf die zeitlich und räumlich differenzierten Merkmale des "evolutorischen Wettbewerbs" näher eingegangen wird, sollen deswegen zunächst die sechs zentralen Unterschiede zwischen dem oben beschriebenen originären Konzept der Produktmarkt-Entwicklung der dynamischen Markttheorie und dem Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung verdeutlicht werden:27 1. Die in der dynamischen Markttheorie eingeführte Unternehmertypologie wird erweitert und vertieft. Darüber hinaus wird die Typologie von Motiven und Verhalten nicht mehr nur auf die Unternehmer bzw. auf die Anbieter begrenzt, sondern auf die Nachfrageseite ausgedehnt. 28 Die Entwicklung von Märkten wird folglich nicht - wie in der dynamischen Markttheorie - als Funktion des Innovations- und Marktverhaltens der Anbieter betrachtet, sondern der Wechselwirkung unterschiedlicher Motive und Verhaltensweisen auf der Angebots- und auf der Nachfrageseite zugeschrieben. 29 Denn wettbewerbliehe Prozesse, welche die Marktentwicklung bewirken, werden nicht nur von den Motiven und dem VerbalHeuss, E. (1965), S. 67 ff. Siehe dazu auch Eichner, S. (1997), S. 39 ff. 25 Das Phasenkonzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung wurde von Eichner in Anlehnung an Hayek, F. A. von (1968), Heuss, E. (1965) und Amdt, H. (1994) erarbeitet. Siehe dazu Eichner, S. (1997), S. 24 ff. 26 Für eine Kritik sowie Verbesserungs- und Erweiterungsvorschläge bezüglich des Produktzyklus-Konzepts, einschließlich seiner regionalen Varianten, siehe Tichy, G. (1991), S. 27-54. 27 Für eine detaillierte Erläuterung des Konzeptes und für die Unterscheidung vom Heuss'schen Phasenkonzept der Produktmarkt-Entwicklung siehe im Übrigen auch Eichner, S. (1997), S. 33 ff. 28 Siehe dazu Eichner, S. (1997), S. 33-48 und S. 83-93. 23 24
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ten der Konkurrenten geprägt. Ein wesentlicher Einfluss geht auch von den konkreten Motiven und Verhaltensweisen der Nachfrager aus. 2. Die Marktphasen werden nicht im ursprünglichen engen Sinne als Phasen der Produktmarkt-Entwicklung, sondern als solche der Bedarfsmarkt-Entwicklung verstanden. Wird nämlich, was im Folgenden geschehen soll, über die Berücksichtigung unterschiedlicher Motive und Verhaltensweisen bei Anbietern und Nachfragern hinaus auch die "Qualität" von Produkten und Leistungen als zentraler und zum Teil dominierender Wettbewerbsparameter eingeführt, dann ist eine enge Bindung an das oben skizzierte Konzept der Produktmarkt-Entwicklung nicht sinnvoll. Es bietet keinen Spielraum für die Berücksichtigung von solchen miteinander konkurrierenden Produkten, die zwar auf den gleichen Bedarf ausgerichtet sind, aber ansonsten weitgehende Unterschiede aufweisen, d. h. als heterogen zu betrachten sind. Die Beurteilung der Angebote seitens der Nachfrager kann in diesem Fall nicht mehr ausschließlich auf der Grundlage von Preisen geschehen. Deswegen können bei den Nachfragern bestehende unterschiedliche Motivlagen, von denen sich ihr jeweils konkretes und durchaus divergierendes Verhalten ableitet, im Wettbewerb relevant werden und sie wirken sich auf diesem Wege gleichfalls auf die Marktentwicklung aus. Um neben dem Preis auch qualitative Merkmale - im weitesten Sinne des Wortes, also vor allem die Funktionalität und die Qualität (z. B. Leistung, Verarbeitungsqualität, Zuverlässigkeit etc.) eines Produktes, aber etwa auch die mit dem Produkt verbundene Servicequalität sowie die Lieferzeit30 - von Produkten und Leistungen als Determinanten der Marktentwicklung und des Wettbewerbs besser berücksichtigen zu können, ist die Verwendung eines weiter gefassten Marktbegriffes sinnvoll. Aus diesem Grund soll das oben skizzierte Phasenschema als idealtypisches Modell für die Erklärung der Entwicklung von Bedarfsmärkten dienen. Im Unterschied zum Produktmarkt werden auf einem Bedarfsmarkt gleich- und verschiedenartige Qualitäten von Produkten und Leistungen gehandelt. Bedarfsmärkte sind lediglich unter dem Gesichtspunkt des Bedarfes homogen? 1 Das Bedürfnis nach fernmündlicher Kommunika29 Damit wird hinsichtlich dieses Aspekts der Entwicklung der Sichtweise von Amdt gefolgt. Siehe Amdt, H. (1994), S. 39 ff. sowie Eichner, S. (1997), S. 33 ff., insbesondere S. 35. 30 Eine strenge Trennung zwischen Produkten und Dienstleistungen ist heute nicht mehr ohne weiteres möglich. In der Regel enthalten industriell gefertigte Produkte immer auch Dienstleistungskomponenten. Darauf weist etwa Muller hin. Muller, E. (2001), S. 21 ff. 31 Damit wird nicht der Heuss'schen, sondern der Amdt'schen Marktdefinition gefolgt, die weiter gefasst ist als die enge Produktmarkt-Vorstellung, die Heuss ver-
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C. Evolutorischer Wettbewerb
tion kann beispielsweise auf sehr unterschiedliche Weise befriedigt werden. Als Folge der Digitalisierung des Fernmeldewesens sind Informations- und Kommunikationstechnologie zusammengewachsen. Als Kommunikationsmittel steht deswegen nicht nur die Festnetztelefonie zur Wahl. Das klassische Telefon hat zunehmend Konkurrenz erhalten von nicht-leitungsgebundenen Kommunikationsmitteln, also vor allem durch das Mobiltelefon und ebenso von verschiedenen Kommunikationsformen, die sich über moderne, multimedia-taugliche Personalcomputer abwickeln lassen. Jedes der drei technischen Kommunikationsmittel wird jedoch auf einem eigenen Produktmarkt gehandelt und unterliegt ebenso einem eigenen Produkt-Lebenszyklus. Die Verbindungslinien und Substitutionsbeziehungen zwischen der klassischen Sprachtelefonie und dem PC lassen sich dabei nicht ohne weiteres mit Hilfe von Kosten und Preisen abbilden. Ein Bedarfsmarkt schließt folglich immer eine Reihe von Produktmärkten ein, deren zeitliche und quantitative Entwicklung nicht zum seihen historischen Zeitpunkt beginnt und zudem sehr unterschiedlich verlaufen kann. Das heißt für jeden Produktmarkt ergibt sich ein eigenständiger Lebenszyklus und der Verlauf der zeitlichen und quantitativen Bedarfsmarkt-Entwicklung lässt sich durch Addition der Entwicklungsschritte der einzelnen Produktmärkte in einem Zeitpunkt bzw. Zeitabschnitt bestimmen. Tritt ein einzelner Produktmarkt in die Rückbildungsphase bedeutet dies folglich nicht zugleich auch die Rückbildung des entsprechenden, übergeordneten Bedarfsmarktes. Zum Absterben eines Bedarfsmarktes wird es erst dann kommen, wenn es für den entsprechenden Bedarf eine insgesamt stark rückläufige Nachfrage und infolgedessen ein immer spärlicheres Produktangebot gibt.32 3. Wettbewerb wird im Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung nicht mehr ausschließlich als Preiswettbewerb aufgefasst. Neben dem Preis wird die Qualität als zweite zentrale Determinante zur Kennzeichnung wettbewerblieber Prozesse herangezogen. Der vor- und nachstoßende Wettbewerb wird von Innovationen angetrieben. Die Wettbewerbsvorsprünge, welche den Unternehmen aus Innovationen erwachsen, müssen nicht lediglich im Bereich von Kosten- und Preisen liegen, wie im Phasenkonzept der Produktmarkt-Entwicklung angenommen wird. Vielmehr ist in Betracht zu ziehen, dass Innovationen Unternehmen aufgrund spezifischer - im weitesten Sinne des Wortes - qualitativer Merkmale in eine bessere Marktposition verhelfen. Wird beispielsweise eine Leistung oder ein Produkt angeboten, welches eine im Vergleich mit konkurrierenden wendete. Siehe zum Begriff "Bedarfsmarkt" Amdt, H. (1994), S. 27 f. und S. 39 ff. Vgl. auch Eichner, S. (1997), S. 33 ff. 32 Vgl. ähnlich Benkenstein, M. (1997), S. 55 ff., insbesondere S. 62 f.
I. Das Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung
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Angeboten erheblich höhere Funktionalität aufweist oder aus Sicht der Nachfrager wichtige zusätzliche Funktionen erfüllt, wie etwa der im obigen Beispiel genannte multimedia-taugliche PC als Kommunikationsmittel, dann kann für die Nachfrager dieser Aspekt bei ihren Wahlhandlungen auf einem Bedarfsmarkt durchaus viel mehr Gewicht haben als der Preis. In einer solchen Situation, bei der qualitative Unterschiede zwischen den konkurrierenden Angeboten bedeutsam sind, würde sich auf dem entsprechenden Markt nicht in jedem Fall das preisgünstigste Angebot bzw. nicht der Anbieter mit den niedrigsten Kosten durchsetzen. Wie oben bereits ausgeführt, kommt es in diesem Zusammenhang auch auf die Motivlagen und auf das Verhalten der Nachfrager an. Insofern sind im Wettbewerb immer auch qualitative Aspekte, die sich aus Neuerungen ergeben, relevant und nicht nur die Kosten und Preise angebotener Leistungen. Der Wettbewerb stellt sich über die gesamte Entwicklung eines Bedarfsmarktes hinweg als eine Mischung aus "Funktionalitäts- und Qualitätswettbewerb" sowie "Preis- und Kostenwettbewerb" dar. Innovationen müssen dabei sowohl als Antrieb als auch als Ergebnis von Marktprozessen in Betracht gezogen werden. Technischer Fortschritt kann nicht lediglich als ein Faktor angesehen werden, welcher die Marktprozesse exogen, d. h. von außen beeinflusst. Im Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung wird davon ausgegangen, dass sich die Bedeutung der Wettbewerbsparameter "Funktionalität", "Qualität", "Preis" und "Kosten" im Phasenablauf verschiebt: Zu Beginn der Marktentwicklung stellt sich Wettbewerb im Wesentlichen als "Funktionalitäts- und Qualitätswettbewerb" dar. Im weiteren Verlauf haben diese Parameter jedoch für das Bestehen im Wettbewerb eine immer geringere Bedeutung. Stattdessen rücken der Preis und die Kosten in das Zentrum der wettbewerbliehen Prozesse. In den späten Phasen ist Wettbewerb dann im Wesentlichen als Preis- und Kostenwettbewerb zu kennzeichnen. 33 Die im Phasenablauf auftretende Umkehrung im Stellenwert der genannten Parameter für Wettbewerbsprozesse veranschaulicht Abbildung 4. 33 Die systematischen Veränderungen hinsichtlich der Art und der "ökonomischen Signifikanz" von Innovationen, die sich mit steigender Markttransparenz einstellen, sind für die Verschiebung in der Bedeutung der genannten Wettbewerbsparameter von zentraler Bedeutung. Siehe dazu Utterback, J. M./Abemathy, W. J. (1975), S. 642 ff., Gort, M./Klepper, S. (1982), S. 630-634, insbesondere S. 634, Anderson, P./Tushman, M. L. (1990), S. 606 ff., insbesondere S. 610 ff., Eichner, S. (1997), S. 39 ff., insbesondere S. 43 sowie Haid, A./Münter, M. T. (1999), S. 10-26, insbesondere S. 15 und S. 20-22; vgl. dazu ebenso, aber differenziert in Bezug auf Produktgruppen bzw. Unternehmensgröße Utterback, J. M. (1994), und Klepper, S. (1996), S. 574 ff. Vgl. abweichend bzw. relativierend Klepper, S. (1997), S. 164 ff., insbesondere S. 168.
5 Eichner
C. Evolutorischer Wettbewerb
66 gering
hoch Preis/Kosten
Funktionalität/Qualität gering
hoch Experimentierungsphase
Expansionsphase
Ausreifungsphase
Stagnations-/ Zeit Rückbildungsphase
Quelle: Eigene Darstellung.
Abb. 4: Gewichtung von Funktionalität/Qualität und Preis/Kosten als Wettbewerbsparameter im Prozess der Bedarfsmarkt-Entwicklung
Entsprechend der Bedeutung, welche die zentralen Wettbewerbsparameter "Funktionalität und Qualität" sowie "Preis und Kosten" im Wettbewerb in den verschiedenen Phasen der Bedarfsmarkt-Entwicklung haben, können unterschiedliche Intensitäten des Qualitäts- und Preiswettbewerbs vorliegen. Wird das Augenmerk auf die spezifische Mischung von Qualitäts- und Preiswettbewerb gelegt, welche in den verschiedenen Phasen vorliegt, so können verschiedene Ausprägungen bzw. Formen des Wettbewerbs differenziert werden. 34 Mögliche Bezeichnungen für diese verschiedenen Formen des Wettbewerbs sind etwa Neuerungs-, Qualitäts- und Rationalisierungswettbewerb, sowie Untergangswettbewerb.35 Ob zu einem bestimmten Zeitpunkt einer realen BedarfsmarktEntwicklung das Bestehen der Unternehmen im Wettbewerb stärker von qualitativen Merkmalen der angebotenen Leistungen abhängt, wobei zudem noch zwischen Produkten und Produktionsverfahren zu unterscheiden ist, oder mehr auf der Grundlage von Kosten und Preisen entschieden wird, ist auf evolutorischen Märkten jedoch in letzter Konsequenz nicht vorhersehbar. 36 Es handelt sich hier lediglich um eine idealtypische Sichtweise der Entwicklung von Märkten. 34 Siehe dazu im Detail Eichner, S. (1997), S. 39-48 sowie insbesondere auch die graphische Darstellung auf S. 43. 35 Diese Bezeichnungen für die verschiedenen Formen von Wettbewerb gehen auf Arndt zurück. Amdt, H. (1986), S. 59 ff.; siehe ergänzend Eichner, S. (1997), s. 39 ff.
I. Das Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung
67
4. Im Phasenkonzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung wird wie im Phasenkonzept der Produktmarkt-Entwicklung von einem S-förmigen Verlauf der Entwicklung der Gesamtproduktion bzw. der quantitativen Entwicklung der Nachfrage ausgegangen. Allerdings hat dieser Verlauf hier lediglich den Stellenwert einer Basis-Hypothese. Es wird vielmehr angenommen, dass sich die Nachfrage nach den verschiedenen Produkten auf einem Bedarfsmarkt sehr unterschiedlich entwickeln kann und zwar je nachdem, welche Motivlagen zu einem konkreten Zeitpunkt in der Bedarfsmarkt-Entwicklung das Verhalten und damit letztlich das Wechselspiel zwischen Anbietern und Nachfragern auf dem Markt sowie zwischen den Wettbewerbern selbst prägen. Beispielsweise wird ein dynamischer bzw. Pionierunternehmer mit einer bedeutenden Produktinnovation in einer Marktphase, in welcher eher konservatives Verhalten von Unternehmern vorherrscht, dem Verlauf der Bedarfsmarkt-Entwicklung wesentliche Impulse geben können. Wird das Verhalten der Nachfrage, wie dies im Phasenkonzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung der Fall ist, in dem genannten Beispiel mit berücksichtigt, dann verstärkt sich der vom dynamischen Unternehmer ausgehende Impuls, wenn auf der Nachfrageseite nicht nur konservatives, also neuerungsaverses, Verhalten vorliegt. Innovationen gegenüber aufgeschlossene Nachfrager können in einer Phase schwacher Entwicklung die Durchsetzung von Innovationen beschleunigen. Während der Preis als Wettbewerbsparameter in einer solchen Situation wieder an Bedeutung verliert, gewinnen funktionale und qualitative Aspekte im Wettbewerb und auf dem Markt an Gewicht. Die Markttransparenz sinkt ab. Die Entwicklung der Gesamtproduktion bzw. der Nachfrage nimmt infolgedessen auf dem entsprechenden Bedarfsmarkt einen anderen als den zunächst angenommenen S-förmigen Verlauf. Darüber hinaus gibt es branchen-, produkt- und technologiespezifische Besonderheiten, welche zu einem abweichenden Verlauf der Bedarfsmarkt-Entwicklung führen können. 37 Beispielsweise stellt sich der Innovationsprozess für chemisch-pharmazeutische Produkte ganz anders dar 36 In der hier durchgeführten Untersuchung kommt es auf die Charakterisierung unterschiedlicher Marktsituationen an. Die Annahme der Zyklizität der Marktentwicklung bzw. der Möglichkeit einer allgemeingültigen Definition des Ablaufes der Marktentwicklung wird dagegen abgelehnt. Siehe dazu unten Kapitel C.II: ,,Zeitlich und räumlich differenzierte Kennzeichen des evolutorischen Wettbewerbs". 37 Siehe dazu den Übersichtsaufsatz von Klepper, S. (1997), S. 145-181 sowie exemplarisch für Analysen bezüglich branchenspezifischer Merkmale in der Forschung, im Inovationsverha1ten, den Produkten u. a. als Ursache für unterschiedliche Entwicklungen von Branchen Pavitt, K. (1984), S. 343-373, insbesondere S. 348353, Schwitalla, B. (1993), S. 118 ff., insbesondere S. 272- 277, Utterback, J. M. (1994), S. 103 ff. und S. 123 ff. und Tether, B. S./Storey, D. J. (1998), S. 954 ff.
5*
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C. Evolutorischer Wettbewerb
als jener für Produkte der Metallverarbeitenden Industrie, wie etwa Werkzeuge, weil für erstere ein erheblicher Forschungsaufwand notwendig und der Zeitpunkt des Vorliegens vermarktungsfähiger Resultate, also neue Produkte oder Produktverbesserungen, nicht ohne weiteres vorhersehbar ist. Die Entwicklung von Produkten für die Immunschwächekrankheit Aids oder Mittel gegen Krebs sind anschauliche Beispiele dafür. Werkzeuge, wie etwa Schraubenschlüssel, Schraubendreher oder Zangen, sind demgegenüber nicht forschungsintensiv, da es sich um vergleichsweise einfache Produkte handelt. Wiederum anders verhält es sich bei technologisch komplexen Produkten und Systemen, sogenannten CoPS?8 Als Beispiele können hier Flugzeuge, Raketenantriebe oder auch informations- und kommunikationstechnologische Produkte gelten, die oft aus einer großen Zahl von unterschiedlichen Hard- und Saftwarekomponenten zusammengesetzt sind. Zu denken ist hier etwa an Local Area Networks, Prozesssteuerungen sowie generell IuK-Systemlösungen - beispielsweise auf der Basis des Internet. Auch diese Art von Produkten ist forschungsintensiv. Der Prozess der Ausreifung nimmt zudem aufgrund der großen Anzahl sowie des erforderlichen Abstimmungsbedarfs der verschiedenen, oft von unterschiedlichen Unternehmen erzeugten, technischen Komponenten deutlich mehr Zeit in Anspruch als bei technologisch einfachen Produkten. Sie liefern dem jeweiligen Anbieter dafür aber auch grundsätzlich mehr Möglichkeiten für eine Differenzierungsstrategie im Wettbewerb. D. h. der "Funktionalitäts- und Qualitätswettbewerb" hat in diesem Fall über einen längeren Zeitraum hinweg und auch insgesamt einen höheren Stellenwert als im Phasenkonzept aufgrund der Basis-Hypothese zur phasenspezifischen Bedeutung der Wettbewerbsparameter zunächst unterstellt wird. Ein von der S-Form abweichender Verlauf der Bedarfsmarkt-Entwicklung ist in diesem Fall ohne weiteres denkbar. 5. Die zeitliche Länge der Phasen ist nicht determiniert und der Phasenablauf ist nicht zwingend unidirektional. Dies wurde zum Teil bereits anband der im vorangegangenen Abschnitt dargelegten Beispiele verdeutlicht. Wie lange die Entwicklung eines Bedarfsmarktes beispielsweise in der Expansionsphase verbleibt, hängt von den konkreten Bedingungen und Verhaltensweisen der Wirtschaftssubjekte ab und wird darüber hinaus - entsprechend der jeweiligen Charakteristika - von Bedarfsmarkt zu Bedarfsmarkt variieren. 39 So ist es beispielsweise vor38 Siehe zu den Besonderheiten der Marktentwicklung für "Complex Products and Systems" (CoPS) Kash, D. E.!Rycroft, R. W. (2000), S. 819-831 sowie Rycroft, R. W.!Kash, D. E. (1999). 39 Siehe dazu die Ausführungen unter Ziffer 3. und 4. dieses Gliederungspunktes. Vgl. ebenso Eichner, S. (1997), S. 39 ff.
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stellbar, dass ein Bedarfsmarkt über einen sehr langen Zeitraum in der Expansionsphase verbleibt, weil es aufgrund innovativer Vorstoßhandlungen immer wieder zu einem Wechsel zwischen Marktbedingungskonstellationen kommt, die für die "frühe" bzw. "späte" Expansionsphase kennzeichnend sind. Bevor ein einzelnes Produkt auf dem entsprechenden Bedarfsmarkt in seine Reifephase gelangen kann, erhält es Konkurrenz von einem qualitativ andersgearteten Produkt, dass in die Expansionsphase seines Produktlebenszyklus eintritt und funktionelle Vorteile gegenüber dem erstgenannten aufweist. Das wirkt sich auf die Markttransparenz des Bedarfsmarktes aus. Sie sinkt deutlich ab und zwingt damit alle Unternehmen auf dem Bedarfsmarkt zu initiativem Verhalten. Aufgrund des initiativen Verhaltens sind Veränderungen für den Bedarfsmarkt in dieser Situation prägend. Konservatives Verhalten ist damit nicht mehr möglich. Der in der idealtypischen Betrachtungsweise angenommene Eintritt eines Bedarfsmarktes in die Reifephase und in die anschließende Rückbildungsphase wird infolge eines Stroms an Innovationen bei möglicherweise sehr verschiedenen, aber miteinander auf diesem Bedarfsmarkt konkurrierenden Produkten, immer wieder zeitlich hinaus geschoben. Infolgedessen ergibt sich für die einzelnen Produkte dieses Bedarfsmarktes bzw. in der Produktmarkt-Sicht kein S-förmiger Verlauf der Nachfrageentwicklung, sondern gegebenenfalls ein wellenförmiger mit je nach Produkt unterschiedlichen Steigungswinkeln. Unabhängig vom jeweiligen Verlauf der einzelnen Produktmarkt-Entwicklungen innerhalb dieses Bedarfsmarktes bzw. davon, ob ein Aufwärts- oder Abwärtstrend in der Nachfrageentwicklung für die einzelnen Produkte dieses Bedarfsmarktes zu verzeichnen ist, gelten für jedes einzelne Produkt Markt- und Wettbewerbsbedingungen, wie sie für die Expansionsphase kennzeichnend sind. Erst wenn innovative Veränderungen insgesamt an Bedeutung abnehmen sowie weniger werden und konservatives Verhalten aufgrund der gestiegenen Markttransparenz möglich und vorherrschend wird, tritt der Bedarfsmarkt in die späten Phasen seiner Entwicklung ein. Vor dem Hintergrund des weit gefassten Marktbegriffs, wie er im Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung verwendet wird, kann sich bei der Anwendung des Konzeptes demnach eine andere Einschätzung hinsichtlich der zeitlichen Länge der einzelnen Phasen sowie auch des Verlaufes der Entwicklung von realen Märkten ergeben, als bei Verwendung des Produktmarktbegriffs und des Produktmarkt-Konzepts der oben skizzierten dynamischen Markttheorie. Dies ist insofern wesentlich, als sich daraus auch entsprechend abweichende Schlussfolgerungen hinsichtlich des Wettbewerbs und seiner "ökonomischen Entwicklungsqualität" ergeben können.
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C. Evolutorischer Wettbewerb
Auf die hier dargelegten unterscheidenden Merkmale der beiden unterschiedlichen Phasenkonzepte wird im Folgenden bei der detaillierten Beschreibung der Merkmale des Wettbewerbs und der Bedarfsmarkt-Entwicklung nicht mehr explizit eingegangen. Aufgrund der für das Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung wesentlichen Annahme, dass der Wettbewerb nicht ausschließlich Preiswettbewerb ist, sondern in den verschiedenen Phasen der Bedarfsmarkt-Entwicklung in unterschiedlicher Gewichtung funktionale und qualitative sowie preisliche Aspekte und die Kosten den Wettbewerb prägen, muss bei den folgenden Ausführungen immer mit berücksichtigt werden, dass sich die im Zusammenhang mit dem Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung beschriebenen Merkmale auf die oben in Kapitel B dargelegten Kennzeichen des Leitbildes "evolutorischer Wettbewerb" beziehen. Dies ist auch insofern wichtig, weil sich das Phasenkonzept der Produktmarkt-Entwicklung in der dynamischen Markttheorie auf das Wettbewerbsleitbild "freier Wettbewerb" abstützt und es sich allein deswegen schon wesentlich vom Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung unterscheidet. Für einen Überblick über die Kennzeichen verschiedener Wettbewerbsleitbilder sei an dieser Stelle lediglich auf die in Kapitel B vorgenommene vergleichende Analyse verwiesen. Eine ausführliche und zusammenfassende Kennzeichnung des "evolutorischen Wettbewerbs" bzw. der Veränderung des Wettbewerbs im Phasenablauf erfolgt dann in Kapitel C, Abschnitt II. Neben den bereits dargelegten Abweichungen des Konzepts der Bedarfsmarkt-Entwicklung vom Konzept der Produktmarkt-Entwicklung ist noch ein weiteres unterscheidendes Merkmal zu nennen: 6. Das Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung wird in den Kontext der räumlichen Entwicklung projiziert.40 Denn auch spezifische räumliche Gegebenheiten beeinflussen den Wettbewerb und den Verlauf der Bedarfsmarkt-Entwicklung. Dabei geht es um die Frage, welche Inputfaktoren für Unternehmen in einem Raum verfügbar sind, womit- auf einem abstrakten Niveau - die Frage nach der Wettbewerbsrelevanz von Standortfaktoren gestellt wird. Dieser Aspekt der Marktentwicklung ist ursprünglich im Rahmen der dynamischen Markttheorie nicht untersucht worden. 41 Für die Berücksichtigung räumlich differenzierter Merkmale des Wettbewerbs und der Bedarfsmarkt-Entwicklung wird auf das Stadienkonzept der räumlichen Entwicklung zurückgegriffen, welches wie das Phasenkonzept mit Idealtypen arbeitet. Unterschieden werden die Inputfaktoren ,,Arbeit", "Kapital", ,,Natur" und ,,Extemalitäten". Auf diese Weise lässt sich für jedes Entwicklungsstadium bzw. Siehe dazu Eichner, S. (1997), S. 56 ff. Oberender hat das Konzept der Produktmarkt-Entwicklung der dynamischen Markttheorie von Heuss erst viel später um die räumliche Perspektive erweitert. Siehe Oberender, P. (1988), S. 11-55. Vgl. dazu auch Eichner, S. (1997), S. 56 ff. 40
41
I. Das Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung
71
für unterschiedliche Typen von Regionen ein Faktorprofil differenzieren, welches Auskunft über die Verfügbarkeit der verschiedenen Faktoren im jeweiligen Stadium gibt. Das Entwicklungsstadium bzw. das damit verbundene Faktorprofil gibt sowohl dem Wettbewerb als auch der Bedarfsmarkt-Entwicklung in einer Region eine spezifische Prägung. Es stellt zugleich den limitierenden Faktor für die in einer Region erreichbare "Prozess- und ökonomische Entwicklungsqualität" des Wettbewerbs dar. In Kapitel B wurde dargelegt, dass sich der Wettbewerb - gedacht als "evolutorischer Wettbewerb"42 - letztlich einer ergebnisorientierten Steuerung und damit auch einer Beurteilung mit Hilfe von gesamtwirtschaftlichen Ergebnisnormen entzieht. Als Konsequenz der Aufgabe der Selbsttätigkeitsannahme und der Annahme, dass eine ergebnisorientierte Steuerung des Wettbewerbs möglich ist, wurde dort auf die Notwendigkeit einer solchen staatlichen Einflussnahme auf den Wettbewerb geschlossen, welche sich an Kriterien orientiert, die Aufschluss über die "Prozess- und ökonomische Entwicklungsqualität" des Wettbewerbs geben können. Diesem Zweck dient das Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung. Für die "ökonomische Entwicklungsqualität" des Wettbewerbs ist die "ökonomische Signifikanz" von Innovationen maßgeblich. Im folgenden Abschnitt 3 sollen deswegen die genannten und für die Unterscheidung des Konzeptes der Bedarfsmarkt-Entwicklung vom Phasenkonzept der dynamischen Markttheorie wesentlichen Begriffe "ökonomische Signifikanz" von Innovationen und "Prozess- und ökonomische Entwicklungsqualität" des Wettbewerbs genauer bestimmt und definiert werden. 3. Begriffsbestimmungen
Beim Leitbild "evolutorischer Wettbewerb" wird abweichend von der liberalen Sicht davon ausgegangen, dass Wettbewerb seinem "Wesen" nach erstens keineswegs selbsttätig ist. Vielmehr sind Charakter und Wirkungsweise des Wettbewerbs abhängig von zeitlichen und räumlichen Gegebenheiten. Zweitens entfaltet "evolutorischer Wettbewerb" in der Zeit durchaus unterschiedliche sowie nicht prinzipiell positive Wohlfahrtswirkungen. Unter Abschnitt II werden die zeitlichen und räumlichen Merkmale der Bedarfsmarkt-Entwicklung bzw. des "evolutorischen Wettbewerbs" in der Merkmalskategorie "Markt" im Einzelnen dargelegt. Für die anschließende 42 Diese Annahme wird ebenso im Leitbild "freier Wettbewerb" vorgebracht. Sie begründet sich dort jedoch nicht aus dem evolutorischen Verständnis des Wettbewerbs, sondern aus dem evolutorischen Marktverständnis. Siehe dazu oben Kapitel B.
72
C. Evolutorischer Wettbewerb
Unterscheidung der verschiedenen Ausprägungen bzw. Formen, welche der "evolutorische Wettbewerb" im Zeitablauf in idealtypischer Sicht annehmen kann, ist der Begriff der "Prozess- und ökonomischen Entwicklungsqualität" zentral, der aufgrund der oben in Kapitel B angenommenen "eingeschränkt ergebnisbezogenen Steuerbarkeit" des Wettbewerbs als Ersatz für eine Ergebnisnorm bzw. als "Quasi-Ergebnisnorm" eingeführt wurde. 43 In diesem Zusammenhang ist es zudem wichtig, den Begriff der "ökonomischen Signifikanz" von Innovationen zu erklären. Denn es sind die innovativen bzw. Neuerungsaktivitäten der Wettbewerber, welche als Antrieb des vor- und nachstoßenden Wettbewerbs wirken und von deren Auftreten sowie ökonomischer Bedeutung es abhängt, in welchem Umfang es zu ökonomischer Entwicklung kommt. 44 Aus diesem Grund ist es zunächst erforderlich auf den Innovationsbegriff einzugehen, der dieser Arbeit zugrunde liegt. a) " Innovation" und ,,/nnovationsprozess"
In seiner vielleicht weitesten Fassung kann unter dem Begriff "Innovation" eine realisierte Menge von Ideen verstanden werden, wobei damit alle möglichen Ausprägungen von Innovation eingeschlossen sind, d. h. ökonomische und technologische, aber auch politische, kulturelle und soziale.45 In dieser Definition sind jedoch nicht alleine solche Innovationen erfasst, die auf untemehmerische Tätigkeit zurückzuführen sind. Für den in dieser Arbeit verfolgten Zusammenhang von Wettbewerb, Innovation und Bedarfsmarkt-Entwicklung ist dieses Verständnis also zu umfassend. Schumpeter hat ein recht weites, jedoch auf die ökonomische Sphäre begrenztes Verständnis von Innovationen vorgegeben. 46 Für ihn geht es dabei grundsätzlich um die Unternehmerische Durchsetzung neuer Faktorkombinationen. Er differenziert fünf verschiedene Ausprägungen:47 43 Zur Unterscheidung von den anderen Wettbewerbsleitbildern siehe oben Kapitel B.III.I: "Vom Wettbewerbsleitbild zur Industriepolitik-Kennzeichen und Orientierungen unterschiedlicher Wettbewerbsleitbilder", insbesondere Tabelle 1 "Systematischer Vergleich von Wettbewerbsleitbildem". 44 Auf die Bedeutung der ,,Signifikanz von Innovationen" ist Heuss im Zusammenhang mit den Begriffen "Mutation" und "Iteration" eingegangen. Jedoch ohne darzulegen, wodurch genau eine "Mutation" gekennzeichnet ist bzw. wann eine solche überhaupt vorliegt und inwieweit und wodurch sich Mutationen voneinander unterscheiden. Eine genaue Definition oder ein Messkonzept lassen sich dort nicht finden. Heuss, E. (1965), S. 231 ff. 45 Grupp, H. (1997), S. 15. Grupp folgt dabei dem Verständnis von Merton, R. K. (1964), S. 141 ff. und S. 176 ff. 46 Siehe Schumpeter, J. A. (1911), S. 99 ff. 47 Schumpeter, J. A. (1911), S. 100-101.
I. Das Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung
73
• Herstellung eines neuen, d. h. dem Konsumentenkreis noch nicht bekannten Gutes oder einer neuen Qualität eines Gutes; • Einführung einer neuen, d. h. in dem betreffenden Industriezweig noch nicht praktisch bekannten Produktionsmethode, die keineswegs auf einer wissenschaftlich neuen Entdeckung beruhen braucht und auch in einer neuartigen Weise bestehen kann, mit einer Ware kommerziell zu verfahren; • Erschließung eines neuen Absatzmarktes; • Eroberung einer neuen Bezugsquelle von Rohstoffen oder Halbfabrikaten; • Durchführung einer Neuorganisation, wie Schaffung einer Monopolsteilung oder Durchbrechen eines Monopols. Allerdings hatte Schumpeter mit dieser Begriffsbildung bereits eine ganz bestimmte Qualität von Innovationen vor Augen, nämlich ,.spontane und diskontinuierliche Veränderungen", d. h. "technologische Revolutionen". 48 Iterative Veränderungen bzw. schrittweise Verbesserungen bestehender Kombinationen schließt er dagegen aus: "Soweit die neue Kombination von der alten (Kombination)49 aus mit der Zeit durch kleine Schritte, kontinuierlich anpassend, erreicht werden kann, liegt gewiß Veränderung, eventuell Wachstum vor, aber weder ein neues der Gleichgewichtsbetrachtung entrücktes Phänomen, noch Entwicklung in unserem Sinn. Soweit dies nicht der Fall ist, sondern die neue Kombination nur diskontinuierlich auftreten kann oder tatsächlich auftritt, entstehen die der letzteren charakteristischen Erscheinungen. Aus Gründen darstellerischer Zweckmäßigkeit meinen wir fortan nur diesen Fall, wenn wir von neuen Kombinationen von Produktionsmitteln sprechen. "50
Für die Zwecke der Charakterisierung des "evolutorischen Wettbewerbs" vor dem Hintergrund des Phasenkonzepts der Bedarfsmarkt-Entwicklung erscheint eine derartige Eingrenzung des Innovationsbegriffes nicht sinnvoll, weil die unterschiedlichen Qualitäten von Innovationen für die Erklärung des "evolutorischen Wettbewerbs" wesentlich sind. In dieser Hinsicht weniger eng gefasst, ist die nachfolgende Definition, welche jedoch nicht alle von Schumpeter bezeichneten Ausprägungen von Innovationen einbezieht: "In an essential sense, innovation concerns the search for, and the discovery, experimentation, development, imitation, and adoption of new products, new production processes and new organisational set-ups. "51 48
49 50
Schumpeter, J. A. (1911), S. 99 f. Ergänzung des Schumpeter-Zitats durch den Verfasser dieser Arbeit. Schumpeter, J. A. (1911), S. 100.
C. Evolutorischer Wettbewerb
74
Schrittweise Verbesserungen bzw. Veränderungen an bereits existierenden Gütern und Produktionsverfahren sind hier nicht ausgeschlossen,52 obwohl zugleich unklar bleibt, wann ein Produkt, Verfahren oder eine organisatorische Veränderung als "neu" zu bezeichnen ist. Einen zusätzlichen Aspekt bringt die Definition insofern ein, als diese hervorhebt, dass industrielle Innovationen nicht lediglich als ein singuläres Ereignis betrachtet werden dürfen, sondern als Ergebnis einer Kette von Ereignissen bzw. eines "Innovationsprozesses". Als Phasen des Innovationsprozesses werden im Allgemeinen Invention, Innovation und Diffusion unterschieden. 53 Dabei wird von der Linearität des Ablaufes ausgegangen, d. h. der Inventionsphase folgt zeitlich betrachtet die Innovationsphase und an diese schließt sich die Verbreitung der "Neuerung"54 an. Auslöser des Prozesses ist in dieser Sichtweise, die an Schumpeter anknüpft, regelmäßig ein "science push" bzw. "technology push". Der Innovationsprozess ist insofern die Folge angebotsseitiger Aktivitäten, also insbesondere Unternehmerische Forschung und Entwicklung. 55 Im Gegensatz zu der "technology push"-Hypothese steht die "demand pull"-Hypothese, welche die nachfrageseitigen Bedürfnisse als Auslöser des Innovationsprozesses ansieht. 56 Die in der Vergangenheit kontrovers geführte Diskussion um die beiden mit dem linearen Innovationsmodell verbundenen Hypothesen kann jedoch im Wesentlichen als abgeschlossen gelten. Es hat sich die Erkenntnis durchsetzt, dass beide Hypothesen ihre Berechtigung haben: "A perceived market will be filled only if the technical problems can be solved, and a perceived peiformance gain will be put into use only if there is a realizable market use. Arguments about the importance of "market pull" versus "technology push" are in this sense artificial, since each market need entering the innovation cycle Ieads in time to a new design, and every successful new design, in time, Ieads to new market conditions. " 51 Dosi, G. (1988), S. 222. Auf die Bedeutung von innovativen Verbesserungen von Produkten und Verfahren für die wirtschaftliche Entwicklung weist im Rahmen seiner theoretischen Analyse und in Abgrenzung von der Schumpeter' sehen Definition insbesondere Amdt hin. Arndt, H. (1994), S. 31 sowie S. 110-112. 53 Grupp, H. (1997), S. 16 f. 54 Der Begriff "Neuerung" wird i. d. R. als Synonym für "Innovation" verwendet. Dieser Begriffsverwendung soll in dieser Arbeit gefolgt werden. 55 Siehe dazu Grupp, H. (1997), S. 16 f. und Bathelt, H. (1991), S. 14-21. 56 Grupp, H. (1997), S. 86 ff., insbesondere S. 88 oben; Bathelt, H. (1991), s. 15 f. 57 Kline, S. J./Rosenberg, N. (1986), S. 289-290. SI
52
I. Das Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung
75
In der neueren Literatur findet sich deswegen eine stärkere Hinwendung zu nicht-linearen Innovationsmodellen, die sowohl angebotsseitige als auch nachfrageseitige Einflüsse berücksichtigen und Rückkoppelungen zwischen den verschiedenen Gliedern des Innovationsprozesses vorsehen. 58 Ein Beispiel für ein nicht-lineares, also auf Interaktionen zwischen Angebots- und Nachfrageseite beruhendes Innovationsmodell ist das "chain-linked-model".59 Abbildung 5 stellt die verschiedenen Glieder des "chain-linked-models" dar und bildet die vertikalen sowie horizontalen Beziehungen respektive Rückkoppelungen zwischen diesen ab. Den folgenden Ausführungen soll, wie oben dargelegt, ein an Schumpeter anknüpfendes, jedoch um den Aspekt der iterativen bzw. schrittweisen Verbesserung von bereits bestehenden Produkten und Verfahren ergänztes und damit weit gefasstes Verständnis von "Innovation" bzw. "Neuerung" zugrunde liegen. Bezüglich des Verlaufes des "Innovationsprozesses" soll Nicht-Linearität angenommen und damit der Vorstellung gefolgt werden, dass der Innovationsprozess sowohl angebotsseitige als auch nachfrageseitige Impulse erhält und Innovationen damit letztlich das Ergebnis vielfältiger Interaktionen sind. b) "Prozess- und ökonomische Entwicklungsqualität" des Wettbewerbs und "ökonomische Signifikanz" von Innovationen
Für die Kennzeichnung der im Phasenablauf auftretenden Ausprägungen des "evolutorischen Wettbewerbs" und der jeweiligen Konsequenzen für die Bedarfsmarkt-Entwicklung kann zum einen auf die "Prozessqualität" und zum anderen auf die "ökonomische Entwicklungsqualität" Bezug genommen werden. Der Begriff "Prozessqualität" des Wettbewerbs (oder auch " Wettbewerbsintensität") soll im Folgenden verwendet werden, wenn es darum geht, eine Aussage darüber zu treffen, wie häufig und mit welcher Intensität es in einem Zeitabschnitt zu vorstoßendem und nachstoßendem Wettbewerb kommt.
Dieser Begriff soll zunächst keine Differenzierung dahin gehend implizieren, ob eine Produkt- oder Prozessinnovation vorliegt, ob es die funktionale Leistung oder ein sonstiges qualitatives Merkmal einer Neuerung ist, welches im Wettbewerb auf einem Markt im Vordergrund steht oder die bedingt durch eine Innovation gegebenen Möglichkeiten, Kosten und Preise zu senken. Er sagt auch nichts darüber aus, wodurch der vor- und nachstoßende Wettbewerb bzw. ein Suchprozess ausgelöst wird. Grundsätzlich gibt 58 59
Siehe Grupp, H. (1997), S. 17 ff.; vgl. ergänzend Schwitalla, B. (1993), S. 1-4. Kline, S. J./Rosenberg, N. (1986), S. 289 ff.
76
C. Evolutorischer Wettbewerb
s 2
Potential Market
Legende:
c
F D I
s
K/R =
'4
Detailed design and test
2
Redesign and produce
Distribute and market
Central chain of innovation. Feedback loops. Particularly important feedback . Direct link to and from research from problems in invention and design. Support of scientific research by instruments, machines, tools, and procedures of technology. Support of research in sciences underlying product area to gain infonnation directly and by monitoring outside work. The infonnation obtained may apply anywhere along the chain. Links through knowledge to research and retum paths. If problems are solved at node K, link 3 to R is not activated. Return from research (link 4) is problematic - therefore the dashed line.
Quelle: Kline, S. 1./Rosenberg, N. (1986), S. 290.
Abb. 5: Das "chain-linked-model" des Innovationsprozesses
I. Das Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung
77
es hier unterschiedliche Möglichkeiten, wie etwa Inventionen respektive Entdeckungen wissenschaftlicher, technischer, organisatorischer oder sonstiger Art, 60 Änderungen im Faktorangebot oder der Nachfragepräferenzen,61 die sich alle unter den bekannten Begriffen "technology push" und "demand pull" subsumieren lassen. Mit der Anwendung des Begriffes "Prozessqualität" des Wettbewerbs soll vor allen Dingen keine Aussage darüber verbunden sein, in welcher Weise er sich auf die ökonomische Entwicklung auswirkt. Eine hohe Wettbewerbsintensität bzw. Prozessqualität bedeutet deswegen nicht in jedem Fall zugleich auch, dass der Wettbewerb in hohem Maße seine gesamtwirtschaftliche Fortschrittsfunktion erfüllt bzw. über eine hohe "ökonomische Entwicklungsqualität" verfügt. 62 Wird der vor- und nachstoßende Wettbewerb auf einem Markt allerdings überwiegend von den funktionalen oder qualitativen Merkmalen der getätigten Innovationen dominiert und auf Grundlage dieser Merkmale entschieden, dann soll im Folgenden davon gesprochen werden, dass er über eine hohe "ökonomische Entwicklungsqualität" verfügt.
Der von Innovationen getragene Wettbewerb kann über eine geringe bis hohe "ökonomische Entwicklungsqualität" verfügen. Inwieweit der Wettbewerb eine geringe oder hohe "ökonomische Entwicklungsqualität" aufweist, hängt insbesondere von der "ökonomischen Signifikanz" der Innovationen ab, welche den vor- und nachstoßenden Wettbewerb tragen bzw. beeinflussen und damit zugleich endogen die Evolution der Wirtschaft bewirken.63 Allerdings können grundsätzlich auch andere, exogene Ereignisse eine hohe "ökonomische Signifikanz" für die Entwicklung von Märkten haben, beispielsweise Naturkatastrophen, Depressionen oder auch Kriege bzw. generell außerhalb des Wirtschaftssektors liegende bedeutende Ereignisse.64 Sie 60 Schumpeter hat in diesem Zusammenhang immer von der Durchsetzung neuer Faktorkombinationen gesprochen, also von Innovationen (siehe dazu vorherigen Abschnitt a)). Eine spezifische Trennung zwischen "Invention" und "Innovation" hat er dagegen nicht vorgenommen. Schumpeter, J. A. (1911), S. 88 ff., insbesondere S. 100-101; vgl. dazu kritisch Ruttan, V. W. (1959), S. 596-Q06. 61 Siehe Hoppmann, E. ( 1968), S. 42. 62 Kantzenbach verwendet in seinem Konzept der "optimalen Wettbewerbsintensität" zwar ebenfalls den Begriff der "Wettbewerbsintensität". Allerdings ist er davon ausgegangen, dass eine hohe Wettbewerbsintensität zugleich immer auch in hohem Maße die Erfüllung der gesamtwirtschaftlichen Wettbewerbsfunktion "technischer Fortschritt" bedeutet. Bartling hat in seiner Kritik an Kantzenbachs Leitbild jedoch dargelegt, dass Kantzenbach erstens nur den nachstoßenden Wettbewerb als Maß für die Wettbewerbsintensität heranzog und zweitens auch z. B. die Häufigkeit von Innovationen als relevante Determinante für die Erfüllung der Fortschrittsfunktion nicht berücksichtigt hat. Siehe Kantzenbach, E. ( 1967) und Bartling, H. (1980), S. 30 ff. , insbesondere S. 32. 63 Siehe dazu in diesem Abschnitt weiter unten sowie Kapitel C.III.2: "Evolutorischer Wettbewerb" und "ökonomische Signifikanz" von Innovationen.
78
C. Evolutorischer Wettbewerb
sollen jedoch im Folgenden aufgrund der Exogenität nicht näher betrachtet werden. Vereinfacht soll eine Innovation immer dann als "ökonomisch signifikant" bezeichnet werden, wenn es einem innovierenden Unternehmen dadurch gelingt, einen neuen Markt zu kreieren oder den Schwerpunkt des auf einem bestehenden Bedarfsmarkt geführten Wettbewerbs vom "Preisund Kostenwettbewerb" zum "Funktionalitäts- und Qualitätswettbewerb" (zurück) zu verlagern. 65 D. h., nicht mehr der Preis ist für die Mehrzahl der Nachfrager das entscheidende Auswahlkriterium, sondern funktionale bzw. qualitative Merkmale des angebotenen Gutes bzw. der angebotenen Leistung. 66 Eine hohe "ökonomische Signifikanz" liegt vor, wenn es als Folge einer oder mehrerer Innovationen zu weitreichenden ökonomischen Veränderungen kommt. Beispielsweise kann es infolge signifikanter innovativer Aktivitäten zu wesentlichen Verbesserungen im Bereich der Funktionalität eines bestehenden Produktes und darüber zu einem erheblich höheren Wirkungsgrad bei der bisherigen Nutzung oder auch zu ganz neuen Anwendungsmöglichkeiten kommen. Oder eine "Basisinnovation" bewirkt in mehreren Branchen gravierende Umstellungen in den Produktionsprozessen, welche Konsequenzen bezüglich der Kapitalintensität und der Beschäftigung nach sich ziehen. Auch das Absterben eines Produktmarktes oder einer ganzen Industrie und das Entstehen völlig neuer Industrien sind theoretisch denkbare Folgen einzelner oder eines ganzen Bündels von Innovationen mit für sich genommen bzw. in der Summe hoher "ökonomischer Signifikanz".67 In der Literatur gibt es Vorschläge für Taxonomien, welche Innovationen gemäß ihrer "ökonomischen Signifikanz" zu definieren und voneinander abzugrenzen suchen. Freeman und Perez differenzieren Innovationen beispielsweise nach ihren Wirkungen und bilden vier Gruppen: 68 "Inkrementale Innovationen", "radikale Innovationen", "Wandel eines Technologiesystems" und "Wechsel eines technisch-ökonomischen Paradigmas". Damit ist im Einzelnen Folgendes gemeint:69 Heuss, E. (1965), S. 231 ff., insbesondere S. 243. Siehe dazu oben Kapitel C.l.2: "Das Phasenkonzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung". 66 Vgl. Eichner, S. (1997), S. 39 ff., insbesondere die Grafik "Bedarfsmarkt-Entwicklung und dynamisch-evolutorischer Wettbewerb" auf S. 43. 67 Siehe dazu Eichner, S. (1997), S. 48 ff., insbesondere S. 50 sowie Schumpeter, J. A. (1950), 7. Kapitel: "Der Prozeß der schöpferischen Zerstörung". Arbeiten zur systematischen Differenzierung von Innovationen finden sich beispielsweise bei Pavitt, K. (1984), S. 343-373 und Freeman, C./Perez, C. (1988), S. 38 ff., insbesondere S. 45 ff. 68 Freeman, C./Perez, C. (1988), S. 45 ff. 64 65
I. Das Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung
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1. Inkrementale Innovationen sind iterative bzw. Verbesserungsinnovatio-
nen. Sie treten mehr oder weniger kontinuierlich in allen Industrien sowie auch im Dienstleistungssektor auf und sind oft das Resultat von Erfindungen und Verbesserungsvorschlägen. Dabei kommt für diesen Innovationstypus allen mit dem Produkt und dem Produktionsprozess befassten oder verbundenen Personen, also neben Ingenieuren und Arbeitern auch Lieferanten und Kunden, eine hohe Bedeutung zu. Verbesserungsinnovationen treten häufig im Zusammenhang mit Kapazitätserweiterungen und der Qualitätssteigerung von Produkten und Dienstleistungen auf. Obwohl der kumulierte Effekt dieser Innovationen vor allem für das Produktivitätswachstum und damit auch für die Realisierung von Effizienzsteigerungen sehr wichtig ist, gehen aus einer einzelnen Verbesserungsinnovation keine bedeutenden Veränderungen hervor. Oft werden deswegen inkrementale Innovationen gar nicht als Innovationen wahrgenommen.
2. Radikale Innovationen bzw. Basisinnovationen sind solche, welche Möglichkeiten für die Entstehung und die Entwicklung neuer Märkte eröffnen und Investitionsschübe auslösen. Sie treten diskontinuierlich sowie in wechselnden Branchen auf und sind meist, aber nicht ausnahmslos das Ergebnis von gezielten Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen. Es kann sich dabei durchaus um eine Kombination aus Produkt-, Prozess- und organisatorischen Innovationen handeln. 70 Innerhalb einer Branche und in lokal begrenztem Umfang können sie gravierende Auswirkungen haben und durchaus Strukturwandel bewirken. Auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene sind sie jedoch nur dann spürbar, wenn ein ganzes Bündel von miteinander verknüpften radikalen Innovationen auftritt und etwa zur Entstehung einer neuen Industrie führt. 3. Der Wandel eines Technologiesystems bezeichnet weitreichende technologische Veränderungen, von denen eine ganze Reihe von Branchen oder sogar die Gesamtwirtschaft betroffen ist. Auch die Entstehung völlig neuer Märkte und Industrien ist eine mögliche Folge. Ein solcher Systemwandel basiert auf einer Kombination von radikalen sowie inkrementalen Innovationen, die in Verbindung mit organisatorischen und das Management betreffende Innovationen auftreten und nicht lediglich ein Unternehmen oder eine geringe Anzahl von Unternehmen erfassen. 4. Der Wechsel eines technisch-ökonomischen Paradigmas bezeichnet die technologische Revolution im Sinne Schumpeters. 71 Ein bestehendes Freeman, C./Perez, C. (1988), S. 45-47. Steigende technologische Komplexität von Produkten/lnnovationen und die zunehmende Bedeutung von Technologiesystemen sind Trends, welche in den vergangeneo Jahren immer mehr Branchen erfasst haben. Siehe dazu ausführlich Rycroft, R. W./Kash, D. E. (1999). 69
70
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C. Evolutorischer Wettbewerb
technologisches Regime, d. h. die bezüglich bestimmter Aufgaben oder Probleme allgemein anerkannte und deswegen vorherrschende Art der Anwendung und des Einsatzes technischer und ökonomischer Mittel, wird abgelöst. Ein solcher Wandel erfasst nach und nach die gesamte Wirtschaft und führt zu einem nachhaltigen StrukturwandeL Neue Industrien, neue Produkte und Dienstleistungen entstehen, bestehende Industrien, Produkte und Dienstleistungen verschwinden. Eine Vielzahl von miteinander korrespondierenden radikalen und inkrementalen Innovationen sowie der Wechsel in unterschiedlichen Technologiesystemen befördert den Prozess des Wandels eines bestehenden technisch-ökonomischen Paradigmas. Dieses Beispiel für eine Taxonomie von Innovationen veranschaulicht, dass die "ökonomische Signifikanz" von Innovationen eine wesentliche Dimension des Innovationsbegriffes darstellt, die jedoch in den entsprechenden Ausführungen zur Frage der Definition von "Innovationen" im vorangegangenen Abschnitt a) zunächst zurückgestellt wurde. Es verdeutlicht des Weiteren, in welcher Weise sich die unterschiedliche "ökonomische Signifikanz" von im Wettbewerb getätigten Innovationen auf die Entwicklung von Bedarfsmärkten und auf die ökonomische Entwicklung einer Gesamtwirtschaft auswirken kann. Eine allgemeingültige Definition unterschiedlicher Innovationstypen oder Qualitäten von Innovationen, die für die Bewertung respektive Messung der "ökonomischen Signifikanz" von Innovationen herangezogen werden könnte, existiert hingegen nicht. 72 Als Hintergrund und für die Einordnung der folgenden Ausführungen zu den Kennzeichen des Wettbewerbs in der Bedarfsmarkt-Entwicklung ist das dargelegte Beispiel deswegen wesentlich.
II. Zeitlich und räumlich differenzierte Kennzeichen des "evolutorischen Wettbewerbs" Phasen- und Stadienkonzepte stellen im Wesentlichen Verknüpfungen, Abwandlungen und Erweiterungen von Elementen neoklassischer Theorien dar, insbesondere der Marktformenlehre und Preistheorie sowie der Wachstumstheorie. Dabei lösen sich entsprechende Ansätze mehr oder weniger weitreichend aus dem Rahmen neoklassischer Annahmen. Dies gilt insbesondere in Bezug auf das Verhalten, aber auch hinsichtlich der Faktoren "Zeit" und "Raum". Phasen- und Stadienkonzepte können jedoch nicht als originäre Ausgangsbasis oder als Nukleus der modernen evolutorischen 71 Zum Innovationsverständnis Schumpeters siehe den vorangegangenen Abschnitt a): "Innovation" und "Innovationsprozess". 72 Kline, S. J./Rosenberg, N. (1986), S. 279-285. Siehe zur Messproblematik allgemein Schwitalla, B. (1993), S. 10-14 sowie S. 20 ff. und Grupp, H. (1997).
II. Zeitlich und räumlich differenzierte Kennzeichen
81
Ökonomik betrachtet werden. Denn in ihren Modellen begreifen sie die ökonomische Entwicklung als zyklischen Ablauf. Dieser wird mit Hilfe einer Reihe verschiedener, idealtypisch und damit allgemeingültig definierter, Entwicklungszustände beschrieben. Insofern behalten die klassischen Phasen- und Stadienkonzepte im Prinzip die statische Sichtweise der Wirtschaft bei. Erst aus der Aneinanderreihung der unterschiedenen Zustandsbeschreibungen ergibt sich eine Quasi-Dynamisierung. Die Unterscheidung von Phasen und Stadien respektive einer Anzahl charakteristischer Kombinationen von Merkmalen und Merkmalsausprägungen ist im Wesentlichen das Resultat historisch-empirischer Betrachtungen der wirtschaftlichen Entwicklung sowie der Entwicklung von Märkten. Die historisch-empirische Basis der entsprechenden Ansätze ermöglicht es zwar, Märkte und Räume in der zeitlichen Perspektive zu analysieren und zu erklären. Zugleich stellt sich dabei aber die Frage der Verallgemeinerungsfähigkeit der Aussagen. Aufgrund dessen haben die Lebenszykluskonzepte weder den Rang noch den Grad der Geschlossenheit der Gleichgewichtstheorie erlangen können. 73 Für die Erklärung der Vielfalt von Entwicklungsprozessen, die sich in der Realität ergeben, bietet das Instrumentarium der klassischen Lebenszykluskonzepte nur einen begrenzten Spielraum. Eine geschlossene Theorie der Evolution, welche für die Kennzeichnung des Entwicklungsstandes und Entwicklungsfortschritts von Märkten und Räumen herangezogen werden könnte, existiert jedoch bisher nicht. Im Folgenden werden die wesentlichen in der phasen- und stadientheoretischen Literatur unterschiedenen Merkmalskategorien und Merkmalsausprägungen thematisiert, welche flir die abstrahierende Beschreibung und idealtypische Differenzierung unterschiedlicher Zustände der Wirtschaft herangezogen werden können. Die für die verschiedenen Phasen und Stadien im Rahmen dieser Ansätze definierten Merkmalskombinationen werden zwar als Ausgangspunkt und die idealtypisch unterstellte zeitliche Abfolge von verschiedenen Merkmalskombinationen als "normaler" Phasen- bzw. Stadienablauf angesehen. Allerdings wird die in den entsprechenden Konzepten in der Literatur angenommene Abfolge der Phasen nicht mehr als zwingend erachtet.74 Die reale Evolution der Wirtschaft kann sich - übertragen auf die Begriffswelt der Phasen- und Stadienkonzepte - vielmehr in der Weise darstellen, dass auf eine Merkmalskombination, die beispielsweise für die späte Expansionsphase kennzeichnend ist, nicht eine solche Merkmalskombination folgen muss, welche für die Reifephase steht. Auf demselben Bedarfsmarkt kann stattdessen eine Merkmalskombination relevant sein, wel73 Eine kritische Bestandsaufnahme zur Theorie des Produktlebenszyklus sowie Überlegungen hinsichtlich möglicher Verbesserungen findet sich z. B. bei Tichy, G. (1991), S. 27- 54. 74 Siehe dazu Eichner, S. (1997), S. 39 ff.
6 Eichner
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ehe für die frühe Expansionsphase oder für die Experimentierungsphase repräsentativ ist, mit entsprechenden Konsequenzen für die Form des Wettbewerbs bzw. der Wettbewerbsführung.75 Der Fokus ist in den sich anschließenden Ausführungen folglich darauf gerichtet, das Instrumentarium der idealtypischen Unterscheidung von Merkmalen und Merkmalsausprägungen für die Identifikation unterschiedlicher Wettbewerbsformen bzw. Formen des "evolutorischen Wettbewerbs" in der Entwicklung von Bedarfsmärkten zu nutzen. Die übliche Logik der Phasen- und Stadienkonzepte, welche in der als allgemeingültig unterstellten zeitlichen Abfolge von Merkmalskombinationen bzw. Phasen und Stadien respektive der Zyklizität der Entwicklung von Produktmärkten und von Räumen oder Regionen besteht, wird verlassen. 76 1. Das Verhalten als Bestimmungsfaktor
Bei der nachfolgenden Differenzierung der Kennzeichen des "evolutorischen Wettbewerbs" vor dem Hintergrund des Phasenkonzepts der Bedarfsmarkt-Entwicklung wird zunächst das "Verhalten" als Merkmalskategorie bzw. Bestimmungsfaktor betrachtet, bevor sich die Untersuchung auf die phasenspezifische Bedeutung von verschiedenen "Inputfaktoren" für den Wettbewerb und zum Abschluss auf "räumliche Aspekte" der Bedarfsmarkt-Entwicklung und des Wettbewerbs richtet. a) Unternehmertypen und Innovation in den Phasen der Bedarfsmarkt-Entwicklung
Im Phasenkonzept der Produktmarkt-Entwicklung werden vier Unternehmertypen unterschieden.77 Damit knüpft es an Schumpeter an, der jedoch lediglich zwei Typen von Unternehmern differenziert hat, nämlich den dynamischen "Unternehmer" und den für die Kreislaufwirtschaft kennzeichnenden "Wirt". 78 Die Unternehmertypen des Phasenkonzepts zeichnen sich vor allem durch ihr jeweils spezifisches Innovationsverhalten aus. Ihre Unterscheidung ergibt sich aus den verschiedenen Phasen, die für den Ablauf 75 Siehe dazu oben Kapitel C.II.2: "Das Phasenkonzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung". 76 Für die differenzierte Unterscheidung des Konzepts der Bedarfsmarkt-Entwicklung von den klassischen Konzepten der Produktmarkt-Entwicklung siehe oben Kapitel C.l: "Das Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung als Analyserahmen für den evolutorischen Wettbewerb", insbesondere Kapitel C.I.2: "Das Phasenkonzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung". 77 Vgl. im Folgenden Heuss, E. (1965), S. 25 ff. und Eichner, S. (1997), S. 33 ff. 78 Schumpeter, 1. A. (1911).
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der Marktentwicklung kennzeichnend sind. Im Zusammenhang mit den Ausführungen zum Phasenkonzept der Produktmarkt-Entwicklung wurde dieser Ablauf bereits zusammenfassend dargelegt.79 Im Einzelnen handelt es sich erstens um die Gruppe der "initiativen Unternehmer", dies sind zum einen die "Pionierunternehmer" und zum anderen die "spontan imitierenden Unternehmer". Das Handeln der "initiativen Unternehmer" zielt auf eine wesentliche und mitunter revolutionierende Veränderung der Gegebenheiten auf Märkten durch Schaffung und Verbreitung von Neuem. Zweitens umfasst die Typologie die Gruppe der "konservativen Unternehmer", welche sich aus den "unter Druck reagierenden Unternehmern" und den "immobilen Unternehmern" zusammensetzt. Diese stehen für ein Handeln, welches darauf gerichtet ist, die bestehenden Marktgegebenheiten und das Althergebrachte dauerhaft zu erhalten bzw. zu "konservieren". Das Innovationsverhalten dieser Unternehmertypen ist wie folgt zu charakterisieren und in das Phasenkonzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung einzuordnen: 80 1. ,,Pionieruntemehmer": Sein Bestreben ist auf die Entdeckung von
Neuem, bisher Unbekanntem gerichtet. Er stellt den Unternehmertypus dar, der einen neuen Markt kreiert oder als "kreativer Unternehmer" ökonomisch signifikante Produkt- und Prozessinnovationen auf bestehenden Märkten durchsetzt und er ist deswegen der typische Repräsentant der "Experimentierungsphase". Auf ausgereiften Märkten bzw. bereits ab der späten Expansionsphase ist die Durchsetzung von signifikanten Neuerungen aufgrund der hohen Markttransparenz und der Dominanz anderer Unternehmertypen sehr schwierig. In der frühen "Experimentierungsphase" wird es zwischen den "Pionierunternehmern" erst einen intensiven Wettlauf um die Kreation eines neuen Produktes geben, bevor es im weiteren Verlauf der "Experimentierungsphase" darum geht, wer als erster mit einem neuen Produkt auf den Markt tritt bzw. die Dinge soweit vorantreibt, dass es zur Selbstzündung des neuen Marktes kommt. Das Handeln des Pioniers ist kreativ, intuitiv sowie spontan. Er zeichnet sich durch ein hohes Maß an Risikobereitschaft aus und ist deswegen "Unternehmer" im Sinne Schumpeters. Als Handlungsmotive sind in erster Linie das Streben nach Macht sowie der Erfolg um des Erfolges willen zu nennen. Das Gewinnmotiv ist für diesen Typus dagegen nicht zwingend von zentraler Bedeutung. Es äußert sich aber im Erfolgsstreben, sofern der Unternehmertypus den Gewinn als Erfolgsindikator betrachtet. In einer realen Wirtschaft wird dies in der Regel der Fall sein.
79 80
6•
Siehe Kapitel C.I.l: "Das Phasenkonzept der Produktmarkt-Entwicklung". Heuss, E. (1965), S. 6 ff., insbesondere S. 10 sowie S. 105 ff.
84
C. Evolutorischer Wettbewerb
2. "Spontan imitierender Unternehmer": Er wird die Neuerungen des Pioniers bzw. des kreativen Unternehmers übernehmen bzw. nachahmen. Der "spontan imitierende Unternehmer" erkennt und nutzt die neuen Möglichkeiten unmittelbar nach deren Bekanntwerden und er sorgt durch sein Verhalten vor allem dafür, dass das neu eingeführte Produkt rasch in der Tiefe (Kreation und Vervollkommnung) und der Breite (Diffusion) des Marktes Anwendung findet. Auf diese Weise wirkt der Eintritt von "Imitatoren" in den Markt des "Pionierunternehmers" konkurrenzfördernd und als Katalysator für die Marktentwicklung. Denn als Folge des anhaltenden Zustroms von "Imitatoren" in der frühen Expansionsphase, kommt es zu einer beschleunigten und umfassenden Weiterentwicklung bei Produkten und Verfahren. Die Imitatoren bewirken infolgedessen eine viel raschere Ausweitung und Ausschöpfung des neuen Marktes, als dies der Fall wäre, wenn nur Unternehmer vom Typus Pionierunternehmer auf dem entsprechenden Markt präsent wären. In der "späten Expansionsphase" setzt gemäß der idealtypischen Sicht als Folge der Annäherung an die Grenzen des Marktpotenzials und des daraus resultierenden scharfen Preiswettbewerbs jedoch in der Regel ein Konzentrationsprozess ein, in dessen Folge die Zahl der Anbieter deutlich absinkt. Damit verengt sich sowohl der markt- als auch der konkurrenzbedingte Handlungsspielraum für alle auf dem Markt vertretenen Anbieter bzw. Unternehmertypen. Während die rasche Ausschöpfung der vorhandenen Möglichkeiten durch die "spontan imitierenden Unternehmer" in der "frühen Expansionsphase" die Marktentwicklung beschleunigt, sorgt das gleiche Verhalten in der "späten Expansionsphase" und der "Ausreifungsphase" für eine weitere Verengung des marktbedingt ohnehin kleiner gewordenen Spielraums für unternehmerisches Handeln. Der "spontan imitierende Unternehmer" ist kein "Unternehmer" im Sinne von Schumpeter, er hat jedoch ähnliche Eigenschaften. Bei seinem Eintritt in den neuen Markt, stellt sich der Markt trotz der Pioniertätigkeit noch als Neuland dar, so dass auch der "spontan imitierende Unternehmer" eine gewisse Risiko- und Veränderungsbereitschaft zeigen muss. Er zeichnet sich darüber hinaus durch ein hohes Maß an Flexibilität, Initiative und Spontaneität aus. 3. "Unter Druck reagierender Unternehmer" ("Reagierer"): Er übernimmt Neuerungen erst dann, wenn sie auf dem Markt bereits einen hohen Reife- und Verbreitungsgrad erreicht haben und er sich durch den Wettbewerb dazu gezwungen sieht. Im Unterschied zum "spontan imitierenden Unternehmer" ist das Innovationsverhalten des "Reagierers" damit defensiv, verteidigend. Er agiert und gestaltet nicht, sondern er reagiert und passt sich an unausweichliche Veränderungen auf dem Markt bzw.
II. Zeitlich und räumlich differenzierte Kennzeichen
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an seine Unternehmensumwelt an. Für ihn stellen sich, annähernd so, wie in der Gleichgewichtstheorie unterstellt, Kosten, Nachfrage und Produkt als kaum veränderliche Gegebenheiten dar. Deswegen ist sein Handeln darauf gerichtet, in der als gegeben angesehenen Marktsituation das Beste für sich zu erreichen, d. h. er orientiert sich am Ziel einer möglichst hohen Effizienz seines Unternehmerischen Tuns. Eigenes Experimentieren und das Einschlagen noch ungenügend gesicherter Wege liegen ihm fern, weil er nicht über die nötige Risikobereitschaft verfügt. Er bewegt sich vorzugsweise im Rahmen der bekannten Routinen, weswegen sein Handeln am ehesten dem des "Wirts" im Sinne Schumpeters entspricht. Durch sein zögerliches Verhalten bei der Übernahme von Innovationen schafft der "Reagierer" speziell in den späten Phasen der Marktentwicklung, in welcher die marktbedingten Handlungsspielräume weitestgehend ausgeschöpft sind, konkurrenzbedingte Handlungsspielräume für "initiative Unternehmer". Es hängt jedoch vom Marktverhalten der den Markt in diesem Abschnitt der Entwicklung dominierenden konservativen bzw. etablierten Unternehmer ab, ob und inwieweit sich "initiative Unternehmer" mit ihren Neuerungen gegenüber den konservativen Kräften tatsächlich durchsetzen können. Denn bedingt durch die für die Reifephase typische hohe Markttransparenz ist es den letztgenannten leicht möglich, sich oligopolistisch zu verhalten. Sie können deswegen eher wettbewerbsbeschränkendes Verhalten durchsetzen und zu einer Politik der festen Preisrelationen übergehen. In letzter Konsequenz kann dies zur Ausschaltung wirksamen Preiswettbewerbs führen. Damit Neuerungen auf einem solchen Markt zum Tragen kommen können, ist deswegen auch eine genügende Anzahl "spontan imitierender Unternehmer" erforderlich, welche durch rasche Imitation von eingeführten Neuerungen einen ausreichenden Anpassungsdruck für die konservativen Unternehmer erzeugen. 4. ,Jmmobiler Unternehmer": Er steht Neuerungen sowie generell Veränderungen ablehnend gegenüber und aufgrund seiner fehlenden Anpassungsbereitschaft oder -fähigkeit muss er früher oder später aus dem Markt ausscheiden. Das Vorhandensein dieses Unternehmertypus vergrößert speziell in der Stagnations- und Rückbildungsphase den Handlungsspielraum für die übrigen Unternehmen bzw. Unternehmertypen und vor allem für "initiative Unternehmer". Mit seinem Ausscheiden fallt dessen Marktanteil an die verbleibenden Unternehmen. Die Produktion letztgenannter kann dadurch bedingt aufrecht erhalten oder sogar noch einmal gesteigert werden, obwohl die Grenzen der Marktentwicklung und des mengenmäßigen Wachstums der Produktion bereits erreicht sind. Weil der "immobile Unternehmer" weder agiert noch rea-
86
C. Evolutorischer Wettbewerb
giert, sondern sich vielmehr in eingefahrenen Bahnen bewegt, ist er letztlich nur in einer stationären Wirtschaft auf Dauer lebensfähig. Während die Pioniere und die kreativen Unternehmer für den vorstoßenden Wettbewerb stehen, sind es die spontan imitierenden und mit Einschränkungen auch die unter Druck reagierenden Unternehmer, welche die nachstoßenden Wettbewerber darstellen. Sieht man von der Experimentierungsphase und vom Pionierunternehmertypus ab, können alle genannten Unternehmertypen in jeder Phase der Entwicklung des Bedarfsmarktes parallel auftreten. Obwohl die Häufigkeit ihres Auftretens phasenspezifisch bzw. in Abhängigkeit vom konkreten Verlauf der Entwicklung variieren wird, ist in der idealtypischen Betrachtungsweise dennoch in jeder Phase ein anderer Verhaltenstypus dominant. So steht, wie dargelegt, der Pionier für die Experimentierungsphase, das dem spontan imitierenden Unternehmer entsprechende Verhalten für die Expansionsphase und das für den unter Druck reagierenden Unternehmer charakteristische Verhalten für die Phase der Ausreifung. In der Stagnations- und Rückbildungsphase ist für die Unternehmen oftmals ein immobiles Verhalten kennzeichnend. Die phasenspezifische Zuordnung der Unternehmertypen und der entsprechenden Form des Wettbewerbs fasst Tabelle 3 zusammen. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass die Entwicklung des Bedarfsmarktes am Ende der Expansionsphase im Wesentlichen bereits abgeschlossen ist. Eine erhebliche Nachfrageausweitung steht nicht mehr bevor. Die ökonomische Tragweite von Verbesserungs- und Verfahrensinnovationen wird in der Regel nur noch gering sein. Signifikante Effizienzsteigerungen werden kaum noch realisiert. Bedeutende Produktivitätsfortschritte werden nicht mehr erzielt, der Spielraum für Preissenkungen ist sehr gering geworden. Wesentliche positive Beschäftigungseffekte, wie sie insbesondere in der frühen Expansionsphase im Zuge des raschen Aufbaus von Produktionskapazitäten zu verzeichnen sind, können nicht mehr erwartet werden.81 Bezüglich der Markt- bzw. Wettbewerbsrelevanz der von den dominierenden Unternehmertypen eingesetzten Inputfaktoren und des Verhaltens der Konkurrenten kommt es nur noch zu marginalen Veränderungen. Infolgedessen ist die Markttransparenz hoch und dies ermöglicht es den Unternehmen, sich konservativ zu verhalten. Setzt sich auf einem Markt der konservative Unternehmertypus durch, dann tritt die Bedarfsmarkt-Entwicklung in die Ausreifungs- und in die Stagnations- bzw. Rückbildungsphase. Die "ökonomische Entwicklungsqualität" des Wettbewerbs der vor- und nachstoßende Wettbewerb kann auch dann noch eine hohe Prozessqualität bzw. Intensität haben82 - ist in diesem Fall nur noch gering. 81 Siehe für die zeitliche Entwicklung der Beschäftigung auf Produktmärkten ergänzend Tether, B. S./Storey, D. J. (1998), S. 947 ff., insbesondere S. 948-950.
II. Zeitlich und räumlich differenzierte Kennzeichen
87
Tabelle 3 Phasenspezifische Dominanz von Unternehmertypen und Wettbewerb
Marktphase
Unternehmertypus
Wettbewerbsergebnis
Experimentierung
Pionierunternehmer
Entwicklung
Frühe Expansion
Spontan imitierender (z. T. auch Pionier-)Unternehmer
Entwicklung/ Anpassung
Späte Expansion
Spontan imitierenAnpassung der (z. T. auch unter Druck reagierender) Unternehmer
Ausreifung
Unter Druck reagie- Anpassung render Unternehmer
Stagnation
Unter Druck reagierender (z. T. auch immobiler) Unternehmer
Anpassung
Rückbildung
Immobiler Unternehmer
Untergang
Zentrale Wettbewerbsparameter Funktionalität/ Qualität
Preis/Kosten
Quelle: Eigene Darstellung auf der Basis von Eichner, S. (1997), S. 33 ff.
b) Allgemeine Motiv- und Verhaltenstypologie von Wirtschaftssubjekten
Im Unterschied zu den Darstellungen im Rahmen des Phasenkonzepts der Produktmarkt-Entwicklung wird der Prozess der Bedarfsmarkt-Entwicklung nicht nur mit unterschiedlichen, sich im Zeitablauf ablösenden Verhaltensmustern der miteinander konkurrierenden Unternehmen auf der Angebotsseite erklärt. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass auch auf der Nachfrageseite (Unternehmen und Haushalte) verschiedene Motivlagen und Verhaltensmuster existieren und dass sich das Verhalten der Nachfrager im Zeitablauf ebenfalls in eine bestimmte Richtung verändert, d. h. tendenziell konservativ bzw. neuerungsavers wird. 83 Erst das Wechselspiel der Verän82 Siehe dazu ausführlich Kapitel C.l.3., Abschnitt b) "Prozess- und ökonomische Entwicklungsqualität" des Wettbewerbs und "ökonomische Signifikanz" von Innovationen. 83 Siehe Amdt, H. (1992), S. 26 ff. und S. 39 ff. sowie insbesondere auch Eichner, S. (1997), S. 33-48.
88
C. Evolutorischer Wettbewerb
derungen, welche auf der Nachfrage- und auf der Angebotsseite auftreten und in Austausch- sowie Parallelprozessen wirksam werden, bewirkt den Prozess der ökonomischen Entwicklung. 84 Dies ist ohne weiteres einsichtig, wenn z. B. daran gedacht wird, dass es einem Pionierunternehmer nur gelingen kann, einen Markt für ein völlig neues und unbekanntes Produkt zu erschließen, sofern es Nachfrager gibt, die bereit sind, ein solches neues, noch keineswegs ausgereiftes Produkt, zu erwerben. Folglich geht nicht nur der Pionierunternehmer mit seiner Neuerung ein großes Wagnis ein, sondern auch der Nachfrager, denn er verfügt bei seiner Kaufentscheidung noch nicht über die nötigen Informationen, um z. B. das Preis-Leistungsverhältnis des Produktes rational bewerten zu können. Angesichts des Mangels an alternativen und damit vergleichbaren Angeboten, gehen in diesem Fall die entscheidenden Impulse auch nicht vom Preis und den Kosten aus, sondern von funktionalen, qualitativen Merkmalen des Gutes oder der Leistung, welche in dieser Kombination neu sind. 85 In den späteren Phasen der Bedarfsmarkt-Entwicklung, z. B. im letzten Abschnitt der Expansionsphase, stellt sich die Situation für die Unternehmer ganz anders dar. Der Wettbewerb wird vor allem unter Kosten- und Preisgesichtspunkten geführt. 86 Angesichts der stabilen Umwelt und der damit verbundenen hohen Erwartungssicherheit dominiert ökonomisches Rationalverhalten im Sinne des von Schumpeter beschriebenen "Wirtes". 87 Qualitative Merkmale des Produktes treten in ihrer Bedeutung hinter den Preis zurück. Für die Nachfrager sind der Markt, die Produkte, ihre Merkmale und Preise transparent und es bestehen zahlreiche gleichartige und ähnliche Angebote zur Deckung ihres Bedarfes, was Entscheidungen auf der Grundlage des rationalen, ökonomischen Kalküls ermöglicht, aber nicht erzwingt. Vor dem Hintergrund des stark ausdifferenzierten Angebotes in den späten Phasen der Bedarfsmarkt-Entwicklung können auch andere Motive handlungsleitend sein, z. B. der Kauf aus Gründen des Prestiges, des sozialen Bewusstseins, der Mode oder auch der Gewohnheit. 88 84 Siehe oben Kapitel C.l.2: "Das Phasenkonzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung"; vgl. zum Zusammenhang von Austausch- und Parallelprozessen (Wettbewerb im weiten und im engeren Sinne) Hoppmann, E. (1968), S. 39-43 sowie Eichner, s. (1997), s. 28 ff. 85 Vgl. dazu Krüsselberg, H.-G. (1965), S. 138 ff., insbesondere S. 138. Siehe auch oben Tabelle 3: "Phasenspezifische Dominanz von Unternehmertypen und Wettbewerb". 86 Siehe oben Tabelle 3: "Phasenspezifische Dominanz von Unternehmertypen und Wettbewerb". 87 Siehe zur Beschreibung des rationalen "Wirtes" und des "Unternehmertypus" ausführlich Schumpeter, J. A. (1911), S. 117-139, insbesondere S. 134. 88 Eichner, S. (1997), S. 33 ff., insbesondere S. 37 und S. 46.
II. Zeitlich und räumlich differenzierte Kennzeichen
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Abweichend von der neoklassischen Vorstellung, die bei allen Wirtschaftssubjekten Rationalverhalten im Sinne des "homo oeconomicus" unterstellt,89 sind deswegen in einer entwicklungstheoretischen Sicht unterschiedliche Motivationen als handlungsleitend für die wirtschaftenden Individuen in Betracht zu ziehen. In der ökonomischen Literatur finden sich vereinzelt Versuche, verschiedene Motive und daran geknüpfte Verhaltensweisen idealtypisch zu unterscheiden und in die ökonomische Theorie zu integrieren. 90 Differenziert werden können beispielsweise folgende Motiv- und Verhaltenstypen: 91 1. Der "homo oeconomicus", mit seinem ökonomischen bzw. zweckratio-
nalen und egoistischen Verhalten, wie ihn auch die neoklassische Theorie beschreibt;
2. der "homo ludens", den sein risiko- bzw. wagnisfreudiges Verhalten auszeichnet und der praktisch mit dem oben beschriebenen Pionierunternehmer identisch ist; 3. der "homo faber", der die technisch perfekte Realisierung einer überindividuell bedeutsamen Sache, deren Notwendigkeit sich für ihn rein subjektiv ergibt, aus Schaffensfreude anstrebt und den man sich in der Gestalt eines Erfinders verkörpert vorstellen kann; 4. der "homo socialis", dessen Handeln nicht nur auf die eigene Existenzsicherung gerichtet ist, sondern zugleich ebenso auf die Sicherung der Existenz der Gemeinschaft und der sich folglich - ähnlich wie Typ 3. in den Dienst eines überindividuellen Zieles stellt; 5. der "homo arripiens", dessen Handeln nicht geplant ist, sondern sich aus Reflexen bzw. plötzlich entstehenden Bedürfnissen ergibt, welche von wechselnden Umweltbedingungen hervorgerufen werden. Dieser 89 Siehe dazu die nachfolgend beschriebene Charakterisierung dieses Motiv- und Verhaltenstypus. Rationalverhalten bzw. der "homo oeconomicus" wird hier im Übrigen mit Schumpeters "Wirt" gleichgesetzt. Siehe dazu Schumpeter, J. A. (1911), S. 117 ff., insbesondere S. 134. 90 Becker, Gerhard (1961), S. 163-198. Erste Überlegungen zu einer solchen differenzierten Betrachtung des Verhaltens der Marktteilnehmer finden sich jedoch auch schon in früheren Publikationen, z.B. bei Pütz, Th. (1948), S. 241- 247. In der jüngeren Literatur hat Albert dargelegt, dass Fortschritte in der ökonomischen Theorie maßgeblich davon abhängig sind, inwieweit es gelingt, die verhaltensbestimmenden Motivstrukturen der Wirtschaftssubjekte besser zu verstehen und die entsprechenden Erkenntnisse in die ökonomische Theorie zu integrieren. Wie Becker erkennt auch er, dass für diesen Zweck Erkenntnisse aus der Psychologie nutzbar gemacht werden können. Vgl. Albert, H. (1988), S. 573-602, insbesondere S. 599. 91 Eichner, S. (1997), S. 36-39. Die Typologie wurde von Becker erarbeitet. Becker, Gerhard (1961), S. 167 ff.
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C. Evolutorischer Wettbewerb
Typus ist als Vertreter einer Überflussgesellschaft denkbar, in der die Existenzsicherung, entsprechende Bedürfnisse und das rationale, planmäßige Vorgehen nur eine untergeordnete Bedeutung haben; 6. der "homo anxius", der ebenso unplanmäßig und reflexhaft handelt, allerdings aus einer gesellschaftlichen Situation heraus, in der sich Möglichkeiten für die Bedürfnisbefriedigung nur sporadisch ergeben, wie etwa in Zeiten eines Notstandes; 7. der "homo traditionalis", der ebenso wenig ökonomisch bzw. effizient wirtschaftet, weil er sich bei seinem Handeln von tradierten Zielen und Verhaltensregeln leiten lässt, die jedoch in der gegebenen Situation nicht mehr problemadäquat sind; 8. der "homo institutionalis", dessen Handeln sich an den Normen eines Sozialgebildes, etwa eines Unternehmens, eines Verbandes oder einer Behörde orientiert und welches ebenso wie beim Typus 7. der Gewohnheit bzw. vereinfachten und verallgemeinerten Verhaltensregeln folgt; sein Handeln ist deswegen tendenziell nicht problemadäquat bzw. ineffizient.92 In den Typen 7. und 8. findet sich der "unter Druck reagierende" und der "immobile Unternehmer" der im vorangegangenen Abschnitt dargelegten Unternehmertypologie wieder. 93 Während das Handeln der Typen 1. bis 7. das Ergebnis ihrer freien Entscheidung, d. h. selbstbestimmt bzw. "innengeleitet" ist, liegt beim Typus 8. Außenleitung vor. Sein Handeln ist nicht Ausdruck selbständiger Entscheidungen, sondern die Folge des Wirksamwerdens äußerer Determinanten, die sich aus seiner Zugehörigkeit zu einem sozialen Gebilde bzw. zu einer Institution oder Unternehmung ergeben. Um die Zugehörigkeit nicht zu verlieren, ist er an die Befolgung der Regeln der entsprechenden Einrichtung gebunden. 94 Als weitere außengeleitete Typen sind zu unterscheiden: 9. Der "homo adaptans", dessen Verhalten der Mode bzw. allgemeinen gesellschaftlichen Konventionen folgt und der damit Konformität anstrebt; 10. der "homo ambitiosus", für den sein Geltungsdrang, gesellschaftliches Ansehen sowie die sich kurzfristig ergebene Möglichkeit zur Nachahmung und Übertrumpfung anderer handlungslenkend sind und 11. der "homo alimentarius", für den ein übertriebenes Sicherheitsstreben kennzeichnend und dessen Verhalten an den Möglichkeiten ausgerichtet Becker, G. (1961), S. 167-172. Vgl. Heuss, E. (1965), S. 105 ff. und übereinstimmend Becker, G. (1961), s. 180-181. 94 Becker, G. (1961), S. 164 und S. 172. 92 93
II. Zeitlich und räumlich differenzierte Kennzeichen
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ist, Aufgaben und Kosten seiner Daseinserhaltung und -vorsorge auf die Allgemeinheit bzw. auf den Staat abzuwälzen.95 Dieser zuletzt genannte Typus weist Übereinstimmungen mit dem oben beschriebenen immobilen Unternehmertypus auf, welcher in den späten Phasen der Ausreifung sowie der Stagnation und Rückbildung in Erscheinung tritt. 96 In der Abbildung 6 wurden diese Motiv- und Verhaltenstypen, analog zur Unternehmertypologie des Konzepts der Produktmarkt-Entwicklung, den verschiedenen Entwicklungsphasen zugeordnet. 97 Ein Typus hat dort keine Berücksichtigung gefunden: Der "homo anxius" stellt einen Motiv- und Verhaltenstypus dar, der lediglich in wirtschaftlichen Krisenzeiten bedeutsam wird. Seine Handlungen orientieren sich an der allgemeinen Knappheit von Gütern und Leistungen und an den deswegen nur sporadisch auftretenden Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung. Er stellt somit einen Sonderfall dar, der hier nicht näher betrachtet werden soll. Der Typus "homo faber", dessen Verhalten von Schaffensfreude geprägt ist und der am ehesten den Typus des Erfinders verkörpert, fällt eigentlich auch aus dem in der Abbildung 6 dargestellten Rahmen des Phasenschemas heraus. 98 Denn die Entwicklung beginnt dort - im Sinne der dynamischen Markttheorie bzw. des Konzepts der Produktmarkt-Entwicklung99 - mit der Kreation eines Marktes, also mit der Innovation, und nicht mit der ihr vorausgehenden Invention bzw. Kreation eines neuen Produktes oder einer neuen Leistung. 100 In der Realität werden beide Schritte oft nicht exakt voneinander abzugrenzen sein, weil sie unternehmensintern erfolgen und es innerhalb des Innovationsprozesses Rückkoppelungen zwischen Forschung, Entwicklung und Innovation gibt. 101 Hecker, G. (1961), S. 172-174. Auf die Neigung der Unternehmen, sich in dieser Weise in den späten Marktphasen zu verhalten, weist z. B. auch Albach hin. Vgl. Albach, H. (1981), S. 97-98. 97 Eichner, S. (1997), S. 39 ff., insbesondere S. 47. 98 Siehe oben Abbildung 3: "Das Phasenkonzept der Produktmarkt-Entwicklung" in Kapitel C.l.l: "Das Phasenkonzept der Produktmarkt-Entwicklung". Die Phaseneinteilung des Konzepts der Bedarfsmarkt-Entwicklung stimmt mit der des Konzepts der Produktmarkt-Entwicklung in Bezug auf die erste sowie die letzten beiden Phasen überein. Siehe dazu auch unten Kapitel C, Abschnitt III: "Arbeitsweise und Wesen des evolutorischen Wettbewerbs", insbesondere auch Abbildung 13: "Vorund nachstoßender Wettbewerb in der Bedarfsmarkt-Entwicklung" und Abbildung 15: "Formen des ,evolutorischen Wettbewerbs ' in der Bedarfsmarkt-Entwicklung". 99 Siehe Heuss, E. (1965). 100 Vgl. Eichner, S. (1997), S. 37-38 und S. 45-46 sowie Heuss, E. (1965), s. 110 ff. 101 Siehe dazu auch die obigen Ausführungen im Zusammenhang mit dem "chainlinked-model" der Innovation in Kapitel C.l.3: "Innovation" und "Innovationsprozess". 95
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C. Evolutorischer Wettbewerb
Abbildung 6 veranschaulicht, dass in idealtypischer Sichtweise in den frühen Phasen bei Unternehmen und privaten Haushalten vornehmlich ein risikoorientiertes Verhalten prägend ist. Im Verlauf der Expansionsphase wird es jedoch parallel zur quantitativen und qualitativen Ausweitung des Angebots und der Nachfrage zu einer Ausdifferenzierung der Motive und des Verhaltens der Wirtschaftssubjekte kommen. Neben rein zweckrationalem Verhalten im Sinne des "homo oeconomicus" wird es andere - gemäß der neoklassischen Theorie "irrationale" - Verhaltensmuster geben, welche insbesondere auch in der Reifephase prägend sind. Im Verlauf der Reifephase kann zunehmend ein Verhalten auftreten, welches auf Regeln, Normen und Standards beruht, die sich in der vorangegangenen Zeit herausgebildet haben und nunmehr unverändert fortbestehen. Die damit verbundene Inflexibilität oder Starrheit des Verhaltens der Wirtschaftssubjekte schafft in zunehmendem Maße ein Klima, dass ökonomisch durchgreifende bzw. signifikante Innovationen behindert.
Die Folge davon ist der Übergang in die Phase der Stagnation, in der keine ökonomisch bedeutenden Innovationen mehr vorkommen, sondern allenfalls iterative bzw. marginale Veränderungen. Die Markttransparenz ist groß. Dies gilt nicht nur für die Produkte und Produktionstechnologien sowie sonstigen strukturellen Faktoren, sondern auch für das Verhalten der Wettbewerber und der Nachfrager. Die "Prozess- und ökonomische Entwicklungsqualität" des Wettbewerbs ist gering. Bedeutsam wird nun auch der Motiv- und Verhaltenstypus "homo alimentarius". Dies äußert sich beispielsweise darin, dass "konservative" Unternehmer für die eigene Existenzsicherung vom Staat verstärkt Subventionen fordern. Die Phase der geringen "ökonomischen Entwicklungsqualität" wird nur dann beendet, wenn erneut Pionierunternehmer bzw. "kreative Unternehmer" auftreten, denen es gelingt, ökonomisch signifikante Innovationen auf dem gegebenen Bedarfsmarkt durchzusetzen. 102 Auf diesem Wege wird die Markttransparenz wieder reduziert und die "Prozess- und ökonomische Entwicklungsqualität" des Wettbewerbs steigt. Denn die übrigen Unternehmen sind nunmehr gezwungen, ihre Suchaktivitäten zu intensivieren. Unternehmen, die sich diesen weitreichenden ökonomischen Veränderungen nicht anpassen können respektive deren Suchaktivitäten erfolglos bleiben, scheiden gegebenenfalls nicht nur aus dem Bedarfsmarkt aus. Vielmehr sind sie auch in ihrer Existenz bedroht. 103 102 Ein gutes Beispiel hierfür ist die Uhrenindustrie, welche sich in den frühen siebziger Jahren des vergangeneo Jahrhunderts bereits in der Rückbildungsphase befand. Mitte der siebziger Jahre setzte nämlich als Folge bahnbrechender Innovationen - die Einführung von Quarzuhren - ein steiler Aufschwung der Uhrenindustrie ein. Siehe Greif, S. (1998), S. 101 f. 103 Eichner, S. (1997), S. 28 ff., insbesondere S. 39 ff.
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....·············
Ausreifung
Stagnation und Rückbildung
homo oeconomicus zweckrationales, effizientes Verhalten homo socialis auf das Wohl der Gemeinschaft gerichtetes Verhalten homo ambitiosus ungeplantes, an Geltungsstreben, Ansehen ausgerichtetes Verhalten homo adaptans ungeplantes, Moden folgendes und auf Konformität ausgerichtetes Verhalten homo arripiens ungeplante, reflexhafte Handlungen (Überflussgesellschaft)
•.••···•·•··· .•.·••·•
homo institutionalis an den Nonnen von Institutionen, Unternehmen oder sozialen Gebilden orientiertes Verhalten homo traditionalis Einhaltung althergebrachter gesellschaftlicher Normen
Zeit
..
homo alimentarius will die Kosten der eigenen Existenzsicherung auf die Allgemeinheit abwälzen
· · · · ··· · · · · · · · · ···· · · ···· · ······· · · · · · ···········=·=·=·=·=·=·=·~
Späte Expansion
Abb. 6: Motive und Verhalten von Wirtschaftssubjekten in der Bedarfsmarkt-Entwicklung
Quelle: In Anlehnung an Eichner, S. (1997), S. 47.
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B
Frühe Expansion
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C. Evolutorischer Wettbewerb
c) Das Innovationsverhalten im Lebenszyklus eines Unternehmens
In der Experimentierungsphase dominiert der Pionierunternehmer mit seiner hohen Risikobereitschaft, während der Unternehmer in der Ausreifungsphase primär darauf bedacht ist, das Bestehende durch konservatives Verhalten zu sichern. Es muss sich dabei nicht um unterschiedliche Unternehmen handeln. Denn ein Unternehmen, welches einen neuen Bedarfsmarkt kreiert oder auf einem bestehenden Bedarfsmarkt signifikante Innovationen durchsetzt und damit als Pionierunternehmer agiert, wird Nachfrage auf sich ziehen und wachsen. Sofern es sich am Markt etablieren kann, d. h. wenn es seine Marktstellung im Wettbewerb der frühen Expansionsphase gegenüber den zuströmenden Imitatoren verteidigen und über den in der späten Expansionsphase einsetzenden intensiven Preis- und Verdrängungswettbewerb - der in der Regel einen starken Konzentrationsprozess nach sich zieht - hinaus halten kann, 104 dann wird es parallel dazu sein Innovationsverhalten ändern. Die Handlungen sind in den späten Phasen stärker von Rationalitäts- und Effizienzüberlegungen geprägt. Es geht darum, erreichte Marktpositionen wirksam zu verteidigen und Umsatz- und Gewinneinbußen sowie vor allem eine Entwertung des investierten Kapitals zu vermeiden. Konservatives Innovationsverhalten stellt sich ein, dass in signifikanten Innovationen, welche die Markttransparenz erheblich reduzieren und den Schwerpunkt des Wettbewerbs auf einem Bedarfsmarkt vom Preis- zum Qualitätswettbewerb zurück verlagern, ein zu hohes Risiko und eine Bedrohung des eigenen Status quo sieht. Je nach Marktphase wird folglich das Verhalten ein und desselben Unternehmens variieren und das mit signifikanten Innovationen verbundene Risiko unterschiedlich bewertet werden. 105 In welcher Weise sich das Innovationsverhalten eines Unternehmens im Zeitablauf verändert, lässt sich idealtypisch mit Hilfe des Phasenmodells für das Innovationsverhalten wachsender und damit erfolgreicher Unternehmen verdeutlichen. 106 Im Lebenszyklus eines solchen Unternehmens können im 104 Diese Entwicklung wird von zahlreichen empirischen Untersuchungen belegt, wobei diese sich letztlich als Nettoeffekt aus Markteintritten und Marktaustritten ergibt. D.h. in den frühen Phasen treten wesentlich mehr Unternehmen in den Markt ein als aus dem Markt aus. In der späten Expansionsphase kehrt sich dieses Verhältnis um. Siehe dazu Gort, M./Klepper, S. (1982), S. 638-643, Jovanovic, B./MacDonald, G. M. (1994), S. 322 ff., Agarwal, R./Gort, M. (1996), S. 489-497 sowie Haid, A./Münter, M. T. (1999), S. 6-8 und S. 10 ff. 105 Vgl. Krüsselberg, H.-G. (1965), S. 138 ff., insbesondere S. 76-82, Utterback, J. M./Abemathy, W. J. (1975), S. 640 ff., Gort, M./Klepper, S. (1982), S. 630-634, insbesondere S. 634, Lambkin, M./Day, G. S. (1989), S. 13 ff. und Klepper, s. (1996), s. 576-581. 106 Siehe zum Folgenden Utterback, J. M./Abemathy, W. J. (1975), S. 640 ff. und Abemathy, W. 1./Utterback, J. M. (1978), S. 40 ff.
II. Zeitlich und räumlich differenzierte Kennzeichen
95
Wesentlichen drei Phasen unterschieden werden, die durch ein jeweils spezifisches Innovationsverhalten geprägt sind, nämlich jene des ,Jluid pattem", des "transitional pattem" und die des "specific pattem" (siehe Abbildung 7). Das Verhalten eines erfolgreichen Unternehmens ist für eine Reihe von Dimensionen in der zur Abbildung 7 gehörenden Tabelle beschrieben. Anhand der Merkmale lässt sich erkennen, dass sich das Verhalten in den drei unterschiedenen Phasen deutlich verändert. Es stimmt darüber hinaus in den einzelnen Phasen im Wesentlichen mit dem Verhalten des oben unter Abschnitt a) differenzierten Unternehmertypus überein, welcher jeweils für die Experimentierungs-, Expansions- und Ausreifungsphase prägend ist. Während funktionale Merkmale des Produktes die Art der Wettbewerbsführung eines Unternehmens in der frühen Phase seines Wachstums prägen, sind es in der späten Phase primär Kostengesichtspunkte. 107 Abbildung 7 veranschaulicht, in welcher Weise sich dies in der Rate der signifikanten Produkt- und Prozessinnovationen niederschlägt: 108 I. Die Phase der Flexibilität (fluid pattem):
Eine hohe Rate signifikanter Produktinnovationen ist für ein solches Unternehmen in der Phase der Flexibilität bzw. der Experimentierung kennzeichnend. Mit immer neuen, vielfaltigen und häufig umfassenden Produktinnovationen versucht es überall dort Kapital aus seinen Stärken zu schlagen bzw. in Märkte einzudringen, wo die Aussichten dafür am günstigsten erscheinen. Seine Produktpalette ist breit gefachert und wird oftmals von spezifischen Kundenwünschen geprägt. Der Produktionsprozess ist entsprechend flexibel auf Einzel- und Kleinstserienfertigung abgestellt und aus diesem Grund wenig effizient. Der Produktionsinput trägt keine besonderen Merkmale. Es werden Werkstoffe und Vorprodukte eingesetzt, die ohne Schwierigkeiten auf dem Markt bezogen werden können. Das Personal ist hochqualifiziert und deckt eine breite Palette von Aufgaben ab. Die Unternehmenssteuerung trägt untemehmerische Züge, d. h. die Hierarchien sind flach und es überwiegt oft noch die informale Organisation, was einen ungehinderten Informationsfluss ermöglicht. 109
2. Die Phase der Festigung (transitional pattem):
Wenn das Unternehmen mit einigen seiner innovativen Vorstöße Erfolg hat und auf einem Markt Fuß fassen kann, wird es versuchen, das
Siehe dazu ebenso Porter, M. E. (1999), S. 214 ff., insbesondere S. 215-221. Siehe zum Folgenden Utterback, J. M./Abemathy, W. J. (1975), S. 639 ff., Abemathy, W. J./Utterback, J. M. (1978), S. 40 ff. und Utterback, J. M. (1994), S. 79-102; vgl. dazu ergänzend Krüsselberg, H.-G. (1965), S. 138-145, Tichy, G. (1991), S. 27 ff., Klepper, S. (1996), S. 562 ff. und Birch, D. L. (1981), S. 7-10. 109 Darauf weist Tichy hin. Tichy, G. (1991), S. 36-40. 107
108
The changing character of innovation, and its changing role in corporate advance. Seeking to understand the variables that determine successful strategies for innovation, the authors focus on three stages in the evolution of a successful enterprise: its period of flexibility, in which the enterprise seeks to capitalize on its advantages where they offer greatest advantages; its intermediate years, in which major products are used more widely; and its full maturity, when prosperity is assured by leadership in several principal products and technologies. Fluid
Transitional
Innovation Specific
time
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(1)
a-
~~
~
~
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g.
8
9.. c
~
0
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Opportunities created by expanding intemal technical capability Major process changes required by using volume Includes at least one product design stable enough to have significant production volume Becorning more rigid; with changes occurring in major steps Some subprocesses automated, creating "islands of automation" Specialized materials may be demanded from some suppliers General-purpose with specialized sections Through Iiaision relation-ships, project and task groups
Information on users' needs and users' technical inputs
Frequent major changes in products
Diverse, often including custom designs
Flexible and inefficient; major changes easily accomodated
General-purpose, requiring highly skilled Iabor
Inputs are limited to generallyavailable materials
Small-scale, Iocated near user or source of technology
Informal and entrepreneurial
Innovation stimulated by
PredominaDt type of innovation
Product line
Production process
Equipment
Materials
Plant
Organizational control is
Abb. 7: Patterns of Industriaiinnovation
Product variation
Functional product performance
Competitive emphasis on
Quelle: Abemathy, W. J./UI/erback, J. M. (1978), S. 40.
TransitioDal patterD
Fluid pattern
Through emphasis on structure, goals, and rules
Large-scale, highly specific to particular products
Specialized materials will be demanded; if not available, vertical integration will be extensive
Special-purpose, mostly automatic with Iabor tasks mainly monitaring and control
Efficient, capital intensive, and rigid; cost of change is high
Mostly undifferentiated standard products
Incremental for product and process, with cumulative improvement in productivity and quality
Pressure to reduce cost and improve quality
Cost reduction
Specific patterD
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98
C. Evolutorischer Wettbewerb
Potenzial des entsprechenden Marktes besser auszuschöpfen, d. h. mehr Nachfrage auf sich zu ziehen. Damit rückt die Produktvariation in den Vordergrund und vor allem der Auf- und Ausbau der Fertigung, der von bedeutenden Prozessinnovationen begleitet ist. Die Produktpalette verfügt nicht mehr über die anfängliche Breite. Sie ist stattdessen tiefer gegliedert. Neben einigen kundenspezifischen Produkten schließt sie nunmehr auch das eine oder andere im Wesentlichen standardisierte Gut ein, das in größeren Stückzahlen oder Serien gefertigt werden kann. In der Fertigung gewinnt deswegen die Automatisierung eine vorrangige Bedeutung. Aufgrund der stärkeren Konzentration der Kräfte auf einen einzelnen Markt sinkt die Rate signifikanter Produktinnovationen kontinuierlich, während die Rate signifikanter Prozessinnovationen stark ansteigt. Von dieser Phase im Lebenszyklus eines Unternehmens an liegt die Kurve der Prozessinnovationen über jener der Produktinnovationen. Allerdings erreicht die Rate signifikanter Prozessinnovationen in der Phase der Festigung auch ihren Höhepunkt und sinkt danach ebenfalls sukzessive. Innovationsmöglichkeiten ergeben sich vor allem als Folge der gewachsenen internen technischen Kompetenz. Der Produktionsinput muss zunehmend unternehmensspezifischen Anforderungen gerecht werden. Die Produktion wird effizienter, aber auch weniger flexibel. Die Unternehmensorganisation weist überwiegend formale Elemente und eine tiefere hierarchische Gliederung auf. 3. Die Phase der Ausreifung (specific pattem):
Wenn sich ein Unternehmen mit seinen Produkten auf einem Markt etabliert bzw. über eine entsprechende Vergrößerung seiner Nachfrageanteile eine gute Marktposition erreicht hat, ist es für die erfolgreiche Verteidigung seiner Marktposition nicht mehr wesentlich, signifikante Produkt- und Prozessinnovationen zu tätigen. Stattdessen besteht ein zunehmender Druck zur Effizienzsteigerung bzw. Kostensenkung sowie zur fortlaufenden Verbesserung der Produktqualität Die Rate der signifikanten Produktinnovationen und jene der signifikanten Prozessinnovationen sinken weiter langsam ab. Es werden im Wesentlichen nur noch standardisierte Produkte in hohen Stückzahlen gefertigt. Die Produktion ist weitgehend automatisiert, in hohem Maße effizient, aber starr und kapitalintensiv und die Kosten für eine Produktionsumstellung sind entsprechend hoch. Der Faktor Arbeit hat angesichts dessen in der Produktion nur eine untergeordnete Bedeutung für das Unternehmen. Dort überwiegen einfache Tätigkeiten, die von gering qualifizierten Arbeitskräften übernommen werden können. An die oftmals speziell auf die Belange des Unternehmens abgestimmten Produktionsinputs werden indessen hohe Anforderungen gestellt. Deswegen nimmt die Bedeutung von Subunternehmern und von Zulieferem zu. Kostengesichtspunkte
II. Zeitlich und räumlich differenzierte Kennzeichen
99
dominieren die Entscheidungen und Innovationen richten sich auf die Optimierung von Produkten und Prozessen. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Verbesserungsinnovationen bzw. um "Iterationen" im Heuss'schen Sinne, 110 welche die Transparenz des Marktes de facto nicht spürbar reduzieren. Das Unternehmen konzentriert sich darauf, seine Spitzenposition bei Produkt- und Fertigungstechnologien und damit seine Markt- und Wettbewerbsposition zu verteidigen. Forschung und Entwicklung (FuE) haben deswegen einen hohen Stellenwert, denn sie helfen, den technologischen Vorsprung auf dem entsprechenden Produktmarkt zu halten. 111 Der dargelegte idealtypische Ablauf veranschaulicht, dass das Verhalten des oben charakterisierten konservativen Unternehmers, welches gemäß des Phasenkonzepts der Bedarfsmarkt-Entwicklung für die Ausreifungsphase als prägend gelten kann, in hohem Maße mit dem des erfolgreichen, gewachsenen bzw. großen Unternehmens übereinstimmt: Während letzteres in der Anfangsphase signifikante Produktinnovationen tätigen muss, um auf dem Markt Fuß fassen zu können, sind für den Ausbau und die Festigung der eigenen Position vor allem signifikante Prozessinnovationen entscheidend. In der Reifephase haben FuE und Innovationen vor allem den Zweck, die Marktposition zu verteidigen. Es dominieren Verbesserungsinnovationen. Der einstige Pionierunternehmer hat sich damit zum konservativ handelnden Unternehmer gewandelt. d) Unternehmensgröße und Innovationsverhalten
Mit dieser Darstellung des Wandels im Innovationsverhalten eines Unternehmens im Phasenablauf des eigenen Lebenszyklus wird das Augenmerk auf die größenspezifischen Aspekte des Innovationsverhaltens von Unternehmen gelenkt. Denn in jeder Phase der Entwicklung eines Bedarfsmarktes werden unterschiedlich erfolgreiche Unternehmen und verschieden große Unternehmen vertreten sein. Ihr Verhalten ist abhängig vom Unternehmenszweck, an dem sich die Unternehmens- und Innovationsstrategie orientiert, welche sie verfolgen, und von ihrer Entwicklungsphase. Ihr jeweiliges Verhalten wird das Marktgeschehen beeinflussen und den Verlauf des Wettbewerbs sowie der Bedarfsmarkt-Entwicklung in differenzierter Weise prägen. Wie Abbildung 8 veranschaulicht, kann der Unternehmenssektor in idealtypischer Sichtweise nicht nur in Großunternehmen sowie kleine und mittelHeuss, E. (1965), S. 213 ff. Die Bedeutung von FuE-Aufwendungen für große Unternehmen und KMU in den verschiedenen Marktphasen hat insbesondere Klepper untersucht. Klepper, s. (1996), s. 576-577. 110 111
7*
Satellites
Loyal
Subcontractors
Franchisees
~-itioo
Satisfied
h
Intermediates
Quelle: Taylor, M./Thrift, N. (1983), S. 452.
Craftsman
~
Laggards
Smaller Firms
I Leaders
I
Abb. 8: Current Pattern of Segmentation
I -
Multidivisional
Supports Laggards Intermediates
I
Leaders
I
Business Organizations
I Supports
I Laggards
Large Business Organizations
I Intermediates
Global
I Leaders
-
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~
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8
II. Zeitlich und räumlich differenzierte Kennzeichen
101
große Unternehmen (KMU) unterteilt werden. Eine weitere Untergliederung lässt sich in beiden Segmenten aus den verschiedenen zweck- und phasenabhängigen Unternehmens- und Innovationsstrategien ableiten. Im Ergebnis sind dann fünf Unternehmenssegmente zu differenzieren: drei für kleine und mittlere Unternehmen, d.h. ,,Laggards", ,Jntermediates" und ,,Leaders" und zwei für Großunternehmen, nämlich "multidivisionale Großunternehmen" und "globale Großunternehmen". Auf die Charakteristika dieser Segmente und ihren Phasenbezug soll im Folgenden eingegangen werden. 112 Obwohl die beiden Segmente bzw. Typen von Großunternehmen in Bezug auf ihre Struktur eine große Ähnlichkeit aufweisen und ebenso in jeder Phase der Bedarfsmarkt-Entwicklung vertreten sein können, sind ihre bevorzugten Unternehmens- und Innovationsstrategien doch sehr unterschiedlich:113 I. Die ,,multidivisionale Großunternehmung" (MGU) verfolgt eine am Produktlebenszyklus ausgerichtete Strategie, d. h. die verschiedenen Unternehmensbereiche bieten Produkte an, mit denen jeweils eine andere Phase des Produktlebenszyklus abgedeckt wird. Auf diese Weise werden Verlustrisiken abgesichert, die durch die Markteinführung völlig neuer Produkte entstehen. Das bedeutet zugleich, dass das Unternehmen fortlaufend darum bemüht ist, in jeweils einem Produktsegment signifikante Innovationen zu tätigen. Der Unternehmensbereich bzw. das Unternehmen, dem diese Aufgabe zukommt, übernimmt die Rolle des "Leaders". Die multidivisionale Großunternehmung kann zwei verschiedene Innovationsstrategien verfolgen, nämlich die "offensive" oder die "defensive" Innovationsstrategie. Bei der offensiven Strategie verhält sich das Unternehmen wie der weiter oben beschriebene Pionierunternehmer. Es strebt die technische oder Marktführerschaft an, indem es versucht, mit einem neuen Produkt oder Verfahren vor allen anderen Konkurrenten auf den Markt zu treten oder als erster in einen neuen Markt einzudringen. Bei der defensiven Strategie wartet das Unternehmen den Erfolg oder Misserfolg des Erstinnovators ab. Wenn sich bei diesem ein vielversprechender Erfolg abzuzeichnen beginnt, versucht es in kurzer Zeit mit einem vergleichbaren oder noch besseren Produkt oder Verfahren in den Markt einzutreten. Dadurch wird das hohe Verlustrisiko vermieden, welches ein Pionierunternehmer bzw. ein Unter112 Die dargelegte Segmentierung basiert auf den Auswertungen von Taylor, M./ Thrift, N. (1983), S. 445-465. Die folgenden Ausführungen basieren darüber hinaus auf Morphet, der die Segmentierung des Unternehmenssektors von Taylor und Thrift verwendet und diese um innovations- und regionalspezifische Untersuchungsaspekte erweitert. Siehe Morphet, C. S. (1987), S. 45 ff. Vgl. ebenso Eichner, S. (1997), S. 83 ff. Siehe ähnlich l.ambkin, M./Day, G. S. (1989), S. 9 ff. 1 13 Vgl. Taylor, M./Thrift, N. (1983), S. 455-457.
102
C. Evolutorischer Wettbewerb
nehmen mit einer offensiven Innovationsstrategie eingeht. Voraussetzung für die defensive Strategie ist allerdings, dass ein entsprechendes Unternehmen überlegene Ressourcen besitzt. Deswegen steht diese Innovationsstrategie für den Typus "Leaders" im KMU-Segment in der Regel nicht zur Disposition. 2. Die "globale Großuntemehmung" (GGU) verfolgt dagegen in der idealtypischen Sichtweise eine Strategie, bei der die gewinnbringende, aber risikolose Kapitalanlage im Vordergrund steht: 114 Unternehmen oder Untemehmensbereiche, deren Produkte in die Expansionsphase des Marktes eintreten und deswegen sehr gute Erträge zu erbringen versprechen, werden aufgekauft. Andere Bereiche, deren Ertragslage sich auf dem Weltmarkt zu verschlechtem droht, werden dagegen abgestoßen. Bei der Anlageentscheidung sind die allgemeinen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen eines Landes ebenso entscheidend wie vielfältige aktuelle Informationen über die sich rasch ändernden Bedingungen auf den Weltmärkten und insbesondere auf den Finanzmärkten. Im Segment der globalen Großunternehmung können zwar auch "Leaders", "Intermediates" und "Laggards" differenziert werden. Im Unterschied zur multidivisionalen Großuntemehmung, bei der diese unterschiedlichen Segmente als Teil einer Strategie zur Initiierung des Produktlebenszyklus eingesetzt werden, repräsentieren sie bei der globalen Unternehmung drei unterschiedliche Formen von Investitions- bzw. Kapitalanlagemöglichkeiten. Eine Innovationsstrategie, im eigentlichen Schumpeter'schen- Sinne des Wortes, verfolgt dieser Unternehmenstypus deswegen nicht. Denn die Risiken, die jeder Pionierunternehmer bzw. jedes Unternehmen eingeht, welches signifikante Innovationen tätigen will, werden weitgehend vermieden. Darüber hinaus sind in der hier dargelegten Typisierung innerhalb des Segments für die Großunternehmen und zwar sowohl bei multidivisionalen als auch bei globalen Großunternehmen sogenannte "Supports" eingegliedert. Dabei handelt es sich um reine Dienstleistungsuntemehmen, die Unterstützungsfunktionen für Großunternehmen wahrnehmen, beispielsweise Management-, Finanz- und Rechtsberatung oder EDV-Service. 115 Das Segment für die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) weist drei verschiedene Gruppen von Unternehmen auf, für die jeweils andere Unternehmens- und Innovationsstrategien charakteristisch sind. Die Untergliederung des KMU-Segments orientiert sich - ebenso wie die des Segments der Großunternehmen - am Phasenkonzept 116 114 11 5
116
Vgl. Taylor, M./Thrift, N. (1983), S. 451 ff., insbesondere S. 455-457. Taylor, M./Thrift, N. (1983), S. 456. Vgl. Taylor, M./Thrift, N. (1983), S. 451-455.
II. Zeitlich und räumlich differenzierte Kennzeichen
103
3. Unterschieden werden zum einen ,,Laggards". Dabei handelt es sich um in Form von Handwerksbetrieben organisierte Unternehmen ("Craftsman") und um Eigentümer-Unternehmen, deren Aktivitäten lediglich der Existenzsicherung der Eigentümer dienen sollen ("Satisfied"). Diese Form von Unternehmen findet sich insbesondere im "Produzierenden und verarbeitenden Gewerbe", im "Handel" und allgemein im Dienstleistungssektor. Sie operieren auf lokalen Märkten und verfolgen eine traditionelle Innovationsstrategie, d. h. sie innovieren überwiegend gar nicht oder nur in sehr geringem Umfang. Die Sterberate für Unternehmen dieses Segments ist hoch. Jene Unternehmen, die am Markt überleben können, haben in der Regel keine Wachstumsperspektiven. Die "Laggards" des KMU-Segments weisen insofern ähnliche Merkmale wie der oben beschriebene "immobile Unternehmer" auf und können deswegen primär der Stagnations- und Rückbildungsphase zugeordnet werden. Von ihrer Tätigkeit gehen allenfalls marginale Impulse auf die Bedarfsmarkt-Entwicklung aus. 4. Anders verhält es sich bei der Gruppe der ,Jntermediates". Diese Unternehmen sind in der Regel bereits älter, d. h. sie sind auf ihrem Markt fest etabliert. In dem Segment der sogenannten ,,Satellites", welche eine Untergruppe des "lntermediates"-Segments bilden, gibt es einerseits die "Subunternehmer" (bzw. "Subcontractors"), dazu gehören unter anderem auch Zulieferer, die vornehmlich im Produzierenden und verarbeitenden Gewerbe angesiedelt und für Großunternehmen tätig sind. Sie verfolgen eine von den Großunternehmen abhängige Innovations- und Unternehmensstrategie. 117 Andererseits fallen darunter die "Franchise-Nehmer" (bzw. "Franchisees"), die meist im Handel auftreten und an Großunternehmen gebunden sind. Auch für das KMU-Segment der "Satellites" ist eine hohe Sterberate kennzeichnend. Das Wachstumspotenzial ist infolge der Abhängigkeit begrenzt. Die Strategie der ,,Loyal Opposition" im KMU-Segment der "Intermediates" ist ebenfalls an Großunternehmen ausgerichtet, aber es besteht kein direktes Abhängigkeitsverhältnis. Die Unternehmen dieses Segments sind in der Regel etablierte, relativ große und effiziente KMU. Sie operieren in Marktnischen, in denen sich Großunternehmen nicht engagieren und verfolgen oft eine traditionelle Innovationsstrategie. Ihre Aktivitäten richten sich in diesem Fall meist auf Produktverbesserungen. Eine geringere Zahl von "Loyal Opposition"-KMU tätigt Produktinnovationen und zwingt damit Großunternehmen auf dem entsprechenden Bedarfsmarkt zum Wettbewerb. Allerdings wird diese Konkurrenz in der Regel nur indirekt wirksam sein, weil das "Loyal Opposition"-KMU mit seiner Produktinnovation eine Marktnische füllt oder auf einem Produkt117
Vgl. Dahrendorf, K. (1993), S. 77-90.
104
C. Evo1utorischer Wettbewerb
markt agiert, für den es bisher entweder keine Anbieter gegeben hat, der sich also noch in der Experimentierungsphase befindet, oder dessen Rückbildung bereits begonnen hat. D. h. sie stehen nur selten im direkten Wettbewerb mit Großunternehmen. Beide beschriebenen "Intermediates"-Segmente, die "Satellites und die "Loyal Opposition", können vor allem von Beginn der zweiten Hälfte der Expansionsphase an auftreten. Denn in dieser Phase der Bedarfsmarkt-Entwicklung entsteht erst ein Bedarf an entsprechenden Leistungen von "Satellites" und der Raum für Nischen, welche von jenen "Loyal Opposition"-KMU ausgefüllt werden, die eine traditionelle Innovationsstrategie verfolgen. Ein innovierendes "Loyal Opposition"-KMU ist jedoch aufgrund der von ihm ausgehenden wettbewerbliehen Vorstöße als Pionierunternehmer tätig und deswegen der Experimentierungsphase zuzurechnen. 5. Das dritte KMU-Segment stellen die ,.Leaders" dar. Dabei handelt es sich um junge, hoch innovative Unternehmen mit einem erheblichen WachsturnspotenziaL Dieser Typus stellt den Pionierunternehmer - gedacht als Einzelunternehmer - im eigentlichen Sinne des Konzepts der Produktmarkt-Entwicklung dar, us der mit einer signifikanten Produktinnovation einen neuen Markt kreiert oder einen bestehenden Markt revolutioniert und der ökonomischen Entwicklung der Wirtschaft damit wesentliche Impulse gibt. Der Unterschied zwischen den "Leaders"KMU und den innovierenden "Loyal Opposition"-KMU liegt- wie aus Tabelle 4 hervorgeht- zum einen in der Unternehmensgröße und zum anderen im Wachstums- bzw. MarktpotenziaL Dieses Segment weist als besonderes Merkmal eine hohe Zahl von Neugründungen und eine hohe Sterberate auf, was als Kennzeichen dafür gewertet werden kann, dass gerade von diesem Unternehmenssegment erhebliche Impulse auf die Bedarfsmarkt-Entwicklung ausgehen können. 119 Die Charakteristika des Verhaltens der Unternehmen der unterschiedenen Segmente sind in Kurzform zusammengefasst in Tabelle 4 wiedergegeben. Die nach ihren charakteristischen Unternehmens- und Innovationsstrategien idealtypisch differenzierten Unternehmenssegmente lassen sich in das bereits oben verwendete Phasenschema der Bedarfsmarkt-Entwicklung einordnen.120 Dies ist in Abbildung 9 geschehen. Bei deren Betrachtung fällt zunächst auf, dass nicht alle Unternehmenssegmente in jeder Phase der Bedarfsmarkt-Entwicklung vertreten sind. "Intermediates"-KMU sind mit einer Heuss, E. (1965). Vgl. Beesley, M. E./Hamilton, R. T. (1984), S. 217-231 sowie Birch, D. L. (1981), S. 7-10 und Birch, D. L. (1987). 120 Siehe oben Abbildung 6: "Motive und Verhalten von Wirtschaftssubjekten in der Bedarfsmarkt-Entwicklung" in Kapitel C.II.1 , Abschnitt b) "Allgemeine Motivund Verhaltenstypologie von Wirtschaftssubjekten". 118 119
Tabelle 4 Größenspezifische Unternehmenstypologie Segment:
Characteristics:
A) The Smaller Firm Segment:
- may be manufacturing but dominant in retail, service etc.
a) The Laggard Segment:
- small independents, high rate of replacement, little growth prospects.
l. Craftsman:
- limited technology for small markets.
2. Satisfied:
- proprietor wishes to stay small.
b) The Intermediate Segment:
- survival usually linked to large firm sector.
l. Satellites:
- either "subcontractors" to large firms, or "franchisees". Subcontracting is comrnon in manufacturing. Large firms can thus extemalise risks and take advantage of lower wages paid.
2. Loyal Opposition:
- occupying market niches (product or location) which are of little interest to large firms.
c) The Leader Firm Segment:
- usually recently established and innovative. High birth and dead rates, but within Iimits potential for growth.
B) The Large Business Organisation Segment: a) The Multidivisional Corporation Segment:
- currently the dominant form, usually multinational. Structure reflecting the classical "product cycle" hence further classification:
l. Leaders:
- institutionalised form of growth phase of product cycle. Innovative, high risk/ high reward.
2. Intermediates:
- institutionalised form of maturity phase of product cycle. Steady but modest profits.
3. Laggards:
- institutionalised form of tail of product cycle. Steady but low profits.
4. Supports:
- providing general services (including transfer pricing) to multidivisional corporations.
b) The Global Corporation Segment:
- those very largest companies involved in the "new international division of labour". Structure similar to multidivisional segment, but strategy described as "Opportunist" or "fiscal instrumentality" (not product-cycle oriented but risk minimizing).
Quelle: Tabellarische Aufstellung nach Morphet, C. S. (1987), S. 54-57, insbesondere die Tabelle auf S. 55 und Taylor, M./Thrift, N. (1983), S. 451-457. Vgl. Eichner, S. (1997), S. 83-93.
•
A
- loyal opposition (KMU)
-r
intermediates:
Stagnation und Rückbildung
- MGU -GGU - subcontractors (KMU) - franchisees (KMU) - loyal opposition (KMU)
intermediates:
-MGU -GGU - satisfied (KMU) - craftsman (KMU)
laggards:
Zeit
... --..
~--------
Ausreifung
Abb. 9: Unternehmensgrößenspezifisches Verhalten und Bedarfsmarkt-Entwicklung
I
- MGU-supports - GGU-supports
sonstige:
intermediates:
I Späte Expansion
-MGU -GGU - subcontractors (KMU) - franchisees (KMU) - loyal Opposition (KMU)
Frühe Expansion
- Multidivisionale Großunternehmen (MGU) - Globale Großunternehmen (GGU) (eingeschränkt) - Kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU)
Ieaders:
Experimentierung
Quelle: In Anlehnung an Eichner, S. (1997), S. 83 ff.
(A)
Nachfragevolumen
Phase
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...
II. Zeitlich und räumlich differenzierte Kennzeichen
107
Ausnahme, nämlich den innovierenden "Loyal Opposition"-KMU, erst von der Expansionsphase an relevant. "Laggards"-KMU können primär den späten Phasen zugeordnet werden. Im Pionierwettbewerb sind nur die beiden Segmente der Großunternehmung von Bedeutung und "Leaders"-KMU sowie zum Teil "Loyal Opposition"-KMU. Als weitere Besonderheit fällt auf, dass die beiden Segmente der Großunternehmen potenziell in jeder Phase oder in allen Phasen einer Bedarfsmarkt-Entwicklung zugleich präsent sind, weil sie aufgrund ihrer Größe und Ausstattung mit Ressourcen unterschiedliche Unternehmens- und Innovationsstrategien verfolgen können. Die Tatsache, dass die beiden Großunternehmenssegmente als "Laggards" auch in den späten Phasen vertreten sein können, bedeutet deswegen keineswegs, dass für sie der Untergangswettbewerb unausweichlich ist. Über vergleichbare Möglichkeiten verfügen die KMU nicht. Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass nur von wenigen der beschriebenen KMU-Segmente starke Impulse auf die Bedarfsmarkt-Entwicklung ausgehen können. Bei den multidivisanalen Großunternehmen ist dies zwar grundsätzlich immer möglich. Infolge der Ausstattung mit Ressourcen sind diese jedoch auch in der Lage, statt einer "offensiven" eine "defensive" Innovationsstrategie zu verfolgen und damit nicht als Pionierunternehmer im eigentlichen Sinne aufzutreten. Von den Aktivitäten der globalen Großunternehmen gehen nur insofern Impulse für den Pionierwettbewerb aus, als entsprechend innovative Unternehmen aufgekauft oder in sie investiert wird. Für Unternehmen dieses Segments steht es nicht im Vordergrund, eine eigenständige Innovationsstrategie zu verfolgen. Je nach Innovations- bzw. Anlagestrategie ergeben sich aus den Handlungen der Großunternehmen folglich unterschiedlich starke Impulse für die Bedarfsmarkt-Entwicklung. Sie können sich dem Pionierwettbewerb ebenso entziehen wie dem Untergangswettbewerb. Angesichts ihrer überlegenen Ausstattung mit Ressourcen und der beschriebenen Wahlmöglichkeiten in Bezug auf die Innovationsstrategie, kann gerade konservatives Innovationsverhalten großer Unternehmen - vor allem aus dem "Global Corporation Segment" - ein erhebliches Hemmnis für die Intensivierung eines entwicklungstragenden Wettbewerbs darstellen. Denn "Leaders"-KMU werden sich im Wettbewerb gegenüber den "konservativen" Großunternehmen nur selten durchsetzen können. Weil für die KMU ähnliche Wahlmöglichkeiten nicht bestehen und sie in den späten Phasen der Bedarfsmarkt-Entwicklung zudem oftmals in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Großunternehmen stehen, wird konservatives Innovationsverhalten im KMU-Segment die Bedarfsmarkt-Entwicklung hingegen kaum aufhalten können.
108
C. Evolutorischer Wettbewerb
e) Marktform und Marktverhalten im Phasenablauf
Seit den richtungweisenden Arbeiten von J. M. Clark, der vom neoklassischen Ideal der "vollkommenen Konkurrenz" als Leitbild für die Wettbewerbspolitik abrückte und danach fragte, was stattdessen in gesamtwirtschaftlicher Sicht erstrebenswert und realisierbar sein könnte, 121 ist in der wettbewerbstheoretischen und wettbewerbspolitischen Diskussion immer stärker die Marktform des Oligopols als Ausgangspunkt weitergehender Überlegungen in den Vordergrund gerückt. Sie ist letztlich bis heute diskussionsbestimmend geblieben. Der hohe Stellenwert, den gerade die "Theorie des strategischen Handels" und die "Neue Wachstumstheorie" bei der Begründung industriepolitischer Maßnahmen zur Förderung der "intemationa~ len Wettbewerbsfähigkeit" haben, kann als Beleg dafür gelten. 122 Dem Konzept der Produktmarkt-Entwicklung liegt - obwohl es viele Elemente der neoklassischen Theorie verwendet - die Vorstellung des "freien Wettbewerbs" zugrunde. 123 Die am Konzept der Wettbewerbsfreiheit vor allem wegen fehlender operationalisierbarer Kriterien zur Beurteilung wettbewerblicher Prozesse geübte Kritik wird durch das Konzept der Produktmarkt-Entwicklung jedoch teilweise relativiert. 124 Dies trifft insoweit zu, als es über die phasenspezifische Charakterisierung des Verhaltens von Unternehmen Anhaltspunkte für die Veränderung der relativen Freiheit in der Zeit gibt. Damit fasst es die Bedingungen der Wettbewerbsfreiheit letztlich konkreter als es das ursprüngliche Leitbild "Wettbewerbsfreiheit" selbst vermochte.125 Im Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung wird zudem, wie oben dargelegt, die ursprüngliche Verhaltensanalyse erweitert und um den Aspekt des Nachfrageverhaltens ergänzt. 126 Das besondere Augenmerk wird im Konzept der Produktmarkt- sowie auch dem der Bedarfsmarkt-Entwicklung auf jenen Zeitabschnitt in der Entwicklung von Märkten gelenkt, in 121 Clark, J. M. (1940), S. 241-256 sowie Clark, J. M. (1961); vgl. ebenso Amdt, H. (1952). 122 Siehe oben Kapitel B.III.l: "Vom Wettbewerbsleitbild zur Industriepolitik ... ". Vgl. zu den verschiedenen Versuchen der theoretischen Begründung der Industriepolitik den Überblick bei Oberender, P.!Daumann, F. (1995), S. 5-14, insbesondere s. 11-14. 123 Siehe oben Kapitel C.I.2: "Das Phasenkonzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung" und Kapitel C.II: "Zeitlich und räumlich differenzierte Kennzeichen des evolutorischen Wettbewerbs". 124 Siehe zur Kritik Bartling, H. (1980), S. 49 ff. 125 Siehe zum Phasenkonzept der Produktmarkt-Entwicklung bzw. zu den Merkmalen der verschiedenen Phasen und den damit verknüpften Konsequenzen für das Marktverhalten Heuss, E. (1965); siehe zur Kritik am Leitbild "Wettbewerbsfreiheit" bzw. "freier Wettbewerb" Bartling, H. (1980), S. 41 ff. 126 Siehe dazu oben Kapitel C.I.2: "Das Phasenkonzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung".
II. Zeitlich und räumlich differenzierte Kennzeichen
109
welchem der Grad der relativen Freiheit zum Wettbewerb - auch ohne den Einfluss gegebenenfalls störender staatlicher Interventionen - soweit abzusinken droht, dass der Markt stagniert und der Wettbewerb gänzlich zum Erliegen kommen kann. Ursache dafür und zugleich Ansatzpunkt für wettbewerbspolitisches Handeln ist in der Sicht der dynamischen Markttheorie jedoch nicht die Marktstruktur bzw. die Marktform, wie es Vertreter des "funktionsfähigen Wettbewerbs" fordern, sondern das Marktverhalten der Wettbewerber. Das Oligopol wird deswegen keineswegs als wettbewerbliebes Ideal angesehen. Wettbewerbspolitische Interventionen und Industriepolitik werden darüber hinaus, im Gegensatz zum Leitbild "funktionsfähiger Wettbewerb", als Handlungsoptionen grundsätzlich ausgeschlossen, wie oben in Kapitel B ausführlich dargelegt wurde. 127 Welchen Veränderungen die Marktform im Prozess der Produktmarkt- respektive Bedarfsmarkt-Entwicklung unterliegen kann und welche Konsequenzen sich daraus für den Wettbewerb ergeben, lässt sich anband der Abbildung 10 verdeutlichen. Exemplarisch sind dort drei alternative Entwicklungen der Marktform (A, B und C) dargestellt. 128 Die mit W gekennzeichnete Kurve des Wettbewerbsminimums stellt in der dynamischen Markttheorie die Umkehrung der auch oben in Abbildung 3 abgebildeten Kurve B dar, welche die Veränderung des Grades der Markttransparenz im Phasenablauf anzeigt. Die Kurve W bezieht sich im Konzept der Produktmarkt-Entwicklung allerdings ausschließlich auf den Preiswettbewerb. 129 Im Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung wird hingegen ergänzend der "Funktionalitäts- und Qualitätswettbewerb" berücksichtigt. Bedingt durch die gegenläufige Verschiebung der Bedeutung der Wettbewerbsparameter Funktionalität/Qualität und Preis/Kosten im Phasenablauf ergibt sich deswegen, wie oben dargelegt, 130 die Notwendigkeit, zwischen der "Prozessqualität" des Wettbewerbs und der "ökonomischen Entwicklungsqualität" des Wettbewerbs zu unter127 Siehe dazu oben Kapitel B.II: "Wettbewerb und Ordnungspolitik" sowie Kapitel B.III.l: "Vom Wettbewerbsleitbild zur Industriepolitik-Kennzeichen und Orientierungen unterschiedlicher Wettbewerbsleitbilder". 128 Veränderungen der Marktform im Zeitablauf können in empirischen Analysen von Industrielebenszyklen regelmäßig nachgewiesen werden. Darüber hinaus ist akzeptiert, dass der Verlauf im Allgemeinen einem ganz bestimmten Muster folgt, welches hier in der Abbildung 10 durch die Kurve B wiedergegeben ist. Siehe Gort, M./Klepper, S. (1982), S. 630-634 und S. 638 ff., Klepper, S./Graddy, E. (1990), S. 28-35, insbesondere S. 34, Jovanovic, B./MacDonald, G. M. (1994), S. 322 ff., Agarwal, R./Gort, M. (1996), S. 489 ff. sowie Haid, A./Münter, M. T. (1999), S. 6-8 und S. 10 ff. 129 Heuss, E. (1965), S. 265. 130 Siehe dazu Kapitel C.l.2: "Das Phasenkonzept der Produktmarkt-Entwicklung".
110
C. Evolutorischer Wettbewerb
Phase
Experimentierung
Frühe
Expansion
Späte Expansion
Ausreifung
Stagnation und Rückbildung
Polypol
l
.·
.··.·
/w
./
.........
Oligopol
j
·························
c
Monopol Zeit Quelle: Eigene Darstellung auf der Grundlage von Heuss, E. (I 965}, S. 265, Utterback, J. M./Abemathy, W. J. (1975), S. 641 ff., Gort, M./Klepper, S. (1982}, S. 631--{)34 und S. 638 ff., Lambkin, M.l Day, G. S. (1989}, S. 13 ff., Anderson, P./Tushman, M. L. (1990), S. 604 ff., AgaiWal, R./Gort, M. (1996), S. 489 ff. und Eichner, S. ( 1997}, S. 39 ff.
Abb. 10: Leistungswettbewerb, Marktform und Bedarfsmarkt-Entwicklung
scheiden. 131 Denn charakteristisch für die späten Phasen der BedarfsmarktEntwicklung ist die Dominanz von "Preis- und Kostenwettbewerb" und damit eine geringe "ökonomische Entwicklungsqualität". Dies bedeutet jedoch nicht zwingend, dass die "Prozessqualität" bzw. die Intensität des vor- und nachstoßenden Wettbewerbs ebenfalls gering sein muss, weil sich nämlich der in der späten Expansionsphase einsetzende Verdrängungswettbewerb auch in der Ausreifungsphase noch fortsetzen kann. Es bedeutet lediglich, dass der Wettbewerb nicht mehr von ökonomisch signifikanten Innovationen getragen wird.132 131 Siehe dazu Kapitel C.l.3, Abschnitt b) "Prozess- und ökonomische Entwicklungsqualität" des Wettbewerbs und "ökonomische Signifikanz" von Innovationen, insbesondere auch Abbildung 4: "Gewichtung von Funktionalität/Qualität und Preis/Kosten als Wettbewerbsparameter im Prozess der Bedarfsmarkt-Entwicklung".
II. Zeitlich und räumlich differenzierte Kennzeichen
111
Insofern wird das Minimum der Intensität des vor- und nachstoßenden Wettbewerbs nicht zu jedem Zeitpunkt der Entwicklung mit dem Minimum der "ökonomischen Entwicklungsqualität" identisch sein. Vielmehr ist gemäß der vorangegangenen Charakterisierungen der Bedarfsmarkt-Entwicklung zu erwarten, dass die "ökonomische Entwicklungsqualität" des Wettbewerbs bereits zu einem früheren Zeitpunkt der Entwicklung bzw. bei einem geringeren Grad an Markttransparenz deutlicher abzusinken beginnt als die "Prozessqualität". Es kommt demnach zu einer Aufspaltung der Kurve des Wettbewerbsminimums. In der Abbildung 10 ist diese Differenzierung veranschaulicht durch die Kurven W - für das Minimum der "Prozessqualität" des Wettbewerbs - und EQ - für das Minimum der "ökonomischen Entwicklungsqualität" des Wettbewerbs. 133 Wie weit die beiden Kurven in der Realität voneinander abweichen, ist aufgrund der Offenheit der Markt- und Wettbewerbsprozesse letztlich nicht prognostizierbar. Die Darstellung hat insofern bezüglich der Abweichung der Kurve EQ von der Kurve W idealtypischen Charakter und sie ist im Hinblick auf den Kurvenverlauf - ganz im Sinne des Konzepts der Bedarfsmarkt-Entwicklung134- als exemplarisch zu verstehen. Mit dem Verlauf der Kurve EQ wird veranschaulicht, dass für die (eingeschränkt) ergebnisbezogene Beurteilung des Wettbewerbs nicht die ,,Prozessqualität", sondern die "ökonomische Entwicklungsqualität" entscheidend ist. Denn nachteilige Konsequenzen für das Wirtschaftswachstum und mithin auch für die Beschäftigung stellen sich ein, weil die "ökonomische Entwicklungsqualität" des Wettbewerbs zu stark zurückgeht. Die "Prozessqualität" bietet in dieser Hinsicht keine zuverlässige Orientierung. 135 Wie im Folgenden - in Übereinstimmung mit der dynamischen Markttheorie - vor dem Hintergrund von Abbildung 10 des Weiteren erläutert werden soll, ist auch die Marktstruktur bzw. die Marktform, welche gemäß des Leitbildes "funktionsfähiger Wettbewerb" einen hohen Stellenwert für die ergebnisbezogene Evaluation des Wettbewerbs hat, als Indikator für die Beurteilung wettbewerblieber Prozesse nur begrenzt geeignet: Kurve B bezeichnet den im Phasenkonzept idealtypisch unterstellten und deswegen "normalen" Verlauf des Wandels der Marktform. 136 Mit einer Innovation kreiert der Pionierunternehmer einen neuen Markt, auf dem er zu132 Siehe dazu oben Kapitel C.l: "Das Konzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung als Analyserahmen für den evolutorischen Wettbewerb". 133 Siehe dazu oben Kapitel C.l.l: "Das Phasenkonzept der Produktmarkt-Entwicklung". 134 Siehe oben Kapitel C.l.2: "Das Phasenkonzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung". 135 Siehe dazu auch Kapitel C.l.l: "Das Phasenkonzept der Produktmarkt-Entwicklung".
112
C. Evolutorischer Wettbewerb
nächst über ein temporäres Monopol verfügt. In der Expansionsphase vergrößert sich die Zahl der Anbieter durch hinzutretende spontan imitierende Unternehmer rasch. Der Zufluss an Unternehmen verlangsamt sich aber im weiteren Verlauf der Expansionsphase und es setzt ein Konzentrationsprozess ein. Infolgedessen sinkt die Zahl der Anbieter auf dem Markt deutlich ab. Der Wettbewerb wird zunehmend von den Parametern Preis und Kosten bestimmt und die "ökonomische Entwicklungsqualität" des Wettbewerbs sinkt unter das erforderliche Minimum (Kurve EQ) ab. In der Ausreifungsphase ermöglicht es die hohe Markttransparenz den wenigen verbliebenen Unternehmen, sich konservativ und zugleich oligopolistisch zu verhalten. 137 Das Oligopolistische Verhalten der Wettbewerber ist möglich aufgrund der hohen Markttransparenz und es äußert sich im Übergang zu einer Politik der festen Preisrelationen bzw. einer Politik des "Leben und leben lassen."138 Dadurch bedingt geht auch die Intensität des Preis- und Kostenwettbewerbs stark zurück. Kurve B schneidet in dieser Phase die Kurve W des Minimums der Prozessqualität des Wettbewerbs. Vor- und nachstoßen: der Wettbewerb findet nur noch in geringem Umfang statt. Der Konzentrationsprozess muss nicht in jedem Fall mit der in Abbildung 10 dargestellten Oligopolisierung des Marktes enden. Er schreitet gegebenenfalls weiter fort, bis nur noch ein Anbieter übrig geblieben ist. 139 Tritt dies ein, dann existieren neben dem verbliebenem einzelnen Unternehmen keine anderen selbständigen Unternehmen mehr. Es ist fraglich, ob sich unter solchen Bedingungen überhaupt wieder eine wettbewerbliehe Dynamik entfalten kann, welche der Bedarfsmarkt-Entwicklung neue Impulse verleiht. 140 Kurve C kennzeichnet jenen Fall, in welchem es einem Pionierunternehmen über die gesamte Entwicklung hinweg gelingt, sein Monopol aufrecht zu erhalten. 141 Die Markttransparenz steigt auch hier über die gesamte Zeit an. Aber dies ist im vorliegenden Fall ohne Bedeutung, denn die Kurve C erreicht ohnehin niemals die durch die Kurven EQ und W symbolisierten erforderlichen Minima, weil es keine Konkurrenz gibt. "Funktionalitätsund Qualitätswettbewerb" findet ebenso wenig statt wie "Preis- und Kostenwettbewerb". 136 Siehe dazu die einleitenden Erklärungen zur Abbildung 10 in diesem Gliederungspunkt sowie die Darlegungen in Kapitel C.I.l: "Das Phasenkonzept der Produktmarkt-Entwicklung". 137 Heuss, E. (1965), S. 265 ff. 138 Siehe dazu ausführlich Heuss, E. (1965), S. 71 ff. und S. 90-95. 139 Amdt, H. (1994), S. 205 ff. 140 Amdt, H. (1994), S. 214. 141 Vgl. Heuss, E. (1965), S. 265 ff.
II. Zeitlich und räumlich differenzierte Kennzeichen
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Kurve A veranschaulicht, dass der Zustrom an Unternehmen auch in der Ausreifungsphase theoretisch noch andauern kann und ein wesentlicher Konzentrationsprozess gar nicht stattfindet. In der letzten Phase der Bedarfsmarkt-Entwicklung kann deswegen durchaus eine polypolistische Marktstruktur vorliegen. In diesem Fall dauert es zwar länger als bei Kurve B angezeigt, bis die Marktverhältnisse für die Marktteilnehmer durchschaubar sind. Aber auch bei dieser Verlaufsform führt der Anstieg der Markttransparenz irgendwann in den späten Phasen der Bedarfsmarkt-Entwicklung dazu, dass sich konservatives und oligopolistisches Verhalten durchsetzen kann. Auch im Fall A werden also die erforderlichen Wettbewerbsminima (Kurve EQ und Kurve W) unterschritten. Abbildung 10 zeigt, dass - abgesehen vom Sonderfall C, in welchem von vomherein gar kein Wettbewerb besteht - das für Leistungswettbewerb 142 erforderliche Minimum der "ökonomischen Entwicklungsqualität" (Kurve EQ) und - zeitlich versetzt - jenes der "Prozessqualität" (Kurve W) in den späten Phasen unterschritten wird und zwar unabhängig von der Marktform. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies eintritt, steigt bereits in der zweiten Hälfte der Expansionsphase bzw. ab Beginn der "späten Expansionsphase", in welcher die Bedeutung des "Preis- und Kostenwettbewerbs" jene des "Funktionalitäts- und Qualitätswettbewerbs" zu übertreffen beginnt, stark an. 143 Konservatives Innovationsverhalten kann in den späten Phasen zur Verkrustung des Marktes bzw. der Marktstruktur führen, weil verstärkt wettbewerbsbeschränkendes Verhalten möglich wird bzw. auftritt und damit die Chancen für signifikante Innovationen weiter absinken. 144
Der Wettbewerb im weiten Oligopol führt unter den beschriebenen Bedingungen, entgegen der These des wettbewerbstheoretischen Ansatzes "funktionsfahiger Wettbewerb", nicht zu überlegenen Ergebnissen in Bezug auf den technischen Fortschritt und das gesamtwirtschaftliche Wachstum. 142 Leistungswettbewerb kann als jene Form von Wettbewerb verstanden werden, welche lediglich temporäre Monopolstellungen zulässt, eine dauerhaft gleichgewichtige ebenso wie eine dauerhaft ungleichgewichtige Verteilung der "machtschaffenden Faktoren" verhindert und technischen Fortschritt sowie Wohlfahrtssteigerungen bewirkt. Siehe dazu ausführlich oben Kapitel B.II.l: "Leistungswettbewerb". 143 Siehe dazu oben Kapitel C.l.2: "Das Phasenkonzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung" und insbesondere Abbildung 4: "Gewichtung von Funktionalität/Qualität und Preis/Kosten als Wettbewerbsparameter im Prozess der Bedarfsmarkt-Entwicklung". 144 Siehe dazu Heuss, E. (1965), insbesondere S. 264-268. Auch im Leitbild "optimale Wettbewerbsintensität" werden die zunehmenden Möglichkeiten für wettbewerbsbeschränkendes Verhalten bei fortschreitender Oligopolisierung von Märkten thematisiert und die daraus resultierende Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs hervorgehoben. Allerdings wird bei weiten Oligopolen und polypolistischen Marktstrukturen diese Gefahr nicht gesehen. Siehe Kantzenbach, E. (1967), s. 87- 93.
8 Eichner
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C. Evolutorischer Wettbewerb
Angesichts der möglichen Dominanz konservativen Innovationsverhaltens, ist eine hohe Anpassungsflexibilität der Unternehmen unter Umständen ebenfalls nicht gegeben. Wird der Wettbewerb nicht von "ökonomisch signifikanten" Innovationen getragen, dann ist die Anpassungsflexibilität der Marktteilnehmer ohnedies kaum gefordert. 145 Inwieweit mit einer hohen Wettbewerbsintensität zugleich auch eine hohe "ökonomische Entwicklungsqualität" des Wettbewerbs einher geht, ist deswegen keine Frage der Marktform. 146 Eine zentrale Bedeutung kommt stattdessen dem Verhalten und zwar insbesondere dem Innovationsverhalten von Anbietern und Nachfragern zu. Dieses wird, wie in den vorangegangenen Abschnitten a) bis d) beschrieben, in Abhängigkeit von der Phase der Bedarfsmarkt-Entwicklung variieren. 147 Es ist deswegen vor dem Hintergrund des Phasenkonzepts der Bedarfsmarkt-Entwicklung nicht möglich, zu einer uneingeschränkten Befürwortung der Marktform des Oligopols bzw. des "weiten Oligopols" zu gelangen.148 Unter Berücksichtigung der Schlussfolgerungen der Abschnitte c) und d) - zum Innovationsverhalten eines Einzelunternehmens und Unternehmen unterschiedlicher Größe -, lässt sich festhalten, dass im Oligopol für große Unternehmen letztlich viel eher ein Anreiz und auch die Chance besteht, sowohl den "Funktionalitäts- und Qualitätswettbewerb" als auch den "Preis- und Kostenwettbewerb" weitestgehend auszuschalten, als für KMU. 149 Dies gilt in noch stärkerem Maße, wenn auch das Verhalten der Nachfrage, wie es in der idealtypischen Betrachtungsweise des zuvor dargelegten Phasenkonzepts zu erwarten ist, 150 konservativ geprägt ist und somit 145 Technischer Fortschritt und Anpassungsflexibilität sind die zentralen gesamtwirtschaftlichen Funktionen, welche der Wettbewerb in der Sicht des Leitbildes "funktionsfähiger Wettbewerb" erfüllen soll. Kantzenbach, E. (1967), S. 15-19. 146 Vgl. dazu auch die definitorischen Ausführungen in Kapitel C.l.3, Abschnitt b) "Prozess- und ökonomische Entwicklungsqualität" des Wettbewerbs und "ökonomische Signifikanz" von Innovationen. 147 Siehe dazu im Einzelnen die Ausführungen im Rahmen der vorangegangenen Abschnitte a) bis d). 148 Auf den geringen Einfluss der Marktform auf die Wettbewerbsintensität und auf die Bedeutung der Marktphase hat schon Hoppmann in seiner Kritik an Kantzenbach hingewiesen. Hoppmann, E. (1966), S. 286-323, insbesondere S. 305 ff. 149 Vgl. zur phasenspezifischen Gewichtung von "Funktionalitäts-/Qualitätswettbewerb" sowie "Preis-/Kostenwettbewerb" Abbildung 4: "Gewichtung von Funktionalität/Qualität und Preis/Kosten als Wettbewerbsparameter in der BedarfsmarktEntwicklung" in Kapitel C.I.2: "Das Phasenkonzept der Bedarfsmarkt-Entwicklung" sowie Tabelle 3 "Phasenspezifische Dominanz von Unternehmertypen und Wettbewerb" in Kapitel C.II.l, Abschnitt a) "Unternehmertypen und Innovation in den Phasen der Bedarfsmarkt-Entwicklung". 150 Siehe dazu Abbildung 6: "Motive und Verhalten von Wirtschaftssubjekten in der Bedarfsmarkt-Entwicklung" in Kapitel C.II.l, Abschnitt b) "Allgemeine Motivund Verhaltenstypologie von Wirtschaftssubjekten".
II. Zeitlich und räumlich differenzierte Kennzeichen
115
vor allem der unter Abschnitt b) beschriebene traditionelle oder institutionelle Verhaltenstypus auf einem Bedarfsmarkt dominiert. 2. Zur Wettbewerbsrelevanz der Inputfaktoren
Das Phasenkonzept für die Entwicklung von Bedarfsmärkten lässt sich im Hinblick auf "Inputfaktoren" weiter differenzieren. 151 Dabei handelt es sich um all jene Faktoren, welche für die Entfaltung unternehmenscher Aktivitäten notwendig, aber für den Erfolg im vor- und nachstoßenden Wettbewerb nicht in jeder Phase der Bedarfsmarkt-Entwicklung in gleicher Weise relevant sind. Die unterschiedliche Relevanz der Inputfaktoren leitet sich aus der Evolution des Wettbewerbs ab, d. h. insbesondere aus dem Wandel in der Bedeutung der verschiedenen oben genannten Wettbewerbsparameter "Funktionalität und Qualität" sowie "Preis und Kosten". Zu unterscheiden sind in abstrakter Sichtweise die Inputfaktoren ,,Natürliche Ressourcen" (N), "Kapital" (K) und ,,Arbeit" (A) sowie ,,Externalitäten" (E). Zum Letztgenannten gehören insbesondere das technische Wissen bzw. alle denkbaren Formen von marktrelevantem Wissen sowie Infrastrukturen. Aufgrund der Bedeutung, welche unterschiedlichen Qualitäten des Faktors Arbeit im Wettbewerbs- und Entwicklungsprozess zukommt, wird dieser oft weiter untergliedert, nämlich in "hochqualifizierte Arbeit" (AA), "gelernte Arbeit" (AB) und "ungelernte Arbeit" (Ac). 152 Abbildung 11 veranschaulicht die phasenspezifische Relevanz der genannten Inputfaktoren in idealtypischer Sicht. Für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zentral sind danach vor allem "hochqualifizierte Arbeit" und "Externalitäten", "Kapital" sowie "qualifizierte Arbeit". Im Phasenablauf variiert die Wettbewerbsrelevanz dieser Inputfaktoren wie folgt: 153
Zu Beginn der Experimentierungsphase ist der Faktor "Kapital" noch wenig ausschlaggebend für das Wettbewerbsgeschehen. Doch bis zum Ende der Experimentierungsphase steigt der Finanzmittelbedarf der Unternehmen und damit auch die Bedeutung des "Kapitals" deutlich an. Denn im ÜberOberender, P. (1988), S. 11 ff. Oberender, P. (1988), S. 37 ff. Eine ähnliche Gliederung findet sich schon bei Hirsch, S. (1967), S. 23 und S. 35; vgl. ebenso Freeman, der die Unterteilung von Hirsch übernimmt (Freeman, C. (1974), S. 270 ff., insbesondere S. 273 und S. 275); siehe des Weiteren Taylor/Thrift, welche den Faktor "Arbeit" im Unterschied zu Hirsch, Freeman und Oberender nicht in drei, sondern in vier Kategorien (Management, Technical Know-how, Skilied Labour und Unskilled Labour) untergliedern (Taylor, M.!Thrift, N. (1983), S. 456). Bei Hirsch, Freeman und Taylor/ Thrift wird jedoch im Gegensatz zu Oberender der Faktor "natürliche Ressourcen" nicht berücksichtigt. 153 Vgl. zum Folgenden Oberender, P. (1988), S. 11 ff. sowie Albach, H. (1981), S. 95 ff. und Eichner, S. (1997), S. 48 ff. 151
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s•
C. Evolutorischer Wettbewerb
116 Phase Grad der Faktorrelevanz
Experimentierung
Expansion
Stagnation und Rückbildung
Ausreifung
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