Wahrheit und Katastrophe: Texte zu Adorno 9783839442692

Theodor W. Adorno (1903-1969) is considered to have been a significant thinker of his age - and his critical theory is c

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German Pages 372 Year 2018

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Table of contents :
Inhalt
1 Vorab
Teil I
2 Kritik üben
3 Adorno nicht. Kritik als Praxis in Zeiten deren Unmöglichkeit
4 »Gleich ist zugleich nicht gleich«. Adornos rettende Kritik des Tausches
5 Recht hat Shylock. Der Jude fast als Bürger in Shakespeares »The Merchant of Venice«
6 Zeitdiagnose
7 Zum Materialismus der Kritischen Theorie. Bemerkungen über »ein paar Thesen« Adornos
8 Die Erfahrung der Gesellschaft. Grundsätzliches zur philosophischen Erkenntnis
Teil II
10 Das Denken der Kritischen Theorie. Die Sitzungsprotokolle aus den Seminaren Adornos 1949–1969
11 Adornos Einleitung in das Hauptseminar »Probleme der Bildungssoziologie«
12 Adornos Einleitung in das Hauptseminar »Probleme der qualitativen Analyse«
13 Drei Sitzungsprotokolle aus den Frankfurter Seminaren
14 Seminarprotokolle und wissenschaftliche Edition
Teil III
15 Kulturindustrie is coming heim. Eine Vergangenheitsbewältigung
16 Poröses Denken
18 Nach Auschwitz blablabla
Literaturverzeichnis
Drucknachweise
Danksagung
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Wahrheit und Katastrophe: Texte zu Adorno
 9783839442692

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Dirk Braunstein Wahrheit und Katastrophe

Edition Moderne Postmoderne

Dirk Braunstein (Dr. phil.), geb. 1971, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main. Seine Forschungsschwerpunkte sind Kritische Theorie, Kulturindustrie, das Verhältnis von Philosophie und Soziologie und Archivtheorie.

Dirk Braunstein

Wahrheit und Katastrophe Texte zu Adorno

© 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4269-8 PDF-ISBN 978-3-8394-4269-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

F K H  L  D

Inhalt 1

Vorab 11

Teil I 2

Kritik üben 17

3

Adorno nicht. Kritik als Praxis in Zeiten deren Unmöglichkeit Anhängsel der Maschinerie 45 Notwendigkeit eines psychologischen Surplus 46 Dient der abermaligen Unterdrückung 50 Nicht in Ordnung 53

. . . . 4

»Gleich ist zugleich nicht gleich«. Adornos rettende Kritik des Tausches . Ein Widerspruch, der aus der Sache selber folgt 55 . Drohung und Versöhnung 58 . Die Bedingung möglicher Gerechtigkeit 62 5 . . . . .

Recht hat Shylock. Der Jude fast als Bürger in Shakespeares »The Merchant of Venice« Why look how you storm! 69 To offend and jugde are distinct offices 71 To bait fish withal 73 Thou shalt have justice more than thou desir’st 77 In such a night 85

6 . . . . . .

Zeitdiagnose Historische Bedingtheit 91 Bedeutung in der Gesellschaftstheorie 92 Kapitalismus und Klassen 93 Produktionsverhältnisse und Produktivkräfte 95 Kulturindustrie und Standardisierung 98 Ideologiekritik 99

7

Zum Materialismus der Kritischen Theorie. Bemerkungen über »ein paar Thesen« Adornos 103

8

Die Erfahrung der Gesellschaft. Grundsätzliches zur philosophischen Erkenntnis 125

9 . . . . . .

Adornos Lukács. Ein Lektürebericht Vorbemerkungen 148 Ursprung und Entwicklung des intellektuellen Trauerspiels 157 Kommunistischer Rechtshegelianismus 169 Idealistischer Materialismus 175 Verlogener Realismus 185 Erbärmliche Verflachung der Dialektik 191

Teil II 10 . . . . . . .

Das Denken der Kritischen Theorie. Die Sitzungsprotokolle aus den Seminaren Adornos 1949–1969 Protokollierung 201 Übersicht der überlieferten Protokolle 204 Adorno als akademischer Lehrer 207 Beispiel I: Max Weber 211 Beispiel II: Musiksoziologie 213 Seminarprotokolle als wissenschaftliche Textgattung 214 Edition und Publikation 218

11

Adornos Einleitung in das Hauptseminar »Probleme der Bildungssoziologie« 225

12

Adornos Einleitung in das Hauptseminar »Probleme der qualitativen Analyse« 233

13 . . . .

Drei Sitzungsprotokolle aus den Frankfurter Seminaren Personen und Kontexte 240 Werner Sörgel, . Juli  242 Helmut Dahmer, . Juli  251 Hans-Jürgen Krahl, . Februar  258

14 . . . . .

Seminarprotokolle und wissenschaftliche Edition Seminarprotokolle und Vorlesungsmitschriften 265 Autorschaft, Autorisierung, Authentizität 266 Nutzen der Rezeption 267 Exemplarische Publikationen von Seminarprotokollen 268 Probleme bei der Publikation 270

Teil III 15

Kulturindustrie is coming heim. Eine Vergangenheitsbewältigung . Erstens 275 . Zweitens 276 . Letztens 309 16

Poröses Denken 313

17 . . .

Die Natur der Soziologie Ach, Soziologie! 321 Sei’s drum … 323 Suffixsoziologie 325

18

Nach Auschwitz blablabla 327

Literaturverzeichnis Siglenverzeichnis 333 Weitere Literatur 338 Drucknachweise 365 Danksagung 369

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Vorab

Wie in der Allegorese erlaubt das Und alles mit allem zu verbinden und ist darum ohnmächtig zum Meisterschuß. A, T

Die hier versammelten Texte sind hinsichtlich ihrer Entstehungsbedingungen und -zeiten sowie ihrer Publikationsorte einigermaßen disparat. Eine Klammer mag, wenn gar, die im recht deskriptiven Untertitel dieses Buchs angezeigte sein: Alle Beiträge setzen sich, in der einen oder anderen Weise, mit Theodor W. Adorno auseinander oder fühlen sich zumindest seiner Kritischen Theorie verpflichtet. Zumal die weit auseinanderliegenden Publikationsorte ließen es als wünschenswert erscheinen, jene Texte in einem Band zu präsentieren. Das großzügige Entgegenkommen des Verlags tat schließlich das übrige und entscheidende. Etliches wurde, um Dopplungen zu vermeiden, gegenüber den Erstveröffentlichungen gestrichen, weniges korrigiert oder sprachlich verbessert. Redundanzen konnten – wie dem Autor nur zu bewußt ist – dennoch leider nicht stets vermieden werden. Sie verdanken sich zum einen der Insistenz auf bestimmten Themen, deren weitere Bearbeitung sich von Zeit zu Zeit aufdrängte; zum anderen den teilweise nachgerade absurden Anforderungen des herrschenden Wissenschaftsbetriebs und dessen Arbeitsteilung, die einen mehr oder minder ›soziologischen‹ Kommentar innerhalb eines nominell als ›Philosophie‹ ausgewiesenen Bereichs bereits als ›interdisziplinär‹ entweder abfeiert oder aber streng die Unzuständigkeit auf angeblich fachfremdem Gebiet anmahnt. Kein Grund zur Klage (sondern zur Kritik), mag dies aber immerhin erklären, weshalb derjenige, dem die Dissertation des Autors, Adornos Kritik der politischen Ökonomie, vertraut ist, in den Kapiteln  und  dieses Buchs wenig

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E I N L E ITU NG

Neues finden wird: Diese Texte waren Vorarbeiten für jene Dissertation – seien Sie also gewarnt. Der Verfasser hat es sich im übrigen versagt, die Beiträge nach Möglichkeit auf einen ›heutigen Stand‹ zu bringen, wenngleich dies bei manchen Texten durchaus nahegelegen hätte. Nach Versuchen in diese Richtung wurde unmißverständlich deutlich, daß vieles stark hätte erweitert oder besser noch völlig überarbeitet werden müssen, ein Vorgehen, daß der Idee einer Sammlung bereits veröffentlichter Schriften offenkundig entgegensteht. –––––––––– Der erste Teil dieses Bandes versammelt Texte, die sich als Beiträge zur Kritischen Theorie verstehen. Neben der Frage, was eigentlich Kritik sei (Kapitel ), wendet er sich deren praktischen Möglich- bzw. Unmöglichkeiten (Kapitel ) zu. Nach der Analyse der Ökonomiekritik Adornos (Kapitel ) behandelt jener Teil im weiteren einige rechtsphilosophische Implikationen, die sich aus der Identitätskritik ergeben (Kapitel ), Zeitdiagnose als Aufgabe Kritischer Theorie (Kapitel ), das Problem des Materialismus (Kapitel ), den Erfahrungsbegriff Kritischer Theorie (Kapitel ) sowie die Auseinandersetzung Adornos mit Georg Lukács (Kapitel ). Teil II bringt Texte, die sich allesamt dem Editionsprojekt »Die Frankfurter Seminare Theodor W. Adornos. Edition und Publikation der Gesammelten Sitzungsprotokolle –« verdanken, das der Autor, finanziert durch die Gerda Henkel Stiftung, seit  am Institut für Sozialforschung in Frankfurt a.M. bearbeitet. Zunächst wird das Vorhaben selbst vorgestellt (Kapitel ), anschließend werden die Einleitungen Adornos in zwei seiner Seminare kommentiert (Kapitel  und ) und drei jener Sitzungsprotokolle abgedruckt, die Teil der gegenwärtig durchgeführten Edition sind (Kapitel ). Abschließend werden Seminarprotokolle als solche als wissenschaftliche Textgattung diskutiert (Kapitel ). Im dritten Teil folgen schließlich Polemiken, die sich verschiedenen Gelegenheiten, allesamt in Auseinandersetzung mit der Theorie oder aber lieber gleich der Person Adornos, verdanken; entstanden letztlich stets als Akt der Notwehr: sei es, um die kulturindustrielle Vereinnahmung Adornos anläßlich seines hundertsten Geburtstags als den Müll zu kennzeichnen, der sie war und ist und sein will (Kapitel ), sei es, um dem Jargon der hiesigen sog. Kulturwissenschaften wenigstens, wenngleich freilich nutzlos, zu signalisieren, daß er

vorab

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einer ist (Kapitel ). Der Beobachtung einer für alles und also nichts zuständigen Soziologie (Kapitel ) folgt schließlich ein kurzer Beitrag zur Tatsache, daß Adornos kritische Gesellschaftstheorie, wenn nur entsprechende Textpassagen in einen politisch-obszönen Kontext gestellt werden, als Zeugin für einen pseudointellektuell aufgehübschten Antisemitismus hergenommen werden kann (Kapitel ). – Was oben über die festgezurrten Disziplinengrenzen gesagt wurde, gilt für die von wissenschaftlicher Reinheit und Polemik um so mehr; dies, wie generell das Hingezogensein des Wissenschaftsbetriebs zu bestimmten Ausdrucks- und Darstellungsweisen sowie die Herabwürdigung nicht längst approbierter sprachlicher Formen, zu analysieren, wäre im übrigen ein Unterfangen, das auch mal wer in Angriff – – – soviel also hierzu.

Teil I

2

Kritik üben

Hier in der Nähe befindet sich eine Station zur Gewinnung von Serum, mit hunderten von Pferden. Sie bewegen sich langsam, denn sie haben keine Hufeisen an, damit sie bei den Manipulationen nicht ausschlagen können. Gegen Menschen sind sie äußerst scheu. Ich gehe täglich hin wie Sie es auch täten. Die Tiere erinnern mich sanft und unerbittlich an das was wir zu tun haben. A  H, . A  […] jene heilsame Lust zum Dreinschlagen […] A  H, . D 

»Ist die Diskussion über die Frage: Was ist Kritik? innerhalb der Neuen Linken nicht sogar weitgehend abgebrochen, müßte also der Modus der Kritik nicht überhaupt erst wieder zum Gegenstand gemacht werden? Der kritische Weg scheint völlig offen«1, bemerkt die Hochschulgruppe der Antifaschistischen Aktion Berlin und bietet damit eine von allzu vielen guten Gelegenheiten, sich einige Gedanken über Begriff und Praxis von Kritik zu machen: Das Phänomen der allwaltenden Forderung nach Kritikfähigkeit einhergehend mit der tiefsitzenden Abneigung gegen oder gar Angst vor Kritik fällt, nach mittlerweile gründlich vollzogener Aufgabenteilung, wohl in den Zuständigkeitsbereich der Psychologie. Wie bei jedem psychischen Vorgang machen sich aber auch hier gesellschaftliche Erwartungen und Distanzierungen geltend, die über die geübte oder eben lieber doch nicht geübte Kritik wiederum auf die 1

Hochschulgruppe der Antifaschistischen Aktion Berlin , »We didn’t start the fire, it was always burning since the world was turning. Gewalt in der bürgerlichen Gesellschaft, S. . Vgl. dazu Adornos Aussage: »Kants Satz, der kritische Weg sei allein noch offen, ist einer von jenen verbürgtesten, deren Wahrheitsgehalt unvergleichlich viel größer ist als das an Ort und Stelle Gemeinte.« (Theodor W. Adorno, »Über Tradition«, AGS, Bd. ., .)

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TEIL I

Gesellschaft einwirken. Gewiß ist jedenfalls: »Die Anstrengung zu denken wird von der Schwierigkeit bestimmt, sich aus dem kollektiven Unbewußten ebenso zu lösen wie aus der Reproduktion der allgemeinen Meinung.«2 Wird das Resultat des eigenen Denkens im Modus der Kritik geäußert, so werden erfahrungsgemäß Kritikabwehrmechanismen in Gang gesetzt, deren letztes Mittel schließlich ist, »den Kritiker zu pathologisieren.«3 Liberaler Gesinnte formulieren »geringschätzige Plurale wie ›Aufgeregtheiten‹ und ›Missbefindlichkeiten‹«, die ihrerseits zur »Pathologisierung von Kritikern, in deren Seelenleben man per Ferndiagnose herumstochert, passen«: »Wer wird sich ernsthaft mit Spinnern auseinandersetzen?«4 In Wissenschaft und Philosophie, in der Wissenschaftstheorie zumal, wird jeder noch so berechtigte Wunsch nach Veränderung solange als Resultat divergenter Weltanschauung, d.h. Ansichtssache verworfen – der jederzeit entgegengehalten werden kann, daß, was ist, sich allein dadurch begründet, daß es ist –, solange er nicht, als Kritik am Bestehenden vorgebracht, seine Berechtigung (besser noch: seine Notwendigkeit) theoretisch begründen kann. Gefordert wird, daß Kritik sich in ihrem Vollzug selbst legitimiere. Sie muß insofern zwei Aufgaben in eins erfüllen. Diese doppelte Aufgabe kritischer Theorie besteht darin, erstens: kritische Begriffe für – und das heißt: gegen – das Bestehende zu finden; zweitens: jene Begriffe auf sich selbst als Moment des Bestehenden zu beziehen. Auf diese Weise ist Gesellschaftskritik unauflöslich mit Gesellschaftstheorie verschränkt, weil sich ausgehend vom rein Empirischen weder zeigen läßt, daß zu kritisierende Einzelphänomene sich dem gesellschaftlichen Ganzen verdanken noch daß Gesellschaftskritik hier und jetzt Resultat der bestehenden, historisch-spezifischen Gesellschaftsformation ist. Eine solche Wechselseitigkeit macht sich naturgemäß auch aus entgegengesetzter Perspektive geltend: »Kritik praktiziert sich nicht abgelöst, sondern entwickelt sich an den Gegenständen, an die das Denken gerät; es reflektiert die Sache der Kritik an den Sachen, die es reflektiert.«5 Kritik und ihr Gegenstand sind derart ver2 3 4 5

Roger Willemsen , Kopf oder Adler. Ermittlungen gegen Deutschland, S. . Richard Schuberth , »Wer liebt Elfriede Jelinek?«, S. . Theodor Ickler , Falsch ist richtig. Ein Leitfaden durch die Abgründe der Schlechtschreibreform, S.  f. Karl Riha , Kritik, Satire, Parodie. Gesammelte Aufsätze zu den Dunkelmännerbriefen, zu Lesage, Lichtenberg, Klassiker-Parodie, Daumier, Herwegh, Kürnberger, Holz, Kraus, Heinrich Mann, Tucholsky, Hausmann, Brecht, Valentin, Schwitters, Hitler-Parodie und Henscheid, S. .

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mittelt, daß eine umfassende Theorie der Gesellschaft aufgrund ihres Gegenstands eine Kritik desselben erzwingt. Mit anderen Worten: Eine Gesellschaftstheorie, die aufs Ganze der Gesellschaft geht, muß notwendigerweise Gesellschaftskritik sein. Gesellschaftskritik heißt Kritik der Gesellschaft; damit ist allerdings noch nicht ausgemacht, was Gesellschaft ist. »Wissen um das Objekt der Kritik wird zur Bedingung dafür, daß sie sitzt. So schwer geht Kritik. Kein Wunder, daß da laufend Fehler gemacht werden.«6 Und kein Wunder auch, daß bei einem praktisch allumfassenden Objekt die als überflüssiger Ballast empfundene Theorie schon mal leichten Herzens über Bord geworfen wird. Schon das Zentralorgan der Aufklärung im . Jahrhundert, die ›Encyclopédie‹ von Diderot und d’Alembert, kennt jenes Nichtwissenwollen, gepaart mit dem Wunsch, trotzdem und jedenfalls dagegen zu sein: »Le critique ignorant est celui qui ne connoît point, ou qui connoît mal ces objets de comparaison«7: »Ein Wörtchen mitreden – die Sehnsucht des Laien. Und sei’s ›Scheiße‹.«8 – Daß daran erinnern seitdem nicht Eulen nach Athen tragen heißt, weist auf eine selbstverschuldete Unmündigkeit jener hin, die Gesellschaftskritik in emanzipatorischer Absicht verwechseln mit unmittelbarer Praxis. »Anhand der Abwehrhaltung [derer], die textschwangere Gesellschaftskritik als universitären Kram bezeichnen, verrät sich das Kind heutiger Gesellschaft, die nichts anderes hervorzubringen vermag, als an platter Identifikation orientierten plumpen Aktionismus.«9 Es war jene geschichtliche Epoche, die »sich selbst als Zeitalter der Kritik begriffen«10 hat, die erkannte, daß als Inbegriff kritischer Vernunft Bedingung 6 7

8 9 10

[Anonym] , »Kritik – wie geht das?«, S. . Jean-François Marmontel , »Critique«, S. . (Auf deutsch etwa: »Der unwissende Kritiker ist derjenige, der diese Vergleichsgegenstände gar nicht oder nur schlecht kennt.«) Reinhart Koselleck weist darauf hin, daß sich am zitierten Artikel Jean-François Marmontels über ›critique‹ zeigt, daß Kritik seinerzeit »über Kunst und Wissenschaft hinaus bereits definitionsgemäß Staat und Gesellschaft erfaßt hat.« (Reinhart Koselleck , Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, S. , Fn.) Frank Schulz , Morbus fonticuli oder Die Sehnsucht des Laien, S. . ›Hannes‹ , »Kritik der Politik. Eine parteiische Reprise«, S. . Kurt Röttgers , Kritik und Praxis. Zur Geschichte des Kritikbegriffs von Kant bis Marx, S. . Claus von Bormann relativiert jene Selbstzuschreibung allerdings, wenn er sagt, »daß mit guten Gründen jedes Jahrhundert seit etwa  als ›Zeitalter der Kritik‹ bezeichnet werden konnte.« (Claus von Bormann , Der prakti-

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TEIL I

von Freiheit ist,11 das, was als natürlich bloß erscheint, als gesellschaftlich Veranstaltetes zu decouvrieren, als unnatürliche Naturhaftigkeit gesellschaftlicher Formen. »In jener Phase, und über sie hinaus, war die Frage nach Freiheit die genuine, ob die Gesellschaft dem Individuum so frei zu sein gestattet, wie sie es ihm verspricht; damit auch, ob sie selbst es ist. Das Individuum ragt über den blinden Zusammenhang der Gesellschaft temporär hinaus, hilft aber in seiner fensterlosen Isoliertheit jenen Zusammenhang erst recht reproduzieren«12, wie ausführlich von Marx dargelegt wurde, dem es unter anderem um die Beantwortung der Frage zu tun war, »in welcher Weise in einer Gesellschaft von Privatproduzenten ein kohärenter gesellschaftlicher Zusammenhang hergestellt wird.«13 Der Begriff der Kritik, wie er heute nicht mehr nur in der Philosophie, sondern in sämtlichen Wissenschaften und auch in der Alltagssprache verwendet wird, geht zwar bis auf die griechische Antike zurück,14 wurde aber erst in

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sche Ursprung der Kritik. Die Metamorphosen der Kritik in Theorie, Praxis und wissenschaftlicher Technik von der antiken praktischen Philosophie bis zur neuzeitlichen Wissenschaft der Praxis, S. .) »Kritik und Kritizismus entstanden im Zuge einer großen intellektuellen Bewegung im Europa des . Jahrhunderts. In ihrem Mittelpunkt stand die philologische Untersuchung von antiken Texten, einschließlich der heiligen Schriften. Im folgenden Jahrhundert wurde dies auf die Kritik der Politik, der Religion und der Vernunft ausgedehnt.« (Göran Therborn , »Dialektik der Moderne. Kritische Theorie und Vermächtnis des Marxismus des . Jahrhunderts«, S. .) Adorno, Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Michael Heinrich , Die Wissenschaft vom Wert. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher Revolution und klassischer Tradition, S. . Dem Historischen Wörterbuch der Philosophie zufolge geht der heutige Kritikbegriff auf das griechische Wort ›κριτική (τέχνη)‹ zurück, »wobei die Bedeutung von ›beurteilen‹ oder ›entscheiden‹ in ethisch-politischer und juristischer Hinsicht, aber auch ganz allgemein im unterscheidenden Wahrnehmungsurteil oder Denkakt überwiegt.« (von Bormann , »Kritik«, Sp. .) Kritik als Instrument des unterscheidenden Urteils wird bereits von Aristoteles nicht nur auf alltägliche Praxis bezogen, sondern auf Logik und Wissenschaft im allgemeinen. (Ebd., Sp.  f.; ebd., Sp.  f.) Einen weiteren Objektbereich erhält die Kritik aus der Philologie: »Der philologische Beruf erhielt seit etwa  v.Chr. neben den Bezeichnungen des Grammatikers (γραμματικός) und des Philologen (φιλόλογος) die des Kritikers (κριτικός). Nach späterem Zeugnis scheint sogar der Name des ›Kritikers‹ der ursprüngliche terminus technicus für Literaturwissenschaftler gewesen zu sein.«

kritik üben

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der Neuzeit, »als die massive Sicherheit des mittelalterlichen Weltbildes zerbrochen und das Ideal der Antike, das der Renaissance zum Ersatz gedient hatte, verloren ist«15, in einer Weise verwendet, die dem heutigen übergreifenden Verständnis von Kritik entspricht: »Zwar wurde immer kritisiert, seit es Menschen gibt, aber daß Kritik, so bewußt eingesetzt, zum wichtigsten Mittel wird, Wahrheit und Gut des Menschen ans Licht zu bringen, ist doch eine spezifisch neuzeitliche Erscheinung.«16 So ist Kant »sicherlich einer der ersten Namen, die genannt werden«, nicht nur, wenn »über den Kritikbegriff der Philosophie gesprochen wird«17, sondern auch wenn es gilt, den Anfang des alltagssprachlichen wie wissenschaftlichen Begriffs von Kritik dingfest zu machen. Denn erstmals für Kant ist »Kritik […] die Aufgabe der Öffentlichkeit«18 und nicht bloß das erkenntnisbefördernde exakte Urteilsvermögen einiger Philosophen. Kritik wird zum Verfahren, aufgrund vorausgesetzter Freiheit »von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen«19, und damit wird Kritik zum ersten Mal gesellschaftlich: als politisches Instrument. Dessenungeachtet wird Kritik nicht dadurch bereits zur Gesellschaftskritik; im Gegenteil: »Das Eigentümliche des kritischen Verfahrens besteht [bei Kant] nun darin, Behauptungen, Gegenbehauptung und Prüfung in das einzige Subjekt hineinzunehmen und hier, im Sandkasten gewissermaßen, das Gefecht noch einmal ausführen zu lassen. De facto ist das eine Verinnerlichung der Gelehrtenrepublik.«20 Kant fordert, man solle »als Gelehrter« von der eigenen Vernunft »vor dem ganzen Publikum der Le-

15 16 17 18 19 20

(Ebd., ; vgl. dazu Helmut Beumann , »Der Schriftsteller und seine Kritiker im frühen Mittelalter«.) Nachdem sich das »seit dem . Jh. bezeugte Substantiv Kritik« (Günther Drosdowski , Duden »Etymologie«. Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache, S. ) in der deutschen Sprache etabliert ist – laut Etymologischem Wörterbuch des Deutschen zunächst »Critique. Ende . Jh., dann Critic, Critik. . Jh.« (Wolfgang Pfeifer et al. , Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, S. ); Röttgers zufolge taucht das Wort ›Kritik‹ hingegen »in deutscher Sprache erstmals « (Röttgers , Kritik und Praxis, S. ) auf –, bezeichnet das Grimmsche Deutsche Wörterbuch »kritik« ganz in diesem Sinne als »die kunst des fachmäszigen urtheilens oder beurtheilens in sachen der künste und wissenschaften.« ([Anonym] , »kritik«, Sp. .) von Bormann , Der praktische Ursprung der Kritik, S. . Ebd., S. . Röttgers , Kritik und Praxis, S. . Gerhard Schweppenhäuser , Theodor W. Adorno zur Einführung, S. . Immanuel Kant , »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?«, S. . Röttgers , Kritik und Praxis, S. .

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TEIL I

serwelt«21 Gebrauch machen. Demgemäß hat vernunftgeleitete »exteriore Kritik«22 ihren Ort in der vorgestellten Idealgesellschaft. Kritik ist hier nicht Äußerung eines Veränderungswillens, sondern Instrument der Einsicht ins gesellschaftspolitisch Gegebene. Sie soll, innerlich wie äußerlich, Frieden stiften,23 indem sie als vernünftiges Urteilskriterium der Vernunft zu ihrer letzthinnigen Durchsetzung verhilft. Die Öffentlichkeit, die Kant als Subjekt der Kritik reklamiert, ist durch die ihr zugewiesenen Funktionen jedoch wieder nur die engbegrenzte Halböffentlichkeit der Gelehrten, deren gesellschaftliche Stellung erst erlaubt, Kants Forderung nach Kritik überhaupt erfüllen zu können, um als Ausübungs- und Etablierungsinstanz philosophischer Kritik zu fungieren. Durchaus trifft auch Kant der Einwand Adornos gegen die Hypokrisie derer, die der Kritik a priori einen ihr bestimmten Ort und eine ihr vorbestimmte Funktion zuweisen wollen: »Kritik, so wird immer wieder vorgebetet, soll verantwortlich sein. Das läuft aber darauf hinaus, daß zu ihr eigentlich nur diejenigen berechtigt seien, die in verantwortlicher Position sich befinden, so wie ja auch der Anti-Intellektualismus an beamteten Intellektuellen wie den Professoren bis vor kurzem seine Grenze hatte. […] Kritik wird gleichsam departementalisiert. Aus einem Menschenrecht und einer Menschenpflicht des Bürgers wird sie zum Privileg derer gemacht, die durch ihre anerkannte und geschützte Stellung sich qualifizieren.«24 So bezieht sich Kants Kritikbegriff zwar weiterhin auf philosophische Kritik,25 auf die Transzendentalphilosophie zumal: kritisch nennt er Distinktionsbestimmungen, aufgrund deren die Selbstbegründung der Vernunft vollzogen werden kann; seine Kritik ist keine am Gegenstand, sondern Instrument, dessen Geltung zu bestimmen, so daß »kritische Philosophie zum Sektennamen der Kantianer wurde«26, an denen es war, »›kritisch‹ mit ›kantisch‹ bzw. ›transzendentalphilosophisch‹ zu identifizieren.«27 – Es war jedoch auch Kant, der den Objektbereich jenes Begriffs über die gesellschaftliche Funktion der Vernunft auf die Gesellschaft ausdehnte – wenngleich in affirmativer Ab21 22 23 24

25 26 27

Kant, »Beantwortung der Frage …«, S. . Röttgers , Kritik und Praxis, S. . Vgl. ebd., S. . Adorno, »Kritik«, AGS, Bd. ., S.  f. – Zusammengefaßt heißt das: »Kritik am Privileg wird zum Privileg« (ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. ) – und ist insofern wiederum der Kritik ausgesetzt. Vgl. W.P. Krause , »Das historische Spektrum der philosophischen Kritik«. Röttgers , Kritik und Praxis, S. . Ebd., S. .

kritik üben

23

sicht: Wenn Kritik (vermittelst Vernunft) der Gesellschaft dient, kann Kritik nicht die Gesellschaft als Objekt haben, vergleichbar Hegels »Abneigung gegen Kritik«, welche »zusammen[geht] mit seiner These, das Wirkliche sei vernünftig.«28 Kritik an der Gesellschaft, an der gesellschaftlichen Form ›Staat‹ zumal, ist für Hegel schon deshalb abwegig, weil diese das Medium, als Publikum bzw. als Volk, ist, in dem sich Kritik erst bewegt; weil andererseits jenem – dem Staat – die Aufgabe zufällt, das kritische Urteil von parteilichen Interessen freizuhalten: »Hegel setzt […] eine tendenzielle Übereinstimmung zwischen Volk und Staat voraus, die durch falsche Propheten – je nach deren Einfluß – gestört oder gehindert wird.«29 Die Kritik bei Hegel erfüllt also einerseits ganz im Sinne der Aufklärung den Zweck der Verbesserung der Lebensumstände; ohne allerdings diese Umstände selbst zu kritisieren. Wie bei Kant wären aus der Sicht Hegels Kritik an Volk und Staat sowie an den Bedingungen, die diese Gemeinschaftsformen erst ermöglichen, nicht nur illegitim, sondern nachgerade absurd. Besagtes Urteil: »Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig«30, als vernunftbegründeter Imperativ, wie Adorno formuliert, »vor der Wirklichkeit [zu] kapitulieren«31, ist kategorisch und soll unabhängig von

28

29 30 31

Adorno, »Kritik«, AGS, Bd. ., S. . – Röttgers weist darauf hin, daß sich eine »Aufspaltung des Begriffs« (Röttgers , Kritik und Praxis, S. ) der Kritik bei Hegel besonders in seinen systematischen Hauptwerken feststellen läßt. Drei »semantische Kreise« (ebd., S. .) seien es, in denen sich der Kritikbegriff als nurmehr impliziter bewege: Der Widerspruch und das Negative, (ebd.,  ff.) die Prüfung in der ›Phänomenologie des Geistes‹ (ebd.,  ff.; vgl. Georg Friedrich Wilhelm Hegel , Phänomenologie des Geistes, S.  f.) und das Prinzip der immanenten Kritik (Röttgers , Kritik und Praxis, S. .). Adorno charakterisiert letzteres dadurch, daß es den Kritisierten »mit seiner eigenen Kraft dorthin treibt, wo er um keinen Preis möchte, und ihm mit dem Geständnis der eigenen Unwahrheit Wahrheit abnötigt.« (Adorno, Zur Metakritik der Erkenntnistheorie. Studien über Husserl und die phänomenologischen Antinomien, AGS, Bd. , S. ; vgl. Röttgers , Kritik und Praxis, S. .) Gleichwohl steht dieser Modus der Kritik bei Hegel ausschließlich für die rein philosophische Kritik. Ebd., S. . Hegel , Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse, S. . Adorno, »Kritik«, AGS, Bd. ., S. . – Bezeichnenderweise negiert Adorno gerade diese Hegelsche Bestimmung, indem er den gesellschaftlichen »Verblendungszusammenhang«, in dem die Gesellschaft unterm Kapital verfangen ist, als »universal« betrachtet: was ist, ist unvernünftig, weil es ein vermitteltes Moment des

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etwaigen historischen oder gesellschaftlichen Variablen gelten, um Kritik am Bestehenden ein für alle Mal als unvernünftig festzuschreiben. Kurt Röttgers bringt den landläufigen und gleichwohl in der Wissenschaft gebräuchlichen Begriff der Kritik auf den Punkt, wenn er sagt: »Niemand könnte sich dazu bekennen, unkritisch zu sein, und niemand kann den Vorwurf, unkritisch zu sein, hinnehmen, ohne eine Einbuße an Legitimität.« Und weiter, in bezug auf die Wissenschaften: »›Unkritische Wissenschaft‹ ist daher nur als Vorwurf zur Kennzeichnung der gegnerischen Position zu gebrauchen, indem diese Begriffszusammenstellung als solche als ein Widerspruch in sich angesehen wird.«32 Demgemäß zeugen »›kritische Philosophie‹, ›Kritizismus‹, ›kritische Theorie‹, ›kritischer Rationalismus‹«33 von einer »emphatischen Anwendung von Kritik«34, die als solche zugleich auf »Monopolisierungstendenzen des Kritikbegriffs«35 innerhalb jener Theoriekonzepte hinweist. Die bloße Selbstbezeichnung als ›kritisch‹ wird dergestalt – unabhängig von der Frage, was denn nun inwiefern kritisiert wird – zum Distinktionsmerkmal einer bestimmten Auffassung davon, was als wissenschaftlich zu gelten habe. Des Unkritischen und sohin der Unwissenschaftlichkeit wird geziehen, wessen Tätigkeit und Theorie sich nicht dem – in irgendeiner Form ›kritischen‹, was dann zumeist nichts weiter als Reflexivität implizieren soll – Wissenschaftsideal des Kritikers fügen. »Offensichtlich führt der Begriff der Kritik heute eine solch zwingende Kraft mit sich, daß man zu seinem Gebrauch sich nicht vor Pleonasmen scheut;

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ganzen Falschen ist. (Vgl. ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. ; ders., Ästhetische Theorie, AGS, Bd. , S. .) Röttgers , »Kritik«, S. . Ders. , Kritik und Praxis, S. . von Bormann , Der praktische Ursprung der Kritik, S. . – Jene Emphase macht von Bormann bei »Hermeneutische[r] Reflexion, kritische[m] Rationalismus, analytische[r] Sprachphilosophie, kritische[r] Theorie und marxistisch-materialistische[r] Philosophie« aus (ebd.). – Das Historisch-Kritische Wörterbuch des Marxismus notiert: »Kritisches Gesellschaftsdenken in der Nachfolge v.a. der marxschen Kr[itik der] p[olitischen] Ö[konomie] blieb in den Ländern des Kapitalismus Kritik bürgerlicher Wissenschaft und galt daher nicht als allgemeine G[esellschaftstheorie]. Marxistische Wissenschaft entfaltete sich oppositionell und wählte zumeist ausdrücklich das Suffix ›kritisch‹ – manchmal auch ›demokratisch‹ – zur Selbstbezeichnung: Kritische Theorie, Kritische Psychologie, Kritische Pädagogik, Kritische Justiz, demokratische Psychiatrie usw.« (Frigga Haug , »Gesellschaftstheorie«, Sp. . – Das vermeintliche Suffix ist hier allerdings ein Adjektiv.) von Bormann , Der praktische Ursprung der Kritik, S. .

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denn kritische Vernunft, kritische Reflexion und kritische Wissenschaft besagen in ihrer konkreten Verwendung sehr oft nichts anderes als Vernunft, Reflexion und Wissenschaft ohne dies schmückende Beiwort auch schon bedeuten. Man benötigt den Zusatz ›kritisch‹, um Unterscheidungen einzuführen, die das je Gemeinte vom schon vorher Geltenden absetzen sollen. Und da keine Tradition, keine Autorität mehr ungeprüft gilt, sondern ihrerseits, wo man ihrer bedarf, selbst erst unter Destruktion der vorangehenden konstruierend gesetzt wird, erhält das Wort ›Kritik‹ fast dieselbe Dignität wie einst Vernunft oder Wahrheit.«36 So Claus von Bormann in seiner Untersuchung zum ›Praktischen Ursprung der Kritik‹. Und infolgedessen kann, wem daran gelegen ist, im Wissenschaftsbetrieb mit seiner Tätigkeit Wirkung zu erzielen bzw. zu Anerkennung und Geltung zu gelangen, sich und seine Äußerung nicht als unkritisch stigmatisieren lassen, denn dies bezeugte eine blinde Übernahme des bereits Überkommenen und die Wiederholung zu korrigierender Fehler der (wissenschaftsgeschichtlichen) Vergangenheit; kurz: ein zutiefst affirmatives, ja dogmatisches Verhalten den Forschungsobjekten gegenüber. Alle Wissenschaft geriert sich kritisch. In dieser Hinsicht paradigmatisch ist der Kritische Rationalismus, erhebt er doch für Kritik den Anspruch einer letztgültigen Legitimationsinstanz nicht nur für die Natur-, sondern übergreifend auch für die Geistes- sowie Gesellschaftswissenschaften. Wenn im Alltagsverständnis noch die Meinungen darüber auseinandergehen, »[o]b es […] ein Maximum kritischer Haltung gibt« oder ob »es auch ein Zuviel an kritischer Einstellung geben könne: immerzu alles zu kritisieren, lasse eine positive Einstellung zum Leben und seinen Gegebenheiten vermissen«37, sind hingegen die Fronten im Kampf der Wissenschaften um die Wahrheit geklärt: Theorie muß sich – dem Gebot des Kritischen Rationalismus zufolge – einer metatheoretischen und insofern gänzlich formalen Kritik unterziehen lassen, um, potentiell zeitlich begrenzt, als wahr oder wenigstens nicht falsch zu gelten: »Alle Problemlösungen – Theorien, Erklärungen, Überzeugungen, Systeme – können sich nur vorläufig bewähren, weil sie bisherigen kritischen Prüfungen standgehalten haben. Es gibt also keine Wahrheitsgarantie.«38 Erkenntnis wird als Wissen um Problemlösungsverfahren ge36 37 38

Ebd., S. . Röttgers , »Kritik«, S. . Hans Albert , Kritischer Rationalismus. Vier Kapitel zur Kritik illusionären Denkens, S. .

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faßt, so etwa, wenn Popper sagt, »die einzige Form der Rechtfertigung unseres Wissens ist wieder nur vorläufig: Sie besteht in der Kritik, oder genauer darin, daß unsere Lösungsversuche bisher auch unserer scharfsinnigsten Kritik standzuhalten scheinen.«39 Kritik wird als Methode von außen an ihren jeweiligen Gegenstand, das heißt an eine beliebige wissenschaftliche Theorie, herangetragen und somit zum präsentistischen Rationalitätskriterium vorweg konzipierter Theorie – allerdings um den Preis eines a priori formal und inhaltlich verkürzten Kritikbegriffs. Formal, weil er, positivistisch gestutzt, nurmehr bloßes Instrument zur Erzeugung und Legitimation einer jeweils bestimmten Theorie ist; inhaltlich, weil sich damit gewisse erkenntnisleitende Konzepte, wie die der Rationalität und der Wissenschaftlichkeit – aber auch das metakritische der Instrumentalisierung von Kritik –, gar nicht mehr kritisieren lassen, wenn doch Kritik bereits jenen Konzepten, allen voran der Rationalität, subsumiert ist. Damit ist es dem Kritischen Rationalismus jedoch prinzipiell unmöglich, etwas anderes als das ohnehin Gegebene zu behandeln: »Denn wie soll eine K[ritik] über den Status quo hinausführen können, wenn sie stets nur diejenigen Kriterien verwenden dürfte, die der Status quo als seine Gesetze festgelegt hatte.«40 Und wie sollte eine solche normativ eingeschränkte Kritik, da sie sich, obzwar sie universelle Geltung beansprucht, innerhalb eines hermetischen theorieerzeugenden Systems bewegt, dieses System und seine Hermetik selbst kritisieren und revidieren? Respektive gar abschaffen, sofern es denn der Kritik nicht standhielte? Wollte man Vernunft, Reflexion und Wissenschaft, um obige Beispiele aufzunehmen, tatsächlich kritisch wenden, so wären Vernunfts-, Reflexions-, Wissenschaftskritik zu üben, um durch die Kritik des je Gemeinten dieses auf seinen Begriff zu bringen. Die Kritik des Kritischen Rationalismus ist das Organ seiner Selbstbegrenzung – »als Kritik ihren praktischen Ausgangspunkt verlassen hat, weil sie der Forderung der Methode und nicht ihren eigenen Impuls – den des bewußt praktischen und immer negativen Kritisierens nämlich – folgte, hat sie sich selber aufgegeben.«41 »Es gibt nun ein menschliches Verhalten, das die Gesellschaft selbst zu seinem Gegenstand hat«42, so Horkheimer in seinem programmatischen Aufsatz

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Karl R. Popper , »Die Logik der Sozialwissenschaften«, S. ; vgl. von Bormann , Der praktische Ursprung der Kritik, S. , Fn. Röttgers , »Kritik«, S. . von Bormann , Der praktische Ursprung der Kritik, S. . Max Horkheimer, »Traditionelle und kritische Theorie« , HGS, Bd. , S. .

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»Traditionelle und kritische Theorie«: »Dieses Verhalten wird im folgenden als das ›kritische‹ bezeichnet. Das Wort wird hier weniger im Sinn der idealistischen Kritik der reinen Vernunft als in dem der dialektischen Kritik der politischen Ökonomie verstanden. Es bezeichnet eine wesentliche Eigenschaft der dialektischen Theorie der Gesellschaft.«43 Gemeint ist also keine konstante Verhaltensweise, mit der jederzeit zu rechnen sei, sondern ein theoretisierendes ›Verhalten‹, das immer erst am Gegenstand zu realisieren ist: die Reflexion eines konfliktären Verhältnisses durch ein Subjekt, welches sich erst auf diese Weise und nur jeweils kritisch verhält. Kritik wird, wie Theorie im allgemeinen, in der Zeit und damit selber zeitlich begrenzt vollzogen, und diese – natürlich nicht zufälligen – koinzidenten Bestimmungen ermöglichen es, überhaupt von kritischer Theorie zu sprechen, als Vollzug von Theorie und Kritik in eins. Kritisch also ist das tätige bzw., im Fall einer kritischen Theorie, das theoriekonstituierende Verhalten; Kritik ist schließlich eine Praxis. Das Bestehende als Inhalt ist immer schon bestimmt, letzten Endes als die schlechte Totalität der Gesellschaft. Eben weil sich Kritik nur von ihrem jeweiligen Gegenstand herleitet, weil er an sich selbst gemessen wird, es demnach also keine begründungsfähige Kritik an und für sich gibt, ist eine ›kritische Haltung‹ faktisch gegenstandslos. Kritik kann nur an ihrem jeweiligen Objekt ihre begründete Notwendigkeit erweisen. Das kritische und inhaltsbezogene und insofern nonkonforme Verhalten bestünde darin, nichts allein deshalb als universell und ahistorisch gelten zu lassen, weil es durch sein bloßes Dasein Geltung beansprucht;44 nichts also dem Sein zuzuschlagen und somit als unveränderlich hinzunehmen aufgrund dessen, daß es ist. Jene Nonkonformität kann, Horkheimer zufolge, »als Gebot ausgelegt werden, das gegen Gebote gerichtet ist.«45 Daß jenes Gebot selbst nicht simpel normativ aufzufassen ist, erhellt aus der unerwartet paradoxen Forderung, eben jene Normen, die Gebote eingehalten wissen wollen, auf ihre geschichtlich sowie sozial begrenzte Geltung hin zu befragen: Das Gebot der Nichtnormativität ist auch auf sich selbst anzuwenden und kann seinerseits nur auf eine historisch-spezifische Geltung hoffen. Dergestalt zielt kritisches Verhalten, Nonkonformität also, nicht auf Einhaltung vor43 44

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Ebd., Fn. »Die gewöhnlichsten Irrschlüsse der Menschen sind diese: eine Sache existirt, also hat sie ein Recht. Hier wird aus der Lebensfähigkeit auf die Zweckmässigkeit, aus der Zweckmässigkeit auf die Rechtmässigkeit geschlossen.« (Friedrich Nietzsche , Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister, S. .) Horkheimer, Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, HGS, Bd. , .

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ausgesetzter Gebote, sondern auf eine diese Gebote transzendierende Erkenntnis. Was Adorno im Hinblick auf die Rezeption musikalischer Werke sagt: »Die erkennende Haltung […] ist eins mit der kritischen«46, betrifft Sinn und Legitimation von Kritik im allgemeinen, d.h. den erkenntnisermöglichenden und -befördernden Aspekt von Kritik. Kritik in ihrer jeweiligen (praktischen) Ausübung kann deshalb auch keine Habtachtstellung sein, die sturheil einer Kritikpflicht folgte beziehungsweise polizistisch jede Verletzung derselben anzeigte. Gerade das Dagegen-Sein aus Prinzip schert sich in erster Instanz um die Einhaltung des Prinzips, bestenfalls in zweiter um sein Objekt. Eine nur scheinbar radikale Kritik, die prinzipiell dagegen wäre, erzeugte sich selbst als Anderes dessen, was ist;47 schüfe mithin einen positiven Standpunkt, der alles andere blindlings negiert. Dadurch würde jener Standpunkt allerdings selbst zu einem affirmativen. Der Kritiker nähme damit sozusagen die Rolle des – nicht etwa negativistischen Pessimisten, sondern: – in dieser seiner Rolle gefangenen Rechthabers ein, würde, mit Jean Améry zu sprechen, »zum dummstolzen Neinsager«48. Das Bestehende würde zum abstrakten Material abstrakter Negation. Kritik affirmierte sich dergestalt bis hin zum selbstgenügsamen Zweck des Kritikers, wäre »schlechte Positivität«49 und reduzierte sich psychologisch auf eine Gesinnung, mit der sich bequem die Pose des Unbequemen einnehmen läßt, ohne sich tatsächlich kritisch verhalten zu müssen.50 Der Inhalt jener Kritik ist dann nicht mehr nur beliebig: 46 47

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Adorno, Der getreue Korrepetitor. Lehrschriften zur musikalischen Praxis, AGS, Bd. , S. . So warnt die Marxistische Streit- und Zeitschrift davor, »›aus Prinzip‹ kritisch zu sein«, weil »Kritik nicht einfach [ist]. Sie besteht weder in der billigen Konfrontation: ›Das paßt mir nicht‹ – noch in der ebenso heuchlerischen wie unterwürfigen Übernahme der gemeinnützigen Gesichtspunkte, unter denen die Demokratie den Totalitarismus ihrer ›konstruktiven Kritik‹ veranstaltet. Sie beruht auf der Erklärung ihrer Gegenstände.« ([Anonym], »Kritik – wie geht das?«, S. .) Jean Améry , Über das Altern. Revolte und Resignation, S. . Adorno, Vorlesung über Negative Dialektik. Fragmente zur Vorlesung /, ANS, Bd. IV., S. . Das hatte auch der seinerzeit amtierende Bundespräsident Horst Köhler gemerkt und als Vorteil begriffen, weshalb er seinem Buch den Titel gab: Offen will ich sein und notfalls unbequem (vgl. Horst Köhler , »Offen will ich sein und notfalls unbequem«. Ein Gespräch mit Hugo Müller-Vogg, S. ). – Wenngleich Köhler nicht verriet, wann mit einem derartigen »Notfall« zu rechnen wäre, der es bedingte, »unbequem« sein wollen zu müssen, so lehrt doch der Lauf der Dinge, daß die ra-

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Er ist überflüssig; formallogisch bedingtes Ornament, denn ohne Inhalt ist schlechterdings keine Kritik zu üben; an deren Stelle träte die Klage.51 Radikale Kritik jedenfalls wäre erst eine, »wüßte sie um ihre Nähe zur Gesinnungsethik, der die Gesellschaftskritik zum Mittel für das Heil des Individuums, d.h. des Kritikers selbst, gerät«52; übte sie also auch Kritik an der Kritik als Gesinnung und wäre sich ihrer ständigen Gefährdung bewußt, sich wohlfeil von ihrem Objekt zu lösen, um sich der Einfachheit halber ganz in den Dienst des kritisierenden Subjekts zu stellen.53 Dann erst wäre sie auch das Gegenteil einer laut Henscheid mittlerweile zu beobachtenden »neue[n] Kitschgestalt […]; daß, ähnlich wie die beiden Grundsehnsüchte der Zeit – kritischer Habitus und ewig gemütliche Gesinnung im Herzen – exakt auf kritische Folklore hinausdämmern.«54

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dikalkonformistische Selbstbezichtigung als Nonkonformist im Wartestand einen folgerecht vom Amt des Direktors des Internationalen Währungsfonds in das des Bundespräsidenten geleiten kann. Vgl. diesen metaphysischen Begriff der Klage bei Gershom Scholem , Tagebücher nebst Aufsätzen und Entwürfen bis . . Halbband –, S. . Meinhard Creydt , »Kritik – Eine Frage der Existenz«, S. . »Für den, der nicht mitmacht, besteht die Gefahr, daß er sich für besser hält als die andern und seine Kritik der Gesellschaft mißbraucht als Ideologie für sein privates Interesse. Während er danach tastet, die eigene Existenz zum hinfälligen Bilde einer richtigen zu machen, sollte er dieser Hinfälligkeit eingedenk bleiben und wissen, wie wenig das Bild das richtige Leben ersetzt.« (Adorno, Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, AGS, Bd. , S. .) Eckhard Henscheid , »Musikplaudertasche«, S. . – Der Ausdruck einer »kritischen Folklore« stammt von Michael Rutschky, der da sagt: »Bekanntlich befindet sich die philosophische Gesellschaftskritik in einer schwierigen Lage. Weil der Zeitgeist, klagt die eine Fraktion der Achtundsechziger, sich seit den achtziger Jahren dem Affirmativen verschrieben hat, die Yuppies, der Hedonismus, das Eleganzprogramm. Keiner erträgt mehr den Schmerz der Negation. Ich rechne mich zu der anderen Fraktion. Sie erkennt als Ursache für die Schwierigkeiten der Gesellschaftskritik heute ihren Massenerfolg. Wir leben in einer Gesellschaft, die samt und sonders aus Gesellschaftskritikern besteht. Wäre ich Professor, ich gäbe mal als soziologische Diplomarbeit in Auftrag: Untersuchen Sie ein Jahr lang den Leserbriefteil der« – immerhin reichlich konservativen – »Welt im Hinblick darauf, welche kritischen Formeln der Frankfurter Schule die Leserbriefschreiber verwenden! Längst sind diese Formeln eine Art Folklore geworden.« (Michael Rutschky , »Der Alte Meister …«, S. . Vgl. dazu Alex Demirović , Der nonkonformistische Intellektuelle. Die Entwicklung der Kritischen Theorie zur Frankfurter Schule, S. .)

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Ulrich Bröckling konstatiert optimistisch: »Daß konstruktive Kritik ein hölzernes Eisen ist, hat sich herumgesprochen.«55 Möglich. Das Wort aus zweiter Hand dürfte allerdings in den seltensten Fällen erkenntnisfördernd, sondern, allen Nachrichten gleich, die einen nicht zu betreffen scheinen, viel eher am nächsten Tag bereits Schnee von gestern sein. So wird auch weiterhin im Alltäglichen – und zwar sowohl in der breiten Öffentlichkeit wie auch im Privaten –, sobald Kritik laut wird, fast immer und fast immer ganz explizit eine Distinktion eingeführt, die als stählerne Regel in den dennoch ›herrschaftsfrei‹ genannten Diskurs eingeht und wie »die Diskussionsformel ›Darfichmalausreden‹ […] an die freiheitlich-demokratische Grundordnung«56 erinnert, tatsächlich jedoch ein voraussetzungsvolles, alles andere als herrschaftsfreies Dekret ist: die Unterscheidung von der akzeptablen ›konstruktiven Kritik‹ und der angeblich verletzenden ›destruktiven Kritik‹. Nur zu gerne wird übersehen, daß das Ausspielen der ›demokratischen‹ ›konstruktiven Kritik‹ gegen die ›destruktive Kritik‹ seinerseits ein Akt der Gewalt ist. »Wer sich und anderen die Negativität verbietet, hat die Demokratie nicht begriffen, auf die er sich beruft«57; sondern beruft sich aus Selbstbequemlichkeit, welche als Allgemeininteresse ausgegeben wird, auf den »sogenannte[n] demokratische[n] Common sense, der weder demokratisch noch Common sense ist«58 Und Albrecht Fabri59 schreibt: »man kann sich diesem Wort nicht mehr nähern, ohne daß der beschriebene Automatismus einem vorschlüge, es mit dem Zusatz ›positiv‹ oder ›konstruktiv‹ zu versehen. Doch etwas Schönes, das ›Positive‹ und das ›Konstruktive‹! Nur daß Kritik entweder negativ und destruktiv, oder keine Kritik ist. Wer von ›positiver‹ bzw. ›konstruktiver‹ Kritik 55 56 57

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Ulrich Bröckling , »Kritik oder Die Umkehrung des Genitivs«, S. . Schulz , Morbus fonticuli …, S.  f. Adorno an Peter Suhrkamp, . Juni , in: Wolfgang Schopf (Hg.) , »So müßte ich ein Engel und kein Autor sein«. Adorno und seine Frankfurter Verleger. Der Briefwechsel mit Peter Suhrkamp und Siegfried Unseld, S. . Horkheimer an Friedrich Pollock, . Mai , in: HGS, Bd. , S. . »Wer kennt Fabri, Albrecht Fabri?«, fragt Jürgen Roth (Jürgen Roth , Die große Wehmut der Instrumente, S. .) Und das höchstvermutlich zu Recht, denn der Schriftsteller, Literatur-, Kunst- und strenge Sprachkritiker: Albrecht Fabri (– ) dürfte weitgehend unbekannt sein, obgleich längst dessen Gesammelte Schriften (Albrecht Fabri , Der schmutzige Daumen. Gesammelte Schriften) erschienen sind. Und er, der Formalist Fabri, zweitens beinahe für das Institut für Sozialforschung tätig gewesen wäre: Mit Adorno bestand seit  Kontakt, die geplante Mitarbeit scheiterte jedoch schließlich aus finanziellen Gründen.

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spricht, weiß nicht, was er sagt; er weiß weder, daß er mit dieser Wortverbindung, einer Phobie gehorcht, noch daß er sich mit ihr, implizit, jede Kritik verbittet.«60 Dergestalt wird ›destruktive Kritik‹ als schon formal inakzeptabel, weil regelwidrig abgelehnt, zumeist im gerechten Bewußtsein dessen, der, für alle offenkundig, ›unfair‹ angegriffen worden ist. »Gebeten wird um den Nachvollzug einer durch und durch berechtigten Empörung über zweifelsfrei verletztes Interesse.«61 Der als Aggressor empfundene Kritiker ist als solcher denunziert und von der Diskussion ausgeschlossen, das Objekt der Kritik ist über jeden Zweifel erhaben, mehr noch: es ist durch seine als ›destruktiv‹ abgeschätzte Kritik aufgewertet, ist doch offenkundig eine Abwertung des Gegenstandes nicht regelkonform – das heißt, es findet sich unmittelbar nichts ›Besseres‹, und »unterstellt wird, daß nur der Kritik üben könne, der etwas Besseres anstelle des Kritisierten vorzuschlagen habe«62: Kritik wird ganz allgemein zum Modus zur Gewinnung eines Vorschlags degradiert.63 Hier stellt sich Adornos vielzitierte »fast

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Ebd., S. . Falsch gesetztes Komma im Original. [Anonym] , »Kritik – wie geht das?«, S. . Adorno, »Kritik«, AGS, Bd. ., S. . Geradezu mustergültig wird die Sinnferne der kategorischen Ablehnung ›destruktiver Kritik‹ in einem ratgeberliterarischen Stück, Wie aus Wissen Taten werden, von Jeffrey Pfeffer und Robert I. Sutton vorgeführt. Der Untertitel verheißt Aufklärung darüber, wie »die besten Unternehmen die Umsetzungslücke [schließen]«; z.B. durch Vorsicht vor Kritik: »Wenn man nur gründlich danach sucht, findet sich immer ein guter Grund, eine Idee oder einen Vorschlag abzulehnen. In vielen Unternehmen entwickeln Mitarbeiter ein bemerkenswertes Talent dafür, die Unzulänglichkeit einer Maßnahme zu erklären, die ganz bestimmt nicht funktionieren wird, und versuchen damit zu beweisen, dass der Status quo, und sei er noch so mangelhaft, der Umsetzung einer neuen Idee oder neuen Wissens vorzuziehen ist. Man sollte sich deshalb davor hüten, Menschen nach ihren klugen Worten und der Scharfsinnigkeit ihrer Kritik zu beurteilen. Diese Menschen sind nicht ganz ungefährlich, denn obwohl sie intelligent genug sind, Dinge ins Stocken zu bringen, fehlt es ihnen am Handlungswillen, Alternativen für die kritisierten Ansätze zu entwickeln.« (Jeffrey Pfeffer/Robert I. Sutton , Wie aus Wissen Taten werden. So schließen die besten Unternehmen die Umsetzungslücke, S.  f.) Im Klartext: Obwohl die ›destruktive Kritik‹ aus »gutem Grund« erfolgt, weil nämlich eine »Maßnahme« aufgrund ihrer »Unmöglichkeit« »nicht funktionieren wird«, ist dennoch die ›konstruktive Kritik‹, die zur Idee jener »Maßnahme« geführt hat, vorzuziehen, weil der ›destruktive Kritiker‹ nicht mit »Alternativen für die kritisierten Ansätze« aufwarten kann – eine Entgleisung, die dem Unternehmer hinderli-

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unlösbare Aufgabe«, »weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.«64 Die Aufgabe des Kritikers ist es, Kritik zu üben. Die inhaltsferne und die ›konstruktive‹ Kritik sind in ihrem Wesen als Affirmation verwandt: Auch dieser Modus von ›Kritik‹ ist seiner Funktion beraubt, auf Änderung des Bestehenden aus zu sein: ›Konstruktive Kritik‹ ist harmlos. Und sie ist gemein, weil sie sich auf das Gemeine einläßt. Wenn das Ticket des Herrschaftsfreien erst einmal gezogen ist, fährt jene Kritik gut mit dem herrschenden Konsens, während sie »vergessen macht, daß für nichts geredet wird, wo gegen nichts geredet wird«65. Sie kann das, was ist, nur als eine Möglichkeit aus einem Reservoir von Angeboten sehen, aus dem das jeweils Passende auszuwählen ist. »Man soll sagen, was man will […]. Der Sinn solcher Beschwerden ist an einem Usus der herrschenden Meinung zu greifen. Mit Vorliebe präsentiert sie Alternativen, zwischen denen zu wählen, deren eine anzukreuzen sei. So reduzieren Entscheidungen einer Verwaltung häufig sich auf das Ja oder Nein zu vorgelegten Entwürfen; insgeheim ist Verwaltungsdenken zum ersehnten Vorbild auch eines vorgeblich noch freien geworden.«66 Die ganze Palette der Angebote kann sie ebensowenig kritisieren67 wie die Zumutung, sich aus vorgefertigten Entscheidungsmöglichkeiten die heraussuchen zu müssen, die dem eigenen Wunsch immerhin am nächsten zu kommen scheint. »Man pflegt Freiheit als eine zur Entscheidung zu fassen. Aber Entscheidung richtet sich nach der vorgezeichneten Alternative, in die sich die meisten Akte des Lebens spalten. Insofern ist sie die Unfreiheit. Freiheit wäre: nicht sich entscheiden zu müssen.«68

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cher dünkt als der logisch wie ökonomisch offenkundige Widersinn, eine als unrealisierbar erkannte Maßnahme trotzdem zu realisieren zu versuchen. Adorno, Minima Moralia, AGS, Bd. , S. . Willemsen , Kopf oder Adler, S. . Adorno, Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Beziehungsweise könnte sie es unter dem Umstand, daß eine ganz andere zur Auswahl zur Verfügung stünde – das Auswahlverfahren, das ›konstruktiv‹ genannt wird, fände so jedoch nur eine Abstraktionsstufe höher statt. Bezugspunkt bliebe immer noch das jeweils Vorgefundene. Ders. , »Graeculus (II). Notizen zu Philosophie und Gesellschaft –«, S. . An anderer Stelle heißt es: »Frei wäre erst, wer keinen Alternativen sich beugen müßte, und im Bestehenden ist eine Spur von Freiheit, ihnen sich zu verweigern.« (Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. , Fn.)

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Wirklich konstruktiv ist an der ›konstruktiv‹ genannten Kritik gar nichts, weil jeder so bezeichnete Vorschlag immer nur eine bereits vorgezeichnete Möglichkeit darstellt. Kritik ist die ›konstruktive Kritik‹ insofern ebenfalls nicht, als sie nur auf eine reformistische Änderung innerhalb des Ganzen aus sein kann, dieses Ganze aber niemals auch nur erahnen, geschweige denn als Objekt in den Blick bekommen kann. Gerade wegen ihrer Harmlosigkeit kommt ihr die Rolle zu, sich als pragmatisch orientierte gegen die als irrational, weil unfruchtbar denunzierte ›destruktive Kritik‹ auszuspielen. Der Pragmatismus der instrumentellen, ›konstruktiven Kritik‹ orientiert sich an dem, was unter gegebenen Umständen augenscheinlich machbar ist. Er richtet sich nach der ›Normalität‹ der herrschenden Ordnung aus und ist schon deshalb öffentlichkeitswirksam und öffentlich beliebt, weil die aus ihm erwachsende ›konstruktive Kritik‹ niemandem weh tut – sie bewegt sich in der öffentlichen Meinung wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser und findet ihr adäquates Medium in der mehr oder weniger verklausulierten Tautologie. Und das hört sich dann so an, wie es Roger Willemsen beschreibt: »SS-Männer sind grausam, Ehebrecher verletzen das Sakrament des Ehebundes, Folterer foltern, Fahnder fahnden«69 et cetera. Jene Kritik, die, mit dem Gestus des ›Das geht jetzt aber wirklich zu weit!‹ gerüstet, bloße Echauffage ist, begnügt sich mit der Deskription jeweils unliebsamer Zustände als jeweils unliebsame Zustände, ohne auf Gründe und Zusammenhänge dieser Zustände zu stoßen, ja, ohne deren gesellschaftlichen Gehalt auch nur zu erahnen. Diese kopfschüttelnde ›Kritik‹ wird provoziert aufgrund der Störung dessen, was als Normalität erachtet wird: In dieser ist man, je nach Gesinnung, nicht grausam, wird nicht das Sakrament der Ehe verletzt, wird nicht gefoltert oder gefahndet – – – »und damit basta!«70, wie Robert Walser den guten Bürger sagen läßt. Die tautologische ›Kritik‹, die doch nur ihre Auffassung von Normalität etablieren will, entspringt dem Denken, Kritik minus ihren ›destruktiven Gehalt‹ sei ›konstruktive Kritik‹. Die ist aber auch auf diesem Wege nicht zu haben, jene Rechnung hat statt Kritik eine als Maximum ausgegebene Null zum Ergebnis: »Die konstruktive Kritik ist diejenige Form von Kritik, die einen in allem Veröffentlichten« – und also innerhalb der Öffentlichkeit – »immerzu an das denken läßt, was verschwiegen wird, elaborierte Nörgelei, dazu da, den Nimbus des Kritischen hochzuhalten und eigentlich eine Form von Zensur, 69 70

Willemsen , Kopf oder Adler, S. . Robert Walser , »Basta«, S. .

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denn sie bewahrt die vernünftigen Gedanken nicht nur davor, gedruckt, sondern sogar gedacht zu werden. Diese ›konstruktive‹ Kritik zieht die Demarkationslinie zwischen Harmlosem und Vernünftigem«71, freilich ohne sie je überschreiten zu wollen. Das ist ihr auch gar nicht möglich, denn sie kann nur dort geäußert werden, wo sich selbst dem flüchtigen Betrachter noch oberflächliche Änderungsmöglichkeiten offenbaren. Sie betätigt sich somit gegen jene Handvoll gesellschaftlicher Phänomene, die noch nicht den Anschein naturhafter Unabänderlichkeit haben. Wo es hingegen unsinnig scheint, die als natürlich hingenommene Normalität zu kritisieren, gilt es durchaus als sinnvoll, mit einem abweichenden oder gar widersprechenden Vorschlag das von anderer Seite – und sei’s als natürlich – Geforderte zu kritisieren und somit die Möglichkeit offenzuhalten, seine eigene Meinung durchzusetzen – was dann ja praktisch, je nach Diskussionsgegenstand, fraglos möglich ist. Dies ist die Schablone für die allwärtige Forderung nach ›Kritikfähigkeit‹ im Zusammenhang einer jeden Diskussion, die sich ihre basisdemokratische Dignität zusammenklaubt aus der Selbstbewertung als Moment einer »Kritikkultur«72 bzw. »Streitkultur«73; letzte71

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Willemsen , Kopf oder Adler, S. . Ein Beispiel gibt der »gewerkschaftliche Info-Service« ›Einblick‹, wo es heißt – und es wäre maliziös, wäre es nicht ernstgemeint –, der DGB übe »sanfte Kritik« an Vorschlägen der Regierungskomission zur Reform der Arbeitsmarktpolitik, indem, der vollendeten Ohnmacht nahe, hinter jene ein »›Fragezeichen‹ gesetzt« wird ([Anonym] , »DGB übt sanfte Kritik«, S. ). Nach Henscheid , Alle  Kulturen. Eine Bilanz, S. . »Das Kompositum ›Streitkultur‹ übt eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf andere Lieblingsworte des Gutmenschen aus: Dialog, Konsens, Sacharbeit. Streitkultur […] ist nichts anderes als das Gegenteil eines richtigen Streits. Denn um sich ernsthaft streiten zu können, um überhaupt einen Anlaß zum Streiten zu haben, muß man doch wohl von der exklusiven Wahrheit der eigenen Meinung überzeugt sein und darf eben nicht […] von vornherein ›auf Dialog und Konsens orientiert‹ sein. […] Mit Leuten, die so schaumig daherreden, zu streiten – das weiß buchstäblich jedes Kind –, ist absolut sinnlos. Nicht weil sie wie jedermann ›auf der eigenen als der einzig richtigen Wahrheit‹ beharren, sondern weil sie am Ende immer euren unauflöslichen Dissens als deinen Mangel an Streitkultur ausgeben werden. […] Der Gebrauchswert des Wortes ›Streitkultur‹ ist ein kultischer – man benutzt es wie ein Amulett, mit dem man hektisch herumfuchtelt, weil man ihm die Kraft zum Abwehrzauber gegen die bösen Geister der Zwietracht zuschreibt. Das ist es letztlich, worauf die landläufige Rede von der Streitkultur hinausläuft: ›Bloß keinen Streit!‹« (Jörg Lau , »Streitkultur«, S.  f.; vgl. auch Henscheid , Alle  Kulturen, S. .)

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re eine Vokabel, die Eckhard Henscheid treffend als »Allzweck-Dünnpfiff v.a. der allgemeinen Fernsehtalkkultur«74 bezeichnet, womit sich der Kreis immerhin schließt, denn, wie Gerhard Schweppenhäuser feststellt: »ein TalkshowModerator, der keine kritischen Fragen stellt, überzeugt niemanden, und ›Kritikfähigkeit‹«, siehe oben, »gilt als Bürgertugend.«75 Unser Zeitalter, Kant zu revidieren, ist das der Pose. »Je leerer das Geheimnis, um so mehr bedarf sein Wahrer der Haltung«76, sagt Adorno, und so liegt nahe, daß sich besagte ›Kritikfähigkeit‹ – das meint die Fähigkeit, Kritik zu üben, ohne jemanden dabei so arg zu irritieren, daß man zur Verantwortung gezogen werden könnte – gerade dort in Form zuzeiten abzurufender »Revolutionsgesten, die zu nichts verpflichten«77, etabliert hat, wo sie sich, der Sache nach wirkungslos, ökonomisch verwerten läßt: in der Kulturindustrie, im Musikbusineß zumal. »Eine rebellische Geste da, ein systemkritisches Wort dort, schon ist für Aufmerksamkeit gesorgt«78, schreibt Robert Misik zutreffend, um im nächsten Schritt als emanzipatorischen Gegenentwurf zur den »Sprengstoff ›Kritik‹«79 entschärfenden »Verwandlung von Kritik in Pop«80 die Deutschrockband ›Wir sind Helden‹ aufzubieten, deren ›Frontfrau‹ o.s.ä. in einem Interview von sich sagt: »Ja, klar. Ich bin schon rebellisch und auch immer mal wieder wütend im Sinne von: nicht abzuspeisen. […] Das ist doch das Frechste und Unverschämteste, was man tun kann: In alledem glücklich zu sein.«81 ›Keck‹, ›frech‹, ›authentisch‹ und dergleichen onkelhafte Vokabeln sind es, die sich nachreden lassen muß, wer »aggressive Affirmationswut«82 als unverschämtes Rebellentum verkaufen will. Wie im Wissenschaftsbetrieb, so besteht auch in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen der Königsweg der Kritikabwehr darin, virtuell jede Äußerung als kritisch hinzustellen. Das Zeugnis ›kritisch‹ wird planübererfüllend

74 75 76 77 78 79 80 81 82

Ders. , Dummdeutsch, S. . G. Schweppenhäuser , Theodor W. Adorno zur Einführung, S. . Adorno, »George und Hofmannsthal. Zum Briefwechsel: –«, AGS, Bd. ., S. . Robert Misik , Genial dagegen. Kritisches Denken von Marx bis Michael Moore, S. . Ebd., S. . Gerhard Stadelmaier , »Haltungsnote Eins«, S. . Misik , Genial dagegen, S. . Judith Holofernes , »Wir sind Heldinnen«, S. . Wiglaf Droste , Wir sägen uns die Beine ab und sehen aus wie Gregor Gysi. Ausgesuchte neue Texte, S. .

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selbst dort zuvorkommend noch ausgestellt, wo sich doch von sich aus gar niemand kritisch äußern wollte. Und wenn erst noch der offene Konformismus in die Verpackung einer dann meist ›mutig‹ genannten Kritik gezwängt wurde, ist endlich alles Kritik und ergo nichts mehr. Der moderne Kritikbegriff, der mit dem der Aufklärung, als er noch Sache von Philosophen und Philologen war, nichts mehr gemein hat als die Geschichte, wurde, indem die Gesellschaft sich gegen wirkliche Kritik immunisiert hat, zur Phrase gemodelt. ›Konstruktive Kritik‹ dispensiert von ›destruktiver‹, Gutmenschen- und Bedenkenträgertum von wirklicher Kritik. Die allseitig Einverständnis heischende Pseudokritik ist, wiewohl sie sich eben pragmatisch-vernünftig gibt, im klassischen Sinne unvernünftig, bescheidet sie sich doch – unter Absehung zu verwirklichender Vernunft – in vorweggenommenem Gehorsam auf das, was ihr als Realität zugemutet wird, noch bevor sie diese überhaupt in Angriff nähme. »Die ›abweichende Meinung‹ trägt nurmehr eine Funktionsmaske. […] Der kritische Diskurs, wie verblendet auch immer, existiert nicht mehr, jedenfalls nicht mehr in seiner notwendigsten Form, nämlich als Infragestellung der Grundprinzipien gesellschaftlicher Organisation. Was übrigblieb, ist allenfalls immanente Kritik: eine Reform, bitte, eine Retouche, eine kleine Ergänzung, eingefordert mit dem Pomposo des ›wir müssen‹ und ›wir dürfen nicht‹ etc. Mit anderen Worten: Alle Menschen werden Realpolitiker.«83 Damit allerdings ist jedes Ziel, das außerhalb der bereits vorgezeichneten Möglichkeiten liegt, aus dem Sinn. Das Bekenntnis zur nun einmal bestehenden Realität, in welcher man einzig tätig sein könne, unterbindet vorab die Freiheit des als Hirngespinst abgetanen Wünschenswerten. So bemerkt Adorno zur erörterten Realpolitik: »Hitler, following Bismarckian tradition, often speaks about Realpolitik.« Denn: »He derides any idea of ›Utopia‹ and enjoys the notion that the world is not only bad, but that it shall remain essentially as bad as it is, and that it is a punishable crime to think that it could be essentially different.«84 Die Forderung nach ›konstruktiver‹, ›realistischer‹ – d.h. an der sich offenbarenden Realität orientierter – Kritik als Bedingung für herrschaftsfreies Reden verkennt, daß die rituelle Abwehr aus verinnerlichtem Zwang und das entsprechende Ausbleiben ›destruktiver Kritik‹ Insignium und Garant bereits zementierter Herrschaft ist. »Zwei Jahrhunderte nach Kant und ein halbes nach dem Emporkommen der Kritischen Theorie 83 84

Willemsen , Kopf oder Adler, S. . Adorno, »The Psychological Technique of Martin Luther Thomas’ Radio Addresses«, AGS, Bd. ., S. .

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Frankfurter Prägung meint heute ›kritisch‹ meist nichts als mehr oder weniger ›laut‹, ›naseweis‹ und ›aufdringlich‹, bzw. ›geisthaberisch‹. Und nicht zuletzt ›g’schaftlhuberisch‹. Respektive ›engagiert‹, d.h. ›nicht ganz dicht‹. Mit einem Wort: kritisch eben.«85 Gerhard Schweppenhäuser nochmals faßt die Motivation derer, die ›konstruktive‹ anstelle ›destruktiver Kritik‹ fordern, folgerichtig zusammen: »Wer Kritik überhaupt nur akzeptieren will, wenn sie von jemandem vorgetragen wird, der das Kritisierte selbst besser zuwege bringt, oder behauptet, zumindest zu wissen, wie man es machen müsse, der folgt einer Immunisierungsstrategie«86; die offenbar notwendig ist, weil radikale Kritik, die ja durchaus ahnungsvoll ›destruktiv‹ genannt wird, an das Fundament des eigenen Daseins rührte, indem sie potentiell alles als gültig Gegebene in Frage stellt. Anscheinend ist die Idee durchaus vorhanden, daß der Kaiser nackt und die Kritik aufs Ganze berechtigt sein könnte. Nur so läßt sich »das Geschrei nach der konstruktiven: sich duckenden Kritik«87 – wie Adorno es bemerkt, der sich »[s]eit seinen Anfängen […] den Vorwürfen unfruchtbarer Negativität, krampfhafter Aversion gegen alles Positive und Heile, eines bloß destruktiven kritischen Vermögens konfrontiert gesehen, ja mehr: sich gern ausgesetzt«88 hat und weiß, wovon er spricht – erklären. Die Aversion richtet sich gerade gegen das aufklärerische, erkenntnisfördernde Moment der Kritik: »Mit sicherem Instinkt wissen die Individuen […], daß ihre Erkenntnis sie nur dazu bringen würde, sich der die Gesellschaft bestimmenden Macht zu konfrontieren. […] [A]m Ende geht den vernünftigen Individuen sogar noch das Bedürfnis nach Einsicht ins gemeinsame gesellschaftliche Leben selbst verloren.«89 Die Realität, die dergestalt angegangen wird, daß man sich in ihr einrichtet, ist somit davor gefeit, von den Immunisierten als Zumutung empfunden zu werden, weil eine Verbesserung der Umstände, ein Fortschritt im allgemeinen nurmehr eine Sache des Arrangements bereits existenter Momente des Ganzen ist. Was noch bleibt – auch weil darüber allseitig große Einigkeit herrscht –, ist die schlecht aufgeklärte romantizistische Erzählung, der zufolge früher alles besser gewesen sei, sowie die Rede davon, daß ›die da oben‹ sowieso machten, was sie wollen. Auch diese per 85 86 87 88 89

Henscheid , Dummdeutsch, S.  f. G. Schweppenhäuser, Theodor W. Adorno zur Einführung, S. . Adorno, Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Norbert Rath , Adornos Kritische Theorie. Vermittlungen und Vermittlungsschwierigkeiten, S. . Demirović , Der nonkonformistische Intellektuelle, S. .

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se unkonstruktive Kritik wird freilich noch affirmativ eingeholt: als Variation jenes fügsamen Seufzers, nach dem es ja irgendwie weitergehen müsse, während »der Allerweltstrost, es könne immer noch schlimmer kommen, […] zum Verdammungsurteil [wird].«90 ›Destruktive Kritik‹ ist nur dort noch wohlgelitten, wo sie als Aversion auftritt.91 Was zunächst paradox erscheint, daß nämlich gerade das Ressentiment, sei es auch noch so potentiell destruktiv, nicht seinerseits auf Ressentiments stößt, ist bei näherer Betrachtung der Machtverhältnisse ganz einsichtig, denn es weiß die Mehrheit hinter sich. Es ist die Äußerung des »Wesen[s] einer Gruppe und der von ihr erzeugten Macht […], sich gegen Unabhängigkeit, die mit Stärke Hand in Hand geht, zu wehren.«92 Gruppendynamisch heißt das, einer ›destruktiven Kritik‹, die von einer unabhängigen Minderheit oder gar einem unabhängigen Einzelnen ausgeht, wird seitens der Mehrheit oder ihres Fürsprechers mit ›destruktiver Kritik‹ begegnet, die allerdings eben bloßes Ressentiment ist, unreflektierte Abwehr, die sich zumeist, wie der allergrößte Teil öffentlich geäußerter Kritik, einer abweichenden Meinung, einer anderen Vorstellung vom gegebenen Sachverhalt verdankt. Diese ›destruktive Kritik‹ gegen die Minderheit ist im Rahmen der Mehrheit ›konstruktiv‹, denn sie ist nicht nur mehrheitsfähig, sondern in dieser Mehrheit erst entstanden. Der Kritiker tritt, kritisiert er nur radikal genug, als Vereinzelter einer Mehrheit gegenüber – verträte er auch deren Interesse –, indem er gerade die Position der Mehrheit kritisiert. Damit entbehrt er allerdings auch der Macht, die der Gruppe zukommt, denn: »Über Macht verfügt niemals ein Einzelner; sie ist im Besitz einer Gruppe und bleibt nur solange existent, als die Gruppe zusammenhält. Wenn wir von jemand sagen, er ›habe die Macht‹, heißt das in Wirklichkeit, daß er von einer bestimmten Anzahl von Menschen ermächtigt ist, in ihrem Namen zu handeln.«93 An der Machtfrage entscheidet sich auch die politische Ausrichtung geäußerter Kritik. So will konservative Kritik dahin, die Macht zu erlangen und ist dabei immer ›konstruktiv‹. Der Unterschied zur wirklichen, zur radikalen Kritik ist der, daß diese nicht nur Macht, sondern auch Politik im 90 91

92 93

Adorno, »Versuch, das Endspiel zu verstehen«, AGS, Bd. , S. . Im Register zu Pierre Bourdieus Studie Die feinen Unterschiede findet sich ganz in diesem Sinne, nach fünf Einträgen zum Stichwort »Kritik«, übrigens der eigentümlich frankomorphe Hinweis: »siehe auche [sic!] Ressentiment« (Pierre Bourdieu , Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, S. ). Hannah Arendt , Macht und Gewalt, S. . Ebd., S. .

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allgemeinen zum Gegenstand ihrer Kritik machen kann, weil sie nichts erhalten bzw. konservieren und keinem historisch bereits Gewesenen zur erneuten Durchsetzung verhelfen will. Dies ist weniger eine Interessenfrage als vielmehr eine des uneingeschränkten Objektbereichs des hier verhandelten Kritikbegriffs. Desgleichen ist umgekehrt ›konstruktive Kritik‹ deshalb immer konservativ oder gar reaktionär, weil sie die Macht des Faktischen hinter sich weiß und am Allgemeinen (wie eben z.B. der Staatlichkeit oder aber auch der Gesellschaftlichkeit) ihre Grenze findet. Hinsichtlich des Objektbereichs von Kritik gibt Claus von Bormann den Hinweis, daß »wir nicht alles [kritisieren], was uns mißfällt, beispielsweise nicht das Wetter, nicht Krankheit oder Tod oder eine Naturkatastrophe, denn wir können nichts daran ändern. Kritik hat ihren Ort dort, wo das, was kritisiert wird, nicht einfach als solches hingenommen werden muß, vielleicht unter dem Gefühl des Ärgers oder der Trauer, sondern wo etwas wahr oder falsch, gut oder schlecht, schön oder häßlich, gerecht oder ungerecht, passend oder unpassend sein kann. Kritik betrifft nicht die Dinge für sich selbst, sondern nur, insofern sie als abhängig vom menschlichen Handeln gedacht werden, und das bedeutet, daß der Grund ihrer Veränderlichkeit im freien Willen des Menschen liegt.«94 Was von Bormann an dieser Stelle nur implizit entwickelt, ist das sich über die Philosophiegeschichte durchhaltende Verständnis von Natur als nichtkritikabel. Kritik an der Natur als Nicht-Gemachtes, Natur als in ihrer reinen außersubjektiven Natürlichkeit als invariant begriffene, ist per se unvernünftig und schlichtweg sinnlos. Es ist »nicht allein Kontingenz, sondern darüber hinaus so etwas wie die Annahme von Freiheit (zum Handeln) und Macht (zum Handeln) Bedingung der Möglichkeit von K[ritik].«95 Und so, wie nur menschliche Individuen kritisch, d.h. kritisierend tätig werden können, können auch nur menschliche Taten – sowie deren etwaige Konsequenzen – kritisiert werden. Selbst die oben ins Spiel gebrachte Klage über schlechtes Wetter beispielsweise fällt als Wunsch, es möge anders sein,96 der vollendeten Ohnmacht anheim, weil sie sich auf kein Objekt richtet, das als Subjekt für sich jenes zu verantworten 94 95 96

von Bormann , Der praktische Ursprung der Kritik, S. . Röttgers , »Kritik«, S. . Alle Kritik kann sich nur aus dem Wunsch speisen, das Kritisierte möge einem Anderen weichen. In diesem Sinne diktiert Adorno: »Der Kritiker […] darf nicht mitspielen. Wer nicht kritisch ist in dem Sinn, daß er es anders will als es ist, taugt nicht zum Kritiker.« (Adorno, »Reflexionen über Musikkritik«, AGS, Bd. , S. .)

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hätte und es insofern ändern könnte. Änderung des jeweiligen Wetters, um das Beispiel fortzuführen, wäre einzig vom technischen Fortschritt innerhalb der Gesellschaft zu erwarten, die dereinst tatsächlich das Wetter bestimmen könnte. (Gleiches gilt im übrigen für die Abschaffung von Krankheit und, eben doch, gar Tod – als die fürwahrhaft utopische Idee.97) Damit erst wäre auch die Bedingung geschaffen, diejenigen zu kritisieren, die das bestimmte Wetter gemacht hätten. Eine Bedingung von Kritik ist es mithin, das Unnatürliche als solches zu begreifen, auch wenn es als Natürliches erscheint; das scheinbar natürlich Gegebene als gesellschaftliches Produkt zu erkennen, als das es ausführlich bei Marx ausgewiesen und kritisiert ist. Das Ganze, als Objekt der Kritik, ist das gesellschaftlich Ganze. »Kritik«, so sagt Helmut Dahmer, »entzieht uns der Fatalität bewußtloser Praxis«98, entzieht also den Kritiker dem ideologischen Schein 97

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»Ich glaube allerdings […], daß die Frage nach der Abschaffung des Todes in der Tat ja der neuralgische Punkt ist. Darum geht es eigentlich. Man kann das sehr einfach feststellen; man braucht nur irgendwann einmal bei sogenannten ›wohlgesinnten‹ Menschen […] von der Möglichkeit der Abschaffung des Todes zu sprechen. Da wird man also […] sofort der Reaktion begegnen: Ja, wenn der Tod abgeschafft würde, wenn die Menschen nicht mehr sterben würden, das wäre das Allerschlimmste und das Allerentsetzlichste. Ich würde sagen, genau diese Reaktionsform ist das, was eigentlich dem utopischen Bewußtsein am allermeisten entgegensteht. Das, was noch über die Identifikation der Menschen mit bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen hinausgeht, worin sich die verlängern, ist die Identifikation mit dem Tod. Utopisches Bewußtsein meint ein Bewußtsein, für das also die Möglichkeit, daß die Menschen nicht mehr sterben müssen, nicht etwas Schreckliches hat, sondern im Gegenteil das ist, was man eigentlich will.« (Ders. in Adorno/Ernst Bloch , »Etwas fehlt … Über die Widersprüche der utopischen Sehnsucht«, S. ; vgl. Dirk Braunstein , Adornos Kritik der politischen Ökonomie, S.  ff.) – Hingegen wird »Ergebung ins Unvermeidliche […] zu dessen Empfehlung« (Adorno, »Wien, nach Ostern «, AGS, Bd. ., S. ), so wie »das unselige ›Es soll nicht anders werden‹, Endprodukt der urprotestantischen Verquickung von Einkehr und Repression [ist]. Weil der Mensch erbsündig und auf Erden des Besseren nicht fähig sei, wird die Verbesserung der Welt selber in die Sünde umgebogen.« (Ders., Aldous Huxley und die Utopie, AGS, Bd. ., S.  f.) Und schließlich sei darauf hingewiesen, daß Adorno zufolge Naturgesetze, wenn die Sterblichkeit des Menschen denn eins sein soll, »nicht [à] la lettre, nicht zu ontologisieren« sind, was heißt, daß »Naturgesetzlichkeit abschaffbar« (ders., Zur Lehre von der Geschichte und von der Freiheit (/), ANS, Bd. IV., S. ; vgl. ders. Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. ) ist. Helmut Dahmer , »Zur Genealogie der Kritik«, S. .

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der Natur- und das heißt Schicksalhaftigkeit. Nicht umsonst nimmt der moderne Kritikbegriff seinen Ausgang in der Aufklärung – und soweit, mindestens, wäre die Aufklärung zu retten. Kritik muß sich am geschichtlich Konkreten abarbeiten, auch deshalb ihr Bezug auf den jeweiligen Inhalt. Als jeweils inhaltlich vollzogene kommt ihr, so verstanden, keinerlei ontologische Dignität zu, sondern sie ist je ›bloß‹ verzeitlicht. Aber erst dadurch kann sie überhaupt potentiell Wirksamkeit reklamieren. So steht denn auch eine kritische Theorie der modernen Gesellschaft nicht einfach ›da‹ als eine ein für alle Mal geleistete, sondern wird erst im jeweiligen Vollzug realisiert. Indem sie nur inhaltlich geübt werden kann, offenbart sich das immanent utopische Moment radikaler Kritik. »Erkenntnis, die den Inhalt will, meint die Utopie.«99 Durch den Allgemeinheitsanspruch der Kritik, durch ihren Anspruch also, sich notwendigerweise auf alles, inklusive sich selbst, beziehen zu können, wohnt der Kritik eine Potentialität inne, sich selbst zu übersteigen, um eine Spur dessen zu finden, was nicht schon Moment der bestehenden Verhältnisse ist. »Das sich aufzwingende Prinzip, dass es zu der Alternativlosigkeit der Gegenwart nur die Alternative des unvermittelt Anderen der Utopie gebe, ist selbst unfrei und falsch.«100 Denn schwerlich wird jene Spur jenseitig ihrer Entdekkung harren. Der einzig womöglich gangbare Weg ist der, welcher in bestimmter Negation dessen, was bereits ist, über dieses hinausführt, indem »das Falsche, einmal bestimmt erkannt und präzisiert, bereits Index des Richtigen, Besseren ist«101, denn »das einzig Positive, das man ›hat‹, ist das Gegebene in seiner Schlechtigkeit, über das die Erkenntnis mit nichts anderem hinausgeht als damit daß sie die Schlechtigkeit durch den immanenten Widerspruch des Gegebenen bestimmt. Das Positive ist das Negative, und nur das Negative, die bestimmte Negation, eigentlich positiv«102; das meint konkrete Kritik an konkreten Verhältnissen im Gegensatz zur ›konstruktiven Kritik‹, für die ›das Posi99 Adorno, Vorlesung über Negative Dialektik, ANS, Bd. IV., S. . 100 Demirović , »Zur Dialektik von Utopie und bestimmter Negation. Eine Diskussionsbemerkung«, S. . 101 Adorno, »Kritik«, AGS, Bd. ., S. . Vgl.: »Falsum – das Falsche – index sui et veri. Das heißt, vom Falschen, d.h. von dem als falsch Kenntlichen aus bestimmt sich das Wahre. Und so wenig wir wissen, wie das Richtige wäre, so genau wissen wir allerdings, was das Falsche ist.« (Ders. in ders./Bloch , »Etwas fehlt …«, S. .) 102 Adorno , »Contra Paulum«, S. .

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tive‹ immer schon abrufbar scheint, wenn man sich nur seine rechten Gedanken macht. Insoweit Kritik immer ein Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt ist, können die Subjekte gar nicht anders, als sich kritisch auf das jeweils Vorgefundene beziehen. Solange etwas kritisierbar ist, ist es auch als falsch zu kritisieren. Das ›normative Fundament‹ von Gesellschaftskritik, nach dem zuweilen so heftig begehrt wird,103 ist ein doppelt negatives: Es ist gekennzeichnet durch die Nichtexistenz der Unmöglichkeit, Kritik zu üben. Insofern die Intention der Kritik das Nicht der Kritik ist, das Andere, das noch nicht ist, dürfen dazu allerdings Kritik und ihr Anderes nicht positiv unter eine sie umfassende Totalität fallen. »Zu den Erfahrungen der Neuen Linken […] gehört es, daß Kritik, sie mag noch so radikal gemeint sein, nicht dagegen gefeit ist, vom Bestehenden in ›systemimmanente‹ Kritik umgebogen zu werden«104, beklagt Röttgers. Radikal meinen und radikal kritisieren ist eben zweierlei, und solange Gesellschaftskritik nicht aufs Ganze der Gesellschaft geht, kann sie bestenfalls Korrekturen innerhalb des bestehenden gesellschaftlichen Ganzen erwirken. »Ihre Krise und ihr eigenes Ende – das wären demnach letztlich die Ziele radikaler Gesellschaftskritik. Denn radikale Gesellschaftskritik zielt nicht nur auf die Überwindung ihres Gegenstandes – zuletzt der kapitalistischen Gesellschaft als solcher –, sondern Kritik hat, weil sie sich aus nichts anderem als diesem Gegenstand begründen kann, zugleich sich selbst zum Gegenstand. Folgerichtig hat sie sich vollendet, wenn sie unmöglich zu sein scheint insofern, als sie ihre eigene Kritik zu formulieren im stande ist.«105 Kritik trägt demgemäß und dergestalt ihr eigenes Möglichkeitskriterium immer schon in sich: Ihre Möglichkeit erweist sich in ihrem Vollzug. Ist ihr Ziel die Selbstabschaffung, so muß sie ihre eigene Möglichkeitsbedingung, d.h. die Bedingung der Möglichkeit ihrer Ausübung kritisieren. Was Adorno über die Kulturindustrie im besonderen bemerkt, gilt auch für die Gesellschaft im allgemeinen: sie »enthält das Gegengift ihrer eigenen Lüge. Auf

103 Das Feldgeschrei nach einem normativen Maß selbst radikaler Kritik ist womöglich auch einem Sekuritätsbedürfnis einer fortschreitend säkularisierten Gesellschaft (welche immerhin ihrerseits erst eine umfassende Gesellschaftskritik ermöglicht) geschuldet: als Wunsch, trotz fortdauernder Katastrophen den Boden unter den Füßen nicht zu verlieren. 104 Röttgers , Kritik und Praxis, S. . 105 Frank Engster , »Ihre Unmöglichkeit als Gegenstand der Kritik. Das Dilemma kritischer Theorie und revolutionärer Kritik«, S.  f.

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nichts anderes wäre zu ihrer Rettung zu verweisen.«106 Voraussetzung radikaler Gesellschaftskritik ist, daß die kritisierte Gesellschaft die Kritik ihrer selbst ermöglicht, und somit muß Gesellschaftskritik »immer aufs neue die Immanenz einer Kritik zum Problem machen, die sich als Durchsetzungsmoment dessen rekonstruieren läßt, was durch die Kritik überwunden werden sollte.«107 Erst wenn die Situation entstanden ist, daß Kritik tatsächlich nur noch sich selbst kritisieren kann, weil sie ihrer Objekte ledig geworden und somit überflüssig oder gar unmöglich geworden ist, hätte sie endlich zugleich ihr Ziel erreicht und schaffte sich mit ihrem Gegenstand selbst ab. »Gesellschaft, die ihrem Begriff entspräche, ginge über in Menschheit«108. Und wäre schließlich alles andere als ›Gesellschaft‹. Sondern.

106 Adorno, »Filmtransparente«, AGS, Bd. ., S. . 107 Engster , »Ihre Unmöglichkeit als Gegenstand der Kritik«, S. . 108 Demirović , »Kritische Gesellschaftstheorie und Gesellschaft«, S. .

3

Adorno nicht. Kritik als Praxis in Zeiten deren Unmöglichkeit

Vnd Gott sahe das es gut war. G ,

3.1. Anhängsel der Maschinerie Adorno kommt, wie so viele linke Intellektuelle seiner Zeit, durch die Rezeption von Georg Lukács’ Geschichte und Klassenbewußtsein zur Gesellschaftskritik im allgemeinen und zu einer marxistischen Kritik im besonderen. Aus dieser  publizierten Schrift übernimmt er unter anderem die These der allumfassenden Verwarenförmigung der Gesellschaft sowie in Konsequenz daraus das an Hegel orientierte Konzept der Gesellschaft als Totalität. Die Gesellschaft habe historisch einen Stand erreicht, in dem alles zur Ware wird und insofern der irrationalen Rationalität des Warentausches unterliegt. Damit ist zugleich eine Grenze zu Lukács gezogen, der dem Proletariat in einer Gesellschaft, in der die Warenform universal geworden ist, die messianische Rolle zuweist, als seinerseits warenförmiges Subjekt die Totalität der Wirklichkeit zu denken. Für Adorno hingegen, der bezweifelt, daß die Totalität positiv erkannt werden kann, geht es darum, diese zu kritisieren. Gesellschaft ist ihm ein Zwangszusammenhang, der allen Individuen unabhängig von deren Klassenzugehörigkeit auferlegt ist. Das Ganze ist kein System, das liefe wie geschmiert, denn »[d]er Vergesellschaftungsprozeß vollzieht sich nicht jenseits der Konflikte und Antagonismen oder trotz ihrer. Sein Medium sind die Antagonismen selbst, welche gleichzeitig die Gesellschaft zerreißen. Im gesellschaftlichen Tauschverhältnis als solchem wird der Antagonismus gesetzt und reproduziert, der organisierte Gesellschaft

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jeden Tag mit der totalen Katastrophe auslöschen könnte.«1 Hier sind die Menschen bloß »Anhängsel der Maschinerie«2, ein gesellschaftliches Gesamtsubjekt existiert nicht. Im Gegenteil: Adorno sieht »das spezifisch Gesellschaftliche im Übergewicht von Verhältnissen über die Menschen, deren entmächtigte Produkte diese nachgerade sind«3, d.h. in der »Abhängigkeit aller Einzelnen von der Totalität […], die sie bilden. In dieser sind auch alle von allen abhängig. Das Ganze erhält sich nur vermöge der Einheit der von seinen Mitgliedern erfüllten Funktionen. Generell muß jeder Einzelne, um sein Leben zu fristen, eine Funktion auf sich nehmen und wird gelehrt, zu danken, solange er eine hat.«4

3.2 Notwendigkeit eines psychologischen Surplus Der Begriff der gesellschaftlichen Totalität zieht die Frage nach sich, was eigentlich die Gesellschaft zur Totalität verhalte; was das synthetisierende Moment bzw. der ›Kitt‹ sei, von dem Adorno gelegentlich spricht.5 Marx ist in seiner Theorie der Vergesellschaftung davon ausgegangen, daß die Individuen innerhalb der vorgefundenen Handlungsgrenzen nach ihrem jeweiligen Interesse handelten (und sei dies Interesse das Erhalten des nackten Lebens), um so die Gesellschaft – den Interessen einzelner zuwider – in jener Form fortexistieren zu lassen, in der die Handlungsspielräume auch weiterhin aufs gesellschaftlich Notwendige begrenzt sind. Bedurfte es vormals der Ideologie, einer sei’s göttlichen, sei’s natürlichen Ordnung des menschlichen Zusammenlebens, der zufolge die einen arbeiten, die anderen herrschen müssen zum gesellschaftlichen Wohle, das sich als individuelles Glücksversprechen den Einzelnen vermittelte, läßt nach Adorno »ohne viel Übertreibung sich sagen, in der gegenwärtigen Situation seien buchstäblich die Menschen selber, in ihrem Sound Nichtanderssein, die Ideologie, die das falsche Leben trotz seiner offenbaren Verkehrtheit zu verewigen sich anschickt.«6 Im Gegensatz zur antipsychologischen Theorie von Marx, Ausdruck einer »rein materialistische[n] […] Auf1 2 3 4 5 6

Adorno, »Gesellschaft«, AGS, Bd. , S.  f. Ebd., S. . Ebd., S. , Ebd., S. . Vgl. etwa ders., »Einleitung zum ›Positivismusstreit in der deutschen Soziologie‹«, AGS, Bd. , S. . Ders., »Gesellschaft«, AGS, Bd. , S. .

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fassung, von keinen Gemütsmucken gestört«7, erkennt Adorno die »Notwendigkeit eines psychologischen Surplus über die objektive Ökonomie, um die Gesellschaft zusammenzuhalten.«8 War einst die Familie jener Kitt, der die Individuen zusammenschloß, wird der notwendige Zwang im Spätkapitalismus zwanglos von der Kulturindustrie ausgeübt. Deren Begriff deutet allerdings bereits auf die Herkunft des mit ihm Bezeichneten aus der wiederum ökonomischen Sphäre: Kultur wird nach kapitalistischen Verfahrensregeln produziert und belobigt dergestalt – formal wie inhaltlich – jene Sphäre, der sie entstammt. »Geistige Gebilde kulturindustriellen Stils sind nicht länger auch Waren, sondern sind es durch und durch. Diese quantitative Verschiebung ist so groß, daß sie ganz neue Phänomene zeitigt. Schließlich braucht die Kulturindustrie gar nicht mehr überall die Profitinteressen direkt zu verfolgen, von denen sie ausging. Sie haben in ihrer Ideologie sich vergegenständlicht, zuweilen sich unabhängig gemacht vom Zwang, die Kulturwaren zu verkaufen, die ohnehin geschluckt werden müssen. Kulturindustrie geht über in public relations, die Herstellung eines good will schlechthin, ohne Rücksicht auf besondere Firmen oder Verkaufsobjekte. An den Mann gebracht wird allgemeines unkritisches Einverständnis, Reklame gemacht für die Welt, so wie ein jedes kulturindustrielles Produkt seine eigene Reklame ist.«9 Jenseits der ökonomischen Notwendigkeit materieller Versorgung hat sich ein stahlharter und selbstvergessener Wille zum praktisch unbedingten Mitmachen etabliert, der nicht einmal mehr ideologisch legitimiert werden muß. Kultur ist dergestalt nur noch Negation dessen, was darzulegen die Kritische Theorie dasein soll: Daß das, was ist, nicht alles ist, nur weil es ist. »Der Kitt von einst, die Ideologien, welche die Massen bei der Stange hielten, sind zusammengeschrumpft zur Imitation dessen, was ohnehin ist, unter Verzicht darauf, es zu überhöhen, zu rechtfertigen, selbst es zu verleugnen.«10 Kultur gehorcht einem Positivismus, demzufolge die Welt nicht mehr ist, als was sie zu sein scheint. Der Tausch »verhält die ganze Welt zum Identischen, zur Totali-

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8 9 10

Karl Marx, »[Anmerkung der Redaktion zu dem Artikel ›Die Schneiderei in London oder der Kampf des großen und des kleinen Capitals‹ von J. G. Eccarius]«, MEW, Bd. , S. . Adorno , »Zur Spezifikation der kritischen Theorie«, S. . Ders., »Résumé über Kulturindustrie«, AGS, Bd. ., S.  f. Ders., Einleitung in die Musiksoziologie. Zwölf theoretische Vorlesungen, AGS, Bd. , S. .

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tät«11, und die Kulturindustrie bestätigt den Individuen unablässig, die Welt sei nun einmal genau so beschaffen. Kritik am Ganzen der Gesellschaft ist so gründlich desavouiert, wie die Einsicht, es könne alles auch ganz anders sein, zur Illusion degradiert ist, die man sich als rational denkender und handelnder Mensch besser nicht macht. Die »Kritik an der Utopie ist heute selbst in den ideologischen Vorrat hinabgesunken, während gleichzeitig der Triumph der technischen Produktivität dazu taugt vorzuspiegeln, die Utopie, unvereinbar mit den Produktionsverhältnissen, sei in deren Rahmen bereits verwirklicht.«12 Zwar ist Kritik dort wohlgelitten, wo sie auf partikulare Verbesserungen innerhalb des gesellschaftlichen Ganzen aus ist, hat mit wirklicher Kritik aber nichts mehr gemein. Ist diese auf die Negation des Kritisierten aus, sucht die realpolitische, sich ›konstruktiv‹ wähnende Kritik nach Handlungsspielräumen oder dergleichen innerhalb dessen, was bereits ist; was schon deshalb nicht angetastet werden darf, weil man ja nie wissen kann, ob es nicht noch schlimmer kommt, und außerdem sei man dem Ganze gegenüber eh ohnmächtig. Realistisch ist diese Position ohne Zweifel, aber »[r]ealitätsgerechte Empörung wird zur Warenmarke dessen, der dem Betrieb eine neue Idee zuzuführen hat.«13 Die Gesellschaft verleibt sich jene Kritik, die nicht aufs Ganze zu gehen bereit ist, bestenfalls als den bis morgen letzten Schrei ein. Wahrscheinlicher ist, daß sie sie schlicht ignoriert. Wenn Kritik hingegen tatsächlich einmal gegen das Ganze gerichtet ist, erfährt sie unweigerlich ihre eigene Ohnmacht, die zuletzt darin besteht, daß sie nicht unmittelbar eingreifen kann. Trotzdem: »Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.«14 – Wenn alle anderen Möglichkeiten versperrt sind, bleibt immer noch die Kritik an diesem Versperrtsein, während jedwede partikulare Kritik unweigerlich entweder in der Sackgasse endet oder gleichsam von sich aus doch wieder zum Ganzen führt, weil die konsequente Kritik an bestimmten gesellschaftlichen Sachverhalten diese unweigerlich als bloße Momente jenes Ganzen zu erkennen gibt. Wenn, einem vielzitier-

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Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Ders., »Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft? Einleitungsvortrag zum . Deutschen Soziologentag«, AGS, Bd. , S. . Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, AGS, Bd. , S. . Adorno, Minima Moralia, AGS, Bd. , S. .

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ten Wort Adornos aus den Minima Moralia gemäß, das Ganze das Unwahre ist,15 sind es seine Teile, als Momente des Ganzen, ebenfalls.16 So verhält es sich, um ein Beispiel anzuführen, mit der Hoffnung Adornos, der gerechte Tausch möge sich endlich erfüllen: Diese Utopie ist keineswegs identisch mit der klassenkämpferischen Forderung des Arbeiterbewegungsmarxismus nach gerechtem Lohn. Der wirklich gerechte Lohn wäre insofern eins mit der Überwindung des Kapitalismus, als er der volle Ertrag der Arbeit, mithin alle durch Verausgabung der Arbeitskraft erzeugten Waren bzw. deren Geldwert wäre. Dadurch käme dem Arbeiter der gesamte selbsterzeugte Wert zu, inklusive des Mehrwerts. Der Kapitalist, der die Arbeitskraft des Arbeiters für das Geld gekauft hat, ginge also leer aus, das System, das auf dem Tausch der Ware Arbeitskraft gegen Lohn basiert, bräche – dergestalt real ad absurdum geführt – zusammen. »Das allein transzendierte den Tausch.«17 Wo wahrhaft Gleiches getauscht würde, wäre der Tausch ebenso überwunden, wie die Idee der Gerechtigkeit hinfällig würde. Anders gewendet: Die Kritik an der Ungerechtigkeit des Tauschs läßt sich konsequent nur durchführen als Kritik an der Gesellschaft, die sich erst durch diese Ungerechtigkeit überhaupt konstituiert und an ihr deshalb notwendig festhalten muß.

15 16

17

Vgl. ebd., S. . Dies gilt übrigens auch für die Wissenschaften als Teil jenes gesellschaftlichen Ganzen. Während Marx, wie Michael Heinrich betont, seine Kritik der politischen Ökonomie »einreiht in ›wissenschaftliche Versuche zur Revolutionierung einer Wissenschaft‹« (Michael Heinrich , Wie das Marxsche »Kapital« lesen? Leseanleitung und Kommentar zum Anfang des »Kapital«, S. ; das Zitat Marx’ stammt aus einem Brief an Ludwig Kugelmann vom . Dezember ; vgl. MEW, Bd. , S. ) und dergestalt eine Kritik an »den sogenannten positiven Wissenschaften […] niemals vollzog, sondern seinem Selbstverständnis nach sich in Übereinstimmung mit den positiven Wissenschaften geglaubt« (Adorno , Philosophische Terminologie. Zur Einleitung. Band , S. ) hat, ist Adorno zufolge für die Kritische Theorie »Wissenschaft eine unter anderen gesellschaftlichen Produktivkräften und verflochten in die Produktionsverhältnisse. Sie selbst unterliegt jener Verdinglichung, gegen welche die kritische Theorie sich richtet. Sie kann nicht das Maß der kritischen Theorie, diese kann nicht Wissenschaft sein wie Marx und Engels es postulieren.« (Ders. , »Zur Spezifikation der kritischen Theorie«, S. .) Kritik darf nicht ausgerechnet vor der Rationalität haltmachen, unter deren Anwendung sich sowohl das Wissenschaftsverständnis als auch die Gesellschaft als solche konstituieren. Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. .

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TEIL I

Die Unwahrheit der Gesellschaft als ganzer macht es auch theoretisch wie praktisch unmöglich, konstruktive Kritik innerhalb dieses Ganzen zu üben. Bereits  schreiben Marx und Engels in einem Artikel für die Neue Rheinische Zeitung: »Verlangt eine teilweise Reform in den industriellen und kommerziellen Zuständen […], und sie halten euch die Verkettung und die Wechselwirkung der Gesamtorganisation entgegen. Verlangt die Umwälzung der Gesamtorganisation, und ihr seid destruktiv, revolutionär, gewissenlos, utopisch und überseht die partiellen Reformen. Also Resultat: Laßt alles beim Alten.«18 Eine sich ›konstruktiv‹ nennende Gesellschaftskritik, die realpolitisch auf Reformen aus ist, um die Gesellschaft in ihrer bestehenden Form unberührt zu lassen, ist keine Gesellschaftskritik. Eine solche gewönne ihre Positivität nicht in voreiligem Einverständnis mit der einen oder anderen partikular-hilfreichen Einrichtung innerhalb des Bestehenden, sondern erst als bestimmte Negation dessen insgesamt. Den einzig womöglich gangbaren Weg sieht Adorno darin, in bestimmter Negation dessen, was bereits ist, über dieses hinauszuführen, indem »das Falsche, einmal bestimmt erkannt und präzisiert, bereits Index des Richtigen, Besseren ist«19, denn »das einzig Positive, das man ›hat‹, ist das Gegebene in seiner Schlechtigkeit, über das die Erkenntnis mit nichts anderem hinausgeht als damit daß sie die Schlechtigkeit durch den immanenten Widerspruch des Gegebenen bestimmt. Das Positive ist das Negative, und nur das Negative, die bestimmte Negation, eigentlich positiv«20; das meint konkrete Kritik an konkreten Verhältnissen im Gegensatz zur ›konstruktiven Kritik‹, für die ›das Positive‹ immer schon abrufbar scheint, wenn man sich nur seine rechten Gedanken macht.

3.3 Dient der abermaligen Unterdrückung Die Frage drängt sich auf, wie Kritik praktisch werden könnte, ohne sogleich in Affirmation des Bestehenden zurückzufallen. Für Adorno ist dieses Praktischwerden nur vermittels einer kritischen Theorie möglich. Den unmittelbaren 18 19 20

Marx/Friedrich Engels, »Thiers’ Rede über eine allgemeine Hypothekenbank mit Zwangskurs«, MEW, Bd. , S. . Adorno, »Kritik«, Bd. ., S. . Ders. , »Contra Paulum«, S. .

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Bezug zur Praxis sieht er als einen »Sprung in die Praxis«, der »den Gedanken nicht von der Resignation [kuriert], solange er bezahlt wird mit dem geheimen Wissen, daß es so doch nicht gehe.«21 In drei Diskussionen, geführt ,  und ,22 besprachen Adorno und Horkheimer je gemeinsam die Möglichkeit, ein, wie Adorno es formulierte, »streng leninistisches Manifest«23 zu schreiben und zu verbreiten, um politisch in die jeweils gegenwärtige Gesellschaft einzugreifen. Adorno und Horkheimer arbeiteten sich in allen drei Gesprächen über die Jahre hinweg regelrecht an der Frage ab, wie in einer historischen Phase noch wirksam zu schreiben sei, in der einerseits die Wirklichkeit nicht länger ideologisch verbrämt, sondern jedem offen zur Schau gestellt ist, andererseits alle Aufrufe nur mehr mit gefälligem Interesse rezipiert werden, so daß jedem Appell von vornherein der Stachel genommen ist; wie also ein wirksames Manifest in einer Zeit zu schreiben sei, in der, wie Adorno  schreibt, für »das Flugblatt und das Manifest, […] heute die objektiven Voraussetzungen [fehlen]«: »Wer sie mimt, plustert nur als geheimer Machtanbeter die eigene Ohnmacht auf«24; kurz: ob Kritische Theorie in Zeiten der gesellschaftlich abgeschnitten Vermittlung zwischen Theorie und Praxis, doch praktisch werden könne. Dieses Manifest ist nie zustande gekommen, und damit ist zugleich die Frage beantwortet: Adorno und Horkheimer sahen keine Vermittlungschancen für politisch wirksame kritische Theorie, unmittelbares Eingreifen galt Adorno zumal als auf unabsehbare Zukunft vertagt. Wo einerseits der Augenblick zur »Verwirklichung der Philosophie«, »in dem, wie Adorno vermutete, Befreiung einmal möglich war«25, versäumt ist, sich andererseits eine neue Möglichkeit der Verwirklichung aber nicht auch nur von ferne abzeichnet, ist eine Praxis, die so tut, als ob »die Revolution unmittelbar bevorstünde« nur mehr anachronistisches Überbleibsel aus vermeintlich besseren Tagen, während eine tatsächlich 21 22

23 24 25

Ders., »Resignation«, AGS, Bd. ., S. . Die Diskussion von  findet sich in Horkheimer/Adorno, »[Diskussionen über Sprache und Erkenntnis, Naturbeherrschung am Menschen, politische Aspekte des Marxismus]«, HGS, Bd. ) , die von  in dies., »[Diskussion über Theorie und Praxis]«, HGS, Bd. . Zur Diskussion von  vgl. Braunstein , Adornos Kritik …, S.  ff. Horkheimer/Adorno, »[Diskussion über Theorie und Praxis]«, HGS, Bd. , S. . Adorno, »Bibliographische Grillen«, AGS, Bd. , S. . Demirović , »Ökonomiekritik und kritische Gesellschaftstheorie«, S. .

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befreiende Praxis »auf unabsehbare Zeit vertagt«26 ist. Jede Theorie, die solche Praxis stützen soll, muß in »weltanschauliche[s] Abrakadabra«27 verfallen. »Der Augenblick, an dem die Kritik der Theorie« – zugunsten der Praxis – »hing, läßt nicht theoretisch sich prolongieren.«28 Adorno geht es gerade um das »Nachdenken darüber, warum es nicht geschah; also warum die Praxis in jenen Schwierigkeiten oder in jener Situation des Stillgestelltseins sich findet«29. Und »dieses Nachdenken ist selbst ein wesentlicher Teil dessen, was man heute überhaupt Philosophie nennen kann. Also in gewissem Sinn ist der Prozeß von Theorie und Praxis dadurch, daß der prognostizierte Übergang der Theorie in die Praxis nicht erfolgte, an die Theorie wieder zurückzuverweisen.«30 Es käme daher, die elfte Feuerbachthese von Marx31 zu revidieren, darauf an, darüber nachzudenken, weshalb die Möglichkeit zur Veränderung der Welt versperrt ist. Kritik als theoretische ist die bis auf weiteres einzig verbleibende Praxis radikaler Gesellschaftskritik. Sich damit zu bescheiden, fällt, so denn tatsächlich mal ein Veränderungswille vorhanden ist, schwer. »Distanz von Praxis ist allen anrüchig. Beargwöhnt wird, wer nicht fest zupacken, nicht die Hände sich schmutzig machen möchte, als wäre nicht die Abneigung dagegen legitim und erst durchs Privileg entstellt«32, also dadurch, daß sich viele ›die Hände schmutzig machen‹ müssen, damit einige wenige es nicht brauchen. Die Konsequenz dieser Theoriefeindschaft zeitige sich, so Adorno seinerzeit, in den Staaten des Ostblocks: Wenn die Praxis gegen die gebotene Theorie ausgespielt wird, ist zugleich der Praxisbegriff ideologisch eingeschränkt auf »gesteigerte Produktion von Produktionsmitteln; Kritik wurde nicht mehr geduldet außer der, es werde noch nicht genug gearbeitet.«33 Auf diese Weise – siehe oben: »Laßt alles beim Alten« – schlage »die Subordination von Theorie unter Praxis um in den Dienst an abermaliger Unterdrückung.«34

26 27 28 29 30 31 32 33 34

Adorno, Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Ders., »Wozu noch Philosophie?«, AGS, Bd. ., S. . Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Ders., Vorlesung über Negative Dialektik, ANS, Bd. IV., S. . Ebd., S.  f. Vgl. Marx, »[Thesen über Feuerbach]«, MEW, Bd. , S. . Adorno, »Resignation«, AGS, Bd. ., S.  Ebd., S. . Ebd.

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Einen Ausweg aus der einseitigen Verabsolutierung von Praxis, die darauf hinausläuft, das, was eh getan wird, noch mehr zu tun, »könnte einzig Denken finden, und zwar eines, dem nicht vorgeschrieben wird, was herauskommen soll […]. Sind die Türen verrammelt, so darf der Gedanke erst recht nicht abbrechen. Er hätte die Gründe zu analysieren und daraus die Konsequenz zu ziehen. An ihm ist es, nicht die Situation als endgültig hinzunehmen. Zu verändern ist sie, wenn irgend, durch ungeschmälerte Einsicht.«35 Diese Einsicht wäre zugleich eine in die Gesellschaftlichkeit der Gesellschaft selbst, damit auch eine in ihre grundsätzliche Veränderbarkeit. Sie begriffe das Unnatürliche als bloß gemachtes, auch wenn es als Natürliches erscheint; das scheinbar natürlich Gegebene als gesellschaftliches Produkt, als das es ausführlich bei Marx ausgewiesen und kritisiert ist. Das Ganze, als Objekt der Kritik, ist das gesellschaftlich Ganze, das »sich mit der Aura naturwüchsigen Ansichseins«36 umgibt. Auf diese Weise werden kritikable Zustände – wie die Tatsache, daß sich die Individuen mal mehr oder weniger regieren lassen müssen – als das erkannt, was sie sind: zu allen Zeiten sich bemerkbar machende Epiphänomene eines falschen Ganzen, das sich, so Adorno, »knirschend, stöhnend, mit unsäglichen Opfern«37 durch ebendiese Opfer erhält – –

3.4 Nicht in Ordnung – im Frühjahr  gibt Adorno dem Spiegel ein Interview. Kurz zuvor, auf dem Höhepunkt der Studentenrevolte, ist Adornos Vorlesung gesprengt sowie der Versuch unternommen worden, das Institut für Sozialforschung, dessen Direktor Adorno seinerzeit ist, zu besetzen. Der Spiegel-Reporter, der wohl zunächst ein Einverständnis über den allgemeinen Verfall der guten Sitten als Grundlage für das Gespräch herstellen möchte, beginnt das Interview: »Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung …« … Adorno repliziert: »Mir nicht.«38 Und das ist keine Anekdote. 35 36 37 38

Ebd., S. . Frank Böckelmann , Über Marx und Adorno. Schwierigkeiten der spätmarxistischen Theorie, S.  Adorno, »Gesellschaft«, AGS, Bd. , S.  Ders., »›Keine Angst vor dem Elfenbeinturm‹. Ein ›Spiegel‹-Gespräch«, AGS, Bd. ., S. .

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»Gleich ist zugleich nicht gleich«. Adornos rettende Kritik des Tausches

Gerade wenn sich Braunstein dem begrifflichen Zentrum der Ökonomiekritik zuwendet, wird seine Darstellung bedenklich opak. I E, A K   Ö (R)

4.1 Ein Widerspruch, der aus der Sache selber folgt Weil der Tausch als ökonomische Kategorie für Adorno zentral sei, wird dieser kurzerhand und blindlings als einer der »Gründungsväter des Zirkulationsmarxismus«1 deklariert. Daß es so einfach um Adornos Tauschbegriff allerdings nicht bestellt ist, läßt sich anhand einer Passage aus der Negativen Dialektik zeigen, die zugleich auf den ökonomiekritischen wie auf den utopischen Gehalt von Adornos Philosophie verweist. Es heißt dort: »Kritik am Tauschprinzip als dem identifizierenden des Denkens will, daß das Ideal freien und gerechten Tauschs, bis heute bloß Vorwand, verwirklicht werde. Das allein transzendierte den Tausch.«2 Adorno legt seinem Tauschbegriff hier denjenigen Tausch zugrunde, der erst ermöglicht, daß die Konsumtion auf die Produktion übergreift: Es ist die eine »entscheidende[…] Stelle, […] wo es sich um die Ware Arbeitskraft handelt«, an der es, »indem es mit rechten Dingen zugeht, zugleich nicht mit rechten Dingen zugeht.«3 Da beim Tausch »etwas gleich und zugleich nicht

1 2 3

Gerhard Hanloser/Karl Reitter , Der bewegte Marx. Eine einführende Kritik des Zirkulationsmarxismus, S. . Adorno, Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Ders. , Philosophische Terminologie. Zur Einleitung. Band , S.  f.

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gleich«4 ist, liege der »Schein im Tauschvorgang […] im Begriff des Mehrwerts«5, dem die reale Aneignung der Mehrarbeit durch den Käufer der Arbeitskraft unter Einhaltung des Äquivalententauschs zugrunde liegt. Die Offenlegung dieses Prinzips durch Marx bezeugt für Adorno, jener nehme »die Dialektik ernst« und kokettiere »nicht einfach bloß mit ihrer Terminologie.«6 Die dialektische Pointe, die Adorno von Marx erkannt sieht, ist die, daß die »Behauptung der Äquivalenz des Getauschten, Basis allen Tausches« gerade »von dessen Konsequenz desavouiert« wird. »Indem das Tauschprinzip kraft seiner immanenten Dynamik auf die lebendige Arbeit von Menschen sich ausdehnt, verkehrt es sich zwangvoll in objektive Ungleichheit, die der Klassen.«7 Alex Demirović bemerkt skeptisch, eine solche Interpretation sei mit der Marxschen Theorie »nur eingeschränkt vereinbar, da Marx ja die Ansicht vertritt, dass mit der kapitalistischen Form des Äquivalententauschs kein Betrug stattfindet: Die Arbeitskraft wird im Durchschnitt zu ihrem vollen Wert entgolten; Gleichheit ist damit schon verwirklicht.«8 Genau das meint aber auch Adorno, der jedoch zugleich erkennt, daß sich durch die Verwirklichung der Gleichheit im Tausch die Ungleichheit der Klassen sowie der Individuen reproduziert. Während Demirović sagt, Marx mache »in seinen Analysen deutlich, wie durch die marktvermittelte Herausbildung eines Durchschnitts gesellschaftlich notwendiger Arbeit das Problem des Maßstabs für Gleichheit gelöst wird«9, hält Adorno ebenso wie Marx fest, daß sich dieser Maßstab gerade durch seine Anwendung im Tausch selbst negiert. »Das ist die entscheidende Wendung bei Marx, daß er nicht einfach […] sagt: Das ist alles nicht wahr. Sondern er sagt: Wir wollen, um überhaupt diesen ungeheuren Apparat zu verändern, ihn aus seiner eigenen Kraft heraus in Bewegung setzen. […] Anstatt den Anspruch der bürgerlichen Gesellschaft, Harmonie zu leisten, einfach zu verwerfen, nimmt er ihn ganz ernst und fragt: Ist die Gesellschaft, die ihr lehrt, wirklich identisch mit ihrem Begriff? Entspricht eurer Welt des freien und gerechten Tausches wirklich, wie ihr behauptet, eine freie und gerechte Gesellschaft? Er bleibt auch 4 5 6 7 8 9

Ders. , »Theodor W. Adorno über Marx und die Grundbegriffe der soziologischen Theorie«, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ders., »Einleitung zum ›Positivismusstreit …‹«, AGS, Bd. , S. . Demirović , »Freiheit und Menschheit«, S.  f. Ebd., S. .

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darin dem Prinzip der Dialektik treu, daß er sagt, sie ist es und sie ist es nicht.«10 Die Lehre vom Mehrwert nennt Adorno das »Kernstück der Marxischen Theorie«11, weil sie nicht nur das Aufeinandertreffen von Produktion und Konsumtion, also einen im Grunde ökonomischen Sachverhalt beschreibe, sondern zugleich die »das Ganze zusammenhaltende gesellschaftliche Dynamik, die die gesellschaftlichen Konflikte und Bedingungen produziere. Die Mehrwerttheorie sei ebenso ökonomisch wie gesellschaftlich zu verstehen, als Indifferenzpunkt von Wirtschaft und Gesellschaft.«12 Die Mehrwertproduktion als Resultat und Zweck des Tauschs von Lohn gegen Arbeitskraft sei »der Punkt, an dem die Hegelsche Geschichtsphilosophie ebenso mit der klassischen Nationalökonomie zusammenhängt, wie mit dieser ebenfalls Marx zusammenhängt, – es ist so, daß gerade dadurch, daß die Menschen ihre eigenen, ihre je eigenen individuellen Interessen verfolgen, sie zu Exponenten, zu Vollstreckern eben jener geschichtlichen Objektivität werden, die, indem sie dann in jedem Augenblick bereit ist, auch gegen ihre Interessen sich zu wenden, dann gerade auch zu dem über sie hinweg sich Durchsetzenden wird. Das ist ein Widerspruch: daß das, was über die Menschen hinweg sich durchsetzt, sich durchsetzt vermöge ihrer selbst, vermöge ihrer eigenen Interessen. Aber da die Gesellschaft, in der wir leben, antagonistisch ist, da der Weltlauf, in den wir eingespannt sind, antagonistisch ist, so ist dieser, wenn Sie wollen: logische Widerspruch, […] eben nicht […] ein Widerspruch, der an einer unzulänglichen und nicht genügend sauberen Begriffsbildung läge; sondern er ist ein Widerspruch, der aus der Sache selber folgt.«13 Wenn also an der Kritischen Theorie bemängelt wird, es gebe in ihr »ein bleibendes Spannungsverhältnis von Totalitäts- und Antagonismusdiagnose«, was »zweifelsfrei unbefriedigend« sei, insofern »Adorno bisweilen über der Totalität den Klassencharakter kapitalistischer Gesellschaft aus den Augen«14 verliere, dann verhält es sich Adorno zufolge hingegen vielmehr so, daß sich die »antagonistische Totalität«15 erst mittels der Widersprüche erhält. Auch bei Adorno 10 11 12 13 14 15

Ders. , Philosophische Terminologie. Band , S. . Ders., »Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?«, AGS, Bd. , . Seminarprotokoll von Ellen Schölch vom . Dezember , zit. nach Demirović , Der nonkonformistische Intellektuelle, S. . Adorno, Zur Lehre von der Geschichte …, ANS, Bd. IV., S.  f. Kolja Lindner , »Rien ne va plus – Wolfgang Pohrts Theorie des Gebrauchswerts«, S. . Adorno, »Aspekte«, AGS, Bd. , S. .

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ist der fundamentale Antagonismus, wie bei Marx, der der Klassen; die Diagnose gesellschaftlicher Totalität impliziert die des gesellschaftlichen Antagonismus und umgekehrt. »Die Gesellschaft erhält sich nicht trotz ihres Antagonismus am Leben sondern durch ihn«16. Da das einzelne Individuum sich nur durch das Kapitalverhältnis reproduzieren kann, reproduzieren die Individuen unweigerlich auch diese »Zwangsbeschaffenheit der Gesellschaft«17, durch die »jeder von uns mit Haut und Haaren von dieser Gesellschaft gefressen wird«18. Und weil jeder seine Funktion im Kapitalprozeß bei Androhung des persönlichen Untergangs erfüllen muß, besteht der objektive Klassengegensatz fort, solange die Gesellschaft sich durch diesen Gegensatz erst konstituiert. »Nur dadurch, daß in dieser Weise die Gesellschaft gespalten ist und eine Menge Verfügender denen gegenübersteht, die von den Produktionsmitteln getrennt sind, – nur vermöge dieses Antagonismus hat bis heute jedenfalls das Leben überhaupt sich perpetuiert.«19

4.2 Drohung und Versöhnung Adorno wirft Marx allerdings vor, genau dies zu affirmieren. Er erkennt bei ihm das »Moment von der Bejahung des Zusammenschlusses der Menschheit zum Ganzen« und kritisiert, daß »das Motiv, daß bei allen Opfern und allem Leiden die Menschheit sich doch reproduziert, auch in Marx enthalten ist; und wenn man mit Recht nach dem idealistischen, in einem exakten philosophischen Sinn idealistischen Moment bei Marx fragen darf, dann wäre ganz sicher diese Konstruktion die eigentlich affirmative bei Marx, der dann der ja auch bei ihm 16

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Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . – »Ich beschränke mich also darauf, Ihnen hier als Modell für diese antagonistische Gestalt der Gesellschaft nur das anzuführen, daß nicht die Gesellschaft mit ihren Widersprüchen oder trotz ihrer Widersprüche sich am Leben erhält, sondern durch ihren Widerspruch hindurch; das heißt, daß die auf den Profit gegründete Gesellschaft, die in diesem objektiven Motiv des Profits bereits die Spaltung der Gesellschaft notwendig in sich enthält, – daß eben dieses Motiv, durch das die Gesellschaft gespalten und potentiell zerrissen ist, zugleich das ist, durch das hindurch die Gesellschaft ihr eigenes Leben reproduziert.« (Ders., Vorlesung über Negative Dialektik, ANS, Bd. IV., S. .) Ders., Philosophische Elemente einer Theorie der Gesellschaft (), ANS, Bd. IV., S. . Ebd. Adorno, Zur Lehre von der Geschichte …, ANS, Bd. IV., S. .

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überwiegende Geschichtsoptimismus korrespondiert. Die Gestalt, in der dieses Hegelsche Motiv bei Marx sich findet – fast bis zur Unkenntlichkeit umgeformt, aber dennoch von einer außerordentlichen Gewalt –, ist die im übrigen sehr dunkle und schwierige Theorie von dem sogenannten Wertgesetz, also dem Inbegriff der nach dem Tausch sich vollziehenden gesellschaftlichen Akte, durch die insgesamt das Leben der Gesellschaft sich erhält und sogar, mit allen Katastrophen, Marx zufolge sich erweitert reproduziert.«20 Auch Marx entgehe schließlich nicht der »Metaphysik der Produktivkräfte«21, mit der er »etwas wie die metaphysische Substantialität dieser Produktivkräfte voraussetzt« und die »schließlich etwas dem Glauben an den Hegelschen Weltgeist außerordentlich Verwandtes ist«22. Damit kehre »ein äußerst bedenkliches Theorem des deutschen Idealismus bei Marx fast unverändert wieder[…]; vor allem bei Engels, es ist im ›Anti-Dühring‹ ausdrücklich formuliert, – daß nämlich die Freiheit eigentlich soviel sei wie daß man bewußt das Notwendige tue; was natürlich nur dann einen Sinn ergibt, wenn das Notwendige, der Weltgeist die Entfaltung der Produktivkräfte a priori recht hat und ihm der Sieg verbürgt ist.«23 »Der Gedanke, daß kein Mangel sein soll, daß niemand mehr in der Welt hungern soll, also der Gedanke der Erfüllung der Abschaffung der Not, setzt selber jene Steigerung der Produktivkräfte und damit eben jene Naturbeherrschung voraus, die nicht nur mit dem anti-stofflichen Prinzip aufs tiefste verwachsen ist. Sie läßt überhaupt nur sich denken, indem den Menschen, die doch mit der äußeren Natur auch ihr Inneres beherrschen lernen sollen, immer20 21

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Ebd., S.  f. Ders., Vorlesung über Negative Dialektik, ANS, Bd. IV., S. . – Diesen Ausdruck hat, wie Adorno an gleicher Stelle sagt, sein Jugendfreund Alfred Seidel geprägt: »Um eine einheitliche Geschichtskonstruktion geben zu können, mußte [Marx] wie [Hegel] von einem die Geschichte bewegenden Agens ausgehen. Die Hegelsche Metaphysik des Geistes lehnt er ab und setzt an deren Stelle als Realist, der er war, die Wirtschaft […]. So konnte das die Geschichte bewegende Agens nur ein wirtschaftliches sein und zwar die Faktoren, die die Produktivität der Arbeit hervorrufen oder steigern, also die ›Produktivkräfte‹. […] Da diese das die Geschichte bewegende Agens sein sollen, wurden sie verabsolutiert und zu einer metaphysischen, wenn auch immanent metaphysischen Entität erhoben, in unbewußter Analogie mit der religiös-metaphysischen, also transzendent-metaphysischen Geschichtsphilosophie vom Alten Testament bis auf Hegel.« (Alfred Seidel , Bewußtsein als Verhängnis, S.  f.) Adorno, Vorlesung über Negative Dialektik, ANS, Bd. IV., S. . Ebd.; vgl. ders. , Philosophische Terminologie. Band , S. . – Zu Engels vgl. ders., Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft, MEW, Bd. , S. .

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zu Versagungen zugemutet werden. Die Konzeption eines Zustandes ohne Versagungen, die Entfesselung der Produktivkräfte, die Abschaffung der Not, also jenes utopische Moment der schrankenlosen Erfüllung setzt seinem eigenen Sinn nach, um überhaupt möglich zu sein, eben die Einschränkung, die Askese, ein bestimmtes Moment von Repression, von Unterdrückung voraus.«24 Die weitere Geschichte der Menschheit entscheide sich daran, »ob es ihr gelingen wird, aus dieser furchtbaren Verstrickung herauszukommen: Was das Andere meint und ins Andere führen soll, um sich zu verwirklichen, entwickelt selber das Prinzip in sich, gegen das es sich wendet; dadurch steht es stets in Gefahr, eben wieder in den Mythos zurückzufallen.«25 Die Steigerung der gesellschaftlichen Produktivkraft verlängert die Herrschaft, welche immer ihre Form sei, und ist dergestalt eine ständig »notwendige Änderung, damit alles bleibt wie es ist.«26 Trotz aller inneren gesellschaftlichen Dynamik bleibt das Ganze der Gesellschaft »immer dasselbe […] – die Fortdauer der ›Vorgeschichte‹», das »unablässig als ein anderes, Ungeahntes, alle Bereitschaft Übersteigendes sich verwirklicht, getreuer Schatten der sich entfaltenden Produktivkräfte.«27 Die beständige Entfaltung der Produktivkräfte, in deren bloßem Wort bereits »eine Drohung«28 mitklinge, ist selbst Ausdruck der »rücksichtslosen Naturbeherrschung«29; ist ein blindes Moment des Immergleichen, dessen, was Adorno als Mythos begreift.30 Dagegen wendet sich Adorno im vielzitierten Aphorismus »Sur l’eau« in den Minima Moralia, in dem er sich so weit wie nirgends sonst einer positiven Beschreibung erfüllter Utopie annähert.31 Sie bestünde gerade in einem menschlichen Dasein jenseits des Zwangs zur Produktion: »Die naiv unterstellte

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Adorno , Philosophische Terminologie. Band , S. . Ebd. Demirović , »Zur Dialektik von Utopie und bestimmter Negation«, S. . Adorno, Minima Moralia, AGS, Bd. , S.  f. Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Ders. , Philosophische Terminologie. Band , S. . »Mythos ist nicht das was nicht der Fall ist sondern das Immergleiche, Zusammengebackne, der Welt; Widerstand dagegen ist Geist, Subjekt. Der Geist kann in einer Realität ohne die Lebensnot aus der er stammt und deren Male er trägt, sich bis ins Innerste verändern und müßte es, er wird nicht einfach vergehen. Vor jeder gewonnenen Konkretion zergeht der abstrakte Nihilismus als Spuk. […] Mythos = der Klumpen der Welt: so ist es so wird es bleiben so soll es sein.« (Adorno , »Graeculus (II)«, S. .) Eine weiterreichende Interpretation dieses Aphorismus findet sich in G. Schweppenhäuser , Theodor W. Adorno zur Einführung, S.  ff.

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Eindeutigkeit der Entwicklungstendenz auf Steigerung der Produktion ist selber ein Stück jener Bürgerlichkeit, die Entwicklung nach einer Richtung nur zuläßt, weil sie, als Totalität zusammengeschlossen, von Quantifizierung beherrscht, der qualitativen Differenz feindlich ist. Denkt man die emanzipierte Gesellschaft als Emanzipation gerade von solcher Totalität, dann werden Fluchtlinien sichtbar, die mit der Steigerung der Produktion und ihren menschlichen Spiegelungen wenig gemein haben. Wenn hemmungslose Leute keineswegs die angenehmsten und nicht einmal die freiesten sind, so könnte wohl die Gesellschaft, deren Fessel gefallen ist, darauf sich besinnen, daß auch die Produktivkräfte nicht das letzte Substrat des Menschen, sondern dessen auf die Warenproduktion historisch zugeschnittene Gestalt abgeben. Vielleicht wird die wahre Gesellschaft der Entfaltung überdrüssig und läßt aus Freiheit Möglichkeiten ungenützt, anstatt unter irrem Zwang auf fremde Sterne einzustürmen. Einer Menschheit, welche Not nicht mehr kennt, dämmert gar etwas von dem Wahnhaften, Vergeblichen all der Veranstaltungen, welche bis dahin getroffen wurden, um der Not zu entgehen, und welche die Not mit dem Reichtum erweitert reproduzierten.«32 Adorno bezieht sich hier auf die Marxsche Rede von den Produktionsverhältnissen als ›Fessel‹ der Produktivkräfte. An prominenter Stelle im Kapital spricht Marx – nicht ohne Pathos – von der revolutionären Kraft der Zentralisation der Kapitale und vertraut dabei auf eine Art geschichtsphilosophische Anomalie, die von der Kritik der politischen Ökonomie durch nichts gedeckt ist: »Das Kapitalmonopol wird zur Fessel der Produktionsweise, die mit und unter ihm aufgeblüht ist. Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt. Die Expropriateurs werden expropriiert.«33 Fortschritt als Anwachsen der Produktionskräfte und des materiellen Reichtums zu begreifen, ist selbst noch Resultat einer letztlich idealistischen Geschichtsauffassung, der Adorno nicht folgt. Solange die Menschen die Natur beherrschen müssen, werden sie auch von ihr beherrscht, denn im Versuch, sich über sie zu erheben, verstricken sich die vergesellschafteten Individuen nur immer weiter in sie. Müßte Natur nicht mehr beherrscht werden, so wären die 32 33

Adorno, Minima Moralia, AGS, Bd. , S. . Marx, Das Kapital [Bd. ]. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band. Buch I: Der Produktionsprozeß des Kapitals, MEW, Bd. , S.  f.

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Menschen ihr nicht mehr ohnmächtig ausgeliefert, sondern die Menschheit wäre womöglich mit ihr versöhnt. Diese Versöhnung von Subjekt und Objekt, »theologische[s] Urbild«34 der Utopie Adornos, ist für ihn nicht im Sinne eines Zurück zur Natur zu denken,35 »so wie Freiheit nur durch den zivilisatorischen Zwang hindurch, nicht als retour à la nature real werden kann«36 – sondern als Fortschreiten über die Dichotomie von Natur und Gesellschaft hinaus. Das gäbe als Resultat bestimmter Negation »das Nichtidentische frei, entledigte es noch des vergeistigten Zwanges, eröffnete erst die Vielheit des Verschiedenen, über die Dialektik keine Macht mehr hätte. Versöhnung wäre das Eingedenken des nicht länger feindseligen Vielen, wie es subjektiver Vernunft anathema ist. Der Versöhnung dient Dialektik.«37

4.3 Die Bedingung möglicher Gerechtigkeit Während Marx den Tausch »als den von Gleichem und doch Ungleichem enthüllt«, zielt Adorno trotz »Kritik der Ungleichheit in der Gleichheit auch auf Gleichheit, bei aller Skepsis gegen die Rancune im bürgerlichen Egalitätsideal, das nichts qualitativ Verschiedenes toleriert.«38 Mit dieser Kritik des Egalitätsideals bezieht sich Adorno »auf einen Zustand der Fülle, in dem es repressiv wäre, die Beefsteaks zu zählen, die jeder ißt, weil jeder ohnehin so viele essen kann wie er will, während manche vielleicht in einem solchen Zustand es verschmähen werden, weiter Fleisch zu essen. Solange es nicht so weit ist, hat noch

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Rolf Tiedemann , »Begriff, Bild, Name. Über Adornos Utopie der Erkenntnis«, S. . »Es ist verwunderlich, daß der Gedanke zum verbreiteten Klischee werden konnte, Adorno strebe à la Rousseau zurück zu einer unverstümmelten, nicht zugerichteten Natur, wie sie angeblich war, bevor der schaltende und waltende Mensch über sie herfiel. Die Dialektik wird nicht abgebrochen, es gibt der Geist den Geist nicht auf. […] Abstrakt formuliert: der Vorwurf der ›Naturfrömmigkeit‹ übersieht, daß Adorno das ›Zwischen‹ denkt, den Punkt der Regression und der Utopie des Geistes, ohne einen der beiden Pole preiszugeben.« (Eckart Goebel , »Das Hinzutretende. Ein Kommentar zu den Seiten  bis  der Negativen Dialektik«, S. .) Adorno, Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Ebd., S. . Ebd., S. .

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die vulgärmaterialistische Phrase vom Teilen recht.«39 Bis dahin wäre »[z]art […] einzig das Gröbste: daß keiner mehr hungern soll.«40 Was, wie Adorno an mehreren Stellen bemerkt, nach dem heutigen Stand der Produktivkräfte ohne weiteres möglich wäre,41 reicht zur Einrichtung einer wahrhaft emanzipierten Gesellschaft allerdings nicht hin. Denn daß einerseits Überfluß produziert wird, andererseits aber Mangel am Notwendigsten herrscht, ist kein Verwaltungsproblem, sondern das eine ergibt sich aus dem anderen. Selbst die Überwindung des Kapitalismus zum Zweck der Befreiung der Produktivkräfte reichte nicht aus, die Gesellschaft zu versöhnen, d.h. den Widerspruch von Allgemeinem und Besonderem zu schlichten. Die materielle Versorgung aller schließt weder eine neue Form von Herrschaft aus, noch wäre sie allein schon Garantin des »Glücks der Menschheit, welches das der Einzelnen wäre«42. Bereits  schreibt Adorno, man könne zumindest sagen, »daß in der heutigen objektiven Situation der Gedanke an eine notwendige Übergangsperiode zum Vollsozialismus dem Stand der materiellen Produktivkräfte so widerspricht, daß er schon wie eine Ausrede der sich festsetzenden Herrschaft klingt. Immerhin muß man gerechterweise sagen, daß auch die bedächtigsten Marxisten, die schon eigentlich keine mehr waren, die erste Phase erheblich kürzer sich vorstellten als die Christen die Zeit zwischen der Geburt Jesu und der Parusie, ein Zeitraum, der so ungefähr mit der ganzen Zeitlichkeit sich deckt.«43 Das bedeutet nicht, daß Glück »ein Pluraletantum [ist], es ist das der Gattung oder es ist nicht«44, wie Tiedemann meint. Das »Bild des Glückes ohne 39 40 41

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Ders. , »Contra Paulum«, S.  f. Ders., Minima Moralia, AGS, Bd. , S. . So z.B. ders., »Diskussionsbeitrag zu ›Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?‹«, AGS, Bd. , S. : »[D]ie Produktivkräfte, die materiellen Produktivkräfte haben sich heute derart entwickelt, daß bei einer rationalen Einrichtung der Gesellschaft die materielle Not nicht mehr nötig wäre. Daß ein solcher Zustand, und zwar auf der ganzen Erde, in tellurischem Maßstab sich herstellen ließe, das wäre im neunzehnten Jahrhundert als kraß utopistisch verfemt worden […]. Dadurch, daß die objektiven Möglichkeiten so unendlich erweitert sind, besitzt jedenfalls die Art Kritik am Utopiebegriff, die an der Perpetuierung des Mangels orientiert war, eigentlich keine Aktualität mehr.« (Denselben Gedanken führt Adorno in nur leicht abgewandelten Worten auch in einer Vorlesung aus: ders., Zur Lehre von der Geschichte …, ANS, Bd. IV., S. .) Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Ders. , »Contra Paulum«, S. . Tiedemann , »›Gegenwärtige Vorwelt‹. Zu Adornos Begriff des Mythischen (I)«, S. .

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Schande«45 zeigt den Menschen, der nicht länger als phylogenetisch und sozial zwangsvergattetes Individuum bloßes Exemplar wäre – ohne allerdings darum als Ausgestoßener der Gesellschaft gegenüberzustehen: »Utopie wäre die opferlose Nichtidentität des Subjekts.«46 Die schlechte Gleichheit, die das »geläufige Argument der Toleranz«47, nach dem alle Menschen gleich seien,48 kolportiert, wäre aufgehoben in einer Gesellschaft, in der man »ohne Angst verschieden sein kann.«49 Sie »wäre kein Einheitsstaat, sondern die Verwirklichung des Allgemeinen in der Versöhnung der Differenzen«50 im »Stand eines Unterschiedenen ohne Herrschaft, in dem das Unterschiedene teilhat aneinander.«51 Damit wendet sich Adorno gegen den »Kultus der Gemeinschaft als Selbstzweck«, der anzeige, »daß man an den Inhalt der Gemeinschaft, eine menschenwürdige Einrichtung der Welt, vergessen hat. […] Eine wirkliche Gemeinschaft aber wäre eine von freien Menschen.«52 Dazu müßte Adorno zufolge der Tausch werden, was er aufgrund seiner Abkunft vom Identitätsprinzip auch sein könnte: gerecht. »In einer richtigen Gesellschaft […] würde der Tausch nicht

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Adorno , »Graeculus (I). Musikalische Notizen«, S. . Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Ders., Minima Moralia, AGS, Bd. , S. . »Menschsein wird zur allgemeinsten und leersten Gestalt des Privilegs: strikt angemessen einem Bewußtsein, das kein Privileg mehr duldet und doch gänzlich in dessen Bann steht. Ideologie aber ist solche Allmenschlichkeit – Fratze der Gleichheit dessen, was Menschenantlitz trägt – deshalb, weil sie die ungemilderten Unterschiede gesellschaftlicher Macht, die von Hunger und Überfluß, von Geist und fügsamem Schwachsinn an den Menschen unterschlägt. Mit keuscher Rührung läßt sich der Mensch im Menschen anrufen, ohne daß es irgendeinen etwas kostete« (Ders., Jargon der Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie, AGS, Bd. , S. ). Ders., Minima Moralia, AGS, Bd. , S. . Ebd. Adorno, »Zu Subjekt und Objekt«, AGS, Bd. ., S. . – »Erst wenn die Totalität zergeht, die so lange fortbesteht, wie sich ein Ganzes als Ganze aufwirft dadurch, dass es ein Nichtidentisches, Fremdes, Anderes schafft und ausgrenzt, kommt es zu Menschheit. Menschheit stellt demnach nicht etwas dar, was im Prinzip schon ist, sondern wird hier als ein völlig neues und andersartiges Stadium der Geschichte, des Handelns und des Denkens verstanden. Denn Menschheit ist jenseits jeder noch so umfassend gedachten Totalität, sie ist ›Pluralität, eine Assoziation freier einzelner Menschen‹« (Demirović , »Freiheit und Menschheit«, S.  f. Das Zitat findet sich in Adorno, »Diskussionsbeitrag zu ›Spätkapitalismus …‹«, S. ). Ders., »Thesen gegen die musikpädagogische Musik«, AGS, Bd. , S. .

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nur abgeschafft sondern erfüllt«53. Zwar »erheischt Humanität, daß dem Zug um Zug, Gleich um Gleich ein Ende bereitet werde; daß der verruchte Tausch von Äquivalenten aufhöre, in dem der uralte Mythos in der rationalen Ökonomie sich wiederholt. Der Prozeß hat jedoch seinen dialektischen Knoten daran, daß, was über dem Tausch ist, nicht hinter diesen zurückfalle; daß nicht dessen Suspension abermals Menschen als die Objekte von Ordnung um den vollen Ertrag ihrer Arbeit bringe. Die Abschaffung des Äquivalententauschs wäre dessen Erfüllung; solange Gleichheit als Gesetz herrscht, wird der Einzelne um Gleichheit betrogen.«54 In der Folge zerfiele auch das System aller anderen ökonomischen Kategorien wie Klassen, Waren, Geld und Kapital – der Tausch wäre nicht länger ökonomisch,55 die Menschheit würde »vom gerechten Tausch erlöst […], indem er endlich gerecht sich erfüllt.«56 Das Unrecht, das darin besteht, daß »die Doktrin des Gleich um Gleich Lüge ist«57, herrscht nach Adorno durchgängig von der Urgeschichte bis zur Gegenwart.58 Ein Zeugnis dessen erkennt er im »urbürgerlichen«59 Spruch des Anaximander, dessen Übersetzung lautet: »Anfang und Ursprung der seienden Dinge ist das Apeiron (das grenzenlos-Unbestimmbare). Woraus aber das Werden ist den seienden Dingen, in das hinein geschieht auch ihr Vergehen nach der Schuldigkeit; denn sie zahlen einander gerechte Strafe und Buße für ihre Ungerechtigkeit nach der Zeit Anordnung.«60 Diesen »Fluch des Anaximander«61 deutet Adorno als frühes Zeugnis »des Rechts das der Gerechtigkeit Hohn spricht«62. Er weise auf Aspekte »archaischer Rechtsverhältnisse von Ra53 54 55

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Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Ders., »Zum Klassizismus von Goethes Iphigenie«, AGS, Bd. , S. . »Denn würden die Lohnarbeiter nach Maßgabe ihrer verausgabten Arbeitskraft entlohnt, also nicht eines Teils ihres Produkts enteignet, dann gäbe es keinen Mehrwert, keinen Profit und schließlich keine Kapitalakkumulation. Die Verwirklichung des Tausches transzendierte den Tausch.« (Demirović , »Freiheit und Menschheit«, S. .) Adorno, Jargon der Eigentlichkeit, AGS, Bd. , S. . Ders., »Fortschritt«, AGS, Bd. ., S. . »Das jüngste Unrecht, das im gerechten Tausch selber gelegene, in seiner verhängnisvollen Gewalt erkennen, heißt nichts anderes als mit der Vorzeit es identifizieren, die von ihm vernichtet wird.« (Ders., »Reflexionen zur Klassentheorie«, AGS, Bd. , S. .) Ders., »Erfahrungsgehalt«, AGS, Bd. , S. . Zit. nach Hermann Diels , Die Fragmente der Vorsokratiker, S. . Adorno, Zur Metakritik der Erkenntnistheorie, AGS, Bd. , S. . Ders. an Horkheimer, . Januar , ABB, Bd. .III., S. .

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che«63 hin, die mythisch legitimiert wurden: »Das Recht, das sich als Buße des Unrechts bestimmt, gleicht diesem sich an und wird damit selber zum Unrecht, Ordnung zur Zerstörung: das aber ist das Wesen des Mythos, wie es im vorsokratischen Gedanken nachhallt«64. Zum anderen werde in dem Spruch die Dynamik angedeutet, die »das Immergleiche blind […] wiederholt«65 und die sich bis in die Gegenwart fortsetze. »Die vergesellschafteten Subjekte sind ihrer selbst und der Gesellschaft noch nicht mächtig«66 –: »Geschichte hat bis heute kein wie immer konstruierbares Gesamtsubjekt.«67 »Insofern verharrt, trotz aller Rationalisierung, der soziale Prozeß im irrationalen Zyklus. Historische Dialektik – schon die Hegelsche – läuft in gewissem Sinn auf die Konstanz von Vergängnis hinaus. Was einmal bei Marx, mit schwermütiger Hoffnung, Vorgeschichte heißt, ist nicht weniger als der Inbegriff aller bisher bekannten Geschichte, das Reich der Unfreiheit.«68 Daher »insistiert die dialektische Theorie auf perennierenden Kategorien, die in der modernen rationalen Form der Gesellschaft lediglich ihre Erscheinungsweise änderten. Daher sind bei Marx Ausdrücke wie der der ›Lohnsklaverei‹ für die freie Lohnarbeit keine bloßen Metaphern.«69 Sondern Ausdruck historischer Konstanz von Herrschaft und Ausbeutung von der Sklaverei bis hin zur Lohnarbeit.70 Zugleich sei das Unrecht, das im Äquivalententausch steckt, aber »die Bedingung möglicher Gerechtigkeit. Die Erfüllung des immer wieder gebrochenen Tauschvertrags konvergierte mit dessen Abschaffung; der Tausch verschwände, wenn wahrhaft Gleiches getauscht würde; der wahre Fortschritt dem

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Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Ders., Versuch über Wagner, AGS, Bd. ,  f. Ders., »Über Statik und Dynamik als soziologische Kategorien«, AGS, Bd. , S. . Ebd. Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Ders., »Über Statik und Dynamik …«, AGS, Bd. , S. . Ebd. – In weniger wissenschaftlichen als polemischen Schriften spricht Marx zuweilen vom Gegensatz von »Kapital und Lohnsklaverei« (Marx, »Der Bürgerkrieg in Frankreich. Adresse des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation«, MEW, Bd. , S. .) »Nur die Form, worin diese Mehrarbeit dem unmittelbaren Produzenten, dem Arbeiter, abgepreßt wird, unterscheidet die ökonomischen Gesellschaftsformationen, z.B. die Gesellschaft der Sklaverei von der der Lohnarbeit.« (Ders., Das Kapital [Bd. ], MEW, Bd. , S. .)

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Tausch gegenüber nicht bloß ein Anderes sondern auch dieser, zu sich selbst gebracht.«71 Daß eine emphatische Idee von Gerechtigkeit bis heute nicht verwirklicht ist, bedeutet für Adorno nicht, daß sie deshalb preiszugeben, das Prinzip der Gleichheit abstrakt zu negieren, der Tausch nach Äquivalenten einfach abzuschaffen sei. Denn »würde als Ideal verkündet, es solle, zur höheren Ehre des irreduzibel Qualitativen, nicht mehr nach gleich und gleich zugehen, so schüfe das Ausreden für den Rückfall ins alte Unrecht. Denn der Äquivalententausch bestand von alters her gerade darin, daß in seinem Namen Ungleiches getauscht, der Mehrwert der Arbeit appropriiert wurde.«72 Die blinde Negation, in der »Vernunft die Einzelinteressen abstrakt [überspränge]«, »reproduzierte das schlechte Partikulare. Das Verweilen beim Konkreten ist unauslöschliches Moment dessen, was von der Partikularität sich befreit, während doch deren Bestimmtsein in solcher Bewegung ebenso als beschränkt bestimmt wird wie die blinde Herrschaft eines Totalen, das der Partikularität nicht achtet.«73 Während in der bestehenden Gesellschaft wertvermittelt getauscht wird, kann die Lösung Adornos nicht die sein, nach Abschaffung des Äquivalententauschs zukünftig unmittelbar ungleich zu tauschen. »Annullierte man simpel die Maßkategorie der Vergleichbarkeit, so träten anstelle der Rationalität, die ideologisch zwar, doch auch als Versprechen dem Tauschprinzip innewohnt, unmittelbare Aneignung, Gewalt, heutzutage: nacktes Privileg von Monopolen und Cliquen.«74 Seine Utopie ist vielmehr, daß in »nachkapitalistischen Gesellschaften […], in denen ja sicher nicht davon die Rede sein kann, daß nicht mehr getauscht würde«75, jeder Tausch für sich gerecht wäre, ohne daß die partikulare Gerechtigkeit von einer allen Individuen übergeordneten Totalität kassiert würde. Adornos Kritik der politischen Ökonomie ist Kritik an einer Gesellschaft, die stets noch Resultat eines Fortschritts ist, der in all seiner immanenten Dy71 72 73 74

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Adorno, »Fortschritt«, AGS, Bd. ., S.  f. Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Ders., »Zur Schlußszene des Faust«, AGS, Bd. , S.  f. Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . – »Von je, gar nicht erst bei der kapitalistischen Aneignung des Mehrwerts im Tausch der Ware Arbeitskraft gegen deren Reproduktionskosten, empfängt der eine, gesellschaftlich mächtigere Kontrahent mehr als der andere. Durch dies Unrecht geschieht im Tausch ein Neues, wird der Prozeß, der die eigene Statik proklamiert, dynamisch. Die Wahrheit der Erweiterung zehrt von der Lüge der Gleichheit.« (Ders., »Fortschritt«, AGS, Bd. ., S. .) Ders., Einleitung in die Soziologie (), ANS, Bd. IV., S. .

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namik als ganzer zugleich ein Statisches ist, insofern er nicht über sich hinausgeht, sondern immer nur Mittel zum Selbstzweck ist: Fortschritt an und für sich. An der Ökonomiekritik wie sie Marx geübt hat, erkennt Adorno die Schwäche, daß sie in »verdinglichtes und oft wahrhaft ›ökonomistisches‹ Denken« zurück- und damit einer »Fetischisierung der Sphäre Ökonomie«76 anheimfällt. Adorno hingegen geht es darum, »den dialektischen Kern der Marxischen Ökonomie herauszubringen, der gleichsam malgré lui-même vorhanden ist, und zu zeigen, daß die entscheidenden Begriffe wie der der Ware, der Produktivkräfte, der Profitrate wirklich ›sich selbst bewegen‹. Das ist aber nur dann möglich, wenn man ihn nicht als System der Nationalökonomie, nicht einmal als die Darstellung der Entwicklungsgesetze der kapitalistischen Wirtschaft auffa[ß]t, wie er selber es wollte, sondern als im Kern eines jeglichen Begriffs objektiv von der kritischen Intention beherrscht. Er wollte keine Deskription der Dynamik des freien und gerechten Tausches geben, sondern spielt die Melodie ›will der Herr Graf ein Tänzchen wagen‹: Ihr sprecht von freiem und gerechtem Tausch – gut, Ihr sollt ihn haben, aber dabei wird sich zeigen, daß er gerade indem er seinen Begriff erfüllt das Gegenteil von freiem und gerechtem Tausch ist, nämlich seinem Sinne nach die Aneignung des Mehrwerts einschließt. Weniger ökonomistisch geredet: daß das Tauschverhältnis, zur Totalität erhoben, aufs Klassenverhältnis herauskommt. Gleich ist ungleich. Und diesen Kern, den freilich die orthodoxen Marxexegeten am letzten zugeben werden, halten wir eben für dialektisch.«77

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Adorno an Jürgen von Kempski, . Januar , Theodor W. Adorno Archiv, Br /. Ebd. – »Will der Herr Graf ein Tänzchen wagen«, die Arie aus Mozarts Hochzeit des Figaro, zitieren zwar auch Marx und Engels in einem Artikel in der Neuen Rheinischen Zeitung vom . August  (Marx/Engels, »Das deutsche Reichsbürgerrecht und die preußische Polizei«, MEW, Bd. , S. ), Adorno dürfte aber eher das bekannte Wort aus der Einleitung zur »Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie« im Sinn haben, dem zufolge man die »versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen [muß], daß man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt« (Marx, »Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung«, MEW, Bd. , S. ).

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Recht hat Shylock. Der Jude fast als Bürger in Shakespeares »The Merchant of Venice«

Die modernen Antisemiten schreien der »Händler« und meinen den Juden; Shakespeare sagt: der Jude, und meint den Bürger. A  H, . J 

5.1 Why look how you storm! Heinrich Heine schreibt  in seiner Schrift über »Shakespeares Mädchen und Frauen« – und gemeint sind natürlich die Figuren in dessen Stücken – von einem Erlebnis, das er bei einer Aufführung des Merchant of Venice hatte: »Als ich dieses Stück in Drurylane aufführen sah, stand hinter mir, in der Loge, eine schöne blasse Britin, welche am Ende des vierten Aktes heftig weinte und mehrmals ausrief: ›The poor man is wronged!‹ (Dem armen Mann geschieht Unrecht!) Es war ein Gesicht vom edelsten griechischen Schnitt, und die Augen waren groß und schwarz. Ich habe sie nie vergessen können, diese großen und schwarzen Augen, welche um Shylock geweint haben!«1 Das Ende des vierten Aktes jenes Stückes, in der dem jenem Mann, Shylock, allerdings großes Unrecht widerfährt, ist zugleich das Ende einer Gerichtsszene. Zwar fungiert er in ihr gar nicht als Angeklagter, sondern als Kläger, aber wenn er schließlich das Gericht verläßt, ist er gezwungen, fast sein gesamtes Vermögen, seine Tätigkeit sowie seine Religion, kurzum: sich selbst aufzugeben. Der arme Mann ist Jude.

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Heinrich Heine , »Shakespeares Mädchen und Frauen«, S. .

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Nachdem ab  sämtliche Juden unter König Edward I. per Dekret des Landes verwiesen wurden, dürften weder der Autor des Stücks noch dessen zeitgenössische Zuschauer je praktizierende Juden zu Gesicht bekommen haben. Dennoch gab es zur Zeit der Entstehung des »Merchant of Venice« »in England, wo kaum Juden lebten, einen sensationellen Grund, über Juden zu diskutieren. Roderigo Lopez, ein portugiesischer Jude und Leibarzt der Königin Elisabeth, wurde von dem Grafen Essex angeklagt, er plane im Auftrag Philipps II., des Königs von Spanien, die Königin Elisabeth zu ermorden. Unter dem Beifall des Volkes wurde Lopez im Februar zum Tode verurteilt.«2 Das Stück ist etwa  entstanden, die »unmittelbare Vorlage ist Ser Giovanni Fiorentinos Novelle um Gianetto und die Dame vom Belmont in der Erzählsammlung Il Pecerone (um ; Erstdruck )«, ihr entstammt auch das Motiv des sogenannten Fleischpfands; dasjenige der Kästchenwahl hat Shakespeare »einer zeitgenössischen Übersetzung der mittelalterlichen Fabelsammlung Gesta Romanorum ()« entnommen.3 Vorab: Die Rede vom Pfand, das im Mittelpunkt des Stücks stehe, ist juristisch und ökonomisch unzutreffend. Das ›Fleischpfand‹ »ist kein ›Pfand‹ im eigentlichen Sinne, weil es nicht auf die Befugnis gerichtet ist, den Pfandgegenstand zu veräußern und sich aus dem Erlös für die eigentlich geschuldete Geldsumme bezahlt zu machen. Ein richtiges Pfandrecht zielt also auf die Verwertung der verpfändeten Sache durch ihren Verkauf ab […]. Durch die Verwertung des Pfandstücks wird der Eigentümer im Umfang des Erlöses von seiner Zahlungspflicht frei. Er gewinnt also auch etwas und verliert in keinem Fall sein Leben.«4

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Georg Hensel , Spielplan. Der Schauspielführer von der Antike bis zur Gegenwart, S. . Manfred Pfister , »Die heiteren Komödien«, S.  f. – Der vorliegende Aufsatz verzichtet weitestgehend auf Hinweise auf die extensive Sekundärliteratur zum Stück sowie zu den Fragen, die es aufwirft. Interessierte finden in den hier zitierten und nachgewiesenen Quellen eine Unmenge an Verweisen auf Anschlußlektüren. Wer der rein juristischen Sicht auf die juristischen Probleme, die The Merchant of Venice bietet, folgen mag, sei verwiesen auf die umfangreich mit Anmerkungen und Hinweisen versehene Schrift von Uwe Diederichsen , »Shakespeares ›Kaufmann von Venedig‹. Jurisprudenz auf dem Forum der Bühne«. Ders. , »Das Fleischpfand«, S.  f.

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5.2 To offend and jugde are distinct offices Wie es dazu kommt, daß Shylock nach allen Regeln der Kunst zu einem Juden gemacht wird, der keiner mehr sein darf, ist schnell dargelegt: Der adelige junge Mann Bassanio, Freund des titelgebenden venezianischen Kaufmanns Antonio, will um die Hand der heiratswilligen Portia anhalten, es fehlen ihm, der notorisch über seine Verhältnisse lebt, jedoch die finanziellen Mittel, um sich und sein Gefolge angemessen in Szene zu setzen. Antonio würde ihm das Geld ohne Zögern freundschaftlich schenken, sein gesamtes Vermögen ist allerdings in Form von Waren auf Handelsschiffen unterwegs, die Venedig nicht mehr rechtzeitig zur Brautwerbung erreichen würden – obgleich wohlhabend, ist der Kaufmann von Venedig zur Zeit nicht liquide. Um die von Bessanio benötigten  Dukaten aufzutreiben, wendet sich Antonio, der im Gegensatz zu sein seinem Freund einen guten ökonomischen Ruf hat und darüber hinaus als guter Christ selbst niemals zinsbewährte Kredite vergibt, an den jüdischen Wucherer Shylock. Der ist, trotz aller von ihm erlittenen Demütigungen, bereit, Antonio die gewünschte Summe zu leihen; mehr noch: er bietet ihm seine Freundschaft sowie ein zinsloses Darlehen an: »I would be friends with you, and have your love, / Forget the shames that you have stain’d me with, / Supply your present wants, and take no doit / Of usance for my moneys«5. Doch nachdem Shylock Antonio daran erinnert, von ihm erst neulich bespuckt und ein Hund genannt worden zu sein, antwortet der Kaufmann: »I am as like to call thee so again, / To spet on thee again, to spurn thee too.«6 Mit den Worten Ludwig Börnes: »Antonio ist gut, edel und hülfreich, nur nicht für den Juden. Er beschimpft ihn vor den Augen aller Welt, er mißhandelt ihn, wo und sooft er ihm begegnet. Ja in dem nämlichen Augenblicke, da er seine Gefälligkeit, sein Geld braucht, vermag er es nicht über sich, seinen Haß, seine Verachtung zu verbergen, und der gute edle Antonio, der seinem Freunde Bassanio alles aufopfert, ist doch nicht edel genug, dem Freunde zuliebe, einem Juden gütige 5

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»Ich wollt Ihr Freund sein, und Ihr Wohlwollen haben, / Die Schmach vergessen, die Sie auf mich luden, / Gleich Ihrer Not abhelfen, keinen Deut / Zins nehmen für mein Geld […]« (I, iii, –). – Aus dem Stück wird hier zitiert unter der Angabe des Akts, der Szene und der Verse nach William Shakespeare , Der Kaufmann von Venedig. Zweisprachige Ausgabe. Der englische Text dort folgt wiederum: ders. , The Merchant of Venice. The Arden Shakespeare. »Ich nenne dich jederzeit gern wieder so, / Bespuck dich wieder und ich tret dich auch.« (I, iii,  f.)

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Worte zu geben.«7 Der judenverachtende Antonio besteht im Gegenteil darauf, keinesfalls freundschaftlich von Shylock behandelt zu werden, woraufhin der einen Schuldschein vorschlägt, einen bond,8 der besagt: »If you repay me not on such a day / In such a place, such sum or sums as are / Express’d in the condition, let the forfeit / Be nominated for an equal pond / Of your fair flesh, to be cut off and taken / In what part of your body pleaseth me.«9 Antonio, gewiß, daß er zum besagten Zeitpunkt seine Waren verkauft und also genügend Geld haben wird, um den Schuldschein wieder auszulösen, willigt ein und überlaßt die so geliehenen  Dukaten seinem Freund Bassanio. Der wirbt, nachdem er sich mit dem Geld seines Freundes standesgemäß ausgestattet hat, am fiktiven, romantisch konnotierten Ort Belmont um die eheliche Gunst der schönen, klugen und aktiven Portia. Deren Vater hatte vor seinem Tod verfügt, daß nur derjenige als Ehegatte seiner Tochter in Frage käme, der aus drei Kästchen – einem goldenen, einem silbernen und einem bleiernen – dasjenige wählt, das ein Bildnis Portias enthält. Nachdem sich der habsüchtige Prinz von Marokko für das goldene, der eitle Prinz von Arragon für das silberne entschieden haben, trifft Bassanio die richtige Wahl des bleiernen Kästchens und gewinnt die Hand Portias, deren Herz ihm bereits zuvor gehörte. Unterdessen stellt sich in Venedig heraus, daß Antonios Schiffe sämtlich verloren sind, er damit mittellos ist und insofern den bond nicht rechtzeitig wird einlösen können, während Shylock offensichtlich nicht gewillt ist, auf sein Recht auf ein Pfund Fleisch aus des Kaufmanns Körper zu verzichten.

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Ludwig Börne , »Der Jude Shylock im Kaufmann von Venedig«, S. . Die zutreffende deutsche Übersetzung des englischen Wortes bond mit »Schuldschein« unterschlägt notwendig die Konnotation des Wortes mit dem Begriff des Bandes im Sinne eines Verbindenden. Der Schuldschein hat allerdings die Funktion eines Bandes, das Antonio an Shylock bindet. Da Antonio den bond nicht rechtzeitig lösen kann, hängen die Antagonisten wie an unsichtbarer Kette zusammen. »Wenn Sie mir nicht zu dem und dem Tag / An dem und jenem Ort die und die Summe / Erstatten laut Vertragsurkunde, sei / Als Buße festgesetzt ein glattes Pfund / Von Ihrem feinen Fleisch, herauszuschneiden / Aus welchem Teil von Ihrem Leib mir paßt.« (I, iii, –.) – Trotz einer Vielzahl anderslautender Interpretationen verlangt Shylock also tatsächlich keinen Zins von Antonio; er verzichtet, im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Kaufmanns, darüber hinaus sogar noch auf die Rückzahlung des verliehenen Geldes – zum Preis des Pfundes Fleisch.

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5.3 To bait fish withal Auf den ersten Blick erscheint der außergewöhnliche Inhalt des bonds einfach als formales Mittel, mit dem Shakespeare die Figur des Juden zum vine macht, zum Bösewicht als Gegenspieler des Guten. Jedoch begründet diese Figur ihr Vorgehen immanent, wenn Shylock in seiner vielzitierten Rede zu Beginn des dritten Aktes in ungebundener Rede die Motivation seines Wunsches nach Rache an Antonio darlegt: »He hath disgrac’d me, and hind’red me half a million, laugh’d at my losses, mock’d at my gains, scorn’d my nation, thwarted my bargains, cool’d my friends, heated mine enemies, – and what’s his reason? I am a Jew. Hath not a Jew eyes? hath not a Jew hands, organs, dimensions, senses, affections, passions? fed with the same food, hurt with the same weapons, subject to the same diseases, healed by the same means, warmed and cooled by the same winter and summer as a Christian is? – if you prick us do we not bleed? if you tickle us do we not laugh? if you poison us do we not die? and if you wrong us shall we not revenge? – if we are like you in the rest, we will resemble you in that. If a Jew wrong a Christian, what is his humility? revenge! If a Christian wrong a Jew, what should his sufferance be by Christian example? – why revenge. The villainy you teach me I will execute, and it shall go hard but I will better the instruction.«10 Die letzten Sätze, die an dieser Stelle gar nicht ausgedeutet werden können, haben es allerdings in sich. Denn Shylock spricht hier als Jude (und stellvertretend für alle Juden) vom Standpunkt der Humanität. Alle Juden sind Menschen und seien insofern gut. Erst das christliche Wesen, 10

»Er hat mich entehrt, mir eine halbe Million verhindert, meine Verluster verlacht, meine Gewinne verhöhnt, mein Volk mir geschmäht, meine Geschäfte durchkreuzt, meine Freunde verkühlt, meine Feinde erhitzt, – und was ist sein Grund? Ich bin ein Jude! Hat nicht ein Jude Augen? Hat nicht ein Jude Hände, Glieder, Körper, Sinne, Neigungen, Leidenschaften? Mit derselben Speise genährt, mit denselben Waffen verletzt, denselben Krankheiten unterworfen, mit denselben Mitteln geheilt, gewärmt und gekältet von eben dem Winter und Sommer, als ein Christ? Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen? Sind wir euch in allen Dingen ähnlich, so wollen wir euch auch darin ähneln. Wenn ein Jude einem Christen Unrecht tut, was wird aus dessen Demut? Rache! Wenn ein Christ einem Juden Unrecht tut, was sollte dessen Duldung sein nach christlichem Vorbild? – Na, Rache! Die Bosheit, die ihr mich lehrt, die will ich ausüben, und es wird hart angeh’n, aber ich will die Lehren übertreffen.« (III, i, –.)

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das sich in der Gesellschaft verallgemeinert, zwingt die Juden dazu, sich anzupassen, auch im Inhumanen. Die Rache, die Shylock an dieser Stelle anführt, wird als unauslöschliches Moment des gleichen Rechts für alle decouvriert. Solange es dem einen gestattet ist, dem anderen ungestraft ein Auge oder einen Zahn auszuschlagen, ist das alttestamentarische »Auge um Auge, Zahn um Zahn«, das von Antisemiten gestern wie heute so gerne als Beweis vermeinter jüdischer Barbarei hergezogen wurde und wird, keine Rache, sondern Garant für eine Rechtssicherheit,11 die in Ermangelung einer Zivilgesellschaft, die ihren Namen verdiente, notwendig archaisch und partikular bleibt. Und wo ein guter Christ in Ausübung seiner Rechte den schändlichen Juden in aller Öffentlichkeit demütigen darf – »You call me misbeliever, cut-throat dog, / And spet upon my Jewish gaberdine«12 –, bedeutet jene Rache Selbstermächtigung des Gedemütigten. Die Gleichheit, die so vor dem Gesetz erzeugt wird, ist insofern eine repressive, eine Gleichheit in der Nichtanerkennung des anderen. Sie wird, als stets schon vorausgesetztes Prinzip »des Rechts, das der Gerechtigkeit Hohn spricht«13, Shylock zum Verhängnis werden. »Recht ist das Urphänomen irrationaler Rationalität. In ihm wird das formale Äquivalenzprinzip zur Norm, alle schlägt es über denselben Leisten. Solche Gleichheit, in der die Differenzen untergehen, leistet geheim der Ungleichheit Vorschub; nachlebender Mythos inmitten einer nur zum Schein entmythologisierten Menschheit. Die Rechtsnormen schneiden das nicht Gedeckte, jede nicht präformierte Erfahrung des Spezifischen um bruchloser Systematik willen ab und erheben dann die instrumentale Rationalität zu einer zweiten Wirklichkeit sui generis. Das juristische Gesamtbereich ist eines von Definitionen. Seine Systematik gebietet, daß nichts in es eingehe, was deren geschlossenem Umkreis sich entziehe«. Der äquivalente Tausch von Gleich um Gleich verhält das Bestehende zur ubiquitären Tautologie des Qualitativen: »Sein soll, was ohnehin schon ist.«14 Was investiert wurde, soll sich als Mehr vom Selben rentieren, nicht jedoch als völlig anderes aus dem Prozeß hervorgehen, denn dies sprengte die Identität des Tausches. »Der Schritt vom Chaos zur Zivilisation, in der die natürlichen Verhältnisse nicht mehr unmittelbar sondern

11 12 13 14

Vgl. Braunstein , Adornos Kritik …, S. . »Sie nennen mich ungläubig, Halsabschneider-Hund, / Und spucken auf mein jüdisches Gewand« (I, iii,  f.). Adorno an Max Horkheimer, . Januar , ABB, Bd. .III, S. . Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. .

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durch das Bewußtsein der Menschen hindurch ihre Macht ausüben, hat am Prinzip der Gleichheit nichts geändert«, so Adorno, »ja die Menschen büßten gerade diesen Schritt mit der Anbetung dessen, dem sie vorher bloß wie alle anderen Kreaturen unterworfen waren. Zuvor standen die Fetische unter dem Gesetz der Gleichheit. Nun wird die Gleichheit selber zum Fetisch. Die Binde über den Augen der Justitia bedeutet nicht bloß, daß ins Recht nicht eingegriffen werden soll, sondern daß es nicht aus Freiheit stammt.«15 Nur in der negativen Gleichheit, allegorisiert in der Augenbinde der Justitia, das heißt in der Blindheit der Abstraktion von jenen Einzelnen, für die es da sein soll, »gelingt es dem Recht, Gerechtigkeit walten zu lassen. Alle werden nur insofern als gleich angesehen, als alle gleichermaßen nicht angesehen werden; Gerechtigkeit dem Individuum gegenüber ist nur möglich als Negation des Individuellen. Was gleich gilt, sind nicht die Individuen, sondern ist ›das Individuum‹«16. Die Installation der Gleichheit als normatives Prinzip ist bereits praktizierte Selbstbeherrschung: Alles, was nicht gleich ist, was also der vermeinten Gleichheit im Wege steht, hat das Individuum – selbst Resultat jener Gleichheitsvorstellung – von sich abschneiden müssen. Die Gedankenabstraktion, deren Ergebnis ›Das Individuum‹ ist, ist insofern objektive Realität, als die Individuen nur mehr gesellschaftliche Funktion der übergeordneten Totalität sind. Daher hat das so beschriebene Recht auch zugleich eine dem falschen Ganzen adäquate Form. Ein Übersetzer des Stücks bemerkt zur kurzen, der Gerichtsverhandlung vorgehenden fünften Szene des dritten Akts, deren »etwas fade und gequälte Witzelei« habe »keinen besonderen Erkenntniswert«, weshalb sie bei Aufführungen oft gestrichen werde.17 Die Szene hat aber gerade indem sie ›fade und gequält‹ ist, in ihrer Irrwitzigkeit und sprachlichen Wurschtigkeit eine bestimmte Funktion in Hinblick auf den folgenden Höhepunkt des Stücks. Wenn der Narr Lanzelot die Worte verdreht und ihres Sinnes beraubt, bemerkt Bassanios Freund Lorenzo dazu: »How every fool can play upon the word! I think the best grace of wit will shortly turn into silence, and discourse grow commendable in none only but parrots«18. Der Passus verweist auf die sprachli15 16 17 18

Ebd., S. . Braunstein : Adornos Kritik …, S. . Frank Günther , »Aus der Übersetzerwerkstatt: Liebe, Freundschaft, Fremdenhaß oder Wie man einen Juden verteufelt«, S. . »Wie jeder Narr mit Worten spielen kann! Ich glaub, die wirklich Geistreichen werden bald in Schweigen verfallen, und Beredtheit wird nur noch eine Tugend bei Papageien sein.« (III, v, –.)

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che und argumentative Verwirrung, der das kodifizierte Recht als eindeutiges gegenübertreten soll. Zuvor schon hat sich Shylock gegen die Instrumentalisierung von Sprache zum Zweck der Überredung gewendet: als der eingekerkerte Antonio, begleitet von einem Freund, Solanio, mit Shylock reden will – »Hear me yet good Shylock« –, zeigt der keinerlei Gesprächsbedarf: »I’ll have my bond, speak not against my bond, – / I have sworn an oath that I will have my bond: / Thou call’dst me dog before thou hadst a cause, / But since I am a dog, beware my fangs –«. Shylock ist es nicht um ein Gespräch zu tun, sondern um sein Recht. Nachdem ihn Antonio ein zweites Mal bittet: »I pray thee hear me speak«, wird ihm geantwortet: »I’ll have my bond. I will not hear thee speak, / I’ll have my bond, and therefore speak no more. / I’ll not be made a soft and dull-ey’d fool, / To shake the head, relent, and sigh, and yield / To Christian intercessors: follow not, – / I’ll have no speaking, I will have my bond.«19 Shylocks Rede gemahnt an die Bassanios, der zu Portia gesagt hatte: »In law, what plea so tainted and corrupt, / But being season’d with a gracious voice, / Obscures the show of evil? In religion, / What damned error but some sober brow / Will bless it, and approve it with a text, / Hiding the grossness with fair ornament?«20 Shylock ist genau der selben Ansicht, und die fällt nun auf die Seite seiner christlichen Widersacher zurück, bis Portia die Szene betritt und das »hiding the grossness with fair ornament« erfolgreich zu ihrer Strategie macht. Shylock verzichtet auf den herrschaftsfreien Diskurs mit den Vertretern der ihn beherrschenden Gesellschaft, woraufhin Solanio sich zu der Bemerkung veranlaßt sieht: »It is the most impenetrable cur / That ever kept with men«. Antonio, von seiner vorbürgerlichen Auffassung von Realität verblendet, winkt resigniert ab: »Let him alone, / I’ll follow him no more with bootless prayers. / 19

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»A: Hör mich doch, guter Shylock. / S: Ich will’s laut Schein, sag nichts, nichts gegen meinen Schein, / Ich hab’s auf Eid geschworen, daß ich es will laut Schein: / Du hast mich Hund geschimpft, eh daß du Grund hattst, / Doch weil ich Hund bin, Obacht auf die Fänge […] / […] / A: Ich bitt dich, hör mich reden / S: Ich will’s laut Schein. Ich will dich nicht hörn reden, / Ich will’s laut Schein, und deshalb red nicht mehr. / Ich will nicht sanft und blind zum Narren gemacht sein, / Der ’s Haupt wiegt, schwankt und seufzt und nachgibt bei / Den christlichen Fürbittern: folg mir nicht, – / Ich will nichts von Geschwätz, ich will’s laut Schein.« (III, iii, –). »Im Recht, wo gibt’s den Fall so stinkend faul, / Der nicht, mit schönen Worten übersüßt, / Das Bild des Bösen auswischt? In Religion, / Gibt’s einen Irrwahn, den ein kluger Kopf / Nicht heilig spricht und stützt mit einem Text, / Nicht seine Plattheit birgt mit Flitterschmuck?« (III, ii, –.)

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He seeks my life, his reason well I know; / I oft deliver’d from his forfeitures / Many that have at times made moan to me, / Therefore he hates me.«21 Damit macht Antonio sich – und den Zuschauern – an dieser Stelle vor, der Jude entspräche seiner Klischeevorstellung eines Juden und denke und handle rein ökonomisch. Aber der Jude ist ein Mensch und denkt und handelt als solcher. Denn wurde bis dorthin die Erwartung der Zuschauer dahingehend gelenkt, Shylock als jemanden zu sehen, dem von Habgier verblendet sein Geld über alles geht, werden sie, sofern sie sich darauf einlassen, in der Gerichtszene eines besseren belehrt.

5.4 Thou shalt have justice more than thou desir’st Bassanio erfährt in Belmont per Brief vom Unglück seines Freundes, und Portia verzichtet sowohl auf die Hochzeit zum jetzigen Zeitpunkt als auch auf deren erste Nacht, damit ihr Geliebter seinen Freund noch ein womöglich letztes Mal sehen kann, bevor das Urteil gegen ihn vollstreckt wird; bevor also Shylock ihm ein Pfund Fleisch herausschneidet. Zugleich verfolgt Portia einen geheimen Plan: Nachdem sich Bassanio auf den Weg gemacht hat, begibt auch sie sich nach Venedig. Sie wird, als Mann verkleidet, vor Gericht als Rechtsgelehrter auftreten, um die Aufgabe, Antonio vor der Verurteilung zu retten, dem richterlich unfähigen Dogen abzunehmen. Dessen Parteilichkeit wird gleich zu Beginn der Gerichtsverhandlung dargelegt, wenn er zum Angeklagten sagt: »I am sorry for thee, – thou art come to answer / A stony adversary, an inhuman wretch, / Uncapable of pity, void, and empty / From any dram of mercy.«22 Er meint hier freilich Shylock, spricht aber faktisch vom Recht selbst. Shylock tritt nämlich auf als Verkörperung des bürgerlichen Rechtsprinzips – bis hin schließlich zur Prinzipienreiterei selbst. Daraus erklärt sich der weitere Fortgang der Handlung: Einerseits wird durch das Sujet nahegelegt, Shylock könne als 21

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»S: Das ist der steinherzigste Hund, der je / Sich unter Menschen aufhielt. / A: Laßt ihn gehn, / Ich folg ihm nicht mehr mit nutzlosen Bitten. / Er will mein Leben, seine Gründe kenn ich; / Ich hab ihm manchen oft vorm Schuldverfall / Noch freigekauft, der’s rechtzeitig mir klagte, / Drum haßt er mich.« (III, iii, –.) »Es tut mir leid um dich – du kommst zu stehn / Vor einem Feind aus Stein, ein unmenschlicher Wicht, / Ganz unfähig zum Mitleid, kalt, und ohne / Ein Fünkchen von Erbarmen.« (IV, i, –.)

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rechtmäßiger Ankläger im Sinn eines freien Individuums agieren, während seine Handlungen andererseits einem eingewanderten Zwang folgen. Auch bei Shylock ist es, so verstanden, bereits eine Unverschämtheit, wenn er »ich« sagt,23 denn auch er ist eine Charaktermaske im kapitalistischen Prozeß: der Kreditgeber, der dem Kaufmann die Rechnung präsentiert. Er nimmt, durch seine gesellschaftliche Stellung bedingt, offen jene Position ein, in der er einer Gesellschaft, die sich einzubilden wünscht, ihr Reichtum beruhe auf einem nach christlichen Prinzipien eingerichteten Handel, als Inkarnation unchristlicher Realität entgegensteht.24 Nachdem ihn der Doge gefragt hat, wie er als Jude auf Gnade hoffe – gemeint ist die Gnade des christlichen Gottes –, wenn er doch selbst, Antonio gegenüber, ungnädig sei, antwortet ihm Shylock: »What judgment shall I dread doing no wrong? / You have among you many a purchas’d slave, / Which (like your asses, and your dogs and mules) / You use in abject and in slavish parts, / Because you bought them, – Shall I say to you, / Let them be free, marry them to your heirs? / Why sweat they under burthens? let their beds / Be made as soft as yours, and let their palates / Be season’d with such viands? you will answer, / ›The slaves are ours,‹ – so do I answer you: / The pound of flesh which I demand of him / Is dearly bought, ’tis mine and I will have it«25. Wie nebenbei benennt Shylock denjenigen Punkt, der Recht und Gesellschaft erst vermittelt, nämlich die Frage des Eigentums. Aber es geht ihm an dieser Stelle gar nicht um das Eigentum an sich; Shylock handelt nicht aus Hab- und Geldgier. Er weist, nachdem ihm vor Gericht statt der geschuldeten  Dukaten die doppelte Summe angeboten wird, um Antonio auszulösen, die Unterstellung der eigenen Käuflichkeit indigniert ab: »If every ducat in six thousand ducats / Were in six parts, and every part a ducat, / I would not draw

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Vgl. Adorno, Minima Moralia, AGS, Bd. , S. . Vgl. Gerhard Scheit , Verborgener Staat, lebendiges Geld. Zur Dramaturgie des Antisemitismus, S. f. »Was fürcht ich für Gericht, tu ich kein Unrecht? / Sie haben viel gekaufte Sklaven um sich, / Die Sie wie Ihre Esel, Hunde, Mulis / Für knechtische und niedre Dienste nutzen, / Weil Sie sie kauften – soll ich Ihnen sagen, / Gebt sie doch frei, vermählt Sie euren Erben? / Was schwitzen sie vor Müh? gebt ihnen Kissen / Daunenweich wie Ihres, kitzelt ihren Gaumen / Mit Speisen wie den eignen? Sie jetzt sagen: / ›Die Sklaven sind mein eigen‹, – drum sag ich: / Das Pfund an Fleisch, das ich von ihm verlang, / Ist hoch bezahlt, ’s ist meins, und ich will’s haben.« (IV, i, –.)

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them, I would have my bond!«26 Er will nichts anderes, als rechtmäßig das Pfund Fleisch zugesprochen bekommen, welches ihm faktisch schon gehört; der bond, über dessen Rechtmäßigkeit im gesamten Stück kein Zweifel besteht, bestätigt dies. Shylocks Untergang wird allerdings in dem Moment besiegelt, an dem er den Schuldschein auch auslösen, das heißt, wenn er das Pfund Fleisch aus Antonios Körper tatsächlich herausschneiden will. Das Stück legt an dieser Stelle, an der der Gläubiger sein Recht auf sein Eigentum mit dem der Zuschauer vergleicht, ihre Sklaven zu besitzen und auszubeuten, zugleich eine andere Lösung des Konflikts nahe. Bekam Salerio auf seine so hilf- wie gedankenlose Frage, was Shylock denn mit dem Fleisch wolle, von ihm noch die konsequent sarkastische Antwort, er wolle damit Fische ködern,27 wäre es aus bürgerlich-ökonomischer Sicht nicht unklug gewesen zu antworten, das Stück Fleisch solle als Teil des Leibes Antonios für ihn, Shylock, so arbeiten, wie sich die Sklaven für ihre Halter wie selbstverständlich schinden. Aber das Stück stellt weniger die ökonomischen Umwälzungen dar, die das Aufkommen des Bürgertums bedeutet, als vielmehr die damit einhergehenden veränderten Rechtsgrundlagen. Shylocks Erwiderung impliziert, daß sich die Parteien nicht etwa in der Kirche, sondern vor Gericht befinden: Der Doge hat sich nicht als moralisierender Priester aufzuführen, sondern als Vertreter der Gerichtsbarkeit, Antonio figuriert nicht als Christ, sondern als Angeklagter, Shylock schließlich nicht als Jude, sondern als Ankläger – dies ist die Situation, in die ein Staat im Übergang zum Frühkapitalismus seine Bürger bringen kann, und Shylock ist der einzige der Anwesenden, der dies begreift: »I stand here for law.«28 Und so schließt er denn seine Erwiderung auf den juristisch belanglosen Einwand des Dogen: »If you deny me, fie upon your law! / There is no force in the decrees of Venice: / I stand for judgment, – answer – shall I have it?«29 Shylock stellt dem venezianischen Staat damit gleichsam die Gretchenfrage: Wie hältst Du’s mit der Religion?; präzise: Ist das Judentum eine Religion wie das Christentum auch, oder bedeutet die Zugehörigkeit zum Judentum auch weiterhin von der Allgemeinheit ausgeschlossen zu werden? Shylock hat es ge26 27 28 29

»Jeder Dukaten von sechstausend Golddukaten / In sechs geteilt und jeder Teil wär ein Dukaten, / Ich nähm sie nicht, ich wollt’s laut meinem Schein!« (IV, i, –.) Vgl. III, i, . »Ich steh hier fürs Recht.« (IV, i, .) »Wenn Sie’s mir weigern – gespien auf Ihr Gesetz! / ’s liegt keine Macht im Satzungsrecht Venedigs: / Ich wart aufs Urteil: – Antwort, soll ich’s haben?« (IV, i, –.)

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schafft, sich in eine Lage zu versetzen, in der der Staat entscheiden muß, ob er ihn, den Juden, weiterhin als das Nichtidentische setzt; als Außerrechtliches – damit wäre das Recht, das ihn schon mitmeinte, gebrochen und, indem es nicht mehr verläßlich ist, als solches aufgehoben –, oder aber, ob es den Juden als Identisches anerkennt, um sich selbst zu retten. Shylock steht in scheinbar jedem Fall vor einem emanzipatorischen Ereignis: Entweder kann er der Gesellschaft den Spiegel vorhalten, in dem sie erkennen muß, daß ihr geltendes Recht in sich ideologisch ist, weil es gar nicht allgemeingültig ist, wie es zu sein beansprucht (und beanspruchen muß); oder aber, indem er als ein Rechtssubjekt wie jedes andere anerkannt wird: als Bürger Venedigs. Als Instrument dieses Akts dient ihm das geltende Recht selbst. Auf dem Marktplatz darf er, weil es kein Recht gibt, das ihn davor schützt, als Jude angespuckt und beschimpft werden; aber was geschieht, wenn es den bond gibt, der ihn nun juristisch legitimiert, Rache zu üben? Die Antwort wird lauten: Der Jude wird zum Juden gemacht, indem er so behandelt wird, als entspräche er wirklich dem antisemitischen Klischee. Nachdem Antonio den Schuldschein anerkannt hat, fordert Portia: »Then must the Jew be merciful.« Shylock fragt: »On what compulsion must I? tell me that.«30 Während er auf dem Boden geltenden Rechts verbleibt, versucht Portia die Situation vor Gericht zu transzendieren, allerdings nicht aus Vernunftsgründen, nicht, indem sie die Unbilligkeit der verhandelten Sache herausstellt, sondern indem sie sich auf das göttliche Wesen der Gnade beruft, die ›der Jude‹ walten lassen müsse: »The quality of mercy is not strain’d, / It droppeth as the gentle rain from heaven / Upon the place beneath: it is twice blest, / It blesseth him that gives, and him that takes, / ’Tis mightiest in the mightiest, it becomes / The throned monarch better than his crown. / His sceptre shows the force of temporal power, / The attribute to awe and majesty, / Wherein doth sit the dread and fear of kings, / But mercy is above this sceptred sway, / It is enthroned in the hearts of kings, / It is an attribute to God himself; / And earthly power doth then show likest God’s / When mercy seasons justice: therefore Jew, / Though justice be thy plea, consider this, / That in the course of justice, none

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»P: Dann muß der Jude gnädig sein. / S: Aus welchem Zwangsgrund muß ich? möcht ich hörn.« (IV, i,  f.)

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of us / Should see salvation: we do pray for mercy, / And that same prayer, doth teach us all to render / The deeds of mercy.«31 – Usw., usf. An dieser Stelle wird aus der Gerichtsverhandlung gegen Antonio eine gegen Shylock. Portias Rede auf die Gnade, in der sie deren Unvermitteltheit in einem performativen Selbstwiderspruch lang und breit herausstellt, ist verhext. Denn sie zeichnet die vermeinte Unmittelbarkeit noch als ihrerseits vermittelte, als sei das Gewähren von Gnade selbst noch ein Gnadenakt. Die wortreich beschworene Gnade, die ihre Dignität einzig dort haben könnte, wo sie praktisch gewährt würde, ist wie ein Pakt, in dem sich sämtliche anwesenden Christen, die von ihrem gegenseitigen Mitgefühl profitieren, gegenseitig versichern, daß sie die besseren Menschen sind. Bleibt Shylock, der die soziale Funktion christlicher Gnade noch zu spüren bekommen wird. Nachdem Portia das Recht Shylocks beglaubigt hat, sich ein Pfund Fleisch aus Antonio zu schneiden – »It is so« –, fragt sie ihn: »are there balance here to weigh / The flesh?« Shylock antwortet: »I have them ready.«32 Das Stück erreicht hier den Höhepunkt juristischer Rationalität, während Shylock, in der einen Hand das Messer, in der anderen die Waage, als Inkarnation des Rechts auftritt, ausgezeichnet mit zwei Symbolen der allegorischen Justitia. Das dritte jedoch – die Blindheit – gehört Portia. Sie trat (in ihrer Verkleidung als Rechtsgelehrter) mit einer bemerkenswerten Frage vor das Gericht: »Which is the merchant here? and which the Jew?«33 In Anbetracht der Verhältnisse, wie sie das Stück zuvor kontinuierlich dargelegt hat – sowohl Antonio als auch Shylock sind durch Kleidung und Attribute eindeutig als Kaufmann bzw. als Jude ge31

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»Ihrm Wesen nach kennt Gnade keinen Zwang, / Sie träufelt wie ein Regen sanft vom Himmel / Zur Welt hernieder: zweifach gesegnet ist sie, / Sie signet den, der gibt, und den, der nimmt, / Mächtig im Mächtigsten ist sie, sie steht / Dem Fürsten auf dem Thron mehr als die Krone. / Sein Szepter zeigt die Kraft zeitlicher Macht, / Das Attribut von Majestät und Würde, / Worin die Furcht vor Scheu vor Königen wohnt: / Doch Gnade steht hoch über Szepter-Macht, / Sie sitzt zu Thron im Herzen der Monarchen, / Sie ist ein Attriut von Gott höchstselbst, / Und Weltmacht kommt der Gottes dann am nächsten, / Wenn Gnade auch das Recht würzt: darum, Jud, / Obschon Recht dein Gesuch ist, denk auch an dies, / Daß nach dem Lauf des Rechtes von uns keiner / Erlösung fänd: wir beten um die Gnade, / Und grade dies Gebet lehrt uns, die Taten / Der Gnade selbst zu üben.« (IV, i, –.) »P: So ist es, – gibt es Waagen hier, das Fleisch / Zu wiegen? / S: Ich halt sie bereit.« (IV, i,  f.) »Wer ist der Kaufmann hier? und wer der Jude?« (IV, i, .)

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kennzeichnet – ist die Antwort so sichtbar, daß sie schlicht lauten könnte: Der Kaufmann ist der Kaufmann, und der Jude, nun ja, der Jude. Insofern repräsentiert Portia die Unparteilichkeit der Justiz, Shylock deren Maß und Gewalt. Dieser geht nun daran, sich sein Eigentum, das Pfund Fleisch aus dem Körper Antonios zu holen: »P: Have by some surgeon, Shylock on your charge, / To stop his wounds, lest he do bleed to death. / S: Is it so nominated in the bond? / P: It is not so express’d, but what of that? / ’Twere good you do so much for charity. / S: I cannot find it, ’tis not in the bond.«34 Mit diesen Worten reduziert Shylock seinen Anspruch auf den strikten Wortlaut des bonds, ohne der staatlich sanktionierten Gewalt innezuwerden – die bald schon gegen ihn verwendet werden wird –, die hinter dem Recht steht, das seinen Anspruch erst justitiabel macht. Portia sagt ihm wenig später: »For as thou urgest justice, be assur’d / Thou shalt have justice more than thou desir’st.«35 In dem Moment, in dem Shylock auf den Buchstaben des bonds besteht, wird zugleich dessen Ohnmacht offenbar: er hat zwar offenkundig Recht, wird es aber ebenso offenkundig keinesfalls bekommen. Denn Portia hat, als guter Rechtsgelehrter, ihrerseits den Vorzug der Buchstabentreue erkannt: »This bond doth give thee here no jot of blood / […] / Take then thy bond, take thou thy pound of flesh, / But in the cutting it, if thou dost shed / One drop of Christian blood, thy lands and goods / Are (by the law of Venice) confiscate / Unto the state of Venice.«36 Nach diesem, dramatisch einigermaßen überraschenden und im Grunde lächerlichen Kniff Portias, der die christliche Welt und ihre Bewohner endgültig rettet, schlägt das Drama ins Komödiantische um; das Thema wechselt vom Verhältnis von Recht und Rache schließlich

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»P: Sei auch / Ein Arzt bereit auf Ihre Kosten, Shylock, / Zum Wundverband, damit er nicht verblutet. / S: Ist das so aufgeführt in meinem Schein? / P: Es steht nicht drin, doch was tut’s? ’s wär gut, / Sie täten soviel um die Nächstenliebe. / S: Ich kann’s nicht finden, es steht nicht im Schein.« (IV, i, –.) »Denn wie du Recht verlangst, sei du versichert, / Du sollst Recht kriegen mehr als du verlangst.« (IV, i,  f.) »Der Schein hier gibt dir nicht ein Tröpfchen Blut, / […] / Nimm dann den Schein, nimm du dein Pfund an Fleisch, / Jedoch beim Schneiden, wenn du nur ein Tröpfchen / An Christenblut vergießt, wird all dein Hab / Und Gut beschlagnahmt nach dem Recht Venedigs / Und fällt dem Staat Venedig zu.« (IV, i, – .)

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hin zu dem von Männern und Frauen.37 Mit Shylock wird im weiteren nicht mehr gehandelt, nur noch verfahren, und zwar unter Inanspruchnahme positiven Rechts. »Nichts, was nicht in Gesetzen niedergelegt ist, habe in einem Gerichtsurteil etwas zu suchen – auf diese Prämisse läuft, in bürgerlichen Gesellschaften zumindest, das allgemein goutierte Symbol von der Blindheit der Justitia allein hinaus.«38 Portia legt mithin ihre Blindheit nicht etwa – aus judenverachtenden Motiven – ab, sondern wendet lediglich kodifiziertes Recht gegen die ihr unliebsame Anklage und macht Shylock erst dergestalt zum Juden unter Christen; als er dies erkennt, ist es für ihn bereits zu spät: »Soft«, sagt Portia, »The Jew shall have all justice, – soft, no haste. / He shall have nothing but the penalty.«39 Daß der Jude so Jude sein möchte, wie der Christ Christ, wird ihm von derjenigen als Rache ausgelegt, die – mit staatsanwaltlicher Gesetzestreue – im Juden nur mehr ein strafwürdiges Individuum sehen kann, das gegenüber dem geltenden Recht die Position eines Objekts einzunehmen hat; eher wird die Frau zum Mann, als daß der Jude sein Recht bekäme. Portia unterstellt Shylock, er wolle nur die Bestrafung Antonios, und sie legt mit ihrer Wortwahl – mit der nun endgültig das Recht als Instrument der Vergeltung beglaubigt ist – nahe, daß es nun an seine eigene gehen wird. Aber Shylock ist es seinerseits nicht um Bestrafung zu tun, sondern darum, endlich sein Recht ausüben zu können – gerade auch gegenüber Antonio, der sich verhalten darf, als sei ein Jude als solcher nichts wert. Portia scheint immerhin etwas davon zu ahnen, bleibt aber schließlich in ihrer Rolle als Christin befangen, die es über sich bringt, nach getaner Arbeit zu Antonio und Bassanio zu sagen: »He is well paid that is well satisfied, / And I delivering you, am satisfied, / And therein do account myself well paid, – / My mind was never yet more mercenary.«40 Dieser letzte Vers ist verräterisch und nimmt eine Charakterzeichnung Portias auf, wie sie nicht nur angesichts der strengen Regle37

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Ein Thema des Stücks ist, auch hierin erweist sich Shakespeare als moderner Dichter, die Rettung einer Männerfreundschaft durch eine Frau, die zu diesem Zweck die Rolle eines Mannes annehmen muß, um dessen Aufgabe zu übernehmen. Manfred Dahlmann , »Die Liebe zum Recht als Liebe zum Souverän. Ein ›Lob‹ auf den Positivismus«, S. . »Langsam! / Der Jud kriegt alles Recht, – langsam, nicht eilen! / Er soll nichts weiter haben als die Buße.« (IV, i, –.) »Reich ist bezahlt, wer reich befriedigt ist, / Und ich, indem ich half, bin reich befriedigt, / Und hierin halt ich mich für reich bezahlt, – / Mein Sinn war nie kaufmännischer als heute.« (IV, i, –.)

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mentierung deutlich wurde, die mit der Kästchenwahl einherging, sondern noch stärker, nachdem diese Reglementierung mit der glücklichen Wahl Bassanios bereits entfallen war. Wie durchs Bestehen einer »Schicksalsprobe«41 gewann er Portias Hand42, aber auch sein Glück wollte erst, wie er sagte, »confirm’d, sign’d, ratified«43 sein, damit es, als gleichsam regulär, erst wirklich eines wurde. Diese Formalitäten wiederum erwidert Portia mit einer Formulierung ihres nun entstehenden Verhältnisses zu ihrem Geliebten, die sie gleichsam als Kauffrau von Belmont darstellt: »though for myself alone / I would not be ambitious in my wish / To wish myself much better, yet for you, / I would be trebled twenty times myself, / A thousand times more fair, ten thousand times more rich, / That only to stand high in your account, / I might in virtues, beauties, livings, friends, / Exceed account: but the full sum of me / Is sum of something: which, to term in gross, / Is an unlesson’d girl […]/ […] / Myself, and what is mine, to you and yours / Is now converted. But now I was the lord / Of this fair mansion, master of my servants, / Queen o’er myself: and even now, but now. / This house, these servants, and this same myself / Are yours – my lord’s! – I give them with this ring, / Which when you part from, lose, or give away, / Let it presage the ruin of your love, / And be my vantage to exclaim on you.«44 Hier zeigt sich die öko41 42

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Sigmund Freud , »Das Motiv der Kästchenwahl«, S. . Das Schriftstück, das neben einem Bildnis Portias im bleiernen Kästchen enthalten war, besagt: »You that choose by the view / Chance as fair, and choose as true: / Since this fortune falls to you, / Be content, and seek no new. / If you be well pleas’d with this, / And hold your fortune for your bliss, / Turn you where your lady is, / And claim her with a loving kiss.« – »Du wählst nicht nach äußerm Schein, / Du wählst gut, sollst glücklich sein: / Weil so großes Glück wird dein, / Such kein weitres obendrein. / Wenn du dies zufrieden bist / Und dein Glück als Segen mißt, / Nimm die Liebste ohne Frist, / Forder sie, indem du küßt.« (III, ii, –.) »[…] mit Siegel, Brief und Unterschrift versehn.« (III, ii, .) »[…] und wär ich auch für mich / Allein nicht ehrgeizig in meinem Wunsch, / Viel besser mich zu wünschen, so doch für Sie / Wünsch ich mich selbst dreimal verzwanzigfacht, / Eintausendmal so schön, zehntausendmal so reich, / Daß ich, nur um in Ihrer Rechnung hoch / Zu stehn, an Tugend, Schönheit, Reichtum, Freunden / Unrechenbar wär: doch als volle Summe / Summier ich mich in etwa so: summa summarum / Ein ungebildet-unerzognes Mädchen […] / […] / Ich selbst und ’s Meine ist nun Ihrs und Ihnen / Ganz übereignet. Grad noch war ich Herrin / Des schönen Guts, Patronin meiner Diener, / Königin meiner selbst: und jetzt, gleich jetzt, / Sind Haus und Diener und dies ganze Ich / Ganz Ihrs, – ganz

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nomische Haltung Portias, die »well satisfied«, noch die Erledigung des Juden als gerechten Lohn ihrer Mühen anzusehen bereit ist. Portia gewinnt für Venedig die staatliche Souveränität über das Recht zurück – und also die gesellschaftliche Gewalt über Shylock. Von der staatlichen Macht und der rachsüchtigen Gerechtigkeitsauffassung des lärmenden Pöbels sanktioniert, zeigt sie Shylock, wer der Kaufmann ist und wer der Jude, und was beides vor dem gleichen Recht für alle zu bedeuten hat.

5.5 In such a night Der Rechtsstreit im Merchant of Venice verweist auf einen Konflikt, der mit juristischen Mitteln nicht zu lösen ist. Das ist nicht weiter überraschend, interessant hingegen ist die Tatsache, daß Shylock von Anbeginn keine Chance hatte, seine Sache zu gewinnen. Vor Gericht wird ihm, der doch Ankläger ist, jener Prozeß gemacht, der bereits begann, als Antonio ihn aufsuchte, um Geld von ihm zu leihen. Shylocks Unglück ist nicht seine Engstirnigkeit, ist nicht seine Habgier und ist nicht sein Judentum; sein Unglück ist, daß sich ein Antisemit in einer judenfeindlichen Gesellschaft an ihn wandte. Absurd wäre die Annahme, Antonio könnte dem Juden Shylock dankbar sein, verzichtete der auf die Einlösung des bonds. Portia appelliert hingegen gerade an das Mitgefühl desjenigen, der es als Außenseiter einer geschlossenen Gesellschaft selbst bitter nötig hätte und mit dem er niemals wird rechnen können.45 Die Positionen Shylocks und Antonios sind von Anfang an klar verteilt. In der ersten Szene, in der die beiden Protagonisten aufeinandertreffen, bemerkt der Jude: »Methoughts you said you neither lend nor borrow / Upon advantage«, woraufhin der Christ erwidert: »I do never use it.«46 Antonios Prinzipien sind noch christlich-religiös, wogegen die Shylocks nicht irgend jüdisch sind,

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meines Herrn! – Ich geb’s mit diesem Ring, / Der, falls Sie ihn verliern, veräußern, ihn / Verschenken, Ihrer Liebe Ende prophezein / Soll und mir Anlaß gibt, Sie zu verklagen.« (III, ii, –.) An Shylock wird, aller gegenteiligen Versicherungen seitens des Dogen zum Trotz, »in der Tat … keine Gnade geübt.« (Richard Weisberg , »›So seid denn Ihr sein Bürge‹: Schwur und Scheitern von Vermittlung – Ein Nachtrag zu Poesie und Ethik in Der Kaufmann von Venedig«, S. .) »S: […] Ich dacht, Sie sagten, daß Sie weder leihn / Noch borgen auf Gewinn. / A: Sonst zu ich’s nie.« (I, iii, –.)

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sondern bürgerlich. Er verläßt sich auf das bürgerliche Recht, dessen Prinzip in der frühkapitalistischen Gesellschaft Venedigs historisch endlich mit seinem eigenen sowie seinen Lebensbedürfnissen zusammenfällt. Die Entscheidung über den Rechtsstreit, der auch einer über die aufkommende neue Gesellschaft ist, genauer darüber, inwiefern deren Neues bloß modifiziertes Altes ist, wird von Portia gefällt. Deren Figur wandelt sich im Verlauf der Gerichtsszene von einer ebenfalls christlich-religiösen zur juristisch-pedantischen, um mittels bürgerlicher Prinzipien die christlichen durchzusetzen. Der Shakespeare-Forscher Manfred Pfister bemerkt zur Gerichtszene, in ihr werde »Shylocks alttestamentliche Rechtsauffassung pointiert mit Portias Rede über die Gnade als dem Inbegriff neutestamentlich-christlichen Denkens kontrastiert und sein Rechtsanspruch im Sinne des ›Summum jus, summa injuria‹ als Unrecht enthüllt.«47 Diesen Spruch Ciceros erläutert ein Handbuch philosophischer Begriffe vom Beginn des letzten Jahrhundert wie folgt: »Das höchste Recht ist das höchste Unrecht, ist ein alter Satz, nach welchem der, welcher nur nach dem Buchstaben urteilt oder sein Recht durch schlaue Interpretation … strengstens wahrt, unrecht tut, übervorteilt oder lieblos handelt.« Als Beispiel wird unter anderem »Shakespeares Shylock« angeführt.48 Das Antidot gegen diese systemisch begründete Schranke des Rechts ist die Billigkeit, wie sie auf Aristoteles zurückgeht. Sie soll, als naturrechtlicher Maßstab, gegebenenfalls ungerechte Urteile dort abmildern oder gar außer Kraft setzen, wo, entsprechend der unter Juristen so genannten Radbruch-Formel, »der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als ›unrichtiges Recht‹ der Gerechtigkeit zu weichen hat.«49 Aber Shakespeares Portia führt, allen anderslautenden Beteuerungen zum Trotz, gerade nicht die Billigkeit an, sondern, wie Shylock, das positive Recht, um die Unbilligkeit abzuwehren und zum Ziel zu gelangen. Damit wird das Recht endgültig als Ideologie entlarvt. Wenn die Abwehr zweifellos unbilliger Urteile nur mehr mittels unbilliger Urteile erschlichen werden kann, sieht sich das Rechtssystem auf einen gesellschaftlichen Stand zurückgeworfen, in dem herrschende Gruppen willkürlich, das heißt ohne allgemeingültiges Maß über einzelne entscheiden. Indem Portia im Verlauf der Verhandlung vor Gericht gewissermaßen vom Vorbürgerlichen ins Bürgertum wechselt, beweist sie, daß dessen rationales 47 48 49

Pfister , »Die heiteren Komödien«, S. . Friedrich Kirchner/Carl Michaëlis , »Summum ius, summa iniuria«, S. . Gustav Radbruch , »Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht«, S. .

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Recht weder auf Gnade noch auf Gerechtigkeit gründet, sondern auf Rache. Shylock instrumentalisiert das Recht, das er hat, und stößt damit auf Portia als Verkörperung der Formalisierung des Rechts. In ihrer Vorgehensweise als Rechtsgelehrter bedient sie sich jener juristisch immanenten Entindividualisierung, die Shylock schließlich brechen wird. »Dies Shylocksche Festklammern am Buchstaben des Gesetzes«50, die positivistische Texttreue und der Begriffsfetischismus, kurzum das Winkeladvokatenhafte: all dies findet sich dargestellt in Shylocks Gegenspielerin Portia. Ihr Kniff ist der gleichen Art wie die geläufigen Tricks derer, denen das Ressentiment das Schimpfwort vom ›Rechtsverdreher‹ beschert hat: das Aufdecken von Schlupflöchern im System.51 Der systematische Charakter des Rechts läßt kein Nichtidentisches zu, und Shylock bekommt dies zu spüren. Wenn es eine Verbindung gibt von der Behandlung des Juden Shylock zu den Nürnberger Gesetzen, dann ist sie nicht simpel im ›Antisemitismus überhaupt‹ zu suchen, sondern in der überindividuellen Systematik des Rechts, das sich genau deshalb als Instrument jeglichen Unrechts benutzen läßt. Shylocks Untergang, der mit seinem ersten Auftritt im Stück beginnt, muß, damit alles seine gute Ordnung habe, vor Gericht lediglich formaljuristisch einwandfrei entschieden werden. Kein himmelschreiendes Unrecht, das nicht seine eigene Legitimität nach sich zöge. Haben die Autoren der Dialektik der Aufklärung noch die »Unmöglichkeit, aus der Vernunft ein grundsätzliches Argument gegen den Mord vorzubringen«52, beklagt, bewiesen die Deutschen derweil, daß die Vernunft sich gleichwohl als Rechtfertigungsideologie in den Dienst nehmen läßt, um gute Gründe dafür zu konstruieren. »›The poor man is wronged‹ soll einmal eine Zuschauerin in einer Aufführung mit einem besonders anrührend-tragischen Shylock ausgerufen haben angesichts des angeblich so ungerechten und brutalen Urteils … Dies ist nun doch 50 51

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Marx, Das Kapital [Bd. ], MEW, Bd. , S. . Daß dem »armen Mann« Shylock einerseits Unrecht angetan, er andererseits vom Mord abgehalten wird, weist auf den Doppelcharakter hin, der, wie in jeder Ideologie, auch der des Rechts eignet: Jedes noch so gerechte Recht ist wahr und falsch zugleich, sofern es nicht der Natur, sondern der selbst ideologischen Gesellschaft entstammt, die es seinerseits stützt. Deshalb ist im letzten Akt des Stücks auch alles wie entzaubert: Die vordem romantisierte Natur erscheint als entleerte, nur mehr zweite Natur; bereits vermittelt durch eine Gesellschaft, die sich durch Ausschluß dessen perpetuiert, was sie zu gefährden scheint. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, AGS, Bd. , S. .

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eine allzu hanebüchene Klitterung der Fakten des Textes – wenn wir Shylock bedauern, weil er mit juristisch-sophistischen Tricks und Kniffen um sein ›Recht‹ gebracht worden ist, dann heißt das letztlich nichts anderes, als daß wir ihm dieses ›Recht‹, diese ›im Scherz‹ verabredete Buße als ihm zustehend konzedieren – und damit einen geplanten Mord als legale Vertragsfolge betrachten. Wo, wie, in welchem Zusammenhang aber kann es ein Recht auf Mord geben?«53 Diese naive Frage verkennt, daß dem Recht eine Gesellschaft vorgeht, die jenes erst setzt. Der »Scherz«, von dem Shylock spricht, kann in einer Gesellschaft, die über Verträge und bonds nicht zu scherzen beliebt, keiner sein. Vor der Unterzeichnung des Schuldscheins spricht Shylock von dessen Inhalt als »a merry sport«54, und so verstanden wäre Antonio, hätte er sich widerstandslos von Shylock töten lassen, ein guter Verlierer gewesen. Auch Antonio, der seinerseits gerne seinen »merry sport« mit Shylock treibt, wenn er ihn auf dem Rialto beschimpft und bespuckt, muß sich dem Recht beugen, verkennend, daß es gegebenenfalls auch über sein Leben oder seinen Tod entscheidet. Die Absurdität der Argumentation Portias vor Gericht ist Reflex auf die Irrationalität, die in diesem Vertrag beschlossen liegt. Dessen Maßlosigkeit einerseits, mit der Kreditvergabe und ›Fleischpfand‹ in ein Rechtsverhältnis gebracht werden sollen, sowie der subalterne Einwand, der bond sei zwar rechtmäßig, es dürfe allerdings, weil der Vertrag nun gerade dies nicht vorsehe, kein Christenblut vergossen werden, sind eines Sinnes, nämlich keinen Zweifel am Ausgang nicht nur der Verhandlung, sondern des gesamten Stückes zu lassen. Denn der »sport« wurde nicht fair ausgetragen, sondern gespielt wurde ein Stück, dessen Regeln uralt sind und lauten: Alle, aber auch wirklich alle sind gleich, haben die gleichen Rechte und Pflichten, und am Ende verlieren die Juden, weil sie Juden sind. In diesem Spiel, das keines ist, sind ›die Juden‹ stets schon fast Bürger. Aber eben immer nur fast, und das heißt nichts anderes als: nie. Die Antwort auf die doch ebenfalls etwas naive Frage: »Wo, wie, in welchem Zusammenhang aber kann es ein Recht auf Mord geben?«, liefern etwa die Rassegesetze der Nazis: in einem gesellschaftlichen Zusammenhang, in dem Juden nichts zählen, und das Ganze alles. Die eigentliche Frage lautete hingegen: Wie kann es rechtens sein, einen Menschen zu beschimpfen und zu bespucken? Und was das »wir« anbelangt: Vor allem heißt das, daß »wir« so tun, als sei Shylock real und keine Figur in einem Stück, die bestimmte dramatische 53 54

Günther , »Aus der Übersetzerwerkstatt«, S. . »[…] nur so zum Spaß […]« (I, iii, ).

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Funktionen erfüllt. »Shylocks Charakter ist das Ergebnis antisemitischer Deformation; und Shylocks Handlungen spiegeln aufs genaueste die antisemitischen Untaten, die man an ihm beging«55 – so Oliver Lubrich in seiner Untersuchung des antisemitischen Gehalts des »Merchant of Venice«. »Das Dilemma« auf seiten der Rezeption »scheint darin zu bestehen, daß der Jude entweder als Stereotyp anerkannt und das Stück folglich als antisemitisch beklagt oder aber Shylock gerettet, aufgewertet und als tragisches Opfer uminterpretiert werden muß, um Shakespeares Werk gegen den Vorwurf des Antisemitismus zu verteidigen.«56 – Womöglich hülfe aus diesem Dilemma die einfache Frage, wie sich der jeweilige Rezipient des Stückes die Insistenz Shylocks auf die Einlösung des bonds erklärt. Verhält sich der Jude hartherzig, weil er ein Jude ist, oder weil er, als gesellschaftlich Deformierter, unter Zwang agiert? Und natürlich macht der Text seinen Lesern »Angebote zu antisemitischer Lektüre«57, genau deshalb liegt es bei den Rezipienten, ob sie angenommen oder ausgeschlagen werden. Pathetisch ließe sich formulieren, die »großen und schwarzen Augen, welche um Shylock geweint haben«, schauten in eine Zukunft, in der ein Führer das Recht so in der Realität zu schützen wissen wird, wie Portia auf der Bühne. Aber mag Shakespeare auch fast alles vorausgewußt haben,58 so doch keinesfalls das Undenkbare: daß nicht Christianisierung, sondern Elemination die Endlösung einer Frage sein sollte, die jene Deutschen beantworten, die Shakespeare zu einem der ihren59 sowie Shylock zum Juden schlechthin machen wollen; etwa wenn Shakespeare von seinem »absurdesten Rezipienten«60, Adolf Hitler, bescheinigt wurde, daß er »den Juden« nicht wie »ausgerechnet ein deutscher Dichter … als ›Nathan den Weisen‹ glorifiziere«, sondern »ihn als ›Shylock‹ für alle Zeiten charakterisiere.«61 Harold Bloom hat in seiner vielzitierten 55 56 57 58 59

60 61

Oliver Lubrich , Shakespeares Selbstdestruktion, S. . Ebd., S. . Bernhard Greiner , »Is that Law? Die Metaphorisierung des Rechts als Problem der Interpretation des Kaufmann von Venedig«, S. . Vgl. Karl Kraus , »Shakespeare hat alles vorausgewußt«, S.  ff. Seit der Schlegel-Tieckschen Übersetzungen Shakespeares im Geiste der Romantik gilt der Engländer denen, die es gerne deutschnational mögen, unverbrüchlich »als kraftvollster deutscher Romantiker – so wird er von vielen Menschen geliebt.« (Hensel , Spielplan, S. .) Lubrich , »Gegenläufige Affektsteuerung und paradoxaler Antisemitismus«, S. . Hitler zit. nach Henry Picker : Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier, S. .

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und sicherlich verdienstvollen Schrift über Shakespeare klare, aber leider indiskutable Worte über den »Merchant of Venice« gefunden: »Man müsste schon blind, taub und dumm sein, um zu verkennen, dass Shakespeares großartige, zweifelhafte Komödie Der Kaufmann von Venedig gleichwohl ein zutiefst antisemitisches Stück ist.«62 Fest steht immerhin, daß das Stück, wie jedes gelungene literarische Kunstwerk, seine Zeit und die Gesellschaft, der es entstammt, in Worte gefaßt hat. Und man müßte schon blind, taub und dumm sein, um zu verkennen, daß sich der Antisemitismus durch alle Zeiten und Gesellschaften bis heute, um das mindeste zu sagen, erhalten hat.

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Harold Bloom , Shakespeare. Die Erfindung des Menschlichen, S. .

6 Zeitdiagnose

Daß es »so weiter« geht, ist die Katastrophe. W B, D P-W

6.1 Historische Bedingtheit Adornos Theorie impliziert eine Zeitdiagnose, die zugleich stets Gesellschaftsdiagnose ist. Denn nicht nur unterliegt Gesellschaft einem zeitlichen, d.h. einem geschichtlichen Verlauf, in dem sie sich verändert und zu jeweils neuen konkreten Diagnosen nötigt, sondern der jeweils gegenwärtige Stand der Gesellschaft verändert selbst jene Zeit, die im allgemeinen als Strom der Geschichte gedacht wird, der gemächlich aber konstant in die Zukunft fließt – eine Auffassung, die durch die Geschichte selbst gründlich desavouiert ist. Auch diese Erkenntnis hat noch ihre historische Wahrheit; Adorno hat sie sich angeeignet1 mit einer Notiz Walter Benjamins aus dessen »Passagenarbeit«: »Entschiedne Abkehr vom Begriffe der ›zeitlosen Wahrheit‹ ist am Platz. Doch Wahrheit ist nicht […] nur eine zeitliche Funktion des Erkennens sondern an einen Zeitkern, welcher im Erkannten und Erkennenden zugleich steckt, gebunden. Das ist so wahr, daß das Ewige jedenfalls eher eine Rüsche am Kleid ist als eine Idee.«2 Eine Zeitdiagnose setzt nach Adorno ein Denken voraus, »das seiner eigenen gesellschaftlichen Bedingungen, die es in der Totalität hat, innewird.«3 Insofern Adorno auf den Wandel jener Bedingungen reagiert, ist es angemessen, von »Zeitdiagnosen« Adornos im Plural zu sprechen – die Welt, in der 1 2 3

Vgl. Adorno, Zur Metakritik der Erkenntnistheorie, AGS, Bd. , S. ; ders., Philosophie und Soziologie (), ANS, Bd. IV., S. . Walter Benjamin , Das Passagen-Werk, S. . Adorno, Einführung in die Dialektik (), ANS, Bd. IV., S. .

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Adorno zu philosophieren begann, war eine unwiederbringlich andere als die, welche ihren eigenen Untergang erlebte, um als dringlichste Frage offen zu lassen, »ob nach Auschwitz noch sich leben lasse«4. Konnte Adorno  seiner akademischen Antrittsvorlesung noch den programmatischen Titel geben: »Die Aktualität der Philosophie«, so nimmt er  eine Bestandsaufnahme unter der Überschrift »Wozu noch Philosophie« vor, nach der Philosophie einzig noch »als Widerstand gegen die sich ausbreitende Heteronomie«5 ihre Aufgabe erfüllen könne. Adornos zeitdiagnostische Motive lassen sich prägnant mit dem Terminus zusammenfassen, den er selbst für die Gesellschaft als System in Anspruch nahm: dem der »vergesellschafteten Gesellschaft«6 bzw. der »integralen Gesellschaft«7. Mit ihm kennzeichnet Adorno die materielle Verfassung der Gesellschaft als negative Totalität, »die, indem sie alles Einzelne durchdringt, eine Art negativer Identität von Allgemeinem und Besonderem erzwingt.«8

6.2 Bedeutung in der Gesellschaftstheorie Zeitdiagnose kommt bei Adorno nur versprengt vor, an keiner Stelle wird sie ausführlicher abgehandelt. Sie ist gleichsam konstellativ in den soziologischen Schriften und Vorlesungen angeordnet, stets in Hinblick auf konkrete Ereignisse und Probleme. Wie Gesellschaft selbst entzieht sich die Zeitdiagnose einer einheitlichen Theorie, die sie in einem erkennenden Akt erfassen und festlegen könnte. Denn sofern Gesellschaft kein vernünftig geformtes Ganzes ist, stellt sich für Adorno die Frage, ob Gesellschaft überhaupt mit den Mitteln der Vernunft theoretisch zu erfassen sei. Er hält es für »[d]enkbar, daß die gegenwärtige Gesellschaft einer in sich kohärenten Theorie sich entwindet.«9 Diese Inkohärenz ist jedoch keinem theoretischen Mangel geschuldet, sondern eine objektive Gegebenheit. Der Dialektiker Adorno begnügt sich jedoch nicht mit dieser ob4 5 6 7 8 9

Adorno, Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Ders., »Wozu noch Philosophie«, AGS, Bd. ., S. . Vgl. etwa ders., Zur Metakritik der Erkenntnistheorie, AGS, Bd. , S. . Vgl. etwa ders., »Individuum und Organisation. Einleitungsvortrag zum Darmstädter Gespräch «, AGS, Bd. , S. . Ders./Ursula Jaerisch, »Anmerkungen zum sozialen Konflikt heute. Nach zwei Seminaren«, AGS, Bd. , S. . Adorno, »Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?«, AGS, Bd. , S. .

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jektiv gegebenen Einschränkung, sondern versucht, »die Nichtverstehbarkeit zu verstehen, die den Menschen gegenüber zur Undurchsichtigkeit verselbständigten Verhältnisse aus Verhältnissen zwischen Menschen abzuleiten.«10 Hier hat die Theorie der Gesellschaft anzusetzen, indem sie die Fakten erst anzuordnen hätte, damit sich eine Erkenntnis einstellen kann, die über das gegebene Faktenmaterial auf die Strukturgesetze, denen nicht zuletzt jene Fakten unterliegen, hinausweist.11

6.3 Kapitalismus und Klassen Das Versagen der Aufklärung, wie es mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust offenbar wurde, stellte Ansprüche an eine Gesellschaftstheorie, denen mit einer neuformulierten kritischen Gesellschaftstheorie begegnen war. Die zentrale Frage, der sich die Autoren der Dialektik der Aufklärung gegenübersahen, »warum die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art von Barbarei versinkt«12, hofften Adorno und Horkheimer mit Hilfe einer materialistischen Theorie zu finden, die einerseits an die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie anknüpft, die aber andererseits die sozialen Veränderungen und historischen Katastrophen reflektiert, die sich nach der Formulierung jener Kritik vollzogen hatten. Um die Kritische Theorie auf den neuesten Stand zu bringen, verschickten Horkheimer und Adorno  ein »Memorandum über Teile des Los Angeles Arbeitsprogramms, die von den Philosophen nicht durchgeführt werden können«.13 Hier wurden einige derjenigen Fragen dargelegt, mit denen sich u.a. Adorno zu jener Zeit beschäftigten. Das Ziel, das mit dem Memorandum verfolgt werden sollte, war »eine umfassende Kritik der gegenwärtigen Ideologie. Unter Ideologie wird dabei nicht nur das Bewußtsein, sondern auch die Verfassung der Menschen in der gegenwärtigen Phase verstanden […]. Besonderer Wert wird auf den Zusammenhang des praktischen, ›realitätsgerechten‹ Geistes – wie er im Pragmatismus seinen philosophischen Niederschlag gefunden hat – mit dem Faschismus gelegt. […] Der Angriff auf die herrschende Ideologie soll in einer kriti10 11 12 13

Adorno, »Gesellschaft«, AGS, Bd. , S. . Vgl. ders., »Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?«, AGS, Bd. , S. . Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, AGS, Bd. , S. . Vgl. Braunstein , Adornos Kritik …, S.  ff.

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schen Analyse sowohl entscheidender geistiger Bezirke wie der Massenkultur bestehen. Das Gelingen solcher Analysen hängt wesentlich von ihrer Orientierung an konkreten Einsichten in die neueste ökonomische Entwicklung ab. Denn das Ganze zielt auf eine Überwindung der politischen Stagnation.«14 Im folgenden wurden sechs Fragen gestellt: »Was ist aus dem Proletariat in der monopolistisch-faschistischen Phase geworden?«; »Was ist aus der Kapitalistenklasse geworden?«; »Die Frage des Klassencharakters der Bürokratie«; »Führt die technische Differenzierung zu einer größeren Angleichung oder Divergenz der verschiedenen Arbeiten? Von der Beantwortung dieser Frage hängen die Chancen einer künftigen Demokratie ab«; »Wie steht heute die akademische und außerakademische Diskussion über die Marxische Theorie?«; »Ein von den obigen Fragen relativ getrenntes Problem bezieht sich auf die unmittelbare Kontrolle der Massenkultur durch das Monopol. Es wäre für die Arbeit von größter Bedeutung eine klare Vorstellung von den Kontrollmechanismen ökonomischer und personeller Art zu haben, durch die jede der wichtigen Sphären sowie die Heranzüchtung des Nachwuchses reguliert werden.« – Die Wirkung des Memorandums, gesetzt den Fall, es wurde überhaupt wie geplant unter den Institutsangehörigen verteilt, dürfte nicht die gewünschte gewesen sein, Antworten liegen zumindest nicht vor. Aus diesem Grund ging Adorno noch im selben Jahr daran, einige der klassentheoretischen Probleme, »die uns besonders am Herzen liegen«, in Form der »Reflexionen zur Klassentheorie« selbst in Angriff zu nehmen. In ihnen kommt Adorno zu dem Schluß, daß die Klassen, wie Marx sie verstand, zwar fortexistieren, daß aber von einem fortschrittlichen proletarischen Klassenbewußtsein nicht die Rede sein könne. Die Marxsche Erkenntnis, der zufolge »das System das Proletariat produziere«, sei »zu einem Maße eingelöst worden, das schlechterdings nicht abzusehen war. Die Menschen sind, vermöge ihrer Bedürfnisse und der allgegenwärtigen Anforderungen des Systems, wahrhaft zu dessen Produkten geworden: als ihre eigene erfassende Verdinglichung, nicht als unerfaßte Roheit vollendet unterm Monopol die Entmenschlichung sich an den Zivilisierten, ja sie fällt mit ihrer Zivilisation zusammen. Die Totalität der Gesellschaft bewährt sich daran, daß sie ihre Mitglieder nicht nur mit Haut und Haaren beschlagnahmt, sondern nach ihrem Ebenbild er14

Hier wie im folgenden: Horkheimer/Adorno , »Memorandum über Teile des Los Angeles Arbeitsprogramms, die von den Philosophen nicht durchgeführt werden können«.

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schafft.«15 Dies gelte allerdings nicht nur für das Proletariat, sondern für alle Gesellschaftsmitglieder gleichermaßen, für Kapitalisten ebenso wie für Intellektuelle. »Es gibt soweit Verelendung, wie die bürgerliche Klasse wirklich anonyme und bewußtlose Klasse ist, wie sie und das Proletariat vom System beherrscht werden.«16 Im Monopolkapitalismus werde die objektive Fortexistenz von Klassen »virtuell unsichtbar«17, kenne schon die »bürgerliche Soziologie aller Länder«18 keine Klassen mehr. Aber obwohl sich die vormalige Evidenz von Herrschaft auflöst in eine scheinbar »klassenlose Gesellschaft der Autofahrer, Kinobesucher und Volksgenossen«19, bestehen soziale Klassen weiter fort um des Profits willen, der keinen grundlegenden Wechsel der Produktionsverhältnisse dulden kann. Wenngleich »der Hunger angesichts vorhandener und offensichtlich möglicher Güterfülle jetzt und hier vermeidbar wäre«20, perpetuiert das verselbständigte Kapitalverhältnis die Herrschaft als strukturelle. An die Stelle der Vernunft als gesellschaftliches Organisationsprinzip tritt der Imperativ der Selbsterhaltung.

6.4 Produktionsverhältnisse und Produktivkräfte Die Marxschen Termini von den ›Produktionsverhältnissen‹ und den ›Produktivkräften‹ erläutert Adorno kurz in seiner Vorlesung über »Philosophie und Soziologie« wie folgt: »Grob gesagt, müssen Sie bei dem Begriff der Produktivkraft einfach an die menschliche Arbeitskraft auf der einen Seite denken und auf der anderen Seite an die technischen Produktivkräfte, also an den Inbegriff der Technik als eines Mittels zur Auseinandersetzung mit der Natur. Demgegenüber ist unter ›Produktionsverhältnisse‹ der Inbegriff der gesellschaftlichen Beziehungen zu verstehen, und zwar insbesondere der Beziehungen mit Rücksicht auf die Verfügung über die Mittel der Produktion, die bis zu einer bestimmten Epoche in einer bestimmten Gesamtform der Produktion herrscht«21. Das Präfix ›Spät‹ in der Wendung ›Spätkapitalismus‹, wie Adorno sie etwa im Vortrag 15 16 17 18 19 20 21

Adorno, »Reflexionen zur Klassentheorie«, AGS, Bd. , S. . Ebd., S. . Ders./Jaerisch, »Anmerkungen …«, AGS, Bd. , S. . Adorno, »Reflexionen zur Klassentheorie«, AGS, Bd. , S. . Ebd., . Ders., »Einleitung zum ›Positivismusstreit …‹«, AGS, Bd. , S. . Ders., Philosophie und Soziologie, ANS, Bd. IV., S. .

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»Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?« gebrauchte, weist darauf hin, daß sich der Kapitalismus, wie ihn Marx noch vor Augen hatte, mittlerweile selbst überlebt hat; daß jeglicher Sinn der Produktivkraftsteigerung22 geschwunden ist, ohne daß darum das Kapital aufhörte, seine Verwüstungen fortzusetzen. Wenngleich die Produktivkräfte so weit wie historisch nie zuvor gesteigert wurden und die materielle Not ohne weiteres abgeschafft werden könnte, erhält sich »durch das Profitinteresse hindurch […] knirschend, stöhnend, mit unsäglichen Opfern, bis heute das Getriebe.«23 Die »Präponderanz der Produktionsverhältnisse über die Produktivkräfte, welche doch längst der Verhältnisse spotten«, macht die »Signatur des Zeitalters«24 aus, wie sie von Adorno im Begriff des »Spätkapitalismus« als derzeitiger historischer Stand der materiellen Gesellschaftsverfassung festgehalten wird. »Daß der verlängerte Arm der Menschheit zu fernen und leeren Planeten reicht, daß sie es aber nicht vermag, auf dem eigenen den ewigen Frieden zu stiften, bringt das Absurdum, auf welches die gesellschaftliche Dialektik sich hinbewegt, nach außen«25. »Allzu optimistisch war die Erwartung von Marx, geschichtlich sei ein Primat der Produktivkräfte gewiß, der notwendig die Produktionsverhältnisse sprenge.«26 Während er einen »Fortschritt im Sinn der Entfaltung der technischen Produktivkräfte«27 vertrat, wendet sich Adorno gegen eine technokratisch begründete Rechtfertigung von sozialer Herrschaft als Sachzwang. Herrschaft sei vielmehr ein Mittel der Durchsetzung bestimmbarer gesellschaftlicher Interessenpositionen: »Nicht die Technik ist das Verhängnis, sondern ihre Verfilzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen, von denen sie umklammert wird.«28 Zwischen die Determination der Technik und die ökonomischen Interessen, denen sie zugute kommt, schiebe sich ein »technologischer Schleier«29, der die realen Macht- und Herrschaftsverhältnisse verberge. »Die Menschen sind geneigt, die Technik für die Sache selbst, für Selbstzweck, für eine Kraft eigenen Wesens zu halten und darüber zu vergessen, daß sie der verlängerte Arm der Menschen ist. Die Mittel – und Technik ist ein Inbegriff von Mitteln zur 22 23 24 25 26 27 28 29

Vgl. etwa Marx, Das Kapital [Bd. ], MEW, Bd. , S.  f. Adorno, »Gesellschaft«, AGS, Bd. , S. . Ders., »Spätkapitalismus …«, AGS, Bd. , S. . Ebd. Ebd. Ders., Philosophie und Soziologie, ANS, Bd. IV., S.  Ders., »Spätkapitalismus …«, AGS, Bd. , S. . Zuerst in ders., »Reflexionen zur Klassentheorie«, AGS, Bd. , .

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Selbsterhaltung der Gattung Mensch – werden fetischisiert, weil die Zwecke – ein menschenwürdiges Leben – verdeckt und vom Bewußtsein der Menschen abgeschnitten sind.«30 Was als Fortschritt erscheint, dechiffriert Adorno als die ewige Wiederkehr des »alte[n] Schrecken[s]«31 in der Gestalt des Neuen und Allerneusten; des Mythos, unter dessen Bann je noch die gesamte Aufklärung stand und der weiter »in jenem blinden Fortgang der Zeit besteht, der sich in sich zurücknimmt«32. Die Dynamik, die »Bürgerliche wie Anhänger« am Marxismus zuweilen »zu rühmen gewußt«33 haben, ist eine im Immergleichen; sie selbst schafft kein Neues: »Das Neue fügt nicht dem Alten sich hinzu, sondern bleibt die Not des Alten«, insofern »das immer Neue zugleich das Alte aus der Nähe ist.« Geschichte ist »in ihrem Gesamtverlauf wie ein gigantischer Tausch von Ursache und Wirkung konstituiert« und ist »insofern über den Mythos nicht herausgekommen«34; sie ist vielmehr ein »unmäßiges analytisches Urteil«35, das stets nur »das nun einmal so und nicht anders Seiende«36 verifiziert. Der geschichtsphilosophischen These vom schlechten Jetzt, das nur ein notwendiges Durchgangsstadium hin zum besseren Morgen sei, kann Adorno nicht folgen.  schreibt Adorno an Horkheimer vom unerträglichen Gedanken an einen Fortschritt, »der sich auf den schrecklichen Qualen von voraufgegangenen Generationen begründe, die doch keine Ahnung haben konnten, daß sie gewissermaßen ›Versuchskaninchen‹ der Geschichte waren, auf daß in weitester Zeiten-Ferne es ein Geschlecht vielleicht einmal besser hätte«37. Zur Dialektik des Fortschritts gehöre es, daß der Gedanke, »daß kein Mangel sein soll, daß niemand mehr in der Welt hungern soll, also der Gedanke der Erfüllung der Abschaffung der Not« selber »jene Steigerung der Produktivkräfte und damit eben jene Naturbeherrschung voraus[setzt], die nicht nur mit dem anti-stofflichen Prinzip aufs tiefste verwachsen ist. Sie läßt überhaupt nur sich denken, indem den Menschen, die doch mit der äußeren Natur auch ihr Inneres beherrschen lernen sollen, immerzu Versagungen zugemutet 30 31 32 33 34 35 36 37

Ders., »Erziehung nach Auschwitz«, AGS, Bd. ., S. . Ders., »Reflexionen zur Klassentheorie«, AGS, Bd. , S.  f. Ebd., . Ebd., . Ders., Zur Lehre von der Geschichte …, ANS, Bd. IV., S. . Ders., »Reflexionen zur Klassentheorie«, AGS, Bd. , S. . Ders., »Einleitung in den ›Positivismusstreit …‹«, AGS, Bd. , S. . Ders. an Horkheimer, . Mai , ABB, Bd. .III, S. .

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werden. Die Konzeption eines Zustandes ohne Versagungen, die Entfesselung der Produktivkräfte, die Abschaffung der Not, also jenes utopische Moment der schrankenlosen Erfüllung setzt seinem eigenen Sinn nach, um überhaupt möglich zu sein, eben die Einschränkung, die Askese, ein bestimmtes Moment von Repression, von Unterdrückung voraus.« Die weitere Geschichte der Menschheit entscheide sich daran, »ob es ihr gelingen wird, aus dieser furchtbaren Verstrickung herauszukommen: Was das Andere meint und ins Andere führen soll, um sich zu verwirklichen, entwickelt selber das Prinzip in sich, gegen das es sich wendet; dadurch steht es stets in Gefahr, eben wieder in den Mythos zurückzufallen.«38 Diese »Metaphysik der Produktivkräfte«39 verlängere die Herrschaft, welche immer ihre Form sei. Trotz aller inneren gesellschaftlichen Dynamik bleibe das Ganze der Gesellschaft »immer dasselbe«, das »unablässig als ein anderes, Ungeahntes, alle Bereitschaft Übersteigendes sich verwirklicht, getreuer Schatten der sich entfaltenden Produktivkräfte.«40 Die entfesselte Produktivkraft, in deren »bloßen Wort« nach Adorno bereits »eine Drohung« mitklinge,41 ist selbst Ausdruck der »rücksichtslosen Naturbeherrschung«42 in der sich Natur fortsetzt als »Fressen und Gefressenwerden«43.

6.5 Kulturindustrie und Standardisierung  notiert Adorno: »Sollte ich das Geheimnis der gegenwärtigen Gesellschaft, der monopolistischen und der totalitären, in einem Satz aussprechen, würde ich sagen: daß heute die Apparatur der Reproduktion des Lebens unmittelbar mit der zu dessen Beherrschung zusammen fällt.«44 Dieser »Prozeß der Liquidation der Ökonomie«45 – das meint der Ökonomie als distinkten gesellschaftlichen Teilbereich – verhelfe dem Monopolkapitalismus erst zu seiner völligen Durchsetzung mit dem Resultat der äußersten Standardisierung einerseits der ökonomischen Sphäre – des Produktionsprozesses und der Konsumtion –, andererseits 38 39 40 41 42 43 44 45

Ders. , Philosophische Terminologie. Band , S. . Ders., Vorlesung zur Negativen Dialektik, ANS, Bd. IV., S. . Ders., Minima Moralia, AGS, Bd. , S. . Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Ders. , Philosophische Terminologie. Band , S. . Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Ders. , »Graeculus (II), S. . Ders., »Reflexionen zur Klassentheorie«, AGS, Bd. , S. .

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der vormals außerökonomischen Sphäre, der Kultur im weitesten Sinne. Die Liquidation der Ökonomie führt dergestalt zu einem Übergreifen der ökonomischen Sphäre aus sämtliche Lebensbereiche, auch auf Kultur. Sie »schlägt [heute] alles mit Ähnlichkeit.«46 Die Beziehungen der Menschen untereinander nehmen sämtlich den Charakter von Geschäftsbeziehungen an, deren Grundlage der Tausch nach Äquivalenten ist. Für die ökonomische sowie technische Umsetzung der Ökonomisierung und Standardisierung aller Lebensbereiche sorgt die Kulturindustrie, durch deren Filter die ganze Welt geleitet wird,47 um so die unreglementierte Erfahrung, die Welt könne auch anders sein, zu sabotieren.

6.6 Ideologiekritik Die Totalität, als die sich die Gesellschaft als System darstellt, kann die Synthesis der Individuen nur mehr durch alle Antagonismen hindurch erzwingen. Während die Gesellschaft heute objektiv durch ihre inneren Widersprüche zu zerreißen droht, ebnet das System die Antagonismen mittels Kulturindustrie und der Erzeugung von Einverständnis auf den gemeinsamen Nenner aller ein. Das Bestehende ist seine eigene Ideologie geworden, sofern seine Geltung nicht länger mit seiner Genese vermittelt erscheint: was ist, gilt, weil es ist. Dementsprechend diagnostiziert Adorno einen gesellschaftlichen Zustand, in dem die Rechtfertigungsideologie, die einst die Subjekte von der Erkenntnis der faktischen Zustände abhalten sollte, immer unwichtiger wird und tendenziell in den Hintergrund rückt, während »an Stelle dieser relativ selbständigen Ideologien nun immer mehr tritt, daß das Bestehende selbst, also der Inbegriff der Produktionsverhältnisse und Produktivkräfte, so wie sie heute nun einmal gegeben sind, die Funktion der Ideologie übernimmt, daß es akzeptiert wird und daß das, was ist, als so unausweichlich erfahren wird, daß es gewissermaßen zur Rechtfertigung seiner selbst in seiner bloßen Existenz erhoben ist. Ich glaube, der Schleier, unter dem die Menschen heute existieren, unter dem das Bewußtsein heute existiert, ist, wenn ich es extrem formulieren darf, der Schleier der Schleierlosigkeit; es ist der Schleier, der darin besteht, daß die Menschen zwar die Macht der Realität ihnen gegenüber, ohne daß sie sehr verschminkt 46 47

Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, AGS, Bd. , S. . Ebd., S. .

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wäre, an sich erfahren, daß ihnen aber diese Macht eben durch ihre Disproportion zu der Macht und in weitem Maß auch zu der Einsicht eines jeden einzelnen so erscheint, als wäre sie nicht selber ein Gewordenes, als wäre sie nicht selber vermittelt durch die Menschen, als stünde hinter dieser Macht schließlich nicht die Gesellschaft selber, sondern als ob sie buchstäblich das geworden ist, was Hegel schon in einem viel früheren Stadium der Entwicklung von der zur Vergesellschaftung zusammengeschlossenen bürgerlichen Gesellschaft gesagt hat: daß sie nämlich eigentlich zur zweiten Natur geworden ist.«48 Der »Schleier der Schleierlosigkeit« verdeckt mit dem Gewordensein zugleich die Veränderbarkeit des Bestehenden. Entgegen der positivistischen Auffassung, die sich mit der Feststellung der Fakten begnügte, setzt die Kritische Theorie der Gesellschaft hier erst an. Sie hat die Fakten so anzuordnen, daß sich eine Erkenntnis einstellen kann, die durch das gegebene Faktenmaterial auf die übergreifende Struktur hinausweist.49 Der vorherrschenden Ideologie der Ideologielosigkeit setzt Adorno eine soziologische Aufklärung entgegen, die auch dort kritisch eingreift, wo sie sich der Übermacht der blinden Faktizität gegenübersieht: »Gerade die überwältigende Vormacht des nun einmal Daseienden ist heute zur Verblendung, zur Ideologie geworden, und ich meine, daß es am verantwortlichen Geist ist, gerade an dieser Stelle Widerstand zu leisten, im Sinn dessen, was Marx vor weit mehr als einem Jahrhundert rücksichtslose Kritik alles Bestehenden nannte. Die Pflicht dazu scheint mir proportional mit der Unwiderstehlichkeit des nun einmal Vorhandenen anzuwachsen.«50 Die gesellschaftliche Totalität, die Adorno beschreibt, ist eine negative: »Kein gesellschaftliches Gesamtsubjekt existiert. Der Schein wäre auf die Formel zu bringen, daß alles gesellschaftlich Daseiende heute so vollständig in sich vermittelt ist, daß eben das Moment der Vermittlung durch seine Totalität verstellt wird. Kein Standort außerhalb des Getriebes läßt sich mehr beziehen, von dem aus der Spuk mit Namen zu nennen wäre; nur an seiner eigenen Unstimmigkeit ist der Hebel anzusetzen.« Jener Unstimmigkeiten, auf deren Objektivität hinzuweisen Adorno nicht müde wird, bedarf die negative Totalität, um sich selbst am Leben zu erhalten: »Die Gesellschaft erhält sich nicht trotz ihres Antagonismus am Leben sondern durch ihn«51. Das seit Urzeiten vorwaltende 48 49 50 51

Adorno, Philosophie und Soziologie, ANS, Bd. IV., S.  f. Vgl. ders., »Spätkapitalismus …«, AGS, Bd. , S. . Ders. an Konrad Körte, . März , Braunstein , Adornos Kritik …, S. . Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. .

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Identitätsprinzip, das durch den Kapitalismus ökonomisch systematisiert wurde, hat sich mittlerweile als ubiquitäres materielles Verhältnis verselbständigt: »Im stillen ist eine Menschheit herangereift, die nach dem Zwang und der Beschränkung hungert, welche der widersinnige Fortbestand der Herrschaft ihr auferlegt.«52 Daneben sieht Adorno die »Notwendigkeit eines psychologischen Surplus über die objektive Ökonomie, um die Gesellschaft zusammenzuhalten.«53 Jenes Surplus freilich ist wiederum gesellschaftlich vermittelt und ist Resultat jener Entindividualisierung, die Adorno ebenfalls als Signum dieser Zeit diagnostiziert. Den Subjekten kommt lediglich eine Funktion in bezug auf die total gewordene Gesellschaft zu, die ihnen als Zwang gegenübertritt. Das Absterben des Induviduellen des Indivuduums münde in eine »Systemimmanenz des Denkens«54 sowie in das, was Adorno ›bürgerliche Kälte‹ nennt: Einverständnis mit der Totalität bei gleichzeitiger Gleichgültigkeit den Einzelnen gegenüber.55 »Kälte – das ist das geschichtliche und psychologische Mißlingen des Subjekts«56. Sie ist das Grundprinzip »der bürgerlichen Subjektivität, ohne das Auschwitz nicht möglich gewesen wäre«57. Wenn, wie es in einem Lehrbuch über »Theorien der Gesellschaft« heißt, die Zeitdiagnose »den ›Sinn‹ einer Theorie innerhalb der Gesellschaft«58 ausmache, dann steht demgegenüber die Theorie Adornos gerade »gegen den Trug der Frage nach dem Sinn«59 ein: »Eben das: daß also die Welt, wie man so sagt, einen Sinn habe, läßt sich angesichts dessen, was wir in unserer geschichtlichen Periode erfahren haben, schlechterdings nicht mehr behaupten.«60

52 53 54 55 56 57 58 59 60

Ders., Minima Moralia, AGS, Bd. , S. . Ders. , »Zur Spezifikation der kritischen Theorie«, S. . Ders., »›Betriebsklima‹ und Entfremdung«, AGS, Bd. ., S. . Vgl. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, AGS, Bd. , S. . Adorno , »Graeculus (II)«, S. . Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Carsten Stark , »Gesellschaftstheorie und Erkenntnisinteresse: Anregungen zum systematischen Theorievergleich«, S. . Adorno zit. nach Tiedemann , »›Gegen den Trug der Frage nach dem Sinn‹. Eine Dokumentation zu Adornos Beckett-Lektüre«, S. . Ders., Vorlesung zur Negativen Dialektik, ANS, Bd. IV., S.  f.

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Zum Materialismus der Kritischen Theorie. Bemerkungen über »ein paar Thesen« Adornos

Der Materialismus aber ist die Prosa des Denkens, mit der sich der überall poetisch gestimmte Deutsche niemals für die Dauer verträgt. J  E, G   L D

Über den Materialismus der Kritischen Theorie ist bereits einiges bemerkt worden, nicht zuletzt vom »Materialismustycoon Alfred Schmidt«1, der über den »Übergang zum Materialismus als Rettung des Nichtidentischen« in »Adornos Spätwerk«2 schrieb – gemeint ist die Negative Dialektik. Tatsächlich datiert die Hinwendung Adornos zum Materialismus allerdings durchaus bereits auf die er Jahre, und sie erfolgte offenkundig in der Auseinandersetzung mit Max Horkheimers frühen Schriften sowie in Gesprächen, die beide miteinander führten und die zum Teil dokumentiert sind. Ende Marz  schreibt Adorno einen Brief an Horkheimer, dem er »ein paar Thesen« beifügt, »über das Unterscheidende der kritischen Theorie nicht nur von der traditionellen, sondern auch von Marxischen«3. Er bemerkt, er habe sie »ganz lose, wie sie mir eingefallen sind« formuliert, und: »Selbstverständlich handelt es sich dabei nicht um definitive Theoreme, sondern eher um die 1 2 3

Jürgen Roth , »Aus dem Bauch«, S. . Vgl. Alfred Schmidt , »Adornos Spätwerk: Übergang zum Materialismus als Rettung des Nichtidentischen«; auch ders. , »Begriff des Materialismus bei Adorno«. Theodor W. Adorno Archiv (Hg.) : Adorno. Eine Bildmonographie, S. . – Der Brief findet sich auch in: Adorno an Horkheimer, . März . ABB, Bd. .IV, S.  (hier heißt es allerdings statt »Marxischen«: »Marxistischen«; die erstere Lesart ist aber, dem Durchschlag des Briefes im Theodor W. Adorno Archiv zufolge, die korrekte), jedoch ohne jene Thesen. Sie sind publiziert in Adorno , »Zur Spezifikation der kritischen Theorie«.

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Absteckung einiger Zonen, in denen man vielleicht am besten erkennen kann, was kritische Theorie eigentlich ist. Ich habe dabei vorwiegend an Deine beiden Bände gedacht« – gemeint sind die frühen Aufsätze Horkheimers, die im Jahr zuvor gesammelt erschienen waren4 – »und nicht an das, was wir später angestellt haben, obwohl das selbstverständlich nicht auszuschließen war. Ich schicke es Dir nur zur Orientierung und, möglicherweise, zur Annotation.«5 – Eine Bearbeitung jener Thesen oder auch nur eine Entgegnung Horkheimers ist nicht überliefert. Nachdem er diesen Brief erhalten hatte, korrespondierten er und Adorno nur noch drei Mal, bevor dieser im August desselben Jahres starb. Der kurze Text, von Adorno Zur Spezifikation der kritischen Theorie genannt, gewährt einen Einblick in die Kritische Theorie Horkheimers und Adornos, und er legt bündig dar, auf welche Weise jene dem Materialismus verpflichtet ist. Die »paar Thesen« sind von Adorno, ganz gegen seine Gewohnheit, insofern systematisiert worden, als er sie numeriert und voneinander abgesetzt hat, so als wolle er, wie zuvor in der Negativen Dialektik, nochmals »die Karten auf den Tisch«6 legen und dabei etwas wie eine Summe der gemeinsamen theoretischen Anstrengungen geben; allerdings gewiß ohne dabei an eine Definition zu denken. Entsprechend voraussetzungsvoll sind die acht Thesen, an denen sich die Physiognomie Kritischer Theorie kaum ablesen, sondern allenfalls wiedererkennen läßt. Demgemäß werden die einzelnen Thesen im folgenden als Stichworte genommen, die Anlaß bieten, einigen Momenten des Materialismus in der Kritischen Theorie anhand der Schriften Adornos und Horkheimers nachzugehen. Die erste These lautet: ) Einbeziehung des subjektiven Faktors. »Der Kitt«. Notwendigkeit eines psychologischen Surplus über die objektive Ökonomie, um die Gesellschaft zusammenzuhalten. Horkheimer beschrieb  in seinem Aufsatz über »Autorität und Familie« die Kultur als den »Kitt, der auseinanderstrebende Teile« der Gesellschaft »künstlich zusammenhält«7, und er fragte rhetorisch, wozu es »eines dynamischen Begriffs der Kultur« bedürfe, »dieser Annahme eines gleichsam geistigen Kitts der Ge4 5 6 7

Vgl. Horkheimer , Kritische Theorie. Eine Dokumentation. Adorno an Horkheimer, . März , ABB, Bd. .IV, S. . Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Horkheimer, »Autorität und Familie«, HGS, Bd. , S. .

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sellschaft, da doch der Kitt vielmehr in der höchst materiellen Form der staatlichen Exekutivgewalt vorhanden ist?«8 Gegen die »idealistischen und rationalistischen Geschichtsauffassungen« einerseits sowie gegen die marxistische Rede von kulturellen Phänomenen als solche eines peripheren ›Überbaus‹ andererseits, führte Horkheimer aus, »daß der Zwang in seiner nackten Gestalt keineswegs genügt, um zu erklären, warum die beherrschten Klassen auch in den Zeiten des Niedergangs einer Kultur, in denen die Eigentumsverhältnisse wie die bestehenden Lebensformen überhaupt offenkundig zur Fessel der gesellschaftlichen Kräfte geworden waren, und trotz der Reife des ökonomischen Apparats für eine bessere Produktionsweise das Joch so lange ertragen haben.«9 Horkheimer reagierte hiermit auf die bekannte geschichtsphilosophische Konzeption von Marx, der zufolge das Kapitalmonopol »zur Fessel der Produktionsweise [wird], die mit und unter ihm aufgeblüht ist. Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt. Die Expropriateurs werden expropriiert.«10 Daß sie dies nicht wurden und nicht zu werden anständen, war Horkheimer am Vorabend des Zweiten Weltkriegs längst klar. »In Deutschland hatte die in sich zerstrittene Linke zunächst den Staatsstreich von Papens in Preußen (Juni ), dann die Machtergreifung durch Hitler widerstandslos hingenommen. […] Für Horkheimer mochte diese Entwicklung weniger überraschend gewesen sein, da eine Erhebung, die er in den Jahren  und  hatte durchführen lassen, zum Ergebnis hatte, daß nur von  Prozent der Mitglieder aus SPD und KPD aktiver Widerstand gegen eine faschistische Machtübernahme zu erwarten war. Für Horkheimer war dieser Befund, der nicht veröffentlicht wurde, Anlaß, die gesellschaftstheoretische Fragestellung, an der die Mitglieder des Instituts ihre Arbeit zu orientieren hatten, zu modifizieren. Die Erforschung und Kritik der politischen Ökonomie trat von nun an zurück zugunsten der Frage nach dem gesellschaftlichen ›Kitt‹, nach denjenigen Instanzen und Motiven, die die Menschen veranlassen, an einem System festzuhalten, das gegen ihre eigenen Interessen, letzten Endes gegen ihre physische Existenz gerichtet ist.«11

8 9 10 11

Ebd., S. . Ebd., S. . Marx, Das Kapital [Bd. ], MEW, Bd. , S. . Hartmut Scheible , Theodor W. Adorno, S. .

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Adorno macht sich den Begriff des Kitts, der die Gesellschaft zusammenhält, referierend zu eigen, wenn er in seinem Bericht über »Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika« auf den Aufsatz Horkheimers zu sprechen kommt, der »die These entwickelt, daß, angesichts der Divergenz zwischen dem, was die Gesellschaft ihren Angehörigen verspricht, und dem, was sie ihnen gewährt, das Getriebe schwerlich sich erhalten könnte, wenn es nicht die Menschen selbst bis ins Innerste so gemodelt hätte, daß sie ihm konformieren. Hatte einst das bürgerliche Zeitalter, mit dem erwachenden Bedürfnis nach freien Lohnarbeitern, Menschen hervorgebracht, die den Anforderungen der neuen Produktionsweise entsprachen, so waren diese gleichsam vom ökonomisch-gesellschaftlichen System erzeugten Menschen später der zusätzliche Faktor, der den Bedingungen zu ihrem Fortbestand verhalf, nach deren Bild die Subjekte geschaffen waren.«12 Die Hypothesen Horkheimers über »die Familienautorität als Faktor des gesellschaftlichen Kitts«13 werden von Adorno gleichwohl nicht wiederaufgenommen. Er sieht in der Affirmation des Bestehenden, die er mit dem von Anna Freud entlehnten Terminus der Identifikation mit dem Angreifer beschreibt,14 das stärkste psychologische Moment für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. »Wären die Subjekte anders oder wären sie, wie man das heute vielfach und nicht zu Unrecht nennt, mündig, dann könnte diese Gesellschaft trotz aller ihr zur Verfügung stehenden Zwangsmittel wahrscheinlich sich überhaupt nicht erhalten, so, wie es der Fall ist. In dem gesellschaftlichen Gesamtprozeß wandelt sich die Rolle des subjektiven Faktors.«15 Derweil der gesellschaftliche Zwang in 12

13 14

15

Adorno, »Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika«, AGS, Bd. ., S. . Vgl. auch ders., »Radiorede über Max Horkheimer«, AGS, Bd. ., S.  und ders., »Offener Brief an Max Horkheimer«, AGS, Bd. ., S.  f. Horkheimer an Pollock, . August , HGS, Bd. , S. . »Das Ziel der ›gut integrierten Persönlichkeit‹ ist verwerflich, weil es dem Individuum jene Balance der Kräfte zumutet, die in der bestehenden Gesellschaft nicht besteht und auch gar nicht bestehen sollte, weil jene Kräfte nicht gleichen Rechtes sind. Man lehrt den einzelnen die objektiven Konflikte vergessen, die in jedem notwendig sich wiederholen, anstatt ihm zu helfen, sie auszutragen. Der integrale Mensch, der die private Divergenz der psychologischen Instanzen und die Unversöhnlichkeit der Desiderate von Ich und Es nicht mehr spürte, hätte damit die gesellschaftliche Divergenz nicht in sich aufgehoben. Er verwechselte die zufällige Chance seiner seelischen Ökonomie mit dem objektiven Zustand. Seine Integration wäre die falsche Versöhnung mit der unversöhnten Welt, und sie liefe vermutlich auf die ›Identifikation mit dem Angreifer‹ hinaus, bloße Charaktermaske der Unterwerfung.« (Adorno, »Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie«, AGS, Bd. , S.  f.) – Zur »Identifizierung mit dem Angreifer« vgl. Anna Freud , Das Ich und die Abwehrmechanismen, S.  ff. Adorno, Einleitung in die Soziologie, ANS, Bd. IV., S. .

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die Subjekte eingewandert ist, braucht es den Druck von außen kaum mehr. Die Individuen beherrschen sich selbst auf eine Weise, daß sie kaum noch als solche, sondern vielmehr als Gesellschaftsmitglieder anzusprechen sind. »Eher ist jetzt Subjektivität das Vermittelte als Objektivität, und solche Vermittlung dringender der Analyse bedürftig denn die herkömmliche. In den subjektiven Vermittlungsmechanismen verlängern sich die der Objektivität, in welche jegliches Subjekt, noch das transzendentale, eingespannt ist.«16 Demgemäß fungieren die Individuen als ihre eigene Ideologie, während die gleichsam offizielle Ideologie um so heftiger beteuert, es käme allein auf den Menschen an: »Der Kitt, als der einmal die Ideologien wirkten, ist von diesen einerseits in die übermächtig daseienden Verhältnisse als solche, andererseits in die psychologische Verfassung der Menschen eingesickert. Wurde der Begriff des Menschen, auf den es ankomme, zur Ideologie dafür, daß die Menschen nur noch Anhängsel der Maschinerie sind, so ließe ohne viel Übertreibung sich sagen, in der gegenwärtigen Situation seien buchstäblich die Menschen selber, in ihrem So- und Nichtanderssein, die Ideologie, die das falsche Leben trotz seiner offenbaren Verkehrtheit zu verewigen sich anschickt. Der Zirkel schließt sich. Es bedürfte der lebendigen Menschen, um die verhärteten Zustände zu verändern, aber diese haben sich so tief in die lebendigen Menschen hinein, auf Kosten ihres Lebens und ihrer Individuation, fortgesetzt, daß sie jener Spontaneität kaum mehr fähig scheinen, von der alles abhinge. Daraus ziehen die Apologeten des Bestehenden neue Kraft für das Argument, die Menschheit sei noch nicht reif.«17 ) Marxismus als kritische Theorie der Gesellschaft heißt, daß er nicht hypostasiert, nicht einfach Philosophie werden kann. Die philosophischen Fragen sind offen, nicht durch Weltanschauung vorentschieden. Bereits  bemerkt Adorno in einem Gespräch mit Horkheimer, Peter von Haselberg, Leo Löwenthal und anderen: »Wir müssen uns daran gewöhnen, den Materialismus nicht als eine Weltanschauung zu verstehen«18, zu der er als Prämisse im orthodoxen Marxismus hinabgesunken war. Knapp  Jahre später schreibt er in einem Brief an Alfred Sohn-Rethel: »Ich wehre mich auch gegen 16 17 18

Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Ders., »Gesellschaft«, AGS, Bd. , S. . Horkheimer et al., »[Wissenschaft und Krise. Differenz zwischen Idealismus und Materialismus. Diskussionen über Themen zu einer Vorlesung Max Horkheimers]«, HGS, Bd. , S. ; vgl. auch ebd., S. .

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den vom offiziellen Marxismus ausgehenden Gewissenszwang, der in einer bestimmten Art von Positivität besteht, und halte es mit dem Satz von Grabbe ›Denn nichts als nur Verzweiflung kann uns retten‹. Daß diese Partie« – der Kampf um eine bessere Welt – »unter allen Umständen gut ausgehen müsse, ist zwar nur einer der Gründe, aber doch immerhin einer dafür, daß sie wahrscheinlich verloren geht. Daß daran eine tiefe Beschädigung der Theorie selbst ein Maß an Schuld trägt, darüber kann ich mich nicht betrügen.«19 Sohn-Rethel hat sich in einem Brief zuvor am Eröffnungssatz der Negativen Dialektik gestoßen: »Philosophie, die einmal überholt schien, erhält sich am Leben, weil der Augenblick ihrer Verwirklichung versäumt ward.«20 Mit Bezug auf diesen Satz, seinerseits Reaktion auf die elfte Feuerbachthese von Marx unter veränderten historischen und gesellschaftlichen Bedingungen, hat SohnRethel Adorno gefragt: »Oder steht es so damit, daß Sie zwar die nötigen Verän[der]ungen der Welt nicht für unmöglich halten, wohl aber ihre Bedeutung als ›Verwirklichung der Philosophie‹? Dann wären also die Denkformen nicht vom gesellschaftlichen Sein bestimmt, und wir wären also zum dialektischen Idealismus zurückgelangt?«21 Adorno glaubt in seiner Antwort, »das Problem ist falsch gestellt. Es interpretiert den Marxismus total und das heißt: idealistisch. Es gibt kein Kontinuum – keine Identität von Theorie und Praxis. Diese ist, in gewissem Sinn, bescheidener als die Philosophie; und Philosophie wiederum geht nicht in Marxismus auf. Auch davon steht allerhand in der N[egativen] D[ialektik].«22 In ihr hat Adorno geschrieben: »Marx hatte den historischen Materialismus gegen den vulgärmetaphysischen pointiert. Dadurch zog er ihn in die philosophische Problematik hinein, während der Vulgärmaterialismus diesseits der Philosophie, dogmatisch sich tummelte. Materialismus ist seitdem keine durch Entschluß zu beziehende Gegenposition mehr, sondern der Inbe19

20 21 22

Adorno an Sohn-Rethel, . Dezember , Adorno/Sohn-Rethel , Briefwechsel –, S. . – Das Zitat stammt aus Christian Dietrich Grabbes Drama Herzog Theodor von Gothland und wird von Adorno u.a. in einem bekannt gewordenen »›Spiegel‹-Gespräch« näher erläutert: Der Satz sei »provokativ, aber gar nicht dumm. – Ich kann darin keinen Vorwurf sehen, daß man in der Welt, in der wir leben, verzweifelt, pessimistisch, negativ sei. Eher sind doch die Menschen beschränkt, die krampfhaft die objektive Verzweiflung durch den Hurra-Optimismus der unmittelbaren Aktion überschreien, um es sich psychologisch leichter zu machen.« (Ders., »Keine Angst …«, AGS, Bd. ., S. .) Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Sohn-Rethel an Adorno, . Dezember , Adorno/Sohn-Rethel , Briefwechsel …, S. . Adorno an Sohn-Rethel, . Dezember . Ebd., S. .

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griff der Kritik am Idealismus und an der Realität, für welche der Idealismus optiert, indem er sie verzerrt. Die Horkheimersche Formulierung ›kritische Theorie‹ will nicht den Materialismus akzeptabel machen, sondern an ihm zum theoretischen Selbstbewußtsein bringen, wodurch er von dilettantischen Welterklärungen nicht minder sich abhebt als von der ›traditionellen Theorie‹ der Wissenschaft. Als dialektische muß Theorie – wie weithin die Marxische – immanent sein, auch wenn sie schließlich die gesamte Sphäre negiert, in der sie sich bewegt.«23 Von einem »vom offiziellen Marxismus ausgehenden Gewissenszwang«, der ein Bekenntnis erfordert, wo Erkenntnis vonnöten wäre, berichtet Adorno auch den Zuhörern seiner Vorlesung über »Negative Dialektik«: »Es ist nicht einzusehen, warum durch die Einsicht in den Zwangsmechanismus, der die Subjektivität und das Denken an die ihm gegenüberstehende Objektivität bindet, und angesichts der Abhängigkeit, die besteht, und angesichts der, ich möchte sagen: Logik der Tatsachen, die dann zu dem Triumph der Objektivität führt, diese nun auch notwendig recht behalten müsse. Es liegt darin ein Moment von Gewissenszwang, wie ich es am stärksten erfahren habe in der Auseinandersetzung mit einem hegelianischen Marxisten, nämlich in unserer Jugend mit Georg Lukács, der damals gerade einen Konflikt mit seiner Partei hinter sich hatte und in diesem Zusammenhang mir erzählt hat, seine Partei habe ihm gegenüber recht, obwohl er der Partei gegenüber in seinen Gedanken und Argumenten recht habe, – weil die Partei eben den objektiven geschichtlichen Stand verkörpere, während sein, für ihn und der bloßen Logik des Denkens nach, fortgeschrittenerer Stand hinter diesem objektiven Stand zurückgeblieben sei. Ich glaube, ich muß Ihnen nicht erst ausmalen, was das bedeuten würde. Es würde nämlich einfach bedeuten, daß das Erfolgreichere, das sich Durchsetzende, das allgemein Rezipierte mit Hilfe der Dialektik den höheren Stand der Wahrheit hätte als das Bewußtsein, das die Scheinhaftigkeit davon durchschaut. Tatsächlich ist die Ideologie im Osten sehr weitgehend von diesem Motiv geprägt. Und es würde weiter darauf hinauslaufen, daß das Bewußtsein sich selbst abschneidet, sich die eigene Freiheit versagt und sich einfach an die stärkeren Bataillone anpaßt. Das ist ein Akt, den zu vollziehen mir nicht möglich scheint.«24 Seit der Oktoberrevolution wußten sich die meisten Marxisten »mit 23 24

Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Ders., Vorlesung zur Negativen Dialektik, ANS, Bd. IV., S.  f. – Von der genannten Auseinandersetzung mit Lukács berichtet ein Brief Adornos an Siegfried Kracauer (vgl. Adorno an Kracauer, . Juni , ABB, Bd. , S.  f.)

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dem großen Zug der Geschichte einig«25, während die ewig vertagte Ankunft des Kommunismus doch nur die Proletarier aller Länder auf eine Steigerung ihrer Produktion verpflichtet, auf daß er doch noch in fernen Zeiten gelänge. »Immerhin muß man gerechterweise sagen, daß auch die bedächtigsten Marxisten, die schon eigentlich keine mehr waren, die erste Phase erheblich kürzer sich vorstellten als die Christen die Zeit zwischen der Geburt Jesu und der Parusie, ein Zeitraum, der so ungefähr mit der ganzen Zeitlichkeit sich deckt.«26 Daraus folgt immanent die Erklärung des dritten Punktes von Adornos »Spezifikation«: ) Kritische Theorie geht nicht auf Totalität sondern kritisiert sie. Das heißt aber auch, daß sie ihrem Inhalt nach anti-totalitär ist, mit aller politischen Konsequenz. Materialismus erkennt die gesellschaftliche Vermittlung als total. In der Nachfolge Hegels fassen zwar auch Adorno und Horkheimer das Unvermittelte als vermittelt auf, als Vermittlungsinstanz fungiert jedoch nicht, wie Hegel postulierte, der Geist, sondern die Gesellschaft, der gegenüber noch der Geist bloßes Moment ist. Ein Denken, das sich selbst hingegen absolut setzt, um die Welt nach seiner Maßgabe als System zu setzen, ist totalitär und ahistorisch. Insofern es in sich abgeschlossen ist, ist es, wie Adorno in Punkt zwei der »Spezifikation« formuliert, »einfach Philosophie«. Abgeschlossenheit, die Tatsache, daß es als Positives ›fertig‹ ist, ist Kennzeichen jedes Systems. Aus diesem Grund bewegt sich die theoretische Ausdifferenzierung jedes Systemdenkens stets nur nach innen: tiefer ins einmal gesetzte System hinein. Die logisch positiv gefaßte Totalität macht nicht nur die Erkenntnis von allem, was ihr äußerlich wäre unmöglich – bzw. »verweist es in die Dichtung«27 –, sondern verblendet auch gegen die mögliche Einsicht, daß die Totalität sich selbst nicht gleich bleibt, sondern eine real negative ist. Dementsprechend steht auch die zweite Natur, von der vormals ersten ununterscheidbar, unter dem Bann des »survival of the fittest«. Subjekt zu sein, heißt bis dato noch immer, sich der Objektivität anpassen zu müssen. Diesen Zwang als Medium von Wahrheit zu postulieren, ist nicht Aufgabe der Kritischen Theorie, sondern des Positivismus von Comte bis hin zu Luhmann,

25 26 27

Rolf Wiggershaus , Max Horkheimer zur Einführung, S. . Adorno , »Contra Paulum«, S. . Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, AGS, Bd. , S. .

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während die Postmodernen sich dieses Zwangs überhaupt entledigen zu können glauben, indem sie ihm zwanglos die Wahrheit als solche opfern. Gegen den ›Diamat‹, der unterdessen zur Staatsdoktrin der Ostblockländer geworden ist, richtet sich Adornos Diagnose, der Materialismus habe seinen Gegnern unterdessen »den Gefallen seiner Selbsterniedrigung getan.«28 Indem er seine theoretische Dynamik stillgestellt hat und zur Invariantenlehre verkommen ist, reproduziere jener Materialismus planvoll die Unmündigkeit derer, die unter seinem Einfluß leben. »Die Depravation der Theorie indessen wäre nicht möglich gewesen ohne einen Bodensatz des Apokryphen in ihr. Indem die Funktionäre, die sie monopolisieren, mit der Kultur summarisch, von außen her umspringen, möchten sie plump vortäuschen, sie seien über der Kultur, und leisten der universalen Regression Beistand. Was, in der Erwartung der unmittelbar bevorstehenden Revolution, Philosophie liquidieren wollte, war, ungeduldig mit deren Anspruch, damals schon auch hinter ihr zurückgeblieben. Im Apokryphen des Materialismus offenbart sich das der hohen Philosophie, das Unwahre an der Souveränität des Geistes, den der herrschende Materialismus so zynisch verachtet, wie insgeheim zuvor die bürgerliche Gesellschaft es tat.« In der Ablehnung der Kultur, zumindest in deren Abtun als ›Überbauphänomen‹, also als Sekundäres, bloß vom Eigentlichen Mitgeschleiften, hat sich der Marxismus-Leninismus mit seinem vermeinten Widersacher, dem Bürgertum aller Länder einig gewußt. Während das nämlich seinem Gewissenszwang und Distinktionsbedürfnis leidenschaftslos bei der Verteidigung einer Neuen Moderne gegen die Barbaren im Osten nachgab, verwarf dieser die Hochkultur des Westens als dekadent und kleinbürgerlich. Aber, so Adorno, »Kultur einzig mit Lüge zu identifizieren ist am verhängnisvollsten in dem Augenblick, da jene wirklich ganz in diese übergeht und solche Identifikation eifrig herausfordert, um jeden widerstehenden Gedanken zu kompromittieren. Nennt man die materielle Realität die Welt des Tauschwerts, Kultur aber, was immer dessen Herrschaft zu akzeptieren sich weigert, so ist solche Weigerung zwar scheinhaft, solange das Bestehende besteht. Da jedoch der freie und gerechte Tausch selber die Lüge ist, so steht was ihn verleugnet, zugleich auch für die Wahrheit ein: der Lüge der Warenwelt gegenüber wird noch die Lüge zum Korrektiv, die jene denunziert.«29 Derweil »Kulturkritik über Materialismus klagt« – weil er nicht das Höhere, Geistige wolle –, »befördert sie den Glauben, die Sünde sei der 28 29

Adorno, Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Ders., Minima Moralia, AGS, Bd. , S. .

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Wunsch der Menschen nach Konsumgütern und nicht die Einrichtung des Ganzen, die sie ihnen vorenthält: Sattheit und nicht Hunger. Wäre die Menschheit der Fülle der Güter mächtig, so schüttelte sie die Fesseln jener zivilisierten Barbarei ab, welche die Kulturkritiker dem fortgeschrittenen Stand des Geistes anstatt dem zurückgebliebenen der Verhältnisse aufs Konto schreiben. Die ewigen Werte, auf welche die Kulturkritik deutet, spiegeln das perennierende Unheil.«30 Daß es aber stets »›so weiter‹ geht, ist die Katastrophe«31, notierte bereits Walter Benjamin, und in der Mißachtung dieser Tatsache treffen sich der Konservatismus jeglicher Kulturkritik und der orthodoxe Marxismus als Invariantenlehre. Den blinden Stoffwechsel, sowohl den, der Gesellschaft mit der Natur, als auch den, den sie mit sich selbst hat; den Prozeß, den die Gesellschaft um ihrer Reproduktion und ihres Überlebens willen ständig befeuern muß, will die Kritische Theorie im Namen des Materialismus kritisieren. Eine menschenwürdige Gesellschaft wäre erst eine, die selbst nicht, und in der deren Mitglieder nicht, um ihr Leben als Überleben kämpfen müssen. Das Fressen-und-Gefressenwerden, das die Sozialdarwinisten alter und vermeintlich neuer Zeit jener Natur abgeschaut haben, mit der sie auch, vernunftvergessen und kraftgestählt, das Menschsein verwechseln –; die Unterordnung des Schwächeren unter den Stärkeren, die Macht, welche durch bloße Machbarkeit gegeben ist, soll nicht das letzte Wort behalten. Materialistisch ist die Kritische Theorie in der Diagnose des Bestehenden, auf daß es nicht länger bloß materialistisch bleibe. Daß, siehe unten, zart einzig das Gröbste wäre: daß keiner mehr hungert, läßt sich selbst nicht noch materialistisch begründen, wohl auch kaum vernünftig. »Die kritische Theorie hat bei aller Einsichtigkeit der einzelnen Schritte und der Übereinstimmung ihrer Elemente mit den fortgeschrittensten traditionellen Theorien keine spezifische Instanz für sich als das mit ihr selbst verknüpfte Interesse an der Aufhebung des gesellschaftlichen Unrechts. Diese negative Formulierung ist, auf einen abstrakten Ausdruck gebracht, der materialistische Inhalt des idealistischen Begriffs der Vernunft.«32 Ein sich positiv setzender Materialismus hingegen, der seine Vermitteltheit zum Idealismus abstrakt überspränge, wäre selbst noch Mythos: jene Immergleichheit, die das Denken in Systemen sowie die systematische Vernunft mit immanenter Notwendigkeit produziert.

30 31 32

Ders., »Kulturkritik und Gesellschaft«, AGS, Bd. ., S. . Benjamin , »Zentralpark«, S. . Horkheimer, »Traditionelle und kritische Theorie«, HGS, Bd. , S. .

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) Kritische Theorie ist keine Ontologie, kein positiver Materialismus. In ihrem Begriff liegt, daß die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse die notwendige, aber nicht die zureichende Bedingung einer befreiten Gesellschaft ist. Der verwirklichte Materialismus ist zugleich die Abschaffung des Materialismus als der Abhängigkeit von blinden materiellen Interessen. Über das Tauschprinzip hinausgehen heißt zugleich es erfüllen: keiner darf weniger bekommen als das Äquivalent der durchschnittlichen gesellschaftlichen Arbeit. Das Bestehende ist nicht, wie die Ontologie es will, als Sein Wesensgrund alles Seienden, noch eine positiv verfügbare Sammlung von Faktizitäten, sondern als Gesellschaftliches Resultat materieller Praxis. Sofern sich die objektive Geltung gesellschaftlicher Phänomene nicht von ihrer Genesis ablösen läßt, die zugleich selbst gesellschaftlich, aber auch natürlichen Ursprungs ist, verfolgt die Kritische Theorie ein Programm der Abschaffungen durch bestimmte Negation. Von ihr wird auch noch der Materialismus selbst erfaßt, dem ebensowenig ewige Wahrheit zukommt, wie der Einrichtung der Welt.33 Seine Abschaffung fiele in eins mit der Überwindung der Geschichte bis dato als Vorgeschichte. Das prinzipielle Auseinandertreten von Genesis und Geltung – die für die Kritische Theorie wohl folgen- und einflußreichste Marxsche Erkenntnis – versperrt auch die schlichte Möglichkeit, sich dem Materialismus als oberstem Prinzip zu überlassen, nach dem die Welt zu modeln sei. Kritische Theorie will nicht die Welt nach veränderten Prinzipien einrichten – auch nicht nach der Marxschen Instruktion: »jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!«34 –, sondern die Ideologie überwinden, daß sie nach Prinzipien einzurichten sei. Als wahre Bedürfnisse lassen sich nur mehr solche dingfest machen, die der biologische Stoffwechsel bedingt, der bislang noch jeder Gesellschaft als vulgärmaterialistisches Vorbild diente.35 Jene Bedürfnisse der Menschen sind aber ebensowenig zu hypostasieren, wie ihre Fähigkeiten. Beide wären erst in einer befreiten Gesellschaft zu entwickeln. Ihre Vorstellung ginge vielmehr »auf einen Zustand der Fülle, in dem es repressiv wäre, die Beefsteaks 33 34 35

Vgl. Adorno , Philosophische Terminologie. Band , S.  f. Marx, »Kritik des Gothaer Programms«, MEW, Bd. , S. . In einem Gespräch mit Horkheimer  bemerkt Adorno: »Daß der Mensch aus der Natur herausgebrochen ist, ist äußerst merkwürdig. Erst heute unterm Monopol stellt sich die Welt der Tiere für die Menschen wieder her, alles ist zu. Der biologische Sprung der Gattung Mensch wird wieder rückgängig gemacht.« (Horkheimer/Adorno, »[Diskussion über Theorie und Praxis]«, HGS, Bd. , S. .)

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zu zählen, die jeder ißt, weil jeder ohnehin so viele essen kann wie er will, während manche vielleicht in einem solchen Zustand es verschmähen werden, weiter Fleisch zu essen. Solange es nicht so weit ist, hat noch die vulgärmaterialistische Phrase vom Teilen recht.«36 Angesichts der untilgbaren Schande, daß nach wie vor große Teile der Weltbevölkerung tagtäglich an Hunger leiden, durch Unterernährung erkranken oder an ihr sterben,37 ohne daß dies vom Stand der Produktivkräfte her irgend zu legitimieren wäre, gilt weiterhin: »Zart wäre einzig das Gröbste: daß keiner mehr hungern soll. Alles andere setzt für einen Zustand, der nach menschlichen Bedürfnissen zu bestimmen wäre, ein menschliches Verhalten an, das am Modell der Produktion als Selbstzweck gebildet ist.«38 Statt dessen ist Hunger selbst zu einer gewaltigen Produktivkraft geworden und hat es als scheinbar unabänderliche Tatsache, die halt einige Menschen treffe, zu sozialontologischen Ehren gebracht. ) Für die kritische Theorie ist Wissenschaft eine unter anderen gesellschaftlichen Produktivkräften und verflochten in die Produktionsverhältnisse. Sie selbst unterliegt jener Verdinglichung, gegen welche die kritische Theorie sich richtet. Sie kann nicht das Maß der kritischen Theorie, diese kann nicht Wissenschaft sein wie Marx und Engels es postulieren. Zwar reihte Marx seine Kritik der politischen Ökonomie, Das Kapital, ein in die Reihe »wissenschaftliche[r] Versuche zur Revolutionierung einer Wissenschaft«39, in diesem Fall der Ökonomie. Dennoch hält Adorno ihm zugute, daß er, wenngleich er den Begriff von Wissenschaft unreflektiert positivistisch übernahm, zumindest erkannt habe, daß Wissenschaft nicht lediglich die ökonomische Funktion von Technik schlechthin übernimmt. In einem Gespräch mit Horkheimer Ende  bemerkt Adorno, daß im »Marxschen Denken […] die Wissenschaft als Produktivkraft« fungiere, woraufhin Horkheimer einschränkt: »– insofern sie eine Geschicklichkeit darstellt«, was wiederum Adorno korri-

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38 39

Adorno , »Contra Paulum«, S.  f. Für das Jahr  beziffert die Welternährungsorganisation die Anzahl der Menschen, die an Unterernährung leiden, auf  Millionen Menschen, das entspricht etwa einem Siebtel der Weltbevölkerung. (Vgl. Food and Agriculture Organization of the United Nations , The State of Food Insecurity in the World. Addressing Food Insecurity in Protracted Crises.) Adorno, Minima Moralia, AGS, Bd. , S. . Marx an Ludwig Kugelmann, . Dezember , MEW, Bd. , S. .

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giert: »– auch insofern sie ein Produktionsverhältnis darstellt.«40 Auf diesem Weg greift jedoch der Geist, »in Form der Wissenschaft sogar zur Produktivkraft geworden[,] […] in den geschichtlichen Prozeß ein. Man müsse sich gegen die wenden«, so Adorno weiter, »die M[arx] unterschieben, er habe den Geist als Hirngespinst abgetan.«41 Als aktive Widersacherin der Vernunft läßt sich entsprechend weniger die kapitalistische Produktionsweise per se ausmachen, die, zwar unvernünftig, schlicht blind ist, als vielmehr die mit ihr einhergehende Kulturindustrie. Sie ist die noch jegliche Gesellschaftskritik sich einverleibende Struktur, die aus jedem Ernst einen infantilen Witz, aus dem Holocaust ein Stück ›Erinnerungskultur‹ sowie aus Adorno einen sexuell und auch sonst pervertierten Volltrottel macht.42 In seiner Schrift »Traditionelle und kritische Theorie«43 schreibt Horkheimer bereits , daß »der Fachgelehrte ›als‹ Wissenschaftler die gesellschaftliche Realität mitsamt ihren Produkten für äußerlich ansieht und ›als‹ Staatsbürger sein Interesse an ihr durch politische Artikel, Mitgliedschaft bei Parteien oder Wohltätigkeitsorganisationen und Beteiligung an den Wahlen wahrnimmt, ohne diese beiden und einige weitere Verhaltensweise seiner Person anders als höchstens durch psychologische Interpretation zusammenzubringen«. Demgegenüber sei »das kritische Denken heute« – im Sinne kritischer Theorie – »durch den Versuch motiviert, über die Spannung real hinauszugelangen, den Gegensatz zwischen der im Individuum angelegten Zielbewußtheit, Spontaneität, Vernünftigkeit und der für die Gesellschaft grundlegenden Beziehungen des Arbeitsprozesses aufzuheben. Das kritische Denken enthält einen Begriff des Menschen, der sich selbst widerstreitet, solange diese Identität nicht hergestellt ist.«44

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HGS, Bd. , S. . Adorno zit. nach Braunstein , Adornos Kritik …, S.  (letzte eckige Klammern im Original). Siehe unten, Kapitel . Dieser Aufsatz wird so durchgehend und von allen Seiten mit dem Adjektiv ›programmatisch‹ bedacht, daß der Verdacht naheliegt, an dieser Zuschreibung sei etwas faul. Eine Kritik an der vermeinten Programmatik müßte wohl ausgehen einerseits vom Unterschied zwischen einem Programm Kritischer Theorie und ihrem Vollzug einerseits sowie andererseits von der Frage, welchen Inhalt das Programm als solches denn habe. Horkheimer, »Traditionelle und kritische Theorie«, HGS, Bd. , S. .

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) Das heißt so viel wie, daß in der kritischen Theorie der Marxismus – ohne daß er aufgeweicht würde – sich selbst kritisch reflektieren muß. Er ist dem Positivismus unversöhnlich. Dieser ist eine beschränkte Gestalt der Vernunft. Seine Unvernunft ist immanent bestimmbar. Die kritische Theorie wird motiviert von einem veränderten Vernunftbegriff. Vernunft ist nicht den Subjekten transzendent, sondern die Erkenntnis der Vernunft als materiale Praxis besagt nichts anderes, als daß es vom Verhalten Einzelner abhängt, ob Vernunft waltet oder nicht: »Die paar Menschen, zu denen die Wahrheit sich geflüchtet hat, erscheinen als lächerliche Rechthaber, die eine bombastische Sprache führen und nichts hinter sich haben. Der Trost, daß es auch gewissen Leuten im Alten Testament so ergangen ist, kann uns umso weniger helfen, als auch der Erfolg der Propheten auf die Dauer gerade kein überwältigender war. Die unangenehmste Erfahrung, zu welcher der Materialismus führt, ist der Umstand, daß die Vernunft nur existiert, insofern sie ein natürliches Subjekt hinter sich hat. Diesem natürlichen Subjekt ist sie anheim gegeben, je nachdem es von ihr Gebrauch machen will.«45 Unterdessen ist Vernunft, wie Adorno in der vorhergehenden These bemerkt, selbst eine Produktivkraft geworden. Diese Möglichkeit war stets in ihr angelegt, denn das Prinzipielle, Eindeutige, Identifizierende der Vernunft verträgt sich nicht von ungefähr aufs Beste mit der totalen kapitalistisch zugerichteten Welt. »Identifikation ist Naturbeherrschung«46, und Horkheimer wie Adorno versuchen, jenem Identitätsdenken, das im systematisch vollzogenen Äquivalententausch unterm Kapital seine praktische Bestimmung gefunden hat, durch Kritik an jeglicher ›Identitätsphilosophie‹ ihre jeweils eigene Konzeption gegenüberzustellen – Horkheimer mit dem eher genetisch-kritisch ausgerichteten Versuch einer Kritik der instrumentellen Vernunft47, Adorno mittels einer negativen Dialektik, die darauf zielt, »das Begriffslose mit Begriffen aufzutun, ohne es ihnen« – den identifizierenden Begriffen – »gleichzumachen.«48

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48

Horkheimer an Pollock, . September , HGS, Bd. , S. . Braunstein , Adornos Kritik …, S. . Horkheimer bestimmt in deren Vorwort deren Ziel, »den Begriff von Rationalität zu untersuchen, der unserer gegenwärtigen industriellen Kultur zugrunde liegt.« (Horkheimer, Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, HGS, Bd. , S. .) Adorno, Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. .

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) Kritische Theorie nimmt – gegen den Materialismus als Metaphysik – Dialektik unvergleichlich viel schwerer als der etablierte Marxismus. Das gilt vor allem auch für die Ideologie. Kritische Theorie kann nicht den Überbau von oben her abfertigen. Im Ideologiebegriff, als dem des gesellschaftlich notwendigen Scheines, ist der eines richtigen Bewußtseins enthalten. Nicht aller Geist ist Ideologie. Kritische Theorie heißt immanente Kritik auch des Geistes. Gegen den »mechanischen Materialismus der II. Internationale und die Behauptung eines aus der Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen folgenden quasi-automatischen Entwicklungsganges der Geschichte«49 schreibt Horkheimer : »Die materialistische Theorie gewährt dem politisch Handelnden noch nicht einmal den Trost, daß er notwendig zum Ziele kommen müsse; sie ist keine Geschichtsmetaphysik, sondern das sich verändernde Bild der Welt, wie es im Zusammenhang mit dem praktischen Bemühen um ihre Verbesserung sich entwickelt. Die Erkenntnis von Tendenzen, welche in diesem Bild enthalten ist, gewährt keine eindeutige Voraussage für den geschichtlichen Verlauf.«50 Damit argumentiert Horkheimer zugleich gegen die Annahme, der Fortschritt der Menschheit hin zu einer besseren Gesellschaft werde schon kommen und die richtige Theorie könne jenen Fortschritt beschleunigen. Adorno betont, daß es bei Marx »einen Naturmaterialismus oder eine materialistische Metaphysik, also eine Lehre von materialistischen Urprinzipien, nicht gibt; und das ist nicht etwas dem Marxischen Denken Äußerliches. […] Es liegt darin eben eine Kritik am abschlußhaften totalen Denken, die viel mehr den Impuls des Marxischen Materialismus ausmacht als die Behauptung, auf die man ihn so leicht in der Debatte festlegt, daß das Sein das Bewußtsein determiniert und nicht umgekehrt. Auf einen solchen Spruch seine Theorie abzuzielen, hätte er sicher ganz genauso sich geweigert wie Hegel.«51 Über die Zuständigkeit materialistischer Theoriebildung ist nicht von oben her zu entscheiden; Materialismus ist seinerseits keine prima philosophia, nicht das ein für allemal feststehende Resultat einer abstrakten Entscheidung zwischen Idealismus und Materialismus. »Wir dürfen uns nicht so verhalten, als ob wir einen Entwurf von Idealismus und Materialismus hätten, unter dem wir 49 50 51

Ulrich Gmünder , Kritische Theorie. Horkheimer, Adorno, Marcuse, Habermas, S. . Horkheimer, »Materialismus und Moral«, HGS, Bd. , S. . Adorno , Philosophische Terminologie. Band , S. .

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die ganze Welt aufteilen, als ob die Begriffe Materialismus und Idealismus nicht selber geschichtlich produziert wären. […] Es gibt nicht ein Drittes, sondern die Alternative Materialismus–Idealismus gilt ihrerseits nur da, wo das Bewußtsein der Menschen glaubt, selbständig über die Phänomene entscheiden zu dürfen und damit vor der Frage steht, ob es die Phänomene selber produziert oder von ihnen produziert worden ist. Man kann nicht eine ganze Totalität nach diesem Schema aufteilen und sagen, daß es außerdem noch etwas Drittes gibt.«52 Damit ist der Erkenntnisweg zugleich vorgezeichnet, nämlich als einer von den Sachen her. Das Einschreiten dieses Weges ist aber gerade nicht Resultat einer philosophisch-theoretischen Entscheidung, sondern eines Sich-Einlassens auf die Erkenntnisobjekte. Sie sind es, die von sich aus ihr Recht erfordern. Dem nicht nachzugeben, heißt, sie zu verkennen und die Sache vorab wieder dem Denken zu subsumieren, um sie dort zuzurichten. Hier nimmt der vielzitierte »Vorrang des Objekts« seinen Ausgang, auf den Adorno stets wieder zu sprechen kommt. »Je mehr die Autonomie von Subjektivität kritisch sich einschränkt, desto bündiger die Verpflichtung, den Objekten jenen Vorrang einzuräumen, der dem Gedanken das an Festigkeit verschafft, was Dialektik wiederum auflöst. Daher ist der Nachweis des Vorrangs des Objekts als eines innerdialektischen Moments der springende Punkt einer negativen Dialektik.«53 Jenen Vorrang des Objekts gibt es »nur in der Dialektik; eben dies das Zerbrechliche der Wahrheit. Sonst Rückfall in prima philosophia. (auch: dogmatischer Materialismus!)«54 – Diese Aussage ist keine über ein Objekt, das an sich wäre, sondern eine über dessen Stellung zum Subjekt.55 Materialismus meint dementsprechend die Erkenntnis, daß ebenso Subjekt im Objekt wie Objekt im Subjekt steckt. Dazu gehört aber auch ebenso, daß die Subjekte nicht ohne Objekte, wohl aber diese ohne jene sein können. Diese Tatsache ist ihrerseits nicht idealistisch aufzulösen, sondern verweist real auf die außersubjektive Vermitteltheit von Natur und Gesellschaft, ohne die kein Einzelner leben kann. Zugleich ist der Vorrang des Objekts nicht zu hypostasieren; ist er ebenfalls kein An-Sich. »Für den Idealismus rechtfertigt die innere Geschichte des Unmittelbaren jeweils dieses. Für den Materialismus ist sie Maß der Unwahrheit«56. Die Genesis 52 53 54 55 56

Horkheimer et al., »[Wissenschaft und Krise]«, HGS, Bd. , S. . Adorno, Vorlesung über Negative Dialektik, ANS, Bd. IV., S. . Ebd. (eckige Klammern im Original). Vgl. ders., »Anmerkungen zum philosophischen Denken«, AGS, Bd. ., S. . Ders., Vorlesung über Negative Dialektik, ANS, Bd. IV., S. .

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des Unmittelbaren ist zugleich Ausweis der gesellschaftlichen Vermitteltheit seiner Geltung. Bloß weil etwas ist, heißt das nicht, daß es auch wahr ist. In diesem Sinne antwortet Adorno im März  auf einen Brief von Gershom Scholem, um ihm den materialistischen Gehalt der Negativen Dialektik darzulegen57: »Verstehe ich mich recht, was ja bei keinem Denkenden sicher ist – der Satz, wahr seien nur die Gedanken, die sich selbst nicht verstehen, stammt von mir, hat freilich etwas gut Hegelianisches in sich –, so habe ich mir in der Arbeit gerade nicht eine materialistische These vorgegeben. Im Gegenteil, es kam mir gerade darauf an, diese Vorgegebenheit, die schließlich auch noch dem ontologischen Denktypus zugehört, zu durchbrechen. Mit anderen Worten: es wird versucht, in einem sehr bestimmten Sinn Materialismus zu erreichen, nicht von ihm auszugehen. Das geschieht im zweiten Hauptteil, den ich unter diesem Aspekt Ihrem Schutz anempfehle. Was ich, in der immanent erkenntnistheoretischen Diskussion, Vorrang des Objekts nenne, und was man sich tatsächlich sehr zart, nämlich nur innerhalb der Dialektik, nicht als krude Behauptung vorstellen darf, das scheint mir, ist man einmal dem Identitätsbann entronnen, dem Begriff des Materialismus gerecht zu werden. Die triftigen Argumente, die ich gegen den Idealismus glaube vorgebracht zu haben, präsentieren sich jenseits des Bannes, und, wie ich denke, stringent, als materialistische. Darin liegt aber, daß ein solcher Materialismus nicht abschlußhaft, keine Weltanschauung, kein Fixiertes ist. Dieser vom Dogma total verschiedene Weg zum Materialismus ist es, der mir jene Affinität zur Metaphysik, beinahe hätte ich

57

Scholem hat zuvor an Adorno über dessen Negative Dialektik geschrieben: »Wenn Sie mir erlauben, meine Meinung in einem einzigen Satz zusammenzufassen, so wäre es der, daß ich noch nie eine keuschere und in sich verhaltenere Verteidigung der Metaphysik gelesen habe. […] Wenn man Ihnen einmal die materialistische These vorausgibt, so finde ich die Schlacht, die Sie zur Rettung der Metaphysik geliefert haben, bewunderungswürdig. Natürlich haben Sie bei solcher materialistischen Ausgangsstellung den Vorteil, die Sachhaltigkeit der metaphysischen Untersuchungen, weil sie von vornherein in den Gegenständen stecken muß, auch herausbringen zu können. Ob Ihre Grundthese nun eigentlich wirklich in einem andern als nominellen Sinne (als ›antiidealistische‹ These) als materialistisch bezeichnet werden darf, ist mir nicht sicher und gewiß nicht evident. […] Ihr eigenes Problem sehe ich so: gibt es eine Möglichkeit, auch nachdem die Klassenkampftheorie in unserer eigenen Geschichtsperiode […] grade in der Anwendung und aus der Anwendung heraus durchaus explodiert worden ist und sich als philosophisch nicht mehr relevant erwiesen hat, wenn es darum geht, unsere wirkliche Erfahrung zu begründen – kann es dann dennoch möglich sein, die Kategorien dieser Theorie anzuwenden, nachdem ihr angeblicher historischer Träger versagt hat?« (Gershom Scholem an Adorno, . März , ABB, Bd. , S.  f.)

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gesagt: zur Theologie, zu verbürgen scheint, die Sie mit Recht als das zentrale Motiv erkannt haben. Was die Klassenkampftheorie anlangt, so ist die kein Glaubensartikel. Vollends nicht die an sie anknüpfende Vulgärmetaphysik des Proletariats, das ganz gewiß nicht als Träger des Weltgeistes sich bewährte. Damit entfällt jene Orientierung des Materialismus an dem, was im Osten geschah, die aus schlecht philosophischen Gründen, nämlich weil man doch etwas haben muß, woran man sich halten kann, immer noch supponiert wird. Ich meine also einen Materialismus gegen den offiziellen, ketzerisch ganz und gar.«58 Diese Äußerungen Adornos führen direkt zum Zusammenhang von Philosophie und Soziologie, genauer zur Abkunft dieser von jener. In seiner Vorlesung eben über »Philosophie und Soziologie« bemerkt Adorno, »daß von Schein nur die Rede sein kann, wenn es dem Schein gegenüber auch ein Nicht-Scheinhaftes, ein Wahres gibt. Und dieser Begriff der Wahrheit setzt natürlich seinerseits voraus, daß man in der Analyse des Scheins selber auf das stößt, was etwas anderes ist als Schein, und nicht etwa, daß man dogmatisch mit einer bloß zuweisenden Gebärde sagt: ›Na ja, Unterbau gleich Wahrheit, Überbau ist gleich Ideologie‹, denn diese Unterscheidung selber, als eine Unterscheidung von wahr und falsch, setzt ja bereits einen Wahrheitsbegriff voraus, der in dieser Unterscheidung sich nicht erschöpft. Sie können nur dann sagen, daß Unterbau wahr und Überbau falsch sei, wenn Sie dabei über einen Begriff von Wahrheit verfügen oder, besser gesagt, wenn Sie dabei einen Begriff von Wahrheit entwickeln, an dem Sie unterscheiden können, was nun wahr und was nun falsch ist.«59 ) Kritische Theorie ist motiviert vom Interesse an einer menschenwürdigen Gesellschaft, insofern praktisch. Aber sie ist nicht nach Praxis als einem thema probandum zu messen; Objektivität der Wahrheit, Vernunft sind ihr verbindlich. Sie 58

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Adorno an Scholem, . März , ABB, Bd. , S.  f. – Adorno hat sich in der Negativen Dialektik mit dem Satz »Wahr sind nur die Gedanken, die sich selber nicht verstehen« (Adorno, Negative Dialektik, AGS, Bd. , S.  f.) selbst zitiert, nämlich nach dem entsprechenden Aphorismus aus den Minima Moralia (ders., Minima Moralia, AGS, Bd. , S. ). In einer Passage, die später aus diesem Buch ausgeschieden wurde, formulierte Adorno, Erkenntnis schöpfe »aus keinem Vorrat. Jeder Gedanke ist ein Kraftfeld, und wie vom Wahrheitsgehalt des Urteils dessen Vollzug nicht sich abtrennen läßt, so sind wahr überhaupt nur Gedanken, die über die eigene These hinausdrängen.« (Ebd., S. ). Ders., Vorlesung über Negative Dialektik, ANS, Bd. IV., S.  f.

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hypostasiert nicht eine Einheit von Theorie und Praxis, die unter der gegenwärtigen Gesellschaft gar nicht möglich ist. Zwischen Theorie und Praxis herrscht kein Kontinuum. Adorno wendet sich gegen die marxistische »Voraussetzung einer Einheit von Theorie und Praxis«60, die noch auf Hegel datiert – »Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig«61 – sowie gegen die Konzeption »eines sich szientisch gebärdenden Materialismus«62, der die Philosophie glaubt überwinden zu können, indem er, selbst idealistisch, meint, als Totalität die Welt zu erkennen. Bereits Adornos akademische Antrittsrede von  – ihr Titel, »Die Aktualität der Philosophie«, deutet die Erwiderung auf Marx‘ Schrift »Das Elend der Philosophie« an – beginnt mit den Worten: »Wer heute philosophische Arbeit als Beruf wählt, muß von Anbeginn auf die Illusion verzichten, mit der früher die philosophischen Entwürfe einsetzten: daß es möglich sei, in Kraft des Denkens die Totalität des Wirklichen zu ergreifen.«63 Dementsprechend vollkommen zu Recht bemerkt ihr Herausgeber Rolf Tiedemann, schon diese Rede belege »den vollzogenen Übergang der Adornoschen Philosophie vom transzendentalen Idealismus zum Materialismus; in Wahrheit den Beginn der Adornoschen Philosophie.«64 Adorno kommt in dieser letzten These auf jene für die Kritische Theorie so zentrale Einsicht zurück, die er in dem oben zitierten Brief an Alfred SohnRethel bereits formuliert hat: »Es gibt kein Kontinuum – keine Identität von Theorie und Praxis. Diese ist, in gewissem Sinn, bescheidener als die Philosophie; und Philosophie wiederum geht nicht in Marxismus auf.« Die Idee eines solchen Kontinuums ist ihrerseits idealistisch, weil sie ein gemeinsames Medium als Absolutum voraussetzt, das Theorie und Praxis vermittelte: eine wie immer geartete Vernunft, die als Gesamtsubjekt das Allgemeine und das Besondere real versöhnte, indem jedes Moment »seine Funktion im Ganzen hätte und von diesem Sinn empfinge«65. Erst in dieser Vermittlung realisierte sich die utopische Vorstellung eines »Glücks der Menschheit, welches das der Einzelnen wä60 61 62 63 64 65

Matthias Lutz-Bachmann , »Materialismus und Materialismuskritik bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno«, S. . Hegel (): Grundlinien der Philosophie des Rechts …, S. . Lutz-Bachmann , »Materialismus …«, S. . Adorno, »Die Aktualität der Philosophie«, AGS, Bd. , S. . Tiedemann , »Editorische Nachbemerkung«, S. . Adorno, »Einleitung zum ›Positivismusstreit …‹«, AGS, S. , S. .

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re«66. Von der Praxis ist diese Vermittlungsleistung nicht länger zu erwarten, denn während »die Einheit von Theorie und Praxis gefordert wird, ist man allzu praktisch geworden«67, ohne auf Vernunft und Wahrheit, die unterdessen zum Spielplatz realitätsferner Intellektueller verkamen, noch allzuviel zu geben. »Der introvertierte Gedankenarchitekt wohnt hinter dem Mond, den die extrovertierten Techniker beschlagnahmten.«68 Wie für den realen Materialismus der realen Verhältnisse als Instanz einer blinden Praxis, die die Individuen ans Materielle fesselt, gilt für die Praxis selbst, daß ihr »Ziel […] ihre eigene Abschaffung«69 wäre. Daß es so weitergeht, ist die Katastrophe; nachdem jene Katastrophe aber, von deren Ausmaß und Konsequenz Benjamin nichts hat ahnen können, eintrat – als zugleich nackte und rationale Gewalt unter den Insignien von Machbarkeitswahn und Arbeitsethos –, ist die Perpetuierung des Katastrophischen heute so gewöhnlich wie die Feststellung, daß die Welt davon auch nicht untergegangen ist. Sondern stramm weiterwurschtelt. Damit wäre materialistischer Praxis, Reflex auf die Materialität der Welt, selbst eine Grenze gezogen. Weil jene Praxis, die die Welt erst zu dem gemacht hat, was sie ist, nicht Maßstab einer Theorie sein kann, der sich diese Welt als falsch darstellt, eine »verändernde Praxis« aber »auf unabsehbare Zeit vertagt«70 ist, ist Kritik auf Theorie zurückverwiesen. Theorie hingegen, die sich gegen die wie immer blinde Praxis ihrerseits blind machte, beförderte »das Identitätsbewußtsein des Geistes, der repressiv sein Anderes sich gleichmacht. Wäre Spekulation über den Stand der Versöhnung erlaubt, so ließe in ihm weder die ununterschiedene Einheit von Subjekt und Objekt noch ihre feindselige Antithetik sich vorstellen; eher die Kommunikation des Unterschiedenen. Dann erst käme der Begriff von Kommunikation, als objektiver, an seine Stelle.«71 Und nicht etwa vorab in einer Theorie ihres Handelns, die kontrafaktisch eine Entkoppelung von System und Lebenswelt unterstellt, so als ließe sich das Individuum von seinem Leib trennen, um schließlich zur schmählichen Versicherung überzugehen, daß sich über die Einrichtung der Welt doch weiterhin diskutieren lasse. »Während Marx aus der Misere der Philosophie die Folgerung zog, an deren Stelle die Historie einzuset66 67 68 69 70 71

Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Ders., Minima Moralia, AGS, Bd. , S. . Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Ders., »Marginalien zu Theorie und Praxis«, AGS, Bd. ., S. . Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Ders., »Zu Subjekt und Objekt«, AGS, Bd. ., S. .

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zen, bestand für Adorno, der in einer veränderten historischen Situation an Philosophie festhielt, das ›Elend der Philosophie‹ […] in dem objektiven Zwang, der das Denken an die diskursive Sphäre bindet, der sie sich doch entwinden muß, wenn sie im Ernst materialistisch werden will«72.

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Tiedemann (), »Anmerkungen des Herausgebers«, S. . – Tiedemann bezieht sich hier auf Marx‹ Schrift Das Elend der Philosophie. Antwort auf Proudhons »Philosophie des Elends«, die  zuerst unter dem Titel Misère de la philosophie. Résponse à la Philosophie de la misère de M. Proudhon erschien; vgl. MEW, Bd. , S.  ff.

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Die Erfahrung der Gesellschaft. Grundsätzliches zur philosophischen Erkenntnis

Sicher ist aber, daß alle Stoffpartikel, die ich verwende, alle Sachverhalte, die ich darstelle, aus der Realität stammen und auf die Realität gerichtet sind. Ich verarbeite Erfahrungen, die ich in dieser Gesellschaft gemacht habe, und ich lege sie gegen diese Gesellschaft, die an ihren Konventionen fett geworden ist, an; aber natürlich weiß ich, daß sie sich von Büchern kaum aus ihren Gewohnheiten aufscheuchen läßt. R W, M V

Seit Bacon im frühen . Jahrhundert verschiedene Arten von Erfahrung ausmachte, sie typologisierte und systematisch als Instrument der Wissenschaft untersuchte, wird gemeinhin spontane von herbeigeführter und subjektive-errative von objektiv-verallgemeinerbarer Erkenntnis unterschieden.1 Diese Zuteilung setzt bereits das gesamte Feld von Objektivität und Wahrheit gleich Wissenschaftlichkeit. Ohne dem Begriff Zwang anzutun, lassen sich zwei weitere Kategorien der Erfahrung ausmachen, die einander entgegenstehen: zum einen die phylogenetische Erfahrung, die die menschliche Gattung oder doch Teile derselben im Laufe ihrer Geschichte machen und die kulturell, durch Tradition und Didaxe von Generation zu Generation übermittelt wird; zum anderen die ontogenetische Erfahrung, die jedes Subjekt für sich macht und die gerade nicht didaktisch vermittelt werden kann, soll sie denn nicht angedreht, sondern wirklich so unreglementiert sein, wie es der emphatische Begriff der Erfahrung bereits voraussetzt. Wenn etwa von der »Erfahrung des Totalitarismus«2 die Re-

1 2

Vgl. etwa Dieter Wittich , »Erfahrung«, Sp.  f. Vgl. Demirović , »Die Erfahrung des Totalitarismus und die Realpolitik der Vernunft. Aspekte der Aktualität der Kritischen Theorie«.

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de ist, die ihre Wirkung als Lehre auch dann noch entfalten soll, wenn die totalitäre Herrschaft außer Kurs gesetzt ist, so wird jene erstere Art von Erfahrung benannt, während, wenn Adorno von der »Erfahrung der blind herrschenden Totalität«3 spricht, die die Einzelnen nur jeweils aktuell und aufs neue machen können, die zweite gemeint ist. Wohl gibt es die Möglichkeit, Selbsterfahrenes anderen erfahrbar zu machen,4 und Adorno ging es als akademischem Lehrer stets darum, Philosophie vor ihrer voreiligen Assimilierung mit den Wissenschaften5 zu retten. »Wie kein anderer Lehrer machte Adorno das ›Mehr am Subjekt‹ vor, ohne das es […] keine adäquate ›Stellung zum Objekt‹ gebe. Er ermutigte uns, zur eigenen ›idiosynkratrischen‹, ›ungedeckten‹, ›fehlbaren‹ Erfahrung zu stehen«6. Auf diese Weise erhellt sich der Satz Adornos: »Wahr sind nur die Gedanken, die sich selber nicht verstehen.«7 Er handelt davon, die Immanenz des Denkens mit einem ihm Neuen zu übersteigen, ohne daß sich Denken gleich als richterliche Instanz seiner selbst begrenzt. Ein Medium – neben der Kunst –, diese Gedanken zu entäußern, ist die Sprache. Sie ist nicht lediglich dazu da, eine möglichst widerspruchsfreie Theorie zu schmieden, sondern sie ist zugleich, gegen das Moment »der Stringenz, des objektiven Zwangs im Gedanken«8, immanentes »Ausdrucksmoment der Philosophie: sagen, was einem aufgeht.«9 Wenn vorgeblich darüber geschwiegen werden muß, wovon man nicht sprechen kann, so ist das kaum die halbe Wahrheit. »Die Wittgensteinsche Formulierung dichtet ihren Horizont dagegen ab, das vermittelt, komplex, in Konstellationen auszusprechen, was klar, unmittelbar nicht sich aussprechen

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5 6 7 8 9

Adorno, »Einleitung zum ›Positivismusstreit …‹«, AGS, Bd. , S. . Über die Literaturrezeption im gegenwärtigen Deutschunterricht sagt Rolf Tiedemann: »Nirgend anders als in der Durchdringung der Zellen, im insistenten Hinblick auf das Besondere, dem mikrologischen Eingehen auf die künstlerische Konkretion kann Kunst überhaupt erfahren werden; allererst ihre Erkenntnis fällt mir ihrer vollen Erfahrung zusammen. Von dieser elementarsten Einsicht aller – keineswegs nur der neueren – Ästhetik scheinen die Pädagogen des Deutschunterrichts schlechterdings ausgeschlossen.« (Tiedemann , Niemandsland. Studien mit und über Theodor W. Adorno, S.  f.) Vgl. Adorno, Zur Metakritik der Erkenntnistheorie, AGS, Bd. , S. . Irving Wohlfarth , »Unterwegs zu Adorno, unterwegs zu sich«, S. . Adorno, Minima Moralia, AGS, Bd. , S. . Ders., »Der wunderliche Realist. Über Siegfried Kracauer«, AGS, Bd. , S. . Ebd.

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läßt.«10 Die Formel benennt womöglich ein Problem, ist aber nicht schon selbst dessen Lösung. Erfahrung gebietet, gerade dann zum Ausdruck gebracht zu werden, wenn sie sich nicht als zugerichtete nahtlos dem längst Gewußten einfügt. Sofern sich alle Probleme, der analytischen Philosophie gemäß, als solche der Sprache darstellen, steht Sprache selbst zur Disposition – wenngleich anders, als es sich Positivismus und Empirismus träumen ließen. Denn wenn die geschichtliche Kontinuität, für die die philosophischen Probleme stehen,11 mit dem Hinweis gekappt wird, aus dem sprachlichen Gefüge der jeweiligen Frage gehe hervor, sie sei je schon falsch gestellt, dann spricht das dafür, daß jene Sprache so lange von möglicher Erfahrung bereinigt wurde, bis sie nicht einmal mehr semantisch adäquat formulieren kann, daß es so einfach nun auch wieder nicht ist. Dem ist jedoch nicht mit analytischer Philosophie beizukommen, sondern mit der Kritik an den Zuständen, die die Sprache so gemodelt haben, daß es so scheint, als sei jene Philosophie ihr adäquates Erkenntnismedium. Entsprechend entdeckt Adorno in der analytischen Philosophie »eine neue Gestalt des Obskurantismus«: »Diffamierung jeden wirklichen Denkens als unwissenschaftliche, die Hypostasis der wissenschaftlichen Methoden in einer etablierten Form anstelle jeder Sache, auf die es in der Philosophie überhaupt ankommt; mit anderen Worten, ein Abkürzungsweg in die Barbarei.«12 Womöglich gibt es tatsächlich keine befriedigende Antwort auf die Frage nach dem richtigen Leben: »Die Frage ist, ob der Begriff des richtigen Lebens, der der Philosophie tradiert ist und an dem sie festhalten muß, wenn sie nicht zu einem bloßen Spiel mit sich selbst werden will, noch denkbar ist, jedenfalls in der alten Gestalt. […] Ich würde sagen, daß in einer Gesamtverfassung des Daseins, in der wegen der immer durchsichtiger werdenden objektiven Verstrickungen die Möglichkeit eines richtigen Lebens eigentlich nicht mehr anzustreben ist, der alte Begriff der Philosophie als einer Anweisung zum richtigen

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Ders., »Einleitung zum ›Positivismusstreit …‹«, AGS, Bd. , S. . »Die Geschichte der Philosophie ist eben im Unterschied zu der Geschichte anderer fachwissenschaftlicher Disziplinen nicht einfach die eines Fortschritts im Sinn der eindeutigen Lösung von Problemen; die Philosophie löst zwar Probleme, aber indem sie Probleme löst, wirft sie diese weg und vergißt sie und setzt andere an ihre Stelle, in denen jene wieder hervorkommen.« (Ders. , Philosophische Terminologie. Band , S. .) Ders. an Hans Magnus Enzensberger, . September , Braunstein , »Anmerkungen des Herausgebers«, S. .

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[…] Leben nicht mehr ohne weiteres möglich ist.«13 Erfahrung im emphatischen Sinne ist der Stachel wider jeglichen Positivismus und zieht zugleich die Demarkationslinie zwischen einem unbelebten Empirismus und dem, was gegebenenfalls noch ›Leben‹ heißen kann. Wer aber darauf hinweist, die Frage nach dem richtigen Leben sei bereits falsch gestellt und jeder Versuch, sie dennoch zu beantworten, führe folgerichtig in die Irre, darf sich nicht darüber wundern, wenn Philosophen nur mehr als realitätsferne Käuze gelten, die sich und ihresgleichen bloß jene Fragen beantworten, deren Zulässigkeit sie selbst zuvor geprüft haben. »Wissenschaftstheoretiker berufen sich gegen Gesellschaftstheoretiker etwa auf Kant, aber Kant wußte vom ›unhintertreiblichen‹ Fragebedürfnis der menschlichen Vernunft und stellte selbst unter anderem die Frage: ›Was sollen wir tun?‹. Er würde höchst erstaunt sein, wenn ihm bedeutet würde, daß seine eigene Antwort auf diese Frage nicht als wissenschaftlich angesehen werden könnte.«14 Nicht nur explizit, sondern auch implizit: als allgegenwärtige Denkform herrscht ein Positivismus vor, der, was er selbst nicht ist, hausbacken als Idealismus oder nach alter Väter Sitte als Metaphysik abtut, als seien diese per se Irrlehren des Obskuren. Die aufgesetzte Polemik, mit der dies zu geschehen pflegt, die schlechte Sprache, mit welcher der ausgemachten Gegenseite ihre gefällige vorgeworfen wird, sind Anzeichen einer Abschottung von der Welt. Das Kreisen um sich selbst, das nur gelten läßt, was plausibel ist, indiziert die Erfahrungsarmut. Zwanghaft autoritär wird der bedachte Ausdruck noch ebenso zum Vorwurf gemacht wie eine kluge Anordnung von Zitaten, so als sei dies nicht Resultat von Verantwortlichkeit, sondern eines unausgesprochenen Manipulationswillens. Die kaum schreiben können, gewiß nicht schreiben wollen, halten sich auf ihre Beschränktheit zugute, sie überzeugten nicht mit sprachlichen Spielchen, sondern mit einem Inhalt, von dem jeder immerhin wisse, was gemeint sei. Daß aber Sprache kein Spiel und Überzeugen nicht ihr 13 14

Vgl. Adorno , Philosophische Terminologie. Zur Einleitung. Band , S. . Bernard Willms , »Theorie, Kritik und Dialektik«, S. . – In der Kritik der reinen Vernunft heißt es: »Es gibt also eine natürliche und unvermeidliche Dialektik der reinen Vernunft, nicht eine, in die sich etwa ein Stümper, durch Mangel an Kenntnissen, selbst verwickelt, oder die irgend ein Sophist, um vernünftige Leute zu verwirren, künstlich ersonnen hat, sondern die der menschlichen Vernunft unhintertreiblich anhängt, und selbst, nachdem wir ihr Blendwerk aufgedeckt haben, dennoch nicht aufhören wird, ihr vorzugaukeln, und sie unablässig in augenblickliche Verirrungen zu stoßen, die jederzeit gehoben zu werden bedürfen.« (Immanuel Kant , Kritik der reinen Vernunft, S.  [B  f.; A ].)

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Sinn ist, verkennen Positivismus wie analytische Philosophie gleichermaßen. Die Behauptung Adornos, das lax Gesagte sei schlecht gedacht,15 trifft zu bei Sprechweisen, denen der korrekte Ausdruck systematisch versagt ist; etwa beim Akademismus, der seinen Stil – der keiner ist, weil er keine Variation kennt – auf jeden Inhalt klatscht.16 Das Resultat sind nicht lediglich Schlampereien, die noch Karl Kraus zur Verzweiflung getrieben hätten, sondern darüber hinaus Metaphern, an denen er die Verkommenheit der Welt bündig abgelesen hätte. Während sich die analytische Philosophie eine universelle Wissenschaftssprache konstruiert, um Scheinprobleme der Philosophie insgesamt auszumerzen, wird die wirkliche Welt, die dem Eingriff der Philosophie längst entglitten ist, unterdessen zur Phrase. Da er nicht der Form nachprüfbarer und diskursfähiger Theorie genügt, fällt auch der Essay, von Adorno für seine »Affinität zur offenen geistigen Erfahrung«17 gerühmt, aus dem Kanon der Wissenschaftsliteratur, die freilich auch dementsprechend aussieht. Unbeirrt von ihren Gegenständen und den jeweils aus ihnen sich ergebenden Darstellungsproblemen, ist nicht nur den akademischen Pflichtübungen von Seminararbeiten bis hin zu Habilitationen die Leidenschaftslosigkeit anzumerken, die die Autoren achselzuckend an die Leser hinunterreichen, so als sei Lustfeindschaft die erste Bedingung haltbarer Erkenntnis. Der gängige Jargon, zusammengeschraubt aus Terminologie und Phrase, ist – der kapitalistischen Produktionsweise angemessen –, Ausdrucksmittel einer resignativen bürgerlichen Kälte,18 die dem eigenen Ge15 16 17 18

Vgl. Adorno, Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Diese Metapher ist, zugegeben, ihrerseits nicht ganz sauber. Ders., »Der Essay als Form«, AGS, Bd. , S. . Innerhalb einiger »Notizen zur neuen Anthropologie« bemerkt Adorno: »Vielleicht ist die Kälte des neuen Typus und die ganze Neue Sachlichkeit eigentlich das nur verkleidete und verdeckte Urgestein der bürgerlichen Klasse selber. Im Grunde läßt die kapitalistische Produktionsweise ihrem reinen Sinn nach die Erfahrung überhaupt nicht zu, und die ganze bürgerliche Kultur ist eine Anstrengung, darüber zu betrügen. Vielleicht ist der Don Quixote schon der Ausdruck der Unmöglichkeit der Erfahrung. Das Neue heute ist auch anthropologisch das bürgerlich Alte. Das ist natürlich alles nur halbwahr, denn es gibt selbstverständlich einen bürgerlichen Erfahrungsbegriff auch mit den Elementen der Tradition, wie er z.B. bei Goethe und Schopenhauer vorliegt. Trotzdem ist mit der ganzen bürgerlichen Klasse etwas gestört in Bezug auf die Erfahrung. Vielleicht ist es dies, daß anstelle des Tradierbaren bei den Bürgern die Weisheit des ›immer dasselbe‹ tritt. Der Kern ihrer Erfahrung lautet: daß es nichts Neues geben kann. Das Neue ist aber der einzige Gegenstand der Erfahrung. […] Die Individuen sind für sich und andere

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dachten, der Sprache und dem Inhalt eigener Texte kaum noch ein Interesse entgegenzubringen vermag. Von keiner Erfahrung berührt, füllt auch der wohltemperierte Nachwuchs unemphatisch seine Publikationslisten mit entindividualisierter Prosa, als ob jeder noch so verdünnte Erfahrungsgehalt nicht in die Theorie, sondern allenfalls in jene Biographien zu fließen habe, die sich einseitig dem Menschen hinter der Theorie nähern wollen – und gerade damit die Theorien auf schlecht naive Weise von ihren Produzenten trennen. Objektive Erkenntnis hingegen wäre die Erkenntnis der Objektivität. Sie ist aber nur Individuen möglich, die sich ihrer individuellen Erfahrung nicht vorweg aus Gründen der vermeinten wissenschaftlichen Reinheit begeben, um ihr weiteres Dasein in einer Dichotomie von Wissenschaftler einerseits und Privatperson andererseits zu fristen. »Bei vielen Menschen ist es bereits eine Unverschämtheit, wenn sie Ich sagen.«19 Dieser Satz, der Adorno billig den Vorwurf des Elitären eingebracht hat, bezieht sich auf die Tatsache, daß sich das Selbst, das erst zu Recht »ich« sagen könnte, eigener Erfahrung zu seiner Genese bedarf. Sie ist es, die Individuen erst individuiert: das Jeweilige des jeweiligen Einzelnen; niemand kann für sich erfahren lassen. Wer jedoch mit Erfahrungen anderer als Surrogat für die eigenen abgespeist wird – seitens der Eltern, Lehrer, der Kulturindustrie –, ohne sich derweil seiner selbst vergewissern zu können, wird schwerlich zu jenem Ich gelangen, das ihn von den anderen unterscheiden könnte oder überhaupt erst wollte. Will Philosophie ihrer Aufgabe nachkommen, das, »worauf es ankäme, auszusprechen«20, so heißt sagen, was einem aufgeht, zugleich sagen, was sich unmittelbar nicht kommunizieren läßt. »Zu widerstehen ist der fast universalen Nötigung, die Kommunikation des Erkannten mit diesem zu verwechseln und womöglich höher zu stellen, während gegenwärtig jeder Schritt zur Kommunikation hin die Wahrheit ausverkauft und verfälscht. An dieser Paradoxie labo-

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auswechselbar wie Glieder von Serienversuchen. Die Grausamkeit, das Vor-nichtsZurückschrecken, auch sich selber gegenüber nicht, hängt damit aufs engste zusammen. Sehen, wie sich ein Mensch unter den und den Bedingungen verhält, z.B. wenn man ihn kastriert, ermordet oder auch, wie man dann selber reagiert. Der neue Typus ist inhaltlich das geworden, was er früher nur methodologisch war: das Subjekt der Naturwissenschaften. Freilich auch das Objekt.« (Ders. , »Individuum und Gesellschaft. Entwürfe und Skizzen«, S. .) Ders., Minima Moralia, AGS, Bd. , S. . Ders. , »Graeculus (II)«, S..

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riert mittlerweile alles Sprachliche. Wahrheit ist objektiv und nicht plausibel.«21 Sollte das Sprechen lediglich Vermittlung sein, dann müßte es zugleich so sein, daß, was einem aufgeht, auch anderen aufgehen kann. Wie aber das Denken nur ohne Rücksicht auf seine Plausibilität und Kommunizierbarkeit zur Wahrheit gelangen kann, so kann sich auch Sprache, »Organon des Denkens«, wenn sie Wahrheit mitteilen will, nicht vorab von der Frage irremachen lassen, ob das Gesagte denn auch adäquat verstanden werde. Wenn die Inhaltsleere postmoderner Theorien, die die gesellschaftlich vorgeordnete Vereinzelung als Sieg der Partikularität feiern und der Philosophie gutgelaunt ihre allein gültige Wahrheit entgegensetzen, daß es keine allein gültige Wahrheit mehr gebe, einen Schluß zuläßt, dann den, daß Wahrheit offenkundig kein Konstruiertes ist, das sich, wenn man nur mal drüber spricht, von Fall zu Fall schon einstellen wird. Ebensowenig läßt sich von einzelner Erfahrung unmittelbar zur Wahrheit gelangen: »Der Begriff der Erfahrung hat in den Schulen, die ihn emphatisch gebrauchen, der Tradition Humes, den Charakter von Unmittelbarkeit selbst zum Kriterium, und zwar von Unmittelbarkeit zum Subjekt. Erfahrung soll heißen, was unmittelbar da, unmittelbar gegeben, gleichsam rein von der Zutat des Gedankens und darum untrüglich sei. Diesen Begriff der Unmittelbarkeit aber, und damit den verbreiteten von Erfahrung, fordert die Hegelsche Philosophie heraus.«22 Und mit ihm Adorno, der allerdings, anti-idealistisch, die Vermittlung weniger mit dem Geist beschwört, sondern die subjektive Erfahrung selbst als eine Kategorie der Gesellschaft begreift, mit der noch die Genese des Geistes vermittelt ist. Unreglementierte Erfahrungen zu machen heißt auch, die ureigensten Sensationen als Ausdruck internalisierter Gesellschaft zu begreifen. Dem Verdikt, die Erfahrung eines Einzelnen sei eben subjektiv, geschichtlich und kontingent, hält Adorno die Notwendigkeit entgegen, »ungeschmälert, ohne Mentalreservat zu erfahren, wovor die ausweichen, die sich die Maxime nicht rauben lassen wollen, es müsse nun einmal bei aller Philosophie etwas Positives herausschauen. Das Rimbaudsche ›Il faut être absolument moderne‹ ist kein ästhetisches Programm und keines für Ästheten, sondern ein kategorischer Imperativ der Philosophie. Der geschichtlichen Tendenz verfällt erst recht, was mit ihr nichts zu schaffen haben möchte.«23 Gerade das Subjektive und das Geschichtliche an der Erfahrung ermöglichen es ihr, mehr zu sein als entweder 21 22 23

Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S.  f. Ders., »Erfahrungsgehalt«, AGS, Bd. , S. . Ders., »Wozu noch Philosophie«, AGS, Bd. ., S. .

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schlechte Innerlichkeit im engen gotischen Zimmer oder aber Funktion einer Theorie, die bloß eins zu eins die Fakten abzubilden wünscht: »Eigentlich denkt der Denkende gar nicht, sondern macht sich zum Schauplatz geistiger Erfahrung, ohne sie aufzudröseln.«24 Dies heißt aber nicht, daß es nach Adorno »[a]uf einem solchen Schauplatz […] kein Subjekt mehr«25 gäbe, sondern gerade in dieser Tätigkeit des Denkenden, »sich zum Schauplatz geistiger Erfahrung« zu machen, liegt die genuine Fähigkeit des Subjekts, Objektivität zu rezipieren. »In schroffem Gegensatz zum üblichen Wissenschaftsideal bedarf die Objektivität dialektischer Erkenntnis nicht eines Weniger sondern eines Mehr an Subjekt. Sonst verkümmert philosophische Erfahrung.«26 Es ist eben nicht, wie manche meinen, die Adorno dem Heidegger annähern wollen, das Denken, das bei Adorno denkt; es tritt nicht das »Subjekt […] hinter das Sein (in diesem Fall hinter das Sein der Sprache) zurück«27, sondern »das schrankenlose, bis zur Selbstpreisgabe gesteigerte Aufgeschlossensein für Erfahrung«28 meint eine Dialektik geistiger Erfahrung, welche sich sowenig aus sich selbst speisen kann, wie Sprache eine ontologische Dignität unabhängig von den Individuen für sich beanspruchen kann: »Es ist, als ständen die Menschen unter einem geistigen Bann. Unfreiheit und Autoritätsglaube, wäre es auch bloß der an die Autorität dessen, was nun einmal ist, sind ins allgemeine Bewußtsein eingewandert. Niemand traut sich so recht an das Drängende, Brennende heran, von dem in Wahrheit doch alle wissen. Fast empfindet man den Gedanken, der über den Umkreis des Bestehenden und Approbierten hinausgeht, als Frevel. Da hält man sich denn lieber an den verfügbaren Vorrat, diskutiert, was einem zufällig in den Weg kommt, als wäre es gottgewollt, und freut sich im übrigen der Schärfe und Beweglichkeit des eigenen Geistes, ohne Rücksicht darauf, woran er sich wendet. Oftmals kann ich mich in all der Erregtheit und Bewegtheit des Eindrucks eines Schattenhaften, Unwirklichen nicht erwehren, eines Spieles des Geistes mit sich selber, der Gefahr von Sterilität. Offenbar will es dem Geist nur dann recht gelingen, wenn er sich nicht selber als seine eigene Erfüllung setzt, sondern bereit ist, an ein Anderes, außer ihm Seiendes sich zu verlieren: für allen Geist gilt das ›Wirf weg, damit du gewinnst!‹«29 24 25 26 27 28 29

Ders., »Der Essay als Form«, AGS, Bd. , S. . Peter Kalkowski , Adornos Erfahrung. Zur Kritik der kritischen Theorie, S. . Adorno, Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Ebd. Ders., Minima Moralia, AGS, Bd. , S. . Ders., »Die auferstandene Kultur«, AGS, Bd. ., S. .

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Die Wahrheit einer Theorie hängt nicht davon ab, daß diese sich selbst objektiviert. Im Gegenteil ermöglicht erst die Vermitteltheit von Theorie mit der Geschichtlichkeit des theoretisierenden Subjekts das Erkennen von Wahrheit, die ihrerseits nur historisch gedacht werden kann. Nichts anderes meint die vielberufene Rede Benjamins vom »Zeitkern« der Wahrheit, »welcher im Erkannten und Erkennenden zugleich steckt«30. Zu Recht wurde bereits bemerkt, jenes Wort benenne »den notwendigen Zusammenhang von Historizität und Wahrheitsgehalt. […] Der ›Zeitkern‹ vermittelt Subjekt und Objekt in ihrer Geschichtlichkeit und stiftet damit eine Konstellation, in der ›Wahrheit‹, die weder zeitlos noch relativ ist, überhaupt erst erscheinen kann.«31 Pointiert heißt dies, daß keine objektive Erkenntnis möglich ist, hinter der die erkennenden Subjekte verschwinden könnten, sondern daß es nur den individuierten Subjekten gegeben ist, objektive Erfahrungen zu machen; von einmal erkannter Objektivität läßt sich das Subjekt, welches erst erkannte, nicht einfach substrahieren, um so zu einer vermeinten reinen Objektivität zu gelangen: »[E]s zeigt uns unsere Erfahrung, daß unsere Erkenntnis sich keineswegs erschöpft in [der] Leistung der allgemeinen logischen Vernunft. Sondern es ist vielfach so, daß es ganze Schichten gibt, ganze Schichten der Erfahrung, die uns eigentlich nur zufallen gerade vermöge unserer Individuation, und durch unsere Individuation hindurch; daß es unendlich viele Bereiche gibt, in denen wir nur dann wirklich etwas wahrnehmen können, etwas erkennen können, wenn wir uns dabei als ganze Menschen, mit allem was wir an Erfahrung, an Trieb, an Regungen haben, in diese Erkenntnis selber einsetzen, anstatt daß wir von uns abstrahieren und uns zu […] allgemeinen Subjekten machen.«32 Erst das Subjekt, das sich der Objektivität überläßt, kann denkend jene Dialektik von Erfahrung und Verbindlichkeit zur Geltung bringen, die Adorno vorschwebt. »Erfahrung rangiert nicht über der Wirklichkeit, sondern wird im Wechselspiel von Subjekt und Gegenstand der Erfahrung erst realisiert. Was sie verbindet, ist nicht allein die Sprache der Menschen. Auch die Dinge sprechen die Subjekte an, alle ihre Sinne. Auf diese Dingsprache, auf die im Wirklichen schlummernden Prozesse ist das Subjekt angewiesen. Die Dinge wahr nehmen heißt, ihnen Hinweise

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Benjamin , Das Passagen-Werk, S. . Magnus Klaue , »Vom Geschmack zur Idiosynkrasie. Zum Wandel von Geschmacksurteil und ästhetischer Erfahrung in der Kulturindustrie«, S. , Fn. Adorno , Vorlesung zur Einleitung in die Erkenntnistheorie, S. ; vgl. Ute Guzzoni , Sieben Stücke zu Adorno, S. , Fn.

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darauf abzunehmen, wohin sie von sich aus tendieren.«33 Wenn dagegen etwa von oben herab – und ohne einen Nachweis, der auch schwerlich beizubringen ist – behauptet wird, »Adorno stellte die ›Erfahrungen einzelner‹ der Wissenschaft abstrakt entgegen«34, dann wird jene Dialektik offensichtlich kraß verkannt.35 Denn selbstverständlich stellt Adorno diese der Wissenschaft nicht »abstrakt entgegen«, sondern plädiert für eine Wissenschaft, die sich der Erfahrung gegenüber nicht abdichtet. Diese »Dialektik muß auf der einen Seite immer schon die Daten, mit denen sie es zu tun hat, an der Theorie messen, sie also nicht einfach naiv hinnehmen als das, als was sie sich selbst geben, sondern versuchen, sie durchsichtig zu machen auf jenes Ganze, das durch die Theorie vermittelt ist; sie muß aber auf der anderen Seite auch ebenso die Theorie offenhalten gegenüber den spezifischen Erfahrungen, an denen sie sich eigentlich nährt und denen gegenüber sie nun auch genausowenig etwas Festes und etwas Abschlußhaftes auszumachen hat.«36 Man will etwas, woran man sich halten kann. »Das Kriterium des Unbestreitbaren, eines Eigentums, das einem nicht soll entrissen werden können, rückt an die Stelle des Gewichts der Einsicht; ihre Mittel, eben die Methode wird zum Selbstzweck, gemäß einer gesellschaftlichen Gesamttendenz, die dem Für anderes, dem Tauschwert, den Primat über jegliches An sich, jeglichen Zweck verschafft. Trotz aller Bekenntnisse zur Empirie wird neuer, der Erfahrung entstammender Inhalt als Störenfried der Methode empfunden. Ihn wehrt man ab, indem man jene mit puritanischer Reinheitswut exekutiert: um keinen Preis darf etwas methodisch inkorrekt und darum potentiell falsch sein, wenngleich nichts Relevantes anders sich erkennen läßt als in einem Denken, das auch falsch sein könnte.«37 Positivität – soviel ist aktuell am letztlich unausgetragenen Positivismusstreit, der unterdessen kampflos zugunsten der Gegner Ador33 34 35

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Klaus Binder , »Von der Materialität der Schrift. Notizen bei der Lektüre Walter Benjamins«, S. . Christoph Henning , Philosophie nach Marx.  Jahre Marxrezeption und die normative Sozialphilosophie der Gegenwart in der Kritik, S. . Dialektik ist für Christoph Henning sicherheitshalber »eine Leerformel, hinter der sich ein spätidealistisches Denken verschanzte« (ebd.). Man darf vermuten, daß sich diese uninformierte These einer Theoriestrategie verdankt, die dem Betrieb nur das zufüttern will, was der auch widerstandslos zu schlucken bereit ist. Adorno, Einführung in die Dialektik, ANS, Bd. IV., S. . Ders., »Einleitung zu Emile Durkheim, ›Soziologie und Philosophie‹«, AGS, Bd. , S. .

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nos entschieden ist – ist stets noch der Kern einer wissenschaftlichen Erkenntnis, die sich nur dann als wahrheitsmächtig erachtet, wenn sie nachprüfbar und reproduzierbar ist. Sie gehorcht dem »keineswegs selbstverständliche[n] Bedürfnis nach absoluter geistiger Sekurität – denn warum eigentlich sollte das spielerische Glück des Geistes vom Risiko des Irrtums gemindert werden?«38 Dabei gerät die positivistische Verfahrensart in einen unausgesprochenen und einseitigen Subjektivismus: Ihre Resultate sollen jeweils von jedem Individuum nachvollzogen werden können; auf diese Weise würden dann objektive Erkenntnisse möglich: unvermittelt, als Gesamterkenntnis der Menschen, die schlecht naiv als Einzelne betrachtet werden, tauchen jene objektive Vernunft sowie jene Gesellschaft wieder auf, die bereits als nicht verifizierbar und also metaphysisch ad acta gelegt wurden. Konsequent wird die Forderung, sich dem zu öffnen, was die Phänomene »von sich aus zu sein beanspruchen«39, von jenem naiven und innerlichen Positivismus in die Sphäre der Innerlichkeit und des Naiven verbannt, um den Phänomenen ungehindert mitzuteilen, was gefälligst Sache sei. Gegen diesen Schematismus, der die Erfahrungen filtert und nur Approbiertes durchläßt, wendet sich Kritische Theorie, indem sie versucht, »ungedeckt in die Sache sich zu verlieren, wie es verlangt ist, wenn Erkenntnis mehr sein soll als der selbstgenügsame Leerlauf ihrer prästabilierten Apparatur.«40 Wenn es einen Fortschritt jener Menschheit geben soll, die noch gar keine ist, weil sie ihrem Begriff nicht entspricht, dann wird er durch die Erfahrung Einzelner möglich, die den Mythos durch Hinzufügen eines ihm anderen aufhöbe; damit, was ist, nicht alles bleibt. »Das Prinzip der Immanenz, der Erklärung jeden Geschehens als Wiederholung, das die Aufklärung wider die mythische Einbildungskraft vertritt, ist das des Mythos selber. Die trockene Weisheit, die nichts Neues unter der Sonne gelten läßt, weil die Steine des sinnlosen Spiels ausgespielt, die großen Gedanken alle schon gedacht, die möglichen Entdeckungen vorweg konstruierbar, die Menschen auf Selbsterhaltung durch Anpassung festgelegt seien – diese trockene Weisheit reproduziert bloß die phantastische, die sie verwirft; die Sanktion des Schicksals, das durch Vergeltung unablässig wieder herstellt, was je schon war. Was anders wäre, wird gleichgemacht. Das ist das Verdikt, das die Grenzen möglicher Erfahrung kritisch auf38 39 40

Ders., Zur Metakritik der Erkenntnistheorie, AGS, Bd. , S. . Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Ders., »Henkel, Krug und frühe Erfahrung«, AGS, Bd. , S. .

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richtet.«41 Die Erfahrung, die bis dato gemacht wurde, läßt sich im Medium etablierter Wissenschaftlichkeit gerade nicht ausdrücken; auch nicht in der Geschichtsschreibung. Daß sich, nochmals, Erfahrung zwecks ihrer Vermittlung also atheoretischer Medien bedienen muß – wie der Kunst, der Musik und der Literatur –, ist ihr, seit das Andere der Wissenschaft zur Spinnerei wurde, schlecht bekommen. Nachdem der Ausgang der Menschheit aus selbstverschuldeter Mündigkeit kaum noch auf der Tagesordnung steht und, wenn schon, dann nicht mehr von Aufklärung, sondern von Wissenschaft erhofft wird, macht sich die unreglementierte Erfahrung zum Gespött derer, denen die Rezeption von Kunst und Literatur Zeitverschwendung ist, weil sie sich nicht betrieblich verwenden läßt. Das Gegenstück zu solcher Ökonomisierung allen Handelns wäre eine Bildung, die sich ihrer Gegenstände nicht um des Bescheidwissens und Dabeiseins willen nähert. Allerdings, Bildung setzt Erfahrung voraus, die wiederum Bildung. Wer ohne sie an der sogenannten höheren Kultur teilnehmen will und erwartet, ihre Güter schenkten von sich aus so etwas wie ästhetische Erfahrung, wird sich schnell als Banause vor Werken wiederfinden, die ihm nichts sagen oder aber vor nichtssagenden Werken, die ihre Konsumenten bereits vorab als jene Banausen bedienen, zu denen die Ungebildeten gesellschaftlich gemodelt werden. Die Fähigkeit zu geistiger Erfahrung, nicht nur zu ästhetischer, bedarf der Muße. Wenngleich sie ihrem eigenen Begriff nach unökonomisch und dem Kalkül von Mittel und Zweck entgegengesetzt ist, werden der Erfahrung in der durch und durch ökonomisierten Gesellschaft ihre Grenzen nach Maßgabe von Zeit und Geld gesetzt: sie kostet. Dieses menschenunwürdige Privileg beim Namen zu nennen, wird Adorno gerne von denen vorgeworfen, die wohlgesinnt dekretieren, die Ungebildeten sollten sich halt mit der Erfahrung Ungebildeter bescheiden; ihnen mehr zuzumuten, setze die eigene Position absolut. »Während das Argument demokratisch sich gebärdet, ignoriert es, was die verwaltete Welt aus ihren Zwangsmitgliedern macht. Geistig können nur die dagegen an, die sie nicht ganz gemodelt hat. Kritik am Privileg wird zum Privileg: so dialektisch ist der Weltlauf. Fiktiv wäre es, zu unterstellen, unter gesellschaftlichen Bedingungen, zumal solchen der Bildung, welche die geistigen Produktivkräfte gängeln, zurechtstutzen, vielfach verkrüppeln; unter der vorwaltenden Bilderarmut und den von der Psychoanalyse diagnostizierten, keineswegs indessen real veränderten pathogenen Prozessen der frühen Kindheit könnten alle alles verstehen oder auch nur bemerken. Würde 41

Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, AGS, Bd. , S. .

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das erwartet, so richtete man die Erkenntnis nach den pathischen Zügen einer Menschheit ein, der die Möglichkeit, Erfahrungen zu machen, durchs Gesetz der Immergleichheit ausgetrieben wird, sofern sie sie überhaupt besaß. Die Konstruktion der Wahrheit nach Analogie einer volonté de tous – äußerste Konsequenz des subjektiven Vernunftbegriffs – betröge im Namen aller diese um das, dessen sie bedürfen.«42 Die bildungspolitische Bemerkung Adornos: »Man kann die Schule nur von der Gesellschaft her ändern, aber man muss die Gesellschaft von der Schule her ändern«43, spricht diesen Sachverhalt treffend aus. Daß sich die Kritische Theorie auf die verordnete Dichotomie von Erfahrungsgehalt und Theorie nicht einläßt, wird ihr als Manko angekreidet. So will Micheal Walzer ein »Beispiel schlechter Gesellschaftskritik«44 geben und bemüht dazu einen Passus aus einem Vortrag Horkheimers, »Bedrohungen der Freiheit«, von , in dem es heißt: »Das Überqueren der Straße war um  Angelegenheit der Person. Man schaute nach rechts und links, hörte auf den Hufschlag der Pferde und ging, nach eigenem Entschluß, langsam oder rasch, gerade oder schräg auf die andere Straßenseite. Heute blicken zwanzig, dreißig Augenpaare auf die Ampel oder auf den Schutzmann und gehorchen dem Befehl. Die Signale, denen die Autofahrer gehorchen, sind sehr viel mehr; sie verordnen nicht nur Stillstand und Bewegung, sondern Tempo, Fahrtrichtung. In großen Ländern ist die Form der Kurve abgebildet, in die man einbiegt, so daß der kleinen Zeichnung in den nächsten Sekunden einfach stattzugeben ist. Die Fußgänger sind eine Gruppe wie die Fahrer, und beide reagieren auf die Weisung, ohne die sie selber nicht zu denken wären.«45 Dies ist der Ausschnitt, den Walzer zitiert,46 und ohne weiteres läßt sich hier erkennen, worum es Horkheimer ging: Die Gegenüberstellung von alltäglichen Erfahrungen soll ein Beispiel für die fortschreitende Durchrationalisierung des Alltags der Menschen abgeben. Zu problematisieren wäre womöglich, ob die Einfachheit des Dargelegten nicht einem Kulturpessimismus das Wort redet, der sich auch mit der Reaktion darauf einigen kann, daß früher halt alles besser war, aber Walzer ha42 43 44 45 46

Adorno, Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Ders. et al. /, »Diskussion über Adornos ›Tabus über dem Lehrberuf‹«, S. . Michael Walzer , »Mut, Mitleid und ein gutes Auge. Tugenden der Sozialkritik und der Nutzen von Gesellschaftstheorie«, S. . Horkheimer, »Bedrohungen der Freiheit«, HGS, Bd. , S. . Vgl. Walzer , »Mut, Mitleid und ein gutes Auge«, S. .

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dert mit der wissenschaftlichen Redlichkeit des Vortrags selbst, wenn er sagt: »Diese Passage könnte, denke ich, das Resultat einer empirischen Studie sein, aber offensichtlich ist sie dies nicht. Es handelt sich eher um eine erdachte Szene, und sie ist nicht einmal sehr gut erdacht.«47 Noch eher allerdings handelt es sich um gar keine Szene, sondern um die Auskunft einer Erfahrung, wie sie jeder machen konnte, der sowohl um  als auch um  ohne weitere Hintergedanken die Straße überquerte. Die Blindheit, mit der auftrumpfend gesehen wird, daß das Beispiel Horkheimers gar nicht »einer empirischen Studie« entstammt, ist eine für die Wirklichkeit überhaupt. Wäre bloß wahr, was sich erst einer Studie entnehmen läßt, nicht aber das, was sich abseits experimenteller Anordnungen abspielt, wäre Erfahrung tatsächlich lediglich Zeugin der Unwahrheit. Da dies – wie auch einräumen wird, wer sich der Realität vorzugsweise mit Fragebögen nähert – offensichtlich nicht der Fall ist, läßt sich Theorie, auch eine erfahrungsgesättigte, selbst als Teil jener vermeintlichen Einzelsphäre ausmachen, die Bourdieu als »Küche der Empirie« bezeichnete, um Adorno vorwerfen zu können, er habe sich geweigert, in ihr »seine Hände zu beschmutzen«48. Empirie jedoch ist kein Ort, an dem schmackhafte Theorien zubereitet werden, sondern Theorie ist selbst in ihr zu verorten. Adornos Philosophie, die, wie er sagt, »auf der einen Seite es sich nicht anmaßt, der unendlichen Gegenstände mächtig zu sein, auf der anderen aber auch nicht sich selbst endlich macht, – eine solche Philosophie wäre soviel wie die volle, unreduzierte Erfahrung im Medium der begrifflichen Reflexion oder, wie man es wohl auch nennen darf, sie wäre soviel wie geistige Erfahrung. Indem ich hier den Erfahrungsbegriff gebrauche, merke ich an, daß die Wendung, die ich vollziehe oder zu der ich einige Beiträge leisten möchte, in einer etwas vertrackten Weise auch eine Rettung des Empirismus einschließt: das heißt, daß es sich hier ja immer prinzipiell um eine Erkenntnis von unten nach oben und nicht um eine von oben nach unten, um ein Sichüberlassen und nicht um ein Deduzieren handelt, – allerdings mit einem ganz anderen Charakter, einem ganz anderen Erkenntnisziel, als das in den empiristischen Richtungen der Fall ist. […] Ich würde sage, man müßte nur diesem Begriff der Geistigen Erfahrung« – wie er »den Denkern zwischen Fichte und Hegel« vorschwebte – »nach47 48

Ebd., S.  f. Bourdieu , Die feinen Unterschiede, S. . – Auf die, vor allem anderen bereits historische, Unhaltbarkeit dieser und der folgenden Annahmen Bourdieus soll hier nicht eigens eigegangen werden.

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gehen, ja, ich möchte beinahe sagen: man müßte nur das wirklich und in allem Ernst tun, was die Idealisten eigentlich immer nur ›angezeigt‹ haben […], um auf diese Weise aus der idealistischen Sphäre herauszukommen. Die Inhalte dieser Erfahrung – und auch das klingt ganz nominalistisch – sind also mit dem Erfahrungsbegriff, wie er sich gegen die Deduktion pointiert, identisch. Die Inhalte einer solchen Erfahrung sind keine Exempel für Kategorien, sondern sie werden gerade dadurch relevant, daß an ihnen jeweils ein Neues aufgeht, – während der Fehler des gesamten gängigen Empirismus, des gesamten gängigen Erfahrungsbegriffs mir der zu sein scheint, daß diese empiristische Philosophie als Erkenntnistheorie genau die Möglichkeit der Erfahrung eines Anderen, prinzipiell Neuen abschneidet durch ihre Spielregeln, auf die es in den heroischen Zeiten des Empirismus, in der überschwenglichen empiristischen Philosophie von Bacon etwa, einmal abgesehen gewesen ist.«49 Adorno will das Denken aus dem Bannkreis des Identitätsprinzips befreien, das nichts anderes als das je schon Bekannte zuläßt. Aber »Denken ist dem eigenen Sinn nach Denken von etwas«50, und erst Erfahrung gibt dem Denkenden jenes Etwas als Material. Auf diese Weise wohnt dem Denken ein »materialistisches Moment«51 inne, welches Subjekt und Objekt vermittelt. Um diese Vermittlung nicht ihrerseits wieder zu verabsolutieren und als Letztes zu setzen, ist auch sie noch in die Dialektik von Denken und Erfahrung miteinzuholen. »Allein Erfahrung, Erfahrung als solche langt nicht zu; erst wo die Erfahrung zu einer geistigen wird, auch sie ein ›Hinzutretendes‹, ohne das negative Dialektik nicht auskommt, vermag das Seiende jene hinfälligen ›Spuren des Anderen‹ preiszugeben, zerbrechliche Hinweise darauf, daß ›das, was ist, doch nicht alles ist‹.«52 Soll Erkenntnis mehr sein als ein tautologischer Akt, in dem das, was an Geist investiert worden ist, nun als Resultat herausspringt, muß Erfahrung hinzutreten, die erst das Denken aus dem Bann des Mythos hinausführte. Damit Vernunft ihre eigene Immanenz transzendiert, bedarf sie eines ihr Äußerlichen; etwas, das auch, aber doch nicht nur subjektiven Charakters ist. »Das irrationale Moment, das dem eignen mag, ist dennoch weit entfernt, sich dem Irrationalismus anzuvertrauen, vielmehr: ›Phi49 50 51 52

Adorno, Vorlesung zur Negativen Dialektik, ANS, Bd. IV., S.  f. Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Helga Gripp , Theodor W. Adorno. Erkenntnisdimensionen negativer Dialektik, S. . Tiedemann , »Nachbemerkung des Herausgebers«, S. ; zum Status des ›Hinzutretenden‹ innerhalb der Negativen Dialektik vgl. Goebel , »Das Hinzutretende«.

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losophisch denkt, wer geistige Erfahrung erhärtet an der gleichen Konsequenzlogik, deren Gegenpol er inne hat. Sonst bliebe geistige Erfahrung rhapsodisch. So allein wird Nachdenken zu mehr als wiederholender Darstellung des Erfahrenen.‹ Damit ist aber nichts anderes gesagt, als daß geistige Erfahrung keineswegs in einem gelockerten Verhältnis zur Begrifflichkeit sich einrichten kann, sondern nur um so stringenter an Diskursivität und Rationalität sich auszuwiesen hat.«53 Erfahrung wäre das Antidot sowohl gegen »ein wildes Drauflosdenken«54 nach Art lebensphilosophischen Schwadronierens von ganzheitlicher Erfahrung als auch gegen die Einzementierung des Denkens in ein System. Während letzteres dem Positivismus »ein Erstrebenswertes, ›Positives‹« ist, ist es »den Dialektikern, real nicht weniger als philosophisch, der Kern des zu Kritisierenden.«55 Das bestehende System, »als reale, doch abstrakte Zusammenfassung eines keineswegs unmittelbar, ›organisch‹ Verbundenen«56, hat Theorie, die sich nicht mit der Katalogisierung des Bestehenden zufriedengeben mag, durch die Einbeziehung von Erfahrungsgehalten zu übersteigen. Adorno würde dementsprechend »nicht zögern, die Idee einer dialektischen Lehre von der Gesellschaft als etwas, ja, wie die Wiederherstellung oder, ich will es bescheidener sagen, die Anstrengung zu definieren, die Erfahrung, die uns eigentlich von dem sozialen System selbst ebenso wie von den Regeln der Wissenschaft versagt wird, wiederherzustellen.«57 Hegel erkannte die Unmittelbarkeit als eine vermittelte,58 vermittelt nämlich durch den Geist, der als Totalität eine absolute Vermittlungsinstanz ist, insofern auch für die Unmittelbarkeit; Adorno wendet diese idealistische Konzeption seinerseits materialistisch, indem er die Gesellschaft an die Stelle des absoluten Geistes setzt, und erkennt so auch das scheinbar Unvermittelte als gesellschaftlich vermittelt: durch Praxis. Adorno sagt, »daß wir also im Grunde eher das System kennen, in dem wir leben, daß wir eher die Wirklichkeit an uns erfahren, in die wir eingespannt sind, als daß wir spezifische einzelne Situationen erfahren würden, von denen aus wir dann zu einer Ansicht, zu einem Begriff von der Totalität, in der wir leben, allmählich aufsteigen. Das Einzelne seiner53 54 55 56 57 58

Tiedemann , »Nachbemerkung des Herausgebers«, S. ; Adorno wird zitiert nach Adorno, »Anmerkungen zum philosophischen Denken«, S. . Ders., Einleitung in die Soziologie, ANS, Bd. IV., S. . Ders., »Einleitung zum ›Positivismusstreit …‹«, AGS, Bd. , S. . Ebd., S. . Ders., Einleitung in die Soziologie, ANS, Bd. IV., S. . Vgl. etwa Hegel , Phänomenologie des Geistes, S. .

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seits ist gegenüber der Totalität unserer Erfahrungen ganz ebenso ein Abstraktionsprodukt, wie auf der anderen Seite […] das Ganze auch seinerseits wieder ein Abstraktionsprodukt ist gegenüber den einzelnen Momenten, die darin enthalten sind. Es gibt keine unmittelbare Einheit zwischen beiden, sondern eben das Verhältnis eines Prozesses.«59 Die Frage ist dann, wie die Subjekte diese Praxis erkennen könnten. Lukács hatte seinerzeit das Proletariat erwählt: es sei, als identisches SubjektObjekt, objektiv in der Lage, die Totalität unmittelbar zu erkennen. Damit fällt die Vermitteltheit der Unmittelbarkeit aber wieder fort. Adorno hingegen setzt auf eine Theorie, die sich nicht aus sich heraus spinnt, die keine Systemphilosophie ist, sondern die gesellschaftliche Erfahrung als Vermittlungsinstanz von Erkenntnis miteinbezieht: »Im Erkenntnisvollzug abstrahiere ich von meiner Individualität ebenso wie von der meines Gegenstandes. Dieser ist von vorneherein als meiner Verfügung anheimgegebenes bloßes Objekt meines Erkennens (und meines Handelns bzw. Behandelns) angesetzt. Eine Erfahrung dagegen mache ich mit einem Menschen, mit mir selbst, mit einer Sache, indem ich mich auf mein jeweiliges Gegenüber einlasse, mit ihm mitgehe, es zum Sprechen bringe.«60 Gegen die so häufig erhobene Forderung, die Kritische Theorie müsse doch gefälligst praktisch werden, andernfalls sei sie quietistisch und arbeite dem Bestehenden zu – als ob eine gesellschaftskritische Theorie von sich aus eine gesellschaftsverändernde Praxis herbeiführen könnte; ein Mißverständnis, an dem bereits der orthodoxe Marxismus gescheitert ist –, wird mit jener »Wahlverwandtschaft von Erkennendem und Erkanntem«61 benannt, wie die Praxis ihrerseits zuerst Kritische Theorie evoziert. Der Begriff der »Wahlverwandtschaft« bezeichnet im Kern, worauf es Adorno beim Vorgang der Erfahrung ankommt: daß sie sich nicht unter Zwang vollzieht und daß das erfahrene Andere des Subjekts doch kein uneinholbar Anderes ist. Freiheit und mimetisches Verhalten sind die Bedingungen der Möglichkeit gelungener Erfahrung. »Denken als Enzyklopädie, ein vernünftig Organisiertes und gleichwohl Diskontinuierliches, Unsystematisches, Lockeres drückt den selbstkritischen Geist von Vernunft aus. Er vertritt, was dann aus der Philosophie, ebensowohl durch ihren anwachsenden Abstand von der Praxis wie durch ihre Eingliederung in

59 60 61

Adorno, Einführung in die Dialektik, ANS, Bd. IV.,  f. Guzzoni , Sieben Stücke zu Adorno, S. . Adorno, Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. .

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den akademischen Betrieb, entwich, Welterfahrung, jenen Blick für die Realität, dessen Moment auch der Gedanke ist. Nichts anderes ist Freiheit des Geistes.«62 Geist hingegen, von der Notwendigkeit gebändigt, sich der Gesellschaft anzupassen, treibt sich die Fähigkeit zur Erfahrung systematisch aus. Aus Erfahrung klug werden nur mehr jene Kinder, deren sadistische Eltern sie sich einmal am Herd verbrennen lassen, damit sie lernen, daß man sich am Herd verbrennen kann. Erfahrung soll an die Realität anpassen, nicht sie individuell übersteigen. Wenn es in der Dialektik der Aufklärung heißt: »Furchtbares hat die Menschheit sich antun müssen, bis das Selbst, der identische, zweckgerichtete, männliche Charakter des Menschen geschaffen war, und etwas davon wird noch in jeder Kindheit wiederholt«63, dann stellt sich die erschreckende Frage, was in jeder Kindheit denn nicht wiederholt würde. Durkheim hat, um seine Definition des ›contrainte sociale‹, des sozialen Zwangs, »durch eine bezeichnende Erfahrung zu erhärten«, eine für seine Zeit bemerkenswerte Beobachtung mitgeteilt: »Betrachtet man die Tatsachen, wie sie sind und wie sie immer waren, so liegt es auf der Hand, daß die ganze Erziehung in einer ununterbrochenen Bemühung besteht, dem Kinde eine gewisse Art zu sehen, zu fühlen und zu handeln aufzuerlegen, zu der es spontan nicht gekommen wäre. Von Geburt an zwingen wir es, regelmäßig zu bestimmten Stunden zu essen, zu trinken und zu schlafen, zwingen es auch zur Reinlichkeit, zum Stillsein und Gehorsam. Später zwingen wir es, Rücksicht zu nehmen, Anstand und guten Ton zu wahren, zwingen es zur Arbeit usw. Wenn mit der Zeit dieser Zwang nicht mehr empfunden wird, so geschieht dies deshalb, weil er nach und nach Gewohnheiten und innere Tendenzen zur Entstehung bringt, die ihn überflüssig machen: aber sie ersetzen ihn nur, weil sie ja von ihm herstammen.«64 Dem Kind, das sich im Zuge dessen seine Idiosynkrasien bewahrt, das sich freut, sorgt oder gar ängstigt, ohne daß anderen unmittelbar die Ursache seiner Äußerungen einsichtig wäre, läßt sich hingegen bescheinigen, es habe halt eine emotionale Anpassungsstörung. Mit ihrer Erfahrung wird den Individuen zugleich ihre Individualität ausgetrieben, und dies schickt sich nur zu gut in die Versagung, »die im Denken, bis in seinen pur formalen Charakter hinein, sich verlängert«65; letztlich ins Asketische einer reinen Philosophie, die nichts als Philosophie sein und 62 63 64 65

Ebd., S. . Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, AGS, Bd. , S. . Emile Durkheim , Die Regeln der soziologischen Methode, S.  f. Adorno, »Henkel, Krug und frühe Erfahrung«, AGS, Bd. , S. .

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ansonsten vom Subjekt und dessen Erfahrungen nichts mehr wissen will. Solche Philosophie verlängert die sozial produzierte Erfahrungsarmut, die die Subjekte auch ohne die schließlich sowieso unterlassene Hilfe jener Philosophie bereits erleiden. Die Individuen, die unterm erzliberalen Spätkapitalismus zu bloßen Mitgliedern derjenigen Gesellschaft gemacht werden, von denen ihnen Erzliberale versichern, daß es sie nicht gebe, erfahren die Gesellschaft nur noch als Zwang. Praxis wartet nicht darauf, daß sie von der Theorie eingeholt wird, sondern drängt sich auf als realer Widerstand der vorgeordneten Allgemeinheit den besonderen Subjekten gegenüber. »Ich bin«, erklärt Durkheim, »nicht gerade verpflichtet, mit meinen Landsleuten französisch zu sprechen, auch nicht, die gesetzliche Währung zu gebrauchen. Und doch ist es unmöglich, daß ich anders handle. Ein Versuch, mich dieser Notwendigkeit zu entziehen, müßte elendiglich scheitern. Nichts hindert einen Industriellen daran, mit den Methoden eines anderen Jahrhunderts zu arbeiten. Er soll es aber nur tun. Sein Ruin wäre sicher. Selbst wenn ich mich in der Tat von diesen Regeln befreien und sie mit Erfolg verletzen kann, bleibt mir doch der Kampf gegen sie nicht erspart. Und selbst wenn sie endgültig überwunden werden, spürt man ihre Zwangsgewalt an dem Widerstand, den sie einem entgegensetzen.«66 Gesellschaft wird so, als Totalität, erfahren »an dem Moment des Widerstandes, an dem, wo es nicht weitergeht, wo man entweder in eine zähe Masse greift oder, noch wahrscheinlicher, seinen Kopf an einer Mauer einrennt. Das ist eigentlich die Art, in der man auch von unten, von der sogenannten Konkretion aufsteigend, dessen sich versichern kann, was man allzu leicht als einen bloß metaphysischen Begriff uns vorwirft.«67 Diese Erfahrung der Gesellschaft – die freilich nicht ihre Theorie ersetzen kann und schon gar nicht die elaborierte Kritik an ihr – ignoriert jene Theorie, der es lediglich um Faktizität geht.68 Gegen Weber und mit Durkheim 66 67 68

Durkheim , Die Regeln der soziologischen Methode, S. . – Vgl. Adorno: Philosophie und Soziologie, ANS, Bd. IV., S. . Ders., Vorlesung zur Negativen Dialektik, ANS, Bd. IV., S. . »Die tabellendurchwirkten Monographien könnten kaum je, und dann bloß im sardonischen Sinne, durch vermittelnde gedankliche Operationen zur Theorie erhoben werden. Die kollegiale Jagd zwischen sozialwissenschaftlichen ›Hypothesen‹ und ›Belegen‹ ist endlos wie die wilde, weil jede der vermeintlichen Hypothesen, wofern ihr theoretischer Sinn innewohnt, eben die brüchige Fassade der bloßen Faktizität durchschlägt, die in der Forderung nach Belegen als Forschung sich fortsetzt.« (Ders., Minima Moralia, AGS, Bd. , S. .)

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geht Adorno davon aus, »daß Gesellschaft eigentlich gerade dort ist, wo ich es nicht verstehe, wo sie weh tut, wo Gesellschaft als Zwang mir gegenübertritt.«69 Ihn nicht zu erkennen, gewöhnt der Wissenschaftsbetrieb »zum höheren Ruhm von Objektivität der Erkenntnis, den Menschen die Erfahrung der realen Objektivität ab, der sie, auch in sich selbst, unterworfen sind.«70 In der ersten seiner »Unzeitgemäßen Betrachtungen« schrieb Nietzsche über David Strauß, wenn man ihn »über die Lebensfragen reden hört, sei es nun über die Probleme der Ehe oder über den Krieg oder die Todesstrafe, so erschreckt er uns durch den Mangel aller wirklichen Erfahrung, alles ursprünglichen Hineinsehens in die Menschen: alles Urtheilen ist so büchermässig uniform, ja im Grunde sogar nur zeitungsgemäss; litterarische Reminiscenzen vertreten die Stelle von wirklichen Einfällen und Einsichten, eine affectirte Mässigung und Altklugheit in der Ausdrucksweise soll uns für den Mangel an Weisheit und an Gereiftheit des Denkens schadlos halten. Wie genau entspricht dies Alles dem Geiste der umlärmten Hochsitze deutscher Wissenschaft in den grossen Städten!«71 Mag auch die Rede von der Ursprünglichkeit und das Verdikt gegen das Städtische als provinziell befremden, wahr bleibt noch immer die Einsicht in die Unzeitgemäßheit von Erfahrung selbst. Was sich empirisch verifizierbar erfahren läßt, ist das Faktum, daß Erfahrung nur mehr als verifizierbare einen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit haben kann. Diese Tautologie ist eine jenes Denkens, das sich von der gängigen Wissenschaftsauffassung vorschreiben läßt, es habe sich nicht an den Gegenständen zu bemessen, die es bedenkt, sondern lieber die Gegenstände durch Abstraktion und Kategorisierung so zuzurichten, daß relevantes Denken nur noch als Meßvorgang in Frage kommt. Damit die ganze Welt, samt ihrer Einrichtung, nur endlich mit sich selbst verglichen wird, produziert

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70 71

Ders., Philosophie und Soziologie, ANS, Bd. IV., S. . – Konnte allerdings Durkheim noch den Zwang selbst als soziales Faktum blanker Empirie zuordnen, kritisiert ihn Adorno dafür, »den Begriff der Fakten zu hypostasieren; also sie so zu behandeln, als ob wir überhaupt in irgendeinem Maß fähig wären, ohne Vermittlung, ohne begriffliche Apparaturen der Fakten selbst mächtig zu werden. Sowenig es aber Begriffe gibt oder sowenig Begriffe wahr sind, die nicht sich erfüllen, die sich nicht an ihrer Beziehung auf Material prüfen und sich an ihm regenerieren, so wenig gibt es andererseits auch solche Fakten, deren wir schlechterdings unabhängig von den Begriffen mächtig werden könnten.« (Ebd., S.  f.) Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Friedrich Nietzsche , Unzeitgemässe Betrachtungen. Erstes Stück: David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, S. .

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der Betrieb schließlich beamtete Denker, die »keinen zusammenhängenden Satz aufs Papier bringen außer Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von  Wochen Widerspruch eingelegt werden.«72

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Harald Schmidt , Tränen im Aquarium. Ein Kurzausflug ans Ende des Verstandes, S. .

9 Adornos Lukács. Ein Lektürebericht gemeinsam verfaßt mit Simon Duckheim

Was immer der Nachwelt an Vorrechten zuwächst gegenüber dem Toten, – nicht frei steht es ihr, seine Maßstäbe außer Kraft zu setzen. H W, D S   P

9.1 Vorbemerkungen Die Lukács-Jahrbücher von  und  brachten Beiträge zu einer Debatte über das Verhältnis von Theodor W. Adorno und Georg Lukács,1 das Rüdiger 1

Vgl. Rüdiger Dannemann , »Zwischenbericht über einen Versuch, ein Trauerspiel der linken Intelligenz zu beenden«; ders. , »Aufruf und Erkundung. Zu einem verspäteten, aber notwendigen Dialog zwischen Georg Lukács und Theodor W. Adorno«; ders. , »Des Dramas II. Akt. Kein Adorno ohne Lukács – kein Lukács ohne Adorno? Eine vorläufige Bilanz«; Ulrich Dannemann , »Erscheinungen und Erschütterungen kompletter Humanität. Das Verständnis der Musik bei Georg Lukács und Theodor W. Adorno«; Sabine Doyé , »Rationalität und Verdinglichung: Georg Lukács Geschichte und Klassenbewußtsein, die Rekonstruktion der Marxschen Ideologienlehre und Adornos ›Verrat‹ an den Quellen eines undogmatischen Marxismus«; Erich Hahn , »›Vehikel der Geschichte‹ oder ›falsches Bewußtsein‹? Lukács und Adorno über das Ideologieproblem«; Christoph Jünke , »Mit Kofler und Lefebvre über Adorno und Lukács hinaus. Rück- und Ausblicke auf einen alten Streit«; Ferenc L. Lendvai , »Die Polemik von Adorno und Lukács über Bartok«; Jürgen Meier , »Adorno–Lukács. ›Adorno – Ein letztes Genie‹?«; Tom Rockmore , »Lukács and Adorno on Heidegger«; Nicolas Tertulian , »Lukács – Adorno: Polemi-

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Dannemann, offenbar die spätere Phase jenes Verhältnisses im Blick, als »Trauerspiel der linken Intelligenz«2 bezeichnete. Einige Beiträge führten womöglich ihrerseits zu Mißverständnissen und warfen die Frage auf, ob es nicht der Sache dienlicher sei, statt Adorno einseitig den Abbruch der Beziehungen anzumahnen,3 sich lieber philologisch nüchtern dasjenige Material anzuschauen, das sich im Hinblick auf den Einfluß Lukács’ auf Adorno erhalten hat. Dieser Einfluß und seine Grenzen sollen auch abseits von Reserviertheiten, die gewiß eine Rolle gespielt haben mögen, philosophisch immanent begründet werden, um die sachlichen Differenzen herauszuarbeiten.  veröffentlicht Adorno in der Zeitschrift Der Monat den Artikel »Erpreßte Versöhnung. Zu Georg Lukács: ›Wider den mißverstandenen Realismus‹«. – Wohl ist es, angesichts des deutschen Schrifttums etwa  Jahre zuvor, übertrieben, wenn Ágnes Heller urteilt: »Selten wurde ein grausamerer Aufsatz über einen Menschen geschrieben, als Adornos ›Erpreßte Versöhnung‹.«4 Wahr ist aber, daß dieser Aufsatz eine der wenigen Polemiken Adornos ist, in dieser Hinsicht womöglich noch am ehesten vergleichbar mit der Kritik an Heidegger im Jargon der Eigentlichkeit.  schreibt Peter Bürger: »Die Heftigkeit von Adornos Polemik ist auf den ersten Blick schwer verständlich.«5 Weitaus schwerer muß sie zeitgenössischen Rezipienten verständlich gewesen sein. Von außen betrachtet konnte es scheinen, als hätte sich Adorno zum ersten Mal mit Lukács beschäftigt, um ihn gleich wieder ad acta zu legen, denn bislang war von Adorno noch nichts über Lukács erschienen, was über eine zwei Jahre zuvor geschriebene einspaltige Richtigstellung in der Zeitschrift Ost-Probleme hinausgeht. Auch danach taucht der Name Lukács’ im Werk Adornos nur sporadisch auf: recht prominent im

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ken und Missverständnisse«; Udo Tietz/Volker Caysa , »Falsche Verdinglichungsphilosophie und verkehrte Leiberinnerung. Zum Verhältnis von Verdinglichungstheorie in Geschichte und Klassenbewußtsein und Leibphilosophie in der Dialektik der Aufklärung«; Miguel Vedda , »Tragisches Erlebnis oder Epische Fülle? Ein Kapitel der Lukács-Adorno-Debatte«; Wilhelm S. Wurzer , »Adorno’s Disruption of Lukács’ Aesthetic Ontology«; Vgl. R. Dannemann : »Zwischenbericht …«. So schrieb Nicolas Tertulian etwa von »vehementen Ausfälle[n] von Adorno gegen Lukács«, die sich »über die gesamte Nachkriegszeit« hinzögen. (Tertulian , »Lukács – Adorno«, S. .) Ágnes Heller , »Der Schulgründer«, S. . Peter Bürger , »Verschüttete Spuren. Georg Lukács in der Frankfurter Schule«, S. .

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Aufsatz »Erfahrungsgehalt« innerhalb der Drei Studien zu Hegel, einige Male wird er in der Negativen Dialektik erwähnt, ebenso in der erst postum veröffentlichten Ästhetischen Theorie. Dennoch behauptet Bürger: »Mit Ausnahme von Benjamin verdankt Adorno kaum einem zeitgenössischen Denker so viel wie Lukács.«6 – Was, zumal nach dem dargelegten, wie eine unhaltbare These klingt, ist nichtsdestoweniger doch wahr. Denn wenngleich die »Erpreßte Versöhnung« als ein- und letztmalige Generalabrechnung eines geborenen »most radical antipode«7 Lukács’ erscheint, ist sie lediglich ein Punkt in der philosophischen Auseinandersetzung Adornos mit dem »approbierte[n] Dialektiker«8, die begann, als jener nach eigenem Bekunden die »Theorie des Romans« als Abiturient im Frühjahr  las.9 Es mag an dieser Stelle hilfreich sein, sich einen Überblick über jene Schriften von Lukács (sowie über die Sekundärliteratur zu ihm) zu verschaffen, die sich in der Nachlaßbibliothek Adornos befinden. Es handelt sich um folgende Texte: Die Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der großen Epik, Berlin: Cassirer . – Mit Namenszug »Theodor Wiesengrund-Adorno«, ansonsten keinerlei Lesespuren.10 Geschichte und Klassenbewußtsein. Studien über marxistische Dialektik, Berlin: Malik  (Kleine revolutionäre Bibliothek ). – Hier finden sich die meisten Lesespuren (An- und Unterstreichungen sowie Marginalien) unter den hier angeführten Büchern. Lenin. Studie über den Zusammenhang seiner Gedanken, Wien: Malik  (Wissenschaft und Gesellschaft ). – Keine Lesespuren. Die Zerstörung der Vernunft, Berlin: Aufbau . – Dieser Band weist lediglich eine Markierung auf, nämlich auf der S.  bezüglich des Passus »Nietz-

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Ebd. Martin Jay , »The Concept of Totality in Lukács and Adorno«, S. . Adorno, »Erpreßte Versöhnung. Zu Georg Lukács: ›Wider den mißverstandenen Realismus‹«, AGS, Bd. , S. . Ders., »Henkel, Krug und frühe Erfahrung«, AGS, Bd. , S. . Die Siglen der  Schriften lauten, der Reihe nach: Theodor W. Adorno Archiv, Nachlaßbibliothek Adorno , , , , , , , , , , , , , , , .

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sches nicht alltägliche Begabung […]« bis »[…] Zusammenhang leugnenden Gedankenfetzen.«11 »Zur Konkretisierung der Besonderheit als Kategorie der Ästhetik«, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Berlin, . Jg. (), H. , S. –. – Hier finden sich An- und Unterstreichungen. Wider den mißverstandenen Realismus, Hamburg: Claassen  (Die Gegenwartsbedeutung des Kritischen Realismus). – Mit Namenszug »Adorno (September )« und An- und Unterstreichungen sowie Marginalien. Schriften zur Literatursoziologie, Neuwied: Luchterhand . – Ohne Lesespuren. Ästhetik. Die Eigenart des Ästhetischen, . Halbbd. (Werke ), Neuwied, Berlin: Luchterhand . – Ebenfalls ohne Lesespuren. Ästhetik. Die Eigenart des Ästhetischen, . Halbbd. (Werke ), Neuwied, Berlin: Luchterhand . – Keine Lesespuren. Schriften zur Ideologie und Politik, hg. von Heinz Maus/Friedrich Fürstenberg, Neuwied, Berlin: Luchterhand  (Soziologische Texte; ). – Keine Lesespuren. Gespräche mit Georg Lukács. Hans Heinz Holz, Leo Kofler, Wolfgang Abendroth, hg. von Theo Pinkus, Reinbek: Rowohlt . – Keine Lesespuren. Russische Literatur, russische Revolution. Puschkin, Tolstoi, Dostojewskij, Fadejew, Makarenko, Scholochow, Solschenizyn (Ausgewählte Schriften ), Reinbek: Rowohlt  (Rowohlts deutsche Enzyklopädie /). – Keine Lesespuren. Aus dem Bereich der Sekundärliteratur zu Georg Lukács besaß Adorno: Jürgen von Kempski, »Literatur und Lukács«, Sonderdruck aus: Neue Deutsche Hefte, (Mai–Juni) , . Jg., S. –. – Mit einer Widmung des Autors. Horst Althaus, »Lukacs, Georg, Die Eigenart des Ästhetischen, München, Luchterhand ()«, Sonderdruck aus: Göttingische Gelehrte Anzeigen, , /, S. –. – Mit einer Widmung des Autors.

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Diese Markierung steht im Zusammenhang mit dem berühmten Zitat aus Adornos Aufsatz »Erpreßte Versöhnung«, wo es heißt, Lukács habe es über sich gebracht, »im herablassenden Ton eines Wilhelminischen Provinzialschulrats von Nietzsches ›nicht alltäglicher Begabung‹ zu reden.« (Ders., »Erpreßte Versöhnung«, AGS, Bd. , S. .)

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Frank Benseler, »Sprache und Gesellschaft«, Sonderdruck aus: ders. (Hg.), Festschrift zum achtzigsten Geburtstag von Georg Lukács, Luchterhand: Neuwied, Berlin , S. –. – Mit einer Widmung des Autors. Agnes Heller, »Die moralische Sendung des Philosophen«, Sonderdruck aus derselben Festschrift, S. –. – Mit einer Widmung von Günther Anders von . Keine dieser in ihrem Umfang schon arg bescheidenen Schriften über Lukács weist irgendwelche Lesespuren auf. Was den Umfang dessen betrifft, was Adorno von Lukács gelesen hat, so läßt sich mit Gewißheit folgendes feststellen: Er las Die Theorie des Romans, das Verdinglichungskapitel aus Geschichte und Klassenbewußtsein, zumindest teilweise Die Zerstörung der Vernunft, »Zur Konkretisierung der Besonderheit als Kategorie der Ästhetik«, Wider den mißverstandenen Realismus sowie – auch wenn sich diese Werke nicht in seiner Nachlaßbibliothek finden – wenigstens Teile aus Goethe und seine Zeit12, Die Seele und die Formen, »Heidegger redivivus«, Der junge Hegel sowie die gekürzt ins Deutsche übertragene Rede »Schärft die Waffen des Geistes!«. Die Seele und die Formen scheinen für Adorno keine größere Bedeutung besessen zu haben; für die Abfassung seines eigenen Aufsatzes »Der Essay als Form«, zuerst veröffentlicht , stellte er eine Sammlung von Exzerpten aus dem Abschnitt »Über Form und Wesen des Essays« zusammen,13 auf der sich der Vermerk findet: »(Egon Fleischel & Co. Berlin W,  / Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt, / /)«14. Adorno selbst hat das Buch nie 12

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Für das geplante, aber nie realisierte Buch über Beethoven notiert Adorno , für ein bestimmtes Problem sei »nicht unbrauchbar Lukács über Idealismus und Realismus im Klassizismus: Goethebuch« (Ders., Beethoven. Philosophie der Musik. Fragmente und Texte, ANS, Bd. I., S.  f. [fr. ]). Die Exzerpte finden sich in einem sechsseitigen Typoskript im Theodor W. Adorno Archiv (Ts –). Sie umfassen  ›Stellen‹ aus Lukács’ Aufsatz »Über Form und Wesen des Essays«, darunter sämtliche, auf die Adorno in »Der Essay als Form« auch hinweisen wird. Neben den Exzerpten aus Lukács’ Schrift gehören zum Konvolut noch solche aus Max Bense , »Über den Essay und seine Prosa«. Das Buch findet sich noch immer unter der angegebenen Signatur in jener Bibliothek; eine Durchsicht des Exemplars zeigt sehr viele, unterschiedliche, Lesespuren, zumal Anstreichungen, die aber nicht mit Adornos Rezeption in Zusammenhang zu bringen und vermutlich erst später entstanden sind.

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besessen. Wenn Hans-Ernst Schiller im Adorno-Handbuch unter dem Lemma »Lukács« zunächst aus einem Brief Siegfried Kracauers an Leo Löwenthal zitiert: »Teddie [scil. Adorno] hat sich den ›Geist der Utopie‹ gekauft und findet Lukácz größer«15, um anschließend fortzufahren: »Diese Mitteilung Kracauers vom Oktober  kann sich nur auf die Theorie des Romans […] und auf die Essaysammlung Die Seele und die Formen aus dem Jahr  bezogen haben«16, dann ist diese Einschätzung gewiß falsch. Denn erst , während der Abfassung seiner Habilitationsschrift über Kierkegaard, schreibt Adorno an Kracauer: »Ich habe mir auch Lukács dazu vorgenommen, ›Die Seele und die Formen‹, worin ein ganz schlechtes Essay über Kierkegaard steht«17. Kaum anzunehmen, daß Adorno seinem Freund vom Inhalt des Buches erzählt, wenn sich beide etwa zehn Jahre zuvor bereits so intensiv über Die Seele und die Formen unterhalten hätten, wie sie es über Die Theorie des Romans taten. Jedenfalls wird Adorno seine negative Beurteilung des Erstlingswerkes von Lukács auch später nicht revidieren. So beklagt er sich , nach der erneuten Durchsicht des Buches zum Zweck der Zitatensammlung, in einem Brief an Wilhelm Szilasi wegen des »leichten Simmel-Moders«18, der über dem Buch liege, und schreibt zwei Jahre später an Gershom Scholem: »›Die Seele und die Form‹ [sic!] finde auch ich unerträglich feinsinniges Gewäsch à la .«19 Eine letzte Erwähnung seitens Adornos findet das Buch in einem Brief an Lucien Goldmann von , in dem Adorno über Lukács bemerkt: »Übrigens ist es merkwürdig, daß er die klassizistischen und nun wirklich reaktionären ästhetischen Thesen, die er heute vertritt, mit anderen politischen Vorzeichen auch in seiner Jugend bereits vertreten hat. So hat er, woran Sie sich vielleicht aus der ›Seele und die Formen‹ erinnern, Paul Ernst überaus hochgestellt.«20

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Kracauer an Leo Löwenthal, . Oktober , Löwenthal/Kracauer , In steter Freundschaft. Leo Löwenthal – Siegfried Kracauer. Briefwechsel –, S. . – Nicht nur dieses Zitat, auch die Seitenzahl des Zitats sowie Titel und Verlagsort der Briefausgabe sind bei Schiller fehlerhaft. Hans-Ernst Schiller , »Tod und Utopie: Ernst Bloch, Georg Lukács«, S. . Adorno an Kracauer, . Mai , ABB, Bd. , S. . Adorno an Wilhelm Szilasi, . Juli , Theodor W. Adorno Archiv, Br /. Ders. an Scholem, . Dezember , ABB, Bd. , S. . Ders. an Lucien Goldmann, . Oktober , Theodor W. Adorno Archiv, Br /. – Adorno bezeichnet Paul Ernst bereits  in einem Brief an Horkheimer als Faschisten (vgl. ders. an Horkheimer, . Februar , ABB, Bd. .I, S. ).

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Die Rezeption der beiden Schriften Die Theorie des Romans sowie Geschichte und Klassenbewußtsein haben Adorno, der bis Ende der er Jahre weniger Marxist als vielmehr unorthodoxer Lukácsianer war, überhaupt zur Kenntnisnahme des Marxschen Werks bewegt. Erst  schreibt er Benjamin von dem Plan, »das systematische Studium des Kapitals«21 anzugehen.22 »Wie wurde Adorno vom Neukantianer«, als der er sich zumindest in seiner Dissertation betätigt hat, »zum Marxisten?«23, fragt Stefan Müller-Doohm in seiner Biographie Adornos, und seine Antwort, einige Formeln von Lukács – »der ›transzendentalen Obdachlosigkeit‹, der ›kontingenten Welt‹, des ›problematischen Irrtums‹« – seien »Impulse für seine«, Adornos, »Selbstvergewisserungen« gewesen,24 ist wohl noch um einiges zu zaghaft. Mit Adornos eigenen Worten, die er , schon längst kein Anhänger Lukács’ mehr, in einem Brief an Lucien Goldmann richtet: »Ich übertreibe nicht, wenn ich Ihnen sage, daß mich die Erfahrung der frühen Schriften von Lukács, vor allem der Roman-Theorie, wesentlich überhaupt zur Philosophie gebracht hat, und das werde ich ihm gewiß nicht vergessen« – gefolgt von der allerdings drastischen Einschränkung: »umgekehrt aber zeigen sich heute doch auch die Schranken dieser Arbeit sehr deutlich; in der Roman-Theorie an der romantischen laudatio temporis acti, in ›Geschichte und Klassenbewußtsein‹ an der metaphysischen Glorifizierung der Partei als Weltgeist.«25 Im Sommer  berichtet Adorno wiederum Kracauer vom ersten Semester seiner Lehrtätigkeit, unter anderem von seinem »Ästhetikseminar, wo ich die Romantheorie von Lukács behandle. Ich kann Dir, wenn es Dich interessiert, einmal die Protokolle schicken.«26 Ob Kracauer diese Protokolle bekam, ist so wenig überliefert wie diese selbst es sind; sie befinden sich weder im Nachlaß Adornos noch in dem Kracauers. Überliefert sind aber Protokolle aus einem Seminar, das Adorno ein Jahr später Benjamins Trauerspielbuch27 widmete. Sie geben Auskunft darüber, daß die Romantheorie von Lukács noch zu 21 22

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Ders. an Benjamin, . September , ABB, Bd. , S. . Tatsächlich notiert Adorno auf dem Vorsatz seiner Kapital-Ausgabe (›Verlag für Literatur und Politik‹, Wien und Berlin ) das Datum vom . Juni  (vgl. Braunstein , Adornos Kritik …, S. ). Stefan Müller-Doohm , Adorno. Eine Biographie, S. . Ebd., S. . Adorno an Goldmann, . Oktober , Theodor W. Adorno Archiv, Br /. Ders. an Kracauer, . Mai , ABB, Bd. , S. . Vgl. Benjamin , Ursprung des deutschen Trauerspiels, S.  ff.

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diesem Zeitpunkt eine gewichtige Rolle für eine ästhetische Theorie spielte, der es als Teil der gerade entstehenden Gesellschaftstheorie Adornos nicht um eine Ästhetisierung der Lebenswelt zu tun war, sondern um eine geschichtsphilosophische Deutung der naturhaften Objektivität: »Der Satz Benjamins ›Trauer ist die Gesinnung, in der das Gefühl die entleerte Welt maskenhaft neubelebt, um ein rätselhaftes Genügen an ihrem Anblick zu haben‹[,] erinnert im Zusammenhang mit der ganzen sich hieran knüpfenden Auslegung, insbesondere auch mit der Deutung der Allegorie, an eine wesentliche geschichtsphilosophische Konzeption bei Lukács in seiner Theorie des Romans: an den Begriff der ›zweiten Natur‹, dem bei Benjamin der Begriff der ›entleerten Welt‹ entspricht. Bei näherem Vergleich ergibt sich die Nähe, [aber] auch ein wesentlicher Unterschied beider Konzeptionen. In beiden ist entscheidend der Bruch zwischen Intention und Gegenstand. Auf der einen Seite steht eine erstorbene, abgetrennte Objektwelt, auf der anderen die Subjektivität. Unter dem Blickstrahl der Subjektivität (Lukács), der ständig festgehaltenen Intention im Gefühl der Trauer (bei Benjamin) wird die erstorbene Objektwelt wieder beredt. Die Dinge, die ihr ontologisches Eigengewicht verloren hatten, etwas einfach Seiendes geworden waren (der spätere Terminus der ›Verdinglichung‹ bei Lukács), verwandeln sich, werden Zeichen der Innerlichkeit, die Objektwelt wird allegorisch. – Die Rückverwandlung der Geschichte in Natur wird in beiden Konzeptionen intendiert (denn Lukács’ Begriff der ›zweiten Natur‹ ist die Geschichte gewordene Welt). Die Akzentuierung aber ist bei Benjamin anders. Während Lukács hier noch in klassisch-idealistischer Terminologie die Sinnhaftigkeit an die Totalität gebunden sieht, kommt Benjamin darüber hinaus zu einer Bejahung gerade der Bedeutungsrelevanz des Bruchstückhaften.«28 Adorno wird den geschichtsphilosophischen Gehalt der Romantheorie zuungunsten des ästhetischen in den Vordergrund stellen. Er macht sich Begriff und Konzeption der ›zweiten Natur‹ zu eigen und hält sie Benjamins Exposé »Paris – Die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts« entgegen; nicht, ohne Lukács dabei, wie unter Genossen üblich, bei dessen Vornamen zu nennen: Zur Betrachtung »einer vollkommenen Naturnachahmung« mittels Panoramen im . Jahrhundert29 gehöre »der Hegelsche, von Georg und seitdem aufgenommene 28 29

Tiedemann (Hg.) , »Adornos Seminar vom Sommersemester  über Benjamins Ursprung des deutschen Trauerspiels. Protokolle«, S.  f. Benjamin , Das Passagen-Werk, S.  (Anmerkungen zu »Paris, die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts«).

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und sehr wichtige Begriff der zweiten Natur.«30 Dieser Begriff, so Adorno dreißig Jahre später in einer Vorlesung, sei, »soweit mir bekannt, erstmals wieder aufgenommen worden – und zwar sehr nachdrücklich wieder aufgenommen worden – in der ›Theorie des Romans‹ von Georg Lukács, die zwar als ästhetisches Denkgebilde, als Denkgebilde der Ästhetik äußerst problematisch ist, dafür aber als einer der ersten objektiv gerichteten Entwürfe einer Geschichtsphilosophie, anstelle bloß subjektiver geschichtsphilosophischer Methodik, seine grundlegende Bedeutung behält. Und ich möchte Sie alle dazu ermuntern, dieses Buch, das jetzt in einer Neuauflage vorliegt, zu lesen, obwohl es im Vorwort einen Angriff auf mich enthält, auf den ich aber gar nicht eingehen möchte, weil die Dinge, die da gesagt sind, mit der Qualität des Werkes und, ich möchte annehmen, auch mit der Qualität dessen, was ich so treibe, recht wenig zu tun haben.«31 In jenem Vorwort macht Lukács Adorno den bekannten Vorwurf, das »›Grand Hotel Abgrund‹ bezogen« zu haben, ein »schönes, mit allem Komfort ausgestattetes Hotel am Rande des Abgrunds, des Nichts, der Sinnlosigkeit. Und der tägliche Anblick des Abgrunds, zwischen behaglich genossenen Mahlzeiten oder Kunstproduktionen, kann die Freude an diesem raffinierten Komfort nur erhöhen«32. – Gegenüber Kracauer äußert sich Adorno mit Hinblick auf den Luchterhand-Verlag, der die Neuausgabe der Theorie des Romans zu verantworten hatte, »verärgert, weil sie eine Art Gesamtausgabe von Lukács bringen, in deren Vorwort dieser mich aufs törichteste und subalternste als Nihilisten anschwärzt.«33 Für Adorno bezeichnet die Beschuldigung den miserablen Stand des pseudorevolutionären Bewußtseins, wie es auch in Teilen der Studentenbewegung zum Vorschein komme. Er notiert im März : »Lukács hat mir mit einem blöden Witz vorgeworfen (diese Blödheit gehört zu der allgemeinen Regression, die heute sich für revolutionär hält), daß ich mich in einem Luxushotel am Rande des Abgrunds eingerichtet hätte. Das ist aufzunehmen; Chaplins Hütte im Goldrausch wäre nicht die schlechteste Allegorie für meine Gedanken. Lukács hat in den Abgrund sich gestürzt und das als Rettung verkannt; nicht einmal hier ist er sondern kriecht uralt, gebrochen wie eine der Beckettfiguren, über die er sich entrüstete, unten herum. Wo soll ich denn

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Adorno an Benjamin, .–. August , ABB, Bd. , S. . Ders., Zur Lehre von der Geschichte …, ANS, Bd. IV., S. . Lukács , Die Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der großen Epik, S. . Adorno an Kracauer, . Februar , ABB, Bd. , S. .

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wohnen? Im Muff der Geborgenheit? Dem ziehe ich mein wackliges Luxushotel vor. Sein Luxus aber ist nichts anderes als das Glück im Aussprechen der äußersten Negativität; und eben das wird einem mißgönnt.«34 Beinahe hätten Adorno und Horkheimer Lukács und dessen Theorie des Romans gar in der Dialektik der Aufklärung zitiert. In einer Anfang  abgeschlossenen frühen Fassung zum ersten Exkurs, »Odysseus oder Mythos und Aufklärung«, notiert Adorno: »Die traditionell-romantische Gleichsetzung von Epos und Mythos, wie sie noch der Theorie des Romans von Lukács zugrundeliegt, wird von der späten Romantik gesprengt. […] Am Epos, sonst dem geschichtsphilosophischen Gegenbegriff zum Roman, werden die romanähnlichen Züge entdeckt und der ehrwürdige Kosmos der sinnerfüllten Welt als Leistung der ordnenden Vernunft, die den Mythos zerstört vermöge eben der Allgemeinheit, zu der ihre Ordnung ihn erhebt. Was bei Lukács noch die ›Landkarte der gangbaren und zu gehenden Wege‹ heißt, die in den Sternen geschrieben steht, ernüchtert sich zur nautischen Karte eines inselgriechischen Robinson, dem die Sterne nicht sowohl das Schicksal mehr künden als daß sie dem gewitzigten Blick des Abenteurers den Weg anzeigen, dem Schicksal zu entrinnen.«35 Weshalb der Bezug auf Lukács in der endgültigen Fassung fortfiel, ist nicht sicher zu ermitteln. Nahe liegt anzunehmen, daß Adorno und Horkheimer letztlich darauf verzichteten, die allgemeinen Überlegungen mit einem Hinweis auf eine Schrift zu erschweren, von der sie kaum annehmen durften, daß sie dem exilierten deutschsprachigen Publikum ohne weiteres bekannt sein würde.36

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Adorno , »Graeculus (II)«, S. . – Mit »Goldrausch« ist Charlie Chaplins Film »The Gold Rush« (USA) von  gemeint. Ders. , »Geschichtsphilosophischer Exkurs zur Odyssee. [Frühe Fassung von Odysseus oder Mythos und Aufklärung]«, S. . – Die Abweichungen zur publizierten Fassung (vgl. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, AGS, Bd. , S. ) werden hier kursiv wiedergegeben. – Das Zitat findet sich in Lukács , Die Theorie des Romans, S. . Anderthalb Jahre zuvor hatte Adorno noch auf das Buch von Lukács hingewiesen, als sei es auch in den USA von  wohlbekannt. In einem Manuskript mit dem Titel »The Radio Voice« schrieb er: »One has often compared symphony with drama. If that comparison tends to emphasize the dualistic character, the dialogue aspect of symphony, it must still be admitted that it is justified insofar as symphony aims at an ›intensive‹ totality, an instantaneous focusing of an ›idea‹ rather than an extensive totality of ›life‹ unfolding itself within empirical time.« An dieser Stelle ist der Hinweis eingefügt: »Cf. Georg Lukács, Die Theorie des Romans (Berlin,

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9.2 Ursprung und Entwicklung des intellektuellen Trauerspiels Der Beginn des von Dannemann so bezeichneten »Trauerspiels der linken Intelligenz« ist auf das Jahr  zu datieren, als Adorno in Wien durch Vermittlung von Soma Morgenstern eine Einladung von Georg Lukács erhält. Die Begegnung verlief, kurz gesagt, enttäuschend und verursachte für Adorno offenbar einigen »Ärger über Lukács«37. Auf weitere Details wird an dieser Stelle verzichtet – die einzig überlieferte Dokumentation dieses Treffens, ein Brief Adornos an Kracauer, verfaßt drei Tage nach dem Gespräch, liegt seit geraumer Zeit publiziert vor38 –, hier nur ein Hinweis: In der von Adorno überlieferten Rede Lukács’ vom »›schwarze[n] Abgrund der Verzweiflung‹«, der Kierkegaards calvinistischer Gott tatsächlich sei, meldet sich bereits jene Verachtung des Nihilismus, den Lukács als ohnmächtige Reaktion des versinkenden Bürgertums deutet, welche Adorno später ebenfalls treffen wird. Im Mai  berichtet Adorno von zwei weiteren Gesprächen mit Lukács, leider aber nicht inhaltlich. Sie müssen aber für ihn ebenfalls enttäuschend verlaufen sein, schreibt er doch an Kracauer: »Gespräche ohne Glanz; wie hättest Du Dich gelangweilt! Ist es nicht traurig, daß ich mit dem Gegner Grab besser reden kann als mit dem Autor der Romantheorie, der doch ein Genosse ist?«39 Gut  Jahre nach diesen Begegnungen Adornos mit Lukács, , erscheint in der Zeitschrift Ost-Probleme unter dem Titel »Schärft die Waffen des Geistes!« eine gekürzte Übersetzung »einer Rede, die der ungarische Perteiideologe und Literaturwissenschaftler Georg Lukács am . Juni  in der Politischen Akademie der Partei der Ungarischen Werktätigen in Budapest« gehalten hat.40 Dieser Abdruck veranlaßt Adorno zu einer Zuschrift an die Zeitschrift,41

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), p. .« (Adorno, Current of Music. Elements of a Radio Theory, ANS, Bd. I., S. .) Adorno an Kracauer, . Juni , ABB, Bd. , S. . Zuerst in Tiedemann , »Anmerkungen des Herausgebers«, S.  f.; jetzt auch: Adorno an Kracauer, . Juni , ABB, Bd. , S.  f. Ders. an Kracauer, . Mai , ebd., S. . – Mit »Grab« ist der Musiker, Schriftsteller und Jurist Hermann Grab (–) gemeint; Adorno schreibt über ihn: »er ist Schelerianer, luxuriös ontologisch, schreibt eine freundliche Arbeit über Max Weber und fühlt sich so wohl in den universalitas ante rem, wie es nur ein Multimillionärssohn post rem kann!« (Ders. an Kracauer, . Juni , ebd., S. .) Lukács , »Schärft die Waffen des Geistes!«, S. . – Dieselbe Rede wurde, in abweichender Übersetzung, im selben Jahr im Aufbau abgedruckt unter dem Titel

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die sie unter dem Titel »Adorno korrigiert Lukács« gekürzt und verändert abdruckt.42 Im Original schreibt Adorno unter anderem: »Die ›Ost-Probleme‹ vom . Oktober  bringen die deutsche Übersetzung eines Aufsatzes von Georg Lukács, der in der ›Tárasadalmi Szemle‹, Budapest, Juni–Juli  erschien. Der Aufsatz nimmt nachdrücklich Bezug auf meine Arbeiten. Da ich des Ungarischen nicht mächtig bin, so kann ich nicht beurteilen, was bei der Übersetzung einzelner Zitate ins Ungarische und bei der Rückübersetzung des ganzen Aufsatzes ins Deutsche sich ereignet hat; einiges klingt sehr sonderbar. Fraglos aber hat Lukács mich positiv genannt. Seine früheren Werke haben einmal auf mich, wie auf andere Intellektuelle meiner Generation, großen Eindruck gemacht. Während aber Lukács, Kultusminister der Regierung Nagy, sein geistiges Prestige heute noch im wesentlichen jenen früheren Arbeiten verdankt, hat er sie längst feierlich widerrufen und die kulturelle Generallinie der Russen befolgt. Es ist möglich, daß er nun mich heranzieht, um davon sich zu lösen oder wenigstens in den Augen freiheitlich Gesinnter die bislang von ihm gebilligten Thesen – solche einer durch den ›sozialistischen Realismus‹ gegängelten Kultur – als von unabhängigen westlichen Theoretikern bestätigt hinzustellen. So froh ich indessen wäre, wenn Lukács der Zerstörung seiner eigenen Vernunft endlich sich widersetzte, so wenig kann ich es dulden, daß er im Zuge taktischer Erwägungen den Inhalt meiner Musikphilosophie auf den Kopf stellt und den Anschein erweckt, als hätte ich das Mindeste gemein mit dem, was man in Moskau als Kultur propagiert. […] Lukács zitiert einen angeblichen Satz von mir[:] ›Die Musik, d.h. die dekadente avantgardistische Musik, ist in unserer Epoche zum Untergang verur-

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»Der Kampf des Fortschritts und der Reaktion in der heutigen Kultur. Vortrag in der Politischen Akademie der PUW am . Juni « und findet sich, in letzterer Fassung, ebenfalls in den Schriften zur Ideologie und Politik, die Adorno besaß (vgl. Lukács , »Der Kampf des Fortschritts und der Reaktion in der heutigen Kultur. Vortrag in der Politischen Akademie der PUW am . Juni «). Willy Hartner, damals Dekan an der Frankfurter Universität, machte Adorno auf die Rede aufmerksam. Der bedankt sich »für die Nummer der Ost-Probleme mit dem Aufsatz von Lukács. Ich reiche Dir die Nummer zurück und schicke Dir gleichzeitig einen Durchschlag der Entgegnung, die ich heute an die Ost-Probleme schicke. Wenn Du die ›Dissonanzen‹ gelesen hast, wirst Du sehen, um welch plumpes Täuschungsmanöver bei Lukács es sich handelt.« (Adorno an Willy Hartner, . November , Theodor W. Adorno Archiv, Br /.) Vgl. ders. , »Adorno korrigiert Lukács«, S.  (jetzt unter dem Titel »Widerspruch«, AGS, Bd. , S.  f.).

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teilt, weil in den Komponisten die Authentizität, die Aufrichtigkeit dieser Furcht und dieses Schreckens im Aussterben begriffen ist.‹ Diesen Satz, oder irgend einen auch nur entfernt ihm ähnlichen, habe ich niemals geschrieben, weder in der ›Philosophie der neuen Musik‹, noch im ›Altern der neuen Musik‹. Er ist nichts als Galimathias, und frei erfunden. Lukács ist viel zu gescheit und kennt seinen Hegel viel zu genau, um nicht zu wissen, daß die kritischen Sätze, die ich über den Verlust an innerer Spannung in der neuen Musik schrieb, nur ein Moment in einem theoretisch entfalteten Ganzen sind, und daß dies Ganze jeden Gedanken an die kollektive Sanktionierung von Musik heute ausschließt. Davon hat er dogmatisch abstrahiert. In das gleiche Bereich gehört es, wenn er von dem ›hervorragenden deutschen kommunistischen Komponisten Schönberg‹ redet, während Schönberg im heftigsten Gegensatz zum Kommunismus stand. In der Verwirrung, die zwischen Stalinismus und innerkommunistischem Revisionismus augenblicklich herrscht, ist offenbar jedes Mittel erlaubt. Demgegenüber halte ich mich für berechtigt und gehalten, meine Gedanken davor zu beschützen, verschandelt und pervertiert zu werden. Mit dem Ganzen würde ich, in der gegenwärtigen Stunde, die Öffentlichkeit nicht behelligen, wenn nicht Lukács’s Aufsatz außerordentliche Verbreitung gefunden hätte. Viele von denen, die ihn lasen, ohne meine Arbeiten zu kennen, müssen unsinnige Vorstellungen von meiner Position gewinnen.«43 Eine Anmerkung zu dem von Adorno inkriminierten ›Zitat‹ bemerkt, es handele sich um eine »Rückübersetzung aus dem Ungarischen«44. In der Fassung, die zunächst im Aufbau und danach in den Schriften zur Ideologie und Politik publiziert wurde, lautet der Satz: »Die Musik, das heißt die Musik der dekadenten Avantgarde, gerät in unsrem Zeitabschnitt deshalb in Verfall, weil die Authentizität, die Aufrichtigkeit dieser Furcht und des Schreckens bei unseren Komponisten im Vergehen ist.«45 Von einem kommunistischen Schönberg ist dort allerdings nicht mehr die Rede. Laut Ost-Probleme hatte Lukács darauf verwiesen, was »Hanns Eisler über den hervorragenden deutschen kommunistischen Komponisten Schönberg«46 gesagt habe, während er nach der zweiten Fassung darauf verwies, was »Hanns Eisler, der hervorragende kommunistische

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Theodor W. Adorno Archiv, Ts – (die Abweichungen von der publizierten Fassung werden hier kursiv wiedergegeben). Anmerkung zu Lukács , »Schärft die Waffen des Geistes!«, S. . Ders. , »Der Kampf des Fortschritts …«, S. . Ders. , »Schärft die Waffen des Geistes!«, S. .

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deutsche Komponist, über Schönberg schrieb«47. Offenbar handelt es sich bei der Adorno vorliegenden Fassung also schlicht um einen Übersetzungsfehler, weshalb die Herausgeber der Ost-Probleme vermutlich auch lieber davon absahen, Adornos Erwiderung dieses Punktes abzudrucken. Die hier verhandelte Rede ist jener Vortrag, von dem Lukács im Vorwort seiner Schrift Wider den mißverstandenen Realismus vermerkt, diese sei » als Grundlage« zu jenem entstanden.48 Selbstverständlich findet sich auch in jener Arbeit der Passus, der Adorno Anlaß zur Reaktion gegeben hatte; er lautet dort, in der letztgültigen Fassung: »Hans Eisler sagt über Schönberg: ›er hat lange vor Erfindung der Bombenflugzeuge die Gefühle der Menschen in Luftschutzbunkern ausgedrückt‹. Noch charakteristischer ist, was Adorno in seinem Aufsatz ›Altern der neuen Musik‹ über die Tendenzen des Stockens und des Niedergangs in der avantgardistischen Musik, natürlich vom Standpunkt der Avantgarde, sagt: ›Die Klänge sind dieselben. Aber das Moment der Angst, das ihre großen Urphänomene prägt, hat man verdrängt.‹ Und damit verliere sie die Wahrheit, ›die ihr einzig noch Daseinsrecht verlieh‹.«49 Ist die Zitierung Adornos hier fast korrekt, so konnte dieser jedoch freilich weder seine Indienstnahme in Wider den mißverstandenen Realismus unwidersprochen lassen, noch diese 47 48 49

Ders. , »Der Kampf des Fortschritts …«, S.  f. Ders. , Wider den mißverstandenen Realismus, S. . Ebd., S. . – Die entsprechende Stelle lautet bei Adorno: »Ein drastisches Analogon aus der Literatur mag erlaubt sein. Es bezieht sich auf ein Werk, dessen geistige Ursprünge denen der Neuen Musik sehr verwandt sind, die ›Letzten Tage der Menschheit‹ von Karl Kraus. Er stand Schönberg nahe, und dieser hat auf Kraus in dankbarer Solidarität oft hingewiesen. Die erste Ausgabe jenes Dramas enthielt ein Titelbild, das die Hinrichtung des als Spion verurteilten Abgeordneten Battisti durch die Österreicher darstellte, mit der grauenhaften Fotografie eines gemütlich lachenden Henkers im Zentrum. Das Bild, ebenso wie ein zweites, womöglich noch bestürzenderes, ist in der Neuausgabe nach dem zweiten Krieg fortgeblieben. Durch dies scheinbar bloß Äußerliche hat sich im Werk etwas Entscheidendes geändert. Minder kraß widerfuhr solche Änderung auch der Neuen Musik. Die Klänge sind dieselben. Aber das Moment der Angst, das ihre großen Urphänomene prägte, hat man verdrängt. Vielleicht ist die Angst in der Realität so überwältigend geworden, daß ihr unverhülltes Bild sich kaum mehr ertragen ließe: das Altern der Neuen Musik konstatieren, heißt nicht, es als zufällig verkennen. Aber Kunst, die solcher Verdrängung bewußtlos gehorcht und sich zum Spiel macht, weil sie zu schwach wurde zum Ernst, begibt eben damit sich der Wahrheit, die einzig ihr noch Daseinsrecht verliehe.« (Adorno, »Das Altern der Neuen Musik«, AGS, Bd. , S.  f.)

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Schrift insgesamt. Im Juni  schreibt er dem ungarisch-deutschen Philosophen Wilhelm Szilasi, er habe seine Sammlung Noten zur Literatur, die immerhin den bis dahin unveröffentlichten Aufsatz über den »Essay als Form« enthalten, nicht an Lukács geschickt – »ich habe mich sehr geärgert, weil er, in einer doch recht sophistischen Weise, meine Arbeit ›Das Altern der neuen Musik‹ für die reaktionäre Kulturpolitik des Ostblocks glaubte ausschlachten zu dürfen, und ich sah mich sogar gezwungen, gegen diesen Mißbrauch (in den ›Ostproblemen‹) mich öffentlich zu verwahren. Natürlich war die ›Seele und die Formen‹ […] etwas ganz anderes, aber er hat ja von diesem Buch, ebenso von der Romantheorie und von Geschichte und Klassenbewußtsein sich damals aufs schärfste distanziert. Um seine Wirkung ist es heute so bestellt, daß er seine Autorität bei den jüngeren Menschen genau jenen Büchern verdankt, über die er selber den Bannfluch hat ergehen lassen – ein recht unsympathischer Zustand. Andererseits scheint er sich ja nun doch auf seine alten Tage ein wenig auf seine ursprüngliche moralische Kraft besonnen zu haben, und das hat sich vielleicht auch in seinen jüngsten Arbeiten ausgedrückt. Gerade jetzt habe ich es übernommen, die kleine Schrift ›Wider den mißverstandenen Realismus‹ öffentlich anzuzeigen.«50 – Ein halbes Jahr später wird Adorno vom Journalisten und Schriftsteller Helmut Höfling gebeten, einen Text zu einer Festschrift zu Ehren Szilasis beizusteuern;51 Adorno antwortet: »Zu der Festschrift möchte ich von Herzen gerne etwas beitragen […]. Der einzige Vorschlag, den ich Ihnen zu machen hätte, wäre, daß Sie in die Festschrift meine Lukács-Arbeit aus dem ›Monat‹ aufnehmen, die ja Herr Szilasi fraglos gesehen hat, und die ihn, schon mit Rücksicht auf seine alten Beziehungen zu Lukács, interessieren dürfte. Doch ist sie eben schon einmal publiziert. Falls das Sie jedoch nicht daran hindern sollte, sie zu bringen, würde ich sie Ihnen gerne geben, mit einer Reihe von Verbesserungen und Änderungen gegenüber der Version des ›Monats‹.«52 – Höfling seinerseits antwortet, daß Hermann Lübbe bereits einen Aufsatz über Lukács für die Festschrift zugesagt habe, woraufhin Adorno schreibt: »Zwei Texte über Lukács in einem Band wären aber doch wohl etwas reichlich, auch der Relevanz des Gegenstandes nicht recht angemessen; schließlich wollen wir nicht

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Ders. an Szilasi, . Juli , Theodor W. Adorno Archiv, Br /. Vgl. Helmut Höfling (Hg.) , Beiträge zu Philosophie und Wissenschaft. Wilhelm Szilasi zum . Geburtstag. Adorno an Höfling, . Januar , Theodor W. Adorno Archiv, Br /.

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den Anschein erwecken, als ob Lukács eine Art summus philosophus wäre, wofür ich ihn so wenig halte wie Herrn Heidegger.«53 Die ›Anzeige‹, von der Adorno Szilasi gegen gesprochen hatte, wuchs sich unter der Hand zu einer veritablen Polemik aus. Der Text, »Erpreßte Versöhnung«, ist bekannt und braucht nicht im einzelnen ausgeführt und kommentiert zu werden. Zuerst veröffentlicht Ende  im Monat, wird er  in der Sammlung Noten zur Literatur II wiederpubliziert. Anders als der Untertitel, »Zu Georg Lukács: ›Wider den mißverstandenen Realismus‹«, nahelegt, handelt es sich weniger um eine Rezension oder einen Lektürebericht, sondern eher um eine Abrechnung mit Lukács sowie dessen Entwicklung von einem der scharfsinnigsten Zeitgenossen Adornos zum Kultur- und Philosophieverwalter in den Diensten des ›Diamat‹. An Lukács macht Adorno eine »spürbare Rückbildung eines Bewußtseins« aus, »das einmal zum fortgeschrittensten rechnete«, nun aber jener »Verdummung« zum Opfer fiel, »die auch den Klügsten widerfährt, sobald sie Weisungen wie der zum sozialen Realismus parieren.«54 Kurz nach der Erstveröffentlichung der »Erpreßten Versöhnung« schreibt Adorno an Helmuth Plessner: »Den Lukács werden Sie ja wohl gelesen haben; angesichts der gefährlichen Rolle, die diese Dinge gerade dadurch bei uns zu spielen beginnen, daß Lukács von den Botokuden verfolgt wird und im Westen publiziert, hielt ich es für unbedingt notwendig, da einmal deutsch zu reden und außerdem ein paar Dinge auszusprechen, die sich zwar von selbst verstehen sollten, die aber der allgemeinen Regression zum Opfer fallen, und die vielleicht in einem solchen Augenblick eben doch nun sich formulieren lassen.«55 Im gleichen Sinne antwortet Adorno auf die Bedenken eines Schülers, Horst Helmut Kaisers, der noch im Monat ihres Erscheinens gegen Adornos Polemik eingewendet hat, sie könne Lukács in einer Zeit politisch schaden, in der ein Wie53 54 55

Ders. an Höfling, . Februar , Theodor W. Archiv, Br /. Ders., »Erpreßte Versöhnung«, AGS, Bd. , S. . Ders. an Helmuth Plessner, . Dezember , Theodor W. Adorno Archiv, Br /. – Ähnlich formuliert Adorno in einem Brief an den Musikwissenschaftler Theodor Warner, er habe den Aufsatz geschrieben, weil das Buch von Lukács »dadurch, daß es im Westen erscheint, besonders großes Unheil anrichten kann, nämlich allen möglichen Obskuranten ein gutes Gewissen macht, daß ihre Ansichten mit dem Marxismus übereinstimmen und noch dazu mit dem eines Märtyrers der östlichen Despotie.« Das zeitgenössische Werk Lukács’ stehe nunmehr auf der Seite »der hereinbrechenden Unmenschlichkeit und Barbarei.« (Ders. an Theodor Warner, . Dezember , Theodor W. Adorno Archiv, Br / f.)

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dererstarken des Stalinismus in Ungarn zu bemerken sei: »Ihre Sorge kann ich sehr gut begreifen. Seien Sie aber sicher, daß ich die Frage, die Sie anschneiden, aufs sorgfältigste erwogen habe. Da ich in meinem Aufsatz Lukács […] durchaus als Exponenten der offiziellen Ideologie des Diamat kritisiere, aus der er sich nicht lösen kann, und da ich ihn andererseits doch als eine so wichtige Figur nehme, daß sein internationaler Ruf bestätigt ist (der ihn persönlich ja einigermaßen schützt), so glaube ich nicht, daß die Sache ihm das mindeste schaden wird; im Gegenteil, daß ich mich gegen ihn wende, ist in den Augen der östlichen Machthaber nur ein Positivum für ihn. Abgesehen davon aber scheint es mir unmöglich, daß wir uns hier im Westen in irgendeiner Weise in unserem geistigen Verhalten von dem kontrollieren lassen, was drüben geschieht. Auf der anderen Seite wird das ja auch nicht getan, und wenn man damit anfängt, gerät man in jenen höchst gefährlichen Mechanismus, der die Feinde totalitärer Herrschaft dazu verführt, deren eigene Methoden und Kriterien zu akzeptieren. Ich muß mir schon in meinen eigenen Arbeiten und ihrer Publikation vollste Unabhängigkeit sichern. Daß der Text gegen Lukács jetzt erscheint, halte ich gerade deshalb für besonders wichtig, weil sein neues Buch ja in der Westzone herauskam und dort auf gewisse Anfällige einen recht bedenklichen Einfluß ausüben kann, nämlich den einer als progressiv sich tarnenden Denunziation der modernen Kunst. Daß ich, der ich durch mein ganzes Leben mit dieser Kunst bis ins Innerste identifiziert bin, dagegen mich energisch zur Wehr setze, ist doch wohl legitim. Und, wie gesagt, ich halte es für ganz ausgeschlossen, daß Lukács irgendein privater Schaden daraus entsteht. Was mich anlangt, so würde allerdings drüben kein Mensch sich im geringsten analoge Sorgen machen.«56 Während Adornos Polemik gegen Lukács zunächst auf Zustimmung stößt,57 kommt es über fünf Jahre später zu zwei kleineren Kontroversen mit 56 57

Ders. an Horst Helmut Kaiser, . November , Theodor W. Adorno Archiv, Br /. Unter anderem von Hans G Helms, der Adorno als Mitarbeiter einer neu zu gründenden Zeitschrift Contexts zu gewinnen versucht hat. Adorno schreibt ihm: »Ich selbst müßte meine Mitarbeit davon abhängig machen, daß Lukács nicht in der Zeitschrift schreibt; daß er jetzt, weil er einmal den Anschluß an die gerade herrschende Generallinie versäumte, im Westen eine Art secret [recte: sacred] cow geworden ist, kann mich nicht vergessen lassen, daß er die stursten Dinge im Sinne des sozialistischen Realismus geschrieben hat, die dadurch nicht besser werden, daß er ein schlechtes Gewissen dabei hatte. Lesen Sie etwa einmal den Schluß des Nietzsche-Kapitels aus der Zerstörung der Vernunft. Und die Art, in der er mich

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Lucien Goldman58 und mit Leo Kofler. An ersteren schreibt Adorno : »Man hat mir erzählt, Sie hätten in der Kontroverse zwischen Lukács und mir, die ja jener entfesselt und jetzt in dem Vorwort zur Neuausgabe der ›Theorie des Romans‹ nicht gerade imponierend fortgesetzt hat, für ihn Partei ergriffen und meinen Begriff einer ›negativen Dialektik‹ abschätzig bewertet. Ich weiß nicht, ob das stimmt, kann es mir in dieser Gestalt auch schwer vorstellen. Jedenfalls aber meine ich, daß, wenn theoretische Divergenzen zwischen uns beiden bestehen, angesichts des wesentlich Gemeinsamen und unserer Freundschaft, es doch schön wäre, wenn wir diese Divergenzen untereinander austrügen, anstatt daß Dritte darüber tratschen. Daß wir in manchem divergieren, ist ja schließlich weder für Sie noch für mich eine Schande; aber Sie wissen, welchen Akzent solche Dinge annehmen, sobald das akademische Gerede ihrer sich bemächtigt. Übrigens werde ich wahrscheinlich mit Lukács im nächsten Jahr zusammentreffen auf dem Salzburger Hegelkongreß, wo ich eines der Hauptreferate über Musik und dialektische Logik (nicht etwa über die Hegelsche Musikästhetik) übernommen habe.«59 – Weder Lukács noch Adorno werden an diesem Kongreß teilnehmen. Über seine Gründe, nicht zu erscheinen, schreibt Adorno am . September  an Leo Kofler: »Meine Teilnahme am Hegelkongreß mußte ich zu meinem allergrößten Bedauern wegen meines wirklich erbärmlichen Gesundheitszustandes absagen. Ich hoffe aber, meine Arbeitskraft, um es orthodox auszudrücken, einigermaßen reproduziert zu haben. Alle anderen Versionen, die über mein Nichterscheinen verbreitet werden, entbehren jeder Grundlage. Ich wäre wirklich gern gekommen«60. Offenbar will Adorno hier möglichen Gerüchten zuvorkommen, er habe deshalb nicht am Kongreß teilgenommen, um nicht mit Lukács persönlich aneinanderzugeraten. Nach einem weiteren Brief Goldmans zum Streit mit Lukács bemerkt Adorno: »Zur Person Lukács: nicht habe ich zuerst einen scharfen Angriff auf ihn gerichtet sondern er

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selber für die kulturreaktionären Zwecke der kommunistischen Partei zu beschlagnahmen versuchte, hat mich in meiner Aversion natürlich noch bekräftigt.« (Ders. an Hans G Helms, . September , Theodor W. Adorno Archiv, Br /.) In sein Tagebuch von einer Reise nach Paris trägt Adorno am . März  ein: »Um  übernahm ich das Seminar von Goldmann, bei ihm zuhause. […] Ging sehr gut. Schnatterte ganz schön französisch; über Grundfragen der Literatursoziologie. Gegen Lukacs und den primitiven Materialismus.« (Ders. zit. nach Theodor W. Adorno Archiv [Hg.] , Adorno. Eine Bildmonographie, S. .) Ders. an Goldmann, . September , Theodor W. Adorno Archiv, Br /. Ders. an Leo Kofler, . September , Theodor W. Adorno Archiv, Br /.

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[hat] mich attackiert und zugleich entstellt. Wenn Sie sich meinen großen Aufsatz aus dem zweiten Band der ›Noten zur Literatur‹, den Sie offenbar nicht kennen (ich lasse Ihnen das Buch schicken), ansehen, so werden Sie darin meinen Respekt vor eben den Arbeiten von ihm ausgedrückt finden, die auch Sie hochschätzen, und werden feststellen, daß ich das Spätere, vor allem auch das Buch ›Über die Zerstörung der Vernunft‹ für reinen Schund halte, und ich kann mir nicht vorstellen, daß wir da nicht übereinstimmen. Allerdings finde ich, daß diese Arbeiten – Sie werden mich recht verstehen – rückwirkende Kraft haben und auch vieles von dem Früheren empfindlich affizieren. So ist der Begriff der sinnerfüllten Epoche, der sich summarisch aus seiner Geschichtsphilosophie von oben her über das Leiden der Menschheit in den Perioden geschlossener Gesellschaft hinwegsetzt, in gewisser Weise schon das Modell dessen an ihm, was man, auch in seiner orthodox kommunistischen Phase, am ehesten Rechtshegelianismus nennen könnte. […] Eine Glorifikation von Lukács halte ich darum für gefährlich; um so mehr als er ja, wie Sie wissen, gerade die Schriften, die Sie und ich hochschätzen, verleugnet, während sein Prestige unter den fortgeschrittenen Intellektuellen ja einzig von diesen Schriften lebt. […] Daß ich mich der Person Lukács nicht entziehen werde, der ich ihre Integrität ausdrücklich bescheinigte, versteht sich von selbst. Im Ernst mit ihm zu sprechen, ist etwas schwierig, weil er auf eine professorale Weise wie der alte Husserl zu monologisieren pflegt.«61  veröffentlicht Kofler einen Artikel in der Göttinger Studentenzeitung politikon, in dem er sich darüber beklagt, daß »nicht nur Adorno selbst, sondern die gesamte Frankfurter Schule einen Streit« mit Lukács entfacht habe;62 Kofler bezieht sich hier, trotz aller Rede von der gesamten Schule – gemeint sind einige Stellen aus Habermas’ Theorie und Praxis63 – auf den Aufsatz »Erpreßte Versöhnung«. Nachdem er Adorno ein Exemplar dieser Ausgabe hat zukommen lassen, stellt der klar, daß er Kofler zwar durchaus entgegnen wolle; »aber es ist mir, trotz des besten Willens, unmöglich, wahrhaft nicht wegen der Differenzen der Anschauungen, oder weil ich gegen Kritik im mindesten empfindlich wäre. Nur, die Darstellung meiner Gedanken verzerrt so vollkommen alles, was ich je publiziert und geschrieben habe, daß ich zunächst einmal berichtigen müßte, 61 62 63

Ders. an Goldmann, . Oktober , Theodor W. Adorno Archiv, Br / f. Kofler , »Adorno oder Lukacs? Zwischen Marxo-Nihilismus und marxistischer Literaturtheorie«, S. . Vgl. Jürgen Habermas, , Theorie und Praxis. Sozialphilosophische Studien.

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was offensichtlich überhaupt nicht verstanden, oder von Ihrem Gewährsmann willentlich falsch dargestellt worden ist. […] Ich kann auch nicht verstehen, daß Sie sich in die Kontroverse zwischen Lukács und mir hineinbegeben, ohne auch nur mit einem einzigen Satz auf meine Argumentation in der Arbeit ›Erpreßte Versöhnung‹ sich einzulassen, die jetzt im zweiten Band der ›Noten zur Literatur‹ steht. Mein Eindruck ist der einer Primitivierung der zur Diskussion stehenden Fragen, die es kaum mehr ermöglicht, sich auch nur über das zu verständigen, was diskutiert wird. Ich bedauere das – es ist schade, daß es zu solchen Disproportionen zwischen Menschen kommt, die Besseres tun könnten, als daß der eine den anderen aus Mißverständnis angreift, während der Angegriffene deshalb sich nicht zur Wehr setzen kann, weil alles, was ihm vorgeworfen wird, diesseits des Niveaus liegt, auf dem er arbeitet.«64 Die hier verhandelte »Primitivierung« entspricht für Adorno ein Desinteresse am stimmigen Ausdruck, das er zunehmend an Lukács wahrnimmt. Im kurzen, erst postum veröffentlichten Text »Ad Lukács« übt Adorno Sprachkritik und wendet sich gegen »eine Schlamperei, wie sie der behaglich-hochtrabenden Sprachverwilderung deutscher Professoren um die Jahrhundertwende entspricht«65; ein Vorwurf, den Adorno im Aufsatz »Erpreßte Versöhnung« explizieren wird: »Während der Hegelsche Begriff des Konkreten bei Lukács nach wie vor hoch im Kurs steht – insbesondere, wenn es darum geht, die Dichtung zur Abbildung der empirischen Realität zu verhalten –, bleibt die Argumentation selber weithin abstrakt. Kaum je unterwirft sich der Text der Disziplin eines spezifischen Kunstwerks und seiner immanenten Probleme. Statt dessen wird verfügt. Der Pedanterie des Duktus entspricht Schlamperei im einzelnen.«66 Im Jahr der Veröffentlichung der Polemik führt dieser in seiner Vorlesung zur Einführung in die Dialektik aus, es sei eben »keine Marotte – ich habe das in der kleinen Arbeit über den ›Essay als Form‹ ein wenig näher auszuführen versucht –, wenn philosophische Schriftsteller, die ernst zu nehmen sind, es mit der Sprache auch so ernst nehmen, wie es zumindest seit Schopenhauer, der diese Schicht der Philosophie als erster eigentlich betreten hat, der Fall ist; wie umgekehrt es ein untrügliches Maß für die Erstarrung und für das Aufhören eigentlich der inneren dialektischen Bewegung von Gedanken ist, wenn sie ihrer sprachlichen Gestalt nach verkümmern. Sie können das ebenso etwa an Scheler 64 65 66

Adorno an Kofler, . Juli , Theodor W. Adorno Archiv, Br / f. Ders., »Ad Lukács«, AGS, Bd. ., S. . Ders., »Erpreßte Versöhnung«, AGS, Bd. , S. .

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konstatieren, bei dem die unverantwortliche feuilletonistische Schlamperei das ontologische Pathos dieser Philosophie Lügen straft, wie bei dem späteren Lukács, bei dem die völlige sprachliche Gleichgültigkeit gegen die Formulierung eben jener bloßen Wiederholung, jener bloßen Spiegelung eines zur Dogmatik erstarrten Lehrgehalts entspricht, wie sie in der Tat dem Inhalt seines Denkens auch angemessen ist.«67 Vor diesem Hintergrund erst bekommt auch ein Gespräch seinen Sinn, von dem Frank Benseler berichtet. Der hatte Lukács kurz zuvor in Budapest besucht, als er im Oktober  bei Ernst Bloch in Tübingen mit Adorno zusammentraf. Adorno fragte Benseler, ob Lukács den Aufsatz »Erpreßte Versöhnung« gelesen habe. Benseler wird daraufhin einen Brief an Lukács schreiben, in dem er von seiner Antwort berichtet: »Ich erwiderte wahrheitsgemäß, Sie kännten den Essay, fühlten sich aber nicht weiter betroffen dadurch. Adorno gab sich aber nicht zufrieden und fragte direkt weiter, was Sie inhaltlich dazu gesagt hätten. Nun, sagte ich, Sie hielten alles, was er da geschrieben habe, für vollkommen falsch. Adorno, dem so etwas heute wohl kaum mehr gesagt wird, prallte sichtlich zurück. Das will viel heißen; der Mann schaut sonst vollkommen unbewegten Gesichts hinter seiner Brille hervor und wird deshalb wohl auch hier ›die magische Kröte‹ genannt. Aber noch einmal prellte Adorno vor und meinte, durch was Sie sich denn überhaupt betreffen ließen. Wiederum zielte ich genau und gab ihm zu verstehen, daß Sie nicht so sehr vom eigenen Schicksal mehr gepackt wären, als Sie sich vielleicht Vorwürfe und Sorgen wegen Ihrer Schüler machten.«68 Hier offenbart sich ein gewichtiger Grund für die beidseitigen Aversionen, die womöglich hätten produktiv ausgetragen werden können, wenn sich Adorno und Lukács direkt aneinander gewandt hätten. Denn interessanter als diejenige Frage, ob Adorno, den Benseler seinem verehrten Meister als magische Kröte anträgt, nun zurückprallt oder vorprellt, wäre doch wohl eine ernstzunehmende Antwort auf die von Adorno gestellte gewesen. Ob sich Lukács ›betroffen‹ von Adornos Auseinandersetzung zeigte, mag biographisch belangvoll sein oder auch nicht. Möglich, daß sachliche Gegenargumente seitens Lukács’, die wohl über behagliches Desinteressement sowie die Rede vom Schicksal hinausgegangen wären, wenn er und Adorno miteinander ins Gespräch gekommen 67 68

Ders., Einführung in die Dialektik, ANS, Bd. IV., S. . Frank Benseler an Lukács, . November , Lukács/Benseler , »Briefwechsel zur Ontologie zwischen Georg Lukács und Frank Benseler«, S. .

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wären, eine kritische Auseinandersetzung in Gang gesetzt hätten. – So aber bleibt Lukács’ Antwort an Benseler seltsam oberflächlich und sachlich unmotiviert, wenn er schreibt: »Ihr Rededuell mit Adorno hat mich sehr amüsiert. Es scheint, daß jede Replik ein Volltreffer war. Es ist sehr gesund, daß er einmal diese Wahrheit über seine Wirkungen zur Kenntnis nehmen mußte.«69 Tatsächlich zeugt Lukács’ Einschätzung der Wirkung Adornos leider von einer Kenntnislosigkeit, zumal, was seine eigenen Schriften anbelangt, die sich vor die Einsicht geschoben zu haben scheint, daß weniger ein ›Duell‹ über Dritte als eine Klärung der Positionen angestanden hätte. Und angesichts solcher despektierlichen Aussagen Lukács’ über Adorno erscheint es eher ironisch als zutreffend wenn Dénes Zoltai, der den Plan einer ungarischen Werkauswahl Adornos verfolgt und sich ihm als Verehrer seiner Schriften einerseits, andererseits als engerer Schüler Lukács’ vorstellt,70 im April  an Adorno schreibt, er werde Lukács in den kommenden Tagen aufsuchen, um ihm Adornos Empfehlungen zu überbringen – Adorno hatte an Zoltai geschrieben: »Herrn Prof. Lukazs bitte ich meine besten Empfehlungen zu übermitteln.«71 Welchen Eindruck das »Trauerspiel« auf die studentische Öffentlichkeit machte, die für solche als persönlich wahrgenommenen Auseinandersetzungen weithin wenig übrig hatte, mag exemplarisch eine von Ágnes Heller kolportierte Anekdote zeigen, die eine Konferenz von  zum Gegenstand hat, bei der sie auf einen Adorno traf, der sich eine Annäherung an Lukács und eine Beendigung jenes ›Trauerspiels‹ durchaus gewünscht hätte: »Die Begegnung mit den Mythen von Paris war ebenso berauschend wie das Treffen mit den Denkern in Royaumont; auch sie waren wandelnde Mythen für mich. […] Der wichtigste Referent war Adorno. Mit ihm und Löwenthal tranken wir in Adornos Zimmer manchen Kognak. Es war meine erste und letzte Begegnung mit Adorno, denn er starb schon anderthalb Jahre später. […] Wir sprachen über Gott und die Welt, unter anderem über Adornos Arbeiten zur Musik, die bis zu uns gelangt waren. […] Er bat mich, zwischen ihm und Lukács zu vermitteln, sie hätten sich bisher nur beschimpft und verleumdet, aber nun möchte er erneut Kontakt aufnehmen. Ich sollte mich dafür einsetzen, daß Lukács ihm auf seinen Brief

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Lukács an Benseler, . November , ebd., S. . So Dénes Zoltai in zwei Briefen an Adorno vom . März  (Theodor W. Adorno Archiv, Br /) und . April  (Theodor W. Adorno Archiv, Br /). Adorno an Zoltai, . März , Theodor W. Adorno Archiv, Br. /.

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antworte, und so geschah es. Die interessantesten Vorträge auf der Konferenz waren die von Adorno und Lucien Goldmann, beide sprachen über Ästhetik. Während Goldmann redete, stand plötzlich jemand auf und schrie: ›Schluß damit! Schluß mit diesen Dingen! Goldmann, Adorno und Lukács tun nur so, als bekämpften oder kritisierten sie einander. In Wirklichkeit gehören alle drei zur heiligen Familie. Alle drei glauben an die Hochkultur. Die Hochkultur ist Scheiße! Nieder mit der Hochkultur! Es gibt keinen Unterschied zwischen hoher und Massenkultur! Schluß mit dem Elitismus! Nieder mit der Elite! […]‹«72.

9.3 Kommunistischer Rechtshegelianismus , als noch eine Art Fortsetzung der Dialektik der Aufklärung geplant ist, ist die Abkehr Adornos von Lukács bereits vollzogen; im Dezember des Jahres schreibt Adorno diesbezüglich an den Herausgeber der Zeitschrift Merkur von zwei Theoretikern, »zu denen wir im schärfsten Gegensatz stehen«: gemeint sind Ernst Bloch und Georg Lukács. »[W]ir arbeiten für den zweiten Band der ›Dialektik‹, an einer kritischen Auseinandersetzung mit Lukács«73. In diesem Zuge verfaßt Adorno etwa Ende  oder Anfang  zum Zweck der Selbstverständigung einen Lektürebericht über Lukács’ Buch Der junge Hegel. Dieser Bericht findet sich sowohl im Nachlaß Adornos als auch in dem Horkheimers; er wird hier nach dem Exemplar Adornos zitiert: »Lukács’ Grundthese: im Gegensatz zur Auffassung von Dilthey, Nohl und H[ae]ring ist der junge Hegel nicht wesentlich religiös bestimmt, sondern durch gesellschaftliche und selbst ökonomische Motive, die dem logischen und metaphysischen Interesse bei ihm vorangehen. Die ›theologischen‹ Jugendschriften sind in Wahrheit Kritik der Religion und zwar vermöge der ›Positivität‹, das heißt der toten Objektivität, die der christlichen Kirche als Gegensatz von subjektiver Selbsttätigkeit und Freiheit zugeschrieben wird. ›Positivität‹, aus der später der Begriff der Entäußerung wird, ist beim jungen Hegel einzig ein negativer Begriff. Die idealistische Befangenheit des jungen Hegel sieht L[ukács] we72 73

Heller , Der Affe auf dem Fahrrad. Eine Lebensgeschichte bearbeitet von János Kőbányai, S.  f. Adorno an Hans Paeschke, . Dezember , ABB, Bd. .III, S. . – Wenige Tage zuvor hat Adorno in derselben Angelegenheit geschrieben, Horkheimer arbeite »ohnehin an der Sache Heidegger–Lukács« (Adorno an Gretel Adorno und Horkheimer, . Dezember , ebd., S. ).

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sentlich darin, daß er anstelle der positiven Christlichkeit lediglich die griechische Religion setzen will, ohne also über den Begriff der Religion selber hinauszugehen. Doch ist die Frage nach der konkreten Wirksamkeit der Religionen durchaus historisch gestellt. Die ersten ökonomischen Studien Hegels fallen in die Frankfurter Periode. (L[ukács]  ff [ ff.])  hat H[egel] einen Kommentar zu Steuarts Staatswissenschaft geschrieben, der Rosenkranz noch vorlag, unterdessen aber verlorengegangen ist ( ff [ ff.]). Ebenso ist die letzte Frankfurter Arbeit, das ›Systemfragment‹, verloren. Man weiß vor allem nicht, ob H[egel]s Kenntnis von Smith bereits damals zu datieren ist, obwohl L[ukács] das annimmt, weil das Jenaer System der Sittlichkeit von  die Kategorien Arbeit und Arbeitsteilung zentral (?) enthält. Arbeit heißt für den jungen H[egel] wesentlich ›Vernichtung des Objekts‹ ( []), und zwar im Sinne der menschlichen Zweckmäßigkeit, deren Verbindung mit der Arbeit in der gesamten Dialektik erhalten bleibt. An Steuart hat ihn besonders die ›soziale Entstehungsgeschichte des Kapitalismus‹ angezogen, während bei S[mith] die eigentlich kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten vernachlässigt sind ( [ f.]). H[egel] sei zeitlebens insofern auf dem Steuartschen Standpunkt stehen geblieben, als er den bei Smith und Ricardo bereits voll entwickelten Begriff der Mehrarbeit und des Mehrwerts nicht benutzt habe, sondern den Profit aus ›Veräußerung‹ erklärt. Dadurch sei ihm das dialektische Wesensgesetz der Ökonomie selber entgangen: die Hereinnahme von Smith bleibt gleichsam äußerlich, ohne daß die Verbindung zwischen der H[egel]schen Logik und der Entfaltung der Wirtschaft in Widersprüchen begrifflich erreicht wäre. Dafür wie für alle übrigen marxistischen Mängel der H[egel]schen Gesellschaftslehre macht L[ukács] die Zurückgebliebenheit der deutschen ökonomischen Zustände verantwortlich. Entsprechend erscheint bei ihm Eigentum als ›Schicksal‹, das heißt zwar als notwendige, nicht aber zugleich als vergängliche Form der Gesellschaft. Trotzdem bezeichnet L[ukács] zufolge die Jenaer Phase einen entscheidenden Fortschritt für die Verknüpfung von Ökonomie, Gesellschaftswissenschaft, Geschichte und Philosophie. Hauptstelle und Interpretation  []: der Gegenstand der Arbeit bleibt derselbe und wird zugleich ein anderer, die Arbeit muß aber dabei der Eigengesetzlichkeit des Gegenstandes entsprechen. Dieser Dialektik im Objekt läuft eine im Subjekt parallel. Indem das Subjekt sich durch die Arbeit einem ihm Fremden und Objektiven unterwirft, ›entäußert‹ es sich seiner selbst nicht nur im negativen, sondern nun auch im positiven Sinn:

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es vollzieht den Bruch mit dem bloß naturhaften, typhaften Leben des Menschen. Erst dadurch wird der Mensch zum Menschen, Hauptstelle ( []). Daran schließt L[ukács] Betrachtungen über die Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft in der Phänomenologie an. Der Herr, als bloßer Konsument, in unmittelbarer Beziehung zum Gegenstand, den er genießt, bleibt in dessen reiner Negation befangen, während der Knecht, der das Objekt bearbeitet, die Seite der Selbständigkeit des Dings überläßt, Zitate ( [ f.]). Durchwegs geht es in der Hegelschen Darstellung der Arbeit in ihrer gegenständlichen Form, die den Knecht zum eigentlichen historischen Agens erhebt, um die Erhebung ins Allgemeine gegenüber der Unmittelbarkeit des Naturhaften. Die ›Allgemeinheit‹ der Arbeit ist die Arbeitsteilung. ( [ f.]) Aus ihr wird auch der technische Fortschritt abgeleitet. In Bezug auf Arbeitsteilung und Maschine folgt H[egel] einfach Smith ( [ f.]). Dabei läßt er die zerstörenden Wirkungen von Arbeitsteilung und Maschinen neben den progressiven rückhaltslos hervortreten. Seine Überlegenheit sieht L[ukács] hier darin, daß er diese negativen Momente nicht als bloße Epiphänomene und Schönheitsfehler betrachtet, sondern dialektisch als zum Wesen des kapitalistischen Prozesses selbst gehörig erkennt. Großartiges H[egel]zitat aus der Realphilosophie über das Maschinenmäßigwerden der menschlichen Arbeit selber ( [ f.]). Fortgeschrittenste, fast marxische Formulierung H[egel]s ( oben []). Dabei jedoch merkwürdiges Fortbestehen von Illusionen darüber, daß Staat und Regierung die Gegensätze von Reichtum und Armut mildern könnten, und vor allem, daß trotz der von H[egel] selbst erkannten Dynamik dieser Gegensätze die bürgerliche Gesellschaft ›gesund‹ erhalten bleiben könnte (ibd). Der H[egel]sche Systemgedanke drückt auf dieser Stufe den Zusammenhang der kapitalistischen Ökonomie als einer sich selbst bewegenden und in sich antagonistischen Totalität aus: das ›sich in sich bewegende Leben des Toten‹ ( []). In dieser Form erscheint jetzt die Kategorie der Positivität und Entäußerung. L[ukác]s’ Formulierung über den Doppelcharakter der Entäußerung (ibd). Nicht nur ist der Einzelne machtlos den ökonomischen Gesetzen ausgeliefert, sondern zugleich ist die Ökonomie ihrem Wesen nach ›untrennbarer Weise das Produkt des Menschen selbst‹. Die idealistische Schranke Hegels sei der ›philosophische Traum von der Rücknahme der Entäußerung des Subjekts [im Original heißt es: ins Subjekt]‹ ( []). H[egel] gelangt in der Analyse der Entäußerung, über die Kategorie des Geldes zu Tausch und Ware. Aber er vermag es nicht, diese Kategorien auf ihre

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Wurzel im Produktionsprozeß zu verfolgen, sondern bleibt, den Zuständen im vorindustriellen Deutschland entsprechend, bei dem Kaufmannskapital stehen, wie er denn den Handel den ›höchsten Punkt der Allgemeinheit‹ im Wirtschaftsleben nennt. Daher gibt es bei H[egel] keine zulängliche Werttheorie ( [ f.]). Doch wird der Tauschakt selber durchaus in seinem dynamischdialektischen Wesen gesehen ( oben []). Die höchste Erhebung des ökonomisch gesellschaftlichen Denkens bei H[egel] sieht L[ukács] in seiner Analyse des Geldes, das er sowohl in seiner Objektivität wie in seiner letztlichen Bezogenheit aufs Subjekt gesehen hat: ›die Gestalt des Innern ist nicht das tote Ding: Geld, sondern ebenfalls Ich‹ (großartiges Zitat  []). L[ukács] zufolge ist H[egel] an dieser Stelle bis zum marxischen Problem des Fetischismus vorgestoßen. Eine Zusammenfassung von L[ukác]s’ Kritik der H[egel]schen Ökonomik, die jedoch dem Gesagten kaum Wesentliches hinzufügt, findet sich ( ff [ ff.]). L[ukács] sieht sich vor der doppelten Notwendigkeit, einerseits H[egel] als ›großen Denker‹ direkt für den ökonomischen Materialismus in Anspruch nehmen zu müssen, andererseits ihn, als von Marx Kritisierten, nochmals zu widerlegen. Daher werden ihm abwechselnd gute und schlechte Zensuren erteilt. Aus Angst vor den Bonzen jedoch wagt L[ukács] nicht, die materialistischen Motive in der Hegelschen Logik und Metaphysik selbst aufzusuchen, sondern hält sich an das, was aus der klassischen Nationalökonomie mehr oder minder exzerpiert ist, und ist hocherfreut, wenn die Anwendung der dialektischen Methode auf das Wissenschaftsgebiet Ökonomie gelegentlich Resultate zeitigt, die an Marx und Engels anklingen.«74 Kurz nach Abfassung dieses Lektüreberichts schreibt Adorno seinem Freund Peter von Haselberg: »Ad vocem Dialektik, so gibt es ja nun zwei sozusagen offizielle Äußerungen vom kommunistischen und faschistischen Flügel: von Lukács den Wälzer über den jungen Hegel, einen Schmarren, in dem die wesentlichste Leistung des jungen Hegel darin gesehen wird, daß er Steuart und Adam Smith exzerpierte, und der sich sonst zwischen der parteiamtlichen Notwendigkeit, Hegel als großen Mann zu reklamieren, und der ebenso offiziellen, ihn als von Marx Widerlegten nochmals zu widerlegen, ohne jede Grazie hindurchwindet. Damit verglichen, zeigt das Heideggersche Kapitel in den Holz74

Theodor W. Adorno Archiv, Ts  f. – Die Seitenzahlen in eckigen Klammern verweisen auf die Werkausgabe von Lukács. (Vgl. Lukács , Der junge Hegel. Über die Beziehungen von Dialektik und Ökonomie.)

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wegen wenigstens die Anstrengung des Begriffs, während natürlich die Umwertung Hegels in einen Ontologen ebenso unsinnig ist wie der Versuch, das ökonomische Motiv als sein zentrales zu konstruieren. Aber Heidegger geht wenigstens auf die Sache selbst ein, anstatt bloß zu etikettieren.«75 In einem Brief an Thomas Mann, nur wenige Tage später verfaßt, äußert sich Adorno fast wortgleich: »Zu den trostlosesten Eindrücken gehört das große Hegelbuch von Lukács, das ich von Anfang bis Ende durcharbeitete. Man sollte so etwas an Verdinglichung des Bewußtseins bei dem kaum für möglich halten, der diesen Begriff geprägt hat. Da ist der Heideggersche Essay zur Phänomenologie des Geistes in den ›Holzwegen‹ beinah noch Dialektik dagegen.«76 Und noch fünf Jahre später wird Adorno auf die »schulmeisterliche Geschwätzigkeit von L[ukács]« sowie dessen Buch über den jungen Hegel zu sprechen kommen: »Der Inhalt des ganzen Wälzers, den ich einmal von Anfang bis zu Ende gelesen habe, hätte sich in einem Zeitschriftenaufsatz von  Seiten bequem darstellen lassen, wenn Herr L. nicht einen solchen Eiertanz hätte aufführen müssen, um nicht wegen irgend welcher Aussagen seinen Kopf zu verlieren. –«77 Ab dieser Zeit mehren sich die vorderhand doch überraschenden Vergleiche Adornos von Lukács und Heidegger; dem, s.o., »kommunistischen und faschistischen Flügel«. Äußerlich ist diese zugeschriebene Annäherung Lukács’ an die Heideggersche Position wohl durch Adornos durchgängigen Antibolschewismus zu erklären, der in der Sowjetunion und ihrem Einflußbereich zuvörderst eine Herrschaftsform an der Macht sieht, die an Lukács das vollstreckt, was Heidegger gleichsam freiwillig und seiner Theorie immanent vollzieht: die politische Indienstnahme und also Korruption des Geistes. Es war nicht gekränkte Eitelkeit oder enttäuschte Bewunderung, die Adorno von Lukács abrücken läßt, sondern vielmehr die Befürchtung, daß Lukács unter den herrschenden politischen Bedingungen nicht mehr jene Wahrheit denken und sagen könne, der Adorno sich stets verpflichtet weiße. In einer Vorlesung über »Ontologie und Dialektik« des Wintersemesters / sagt Adorno seinen Zuhörern, Heideggers Abkehr von seinen ursprünglichen Intentionen finde »eine seltsame geistesgeschichtliche Parallele […] in einer extrem entgegengesetz-

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Adorno an Peter von Haselberg, . Mai , Theodor W. Adorno Archiv, Br / (das »Kapitel in den Holzwegen« ist »Hegels Begriff der Erfahrung« in Martin Heidegger , Holzwege, S.  ff.). Adorno an Thomas Mann, . Juni , ABB, Bd. , S. . Ders. an Hermann Lübbe, . Januar , Theodor W. Adorno Archiv, Br /.

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ten und dabei in mancher Hinsicht Heidegger gar nicht unverwandten Gestalt wie Lukács, der auch in seinem gesamten œuvre, etwa von  an, wenn nicht schon etwas früher, die Dinge vollkommen widerrufen und zurückgenommen hat, denen er nun einmal seine geistige Reputation verdankt, – ohne daß aber diese Wendung dieser Reputation viel Abtrag getan hätte; im Gegenteil, diese Reputation wird dann auf Gebilde übertragen, die sie in gar keiner Weise mehr rechtfertigen.«78 Was bei Heidegger, um den es hier nicht geht, in der Natur der Sache liegen mag – das Desinteresse der Wirklichkeit gegenüber –, sieht Adorno bei Lukács als Kapitulation vor einem Gewissenszwang, der aus der Setzung der Kommunistischen Partei als Garantin objektiv wahrer Praxis resultiere. In »Erfahrungsgehalt«, einer der Drei Studien zu Hegel, schreibt Adorno, Lukács habe »eine der fragwürdigsten Thesen Hegels« wieder aufgewärmt, »die von der Vernünftigkeit des Wirklichen«, und sich dergestalt dem »Urteilsspruch einer Realität« übergeben, »die stets wieder, was anders sein könnte, unter sich begräbt.«79 – In einer Diskussion mit Peter von Haselberg expliziert Adorno diesen Vorwurf: »Ich meine, daß auch diese Hegelsche Forderung selbst ihren geschichtlichen Stellenwert hat, das heißt, daß sie vergänglich ist. Angesichts der offenen Möglichkeiten heute ist die Rücksicht auf das, was hier und jetzt unmittelbar nach den Gegebenheiten sich verwirklichen ließe, zur Bremse und zur Sabotage am Gedanken geworden. Ich erinnere mich, daß Georg Lukács in seiner und meiner Jugend in einer heftigen Diskussion mir einmal gesagt hat, die kommunistische Partei, mit der er gerade Händel hatte, habe gegen ihn recht: er hätte zwar an sich der objektiven Einsicht nach recht, aber dem gegenwärtigen Stand des Gesamtbewußtseins nach die Partei, diese Wahrheit sei die höhere, und er müsse sich ihr unterordnen. Nun, ich glaube, unterdessen hat sich in der Welt gezeigt, was aus dieser Art Unterordnung und aus der Partei, der zuliebe sie erfolgt ist, geworden ist. […] Ich würde also schon sagen, daß der Gedanke, der nicht auch subjektiv ins Offene und Ungesicherte über die Objektivität hinausschießt, nicht mehr fortgeschrittener Gedanke ist, seitdem die Objektivität, also der Inbegriff dessen, was der Fall ist, zur Fessel des Potentials wurde, das in dieser Objektivität selbst zum Greifen naheliegt.«80 Im Wintersemester / kommt Adorno, anläßlich seiner Vorlesung über Negative Dia78 79 80

Ders., Ontologie und Dialektik (/), ANS, Bd. IV., S. . Ders., »Erfahrungsgehalt«, AGS, Bd. , S. . Ders./von Haselberg , »Über die geschichtliche Angemessenheit des Bewußtseins«, S. .

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lektik, nochmals auf jene Diskussion mit Lukács zu sprechen und verdeutlicht an dieser Stelle zugleich die Differenzen zwischen seiner eigenen Position und der Lukács’: »Es ist nicht einzusehen, warum durch die Einsicht in den Zwangsmechanismus, der die Subjektivität und das Denken an die ihm gegenüberstehende Objektivität bindet, und angesichts der Abhängigkeit, die besteht, und angesichts der, ich möchte sagen: Logik der Tatsachen, die dann zu dem Triumph der Objektivität führt, diese nun auch notwendig recht behalten müsse. Es liegt darin ein Moment von Gewissenszwang, wie ich es am stärksten erfahren habe in der Auseinandersetzung mit einem hegelianischen Marxisten, nämlich in unserer Jugend mit Georg Lukács, der damals gerade einen Konflikt mit seiner Partei hinter sich hatte und in diesem Zusammenhang mir erzählt hat, seine Partei habe ihm gegenüber recht, obwohl er der Partei gegenüber in seinen Gedanken und Argumenten recht habe, – weil die Partei eben den objektiven geschichtlichen Stand verkörpere, während sein, für ihn und der bloßen Logik des Denkens nach, fortgeschrittenerer Stand hinter diesem objektiven Stand zurückgeblieben sei. Ich glaube, ich muß Ihnen nicht erst ausmalen, was das bedeuten würde. Es würde nämlich einfach bedeuten, daß das Erfolgreichere, das sich Durchsetzende, das allgemein Rezipierte mit Hilfe der Dialektik den höheren Stand der Wahrheit hätte als das Bewußtsein, das die Scheinhaftigkeit davon durchschaut. Tatsächlich ist die Ideologie im Osten sehr weitgehend von diesem Motiv geprägt. Und es würde weiter darauf hinauslaufen, daß das Bewußtsein sich selbst abschneidet, sich die eigene Freiheit versagt und sich einfach an die stärkeren Bataillone anpaßt. Das ist ein Akt, den zu vollziehen mir nicht möglich scheint.«81

9.4 Idealistischer Materialismus Es scheint, als seien die Begegnungen  in Wien, die einzigen der beiden Philosophen, zugleich das Ende der vormals durchwegs positiven Bezugnahme Adornos auf Lukács gewesen. Und tatsächlich wird Adorno während der Arbeit an seiner Habilitationsschrift über Kierkegaard an Kracauer schreiben, sie stehe »in einem gewissen Zusammenhang zwischen Lukács und Benjamin und sucht sie durch einander zu korrigieren, natürlich nicht eine ›Synthese‹ vorzunehmen,

81

Adorno, Vorlesung über Negative Dialektik, ANS, Bd. IV., S.  f.

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deren Lächerlichkeit auf der Hand liegt.«82 Zu diesem Zweck habe er sich nochmals Geschichte und Klassenbewußtsein vorgenommen, »das«, wie er nicht ohne Selbstbewußtsein schreibt, »erschreckend Haare gelassen hat und ein unausstehliches Heidelberger Lokalkolorit verbreitet – zu Mannheim ists nur ein Sprung, vor allem in der ganz abstrakten Fassung des Ideologiebegriffs, der auf diese schematische und idealistisch deduzierte Weise nie zu handhaben ist. Trotzdem, es sind ein paar vorzügliche Stellen drin. Aber wir sind heute viel weiter.«83 – So Adorno . Ein Jahr später spezifiziert Adorno in einem Gespräch mit Horkheimer und mit Blick auf Lukács seine Kritik an einer Konzeption von Dialektik, die als idealistische gerade undialektisch wird, weil sie das materialistische Moment der subjektiven Herrschaft subsumiert: »Der Begriff der Dialektik ist bisher, und zwar auch innerhalb der marxistischen Diskussion, soweit sie mit dem Begriff der Dialektik Ernst gemacht hat, wesentlich idealistisch gehandhabt worden, d.h., es ist von einer allgemeinen und begrifflichen Bewegung aus auf die besondere und reale Bewegung innerhalb der Geschichte geschlossen worden. Dieses Schema ist in der marxistischen Dialektik auch dort beibehalten, wo die dialektischen Inhalte der Ökonomie zugehören, d.h. etwa, bei Lukács sind die Produktionsverhältnisse im Rahmen der bürgerlichen Klassenherrschaft ein allgemeiner Begriff, aus dem die besonderen Bewegungen etwa der Ideologien hergeleitet werden. Ich gestehe Ihnen« – gemeint ist Horkheimer – »zu, daß diese idealistische Konzeption von Dialektik unzulänglich ist, d.h., daß in ihr der Form nach der Anspruch der Subjektivität, mit ihren Begriffen die Welt zu beherrschen, auch dann noch erhoben ist, wenn dem Inhalt der Lehre nach das Gegenteil behauptet ist.«84 Im selben Jahr, , führen Adorno, Horkheimer, Leo Löwenthal und andere Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung ein Gespräch mit einigen ihrer Studenten, dessen Verlauf die Richtung angibt, in die Adorno über Lukács hinauswill. Er stellt die These auf, daß sich am Stand der Technik zugleich der der Gesellschaft zeige, und insofern sei die geschichtliche Analyse sozialen Fortschritts auf die der technischen Entwicklungen verwiesen. »Auch bei Lukács« erkennt er eine »Bemühung um das Problem: wieso auf der einen Seite ein immanenter Zusammenhang im Bereich des Überbaus, auf der anderen Seite aber 82 83 84

Ders. an Kracauer, . Mai , ABB, Bd. , S.  f. Ebd., S. . Horkheimer/Adorno, »[Diskussion über Dialektik]. [?]«, HGS, Bd. , S. .

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jedes Faktum des Überbaus auf den Unterbau zurückzuführen« sei. Die Lösung sei »zu finden im Verfolg bis in die einzelnen technischen Problemstellungen hinein.« Nachdem eine Studentin erwidert hat, zu dieser Aussage brauche man »nicht auf Lukács zu rekurrieren«, sofern objektiv »eine historische Dialektik« existiere, der jeglicher Fortschritt in Theorie und Praxis folge, entgegnet Adorno, dies sei »genau die Lukácssche Lösung: Annahme eines richtigen falschen Bewußtseins, das die technologischen Probleme löst, wenn es sich in das richtige Bewußtsein verwandelt hat. Dies bedeutet aber Geschichtsmetaphysik des sich autonom bewegenden Klassenkampfs.«85  charakterisiert Adorno die Methode von Geschichte und Klassenbewußtsein dahingehend, mit ihr würden »die geistigen Gebilde begriffen als durchgehends abhängig von einer gesellschaftlichen Wirklichkeit, die als Totalität vorgestellt wird«86. Entsprechend macht er Ernst Křenek  »auf das Kapitel über Verdinglichung in ›Geschichte und Klassenbewußtsein‹ von Lukács« aufmerksam, an dem sich zeige, »daß die materialistische Methode den tiefsten Fragen der Philosophie gewachsen ist«.87 Adorno hat nicht nur erst durch Lukács überhaupt zur Philosophie gefunden, wie er in dem zitierten Brief an Goldmann bekennt, sondern er verdankt der Lektüre von Geschichte und Klassenbewußtsein auch seine spezifische Philosophie, welche die Materialität der Gesellschaft anerkennt; in dem Sinne, daß es seitdem für ihn außer Frage steht, daß die gesellschaftliche Totalität jegliche Einzelerscheinungen erst vermittelt. Wenn es also den einen entscheidenden Einfluß Lukács’ auf Adorno gegeben hat, dann resultiert er in der radikalen Absage an ein An-sich-Sein der Phänomene. Die immanente Vermitteltheit von Philosophie und Soziologie, die sich theoretisch aus dieser materialistischen Auffassung ergibt, d.h. die »Problematik zwischen den beiden Disziplinen, die ist es ja wohl auch im wesentlichen«, so Adorno  in der Vorlesung eben über »Philosophie und Soziologie«, »warum seit ungefähr, nun, ich würde sagen, fünfzig oder sechzig Jahren in der Welt und in Deutschland seit ungefähr vierzig Jahren das Bereich der Wissenssoziologie so ein ganz besonders intensives Interesse gefunden hat. Das datiert in Deutschland zurück etwa auf die Werke von Mannheim und Scheler und außerdem, kann man wohl auch sagen, auf das Buch von Georg Lukács, ›Geschichte und Klassenbewußtsein‹, in dem 85 86 87

Horkheimer et al., »[Wissenschaft und Krise. …]«, ebd., S. . Adorno , »Gutachten zur Arbeit Franz Borkenau. Der Übergang vom feudalen zum bürgerlichen Weltbild«, S. . Ders. an Ernst Křenek, . Oktober , ders./Krenek , Briefwechsel, S. .

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ja der Versuch gemacht worden ist, in einer möglichst verbindlichen Weise die Gestalt einiger der entscheidenden Philosophien selbst, von Kant und von Hegel vor allem, aus gesellschaftlichen Gegebenheiten, nämlich aus wirtschaftlichen Produktionsverhältnissen abzuleiten.«88 In der späteren Vorlesung über »Fragen der Dialektik« (/) weist Adorno bei einer Einführung in die Hegelsche Dialektik zugleich »auf die wichtigste Marxistische Publikation zu Hegel« hin; »die findet sich in dem nun vor, ich glaube, fast  Jahren erschienenen Buch von Georg Lukács: Geschichte und Klassenbewußtsein, und gilt dem Begriff der Verdinglichung; das Buch ist, und dieses Kapitel ist sehr interessant, als Versuch, ja, man könnte sagen, einer bis zum äußersten getriebenen Hegelianisierung der Marxischen Dialektik, und es ist sehr merkwürdig, daß in diesem Buch also gerade der engste Zusammenhang [von] scheinbar idealistischen Thesen mit einer dem offiziellen Bekenntnis nach extrem kommunistischen Positionen sich verbunden hat, und infolgedessen ist dieses Buch von den Kommunisten denn auch schon sehr früh geächtet worden, und sein Schicksal erklärt wahrscheinlich zu einem nicht geringen Teil das, was später mit Lukács geschehen ist; lassen Sie mich gleich sagen, daß die Universalität, die in diesem Buch gerade dem Begriff der Verdinglichung abgewonnen ist, und die Übertragung der Problematik des Verdinglichungs- und Entfremdungsbegriffs auf die gesamte Erkenntnistheorie etwas eminent Fruchtbares ist, und daß wohl kaum jemand über Fragen der Dialektik ernsthaft nachdenken kann, der das nicht einmal erfahren hat, was in diesem Buch von Lukács mit dem Begriff der Verdinglichung geschieht, lassen Sie mich auf der anderen Seite sagen, daß gerade der übertriebene Hegelianismus, also das, wie soll man sagen, das idealistisch Extreme dieses Buches dann zu der höchst sonderbaren Konstruktion der kommunistischen Partei geführt hat, die darin, wie ja in vielen späteren Schriften von Lukács auch gewissermaßen mit dem Weltgeist identifiziert wird, mit all den funesten Folgen, die Sie von der Politik aus kennen. Also man muß dieses Buch insofern auch mit einer großen Vorsicht benutzen und darf nicht der doktrinären Suggestion verfallen, die es übt, aber auf der anderen Seite ist in diesem Buch wirklich sehr viel an Originärem und Wesentlichem gedacht, das kann man leider nicht sagen von dem viel später erschienen Buch von Lukács über den jungen Hegel, einem Wälzer, ich glaube, von  Seiten, der in Wahrheit nichts anderes ist als eine Polemik gegen die Auffassung von Dilthey und Nohl von den theologischen Jugendschriften von 88

Adorno, Philosophie und Soziologie, ANS, Bd. IV., S. .

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Hegel, die man in  Seiten bequem hätte sagen können; also ich kann ihnen mit gutem Gewissen, da mir bekannt ist, daß Sie mit Ihrer Zeit rechnen müssen, die Lektüre dieses Wälzers nicht empfehlen, wohl aber die eben jenes Verdinglichungsaufsatzes, ich glaube, er heißt: Die Verdinglichung und das Bewußtsein des Proletariats.«89 – Zwei, freilich miteinander zusammenhängende, Kritikpunkte Adornos an der Philosophie Lukács’ werden im Zuge dieser Auseinandersetzung deutlich: die Ablehnung der idealistischen Verwendung des Verdinglichungsbegriffs zum einen und jeglicher Geschichtsteleologie zum anderen. Später, in der Negativen Dialektik, kommt Adorno an einer bekannten Stelle noch einmal auf Lukács und dessen Verdinglichungs- und Entfremdungsbegriff zu sprechen: »Nicht entbehrt es der Ironie, daß die brutalen und primitiven Funktionäre, die Lukács wegen des Verdinglichungskapitels aus dem bedeutenden Buch ›Geschichte und Klassenbewußtsein‹ vor mehr als vierzig Jahren verketzerten, das Idealistische seiner Konzeption witterten. Dialektik ist so wenig auf Verdinglichung zu bringen wie auf irgendeine andere isolierte Kategorie, wäre sie noch so polemisch. […] Wem das Dinghafte als radikal Böses gilt; wer alles, was ist, zur reinen Aktualität dynamisieren möchte, tendiert zur Feindschaft gegen das Andere, Fremde, dessen Name nicht umsonst in Entfremdung anklingt; jener Nichtidentität, zu der nicht allein das Bewußtsein sondern eine versöhnte Menschheit zu befreien wäre. […] Die Dinge verhärten sich als Bruchstücke dessen, was unterjocht ward; seine Errettung meint die Liebe zu den Dingen. Aus der Dialektik des Bestehenden ist nicht auszuscheiden, was das Bewußtsein als dinghaft fremd erfährt: negativ Zwang und Heteronomie, doch auch die verunstaltete Figur dessen, was zu lieben wäre und was zu lieben der Bann, die Endogamie des Bewußtseins nicht gestattet. […] Die unermüdliche Anklage von Verdinglichung sperrt sich jener Dialektik, und das verklagt die geschichtsphilosophische Konstruktion, die jene Anklage trägt. Die sinnerfüllten Zeiten, deren Wiederkunft der frühe Lukács ersehnte, waren ebenso das Produkt von Verdinglichung, unmenschlicher Institution, wie er es erst den bürgerlichen attestierte. Zeitgenössische Darstellungen mittelalterlicher Städte pflegen auszusehen, als ob gerade zur Volksbelustigung eine Hinrichtung stattfände. Sollte anno dazumal Harmonie von Subjekt und Objekt gewaltet haben, so war sie gleich der jüngsten vom Druck bewirkt und brüchig. Die Verklärung 89

Theodor W. Adorno Archiv, Vo  f. (bereits teilweise zitiert in Braunstein , »Anmerkungen des Herausgebers«, S. ).

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vergangener Zustände dient später und überflüssiger Versagung, die sich als ausweglos erfährt; erst als verlorene gewinnen sie ihren Glanz. Ihr Kult, der vorsubjektiver Phasen, kam im Zeitalter des zerfallenden Individuums und der regressiven Kollektive zu sich selbst im Grauen.«90 Dem idealistischen Charakter der Lukácsschen Verdinglichungskritik hält Adorno hier sein Motiv des Vorrangs des Objekts entgegen, das sich gegen die Auflösung alles Dinghaften ins Bewußtsein wendet. Erfahrung bedürfe vielmehr dieses dinghaften Moments, denn sonst verkäme Denken zur bloßen Tautologie. In diesem Zusammenhang betont er mit Benjamin die Bedeutung der Bruchstücke der objektiven Welt, die sich vom Subjekt nicht zu einer Identität fügen lassen; ein utopisches Potential der Erkenntnis: Die verdinglichten, »verhärteten« Bruchstücke entziehen sich dem »actus purus« des Subjekts und stehen damit dem zwanghaften identifizierenden Denken als Fremdes gegenüber, welches sich das Subjekt herrschaftlich einverleiben will. »[U]nreduzierte Erfahrung«91 bestünde für Adorno dagegen darin, daß das Subjekt dem Objekt seine Fremdheit und Andersheit gewährte, anstatt es in seine eigenen identifizierenden Kategorien zu zwängen, um so zu imaginieren, Entfremdung aus sich selbst heraus überwinden zu können. Dementsprechend ist das Phänomen der Verdinglichung für Adorno nicht das »radikal Böse«, sondern Epiphänomen der herrschenden warenförmigen Totalität. In einem Brief an Benjamin plädiert er gar für eine Unterscheidung von guter und schlechter Verdinglichung.92 Alle Verdinglichung ist Adorno zufolge ein Vergessen93 und solches Vergessen impliziert auch, daß sich das dinghafte Objekt der Vereinnahmung durchs Subjekt zu entziehen vermag, daß es, von diesem unbehelligt, für sich sein darf, weil es nicht zur »reinen Aktualität dynamisiert« wird. In einer Notiz Adornos von , die er mit der Marginalie »Sehr wichtig aber noch zu entfalten« versieht, reflektiert er – ohne Lukács selbst zu nennen – in ähnlicher Weise über den Zusammenhang von Verdinglichung und Idealismus. Diese seien »nicht Gegensätze […] sondern Korrelate. Verdinglichung ist, Marx zufolge, die Hypostase von Beziehungen zwischen Menschen als Dingen an sich (darin steckt bei Marx der Idealismus). Dadurch wird den Menschen das Ihre, lebendige Arbeit, virtuell Leben entzogen – ebenso wie das Andere, das 90 91 92 93

Adorno, Negative Dialektik, AGS, Bd. , S  f. Ebd., S. . Ders. an Benjamin, . Februar , ABB, Bd. , S. . Vgl. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, AGS, Bd. , S. .

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›Ding an sich‹ durch den Verdinglichungsmechanismus zugedeckt, eskamotiert ist. Demgegenüber ist die idealistische Philosophie, der ein irrationalistisches Moment immanent ist, ein Restitutionsproblem. Sie möchte in der verdinglichten Welt, die gerade subjektivistisch, selbstentfremdetes Subjekt, das Subjekt wiedererwecken. Weil aber die Verdinglichung auch ihre Objektivität hat, die der realen Vormacht der versteinerten menschlichen Verhältnisse über die Menschen, gelingt das nur im Geist, also ideologisch, scheinhaft. Weil aber dieser Geist blind gegen sein Anderes, das antithetische Moment […] ist, wird er souverän und amalgamiert mit der Herrschaft. Das Ideologische dieser Restitution: daß sie, zwangshaft auf den Geist beschränkt, in eben dem Netz sich verfängt, das der Idealismus zu konstituieren wähnt«94 –, nämlich in Gestalt eines philosophischen Systems, das sein Anderes immer schon enthalten soll. Lukács will das Subjekt »wiedererwecken«, um durch dessen »Blickstrahl« die Objekte aus ihre Verdinglichung lösen zu können. Adorno zufolge vergißt er darüber jedoch, daß »die Verdinglichung auch ihre Objektivität hat«, an die das Subjekt mit seinem »Blickstrahl« gar nicht heranreicht. Wenn Adorno äußert, eine Art »Hundesperre« über den Verdinglichungs- und Entfremdungsbegriff legen zu wollen,95 dann wendet sich das wohl zugleich gegen die Lukács-Rezeption im Zuge der Studentenbewegung sowie deren neuerliche – idealistische – Inanspruchnahme jener Begriffe. Der »irrationalistische Kultus«, als den Adorno die von Lukács behauptete Rolle des Proletariats für das geschichtliche Geschehen bezeichnet, ist ihm zufolge Ausdruck einer Weltanschauung, die historisch überholt ist, weil der Realität kein objektiver, geschweige denn einheitlicher Sinn mehr zugeschrieben werden kann: »Ich bin nicht in der glücklichen Lage, in der der Ästhetiker Lukács ist, der behauptet hat, daß die Weltanschauung des ›Diamat‹ unter anderem darin bestünde, daß man den Weltverlauf insgesamt denn doch als einen sinnvollen und zum besten endenden betrachten würde, – allein schon deshalb nicht, weil selbst eine solche Hoffnung über das maßlose Leid und das maßlose Unrecht der bisherigen Geschichte, mag es auch nur eine Vorgeschichte sein, nicht eine Sekunde hinwegtragen und hinwegtrösten könnte. In der Realität selber ist heute eine Krise des Sinnes in einem sehr ernsten Sinn. Es ist also wirklich nicht nur mehr keine verbindliche Ordnung, keine verbindliche Weltanschauung, nichts dergleichen mehr vorgegeben, so daß man dem begegnen 94 95

Adorno , »Graeculus (II)«, S. . Vgl. ders., Einleitung in die Soziologie, ANS, Bd. IV., S. .

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könnte, indem man nun, mit mehr oder minder viel Glück, eine solche verbindliche Weltanschauung wieder sich sucht, an der man Halt hat; sondern der Sinn selber, durch den die Erfahrung des Daseins sich organisieren würde, ist ebenso problematisch geworden wie die Hoffnung darauf, daß das Verhängnis dieses Weltlaufs überhaupt sich noch einmal wenden läßt. Darin hat die Situation auch gegenüber der von Hegel und Marx geschichtsphilosophisch formulierten Situation heute sich radikal geändert.«96 Der Zusammenhang, den Adorno zwischen seinen Essays »Erpreßte Versöhnung« und »Versuch, das Endspiel zu verstehen« herstellt, vermag in vielerlei Hinsicht zum Verständnis seiner Kritik an Lukács beizutragen – insbesondere diejenige an Lukács’ Idealismus, den Adorno gerade in dessen Materialismus ausmacht. So weist er in einem Brief an Giancarlo Fasano von  ausdrücklich darauf hin, der Essay über Beckett müsse »zusammengenommen werden mit dem in meinem Buch«, gemeint sind die Noten zur Literatur II, »vorausgehenden über Lukács, dem er unmittelbar folgt.«97 Beckett wird Adorno gewissermaßen zum Gewährsmann einer negativ-materialistischen Dialektik gegen einen Idealismus, der eine solche Dialektik in letzter Konsequenz stillstellt, indem er sich des trotz aller Widrigkeiten dennoch positiven Gangs des geschichtlichen Geschehens zu vergewissern können glaubt und damit dem Hegelschen Diktum von der Vernünftigkeit des Wirklichen das Wort redet. Während Adorno zufolge der Idealismus Hegels darin besteht, daß das Subjekt-Objekt letztlich Subjekt bleibt,98 wird bei Lukács das Proletariat zum Subjekt-Objekt der Geschichte verklärt. Damit behauptet Lukács gewissermaßen eine prästabilierte Harmonie des Zukünftigen, die objektiv Mögliches mit kommender Realität verwechselt. Geschichte wird so zu einer »leeren homogenen Zeit« im Sin-

96 97

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Ders., Ästhetik /, ANS, Bd. IV., S. . Ders. an Giancarlo Fasano, . Juli , Theodor W. Adorno Archiv, Br / (vgl. ders., »Erpreßte Versöhnung«, AGS, Bd. , S.  ff. sowie ders., »Versuch, das Endspiel zu verstehen«, ebd., S.  ff.). »Hegel läßt […] alle traditionelle Metaphysik und den vorspekulativen Begriff des Idealismus weit unter sich. Aber der Idealismus wird dennoch nicht verlassen. Die absolute Stringenz und Geschlossenheit des Denkverlaufs […] statuiert als solche bereits die Priorität des Geistes, auch wenn auf jeder Stufe das Subjekt ebenso als Objekt sich bestimmt wie umgekehrt das Objekt als Subjekt. […] In der Objektivität der Hegelschen Dialektik, die allen bloßen Subjektivismus niederschlägt, steckt etwas von dem Willen des Subjekts, über den eigenen Schatten zu springen. Das Hegelsche Subjekt-Objekt ist Subjekt.« (Ders., »Aspekte«, AGS, Bd. , S. .)

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ne Benjamins,99 die nicht nur das Zukünftige mystifizierend entleert sondern auch das Gegenwärtige. Daß das Proletariat als solches die ihm qua seiner Rolle im gesellschaftlichen Zwangsmechanismus bestimmte Funktion der Herstellung eines vernünftigen objektiven Zustands nicht selbst zu übernehmen fähig war bzw. ist, war Lukács, wie Adorno vermutet, durchaus bewußt; immerhin habe Lukács selbst bemerkt, »daß das Proletariat nicht die fortgeschrittenste Klasse war sondern, als entmenschlichte, regressiv, zurückgeblieben«100. Während diese Tatsache jedoch für Adorno darauf hinweist, »daß eben der Weltgeist, auf den sie vertrauten« – Adorno meint hier Hegel und Marx, es träfe aber auch auf Lukács zu – »nicht mit ihm [Marx] war«101, bemüht Lukács die Autorität der Kommunistischen Partei, die nicht nur die Kräfte des Proletariats zu bündeln, sondern auch dessen Regreß, wenn schon nicht gänzlich aufzuhalten, so aber doch weitestgehend zu neutralisieren vermöchte. »Bei all dem bleibt das Gefühl von einem, der hoffnungslos an seinen Ketten zerrt und sich einbildet, ihr Klirren sei der Marsch des Weltgeistes.«102 Damit aber wird nicht nur den Ketten, sondern auch dem Leiden der Individuen ein Sinn abgepreßt. Gegen solche geschichtsphilosophischen Theorien formuliert Adorno: »Marx hat gedacht, es wird alles immer schlechter und dadurch besser. Er war zu optimistisch: es wird alles immer besser, und dadurch schlechter.«103 Für Adorno ist die Objektivität selbst, die erst die Möglichkeiten hervorbringt, die bei Lukács schon ihre zukünftige Erfüllung implizieren, zugleich diejenige, welche die Realisierung jener Möglichkeiten verhindert: Der schlechte Vorrang der Objektivität verurteilt die Subjekte zu einer Ohnmacht, die durch die eigene Unterwerfung unter die Praxis einer politischen Elite ideologisiert wird. Eben dieses Überflüssigsein der Subjekte – die eigentlich keine sind – ist ein zentrales Motiv bei Beckett.104 Bei ihm wird die schlechte Vereinzelung der Individuen, die »transzendentale Obdachlosigkeit«, Adorno zufolge nicht als ei-

99 100 101 102 103 104

Benjamin , »Über den Begriff der Geschichte«, S. . Adorno , »Graeculus (II)«, S. . Ebd. Ders., »Erpreßte Versöhnung«, AGS, Bd. , S. . Ders. , »Graeculus (II)«, S. . Ein Subjekt-Objekt im Sinne Lukács’ gibt es bei Beckett nicht; so sei beispielsweise Becketts »L’innom[m]able […] das negative Subjekt-Objekt« und damit »Urbild einer materialistischen Metaphysik« (Ders. zit. nach Tiedemann , »›Gegen den Trug der Frage nach dem Sinn‹«, S. ).

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ne condition humaine dargestellt, sondern als Produkt des gesellschaftlichen Immanenzzusammenhangs, der keine »transzendentalen Orte« gewährt. Lukács’ Verhalten der Partei gegenüber wird getroffen von Adornos Ausführungen aus seinem Vortrag »Individuum und Organisation«: »Wer glaubt, man könne sich am runden Tisch zusammensetzen und gemeinsam aus gutem Willen herausfinden, was zur Rettung des Menschen, der Innerlichkeit, zur Durchseelung der Organisation oder zugunsten ähnlicher Hoch- und Fernziele zu geschehen habe, verhält sich weltfremd. Er nimmt ein gemeinsames Subjekt der bewußten Gestaltung der Gesellschaft dort an, wo das Wesen gerade in der Abwesenheit eines solchen einstimmigen Subjekts der Vernunft, in der Vorherrschaft der Widersprüche besteht. Die einzige Forderung wohl, die ohne Unverschämtheit erhoben werden darf, wäre die, daß der ohnmächtige Einzelne durchs Bewußtsein der eigenen Ohnmacht doch seiner selbst mächtig bleibe. Das individuelle Bewußtsein, welches das Ganze erkennt, worin die Individuen eingespannt sind, ist auch heute noch nicht bloß individuell, sondern hält in der Konsequenz des Gedankens das Allgemeine fest. Gegenüber den kollektiven Mächten, die in der gegenwärtigen Welt den Weltgeist usurpieren, kann das Allgemeine und Vernünftige beim isolierten Einzelnen besser überwintern, als bei den stärkeren Bataillonen, welche die Allgemeinheit der Vernunft gehorsam preisgegeben haben. Der Satz, daß tausend Augen mehr sehen als zwei, ist Lüge und der genaue Ausdruck jener Fetischisierung von Kollektivität und Organisation, die zu durchbrechen die oberste Verpflichtung von gesellschaftlicher Erkenntnis heute bildet.«105 In Ablehnung der Behauptung, daß eine als avantgardistisch betrachtete Allgemeinheit a priori Recht habe gegenüber dem Individuum, insistiert also Adorno, hierin einig mit Benjamin, auf der Möglichkeit einer emphatischen Erkenntnis, die gerade durch ihren individuellen Charakter das Allgemeine zu treffen vermag. »Lukács’ Ethik unterstellt«, schreibt Dannemann, »daß Hegels Diktum, das Ganze sei das Wahre, transformiert werden könne in den Satz: Das Ganze kann das Wahre werden. Die imperativische Forderung der Lukácsschen Ethik, 105 Adorno, »Individuum und Organisation«, AGS, Bd. ,  f. – »Brechts Satz, die Partei habe tausend Augen, der Einzelne nur zwei, ist falsch wie nur je die Binsenweisheit. Exakte Phantasie eines Dissentierenden kann mehr sehen als tausend Augen, denen die rosarote Einheitsbrille aufgestülpt ward, die dann, was sie erblikken, mit der Allgemeinheit des Wahren verwechseln und regredieren. Dem widerstrebt die Individuation der Erkenntnis.« (Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. .)

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das Individuum müsse sich aus narzißtischen Bornierungen auf das Niveau der Gattung heraufarbeiten, hat nur die Gültigkeit, zumindest die Denkbarkeit dieses Satzes zur Voraussetzung.«106 Demgegenüber betont Adorno, daß der Begriff der Gattung angesichts des bisherigen, bloß vorgeschichtlichen Weltgeschehens keine positive Bezugnahme erlaubt, eine Menschheit, die diesen Namen verdiente, gibt es noch gar nicht: »Je mehr ich die Menschen beobachte, desto mehr werde ich eines Sachverhaltes gewahr, der zwar mit verdinglichtem Bewußtsein, Konformismus, Ichschwäche sehr viel zu tun hat aber noch tiefer führt, weil er das gesellschaftliche Verhältnis bis in die Grundschicht der Anthropologie hinein treibt. […] Die Menschen stehen unter einem Bann. Sie können nicht anders; ihr Sosein – von dem loszukommen die Utopie ist – und die Welt in der sie leben sind absolut, wie es bei Beckett heißt göttlich; sie sind nicht nur unfrei sondern auch vom Bewußtsein der Freiheit abgeschnitten. […] Sie sind im strengen Sinne vertiert – darum auch vielleicht bestialisch. So ist’s, es kann nicht anders sein, so solls sein.«107

9.5 Verlogener Realismus In einer Vorlesung über Ästhetik des Wintersemesters / äußert sich Adorno zum ersten Mal vor Publikum über die Gründe, die ihn überhaupt bewogen haben, eine Kritik an Wider den mißverstandenen Realismus zu schreiben. Der Grund sei »nicht etwa die absolute Bedeutung dieses Werkes; denn es gehört insgesamt, ich glaube das einigermaßen plausibel gemacht zu haben, auf ein Niveau der Argumentation, das eigentlich unter dem liegt, wo ästhetische Kontroverse überhaupt sinnvoll angesetzt werden kann. Was Lukács übersieht und was in diesem Zusammenhang uns doch vielleicht interessiert, das ist, daß die Entfremdung der modernen Kunst vom Konsum selbst ein Gesellschaftliches ist und daß sie nicht etwa durch den Entschluß, durch bloße Velleitäten von seiten der Künstler revoziert werden kann. Das heißt: Er ist darin, in seiner Haltung, außerordentlich gespalten. Dort, wo er sich mit den herrschenden Praktiken der offiziellen sowjetischen Kunstmacherei abgibt, sieht er diese Dinge ganz gut und drückt sie auch ganz couragiert aus; soweit er aber beim Theoretischen bleibt, bei den ästhetischen Prinzipienfragen, betet er nach wie vor die 106 R. Dannemann , Georg Lukács zur Einführung, S. . 107 Adorno , »Graeculus (II)«, S. .

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Parolen von der ›Volksfremdheit‹, dem ›Individualismus‹ und allen diesen Dingen der modernen Kunst nach, die vorgebetet worden sind. Es ist ihm nicht gelungen, die Erfahrungen, die er sehr begründeterweise an der sogenannten künstlerischen Produktion des Ostblocks gemacht hat, zusammenzubringen mit den theoretischen Kategorien, die er im Grunde von dem Denken des Ostblocks eigentlich selber übernommen hat. Vor allem hat er völlig verkannt […], daß der Zustand der extremen Einsamkeit und des Abbruchs der Kommunikation, den er an der modernen Kunst bemängelt wie ein Parteisekretär, ja selber Ausdruck der gesellschaftlichen Situation einer radikal gewordenen Atomisierung ist, die gewissermaßen nur das Seitenstück einer Kollektivierung abgibt, die ja eben darin besteht, daß sie eigentlich das unter sich Beziehungslose, in einem eigentlichen Sinn Unvermittelte, so zusammenpreßt, daß das, was eigentlich ganz fremd ist, sich so verkennt, als ob es einander ganz nahe wäre. […] Es handelt sich in letzter Instanz auch hier um einen ästhetischen Subjektivismus. Lukács würde ganz sicher in Wut geraten, wenn er das hörte; er würde den ganzen Hegel gegen mich zitieren, auf den er sich beruft, und diesen Subjektivismus bestreiten. Ich kann aber davon nicht abgehen, weil ja im Grunde das, was er der Besinnung auf den objektiven Gehalt oder die objektive Geformtheit der Kunstwerke entgegensetzt, in letzter Instanz doch eben ein Wirkungszusammenhang bleibt, nämlich die Beziehung auf mögliche Praxis. […] Wenn von seiten wie Lukács oder solchen, die ihm in sein grobes Netz gehen, gegenüber der im Ernst modernen Kunst behauptet wird, diese hätte dadurch, daß Gesellschaft in ihr nicht vorkommt, gleichsam eine ablenkende Funktion gegenüber den Nöten unserer Zeit, so scheint mir auch das sophistisch zu sein. Wenn irgend etwas von der Realität ablenkt, dann sind es die pseudo-realistischen Gestaltungen des verschiedensten Typus – seien es die Herzenswärmer, die in Amerika und Deutschland gedeihen und die einreden wollen, daß es auch jetzt noch nur auf das menschliche Herz ankäme, oder sei es die offizielle sowjetische Staatsliteratur, die uns glauben machen will, der Sozialismus wäre dort bereits verwirklicht, während das Gegenteil davon der Fall ist –, diese Art sogenannter realistischer Literatur, deren Realismus genauso verlogen und so scheinhaft ist wie der des nächstbesten Films, in dem zwar jedes Telephon genauso ist, wie es in der Wirklichkeit aussieht, und in dem jeder Briefkopf einer Firma so aussieht, wie ein Bankbriefkopf aussieht, in der aber kein Mensch so ist, wie die

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Menschen sind. Ich sage also: Genauso verlogen wie dieser Filmrealismus ist jener Realismus auch.«108 Adornos Ablehnung des ästhetischen Subjektivismus sowie des PseudoRealismus wendet sich gegen ein Verständnis von Ästhetik, das die objektiven Zwänge verleugnet, indem es die Abbildung von selbstbestimmten Subjekten als primäre Aufgabe von Kunst erachtet. Adorno zufolge hat die Kunst ihren kritischen Gehalt gerade darin, daß sie zeigt, inwiefern die Objektivität, die Bildung eines selbstbestimmten Subjekts gerade verhindert; entsprechend sei deren vermeintliche Abbildung, die sich realistisch wähnt, bloße Verlogenheit. Avancierte Kunst habe den Verlust eines sich selbst mächtigen Subjekts sowie des objektiven Sinns zu reflektieren. So geht Adorno davon aus, wie er in einer Vorlesung von  darlegt, »daß jedenfalls noch in der Zeit des Expressionismus der Horizont der Erfahrung unvergleichlich viel offener war für die Annahme eines sinnvollen Moments, sei es einer Transzendenz, der gegenüber die Menschen offen sind, wie es aus dem eigentümlichen Stellenwert religiöser Motive in der Dichtung des Hochexpressionismus hervorgeht, sei es auch der Vorstellung, daß die Welt selber als eine sinnvolle zu gestalten sei, so wie, wie eine letzte Erinnerung an diese Epoche, in dem jüngst erschienenen Buch von Lukács […] die etwas pathetisch bekenntnishafte Formulierung sich findet, er oder seinesgleichen glaubten nun einmal, daß der Weltprozeß sinnvoll sei, daß er sich auf ein sinnvolles τέλος zu bewege und daß infolgedessen eine Kunst, die an diesem Sinnvollen durch ihre Perspektive keinen Anteil habe, eben bürgerlich und dekadent sei. Ich will hier wirklich nicht die Frage aufwerfen, wie weit in der Realität selber die Chance, daß sie zu einer sinnvollen Realität wird oder nicht, sich seit der Zeit des Hochexpressionismus entscheidend verändert hat, obwohl ich allerdings der Ansicht zuneige […], daß sich auch darin innerhalb der letzten vierzig Jahre etwas überaus Entscheidendes verändert hat. Aber jedenfalls soviel glaube ich doch vor Ihnen verantworten zu können, daß das Bewußtsein sowohl eines in einem absoluten Sinn dem Leben Sinn verleihenden Prinzips, wie auch die konkrete Hoffnung, daß [die] Menschen dadurch ihrer selbst mächtig werden, derart verblaßt [sind], daß die Substantialität nicht mehr die Gewalt hat, als ein objektiv Verbindliches die Kunst zu tragen.«109 Bereits zuvor hat Adorno in derselben Vorlesung von einem Vorwurf Lukács’ gesprochen, den er – zumindest zum Teil – auf sich selbst bzw. auf seine 108 Ders., Ästhetik /, ANS, Bd. IV., S.  ff. 109 Ebd., S.  f. (Einfügungen im Original).

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Theorie der Musik bezieht: »Lukács ist geradezu so weit gegangen, die radikale moderne Kunst höchst merkwürdigerweise – unter vielem anderen – auch des ›Naturalismus‹ zu zeihen im Sinn der Darstellung nun wirklich einmal vorliegender Seelenzustände oder irgendwelcher ähnlicher Dinge. Ich bilde mir ein, daß ich insofern nicht ganz unschuldig an dieser Behauptung von Lukács bin – an der das Sonderbare nur ist, daß sie als Vorwurf auftritt –, als ich in der ›Philosophie der neuen Musik‹ versucht habe, zu zeigen, daß eigentlich der radikale Expressionismus in der Musik mit einem gewissen Protokollcharakter der Musik zusammenhängt, also damit, daß diese radikal expressionistische Musik, ohne von Formkonventionen sich gehemmt zu fühlen, Seelenregungen wie ein Seismograph gewissermaßen registriert und den Zusammenhang solcher Seelenregungen anstelle des vorgedachten, bloß formalen Zusammenhangs setzt.«110 In Anbetracht solcher Ausführungen Adornos erscheint es nachvollziehbar, wenn Peter Bürger, wenngleich wohl zu absolutierend, formuliert: »Die Schlüssigkeit der Adornoschen Theorie wird erkennbar, wenn man sie als Antwort auf die Ästhetik von Lukács begreift. Ein Theorem wie dasjenige, Kunst sei unbewußte Geschichtsschreibung, das als eine unnötige Konzession Adornos an den Irrationalismus mißverstanden werden könnte, bekommt dann seinen systematischen Stellenwert. Da Lukács die bewußte Erfassung gesamtgesellschaftlicher Zusammenhänge zu einer wichtigen Voraussetzung gelingender künstlerischer Produktion macht und von daher ein Argument gegen den Solipsismus der Moderne gewinnt, vermag Adorno diesen am ehesten dadurch zu stützen, daß er das Argument umkehrt.«111 Bürger vermutet, daß Adorno in der Theorie des Romans »seine eigenen Erfahrungen als begriffene wieder erkannt haben«112 dürfte. Welche genau, davon berichtet Adorno in einem Brief an Benjamin im September ; es ist zumal die Erfahrung, »daß Erzählen nicht mehr möglich sei. Es ist mir das, und weit über die Andeutungen ›der Theorie des Romans‹ hinaus, ein vertrauter Gedanke, der mir evident war, schon Jahre, ehe ich theoretisch Rechenschaft davon ablegen konnte. Ich erinnere mich sehr wohl, daß, als mein Freund Reinhold Zickel mir vor zwölf oder dreizehn Jahren Novellen 110 Ebd., S. ; vgl. ders. Philosophie der neuen Musik, AGS, Bd. , S. . 111 Peter Bürger , Prosa der Moderne, S. . – In einer Fußnote fügt Bürger hinzu: »Dies dürfte auch schon für deren früheste Stufen gelten. Es ist anzunehmen, daß Adorno die kulturpolitischen Aufsätze von Lukács aus der Linkskurve gekannt hat, als er seinen Kierkegaard schrieb.« Für diese Annahme gibt es allerdings keinerlei Anhaltspunkte. 112 Ders. , »Verschüttete Spuren«, S. .

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vorlas, in denen den Personennamen der bestimmte Artikel vorangestellt war (›… sagte die Sunna‹, usw.), ich an dem ›die‹ Anstoß nahm, eben weil es die Geste der Unmittelbarkeit des Erzählers fiktiv in Anspruch nimmt, die mir damals schon unmöglich schien; und ich weiß, daß ich einen Widerstand gegen die angeblich großen Erzähler vom Schlage Kellers und Storms, von Fontane nicht zu reden, schon aus eben diesem Grunde seit langem nährte.«113 Weil Erzählen nach Adorno nicht mehr möglich ist, wird Kunst für ihn zur unbewußten Geschichtsschreibung und der Gestus der Unmittelbarkeit der Erzählers zur Ideologie. Im Gegensatz zur ästhetischen Theorie Lukács’ geht Adorno nicht davon aus, daß es dem künstlerischen Subjekt möglich sei, die gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge an sich erfassen und darzustellen zu können. Vielmehr könnten in den Einzelerscheinungen und deren Darstellungen – wie es das Motiv der Monade vorstellt – erkennbar werden, was die Totalität in ihrem Wesen ausmacht. Nur in der von Lukács verworfenen Darstellung individuell-subjektiver Erfahrungen und unter Bezugnahme auf die fortgeschrittensten technischen Mittel kann Adorno zufolge auch der objektive Stand geschichtlicher Erfahrung in der Kunst ihren Ausdruck finden. Kunst schlechthin ist für ihn charakterisiert durch den gelungenen Umschlag individuell-subjektiver Erfahrungen in allgemein-objektive; als Prototypen dessen führt Adorno des öfteren die Literatur Kafkas und diejenige Prousts an. Über diese heißt es in »Erpreßte Versöhnung«: »Proust dekomponiert die Einheit des Subjekts vermöge dessen eigener Introspektion: es verwandelt sich schließlich in einen Schauplatz erscheinender Objektivitäten. Sein individualistisches Werk wird zum Gegenteil dessen, als was Lukács es schmäht: wird anti-individualistisch.«114 Und gleichsam in Reaktion auf das Lukácssche Verdikt über den Solipsismus nennt er Kafka in den Minima Moralia einen Solipsisten ohne ipse115, denn bei Kafka erweist sich die vermeintliche Unmittelbarkeit des Erzählers als durch und durch vermittelt von der gesellschaftlichen Totalität, die in der Theorie Lukács’ bewußt soll wahrgenommen werden können; auch Kafkas Erzähler wird zu einem »Schauplatz erscheinender Objektivitäten«, die ihm kein »ipse« gewähren. Was Lukács in der Theorie des Romans versucht, als Gegenentwurf zum Kapitalismus zu retten, den Roman als Leben, als autonom Produziertes, ist für

113 Adorno an Benjamin, . September , ABB, Bd. , S. . 114 Ders., »Erpreßte Versöhnung«, AGS, Bd. , S. . 115 Ders., Minima Moralia, AGS, Bd. , S. .

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Adorno zutiefst fragwürdig geworden, insofern man nicht mehr so tun könne, als sei die Figur eines Romans Herr übers eigene Leben. Auch in seinen Aufzeichnungen zur Anfang der er Jahre geplanten, aber nicht geschriebenen Arbeit über den Namenlosen von Beckett sowie in den Notizen zum »Versuch, das Endspiel zu verstehen« finden sich Bemerkungen zu Lukács. Diese setzen sich vor allem mit dem Vorwurf Lukács’ auseinander, Beckett habe in seinen Werken einer ontologischen conditione humaine Ausdruck verliehen. Dagegen notiert Adorno: »Das Geniale an B[eckett], daß er eben diesen Schein des Geschichtslosen, der condition humaine, in geschichtlichen Bildern aufgefangen und damit durchschlagen hat.«116 Als dialektische seien diese Bilder aber zugleich mehr als bloß geschichtliche, weil sich in ihnen die Immergleichheit der bisherigen Geschichte konzentriert: weil Vorgeschichte fortdauert,117 sind die geschichtlichen Bilder nicht von ihr isoliert zu betrachten. »Genau so unsinnig wie die von Lukács B[eckett] unterschobene ontologische Intention wäre eine primitiv geschichtliche. Kein Kampf dem Atomtod. Weder condition humaine noch Ape and essence. Ein Drittes: im Grauen des Letzten blitzt das des Ganzen auf aber nur darin«118. Adorno versteht diese Bilder, entsprechend dem Benjaminschen Motiv des dialektischen Bildes, als solche, in denen in der kleinsten angeschauten Zelle der geschichtlichen Wirklichkeit die gesamte Vorgeschichte der Welt ›aufblitzt‹.119 »Er [scil. Beckett] klagt auch nicht die Gesellschaft an. Genau das nicht, und eben das ist die Spitze, die er ihr zukehrt. Gegen Lukács und vulgärmaterialistische Interpretation.« Becketts Stücke tragen, wie es im »Versuch, das Endspiel zu verstehen«, heißt, dem Umstand Rechnung, daß die »Irrationalität der bürgerlichen Gesellschaft in ihrer Spätphase […] widerspenstig dagegen [ist], sich begreifen zu lassen; das waren noch gute Zeiten, als eine Kritik der politischen Ökonomie der Gesellschaft geschrieben werden konnte, die sie bei ihrer eigenen ratio nahm.«120 Dieses irrationale Moment ist für Adorno – im Gegensatz zur Interpretation Lukács’ – kein schlecht ontologisches, sondern dem Zustand der spätbürgerlichen Gesellschaft immanent; es entzieht sich der bloß rationalen Interpretation. Das 116 Ders. zit. nach Tiedemann , »›Gegen den Trug der Frage nach dem Sinn‹«, S. . 117 Vgl. Adorno, »Versuch, das Endspiel zu verstehen«, AGS, Bd. , S. . 118 Ders. zit. nach Tiedemann , »›Gegen den Trug der Frage nach dem Sinn‹«, S. S. . – Adorno spielt hier an auf Aldous Huxley , Ape and Essence. 119 Vgl. Adorno, »Versuch, das Endspiel zu verstehen«, AGS, Bd. , S. . 120 Ebd., S. .

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hat Adorno zufolge neben Beckett auch Kafka gezeigt, den er in einer Vorlesung über Ästhetik von  mit fast den gleichen Ausführungen gegen die Interpretation seitens Lukács’ verteidigt: »Das Gefühl also von der Welt, das etwa die Romane von Kafka hervorbringen […], das ist nicht etwa, wie Lukács es Kafka unterschoben hat, ein Gefühl von der sogenannten condition humaine, ein Gefühl also von dem gottverlassenen, geworfenen, von Angst verzerrten Dasein der Menschen schlechterdings, sondern das ist ein durch und durch modernes Gefühl, ein Gefühl, das durchaus eben den gegenwärtigen Weltzustand als eine Erfahrung des Wesens freilich und nicht der Fassade betrifft und wiedergibt«121 Gleichsam als Fazit der Kritik am von Lukács vertretenen Realismus erläutert Adorno in einem Fernsehgespräch über Beckett von : »Ich bin ja überhaupt der Ansicht, daß der leidenschaftliche Widerstand gegen avancierte Kunst nicht davon kommt, daß es die Menschen nicht verstehen, sondern damit zusammenhängt, daß sie es im Grunde zu genau verstehen; daß sie selber getroffen werden und daß sie es deshalb von sich abwehren. […] In einer Diskussion über Literatursoziologie, in Royaumont, habe ich ein paar Lukács’iens, die dagewesen sind, vorgehalten, daß es doch die allereinfachste Widerlegung der Lukács’schen These sei, daß also von Gebilden wie denen von Beckett, oder denen von Kafka, unvergleichlich viel mehr die Wirkung dessen ausgehe, daß es entscheidende – und zwar geschichtliche, gesellschaftliche – Gehalte unserer Zeit trifft, als von dem unseligen Stillen Don des Herrn Scholochow, in dem von solchen Sachen immerzu die Rede ist. […] Ich […] glaube […], daß hier entscheidende Dinge vom Wesen unserer gegenwärtigen Situation, daß – man könnte sagen: dialektische Bilder hier getroffen sind, während eben der sogenannte Realismus es nur mit Oberflächenphänomenen zu tun hat.«122

9.6 Erbärmliche Verflachung der Dialektik  notiert Adorno: »Erzählt wird, Lukács habe, in den Fängen der Staatspolizei nach Rumänien deportiert, gesagt: nun wisse er, daß Kafka ein realistischer Schriftsteller gewesen sei. Das hat sich mir bei der Lektüre von Hesses Ju121 Ders., Ästhetik /, ANS, Bd. IV., S. . 122 Ders. et al. , »›Optimistisch zu denken ist kriminell‹. Eine Fernsehdiskussion über Samuel Beckett«, S. .

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gendroman Unterm Rad bestätigt. Er gibt sich durchaus realistisch. Trotzdem geht von ihm etwas aus, was an Kafka erinnert – Das Schloß – obwohl es sich sehr schwer fassen läßt. Es ist das Gefühl des Bannes, einer apriorischen Unfreiheit, unter der geduckt die Figuren dahinwandeln. Sie sind kaum Subjekte, die Möglichkeit dazu ist ihnen vorweg abgeschnitten und das läßt sie wie unter einer Glasglocke von Unheil umhergehen. […] In der Calwer, Göppinger, Maulbronner Welt wird Individualität überhaupt nicht mehr honoriert; sie ist stillschweigend Störungsfaktor und reizt zu ihrer Liquidation. Grund vielleicht: daß ehedem, nach Lukács, ›sinnerfüllte‹ primary communities, umfangreiche und gleichsam verheißende Sozialgebilde der Form nach überleben, nachdem sie dem sozialökonomischen und damit auch metaphysischen Gehalt nach überlebt sind. Kafkas Gewalt aber rührt vielleicht daher, daß in ihm, wie es wahr ist, das Selbstverständliche nun dem Absurden gleichgesetzt wird. Das ist aber von äußerster Konsequenz für die Ästhetik. Die Absage der Kunst an den Realismus wird von diesem selbst gefordert.«123 Auch in einer Notiz von  kommt Adorno auf die Lukácssche Theorie der sinnerfüllten Epoche zu sprechen und bekennt hier – einigermaßen überraschend –, daß seine metaphysische Erfahrung von dieser Theorie aus ihren Ausgang genommen habe. Die Notiz kann – zumindest auf den ersten Blick – als eine Relativierung seiner vehementen Kritik an eben dieser Theorie gelesen werden. Sie ist nicht nur hinsichtlich seiner Lukács-Lektüre von großer Bedeutung, sondern zugleich für sein Verständnis dessen, was ihm Philosophie überhaupt bedeutet: »Facit. Ausgang meiner metaphysischen Erfahrung war doch die Lukács’sche Theorie sinnerfüllter Epochen. Die Verherrlichung des Sinnes und der Schrecken von dessen Verlust erscheint dabei als Bürgschaft seiner Wahrheit; die objektive Vernunft in seinem Verlust bleibt unbeachtet. Es liegt darin schon jene Vorstellung vom Verlust der Mitte, in der später das Abendländische und die Entwicklungsländer so glücklich sich gleichschalten. Daß es in der Gegenwart eines immanenten oder transzendenten Sinns besser gewesen 123 Adorno , »Graeculus (II)«, S.  f. – Ágnes Heller überliefert jenen Ausspruch Lukács’ in ihrer Autobiographie: Lukács »berichtete auch, wo er gewesen war, erzählte aber keine Einzelheiten über die Vorgänge in Rumänien. […] ›Jetzt weiß ich, daß Kafka ein realistischer Schriftsteller war, denn was mit uns geschehen ist, gibt ihm recht‹, sagte er. ›Sie setzten uns in ein Flugzeug, wir wußten nicht, wohin es ging, wir landeten irgendwo und wußten nicht einmal, in welchem Land wir uns befanden, dann brachten sie uns mit Autos auf ein Schloß … so etwas gibt es nur bei Kafka.‹« (Heller , Der Affe auf dem Fahrrad, S. .)

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sei, wird zur Garantie von dessen Wahrheit. Das ist genau jene Argumentation aus dem Bedürfnis, die Nietzsche kritisiert hat – sie wird im Grunde schon getroffen von der Kantischen Kritik des ontologischen Gottesbeweises. Aber wird nicht etwas vergessen? Ist nicht an jener Argumentation doch etwas dran? Läßt zwischen der Idee eines utopischen Zustands und der der Wahrheit dessen, worin er beruht, so radikal sich scheiden? Wäre das nicht zweierlei Wahrheit? Läßt zwischen der Wahrheit des Sinnes an sich und der des Zustandes, in dem er als Bedingung notwendig wäre sich scheiden? Wäre richtiges Leben richtig, wenn das, was es notwendig voraussetzt, falsch wäre? Sagt nicht, was hier je sinnvoll war – auch negativ sinnvoll – etwas über die Wahrheit des Sinnes. Kants Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises wahr und doch nicht – setze ich nicht mit dem ersten Satz, indem ich seine Wahrheit postuliere, das Absolute? Und da die Elemente jeden Begriffs aus einem Seienden kommen – woher sollte ich diesen emphatischen nehmen? Oder ist das alles ein Trugschluß? Das zu durchdenken, mit und gegen Kant, ist meine Aufgabe und die der Philosophie. Nur eines weiß ich – wenn dies nicht ist, dann ist alles nur nichts. Oder? –«124 Zunächst bekräftigt die Notiz noch einmal den großen Einfluß Lukács’ auf Adornos frühe Philosophie. Metaphysische Erfahrung, zeit seines Lebens eine der bedeutendsten Quellen seiner philosophischen Reflexionen, besteht für Adorno, wie er in einer Vorlesung von  erläutert, in der Konstellation eines dinghaften, dem Subjekt gegenüberstehenden Moments einerseits und der Fehlbarkeit all dessen, worin metaphysische Erfahrung bestehen kann, andererseits. Diese beiden Motive machen Adorno zufolge »geradezu gemeinsam die dialektische Figur, das dialektische Bild aus[…], an dem allein man dessen vielleicht innezuwerden vermag, was mit dem Begriff metaphysischer Erfahrung gemeint wird«125, der als derart bestimmter zugleich eine Kritik der Geschichtsphilosophie Lukács’, seiner Ästhetik und seines Verständnisses von Dialektik impliziert. So ist die Verleugnung jenes objektiven Moments, das nicht in der Rationalität des Subjekts aufgeht, sondern diesem als ein Fremdes, Unbegriffenes gegenübersteht, für Adorno Ausdruck eines undialektischen Denkens, das er prototypisch an der Zerstörung der Vernunft von Lukács erkennt, wenn diese den positiven Bezug auf irrationalistische bzw. unbewußte Momente als regressiv oder gar als faschistisch brandmarke: »Das ist eigentlich«, so Adorno  in ei124 Adorno , »Graeculus (II)«, S. . 125 Ders., Metaphysik. Begriff und Probleme (), ANS, Bd. IV., S. .

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ner Vorlesung, »die Situation, in der das dialektische Denken sich befindet, und es scheint mir in der Tat ein Symptom der erbärmlichen Verflachung der Dialektik zu sein, wenn jemand, der es einmal besser wissen mußte und der Lukács heißt, in seinem Buch über ›Die Zerstörung der Vernunft‹, das er besser nicht geschrieben hätte, in der Tat einfach alles, was es an irrationaler Philosophie überhaupt gibt, darunter auch Nietzsche, darunter auch den vollkommen mißverstandenen Freud, nun mit dem Klischee ›Faschismus‹ abstempelt, ohne zu sehen, daß eben Dialektik, in der nicht das der erkennenden ratio entgegengesetzte Moment substantiell ist, überhaupt ihren eigenen Begriff aufhebt und genau jenes mechanische Denken geworden ist, gegen das die großen Inauguratoren der dialektischen Philosophie so nachdrücklich sich gewandt haben.«126 Und in der Vorlesung über »Fragen der Dialektik« führt Adorno aus: »Die Kontroverse über das Verhältnis der Dialektik zu den beiden Richtungen, die ich in einem etwas modifizierten und erweiterten Sinne als Irrationalismus und Rationalismus bezeichnet habe, ist von einer gewissen Aktualität in der gegenwärtigen Diskussion von Fragen der Dialektik durch ein Buch, das vielleicht auch manchen von Ihnen zu Gesicht gekommen ist, ein Spätwerk von Georg Lukács, in dem dieser den Irrationalismus einfach verdonnert hat; das Buch heißt: Die Zerstörung der Vernunft, und sein Tenor ist, daß unterschiedslos nicht nur alle in einem weiteren Sinne irrationalistischen Richtungen, sondern überhaupt alle die Richtungen der Philosophie, in denen Momente von Irrationalität, also auch das Unbewußte, überhaupt zur Geltung gebracht werden, einfach der Reaktion zugerechnet werden und womöglich unter das Klischee des Faschismus befaßt werden, das ja in dem Ostbereich heute sehr locker sitzt.«127 Metaphysische Erfahrung erhalte sich »eigentlich nur noch negativ«128. In solcher Negativität steht Adornos Verständnis von metaphysischer Erfahrung der Geschichtsphilosophie Lukács’ entgegen; dem, s.o., »was bei Lukács noch die ›Landkarte der gangbaren und zu gehenden Wege‹ heißt«. Die Annahme »sinnerfüllter Epochen«, aus denen sich jene Landkarte der Geschichtsphilosophie Lukács’ zufolge konstruieren lasse, impliziert für Adorno eine ideologische Verklärung vergangener Zeiten, denen ein Sinnzusammenhang zugesprochen wird, der als positiver zum Vorbild eines zukünftig erreichbaren gesellschaftlichen Zustands erklärt wird. Die Negativität des gesellschaftlichen Zustands legt 126 Ders., Einführung in die Dialektik, ANS, Bd. IV., S. . 127 Theodor W. Adorno Archiv, Vo . 128 Ders., Metaphysik, ANS, Bd. IV., S. .

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die Versuchung nahe, »in das Traumreich einer sinnerfüllten Epoche [zu] entfliehen, die unerreichbar ist und die es nicht gab«.129 Zur Einsicht der »gnostisch-antinomischen Konsequenz des dialektischen Denkens« schicke sich »recht genau der Verdacht, daß jene angeblich auch bei Hegel noch substantiellen Zeiten, in denen da das Individuum positiv harmonieren soll mit dem Kollektiv, in dem es lebt, aller Wahrscheinlichkeit nach gar keine Zeiten einer solchen glücklichen Harmonie gewesen sind, sondern solche einer Repression, die nur so mächtig gewesen ist, daß von diesen Zeiten uns bloß das Resultat, nämlich der Triumph des Allgemeinen überliefert ist, ohne daß wir von dem Unmaß an Leiden und Unrecht noch uns Rechenschaft zu geben vermöchten, ohne welches diese sogenannten sinnerfüllten Zeiten, wie Lukács es einmal in seiner Jugend romantisch genannt hat, nicht gewesen wären.«130 Adorno ist der Ansicht, »daß aus Gründen philosophischer und gesellschaftlicher Art eben die fixen Orientierungspunkte, ›die transzendentalen Orte‹, wie Lukács das genannt hat in seiner Jugend, oder, wie man wohl später gesagt hat: die ontologischen Grundstrukturen zerfallen sind.«131 Dagegen betont er, »daß die Gestalt, in der metaphysische Erfahrung wirklich etwas sich Aufdrängendes, sich Aufzwingendes noch hat, das nicht als eine Sphäre romantischen Wünschens sich verdächtig macht, […] die größte Ähnlichkeit hat mit der Situation des vergeblichen Wartens«132; des vergeblichen Wartens auf etwas, das es als positives niemals gab und als solches positives auch nicht anzuvisieren ist. Wenn Adorno selbst von den heutigen Möglichkeiten metaphysischer Erfahrung spricht, rekurriert er dabei nicht wie Lukács auf vergangene geschichtliche Epochen, sondern auf die eigene, individuelle Kindheit, in der er noch die Erfahrung des Glücks habe machen können. Dieses Glück, das betont Adorno, 129 Ders., »Atonales Intermezzo?«, AGS, Bd. , S. . 130 Ders., Zur Lehre von der Geschichte …, ANS, Bd. IV., S.  f. – »Nebenbei bemerkt ist das [scil. die Geschlossenheit der mittelalterlichen Welt] das Grundmotiv überhaupt der gesamten, geschichtsphilosophisch retrospektiven Spekulationen über das Mittelalter, wie sie mit der Arbeit über ›Die Christenheit oder Europa‹ von Novalis einsetzen und sich fortgesetzt haben bis in unsere Zeit, bis in die sehr großartige ›Theorie des Romans‹ von Georg Lukács; wobei nur allerdings – und ich kann von diesen Dingen nicht reden, ohne darauf doch aufmerksam zu machen – die Notwendigkeit des Zerfalls eben jenes mittelalterlichen Kosmos nicht gesehen worden ist.« (Ebd., S. .) Das spricht aber geschichtsphilosophisch gegen die Geschichtsphilosophie der Lukácsschen Romantheorie. 131 Ders., Einleitung in die Soziologie, ANS, Bd. IV., S. . 132 Ebd., S.  f.

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ist ein scheinhaftes Glück, das in der Erinnerung des Erwachsenen jedoch als individuelle Ahnung davon überlebt, was ein richtiges Leben sein könnte, ohne dieses bereits positiv darzustellen. Die Glückserfahrungen der Kindheit – zugleich scheinhaft und real –, bedürfen Adorno zufolge Fähigkeiten, derer grundsätzlich jeder Mensch fähig ist, die den allermeisten jedoch ebenso grundsätzlich ausgetrieben werden. Nochmals: In der negativen Dialektik von Allgemeinem und Individuellem nimmt Adorno auch die Erkenntnis Lukács’ auf, daß alle Einzelerscheinungen von der gesellschaftlichen Totalität abhängig sind. Für Adorno ist diese Abhängigkeit nicht als ein bloßes Ableitungsverhältnis zu verstehen, sondern verweist auf die Unterscheidung von Wesen und Erscheinung, die »wohl überhaupt für das dialektische Denken schlechterdings konstitutiv«133 sei und der zufolge es »ganz müßig und ganz leer [sei], von ›dem Wesen‹ oder von ›wesentlichen Gesetzen der Gesellschaft‹ zu reden, wenn diese Gesetze nicht in den Phänomenen durch deren Interpretation selber sichtbar gemacht werden; wenn nicht dieses Wesen in den Phänomenen aufgedeckt wird«134, ähnlich wie Kafka den Vorrang der schlechten Objektivität in den individuellen Erfahrungen des Subjekts aufweist. Die subjektive Identität ist angesichts jenes Vorrangs bloßer Schein, und Schein bleiben auch die Glückserfahrungen der Kindheit, die von Adorno keineswegs romantisiert werden. Sie stehen als bloß individuelle der gesellschaftlichen Totalität gegenüber, durch die sie zugleich entstellt sind. Während Lukács vergangene gesellschaftliche Zustände als geschlossene Sinnzusammenhänge annimmt, kann es für Adorno nur individuelle Spuren dessen geben, was ein richtiges Leben in einem utopischen Zustand wäre, der dann keine Totalität mehr wäre, sondern eine objektive Identität, die, weil sie den Begriff der Identität erfüllt hätte, über sie hinaus wäre und das Nichtidentische freigäbe.135  faßt Adorno in einem Brief an Gershom Scholem seine Vorbehalte gegen Lukács in äußerst scharfen Formulierungen zusammen: »Gegen Lukács habe ich vor zwei Jahren eine große und sehr belastete Arbeit geschrieben und publiziert. Sie heißt ›Erpreßte Versöhnung‹ und stand im Monat (November oder Dezember ); ich kann mir gar nicht denken, daß ich sie Ihnen nicht soll geschickt haben, oder sie ist verloren gegangen? Sollten Sie sie nicht kennen, oder haben, so bekommen Sie sie natürlich. Sie wird auch in mein neues 133 Ders., Einführung in die Dialektik, ANS, Bd. IV., S. . 134 Ders., Einleitung in die Soziologie, ANS, Bd. IV., S. . 135 Vgl. ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. .

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Essaybuch, den zweiten Band der ›Noten zur Literatur‹, aufgenommen werden, das ich gerade jetzt mit einer Abhandlung über Beckett abgeschlossen habe; der Band wird im Herbst  erscheinen. Der Sache nach stimme ich mit Rücksicht auf Lukács gänzlich mit Ihnen überein. Was ich über die späten Dinge denke, findet sich in jenem Essay; aber wie es die Regel zu sein scheint, werden von den späteren Dingen auch die frühen affiziert und schlecht. Selbst ein Buch wie die ›Theorie des Romans‹, das uns alle einmal sehr impressioniert hat, zeigt heute ein reaktionäres Potential, das erst unter den Segnungen des Ostblocks sich ganz entfaltet hat. […] Das Beste ist wohl nach wie vor die Arbeit über Verdinglichung aus ›Geschichte und Klassenbewußtsein‹. Das ganze Buch ist jetzt auf Französisch neu erschienen, und Lukács hat sich sofort beeilt, es mit ebenso eifrigen wie törichten Beschimpfungen zu verleugnen. Das Gefährliche an dem Mann ist, daß das Prestige seiner Jugendarbeiten immer noch hinreicht, auch seinen späteren Schriften Respekt und Aufmerksamkeit zu erwirken, während diese wirklich nichts anderes mehr sind als murxistische Schundliteratur. Dazu rechnet auch der Wälzer über Hegel, in dem Dinge entdeckt sind, die jeder Mensch weiß, der die Nohlsche Ausgabe der theologischen Jugendschriften im Ernst gelesen hat, und was etwa in einem Aufsatz von  Seiten bequem sich hätte sagen lassen, zu einem Soll von über  oder noch mehr verarbeitet. Nun, Sie werden finden, daß ich in meinem Text all diese Dinge so schonungslos gesagt habe, wie es notwendig ist. Eben um jener Tatsache willen, daß der Mist, den er seit nun bald vierzig Jahren produziert, immer noch von einem Teil der akademischen Jugend als Offenbarung gelesen wird, habe ich denn geglaubt, der herrschenden Suggestion ›Kein Wort gegen Lukács‹ mich nicht beugen zu sollen. Schließlich hat er in dem Buch über den Sozialistischen Realismus uns alle, und ganz besonders mich, attackiert, und ich sehe gar nicht ein, warum ich, damit ihm nur ja kein Haar gekrümmt wird, sein Zeug mir schweigend hätte gefallen lassen sollen.«136 Insgesamt fällt dennoch auf, daß sich Adorno öffentlich erstaunlich wenig gegen Lukács gewendet hat. Das allermeiste, was er über – und zumeist gegen – ihn formuliert hat, hat er gar nicht publiziert, sondern in Notizen für sich geschrieben; hauptsächlich versuchte er, in Briefen, Seminaren und Vorlesungen gegen Lukács zu wirken. Freilich hätte er noch ganz andere Einflußmöglichkeiten gehabt, nämlich publizistische, hat darauf aber nur im Notfall zurückgegriffen. Das mag zum einen damit zusammenhängen, daß Adorno der Überzeu136 Ders. an Scholem, . Dezember , ABB, Bd. , S.  ff.

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gung war, daß eine schlechte Theorie nicht durch Verfolgung ihres Urhebers besser wird; ihm ging es nicht um Gesinnung, sondern um die Wahrheit. Zum anderen wollte er wohl den Theorien keinen größeren öffentlichen Raum als eben notwendig bieten, deren Verbreitung er deshalb für so gefährlich hielt, weil sie seinen eigenen in manchem sehr nahe standen, zugleich aber von Überzeugungen und Theorien überformt waren, die allem, was Adorno sagte und schrieb, aufs schärfste entgegengesetzt sind. Nicht umsonst nannte er den Namen Lukács des öfteren in einem Atemzug mit dem Heideggers, so etwa, wenn er, wie bereits zitiert, an Höfling schreibt, nicht den Anschein erwecken zu wollen, »als ob Lukács eine Art summus philosophus wäre, wofür ich ihn so wenig halte wie Herrn Heidegger«137. Dennoch bleibt festzuhalten, daß der Einfluß Lukács’ auf Adorno – der diesen, s.o., nach eigener Aussage »wesentlich überhaupt zur Philosophie gebracht« habe – bis dato immer wieder übersehen wird, und daran haben auch die hier erwähnten Debatten wenig ändern können. Es mag aus der Perspektive eines Anhängers des Lukácsschen Werks unbefriedigend, womöglich gar ärgerlich und unverständlich sein, auf welche Weise Adorno den Verehrten rezipiert sowie was er über ihn geschrieben und geäußert hat. Aber ohne Kenntnisnahme dieser philologischen Tatsachen wird man kaum zu einer begründeten Sicht auf die sachlichen Differenzen beider Theoretiker kommen, die ja nicht schlicht aus wechselseitiger persönlicher Aversion stammen, sondern auf gesellschaftstheoretische Probleme verweisen, die ihrerseits zu wichtig sind, als daß man sie mit der Geste des beleidigten Verehrers vom Tisch wischen könnte. Natürlich ist dieser Bericht ganz einseitig; einer über Lukács’ Adorno – sofern es den denn gab; das wäre zu eruieren – müßte erst noch geschrieben werden.

137 Ders. an Helmut Höfling, . Februar , Theodor W. Adorno Archiv, Br /.

Teil II

10 Das Denken der Kritischen Theorie. Die Sitzungsprotokolle aus den Seminaren Adornos 1949–1969

In seinen Vorlesungen und Seminaren habe ich das meiste, was ich weiß, gelernt. I N, U  A

10.1 Protokollierung Ende Oktober  kehrte Theodor W. Adorno aus dem Exil nach Frankfurt am Main zurück. Über Paris erreichte er, der in Europa ein vollkommen Unbekannter war, seine Heimatstadt und findet am . November das zerstörte ehemalige Institutsgebäude vor. Noch im selben Monat begann er an der Universität mit seiner Lehre, die sich über die nächsten  Jahre bis zu seinem Tod  fortsetzen soll.1 Zu diesem Zeitpunkt gilt er als einer der einflußreichsten Intellektuellen der Bundesrepublik und Mitbegründer der mittlerweile weltweit bekannten Frankfurter Schule. – Dieser Einfluß ist nicht nur Resultat der Texte, die Adorno im Nachkriegsdeutschland publizierte, sondern auch jener Lehrtätigkeit, die sein Schüler Alfred Schmidt als »ein universitäres Ereignis«2 bezeichnen wird. Bereits in jenem Wintersemester seiner Rückkunft, /, hielt Adorno nicht nur eine Vorlesung ab über die »Theorie der Gesellschaft«3, sondern gab 1 2 3

Vgl. Nico Bobka/Braunstein , »Die Lehrveranstaltungen Theodor W. Adornos«. A. Schmidt , »›Wir wollen hier nicht so drauflos philosophieren‹. Theodor W. Adorno«, S. . Die Stichworte, die Adorno vorab zur Vorlesung notierte – er hielt sie in Vertretung für Horkheimer, der erst im Februar  nach Frankfurt kommen sollte –,

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zugleich Übungen zur Politik des Aristoteles sowie ein Seminar über die »Transzendentale Dialektik bei Kant«. Bereits in diesem Seminar wählt Adorno eine Vorgehensweise, die er bis zu seinem zuletzt gehaltenen Seminar über »SubjektObjekt-Dialektik«4 im Sommersemester  nicht mehr ändern wird: Pro Seminarsitzung hatte ein Student ein Protokoll der Sitzung zu verfassen. Er verfuhr hier mit den Seminaren kurzum wie später mit seinen Vorlesungen, die er auf Tonband aufnehmen und transkribieren – d.h. ebenso: protokollieren – ließ, um das einmal Gesagte und also Gedachte nicht zu verlieren, sondern sich ihm später nochmals zuzuwenden. Rolf Tiedemann – Schüler Adornos, Begründer und langjähriger Direktor des Theodor W. Adorno Archivs,5 Herausgeber der Gesammelten Schriften Adornos und derjenigen Walter Benjamins sowie Initiator und Mitherausgeber der Nachgelassenen Schriften Adornos – erinnert sich: »Das Seminar begann stets mit der Verlesung des Protokolls der vorigen Sitzung, das in der Regel auch den Ausgangspunkt für die Diskussion bildete. Weil die Sitzungsprotokolle scharfer Kritik der Seminarleiter, aber auch von den übrigen Teilnehmern, unterzogen wurden, war es nicht selten schwierig, Studenten zu finden, die bereit waren, das der aktuellen Sitzung zu unternehmen. In diesem Fall, und nur in ihm allein, griff Adorno dann auch einmal zur autoritären Bestimmung des Protokollanten«6. Und auch Tiedemann selbst findet sich unter den Verfassern jener Sitzungsprotokolle, von denen sich der allergrößte Teil erhalten hat: über  Protokolle von etwa  Verfasserinnen und Verfassern aus  Seminaren, abgehalten während  Semestern – die genaue Zahl der Protokollanten läßt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestimmen, weil einige Zuordnungen schwierig,

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finden sich publiziert in Adorno , »Theorie der Gesellschaft. Stichworte und Entwürfe zur Vorlesung /«. Dieses Seminar wurde, wie auch die Vorlesung desselben Semesters, »Einleitung in dialektisches Denken« (vgl. ders. , »Einleitung in dialektisches Denken. Stichworte zur letzten, abgebrochenen Vorlesung SS «), aufgrund der Störungen seitens der Studenten abgebrochen. Das letzte Protokoll datiert vom . Juli . Zur bewegten Geschichte dieses Archivs vgl. Tiedemann , »Die Nachlässe Adornos und Benjamins im Theodor W. Adorno Archiv. Eine bibliographische Bilanz«. Ders. , »Lehrjahre mit Adorno«, S. ; Rolf Tiedemann hat  im Rahmen der Frankfurter Adorno Blätter zwölf Mitschriften aus einem Privatissimum veröffentlicht, das Adorno, noch als Privatdozent, im Sommersemester  für Doktoranden und Fortgeschrittene abgehalten hatte (vgl. ders. [Hg.] , »Adornos Seminar vom Sommersemester  …«).

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andere, bei nicht unterzeichneten Protokollen, letztlich unmöglich sind; des weiteren mögen noch vereinzelt Protokolle in Nachlässen einzelner Schüler aufgefunden werden. Abgesehen von  Protokollen, die sich lediglich im Frankfurter Theodor W. Adorno Archiv finden, sowie einem, dessen Durchschlag nur im Archiv des Instituts für Sozialforschung vorliegt, verteilt sich die Hauptmasse der überlieferten Protokolle auf zwei große Archive: Jene Protokolle, die in den soziologischen Seminaren angefertigt wurden,7 sind, zusammen mit den überlieferten Referaten, in der Bibliothek des Instituts für Sozialforschung, jeweils für ein oder zwei Semester zusammengefaßt, zu Büchern gebunden worden. Diese Praxis war seinerzeit am Institut für Sozialforschung durchaus üblich; sowohl im Archiv des Instituts als auch in dessen Bibliothek findet sich eine Menge an Material von den er bis in die er Jahre hinein – zumeist maschinenschriftliche Reinschriften von Forschungsberichten empirischer Studien –, das zur Verwahrung aufgebunden wurde. Fast alle Protokolle liegen in der Form vor, in der sie auch ursprünglich eingereicht wurden, lediglich zwei Protokolle wurden (noch vor der Buchbindung) in kopierter Form gesammelt. Die übrigen Protokolle sind Typoskripte bzw. deren Durchschläge; ganz vereinzelt wurden Protokolle handschriftlich angefertigt. Fast sämtliche Protokolle weisen maschinenschriftliche oder, zumeist, manuelle Sofortkorrekturen auf; einige darüber hinaus auch Anstreichungen und Marginalien, u.a. von Adornos Hand. Auf einigen Protokollen der letzten Semester hat Adorno handschriftlich seine Beurteilung vermerkt. Über die Bibliothek des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften, die sich der Protokollbücher nach Auflösung der Fakultäten an der Johann Wolfgang Goethe-Universität zunächst annahm, gelangten sie ins Universitätsarchiv Frankfurt.8 Diejenigen Protokolle hingegen, die in den philosophischen Seminaren abgefaßt wurden, finden sich unter anderen Lehrmaterialen als Teil des Nachlasses Max Horkheimers im Archivzentrum der Universitätsbibliothek J.C.

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Adorno hatte an der Philosophischen Fakultät der Universität Frankfurt eine Professur (ab  eine außerordentliche, die  in eine ordentliche umgewandelt wurde) für Philosophie und Soziologie inne. Zur Funktion dieses Archiv vgl. Michael Maaser , »Das Archiv der Universität in Frankfurt am Main. Gedächtnis und Schatzkammer der Johann Wolfgang Goethe-Universität«; ders. , »›Dem Archiv verschrieben‹. Das Universitätsarchiv Frankfurt – Schatzkammer und Gedächtnis der Universität«.

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Senckenberg in Frankfurt am Main.9 Sie entstammen Sitzungen, die den Vorlesungsverzeichnissen zufolge zumindest formell gemeinsam von Adorno und Horkheimer abgehalten wurden. Die Protokolle selbst bestätigen inhaltlich allerdings den folgenden Befund von Alex Demirović: »Anzumerken ist, dass Horkheimer, auch wenn er als Mitveranstalter aufgeführt ist, nach Auskunft mehrerer Teilnehmer lediglich etwa alle drei bis vier Wochen an den Seminarsitzungen teilnahm.«10 Der Grund hierfür ist zunächst ganz äußerlich:  wurde Horkheimer emeritiert und hatte sich bereits zwei Jahre zuvor in der Schweiz niedergelassen. 10.2 Übersicht der überlieferten Protokolle Philosophisches Seminar: Transzendentale  Protokolle Dialektik bei Kant (in Vertretung für Horkheimer) Sommersemester Philosophisches Hauptseminar: Dialektik.  Protokolle  Vorrede und Einleitung zur Phänomenologie des Geistes (mit Horkheimer) Wintersemester Philosophisches Seminar: Begriff des Fort Protokolle / schritts (mit Horkheimer) Sommersemester (Keine überlieferten Sitzungsprotokolle)  Wintersemester Philosophisches Seminar: Kants Kritik der  Protokolle / Urteilskraft (mit Horkheimer) Sommersemester Philosophisches Seminar: Ausgewählte Ab Protokolle  schnitte aus Hegels Rechtsphilosophie (mit Horkheimer) Wintersemester (Unterbrechung der Lehrtätigkeit wegen eines / und Forschungsaufenthaltes in den USA) Sommersemester  Wintersemester Philosophisches Seminar: Dialektik (mit  Protokolle / Horkheimer) Sommersemester Philosophisches Seminar: Max Webers  Protokolle  wissenschaftlich-theoretische Schriften (mit Horkheimer) Wintersemester /

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Zu diesem Archiv vgl. etwa Jochen Stollberg , »Das Archivzentrum der Universitätsbibliothek Frankfurt«. Demirović , »Bodenlose Politik – Dialoge über Theorie und Praxis«, S. .

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Wintersemester / Sommersemester 

Philosophisches Hauptseminar: Nietzsche: Genealogie der Moral (mit Horkheimer) Philosophisches Hauptseminar: Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (mit Horkheimer) Soziologisches Kolloquium: Erkenntniskritische Fragen der empirischen Sozialforschung Wintersemester Philosophisches Hauptseminar: Die Platoni/ sche Ideenlehre Soziologisches Hauptseminar: Amerikanische Texte zur Theorie der Gesellschaft Sommersemester Philosophisches Hauptseminar: Fichtes Wis senschaftslehre (mit Horkheimer) Soziologisches Hauptseminar: Durkheim Wintersemester Soziologisches Hauptseminar: Begriff der / Ideologie Sommersemester Philosophisches Hauptseminar: Über den Be griff der kritischen Philosophie (mit Horkheimer) Soziologisches Hauptseminar: Zeitgenössische Ideologien Wintersemester Philosophisches Hauptseminar: Adorno, Zur / Metakritik der Erkenntnistheorie (mit Horkheimer) Soziologisches Hauptseminar: Wirtschaft und Gesellschaft I Sommersemester Philosophisches Hauptseminar: Adorno, Zur  Metakritik der Erkenntnistheorie II (mit Horkheimer) Soziologisches Hauptseminar: Wirtschaft und Gesellschaft II Wintersemester Philosophisches Proseminar: Hegels Philoso/ phische Propädeutik (in Vertretung für Horkheimer) Philosophisches Hauptseminar: Kausalität I (mit Horkheimer) Soziologisches Hauptseminar: Kunstsoziologie

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 Protokolle  Protokolle

 Protokolle

 Protokoll  Protokolle  Protokolle  Protokolle  Protokolle  Protokolle

 Protokolle  Protokolle

 Protokolle  Protokolle

 Protokolle  Protokolle

 Protokolle  Protokolle

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Sommersemester Philosophisches Hauptseminar: Kausalität II  Protokolle  (mit Horkheimer) Soziologisches Hauptseminar: Was ist Gesell-  Protokolle schaft? Wintersemester Philosophisches Hauptseminar: Hegels Logik  Protokolle / I (mit Horkheimer) Soziologisches Hauptseminar: Zum Studium  Protokolle des autoritätsgebundenen Charakters (mit Ludwig von Friedeburg) Sommersemester Philosophisches Hauptseminar: Hegels Logik  Protokolle  II (mit Horkheimer) Soziologisches Hauptseminar: Texte zum Ver-  Protokolle hältnis von Philosophie und Soziologie  Protokolle Wintersemester Philosophisches Seminar: Schelling, Die / Weltalter Soziologisches Hauptseminar: Probleme der  Protokolle Bildungssoziologie Sommersemester Philosophisches Oberseminar: Idealismus  Protokolle  und Materialismus (mit Horkheimer) Soziologisches Hauptseminar: Probleme der  Protokolle qualitativen Analyse Wintersemester Philosophisches Hauptseminar: Hegel,  Protokolle / Phänomenologie des Geistes, Das absolute Wissen (mit Horkheimer) Soziologisches Hauptseminar: Musikso Protokolle ziologie: Vorlesungen mit anschließenden Übungen Sommersemester Philosophisches Hauptseminar: Hegel,  Protokolle  Subjektive Logik (mit Horkheimer) Soziologisches Hauptseminar: Soziologische  Protokolle Grundbegriffe I Wintersemester Philosophisches Hauptseminar: Hegel, Diffe-  Protokolle / renz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie (mit Horkheimer) Soziologisches Hauptseminar: Soziologische  Protokolle Grundbegriffe II Sommersemester Philosophisches Hauptseminar: Kant (mit  Protokolle  Horkheimer) Soziologisches Oberseminar: Begriff der so Protokolle ziologischen Theorie

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Wintersemester /

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Philosophisches Hauptseminar: Hegel (mit  Protokolle Horkheimer) Soziologisches Seminar: Besprechung ausge Protokolle wählter Kapitel aus Max Webers Wirtschaft und Gesellschaft Sommersemester Philosophisches Hauptseminar: Kant, Kritik  Protokoll  der praktischen Vernunft (mit Horkheimer) Soziologisches Hauptseminar: Zum Problem  Protokolle von Individuum und Gesellschaft Wintersemester Philosophisches Hauptseminar: Hegels Logik  Protokolle / (mit Horkheimer) Sommersemester Philosophisches Hauptseminar: Kants Ideen-  Protokolle  lehre (mit Horkheimer) Wintersemester Philosophisches Hauptseminar: Begriff der  Protokolle / Negation (mit Horkheimer)  Protokolle Soziologisches Hauptseminar: Zum Begriff der Gesellschaft Sommersemester (Beurlaubung von der Lehrtätigkeit)  und Wintersemester / Sommersemester Philosophisches Hauptseminar: Negative  Protokolle  Dialektik I (mit Horkheimer) Soziologisches Proseminar: Soziologische  Protokolle Zentralbegriffe Wintersemester Philosophisches Hauptseminar: Negative  Protokolle / Dialektik II (mit Horkheimer) Soziologisches Seminar: Probleme der autori-  Protokolle tätsgebundenen Persönlichkeit Sommersemester Philosophisches Hauptseminar: Hegel,  Protokolle  Ästhetik (mit Horkheimer) Soziologisches Proseminar: Übungen zur  Protokolle Vorlesung »Einleitung in die Soziologie« Wintersemester (Beurlaubung von der Lehrtätigkeit) / Sommersemester Philosophisches Hauptseminar: Subjekt–Ob Protokolle  jekt-Dialektik (mit Horkheimer) (Abbruch des Seminars)

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10.3 Adorno als akademischer Lehrer Unter den Protokollanten finden sich nachmals bekannte Persönlichkeiten aus den verschiedensten wissenschaftlichen Bereichen – nicht wenige waren später selbst als akademische Lehrer tätig. Beispielhaft seien genannt Michaela von Alth, nach ihrer Heirat von Freyhold, ab  Professorin für Soziologie in Bremen; Gerhard Brandt, der spätere Direktor des Instituts für Sozialforschung; Helmut Dahmer, ab  Professor für Soziologie in Darmstadt und über Jahrzehnte Herausgeber der psychoanalytischen Zeitschrift Psyche; der nachmalige Hegelforscher (mit Professur in Heidelberg) Hans Friedrich Fulda; der Politologe Kurt Lenk (Professur in Aachen); Evelies Magnus, verheiratete Mayer: in der ersten Hälfte der er Jahre hessische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst; Regina Schmidt, später Becker-Schmidt, ab  Professorin für Soziologie und Sozialpsychologie in Hannover;11 schließlich Rolf Wiggershaus, der  ein Standardwerk über die sogenannte Frankfurter Schule veröffentlichte.12 Alles in allem besuchten und protokollierten die Seminare, mit den Worten Oskar Negts, »Gewerkschaftler, Sozialforscher, Musiker, Journalisten, eine bunte Mischung Interessierter«13. Die Sitzungsprotokolle gestatten einen Einblick in Genese und Wirkung der Theorie Adornos (sowie zum Teil Horkheimers) und können als integraler Bestandteil nicht nur der Adorno-Forschung im engeren Sinn verstanden werden, sondern des Textkorpus der Kritischen Theorie insgesamt. In ihnen wird zum ersten Mal die Lehre der Hauptvertreter der Kritischen Theorie in der direkten Auseinandersetzung mit den Studenten sichtbar. Wenn etwa Negt, auch er ein ehemaliger Schüler, schreibt: »Adorno steht in der Tradition des sokratischen Dialoges; gleichwohl war er ein großer Lehrer«14, so wird sich dieser Be11

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Becker-Schmidt berichtet: »Natürlich hatte ich am Anfang auch sehr große Angst vor Adorno. Diese Autorität! Die Vorstellung, bei ihm ein Referat, ein Protokoll oder eine Prüfung machen zu müssen, war schon beängstigend. Aber es gab auch etwas, was stärker war als diese Befangenheit der Koryphäe gegenüber. Adornos Leidenschaftlichkeit des Philosophierens hatte etwas Ansteckendes, sie riß mit.« (Regina Becker-Schmidt , »Wenn die Frauen erst einmal Frauen sein könnten«, S. .) Vgl. Wiggershaus, Die Frankfurter Schule. Geschichte – Theoretische Entwicklung – Politische Bedeutung, . Oskar Negt , »Heute wäre er  geworden: Adorno als Lehrer«, S. . Ebd.

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fund nun dezidiert nachvollziehen lassen: Abseits von Anekdotischem und Hörensagen aus zweiter oder gar dritter Hand tritt aus den Protokollen das Verhältnis zwischen Adorno und seinen Studentinnen und Studenten als überlieferter Text hervor. Er zeichnet das Bild einer Diskursivität Kritischer Theorie, das keines ihrer Werke vermitteln kann. Wieviel, und vor allem: was die Theorie dem produktiven Umgang mit den Schülern verdankt, läßt sich ohne Kenntnis der Protokolle lediglich vermuten. Anders als etwa die Vorlesungen Adornos, in denen er den Hörern seine Lehre didaktisch entfaltet, zeigen die Sitzungsprotokolle, wie sehr – und auf welche spezifische Weise – die Kritische Theorie als »work in progress« angelegt ist, deren Lebenselemente Dynamik, zeitdiagnostische Kritik15 – auch Selbstkritik – und Diskursivität sind. Die Sitzungsprotokolle bezeugen das eigentümliche »Denken der Kritischen Theorie, das sich keineswegs in der gedruckten Form, die Horkheimer wie Adorno ihm gegeben hatten, erschöpfte, zu dem vielmehr seine Entfaltung im mündlichen Diskurs wesentlich hinzugehörte«16: In den Protokollen tritt neben »die exoterische […] die esoterische Seite der Kritischen Theorie«17. So verstanden, können die Sitzungsprotokolle einerseits als Schlüssel für das Verständnis der seinerzeit veröffentlichten Texte dienen, andererseits verweisen sie auf jene Schriften, die erst später entstanden (dies wird dezidiert deutlich in Hinblick auf die Negative Dialektik sowie die Ästhetische Theorie); oder aber als Hinweis auf Texte, die nicht mehr zustande kamen. Zwei Funktionen kamen den Protokollen im wesentlichen zu: erstens, den Verlauf der jeweiligen Sitzung auch für diejenigen Studenten festzuhalten, die 15 16 17

Siehe hier, Kapitel . Tiedemann , »Lehrjahre mit Adorno«, S. . Demirović , Der nonkonformistische Intellektuelle, S. ; ähnlich, wenngleich in bezug auf Adornos Vorträge, äußert sich Habermas (vgl. Habermas , »Grossherzige Remigranten. Über jüdische Philosophen in der frühen Bundesrepublik. Eine persönliche Erinnerung«). Dagegen erinnert Volker Heins daran, »dass das Verhältnis zwischen den pädagogischen und den philosophischen Werken nicht deckungsgleich ist mit dem Verhältnis zwischen den mündlichen und den schriftlichen Werken Adornos. […] Generell kann man behaupten, dass Adorno nicht davor zurückgeschreckt ist, auch schwierige Ideen vor einem Laienpublikum zu entwickeln. […] All dies spricht gegen die These einer ›Kluft‹. Mein Eindruck ist eher, dass der Unterschied zwischen mündlichen und schriftlichen Werken weniger substantieller als kontextueller und stilistischer Natur ist.« (Volker Heins , »›Nicht bange machen lassen!‹ – Adornos unveröffentlichte Vorträge«, S. .)

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an der Sitzung nicht teilnehmen konnten;18 zweitens sollten sie, indem das Protokoll, das von einer Seminarsitzung angefertigt wurde, stets zu Beginn der folgenden Sitzung verlesen wurde, eine Kontinuität in der Diskussion gewährleisten – oder aber selbst die Diskussionsgrundlage bilden, wie Iring Fetscher bemerkt: »An die Seminare habe ich noch eine sehr lebhafte Erinnerung, vor allem an das Ritual mit dem Protokoll der letzten Sitzung und der Diskussion des Protokolls, die manchmal so lange ging, daß das neue Thema gar nicht mehr behandelt werden konnte. Auch eine gewisse Hackordnung unter denen, die sich dann zu Wort meldeten, ist mir in Erinnerung. Eindrucksvoll auch die unter deutschen Hochschullehrern ganz ungewöhnliche Freundschaft zwischen den beiden Veranstaltern, die Art und Weise, wie sie sich gegenseitig duzten und mit dem Vornamen nannten, sich gelegentlich auch widersprachen und ergänzten, wobei immer auf die komplizierten Formulierungen von Adorno etwas schlichtere von Horkheimer folgten, die, häufig zur Erleichterung der anwesenden Studenten, die Dinge wieder etwas erdnäher machten.«19 In dieselbe Richtung weist auch eine Erinnerung Alfred Schmidts: »Wenn Adorno seit Mitte der fünfziger Jahre immer häufiger in einem Atemzug mit Horkheimer genannt wurde, so nicht zuletzt wegen ihres gemeinsamen Seminars, das donnerstags von  bis  Uhr stattfand. Es […] hatte bis zu siebzig Teilnehmer und wurde von längst Promovierten, auch von Lehrenden anderer Seminare besucht. Daß Philosophieren, nach Horkheimers Diktum, Formulieren heiße, war hier zu lernen. Das Protokoll der jeweils letzten Sitzung wurde zu Beginn verlesen und ausführlich besprochen, so daß zuweilen nur noch wenig Zeit für die Seminararbeit blieb.«20 Und Herbert Schnädelbach hebt hervor, »daß es bei Adorno doch immer ums Ganze ging. Ich habe einmal gesagt, daß Adorno sein Leben lang eigentlich nur einen Gedanken gedacht hat – nämlich den Gedanken ›Das Ganze ist das Unwahre‹ – und dieser Gedanke war immer präsent; alles, was im Detail diskutiert wurde, war immer bezogen auf das große Zentralthema des Denkens von Adorno. Dem hat sich auch Horkheimer angeschlossen. Dadurch verlor sich das Seminar nie in eine belanglose Erörterung von Einzelheiten«21. 18 19 20 21

Zudem sollten die Protokolle, wie oben bereits bemerkt, auch eine Archivierungsfunktion für Adorno selbst übernehmen. Iring Fetscher , »Von Hegel zu Marx«, S.  f. A. Schmidt , »Wir wollen hier nicht …«, S. . Herbert Schnädelbach , »Philosophieren lernen«, S.  f.; ähnlich formuliert es Roland H. Wiegenstein in seiner Erinnerung: Adorno und Horkheimer »sprachen viel, differenzierten, korrigierten, führten einen Gedanken fort, der im Elaborat

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10.4 Beispiel I: Max Weber In einem Brief an seinen Kölner Kollegen René König schrieb Adorno, er plane »schon geraume Zeit […] einen Aufsatz zur Revision der Max Weberschen Theorie der Wertfreiheit. […] In denselben Komplex würde dann möglicherweise auch eine kritische Analyse des Begriffs des Idealtypus gehören; doch die steht an einem entfernteren Punkt des Horizonts.«22 Jener Aufsatz wurde nie geschrieben, und es will aus heutiger Sicht so scheinen, als habe sich Adorno kaum je eingehender mit Weber beschäftigt – keine Abhandlung, erst recht keine Monographie, auch keine Vorlesung Adornos widmete sich explizit der Weberschen Theorie. In Adornos Seminaren war Max Weber gleichwohl um so präsenter: Im Sommersemester  hielt Adorno zunächst (nicht nur formal, sondern auch faktisch gemeinsam mit Max Horkheimer) ein Seminar über »Max Webers wissenschaftlich-theoretische Schriften« ab. Da es sich um ein philosophisches Seminar handelte, waren auch die besprochenen Themen zunächst philosophische, etwa die Abkunft der Weberschen Theorie von der Philosophie Heinrich Rickerts; schnell ging es aber über die Besprechung von Genesis und Geltung des Wertbegriffs und über die Möglichkeiten und Grenzen objektiver Erkenntnis um sozialwissenschaftliche Themen. Am Ende des Semesters wurde deutlich, daß es Adorno darum zu tun war, Webers Gesellschaftstheorie vor seiner Erkenntnistheorie zu retten: Obwohl er, wie Horkheimer einwendet, mit der Wertfreiheit dasjenige, worauf es eigentlich ankäme, zu einer Frage des ethischen Geschmacks mache, komme Weber, so Adorno, auf wichtige gesellschaftliche Zusammenhänge wie den von Protestantismus und Kapitalismus. Beginnend mit dem Wintersemester / hielt Adorno das zweisemestrige Seminar »Wirtschaft und Gesellschaft« ab, das zwar nicht ganz zufällig den Titel einer Schrift Webers trägt, allerdings auch nicht deshalb, weil dieses Werk nun im Zentrum gestanden hätte. »Zur Einleitung in das Seminar sagt Adorno: ›Die Übereinstimmung des Themas mit dem Titel eines der Hauptwer-

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des Studenten nur schattenhaft aufgetaucht war.« (Roland H. Wiegenstein , »Nach über fünfzig Jahren. Fragmentarisches von der Festplatte eines nicht besonders erinnerungstüchtigen Kopfes«, S. .) Adorno an René König, . März , René König , Briefwechsel. Band , S.  f.

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ke Max Webers soll keineswegs bestimmend für die Arbeit sein, vielmehr hat das Seminar die Absicht, über die Gesellschaft als Totalität und den Zusammenhang der Ökonomie und der Soziologie im engeren Sinne zu reflektieren. Es soll versucht werden, die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit an einigen Stellen besonders zu beleuchten, zu erkennen, was sie zusammenhält und wie sie sich reproduziert.‹ Und tatsächlich tritt im Verlauf des Seminars die Behandlung Webers zugunsten der von Marx in den Hintergrund«.23 Im Wintersemester / gab Adorno schließlich das Seminar »Besprechung ausgewählter Kapitel aus Max Webers Wirtschaft und Gesellschaft«. Innerhalb sämtlicher Veranstaltungen, die Adorno zu Weber abhielt, erreicht dieses Seminar – so läßt sich wohl sagen, ohne von oben herab beurteilen zu wollen – das höchste Niveau in der Auseinandersetzung mit der Theorie Webers. Adorno übte mit seinen Schülerinnen und Schülern Kritik an den Weberschen Diealtypen, in deren Konzeption bereits etwas vom totalen Ideologiebegriff stecke, sofern Weber impliziere, daß alles, was über faktische Erkenntnis hinausgehe, Ideologie sei. Damit sei aber Kritik und deren Theorie vorab ausgeschlossen. Im weiteren wurde die Typologie der charismatischen Herrschaft kritisiert, die Weber »als das Außeralltägliche, sowohl der rationalen, insbesondere der bureaukratischen, als der traditionalen, insbesondere der patriarchalen und patrimonialen oder ständischen, schroff entgegen[…]setzt. Beide sind spezifische Alltags-Formen der Herrschaft, – die (genuin) charismatische ist spezifisch das Gegenteil.«24 Diese Konzeption sei zergangen vor der Herrschaft Hitlers, dessen Führerschaft zwar gewiß charismatisch, dessen Alltäglichkeit hingegen geradezu penetrant gewesen sei. Das alltägliche Wesen dieser Herrschaft sei aber keineswegs irrational gewesen, sondern integraler Bestandteil jener Art von Führerschaft. Zudem wurde Weber vorgeworfen, er behandele den Zusammenhang von Wirtschaft und Gesellschaft undialektisch, nämlich schlicht interessenpsychologisch. Weil ihm die objektiven ökonomischen Funktionen gesellschaftlicher Institutionen noch fremd gewesen seien, sei es aus heutiger Sicht zwar leicht, ihn zu kritisieren, innerhalb des subjektiven Bereichs behalte Webers Theorie aber nach wie vor ihre Gültigkeit. – Auch an dieser Stelle verfuhr Adorno bei aller Kritik rettend. 23

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Braunstein , Zur Kritik …, S. ; bemerkenswerterweise korrigierte Adorno innerhalb dieses Doppelseminars selber ein Protokoll, das sich mit Gerhard Brandts Referat über ›Probleme der Marxschen politischen Ökonomie‹ beschäftigt. Max Weber , Wirtschaft und Gesellschaft, S. .

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Über die Bedeutung, die Adorno den Protokollen seiner Seminare zumaß, gibt ein bislang unveröffentlichter Brief an Herbert Marcuse Auskunft, mit dem er, nach Beendigung des zuletzt aufgeführten Seminars, Marcuses Aufsatz über »Industrialisierung und Kapitalismus im Werk Max Webers«25 kommentiert: »Ich bin hell begeistert. […] Dabei darf ich eine relativ große Vertrautheit mit dem Gegenstand beanspruchen, da ich in dem ganzen jetzt abgeschlossenen Semester [ein] soziologisches Hauptseminar über ›Wirtschaft und Gesellschaft‹ gemacht habe, und zwar bis ins einzelne mit denselben Thesen und Ergebnissen wie Du. Das bezieht sich vor allem auch auf die Dialektik des Rationalitätsbegriffs selber. Wenn ich ein Protokoll über die letzte Stunde, eine Art Generaldebatte, aufstöbern kann (ich weiß nicht, ob eines angefertigt wurde), werde ich es Dir in Heidelberg geben, und Du wirst Deine Freude daran haben.«26 Das Protokoll, von dem Adorno hier spricht, hat sich erhalten; ob Marcuse es (oder einen Durchschlag, eine Abschrift oder dergleichen) schließlich zu lesen bekommen hat, ist nicht ermittelt.

10.5 Beispiel II: Musiksoziologie Im Wintersemester / hielt Adorno – wie es seit dem Sommersemester  zur Gewohnheit geworden war – neben einem philosophischen auch ein soziologisches Seminar ab; in diesem Fall ein Hauptseminar, dessen Titel lautete: »Musiksoziologische Vorlesungen mit anschließenden Übungen«. Es sind diese Vorlesungen, aus denen  die Einleitung in die Musiksoziologie entstand, deren Untertitel, Zwölf theoretische Vorlesungen, eben auf diejenigen verweist, deren ›anschließende Übungen‹ die Protokolle dokumentieren. In der Vorrede zum Buch heißt es: »Die Vorlesungen wurden, mit anschließenden Besprechungen, im Wintersemester / an der Frankfurter Universität gehalten«27, und Adorno äußert sich weiter über den Inhalt des Seminars, er habe »wenigstens versucht, den Studenten zu zeigen, wie wenig Musiksoziologie in dem sich er25

26 27

Aus Anlaß des . Geburtstags Webers stand der . Deutsche Soziologentag vom .–. April  in Heidelberg unter dem Motto »Max Weber und die Soziologie heute«. Herbert Marcuse hielt das Eröffnungsreferat (vgl. Herbert Marcuse , »Industrialisierung und Kapitalismus im Werk Max Webers«), das er Adorno zur Annotation vorab zu lesen gegeben hatte. Adorno an Marcuse, . März , Theodor W. Adorno Archiv, Br /. Ders., Einleitung in die Musiksoziologie, AGS, Bd. , S. .

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schöpft, was er vortrug, indem er die Herren Hans Engel – den Verfasser des historisch akzentuierten Werkes ›Musik und Gesellschaft‹ –, Alphons Silbermann, den Exponenten der empirischen Forschungsrichtung in der Musiksoziologie, und Kurt Blaukopf, der höchst produktive Perspektiven des Zusammenhangs von Akustik und Musiksoziologie eröffnete, zu Gastvorlesungen einlud.«28 Die Protokolle,  Stück, haben sich sämtlich erhalten und geben der Sache gemäß weniger den Inhalt der Vorlesungen wieder als vielmehr die anschließenden Diskussionen, die vornehmlich den Charakter von Frage und Antwort hatten. So sprach Adorno etwa in der ersten Sitzung über verschiedene Hörertypen, als das Interesse der Teilnehmer auf die Frage ging, wie Adorno den Zusammenhang von Jazz und Unterhaltungsmusik einschätze. Erstaunlich offen beschied der, daß beide Phänomene zwar nicht gleichzusetzen seien sowie auch niemandem der Spaß am Jazz genommen werden solle, dies aber nicht von der Reflexion darüber entbinde, ob nicht auch der Jazz einen ideologischen Beitrag zur Kulturindustrie liefere. Auch die genannten Gastvortrage sind im übrigen protokolliert: Engel sprach am . Januar  über Fragen des Musiklebens, Blaukopf eine Woche später über das von Adorno genannte Thema, Silbermann in der Woche darauf über ›Pole in der Musiksoziologie‹.

10.6 Seminarprotokolle als wissenschaftliche Textgattung In jüngerer Zeit etablieren sich Seminarprotokolle innerhalb der Editionsphilologie zunehmend als eigenständige Textgattung. Zu Eugen Fink sind  innerhalb der Gesamtausgabe drei Teilbände erschienen, welche die Protokolle aus  Semestern Kant-Seminaren bieten.29 Und nachdem  zunächst Protokolle aus vier Seminaren Martin Heideggers publiziert worden waren,30 wurden ,  und  seminarweise weitere Protokolle im Rahmen der Gesamtausgabe der Schriften Heideggers publiziert.31 28 29 30 31

Ebd., S. . Vgl. Eugen Fink , Epilegomena zu Immanuel Kants »Kritik der reinen Vernunft«. Ein phänomenologischer Kommentar (–). Vgl. Heidegger , Vier Seminare. Le Thor , , . Zähringen . Vgl. ders. , Nietzsche. Seminare  und . . Nietzsches metaphysische Grundstellung (Sein und Schein). . Skizzen zu Grundbegriffe des Denkens, S.  ff.; ders. , . Die metaphysischen Grundstellungen des abendländischen Denkens .

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 erschien eine eigenständige Ausgabe derjenigen Protokolle, die im Wintersemester / in einem Seminar Heideggers über Schelling angefertigt wurden.32 – Allerdings haben die Editionsverfahren der Protokolle aus Seminaren Heideggers keinen Vorbildcharakter in Hinsicht auf das hier angestrebte Vorhaben: Die Publikationen innerhalb der Gesamtausgabe lassen sich, den eigenen Vorgaben jener Ausgabe gemäß, editionsphilologisch als Leseausgabe charakterisieren, während die eigenständige Ausgabe des Schelling-Seminars nach historisch-kritischen Prinzipien ediert worden ist, ohne daß allerdings erörtert würde, welchen Nutzen diese Vorgehensweise einem Leser bieten könnte, der schwerlich die Textgenese von Sitzungsprotokollen nachvollziehen möchte, deren Autoren er kaum kennen wird und die ihm auch nicht vorgestellt werden. Beide Ausgaben verzichten zudem weitgehend auf kontextualisierende Anmerkungen, Sacherläuterungen und Quellennachweise). Die Herausgeber dieser Protokolle erkannten, daß die Publikation von Interesse ist sowohl im Hinblick auf die Erforschung der Philosophie Heideggers als auch hinsichtlich derjenigen Schellings: Wenngleich von Heidegger-Forschern ediert, erschien das Buch im Auftrag der Internationalen Schelling-Gesellschaft in der Reihe Schellingiana. Ferner wurden  im Zuge der Vorbereitung einer Gesamtausgabe der Schriften Alfred Webers in einer Schrift des Bundesarchivs einige Protokolle geboten, die in den (z.T. gemeinsam mit Karl Mannheim veranstalteten) Seminaren Webers angefertigt wurden.33 Weiterhin sind zwei Ausgaben von Sitzungsprotokollen aus theologischem Kontext zu erwähnen: zum einen ein Band Transkription Harnackscher Sitzungsprotokolle.34 Das Buch bietet Protokolle aus vier Semestern, die, wie der Titel verrät, allesamt von ein und derselben Person angefertigt wurden und die lediglich transkribiert und kaum mit Anmerkungen versehen wurden. Einen Sonderfall stellt das Buch Sachgemäße Exegese. Die Protokolle aus

32

33 34

Einübung in das philosophische Denken, S.  ff.; ders. , Seminare. Hegel – Schelling, S.  ff. Vgl. Lore Hühn/Jörg Jantzen (Hg.) , Heideggers Schelling-Seminar (/). Die Protokolle von Martin Heideggers Seminar zu Schellings »Freiheitsschrift« (/ ) und die Akten des Internationalen Schelling-Tags . Lektüren F. W. J. Schellings I. Vgl. Eberhard Demm , Von der Weimarer Republik zur Bundesrepublik. Der politische Weg Alfred Webers –, S.  ff. Vgl. Wolfgang Wischmeyer (Hg.) , Aus der Werkstatt Harnacks. Transkription Harnackscher Sitzungsprotokolle Hans von Sodens (Sommersemester  – Wintersemester /).

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Rudolf Bultmanns Neutestamentlichen Seminaren – dar.35 Es handelt sich hier nicht um eine vollständige Wiedergabe der angezeigten Protokolle, sondern um eine Übersicht von Protokollen, deren Inhalt in Regestform dargeboten wird. Die Existenz der Protokolle aus den Seminaren Adornos wurde in der bisherigen Fachliteratur nur sehr vereinzelt wahrgenommen, wenngleich Adorno selbst in der  gemeinsam mit Ursula Jaerisch verfaßten Schrift »Anmerkungen zum sozialen Konflikt heute. Nach zwei Seminaren« eines »der Sitzungsprotokolle«36 aus jenen Seminaren des Wintersemesters / (»Zur Soziologie des Lachens«) sowie des Sommersemesters  (»Sozialer Konflikt«) erwähnt.37 Die Literatur zum Thema ist entsprechend überschaubar:38 Von Alex Demirović sind die Aufsätze »Frankfurter Schule – zum Verhältnis von Kritischer Theorie und Soziologiestudium am Institut für Sozialforschung (–)«39 und »Bodenlose Politik – Dialoge über Theorie und Praxis«40 sowie vor allem das Buch Der nonkonformistische Intellektuelle. Die Entwicklung der Kritischen Theorie zur Frankfurter Schule41 zu nennen. In den Kapiteln »Die Lehrpraxis der Frankfurter Schule«42 und »Die Seminare zur Negativen 35 36 37 38

39 40 41 42

Vgl. Bernd Jaspert , Sachgemäße Exegese. Die Protokolle aus Rudolf Bultmanns Neutestamentlichen Seminaren –. Adorno/Jaerisch, »Anmerkungen zum sozialen Konflikt heute«, AGS, Bd. , S. . Leider ließen sich zu keinem dieser beiden Seminare Protokolle auffinden. Über die hier genannte Literatur hinaus gibt es Erinnerungen ehemaliger Studentinnen und Studenten Adornos, die kursorisch davon berichten, daß Adorno Sitzungsprotokolle hat anfertigen lassen. Aus diesen Texten zitiert dieses Kapitel bei Gelegenheit. Vgl. des weiteren Negt , »Denken als Gegenproduktion«; A. Schmidt , »Materialismus als nachmetaphysisches und metaphysisches Denken«.; Hermann Schweppenhäuser , »Unbeirrtes Denken«. Vgl. Demirović , »Frankfurter Schule – zum Verhältnis von Kritischer Theorie und Soziologiestudium am Institut für Sozialforschung (–)«. Vgl. ders. , »Bodenlose Politik«. Vgl. ders. , Der nonkonformistische Intellektuelle. Vgl. ebd., S.  ff. – Demirović berichtet über die beiden Seminare zur Negativen Dialektik aus dem Sommersemester  sowie dem folgenden Wintersemester: »Neben Mitarbeitern und Assistenten wie Karl-Heinz Haag, Werner Becker, Herbert Schnädelbach und Arend Kulenkampff besuchten  Studierende das Seminar ›Negative Dialektik‹ I. Unter den  Teilnehmern an der Fortsetzung des Seminars waren unter anderen Richard Saage, Angela Davis, Irving Wohlfarth, Rainer Dorner, Dimitrios Markis, Hubert Rottleuthner, Rolf Wiggershaus, Heide Schlüpmann, Hans Imhoff, Tilman Rexroth, Eberhard Knödler-Bunte, Volker Er-

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Dialektik«43 seiner Studie über die Wirkungsgeschichte Kritischer Theorie bringt der Autor Zitate aus Protokollen, die zwischen  und  entstanden. Eine weitere inhaltliche Auseinandersetzung mit Sitzungsprotokollen findet sich im Aufsatz »Algorithmische Hermeneutik« von Dieter Mans, der sich mit methodischen Problemen der empirischen Sozialforschung beschäftigt. Mans zitiert knapp aus zwei Protokollen, die im Sommersemester  im Rahmen des soziologischen Hauptseminars »Probleme der qualitativen Analyse« entstanden sind.44 Im Rahmen des »Lehrforschungsprojekts Soziologie in Frankfurt« (unter der Leitung von Klaus Lichtblau) verzeichnete Felicia Herrschaft jene Protokolle, die in den soziologischen Seminaren Adornos angefertigt worden waren.45 Diese Auflistung ist jedoch sowohl unvollständig als auch fehlerbehaftet; die Protokolle aus den philosophischen Seminaren sind zudem, der getroffenen Vorauswahl gemäß, nicht ins Verzeichnis aufgenommen. Die Studie des Verfassers, Adornos Kritik der politischen Ökonomie,46 unternimmt schließlich den Versuch, unter anderem anhand einiger Sitzungsprotokolle Adornos kritische Auseinandersetzung mit ökonomischer Theorie darzustellen, die in seinen Schriften nur implizit angelegt ist, aus einer Reihe von Protokollen hingegen um so dezidierter hervortritt. – Zudem wurden  »Drei Sitzungsprotokolle aus den Frankfurter Seminaren Theodor W. Ador-

43 44

45 46

bes, Hans-Jürgen Krahl, Bernward Leineweber, Detlev Claussen und Udo Riechmann.« (Ebd., S. .) Vgl. ebd., S.  ff. Vgl. Dieter Mans , »Algorithmische Hermeneutik«, S. . – Daneben existieren einige wenige Texte (Rezensionen der genannten Schriften ausgenommen), welche die Protokolle zumindest erwähnen, allerdings ohne aus ihnen zu zitieren: Alfons Söllner , »Adorno und die politische Kultur der frühen Bundesrepublik«; vom Verfasser  »›Gleich ist zugleich nicht gleich‹. Adornos rettende Kritik des Tausches« (s. jetzt hier, Kapitel ); Stephan Grigat , Fetisch und Freiheit. Über die Rezeption der Marxschen Fetischkritik, die Emanzipation von Staat und Kapital und die Kritik des Antisemitismus; Felicia Herrschaft , »Die Gestalt der soziologischen Lehre in Frankfurt«; dies. , »Die Lehrgestalt der Frankfurter Soziologie in den er und er Jahren – Theorie und Praxis«. Vgl. [Anonym] , »Soziologische Lehrveranstaltungen von – – Archivbestaende der Goethe-Universitaet Frankfurt«. Vgl. Braunstein , Adornos Kritik …, sowie, als Vorarbeit hierzu, ders. , Herrschaft und Ökonomie bei Theodor W. Adorno.

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nos«47 publiziert, die, mit einer Einleitung und Kommentaren versehen, als editorische Beispielarbeit vorliegen. Mit dieser Publikation war weder eine Darlegung des diskursiven Charakters der Seminare Adornos intendiert – hierzu wäre mindestens die Publikation eines ganzen Seminars vonnöten – noch die Präsentation bislang unbekannter theoretischer Sachgehalte. Sinn und Zweck dieser Veröffentlichung war vielmehr die Anwendung editorischer Prinzipien probehalber auf die, wie oben bemerkt, relativ junge Textgattung ›Sitzungsprotokolle‹ im kleinsten Rahmen einer Fachzeitschrift; um die Editionspraxis anhand unterschiedlicher Texte zu demonstrieren, wurden drei Protokolle gewählt, die stilistisch möglichst divergieren. Insofern ist diese Publikation selbstverständlich ungeeignet, die praktische und theoretische Auseinandersetzung Adornos mit seinen Studentinnen und Studenten zu dokumentieren, hierzu ist eben die Kenntnis sämtlicher überlieferter Protokolle des jeweiligen Seminars wünschenswert.

10.7 Edition und Publikation Seit Anfang  arbeitet der Verfasser dieses Textes, gefördert durch die Gerda Henkel Stiftung, am Institut für Sozialforschung daran, sämtliche Sitzungsprotokolle aus der Nachkriegszeit in wissenschaftlich fundierter Form zu publizieren. Grundlage dieses Vorhabens ist die Erkenntnis, daß sich Adornos Tätigkeit in Frankfurt nicht – wie es das Klischee, zuweilen das Ressentiment will –, auf praxisferne Theoriebildung und -tradierung beschränkte; sondern es ging ihm um die Formulierung einer Gesellschaftstheorie, die auch vermittels der Lehre praktisch wirksam werden und Resultate zeitigen sollte.48 Wenngleich sich die Fortschreibung der Kritischen Theorie alles andere als bruchlos vollzog,49 können die gründlich kommentierten Protokolle auf eine Kontinuität dessen, wofür »der Name ›Frankfurter Schule‹ sich eingebürgert hat«50, von der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute verweisen, die aus dem etablierten Werk nicht – womöglich: nicht mehr – herauszulesen ist; nämlich als

47 48 49 50

Siehe unten, Kapitel . Vgl. Heins , »›Nicht bange machen lassen!‹«. Vgl. etwa Axel Honneth , Pathologien der Vernunft. Geschichte und Gegenwart der Kritischen Theorie. Adorno, »Gesellschaftstheorie und empirische Forschung«, AGS, Bd. , S. .

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Versuch, mittels einer sich selbst reflektierenden Gesellschaftstheorie in die bestehende Gesellschaft kritisch einzugreifen. Die Protokolle lassen sich, ihrer Funktion als abgabefertige Dokumente gemäß, sämtlich als Reinschriften auffassen, die so, wie sie vorliegen – Sofortkorrekturen eingeschlossen –, ihre endgültige Gestalt haben; editionsphilologisch gesprochen heißt das, sie sind als eine Textschicht zu betrachten und dementsprechend zu bearbeiten: Falls jeweils Vorarbeiten bestehen, so liegen sie nicht vor, und eine Aufarbeitung zum Zweck des Nachvollzugs innertextlicher Genese ist insofern nicht angestrebt, als die Publikation keine Werkausgabe diverser Autorinnen und Autoren ist, sondern eine Dokumentation der Seminarinhalte und -verläufe. Dementsprechend werden keine Varianten im Anmerkungsapparat gegeben, wohl aber die sprachlichen und stilistischen Eigenarten der jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser respektiert, d.h. wiedergegeben. Die Veröffentlichung wird schließlich »als eine produktions- und rezeptionsorientierte Edition angelegt sein, dem Schreiben des Textes durch den Produzenten (Autor) wie auch dem Lesen des Textes durch den Rezipienten (Leser) dienend«51; demzufolge läßt sie sich als kritische, aber keinesfalls als historischkritische, Studienausgabe charakterisieren. Mittels vollständiger Erschließung sowie philosophisch- bzw. soziologisch-theoriegeschichtlicher Kommentierung und Kontextualisierung soll die Edition das zuverlässige Fundament für anschließende Forschungen bilden. Neben einem sozialphilosophischen Fachpublikum rechnet sie durchaus auch mit Rezipienten, deren Interessen weniger unmittelbar auf die Kritische Theorie bzw. Adorno gehen, als sich vielmehr etwa auf die Hochschullehre in der Nachkriegszeit oder die Entwicklung der Studentenbewegung richten. Die Protokolle sind keinesfalls mit bislang unveröffentlichten Werken Adornos zu verwechseln, weshalb die Nachgelassenen Schriften Adornos nicht der Ort ihrer Publikation sein können, denn es handelt sich bei ihnen mitnichten um mehr oder weniger gelungene Zusammenfassungen und Mitschriften der Gedanken und Äußerungen Adornos; ebensowenig sind sie Kontaminationen eines ›Eigentlichen‹; keine Überlieferung aus zweiter Hand dessen, was Adorno ›wirklich‹ meinte oder sagte. Es ist nicht Sache des Herausgebers, darüber zu spekulieren, ob sich ein Protokollant bei der Niederschrift des Protokolls geirrt haben mag, ob Adorno einen fehlerhaften Sachverhalt im Seminar vermittelt 51

Rüdiger Nutt-Kofoth , »Schreiben und Lesen. Für eine produktions- und rezeptionsorientierte Präsentation des Werktextes in der Edition«, S. .

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hat oder ob die Diskussion in eine Richtung gegangen ist, die der Überlieferungslage zum diskutierten Thema in Teilen widerspricht; sondern der Herausgeber hat das Sitzungsprotokoll, so wie es vorliegt, zu überliefern und auf jedwede sachliche und philologische Inkorrektheit in den Kommentaren begründend hinzuweisen.52 Wollte man hingegen ein Sitzungsprotokoll rekonstruieren, das der vermeinten Position Adornos entspricht, so ignorierte man gerade die historisch diskursive Situation, in der das Protokoll entstand und deren einzig überliefertes und philologisch-authentisches Zeugnis es ist.53 Strikter formuliert: 52

53

Der heuristische Teil der Ausgabe, d.h. vornehmlich die Anmerkungen, welche die Protokolltexte begleiten, sollen die folgenden Funktionen erfüllen: Fehlernachweis, bestmögliche Identifizierung der genannten Personen, Zitataufklärung, Aufklärung über Zusammenhänge, die sich aus dem Text nicht ohne weiteres erschließen (d.h. Einordnung in den historischen bzw. theoriegeschichtlichen Kontext), Binnenverweise, Konkordanzen zu publizierten sowie zu unpublizierten Texten aus Adornos Nachlaß und schließlich die Aufklärung zweifelhafter Stellen. Der Anmerkungsapparat wird den Rezipienten unparteiisch und faktenbezogen die Möglichkeit an die Hand geben, sämtliche Protokolle formal (was die Überlieferungssituation anbelangt) sowie inhaltlich (durch Kontextualisierung und inhaltliche Kommentierung) verantwortlich zu rezipieren, ohne selbst auf unveröffentlichtes Archivmaterial zurückgreifen zu müssen. Weder die Protokolltexte noch die in den Anmerkungen herangezogene Sekundärliteratur werden bewertet. Eine Gewichtung der Protokolle findet nicht statt; sie werden, nach Semestern geordnet, chronologisch vollständig wiedergegeben. Bei un- oder mißverständlichen Formulierungen sowie bei offenkundigen inhaltlichen Fehlern wird der Text nicht retuschiert, sondern der Herausgeber greift im Anmerkungsapparat helfend und korrigierend ein. Falls ein Protokoll offensichtlich fehlerhaft ist – sei es durch Mißverständnisse, sei es durch mangelnde Kenntnis des jeweiligen Verfassers –, wird die Kommentierung diesen Sachverhalt so behutsam korrigieren, daß keine Verfasserin und kein Verfasser sich einer vermeinten Überlegenheit des Lesers aussetzt. Bereits  bemängelte Robert L. Stevenson anläßlich einer Auswahlausgabe der Tagebücher von Samuel Pepys: »Es gehört durchaus nicht zu den Pflichten des Herausgebers […], darüber zu entscheiden, ob etwas ›die Geduld des Lesers überstrapazieren‹ könnte oder nicht. Entweder das Buch ist ein historisches Dokument oder es ist es nicht.« Und er fordert weiter das »Anrecht [...], wie gebildete Menschen behandelt zu werden und nicht wie Kinder.« (Robert Louis Stevenson , »Ein unverwechselbares Ich«, S. .) Hier spricht die Ahnung, daß es die Aufgabe des Herausgebers ist, die Texte für die Leser auch tatsächlich herauszugeben. Was er dabei für wichtig oder interessant an dem ihm Überantworteten hält, ist hingegen seine Privatangelegenheit. – Zur einschlägigen Differenz zwischen Autor, Autorisation und Authentizität vgl. Gunter Martens , »Autor – Autorisation –

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Weder der Wille des Herausgebers noch der – gar nicht mehr zu eruierende – Wille Adornos tun editionsphilologisch etwas zur Sache. Abseits rein philologischer Erwägungen lassen sich aber immerhin mindestens zwei Faktoren ausmachen, die gegen eine Unverbindlichkeit des Protokollierten sprechen: Da ist zum einen die Tatsache, daß Ungenauigkeiten oder gar Fehler, die in die Protokolle eingewandert sind, durch die folgenden Protokolle je nachdem entweder präzisiert oder aber korrigiert werden. Es kommt durchaus vor, daß das jeweils aktuelle Protokoll berichtet, wie auf das verlesene Protokoll (das die vorangegangene Sitzung nachzeichnet) reagiert worden ist. Auf diese Weise spinnen die Protokolle einen roten Faden durch das Semester und erfassen Verständnisschwierigkeiten als solche, um sie gegebenenfalls aus dem Weg zu räumen. Zum anderen erfuhren die Protokolle eine gewisse Anerkennung durch Adorno und seine Assistenten (zuweilen auch durch Horkheimer), sofern sie offenkundig zunächst gelesen, teilweise gar redigiert und in manchen Fällen auch benotet wurden.54 Kurzum, der Inhalt der Protokolle ist eben nicht zuerst die Philosophie bzw. Soziologie Adornos, sondern sind die Seminare, die Adorno gemeinsam mit den Teilnehmern durchgeführt hat. So dokumentieren die Protokolle nicht etwa eine bereits fertige vorliegende Theorie, die in den Seminaren nur noch der didaktischen Vermittlung bedurft hätte, sondern halten vielmehr die Bewegung des Denkens fest. Sie helfen nicht nur, die Frage zu beantworten, welchen Einfluß die Werke Adornos auf die Seminare hatten, sondern auch die werkgeschichtlich weitaus interessantere Frage danach, welchen Einfluß die Seminare auf Adornos Werke ausübten. Adorno »hielt keine Vorlesungen oder Übungen zur Einführung ab, gewissermaßen zu verminderten intellektuellen Bedingungen.«55 Sondern verstand Schreiben und Lehren gleichermaßen als Möglichkeit, mittels des Geistes in jenen blinden Prozeß einzugreifen, als den er Gesellschaft kenntlich machte.56

54

55 56

Authentizität. Terminologische Überlegungen zu drei Grundbegriffen der Editionsphilologie«. In diesem Sinne befindet auch Demirović: »Für ein hohes Maß an Authentizität der in den Protokollen wiedergegebenen Diskussionen spricht jedoch, daß sie meist von Adornos Assistenten vor den Sitzungen gegengelesen und korrigiert wurden« (Demirović , »Bodenlose Politik«, S. ). Ludwig von Friedeburg , »Das Glück in Frankfurt«, S. . Ein Beispiel mag diesen Einfluß demonstrieren: Einige der Protokolle aus den späteren Seminaren zu Hegel finden sich als Abschrift und mit Notizen versehen im

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Die überlieferten Referate sind für die Edition der Protokolle nur insofern von Belang, als sie gegebenenfalls Anhaltspunkte bieten können für das im Protokoll Verhandelte. Das heißt, wenn ein Protokoll vom Verlesen eines Referates berichtet, so wird in der Edition, sofern möglich, der Kommentar Informationen zu diesem Referat bieten. Eine vollständige Publikation der Referate ist aus mehrerlei Gründen nicht angestrebt. Von Rolf Tiedemann stammt der Hinweis, daß die Referate jeweils eine Zeitlang zur Ansicht im Institut für Sozialforschung auslagen, damit Studenten, die die entsprechende Sitzung versäumt hatten, nachlesen konnten, was vorgetragen worden war. Referate, die den behandelten Stoff, der ja unter Umständen prüfungsrelevant war, bündig zusammenfaßten, wurden dann des öfteren einfach mitgenommen und nicht wieder zurückgebracht (i.e. geklaut). Zum anderen wurden, wie aus handschriftlichen Bemerkungen auf den Referatbögen hervorgeht, viele der Referate nicht oder nur teilweise gehalten, entweder, weil man während des Semesters mit dem Stoff nicht nachkam, oder weil sich die inhaltliche Ausrichtung im Verlauf des Seminars noch so änderte, daß man lieber die jeweils aktuelle Diskussion weiterverfolgte, als sich an jenen Plan zu klammern, der vor Beginn des Seminars einmal gefaßt worden war – auch hierüber geben die Protokolle Auskunft, zumal jene ab Mitte der er Jahre, in denen die Unzufriedenheit der Teilnehmer zum Thema wird. So berichtet Alex Demirović etwa unter Hinzuziehung eines Sitzungsprotokolls: »Kritisiert wird ›die Diskussion sei merkwürdig schlaff geweTheodor W. Adorno Archiv, Frankfurt a.M., wieder. Vor allem in Bezug auf die Drei Studien zu Hegel (vgl. Adorno, Drei Studien zu Hegel, S.  ff.) und auf die Negative Dialektik (vgl. ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S.  ff.) läßt sich erkennen, wie Adorno die Protokolle als Gedächtnisstütze für sich benutzte, um das, was er auch im Seminar mit den Studenten erarbeitete, später umzuformen und in sein Werk zu übernehmen. Durch die inhaltliche Auswertung von fünf Protokollen, die sich im Theodor W. Adorno Archiv befinden – sie sind einem umfassenderen Konvolut von Vorarbeiten zu »Skoteinos oder Wie zu lesen sei«, »geschrieben im Winter /« (Adorno »Skoteinos oder Wie zu lesen sei«, AGS, Bd. , S. ), zugeordnet – konnte die Datierung des Materials von  auf  korrigiert werden. Dadurch zeigt sich, daß die dezidierte Arbeit an dem, was einmal das Hauptwerk Adornos, die Negative Dialektik, werden sollte, sich nicht erst »an eine Vorlesung an[kristallisierte], die er« – Adorno – »im Wintersemester / unter dem Titel ›Ontologie und Dialektik‹ gehalten« (Tiedemann , Niemandsland, S. ) hatte, wie Rolf Tiedemann vermutet, sondern bereits in der an die Auseinandersetzung mit Hegel, wie sie im Seminar des Wintersemesters / unter dem Titel »Hegels Logik I« (gemeinsam mit Horkheimer) stattfand, präsent war.

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sen, obwohl das Thema bei der gegenwärtigen Situation vom allerunmittelbarsten Interesse sei: Verhältnis von subjektiven und objektiven Faktoren der Gesellschaftsanalyse; Autorität als Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält‹. […] Eine Reihe von Einwänden – die wahrscheinlich typisch sind für die Vielzahl endloser Seminarkritiken jener Zeit – werden gegen den Seminarverlauf vorgebracht«57. Ohne jede Übertreibung darf konstatiert werden, daß das Material jenen Zusammenhang von Philosophie und Soziologie protokolliert, der genetisch im Zentrum Kritischer Theorie steht. Der Leser wird finden, daß die philosophischen und die soziologischen Seminare (von wenigen speziellen Übungen zur empirischen Sozialforschung abgesehen) weder von ihrem theoretischen Gehalt noch von ihrem aufklärerischen Impetus her so sehr divergierten, daß der eine Teil ohne weiteres vom anderen abzulösen oder gar zu trennen wäre: »Wiewohl sich Adorno über die gründlich vollzogene Trennung von Philosophie und Soziologie nie Illusionen gemacht hat, akzeptiert er sie nicht als nun einmal Gegebenes, sondern wendet sich gegen das Vorurteil, ›daß es sich hier um zwei zumindest disparate, wenn nicht gar miteinander unversöhnliche Sphären eigentlich handelt.‹«58 Nicht nur theoretisch, sondern auch in seiner Lehrpraxis folgte Adorno, wie die Sitzungsprotokolle eindringlich bezeugen, seinem eigenen Diktum, »daß in der Tat die Soziologie auf die Philosophie verwiesen ist, wenn sie nicht außerhalb des Bereichs einer Wissenschaft bleiben will, wenn sie wirklich mehr werden will als eine bloße Technik«59.

57 58 59

Demirović , »Bodenlose Politik«, S. . Braunstein , »Editorische Nachbemerkung«, S. ; Adorno zit. nach ders., Philosophie und Soziologie, ANS, Bd. IV., S. . Ebd., S. .

11 Adornos Einleitung in das Hauptseminar »Probleme der Bildungssoziologie«

»Ranking« – »Impact« – »Zukunftsfähigkeit« – »Curriculum« – »Modul-Studium« – »Portfolio« – »Evaluation« – »Mind-Map« – »metakognitive Kernkompetenz« – und dergleichen neologistische Renommierkrüppel mehr auf dem Schlachtfeld der spätbabylonischen Begriffsverwirrung im heutigen Bildungs-, Kultur- und vor allem Pädagogengenre […] E H, K

Im Wintersemester / hielt Theodor W. Adorno ein soziologisches Hauptseminar mit dem Titel »Probleme der Bildungssoziologie« ab,1 zu einer Zeit, in der die Krise des deutschen Bildungswesens evident war. Ludwig von Friedeburg, von  bis  Kultusminister in Hessen und von  bis  geschäftsführender Direktor des Instituts für Sozialforschung, hat rückblickend davon gesprochen, »im Klima der fünfziger Jahre« habe sich »die landesstaatliche Schulgewalt nur zu sehr den restaurativen Zügen des Wideraufbaus« gefügt: »Wer an der Notwendigkeit eingreifender Bildungsreform festhielt, fand sich als Außenseiter abgestempelt. Neuordnungspläne wurden nicht mehr von Parteien und Regierungen vorgelegt.«2 Zwar macht F. Hartmut Paffrath darauf aufmerksam, daß sich sowohl die früheste Publikation Adornos, der Aufsatz »Zur Psychologie des Verhältnisses von Lehrer und Schüler«, der  in der Frankfurter Schüler-Zeitung veröffent-

1 2

Vgl. Adorno , »Einleitung in das soziologische Hauptseminar ›Probleme der Bildungssoziologie‹, . November « von Friedeburg , Bildungsreform in Deutschland. Geschichte und gesellschaftlicher Widerspruch, S. .

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licht wurde,3 als auch eine seiner letzten Arbeiten, ein Rundfunkgespräch Erziehung zur Mündigkeit im Juli ,4 unmittelbar mit Erziehungsfragen beschäftigten.5 Dennoch darf bemerkt werden, daß sich Adornos erst intensiv mit Bildungsfragen auseinandersetzte, nachdem es zur Bekanntschaft mit Hellmut Becker gekommen war. Becker war in den er Jahren »der Syndikus des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, das nicht zuletzt dank seiner Vermittlung  mit amerikanischer Unterstützung wiedereröffnet worden war; Becker beriet das Institut auch in allgemeinen Fragen«6 – vor allem aber entwickelte sich ein »gemeinsame[s] Interesse an allen Fragen, die Pädagogik und Schule betrafen. So vermittelte Becker  die Teilnahme Adornos an einer Tagung der Lehrer-Akademie in Calw, wodurch ein Kontakt mit Felix Messerschmidt zustande kam, was den Beginn einer umfangreichen Zusammenarbeit mit dem IfS in der politischen Bildung markiert.«7 Anläßlich des Deutschen Volkshochschultags in Frankfurt  hielt Adorno einen Vortrag zum Thema »Aktualität der Erwachsenenbildung«, Hellmut Becker war gerade Präsident des ausrichtenden Deutschen Volkshochschul-Verbands geworden. Ein Jahr später regte Becker »zusammen mit Adorno, Helmuth Plessner und Arnold Bergstraesser in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie die Gründung eines Fachausschusses für ›Schulsoziologie‹ an, der sich am . März  als ›Ausschuss für Schul- und Erziehungssoziologie‹ (später: ›für Soziologie der Bildung und Erziehung‹) in Frankfurt/Main konstituierte«8. Am . Mai  sprachen Vertreter dieses 3 4 5 6

7

8

Vgl. Adorno, »Zur Psychologie des Verhältnisses von Lehrer und Schüler«, AGS, Bd. ., S.  ff. Vgl. Adorno/Hellmut Becker , »Erziehung zur Mündigkeit«. Vgl. F. Hartmut Paffrath , Die Wendung aufs Subjekt. Pädagogische Perspektiven im Werk Theodor W. Adornos, S. . Ulrich Herrmann , »Bildungsforschung ohne kritische Theorie der Bildung? Ein Gutachten von Theodor W. Adorno zur Gründung eines (Max-Planck)›Instituts für Recht, Soziologie und Ökonomie der Bildung‹ aus dem Jahre «, S. . Clemens Albrecht et al. , Die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik. Eine Wirkungsgeschichte der Frankfurter Schule, S. . – Felix Messerschmidt hatte vielfältige bildungspolitische Funktionen inne. Zu jener Zeit war er Direktor der von ihm mitbegründeten Akademie für Erziehung und Unterricht in Calw und wurde  Direktor der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Darüber hinaus war er unter anderem Mitglied des Deutschen Ausschusses für das Erziehungsund Bildungswesen sowie des Kuratoriums des Hamburger UNESCO-Instituts für Pädagogik. Herrmann , »Bildungsforschung …«, S. .

»probleme der bildungssoziologie«

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Fachausschusses während des . Deutschen Soziologentages in Berlin: neben Adorno, der seine Theorie der Halbbildung9 vortrug, und Becker, der über Sozialforschung und Bildungspolitik referierte10, waren dies Eugen Lemberg, Janpeter Kob, Willy Strzelewicz, Christian von Krockow, Hans H. Anger und Jürgen Habermas. Für Adorno war dies der Beginn einer Reihe von öffentlichkeitswirksamen Auseinandersetzungen mit bildungspolitischen Themen: Zu erwähnen sind die Vorträge »Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit«11 von  – ein Jahr später wurde diese Rede auch vom Hessischen Rundfunk übertragen (wie alle hier genannten Vorträge und Gespräche) – sowie »Philosophie und Lehrer«,12 gesendet , das Gespräch »Fernsehen und Bildung«,13 gesendet , der Vortrag »Tabus über dem Lehrerberuf«,14 gesendet , eine Diskussion über »Tabus über dem Lehrberuf«,15 im selben Jahr gesendet, der Vortrag »Erziehung nach Auschwitz«,16 ein Jahr später gesendet, das Gespräch »Erziehung – wozu?«,17 ebenfalls gesendet , das Gespräch über »Erziehung zur Entbarbarisierung«,18 gesendet , sowie schließlich dasjenige über die »Erziehung zur Mündigkeit«, gesendet . Andreas Gruschka bemerkt, Adorno habe mit letzterem Rundfunkgespräch womöglich »selbst Mißverständnisse nahegelegt«, sofern er »hier verständlich und praktisch zugleich argumentierte, so als gebe es im Ernst eine Erziehung zur Mündigkeit. Näheres ideologiekritisches Nachdenken hätte sicherlich dazu geführt, die praktische Pointe des Titels zu dementieren.«19 Adorno dürfte diese Pointe allerdings schwerlich entgangen sein, bezeichnet sie doch bündig die Schwierigkeit, vor die sich die Kritische Theorie gestellt sieht. Die offenkundige Paradoxie, zur Mündigkeit – die das Subjekt, soll sie denn wirk9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19

Vgl. Adorno, »Theorie der Halbbildung«, S.  ff. Vgl. Becker , »Sozialforschung und Bildungspolitik«. Vgl. Adorno, »Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit«, AGS, Bd. ., S.  ff. Vgl. ders., »Philosophie und Lehrer«, AGS, Bd. ., S.  ff. Vgl. ders./Becker/Gerd Kadelbach , »Fernsehen und Bildung«. Vgl. Adorno, »Tabus über dem Lehrberuf«, AGS, Bd. ..  ff. Vgl. ders. et al. /, »Diskussion über Adornos ›Tabus über dem Lehrberuf‹«. Vgl. Adorno, »Erziehung nach Auschwitz«, AGS, Bd. ..  ff. Vgl. ders./Becker , »Erziehung – wozu?« Vgl. dies. , »Erziehung zur Entbarbarisierung«. Andreas Gruschka , Negative Pädagogik. Einführung in die Pädagogik mit Kritischer Theorie, S. .

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lich eine sein, an sich selbst in der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt zu entwickeln hätte – erst erziehen zu müssen, ist eine reale: Die Welt wäre so einzurichten, daß ihre Bewohner derlei Erziehung nicht bedürften; Voraussetzung für jene Einrichtung wären mündige Subjekte, die aufgrund der Verfaßtheit der Welt nicht da sind. »Nicht darf an die Wunde gerührt werden, daß Bildung allein die vernünftige Gesellschaft nicht garantiert. Man verbeißt sich in die von Anbeginn trügende Hoffnung, jene könne von sich aus den Menschen geben, was die Realität ihnen versagt.«20 Exakt um diese Frage geht es in einer Diskussion zwischen Adorno, Becker und Hans-Joachim Heydorn – Professor für Erziehungs- und Bildungswesen an der Hochschule für Erziehung in Frankfurt – über Adornos Vortrag Tabus über dem Lehrberuf, die  unter der Leitung von Gerd Kadelbach im Hessischen Rundfunk geführt wurde: »Kadelbach: ›Aber bei dieser Identität zwischen Schule und Gesellschaft stellt sich natürlich auch sogleich die Frage nach Ursache und Wirkung.‹ Becker: ›Genau.‹ Kadelbach: ›Ist die Schule so, weil die Gesellschaft so ist, oder die Gesellschaft, weil die Schule so ist?‹ Becker: ›Ja, und es stellt sich natürlich die sehr viel kompliziertere Frage: Können wir die Gesellschaft von der Schule her ändern oder müssen wir die Schule von der Gesellschaft her ändern?‹ Kadelbach: ›Ja, ich glaube, das sollten wir uns jetzt wirklich vornehmen.‹ Adorno: ›Wenn ich darauf einmal, wie ich es nun schon zu tun pflege, etwas Überspitztes antworten darf, Herr Becker, so würde ich sagen: Man kann die Schule nur von der Gesellschaft her ändern, aber man muss die Gesellschaft von der Schule her ändern.‹«21 Damit war das Programm umrissen: Bildungssoziologie sollte auf Wege und Möglichkeiten hinweisen, wie eine Änderung der Schule anzugehen wäre. Diese Änderung, das macht Adorno sowohl in seinen bildungstheoretischen Vorträgen als auch im Seminar aus dem Wintersemester / deutlich, hätte wesentlich an zwei Punkten anzusetzen, nämlich politisch, an der Schule als Institution, und an den Lehrern, die unmittelbar mit der Aufgabe der Bildung betraut sind. 20 21

Adorno, »Theorie der Halbbildung«, AGS, Bd. , S. . Ders. et al. /, »Diskussion über Adornos ›Tabus über dem Lehrberuf‹«, S.  f.

»probleme der bildungssoziologie«

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Andererseits sträubt sich Adorno gegen eine Bildungssoziologie, die, wie es etwa ein Wörterbuch Pädagogik will, mit Erziehungs- oder Pädagogischer Soziologie synonym zu fassen wäre,22 während doch der soziale Gehalt des Bildungsbegriffs selbst zur Debatte stände. Adornos Theorie der Halbbildung geht davon aus, es sei unsinnig, eine Bildung a priori als Untersuchungsgegenstand zu postulieren, während fraglich ist, ob dieser Gegenstand eigentlich existiert. Was jene Theorie dann noch leisten kann, ist immerhin den Begriff der Bildung in deren Abwesenheit anzuzeigen, anstatt ihn resigniert einer Pädagogik zu überlassen, die sich mit dem Problem der Vermittlung ihr bereits vorgeordneter Inhalte befaßt und auf diese Weise Lehr- und Lerntechniken entwickelt. Was, wie Adorno sagt, früher substantiell genannt werden konnte, unverlierbares Moment des sozialen Zusammenlebens,23 ist unterdessen erst kulturindustriell zugerichtet worden, um den entleerten Bildungsbegriff anschließend der »Wissenschaftsbranche Pädagogik« zuzuweisen, derweil sich die Subjekte, gemessen am immanenten Anspruch des Bildungsbegriffs, mit einer Halbbildung zu begnügen haben, die keineswegs mit der Hälfte gelungener Bildung zu verwechseln ist: »Es gibt in geistigen Dingen keinen Approximationswert der Wahrheit. Das halb Verstandene und halb Erfahrene ist nicht Vorstufe der Bildung sondern ihr Todfeind.«24  verfaßte Adorno ein Gutachten über die Notwendigkeit der Errichtung eines »Instituts für Recht, Soziologie und Ökonomie der Bildung«25 für die Senatskommission der Max-Planck-Gesellschaft, die  das Institut für Bildungsforschung in Berlin gründete, dessen erster Direktor Hellmut Becker wurde. In seiner Stellungnahme schrieb Adorno: »Die Krise des Bildungswesens nicht nur, sondern die des Begriffs der Bildung als solcher manifestiert sich am handgreiflichsten darin, dass er seine Selbstverständlichkeit und Vorgegebenheit verloren hat. Es genügt aber nicht, darüber zu klagen, einer verlorenen Unschuld und Substantialität des Geistes nachzutrauern, die dem Rückblick viel problematischer sich erweist als einem Bewusstsein, das in traditionellen Vorstellungskreisen naiv sich bewegt. Das wissenschaftliche Bewusstsein hat viel-

22 23 24 25

Vgl. Horst Schaub/Karl G. Zenke , Wörterbuch Pädagogik, S. . Vgl. Adorno , »Einleitung in das soziologische Hauptseminar ›Probleme der Bildungssoziologie‹ …«, S. . Ders., »Einleitung zu einer Diskussion über die ›Theorie der Halbbildung‹«, AGS, Bd. , S. . Vgl. Adorno , »Zur Gründung des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin. Gutachten von Theodor W. Adorno«.

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mehr dem gegenwärtigen Stand ins Auge zu sehen, ihn in die eigene Reflexion aufzunehmen, wenn es helfen, nicht bloß herumflicken will.«26 Wenn es unterdessen so etwas wie eine Krise der Bildungssoziologie selbst gibt, dann wäre ihr Grund wohl auch in einer Pädagogisierung des eigentlich soziologischen Bereichs zu suchen: »Dass die Bildungssoziologie eingebettet ist in eine interdisziplinäre, multiperspektivische Bildungsforschung mit dominanter Pädagogik, bleibt nicht ohne Folgen. Zunächst schlägt sich dies in der institutionellen Zuordnung der Bildungssoziologie an den Hochschulen nieder. Die Blütezeit der Bildungssoziologie um  herum mündete in einen Ausbau der Professuren für Bildungssoziologie in erster Linie an erziehungswissenschaftlichen Fachbereichen […]. Die an erziehungswissenschaftlichen Fachbereichen angesiedelten Professuren für Bildungssoziologie sind in den normativ geprägten Diskurs der Pädagogik eingebunden, der auch Problemdefinitionen und Relevanzgesichtspunkte vorgibt.«27 – Stellte Adorno noch die Frage nach dem historischen Stand von Bildung als solcher, überdauerte nur mehr ihr Ideal, das um so mehr beschworen wird, je unklarer ist, was es eigentlich meinen könnte. Für das bildungssoziologische Seminar des Wintersemesters / – das einzige, das Adorno halten sollte – hatte Adorno Hellmut Becker eingeladen, und tatsächlich war auch er anwesend, um mit den Studentinnen und Studenten über jene Fragen zu diskutieren, anhand derer Adorno darlegte, wie er sich den Verlauf der Veranstaltung vorstellte: ) Wozu sollen die Menschen gebildet werden? – ) Wie ist Bildung heute möglich? – ) Wie kann Bildung die Menschen orientieren? – ) Wie sind die zu Bildenden beschaffen? – ) Wie lassen sie sich bilden? – ) Was wissen wir über Bildung?28 Die erste Frage wird  auch Thema eines Rundfunkgesprächs mit Becker sein, in dem Adorno bemerkt: »Wenn ich vorgeschlagen habe, daß wir uns unterhalten über ›Bildung – wozu?‹ oder ›Erziehung – wozu?‹, so sollte das nicht bedeuten zu diskutieren, wozu überhaupt noch Erziehung da oder nötig sei, sondern: wohin soll Erziehung führen? Es sollte also die Frage des Erziehungszieles in einem sehr prinzipiellen Sinn gefaßt werden, und zwar so, daß ei-

26 27 28

Ebd., S. . Beate Krais , »Perspektiven und Fragestellungen der Soziologie der Bildung und Erziehung«, o.S. Vgl. Adorno , »Einleitung in das soziologische Hauptseminar ›Probleme der Bildungssoziologie‹ …«, S.  ff.

»probleme der bildungssoziologie«

231

ne solche generelle Unterhaltung über das Erziehungsziel gegenüber der Diskussion der einzelnen Erziehungsbereiche und Medien den Vorrang hätte.«29 In diesem Dialog mit Becker bedient sich Adorno einiger Momente, die er sechs Jahre zuvor in seiner Einleitung vor seinen Studenten ausgeführt hatte – bis hin zur Analogie von Bildungssoziologie einerseits und dem Tausendfüßler andererseits, der seine Beine nicht mehr bewegen kann, weil er gefragt wird, »wann er jeden einzelnen seiner tausend Füße bewege […]. Etwas ähnlich verhält es sich mit Erziehung und Bildung. Es gab Zeiten, wo diese Begriffe, wie Hegel das genannt hätte, substantiell waren, sich aus dem Ganzen einer Kultur heraus von selbst verstanden, nicht selber problematisch. Das sind sie heute. In dem Augenblick, da man fragt: ›Erziehung – wozu?‹ wo dies ›wozu‹ nicht mehr selbstverständlich, naiv gegenwärtig ist, gerät alles in Unsicherheit und bedarf schwieriger Reflexionen. Man kann vor allem, wenn dieses ›wozu‹ einmal verlorengegangen ist, es nicht einfach durch den Willen restituieren, ein Erziehungsziel von außen aufrichten.«30 Auch der dritte Punkt, die Frage nach der Mündigkeit, wird von Adorno in derselben Diskussion gestellt: »Erziehung wäre ohnmächtig und ideologisch, wenn sie das Anpassungsziel ignorierte und die Menschen nicht darauf vorbereitete, in der Welt sich zurechtzufinden. Sie ist aber genauso fragwürdig, wenn sie dabei stehenbleibt und nichts anderes als ›well adjusted people‹ produziert, wodurch sich der bestehende Zustand, und zwar gerade in seinem Schlechten, erst recht durchsetzt. Insofern liegt im Begriff der Erziehung zu Bewußtsein und Rationalität von vornherein eine Doppelschlächtigkeit. Vielleicht ist sie im Bestehenden nicht zu bewältigen; jedenfalls dürfen wir ihr nicht ausweichen.«31

29 30

31

Adorno in ders./Becker , »Erziehung – wozu?«, S. . Ebd., S. . In seinem Aufsatz »Zur Musikpädagogik« hatte Adorno bereits jene Geschichte angeführt: »Der Musikerzieher muß sich fragen, wozu eigentlich er erzieht, und gerät damit in die Situation des Tausendfüßlers, der nicht mehr gehen kann, sobald er darüber nachdenkt, welchen seiner tausend Füße er bewegen soll.« (Adorno, »Zur Musikpädagogik«, AGS, Bd. , S. .) – Die von Adorno mehrfach angeführte Anekdote mit dem Tausendfüßler entstammt einer Erzählung Gustav Meyrinks, in der es heißt: »Der Tausendfüßler aber blieb starr an den Boden festgebannt und konnte hinfort kein Glied mehr rühren. [Absatz] Er hatte vergessen, welches Bein er zuerst heben solle, und je mehr er darüber nachdachte, desto weniger konnte er sich entsinnen – konnte er sich entsinnen.« (Gustav Meyrink , »Der Fluch der Kröte – Fluch der Kröte«, S. .) Adorno in ders./Becker , »Erziehung – wozu?«, S. .

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Das Seminar »Probleme der Bildungssoziologie« wurde im Wintersemester / dienstags von – Uhr im Institut für Sozialforschung abgehalten. In der ersten Sitzung hielt Adorno eine einleitende Rede, die, wie bei Adornos Vorlesungen seit dem Wintersemester / üblich, offenkundig auf Tonband aufgezeichnet und anschließend transkribiert. Dieselbe Vorgehensweise ist für das soziologische Hauptseminar des folgenden Semesters, »Probleme der qualitativen Analyse«,32 belegt. Weshalb Adorno von dieser Praxis nach zwei Semestern wieder abrückte – sofern die Transkriptionen nicht lediglich verlorengegangen sind –, ist unklar.

32

Vgl. Adorno : »Einleitung in das soziologische Hauptseminar ›Probleme der qualitativen Analyse‹, . Mai «.

12 Adornos Einleitung in das Hauptseminar »Probleme der qualitativen Analyse«

Angesichts der […] zu klärenden gesellschaftlichen Fragen und den neuen Analysepotentialen bedarf die wissenschaftliche, an methodischen Standards ausgerichtete Soziologie einer besonderen Förderung und Stärkung. In der Forschung betrifft dies theoriegeleitete Primärforschung genauso wie aufwendige Sekundäranalysen, etwa mit dem Sozio-oekonomischen Panel (), dem Nationalen Bildungspanel () oder dem European Social Survey (). A  G  »A  S«, M 

Im Wintersemester / veranstaltete Adorno die »Übung über sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden (Einführung in die Skalenbildung)« sowie ein »Sozialwissenschaftliches Praktikum (Auswertungsprobleme)«, im folgenden Sommersemester »Übungen zur Soziologie von Gruppen«, eine »Übung über Umfragemethoden« sowie ein »Privatissimum über erkenntnistheoretische Fragen der empirischen Sozialforschung«. Im Wintersemester / gab er eine »Übung über neuere industriesoziologische Untersuchungen« und »Übungen zur sozialen Gebildelehre (Gemeindestudien), im folgenden Semester hielt er ein Seminar ab über »Probleme der neueren Industriesoziologie«. Im Wintersemester / gab Adorno ein Seminar »Zum Studium des autoritätsgebundenen Charakters«, im Sommersemester  veranstaltete er ein »Praktikum zur Umfrageforschung (für Studierende mit Vordiplom)«. Im Wintersemester / folgte ein weiteres Seminar über »Probleme der autoritätsgebundenen Persönlichkeit«.1 Zuvor schließlich, im Sommersemester , ver-

1

Vgl. Bobka/Braunstein , »Die Lehrveranstaltungen Theodor W. Adornos«, S.  ff.

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anstaltete Adorno das soziologische Hauptseminar »Probleme der qualitativen Analyse«.2 Kein geringer Lehrumfang in Sachen Sozialforschung für jemanden, der gerne »als Kritiker empirischer Forschung und prinzipieller Skeptiker gegenüber der ›Fliegenbeinzählerei‹«3 wahrgenommen wird – was Adorno selbst freilich nicht verborgen geblieben ist. Wie Adorno  bei einem Vortrag im Bayerischen Rundfunk anläßlich der soeben stattgehabten Kontroverse bemerkt, die auf dem . Deutschen Soziologentag in Frankfurt ausgetragen und unter dem Schlagwort ›Positivismusstreit‹ bekannt wurde, sei die Ansicht verbreitet, »die Vertreter der kritischen Richtung, für die der Name ›Frankfurter Schule‹ sich eingebürgert hat, stünden der empirischen Sozialforschung fremd, wenn nicht ablehnend gegenüber, obwohl diese Schule seit mehr als  Jahren durch empirische Untersuchungen sich qualifiziert hat.«4 Die Gegner in dieser Auseinandersetzung wünschten, kritische Gesellschaftstheorie als Sozialphilosophie von der Soziologie zu trennen, damit diese dann unirritiert von der »Arbeit des Gelehrten alten Stils am Schreibtisch«, d.h. vom Theoretisieren kritischer Theoretiker, ihren empirischen Untersuchungen nachgehen können. »Die Vertreter einer kritischen Soziologie jedoch möchten keineswegs, wie ihnen gern unterstellt wird, bei der Schreibtischarbeit sich bescheiden; auch sie bedürfen der sogenannten ›Feldforschung‹. Zöge man aus jener Trennung organisatorisch-finanzielle Folgerungen, so drohte der kritischen Richtung schwerster Nachteil. Empirische Untersuchungen würden zum Vorrecht der Empiristen. Demgegenüber kann nicht deutlich genug hervorgehoben werden, daß es bei dem Streit nicht um empirische Forschung oder deren Unterbleiben geht, sondern um ihre Interpretation, um die Stellung, die ihr innerhalb der Soziologie zugewiesen wird.«5 Ulrich Oevermann benennt vier Stationen der konkreten Forschungspraxis Adornos, nämlich die / durchgeführte Untersuchung der Horoskope in der Los Angeles Times,6 die Studie über die Psychological Technique of Mar2 3 4 5 6

Vgl. Adorno , »Einleitung in das soziologische Hauptseminar ›Probleme der qualitativen Analyse‹ …«. Wolfgang Bonß , »Kritische Theorie und empirische Sozialforschung – ein Spannungsverhältnis«, S. . Adorno, »Gesellschaftstheorie und empirische Forschung«, AGS, Bd. , S. . Ebd., S. . Vgl. ders., »The Stars Down to Earth: The Los Angeles Times Astrology Column. A Study in Secondary Superstition«, AGS, Bd. ., S.  ff.

» p r o b l e m e d e r q ua l i ta t i v e n a n a l y s e «

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tin Luther Thomas’ Radio Adresses von ,7 Adornos Beitrag zur Authoritarian Personality8 sowie die »Auswertung der sogenannten ›Gruppenexperimente‹ zum Thema der Haltungen und Einstellungen der Deutschen zur nationalsozialistischen Vergangenheit«9, deren Ergebnisse  als »›pilot study‹ des Instituts«10 veröffentlicht wurden. Zu erwähnen ist des weiteren jene Forschung, deren Ergebnisse Adorno in einem Band mit dem Arbeitstitel ›Current of Music‹ zu veröffentlichen plante, der allerdings nie zustande kam:11 Ab Februar  arbeitete er für zwei Jahre unter der Leitung des aus Österreich emigrierten Sozialforschers Paul F. Lazarsfeld am ›Princeton Radio Research Project‹ mit, das von der Rockefeller Foundation unterstützt wurde.12 In dieser Zeit untersuchte Adorno Hörgewohnheiten der Radiohörer, die Wirkungsweise bestimmter Radiosendungen sowie das musikalische Material verschiedener populärer Stücke.

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Vgl. ders., »The Psychological Technique …«, AGS, Bd. ., S.  ff. – Adorno selbst berichtet in seinem Vortrag Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika von seiner »Monographie über die sozialpsychologische Technik eines kurz vorher an der amerikanischen Westküste aktiven faschistischen Agitators, Martin Luther Thomas. Sie war  vollendet, eine Contentanalyse, welche die mehr oder minder standardisierten, und keineswegs allzu zahlreichen, Stimuli behandelt, welche faschistische Agitatoren benutzen.« (Ders., »Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika«, AGS, Bd. ., S. .) Vgl. ders. et al. , The Authoritarian Personality. – Jene Kapitel, die Adorno alleine oder in Zusammenarbeit geschrieben hat, finden sich jetzt in Adorno, »Studies in the Authoritarian Personality«, AGS, Bd. ., S.  ff. – Zu Adornos Anteil an der Authoritarian Personality vgl. Jochen Fahrenberg/John M. Steiner , »Adorno und die Autoritäre Persönlichkeit«, S.  ff. Ulrich Oevermann , »Adorno als empirische Sozialforscher im Blickwinkel der heutigen Methodenlage«, S. . – Der Studienbericht wurde als zweiter Band der »Frankfurter Beiträge zur Soziologie« publiziert (vgl. Friedrich Pollock [Hg.] , Gruppenexperiment. Ein Studienbericht); der von Adorno verfaßte Teil, »Schuld und Abwehr« (vgl. ebd.:  ff.), findet sich jetzt in Adorno, »Schuld und Abwehr. Eine qualitative Analyse zum Gruppenexperiment«, AGS, Bd. ., S.  ff.; vgl. Kai Dröge , »Gruppenexperiment. Ein Studienbericht«. Pollock (Hg.) , Gruppenexperiment, S. . Die Texte finden sich mittlerweile versammelt in einem Nachlaßband jenes Titels (vgl. Adorno, Current of Music, ANS, Bd. I.). Vgl. Thomas Y.Levin/Michael von der Linn , »Elements of a Radio Theory: Adorno and the Princeton Radio Research Project«.

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Ob nun die genannten Studien eher der quantitativen oder der qualitativen Forschung zu subsumieren seien, ist ähnlich umstritten wie die nach der Angemessenheit der angewandten Methoden überhaupt.13 Für Adorno stellt sich jene Frage als eine nach der Vermittlung dar. Quantitative empirische Forschung als einzig wissenschaftlich belastbare Form einer »von Atomen zu Allgemeinheiten klassifikatorisch aufsteigende Sozialwissenschaft ist der Medusenspiegel einer zugleich atomisierten und nach abstrakten Klassifikationsbegriffen, denen der Verwaltung, eingerichteten Gesellschaft. Aber diese adaequatio rei atque cogitationis bedarf erst noch der Selbstreflexion, um wahr zu werden. Ihr Recht ist einzig das kritische. In dem Augenblick, in dem man den Zustand, den die Researchmethoden treffen zugleich und ausdrücken, als immanente Vernunft der Wissenschaft hypostasiert, anstatt ihn selbst zum Gegenstand des Gedankens zu machen, trägt man, willentlich oder nicht, zu seiner Verewigung bei. Dann nimmt die empirische Sozialforschung das Epiphänomen, das, was die Welt aus uns gemacht hat, fälschlich für die Sache selbst.«14 Die Frage nach dem Stellenwert empirischer Forschung, ist so zugleich eine danach, ob Soziologie anderes sein solle als »administrative research«15 plus positivistisch-theoretischen Überbau, der die Meßergebnisse des ›research‹ an die ihnen vorbedachte Stelle einsortiert: »Die adäquate und, wenn man so sagen darf, gerade auch ästhetisch befriedigendste Form der Darstellung der Ergebnisse empirischer Sozialforschung ist die Tabelle; die Deutung der Tabelle durchs übersetzende und umschreibende Wort hat ihr gegenüber etwas Uneigentliches und oftmals Läppisches, während doch, um Wissenschaft zu werden, die Tabelle der Interpretation bedürfte durch eben jenen Begriff, den sie durch die eigene Gestalt fast negiert.«16 Gegen diese vermeintliche »Aufklärung durch Tabellierung«17 setzt Adorno auf eine qualitative Analyse, die ihre Vermitteltheit mit empirischer Forschung einerseits sowie kritischer Gesellschaftstheorie andererseits stets reflektiert und methodisch umsetzen will. Um qualitativer Analyse jenen Anschein von Willkürlichkeit zu nehmen, der ihr seitens Vertreter einer positivistisch gereinigten quantitativen Forschung 13 14 15 16 17

Vgl. etwa Christian Seipel/Susanne Rippel/Angela Kindervater , »Probleme der empirischen Autoritarismusforschung«. Adorno, »Soziologie und empirische Forschung«, AGS, Bd. , S. . Ders., »Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika«, AGS, Bd. ., S. . Ders., »Teamwork in der Sozialforschung«, AGS, Bd. , S. . Henscheid , »Scene-Deutsch: Fluch oder Segen? Nachwort zu einem Wörterbuch«, S. .

» p r o b l e m e d e r q ua l i ta t i v e n a n a l y s e «

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nachgesagt werde, benennt Adorno im Laufe seiner Einleitung fünf Momente,18 die qualitative Forschung so gestalteten, daß sie nicht einer »Zufälligkeit der bloßen Subjektivität« verhaftet bleibt, wie Adorno sagt.19 Erstens solle – was nur scheinbar selbstverständlich sei – die Analyse in sich konsistent sein. Zweitens sollten die divergenten Momente der Analyse einander Sinn verleihen, wobei, drittens, gerade exzentrische Momente auf das Zentrum der Analyse weisen, sofern sie in einem bestimmbaren Sinnzusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand stehen. Viertens betont Adorno »das Moment der Mikrologie, der Versenkung ins Kleinste«20, und er führt aus: »Je genauer man in die Details irgendeines Objekts eintritt, je weniger man sich also mit seiner allgemeinen, abstrakten, oberflächlichen Struktur zufriedengibt, je mehr man sich in seine Spezifikation versenkt, um so mehr – würde meine Hypothese lauten – wird man wahrscheinlich in einer solchen mikrologischen Analyse der Dinge gewahr, die nun wirklich von sozialer Signifikanz sind, und zwar deshalb, weil die Momente, die man auf diese mikrologische Weise gewahrt, sehr oft eben die sind, die der Prägekraft des Allgemeinen, der Konformität des offiziellen Bewußtseins sich entziehen, in denen also das erscheint, was nicht an die Oberfläche kommt und was dann aber doch über das Ganze etwas besagt. Wie dann nun diese Mikrologie im einzelnen aussieht, wodurch sie dann ihre Verbindlichkeit gewinnt und wie sie sich davor hütet, willkürlich und schlecht zu sein, das ist eben das, worüber wir uns unterhalten müssen, und es ist die Frage, die ich auch offenlasse, ob ein allgemeines Kriterium dafür überhaupt als ein sicheres methodisches sich angeben läßt, oder ob hier wirklich bis zu einem gewissen Grad, damit die Objektivität der Erkenntnis möglich ist, das Hereinwerfen des Subjekts ganz anders gefordert ist, als es von dem offiziellen Wissenschaftsideal toleriert wird.«21 – In der Negativen Dialektik hat Adorno jener Mikrologie eine besondere Erkenntnisfunktion in der zeitgenössischen Gesellschaft zugesprochen, wenn es heißt: »Je vergesellschafteter die Welt, je dichter ihre Gegenstände mit allgemeinen Bestimmungen übersponnen sind, desto mehr ist […] ten18 19

20 21

Vgl. Adorno , »Einleitung in das soziologische Hauptseminar ›Probleme der qualitativen Analyse‹ …«, S.  ff. Adorno bemerkt in seiner Einleitung, »daß erstens ohne Risikofaktor es in der qualitativen Analyse überhaupt nicht abgeht, dann aber, daß ja dann eine Reihe von Kriterien innerhalb der qualitativen Analyse sich darbieten werden, die dann doch von der Zufälligkeit der bloßen Subjektivität heilen mögen.« (Ebd., S. .) Ebd., S. . Ebd., S.  f.

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denziell der einzelne Sachverhalt unmittelbar durchsichtig auf sein Allgemeines; desto mehr läßt sich gerade durch mikrologische Versenkung in ihn herausschauen«22. Als fünften Punkt, der als wesentlich für die qualitative Analyse zu gelten habe, führt Adorno schließlich die Analyse der Sprache an. Er folgt hier seiner sprachphilosophischen Auffassung, Sprache sei Trägerin eines objektiven Sinns, so daß Sprachanalyse auf den Gehalt (oder dessen Abwesenheit)23 des Bezeichneten führt. Was Adorno hier als Unzulänglichkeiten und Probleme benennt, wurde auch von weiteren Teilen der Forschungspraxis als kritikabel erkannt und durch elaboriertere qualitative Methoden zu ersetzen versucht, so etwa in der Grounded Theory oder in der Objektiven Hermeneutik. Verschärft hat sich unterdessen der Gegensatz von empirischer Forschung und Gesellschaftstheorie, wenn man so will, von Soziologie und Philosophie. Während es für Adorno noch selbstverständlich war, »daß in der Tat die Soziologie auf die Philosophie verwiesen ist, wenn sie nicht außerhalb des Bereichs einer Wissenschaft bleiben will, wenn sie wirklich mehr werden will als eine bloße Technik«24, so sind beide heute voneinander fachspezifisch und institutionell derart voneinander geschieden, daß eine Überwindung dieser Trennung bereits mit Stolz als Interdisziplinarität bezeichnet wird. Das Seminar »Probleme der qualitativen Analyse« wurde im Sommersemester  dienstags von – Uhr im Institut für Sozialforschung abgehalten.

22 23

24

Ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. . Bereits Anfang der er Jahre hatte Adorno formuliert: »Alle trügende Ontologie ist sprachkritisch zumal zu entlarven« (Ders, »Thesen über die Sprache des Philosophen«, AGS, Bd. , ); ein Programm, das er im Jargon der Eigentlichkeit (vgl. ders., AGS, Bd. , S.  ff.) an der Fundamentalontologie Heideggers verwirklichte. Ders., Philosophie und Soziologie, ANS, Bd. IV., S. .

13 Drei Sitzungsprotokolle aus den Frankfurter Seminaren

[…] vielleicht der einzige Teil der Frankfurter Protokolle, der in der deutschen Literatur einen ständigen Platz finden wird […] F E, R  K  D

13.1 Personen und Kontexte Das Protokoll von Werner Sörgel umfaßt im Original acht Seiten und befindet sich im Universitätsarchiv Frankfurt a.M. Es entstammt einer zu einem Buch gebundenen Sammlung von Protokollen und Referaten aus dem Soziologischen Hauptseminar »Zeitgenössische Ideologien« aus dem Sommerseminar .1 Werner Sörgel (geb. ) wurde  in Frankfurt mit der Arbeit Konsensus und Interessen. Eine Studie zur Entstehung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland promoviert. Ab Mitte der er Jahre war er geschäftsführender Gesellschafter im von ihm mitgründeten ›Sinus Institut für Marktforschung und Sozialforschung‹ in München. Die Beschäftigung mit Ideologiegeschichte wie auch mit zeitgenössischen Ideologien, wie sie im Seminar geübt wurde, liegt zeitlich zwischen der Abfassung der Soziologischen Exkurse, die das Institut für Sozialforschung  publiziert hat und die dem Thema ein eigenes Kapitel widmen,2 und der Vorle1 2

Universitätsarchiv Frankfurt a.M., Abt.  Nr. . Vgl. Institut für Sozialforschung , Soziologische Exkurse. Nach Vorträgen und Diskussionen, S.  ff. – In der Vorrede, die Horkheimer und Adorno gemeinsam zeichnen, heißt es: »Der Ideologieaufsatz ist die erweiterte und vielfach modifizierte Fassung eines Referats auf dem Deutschen Soziologentag in Heidelberg , das im Heft / des sechsten Jahrgangs (/) der ›Kölner Zeitschrift für Sozio-

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sung Philosophie und Soziologie,3 die Adorno im Sommersemester  abgehalten hat. Sie geht nochmals dezidiert auf das Ideologieproblem ein und versammelt einige der Motive, die im Seminar von  bereits besprochen wurden. Das hier präsentierte Protokoll diente bereits Alex Demirović in seiner Schrift Der nonkonformistische Intellektuelle dazu, den Lehrgehalt der Seminare Adornos zu explizieren: Die »dialogische Sequenz«, die das Protokoll wiedergibt, sei insofern interessant, als Adorno, »konfrontiert mit dem Vorwurf, der konservativen Kulturkritik nahezustehen, direkt die Redeposition charakterisiert, zu deren Einnahme er die Studenten ermutigen möchte: keine Angst zu haben vor einer radikalen und durchaus auf das gesellschaftliche Ganze zielenden Kritik, die als kritische durchaus auch Geborgenheit gewähren können soll. Doch konsequent argumentiert er weiter, daß man sich auch in der Kritik nicht positiv einrichten darf; auch die Kritik darf zu keinem Standpunkt werden«4. Das Protokoll von Helmut Dahmer umfaßt im Original drei Seiten und befindet sich im Universitätsarchiv Frankfurt a.M. Es entstammt einem Buch, das die Protokolle und die Referate aus dem Soziologischen Oberseminar für Fortgeschrittene »Begriff der soziologischen Theorie« aus dem Sommersemester  versammelt.5 Insgesamt liegen neun Sitzungsprotokolle aus diesem Seminar vor; eine Bestandsliste auf der ersten Seite des Buches gibt darüber Auskunft, daß ein Protokoll aus dem Seminar fehlt. Im selben Semester hielt Adorno die Vorlesung »Probleme der Moralphilosophie«6 und leitete ein Philosophisches Hauptseminar über Kant (aus dem lediglich drei Sitzungsprotokolle überliefert sind). Helmut Dahmer (geb. ) war von  bis leitender Redakteur der Zeitschrift Psyche.  wurde er in Frankfurt a.M. mit der Arbeit Libido und Gesellschaft. Studien über Freud und die Freudsche Linke promoviert. Von  bis  lehrte Dahmer Soziologie an der Technischen Universität Darmstadt. Das Sitzungsprotokoll behandelt eine Kontroverse, die Adorno drei Jahre zuvor, in seiner Vorlesung über ›Philosophie und Soziologie‹, bereits als Aus-

3 4 5 6

logie‹ erschien.« (Ebd., S. .; jetzt in Adorno/Horkheimer, »Soziologische Exkurse. Nach Vorträgen und Diskussionen. Frankfurt a.M. . (Frankfurter Beiträge zur Soziologie. .)«, S. .) Vgl. Adorno, »Beitrag zur Ideologienlehre«, AGS, Bd. , S.  ff. Vgl. ders., Philosophie und Soziologie, ANS, Bd. IV., S.  ff. Demirović , Der nonkonformistische Intellektuelle, S. . Universitätsarchiv Frankfurt a.M., Abt.  Nr. . Vgl. Adorno, Probleme der Moralphilosophie (), ANS, Bd. IV..

drei sitzungsprotokolle

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gangspunkt genommen hatte, um, wie er sagte, »den Konflikt zwischen Soziologie und Philosophie, soweit er von der Soziologie aus sich darstellt, […] nicht allgemein, nicht generell abzuhandeln, sondern anhand einer heute tatsächlich vorliegenden Kontroverse, die gerade in Deutschland wohl eine gewisse Aktualität hat, die sich angeschlossen hat an meine eigene Arbeit über ›Soziologie und empirische Forschung‹, auf die ja mein Hamburger Kollege Helmut Schelsky in seiner ›Standortbestimmung der deutschen Soziologie‹ eingehend geantwortet hat, und ebenso auch René König in einem seiner letzten Aufsätze.«7 Das Protokoll von Hans-Jürgen Krahl umfaßt im Original vier Seiten und befindet sich als Teil des Nachlasses von Horkheimer im Archivzentrum Frankfurt a.M.8 Es entstand im Wintersemester / im Philosophischen Hauptseminar »Begriff der Negation«, das Adorno offiziell gemeinsam mit Horkheimer abhielt. Da lediglich »Prof. Adorno« als Seminarleiter genannt wird, ist es wahrscheinlich, daß Horkheimer zumindest während der hier protokollierten Sitzung nicht anwesend war. Insgesamt liegen zwölf Sitzungsprotokolle aus diesem Seminar vor. Ins selbe Semester wie dieses Seminar fiel die Vorlesung über Negative Dialektik,9 ein Soziologisches Hauptseminar »Zum Begriff der Gesellschaft« (aus dem  Sitzungsprotokolle überliefert sind) sowie ergänzende Übungen zu diesem Seminar. Hans-Jürgen Krahl (–) war der führende Theoretiker der antiautoritären Bewegung, prominentes Mitglied des SDS und Doktorand bei Adorno. Nachdem er durch einen Autounfall ums Leben gekommen war, stellten Freunde Krahls einige seiner Schriften und Reden zum Buch Konstitution und Klassenkampf zusammen.10 Im Seminar über den »Begriff der Negation« kam jene Kritik Adornos an der Hegelschen Philosophie zur Sprache, wie er sie in der Negativen Dialektik sowie in der gleichnamigen Vorlesung im selben Semester übte; an »jener positiven Negativität: der Negation der Negation als neuer Position, wie sie als ein Modell die Hegelsche Philosophie erstellt.«11 Adorno behandelte den Begriff der Negation im Seminar anhand von Texten Spinozas, Schellings und eben Hegels. 7 8 9 10 11

Ders., Philosophie und Soziologie, ANS, Bd. IV., S. . Archivzentrum der Universitätsbibliothek Frankfurt a.M., Na , . Vgl. ders., Vorlesung zur Negativen Dialektik, ANS, Bd. IV.. Vgl. Hans-Jürgen Krahl , Konstitution und Klassenkampf. Schriften und Reden –. Adorno, Vorlesung zur Negativen Dialektik, ANS, Bd. IV., S. ; vgl. ders., Negative Dialektik, AGS, Bd. , S.  ff.

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13.2 Werner Sörgel, 23. Juli 1957 Protokoll der Seminarsitzung am . .  Herr Munz setzte sein in der Sitzung am . . begonnenes Referat12 über »Kulturindustrie – Aufklärung als Massenbetrug«13 aus der »Dialektik der Aufklärung« fort. Der letzte Abschnitt dieses Referats befaßte sich mit der Veränderung im Warencharakter der Kunst. Autonome Kunst hat als käufliche schon immer Warencharakter besessen, doch war sie, so lange sie unter der Protektion ihrer Mäzene stand, dem unmittelbaren Einfluß des Marktmechanismus entzogen und konnte darum ihrem eigenen immanenten Gesetz zu folgen suchen. In der spätkapitalistischen Gesellschaft, die jede Regung unter einen Zweck subsumiert, schwört Kunst ihrem immanenten autonomen Sinn ab und will nichts anderes mehr sein als nur Konsumgut. Der Warencharakter der Kunst realisiert sich vollends und zerfällt zugleich, Kunstwerke werden – vor allem im Radio – als eine Form der Reklame gratis geliefert.14 Prof. Adorno bemerkte hierzu, daß es sich um eine Darstellung der Verhältnisse in Amerika handele, wo Radioprogramme von »sponsors« finanziert werden, also von Firmen, die vor, nach und teilweise mitten in von ihnen bestimmten Programmen ihre Werbeslogans sprechen lassen. Wo im »public service« der Rundfunkgesellschaften auf eine ausdrückliche Waren- oder Firmenwerbung verzichtet werde, meist bei sogenannten »bedeutenden Kunstwerken«, erwähnten diese Tatsache die Stationen so häufig und so eindringlich, daß die Ausnahme gleichsam zur besonders raffinierten Form der Reklame werde.15 Der Referent führte sodann aus, wie die scheinbar überparteiliche Autorität, mit der im Radio Kunst gratis frei Haus geliefert werde, ein Schema der »Allgegenwart« schaffe, welches die Konsumenten für die Ambitionen des Faschismus prädisponiere.16 Kunst als billiges Massenkonsumgut werde nicht – 12 13 14 15

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Der Referatstext von Horst Munz wurde nicht aufgefunden. Vgl. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, AGS, Bd. , S.  ff. Vgl. hierzu den entsprechenden Abschnitt ebd., S.  ff. »Die Toscaniniaufführung übers Radio ist gewissermaßen unverkäuflich. Man hört sie umsonst, und es wird gleichsam zu jedem Ton der Symphonie noch die sublime Reklame beigegeben, daß die Symphonie nicht durch Reklame unterbrochen wird – ›this concert is brought to you as a public service‹.« (Ebd., S. ) »Die Nationalsozialisten selber wußten, daß der Rundfunk ihrer Sache Gestalt verlieh wie die Druckerpresse der Reformation. Das von der Religionssoziologie er-

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wie von der Kulturindustrie behauptet – allen Menschen zugänglich, vielmehr zerstöre sie als verdinglichte im Einzelnen die Intention zur bewußten Aneignung. Der Kunstkonsum nehme Zwangscharakter an, dessen Motor die Angst ist, man könne etwas verpassen. Prof. Adorno wies auf die strukturellen Wandlungen hin, welche die Kulturindustrie seit dem Erscheinen des besprochenen Buches im letzten Krieg durchlaufen habe. Die hier beschriebene Welt sei eine »Tote Welt« – überholt von der jüngsten Entwicklung vor allem in Amerika, wo das Fernsehen dem Film den Rang abgelaufen habe. Die schon beim Film kaum mehr bestehende Auswahlmöglichkeit sei bei der Television noch einmal um ein Wesentliches verringert, die Qualität des Gebotenen in der Regel noch schlechter, während gleichzeitig der Mechanismus der Anpassung durch die Allgegenwart des Fernsehens sich verstärkt habe. Der Referent führte weiter aus, wie innig Kulturindustrie und Reklame technisch wie ökonomisch verschmolzen seien. Die Sprache des vergewaltigten Publikums nehme schließlich selbst Reklamecharakter an, und dem Wort werde sein durch historische Erfahrung vermittelter Bedeutungsgehalt geraubt, wodurch es tendenziell wieder zur Zauberformel werde.17 Prof. Adorno unterstrich, daß diese Erscheinung nicht auf Amerika beschränkt [sei], sondern sich im gleichen Maße auch in Europa nachweisen lasse. Es wäre eine interessante sprachsoziologische Aufgabe zu untersuchen, inwieweit vergleichbare Modeworte unter analogen gesellschaftlichen Bedingungen, aber in einander völlig getrennten Sprachräumen entstehen. Dem amerikanischen Wort ›gimmick‹ für ein besonders eingängiges Wirkungsschema – z.B. in der Schlagermusik – stehe die deutsche ›Masche‹ gegenüber.18 Man könne hier

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fundene metaphysische Charisma des Führers hat sich schließlich als die bloße Allgegenwart seiner Radioreden erwiesen, welche die Allgegenwart des göttlichen Geistes dämonisch parodiert.« (Ebd., S.  f.) »Durch die Sprache, die er [scil. der Kunde] spricht, trägt er selber zum Reklamecharakter der Kultur das Seine bei. Je vollkommener nämlich die Sprache in der Mitteilung aufgeht, je mehr die Worte aus substantiellen Bedeutungsträgern zu qualitätslosen Zeichen werden, je reiner und durchsichtiger sie das Gemeinte vermitteln, desto undurchdringlicher werden sie zugleich. Die Entmythologisierung der Sprache schlägt, als Element des gesamten Aufklärungsprozesses, in Magie zurück.« (Ebd., S. .) Ähnlich formuliert Adorno in den »Kriterien der neuen Musik«, einer Vorlesung des Jahres : »Bedingungen des Charakteristischen scheinen überlieferte Kategorien, wie Einfall und Originalität. Beide sind mit Grund in Verruf geraten. Wie

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gleichsam von einer negativen Sprachschöpfung sprechen, verursacht durch vergleichbare gesellschaftliche Phänomene. Die sich dem Referat anschließende Diskussion berührte im wesentlichen drei Aspekte: . Sind die im Referat aufgezeigten Irrationalismen in der Tat nur Ideologien im Sinne eines gesellschaftlich produzierten notwendigen Scheins? . Kann Gesellschaftskritik als solche sinnvoll sein, ohne gleichzeitig auf ein »Positives« zu deuten, das im Gegenstand der Kritik selbst oder wenigstens hinter diesem ist? . Welche Konsequenzen ergeben sich aus einer Totalschau des gesellschaftlichen Seins? Zum ersten der angerührten Fragekomplexe gab Herr Brandt19 zu bedenken, daß doch in aller Herrschaft, auch in der, die in den Institutionen der Kulturindustrie stecke, ein Stück Vernunft walte. Auch im Kapitalismus seien die Güter nicht nur Tausch- sondern auch Gebrauchswerte. Die Kritik der im Referat gekennzeichneten Erscheinungen erscheine ihm richtig und notwendig, doch leicht könne jene sich gegen die Organisation der Gesellschaft und Wirtschaft überhaupt richten. Aber ohne eine – wenn auch modifizierte – Form der Organisation sei auch eine freiheitliche und sozialistische Gesellschaft nicht denkbar. Die Unvollkommenheit der Planung in unserer Gesellschaft müsse angeprangert werden, weil sie dem Irrationalen Platz lasse. Die Polemik gegen die Durchschnittlichkeit des in der Kulturindustrie Gebotenen dürfe uns nicht der Einsicht verschließen, daß die Verwirklichung einer freien Gesellschaft an Massenproduktion als Voraussetzung gebunden sei und insofern eine gewisse Durchschnittlichkeit bedinge. Die Kritik dürfe nicht zu dem Mißverständnis

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sie erst unterm Kapitalismus zu musikalischen Normen wurden, so waren sie mit dem Markt verfilzt, der nouveauté des Angebots, der Kennmarke des Verkäuflichen. Wohl steckte in der nach dem originellen Einfall gewerteten Musik auch etwas von bürgerlicher Emanzipation gegenüber schablonenhafter hierarchischer Starrheit. Aber sie ist längst zur Pseudo-Individualisierung, zum Schlager mit der Melodie verkommen, die wie alle andere ist und durch ein minimales Auffälliges, einen Trick, ein ›gimmick‹, gleichwohl behalten werden kann.« (Adorno, »Kriterien der neuen Musik«, AGS, Bd. , S. .) Gerhard Brandt ist von  bis  Direktor des Instituts für Sozialforschung.  wird er mit einer Arbeit über »Rüstung und Wirtschaft: Ein Beitrag zum Problem der Integration gesellschaftlicher Macht- und Einflußgruppen in der Bundesrepublik« promoviert.

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führen, daß je eine Rückkehr zur individuellen Produktionsweise möglich sei. Durch eine solche falsche Interpretation könnten die Autoren der »Dialektik der Aufklärung« leicht in bedenkliche Nähe konservativer Kulturkritiker gelangen. Auch sollte man bedenken, daß in unserer Gesellschaft, die ja keine freie oder sozialistische sei, Kunst vielleicht nur möglich ist, sofern sie sich ihrer eigenen Verdinglichung bewußt bleibt. So habe Bertolt Brecht in seiner Dichtung niemals versucht, eine Reindividualisierung zu antizipieren, sondern er habe vielmehr die Verdinglichung auf die Spitze getrieben. Prof. Adorno erwiderte auf diese Anmerkungen, daß ein Unterschied zu machen sei zwischen der Herstellung materieller Gebrauchsgüter und der ideologisch vermittelten Gebrauchswertigkeit des Films, die im Grunde nur den schlechten Zustand der Gesellschaft reflektiere. Der von der Kulturindustrie produzierte Dreck sei kein notwendiges Gebrauchsgut. Zum Begriff des Durchschnitts sei zu bemerken, daß der freilich ein notweniger Bestandteil der Massenproduktion – z.B. von Autos – sei. Diese quantitative Notwendigkeit anzuerkennen bedeute aber etwas anderes, als den Durchschnitt als Qualität zu verherrlichen – und darin bestehe die Funktion der Kulturindustrie. Sie produziere ein genormtes Bewußtsein, das dem Fortschritt im Wege stehe. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen stelle Durchschnittlichkeit ein Unglück dar, es sei darum eine Aufgabe der Aufklärung, sie mit aller Schärfe zu kritisieren. Das sogenannte »Positive« der Kulturindustrie seien im Grunde Lappalien. So möge eine gewisse Popularisierung der Psychoanalyse durch den Film und das Radio zwar als positiv gelten, doch die Verdummung durch den Apparat überwiege bei weitem. – Konservative Kulturkritiker könnten einen freilich mißbrauchen, doch dies dürfe einen nicht davon abhalten, Kritik zu betreiben. Alle Wahrheit könne isoliert und aus dem Zusammenhang gerissen werden. Noch immer sei aber die Sprache ein Indiz für Wahrheit, denn mit jeden verantwortlich formulierten Urteil sei implicite eine Anweisung aufs Ganze gemeint. Dr. Habermas20 wies darauf, daß nicht in abstrakter Weise von der technischen Notwendigkeit der Massenproduktion auf die Notwendigkeit der Produktion von Schund geschlossen werden dürfe. Die Massenproduktion von Kulturgütern müsse nicht deren Substanz zerstören. So zwinge die Anwendung des Rotationsdrucks nicht zur Herstellung der »Bildzeitung«. Die »Dreigro-

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Jürgen Habermas (geb. ) ist zur Zeit dieses Seminars Forschungsassistent am Institut für Sozialforschung bei Adorno und Horkheimer.

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schenoper«21 müsse nicht notwendig, wenn sie verfilmt werde, darum mißlingen, weil der Film ein Erzeugnis der Massenproduktion sei. Herr Brandt warf noch einmal die Frage auf, ob Kunst für die Massen nicht andere Gestalt haben müsse als in der bürgerlichen Epoche. Man könne empirisch feststellen, daß die offensichtlich einmal vorhanden gewesene Fähigkeit, Nuancen in einem Kunstwerk zu genießen – Wortspiele in einem Shakespeare-Text – dem Publikum unserer Zeit fehle, und man müsse wohl auch bezweifeln, daß der Sinn hierfür wieder neu geweckt werden könne. Prof. Adorno erwiderte, daß der Begriff der »Masse« nicht hypostasiert werden dürfe. Eine richtige Gesellschaft werde zum gegenwärtigen Begriff der Masse genauso quer stehen wie zum bürgerlichen des Individuums. Die Masse wie die Kulturindustrie dürfe man dialektisch nur an ihren eigenen Begriffen messen, diese seien aber beide dem bürgerlichen Bildungsbegriff entnommen. Herr Teschner22 deutete auf eine Gefahr der Kulturkritik hin, die sich ausdrücklich auf eine Kritik der Phänomene des Überbaus beschränke. Dies könne leicht dazu verführen, die Mächte hinter der Kulturindustrie zu personalisieren, für den Massenbetrug gleichsam die »bösen Kapitalisten« verantwortlich zu machen. Prof. Adorno entgegnete, daß die hier zitierte Kulturkritik davon ausgehe, Kulturindustrie sei durch die Bedingungen des expansiven Kapitals bestimmt. Er erinnere daran, daß er immer den Versuch, gesellschaftlich bedingte Verhältnisse zu personalisieren, kritisiert habe, aber trotzdem: zur anonymen Notwendigkeit der Reproduktion und Expansion des Kapitals käme die ganz reale und personale Macht von Individuen hinzu. Am Beispiel des Apparats Hollywood ließe sich sehen, daß dessen Anonymität nicht zur Idylle werde, wenn es darum ginge, einen Regisseur durch moralische Foltermethoden zu »brechen«, d.h. gefügig zu machen. In den mächtigen Konzernen säßen immerhin barbarische Herren, die Gewalt über andere hätten und diese im Interesse des Apparats zu gebrauchen wüßten.

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Die Dreigroschenoper Bertolt Brechts – mit der Musik von Kurt Weill – wird  in Berlin uraufgeführt. Das Stück wird erstmals  von Georg Wilhelm Pabst verfilmt. Manfred Teschner (geb. ) ist zur Zeit dieses Seminars Hilfsassistent am Institut für Sozialforschung.  wird er mit einer Arbeit »Zum Verhältnis von Betriebsklima und Arbeitsorganisation« promoviert.  übernimmt er eine Professur für Soziologie an der Technischen Hochschule Darmstadt.

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Herr Viehmann23 stellte die Frage, ob nicht auch die Kulturindustrie, wenn auch ungewollt, dazu beitrage, den Menschen in unserer Gesellschaft und vielleicht für eine bessere Gesellschaft im positiven Sinne fungibel zu machen. Hinzu käme eine wachsende Differenzierung des Arbeitsprozesses, die ja qualitativ Vereinfachung bedeute und eine Mehrung der Freizeit der arbeitenden Menschen. Durch Kino, Radio, Fernsehen würden die Menschen ihren traditionellen Freizeitbeschäftigungen entfremdet, und es käme nur darauf an, sie zu einer sinnvolleren Nutzung ihrer freien Zeit zu bringen, was freilich eine gerechtere Gesellschaft voraussetze. Erzeugnisse der Massenproduktion, wie die billige Herstellung von Taschenbuchreihen, gäben den Menschen heute schon die Möglichkeit, sich in ihrer Freizeit mit den Gedanken großer Philosophen vertraut zu machen. Solche Tendenzen gelte es zu fördern. Prof. Adorno warnte vor einem zu eilfertigen, gleichsam sozialdemokratischen Optimismus, demzufolge alles darauf angelegt wäre, sich zum Besten zu entwickeln. Hegel würde gesagt haben, dem Fortschritt im formellen Verstand entspräche ein Rückschritt im materiellen. Vorläufig sei festzustellen, daß die Produkte der Kulturindustrie im Sinne einer fortschreitenden Verdunklung wirkten. So sei der Bauer, dem man seine Kirmes genommen [habe] und dafür den Heidefilm biete, nicht durch die derart vermittelte Kenntnis einer ihm fremden Landschaft aufgeklärter geworden. Beim Radiohören könne – das sei nachgewiesen – ernste und schwierige Musik wie Unterhaltungsmusik konsumiert werden,24 und der Taschenbuch-Plato, gelesen ohne gleichzeitige Reflexion auf die Gesellschaft, werde zum unverbindlichen Kulturgut.25 Überhaupt 23 24

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Näheres zu Herrn Viehmann konnte nicht ermittelt werden. Adorno denkt hier an die Untersuchungen, die er selbst, gemeinsam mit Paul F. Lazarsfeld, von  bis  in New York im Rahmen des ›Princeton Radio Research Project‹ durchgeführt hat und deren Ergebnisse jetzt vorliegen in Adorno, Current of Music. Elements of a Radio Theory, ANS, Bd. I.. Zwei Jahre nach dieser Seminarsitzung, in der »Theorie der Halbbildung«, wird Adorno schreiben: »Zweifel an dem unbedingt aufklärenden Wert der Popularisierung von Bildung unter den gegenwärtigen Bedingungen setzen dem Verdacht des Reaktionären sich aus. Man könne nicht etwa der Publikation bedeutender philosophischer Texte der Vergangenheit in Taschenbüchern mit dem Hinweis darauf opponieren, daß durch deren Form und Funktion die Sache beschädigt werde; sonst mache man sich zum lächerlichen Festredner einer geschichtlich verurteilten Bildungsidee, die nur noch dazu diene, einigen Dinosauriern ihre Größe und Herrlichkeit zu bestätigen.« (Ders., »Theorie der Halbbildung«, AGS, Bd. , S. .)

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werde die Neutralisierung der Kultur durch den wahllosen Konsum aller Dinge gefördert, hinzu käme, daß die in den Taschenbüchern vorgenommene »Auswahl« aus den Gesamtwerken der Philosophen häufig einen bedenklichen Zensurmechanismus darstelle. Für die Sozialforschung wäre es eine interessante Aufgabe, einmal festzustellen, was aus dem Plato im Taschenbuch werde, wie er das Bewußtsein und das Handeln der Leser beeinflusse. Von zwei anderen Seminarteilnehmern wurde von einer möglichen Weiterentwicklung der Kunst durch die Technik gesprochen, womit sich der Begriff der Kunst ändern müsse. Sei es doch schon möglich, mit Elektronen-Rechenmaschinen Schlager oder auch einfache Fugen zu komponieren. Prof. Adorno erwiderte, daß bei solchen Spekulationen der Begriff Technik zu absolut gesetzt werde, eine Tendenz, die auch bei den Russen – dort aus der Situation des Mangels heraus – anzutreffen sei. Es gebe aber Dinge, von denen wir annehmen müßten, daß sie gleichsam über der Technik stünden. Die mit der Rechenmaschine ermöglichte Schlagerkomposition nenne nur das Verfahren beim Namen. Eine Analyse der Schlagermusik zeige, daß hier die Möglichkeit schematischer Komposition theoretisch schon immer bestanden hätte, womit gleichsam die Rückständigkeit in der bisherigen Produktionsweise von Schlagern erwiesen sei. Die technische Produktion von Fugen sei nur eine Verfeinerung des Verfahrens, dessen sich einige Zeitgenossen Bachs bedient hätten, wenn sie Fugen komponierten, die deutlich erkennbare Elemente des Schematischen enthielten und darum keine Kunstwerke wären. Kunst beginne jenseits dieser Grenze, sie sei im Sinne der Hegelschen Definition Ausdruck für das Leiden der Menschen in der Welt.26 Heute aber davon zu spekulieren, daß jene Voraussetzung entfalle, sei zumindest etwas voreilig. Die wiederholt auftauchende Frage, ob Gesellschaftskritik sinnvoll sein könne, ohne gleichzeitig auf das Positive hinzudeuten, das auch in den kritisierten Gegenständen stecke oder das sich vielleicht einmal aus diesen entwickeln 26

In seiner Schrift über »Engagement« schreibt Adorno: »Aber jenes Leiden, nach Hegels Wort das Bewußtsein von Nöten, erheischt auch die Fortdauer von Kunst, die es verbietet; kaum wo anders findet das Leiden noch seine eigene Stimme, den Trost, der es nicht sogleich verriete.« (Ders., »Engagement«, AGS, Bd. , S. .) Auf das Mißverständnis, das Adorno zu dieser irrigen Interpretation Hegels verführt, macht Jürgen Trabant aufmerksam (vgl. Trabant , »›Bewußtseyn von Nöthen‹. Philologische Notiz zum Fortleben der Kunst in Adornos ästhetischer Theorie«).

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werde, beantwortete Prof. Adorno mit dem Hinweis, er habe manchmal den Eindruck, daß in solchen Fragen die Angst mitschwinge, es könne einem bei der Durchleuchtung der ideologischen Verhältnisse etwas weggenommen werden. Viele erlägen darum der Versuchung, zu rasch nach dem Positiven zu greifen, eine Tendenz, die zu einem gewissen Grade selbst in der Dialektik bei Hegel und Marx anzutreffen sei. Wir seien aber dazu da, den ideologischen Mechanismus zu stören. Sinn der Kritik sei, daß man sich vermöge der Reflexion über die sture Notwendigkeit erhebe, und er warne davor, sich auf den Standpunkt dessen zu stellen, was man einmal als negativ erkannt habe. Wenn nur ein Teil des Scharfsinns, der aufgebracht werde, die Notwendigkeit der Kulturindustrie zu beweisen, auf die Entlarvung der in ihr steckenden Infamie verwendet worden wäre, sähe die Gesellschaft heute schon anders aus. Schließlich sei ja Ideologie nicht nur notwendiger Schein sondern auch Schein. Was das Positive, das es angeblich zu retten gelte, angehe, so könne man an dessen Rettung erst gehen, wenn das Ganze, das es fessele, untergegangen sei – vorläufig segele aber die Fregatte noch mit voller Kraft dahin. Auf die Bemerkung einer Seminarteilnehmerin, daß die hier betriebene Kritik die Menschen gleichsam in eine Leere führe, weil wir nicht fähig seien, ihnen etwas Positives zu bieten, gab Prof. Adorno zu bedenken, ob man nicht in einem kritischen Bewußtsein geborgener sei als in der falschen Welt. Man könne sich nicht das Denken verbieten, nur weil man das Positive nicht gleich parat habe, oder gar mangels der Wahrheit die Lüge zur Wahrheit stempeln. Das ständige »ja, aber«, mit dem man sich verbiete, über die Dinge zu reflektieren, sei ein Hemmschuh des Fortschritts.27 Das schwierige Leben zu antizipieren, sei aber nicht Aufgabe der Wissenschaft.

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Adorno charakterisiert das ›Ja aber‹, das über die Dinge hinweggeht, die es zu erkennen gälte, als infantil: »Denn es ist ja genau die Frageweise des Kindes, das auf jede Erklärung, die man ihm überhaupt gibt, mit ›Ja aber‹ antwortet, und das es gewissermaßen nicht vermag, irgendwo innezuhalten, weil es eigentlich die Beziehung auf die Sache gar nicht sich zugeeignet hat, sondern statt dessen nur gewissermaßen den Fragemechanismus als solchen leerlaufen läßt: fragen, um zu fragen, ohne daß in die Frage der Widerstand der Sache, der Widerstand dessen, worauf sie eigentlich sich bezieht, überhaupt hineingenommen wäre.« (Adorno, Kants »Kritik der reinen Vernunft« (), ANS, Bd. IV., S. .) Und bei anderer Gelegenheit bemerkt Adorno: »›ja, aber‹ ist ja geradezu das Dogma auch des heutigen sozialwissenschaftlichen Positivismus« (ders., Philosophie und Soziologie, ANS, Bd. IV., S. ).

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Zur dritten Kategorie von Diskussionsbeiträgen: welche Konsequenzen aus einer Totalschau des gesellschaftlichen Seins zu ziehen wären, wurde zunächst die Frage gestellt, wie sich eine »Aufhebung der Herrschaft« mit den Vorstellungen von Demokratie vereinen lasse, in welcher Herrschaft institutionalisiert und kontrolliert werde. In der Kulturindustrie, beim Radio, Film, Fernsehen, gäbe es heute bereits eine – wenn freilich auch unvollkommene – Selbstkontrolle. Hieße Aufhebung von Herrschaft, über diese Kontrolle hinausgehen? Dr. Habermas erwiderte, die These des Buches beinhalte: nicht Einzelmaßnahmen im Bereich der Kulturindustrie selbst vermögen eine entscheidende Veränderung herbeizuführen, sondern die materielle Welt der Produktion, die die Kulturindustrie erst bedinge, müsse verändert werden. Diese These stütze sich auf eine Analyse des Komplementärverhältnisses der Kulturindustrie zu den Versagungen, die die Menschen in der heutigen Arbeitswelt erfahren. Unter den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen werde Kultur verdinglicht, weil sie unter Marktbedingungen zur Verteilung gelange. Nicht Gebrauchswerte werden von der Kulturindustrie produziert, sondern Tauschwerte, deren Konsumzweck abstrakt unterstellt werde und die der Nachfrager unkritisch als Konsumgüter abnehme. Zum Abschluß bemerkte ein Seminarteilnehmer, daß das Motiv der Diskussionsbeiträge weniger apologetisch als vielmehr die Frage nach der Konsequenz der Kulturkritik sei. Den kulturkritischen Bemerkungen läge ein Totalitätsbegriff von der Gesellschaft zugrunde, demzufolge in unserer Gesellschaft Herrschaft im entwickelten Tauschprinzip begründet liege. Dadurch werde tendenziell jedes Kunstwerk zum Konsumgut, alles Leben verdinglicht. Partielle Phänomene, wie die Psychoanalyse, würden dem allgemeinen Trend nur scheinbar entgegenwirken, ja, sie verpflanzten die Herrschaft im Grunde nur noch tiefer ins Bestehende. Eine Gesellschaft verändere sich nicht kontinuierlich zu einer gerechteren und menschlicheren, indem sich einzelne positive Phänomene ins Bewußtsein der Menschen übertrügen, sondern die entscheidenden Veränderungen vollzögen sich nur in großen Brüchen. Prof. Adorno schloß die Diskussion mit der Bemerkung, daß wir hier versucht hätten, angeblich harmlose Randgebiete des gesellschaftlichen Seins in ihren eigentlichen Zusammenhang zu rücken. Wenn so betriebene Soziologie eine Bewußtseinsänderung bei den Menschen bewirke, müsse dies als ein Positivum angesehen werden. Hier lägen die konkreten Möglichkeiten aber auch die Grenzen des Seminars.

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Frankfurt am Main . 28.  Werner Sörgel

13.3 Helmut Dahmer, 2. Juli 1963 Helmut Dahmer. Protokoll der Seminarsitzung vom . Juli : Die in Herrn Herdings Referat (»Theorie der Gesellschaft und Verhältnis von Theorie und Praxis bei Helmut Schelsky«)29 gegebenen Ansätze einer Schelsky-Kritik wurden in der Diskussion weiter ausgeführt, – die Differenzen zwischen Schelskys »transzendentaler Theorie der Gesellschaft«30 und Horkheimer/Adornos »kritischer Theorie« deutlich herausgearbeitet und schließlich die Möglichkeiten der kritischen Theorie (in bezug auf Politik und ökonomische Theorie) debattiert. . »Der Dualismus von ›soziologischer Theorie‹ und ›Theorie der Gesellschaft ist von (René) König nicht ernstgemeint: Er wird so dargestellt, daß die

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Korrigiert aus: »«. Richard Herding, »Theorie der Gesellschaft und Verhältnis von Theorie und Praxis bei Helmut Schelsky«, Universitätsarchiv Frankfurt a.M., Abt.  Nr. . Schelsky hat in seiner Ortsbestimmung der deutschen Soziologie geschrieben: »Allerdings ist der Begriff der ›kritischen‹ Theorie heute vieldeutig und durch die Zeitkritik, Kulturkritik, Sozialkritik usw. in einem Maße inflationiert oder sogar mit ihr verschmolzen, daß uns zweckmäßig erscheint, um die hier gemeinte Aufgabe klarer herauszustellen, einen anderen Begriff dafür zu wählen. Ich möchte daher hier die Formel einer ›transzendentalen Theorie der Gesellschaft‹ wagen […]. Es darf dabei an die Definition Kants erinnert werden: ›Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, sofern diese apriori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt‹, wie es in der ›Kritik der reinen Vernunft‹ (B ) heißt, oder vielleicht besser noch an den Satz im Anhang der ›Prolegomena‹: ›Das Wort bedeutet nicht etwas, das über alle Erfahrung hinausgeht, sondern was vor ihr zwar vorhergeht, aber doch zu nichts mehrerem bestimmt ist, als lediglich Erfahrungserkenntnis möglich zu machen. Wenn diese Begriffe die Erfahrung überschreiten, dann heißt ihr Gebrauch transzendent‹.« (Helmut Schelsky , Ortsbestimmung der deutschen Soziologie, S. .)

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›Theorie der Gesellschaft‹ im Sinne der Soziologie untragbar ist …«31 (Schelsky). König sucht mit der Kritik am Monopolanspruch der »empirischen Sozialforschung«, wie sie von Horkheimer/Adorno vorgetragen wurde, fertig zu werden, indem er die unbequeme Kontroverse in das Nebeneinander zweier Richtungen umwandelt. Die beiden von ihm vorgeschlagenen Bezeichnungen klingen tautologisch, ein Zeichen dafür, daß hier Sachen getrennt wurden, die im lebendigen Sprachgebrauch zusammengehören. In Wahrheit wendet sich König mit seinem Vorschlag gegen die Theorie in den Sozialwissenschaften. Wird die Theorie aber von der empirischen Forschung getrennt, so bleiben der letzteren überhaupt nur noch reine Klassifikationskategorien und die Verifizierung/Falsifizierung dieser Kategorien. Die Sterilität, die sich in wachsendem Maße in der empirischen Sozialforschung beobachten läßt, hängt damit zusammen, daß sie sich eine selbständige Theorie abschneidet. Damit wird dem Positivismus heute schon seine eigene Rechnung präsentiert. Die herrschende Begriffslosigkeit wird perpetuiert, indem als Begriff nur das zugelassen wird, was schon selbst aus den empirischen Untersuchungen stammt. . Schelskys Forderung nach Selbstbesinnung gegenüber den klassifikatorischen Begriffen der empirischen Sozialforschung32 ist höchst legitim. Wo sie fehlt, wird die Konfrontation von Theorie und Gesellschaft von vornherein ein31

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»Der Dualismus von ›soziologischer Theorie‹ und ›Theorie der Gesellschaft‹ ist von König nicht ernst gemeint: Er wird so dargestellt, daß die ›Theorie der Gesellschaft‹ im Sinne der Soziologie untragbar ist und allenfalls bei einer scharfen Trennung von Soziologie und Philosophie dieser als eine uns Soziologen nicht interessierende unwissenschaftliche Liebhaberei überlassen werden kann.« (Ebd., S. .) Schelsky bezieht sich hier auf René Königs Einleitung in das von diesem herausgegebene ›Fischer Lexikon‹ Soziologie. Darin hat König bemerkt, »daß die sorgsame Trennung von Theorie und Praxis keineswegs das Gefühl für die wirklichen Nöte des Lebens verkümmern lassen muß. […] Man kann das vorliegende Problem nicht besser charakterisieren, als indem man zwischen einer soziologischen Theorie einerseits und einer Theorie der Gesellschaft andererseits unterscheidet. Während sich die soziologische Theorie in einzelnen, deutlich gegeneinander abgrenzbaren Problemen bewegt, die auf bestehender Erkenntnis weiterbauen oder diese auch widerlegen, bemüht sich die Theore der Gesellschaft um die Deutung der Totalität des sozialen Daseins.« (König , »Einleitung«, S. .) Vgl. das dritte Kapitel der Ortsbestimmung der deutschen Soziologie, »Die empirische Sozialforschung« (Schelsky , Ortsbestimmung der deutschen Soziologie, S.  ff.).

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geengt zugunsten eines Corpus von Sätzen, deren Angemessenheit überhaupt nicht geprüft worden ist. Das Verhältnis von Theorie und Gesellschaft wird aber auch bei Schelsky dekretorisch vorentschieden. Seine »transzendentale Theorie der Gesellschaft« (oder: »kritische Theorie des Sozialen«, »Philosophie der Soziologie«) soll »Sinn und Grenzen des Sozialen und des soziologischen Denkens … bestimmen«33. »Transzendental« hieß bei Kant die Erkenntnis, die sich nicht mit Gegenständen, sondern mit der »Erkenntnisart von Gegenständen, sofern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt«34. Man wird hier an Simmels »soziologische Aprioritäten« erinnert, formale Konstituentien, die sich auf Beziehungen zwischen Menschen beziehen.35 Schelsky rekurriert darum nicht auf Simmel, weil heute die Reduktion von Gesellschaft auf formal-psychologische Beziehungen nicht mehr möglich scheint. Konfrontiert mit den übermächtigen Institutionen und der entfesselten Dynamik der Gesellschaft sucht die Theorie ihre Fundamente außerhalb von Gesellschaft: in – biologischen – Invarianten und in dogmatisch gesetzter, an sich seiender Moralität und Religiosität. Durch den Begriff des »Transzendentalen« wird die Vorstellung fixiert, die Begründung der Wissenschaft müsse außerhalb dieser und unabhängig von den Objekten geschehen. Freiheit von Vergesell-

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34 35

Schelsky hat geschrieben, seine »›transzendentale Theorie‹« überschreite die »Einzelforschung« sowie das »System der allgemeinen Soziologie«, setze »aber beide insofern voraus, als sie die ›Bedingungen‹ dieses soziologischen Denkens und des in ihm Gedachten zu erörtern hat. Ihre formale und ihre materielle Aufgabe – auch diese Theorie hat diese zwei Seiten – bestehen also darin, Sinn und Grenzen des Sozialen und des soziologischen Denkens zu bestimmen.« (Ebd., S.  f.) Siehe in diesem Kapitel oben, Anm. . Georg Simmel hat es sich in seinem »Exkurs über das Problem: Wie ist Gesellschaft möglich?« (Georg Simmel , Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, S.  ff.) in Anlehnung an Kants Transzendentalphilosophie zur Aufgabe gemacht, »die Frage nach den apriorischen Bedingungen, auf Grund deren Gesellschaft möglich ist, in analoger Weise zu behandeln.« (Ebd., S. .) Er nennt drei ›soziologische Apriori‹ als Möglichkeitsbedingung von Gesellschaft: »Wir stellen jeden Menschen, mit besondrer Folge für unser praktisches Verhalten zu ihm, als den Typus Mensch vor, zu dem seine Individualität ihn gehören läßt« (ebd., S. ); »daß jedes Element einer Gruppe nicht nur Gesellschaftsteil, sondern außerdem noch etwas ist« (ebd., S. ), und: »Daß jedes Individuum durch seine Qualität von sich aus auf eine bestimmte Stelle innerhalb seines sozialen Milieus hingewiesen ist« (ebd., S. ).

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schaftung meint Schelsky in »reflektierender Subjektivität«, »moralischem Gewissen« und »religiösem Glauben« zu finden.36 Das theoretische Moment soll gerettet (und zugleich entschärft) werden durch Absehen von der sozialen Realität. »Archaisierende Sozialethik kommt zum Braten der Empirie, woran man nicht satt wird, als Garnierung hinzu« (Adorno). Schelskys scheinbar neutraler wissenschaftstheoretischer Ansatz drängt seine Theorie in eine ganz bestimmte Richtung: im Gesellschaftlichen wird Gewicht gelegt auf das, was nicht gesellschaftlich ist (Schelsky: »Soziales durch nicht Soziales erklären«), den sogenannten »Invarianten«37 zu besonderer Bedeutung verholfen und dabei völlig verkannt, daß die biologischen Eigenschaften der Gattung immer nur in historisch-sozialer Modifikation gesellschaftlich relevant werden. . Die Schelskysche Verabsolutierung des Subjekts gegenüber der Gesellschaft ist selbst ein Stück Ideologie, – Repristination des Idealismus (der den Geist verabsolutiert und durch diese »Invarianz« die gesellschaftliche Realität vor der Kritik sicherstellt), der längst gültig kritisiert wurde. Natürlich gibt es ein subjektives Moment, das in Gesellschaft nicht aufgeht, das sich in der Vergesellschaftung über sie erhebt. Gäbe es das nicht, so erstarrte die Gesellschaft in tödlicher Konformität à la »« oder »Brave New World«38. Dies subjektive Moment besteht jedoch selber nur als ein Vermitteltes; wird es 36

37 38

»Zu fragen wäre: Welches ist der allgemeine Standpunkt des Menschen in unserer Gesellschaft, der ihn jenseits des sozialen Zwanges und damit der Gesellschaft gegenüber stellt? Zu antworten wäre darauf: die reflektierende Subjektivität, die sich in keine soziale Erfüllung endgültig entäußert oder von keiner sozialen Kraft endgültig determinieren läßt; das moralische Gewissen, das in der sozialen Wirklichkeit kein endgültiges Kriterium seiner Bestätigung oder Widerlegung findet; der religiöse Glaube, der sich an keine soziale Wirklichkeit, auch nicht seine eigene, letzthin gebunden fühlt. Die Konfrontation, um die es dabei jeweils geht, könnte in der Thematik ›die subjektive Reflexion und der Zwang des Sozialen‹ oder pointierter ›die Subjektivität und die Institutionen‹ zusammengefaßt werden. Sie als das formale und materielle, begriffliche und praktische Schema der Auseinandersetzung des Menschen mit unserer Gesellschaft nachzuweisen, wäre zunächst die Aufgabe einer so angelegten Theorie der Gesellschaft. Von ihr aus ist der Teil der Soziologie zu entwickeln, der Soziales durch Nichtsoziales erklärt.« (Schelsky , Ortsbestimmung der deutschen Soziologie, S. .) Kein Zitat, sondern die Interpretation des Zitierten. Vgl. George Orwell , Nineteen eighty-four, bzw. ders. , , sowie Aldous Huxley , Brave New World, bzw. ders. , Welt – wohin? Ein Roman der Zukunft. – Zu Adornos Behandlung des Romans Huxleys vgl. Adorno, »Aldous Huxley und die Utopie«, AGS, Bd. ., S.  ff.

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isoliert und verabsolutiert, wird es falsch. Das Moment des Nicht-in-Vergesellschaftung-Aufgehens ist weder durchzustreichen noch zu verabsolutieren, – es fällt in die Dialektik. (Dies ist die Stelle, an der es mit Philosophie in Soziologie ernst wird!) Der Antagonismus von Individuum und Gesellschaft drückt sich darin aus, daß weder die Reduktion von Psychologie auf Gesellschaft, noch auch die umgekehrte, wie sie von den Neo-Freudianern versucht wird,39 durchführbar ist. Das Auseinanderweisen von Psychologie und Soziologie, das sich in der arbeitsteiligen Wissenschaft spiegelt, ist nicht ein letztes, sondern fällt selber in die Theorie. (Vgl. Adorno, »Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie«, Sociologica I, S.  ff.)40. Schelsky versucht, das nicht unmittelbar gesellschaftlich zu Erklärende zu jenseits des Sozialen gelegenen Invarianten zu hypostasieren. . Als materielles Thema seiner »transzendentalen Theorie« bezeichnet Schelsky – im Gegensatz zur Vorstellung einer befreiten Gesellschaft – »die Bestimmung der Freiheit des Menschen von der Gesellschaft«41. Der Wunsch nach Freiheit von der Gesellschaft erscheint, einer Gesellschaft gegenüber, deren Wahrzeichen die Atombombe ist, völlig verständlich. Die Freiheit des Menschen von der Gesellschaft ist aber nur möglich als Befreiung der Gesellschaft. Die Emanzipation des Individuums ist nicht zu leisten durch Einrichtung irgendwelcher Sondersphären (Freizeit-Diskussion!)42, sondern allein durch Herstellung einer Gesellschaft freier Menschen. Die kritische Theorie postuliert keinen extra-sozialen Standpunkt; ihr schwebt die Möglichkeit einer richtig eingerichteten Gesellschaft nicht als extrasozialer Wertbezug, sondern als reale Aufhebung der Antagonismen vor; sie befördert Kritik der Gesellschaft durch die reale Tendenz der Gesellschaft selber. 39

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Bereits  wirft Adorno den ›Neo-Freudianern‹ vor, sie strebten »etwas wie eine Soziologisierung der Psychoanalyse« an. (Ders., »Die revidierte Psychoanalyse«, AGS, Bd. , S. .) Adorno , »Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie«; jetzt: ders., »Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie«, AGS, Bd. , S.  ff. »Diese Art Kritik oder Sinngebung des Sozialen, die wir der transzendentalen Theorie der Gesellschaft ausdrücklich als ihre materielle Aufgabe zuschreiben, besteht also in der Explikation der Bestimmungen der Freiheit des Menschen von der Gesellschaft und in einer von dort aus vorzunehmenden sinnkritischen und d.h. auch wertenden Reflexion des sozialen Gesamttatbestandes, wie er von der empirischen und analytischen Soziologie erkannt und gedacht ist« (Schelsky, Ortsbestimmung der deutschen Soziologie , S. ). Vgl. Adorno, »Freizeit«, AGS, Bd. ., S.  ff.

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TEIL II

Die Behauptung aber, es gäbe eine objektive (automatisch wirkende) Entwicklungstendenz der Gesellschaft, die zu einer höheren Form führe, ist heute nicht (mehr) möglich. Die einzig mögliche Beziehung auf objektive Interessen ist heute die negative: wird die Gesellschaft nicht rational verfaßt, so geht sie unter. Auf die Bemerkung, dann dürfe die kritische Theorie also nur noch sagen: »So … nicht!«, erwiderte Adorno, dies eben sei das Deckbild der Vorstellung freier Menschen in freier Gesellschaft. . Die Debatte um die »kritische Theorie« entzündete sich an folgenden Fragen: Früher stand kritische Theorie im Zusammenhang mit der sozialen Bewegung der Arbeiterschaft. Sie soll als Kriterium ihrer Wahrheit so etwas wie Praxis haben. Wird nicht die Theorie, die sich nicht mehr auf ein gesellschaftliches Subjekt beziehen kann, irrelevant, zum bloßen »Spiel für Intellektuelle«? Kann der Gedanke nicht »zur materiellen Gewalt werden«43, so muß die Theorie über ihren Wahrheitsgehalt reflektieren. – Das Fehlen einer breiten sozialen Resonanz besagt nichts gegen die Möglichkeit von kritischer Theorie. Auch wenn sie sich nur in ein paar Köpfen konstituiert, sind diese Schnittpunkte sozialer Tendenzen. Theorien, die irgendwo gedacht werden, sind nicht »Privateigentum«,44 – in ihnen lebt die Dynamik der Epoche. Unter diesem Aspekt sind Theorien, die nur von einigen Menschen gedacht werden, nicht durch einen Abgrund von solchen getrennt, die unmittelbar die gesellschaftliche Tendenz aussprechen. Wird jedem Gedanken der Paß abverlangt, was man denn damit anfangen könne, so diffamiert man eben jene Gedanken, die nicht unmittelbar die Welt

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44

»Nicht nur die Theorie, sondern ebenso deren Absenz wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift.« (Ders., »Soziologie und empirische Forschung«, AGS, Bd. , S. .) – Adorno wandelt hier einen Satz von Marx ab, der sagt: »Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen, die materielle Gewalt muß gestürzt werden durch materielle Gewalt, allein auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift.« (Marx, »Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie«, MEW, Bd. , S. .) Entsprechend äußert sich Adorno zu Beginn : »Die Entrüstung über meine Nachahmer ist nachgerade so sozialisiert, daß ich anfange, jenen besonders zu mißtrauen, die sozusagen päpstlicher sind als ich und aus meinen Sachen das machen wollen, was sie ihrem eigenen Sinn nach am wenigsten sein können: Eigentum.« (Adorno an Claus Behnke, . Februar , Detlev Claussen , Theodor W. Adorno. Ein letztes Genie, S. .)

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verändern, weil sie die einzigen sind, die nicht ins Getriebe passen.45 Da die Theorie gegenwärtig nicht unmittelbar eingreifen kann, soll sie auch nicht so tun, als könnte sie es. Festzuhalten ist: »Die avancierten Gedanken sind niemals so esoterisch, wie ihre Feinde es sich vorstellen« (Adorno). . Schelsky hat recht mit seinem Vorwurf, die kritische Theorie sei bis heute unausgeführt geblieben.46 Was vor allem fehlt, ist eine umfassende Theorie der politischen Ökonomie, die den neuen Entwicklungen gerecht wird. Die klassische ökonomische Theorie (Smith – Ricardo) hatte es mit einer rational funktionierenden Gesellschaft zu tun, hatte das Modell einer freien Marktwirtschaft in der Realität vor Augen. Heute ist Ökonomie ein blinder Zusammenhang, der Rudimente der Tauschgesellschaft und staatliche Interventionen nebeneinander enthält. Der Anspruch ihrer eigenen Totalität wird von der Gesellschaft nicht mehr erhoben. Das macht die objektive Schwierigkeit der ökonomischen Theorie aus. Damit entfällt nicht die Möglichkeit immanenter Kritik. Die Übermacht der Institutionen ist nicht mit Unverstehbarkeit zu verwechseln. Unverstehbarkeit besteht nur dann, wenn die Menschen sich von solcher Übermacht das Denken verschlagen lassen. Die sozialen Momente der ökonomisch-politischen Entwicklungen sind verstehbar, die Ohnmacht der Individuen aus der Konzentration des Kapitals und der Verfügungsgewalt ableitbar. Zur Erkenntnis der Gefahr der Atombombe bedarf es nur des bon sens, – die immanente Kritik ist hier etwas sehr Einfaches! Die Kritik der politischen Ökonomie hätte heute zu zeigen, daß die Gesellschaft in ihrer eingestandenen Irrationalität zu den Interessen aller Menschen im Widerspruch steht. Diese Gedanken sind verbreitbar und könnten weitreichende politische Konsequenzen haben.

45 46

Vgl. Adorno, »Marginalien zu Theorie und Praxis«, AGS, Bd. ., S.  f. »Ehe wir auf die näheren Kennzeichen und Bestimmungen der so von uns geforderten ›transzendentalen Theorie der Gesellschaft‹ eingehen, sei klar gesagt, daß wir sie heute nirgends haben, weder bei uns noch anderswo. Ein Anspruch in dieser Richtung ist jedoch im letzten Jahrzehnt von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno immer vertreten worden. Noch ist sie aber Desiderat.« (Schelsky , Ortsbestimmung der deutschen Soziologie, S. .)

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13.4 Hans-Jürgen Krahl, 3. Februar 1966 Protokoll der Sitzung des Philosophischen Hauptseminars (Prof. Adorno) vom . Febr.  Protokollant: Hans-Jürgen Krahl Interpretation und Diskussion einer Textstelle der Wesenslogik (Wissenschaft der Logik, Bd. , ed. G. Lasson, S. )47 Das Wesen einer Sache bestimmt sich durch seinen Gegensatz zum ihrem unmittelbaren Sein. Mit dieser klassischen Definition der ›essentia rei‹ durch die überlieferte Metaphysik anhebend, daß nämlich »hinter diesem Sein noch etwas anderes ist als das Sein selbst, daß dieser Hintergrund die Wahrheit des Seins ausmacht« (p. )48, argumentiert die Hegelsche Wesenslogik auch gegen jene Bestimmung. Denn im Widerspruch zu dem, das sich empirisch unmittelbar als wirklich ausgibt, erweist sich das Wesen als zunächst unwirklich, ebenso als Schein. Die wesentliche Beziehung auf eine Sache ist, da sie vom Bereich der sinnlichen Erfahrung absieht, gleichgültig gegen ihre empirischen Momente. Indem aber das Wesen, »die Wahrheit des Seins«, dessen raum-zeitliche Bestimmungen zu bloßem Schein herabsetzt, negiert sie diese. Der Begriff der Negation ist insofern zentral für den des Wesens, als mit der Unterscheidung von 47

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Die entsprechende Textstelle lautet: »Das Wesen kommt aus dem Sein her; es ist insofern nicht unmittelbar an und für sich, sondern ein Resultat jener Bewegung. Oder das Wesen zunächst als ein unmittelbares genommen, so ist es ein bestimmtes Dasein, dem ein anderes gegenüber steht; es ist nur wesentliches Dasein gegen unwesentliches. Das Wesen ist aber das an und für sich aufgehobene Sein; es ist nur Schein, was ihm gegenübersteht. Allein der Schein ist das ganze Setzen des Wesens. [Absatz] Das Wesen ist erstens Reflexion. Die Reflexion bestimmt sich; ihre Bestimmungen sind ein Gesetztsein, das zugleich Reflexion in sich ist; es sind [Absatz] zweitens diese Reflexions-Bestimmungen oder die Wesenheiten zu betrachten. [Absatz] Drittens macht sich das Wesen, als die Reflexion des Bestimmens in sich selbst, zum Grunde und geht in die Existenz und Erscheinung über.« (Hegel , Wissenschaft der Logik. Zweiter Teil, S. ; vgl. ders. , Wissenschaft der Logik · II. Erster Teil. Die objektive Logik. Zweites Buch. Zweiter Teil. Die subjektive Logik, S. .) »Die Wahrheit des Seins ist das Wesen. [Absatz] Das Sein ist das Unmittelbare. Indem das Wissen das Wahre erkennen will, was das Sein an und für sich ist, so bleibt es nicht beim Unmittelbaren und dessen Bestimmungen stehen, sondern dringt durch dasselbe hindurch, mit der Voraussetzung, daß hinter diesem Sein noch etwas anderes ist als das Sein selbst, daß dieser Hintergrund die Wahrheit des Seins ausmacht.« (Ders. , Wissenschaft der Logik. Zweiter Teil, S. ; vgl. ders. , Wissenschaft der Logik · II, S. .)

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Wirklichkeit und Wesen, Schein und Wirklichkeit keine bloß gleichgültige, sondern eine explizit negative Beziehung vorliegt, »das durch die Negativität seiner selbst sich mit sich vermittelnde Seyn« (Enzyklopädie § 49)50. Das Wesen weiß sich gegenüber der Unmittelbarkeit des Seins als ein vermitteltes. »Erst indem das Wissen sich aus dem unmittelbaren Sein erinnert, durch diese Vermittlung findet es das Wesen.« (p. )51 Zwar hat auch die Seinslogik nicht die Unmittelbarkeit zum Gegenstand, sondern handelt von Begriffen mit immer auch wesenslogischen Implikaten, doch im Unterschied zur Wesenslogik zielt die des Seins in ›intentione recta‹ auf die Kategorien und arbeitet ihre Begriffe direkt aus dem Sein heraus. Negation ist in ihr vor allem Distinktion. Die Wesenslogik hingegen begreift die so erhaltenen Seinsbestimmungen als Abstraktionsprodukte und zeigt den kategorialen Objektbereich als einen Zusammenhang von Reflexionsbestimmungen auf, die in einem anderen Stadium des Erkenntnisprozesses sich wieder zu solchen des Seins vergegenständlichen. Hegel skizziert die Differenz der Wesenslogik zu der des Seins: »Dieses Bestimmen ist denn anderer Natur als das Bestimmen in der Sphäre des Seins, und die Bestimmungen haben einen andern Charakter als die Bestimmtheiten des Seins. … Die Negativität des Wesens ist die Reflexion, und die Bestimmungen [sind] reflektierte, durch das Wesen selbst gesetzte und in ihm als aufgehoben bleibende.« (p. )52 Die Wesenslogik als Selbstreflexion der in der Seinslogik entwickelten Kategorien entspricht der kantischen Vernunftkritik, aber ohne Konstitutionslehre, die einseitig subjektive Begründung von Objektivität zu sein. Das vermittelte Wesen ist dem Sein, dem es sich entgegensetzt, nicht schlechthin transzendent, sondern resultiert aus dessen Selbstreflexion. »Das Wesen kommt aus dem Sein her; es ist insofern nicht unmittelbar an und für sich, sondern ein Resultat jener Bewegung.« (p. ) Die Erkenntnis des Wesens 49 50

51 52

Korrigiert aus: »«. »Das Wesen, als das durch die Negativität seiner selbst sich mit sich vermittelnde Seyn, ist die Beziehung auf sich selbst, nur indem sie Beziehung auf Anderes ist, das aber unmittelbar nicht als Seyendes, sondern als ein Gesetztes und Vermitteltes ist.« (Ders. , System der Philosophie. Erster Teil. Die Logik, mit einem Vorwort von Leopold von Henning, S. ; vgl. ders. : Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (). Erster Teil. Die Wissenschaft der Logik. Mit den mündlichen Zusätzen, S. .) Ders. , Wissenschaft der Logik. Zweiter Teil, S. ; vgl. ders. , Wissenschaft der Logik · II, S. . Ders. , Wissenschaft der Logik. Zweiter Teil, S. ; vgl. ders. , Wissenschaft der Logik · II, S. .

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als der Transzendenz des Seins ist dessen immanentes Hinausgehen; sie geht »den Weg des Hinausgehens über das Sein oder vielmehr des Hineingehens in dasselbe« (p. )53, in dessen Verlauf das Sein zu sich selbst kommt. Das Wesen, Reflexionsprodukt des Seins, »ist aber das an und für sich aufgehobene Sein; es ist nur Schein, was ihm gegenübersteht« (p. ). Im engeren systematischen Kontext gewinnt die Lesart, das Sein sei als Schein vom Wesen abgesetzt, grammatisch an Plausibilität. In einem zentraleren Sinn erweist sich jedoch die Wesenslogik als eine Logik des Scheins, welche der »negativen Natur des Wesens« gerecht wird. Jedoch nur »der Schein ist das eigene Setzen des Wesens«. (p. ) Damit aber bestimmt sich das sich von der unmittelbaren Wirklichkeit auf ein ihm zunächst Scheinbares entfernende wesentliche Erkennen als Reflexion, die vom unmittelbaren Schein sich dadurch unterscheidet, daß sie der »in sich gegangene, hiemit seiner Unmittelbarkeit entfremdete Schein ist« (p. )54. Der so verwendete Reflexionsbegriff ist nicht der pejorativ von der Spekulation unterschiedene des bloßen Verstandesgebrauchs, sondern metaphorisch aus dem Bereich der Optik übertragen, deutet er auf die Widerspiegelung einer Entität in sich selbst. Nicht erst durch ein von außen hinzutretendes Bewußtsein reflektiert sich das Sein zum Wesen, sondern es scheint in sich selbst, was freilich nur gelingen kann im Rahmen der Sein vorweg zu Geist auflösenden Generalthesis des absoluten Idealismus. Die Reflexionsbestimmungen sind sowohl subjektiv gesetzt als objektiv begründet. »Die Reflexion bestimmt sich; ihre Bestimmungen sind ein Gesetztsein, das zugleich Reflexion in sich ist.« (p. ) Darin ist enthalten, daß die Sache von sich aus die Unterscheidung dessen fordert, was ihr wesentlich und was ihr unwesentlich sei. Die subjektive Reflexion des Wesens ist von der Sache selber stimuliert. Im systematischen Gang der immanenten Selbstreflexion des Wesens vergegenständlicht es sich zu den Kategorien, deren Analyse die Ableitung der ontischen Bestimmungen aus denen der Reflexion zum Thema hat, und soll es

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»Diese Erkenntnis ist ein vermitteltes Wissen, denn sie befindet sich nicht unmittelbar beim und im Wesen, sondern beginnt von einem Andern, dem Sein, und hat einen vorläufigen Weg, den Weg des Hinausgehens über das Sein oder vielmehr des Hineingehens in dasselbe zu machen.« (Ders. , Wissenschaft der Logik. Zweiter Teil, S. ; vgl. ders. , Wissenschaft der Logik · II, S. .) »Der Schein ist dasselbe, was die Reflexion ist; aber er ist die Reflexion als unmittelbare; für den in sich gegangenen, hiemit seiner Unmittelbarkeit entfremdeten Schein haben wir das Wort der fremden Sprache, die Reflexion.« (Ders. , Wissenschaft der Logik. Zweiter Teil, S. ; vgl. ders. , Wissenschaft der Logik · II, S. .)

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sich schließlich wieder raumzeitlich objektivieren; »das Wesen muß erscheinen« (p. )55. Diese Dialektik von Wesen und Schein bezeichnet Hegels Kritik der philosophischen Tradition. Insofern er das Wesen gegenüber der sinnlichen Mannigfaltigkeit immer auch als Schein begreift, nimmt er die nominalistische und transzendentalphilosophische Metaphysikkritik auf und sucht sie zugleich metakritisch zu überbieten, da der Schein nicht nur subjektive ›thesis‹ ist, sondern ein ›fundamentum in re‹ hat; doch fällt die Rehabilitation des metaphysischen Wesensbegriffs nicht naiv hinter jene Ontologiekritik zurück; sie geht in dem Maße über sie hinaus, als die Objektivität der Reflexionsbestimmungen selber noch reflexiv ans begreifende Subjekt gebunden ist: immanente Selbstreflexion des Gesetztseins. Damit sucht die Wesenslogik in Korrespondenz zum Anfang der ›Phänomenologie des Geistes‹ deren kritisches Programm der Erkenntnistheorie, das eigentlich im Nachweis ihrer Unmöglichkeit als einer reinen, also inhaltsleeren Methodologie besteht, auszuführen. Solange das Sein bloß ein »unwesentliches Dasein« gegenüber einem »wesentlichen« ist, fällt das Wesen, auf dieser Stufe »bestimmte Negation« (p. )56 in die Akzidentalität zurück. »Das Wesen aber ist die absolute Negativität des Seins« (p. )57, das sich vom noch unwesentlichen Dasein zum »wesenlosen Sein« negiert. Diese Selbstaufhebung des Seins, seine immanente Nichtigkeitserklärung, versucht freilich im Rahmen der Dialektik von Wesen und Schein ei55 56

57

Ders. , Wissenschaft der Logik. Zweiter Teil, S. ; vgl. ders. , Wissenschaft der Logik · II, S. . »Das Wesen ist das aufgehobene Sein. Es ist einfache Gleichheit mit sich selbst, aber insofern es die Negation der Sphäre des Seins überhaupt ist. So hat das Wesen die Unmittelbarkeit sich gegenüber als eine solche, aus der es geworden ist und die sich in diesem Aufheben aufbewahrt und erhalten hat. Das Wesen selbst ist in dieser Bestimmung seiendes, unmittelbares Wesen, und das Sein nur ein Negatives in Beziehung auf das Wesen, nicht an und für sich selbst, das Wesen also eine bestimmte Negation. […] Der Unterschied von Wesentlichem und Unwesentlichem hat das Wesen in die Sphäre des Daseins zurückfallen lassen, indem das Wesen, wie es zunächst ist, als unmittelbares seiendes, und damit nur als Anderes bestimmt ist gegen das Sein.« (Ders. , Wissenschaft der Logik. Zweiter Teil, S.  f.; vgl. ders. , Wissenschaft der Logik · II, S. .) »Das Wesen aber ist die absolute Negativität des Seins; es ist das Sein selbst, aber nicht nur als ein Anderes bestimmt, sondern das Sein, das sich sowohl als unmittelbares Sein wie auch als unmittelbare Negation, als Negation, die mit einem Anderssein behaftet ist, aufgehoben hat.« (Ders. , Wissenschaft der Logik. Zweiter Teil, S. ; vgl. ders. , Wissenschaft der Logik · II, S. .)

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ne Kritik der tradierten ontologischen Diskreditierung des Seins. Gerade als nichtiger Schein sei es mehr als ein »bloß unwesentliches Dasein« (p. )58, nicht einfach dem Wesen gegenüber zu vernachlässigen, in dessen Licht es erst als das erscheint, was es ist. Der Schein selber ist wesentlich; »außer seiner Nichtigkeit, außer dem Wesen ist er nicht« (p. )59. Das ist freilich eine schon wieder identitätsphilosophische Bestimmung, der unter der Hand die kritische Intention, das in der europäischen Philosophie Nichtige als auch wesentlich zu erweisen, idealistisch in den Versuch umschlägt, das Andere als nur scheinbar Anderes zu ins System zu integrieren. Andererseits verweist Hegels Identifikation des Wesens mit seiner Negativität, dem Schein, der »nicht ein Äußerliches, dem Wesen anderes, sondern sein eigener Schein« (p. 60)61 ist, auf die Selbstunterscheidung des Wesens, die selber die Differenz zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem ist. Die Unterscheidung von Wesen und Schein ist keine formallogische, sie reflektiert sich kritisch aus der traditionellen Logik als eine wesentlich negative: Distinktionen, die voneinander als getrennt vorgestellt werden, sind sowohl durch Gegensatz wie Identität vermittelt – Motiv der Vermittlung durch den Widerspruch, das konstitutiv für die dialektische Logik ist. So fällt der Schein als eine selber noch wesentliche Unterscheidung in die Logik des Wesens. Noch ist nach dieser Seite die wesentliche Differenz auch wieder eine unwesentliche; denn das Sein, das sich zum wesenlosen Schein reflektiert, läßt das Wesen aus sich hervorgehen, was es nur vermöge der Bestimmungen, die ihm 58

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»Das Sein oder Dasein hat sich somit nicht als Anderes, denn das Wesen ist, erhalten, und das noch vom Wesen unterschiedene Unmittelbare ist nicht bloß ein unwesentliches Dasein, sondern das an und für sich nichtige Unmittelbare; es ist nur ein Unwesen, der Schein.« (Ders. , Wissenschaft der Logik. Zweiter Teil, S. ; vgl. ders. , Wissenschaft der Logik · II, S. .) »Das Sein ist Schein. Das Sein des Scheins besteht allein in dem Aufgehobensein des Seins, in seiner Nichtigkeit; diese Nichtigkeit hat es im Wesen, und außer seiner Nichtigkeit, außer dem Wesen ist er nicht. Er ist das Negative gesetzt als Negatives.« (Ders. , Wissenschaft der Logik. Zweiter Teil, S. ; vgl. ders. , Wissenschaft der Logik · II, S. .) Korrigiert aus: »«. »Das Wesen aus dem Sein herkommend scheint demselben gegenüber zu stehen; dies unmittelbare Sein ist zunächst das Unwesentliche. [Absatz.] Allein es ist zweitens mehr als nur unwesentliches, es ist wesenloses sein, es ist Schein. [Absatz.] Drittens, dieser Schein ist nicht ein Äußerliches, dem Wesen Anderes, sondern er ist sein eigener Schein. Das Scheinen des Wesens in ihm selbst ist die Reflexion.« (Ders. , Wissenschaft der Logik. Zweiter Teil, S. ; vgl. ders. , Wissenschaft der Logik · II, S. .)

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im ersten Teil der Logik prädiziert wurden und seiner Reflexion auf sie zu leisten vermag. Aber die Unwesentlichkeit der durchs Sein bedingten wesentlichen Unterscheidung ist selbst noch eines ihrer Momente. Die Differenz von Wesentlichem und Unwesentlichem, die Fähigkeit zu geistiger Erfahrung, ist konstitutiv für eine Lehre von der Erkenntnis überhaupt, und zwar um so relevanter, je mehr der Positivismus im Rekurs auf das, was ihm in historisch wechselnden Manifestationen als das jeweils unmittelbar Gewisse galt, diese als der sinnlosen Metaphysik verdächtig einzuebnen trachtet. Die Annahme eines deutlichen methodischen Bruchs zwischen der Seinsund der Wesenslogik, etwa derart, daß im prozessualen Erkenntnisvollzug dort ein »Übergehen«, hier nur ein »Setzen« erfolge, wird hinfällig, wenn damit die Wesenslogik in eine bloß subjektive ›thesis‹ zurückfiele – eine Vermutung, die vergäße, daß die Logik des Seins von sich aus verbindlich das Wesen verlangt. Allerdings reflektiert sich die Sache nur dadurch, daß alle Bestimmungen in ihrer Abstraktheit genommen sich in sich reflektieren. Das subjektive Moment kann nur deshalb aus allen herausgeholt werden, weil es ihnen vorweg inhäriert. Die Wesenslogik bringt die subjektive Abstraktion zum Bewußtsein ihrer selbst, wobei aber die Reflexionsbestimmungen nur aus der Objektivität der Seinskategorien begründet werden können. Die Seinslogik bestimmt sich wesentlich als Kritik der diskursiven Logik, die Logik des Wesens beinhaltet zentral die genetische Kritik und enthält im engeren Sinn die »genetische Exposition des Begriffs« (vgl. p. 62)63. Die immanente Entfaltung dieser negativen, also wesentlichen Bewegung vermag pointiert werden: Je eindringlicher sich das Erkennen in die Analyse des Objekts vertieft, desto mehr zeigt sich das Objekt qua Objekt als Subjekt. (Anm.: Die in Klammern angegebenen Seitenzahlen beziehen sich, wenn nicht anders vermerkt, auf G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik, Bd. II, ed. Lasson, Leipzig )

62 63

Korrigiert aus: »«. »Die objektive Logik, welche das Sein und Wesen betrachtet, macht […] eigentlich die genetische Expostition des Begriffes aus.« (Ders. , Wissenschaft der Logik. Zweiter Teil, S. ; vgl. ders. , Wissenschaft der Logik · II, S. .)

14 Seminarprotokolle und wissenschaftliche Edition

. Es klopft? Herein! Wer will mich wieder plagen? . Ich bin’s. . Herein! . Du mußt es dreimal sagen. . Herein denn! G, F

14.1 Seminarprotokolle und Vorlesungsmitschriften Anläßlich einer Besprechung der Veröffentlichung von Mitschriften, die in Martin Heideggers Seminaren zu Hegel und Schelling angefertigt wurden,1 bemerkt Reinhard Mehring: »Während die Publikation von Vorlesungen bzw. Vorlesungsmitschriften im Rahmen von Gesamtausgaben […] schon lange geläufig ist, ist die Publikation von Seminaren bzw. Seminarprotokollen bisher eher unüblich. Auch für den Antipoden Theodor W. Adorno ist sie allerdings inzwischen […] angekündigt.«2 Beides ist zutreffend: Die Veröffentlichungen von Seminarprotokollen sind erstaunlich gering an der Zahl, und derzeit wird die Publikation sämtlicher Sitzungsprotokolle aus den Frankfurter Seminaren Adornos von  bis  vorbereitet. Ebenso ist richtig, daß die Publikation von Vorlesungsmitschriften mittlerweile so üblich ist, daß sie keinem Legitimationsdruck ausgesetzt ist; die Forschungsliteratur, die sich auf derlei Schriften stützt, ist unübersehbar, und sie ist offenkundig ergiebig. Dem Wunsch, Material auch außerhalb des Werkkanons von Wissenschaftlern und Philosophen zur Verfügung gestellt zu bekommen, sind nicht nur zahllose Studienausgaben von Vorlesungsmitschriften zu verdan1 2

Vgl. Heidegger , Seminare. Hegel – Schelling. Mehring , »›Am .I. ist ›Hegel gestorben‹ – nein!‹ Heideggers Wintersemester /«, S. .

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ken, sondern gar historisch-kritische Editionen, wie sie etwa den Mitschriften aus den Vorlesungen Hegels im Rahmen der historisch-kritischen Gesammelten Werke zuteil wird.3 Von der zuständigen Bearbeiterin stammt eine Anmerkung, die über die Problematik der Edition von Vorlesungsmitschriften hinausgeht und implizit zugleich auf die Bedeutung von Seminarprotokollen für die Forschung insgesamt verweist: »Die Authentizität muß auf jeden Fall geprüft werden, da es gilt, Hegels Logik zu edieren und nicht die Gedanken der Nachschreiber zur Logik. So muß die Hegelsche Vorlesung selbst als Maßstab für den zu edierenden Text gelten.«4 Was in Hinblick auf die Wiedergabe von Vorlesungen immerhin diskutabel erscheint – wenngleich nicht recht ersichtlich ist, nach welchen Kriterien der Inhalt der faktisch gehaltenen Vorlesung von der Mitschrift zu unterscheiden wäre, wenn die doch der einzige Überlieferungszeuge ist –, erweist sich angesichts von Seminarprotokollen als vollends unzureichende Bestimmung von Material und dessen Edition.

14.2 Autorschaft, Autorisierung, Authentizität Den philologischen Kategorien der Autorschaft, der Autorisierung sowie der Authentizität5 kommt bei der verantwortlichen Rezeption von Seminarprotokollen eine andere Bedeutung zu als bei zu Lebzeiten publizierten Werken, nachgelassenen Schriften, Vorlesungsnachschriften, Briefwechseln, Tagebüchern und Notizen, sofern sich das Forschungsinteresse auf den Leiter desjenigen Seminars bezieht, dessen Sitzungsprotokolle vorliegen. Die Herausforderung besteht darin, explizit nichtautorisierte Texte mit fremder Autorschaft der wissenschaftlichen Lehrtätigkeit jener Person zuzuordnen, deren Lehre protokolliert wird. Während also einerseits die Verfasser nicht mit der Person identisch sind, auf die sich das wissenschaftliche Interesse richtet, soll das Textmaterial dennoch Aufschluß geben über Forschung und Lehre jener Person. Denn Seminare sind, sofern sie nicht bloß, gleichsam als Art einer Vorlesung, Wissen 3 4 5

Vgl. etwa Hegel , Vorlesungen über die Wissenschaft der Logik I. Nachschriften zu den Kollegien der Jahre /, , , ,  und . Annette Sell , »Das Problem der Authentizität von Nachschriften zu Hegels Vorlesungen über Logik und Metaphysik«, S. . Vgl. Nutt-Kofoth , »Der ›echte‹ Text und sein Autor. Ansätze zu einem funktionalen Authentizitätsbegriff vor dem Hintergrund der Begriffsgeschichte von ›Autorisation‹ und ›Authentizität‹ in der neugermanistischen Editionsphilologie«.

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des Leiters vermitteln, Lehr- und Lernorte (idealerweise für alle Beteiligten), an denen Prozesse der Theoriebildung ablaufen. Nicht die reine Lehre des Dozenten steht im Vordergrund, sondern die Diskussion zwischen Leiter und Studenten (sowie zwischen Studenten untereinander); sie ist es, die die Seminarprotokolle im günstigen Fall dokumentieren. Gegen einen Authentizitätsbegriff gerichtet, der die Person des Seminarleiters absolut setzt, heißt es in der Beschreibung des Editionsprojekts der Sitzungsprotokolle aus Adornos Seminaren: »Wollte man hingegen ein Sitzungsprotokoll rekonstruieren, das der vermeinten Position Adornos entspricht, so ignorierte man gerade die historisch diskursive Situation, in der das Protokoll entstand und deren einzig überliefertes und philologisch-authentisches Zeugnis es ist. Strikter formuliert: Weder der Wille des Herausgebers noch der – gar nicht mehr zu eruierende – Wille Adornos tun editionsphilologisch etwas zur Sache.«6 Oder, noch allgemeiner gesprochen: Seminarprotokolle sind authentisch in bezug auf die Perspektive, die sie auf die entsprechende Sitzung einnehmen.

14.3 Nutzen der Rezeption Aus dieser Konstellation erwächst der spezifischen Nutzen, die Seminarprotokolle für die Forschung, zumal die Soziologiegeschichte haben können. Wie sämtliche Schriften aus Lehrveranstaltungen, bieten sie gegebenenfalls die Möglichkeit des Bezugs auf das Werk dessen, der die Veranstaltung durchführt, d.h., sie sind Bausteine der Erforschung von Theorie- und Werkgenese sowie intellektueller Biographie. Darüber hinaus ermöglichen Seminarprotokolle zugleich die Rekonstruktion von Lehre – gegebenenfalls auch erst des jeweiligen Lehrangebots – aus der Perspektive der Lehrteilnehmer. Sie interessieren, wie Mehring weiter bemerkt, »nicht zuletzt um der Emanzipationsbewegungen der Protokollanten willen. Ein Hegel-Adorno-Protokoll von Hans-Jürgen Krahl wird man nicht nur um Hegel oder Adorno oder gar um der ›Wesenslogik‹ wegen lesen.«7 Auf diese Weise können Seminarprotokolle Daten und Material zur Untersuchung einer Bildung von Schülerschaften oder gar Theorieschulen zur Verfügung stellen, anhand derer sich die Veränderungen von Diskussionsverhalten, -inhalten und 6 7

Siehe oben, Kapitel . Mehring , »›Am .I. …‹«, S. .

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TEIL II

Fortschritte im Umgang mit dem Wissen und dessen Produktion bei den Teilnehmern nachzeichnen lassen. Zugleich lassen sich gegebenenfalls Entwicklungen in der Lehr- sowie Lernpraxis bei Dozenten wie Seminarteilnehmern an den Sitzungsprotokollen ablesen. Geben etwa jene Protokolle, die in der er Jahren in Adornos Seminaren abgefaßt worden sind, in der Hauptsache dessen Lehre sowie eine durchweg sachbezogene Diskussion wider, lassen sich aus Protokollen des Frühjahrs  außerakademische Wünsche der Teilnehmer ablesen, die im Seminar artikuliert wurden: »Es wurde gefordert, im Seminar solle, weil das wichtiger sei, als sich mit dem Positivismus in der Soziologie zu befassen, über die Notstandgesetze diskutiert werden, ›die u.a. nach ihrer Verabschiedung einen neuen Faschismus in der BRD möglich machen würden‹[,] und Adorno solle seine Meinung äußern. ›Prof. Adorno erklärte, aus allem, was er in seinen Veranstaltungen vortrage, sei doch wohl leicht abzuleiten, was er von solchen Gesetzen halte. Wer das nicht merke, dem sei nicht zu helfen.‹ […] Die Aufforderung eines Teilnehmers, Adorno solle aus seiner Rolle als Hochschullehrer heraustreten und die Studenten in der Praxis unterstützen, beantwortete er […] mit dem grundsätzlichen Hinweis darauf, daß das Verhältnis von Theorie und Praxis nicht richtig gefaßt sei: ›Schließlich habe Theorie in der von ihm vertretenen Richtung auch schon eine praktische Funktion.‹«8 Wenn schließlich bemerkt wurde, Seminarprotokolle seien Bausteine der intellektuellen Biographie sowie für eine mögliche ›Schulbildung‹, dann kann sich dies selbstverständlich auch auf die jeweiligen Verfasser der Protokolle beziehen. In diesem Fall hätte ein Sitzungsprotokoll seinerseits Werkcharakter in Hinblick auf dessen Autor; eine Gesamtausgabe der Schriften Hans-Jürgen Krahls etwa – um obiges Beispiel erneut zu bemühen – hätte auch dessen Sitzungsprotokoll aus dem Seminar Adornos aufzunehmen.

14.4 Exemplarische Publikationen von Seminarprotokollen Liegen im Bereich der Philosophie sowie dem der Theologie immerhin einige, wenngleich wenige Protokolle aus den Seminaren bekannter Persönlichkeiten vor,9 stellt sich die Publikationslandschaft für die Soziologie nochmals übersichtlicher dar: Im Rahmen der Gesamtausgabe der Werke Georg Simmels lie8 9

Demirović , »Bodenlose Politik«, S. . Siehe oben, Kapitel .

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gen die Mit- und Nachschriften der Kollegs vor,10 des weiteren sind zwei »Protokolle gemeinsamer Seminare von Alfred Weber und Karl Mannheim ()« veröffentlicht11 sowie zwei weitere »Protokolle von Seminaren Alfred Webers (–)«12, die Bemühungen um die Veröffentlichung sämtlicher Protokolle aus den Seminaren Adornos, auch den soziologischen, wurden erwähnt. Der kleinen Zahl von publizierten Seminarprotokollen steht eine große Menge von Material gegenüber, die archivalische Bestandslage ist alles andere als ungünstig. Die Untersuchung einschlägiger Archive in Frankfurt am Main beispielsweise ergab: »Von der Philosophischen Fakultät und dem Institut für Sozialforschung sind von den Seminaren und Übungen von Theodor W. Adorno, Egon Becker, Max Horkheimer, Jürgen Habermas, Christina Herkommer, Ludwig von Friedeburg, Helge Pross, Klaus Schönbach, Manfred Teschner u.a. umfassende Bestände erhalten geblieben. Von der ehemaligen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät […] sind Materialien der sozilogischen Lehrveranstaltungen von Julius Kraft, Hans Gerth, Thomas Luckmann, Friedrich H. Tenbruck, Dieter Prokop, Walter Rüegg und Wolfgang Zapf aufbewahrt worden.«13 Und die Produktion von Seminarprotokollen setzt sich in der Gegenwart fort, wie ein Blick in die Ratgeberliteratur zur Einführung ins wissenschaftliche Arbeiten zeigt: »Der ursprüngliche gute Sinn eines Protokolls […] ist die Dokumentation des Seminarverlaufs, sowohl für die Teilnehmer des Seminars (den Protokollanten und den leitenden Dozenten eingeschlossen), als auch für Dritte, die sich darüber informieren wollen. […] Werden die Protokolle in einer Mappe (oder in einem Bereich auf der Website) gesammelt und allen Seminarteilnehmern zugänglich gehalten, können diese sich problemlos über den Inhalt versäumter Sitzungen informieren. Überdies halten Protokolle das ganze Semester über den Gesamtzusammenhang der Seminarinhalte präsent (falls ein solcher besteht). Sofern von ihnen entsprechender Gebrauch gemacht wird, verringert sich die Gefahr, daß der Horizont der einzelnen Teilnehmer jeweils nur auf den Umkreis des von ihnen besonders behandelten Themas beschränkt bleibt und sich der Gesamtzusammenhang der Themen im Seminar in isolierte Bruchstücke auflöst.«14 10 11 12 13 14

Vgl. Simmel , Kolleghefte, Mit- und Nachschriften. Demm , Von der Weimarer Republik …, S.  ff. Ebd., S.  ff. Herrschaft , »Die Gestalt …«, S. . Werner Sesink , Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten inklusive E-Learning, Web-Recherche, digitale Präsentation u.a, S.  f.

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TEIL II

14.5 Probleme bei der Publikation Natürlich sind Seminarprotokolle nicht per se publikationswürdig, der weitaus größte Teil derjenigen Forschung, die solches Material hinzuzieht, beschäftigt sich exemplarisch und überblicksartig mit einschlägigen Protokollen. Werden Seminarprotokolle jedoch nicht lediglich als Archivmaterial begutachtet, um in die jeweilige Einzelforschung einzugehen, sondern dem Publikum als Edition zugänglich gemacht,15 spielt die Trennung von Autorschaft, Autorisierung und Authentizität eine weitaus größere Rolle, sofern sich durch jene Diskrepanz editionsphilologische Fragen stellen, die mangels entsprechender Diskussion nicht nur ungelöst geblieben, sondern vielmehr bislang noch gar nicht recht gestellt worden sind. So scheint eine historisch-kritische Edition von Seminarprotokollen kaum legitimierungsfähig (und auch nicht wünschenswert), weil der jeweilige Verfasser nicht der eine Autor ist, um dessentwillen die Edition erst entsteht. Dieses Problem wird deutlich etwa anhand der Edition von Heideggers Schelling-Seminar (/)16: Die dort publizierten Protokolle werden textkritisch wiedergegeben, ohne daß ersichtlich würde, weshalb die Rezipienten den Nachvollzug der Textgenese wünschen könnten, angesichts von Verfassern, die gänzlich unbekannt und für die Forschung, anders als der Dozent Heidegger, nicht von Belang sind. Kurzum, die historisch-kritische Vorgehensweise setzt einen Autor voraus, der nicht er selbst ist. Die Herausgeberinnen der Kolleghefte, Mit- und Nachschriften Georg Simmels sprechen angesichts der Tatsache, daß der Nachlaß Simmels verschollen ist, etwas entschuldigend von der »sekundären Überlieferung seiner Lehrinhalte«17. Zumindest in Hinblick auf die edierten Seminarprotokolle scheint diese Legitimation unnötig, legt sie doch die Frage nahe, wie eine ›primäre Überlieferung von Lehrinhalten‹ anders rezipiert werden könnte, als durch die Teilnahme am historisch stattgehabten Seminar selbst. Die Überlieferung, wie sie Seminarprotokolle bieten, ist stets sekundär in Bezug auf den Inhalt, der, wie oben dargelegt, niemals die Lehre des Dozenten, sondern die

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Zu den rechtlichen Problemen, die sich hierbei ergeben können, vgl. Braunstein/ Marcel Woznica , »Die Veröffentlichung hunderter Texte hunderter Urheber. Probleme und Lösungsversuche bei der Rechteeinholung«. Vgl. Hühn/Jantzen (Hg.) , Heideggers Schelling-Seminar, S.  ff. Simmel , Kolleghefte, Mit- und Nachschriften, S. .

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Diskussion ist, deren einer Teilnehmer eben der Verfasser des Überlieferungsträgers ist. Eine Debatte über editionsphilologische Schwierigkeiten und Lösungsansätze bei der Bearbeitung von Sitzungsprotokollen, wie sie für die Herausgabe von anderen forschungsrelevantem Schriftgut längst im Gange ist, wäre geboten und gewiß hilfreich. Sie hätte sich einer Schriftgattung zu widmen, die nicht der einen etablierte Persönlichkeit zur Sprache verhilft, sondern einen diskursiven Prozeß, die Entstehung von Wissen und von Theorie, abzubilden versucht.

Teil III

15 Kulturindustrie is coming heim. Eine Vergangenheitsbewältigung

Ich war aller Worte müde: ausgewaschene Worte, abgelutscht von Milliarden Zungen, dietricheckartschen, abgetragen in Milliarden Maultaschen, fritschgoebbelsschen, schiefgelatschte auf allen Luftwegen, breitgequetschte mit allen Lippen, nasalierte, ausgespuckte, splittergebackne, durch Besen geschissne: Muttersprache! (Och, was n reizendes sinniges Wort, nich?!). A S, A  L  F

15.1 Erstens Etwa eine Woche nach seinem . Geburtstag am . September  schreibt Adorno an Siegfried Kracauer, es sei »alles aufs würdigste verlaufen, mit offizieller Ehrung und Goethe-Plakette, und doch so, daß man sich nicht zu genieren brauchte, obwohl ich mich natürlich doch genierte. Sonderbar, daß solche Dinge einem dann doch viel Freude machen; vielleicht ist es weniger unbescheiden, wenn man das zugesteht, als wenn man es hochmütig verdrängt.«1 Als endlich »der Trubel meines dämlichen Geburtstages verrauscht ist«2, macht sich Adorno, dem – wie er selbst von sich sagt – »die Existenz einer Operettendiva, die mir manche Leute gern zumuten würden, von ganzer Seele verhaßt [ist]«3, weiter an die Arbeit an seiner Negativen Dialektik. Vierzig Jahre und den Tod Adornos später:

1 2 3

Adorno an Kracauer, . September , ABB, Bd. , S.  f. Ders. an Lotte Tobisch, . September  Adorno/Tobisch , Der private Briefwechsel, S. . Ders. an Peter Suhrkamp, . Januar , Wolfgang Schopf (Hg.) , »So müßte ich ein Engel …, S. .

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TEIL III

Rolf Tiedemann, Herausgeber der Gesammelten Schriften Adornos (und Mitherausgeber derjenigen Walter Benjamins), ist nach Auskunft eines Freundes am . September  bereits vor Tagesanbruch, »mehrere Grenzen überquerend, in Richtung Süden, für einen längeren Aufenthalt in den Dolomiten, den er seit langem gebucht hatte«4, unterwegs, die Feierlichkeiten zum hundertsten Geburtstag Adornos zu fliehen. Was sich wie eine halbwahre Anekdote über einen übertrieben loyalen Schüler5 Adornos ausnimmt, zeigt sich mit Blick auf die meinungspluralistische Resonanz zum »in nahezu vatikanischen Dimensionen abgefeierte[n] First-classJubilar Theodor W. Adorno«6 als Schutzmaßnahme gegen die Verzweiflung angesichts dessen, was die Gesellschaft über ihren Kritiker – und damit über sich selbst – zu sagen hatte. Weil »die Eule der Minerva an der Kacke schnuppert erst, wenn sie nicht mehr dampft« (Christoph Hesse); weil, mit anderen Worten, das ganze Elend erst dann sichtbar wird, wenn der Betrachter nicht mehr die Wahl hat, entweder mitzutun oder sich abzuwenden, kommt er, der bloß noch konstatieren kann, immer zu spät, um noch einzugreifen. Die Hoffnung ist, daß, weil das immerkommende neue Elend das immergleiche alte ist, seine Kritik nicht gänzlich obsolet ist. O.s.ä.

15.2 Zweitens Schnittig erging im deutschsprachigen Feuilleton, welches Adorno, damit kein Zweifel aufkommen möge, daß es nun persönlich werden würde, ohne Scheu vor falscher Unmittelbarkeit und Infantilität als ›Teddie‹ ankumpelte, der Tagesbefehl: »Let’s party mit ›Teddie‹ Adorno«7. Von den vornehmsten, sich staats-

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6 7

Robert Hullot-Kentor , »Adorno ohne Anführungszeichen«, S. . Hier stimmt die Bezeichnung als Schüler einmal. Tiedemann schreibt in der Vorrede seines Buches Niemandsland, es sei »das Buch eines Autors, der auch in seinem . Jahr keinen Anstand nimmt, sich als Schüler Adornos zu bekennen« (Tiedemann , Niemandsland, S. ). J. Roth , »Was würde Beckenbauer zu Adorno sagen?«, S. . [Anonym] , »Let’s party mit ›Teddie Adorno‹«, S. .

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tragend gerierenden Presseorganen bis zu den provinziellsten Anzeigeblättchen ließ sich niemand zweimal bitten.8 Zunächst wollte allerdings keine rechte Feierstimmung entstehen, denn: »Zugegeben, Theodor Wiesengrund Adorno ist nicht gerade ein Stimmungsaufheller.« – Man konnte Martin Jasper von der Braunschweiger Zeitung9 förmlich dabei zusehen, wie er mit sich rang, dieses eine Zugeständnis zu machen. »Sein Spitzname war Teddy und in der Tat könnte er als der Schlechte-Laune-Bär der Philosophiegeschichte durchgehen.« Etwa weil die Teddys, mit denen in Zeiten allwaltender Infantilität nicht mehr nur die Kinder kuschelten, gewöhnlich Garanten für schlechte Laune waren? Die Leser sollten es nie erfahren. »Typische Adorno-Sätze gehen so: ›Es gibt kein richtiges Leben im falschen.‹ Oder: ›Die Welt ist ein System des Grauens.‹« Stupend: In Ermangelung anderen Materials wurden die zwei, drei Sätze Adornos wegzitiert, die zuvor von den Nachrichtenagenturen herumgeschickt worden waren, und schon waren jene Sätze typisch; wohlgemerkt für Adorno. Aber Martin Jasper war gar nicht so: »Man muss ihm«, er meinte den Schlechte-Laune-Bären, »zu Gute halten, dass er seine durch und durch negative Sicht auf die Welt während der NaziDiktatur ausprägte, die ihn zur Emigration in die USA gezwungen hatte.« Denn das nahm – so schien Jasper zu denken – Adorno persönlich, während das mit den Autobahnen schon in Ordnung ging. Nikolaus Müller-Schöll äußerte in der Monatszeitschrift Literaturen10 entschuldigendes Verständnis für Adorno, der doch seinerzeit immerhin »Auschwitz und de[n] Gulag im Rücken und die Schöne Neue Welt der amerikanischen Kulturindustrie vor Augen« hatte. Und an dieser ging Adorno, vom Gulag im Rücken arg gebeutelt, nun mal kaputt; nahm aber in seiner Eigenschaft als »der scharfe Kritiker der USA« (Willy Theobald, Financial Times Deutschland11, dixit), lt. Joachim Kaiser in der Süddeutschen12, in den »›Minima Moralia‹ wie im ›Kultur-Industrie‹-Kapitel der ›Dialektik der Aufklärung‹ subtile Rache an den Zivilisations-Auswüchsen der Neuen Welt.« 8

9 10 11 12

Kurt Oesterle vom »Schwäbischen Tageblatt« wundert sich über die allseitige Vereinnahmung Adornos: »Anlässlich seines Hundertsten wird Theodor W. Adorno gefeiert, als wäre er der Staatsphilosoph von Rotgrünland.« (Kurt Oesterle , »Der enttäuschte Marxist schwieg«, S. .) Martin Jasper , »Das dünne Eis der Aufklärung«, S. . Nikolaus Müller-Schöll , »Es darf gelacht werden«, S. . Willy Theobald , »Richtiges Leben im falschen Adorno«, S. . Joachim Kaiser , »Was blieb von Adornos Glanz?«, S. .

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TEIL III

Und zwar exakt dafür, daß die USA Adorno Exil gewährten, als die Deutschen ihn ermorden wollten? So recht mochte Kaiser selbst nicht daran glauben und schrieb Adornos »Kult des ›Negativen‹« zuletzt denn doch lieber dessen »Negationszwang« zu. Zwanghaft zwanglos ging es unterdessen im Spiegel13 zu, der Unheil von seiten jener witterte, die »dem Verblassen seines Ruhms nun mit aller Macht Einhalt gebieten« wollten. Dem stemmte sich Johannes Saltzwedel entgegen. Verschreckt betrachtete er die Minima Moralia, jene »einschüchternd raffinierten ›Reflexionen aus dem beschädigten Leben‹«. Doch nicht nur von Raffinessen war Saltzwedel eingeschüchtert, auch von Banalitäten: »Der Gesellschaftsveränderer liebte es großbürgerlich – vom Urlaub im Luxushotel ›Waldhaus‹ in Sils Maria bis zur Frühstücksorder: ›ein großes Omelett mit Toast und dazu ein gespritzter trockener Riesling von der Mosel‹«. Omelett mit Toast: Großbürgertum at its best. Spätestens beim Moselwein indes verlor Saltzwedel alle Hemmungen und traute sich denn doch zu sagen, als was er Adorno erachtete: »als Papier-Marxisten, der unentwegt sinniert, ›warum die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art von Barbarei versinkt‹, aber nur ungern in der Touristenklasse über den Atlantik fährt.« »Aber«? Hätte Adorno die Touristenklasse bei jener Passage genommen, wer weiß, um die Menschheit wäre es womöglich besser bestellt. So aber ließ sich der Spiegel-Schreiber nichts vormachen, sondern merkte sofort, daß er es lediglich mit einem »verwöhnten Eierkopf« zu tun hatte, »der Einrichtung und Haushalt seiner Gattin überlässt […], sie als Schreib-Hilfe nutzt, aber Schlafzimmer-Trennung praktiziert«. Dabei war des Eierkopfs Gattin mitnichten etwa eine pummelige, völlig bescheuerte Physikerin, sondern, Saltzwedel wußte auch das, »eine gertenschlanke, blitzgescheite Chemikerin«. Fast abgesehen davon, daß, wer von ›praktizierten Trennungen‹ spricht, ebenfalls eine »Schreib-Hilfe« bei nächster Gelegenheit nicht verschmähen sollte, ist der Sinn der einschränkenden Konjunktion »aber« auch an dieser Stelle einigermaßen unklar. Ist denn die Nutzung der Gattin als Hilfe in irgendeiner Weise damit verbunden, ob man anschließend nachts das Zimmer teilt? Wäre die – offenbar als despektierlich erachtete – Inanspruchnahme von Hilfe denn ›abgegolten‹, wenn Adorno wenigstens der Gattin, Sie wissen schon, ›geholfen‹ hätte? Und ist, außer für Saltzwedel, die ›praktizierte Schlafzimmer-Trennung‹ 13

Jürgen Saltzwedel , »Narziss und Nilpferdkönig«, S.  f. und ebd.,  f.

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ein Zeichen für sexuelle Enthaltsamkeit zwischen Adorno und Gattin? In welchem Verhältnis steht die ›praktizierte Trennung‹ trotz Nutzung der SchreibHilfe zur Gesellschaftskritik Adornos? Die Absurdität solcher sich aufdrängender Fragen hielt Saltzwedel nicht davon ab, dit un dat zu suggerieren, wenn es ihm darum ging, Adornos Gesellschaftskritik mit Gewalt auf die vermuteten Unaussprechlichkeiten im Sexualverhalten des Verachteten zu bringen. Die Anwendung dieses rhetorischen Kniffs, der vor ca.  Jahren von einflußreichen Rednern in den Bestand des germanischen Kulturguts aufgenommen worden war, erwies sich nicht nur im Spiegel als Hinweis darauf, daß die massenhafte Verbreitung von Gerüchten, Halb- und Unwahrheiten sowie blanken Lügen zum Zweck der allseitigen Erledigung durch Einvernehmen –; daß mithin die Kulturindustrie eine deutsche Errungenschaft ist. Es war vor allem eine Tagebuchnotiz Adornos vom . Oktober  von einem »Weekend mit Carol«14 in New York, die so manchen Gratulanten aus der Fassung sowie um den Restverstand und die Sprache brachte. Adorno notiert: »Nachmittag der äußersten Exzesse, in völliger Helle und Klarheit. Echte Masochistin: zweimal ihr Orgasmus nur beim freilich erbarmungslosen Schlagen. Der hagere Körper mit den markierten Hinterbacken, eine weiße malabaraise. Ihre Kunst des Hintanhaltens, der Küsse ins Leere, ›tantalizing‹. Das Kunststück beim Lieben von Hinten einen ganz einzuschließen.«15 – Saltzwedel16 wußte nach Zitation dieser Stelle kaum mehr, wo hinten und vorne war, wenn er sich im nächsten Satz mokierte: »Solche Kehrseiten lassen die Biografen nahezu unerwähnt.«

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Während Willy Theobald meinte, beim Verkehr mit ›Carol‹ hätte es sich um »Bordellbesuche« (Theobald , »Richtiges Leben …«, S. ) gehandelt, phantasierte Ludger Lütkehaus, Adorno hätte sich die Zeit vertrieben »mit Pariser Bordellbesuchen und zur Not, wie sein Tagebuch dokumentiert, mit einem SM-Porno. So zupackend hätte man sich den mit Anzug, Krawatte und Hut stets überkorrekt gekleideten rundlichen Herrn nicht vorgestellt.« (Ludger Lütkehaus , »Das Wunderkind«, S. .) – Lütkehaus hatte zwar Adornos Tagebuch als SM-Porno gelesen, Adorno selbst hingegen hatte, wie die Überschrift im Tagebuch, »Weekend mit Carol«, durchaus vermuten läßt, schlicht tatsächlich ein Wochenende mit einer Frau namens Carol verbracht. So uninformiert und dennoch drauflosschreibend hätte »man« sich Lütkehaus auch nicht vorgestellt. Adorno , »Tagebuch der großen Reise Oktober «, S. . Saltzwedel , »Narziss …«, S. .

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TEIL III

Daß es nicht Zweck einer Biographie, sondern des Boulevardjournalismus war, dem Jubilar genießerisch in die Hose zu packen, kam dem Entrüsteten nicht in den Sinn; ebensowenig, daß sich Adornos Schüler für anderes hätten interessieren dürfen: »Von solchen Privatheiten ahnten Wiesengrunds erste Schüler nichts.« – Auch nichts davon, so durfte vermutet werden, daß er – »der verhätschelte Frankfurter Junge, den Mutter und Tante täglich zur Schule begleiteten«, weil er nämlich, wovon Saltzwedel nichts erwähnte, andernfalls von seinen antisemitischen Mitschülern verprügelt worden wäre17 – »im selben Jahr zur Welt kam wie der Teddybär.« Und daß alles zwar ein Ende hatte, die Wurst interessanterweise aber zwei: Auch darüber hatte der saubere Herr Wiesengrund natürlich nie ein Wort verloren. »Ein moralisierender Philister arbeitet mit demagogischen journalistischen Tricks«, faßte Alexander García Düttmann18 das Treiben Saltzwedels akkurat zusammen. Und wie der Philister im Allgemeinen, so war auch Saltzwedel im Besonderen nicht um den Antisemitismus verlegen und vergaß in seiner Denunziation eines Anders- bzw. überhaupt Denkenden nicht, darauf hinzuweisen, daß »Jung-Wiesengrund« sich seinen Freunden und Lehrern mit »chamäleonhafte[r] Anlehnungslust« genähert hätte. Leonard Zelig irrlichterte heimatlos als Jung-Wiesengrund durch die Weltgeschichte, um schließlich die Gestalt Theodor W. Adornos anzunehmen: »Bei der US-Einbürgerung  ließ sich Theodor Ludwig Wiesengrund, von Freunden und Familie Teddie gerufen, den Beinamen« – gemeint war ›Adorno‹ – »verbriefen; später fügte er ein verschämtes W. ein.« Bekanntlich nahm sich George W. Bush an dieser Praxis später ein verschämtes Beispiel. »Dahinter steckte keine Tücke, nur sein stets unbändiger Wille, so viel wie möglich aus sich zu machen.« – Anstatt so wenig wie gerade noch nötig und des weiteren Ruhe zu geben. Dieser Wunsch wurde auch im Schwäbischen Tageblatt19 ventiliert, wo sich der nachmalige Konzertpianist Robert-Alexander Bohnke behaglich an seine erste Begegnung mit Adorno erinnern durfte. Die Verlegerfamilie Bermann-Fischer hatte zu einem Hauskonzert geladen, das Bohnke geben würde. Der erblickte als erstes »Adorno, der unbeweglich starr dastand und mit niemandem

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Vgl. Adorno, Minima Moralia, AGS, Bd. , S.  sowie Reinhard Pabst , Theodor W. Adorno. Kindheit in Amorbach. Bilder und Erinnerungen, S. . Alexander García Düttmann , »Die Wunde Adorno«, S. . Robert-Alexander Bohnke , »Der Philosoph im imaginären Sandkasten«, S. .

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redete, mag sein aus Überheblichkeit, aber ich glaube eher aus Schüchternheit.« Oder weil Adorno einfach seine Ruhe haben wollte, wer weiß es!? Den ihm Unbekannten focht dies nicht an: »Ich ging auf ihn zu, stellte mich vor und unterhielt mich mit ihm sofort über Alban Berg, dessen Schüler und Freund er ja gewesen war. Adorno kam mir sehr steif und uralt vor« – um nicht zu sagen: abweisend. Bohnke merkte allerdings nichts, sondern plauderte munter weiter auf ihn ein, Thema: Bohnke: »Ich sagte ihm, dass ich Student der Musik, der Musikwissenschaft und der Philosophie sei, mich aber – im Gegensatz zu ihm – noch nicht der Soziologie zugewandt hätte.« Für alle, die Ohren haben zu hören, reagierte Adorno unmißverständlich: »Er fragte mich fast sofort, ob ich beim Studium von Alban Bergs Klaviersonate op.  bemerkt hätte, dass das Quasi-Adagio-Thema im siebtletzten Takt der Exposition einige Takte vorher schon dreimal in Sechzehntel-Sextolen, also sechsmal so schnell gespielt, erscheinen würde. Ich gestand ihm, dass ich nie darauf geachtet hätte. Nie wieder hat mich später jemand so verachtungsvoll angeblickt.« Auf einer gewissen Entwicklungsstufe behaupten Kinder, wenn sie, etwa durch Ungeschicklichkeit, schmerzhaft hingefallen sind, sie hätten hinfallen und sich wehtun wollen; man konnte solche Rationalisierungsmuster in Bohnkes Selbstdarstellung beobachten: »Ich lachte ein wenig, was ihm offenbar gar nicht gefiel. Er schaute mich aus seinen großen, dunklen Augen, die offenbar ziemlich schielten und so hervorstanden, dass ich fast Angst bekam, sie herauskullern zu sehen, exorbitant vorwurfsvoll an, mit diesem unbeschreiblichen Blick, den meine Freunde und ich später den ›Zwölftonblick‹ nannten.« Aber Bohnke war noch nicht fertig mit Adorno: »Nachdem ich etwa anderthalb Stunden Klavier gespielt hatte«, fragte Bohnke Adorno »ohne Umschweife ›Wie hat Ihnen mein Spiel gefallen?‹ Er antwortete überdeutlich artikulierend: ›Ein Rubinstein sind sie nicht!‹« Über  Jahre später fiel Bohnke endlich, endlich die passende Antwort ein: »Dann setzte er sich an den Flügel, um uns einige Takte einer späten Beethoven-Sonate vorzuspielen. Ich wusste genau, dass er diese Sonate verstand, liebte und ihre unvergleichliche Genialität richtig erfüllte [sic!], aber sein Klavierspiel war technisch derartig unvollkommen, dass nur ein Zerrbild des Sonatenanfangs erklang. Es war einfach kläglich. In diesem Augenblick liebte ich Adorno, wie man ein sehr kleines, geliebtes Kind vergöttert, das im Sandkasten eine besonders schöne Burg bauen will, die aber immer wieder einstürzt. Man hätte in diesem Augenblick Adorno eigentlich in den Arm nehmen und trösten müssen.« Worauf Adorno an jenem Abend offensichtlich besonders gespitzt hat. Nicht unironisch, daß der Adorno-Liebhaber diese Passage

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TEIL III

mit der Beobachtung schloß: »Theodor W. Adornos Tragik war, dass er ständig missverstanden wurde«; die Tragik Bohnkes hingegen, daß er ein zwanghaft Getriebener war: »Neben seiner unbestreitbar bedeutenden Intelligenz verfügte Adorno auch über sehr starke Triebe und war dem weiblichen Geschlecht sehr offen zugetan. Wenn ein hübsches Mädchen im Seminar erschien, starrte er sie wie eine göttliche Erscheinung an.« – Wobei Bohnke Adorno anstarrte, weil der, in der Betrachtung von Schönheit versunken, seine sehr starken Triebe äußerte. Bohnke hatte seine Augen wirklich überall: »Warum wirkte Adorno so unsicher? Litt er unter seinem ungünstigen Aussehen? Fühlte er sich in seinem recht massigen Körper nicht wohl?« – Oder litt er unter einer Umwelt, die ihm noch beim Gang aufs Klo hinterher starrte, um  Jahre später geschmeichelt sinnieren zu dürfen, wie es anschließend wohl gerochen haben mochte? Das wußte allerdings nicht mal Bohnke, er hatte im Gegenteil noch mehr Fragen: »Warum legte er wohl den wunderschönen jüdischen Namen ›Wiesengrund‹ ab und ersetzte ihn durch den von seiner mütterlichen Familie stammenden Namen ›Adorno‹, der mich immer an einen Jongleur, sagen wir im berühmten Zirkus Sarrasani erinnert?« Hach ja, warum »wohl« eigentlich legte Adorno seinen jüdischen Namen auf dem, »sagen wir«, vorläufigen Höhepunkt des weltwieten Antisemitismus ab; im Exil in den USA, wo die Aussprache von »Wiesengrund« etwa so flüssig vonstatten ging wie Adorno das Heimischwerden eben dort? Wer darauf nicht von alleine kam, hätte die Antwort auch beim Jongleur und Hausierer seiner Ressentiments, dem Pianisten Robert-Alexander ›Bohnke‹ Bohnke nicht finden können. Privates hatte auch der oberbayerische Donaukurier20 aus Agenturmeldungen zur folgenden Aussage zusammengekehrt: »Zerstört wird auch der berufliche Mythos einer Männerfreundschaft und Arbeitssymbiose zwischen Adorno und Max Horkheimer, den gemeinsamen Leitern des Instituts für Sozialforschung.« Während der Leser noch überlegte, was ein ›beruflicher Mythos‹ sein wollte, wurde er davon unterrichtet, daß man den »unbedarften Gutmenschen« mittlerweile »außerhalb eines engen wissenschaftlichen Zirkels« getrost für »überholt« halten durfte, »weil die Realität der Gesellschaft seinen ihr so anderen Ideen keinen Platz mehr einräumen will.« Wer wem was?

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Peter Zschunke/Sandra Trauner , »Der Einspruch gegen die Realität findet nicht mehr statt«, o.S.

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Wie auch immer, jedenfalls wiche nun glücklicherweise »die Ehrfurcht vor dem Meisterdenker: Der spröde Autor der ›Negativen Dialektik‹ mit seinen unerbittlichen Wertungen wird nun vor allem als Privatperson wahrgenommen.« Vor allem das! Zwar mochten, wollte man Torbjörn Bergflödt vom Südkurier21 Glauben schenken, »an Adornos intellektuellem Kunst- und Weltbetrachtungsgebäude […] Schwachstellen offenbar geworden sein. Aber in unserer Post-Postmoderne ist es lohnend, sich produktiv zu reiben an dem kompromisslosen Denker.« – Lorenz Jäger rieb wie nicht gescheit, heraus kam eine sogenannte »politische Biographie«. Welche Politik Jäger mit ihr verfolgte, konnte dem aufmerksamen Leser schnell klarwerden: »Auf der Seite der Konterrevolution wurde verallgemeinernd vom ›jüdischen Bolschewismus‹ gesprochen. Dieses Schlagwort hat im Nationalsozialismus die verhängnisvollste Rolle gespielt und als Rechtfertigung des Völkermords gedient. Dennoch erhält es, diesseits der furchtbaren demagogischen Zuspitzung, einen Wahrheitskern. […] Am Kreuzweg der revolutionären und der wissenschaftlichen Linie stand das Institut für Sozialforschung. Es ging auf die Stiftung eines Juden zurück und die beteiligten Wissenschaftler kamen mehrheitlich aus dem Judentum. Aber nicht nur ihrer Herkunft nach waren sie Juden, sondern manche unter ihnen waren religiös geprägt […]. Andere […] fanden, nachdem sie sich lange als säkulare Juden verstanden hatten, in späteren Jahren zur Religion ihrer Väter zurück. Judentum und Kritische Theorie waren in verschiedenen Epochen ineinander übersetzbar.«22 – »Ineinander übersetzbar«, ganz richtig. Währenddessen schrieb Detlev Claussen für den Fischer-Verlag die Biographie Theodor W. Adorno. Ein letztes Genie und Stefan Müller-Doohm für Suhrkamp Adorno. Eine Biographie: »Am umfassendsten unterrichtet MüllerDoohm; am prägnantesten und eloquentesten formuliert Jäger; am ausgewogensten urteilt Claussen«, am superlativistischsten benotete Rüdiger Görner in der österreichischen Zeitung Die Presse.23 Ludger Lütkehaus zog für die Zeit24 ein ebenfalls buttermesserscharfes Fazit aus der Lektüre der drei Biographien: »Claussen und Lorenz Jäger haben das gleiche symptomatische Titelbild gewählt: Adorno im Fotostudio, gesehen im Spiegel, ein Bild im Bild und vom Bild, in der wiederholten Spiegelung potenzierte Ikone und eigenwilliger Kom21 22 23 24

Torbjörn Bergflödt , »Im Denken früh geübt«, S. . Lorenz Jäger , Adorno. Eine politische Biographie, S.  u. . Rüdiger Görner , »Der Klang des Denkens«, S. V. Lütkehaus , »Das Wunderkind«, S. .

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mentar zum Bilderverbot zugleich.« Das Photo auf den beiden Titeln, das Adorno zeigte, wie er sein Spiegelbild photographierte, war zwar weder im Studio aufgenommen worden (sondern im Institut für Sozialforschung), noch gab es dort »wiederholte Spiegelungen« zu sehen (sondern lediglich eine Spiegelung), noch hatte das Photo schließlich das geringste mit dem Begriff des Bilderverbots bei Adorno zu tun; der Rest der Aussage stimmte aber einwandfrei, und so teilte sich Lütkehaus immerhin die Komplexität der Person mit, wo er einfach sagen wollte, daß Adorno auf mehreren Gebieten kenntnisreich war: »Die Komplexität der Person, die ungeheure Spannweite des Künstlers und des Wissenschaftlers, des Philosophen, des Soziologen, des Komponisten[,] Ästhetikers, Musik- und Literaturinterpreten, teilt sich in allen Biographien mit.« Für Ulf Heise c/o Thüringer Allgemeine25 war damit noch längst nicht genug mitgeteilt: »Was allen drei Porträts der Jahrhundertfigur fehlt, sind Annäherungen an den privaten Adorno.« Das Desideratum blieb insofern bestehen, als jede noch weitere Annäherung unweigerlich ein Verfahren nach §  StGB, Störung der Totenruhe, nach sich gezogen hätte, aber immerhin konnte Reinhard Pabst für die Forschung Frankfurt26 noch etliches herausfinden: erstens wurde Adorno »am . Oktober  durch Domkaplan Franz Perabo katholisch getauft«, und zweitens lagen »›Teddies‹ Zimmer und das des ›Annachens‹« – des Dienstmädchens – »im zweiten Obergeschoss, im ersten Stock waren das Elternschlafzimmer, ein Bad, ein begehbarer Schrank« und werweiß noch ein oller Teppich, zwei Bilder und drei Spunks, aber Pabst lauschte schon hinunter: »Im Erdgeschoss, in dem sich auch die Küche befand, führte eine Treppe von einem der beiden Wohnräume in den Ziergarten, in dem ein Springbrunnen plätscherte«, plitsch, platsch. In wiederum der Zeit27 lieferte Thomas Assheuer seine Art eines Beweises dafür, daß Adorno zu Recht nur mehr als Privatperson interessant sei, weil doch, wie man gehört habe, seine Theorie so dermaßen obsolet sei: »Es war Jürgen Habermas, der in einer, man muss es so sagen: Fundamentalkritik kristallklar gezeigt hat, dass Adornos Denken in eine Sackgasse führt, in einen Selbstwiderspruch, der mit den Mitteln der Philosophie nicht aufzulösen ist. Adorno, so schrieb er  in seiner ›Theorie des kommunikativen Handelns‹, könne die 25 26 27

Ulf Heise , »Porträt einer Jahrhundertfigur«, S. . Pabst , »Ein Sohn aus gutem Hause. Theodor W. Adornos Kindheit in Frankfurt«, S.  und ebd., S. . Thomas Assheuer , »Der wahre Konservative«, S. .

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normativen Maßstäbe seiner Kritik nicht ausweisen und ziehe sich selbst den Boden unter den Füßen weg. Wie unter einem Brennglas ließ Habermas den lebensphilosophischen Gehalt des Werks verdampfen. Er durchschlug den dialektischen Knoten, mit dem Adorno die Herrschaft über die Natur mit der Herrschaft über Menschen verknüpft hatte. Nun war Adorno auch in Frankfurt ein Bergmann ohne Licht. Wer wollte ihm noch folgen?« – Und wer konnte noch Assheuer folgen, wenn er behauptete, Habermas habe dem Bergmann Adorno ganz herrschaftsfrei das Licht ausgeknipst, indem er kristallklar dessen Knoten mit einem Brennglas verdampft oder durchgeschlagen oder wie –? Was? Genau: »In dieser geschichtlich längst möglichen Gesellschaft wäre Kapitalismus keine Religion, keine Ökonomie der weltlichen Erlösung, sondern ›gerechter Tausch‹«. Daß der Kapitalismus immer schon, Dirk Baecker hin, Norbert Bolz her, weder Religion noch weltliche Erlösung war, sondern ein System ist, welches die einen im Überfluß leben läßt, weil die anderen dafür zahlen – zuweilen mit ihrem Leben –; wer wäre Assheuer gewesen, wenn ihm davon etwas geschwant hätte? Nicht der jedenfalls, der solchen Mindersinn bezüglich Adornos Theorien zusammenklempnern konnte: »Es war eine Befreiung, sich von Adornos Philosophie zu befreien, und es war ein Leichtes, auch das Schwierige abzuschütteln. Und es war notwendig. Niemand wird Adorno heute würdigen können, ohne an dessen wundesten Punkt zu rühren: daran, dass er das Freiheitsmoment der Demokratie auf absonderliche Weise unterschätzt hat. Der Grund dafür lässt sich genau benennen. Adorno war von dem Gedanken durchdrungen, die Unterwerfung der Natur und die Herrschaft über Menschen seien dialektisch ineinander verwoben. Was die Menschen der Natur antun, das tun sie sich selber an. An diesem Gedanken hängt alles, er galt für ihn absolut und bezeichnet das Herzstück seiner Philosophie. Adorno war überzeugt, dass sich die Unterwerfung der Natur in den gesellschaftlichen Zwängen und Herrschaftsverhältnissen reproduziert, und zwar in Formen unmerklicher Gewalt, auch gegen das eigene Leben. […] In dieser Kraterlandschaft den Ort der Freiheit ausfindig zu machen ist nicht einfach. Denn wenn Naturbeherrschung und Menschenbeherrschung unauflöslich ineinander verflochten sind, dann greifen sie durch alle Verhältnisse hindurch, und es scheint nahezu gleichgültig, welche politische Verfassung sich ein Gemeinwesen gibt. Die Sphäre des Sozialen schrumpft zum Raum der Manipulation, bevölkert mit Ich-schwachen Individuen, beherrscht von finsteren Mächten, von Bürokratie und Kulturindustrie.«

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In dasselbe Horn wie der »Unter-aller-Kanone-Adorno-Artikel« Assheuers (Christof Meuler zutreffend in der jungen Welt)28 tutete auch Ulf Poschardt in der taz29: »Heute, vor den Herausforderungen des . Jahrhunderts, muss die Inspirationskraft der Kritik, ihre intellektuelle und poetische Brillanz, ihre innere Dynamik und Wucht als Motor zukunftsträchtiger Umgründungen unserer Gesellschaft in Betracht gezogen werden. Die – von ihm sicher verfluchte – Instrumentalisierung seines Denkens als Prüfstein gesellschaftlicher Freiheiten ist für eine, unsere, bürgerliche Demokratie von großem Wert – auch wenn Adorno diesen Wert in unserer Demokratie nie wirklich entdecken wollte.« – Man mochte Poschardt nicht unrecht tun, womöglich war der Text beim Zufaxen an die Redaktion irgendwie verstümmelt und anschließend nur grob rekonstruiert worden. Andernfalls hätte man sich gewünscht, Poschardt wäre der Herausforderung eines Artikels über Adorno zumindest insoweit gerecht geworden, als er doch wenigstens dessen Denken instrumentalisiert und als – Himmel! – »Prüfstein« seines eigenen Beitrags genommen hätte. Statt dessen aber gab es Erbauungstinnef über »unsere« Mitmach- und Wohlfühldemokratie; von Kapitalismus, gar Klassengesellschaft hingegen keine Spur. – Auch Jürgen Feldhoff beklagte sich in den »Lübecker Nachrichten«30, Adorno hätte ein Beispiel dafür geliefert, »wie ein großer Denker sich selbst in argumentative Sackgassen manövrierte, sich mit apodiktischen Urteilen nicht nur aus heutiger Sicht blamierte, schätzte er doch den Freiheits-Gehalt der Demokratie […] viel zu gering ein. Recht hatte er mit seiner Einschätzung, dass die Ursachen für das Entstehen des Faschismus nicht aus der Welt verschwunden sind, sie bilden noch immer eine latente Bedrohung. Aber der freiheitliche demokratische Staat kann sich gegen diese Bedrohung erfolgreich zur Wehr setzen, das hat er schon zu Lebzeiten Adornos bewiesen.« – Er hatte auch schon zu Adornos Lebzeiten bewiesen, daß eine Machtübernahme der Demokratiefeinde eine demokratische Machtübergabe voraussetzt und daß das recht reibungslos und weitgehend unbeanstandet geschehen konnte. Daß aber die Dialektik der Aufklärung irgendwie knifflig und auch sonst abzulehnen war, hatte mittlerweile auch Markus Schwering vom Kölner StadtAnzeiger31 spitzgekriegt: »Die Einwände gegen diese Konstruktion liegen auf der 28 29 30 31

Christof Meuler , »Negativ nein«, S. . Ulf Poschardt , »Das Fest der Verschwendung«, S. . Jürgen Feldhoff , »Der letzte Meisterdenker«, S. . Markus Schwering , »Das triumphale Unheil«, o.S.

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Hand: Es ist unzulässig – weil empirisch und auch sonst nicht haltbar –, den Weg der Menschheit als einen in den Abgrund zu beschreiben. […] Der Zusammenbruch der totalitären Regime in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts, das Aufkommen von kritischen, offensichtlich nicht durch ›Kulturindustrie‹ zu neutralisierenden Bewegungen in der Zivilgesellschaft, der weltweit offensiv geführte Diskurs über Menschenrechten – all dies widerlegt den grandiosen, geschichtsphilosophisch gespeisten Pessimismus Adornos.« Womöglich hätte sich Schwering zunächst Gedanken machen sollen hinsichtlich des Unterschieds zwischen einem offensiv geführten Diskurs über Menschenrechte und den Menschenrechten selbst, bevor er einen ersten Blick in die Dialektik der Aufklärung gewagt hätte. Dort hätte er dann erfahren können, warum die Menschenrechte und deren Diskurs nicht der Weisheit letzter Schluß und schon gar nicht Garanten für eine vernünftige Gesellschaft sein können. Was derweil den »Pessimismus« Adornos betraf, vertrat Rüdiger Suchsland von der Schwäbischen Zeitung32 die These, es hätte sich dabei um einen »tiefschwarzen Pessimismus« gehandelt. Hermann-Josef Delonge sah in der Aachener Zeitung33 die Nuancen etwas anders und beschied: »Rabenschwarz ist diese Philosophie«. Tief- oder eher rabenschwarz? René Aguiagh (Literaturen)34 wußte genaueres: »Adornos Denken ist schwarz« – ohne Zweifel! – »ohne Zweifel, aber« – ja …? – »es schimmert«. Adornos Denken spielte, sagen wir es doch rundheraus, ein wenig ins Anthrazit rüber. Wer bot mehr? Christian Geyer von der FAZ.35 Der hatte nämlich eine »echte Dröhnung zum Adorno-Jahr« in petto. Bitteschön: »Natürlich kann man sagen: Da sind wir heute weiter. Das mit der Negativität geht taomäßig schon in Ordnung. Der negative Pol braucht nicht dialektisch aus den Angeln gehoben werden, er darf ruhig verschleiert bleiben, gehört er doch dazu wie Yang zu Yin.« Rabimmel, rabammel, rabumm! Aber Ruhe, bitte!, Geyer wollte noch etwas ergänzen: »Man möchte ergänzen: Wer den Schaden hat, weiß wenigstens, wo er dran ist. In diesem Sinne sind Biographien, selber gelebte genauso wie über andere geschriebene, für uns inzwischen das Salz in der Suppe des Lebens. Man hat sich nun einmal entschieden, zu leben (einkaufen zu gehen, zu telefonieren, Kinder 32 33 34 35

Rüdiger Suchsland , »Nicht zu fassen«, o.S. Hermann-Josef Delonge , »›Teddie‹ erklärt uns die Welt«, S. . René Aguiagh , »Es ist schwarz, aber es schimmert«, S. . Christian Geyer , »Wer das Leben hat, hat den Schaden«, S. .

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zu kriegen, ›Vom Winde verweht‹ zu lesen und so weiter). Deshalb hat man vor lauter Leben keine Zeit mehr für das Ganze.« Auch für Adorno schließlich war das selbst gelebte Leben das Salz in der Suppe des, äh, Lebens, und er »hat sich wegen des Ganzen nicht erschossen, sondern schritt wacker die Fluchtwege aus: Er guckte ›Daktari‹ am Samstag, ließ kaum eine Gelegenheit zu einer Affäre aus – seine Frau Gretel wußte Bescheid – und entschied sich im übrigen, dem Ganzen mit Arbeiten über das Ganze zu entkommen.« Skurril, gell? Fand Ralf Stiftel vom Lippstädter Patriot36 auch: »Es wirkt ja auch skurril, dass er, der Verächter aller soap operas und Schlager, ausgerechnet die US-Serie ›Daktari‹ so gern sah, dass man ihn dabei besser nicht störte.« Bzw., wie die Presseagentur ›dpa‹37 zuvor gemeldet hatte: »Der Kinoverächter […] ist sauer, wenn ihn jemand bei der TV-Affenserie ›Daktari‹ stört.« In diesem Sinne ermittelte auch der »Literaturdetektiv«38 Reinhard Pabst39, daß es im »überaus turbulenten Jahr  […] jeden Samstag eine Stunde [gab], in der nicht einmal befreundete Professoren-Kollegen Adorno zu stören wagten: dann schauten seine Frau Gretel und er sich regelmäßig Ivan Tors’ ›Daktari‹ an, eine vom ZDF ausgestrahlte Serie mit der gezähmten Schimpansin ›Judy‹ und dem schielenden Löwen ›Clarence‹.« Mit Tieren hatte es der ulkige Teddie, denn: »Für dressierte Affen interessierte sich«, sieh einer an!, »›Teddie‹ bereits als Kind, als er mit seinen Eltern sonntags in den Zoo ging und der Schimpansin ›Basso‹ bei ihren Kunststückchen zuschaute.« Ein echtes Ausnahmekind, dieser Professor Adorno – interessierte sich im Zoo für die Tiere. Und daheim gab’s noch lange kein Ende: »Zur Erheiterung ihrer Familie erlaubte sich Adornos Mutter gelegentlich den Spaß, ›de Aff zu machen‹, einen ›Menschenaffen im Zoo mit allen Bewegungen von Händen und Füßen‹ zu imitieren.« So ging’s zu bei Wiesengrunds umme Ecke, während andere Söhne jener Zeit damit beschäftigt waren, sich von ihren Eltern, Lehrern und Kameraden Zucht, Ordnung und die rechte Gesinnung in die Knochen prügeln zu lassen. Aber dafür war sich der verzärtelte Eierkopf ja wieder zu fein. »Vermutlich wäre er nie auf die Welt gekommen, hätte man ihn gefragt.« Hätte man Ludwig Hasler von der Weltwoche40 gefragt, vermutlich auch nicht. 36 37 38 39 40

Ralf Stiftel , »Blicke aufs beschädigte Leben«, S. . Zit. nach Zschunke/Trauner , »Der Einspruch …«, o.S. Martin Braun , »Die Wildsau als Leitbild: Adorno in Amorbach«, S. . Pabst , »Ein Sohn aus gutem Hause«, S. . Ludwig Hasler , »Als Zaungast bleibt er genial«, S. . – Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch Christian Geyer in der FAZ: »Denn der Umstand, ungefragt

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Der konnte nämlich  noch nicht begreifen, daß sich angeblich »alle Welt mit diesem intellektuellen Snob« beschäftigte. »Warum lässt man den narzisstischen Miesepeter im Grab nicht in Ruhe?«, fragte Hasler,41 um Adorno auf diese Weise in Ruhe zu lassen: »Schon zu Lebzeiten mochten ihn manche nicht.« Richtig, damit konnte nur der »Erotiker der oberen Erfolgsklasse« gemeint sein: »Der Vater reich, ein Frankfurter Weingrosshändler, die Mutter musikalisch, eine toskanische« – echt jetzt? – »Opernsängerin. Das Drama des begabten Hätschelkindes?« Oder nur ein Mißverständnis inklusive tiefsinnigem Fragezeichen? »Seine marxistische Familiarisierung war eh ein Missverständnis.« – Bei jedem anderen wäre so eine dahingerotzte Behauptung steindummes Aufschneidertum gewesen. Spitzenturbojournalisten wie Hasler jedoch, die ihren Marx gelesen und intus hatten, wußten so etwas »eh«, auch wenn sie zuweilen zu tief in den Derrida geguckt hatten: »Für Adorno beginnt Deregulierung der ›verwalteten Welt‹ beim Individuum, das sich als ›nichtidentisch‹, als ›Differenz‹ zum Ganzen entdeckt.« Jaja. A-haber: Was um alles in der Weltwoche »verstand dieser etwas wachsfigurenkabinetthaft wirkende Mann mit der seidenpapierdünnen Haut von Frauen?« Schwer zu sagen, indes vermutlich mehr als Hasler von Dermatologie. Aber daß Adorno die ganzen Weiber abkriegte, war voll ungerecht, denn es wirkte, Hasler sah es doch ganz deutlich vor sich, »der leibhaftige Kulturpessimist wie von einem fremden Stern, kleine Gestalt, fitnessvernachlässigt, der Riesenschädel poliert, Augen wie Hypnotisierscheiben, dickbebrillter Eierkopf.« Und so einer heiratete dann »Margarete Karplus, eine gertenschlanke, blitzgescheite Chemiestudentin« … wer jetzt meinte, Moment mal: »Eierkopf«, »gertenschlank«, »blitzgescheit«; das war doch eins zu eins aus dem »Spiegel« abgeschrieben: nicht ganz. Daß Adorno eine »Chemiestudentin« geheiratet habe, hatte nicht mal Joh. Saltzwedel behauptet. Das Drama des flüchtigen Abkupferers? Oder nicht doch vielmehr die Offenbarung einer restlosen Durchinfantilisierung des Feuilletons sowie des »Lebens« (Chr. Geyer, s.o.) überhaupt? Hermann-Josef Delonge beispielsweise hielt es für nicht unangebracht, seine Paraphrasen über den »kleinen, rundlichen Mann« mit der ›Sendung mit der Maus‹-

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auf der Welt zu sein, ist ja gerade das Urskandalon seiner«, nämlich Adornos, »kritischen Theorie«. (Geyer , »Wer das Leben hat …«, S. ) Auch Thorsten Casimir in der Rheinischen Post will herausgefunden haben, daß sich »durch Adornos Schriften zeitlebens ein Grundton von Negativität, Pessimismus, bisweilen durchaus von Miesepetrigkeit« (Thorsten Casimir , »Der kreative Zerstörer«, o.S.) ziehe.

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Überschrift »›Teddie‹ erklärt uns die Welt« zu versehen.42 ›Jupp erklärt uns Adorno‹ wäre allerdings auch ein Tick zu viel versprochen gewesen. »Als Institution mag Adorno überholt sein, sein Gedankengebirge jedoch hat weiter Geltung – als Steinbruch auch für unsere Zeit.« – Das Gebirge hatte Geltung als Steinbruch, hm. Tja!43 Immerhin konnte Delonge über Adorno berichten: »dass in seinem Geburtsjahr auch der Teddybär auf den Markt kam, ist nur ein Zufall.« Das ist so lustig! Delonge konnte aber auch kritisch: »Adorno, den seine Freunde ›Teddie‹ nannten« – nicht nur die, weißgott! –, »kritisierte unerbittlich die bürgerliche Gesellschaft – und lebte selbst das Leben eines Großbürgers.« Nämlich mit, man ahnte es bereits, Omelett und Riesling: »Die ganz großen Worte fielen ihm leicht, dem Theodor Ludwig Wiesengrund-Adorno, der seine geliebten Frühstücks-Omelettes gerne mit gespritztem Mosel-Riesling«, darin ganz Großbürger, »herunterspülte und dessen Tagebücher sich passagenweise wie ein SM-Porno lesen.« Welches Vergleichsmaterial Jürgen Feldhoff von den »Lübecker Nachrichten«44 hatte heranziehen können, blieb sein süßes Geheimnis. Er konnte jedenfalls offenherzig bekennen: »große Worte sind nicht immer wichtige Worte, bei manchen ist die Halbwertzeit sehr gering.« Sicher, andere, Bequemere hätten nicht formuliert, die Zeit sei gering, sondern sie sei kurz, aber Feldhoff war einer, der gerne selbst mal nachdachte und sich von jedem kreuzdummen Urteil fernhielt, hatte es auch noch so nahegelegen: »[D]ie freie Atonalität war für Adorno der Höhepunkt der abendländischen Musik. Ein kurzsichtiger Blick auf das musikalische Geschehen, der schließlich in einer unsäglichen Verdammungs-Schrift über Jazz gipfelte. In diesem kreuzdummen 42 43

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Delonge , »›Teddie‹ …«, S. . Was Delonge nicht recht zu sagen vermag, formuliert Matthias Dell von der »Thüringer Allgemeinen« wie folgt: »Bei aller Fremdheit bleibt die Faszination für den Kulturkritiker. In einem Klima, das von zunehmender sozialer Kälte, von der Krise der Hochkultur und von Debatten über Genmanipulationen bestimmt ist, kann sein Werk erneut wichtige Stichworte geben.« (Matthias Dell , »Liebling des Jahres«, o.S.) Die Behauptung, daß der »Kern dieses Denkens […] Kulturkritik [ist]« (Suchsland , »Nicht zu fassen«, o.S.), findet sich in beinah jedem Feuilleton, bei Adorno hingegen folgende Passage: »Mich schaudert davor, mich als einen Kulturkritiker bezeichnet zu finden. Das erinnert ja wirklich ein bißchen an den Beruf eines Zuhälters, denn ein Kulturkritiker ist ja dann wirklich ein Mensch, der also von dem lebt, was er ausbeutet und was er zugleich malträtiert. Damit aber möchte ich nichts zu tun haben.« (Adorno , »Laienkunst – organisierte Banausie?«, S. .) Feldhoff , »Der letzte Meisterdenker«, S. .

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Pamphlet, das auch heute noch manche Biographen verschweigen, rückt Adorno den Jazz in die Nähe des Faschismus.« Das Pamphlet, das so sehr verschwiegen worden war, daß selbst ein Anzeigenblatt aus der norddeutschen Provinz davon Wind bekommen hatte, war in der wirklichen Wirklichkeit womöglich eine der meistbekakelten Schriften Adornos, aber im Dienste der Wahrheitsfindung durften sich die Balken auch schon mal biegen. In diesem Sinne machte man sich unter dem Kürzel ›sez‹ in der Frankfurter Rundschau45 so seine absurden Gedanken über Adornos Glosse »Im Flug erhascht«, die  an gleicher Stelle erschienen war: »Kaum ist er ein erstes Mal selbst geflogen, macht er sich lustig über die ›Luftlöcher, von denen gefabelt wird‹; dass die Gurte dem Zweck der Sicherheit dienen sollen, glaubt er nicht, eher sollen sie die Passagiere festhalten, damit ›keiner im Falle einer Katastrophe entkommen könne‹. Das ist ein in seinem Misstrauen schon absurder Gedanke.« Vielleicht war das auch der Grund, weshalb Adorno ihn nie dachte, geschweige denn formulierte. Dessen Gedanken absurd gefunden zu haben genügte nicht, man mußte sie auch noch falsch zitieren. Im Original, das sich in der Frankfurter Rundschau sicherheitshalber auf derselben Seite oben nochmals abgedruckt fand, war gestanden, man schöpfe im Flugzeug »den Verdacht, es werde durch den Gurt dafür gesorgt, daß keiner im Fall einer Katastrophe auf eigene Faust entkommen könne.«46 Es ging Adorno an dieser und ähnlichen Stellen nicht um eine Verschwörung, sondern um die Erfahrung allgegenwärtiger Entmündigung. Davon wollte man allerdings nichts wissen, sondern ihn lieber gleich selbst entmündigen: »Wer aus dem beschädigten Leben heraus reflektiert, tut sich schwer zu glauben, dass andere in ihrem vorreflexiven Tun guten Absichten folgen.« Wer glaubte, man könne auch woanders »heraus reflektieren« als aus dem jeweiligen beschädigten Leben, der glaubte auch, daß »die Barbarei der äußeren Welt vielleicht nicht der einzige Grund für diese Unterstellung der Bosheit der Menschen sei. Das Jubiläum hat uns einen Blick in Briefe, Notizen, Dahingesagtes werfen lassen – vielleicht selbst ein kleiner Vertrauensbruch?« Das nun gerade nicht. Adorno hatte »uns«, das heißt den vorreflexiven Denkern mit den guten Absichten, aber auch gar nichts Privates anvertraut; insofern gab es keine Übereinkunft, die nun hätte gebrochen werden können. Was es gab, waren Personen, die aufrichtig glaubten, sie könnten das Vertrauen 45 46

Hilal Sezgin , »Vertrauen«, S. . Vgl. Adorno, »Im Flug erhascht«, AGS, Bd. ., S. .

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eines Menschen gewinnen, indem sie ihn ungebeten mit Spitznamen anquatschten und anschließend sein Tagebuch und seine Korrespondenz auf der Suche nach belastendem Material durchwühlten. »Im Schutz von Freundschaften und Verwandtschaften hat Adorno seiner Zunge freien Lauf gelassen, was an sich nicht verwerflich ist, aber die gehässigen Gedanken, die diese Zunge trieben, können einen durchaus beunruhigen.« Durch den freien Lauf der gedankengetriebenen Zunge Adornos durchaus beunruhigt, zwang sich ›sez‹, dennoch fortzufahren: »Man mag sich die Trennung von Werk und Urheber ins Gedächtnis rufen, wie man will,« – Hauptsache, nicht die von Werk einerseits und Briefen, Notizen und Dahergesagtem andererseits – »wenn man an Adornos moralphilosophische Vorlesungen denkt« – unter uns: wer täte das schon! – »über Lüge und Verletzung, über das Für und Wider der Moral selbst, über das Bemühen, doch immerhin ›wie ein leidlich anständiger Mensch sich zu verhalten‹, vielleicht wird man sich seinen so behutsam klingenden Worten«, die in Wahrheit nur so dahergesagt sind, »bei der nächsten Lektüre nicht mehr ganz so arglos anvertrauen können.« Adorno hätte das jedenfalls sehr begrüßt: die nicht ganz so arglose Lektüre, die womöglich gar kritische Reflexion, kurz: das selbständige Denken. Damit wiederum das nicht gar zu arg wird, meldete sich die Krimiautorin und Talkshow-Moderatorin Christiane Scherer in einem Interview mit der Kölnischen Rundschau47 zu Wort. Scherer, die sich vielleicht irgendwie wegen Adorno oder aus anderen Gründen zwar nicht ›Teddie‹, aber immerhin Thea Dorn nennt, war seinerzeit mal in einem Philosophieseminar gewesen und hatte dort herausgefunden, daß Adorno »schlau genug [war], sich mit dem berüchtigten ›Es gibt kein richtiges Leben im falschen‹ die Legitimierung für alles und jedes zu verschaffen.« Ungeklärt, ob Scherer ihrerseits schlau genug war, abends darüber zu verzweifeln, was ihr Alter Ego Dorn den lieben langen Tag so verzapft hatte. Zum Beispiel, »dass Adorno zur Philosophie gekommen ist, weil Schönberg ihn nicht leiden konnte.« Die Biographie Adornos muß umgeschrieben werden! Und das tat Dorn denn auch und förderte dabei ganz Erstaunliches zutage: »Ich finde es erstaunlich, dass diese Adornoleidenschaft aus dem Geiste spätjuveniler Empfindlichkeit unter Kulturkritikern unvermindert anhält, die bewundernd ›Rätsel‹ raunen, ›Negativität‹, ›Verweigerung!‹, wenn ein Werk sie ratlos macht«, anstatt ganz einfach zu trompeten: ›Kapier‘ ich nich‘, muß sich also um Scheiße handeln!‹; Scherer/Dorn machte es doch vor. Oder hatten die 47

Thea Dorn , »Einkuscheln bei ›Teddie‹«, o.S.

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Kulturkritiker einfach »nicht genug von der alten Witwe Weltschmerz?« Sondern vielmehr genug von Leuten, die zwar einerseits, wenn Adornos Name gefallen war, weghörten, andererseits jedoch glaubten, in jedes Mikrophon, das ihnen unter die Nase gehalten wurde, ihren Senf dazugeben zu müssen? Genug von Leuten wie Clemens Ruthner? Der war zwar ›Austrian Visiting Professor‹ am ›Department for Modern Languages and Cultural Studies‹ am ›Wirth Institute für Austrian and Central European Studies‹ der ›University of Alberta‹, schrieb aber trotzdem oder gerade deswegen einen Leserbrief an den Wiener Standard:48 »Endlich mal eine große Portion Philosophie im Standard!« – Die portionierbare »Philosophie«, die man tags zuvor gereicht hatte, war tatsächlich so beschaffen: »In der schönen Wiener Restauration Santo Spirito hängt ein mächtiges Hirschgeweih, das, nicht ganz zu Unrecht, den Namen Adorno trägt.« (Wolfgang Weisgram)49 – Weiß der Geier, weshalb. Daß es diesen Mampf gegeben hatte, wäre schon vollrohr in Ordnung gegangen, der Austrian Visiting Professor mopperte allerdings über die Speisefolge: »Nur leider Adorno, der schon zu meiner Studentenzeit vor  Jahren als boring old fart abgetan wurde. Die verunglückte Mischung von lauwarmem Marxismus und penetrant belehrendem Bildungsbürgertum. Aber Geburtstage muss man feiern, wie sie fallen – Adorno war immer schon  Jahre alt!« Was Ruthner gegen Hundertjährige hatte, war nicht zu ermitteln; gegen Adorno hatte er einzuwenden, daß jener von dessen, Ruthners, Profs bereits vor zwanzig Jahren »abgetan« worden war. Philosophie heute: Das war Schwimmen mit dem Strom, möglichst schneller als die anderen. Einen kategorischen Imperativ hatte sich der im Herzen kindisch gebliebene Pups zwischenzeitlich immerhin erarbeitet: »›Geburtstage muß man feiern, wie sie fallen!‹ Brav! Und Adornos Geburtstag fiel nun mal auf den . September. »Der . September, das ist der sprichwörtlich gewordene . September«, hatte ein anonym gebliebener Beiträger für die Mainpost recherchieren können.50 Aber der . September war nicht nur der . September, er war zugleich – »Dialektik des Seins – unser Hochzeitstag«. Glückwunsch nachträglich! Der . September war übrigens zugleich auch der Geburtstag Franz Beckenbauers, und vielleicht hätte dieser den folgenden Satz verstehen können, vermutlich aber auch nicht: »Auf jeden Fall war Adorno der Rudi Völler der Philosophie. Beide können den 48 49 50

Clemens Ruthner , »Immer schon « [Leserbrief ], S. . Wolfgang Weisgram , »Parva viennensia«, S. . [Anonym] , »Unterm Strich«, o.S.

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›Scheiß‹ nicht mehr hören, den sie in der beschädigten (Fußball-)Welt wahrnehmen.« Adorno und Völler, wer könnte sie in all dem Scheiß noch auseinanderhalten? Oder  und ? Dabei ist das mit dem Datum »nichts als eine zufällige Koinzidenz im großen Kalender.« Das sah Peter von Becker im Tagesspiegel ganz klar.51 »Doch kann man an diesem Tag, an dem sich Gedanken und Gedenken so sonderbar mischen« – etwa zu Gedänken? (kl. Scherz) –, »auch von Konstellationen sprechen. Und das Denken in offenen ›Konstellationen‹, nicht in ideologisch vorgegebenen Systemen, war gerade die Stärke, war die Attraktion Theodor Adornos.« Noch einmal: Die Sache mit dem Datum war ein purer Zufall, klar: »Heute, am . September, wäre Adorno  Jahre alt geworden. Genau: am . September, dem neuen globalen Horror-Datum. Ein Zufall, klar. Jeder strenge Philologe würde sich Assoziationen verbitten.« – Nicht nur der. Auch Martin Jasper von der Braunschweiger Zeitung sah die Sinnlosigkeit der eigenen Assoziationen, klar!52 Und dennoch: »Dennoch sei die These gewagt: Hier erweist sich die Aktualität von Adornos ›Dialektik der Aufklärung‹. Denn die USA verstehen sich weltweit als Vorkämpfer der Aufklärung. Als Garanten von Demokratie, Vernunft, Freiheit, Modernität. Aber zu welchen Kosten! Von der Vernichtung der amerikanischen Ureinwohner über die Atombombe auf Japan und den Sturz des chilenischen Präsidenten Allende (dessen . Jahrestag übrigens auch auf den heutigen . September fällt) bis hin zum Vietnam-Desaster begleitet eine unablässige Blutspur den Drang nach Weltverbesserung im amerikanischen Sinne.« Weshalb Mohammed Atta und seine kritischen Dialektiker eingedenk der amerikanischen Ureinwohner in weltverbesserischer Mission ins World-Trade-Center und ins Pentagon geflogen waren. Oder in der Weltsicht Jaspers: »Da nährt die Supermacht am eigenen Busen den bin Laden.« Daß dies alles Quatsch mit antiamerikanischer Soße sein könnte, schwante Jasper allerdings selbst: »Dies ist weiß Gott keine Erklärung des Terrors vom . September . Dazu sind die Ursachen viel zu abgründig und vielschichtig. Es ist nur der Versuch« dem eigenen Ressentiment – mit Hilfe eines zufälligen Datums, klar! – Luft zu machen? Eben das: »die tief sitzende Fortschritts-Skepsis des scheinbar veralteten Philosophen Adorno anhand eines zufälligen Datums neu zu bedenken.«

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Peter von Becker , »Der Splitter im eigenen Auge«, S. . Jasper , »Das dünne Eis …«, S. .

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›Neu‹? ›Bedenken‹? Damit war man bei den Lobbyisten von den VDI nachrichten, dem Mitteilungsorgan des Verbands Deutscher Ingenieure, aber so was von an die Falschen geraten:53 »Der Sieg der Massenmedien hat die Analyse scheinbar« – wollte sagen: ›anscheinend‹ – »obsolet gemacht, die befürchtete allgemeine Verdummung ist ausgeblieben. […] Es tobt nicht nur richtiges Leben im falschen, es macht jetzt auch noch Spaß« (Fritz Wolf ). Daß dieser gerade eine Folge der allgemeinen Verdummung hätte sein können, kam auch der Spaßgranate Wolfgang Schneider in der FAZ nicht so ganz in den Sinn,54 wenngleich er irgendwie doch auch ein Stück weit kulturkritisch mahnen wollte: »Wer möchte in der Spaß-, Pop- und Paradengesellschaft noch der unerbittlichen Negativität Adornos in alle argumentativen Winkel folgen? Die neunmalkluge Dialektik der Ideologiekritik, die immerzu mahnend den Finger hebt und ›Falsch!‹ ruft, läßt sich nur noch schwer ertragen.« Im argumentativen Winkel der Paradengesellschaft würde vielmehr das »Repertoire von Adornos Kritik an der Kulturindustrie [...] selbst zum Schlager.« Zum präventiven Gegenschlager holte Klaus Nüchtern hackevoll im Falter aus55 und verstieß erst mal gegen das gute Gebot, keine Namenswitze zu machen, um seinen Artikel mit »Adore? No« betitelten zu können. Dergestalt aufgewärmt galt es, frisch-fröhlich voran in die Tasten zu hämmern, was der Stream of Unconsciousness hochspülte: »Adornos schärfstes Riff ›Es gibt kein richtiges Leben im falschen‹ ist so etwas wie das ›Smoke on the Water‹ der neueren Philosophie. Und die ›Minima Moralia‹, jene Sammlung von ›Reflexionen aus dem beschädigten Leben‹, dem [sic!] es entstammt (als letzter Satz von Take : ›Asyl für Obdachlose‹), sind sozusagen das Greatest-Hits-Album oder, wenn man es mit den Herausgebern einer unlängst erschienenen Remix-Version  ausdrücken will, ›ein geradezu volkstümliches Buch‹«. Und weil Auschwitz »sozusagen« immer noch so höllisch rockte, radebrechte Nüchtern weiter: »Adorno […] erklärte die ›Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei‹, nicht nur zur ›allerersten an Erziehung‹, sondern erhob diese«, also jene, die Forderung, »überhaupt zur Maxime seiner Philosophie. Nicht nur damit hatte er maßgeblichen Anteil an der Re-Education des Nachkriegsdeutschlands, in das der -Jährige aus dem amerikani-

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Fritz Wolf , »Am . September jährt sich zum hundertsten Mal der Geburtstag des Soziologen und Kulturphilosophen Theodor W. Adorno. Es tobt das richtige Leben im falschen«, S. . Wolfgang Schneider , »Der explodierende Muff«, S. . Klaus Nüchtern , »Adore? No.«, S. .

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schen Exil zurückgekehrt war.« Yo!, was wäre Adorno gewesen ohne das »absolute[…] Grauen (Auschwitz!)«56? Denn erst dieses »Grauen prägte seine Weltanschauung«57. Auschwitz konnte aber noch anderes als Weltanschauungen prägen. Ulf Poschardt,58 der recht eigentlich über Adorno und die Mode schrieb – »Adorno war natürlich ein korrekt angezogener Mann. Seine Anzüge saßen ordentlich, ebenso meist die Krawatte und die weißen Hemdkragen« –, schrieb sinnigerweise auch noch: »Die Existenz eines Ortes wie Auschwitz war für Adorno mehr noch als das Verschwinden des Proletariats als Subjekt des geschichtlichen Fortschritts eine Erschütterung, die sein Denken in jeder Faser durchdrang. Aufgewachsen in der Idylle einer wohlhabenden, assimilierten, kultursinnigen jüdischen Bürgerfamilie, blieb die Vertreibung aus dem Paradies eines Antisemitismus-freien Lebens, wie das im Frankfurt der er-Jahre, ein Schock.« Schwer zu sagen, von welchem Frankfurt, in welchem in den er Jahren ohne Antisemitismus zu leben möglich gewesen wäre, Poschardt hier sprach; aber wenn er eine Klammer benötigte, die Adorno einerseits und die Mode andererseits irgendwie zusammenzwang, warum es nicht mal mit dem Holocaust probieren, der funktionierte schließlich immer? Weil’s praktisch eh wurscht war, legte Lütkehaus59 auch noch einen drauf: »›Nichtidentität‹ lautet in der Negativen Dialektik das Menetekel. Mit Adornos umstrittenstem Satz gesagt: Nach Auschwitz lassen sich auch keine individuel56 57 58

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Delonge , »›Teddie‹ …«, S. . Zschunke/Trauner , »Der Einspruch …«, o.S. Poschardt , »Das Fest der Verschwendung«, S.  f. – Das wenige, was Adorno ausgerechnet zur Mode, wenn auch nur zur Pantoffel, geäußert hat, wird von Poschardt prompt und konsequent mißverstanden: »Als Positivismusfeind fand Adorno in der Mode einen Referenzboden eigener Negativität. Das stets Verneinende, Gegenwart Verleugnende, Unstete der Trends – diese innere wie äußere Zerrissenheit – interessierte Adorno; dort wo sie es nicht war, sondern böser Alltag, sah er in ihnen Metaphern für das beschädigte Leben – wie bei den Pantoffeln, die er dafür hasste, dass man in sie hineingelangen konnte, ohne sich bücken zu mühen [sic!]. Die verweigerte Mühe als Sinnbild für einen geschwunden Lebensmut.« (Ebd., S. .) – Adorno sagt tatsächlich genau das Gegenteil: »Wie manchen Dingen Gesten, und damit Weisen des Verhaltens einbeschrieben sind. Pantoffel – ›Schlappen‹, slippers – sind darauf berechnet, daß man ohne Hilfe der Hand mit den Füßen hineinschlüpft. Sie sind Denkmale des Hasses gegen das sich Bücken.« (Adorno, Minima Moralia, AGS, Bd. , S. .) Lütkehaus , »Das Wunderkind«, S.  f.

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len Biografien mehr schreiben.« Dafür aber prima Feuilletons, die von »Auschwitz« so häufig begeistert daherplapperten, bis das, wofür das Wort – fragil genug – einstehen sollte, endlich dermaßen banal wurde, daß es keinen Unterschied mehr machte, ob man darauf noch reflektierte oder nicht. Und so sollte es ja schließlich sein. Wenn Polen endlich wieder offen war, war alles erlaubt, so auch die so sinnlose wie unappetitliche Mutmaßung, daß »›Teddie‹ nach der Totgeburt eines drei Jahre älteren Bruders konkurrenzlos und weitgehend dissonanzfrei auf[wächst].« Glück muß man haben. Aber wer wußte, wie verhätschelt Einzelkinder sind, wußte auch, daß Adorno »zum Zwangsneurotiker der Brillanz« werden mußte, selbst wenn er nicht wußte, was das schon wieder Dolles sein mochte. »Seine Dialektik, die dem Leser immer einen Schritt voraus ist, wird ihm zum Schutz davor, sich überraschen zu lassen.« Eine Totgeburt hatte zur Zwangsneurose geführt, die wiederum zur Dialektik: Philosophiegeschichtsschreibung im Kampf gegen den Klassenbesten als Klassenfeind. Um sich nicht äußerstenfalls mit Adornos Theorie auseinandersetzen zu müssen, wurde sie auf die reine Form gebracht, die inhaltsleer keinem mehr wehtat. »Adorno ist, was seine Adepten ungern hören, Kunst. Er ist Roman; er ist Musik.« – Und Adorno war, was seine sogenannten Adepten noch weniger gern hören mochten, auf den Frank Schirrmacher der FAZ gekommen;60 und nicht nur auf den, denn auch René Aguiagh wußte für Literaturen, daß der Sound den Krach machte: »Vielleicht ist es an der Zeit, die Invektiven über das ›Amusement‹, das ›Banausische‹, den ›Schund‹ und das ›Bescheidwissen‹, all die pejorativen Spitzen aus dem adornitischen« – gemeint war wohl: adornoschen (vielleicht aber auch nicht, wer konnte das noch erraten?) – »Wortschatz, als reinen Sound hinzunehmen, ähnlich wie die Four-letter-words im Hip-Hop.«61 – Ja, fuck ey, klar: Die Spitzen des Wortschatzes waren reiner Sound! Immerhin: »Welcher Philosoph hätte zuvor Existenzphilosophie und Stummfilm miteinander kurzgeschlossen, einmal abgesehen von seinen Lehrern Walter Benjamin und Siegfried Kracauer?« – Wer also, außer denen, die es bereits getan hatten? Sehen Sie: gar keiner!

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Frank Schirrmacher , »Adorno im Ohr«, S. . – Tilman Reitz bemerkt im Argument, daß Schirrmacher »völlig frei daherparlier[t]« und sich »derart fern von allen diskutierbaren Positionen [hält], dass Einwände von vornherein unmöglich sind.« (Tilman Reitz , »Friedhof der Kuscheltiere. Die Neutralisierung Adornos in Feuilleton und Fachwissenschaft«, S. .) Aguiagh , »Es ist schwarz …«, S. .

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Es war halt albern. Bei dem Ernst Matthias Kamanns von der Berliner Morgenpost klang das so: »Den Sound dieser Texte wird man nie wieder los. Nur so als Beispiel aus einem Adorno-Text über Walter Benjamin: ›Der Antithese des Ewigen und des Historischen entrann er durch das mikrologische Verfahren, durch Konzentration aufs Kleinste, darin die geschichtliche Bewegung innehält und zum Bilde sich sedimentiert.‹ Was das bedeutet, sei mal egal – aber hat der letzte Nebensatz nicht einen faszinierenden Rhythmus? Auch beachte man das Reflexivpronomen ›sich‹, das bei Adorno ganz weit hinten steht.«62 – Bei Kamann hingegen standen ahnungslose Freundinnen ganz weit vorne: »Aus ›Minima Moralia‹ las man als Jung-Intellektueller im Schwimmbad der ahnungslosen Freundin vor.« Heute als alt gewordener Jung-Intellektueller den ahnungslosen Lesern der Berliner Mopo – diese Anmache schien bei einigen Leuten unerklärlicherweise zu funktionieren. Schirrmacher63 beschloß seine These, Adorno sei Roman, sei Musik, derweil mit dem Wagnis: »Nicht zufällig hat Adorno stilbildend auf die interessantesten Schriftsteller eingewirkt.« Das sah das kreuz- und querdenkende Alphatierchen Matthias Matussek, der dem Ausland bei Eigenbedarf auch klipp und klarmachte, warum es die Deutschen mal gern haben konnte,64 berufsbedingt ganzganz anders; denn wer eine unbequeme Meinung zu allem hatte, der hatte auch eine zu Dingens … um wen ging es doch gleich? »Leider hat sich […] Adornos dialektischer Manierismus vererbt, was einer ganzen Generation von Feuilletonisten den Stil verdorben hat.65« Höhö, »dialektischer Manierismus«, einfach köstlich! – Am Rande: Natürlich war das nur peinlich-eitles Geschnäbel, aber man hätte Matussek gerne mal gebeten, ganz unbürokratisch eine Liste mit den Namen der Leute reinzureichen, deren Stil Adorno verdorben hätte – – – hätte hinwiederum Adorno jedenfalls beizeiten mal schön den Rand gehalten, wer weiß, wie weit es die deutsche Leitkultur noch gebracht hätte. So aber war er »vor allem […] doch für das Gespräch über Kultur in diesem Lande ein ungeheures Verhängnis. Auf Adorno geht das Heer der Schwafler und Schwätzer, jener neunmalklugen Bescheidwisser zurück, die zu allem eine Meinung haben, die nicht aus Anschauung und Kenntnis gewachsen ist, sondern

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Matthias Kamann , »Theorie mit Speed und Sound«, S. . Schirrmacher , »Adorno im Ohr«, S. . Vgl. Matthias Mattussek , Wir Deutschen. Warum die anderen uns gern haben können. Ders. , »Pistolenknall und Harfenklang«, S. .

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aus dem Bezug auf eine mit möglichst viel Begriffsbijouterie gespickte ›Kulturtheorie‹.« Daß das kurrente Geschwafel, womöglich auch Tilman Krauses (Die Welt)66 eigenes, auf Adorno zurückgehe, war eine gewagte These, aber wenn er einen »Adorno-Adepten« sah, kriegte Krause nun mal echt die Krise und machte den Matussek: »der klassische Adorno-Adept also ist ja der Banause, der Nicht-Ästhet, Gesinnung über Geschmack setzend, ein meist proletarisierter Emporkömmling, immer aus dem historischen und sozialen Nichts stammend und jene Invektiven gegen Besitz- und Bildungsbürgertum nachstammelnd, die Theodor W. Adorno« usw. usf. rechtsradikalisierte Krause forsch in die Welt hinein. Der ›Adornit‹, der ›Adorno-Adept‹ – mit dem hatten und haben sie’s. Wann immer jemand beim Adorno-sowas-von-passé-Finden nicht mittun wollte, konnte der schwuppdiwupp auch schon nicht mehr selbständig denken, sondern nur schlucken, was die angebliche ›Kultfigur‹ bereits vorgekaut hatte. So ganz neu war die Masche nicht. Bereits Adorno selbst bemerkte  dazu: »Immer häufiger stoße ich darauf, daß Menschen, die mich schätzen, oder wenigstens sagen, daß sie es täten […], sich über meine sogenannten Nachahmer entrüsten. Ich verkenne nicht das Peinliche, das entstehen kann, wenn einer sich räuspert, und spuckt. Aber eine lange Erfahrung hat mir gezeigt, daß es damit nicht so einfach bestellt ist. Zunächst ist mir, solange noch in irgendeinem deutschen Winkel Heidegger und Jaspers Denk- und Sprachmodelle sind, einer, der mich nachahmt, lieber als einer, der den Jargon der Eigentlichkeit spricht. Dann meine ich, daß bei jungen Menschen, wenn sie sich zunächst an einen Lehrer, im wörtlichen oder weiteren Sinn, anschließen, das kein Unglück ist. […] Sehr vielfach impliziert die Tendenz, die sogenannten Mit- oder Nachläufer von dem angeblichen Schulhaupt zu trennen, daß man auf den Sack haut und den Esel meint. Man neutralisiert unbequeme geistige Erscheinungen da66

Tilman Krause , »Adorno als geistiges Verhängnis«, S. . – So ganz mochte Krause von Adorno allerdings nicht lassen: »Denn der Respekt für diese Figur, die schon zu Schulzeiten uns ins Herz gesenkt wurde, sie ist ja durchaus vorhanden« – die Respekt, die Figur? »Sie« ist jedenfalls vorhanden, und zwar »nicht seines unermesslichen Kulturdünkels wegen, auch nicht wirklich wegen seines theoretischen Gebräus, aber doch wegen seiner Bildung und Belesenheit.« (Ebd.) – So geht’s zu, wenn man einen Gesellschaftskritiker nicht so abwatschen kann, wie man will, weil man, selbst einem unaufgeklärten Kulturbegriff verhaftet, auch gerne als belesener Bildungsbürger dastehen möchte.

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durch, daß man sie zum sogenannten Einzelfall stempelt, ihnen durch den Charakter des Ausnahmsweisen zugleich den des Unverbindlichen aufprägt, und vor allem – das scheint mir das Wichtigste – verhindert, daß an sie etwas wie eine Tradition sich anschließt, also ihrer Arbeit gerade dort in die Parade fährt, wo sie eigentlich wirksam wird. All das ist vielfach unbewußt, man sollte es aber doch reflektieren. Die Entrüstung über meine Nachahmer ist nachgerade so sozialisiert, daß ich anfange, jenen besonders zu mißtrauen, die sozusagen päpstlicher sind als ich und aus meinen Sachen das machen wollen, was sie ihrem eigenen Sinn nach am wenigsten sein können: Eigentum.«67 Von Leuten wie Norbert Bolz war hier die Rede: »bis heute triumphiert Adorno kurioserweise gerade bei denen, die ihn nie gelesen haben. Die kraftstrotzenden Schüler offenbarten die Gebrechen des Lehrers: die blasierte Selbstgerechtigkeit des geistigen Antifaschismus; das Intellektuellen-Phantasma des ›dritten Weges‹; den Hochmut, anderen das Recht aufs eigene Unglück abzusprechen.«68 Jedes Wort eine trostlose Lüge, auch wenn man ausgerechnet dem Bolz sein tapfer erkämpftes Recht aufs eigene Unglück nicht streitig machen mochte. Wohl aber René Aguiagh das seine auf derlei ranzige Klischeevorstellungen: »Der Adornit wohnt in einem Reihenhaus. Vor der Tür wuchern Sträucher und die kaum beschnitten Zweige einer Birke. Drinnen stehen Büchertürme, weil die Regale schon lange nicht mehr ausreichen. Andere Regale halten mit Mühe Schallplatten und CDs zusammen. Im Wohnzimmer steht der Flügel, der Klavierauszug Verdis ›Macbeth‹ ist aufgeschlagen. Der Adornit trägt volles, weißes Haar. Früher ließ er es länger wachsen und hatte auch den Bart noch nicht gestutzt.«69 Ja, früher! Da wurde mancherorts noch richtiggehend gedacht, bevor man schrieb, während heuer die Gegner der Dialektik abseits des verderblichen Stils Adornos ihren ganz eigenen Stiefel runterrumpelten, wie z.B. Torsten Enge, der es im Remscheider General-Anzeiger für eine Idee hielt, gerade »jenseits der Dialektik ein Haus zu bauen, in dem Theorie und Praxis in einer metaphysischen Einheit wieder miteinander wohnen können.«70 Denn diesseits der Dialektik stand ja schon das Institut für Sozialforschung: »Das Institut für Sozialforschung, später die ›Frankfurter Schule‹ genannt, machte ihn berühmt.«

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Adorno an Claus Behncke, . Februar . Detlev Claussen, Theodor W. Adorno. Ein letztes Genie, S. . Norbert Bolz , »Der Pyrrhus-Sieger«, S. . Aguiagh , »Es ist schwarz …«, S. . Thorsten Enge , »Das große Nein zum Jahrhundert der Diktaturen«, S. .

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Eben. Wenn schon falsch, dann aber richtig. Mit anderen, Torsten Enges ganz und gar unmanierierten Worten: »Die Wirkung Adornos lag größtenteils auf der äußeren Schiene seiner artifiziellen Sprache.« Auf der inneren lag Roger Behrens und wartete auf den »ICE Theodor W. Adorno«. Der dürfte jedoch nie angekommen sein, denn Helmut Lachenmann von der Stuttgarter Zeitung hatte zwischenzeitlich herausgefunden, daß der Theodor W. Adorno gerne mal »manieristisch entgleiste«71. Der Autor des Adorno-ABC Behrens förderte dennoch ungehindert Extravagantes zutage: »Adorno hatte wohl nichts gegen das Reisen mit der Bahn, wohl aber gegen Smalltalk mit anderen Fahrgästen.«72 Das Buch, eigentlich ein Behrens-ABC, das wegen der Jubiläumsfeiern aus marktstrategischen Gründen wohl oder übel umbenannt werden mußte, wartete noch mit anderen überraschenden Lemmata auf, wie z.B. »The Beatles«, »Blues«, »Computer«, »The Consolidated«, »Cool« (»Kann man Adorno vorwerfen, dass er uncool war?«)73, »Crooner«, 71 72

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Helmut Lachenmann , »Abenteuer des Geistes«, S. . Roger Behrens , Adorno-ABC, S. . – Ein Jahr zuvor bereits, , hatte Holger Freiherr von Dobeneck Das Sloterdijk Alphabet auf den Markt geworfen, das neben den Stichworten »Osho«, »Orgasmus«, »Brüste«, »Blasen« und »Arsch« auch »Adorno« abhandelte: »Adornos Theorie litt am Kältezustand dieser Welt, und er« – gemeint war wohl Adorno – »teilte seine Allergie gegenüber Macht und Männlichkeit mit gewissen buddhistischen Aspirationen. Überall sah er in einer gewissen Wehleidigkeit nur das falsche Leben, in dem es kein richtiges gibt. So entwickelte er eine Vorwurfshaltung gegenüber allem, was Macht hat, die Welt der Väter, der Gesetzgeber und Geschäftemacher. Mit seiner übergroßen Sensibilität bewegte er große Teile der Generation der er zum Sichverweigern. Darin gründete auch letztlich ihre frustrierende Stagnation. Auf die Generation Golf hat sie« – vermutlich nicht die Stagnation, sondern entweder Adornos »übergroße Sensibilität« oder die »Generation der er« – »keine ansteckende Wirkung mehr.« (Holger von Dobeneck , Das Sloterdijk Alphabet. Eine lexikalische Einführung in Solterdijks Gedankenkosmos, S. .) »Im Bebop wird ein wilder, heißer, zum Teil aggressiver Jazz gespielt. Der Saxophonist Charlie Parker, der Trompeter Dizzy Gillespie, der Schlagzeuger Art Blakey oder der Pianist Thelonius Monk prägten diese Spielweise Anfang der vierziger Jahre: Unruhe, sich brechende und jagende Phrasen und ein schneller, verdoppelter Rhythmus (/ statt /) kennzeichnen die Jam-Sessions in New York. Dem folgte Ende der vierziger Jahre an der Westküste eine Gegenbewegung, die Adorno hätte gefallen müssen: Statt des improvisierten Spiels von Frage und Antwort standen nun Harmonik und Melodik im Vordergrund – eine nach theoretischen Prinzipien konstruierte Musik, die an die kartographischen und konstruktivi-

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»Punk« und »Zwutsch«; kurz: kenntnisreiches Fachwissen, auch und gerade im Detail, funkensprühender Geist, prägnante Darstellungen der zentralen Motive Adornos – wer so was suchte, konnte das Adorno-ABC füglich unter seinen wackelnden Tisch legen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch Jürgen Kaube in der FAZ unter dem Titel »Wer A sagt, muß nicht ABC sagen«:74 »Vom Idol werden ständig menschelnde Anekdoten erzählt, die nichts zur Sache tun. Jedenfalls nichts zu Adornos Sache, sondern nur zu der pubertären des Roger Behrens, im Philosophen ein Rollenmodell zu konsumieren, an dem dann, damit es paßt, nach Maßgabe der eigenen Geschmackspräferenzen noch ein bißchen mit klebrigen Fingern herumretouchiert werden muß. […] Der Preis dafür, den Roger Behrens aber gern bezahlt hat, ist ein Beitrag zum vollendeten Verblödungszusammenhang.« Leider wahr. Wie sich denn auch nicht nur auf dem Umweg über seine Schüler- und Anhängerschaft der Gesellschaftskritiker Adorno erledigen ließ, sondern auch direkt mittels charakterologischer Studien seiner Physiognomie. »Blendendes Charisma ging von Adornos Erscheinung nicht aus. Dazu war er wohl zu pummelig-rundlich, zu klein.« So nochmals Joachim Kaiser in der Süddeutschen Zeitung.75 »Freilich überwältigte die Lebendigkeit seiner Augen, die werbende Herzlichkeit seines Blicks und die Angst, welche sich dahinter wie auch in den Falten um seinen Mund zu verbergen schien.« Der Mann fürs Grobe, Saltzwedel,76 interessierte sich vorzüglich für den frisürlichen Aspekt von Adornos Gesellschaftskritik, für den »kleinen rundlichen Mann mit fast kahlem Schädel«, diese »immer kahler werdende Gestalt«; war doch Adorno, jener »kleingewachsene Denkriese« (Siegbert Kopp vom Südkurier)77 mit den »großen, traurigen Kinderaugen« (Georg Pepl, Hessische/Niedersächsische Allgemeine)78, ganz offenkundig »ein kleiner, kahlköpfiger Mann«

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stischen Bilder von Piet Mondrian erinnert:  und  nahm Miles Davis ›The Birth of the Cool‹ auf, dann kamen Lennie tristano, Gerry Mulligan, Gil Evans, Dave Brubeck und schließlich das Modern Jazz Quartett. Flächen, schwingende Linien, ruhige Zeitmaße bestimmten die Musik, statt des wilden, heißen Jazz wurde nun ein transparenter Cool Jazz gespielt.« (Behrens , Adorno-ABC, S. .) – Wer da nicht sofort an Theodor W. Adorno denkt, hat nichts begriffen. Jürgen Kaube , »Wer A sagt, muß nicht ABC sagen«, S. . Kaiser , »Was blieb von Adornos Glanz?«, S. . Saltzwedel , »Narziss …«, S.  f. Siegbert Kopp , »Antipode der Hoffnung«, S. . Georg Pepl , »Warner vor der Barbarei«, o.S.

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(Ines Steiger, Allgemeine Zeitung Mainz)79. Auf den nun plötzlich ein – bumsfallera! – »Busenattentat« (alle, sämtliche Zeitungen) verübt wurde. Angesichts dessen rang Hans-Klaus Jungheinrich in der FR chancenlos um Worte: »Konfrontiert mit demonstrierter Nudität, war das Gehäuse der elaborierten bürgerlichen Anpassung Adornos tangiert, Individualismus paradox bedroht durch kollektive Anmutungen, hinter deren ›Organisiertheit‹ gar die schmerzhaft erinnerte faschistische Barbarei zu lauern schien. Gespenster besetzten den universitären Rückzugsraum.«80 Konfrontiert, demonstriert, tangiert, organisiert – wo wir gerade ›dabei‹ sind: Wie war eigentlich Adornos Denken auch über Sexualität? »Adornos Denken auch über Sexualität war völlig antibürgerlich (im Beharren auf Elementen von Libertinage geradezu aristokratisch); gleichwohl sah Adorno kaum anders aus als irgend ein verklemmter, stubenhockender Professor aus der Vorkriegszeit.« Wie Müllers Lieschen und Hans-Klaus Jungheinrich ihn sich halt so vorstellten. Wie sich Vadim Zakharov das Denken Adornos vorstellte, ließ sich seit dem Vortag des hundertsten Geburtstags des »korrekte[n] Anzugträger[s]« auf dem neumöblierten Theodor-W.-Adorno-Platz hinter der Frankfurter Universität begutachten; der Künstler durfte sein ›Adorno-Denkmal‹ auf den Platz würfeln,81 und die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth hielt naturgemäß eine Rede zur »Übergabe des Adornoplatzes«82 an das Volk, in der sie feststellte, daß »Adorno die Identität unserer Stadt maßgeblich mitgestaltet hat.« Wobei ›Stadt‹ als »die dreidimensionale Verortung von Ideen« verstanden werden muß. Jedenfalls war die CDU-Politikerin – »das Frankfurter Unternehmen Fragro hat sich bereiterklärt, für das erste Jahr kostenlos die Pflege und Reinigung zu übernehmen. Alles war in guten Händen und alles wird in guten Händen sein« – der scheinbar unverbrüchlichen Meinung: »Dieses ist ein würdiges Kunstwerk und 79 80 81

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Ines Steiger , »›Busenattentat‹ auf Genie«, o.S. Hans-Klaus Jungheinrich , »Körpertraum(a)«, S. . Das sog. Denkmal ist, gleich wie der Theodor-W.-Adorno-Platz insgesamt, inzwischen auf dem IG-Farben-Campus der Goethe-Universität errichtet worden, um dort neue deutsche Geschichte zu markieren: »Der Umzug des Adorno-Denkmals ist Teil des Projekts ›Lebendiger Campus‹, mit dem noch mehr Leben auf den Campus Westend kommen soll – unter anderem mit Volleyballfeldern, Sitzgelegenheiten, Grillplätzen und Kunstwerken.« ([Anonym] : »Adornos Schreibtisch zieht um«, o.S.) Petra Roth , »Übergabe des Adornoplatzes am . September , : Uhr«, S.  f.

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ich glaube, es ist genau das richtige Kunstwerk«, setzte es sich doch zusammen aus »Zitate[n] und Versatzstücke[n], die auf ihn«, Adorno, »und sein Werk verweisen – ein Schreibtisch, ein Buch, ein Metronom – aber man spürt dabei sogleich die Inhaltskraft, die von seiner Arbeit ausgeht.« Womöglich war das das Geheimnis: Adornos Arbeit nicht zu rezipieren und zu bewerten, sondern lieber ihre Inhaltskraft zu spüren. Warum auch nicht, Lorenz Jäger höchst selbst machte es in einem Interview mit der Nürnberger Zeitung83 vor und »spürte« lieber der – »im Wesentlichen wohl von Adorno verfasste[n]« – so vermutete heillos verwirrt Markus Schwering im Kölner Stadt Anzeiger84 – »Dialektik der Aufklärung« nach, als deren Thesen zu reflektieren; mit immerhin überraschenden Ergebnissen85: »J: Es gibt bei Adorno eine Grundidee, die ich doch sehr interessant finde: Die Vorstellung, dass es in der Vernunft die Möglichkeit einer Selbstverfinsterung gibt. Das, was er die ›Dialektik der Aufklärung‹ nennt, wird uns wohl weiter beschäftigen. NZ: Das heißt konkret? J: Wir haben zum Beispiel vermehrt Allergien bei den Kindern. Woran liegt das? Die neueste Forschung sagt uns, dass diese Kinder zu stark gegen Masern und Ähnliches geimpft wurden und also zu wenig Erregern ausgesetzt sind. Der Versuch, ein ganzes Gebiet durch technokratische Bewirtschaftung zu sanieren, führt zu völlig unvorhergesehenen Ergebnissen: Das Immunsystem spielt verrückt. Da spürt man, was Adorno mit der ›Dialektik der Aufklärung‹ gemeint haben könnte.« Konsequent brachte Jäger Adornos Gesellschaftskritik auf Alltagsgewäsch herunter: »Denken Sie an Phänomene wie den Marken-Fetischismus. Da ist noch immer ein kritisches Potenzial vorhanden.« Und was war mit der abertausend83 84 85

Jäger , »Kämpfer gegen den Konformismus«, S. . Schwering , »Das triumphale Unheil«, o.S. Überraschend ist auch die etwas andere Meinung Jägers bezüglich Adornos »Verständnis für Endlichkeit und Tragik«, welches »sehr unausgeprägt gewesen sein sollte. Da ist so ein gefährlicher Grundoptimismus vorhanden« (Jäger , »Kämpfer …«, S. ). – Man wird, angesichts Adornos häufiger Einsprüche gegen den Tod, wohl zu der Einsicht gelangen müssen, daß Jäger zentrale Texte Adornos so wenig kennt wie den Stand der Forschung in der Allergologie; oder jene Texte schlicht ignoriert, um lieber sich und sein Bild von Adorno in den Vordergrund zu rücken.

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fach beglaubigten Tatsache, daß früher alles besser gewesen war? Auch da wäre doch noch einiges gegangen; nicht auszuschließen, daß Jäger bereits ›dran‹ war. Auf dem Adornoplatz endlich ließ sich das Denkmal sogar von einer christdemokratischen Politikerin – »mein Dank geht auch […] an das Architekturbüro Index« – nicht ohne warme Worte aus des Geehrten Œuvre einweihen: »Es gibt ein Zitat von Adorno, das sich auf Natur und Kunst bezieht und das ich zum Abschluss diesem Platz widmen möchte«, der, wie erinnerlich, bereits Adorno gewidmet war, von dem auch das Zitat selbst stammte. Na denn: »›Was Natur vergebens möchte, vollbringen die Kunstwerke: sie schlagen die Augen auf‹«. Was immer das mit dem von Zakharov gestalteten Ungetüm zu tun haben mochte oder sollte –: der Künstler selbst suchte in seiner »Rede anläßlich der Übergabe des Adornoplatzes«86 dem Publikum seine Idee von einem Kunstwerk zu Ehren Adornos mit Phrasen schmackhaft zu machen, die allesamt aus der Grabbelkiste des Präfaschismus geklaubt worden waren: »Wahnsinn der Einsamkeit«; »jener Ursprungsort, von dem aus alles seinen Anfang nimmt«; »gewaltige Räume und die Geister von Millionen«; »die Schicksale und Geisteshaltungen von Generationen«; »Erschaffung der Menschheit« und »kolossale Arbeit«. Dementsprechend sah der Klotz aus: Ein hermetischer Block aus vermeintlich bruchsicherem Spezialglas, im Innern ein beliebiger, hübsch altmodisch ausschauender Schreibtisch plus entsprechendem Stühlchen. Auf jenem Schreibtisch tickt ein anspielungsreich schräggestelltes Metronom in die Ewigkeit. Umgeben ist dieser Kitsch von einem kleinen schwarz-weißen Labyrinth – wg. labyrinthischen Schwarzweißdenkens oder dgl. – aus Marmor, in welchen man Adornos bekannteste Aussagen als Kalendersprüche gemeißelt hatte – ein Mausoleum; nicht für Adorno, sondern für seine kritische Theorie. Adorno selbst wurde seinerzeit, man war sich in dieser Hinsicht schnell handelseinig geworden, von den ern umgebracht: »Er, der die Verwerfungen des Kapitalismus so messerscharf seziert hatte, war von den Zeitläuften überrollt worden: ›Ich habe ein theoretisches Denkmodell aufgestellt. Wie konnte ich ahnen, dass Leute es mit Molotow-Cocktails verwirklichen wollen!‹ Die Kritik muss ihn tief getroffen haben. Weniger [sic!] Monate später war er tot.«87 – Tod durch Kritik: Das sollte dem kleinen, rundlichen Mann erst mal einer nachmachen! Wären die Studenten nicht gekommen, wer weiß, Adorno lebte noch in 86 87

Vadim Zakharov , »Rede anläßlich der Übergabe des Adornoplatzes, . September «, S. . Delonge , »›Teddie‹ …«, S. .

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hundert Jahren. Von »Verwerfungen des Kapitalismus« hätte er allerdings, so steht zu vermuten, auch dann noch nicht schwadroniert, sondern weiterhin Kritik an den herrschenden Zuständen geübt. Davon kein Wort: »Die kurze, verhängnisvolle Ehe, die sein politischer Dilettantismus mit dem der heute sechzigjährigen damaligen Studenten einging, hat den uninteressantesten Aspekt dieser Philosophie auf Jahrzehnte hin in den Vordergrund geschoben.« Diese Ehe zwischen zwei politischen Dilettantismen war, richtig geraten!, von Frank Schirrmacher88 geschlossen worden, der allerdings, ebenso wie seine Mitkombattanten, den Wunsch nicht von der Wahrheit scheiden konnte: »Er«, Adorno, »hat seinen Lesern und Hörern scheinbar vertraute Dinge und Verhältnisse entfremdet, um die Zufriedenheit der Gewohnheit aufzubrechen. Dabei ist er seinen Anhängern selbst fremd geworden«, schwärmte Sven Jürgensen in der Neuen Osnabrücker Zeitung.89 Entfremdung durch Aufbrechen der Zufriedenheit der Gewohnheit. Das konnte nur tödlich enden. Und siehe da: »Adorno starb, überraschend, im Sommer  während eines Urlaubaufenthaltes in der Schweiz an einem Herzinfarkt – ein Tod, dessen genaue Umstände übrigens noch immer nicht ganz geklärt sind.« (Konrad P. Liessmann in der Presse.)90 Nun war zwar bei Adorno erklärtermaßen so ziemlich alles so was von überlebt, sein Tod aber, Resultat eines reichlich profanen Herzinfarkts, blieb so lange eine offene Wunde Nachkriegsdeutschlands, wie nahegelegt werden konnte, daß er, man wußte nicht wie, letzten Endes ein zumindest in Kauf genommener Kollateralschaden der er-Bewegung war. – Peter von Becker91 entdeckte in Adorno, »am Ende, existenziell erschreckt, auch ein Opfer des Gewaltausbruchs der Studentenrevolte.« Günter Zehm, wie üblich über Rechtsaußen kommend, schrieb in die Junge Freiheit:92 »Adorno floh – nachdem er die Polizei rufen und einen Kriminalprozeß gegen seinen Lieblingsschüler Hans-Jürgen Krahl hatte führen müssen – in den vorgezogenen Semesterurlaub, wo er dann einen Herzinfarkt erlitt, zu Tode gehetzt von seinen eigenen Schülern.« – So hätten sie es gerne gehabt, Zehm und die seinen: Adorno als Opfer seiner eigenen umstürzlerischen Gesinnung; von den Schülern zu Tode gehetzt. Was den Nazis nicht gelungen war: Adorno, der, wie er selbst sagte,93 »rechtens hätte um88 89 90 91 92 93

Schirrmacher , »Adorno im Ohr«, S. . Sven Jürgensen , »Das Denken als Grenzgang«, S. . Konrad Paul Liessmann , »Der Verstörer«, S. I. von Becker , »Der Splitter …«, S. . Günter Zehm , »›Im Grunde ist es widerlich‹«, S. . Adorno, Negative Dialektik, AGS, Bd. , S. .

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gebracht werden müssen«, zu ermorden, dichteten die massenmedialen Meinungsverstärker nun den Studenten an. Wolfgang Kraushaar hatte recht, wenn er in der Welt anläßlich des . Todestages Adornos schrieb, es wäre »noch immer durchsichtig, warum interessierte Kreise der Studentenbewegung die Schuld in die Schuhe zu schieben versuchen. Das Kapitel einer als störend, von vielen gar als irrational empfundenen Revolte auf diese Weise personalisieren und letztlich sogar finalisieren zu können, lag in bestimmten Kreisen damals schon nahe. Bereits im Frühjahr  hatte es in Teilen der Presse nicht an Stimmen gemangelt, die glaubten, die Entzweiung zwischen Adorno und seinen Schülern nach dem Motiv des Zauberlehrlings aus Goethes ›Faust‹ interpretieren zu können. Im Grunde verlief die Argumentationsfigur nach dem immergleichen Muster: Wer so radikal zu denken versuche wie Adorno, der dürfe sich nicht wundern, wenn sich dieser Impuls eines Tages gegen seinen eigenen Urheber richte. Wiederholt war gar von einem ›Vatermord‹ die Rede.«94 – Abgesehen von Stimmen, die glaubten, Figuren, die verlaufen, Impulsen mit Urhebern und der Verwechslung der Ballade vom Zauberlehrling mit dem Fauststoff: Offenkundig war, was Kraushaar zu sagen versuchte, zutreffend. – Damit war er allerdings selbst noch nicht recht zufrieden und geheimniste seinerseits fort: »Eine in einem kausallogischen Sinne zu definierende Ursache wird sich wohl nie finden lassen. Die Suche nach den Gründen für Adornos Tod wird daher wohl auch vier Jahrzehnte später offen bleiben müssen. Schon die Tatsache, dass diese quälende Frage nicht abschließend beantwortet werden kann, bleibt allerdings beunruhigend genug.« Und so konnte auch weiterhin der »jähe Herztod Adornos im Sommer  […] nicht zuletzt auf die Verletzungen zurückgeführt« werden, »die Adorno durch die Politisierung des universitären Lehrbetriebs erfahren musste.« (Berthold Vogel, Alfelder Zeitung.)95 Denn es war, L. Jäger wußte es,96 ja so: »Wesentliche Elemente dieses Protests haben sich ja aus der ›Kritischen Theorie‹ Adornos gespeist. Solche Bewegungen haben es eben an sich, dass sie sich schnell radikalisieren, sobald sie einmal losgetreten sind …« Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen. – Und deshalb war Adorno an seinem Tod und an allem »eben« selbst schuld. »Möglicherweise«, orakelte Ludger 94 95 96

Wolfgang Kraushaar , »›Du musst mit einem ramponierten Teddie rechnen‹«, S. . Berthold Vogel , »Ein Mann wird zur Marke«, o.S. Jäger , »Kämpfer …«, S. .

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Heidbrink in der Zeit,97 »liegt neben den Studentenunruhen in der atemlosen Produktivität Adornos ein Grund für seinen frühen Tod. Die Briefe« – an seine Verleger – »jedenfalls offenbaren den Philosophen als unermüdlichen Unternehmer, der seinen Marktwert kannte.« Er wollte hoch hinaus und stürzte ikarusgleich tief. In den Worten des Philosophendarstellers Norbert Bolz:98 »Die Kritische Theorie ermöglichte gerade keine Kritik«, wo denken Sie hin?, »sondern Protest und Verzweiflung – und beides hat fasziniert. […] Nicht umsonst hieß das Schlusskapital [sic!] meiner Dissertation (natürlich über Adorno): ›Metaphysik der Verzweiflung‹.« Umsonst machte Norbert Bolz erst mal gar nichts, vergeblich hingegen waren Adornos Eingriffe in die kulturindustrielle Massenabfertigung gewesen. Diese führten zwar dann doch zum Sieg und nichts würde Adorno, schien Bolz – sagen wir mal – zu denken, lieber gewesen sein als das: ein Sieg in der Verlängerung. Aber, aber … »Aber es war ein Pyrrhus-Sieg. Kein wichtiges Buch ist übrig geblieben. Nichts von dem, was Adorno geschrieben hat, zählt in der heutigen Philosophie.« Was hingegen zählte: Norbert Bolz, Das konsumistische Manifest;  Seiten in knallrotem, abwischbarem Karton, erschienen im Wilhelm Fink Verlag, München. Für schlappe Euro ,– konnten Sie Ihren lästig gewordenen Gästen zwischen Omelett und Riesling subtil und dennoch unmißverständlich zu verstehen geben, daß es langsam Zeit wurde zu gehen, indem Sie das Gespräch beispielsweise auf den . September brachten und sagten: »Der Akt ikonischer Zerstörung vom . September  bot ein solches ästhetisch und mythisch prägnantes Ereignis als Ganzheitsersatz – vergleichbar nur dem Fall der Berliner Mauer.«99 Etwa dreitausend Tote mußten dem Bolz für sein unsägliches Gespreize über Bildersturm und Ganzheitsgeschwurbel herhalten; nur ein einziger zur abgeschmackten Geste des Adorno-Überwinders: »Wie kein anderer steht Adorno für das Gegenglück Geist. An welchem zeitgenössischen Autor könnte man heute diese Erfahrungen machen? Danke, Teddie.«100 Es war zum Fremdschämen.

97 98 99 100

Ludger Heidbrink , »Von der Herstellung heiliger Texte«, S. . Bolz , »Der Pyrrhus-Sieger«, S. . Ders. , Das konsumistische Manifest, S. . Ders. , »Der Pyrrhus-Sieger«, S. .

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15.3 Letztens Entsprechend dem Verfahren von Nachrichtenagenturen, die beim Tod eines Prominenten ihre vorgefertigten Nekrologe rundschicken, hat man auch bei Adornos . Geburtstag einen kalendarischen Anlaß gefunden, die längst gefällten Urteile der Ewigkeit zu überantworten. Das Feuilleton feierte nicht Adornos Geburtstag, sondern seinen Tod, und es freute sich, überlebt zu haben, ohne daß es sich selbst oder seine Gesinnung je auch nur einen Deut hätte ändern müssen. Das erfolgreiche Bestreben, ihn »endgültig zu vereinnahmen oder gleich ›draußen‹ zu lassen«101, ist nicht weiter überraschend,102 weil die Kulturindustrie gerade anläßlich dieses Geburtstages Adornos Kritik mit gönnerhafter Miene ad acta legen kann: Nach biographistischer Unsitte, »berühmte Leute unberühmten menschlich näher zu bringen«103, wird auf die Erkenntnis gepocht, daß er – auch bloß – ein ›Mensch wie du und ich‹ war; »ein schäbiges Verfahren, das Adornos Einsichten den kritischen Stachel durch den hämischen Nachweis nimmt, dass es auch bei einem letzten Genie menschelt.«104 Daß es das tut, ist immerhin ein Zeichen dafür, überhaupt noch im emphatischen Sinn – und soweit dies noch irgend möglich ist – Mensch zu sein: »Soweit sie noch Menschen sind, menschelt es«105, beschreibt Adorno eine Passage aus Becketts »Endspiel«, in der der geringe noch mögliche Rest von Menschlichkeit unter den Figuren aufscheint. Die allgegenwärtige biographische Rezeption Adornos interessiert sich jedoch nicht einmal für Adorno als Person, erst recht nicht für den Theoretiker, sondern nur für seine Schwächen. Das heißt den Gratulanten Mensch zu sein: sich gefälligst bei der eigenen Mickrigkeit zu bescheiden, sonst können sie auch anders. Daß Adorno Gesellschaftskritker gewesen ist, wird ihm von denen, die »genau so sind wie die, deren Vorstellungen und deren Verhalten ihm zu Recht ein Greuel waren«106, durch »die Veronkelung seiner Person«107 als 101 Thomas L. Schweier , »Eichendorffs Fehde – Adornos Sehnsucht«, S. , Fn. 102 Daß die kulturindustrielle Abfeier des hundertsten Geburtstags keine Überraschung, sondern ein Event war, der begierig von der Presse breitgewalzt wurde, bemerkt auch Joseph Früchtl in Anbetracht des diesbezüglichen Leitartikels von Schirrmacher in der Frankfurter Allgemeinen (vgl. Früchtl , ». September«). 103 Adorno, Minima Moralia, AGS, Bd. , S. . 104 Bruno Schoch , »Viel mehr als eine Biographie«, S. . 105 Adorno, »Versuch, das Endspiel zu verstehen«, AGS, Bd. , S. . 106 García Düttmann , »Die Wunde Adorno«, S. . 107 Christoph Menke , »Kritische Theorie und tragische Erkenntnis«, S. .

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Makel angelastet. Das Dilemma, das sich im Feuilleton aufs trefflichste als Ringen um Worte darstellte, ist eins des Bürgertums im weiteren Sinne: daß Adorno, der als »der letzte Bewohner des bürgerlichen Bildungskosmos«108 imaginert wird, weil er mit seiner umfassenden Bildung und Kenntnissen für Bürgerlichkeit schlechthin einsteht, sich der Gesellschaftskritik verschrieben hatte und damit quasi – horribile dictu – ›links‹ war. Der Verdacht lag nahe, daß gerade jene Bildung sowie die Fähigkeit zur Reflexion konsequent zur Kritik an den herrschenden Zuständen geführt hatten; und daß damit das Fundament der eigenen Weltanschauung sowie die eigene Legitimation gefährdet sein könnte. Da die notwendige Erledigung des Falls jedoch nicht einfach durch die Widerlegung des theoretischen Gehalts erfolgen konnte – womöglich ahnte man hier und dort gar, daß sich das wenigste angesichts des fortwährenden Unheils tatsächlich überlebt hat –, wurde die Person Adornos zu diskreditieren versucht. Mit einem augenzwinkernden ›Sie wissen schon!‹ wurde er als so oder so andersartig denunziert, sei es als jemand, der von der sexuellen Norm abweicht, sei es als weltfremder Professor, sei es als Jude. Suggeriert wird, daß, wer, wie man erzählt, derart abseits der bürgerlichen Sitten gelebt habe, auch als Theoretiker Verwerfliches ausgebrütet haben müsse. – »Ist Adorno, ist seine Kritische Theorie asozial? Vielleicht.«109 Vielleicht auch nicht, woher soll ausgerechnet Christian Schlüter von der Frankfurter Rundschau das schon wieder wissen? Fragen jedenfalls wird man doch wohl noch dürfen. Und irgendwas wird schon hängenbleiben. Wider Willen aller Beteiligten wurde Adorno auf ganzer Linie mehr recht gegeben, als jedem lieb sein kann. Mit seiner Person haben die trostlosen Feierlichkeiten nichts zu tun, mit seiner Theorie der Kulturindustrie alles: Die Presse mit ihren willigen Helfern aus dem Philosophiegewerbe ist Teil derjenigen Kulturindustrie, die jene so gerne in den USA am Werke sieht, um sich und ›uns‹, das heißt das endlich wieder unheimlich lockere und selbstbewußte Deutschland, möglichst schadlos zu halten. Im New-Yorker Anbruch ist noch indigniert die Rede von einer »Adorno-Industrie«110 im Hinblick auf die Vermarktung von Adornos Hundertstem,111 im Spiegel herrscht dagegen gar eitel Freude, daß »ne-

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Vogel , »Ein Mann wird zur Marke«, o.S. Christian Schlüter , »Erfahrung«, S. . Verena Walter , »Wochenende in Armorbach«, S. . »Die Geburtsstadt des Jubilars richtete dem Analytiker der verwalteten Welt prompt ein ›Adorno-Büro‹ ein, das alle Hände voll zu tun hat: Eine Ausstellung

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ben der offiziellen Geschichte« die nun in die Öffentlichkeit gerückten Dokumente »nun auch den privaten Theodor Wiesengrund-Adorno«112 zeigen. Wird dort Kritik daran geübt, daß die Appartschiks der Kulturindustrie Adorno schlicht überrannt und gefleddert haben, wird hier ein Einvernehmen darüber hergestellt, daß das Private öffentlich und das Öffentliche, alles, was man ›Werk‹ nennen könnte, privateste Angelegenheit spinnerter ›Adorniten‹ sei. Zur Abräumervokabel wird den Kulturschaffenden Adornos Spitzname ›Teddie‹. Wer sie einführt, dem schreibt sich der Rest praktisch von alleine. Was im Privaten noch angehen mag, sich Tier- und andere Namen zu geben, wird als Witz in die Öffentlichkeit getragen, ohne daß einer derjenigen, die über Adornos Marotten künstlich aufgeregt den Kopf schütteln, bemerken würde, daß die Beurteilung einer Theorie nach Maßgabe Spitznamen des Theoretikers jenem »zur Norm erhobenen Infantilismus«113 der Gesellschaft Vorschub leistet, dem sich Adorno stets öffentlich verweigerte. Willy Theobald vermutet für die Financial Times Deutschland, »die Ausweglosigkeit seiner Theorie – ›Rettung ist unmöglich‹ – deprimiert seine Anhänger zutiefst.«114 Daß es die kapitalistisch zugerichtete Welt mitsamt ihren kulturindustriellen Nützlichkeitskaspern des stahlhart Bestehenden sein könnte, die deprimiert, kommt den Spaß-Adepten, denen das richtige Leben im falschen tobt, nicht mal von ferne in den Sinn. »›Die Menschheit versinkt in Barbarei‹, hoho, guten Abend allerseits.«115 Bzw. mit einem schwerlich je einzuholenden Satz jenes Theobalds über wiederum Adorno: »Eine seiner zentralen Thesen ›Es gibt kein richtiges Leben im falschen‹ bleibt weiterhin umstritten.«116 So kann man es natürlich auch formulieren.

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jagt die nächste Konferenz, Vortragsreihen wetteifern mit Kammermusikabenden. Adorno, soweit das Auge reicht.« (Vogel , »Ein Mann wird zur Marke«, o.S.) Saltzwedel , »Narziss …«, S. . Adorno, Minima Moralia, AGS, Bd. , S. . Theobald , »Richtiges Leben …«, S. . J. Roth , »Bobby, go! Teddy, go home!«, S. . Theobald , »Richtiges Leben …«, S. .

16 Poröses Denken

Hey hey sha la la / Hey hey sha la la // Who’s gonna ride your wild horses? / Who’s gonna drown in your blue sea? / Who’s gonna ride your wild horses? / Who’s gonna fall at the foot of thee? U, W’ G R Y W H

»Tourist zu sein ist ein leidiges Geschäft.« So lautet der erste Satz des Buchs Adorno in Neapel. Wie sich eine Sehnsuchtslandschaft in Philosophie verwandelt. Nun ist irgend etwas zu sein, zwar keinesfalls ein Geschäft, aber der Autor mag seinen eigenen Einfall so sehr, daß er ihm die Kraft zutraut, gleich mehrere Kapitel einzuleiten.1 Ein Geschäft konnte hingegen bereits mit allerlei Adorno-Devotionalien des Schlags Adorno in Frankfurt, Adorno in Wien, Adorno in Amorbach, Adorno in Amerika und Adorno Gott weiß wo gemacht werden. Nun war Adorno also auch in Neapel, zuerst , gemeinsam mit seinem Jugendfreund Siegfried Kracauer; in der hämischen Diktion Mittelmeiers: »ein überartikulierter, versierter Kesser, sekundiert von seinem stotternden Lehrer.«2 In Neapel trafen die beiden auf Walter Benjamin und Alfred Sohn-Rethel, und zwischen den Anwesenden kam es u.a. zu einer Art philosophischem Streitgespräch, dessen Thema und Inhalt nicht überliefert sind.3 Um über diese Begebenheit ein ganzes Buch zu schreiben – eine Dissertation im Fach Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, wie auf dem 1 2 3

Martin Mittelmeier , Adorno in Neapel. Wie sich eine Sehnsuchtslandschaft in Philosophie verwandelt, S. ; ebd., ; ebd., S. . Ebd., S. . Vgl. Carl Freytag , »Die Sprache der Dinge. Alfred Sohn-Rethels ›Zwischenexistenz‹ im Positano (–)«, S.  sowie Willem van Reijen/Herman van Doorn , Aufenthalte und Passagen. Leben und Werk Walter Benjamins. Eine Chronik, S.  f.

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Vorsatz vermerkt –, bedient sich sein Verfasser eines frisch-fröhlichen Kolportagestils, mit dem er sich ausdauernd Fragen stellt, um sie anschließend geflissentlich selbst zu beantworten. Frage: »Ist das der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die philosophischen Raufbolde bei ihrem neapolitanischen Treffen einigen können: das Jammern über die Kälte der modernen Welt?«4 Antwort: »Das genaue Gegenteil ist der Fall.«5 Frage: »Und was macht Adorno?« Antwort: »Er macht aus dieser Porosität Musik.«6 Frage: »Was macht Adorno also, als er im September  selbst am Rande des so geschundenen Vesuvs steht […], was macht er aus dieser so ambivalenten Tourismus-Erfahrung?« Antwort: »Er schreibt keinen romantischen Reisebericht.«7 Und so geht es wirklich das ganze Buch hindurch. Methodisch, wenn man denn so will, verläßt sich der Autor über weite Strecken auf seine freie Assoziation. So wird etwa Georg Lukács als »nur vermittelt anwesender Leser des Kapital« nach Capri imaginiert,8 damit der Phantasie, der zufolge »eine Sehnsuchtslandschaft in Philosophie verwandelt« wird, wie es der Untertitel suggeriert, genüge getan werden kann. Seiner »Variante der Marx’schen Analyse« wird aber sogleich bescheinigt, sie »mag in theoretischer Hinsicht fragwürdig sein«.9 Ob sie es nur sein mag, oder ob sie es wirklich ist und inwiefern sie es dann wäre: All dies wird nicht weiter des Denkens für wert erachtet; als Surrogat theoretischer Anstrengung verweist statt dessen eine Anmerkungsziffer am Ende dieser Phrase allgemein auf einen Aufsatz vom Winfried Menninghaus, dem als Mitglied der Promotionsprüfungskommission dafür gedankt wird, daß »ohne dessen lustvoll subversive Lektüren es diese Adorno-Lesart nicht geben würde.«10 In jenem Aufsatz wird vermutlich schon stehen, weshalb Lukács’ Kapitalismusanalyse, die für das Verständnis von Adornos Theorie faktisch eine immense Rolle spielt, nichts rechtes war.

4 5 6 7 8 9 10

Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd. Ebd., S. .

poröses denken

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So kommt Autor vom Hundertsten ins Tausendste, nicht ohne sich und den Lesern stets zu versichern, daß beides, recht verstanden, eins sei. Ein Beispiel: Der »deutschsprachige Leitfaden zum Aquarium Neapolitanum«, das Adorno, Kracauer und Sohn-Rethel wohl besuchten, bezeichnet einige Exponate als »Gallertklumpen«, ein »späterer Weggefährte Sohn-Rethels« schreibe, dieser habe ihn mal auf die Metaphorik des Marxschen Ausdrucks »Arbeitsgallerte«11 aufmerksam gemacht, und also: »Unwahrscheinlich, dass der Gallertenauftritt, das schwabbelig Gespenstische des Marx’schen Tauschwerts im Neapolitaner Aquarium, unter Adorno, Kracauer und Sohn-Rethel unkommentiert geblieben ist.«12 – An anderer Stelle zitiert Mittelmeier aus Lukács’ Theorie des Romans, die zweite Natur sei eine »Schädelstätte vermoderter Innerlichkeiten«13, um im folgenden Kapitel darauf hinzuweisen, welche religiöse Rolle die Gebeine in den Katakomben Neapels spielen, als Schutzpatrone der Einwohner: »Die Extremmetapher für die Verdinglichung begegnet einem in Neapel in einem ungemein freundlichen Licht, die Schädelstätte ist auf einmal wieder Garant für das, was man der Verdinglichung doch vorwarf, zu verunmöglichen: Bindung, Nähe, Wärme, Transzendenz.«14 Fast abgesehen von der enttäuschenden Tatsache, daß dies nichts mit Adorno zu tun hat: Wenn man mit dieser Art von beinah verschwörungstheoretischem Generalverdacht, daß alles schon irgendwie mit allem zusammenhängt, an das Material herangeht, bekommt natürlich plötzlich alles einen Sinn; man braucht lediglich den Generalschlüssel, und die vermeinten Geheimnisse sind keine mehr. Und so raunt es aus dem Buch, das »Nicht-Interpretieren soll im Folgenden Adorno selbst zugute kommen. Den Argumenten […] wurde oft genug nachgelauscht. Demgegenüber soll in diesem Buch das strukturierende Prinzip ihrer Komposition zum Vorschein kommen. Es wird sich als ihr« – was wessen? – »stärkstes Argument erweisen. […] Von Neapel aus lässt sich das Regelwerk dieser Kunst bestimmten. Und seine als so schwierig verschrienen Texte entpuppen sich als hochreizvolle Inszenierungen neapolitanischen Irrsinns.«15 Nun verspricht eine steile These im allgemeinen gewiß mehr Erkenntnispotential als ein Dutzend gut abgehangener Binsenwahrheiten, selbst wenn sich

11 12 13 14 15

Vgl. Marx, Das Kapital [Bd. ], MEW, Bd. , S. . Mittelmeier , Adorno in Neapel, S. . Ebd., S. ; vgl. Lukács , Theorie des Romans, S. . Mittelmeier , Adorno in Neapel, S. . Ebd., S. .

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jene These schließlich als unhaltbar erweisen sollte. Aber ohne Argumente läßt sich gar nicht erst über deren Plausibilität urteilen. Adorno schrieb an Alban Berg, er habe gelegentlich seiner Besprechung der Oper »Wozzek« ein neues Stilideal beim Schreiben gefunden,16 und Mittelmeier will daran anschließend einerseits glauben – es würde halt zu gut passen –, dieses sei die in Neapel entdeckte »Porosität«, findet jedoch nichts Poröses bei Adorno, sondern allenfalls »die Lektüre des Wozzek-Artikels eine Enttäuschung. Das Ungewöhnlichste an ihm ist auf den ersten Blick dann eben doch wieder seine Kompliziertheit.«17 Das Ungewöhnliche wäre also das Gewohnte. Frage: »Ist Adornos neugefundenes Stilideal in der begeisterten Konzeption steckengeblieben?«18 Die Antwort könnte wohl lauten, Adornos Aufsatz habe halt nichts mit dem gemein, was Mittelmeier in ihm erblicken möchte. »Womöglich ist die Porosität auch labil, weil sie metaphorisch quer liegt zu Hegels Forderung, ›die festen Gedanken in Flüssigkeit zu bringen‹, und dem daraus entstehenden revolutionären Auftrag vom ›Flüssigmachen der versteinerten Verhältnisse‹.«19 So geht es zu, wenn’s unbedingt passen muß: versteinerte Verhältnisse, die Marx noch zum Tanzen bringen wollte,20 müssen nun, weil der Begriff des Flüssigen an der Reihe ist, eben verflüssigt werden. Und was die quere Metapher vom metaphorischen Querliegen anbelangt, so ist die leider kein Einzelfall. Exemplarisch ein Satz, über den man recht zu Beginn stolpert: »Aus diesem wimmeligen Panorama schält sich für Adorno eine Kerngruppe heraus, deren diffus revolutionäre Grundstimmung sich an Neapel entzündet.«21 Einer der, laut Klappentext, »profiliertesten Lektoren für zeitgenössische Literatur in Deutschland«, der es nicht versäumt, noch der Verlagslektorin für deren »genaues und kluges Lektorat«22 zu danken, bringt es fertig, in einem kurzen Satz drei schiefe – d.h. falsche – Metaphern unterzubringen. Alles wird von oben herab abgefertigt mittels eines Stils, dessen Statik keine Möglichkeit mehr läßt, das zu sehen, was sich nicht in das vorgefertigte Schema einfügen will. Jede Unklarheit – und deren gibt es, zumal bei einer solch starken Hauptthese, naturgemäß viele – wird, an16 17 18 19 20 21 22

Adorno an Alban Berg, . November , ABB, Bd. , S. . Mittelmeier , Adorno in Neapel, S. . Ebd. Ebd., S. . Vgl. Marx, »Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie«, MEW, Bd. , S. . Mittelmeier , Adorno in Neapel, S. . Ebd., S. .

poröses denken

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statt sie zum Anlaß zu nehmen, innezuhalten und zu reflektieren, mit einer Phrase überklebt. Da versiegen Geldströme,23 wird der Touristenstatus abgestreift,24 zeitgenössische Philosophien werden verschlungen,25 die denkerische Energie entlädt sich,26 die Theorie des Romans brennt sich ins Bewußtsein,27 »Wien schmort im eigenen Saft«28, es stehen Stellen im Fokus,29 und: »Die blaue Blume der Romantiker wird zu einem beschwimmbaren Ort«30. Wenn selbst das nicht reicht, müssen Reisebeschreibungen von Goethe, Flaubert, Martin Mosebach und leider Ernst Jünger zur Abdichtung allzu poröser Stellen herhalten. »Adorno wird das Wort Porosität selbst nie verwenden«31 – weshalb auch, möchte man fragen, es wurde ihm ja erst vom Autor angetragen –, das Buch bleibt aber unbeirrbar seiner Annahme treu, Adorno habe jene Porosität, die bei ihm nicht nachweisbar ist, dem neapolitanischen »Tuffstein«32 abgeschaut und – »elektrisiert von der Struktur der Porosität und Konstellation«33 – zunächst zum Strukturideal seiner Texte gemacht, um sie dann durch jene Konstellation zu ersetzen, von der bei Adorno auch tatsächlich die Rede ist, und die Mittelmeier ausgerechnet im ersten Kapitel der Dialektik der Aufklärung am Werk zu sehen meint: »Die Matrix, auf der Horkheimer und Adorno diskutieren, ist Adornos Modell der verhinderten Konstellation. Adorno muss nach dem Versuch über Wagner die Theorieschraube nur eine Windung weiterdrehen, um zur mächtigen Konzeption des Eröffnungsessays der Dialektik der Aufklärung zu gelangen.«34 Der allerdings, wie bekannt, in der Hauptsache gar nicht von ihm, sondern von Horkheimer verfaßt wurde.35 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. . Ebd., S. . Vgl. ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. ; ebd., S. ; ebd., S. ; ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. ; vgl. Adorno, Versuch über Wagner, AGS, Bd. , S.  ff.; vgl. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, AGS, Bd. , S.  ff. »Habermas hat – nach einem Gespräch hierüber mit Gretel Adorno – berichtet, was zuvor vermutet worden war und mittlerweile allbekannt ist, nämlich welcher der beiden Autoren an welchem Kapitel den Hauptanteil hatte: Horkheimer am

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Tatsächlich gibt es gute Gründe anzunehmen, das Gespräch zwischen Adorno, Kracauer und Benjamin in Neapel sei für die Philosophie Adornos nicht unwichtig gewesen, letzterer weist in einem Brief an Alban Berg selbst darauf hin,36 Mittelmeier zitiert dies.37 Es dürfte sich immerhin um eine der frühesten philosophischen Auseinandersetzungen Adornos, dem bis dahin eher eine Karriere als Komponist und Musikkritiker vorschwebte, überhaupt gehandelt haben, zumal mit jenem Menschen, Walter Benjamin, dessen eigene Philosophie für ihn so eminent wichtig werden wird. Gleichwohl übersieht Mittelmeier mehrerlei: Da ist zum einen die Rolle, die Georg Lukács für den frühen Adorno spielte. Wenn die zweite Natur herbeizitiert wird, von der Adorno in seiner Antrittsvorlesung spreche,38 bemerkt der Verfasser kenntnisfern, der »ganze Vortrag« sei »ein Sich-Abarbeiten an Benjamins Trauerspielbuch«39, und wenn Adorno und Kracauer ihre Briefe mit »Fürsorgeamt für transzendental Obdachlose« unterschreiben,40 fällt ihm unerklärlicherweise ein: »Der Hausbau ist in den Texten der kritischen Theoretiker eine zentrale Metapher.«41 Zum anderen lassen sich angesichts der zwar bedauerlichen aber dennoch unhintergehbaren Tatsache, daß über Thema, Inhalt und Verlauf des Gesprächs einfach gar nichts bekannt ist, knapp über  Seiten nur dann zu jenem angeblich allesinitiierenden Gespräch füllen, wenn man es mit Stringenz, Gegenstand und Wahrheit nicht so genau nimmt. »Endlich. Von der Ansichtskarte bis zur Todeslandschaft, die den Schubert-Essay eröffnet, haben wir mit Adorno

36 37 38

39 40 41

Titelessay sowie am Kapitel über de Sade, Adorno am Odysseus-Kapitel und dem über die Kulturindustrie. Einzig die ›Elemente des Antisemitismus‹ und die ›Aufzeichnungen und Entwürfe‹ sind wirklich gemeinsam geschrieben worden.« (Braunstein , Adornos Kritik …, S. ; vgl. Habermas , »Max Horkheimer: Zur Entwicklungsgeschichte seines Werkes«, S. .) Adorno an Berg, . Oktober , ABB, Bd. , S.  f. Vgl. Mittelmeier , Adorno in Neapel, S. . Was nicht der Fall ist; womöglich wurden Adornos Antrittsvorlesung (vgl. Adorno, »Die Aktualität der Philosophie«, AGS, Bd. , S.  ff.) und dessen Vortrag über die »Idee der Naturgeschichte«, den Adorno ein gutes Jahr später, , hielt (vgl. ders., »Die Idee der Naturgeschichte«, AGS, Bd. , S.  ff.) und der allerdings den Lukácsschen Begriff der zweiten Natur zum Thema hat, schlicht verwechselt. Mittelmeier , Adorno in Neapel, S. . Vgl. Leo Löwenthal , »Wenn ich an Friedel denke …«, S. . Mittelmeier , Adorno in Neapel, S. .

poröses denken

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einen langen Weg zurückgelegt«42, meint der Autor, verkennend, daß weder »wir« noch er »mit Adorno« gegangen sind, und daß ein brachiales Querfeldein etwas anderes ist, als einem Weg zu folgen. Und da ist noch nicht mal die Hälfte des Buches geschafft. Deshalb werden weiter Geschichten erzählt, die auf ihren Wahrheitsgehalt nicht einmal überprüfbar sind. »Adorno war am . September  wahrscheinlich noch auf einer Etappe an der Amalfiküste unterwegs und hat das Spektakel des an diesem Tag stattfindenden Blutwunders wohl verpasst. Aber man wird ihm unter den vielen anderen für den Nordeuropäer so wunderlich und seltsam anmutenden Spektakeln auch von dieser großen Heiligenprozession erzählt haben, bei der die Statue des San Gennaro zum Dom getragen wird.«43 Frage: Woher weiß das der Autor? Antwort: Er weiß es nicht, beruhigt sich und seine Leser aber damit, daß das Mögliche vielleicht ja gewiß sein könnte. Ein letzter Einwand schließlich wird von Adorno selbst laut: Nachdem sich Sohn-Rethel am . Dezember  in einem Brief an Adorno positiv auf »das philosophische Gespräch zwischen Walter Benjamin und Ihnen und Kracauer in Neapel  (oder ?), bei dem ich auch zugegen war«44, bezieht, bekommt er fünf Tage später zur Antwort: »Das Benjamin-Gespräch, das Sie anführen – mein Gott, wie ist der Weltgeist, oder wie das heißen mag, darüber hinweggegangen. Man sollte doch wirklich versuchen, aus seinen Fehlern zu lernen, ohne daß man seinen Motiven untreu wird«45. Mittelmeier kennt diese Korrespondenz und zitiert sie teilweise selbst.46 Statt Adornos Einwand ernst zu nehmen oder zumindest als solchen anzuerkennen, verfügt der Autor: »Aber Adorno täuscht sich.«47 Frage: »Wozu also ein weiteres Buch über Adorno?«48 Antwort: Es gibt gute Gründe, sich weiterhin mit Sozialphilosophie zu beschäftigen oder gar Gesellschaftskritik zu üben, und es gibt tatsächlich gute Bücher, die gerade dies mit Hilfe Adornos zu tun versuchen. Wer statt dessen aber 42 43 44 45 46 47 48

Ebd., S. . Ebd., S. . Sohn-Rethel an Adorno, . Dezember , Adorno/Sohn-Rethel , Briefwechsel –, S. . Adorno an Sohn-Rethel, . Dezember , ebd., S.  f. Vgl. Mittelmeier , Adorno in Neapel, S. . Ebd. Ebd., S. .

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TEIL III

lieber glauben möchte, daß sich Landschaften in Philosophie verwandeln können, wird von Adorno in Neapel, in dem es allerdings auch nur am Rande um Adorno geht, gewiß nicht irritiert. Damit ist diese letzte Frage auch bündig zu beantworten: Das Buch dürfte als Coffee Table Book seinen Nutzen finden. Der Text wird entsprechend durch einige Photographien aufgelockert, allein drei vom Vesuv; offenbar eine Art Schicksalsberg für Mittelmeier: »Der Vesuv, das ist die größte anzunehmende Porosität, ein einzelnes Loch mit Außenrum.«49 Der ansprechend gestaltete Schutzumschlag zeigt den Golf von Neapel, und tatsächlich geht es in dem Buch eher um Mittelmeiers Hingezogenheit zu dieser Stadt als um irgendeine Philosophie. »Neapel ist kein Gegenentwurf zur kalten Modernität«50, und: »Idealer als Neapel kann kein Ort sein, um das Trauerspielbuch zu Ende zu bringen.«51 Allerdings: »Niemand verlässt Neapel unverändert.«52 Immerhin: »So weit südlich liegt Neapel ja gar nicht«53. Der ganze bildungsbürgerliche Manierismus, der sich in solch unsinnigen Aussagen äußert, wird in der Danksagung noch einmal auf ungeahnte Höhen geführt, wenn der Autor angesichts offenbar glücklich überstandener Disputation den »Mitgliedern meiner Prüfungskommission für einen spannenden, an- und aufregenden Nachmittag« dankt sowie: »Nicht zuletzt dem Café zum Kloster in München für freundliche Bedienung und den besten Kaffee der Stadt.«54 Keine weiteren Fragen!

49 50 51 52 53 54

Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. .

17 Die Natur der Soziologie

So wurde die Selektionstheorie, nach Darwins eigenen Anregungen, sehr bald von vielen Seiten auf Psychologie, Ethik, Soziologie und Geschichte angewendet und von eifrigen Anhängern als die allein wissenschaftliche Methode gepriesen. Wenige waren sich darüber klar, daß damit die Natur unter eine Kategorie der Geschichte gestellt wurde und daß diese Kategorie zu einer solchen Anwendung doch eine wesentliche Veränderung erfahren hatte. W W, L  G  P

17.1 Ach, Soziologie! Angetreten als Wissenschaft von der Gesellschaft, erkanntest du bald, daß du Instrument auch gegen sie sein könntest: Herrschaftswissen gegen Herrschaft. Und du sahest dies, und du erschrakest furchtbar. Und damit niemals würde, was noch nie gewesen war, teiltest du dich in viele, auf daß das einzelne nicht mehr gar so irritierend sei für das, was ist, welches man auch das Bestehende nennt. Oder Welt. Oder Irrsinn. Und ergo ersonnst – Quatsch! – ersannst (noch besser freilich: ersannest) du hunderterlei Köstlichkeiten und tauftest sie Geldsoziologie, Parteiensoziologie, Minoritätensoziologie, Sexualsoziologie, Zeitsoziologie. Und so ging und geht es immerfort. Es gibt Stadtsoziologie und Landsoziologie – irritierenderweise hingegen keine Flußsoziologie, wohl aber eine Maritime Soziologie, die das Gemeinte, die gesellschaftstheoretische Orientierung hin aufs oder ins oder übers jedenfalls Wasser, sicherlich bündig ersetzt beziehungsweise mehr noch: erweitert; um höchstvermutlich eine Perspektive beziehungsweise Dimension, ist ja eh schon alles eins. Es hat eine Agrarsoziologie, eine Forstsoziologie, eine davon sehr vermutlich deutlich zu unterscheidende Waldsoziologie sowie sowieso eine Jagdso-

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TEIL III

ziologie; eine Jägersoziologie kann nicht mehr lange auf sich warten lassen, vermutlich, eingedenk der Erkenntnisse der Geschlechtersoziologie wer weiß in Gestalt einer mehr so handlungssoziologisch orientierten Jagendensoziologie, darüber hinaus jedenfalls ›gibt es‹ (s.o. & u.) auch eine Tiersoziologe und eine Pflanzensoziologie. Pflanzensoziologie? – Pflanzensoziologie! Über deren »pflanzensoziologische Methode« es bei Wikipedia ungeniert heißt, sie beruhe »auf vier Arbeitsschritten: . die Vegetationsaufnahme, . die tabellarische Typisierung von Vegetationsaufnahmen nach floristischer Ähnlichkeit, . die Gesellschaftsbeschreibung der Vegetationstypen und . die systematische Einordnung der Vegetationstypen.«1 – Als die Deutschen sich allen tödlichen Ernstes als ›Arier‹ bezeichneten, um die Welt nach ihren Vorstellungen typisierend zu ordnen, sprachen Horkheimer und Adorno aus dem US-amerikanischen Exil, in das sie sich hatten retten können, mit letzter Hoffnung von der »Reflexion der Wissenschaft auf sich selbst« als vom »Gewissen der Aufklärung«.2 Heute hingegen steht Wissenschaft als betriebsbefeuernde Akkumulation von Daten schnurgerade ein für Fakten sammeln, Fakten in Tabelle eintragen, Tabelle als Faktum betrachten, Tabelle abheften: neues Wissen ›generiert‹. »Was ist das«, fragte Adorno bei Gelegenheit eines Soziologieseminars in Richtung seiner Studenten, rhetorisch zwar, aber schon hörbar leis verzweifelnd, »überhaupt für eine Wissenschaft, bei der man nur irgendein Wort zu nehmen braucht und Soziologie dranzuhängen, und schon hat man eine neue Wissenschaft?«3 Fünfzig Jahre später müssen wir wohl oder übel antworten: eine, die weder sich noch ihren Gegenstand so richtig ernst zu nehmen vermag. Und von Top-acts wie der Thanatossoziologie, der Xenosoziologie, der Chorsoziologie, der Astrosoziologie oder der Pfarrsoziologie haben wir noch gar nicht geredet.

1 2 3

[Anonym] o.J., »Pflanzensoziologie«, o.S. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, AGS, Bd. , S. . Adorno , »Einleitung in das soziologische Hauptseminar ›Probleme der Bildungssoziologie‹ …«, S. 4.

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17.2 Sei’s drum … … und scheiß der Hund auf die abtörnende Aufklärung, was heuer also als Wissenschaft fungiert, befummelt, wie gesehen, auch namens der Soziologie die Natur unbefugt in all ihren Erscheinungsformen und überreichen Darbietungsgestalten; trotzdem beseufzt die eigens für derlei Beseufzenswertes eingerichtete Website natursoziologie.de eine klaffende Lücke: »Die akademische Soziologie kennt bislang keine Subdisziplin ›Natursoziologie‹. Sie fasst das Thema Natur aus Prinzip nur mit spitzen Fingern an und überlässt es fahrlässigerweise den Naturwissenschaften.«4 Daß hinwiederum diejenigen, denen E = mc² ist, und solche, die im Stadtwald das hiesige Laubmoosvorkommen verzeichnen, einen unterschiedlichen Naturbegriff haben dürften, schwant auch der subdisziplinären Soziologie. Die Naturwissenschaften, so muß sie abermals gekränkt feststellen, »wollen ihrerseits möglichst wenig mit den Sozialwissenschaften zu tun haben«. Ergänze: haben sie ja aus guten Gründen auch nicht, es sei denn, man wollte sich der Welt mittels einer pseudonaturwissenschaftlich-exakten ›positiven Philosophie‹ nähern, als die sich dereinst Auguste Comte die von ihm in den Wissenschaftskanon eingerückte Soziologie vorstellte. Die selbstgebastelte ›Natursoziologie‹ hat hingegen einen anderen Zugang aufs Naturmaterial – aufgemerkt!: Einen »praxisnahen-ganzheitlichen Zugang zum Thema eröffnet das ›Wandern‹ genannte Durchstreifen naturnaher Landschaften.«5 So wie ja auch die ›Essen‹ genannte Aufnahme durchaus naturnaher Nahrungsmittel einen gewissen praxisnahen Zugang zum Thema Stoffwechsel und ergo zur Natur, nun ja: eröffnet. Denn siehe: »Natur ist in aller Munde«6, logo. Das vorgeblich naturnah erlatschte Wissen schaut dann so aus: »Seit Jahren weist Google für die Schlüsselfrage ›Was ist Natur?‹ lediglich gut  Treffer aus. In den allermeisten Fällen hat sie überdies rein rhetorische Funktion und bleibt ohne Antwort. Sucht man daher gezielter, so liefert das Stichwort ›Naturdefinition‹ lediglich  Treffer höchst unterschiedlicher Qualität. Offenbar ist das Internet nicht der Ort, um in die Tiefe zu gehen.«7 Meint: Nicht im Internet in die Tiefe geht’s, sondern gefälligst raus und dann aber treudeutsch 4 5 6 7

Rainer Brämer o.J. (a), [ohne Titel], o.S. Ders. o.J. (b), [ohne Titel], o.S. Ders. , »Varianten des Naturbegriffs. Versuch einer Orientierung«, S. . Ders. , »Natur paradox. Was ist oder meint ›Natur‹?«, S. .

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ganz, ganz tief rein in den gottverdammten Wald. Wo, wir erfinden nichts, die ›Waldsportjugend‹ unter anderem auf »den traditionellen Waldbenimm«8 getrimmt wird, daß es die Wildsau – die natursoziologisch gründlich vorn und hinten beschnüffelte – graust; o Mann, fuck ey! Aber echt jetzt! Da dieses ominöse ›Google‹ den Natursoziologen ihren Gegenstand zu erklären offenbar nicht in der Lage oder nicht willens ist, müssen sie’s also selbst ›packen‹: »Natur ist vom Menschen definiert und kann nur von ihm als solche wahrgenommen werden. Natur kann sich nicht selbst betrachten. Insofern kann es Natur als solche nicht geben.«9 Jedenfalls, sofern man einmal, wie man neuerdings so sagt, »postfaktisch« (das sogenannte Wort des Jahres , erkoren von der gruseligen Gesellschaft für deutsche Sprache) davon absieht, daß der Mensch ebenfalls Natur ist und sich Natur deshalb nur insofern selbst betrachten kann, als der Betrachtende eben ein Teil von ihr ist. Oder kurz: Naturbetrachtung ist notwendig stets Selbstbetrachtung der Natur. Nochmals Adorno: »Dadurch nämlich, daß es schlechterdings nichts zwischen Himmel und Erde […] gibt, was nicht durch Gesellschaft vermittelt wäre – sogar deren scheinbar äußerster Gegensatz, die Natur und der Naturbegriff, ist ja mit dem Bedürfnis der Beherrschung von Natur und damit mit dem gesellschaftlichen Bedürfnis wesentlich vermittelt –, schließt diese Vermittlung durch Gesellschaft ein, daß die Soziologie schlechterdings alles, was es überhaupt gibt, unter gesellschaftlichen Gesichtspunkten behandeln kann.« Während hingegen manch Soziologie lieber umgekehrt die Gesellschaft unter natürlichen Gesichtspunkten abhakt, hat doch, das naturhafte Fressen und Gefressenwerden als saft- und kraftstrotzende Vorlage fürs Soziale zu wünschen, eine lange, durchaus »tiefe« Tradition, die bis heute fortwest. Wovon einer unseligen Wanderjugendsoziologie nichts dämmert, die freizeitnah und erkenntnisfern ja ebenfalls nicht merkt, wie ihr, was sie »Natur« nennt, von der restlos durchökonomisierten Gesellschaft unterm trittfesten Hintern weggepfändet wird.

8 9

Ders. , »Auf falscher Fährte. Ungereimtheiten im zeitgenössischen Naturbild und ihre Widerspiegelung im Jugendreport Natur«, S. 8. Ders. , »Was Natur alles sein kann. Versuch einer unvollständigen Systematisierung auf dünnem Eis«, S. .

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17.3 Suffixsoziologie ›Soziologie‹ ist unterdessen zum Suffix für offenbar Wichtigeres heruntergekommen und als solches so allzwecktauglich, vulgo: aberauchgarnichtsmehrsagend wie etwa ›-dingsbums‹ oder ›-scheiß‹. Militärsoziologie, Buchsoziologie, Humansoziologie – als dies und, Gott sei mein Zeuge, ungebremst mehr zeigt uns jedenfalls ›Google‹ an. Probieren Sie’s daheim im Kreis ihrer Liebsten ruhig mal selber aus: Denken Sie an ein Substantiv, hängen Sie »-soziologie« dran, und ab geht die wilde Fahrt! Ein Spaß für die ganze Familie: Familiensoziologie? Ehrensache! – Künstlerinnensoziologie? Aber sicher doch! – Alkoholsoziologie? Yep! – Tiefensoziologie? Klaus Wahl, Kritik der soziologischen Vernunft – Sondierungen zu einer Tiefensoziologie, Weilerswist ,10  Seiten, seinerzeit DM ,–, inzwischen scheint’s vergriffen. Nur eine Soziologiesoziologie, wir haben gerade noch mal am ›Rechner‹ (Fachterminus aus der – oh doch! – Computersoziologie) nachgeschaut, die hat noch keiner gewuppt, Niklas Luhmanns Gesellschaft der Gesellschaft hin,11 eine ›Gesellschaftssoziologie‹ in Abgrenzung zur ›Kultursoziologie‹ her. Da bestehen noch Handlungsbedarfe, das ist spannend, da muß ein Stück weit nachgebessert oder halt kritisch hinterfragt werden, das ist ein unwahrscheinlich anschlußfähiges Desiderat, zumindest wenn wir der hier möglicherweise zuständigen Hochschulsoziologie einen Tip zur materiell-ideellen Kernsanierung geben dürfen; dann müßte nämlich auch nicht mehr, damit akademisches Prestige und Geldfluß gleichsam prästabiliert harmonieren, wie / an der Universität Frankfurt leider geschehen, eine Veranstaltungsreihe zur ›Soziologie des Vernichtungslagers‹ ins sinnlose Leben gerufen werden, in deren Zuge u.a. noch flugs eine ›Theorie des Holocaust‹ eingestielt und unters diskurswillige Volk gebracht wurde. Wer’s wirklich wissen wollte, müßte in die Geschichtsbücher, in die Nachrichten oder für eine Weile standhaft in die eigene Seele schauen. Das Grauen, dessen er so oder so gewahr würde, lehrt mehr über Natur, Gesellschaft und deren bis dato unheilbringende Verstrickung, als sich jene fröhliche Soziologie träumen läßt, die – gewißlich pro bono publico – endkraß erforscht, »in welcher Art von grüner Umgebung

10 11

Vgl. Klaus Wahl , Kritik der soziologischen Vernunft. Sondierungen zu einer Tiefensoziologie, Weilerswist. Vgl. Niklas Luhmann , Die Gesellschaft der Gesellschaft.

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TEIL III

wir unsere Freizeit am liebsten verbringen«12 oder wo der Frosch die Locken hat. Natur ist das, wovon die Natursoziologie so wenig weiß, wie die Soziologie als solche von der Gesellschaft wissen mag. Daß die wiederum zweite Natur ist – was, nüchtern betrachtet, Katastrophales sowohl über die erste, die vermeintlich naturhafte Natur, als auch über sie selbst, die Gesellschaft, aussagt –, ist dem Wandernden womöglich denn doch nicht unmittelbar erfahrbar. Bei diesem praxisnahen Zugang lassen sich, wenn’s gut ›läuft‹, wohl handschmeichlerische Kastanien und erinnerungswürdige Landschaftseindrücke sammeln, aber eben keine Erkenntnisse von der Gesellschaft. Geschweige denn davon, wie dem Irrsinn, der sie ist und unter dem noch jede inner- wie außermenschliche Natur leidet, beizukommen wäre. Das aber wäre, um es einmal streng soziologisch zu formulieren, sozusagen voll toll.

12

Brämer o.J. (a), [ohne Titel], o.S.

18 Nach Auschwitz blablabla

»Was ist mit mir geschehen?« dachte er. Es war kein Traum. F K, D V

Im August , während der israelischen Militäroperation ›Protective Edge‹, erschien ein Artikel auf der englischsprachigen Internetseite des arabischen Fernsehsenders ›Al Jazeera‹, in dem sich Hamid Dabashi zu Wort meldete. Er lehrt Iranstudien und Vergleichende Literaturwissenschaft an jener New Yorker Columbia-Universität, die den vertriebenen Frankfurter Sozialforschern Horkheimer und Adorno während des Nationalsozialismus Zuflucht gewährt hatte. Dabashi zitiert Adornos These von , es sei barbarisch, nach Auschwitz noch Gedichte zu schreiben,1 und fragt, was genau mit ihr gemeint gewesen sei: »How could writing poetry after a calamity such as Auschwitz, and by extension a horror like the Holocaust, be something barbaric? Doesn’t poetry console in moments of mourning and despair?«2 Das tut Poesie zuweilen, könnte man antworten, und genau dies kritisierte Adorno: den voreiligen Trost angesichts des Trostlosen. Aber Dabashi will mit seinen rhetorischen Fragen auf etwas anderes hinaus: »And more to the point today: Is writing poetry after Gaza also barbaric? What would that mean?«3 Es würde bedeuten, in einem Akt motivierter Geschichtsblindheit Auschwitz mit dem damaligen Militäreinsatz Israels im Gazastreifen gleichzusetzen. Das ist offensichtlich die Absicht des gesamten Artikels: »›Death to Arabs‹, cry mobs in Tel Aviv – for this is the poetry of Zionism for Gaza. This is what Adorno meant when he said, ›after Auschwitz poetry is barbarism‹.«4 1 2 3 4

Vgl. Adorno, »Kulturkritik und Gesellschaft«, AGS, Bd. ., S. . Hamid Dabashi , »Gaza: Poetry after Auschwitz«, o.S. Ebd. Ebd.

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Nun hat Adorno das gerade nicht gesagt. Ihm ging es vielmehr um den Akt des Schreibens, um die veränderten künstlerischen Produktionsbedingungen. Aber wen es nicht interessieren darf, was der Mob nicht nur in Gaza schreit – die, in Dabashis zynischer Diktion, Poesie des Antisemitismus, die weitaus älter ist als Tel Aviv –, dem ist es auch egal, was Adorno sagte und meinte. Es sei »this world at large, crystallised in Israel, that Adorno saw, diagnosed, and feared«5. Einerseits zeigt sich hier, daß selbst radikale parteiische Gesellschaftskritik in ihr glattes Gegenteil verkehrt werden kann, sobald sie in die Hände von Subjekten gerät, die sich ihrer Vernunft nur noch instrumentell bedienen können: Man schreibt nicht um der Wahrheit willen, sondern, um eine Ideologie durchzusetzen. Andererseits wehrt sich Adorno, der von den Nürnberger Rassengesetzen sowie Dabashi zum Juden gemacht wird, weil der einen jüdischen Gewährsmann braucht, gegen seine postume Vereinnahmung als Antizionist. Adorno schrieb am . Juni , während des Sechstagekrieges, an seine Wiener Freundin Lotte Tobisch: »Wir machen uns schreckliche Sorgen wegen Israel. […] In einem Eck meines Bewußtseins habe ich mir immer vorgestellt, daß das auf Dauer nicht gutgehen wird, aber daß sich das so rasch aktualisiert, hat mich doch völlig überrascht. Man kann nur hoffen, daß die Israelis einstweilen immer noch militärisch den Arabern soweit überlegen sind, daß sie die Situation halten können.«6 Der wehrhafte Jude ist es, der den Antisemiten dieser Welt ein Dorn im Auge ist: So hatten wir nicht gewettet, wehren sich doch die frechen Judenlümmel, wenn wir sie jahrzehntelang bekämpfen! Was Adorno tatsächlich diagnostizierte und fürchtete – wie zu sehen ist: zu Recht –, das waren Figuren wie Hamid Dabashi, denen, fern aller Scham darüber, daß auch aus dem »Unrecht an den Opfern […] ein sei’s noch so ausgelaugter Sinn gepreßt wird«7, siebzig Jahre nach dem Holocaust nichts Besseres einfällt, als das Grauen zum Argument gegen diejenigen umzufälschen, deren Vernichtung damals trotz aller Systematik und Industrialisierung der Tötung doch nicht gänzlich gelungen ist. Dabashi mag einwenden, er sei kein Antisemit, sondern Antizionist. In einer Welt jedoch, die – entgegen dem Gewäsch von den »United States of Isra5 6 7

Ebd. Adorno an Lotte Tobisch, . Juni , Adorno/Tobisch , Der private Briefwechsel, S. . Ders., »Erfahrungen an Lulu«, AGS, Bd. , S. .

nach auschwitz blablabla

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el«, das er  in der ägyptischen Zeitschrift Al-Ahram Weekly von sich gab8 – prinzipiell judenfeindlich ist, läuft zumindest konsequenter Antizionismus notwendig auf den Antisemitismus hinaus. Wo sollen die Juden, die sich überall als auserwähltes, aber eben nicht als ›unser Volk‹ ausgrenzen und bedrohen lassen müssen, denn hin? Eine Welt ohne den Staat Israel gab es bereits, an ihrem Ende konnten die »paar Überlebenden«9 froh sein – aber nicht werden –, daß sie entronnen waren. »While in Adorno the vile and diabolic Zionism that Netanyahu interprets and exercises is the confirmation of his thought that after Auschwitz all poetry is barbaric, in the very same ruins of Gaza, right next to the broken skulls of dead Palestinian children, dwells the rising seeds of our future world – fearful, phantasmagoric, deadening, inaugural.«10 So instrumentalisiert Dabashi getötete Kinder, um von deren gebrochenen Schädeln zu reden, jedenfalls – da ist er denn doch ganz Antikolonialist –, sofern es sich um palästinensische Kinderschädel handelt: Palästinenser seien Palästinenser, »if by nothing else, by virtue of a history of unconscionable suffering and heroic defiance. What are Israelis? Who are Israelis? They are Israelis by virtue of what? By a shared and sustained murderous history – from Deir Yassin in  to Gaza in . Is that not Zionism, the ideological foundation stone of being an Israeli?«11 Im Glauben, die Geschichte Israels habe  begonnen und nicht in den Jahren zuvor, wird die Ideologie, die sechs Millionen Juden das Leben kostete, ungerührt gegen die heute lebenden ins Feld geführt, und Dabashi schreckt nicht davor zurück, Walter Benjamin als Zeugen für seinen Relativismus zu mißbrauchen: »Between Walter Benjamin’s suicide in  on the border between France and Spain, running away from the banality of Nazi evil, and Khalil Hawi’s suicide in , in protest against the Zionist invasion and occupation of his homeland, the fate of all our metaphors and allegories after Gaza was written and sealed.«12 Der eine wählt eher den Freitod, als den Nationalsozialisten in die Hände zu fallen und anschließend von ihnen ermordet zu werden; dem anderen, einem 8 9 10 11 12

Vgl. Dabashi , »Obama’s Palestinian Problem«, o.S.; der Text erschien zuerst in der Al-Ahram Weekly in der Ausgabe vom . Juni . Adorno an seine Eltern, . März , ABB, Bd. , S. . Dabashi , »Gaza …«, o.S. Ebd. Ebd.

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TEIL III

arabischen Dichter und Nationalisten, will es nicht recht passen, wenn Israelis in Syrien einmarschieren, und er nimmt sich also sinnlos und trotzig das Leben. Das meinungsstarke Geschwätz ist sich für keine obszöne Analogie zu schade, wenn es darum geht, die Wahrheit zu ignorieren, um von einem zionistischen Holocaust in Gaza zu fabulieren: »After Gaza, not a single living Israeli can utter the word ›Auschwitz‹ without it sounding like ›Gaza‹. Auschwitz as a historical fact is now archival. Auschwitz as a metaphor is now Palestinian.«13 Der trübe Sinn dieser hanebüchenen Argumentation liegt auf der Hand: Wenn die zionistische Legitimation Israels, Heimat für die verfolgten Juden der Welt zu sein, fortfällt, weil die Palästinenser im Zuge eines Relativierungsdiskurses nun die eigentlichen Auschwitz-Opfer sind, dann kann Israel als Brutstätte kriegslüsterner Zionisten denunziert werden. Diese frei assoziierende Beweisstruktur, die Verschwörungstheorie gegen Israel, die rhetorische Figur, die Juden seien die Nationalsozialisten von heute, und es gebe doch sogar Juden, die dies bestätigten – all das ist nicht neu, sondern alltäglicher Antisemitismus. Fatal wird es, wenn sich jemand, dessen Aufgabe und Verantwortung es ist, es besser zu wissen und dieses Wissen zu lehren, sich dieser Mittel bedient. Womöglich will Dabashi, daß die Tötung von Palästinensern endlich aufhört. Die einzige politische und militärische Kraft, die dies schnell durchsetzen könnte, wird von ihm nicht erwähnt: die terroristische Regierung in Gaza, die Hamas. Sie verfolgt unterdessen ein Programm der endgültigen Vernichtung der Juden mit einer Konsequenz, der sie und ihre Anhänger alles opfern. Es ist abwegig, zu glauben, ihnen bedeutete ein getötetes Kind anderes als die Möglichkeit, ein Photo von ihm der Weltöffentlichkeit zur Schau zu stellen, um die vermeinte Bestialität der Israelis zu beweisen. Jeder verantwortliche Mensch würde sich diese Art der Propaganda mit Kinderleichen verbieten. Dabashi läßt es hingegen zu, daß nicht nur die Photographie eines getöteten Mädchens, sondern auch dessen Name seine Argumentation schmückt. Hier wütet ein Instrumentalismus, der sich alles einverleibt: tote Kinder, das Leid anderer, Antisemitismuskritik, die Poesie und die Wahrheit. Der Wahrheit über die Lage der Palästinenser im Nahen Osten kommt man keinesfalls näher, wenn man sich um jenes Thema drückt, um das es Adorno nun wirklich sein ganzes Leben nach Auschwitz ging: den Antisemitis13

Ebd.

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mus. Professor Dabashi dagegen befeuert von der Columbia-Universität aus gemütlich ebenjenes barbarische »Gerücht über die Juden«14, das auch in Zukunft die Menschen im Nahen Osten den Frieden kosten wird. Oder eben das Leben selbst. Und er wird sagen, daran seien die Juden schuld.

14

Adorno, Minima Moralia, AGS, Bd. , S. .

Literaturverzeichnis

Im Grunde ist alles, was gesagt wird, zitiert, ist auch ein Satz von Karrer, der mir in diesem Zusammenhang einfällt und den Oehler sehr oft, wenn es ihm paßt, gebraucht. T B, G

Siglenverzeichnis ABB

Theodor W. Adorno ( ff.): Briefe und Briefwechsel. (Hg. vom Theodor W. Adorno Archiv.) Frankfurt a.M. • (Mit Walter Benjamin) Briefwechsel –. (Hg. von Henri Lonitz.) In: Bd. . • (Mit Alban Berg) Briefwechsel –. (Hg. von Henri Lonitz.) In: Bd. . • (Mit Thomas Mann) Briefwechsel –. (Hg. von Christoph Gödde/ Thomas Sprecher.) In: Bd. . • (Mit Max Horkheimer) Briefwechsel –. Band I: –. (Hg. von Christoph Gödde/Henri Lonitz.) In: Bd. .I. • (Mit Max Horkheimer) Briefwechsel –. Band III: –. (Hg. von Christoph Gödde/Henri Lonitz.) In: Bd. .III. • (Mit Max Horkheimer) Briefwechsel -. Band IV: –. (Hg. von Christoph Gödde/Henri Lonitz.) In: Bd. .IV. • Briefe an die Eltern –. (Hg. von Christoph Gödde/Henri Lonitz.) In: Bd. . • (Mit Siegfried Kracauer) Briefwechsel –. (Hg. von Wolfgang Schopf.) In: Bd. . • (Mit Gershom Scholem) Briefwechsel –. (Hg. von Asaf Angermann.) In: Bd. .

334 l i t e r a t u r v e r z e i c h n i s AGS Theodor W. Adorno ( ff.): Gesammelte Schriften. (Hg. von Rolf Tiedemann. Unter Mitwirkung von Gretel Adorno/Susan Buck-Morss/ Klaus Schultz.) Frankfurt a.M. • • • •

»Die Aktualität der Philosophie«. In: Bd. .  ff. »Die Idee der Naturgeschichte«. In: Bd. .  ff. »Thesen über die Sprache des Philosophen«. In: Bd. .  ff. (Mit Max Horkheimer) Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. In: Bd. .  ff. • Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. In: Bd. . • Zur Metakritik der Erkenntnistheorie. Studien über Husserl und die phänomenologischen Antinomien. In: Bd. .  ff. • Drei Studien zu Hegel. In: Bd. .  ff. • »Aspekte«. In: Bd. .  ff. • »Erfahrungsgehalt«. In: Bd. .  ff. • »Skoteinos oder Wie zu lesen sei«. In: Bd. .  ff. • Negative Dialektik. In: Bd. .  ff. • Jargon der Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie. In: Bd. .  ff. • Ästhetische Theorie. In: Bd. . • »Gesellschaft«. In: Bd. .  ff. • »Die revidierte Psychoanalyse«. In: Bd. .  ff. • »Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie«. In: Bd. .  ff. • »Theorie der Halbbildung«. In: Bd. .  ff. • (Mit Ursula Jaerisch) »Anmerkungen zum sozialen Konflikt heute. Nach zwei Seminaren«. In: Bd. .  ff. • »Soziologie und empirische Forschung«. In: Bd. .  ff. • »Über Statik und Dynamik als soziologische Kategorien«. In: Bd. .  ff. • »Einleitung zu Emile Durkheim, ›Soziologie und Philosophie‹«. In: Bd. .  ff. • »Einleitung zum ›Positivismusstreit in der deutschen Soziologie‹«. In: Bd. .  ff. • »Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft? Einleitungsvortrag zum . Deutschen Soziologentag«. In: Bd. .  ff. • »Reflexionen zur Klassentheorie«. In: Bd. .  ff. • »Individuum und Organisation. Einleitungsvortrag zum Darmstädter Gespräch «. In: Bd. .  ff. • »Beitrag zur Ideologienlehre«. In: Bd. .  ff. • »Teamwork in der Sozialforschung«. In: Bd. .  ff. • »Einleitung zu einer Diskussion über die ›Theorie der Halbbildung‹«. In: Bd. .  ff. • »Diskussionsbeitrag zu ›Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?‹« In: Bd. .  ff.

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• »The Psychological Technique of Martin Luther Thomas’ Radio Addresses«. In: Bd. ..  ff. • »Studies in the Authoritarian Personality«. In: Bd. ..  ff. • »The Stars Down to Earth: The Los Angeles Times Astrology Column. A Study in Secondary Superstition«. In: Bd. ..  ff. • »Schuld und Abwehr. Eine qualitative Analyse zum Gruppenexperiment«. In: Bd. ..  ff. • »Kulturkritik und Gesellschaft«. In: Bd. ..  ff. • »Aldous Huxley und die Utopie«. In: Bd. ..  ff. • »George und Hofmannsthal. Zum Briefwechsel: –«. In: Bd. ..  ff. • »Über Tradition«. In: Bd. ..  ff. • »Résumé über Kulturindustrie«. In: Bd. ..  ff. • »Filmtransparente«. In: Bd. ..  ff. • »Wien, nach Ostern «. In: Bd. ..  ff. • »Philosophie und Lehrer«. In: Bd. ..  ff. • »Wozu noch Philosophie«. In: Bd. ..  ff. • »Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit«. In: Bd. ..  ff. • »Anmerkungen zum philosophischen Denken«. In: Bd. ..  ff. • »Fortschritt«. In: Bd. ..  ff. • »Freizeit«. In: Bd. ..  ff. • »Tabus über dem Lehrberuf«. In: Bd. ..  ff. • »Erziehung nach Auschwitz«. In: Bd. ..  ff. • »Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika«. In: Bd. ..  ff. • »Zu Subjekt und Objekt«. In: Bd. ..  ff. • »Marginalien zu Theorie und Praxis«. In: Bd. ..  ff. • »Kritik«. In: Bd. ..  ff. • »Resignation«. In: Bd. ..  ff. • »Der Essay als Form«. In: Bd. .  ff. • »Zur Schlußszene des Faust«. In: Bd. .  ff. • »Erpreßte Versöhnung. Zu Georg Lukács: ›Wider den mißverstandenen Realismus‹«. In: Bd. .  ff. • »Versuch, das Endspiel zu verstehen«. In: Bd. .  ff. • »Bibliographische Grillen«. In: Bd. .  ff. • »Der wunderliche Realist. Über Siegfried Kracauer«. In: Bd. .  ff. • »Engagement«. In: Bd. .  ff. • »Zum Klassizismus von Goethes Iphigenie«. In: Bd. .  ff. • »Henkel, Krug und frühe Erfahrung«. In: Bd. .  ff. • Philosophie der neuen Musik. In: Bd. . • Versuch über Wagner. In: Bd. .  ff. • »Erfahrungen an Lulu«. In: Bd. .  ff. • »Zur Musikpädagogik«. In: Bd. .  ff. • »Das Altern der Neuen Musik«. In: Bd. .  ff.

336 l i t e r a t u r v e r z e i c h n i s • Einleitung in die Musiksoziologie. Zwölf theoretische Vorlesungen. In: Bd. .  ff. • »Thesen gegen die musikpädagogische Musik«. In: Bd. .  ff. • Der getreue Korrepetitor. Lehrschriften zur musikalischen Praxis. In: Bd. .  ff. • »Kriterien der neuen Musik«. In: Bd. .  ff. • »Atonales Intermezzo?« In: Bd. .  ff. • »Widerspruch«. In: Bd. .  f. • »Reflexionen über Musikkritik«. In: Bd. .  ff. • »Radiorede über Max Horkheimer«. In: Bd. ..  ff. • »Offener Brief an Max Horkheimer«. In: Bd. ..  ff. • »Ad Lukács«. In: Bd. ..  ff. • »›Keine Angst vor dem Elfenbeinturm‹. Ein ›Spiegel‹-Gespräch«. In: Bd. ..  ff. • »Die auferstandene Kultur«. In: Bd. ..  ff. • »Im Flug erhascht«. In: Bd. ..  ff. • (Mit Max Horkheimer) »Soziologische Exkurse. Nach Vorträgen und Diskussionen. Frankfurt a.M. . (Frankfurter Beiträge zur Soziologie. .)«. In: Bd. ..  ff. • »›Betriebsklima‹ und Entfremdung« In: Bd. ..  ff. • »Zur Psychologie des Verhältnisses von Lehrer und Schüler«. In: Bd. ..  ff.

ANS Theodor W. Adorno ( ff.): Nachgelassene Schriften. (Hg. vom Theodor W. Adorno Archiv.) Frankfurt a.M. • Beethoven. Philosophie der Musik. In: Bd. I.. (Hg. von Rolf Tiedemann.) • Current of Music. Elements of a Radio Theory. In: Bd. I.. (Hg. von Robert Hullot-Kentor.) • Einführung in die Dialektik (). In: Bd. IV.. (Hg. von Christoph Ziermann.) • Ästhetik (/). In: Bd. IV.. (Hg. von Eberhard Ortland.) • Kants »Kritik der reinen Vernunft« (). In: Bd. IV.. (Hg. von Rolf Tiedemann.) • Philosophie und Soziologie (). In: Bd. IV.. (Hg. von Dirk Braunstein.) • Ontologie und Dialektik (/). In: Bd. IV.. (Hg. von Rolf Tiedemann.) • Probleme der Moralphilosophie (). In: Bd. IV.. (Hg. von Thomas Schröder.) • Philosophische Elemente einer Theorie der Gesellschaft (). In: Bd. IV.. (Hg. von Tobias ten Brink/Marc Phillip Nogueira.) • Zur Lehre von der Geschichte und von der Freiheit (/). In: Bd. IV.. (Hg. von Rolf Tiedemann.)

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• Metaphysik. Begriff und Probleme (). In: Bd. IV.. (Hg. von Rolf Tiedemann.) • Einleitung in die Soziologie (). In: Bd. IV.. (Hg. von Christoph Gödde.) • Vorlesung über Negative Dialektik. Fragmente zur Vorlesung /. In: Bd. IV.. (Hg. von Rolf Tiedemann.)

HGS Max Horkheimer ( ff.): Gesammelte Schriften. (Hg. von Alfred Schmidt/Gunzelin Schmid Noerr.) Frankfurt a.M. • »Materialismus und Moral«. In: Bd. . (Hg. von Alfred Schmidt.)  ff. • »Autorität und Familie«. In: Bd. .  ff. • »Traditionelle und kritische Theorie«. In: Bd. . (Hg. von Alfred Schmidt.)  ff. • Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, Bd. . (Hg. von Alfred Schmidt.)  ff. • »Bedrohungen der Freiheit«. In: Bd. . (Hg. von Gunzelin Schmid Noerr.)  ff. • (mit Theodor W. Adorno et al.) »[Wissenschaft und Krise. Differenz zwischen Idealismus und Materialismus. Diskussionen über Themen zu einer Vorlesung Max Horkheimers]«. In: Bd. . (Hg. von Gunzelin Schmid Noerr.)  ff. • (Mit Theodor W. Adorno) »[Diskussionen über Sprache und Erkenntnis, Naturbeherrschung am Menschen, politische Aspekte des Marxismus]«. In: Bd. .  ff. • »[Diskussion über Dialektik]. [?]« [recte: ]. In: Bd. .  ff. • »Briefwechsel –«. In: Bd. . (Hg. von Gunzelin Schmid Noerr.) • »Briefwechsel –«. In: Bd. . (Hg. von Gunzelin Schmid Noerr.) • »Briefwechsel –«. In: Bd. . (Hg. von Gunzelin Schmid Noerr.) • (Mit Theodor W. Adorno) »[Diskussion über Theorie und Praxis]«. In: Bd. . (Hg. von Gunzelin Schmid Noerr.)  ff.

MEW Karl Marx/Friedrich Engels ( ff.): Werke. (Hg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED bzw. vom Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung.) Berlin. • Marx, »Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung«. In: Bd. .  ff. • Marx, »[Thesen über Feuerbach]«. In: Bd. .  ff. • Marx, Das Elend der Philosophie. Antwort auf Proudhons »Philosophie des Elends«. In: Bd. .  ff. • Marx/Engels, »Das deutsche Reichsbürgerrecht und die preußische Polizei«. In: Bd. .  f. • Marx/Engels, »Thiers’ Rede über eine allgemeine Hypothekenbank mit Zwangskurs«. In: Bd. .  ff.

338 l i t e r a t u r v e r z e i c h n i s • Marx, »[Anmerkung der Redaktion zu dem Artikel ›Die Schneiderei in London oder der Kampf des großen und des kleinen Capitals‹ von J.G. Eccarius]«. In: Bd. . . • Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich. Adresse des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation. In: Bd. .  ff. • Marx, »Kritik des Gothaer Programms«. In: Bd. .  ff. • Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft. In: Bd. .  ff. • Marx, Das Kapital [Bd. ]. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band. Buch I: Der Produktionsprozeß des Kapitals. In: Bd. . • Marx/Engels, »Briefe. Januar –September «. In: Bd. .

Weitere Literatur Adorno, Theodor W. : »Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie«, in: Sociologica. Aufsätze, Max Horkheimer zum sechzigsten Geburtstag gewidmet. Frankfurt a.M.  ff. _____ : »Adorno korrigiert Lukács«. In: Ost-Probleme. . Jg. . Nr. /. . _____ : »Laienkunst – organisierte Banausie?«. In: Amt für Kultur, Volksbildung und Schulverwaltung der Stadt Wien (Hg.) : Europa-Gespräch . Die Europäische Groß-Stadt. Licht und Irrlicht. Wien.  ff. _____ : Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit Hellmut Becker –. (Hg. von Gerd Kadelbach.) Frankfurt a.M. _____ []: Vorlesung zur Einleitung in die Erkenntnistheorie. Frankfurt a.M. [Raubdruck]. _____ : Philosophische Terminologie. Zur Einleitung. Band . (Hg. von Rudolf zur Lippe.) Frankfurt a.M. _____ : Philosophische Terminologie. Zur Einleitung. Band . (Hg. von Rudolf zur Lippe.) Frankfurt a.M. _____ : »Theodor W. Adorno über Marx und die Grundbegriffe der soziologischen Theorie«. In: Hans-Georg Backhaus : Dialektik der Wertform. Untersuchungen zur marxschen Ökonomiekritik. Freiburg i.Br.  ff. _____ : »Geschichtsphilosophischer Exkurs zur Odyssee. [Frühe Fassung von Odysseus oder Mythos und Aufklärung]«. In: Frankfurter Adorno Blätter. Bd. V.  ff.

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_____ : »Einleitung in dialektisches Denken. Stichworte zur letzten, abgebrochenen Vorlesung SS «. (Hg. von Rolf Tiedemann.) In: Frankfurter Adorno Blätter. Bd. VI.  ff. _____ : »Graeculus (I). Musikalische Notizen«. In: Frankfurter Adorno Blätter. H. VII.  ff. _____ : »Graeculus (II). Notizen zu Philosophie und Gesellschaft – «. In: Frankfurter Adorno Blätter. H. VIII.  ff. _____ : »Theorie der Gesellschaft. Stichworte und Entwürfe zur Vorlesung /«. (Hg. von Michael Schwarz.) In: Frankfurter Adorno Blätter. Bd. VIII.  ff. _____ : »Individuum und Gesellschaft. Entwürfe und Skizzen«. In: In: Frankfurter Adorno Blätter. H. VIII.  ff. _____ : »Tagebuch der großen Reise Oktober «. In: Theodor W. Adorno Archiv (Hg.) .  ff. _____ : »Zur Spezifikation der kritischen Theorie«. In: Theodor W. Adorno Archiv (Hg.) . . _____ : »Contra Paulum«. In: ABB, Bd. .II.  ff. _____ : »Gutachten zur Arbeit Franz Borkenau. Der Übergang vom feudalen zum bürgerlichen Weltbild«. In: ABB, Bd. .I.  ff. _____ : »Zur Gründung des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin. Gutachten von Theodor W. Adorno«. In: Pädagogische Korrespondenz. H. .  ff. _____ : »Einleitung in das soziologische Hauptseminar ›Probleme der Bildungssoziologie‹, . November «. (Hg. von Dirk Braunstein.) In: WestEnd. Neue Zeitschrift für Sozialforschung. . Jg. H. .  ff. _____ : »Einleitung in das soziologische Hauptseminar ›Probleme der qualitativen Analyse‹, . Mai «. (Hg. von Dirk Braunstein.) In: WestEnd. Neue Zeitschrift für Sozialforschung. . Jg. H. ,  ff. _____ /Hellmut Becker/Gerd Kadelbach : »Fernsehen und Bildung«. In: Adorno .  ff. _____ /Hellmut Becker : »Erziehung – wozu?« In: Adorno .  ff. _____ /Hellmut Becker : »Erziehung zur Entbarbarisierung«. In: Adorno .  ff. _____ /Hellmut Becker : »Erziehung zur Mündigkeit«. In: Adorno .  ff.

340 l i t e r a t u r v e r z e i c h n i s _____ /Ernst Bloch : »Etwas fehlt … Über die Widersprüche der utopischen Sehnsucht«. (Interview mit Horst Krüger.) In: Ernst Bloch : Viele Kammern im Welthaus. Eine Auswahl aus dem Werk. Frankfurt a.M.  ff. _____ /Peter von Haselberg : »Über die geschichtliche Angemessenheit des Bewußtseins«. In: Akzente. Zeitschrift für Literatur. . Jg. H. .  ff. _____ /Ernst Krenek : Briefwechsel. (Hg. von Wolfgang Rogge.) Frankfurt a.M. _____ /Alfred Sohn-Rethel : Briefwechsel –. (Hg. von Christoph Gödde.) München. _____ /Lotte Tobisch : Der private Briefwechsel. (Hg. von Bernhard Kraller/Heinz Steinert.) Graz. _____ et al. : The Authoritarian Personality. New York. _____ et al. : »›Optimistisch zu denken ist kriminell‹. Eine Fernsehdiskussion über Samuel Beckett«. In: Frankfurter Adorno Blätter. Bd. III.  ff. _____ et al. /: »Diskussion über Adornos ›Tabus über dem Lehrberuf‹«. In: Pädagogische Korrespondenz. Zeitschrift für kritische Zeitdiagnostik in Pädagogik und Gesellschaft. H. .  ff. Aguiagh, René : »Es ist schwarz, aber es schimmert«. In: Literaturen. . Jg. H. .  ff. Albert, Hans : Kritischer Rationalismus. Vier Kapitel zur Kritik illusionären Denkens. Tübingen. Albrecht, Clemens et al. : Die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik. Eine Wirkungsgeschichte der Frankfurter Schule, Frankfurt a.M./New York. Althaus, Horst : »Lukacs, Georg, Die Eigenart des Ästhetischen, München, Luchterhand ()«. In: Göttingische Gelehrte Anzeigen. H. /.  ff. Améry, Jean : Über das Altern. Revolte und Resignation. In: ders.  ff.: Werke. (Hg. von Irene Heidelberger-Leonard.) Stuttgart. Bd. . (Hg. von Monique Boussart.)  ff. [Anonym] : »kritik«. In: Jacob Grimm/Wilhelm Grimm et al. (Hg.)  [Reprint.] [ ff.]): Deutsches Wörterbuch. München. Bd. . Sp.  ff. [Anonym] : »Kritik – wie geht das?« In: MSZ. Marxistische Streit- und Zeitschrift. Gegen die Kosten der Freiheit. H. .  ff. [Anonym] : »DGB übt sanfte Kritik«. In: einblick. gewerkschaftlicher InfoService. H. . . [Anonym] : »Let’s party mit ›Teddie Adorno‹«. In: Neue Vorarlberger Tageszeitung. . September . . [Anonym] : »Unterm Strich«. In: Mainpost. . September . O.S.

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[Anonym] : »Soziologische Lehrveranstaltungen von – – Archivbestaende der Goethe-Universitaet Frankfurt«. ‹https://wiki. studiumdigitale.uni-frankfurt.de/SOZFRA/index.php/Soziologische_ Lehrveranstaltungen_von_-_-_Archivbestaende_der_GoetheUniversitaet_Frankfurt› (Zugriff: . Oktober ). [Anonym] : »Adornos Schreibtisch zieht um«. ‹https://aktuelles.unifrankfurt.de/campus/adornos-schreibtisch-zieht-um/› (Zugriff: . November ). [Anonym] o.J.: »Pflanzenssoziologie«. ‹https://de.wikipedia.org/wiki/ Pflanzensoziologie› (Zugriff: . Oktober ). Arendt, Hannah : Macht und Gewalt. (Dt. von Gisela Uellenberg.) München/Zürich. Assheuer, Thomas : »Der wahre Konservative«. In: Die Zeit. Nr. . . September . . Becker, Hellmut : »Sozialforschung und Bildungspolitik«. In: Verhandlungen des vierzehnten Deutschen Soziologentages vom . bis . Mai  in Berlin. Stuttgart.  ff. von Becker, Peter : »Der Splitter im eigenen Auge«. In: Der Tagesspiegel. . September . . Becker-Schmidt, Regina : »Wenn die Frauen erst einmal Frauen sein könnten«. In: Früchtl/Calloni (Hg.) .  ff. Behrens, Roger : Adorno-ABC. Leipzig. Benjamin, Walter (): Gesammelte Schriften. (Hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser.) Frankfurt a.M. _____ : Ursprung des deutschen Trauerspiels. In: ders. . Bd. I.. (Hg. von Rolf Tiedemann/Hermann Schweppenhäuser.)  ff. _____ : »Zentralpark«. In: ders. . Bd. I.. (Hg. von Rolf Tiedemann/ Hermann Schweppenhäuser.)  ff _____ : Das Passagen-Werk. In: ders. . Bd. V./. (Hg. von Rolf Tiedemann.) Bense, Max : »Über den Essay und seine Prosa«. In: Merkur. . Jg.  ff. Benseler, Frank : »Sprache und Gesellschaft«. In: ders. (Hg.) .  ff. _____ (Hg.) : Festschrift zum achtzigsten Geburtstag von Georg Lukács. Neuwied/Berlin. _____ /Werner Jung (Hg.) : Lukács . Jahrbuch der Internationalen Georg-Lukács-Gesellschaft. . Jg. Bielefeld.

342 l i t e r a t u r v e r z e i c h n i s _____ /Werner Jung (Hg.) : Lukács . Jahrbuch der Internationalen Georg-Lukács-Gesellschaft. . Jg. Bielefeld. Bergflödt, Torbjörn : »Im Denken früh geübt«. In: Südkurier. Nr. . . September . . Beumann, Helmut : »Der Schriftsteller und seine Kritiker im frühen Mittelalter«. In: Studium Generale. . Jg. H. .  ff. Binder, Klaus : »Von der Materialität der Schrift. Notizen bei der Lektüre Walter Benjamins«. In: Matthias Lutz-Bachmann/Gunzelin Schmid Noerr (Hg.) : Kritischer Materialismus. Zur Diskussion eines Materialismus der Praxis. Für Alfred Schmidt zum . Geburtstag. München/Wien.  ff. Bloom, Harold : Shakespeare. Die Erfindung des Menschlichen. Berlin. Bobka Nico/Dirk Braunstein : »Die Lehrveranstaltungen Theodor W. Adornos. Eine kommentierte Übersicht«. In: IfS Working Papers Nr. . ‹http://www.ifs.uni-frankfurt.de/wp-content/uploads/IfS-WP-BobkaBraunstein.pdf› (Zugriff: . November ). Böckelmann, Frank : Über Marx und Adorno. Schwierigkeiten der spätmarxistischen Theorie. Freiburg i.Br. Bohnke, Robert-Alexander : »Der Philosoph im imaginären Sandkasten«. In: Schwäbisches Tageblatt. . September . . Bolz, Norbert : Das konsumistische Manifest. München. _____ : »Der Pyrrhus-Sieger«. In: Literaturen. . Jg. H. .  ff. Bonß, Wolfgang : Die Einübung des Tatsachenblicks. Zur Struktur und Veränderung empirischer Sozialforschung. Frankfurt a.M. _____ : »Kritische Theorie und empirische Sozialforschung – ein Spannungsverhältnis« In: Klein/Kreuzer/Müller-Doohm (Hg.) .  ff. von Bormann, Claus : Der praktische Ursprung der Kritik. Die Metamorphosen der Kritik in Theorie, Praxis und wissenschaftlicher Technik von der antiken praktischen Philosophie bis zur neuzeitlichen Wissenschaft der Praxis. Stuttgart. _____ : »Kritik«. In: Joachim Ritter/Karlfried Gründer/Gottfried Gabriel (Hg.)  ff.: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Basel. Bd. . Sp.  ff. Börne, Ludwig : »Der Jude Shylock im Kaufmann von Venedig«. In: ders. : Sämtliche Schriften. (Hg. von Inge Rippmann/Peter Rippmann.) Düsseldorf. Bd. .  ff. Bourdieu, Pierre : Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. (Dt. von Bernd Schwibs/Achim Russer.) Frankfurt a.M.

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Brämer, Rainer : »Varianten des Naturbegriffs. Versuch einer Orientierung«. ‹http://www.wanderforschung.de/files/varbegriff.pdf› (Zugriff: . Oktober ). _____ : »Was Natur alles sein kann. Versuch einer unvollständigen Systematisierung auf dünnem Eis«. ‹http://www.wanderforschung.de/files/ natgebrauch.pdf› (Zugriff: . Oktober ). _____ : »Natur paradox. Was ist oder meint ›Natur‹?« ‹http://www. wanderforschung.de/files/natstuddef.pdf› (Zugriff: . Oktober ). _____ : »Auf falscher Fährte. Ungereimtheiten im zeitgenössischen Naturbild und ihre Widerspiegelung im Jugendreport Natur« ‹http://www. natursoziologie.de/files/falsche-faehrte_.pdf› (Zugriff: . Oktober ). _____ o.J. (a): [Ohne Titel]. ‹http://www.natursoziologie.de/NS› (Zugriff: . Januar ). _____ o.J. (b): [Ohne Titel], ‹http://www.natursoziologie.de/NS› (Zugriff: . Oktober ). Braun, Martin : »Die Wildsau als Leitbild: Adorno in Amorbach«. In: Basler Zeitung. Nr. . . September . . Braunstein, Dirk : Herrschaft und Ökonomie bei Theodor W. Adorno. Berlin. _____ : »Anmerkungen des Herausgebers«. In: Bd. IV..  ff. _____ : »Editorische Nachbemerkung«. In: ANS, Bd. IV..  ff. _____ : Adornos Kritik der politischen Ökonomie, Bielefeld. _____ /Marcel Woznica : »Die Veröffentlichung hunderter Texte hunderter Urheber. Probleme und Lösungsversuche bei der Rechteeinholung«. In: Zyklos . Jahrbuch für Theorie und Geschichte der Soziologie. (Hg. von Martin Endreß/Klaus Lichtblau/Stephan Moebius.) Wiesbaden.  ff. Bröckling, Ulrich : »Kritik oder Die Umkehrung des Genitivs«. In: Mittelweg . Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung. . Jg. H. .  ff. Bürger, Peter : Prosa der Moderne, Frankfurt a.M. _____ : »Verschüttete Spuren. Georg Lukács in der Frankfurter Schule«. In: Neue Rundschau. H. .  ff. Casimir, Torsten : »Der kreative Zerstörer«. In: Rheinische Post. Nr. . . September . O. S. Claussen, Detlev : Theodor W. Adorno. Ein letztes Genie. Frankfurt a.M.

344 l i t e r a t u r v e r z e i c h n i s Creydt, Meinhard : »Kritik – Eine Frage der Existenz«. In: Die Aktion. H. .  ff. Dabashi, Hamid : »Obama’s Palestinian Problem« ‹http://www.iranreview. org/content/Documents/Obama_s_Palestinian_Problem.htm› (Zugriff: . Oktober ). _____ : »Gaza: Poetry after Auschwitz« ‹http://www.aljazeera.com/ indepth/opinion///gaza-poetry-after-auschwitz-. html› (Zugriff: . Oktober ). Dahlmann, Manfred : »Die Liebe zum Recht als Liebe zum Souverän. Ein ›Lob‹ auf den Positivismus«. In: sans phrase. Zeitschrift für Ideologiekritik. H. .  ff. Dahmer, Helmut : »Zur Genealogie der Kritik«. In: Werkblatt. Zeitschrift für Psychoanalyse und Gesellschaftskritik. H. /.  ff. Dannemann, Rüdiger : Georg Lukács zur Einführung. Hamburg. _____ : »Zwischenbericht über einen Versuch, ein Trauerspiel der linken Intelligenz zu beenden«. In: Benseler/Jung (Hg.) .  ff. _____ : »Aufruf und Erkundung. Zu einem verspäteten, aber notwendigen Dialog zwischen Georg Lukács und Theodor W. Adorno«. In: Benseler/ Jung (Hg.) .  ff. _____ : »Des Dramas II. Akt. Kein Adorno ohne Lukács – kein Lukács ohne Adorno? Eine vorläufige Bilanz«. In: Benseler/Jung (Hg.) .  ff. Dannemann, Ulrich : »Erscheinungen und Erschütterungen kompletter Humanität. Das Verständnis der Musik bei Georg Lukács und Theodor W. Adorno«. In: Benseler/Jung (Hg.) . . Dell, Matthias : »Liebling des Jahres«. In: Thüringer Allgemeine. . September . . Delonge, Hermann-Josef : »›Teddie‹ erklärt uns die Welt«. In: Aachener Zeitung. . September . . Demirović, Alex : »Frankfurter Schule – zum Verhältnis von Kritischer Theorie und Soziologiestudium am Institut für Sozialforschung (– )«. In: Heinz Steinert (Hg.) : Die (mindestens) zwei Sozialwissenschaften in Frankfurt und ihre Geschichte. Ein Symposion des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften aus Anlaß des -Jahre-Jubiläums der J.W. GoetheUniversität Frankfurt ./. Dezember . Frankfurt a.M.  ff. _____ : »Bodenlose Politik – Dialoge über Theorie und Praxis«. In: Wolfgang Kraushaar (Hg.) : Frankfurter Schule und Studentenbewegung. Von

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der Flaschenpost zum Molotwcocktail –. Band : Aufsätze und Kommentare. Register. Hamburg.  ff. _____ : »Ökonomiekritik und kritische Gesellschaftstheorie«. In: Zeitschrift für kritische Theorie. . Jg., H. .  ff. _____ : Der nonkonformistische Intellektuelle. Die Entwicklung der Kritischen Theorie zur Frankfurter Schule. Frankfurt a.M. _____ : »Die Erfahrung des Totalitarismus und die Realpolitik der Vernunft. Aspekte der Aktualität der Kritischen Theorie«. In: Zeitschrift für kritische Theorie. . Jg. H. .  ff. _____ : »Kritische Gesellschaftstheorie und Gesellschaft«. In: ders. (Hg.) : Modelle kritischer Gesellschaftstheorie. Traditionen und Perspektiven der Kritischen Theorie. Stuttgart, Weimar.  ff. _____ : »Freiheit und Menschheit«. In: Jens Becker/Heinz Brakemeier (Hg.) : Vereinigung freier Individuen. Kritik der Tauschgesellschaft und gesellschaftliches Gesamtsubjekt bei Theodor W. Adorno. Hamburg.  ff. _____ : »Zur Dialektik von Utopie und bestimmter Negation. Eine Diskussionsbemerkung«. In: Christina Kaindl (Hg.) : Kritische Wissenschaften im Neoliberalismus. Marburg.  ff. Demm, Eberhard . Von der Weimarer Republik zur Bundesrepublik. Der politische Weg Alfred Webers –. Düsseldorf. Diederichsen, Uwe: Das Fleischpfand. In: Ulrich Mölk (Hg.) : Literatur und Recht. Literarische Rechtsfälle von der Antike bin in die Gegenwart. Göttingen.  ff. _____ : »Shakespeares ›Kaufmann von Venedig‹. Jurisprudenz auf dem Forum der Bühne«. In: Ulrich Mölk (Hg.) : Literatur und Recht. Literarische Rechtsfälle von der Antike bin in die Gegenwart. Göttingen.  ff. Diels, Hermann : Die Fragmente der Vorsokratiker. (Hg. von Walther Kranz.) Bd. . Zürich/Berlin. von Dobeneck, Holger : Das Sloterdijk Alphabet. Eine lexikalische Einführung in Solterdijks Gedankenkosmos. Würzburg. Dorn, Thea : »Einkuscheln bei ›Teddie‹« (Interview mit Michael Schmidt). In: Kölnische Rundschau. . September . O.S. Doyé, Sabine : »Rationalität und Verdinglichung: Georg Lukács Geschichte und Klassenbewußtsein, die Rekonstruktion der Marxschen Ideologienlehre und Adornos ›Verrat‹ an den Quellen eines undogmatischen Marxismus«. In: Benseler/Jung (Hg.) .  ff.

346 l i t e r a t u r v e r z e i c h n i s Dröge, Kai : »Gruppenexperiment. Ein Studienbericht«. In: Axel Honneth/Institut für Sozialforschung (Hg.): Schlüsseltexte der Kritischen Theorie. Wiesbaden.  ff. Drosdowski, Günther : Duden »Etymologie«. Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache. Mannheim/Wien/Zürich. Droste, Wiglaf : Wir sägen uns die Beine ab und sehen aus wie Gregor Gysi. Ausgesuchte neue Texte. Berlin. Durkheim, Emile : Die Regeln der soziologischen Methode. (Hg. von René König). Frankfurt a.M. Enge, Torsten : »Das große Nein zum Jahrhundert der Diktaturen«. In: Remscheider General-Anzeiger. . Engster, Frank : »Ihre Unmöglichkeit als Gegenstand der Kritik. Das Dilemma kritischer Theorie und revolutionärer Kritik«. In: erste hilfe. H. .  ff. Fabri, Albrecht : Der schmutzige Daumen. Gesammelte Schriften. (Hg. von Ingeborg Fabri/Martin Weinmann.) Frankfurt a.M. Fahrenberg, Jochen/John M. Steiner : »Adorno und die Autoritäre Persönlichkeit«. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. . Jg. H. .  ff. Feldhoff, Jürgen : »Der letzte Meisterdenker«. In: Lübecker Nachrichten. . September . . Fetscher, Iring : »Von Hegel zu Marx«. In Früchtl/Calloni (Hg.) .  ff. Fink, Eugen : Epilegomena zu Immanuel Kants »Kritik der reinen Vernunft«. Ein phänomenologischer Kommentar (–). In ders.  ff: Gesamtausgabe. (Hg. von Stephan Grätzel et al.) Freiburg i. Br./München. Abt. III. Bd.  ( Teilbde.). (Hg. von Guy van Kerckhoven.) Food and Agriculture Organization of the United Nations : The State of Food Insecurity in the World. Addressing Food Insecurity in Protracted Crises. Rom. Freud, Anna : Das Ich und die Abwehrmechanismen. Frankfurt a.M. Freud, Sigmund : »Das Motiv der Kästchenwahl«. In: ders. : Studienausgabe. (Hg. von Alexander Mitscherlich/Angela Richards/James Strachey.) Frankfurt a.M. Bd. X.  ff. Freytag, Carl : »Die Sprache der Dinge. Alfred Sohn-Rethels ›Zwischenexistenz‹ im Positano (–)«. In: Rudolf Heinz/Jochen Hörisch (Hg.)

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: Geld und Geltung. Zu Alfred Sohn-Rethels soziologischer Erkenntnistheorie. Würzburg. von Friedeburg, Ludwig : Bildungsreform in Deutschland. Geschichte und gesellschaftlicher Widerspruch. Frankfurt a.M. _____ : »Das Glück in Frankfurt«. In: Wolfram Schütte (Hg.) : Adorno in Frankfurt. Ein Kaleidoskop mit Texten und Bildern. Frankfurt a.M.  ff. Früchtl, Josef : ». September«. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie. . Jg. H. .  ff. _____ /Maria Calloni (Hg.) : Geist gegen Zeitgeist. Erinnern an Adorno. Frankfurt a.M. García Düttmann, Alexander : »Die Wunde Adorno«. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie. . Jg. H. .  f. Geyer, Christian : »Wer das Leben hat, hat den Schaden«. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Nr. . . August . . Gmünder, Ulrich : Kritische Theorie. Horkheimer, Adorno, Marcuse, Habermas. Stuttgart. Goebel, Eckart : »Das Hinzutretende. Ein Kommentar zu den Seiten  bis  der Negativen Dialektik«. In: Frankfurter Adorno Blätter. H. IV.  ff. Görner, Rüdiger : »Der Klang des Denkens«. In: Die Presse/Spectrum. . August . V f. Greiner, Bernhard : »Is that Law? Die Metaphorisierung des Rechts als Problem der Interpretation des Kaufmann von Venedig«. In: Zeno Ackermann/ Sabine Schülting (Hg.) : Shylock nach dem Holocaust. Zur Geschichte einer deutschen Erinnerungsfigur. Berlin/New York.  ff. Grigat, Stephan : Fetisch und Freiheit. Über die Rezeption der Marxschen Fetischkritik, die Emanzipation von Staat und Kapital und die Kritik des Antisemitismus. Freiburg i.Br. Gripp, Helga : Theodor W. Adorno. Erkenntnisdimensionen negativer Dialektik. Paderborn u.a. Gruschka, Andreas : Negative Pädagogik. Einführung in die Pädagogik mit Kritischer Theorie. Wetzlar. Günther, Frank : »Aus der Übersetzerwerkstatt: Liebe, Freundschaft, Fremdenhaß oder Wie man einen Juden verteufelt«. In: William Shakespeare

348 l i t e r a t u r v e r z e i c h n i s : Der Kaufmann von Venedig. Zweisprachige Ausgabe. (Dt. von Frank Günther.) München.  ff. Guzzoni, Ute : Sieben Stücke zu Adorno. Freiburg i.Br./München. Habermas, Jürgen : Theorie und Praxis. Sozialphilosophische Studien. Neuwied/Berlin. _____ : »Max Horkheimer: Zur Entwicklungsgeschichte seines Werkes«. In: ders. : Texte und Kontexte. Frankfurt a.M.  ff. _____ : »Grossherzige Remigranten. Über jüdische Philosophen in der frühen Bundesrepublik. Eine persönliche Erinnerung«. In: Neue Züricher Zeitung. . Juli . . Hahn, Erich : »›Vehikel der Geschichte‹ oder ›falsches Bewußtsein‹? Lukács und Adorno über das Ideologieproblem«. In: Benseler/Jung (Hg.) .  ff. Hanloser, Gerhard/Karl Reitter : Der bewegte Marx. Eine einführende Kritik des Zirkulationsmarxismus. Münster. ›Hannes‹ : »Kritik der Politik. Eine parteiische Reprise«. In: CEE IEH. Der Conne Island Newsflyer. H. .  ff. Hasler, Ludwig : »Als Zaungast bleibt er genial«. In: Die Weltwoche. Nr. . . September . . Haug, Frigga : »Gesellschaftstheorie«. In: Wolfgang Fritz Haug (Hg.)  ff.: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Hamburg/Berlin. Bd. . Sp. . Hegel, Georg Wilhelm Friedrich : System der Philosophie. Erster Teil. Die Logik, mit einem Vorwort von Leopold von Henning. In: ders.  ff.: Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe in zwanzig Bänden. (Hg. von Hermann Glockner.) Stuttgart. Bd. . _____ : Wissenschaft der Logik. Zweiter Teil. In: ders.: Sämtliche Werke  ff. (Hg. von Georg Lasson.) Leipzig. Bd. IV. _____ : Phänomenologie des Geistes. In: ders.  ff. Bd. . _____ : Wissenschaft der Logik · II. Erster Teil. Die objektive Logik. Zweites Buch. Zweiter Teil. Die subjektive Logik. In: ders.  ff. Bd. . _____  ff.: Werke, auf der Grundlage der Werke von – neu edierte Ausgabe. (Redaktion Eva Moldenhauer/Karl Markus Michel.) Frankfurt a.M. _____ : Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse. In: ders.  ff. Bd. .

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_____ : Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (). Erster Teil. Die Wissenschaft der Logik. Mit den mündlichen Zusätzen. In: ders.  ff. Bd. . _____ : Vorlesungen über die Wissenschaft der Logik I. Nachschriften zu den Kollegien der Jahre /, , , ,  und . In: ders.  ff.: Gesammelte Werke. Bd. .. (Hg. von Annette Sell.) Hamburg. Heidbrink, Ludger : »Von der Herstellung heiliger Texte«. In: Die Zeit. Nr. . . September . . Heidegger, Martin : Holzwege. Frankfurt a.M. _____ : Vier Seminare. Le Thor , , . Zähringen . Frankfurt a.M. _____ : Nietzsche. Seminare  und . . Nietzsches metaphysische Grundstellung (Sein und Schein). . Skizzen zu Grundbegriffe des Denkens. In: ders.  ff.: Gesamtausgabe. Frankfurt a.M. IV. Abt. Bd. . (Hg. von Peter von Ruckteschell.) _____ : . Die metaphysischen Grundstellungen des abendländischen Denkens . Einübung in das philosophische Denken. In: ders.  ff.: Gesamtausgabe. Frankfurt a.M. IV. Abt. Bd. . (Hg. von Alfred Denker.) _____ : Seminare. Hegel – Schelling. In: ders.  ff.: Gesamtausgabe. Frankfurt a.M. IV. Abt. Bd. . (Hg. von Peter Trawny.) Heine, Heinrich : »Shakespeares Mädchen und Frauen«. In: ders. : Werke und Briefe in zehn Bänden. (Hg. von Hans Kaufmann.) Berlin. Bd. .  ff. Heinrich, Michael : Die Wissenschaft vom Wert. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher Revolution und klassischer Tradition. Münster. _____ : Wie das Marxsche »Kapital« lesen? Leseanleitung und Kommentar zum Anfang des »Kapital«. Stuttgart. Heins, Volker : »›Nicht bange machen lassen!‹ – Adornos unveröffentlichte Vorträge«. In: WestEnd. Neue Zeitschrift für Sozialforschung. . Jg. H. .  ff. Heise, Ulf : »Porträt einer Jahrhundertfigur«. In: Thüringer Allgemeine. . September . . Heller, Ágnes : »Die moralische Sendung des Philosophen«. In: Benseler (Hg.) .  ff.

350 l i t e r a t u r v e r z e i c h n i s _____ : »Der Schulgründer«. In: Rüdiger Dannemann/Werner Jung (Hg.), Objektive Möglichkeit. Beiträge zur Georg Lukács’ »Zur Ontologie des gesellschaftlichen Seins«.  ff. _____ : Der Affe auf dem Fahrrad. Eine Lebensgeschichte bearbeitet von János Kőbányai. Berlin/Wien. Henning, Christoph : Philosophie nach Marx.  Jahre Marxrezeption und die normative Sozialphilosophie der Gegenwart in der Kritik. Bielefeld. Henscheid, Eckhard : Dummdeutsch. Stuttgart. _____ : Alle  Kulturen. Eine Bilanz. Frankfurt a.M. _____ : »Musikplaudertasche«. In: ders.: Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Musik. Frankfurt a.M.  ff. _____ : »Scene-Deutsch: Fluch oder Segen? Nachwort zu einem Wörterbuch«. In: ders.: Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Literaturkritik. Frankfurt a.M.  ff. Hensel, Georg : Spielplan. Der Schauspielführer von der Antike bis zur Gegenwart. Bd. . Erftstadt. Herrmann, Ulrich : »Bildungsforschung ohne kritische Theorie der Bildung? Ein Gutachten von Theodor W. Adorno zur Gründung eines (MaxPlanck)›Instituts für Recht, Soziologie und Ökonomie der Bildung‹ aus dem Jahre «. In: Pädagogische Korrespondenz. H. ,  ff. Herrschaft, Felicia : »Die Gestalt der soziologischen Lehre in Frankfurt«. In: UniReport. Goethe-Universität. Frankfurt am Main. . Jg. H. . . _____ : »Die Lehrgestalt der Frankfurter Soziologie in den er und er Jahren – Theorie und Praxis«. In dies./Klaus Lichtblau (Hg.) : Soziologie in Frankfurt. Eine Zwischenbilanz. Wiesbaden.  ff. Hochschulgruppe der Antifaschistischen Aktion Berlin : »We didn’t start the fire, it was always burning since the world was turning. Gewalt in der bürgerlichen Gesellschaft«. In: erste hilfe. H. .  ff. Höfling, Helmut (Hg.) : Beiträge zu Philosophie und Wissenschaft. Wilhelm Szilasi zum . Geburtstag. München. Holofernes, Judith : »Wir sind Heldinnen«. (Interview mit Chantal Louis.) In: Emma. H. .  ff. Honneth, Axel : Pathologien der Vernunft. Geschichte und Gegenwart der Kritischen Theorie. Frankfurt a.M. Horkheimer, Max : Kritische Theorie. Eine Dokumentation.  Bde. Frankfurt a.M.

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_____ /Theodor W. Adorno : »Memorandum über Teile des Los Angeles Arbeitsprogramms, die von den Philosophen nicht durchgeführt werden können« (Archivzentrum der Universitätsbibliothek Frankfurt a.M., Na , ). Hühn, Lore/Jörg Jantzen (Hg.) : Heideggers Schelling-Seminar (/). Die Protokolle von Martin Heideggers Seminar zu Schellings »Freiheitsschrift« (/) und die Akten des Internationalen Schelling-Tags . Lektüren F.W.J. Schellings I. Stuttgart. Hullot-Kentor, Robert : »Adorno ohne Anführungszeichen«. In: Elisabeth Lenk/Gesa Lolling (Hg.) : Philologie und Scham und andere Texte von über und für Rolf Tiedemann. Wetzlar.  ff. Huxley, Aldous : Brave New World. London. _____ : Welt – wohin? Ein Roman der Zukunft. (Dt. von Herberth E. Herlitschka.) Leipzig. _____ : Ape and Essence. New York. Ickler, Theodor . Falsch ist richtig. Ein Leitfaden durch die Abgründe der Schlechtschreibreform. München. Institut für Sozialforschung : Soziologische Exkurse. Nach Vorträgen und Diskussionen. Frankfurt a.M. J[ungheinrich], H[ans-]K[laus] : »Körpertraum(a)«. In: Frankfurter Rundschau. Nr. . . September . . Jäger, Lorenz : »Kämpfer gegen den Konformismus«. (Interview mit Wolf Ebersberger.) In: Nürnberger Zeitung. Nr. . . September . . _____ : Adorno. Eine politische Biographie. München. Jasper, Martin : »Das dünne Eis der Aufklärung«. In: Braunschweiger Zeitung. . September . . Jaspert, Bernd : Sachgemäße Exegese. Die Protokolle aus Rudolf Bultmanns Neutestamentlichen Seminaren –. Marburg. Jay, Martin : »The Concept of Totality in Lukács and Adorno«. In: Telos. No. .  ff. Jünke, Christoph : »Mit Kofler und Lefebvre über Adorno und Lukács hinaus. Rück- und Ausblicke auf einen alten Streit«. In: Benseler/Jung (Hg.) .  ff. Jürgensen, Sven : »Das Denken als Grenzgang«. In: Neue Osnabrücker Zeitung. . September . .

352 l i t e r a t u r v e r z e i c h n i s Kaiser, Joachim : »Was blieb von Adornos Glanz?«. In: Süddeutsche Zeitung. Nr. . . September . . Kalkowski, Peter : Adornos Erfahrung. Zur Kritik der kritischen Theorie, Frankfurt a.M. u.a. Kamann, Matthias : »Theorie mit Speed und Sound«. In: Berliner Morgenpost. Nr. . . September . . Kant, Immanuel : Kritik der reinen Vernunft. In: ders.  f.: Werke in sechs Bänden. (Hg. von Wilhelm Weischedel.) Bd. II. _____ : »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?« In: ders. : Werke. (Hg. von Willhelm Weischedel.) Frankfurt a.M. Bd. XI.  ff. Kaube, Jürgen : »Wer A sagt, muß nicht ABC sagen«. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Nr. . . August . . von Kempski, Jürgen : »Literatur und Lukács«. In: Neue Deutsche Hefte. . Jg.  ff. Kirchner, Friedrich/Carl Michaëlis : »Summum ius, summa iniuria«. In: dies. : Kirchner’s Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig. . Klaue, Magnus : »Vom Geschmack zur Idiosynkrasie. Zum Wandel von Geschmacksurteil und ästhetischer Erfahrung in der Kulturindustrie«. In: Dirk Braunstein/Sebastian Dittmann/Isabelle Klasen (Hg.) : Alles falsch. Auf verlorenem Posten gegen die Kulturindustrie. Berlin.  ff. Klein, Richard /Johann Kreuzer/Stefan Müller-Doohm (Hg.) : AdornoHandbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart/Weimar. Kofler, Leo : »Adorno oder Lukacs? Zwischen Marxo-Nihilismus und marxistischer Literaturtheorie«. In: politikon. Göttinger und niedersächsische Studentenzeitschrift. H. .  ff. Köhler, Horst : »Offen will ich sein und notfalls unbequem«. Ein Gespräch mit Hugo Müller-Vogg. München. König, René : »Einleitung«. In: ders. (Hg.) : Soziologie [Das Fischer Lexikon, Bd. ]. Frankfurt a.M.  ff. _____ : Briefwechsel. Band . In: ders.  ff.: Schriften. Ausgabe letzter Hand (Hg. von Heine von Alemann et al.) Opladen. Bd. . (Hg. von Mario König und Oliver König.) Kopp, Siegbert : »Antipode der Hoffnung«. In: Südkurier. . Mai . . Koselleck, Reinhart : Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt. Frankfurt a.M.

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Krahl, Hans-Jürgen : Konstitution und Klassenkampf. Schriften und Reden –. (Hg. von Detlev Claussen et al.) Frankfurt a.M. Krais, Beate : »Perspektiven und Fragestellungen der Soziologie der Bildung und Erziehung«. ‹http://bildungssoziologie.de/steckbrief.html› (Zugriff: . November ). Kraus, Karl , »Shakespeare hat alles vorausgewußt«, in: Die Fackel. XXVII. Jg. Nr. –.  ff. Krause, Tilman : »Adorno als geistiges Verhängnis«. In: Die Welt. Nr. . . September . . Krause, W.P. : »Das historische Spektrum der philosophischen Kritik«. In: Studium Generale. . Jg. H. .  ff. Kraushaar, Wolfgang : »›Du musst mit einem ramponierten Teddie rechnen‹«. In: Die Welt. . August . . Lachenmann, Helmut : »Abenteuer des Geistes«. In: Stuttgarter Zeitung. . September . . Lau, Jörg : »Streitkultur«. In: Klaus Bittermann/Gerhard Henschel (Hg.)  : Das Wörterbuch des Gutmenschen. Zur Kritik der moralisch korrekten Schaumsprache. Berlin.  ff. Lendvai, Ferenc L. : »Die Polemik von Adorno und Lukács über Bartok«. In: Benseler/Jung (Hg.) .  ff. Levin, Thomas Y./Michael von der Linn : »Elements of a Radio Theory: Adorno and the Princeton Radio Research Project«. In: The Musical Quarterly. . Jg. H. .  ff. Liessmann, Konrad Paul : »Der Verstörer«. In: Die Presse/Spectrum. . August . I f. Lindner, Kolja : »Rien ne va plus – Wolfgang Pohrts Theorie des Gebrauchswerts«. In: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge. H. .  ff. Löwenthal, Leo : »Wenn ich an Friedel denke …«. In: ders./Siegfried Kracauer .  ff. _____ /Siegfried Kracauer : In steter Freundschaft. Leo Löwenthal – Siegfried Kracauer. Briefwechsel –. (Hg. von Peter-Erwin Jansen/Christian Schmidt.) Springe. Lubrich, Oliver : Shakespeares Selbstdestruktion. Würzburg. _____ : »Gegenläufige Affektsteuerung und paradoxaler Antisemitismus«. In: Zeno Ackermann/Sabine Schülting (Hg.) : Shylock nach dem Holo-

354 l i t e r a t u r v e r z e i c h n i s caust. Zur Geschichte einer deutschen Erinnerungsfigur. Berlin/New York.  ff. Luhmann, Niklas : Die Gesellschaft der Gesellschaft. . Bde. Frankfurt a.M. Lukács Georg : Die Seele und die Formen. Berlin. _____ : Die Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der großen Epik. Berlin. _____ : Geschichte und Klassenbewußtsein. Studien über marxistische Dialektik. Berlin. _____ : Lenin. Studie über den Zusammenhang seiner Gedanken. Wien. _____ : Die Zerstörung der Vernunft. Berlin. _____ : »Zur Konkretisierung der Besonderheit als Kategorie der Ästhetik«. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie. . Jg. H. .  ff. _____ : Wider den mißverstandenen Realismus. Hamburg. _____ : »Schärft die Waffen des Geistes!« In: Ost-Probleme. . Jg. Nr. .  ff. _____ : Schriften zur Literatursoziologie. Neuwied/Berlin. _____ : Ästhetik. Die Eigenart des Ästhetischen. In: ders.  ff.: Werke. Neuwied/Berlin. Bd.  (. Halbbd.). _____ : Ästhetik. Die Eigenart des Ästhetischen. In: ders.  ff.: Werke. Neuwied/Berlin. Bd.  (. Halbbd.). _____ : Die Theorie des Romans Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der großen Epik. Neuwied/Berlin. _____ : Gespräche mit Georg Lukács. Hans Heinz Holz, Leo Kofler, Wolfgang Abendroth. (Hg. von Theo Pinkus.) Reinbek. _____ : »Der Kampf des Fortschritts und der Reaktion in der heutigen Kultur. Vortrag in der Politischen Akademie der PUW am . Juni «. In: ders. : Schriften zur Ideologie und Politik. (Hg. von Heinz Maus/ Fried rich Fürstenberg.) Neuwied/Berlin.  ff. _____ : Der junge Hegel. Über die Beziehungen von Dialektik und Ökonomie. In: ders.  ff.: Werke. Neuwied/Berlin. _____ : Russische Literatur, russische Revolution. Puschkin, Tolstoi, Dostojewskij, Fadejew, Makarenko, Scholochow, Solschenizyn. Reinbek. _____ /Frank Benseler : »Briefwechsel zur Ontologie zwischen Georg Lukács und Frank Benseler«. In: Rüdiger Dannemann/Werner Jung (Hg.) : Objektive Möglichkeit. Beiträge zur Georg Lukács’ »Zur Ontologie des gesellschaftlichen Seins«. Opladen.  ff.

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Lütkehaus, Ludger : »Das Wunderkind«. In: Die Zeit. Nr. . . September .  f. Lutz-Bachmann, Matthias : »Materialismus und Materialismuskritik bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno«. In: ders./Gunzelin Schmid Noerr (Hg.) : Kritischer Materialismus. Zur Diskussion eines Materialismus der Praxis. Für Alfred Schmidt zum . Geburtstag. München/Wien.  ff. Maaser, Michael : »Das Archiv der Universität in Frankfurt am Main. Gedächtnis und Schatzkammer der Johann Wolfgang Goethe-Universität«. In: ders. (Hg.) : Stadt, Universität, Archiv. Göttingen.  ff. _____ : »›Dem Archiv verschrieben‹. Das Universitätsarchiv Frankfurt – Schatzkammer und Gedächtnis der Universität«. In: ders./Wolfgang Schopf (Hg.) : Bögen des Universitätsarchivs Frankfurt. H. II.  ff. Mans, Dieter : »Algorithmische Hermeneutik«. In Wolfgang Glatzer (Hg.) : Ansichten der Gesellschaft. Frankfurter Beiträge aus Soziologie und Politikwissenschaft. Opladen.  ff. Marcuse, Herbert : »Industrialisierung und Kapitalismus im Werk Max Webers«. In: Otto Stammer (Hg.) : Max Weber und die Soziologie heute. Tübingen.  ff. Marmontel, Jean-François  : »Critique«. In : Denis Diderot/Jean Le Rond d’Alembert (Hg.)  ff.: Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers. Paris. Bd. .  ff. Martens, Gunter : »Autor – Autorisation – Authentizität. Terminologische Überlegungen zu drei Grundbegriffen der Editionsphilologie«. In: Bein/ Nutt-Kofoth/Plachta (Hg.) .  ff. Matussek, Matthias : »Pistolenknall und Harfenklang«. In: Der Spiegel. H. .  ff. _____ : Wir Deutschen. Warum die anderen uns gern haben können. Frankfurt a.M. Mehring, Reinhard : »›Am .I. ist ›Hegel gestorben‹ – nein!‹ Heideggers Wintersemester /«. In: Zeitschrift für Ideengeschichte. VII. Jg. H. .  ff. Meier, Jürgen : »Adorno–Lukács. ›Adorno – Ein letztes Genie‹?« In: Benseler/Jung (Hg.) .  ff. Menke, Christoph : »Kritische Theorie und tragische Erkenntnis«. In: Zeitschrift für kritische Theorie. . Jg. H. .  ff.

356 l i t e r a t u r v e r z e i c h n i s Meuler, Christof : »Negativ nein«. In: junge Welt. Nr. . . September . . Meyrink, Gustav : »Der Fluch der Kröte – Fluch der Kröte«. In: ders. : Gesammelte Werke. Leipzig/Zürich/München. Bd. .  ff. Misik, Robert : Genial dagegen. Kritisches Denken von Marx bis Michael Moore. Berlin. Mittelmeier, Martin : Adorno in Neapel. Wie sich eine Sehnsuchtslandschaft in Philosophie verwandelt. München. Müller-Doohm, Stefan , Adorno. Eine Biographie. Frankfurt a.M. Müller-Schöll, Nikolaus : »Es darf gelacht werden«. In: Literaturen. . Jg. H. .  ff. Negt, Oskar : »Heute wäre er  geworden: Adorno als Lehrer«. In: Frankfurter Rundschau. . September . _____ : »Denken als Gegenproduktion«. In: Früchtl/Calloni (Hg.) : Geist gegen Zeitgeist. Erinnern an Adorno. Frankfurt a.M.  ff. Nietzsche, Friedrich : Unzeitgemässe Betrachtungen. Erstes Stück: David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller. In: ders. : Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe. (Hg. von Giorgio Colli/Mazzino Montinari.) Berlin/New York. Bd. .  ff. _____ : Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister. In: ders.  : Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe. (Hg. von Giorgio Colli/ Mazzino Montinari.) Berlin/New York. Bd. .  ff. Nüchtern, Klaus : »Adore? No.« In: Falter. Nr. . . September . . Nutt-Kofoth, Rüdiger : »Schreiben und Lesen. Für eine produktions- und rezeptionsorientierte Präsentation des Werktextes in der Edition«. In: ders. et al. (Hg.) : Text und Edition. Positionen und Perspektiven. Berlin.  ff. _____ : »Der ›echte‹ Text und sein Autor. Ansätze zu einem funktionalen Authentizitätsbegriff vor dem Hintergrund der Begriffsgeschichte von ›Autorisation‹ und ›Authentizität‹ in der neugermanistischen Editionsphilologie«. In: Bein/Nutt-Kofoth/Plachta (Hg.) .  ff. Oesterle, Kurt : »Der enttäuschte Marxist schwieg«. In: Schwäbisches Tageblatt. . September . . Oevermann, Ulrich : »Adorno als empirische Sozialforscher im Blickwinkel der heutigen Methodenlage«. In: Andreas Gruschka und Ulrich Oevermann

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(Hg.) : Die Lebendigkeit der kritischen Gesellschaftstheorie. Dokumentation der Arbeitstagung aus Anlass des . Geburtstages von Theodor W. Adorno, .–. Juli  an der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main. Wetzlar.  ff. Orwell, George : Nineteen Eighty-Four. London. _____ []: . (Dt. von Kurt Wagenseil.) Frankfurt a.M. Pabst, Reinhard : »Ein Sohn aus gutem Hause. Theodor W. Adornos Kindheit in Frankfurt«. In: Forschung Frankfurt. H. –.  ff. _____ : Theodor W. Adorno. Kindheit in Amorbach. Bilder und Erinnerungen. Frankfurt a.M., Leipzig. Paffrath, F. Hartmut : Die Wendung aufs Subjekt. Pädagogische Perspektiven im Werk Theodor W. Adornos. Weinheim. Pepl, Georg : »Warner vor der Barbarei«. In: Hessische/Niedersächsische Allgemeine. . September . O.S. Pfeffer, Jeffrey/Robert I. Sutton : Wie aus Wissen Taten werden. So schließen die besten Unternehmen die Umsetzungslücke. (Dt. von Dzifa Vode.) Frankfurt a.M./New York. Pfeifer, Wolfgang et al. : Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Berlin. Pfister, Manfred : »Die heiteren Komödien«. In: Ina Schubert (Hg.) : Shakespeare-Handbuch. Die Zeit – Der Mensch – Das Werk – Die Nachwelt. Stuttgart.  ff. Picker, Henry : Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier. Stuttgart. Pollock, Friedrich (Hg.) : Gruppenexperiment. Ein Studienbericht. Frankfurt a.M. Popper, Karl R. : »Die Logik der Sozialwissenschaften«. In: Theodor W. Adorno et al. : Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie. Darmstadt/Neuwied.  ff. Poschardt, Ulf : »Das Fest der Verschwendung«. In: die tageszeitung. . September .  f. Radbruch, Gustav : »Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht«. In: Süddeutsche Juristen-Zeitung. H. .  ff. Rath, Norbert : Adornos Kritische Theorie. Vermittlungen und Vermittlungsschwierigkeiten. Paderborn u.a. van Reijen, Willem/Herman van Doorn : Aufenthalte und Passagen. Leben und Werk Walter Benjamins. Eine Chronik. Frankfurt a.M.

358 l i t e r a t u r v e r z e i c h n i s Reitz, Tilman : »Friedhof der Kuscheltiere. Die Neutralisierung Adornos in Feuilleton und Fachwissenschaft«. In: Das Argument. Nr. .  ff. Riha, Karl : Kritik, Satire, Parodie. Gesammelte Aufsätze zu den Dunkelmännerbriefen, zu Lesage, Lichtenberg, Klassiker-Parodie, Daumier, Herwegh, Kürnberger, Holz, Kraus, Heinrich Mann, Tucholsky, Hausmann, Brecht, Valentin, Schwitters, Hitler-Parodie und Henscheid. Opladen. Rockmore, Tom : »Lukács and Adorno on Heidegger«. In: Benseler/Jung (Hg.) .  ff. Roth, Jürgen : »Bobby, go! Teddy, go home!«. In: ders. : Kultur? Betrieb! Essays und Polemiken zu Literatur und Geistesleben. Münster.  ff. _____ : »Aus dem Bauch«. In: ders. : Wirkungen der Wurst. Kulinarik, Kneipe, Kwatsch. Göttingen. . _____ : Die große Wehmut der Instrumente. Mainz. _____ : »Was würde Beckenbauer zu Adorno sagen?« In: ders. : Anschwellendes Geschwätz. Kleine Chronik des kommunikativen Krawalls. Münster.  ff. Roth, Petra : »Übergabe des Adornoplatzes am . September , : Uhr«. In: Stadt Frankfurt a.M. Amt für Wissenschaft und Kunst (Hg.) .  f. Röttgers, Kurt : Kritik und Praxis. Zur Geschichte des Kritikbegriffs von Kant bis Marx. Berlin, New York. _____ : »Kritik«. In: Hans Jörg Sandkühler (Hg.) : Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften. Hamburg. Bd. .  ff. Ruthner, Clemens : »Immer schon « [Leserbrief ]. In: Der Standard. . September . . Rutschky, Michael : »Der Alte Meister …«. In: die tageszeitung. ./. Juli . . Saltzwedel, Johannes : »Narziss und Nilpferdkönig«. In: Der Spiegel. H. .  ff. Schaub, Horst/Karl G. Zenke : Wörterbuch Pädagogik. München. Scheible, Hartmut : Theodor W. Adorno. Reinbek. Scheit, Gerhard : Verborgener Staat, lebendiges Geld. Zur Dramaturgie des Antisemitismus. Freiburg i.Br. Schelsky, Helmut : Ortsbestimmung der deutschen Soziologie. Düsseldorf/ Köln.

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Schiller, Hans-Ernst : »Tod und Utopie: Ernst Bloch, Georg Lukács«. In: Klein/Kreuzer/Müller-Doohm (Hg.) .  ff. Schirrmacher, Frank : »Adorno im Ohr«. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. . September . . Schl[üter, Christian] : »Erfahrung«. In: Frankfurter Rundschau. Nr. . . September . . Schmidt, Alfred : »Begriff des Materialismus bei Adorno«. In: Ludwig von Friedeburg/Jürgen Habermas (Hg.) : Adorno-Konferenz . Frankfurt a.M.  ff. _____ : »Materialismus als nachmetaphysisches und metaphysisches Denken«. In: Früchtl/Calloni (Hg.) : Geist gegen Zeitgeist. Erinnern an Adorno. Frankfurt a.M.  ff. _____ : »›Wir wollen hier nicht so drauflos philosophieren‹. Theodor W. Adorno«. In Hans Sarkowicz (Hg.) : Die großen Frankfurter. Frankfurt a.M./Leipzig.  ff. _____ : »Adornos Spätwerk: Übergang zum Materialismus als Rettung des Nichtidentischen«. In: Iring Fetcher/Alfred Schmidt (Hg.) : Emanzipation als Versöhnung. Zu Adornos Kritik der »Warentausch«-Gesellschaft und Perspektiven der Transformation. Frankfurt a.M.  ff. Schmidt, Harald : Tränen im Aquarium. Ein Kurzausflug ans Ende des Verstandes. Köln. Schnädelbach, Herbert : »Philosophieren lernen«. In: Früchtl/Calloni (Hg.) : Geist gegen Zeitgeist. Erinnern an Adorno. Frankfurt a.M.  ff. Schneider, Wolfgang : »Der explodierende Muff«. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. . September . . Schoch, Bruno : »Viel mehr als eine Biographie«. In: Listen. Die Zeitschrift für Bücher. H. .  f. Scholem, Gershom : Tagebücher nebst Aufsätzen und Entwürfen bis . . Halbband –. (Hg. von Karlfried Gründer/Herbert Kopp-Oberstebrink/Friedrich Niewöhner.) Frankfurt a.M. Schopf, Wolfgang (Hg.) : »So müßte ich ein Engel und kein Autor sein«. Adorno und seine Frankfurter Verleger. Der Briefwechsel mit Peter Suhrkamp und Siegfried Unseld. Frankfurt a.M. Schuberth, Richard : »Wer liebt Elfriede Jelinek?« In: Konkret. H. .  f. Schulz, Frank : Morbus fonticuli oder Die Sehnsucht des Laien. Zürich. Schweier, Thomas L. : »Eichendorffs Fehde – Adornos Sehnsucht«. In: Diethard Behrens (Hg.) : Materialistische Theorie und Praxis. Zum Ver-

360 l i t e r a t u r v e r z e i c h n i s hältnis von Kritischer Theorie und Kritik der Politischen Ökonomie. Freiburg i.Br.  ff. Schweppenhäuser, Gerhard : Theodor W. Adorno zur Einführung. Hamburg. Schweppenhäuser, Hermann : »Unbeirrtes Denken«. In: Früchtl/Calloni (Hg.) : Geist gegen Zeitgeist. Erinnern an Adorno. Frankfurt a.M.  ff. Schwering, Markus : »Das triumphale Unheil«. In: Kölner Stadt-Anzeiger. . September . O.S. Seidel, Alfred : Bewußtsein als Verhängnis. (Hg. von Hans Prinzhorn.) . Seipel, Christian/Susanne Rippel/Angela Kindervater : »Probleme der empirischen Autoritarismusforschung«. In: dies. (Hg.) : Autoritarismus. Kontroversen und Ansätze der aktuellen Autoritarismusforschung. Opladen.  ff. Sell, Annette : »Das Problem der Authentizität von Nachschriften zu Hegels Vorlesungen über Logik und Metaphysik«. In: Bein/Nutt-Kofoth/ Plachta (Hg.) .  ff. Sesink, Werner : Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten inklusive ELearning, Web-Recherche, digitale Präsentation u.a. München. Sez[gin, Hilal] : »Vertrauen«. In: Frankfurter Rundschau. Nr. . . September . . Shakespeare, William : The Merchant of Venice. The Arden Shakespeare. (Hg. von John Russell Brown.) London/New York. _____ : Der Kaufmann von Venedig. Zweisprachige Ausgabe. (Dt. von Frank Günther.) München. Simmel, Georg : Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Leipzig. _____ : Kolleghefte, Mit- und Nachschriften. In: ders.  ff.: Gesamtausgabe. Bd. . (Hg. von Angela Rammstedt und Cécile Rol). Berlin. Söllner, Alfons : »Adorno und die politische Kultur der frühen Bundesrepublik«. In: Mittelweg . H. .  ff. Stadelmaier, Gerhard : »Haltungsnote Eins«. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. . Dezember . . Stadt Frankfurt a.M. Amt für Wissenschaft und Kunst (Hg.) : Ein Kunstwerk für den Adornoplatz. Frankfurt a.M. Stark, Carsten , »Gesellschaftstheorie und Erkenntnisinteresse: Anregungen zum systematischen Theorievergleich«. In: ders./Christian Lahusen (Hg.)

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, Theorien der Gesellschaft. Einführung in zentrale Paradigmen der soziologischen Gegenwartsanalyse. München/Wien.  ff. Steiger, Ines : »›Busenattentat‹ auf Genie«. In: Allgemeine Zeitung Mainz. . September . O.S. Stevenson, Robert Louis : »Ein unverwechselbares Ich«. (Übersetzt von Heiko Arntz.) In: Heiko Arntz/Gerd Haffmans (Hg.) : Der Samuel Pepys Companion. Beiheft zur ersten vollständigen deutschen Ausgabe der Tagebücher in  Bänden. Frankfurt a.M.  ff. Stiftel, Ralf : »Blicke aufs beschädigte Leben«. In: Der Patriot/Lippstädter Zeitung. . September . . Stollberg, Jochen : »Das Archivzentrum der Universitätsbibliothek Frankfurt«. In: Michael Maaser (Hg.) : Stadt, Universität, Archiv. Göttingen.  ff. Suchsland, Rüdiger : »Nicht zu fassen«. In: Schwäbische Zeitung. Nr. . . September . O.S. Tertulian, Nicolas : »Lukács – Adorno: Polemiken und Missverständnisse«. In: Benseler/Jung (Hg.) .  ff. Theobald, Willy : »Richtiges Leben im falschen Adorno«. In: Financial Times Deutschland. . September . . Theodor W. Adorno Archiv (Hg.) : Adorno. Eine Bildmonographie. Frankfurt a.M. Therborn, Göran : »Dialektik der Moderne. Kritische Theorie und Vermächtnis des Marxismus des . Jahrhunderts«. (Dt. von Thies Gleiss/Christoph Jünke.) In: Sozialistische Hefte. H. .  ff. Thomas Bein/Rüdiger Nutt-Kofoth/Bodo Plachta (Hg.) : Autor – Autorisation – Authentizität. Beiträge der Internationalen Fachtagung der Arbeitsgemeinschaft für germanistische Edition in Verbindung mit der Arbeitsgemeinschaft philosophischer Editionen und der Fachgruppe Freie Forschungsinstitute in der Gesellschaft für Musikforschung, Aachen, . bis . Februar . Tübingen. Tiedemann, Rolf : »Editorische Nachbemerkung«. In: AGS, Bd. .  ff. _____ : »Begriff, Bild, Name. Über Adornos Utopie der Erkenntnis«. In: Frankfurter Adorno Blätter. H. II.  ff. _____ : »›Gegen den Trug der Frage nach dem Sinn‹. Eine Dokumentation zu Adornos Beckett-Lektüre«. In: Frankfurter Adorno Blätter. Bd. III.  ff.

362 l i t e r a t u r v e r z e i c h n i s _____ : »›Gegenwärtige Vorwelt‹. Zu Adornos Begriff des Mythischen (I)«. In: Frankfurter Adorno Blätter. H. V.  ff. _____ : »Anmerkungen des Herausgebers«. In: ANS, Bd. IV..  ff. _____ : »Anmerkungen des Herausgebers«. In: ANS, Bd. IV..  ff. _____ : »Die Nachlässe Adornos und Benjamins im Theodor W. Adorno Archiv. Eine bibliographische Bilanz«. In: Frankfurter Adorno Blätter. Bd. VIII.  ff. _____ : »Nachbemerkung des Herausgebers«. In: ANS, Bd. IV..  ff. _____ : Niemandsland. Studien mit und über Theodor W. Adorno. München. _____ : »Lehrjahre mit Adorno«. In: ders. : Adorno und Benjamin noch einmal. Erinnerungen, Begleitworte, Polemiken. München.  ff. _____ (Hg.) : »Adornos Seminar vom Sommersemester  über Benjamins Ursprung des deutschen Trauerspiels. Protokolle«. In: Frankfurter Adorno Blätter. Bd. IV.  ff. Tietz, Udo/Volker Caysa : »Falsche Verdinglichungsphilosophie und verkehrte Leiberinnerung. Zum Verhältnis von Verdinglichungstheorie in Geschichte und Klassenbewußtsein und Leibphilosophie in der Dialektik der Aufklärung«. In: Benseler/Jung (Hg.) .  ff. Trabant, Jürgen : »›Bewußtseyn von Nöthen‹. Philologische Notiz zum Fortleben der Kunst in Adornos ästhetischer Theorie«. In: Text+Kritik. Zeitschrift für Literatur. (Sonderheft »Theodor W. Adorno«.)  ff. Vedda, Miguel : »Tragisches Erlebnis oder Epische Fülle? Ein Kapitel der Lukács-Adorno-Debatte«. In: Benseler/Jung (Hg.) .  ff. Vogel, Berthold : »Ein Mann wird zur Marke«. In: Alfelder Zeitung. . September . O.S. Wahl, Klaus : Kritik der soziologischen Vernunft. Sondierungen zu einer Tiefensoziologie. Weilerswist. Walser, Robert : »Basta«. In: Klaus Zobel (Hg.) : Moderne Kurzprosa. Eine Textsammlung für den Deutschunterricht. Paderborn u.a.  ff. Walter, Verena : »Wochenende in Armorbach«. In: Aufbau. No. . . September . . Walzer, Michael : »Mut, Mitleid und ein gutes Auge. Tugenden der Sozialkritik und der Nutzen von Gesellschaftstheorie«. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie. . Jg. H. .  ff.

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Weber, Max : Wirtschaft und Gesellschaft. (Besorgt von Johannes Winckelmann.) Tübingen. Weisberg, Richard : »›So seid denn Ihr sein Bürge‹: Schwur und Scheitern von Vermittlung – Ein Nachtrag zu Poesie und Ethik in Der Kaufmann von Venedig«. In: ders. : Über Gerechtigkeit in der Literatur. Berlin.  ff. Weisgram, Wolfgang : »Parva viennensia«. In: Der Standard. . September . . Wiegenstein, Roland H. : »Nach über fünfzig Jahren. Fragmentarisches von der Festplatte eines nicht besonders erinnerungstüchtigen Kopfes«. In: Wolfram Schütte (Hg.) : Adorno in Frankfurt. Ein Kaleidoskop mit Texten und Bildern. Frankfurt a.M.  ff. Wiggershaus, Rolf : Die Frankfurter Schule. Geschichte – Theoretische Entwicklung – Politische Bedeutung. München/Wien. _____ : Max Horkheimer zur Einführung., Hamburg. Willemsen, Roger : Kopf oder Adler. Ermittlungen gegen Deutschland. München. Willms, Bernard : »Theorie, Kritik und Dialektik«. In: Kurt Oppens et al. : Über Theodor W. Adorno. Frankfurt a.M.  ff. Wischmeyer, Wolfgang (Hg.) : Aus der Werkstatt Harnacks. Transkription Harnackscher Sitzungsprotokolle Hans von Sodens (Sommersemester  – Wintersemester /). Berlin/New York. Wittich, Dieter : »Erfahrung«. In: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. (Hg. von Wolfgang Fritz Haug.) Berlin/Hamburg. Bd. . Sp.  ff. Wohlfarth, Irving : »Unterwegs zu Adorno, unterwegs zu sich«. In: Stefan Müller-Doohm (Hg.) : Adorno-Portraits. Erinnerungen von Zeitgenossen. Frankfurt a.M.  ff. Wolf, Fritz : »Am . September jährt sich zum hundertsten Mal der Geburtstag des Soziologen und Kulturphilosophen Theodor W. Adorno. Es tobt das richtige Leben im falschen«. In: VDI nachrichten. Nr. . . September . . Wurzer, Wilhelm S. : »Adorno’s Disruption of Lukács’ Aesthetic Ontology«. In: Benseler/Jung (Hg.) .  ff. Zakharov, Vadim : »Rede anläßlich der Übergabe des Adornoplatzes, . September «. In: Stadt Frankfurt a.M. Amt für Wissenschaft und Kunst (Hg.) . .

364 l i t e r a t u r v e r z e i c h n i s Zehm, Günter : »›Im Grunde ist es widerlich‹«. In: Junge Freiheit. Nr. . . April . . Zschunke, Peter/Sandra Trauner : »Der Einspruch gegen die Realität findet nicht mehr statt«. In: Donaukurier/Der Sonntag. ./. September . O.S.

Drucknachweise

Eine Publikationsliste zählt zu den wichtigsten Instrumenten, um Ihre Kompetenz zu belegen. Beachten Sie dabei die Regeln dieser Checkliste. G W, D   C  B, T  C

2 »Kritik üben«. In: Fabian Kettner/Paul Mentz (Hg.) : Theorie als Kritik. Freiburg i.Br.: ça ira.  ff. 3 »Adorno nicht. Kritik als Praxis in Zeiten deren Unmöglichkeit«. In: Devi Dumbadze u.a. (Hg.) : Erkenntnis und Kritik. Zeitgenössische Positionen. Bielefeld: transcript .  ff. 4 »›Gleich ist zugleich nicht gleich‹. Adornos rettende Kritik des Tausches«. In: Helmut Lethen/Birte Löschenkohl/Falko Schmieder (Hg.) : Der sich selbst entfremdete und wiedergefundene Marx, München: Fink.  ff. 5 »Recht hat Shylock. Der Jude fast als Bürger in Shakespeares The Merchant of Venice«. In: sans phrase. Zeitschrift für Ideologiekritik. H. .  ff. 6 (Mit Stefan Müller-Doohm) »Zeitdiagnose«. In: Richard Klein/Johann Kreuzer/Stefan Müller Doohm (Hg.) : Adorno-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart: J. B. Metzler.  ff. Der  publizierte Artikel war, damaligen Umständen geschuldet, gemeinsam mit Stefan Müller-Doohm gezeichnet; das hier abgedruckte Kapitel stellt die ursprüngliche, vom Verfasser verantwortete Fassung wieder her. 7 »Zum Materialismus der Kritischen Theorie. Bemerkungen über ›ein paar Thesen‹ Adornos«. In: Marc Jacobsen/Dirk Lehmann/Florian Röhrbein

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DRUC KNACHWEISE

(Hg.) : Kritische Theorie und Emanzipation, Würzburg: Königshausen & Neumann.  ff. 8 »Die Erfahrung der Gesellschaft. Grundsätzliches zur philosophischen Erkenntnis«. In: Devi Dumbadze/Christoph Hesse (Hg.) : Unreglementierte Erfahrung. Freiburg i. Br.: ça ira.  ff. 9 (Mit Simon Duckheim) »Adornos Lukács – Ein Lektürebericht«. In: Rüdiger Dannemann (Hg.) : Lukács /. Jahrbuch der Internationalen Georg-Lukács-Gesellschaft. Bielefeld: Aisthesis. S.  ff. 10 »Das Denken der Kritischen Theorie. Die Sitzungsprotokolle aus den Seminaren Theodor W. Adornos –«. In: Martin Endreß/Klaus Lichtblau/Stephan Moebius (Hg.) : Zyklos . Jahrbuch für Theorie und Geschichte der Soziologie. Wiesbaden: Springer VS.  ff. 11 »Theodor W. Adornos Einleitung in das soziologische Hauptseminar ›Probleme der Bildungssoziologie‹«. In: WestEnd. Neue Zeitschrift für Sozialforschung. . Jg. H. .  ff. 12 »Theodor W. Adornos Einleitung in das soziologische Hauptseminar ›Probleme der qualitativen Analyse‹«. In: WestEnd. Neue Zeitschrift für Sozialforschung. . Jg. H. .  ff. 13 »Drei Sitzungsprotokolle aus den Frankfurter Seminaren Theodor W. Adornos«. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie. . Jg. H. .  ff. Die Anmerkungen zum hier veröffentlichten Kapitel sind mehr oder weniger dem Stand des Editionsprojekts angepaßt, auf das die Publikation der drei Protokolle aufmerksam machen sollte. 14 »Lehrveranstaltungs-Protokolle als Daten der Soziologiegeschichte«. In: Stephan Moebius/Andrea Ploder (Hg.) : Handbuch Geschichte der deutschsprachigen Soziologie. Band : Forschungsdesign, Theorien und Methoden. Wiesbaden: Springer VS.  ff. Der damalige Titel entsprach den Vorgaben, die ein Handbuch wohl oder übel aus Gründen der Einheitlichkeit machen muß; hier wurde ein anderer, dem Inhalt gegenüber womöglich adäquaterer gewählt.

drucknachweise

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15 »Kulturindustrie is coming heim. Eine Vergangenheitsbewältigung«, in: Dirk Braunstein/Sebastian Dittmann/Isabelle Klasen (Hg.) : Alles falsch. Auf verlorenem Posten gegen die Kulturindustrie. Berlin: Verbrecher.  ff. 16 »Poröses Denken«. In: Konkret. H. .  f. 17 »Die Natur der Soziologie«. In: Antiidiotikum. Manifest wider den alltäglichen Irrsinn. Almanach .  f. 18 »Der wehrhafte Jude als Dorn im Auge«. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. . August . Nr. . . Der Titel war von der Redaktion gewählt worden; der Autor wählt einen anderen.

Danksagung

Aber das alltägliche Frankfurt, in dem der Autor seine Arbeitskraft wiederherstellt, soll beim Dank nicht vergessen werden. […] Auch das Kulinarische muss in einem Adornobuch erwähnt werden. Zwar hat Frankfurt keinen ventre de Paris, aber einen Magen – in der Kleinmarkthalle situiert, die sich bei mir um die feste Achse Spargel Müller, Gewürz Franck und Käse Thomas dreht. D C, T W. A. E  G

Mein herzlicher Dank gilt zum einen Simon Duckheim, der mir ohne zu zögern großzügig erlaubt hat, einen Text, den wir beide geschrieben haben, in einem Buch zu verwenden, das mich als Autor nennt. Zum anderen bedanke ich mich sehr bei Jürgen Roth für den Titel sowie die generöse Überlassung desselben. Für die ein oder andere Korrektur und Verbesserung bedanke ich mich bei Christoph Hesse. Wie stets fast. Schließlich bedanke ich mich bei transcript, zumal bei Gero Wierichs und Michael Volkmer. Ohne das zuvorkommende Interesse des Verlags an der Sammlung meiner paar Texte zu Adorno wäre das Buch nicht zustande gekommen.

Philosophie Andreas Weber

Sein und Teilen Eine Praxis schöpferischer Existenz August 2017, 140 S., kart. 14,99 € (DE), 978-3-8376-3527-0 E-Book PDF: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3527-4 EPUB: 12,99€ (DE), ISBN 978-3-7328-3527-0

Björn Vedder

Neue Freunde Über Freundschaft in Zeiten von Facebook März 2017, 200 S., kart. 22,99 € (DE), 978-3-8376-3868-4 E-Book PDF: 20,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3868-8 EPUB: 20,99€ (DE), ISBN 978-3-7328-3868-4

Jürgen Manemann

Der Dschihad und der Nihilismus des Westens Warum ziehen junge Europäer in den Krieg? 2015, 136 S., kart. 14,99 € (DE), 978-3-8376-3324-5 E-Book PDF: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3324-9 EPUB: 12,99€ (DE), ISBN 978-3-7328-3324-5

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Philosophie Hans-Willi Weis

Der Intellektuelle als Yogi Für eine neue Kunst der Aufmerksamkeit im digitalen Zeitalter 2015, 304 S., kart. 22,99 € (DE), 978-3-8376-3175-3 E-Book PDF: 20,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3175-7 EPUB: 20,99€ (DE), ISBN 978-3-7328-3175-3

Franck Fischbach

Manifest für eine Sozialphilosophie (aus dem Französischen übersetzt von Lilian Peter, mit einem Nachwort von Thomas Bedorf und Kurt Röttgers) 2016, 160 S., kart. 24,99 € (DE), 978-3-8376-3244-6 E-Book: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3244-0

Claus Dierksmeier

Qualitative Freiheit Selbstbestimmung in weltbürgerlicher Verantwortung 2016, 456 S., kart. 19,99 € (DE), 978-3-8376-3477-8 E-Book PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3477-2 EPUB: 17,99€ (DE), ISBN 978-3-7328-3477-8

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