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German Pages 246 Year 1997
ROBERT KELLER
Vorvertragliche Schuldverhältnisse im Verwaltungsrecht
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 721
Vorvertragliche Schuldverhältnisse im Verwaltungsrecht Zugleich ein Beitrag zur Rechtsverhältnislehre
Von
Robert Keller
Duncker & Humblot * Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Keller, Robert: Vorvertragliche Schuldverhältnisse im Verwaltungsrecht : zugleich ein Beitrag zur Rechtsverhältnislehre / von Robert Keller. Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 721) Zugl.: Dresden, Techn. Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-08925-1 brosch.
Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-08925-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©
Vorwort Jahrzehntelang bestimmten grundsätzliche Vorbehalte und eine daraus resultierende Reserviertheit das Verhältnis der Rechtswissenschaft zu Verträgen im Verwaltungsrecht. Indessen stellt der „Verwaltungsvertrag" heute ganz allgemein ein praktisch bedeutsames Mittel der eigenverantwortlichen Rechtsgestaltung durch die Verhandlungs- und Vertragspartner auf staatlicher und privater Seite dar; und optimistische Stimmen prognostizieren ihm „schönste Aussichten für seine weitere Entwicklung" (Walter Krebs). Allen vertragsfreundlichen Tendenzen zum Trotz ist jedoch nach wie vor ein Rückstand der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Verwaltungsvertragsrechts nicht zu verkennen. Hier stellt sich namentlich die Aufgabe, vertragliche Rechtsverhältnisse als Ereignisse „in der Zeit" zu begreifen und die einzelnen Abschnitte einer solchen prozedural sich vollziehenden Rechtskonkretisierung in den Blick zu nehmen. Die vorliegende Untersuchung möchte hierzu einen Beitrag leisten. Die Arbeit wurde im Wintersemester 1995/96 abgeschlossen und im Sommersemester 1996 von der Juristischen Fakultät der Technischen Universität Dresden als Dissertation angenommen. Sie wurde betreut von Herrn Prof. Dr. Hartmut Bauer, dem mein besonderer Dank dafür gilt, daß er - ungeachtet aller sonstigen Belastungen, insbesondere durch seine Mitwirkung am Aufbau der Dresdner Fakultät - das Vorhaben von den ersten Anfängen an in jeder Hinsicht gefordert und den Verfasser stets durch Gesprächsbereitschaft, Ermunterung und wohlwollende Kritik unterstützt hat. Gedankt sei ferner Herrn Prof. Dr. Martin Schulte sowie Herrn Prof. Dr. Rolf Gröschner für die Übernahme der Zweit- und Drittbegutachtung und schließlich, aber nicht zuletzt meinen Eltern und meiner Frau für Unterstützung in mannigfacher Form. Stuttgart, im August 1996
Robert Keller
Inhaltsübersicht
Erstes Kapitel
Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Problem des Verwaltungsrechts
17
§ 1 Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Forschungsgegenstand
17
§2
Der Selbststand des Verwaltungsvertragsrechts
32
§3
Der Vertrag zwischen privatem und öffentlichem Recht
37
§4
Der Vertrag zwischen materiellem und Verfahrensrecht
46
§5
Gang der Untersuchung
48
Zweites Kapitel
Die Rechtsgrundlagen vorvertraglicher Schuldverhältnisse
51
§6
Vorbemerkungen
51
§7
Rechts- und Gesetzesanalogie
55
§8
Gewohnheitsrecht
63
§9
Das Verfahrensrechtsverhältnis
67
§10 Das Rechtsstaatsprinzip
70
§ 11 Vertrauensschutz
80
§ 12 Sonstige Rechtsgrundlagen
91
§ 13 Das Prinzip von Treu und Glauben
96
Drittes Kapitel
Die Entstehungstatbestände vorvertraglicher Schuldverhältnisse
105
§ 14 Entstehungstatbestände und Verwaltungsverfahrensrecht
105
§ 15 Die Übernahme privatrechtlicher Modelle
111
§ 16 Der „vertragsspezifische Kontakt"
124
Inhaltsübersicht
8
Viertes Kapitel
Der Inhalt vorvertraglicher Schuldverhältnisse
130
§ 17 Die Struktur des vorvertraglichen Pflichtengefilges
130
§ 18 Vertragsabschlußbezogene Pflichten
142
§ 19 Vertragsinhaltsbezogene Pflichten
161
§ 20 Verschulden als Haftungsvoraussetzung
169
Fünftes Kapitel
Die Rechtsfolgen vorvertraglicher Schuldverhältnisse § 21 Entwicklungstendenzen
176 176
§ 22 Die vorvertraglichen Pflichtverletzungen und ihr Ausgleich
182
Sechstes Kapitel
Zusammenfassung in Thesen
206
Literatur- und Quellenverzeichnis
219
Sachregister
243
Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel
Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Problem des Verwaltungsrechts
17
§ 1 Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Forschungsgegenstand 17 I. Die Vernachlässigung vorvertraglicher Schuldverhältnisse in der verwaltungsrechtlichen Dogmatik 17 1. Der gegenwärtige Befund 17 2. Das Verhältnis des öffentlichen Rechts zum Vertragsrecht 21 a) Verträge als Handlungsform des Privatrechts 21 b) Neuorientierung durch die Rechtsverhältnislehre 21 3. Vertragsfreundliche Tendenzen der neueren Verwaltungsrechtsdogmatik 24 a) Entwicklung und Stand des Verwaltungsvertragsrechts 24 b) Das verwaltungsrechtliche Schuldverhältnis 27 II. Thematische Eingrenzungen 31 §2
Der Selbststand des Verwaltungsvertragsrechts 32 I. Prozedurales Denken im Vertragsrecht 33 II. Verminderung der Abstraktionshöhe 35 III. Verwaltungsrecht und Verwaltungsverfahren als Modus der Rechtskonkretisierung 36
§3
Der Vertrag zwischen privatem und öffentlichem Recht I. Gemeinsamkeiten und Überschneidungen II. Notwendige Grenzziehungen 1. Normative und strukturelle Unterschiede 2. Öffentliches und privates Interesse III. Folgerungen 1. Grundsätzliche Aussagen 2. Die Übertragung privatrechtlicher Modelle ins öffentliche Recht 3. Parallele Institute des öffentlichen Rechts
37 37 41 41 41 43 43 43 45
§4
Der Vertrag zwischen materiellem und Verfahrensrecht I. Allgemeine Zusammenhänge II. Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Problem des Verfahrensrechts?
46 46 47
§5
Gang der Untersuchung
48
Inhaltsverzeichnis
10
Zweites Kapitel
Die Rechtsgrundlagen vorvertraglicher Schuldverhältnisse
51
§6
Vorbemerkungen 51 I. Rechtsgrundlagen und Entstehungstatbestände 51 II. „Vertragliche" und „gesetzliche" Schuldverhältnisse 53 III. Die Suche nach der Rechtsgrundlage als spezifisch verwaltungsrechtliche Fragestellung 54
§7
Rechts- und Gesetzesanalogie 55 I. Analoge Anwendung von Normen des BGB 55 1. Der Begriff und die Voraussetzungen der Analogie 55 2. Die zwei Wege der Analogie 56 II. Die normative Verankerung vorvertraglicher Schuldverhältnisse im Wege der Analogie 57 1. Gesetzesanalogie 57 2. Rechtsanalogie 61 III. Analogie als Modus verwaltungsrechtlicher Rechtsetzung 63
§8
Gewohnheitsrecht I. Gewohnheitsrechtliche Verfestigung vorvertraglicher Pflichten? 1. Die fortbestehende Ungewißheit über den Rechtsgrund 2. Formale Hindernisse II. Verwaltungsrechtliches Gewohnheitsrecht
63 63 64 65 66
§9
Das Verfahrensrechtsverhältnis I. Das Verfahrensrechtsverhältnis als Rechtsgrundlage? II. Das Verhältnis von Verfahrensrecht und vorvertraglichen Pflichten 1. Der Entstehungstatbestand des Verwaltungsverfahrens 2. Die materielle Struktur des Verfahrensrechtsverhältnisses
67 67 68 68 69
§10 Das Rechtsstaatsprinzip 70 I. Die beschränkte inhaltliche Aussagekraft des Rechtsstaatsprinzips 70 II. Das Verhältnis des Rechtsstaatsprinzips zu den vorvertraglichen Pflichten 72 1. Die Konkretisierung des Prinzips 72 2. Die Ungeeignetheit des Prinzips als Rechtsgrundlage 74 3. Geltung des Prinzips als Rechtsgrundlage für staatliche Verhandlungsbeteiligte? 75 III. „Neminem laedere" 75 1. Der Ausgangspunkt 76 2. Das Kriterium der „Sonderverbindung" 78 3. „Neminem laedere" im Verwaltungsrecht 79 4. Folgerungen 80 § 11 Vertrauensschutz
80
Inhaltsverzeichnis I. II.
III.
„Vertrauen" und Recht 80 Vertrauensschutz und vorvertragliche Schuldverhältnisse im Privatrecht ..81 1. Das Vertrauensschutzprinzip als Grundprinzip des Privatrechts 82 2. Die inhaltliche Aussage des privatrechtlichen Vertrauensprinzips 84 a) Faktisches Vertrauen 84 b) Vertrauen als normativer Begriff 86 Vertrauensschutz im Verwaltungsrecht 88 1. Der kodifizierte Vertrauensschutz 88 2. Die inhaltlichen Aussagen des verwaltungsrechtlichen Vertrauensschutzes 88 a) Die einseitige Bindungswirkung 88 b) Die fehlende inhaltliche Tragfähigkeit des Vertrauensschutzprinzips 90 3. Fazit 91
§ 12 Sonstige Rechtsgrundlagen I. Sozialer Kontakt als Verpflichtungsgrund II. „Kombinatorische" Begründungen
91 91 94
§ 13 Das Prinzip von Treu und Glauben 96 I. Treu und Glauben als normative Grundlage von Rechtsverhältnissen 96 1. Die Funktionen des Grundsatzes von Treu und Glauben 96 a) Die Entwicklung des Grundsatzes 97 b) Die umfassende Geltung des Grundsatzes 97 c) Das Verhältnis zum Privatrecht 99 2. Bedenken gegen Treu und Glauben als Prinzip des öffentlichen Rechts 99 II. Treu und Glauben in vorvertraglichen Schuldverhältnissen 101 1. Die Haltung der Privatrechtswissenschaft 101 2. Treu und Glauben als Rechtsgrundlage vorvertraglicher Pflichten im Verwaltungsrecht 102 3. Folgerungen 103 Drittes Kapitel
Die Entstehungstatbestände vorvertraglicher Schuldverhältnisse
105
§ 14 Entstehungstatbestände und Verwaltungsverfahrensrecht 105 I. Die Funktion des Entstehungstatbestandes in der Systematik vorvertraglicher Schuldverhältnisse 105 II. Das Verfahrensrechtsverhältnis als Modell? 107 1. Der „Beginn des Verwaltungsverfahrens" als ungelöstes Problem des Verwaltungsrechts 107 2. Die zeitlichen Grenzen des Verwaltungsverfahrens 108
12
Inhaltsverzeichnis 3. Zur Geltung kodifizierten Verfahrensrechts im vorvertraglichen Schuldverhältnis 109 4. Folgerungen ftlr das vorvertragliche Schuldverhältnis 110
§ 15 Die Übernahme privatrechtlicher Modelle 111 I. Besondere Anforderungen des Privatrechts an den Entstehungstatbestand 111 1. Die Ausgangssituation: Das Bedürfnis nach einer früh einsetzenden Haftung 111 2. Die Ausgangsposition der Verwaltungsvertragsdogmatik 112 II. Die Notwendigkeit eines qualifizierten Kontaktverhältnisses 113 III. Der „geschäftliche" oder „rechtsgeschäftliche" Kontakt als Entstehungstatbestand 116 1. Der privatrechtliche Kontext 116 2. Die Ausrichtung auf verwaltungsrechtliche Rechtsfolgen 118 IV. Die „Aufnahme von Vertragsverhandlungen" als Entstehungstatbestand. 119 V. Die Bedeutung des Vertrauens für die Entstehung vorvertraglicher Schuldverhältnisse 120 VI. Ergebnis: Die fehlende Überzeugungskraft privatrechtlicher Modelle 122 § 16 Der „vertragsspezifische Kontakt" 124 I. „Kontakt" als dogmatische und tatsächliche Grundlage 124 II. Der vertragsspezifische Charakter eines Kontakts als das entscheidende Abgrenzungskriterium 125 1. Zulässigkeit der Vertragsform und vertragsspezifischer Kontakt 125 2. Die Funktion des Abgrenzungskriteriums 126 3. Die nach außen erkennbare Ausrichtung auf vertragliches Handeln ..127 Viertes Kapitel
Der Inhalt vorvertraglicher Schuldverhältnisse
130
§ 17 Die Struktur des vorvertraglichen PflichtengefÜges 130 I. Die Notwendigkeit einer Aufteilung nach Fallgruppen 130 II. Der Vertragsbezug vorvertraglicher Pflichten 132 1. Privatrechtliche Vorgaben 132 2. Vorvertragliche Pflichten als Bindungen in Abhängigkeit von einem Rechtsverhältnis 135 a) Das Amtshaftungsrecht als Modell 135 b) Die Anwendung auf vorvertragliche Schuldverhältnisse 136 3. Folgerungen: Vertragsabschluß und Vertragsinhalt als Bezugspunkte vorvertraglicher Pflichten 138 4. Zum Kontrahierungszwang 141 5. Fazit 142
Inhaltsverzeichnis § 18 Vertragsabschlußbezogene Pflichten 142 I. Verfahrens- und materiellrechtliche Pflichten 142 1. Verwaltungsverfahrensrecht als vertragsabschlußbezogenes Recht.... 142 2. Vertragsabschlußbezogene vorvertragliche Verfahrenspflichten 144 a) Einzelne Verfahrenspflichten 144 b) Besonderheiten der Rechtswirkungen von vorvertraglichen Verfahrenspflichten 145 II. Form- und Vertretungsvorschriften 147 III. Sonstige vertragsabschlußbezogene Pflichten 149 1. Pflichtwidriger Eintritt in Vertragsverhandlungen 150 2. Der Abbruch der Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund 150 a) Aufklärung über die Bereitschaft zum Vertragsabschluß 151 b) Das Erfordernis des „triftigen" Grundes 153 3. Allgemeine Mitwirkungspflichten 155 4. Pflicht zur Herbeiführung einer Genehmigung 155 5. Vertragsabschlußbezogene Aufklärungspflichten 156 6. Verwendung eines unwirksamen oder nichtigen Vertrages 157 7. Wechselwirkungen zwischen vertragsabschlußbezogenen Pflichten und kodifiziertem Verwaltungsvertragsrecht 158 § 19 Vertragsinhaltsbezogene Pflichten I. Vorüberlegungen II. Einzelne vertragsinhaltsbezogene Pflichten 1. Aufklärung über vorhersehbare Aufwandserhöhungen 2. Aufklärung über Äquivalenzstörungen 3. Drohende Gefährdung des Vertragszwecks 4. Durch den Vertrag verursachte Risiken und Gefahren
161 161 164 164 166 166 167
§ 20 Verschulden als Haftungsvoraussetzung I. Verschulden im Verwaltungsvertragsrecht II. Zurechnung fremden Verschuldens III. Haftungsmilderungen
169 169 171 174
Fünftes Kapitel
Die Rechtsfolgen vorvertraglicher Schuldverhältnisse
176
§ 21 Entwicklungstendenzen 176 I. Allgemeine Fragen der Fortbildung und Erweiterung der Rechtsfolgen... 176 II. Die Rechtswirkungen vorvertraglicher Pflichten 178 1. Die primäre Aussage 178 2. Die Folgen einer Pflichtverletzung 178 3. „Negatives" und „positives" Interesse 180 § 22 Die vorvertraglichen Pflichtverletzungen und ihr Ausgleich
182
Inhaltsverzeichnis
14 I. II.
Rechtsfolgen der Verletzung von Schutzpflichten 182 Rechtsfolgen der Verletzung vertragsabschlußbezogener Pflichten 182 1. Aufwendungsersatz als Mindestausgleich 182 2. Die Überwindung der Vertragsunwirksamkeit durch das Prinzip von Treu und Glauben 183 a) Lösung vom Schadensbegriff 183 b) Die Gefahr eines Kontrahierungszwanges 184 3. Normative Schranken der Überwindung der Vertragsunwirksamkeit. 185 a) Verstoß gegen Planungsgebote 185 b) Verstoß gegen Kompetenzvorschriften 187 c) Verstoß gegen Formvorschriften 187 III. Die weiteren Fallgruppen 189 1. Fehlen einer Zustimmung oder Genehmigung 189 2. Abbruch der Vertragsverhandlungen 190 a) Aufklärungsmängel 191 b) Fehlen des triftigen Grundes 192 3. Weitere Bindungen 192 a) Allgemeines 192 b) Insbesondere: Kein Haftungsausschluß durch Kenntnis des Mangels 193 4. Zusammenfassung 195 IV. Die Rechtsfolgen der Verletzung vertragsinhaltsbezogener Pflichten 195 1. Die faktische Situation und ihre rechtliche Lösung 195 2. Die Zulässigkeit von Vertragsanpassung und Vertragsaufhebung 196 a) Kein Vorrang von Spezialvorschriften 196 b) Nochmals: Die Gefahr des Kontrahierungszwanges 198 c) Folgerungen 198 V. Die Berücksichtigung des Mitverschuldens 201 VI. Ergebnis 202 VII. Rechtsschutz und Rechtsweg 202 Sechstes Kapitel
Zusammenfassung in Thesen
206
Literatur- und Quellenverzeichnis
219
Sachregister
243
Abkürzungen Hinsichtlich der verwendeten, allgemein üblichen Abkürzungen wird auf Hildebert Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Auflage, Berlin/New York 1993, verwiesen.
Erstes Kapitel
Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Problem des Verwaltungsrechts
§ 1 Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Forschungsgegenstand I. Die Vernachlässigung vorvertraglicher Schuldverhältnisse in der verwaltungsrechtlichen Dogmatik /. Der gegenwärtige
Befund
„Vorvertragliche Schuldverhältnisse im Verwaltungsrecht" - dieses Thema einer juristischen Arbeit erweckt zunächst den Anschein, als werde eine genuin privatrechtliche 1 Fragestellung dem öffentlichen Recht aufgepfropft. Denn anders als im Privatrecht sind vorvertragliche Schuldverhältnisse, die nach dem fest eingebürgerten juristischen Sprachgebrauch meist unter dem Stichwort „culpa in contrahendo" behandelt werden, im Verwaltungsrecht ein vernachlässigtes Thema. Während dort derartige Rechtsverhältnisse seit langem Gegenstand wissenschaftlichen 2 Arbeitens sind 3 , dabei auch in der Kommentar 4 - und
1 „Privatrecht" wird hier als umfassender Begriff verwendet, der die im BGB kodifizierten sowie die sonstigen als bürgerlich- oder zivilrechtlich bezeichneten Rechtssätze umfaßt und zugleich den Gegensatz zum öffentlichen Recht am deutlichsten zum Ausdruck bringt; so auch die Terminologie bei Dirk Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 4; Detlef Schmidt, Die Unterscheidung von privatem und öffentlichem Recht, 1985, S. 82 f. 2 Die Entwicklung und Ausdifferenzierung dieser Rechtsverhältnisse ist in erster Linie ein Verdienst von Wissenschaft und Rechtsprechung: Zwar finden sich erste Ansätze bereits im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) von 1794 (I 5 § 284); der Ruhm eines „Entdeckers" der culpa in contrahendo gebührt jedoch Rudolf v. Jhering, der den Grundstein für den Aufbau eines Systems vorvertraglicher Haftung in seiner Abhandlung: Culpa in contrahendo oder Schadensersatz bei nichtigen oder nicht zur Perfection gelangten Verträgen, JherJahrb 4 (1861), S. 1 ff, legte. Der Gesetzgeber hingegen hat stets Zurückhaltung gezeigt und das Rechtsinstitut bis zum heutigen Tage zwar ausdrücklich gebilligt (§ 11 Nr. 7 AGBG), jedoch nur fragmentarisch geregelt. Zur Entwicklungsgeschichte allgemein Eugen v. Lackum, Verschmelzung und Neuordnung von „culpa in contrahendo" und „positiver Vertragsverletzung", 1970, S. 63 ff; Dieter Medicus, Zur Entdeckungsgeschichte der culpa in contrahendo, in: Hans-Peter Benöhr u. a. (Hrsg.), Iuris Professio, Festgabe für Max Käser zum 80. Geburtstag, 1986, S. 169 ff.
2 Keller
18 1. Kap. : Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Problem des Verwaltungsrechts Lehrbuchliteratur 5 breiten Raum einnehmen und das schon vor geraumer Zeit ausgesprochene Urteil von Karl Larenz, daß „das Thema der Haftung für culpa in contrahendo ... noch längst nicht ausgeschöpft"6 sei, nach wie vor Geltung beanspruchen kann7, kommt vorvertraglichen Schuldverhältnissen im verwal3
Die Diskussion begann bald nach dem Inkrafttreten des BGB am 1.1.1900. An dieser Stelle seien nur einige der Arbeiten genannt, in denen über die Tagesaktualität hinausweisende Erkenntnisse gewonnen wurden, so etwa diejenigen von Franz Leonhard, Verschulden beim Vertragsschlusse, 1910; Heinrich Stoll, Haftung für das Verhalten während der Vertragsverhandlungen, LZ 1923, Sp. 532 ff.; ders., Die Lehre von den Leistungsstörungen, 1936, S. 25 ff.; Walter Erman, Beiträge zur Haftung für das Verhalten bei Vertragsverhandlungen, AcP 139 (1934), S. 273 ff.; Hans Dölle, Außergesetzliche Schuldpflichten, ZgesStW 103 (1943), S. 67 ff.; Kurt Ballerstedt, Zur Haftung für culpa in contrahendo bei Geschäftsabschluß durch Stellvertreter, AcP 151 (1950/1951), S. 501 ff.; RudolfNirk, Rechtsvergleichendes zur Haftung für culpa in contrahendo, RabelsZ 1953, S. 310ff.; ders., Culpa in contrahendo-eine richterliche Rechtsfortbildung - in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, in: Wolfgang Hefermehl/Hans Carl Nipperdey (Hrsg.), Festschrift für Philipp Möhring zum 65. Geburtstag, 1965, S. 385 ff; ders., Culpa in contrahendo - eine geglückte richterliche Rechtsfortbildung - quo vadis?, in: Wolfgang Hefermehl/Rudolf Nirk/Harry Westermann (Hrsg.), Festschrift für Philipp Möhring zum 75. Geburtstag, 1975, S. 71 ff; Karl Larenz, Culpa in contrahendo, Verkehrssicherungspflicht und „sozialer Kontakt", MDR 1954, S. 515 ff; Claus-Wilhelm Canaris, Ansprüche wegen „positiver Vertragsverletzung" und „Schutzwirkung für Dritte" bei nichtigen Verträgen - Zugleich ein Beitrag zur Vereinheitlichung der Regeln über die Schutzpflichtverletzungen, JZ 1965, S. 475 ff; GerhardFrotz, Die rechtsdogmatische Einordnung der Haftung für culpa in contrahendo, in: Christoph Faistenberger/Heinrich Mayrhofer (Hrsg.), Privatrechtliche Beiträge, Gedenkschrift Franz Gschnitzer, 1969, S. 163 ff. 4 Richard Alff, in: Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar, herausgegeben von Mitgliedern des Bundesgerichtshofes (RGRK), Band II, 1. Teil, 12. Aufl. (Stand der Bearbeitung: Dezember 1974), §276 Rdnr. 96 ff; Robert Battes, in: Erman, Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 9. Aufl., 1993, § 276 Rdnr. 1 lOff; Volker Emmerich, in: Kurt Rebmann/Franz Jürgen Säcker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 2,3. Aufl., 1994, vor § 275 Rdnr. 48 ff; Helmut Heinrichs, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 55. Aufl., 1996, § 276 Rdnr. 65 ff. ; Manfred Löwisch, in: Julius v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 13. Bearbeitung (Stand: Januar 1995), Vorbemerkungen zu §§ 275ff. Rdnr. 52ff; Max Vollkommer, in: Othmar Jauernig (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 7. Aufl., 1994, Anm. VI; Herbert Wiedemann , in: Kohlhammer-Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, begründet von Hs.Th. Soergel, Band 2, 12. Aufl., 1990, vor § 275 Rdnr. 101 ff. Insbesondere die Erläuterungen von Emmerich und Wiedemann haben nach Umfang und wissenschaftlichem Anspruch monographischen Charakter. 5 Josef Esser/Eike Schmidt, Schuldrecht, Band I, Teilband 2, 7. Aufl., 1993, S. 134ff; Wolfgang Fikentscher, Schuldrecht, 8. Aufl., 1992, S. 66 ff. (Rdnr. 69 ff); Karl Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band I, Allgemeiner Teil, 14. Aufl., 1987, S. 104 ff; Dieter Medicus, Schuldrecht I, Allgemeiner Teil, 8. Aufl., 1995, S. 55 ff (Rdnr. 103 ff). 6 Karl Larenz, Bemerkungen zur Haftung für „culpa in contrahendo", in: Werner Flume/ Peter Raisch/Ernst Steindorff (Hrsg.), Beiträge zum Zivil- und Wirtschaftsrecht, Festschrift für Kurt Beierstedt zum 70. Geburtstag am 24. Dezember 1975, 1975, S. 397 ff (S. 419). 7 Diese ungebrochene Aktualität findet ihren Ausdruck darin, daß die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema nicht abreißt. Vgl. als Auswahl jüngerer Arbeiten hierzu, die nicht bloß Spezialprobleme, sondern allgemeinere Fragen in den Blick nehmen, Stephan Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluß, 1989; Michael Bohrer, Die Haftung des Dispositionsgaranten, 1980; Volker Emmerich, Zum gegenwärtigen Stand der Lehre von der culpa in contrahendo, Jura 1987, S. 561 ff; Marina Frost, „Vorvertragliche" und „vertragliche" Schutzpflichten, 1981; Joachim Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, S. 170 ff; Peter Gottwald, Die Haftung für culpa in contrahendo, JuS 1982, S. 877 ff; Norbert Horn, Culpa in Contrahendo, JuS 1995, S. 377 ff; Dieter Medicus, Verschulden bei Vertragsverhandlungen, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuld-
§ 1 Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Forschungsgegenstand
19
tungsrechtlichen Schrifttum eine vergleichsweise eher untergeordnete Bedeutung zu. Monographische Untersuchungen hierzu fehlen bislang gänzlich, und selbst kürzere Abhandlungen finden sich nur ganz vereinzelt 8 . Dieses Defizit läßt sich nun aber keinesfalls damit erklären, daß das Rechtsinstitut der culpa in contrahendo dem Verwaltungsrecht fremd wäre und dort keine Heimstatt finden könnte. I m Gegenteil: Seine Inkorporation in diese Teilrechtsordnung stößt allgemein auf breite Zustimmung 9 . Dies gilt in besonderem Maße für die Erläuterungen zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen. Deren Vorschriften enthalten allerdings bereits eine normative Brücke in Gestalt einer „doppelten Generalverweisung" 10 in das Privatrecht 11 , die ausweislich der Gesetzesmaterialien
rechts, Band I, 1981, S. 485 ff.; ders., Die culpa in contrahendo zwischen Vertrag und Delikt, in: Peter Forstmoser u. a. (Hrsg.), Festschrift für Max Keller zum 65. Geburtstag, 1989, S. 205 ff; Lutz Michalski, Das Rechtsinstitut der „culpa in contrahendo" (c.i.c.), Jura 1993, S. 22ff; Eduard Picker, Positive Vertragsverletzung und culpa in contrahendo - Zur Problematik der Haftungen „zwischen" Vertrag und Delikt, AcP 183 (1983), S. 369 ff; Hans Stoll, Tatbestände und Funktionen der Haftung für culpa in contrahendo, in: Hans Claudius Ficker u. a. (Hrsg.), Festschrift für Ernst von Caemmerer zum 70. Geburtstag, 1978, S. 435 ff In allerneuester Zeit ist in der Privatrechtswissenschaft tendenziell eine zunehmende Konzentration auf enger umrissene Problemkreise zu beobachten, so zu einzelnen Fallgruppen etwa durch Wolfgang Küpper, Das Scheitern von Vertragsverhandlungen als Fallgruppe der culpa in contrahendo, 1988; Martin Weber, Haftung für in Aussicht gestellten Vertragsabschluß, AcP 192 (1992), S. 390 ff; oder aber zu den Rechtsfolgen vorvertraglicher Pflichtverletzungen durch Dieter Medicus, Ansprüche auf das Erfüllungsinteresse aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen?, in: ders. u. a. (Hrsg.), Festschrift für Hermann Lange zum 70. Geburtstag am 24. Januar 1992, 1992, S. 539 ff; Herbert Messer, Schadensersatzansprüche aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen wegen der Verletzung für den Vertragsinhalt wesentlicher vorvertraglicher Pflichten, in: Jürgen F. Baur/Klaus J. Hopt/K. Peter Mailänder (Hrsg.), Festschrift für Ernst Steindorff zum 70. Geburtstag am 13. März 1990, 1990, S. 743 ff. 8 Zu nennen sind hier lediglich die Arbeiten von Ulrich Battis , Culpa in contrahendo im Beamtenrecht, ZBR 1971, S. 300 ff. und Sigurd Littbarski, Die Haftung aus culpa in contrahendo im öffentlichen Recht, JuS 1979, S. 537 ff. Hingegen beschränkt sich Wolfgang Jäckle, Die Haftung der öffentlichen Verwaltung aus culpa in contrahendo im Licht der oberinstanzlichen Rechtsprechung, NJW 1990, S. 2520 ff. auf das fiskalische und verwaltungsprivatrechtliche Handeln der Verwaltung (aaO., S. 2520 f.) und blendet damit die Frage nach den eigentlichen vorvertraglichen Schuldverhältnissen des Verwaltungsrechts aus. 9 Vgl. neben den Nachweisen in FN 11 ff. aus jüngster Zeit Hartmut Bauer, Verwaltungsrechtslehre im Umbruch?, Die Verwaltung 25 (1992), S. 301 ff. (S. 320); ders., Anpassungsflexibilität im öffentlich-rechtlichen Vertrag, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard SchmidtAßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, S. 245 ff. (S. 260); Philip Kunig, Verträge und Absprachen zwischen Verwaltung und Privaten, DVB1. 1992, S. 1193 ff. (S. 1201); Martin Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, 1995, S. 219; Willy Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns durch Verträge und Absprachen, 1994, S. 243; Bernhard Stüer, Der städtebauliche Vertrag, DVB1. 1995, S. 649 ff. (S. 655). 10 Martin Bullinger, Leistungsstörungen beim öffentlich-rechtlichen Vertrag, DÖV 1977, S. 812ff. (S. 813). 11 § 62 S. 2 VwVfG. An diese Vorschrift knüpfen die Kommentierungen an. Vgl. Heinz Joachim Bonk, in: Paul Stelkens/Heinz Joachim Bonk/Michael Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 4. Aufl., 1993, § 62 Rdnr. 21; Klaus Braun/Konrad v. Rotberg, Verwaltungsverfahrensgesetz für Baden-Württemberg, 1977, § 62 Rdnr. 2; Ferdinand Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Aufl., 1996, § 62 Rdnr. 7; Hans Meyer, in: dersVHermann Borgs-Maciejewski, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl., 1982, § 62 Rdnr. 18 f.; Hans-Günter Henrteke, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), Kommentar, 5. Aufl., 1996, § 54 Rdnr. 10; § 62 Rdnr. 3;
20
1. Kap.: Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Problem des Verwaltungsrechts
auch zu diesem Rechtsinstitut hinführen sollte 12 . Die sonstigen Stellungnahmen aus dem Bereich des allgemeinen Verwaltungsrechts stehen einer Anwendung der Regeln über vorvertragliche Rechte und Pflichten ebenfalls nahezu 1 3 durchweg positiv gegenüber 14 , ebenso monographische Arbeiten zum öffentlichrechtlichen Vertrag 1 5 . Z u demselben Ergebnis kommen Untersuchungen, die sich mit der Frage von „Leistungsstörungen" im öffentlichen Recht allgemein 1 6 oder im Vertragsrecht 17 befassen. Und auch die Privatrechtswissenschaft billigt der culpa in contrahendo einen in dieser Weise erweiterten Anwendungsbereich
Klaus Obermayer, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl., 1990, § 62 Rdnr. 162 ff. Ebenso bereits Klaus v. d. Groeben/Hans Joachim Knack, Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein (Landesverwaltungsgesetz), Kommentar, 1968, § 129 Rdnr. 3. 12 In diesem Sinne bereits der Musterentwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes (EVwVerfG 1963), S. 206; genauso der Entwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG), BT-Drucks. 7/910, S. 83. 13 Eine deutliche Absage erteilte der culpa in contrahendo als Anspruchsgrundlage im öffentlichen Recht zuletzt Hans-Jürgen Papier, Die Forderungsverletzung im öffentlichen Recht, 1970, S. 99 ff. 14 Norbert Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl., 1986, S. 749 (§25 Rdnr. 110); Hans Peter Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl., 1993, S. 267 (Rdnr. 814); Hans-Uwe Erichsen, Das Verwaltungshandeln, in: ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl., 1995, S. 205 ff. (S. 385 [§ 27 Rdnr. 3]); Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl., 1995, S. 380 (§ 14 Rdnr. 52), 734 (§ 28 Rdnr. 4); Franz Mayer/Ferdinand Kopp, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl., 1985, S. 274; Carl Hermann Ule/Hans-Werner Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Aufl., 1995, S. 821 (§ 72 Rdnr. 12); Hans J. Wolff/Otto Bachof/Rolf Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl., 1994, S. 829 (§ 55 Rdnr. 44). Keine andere Aussage läßt sich der „Lernbuchliteratur" entnehmen; vgl. etwa Peter-Michael Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1992, S. 200. 15 Wolfgang Beyer, Der öffentlich-rechtliche Vertrag, informales Handeln der Behörden und Selbstverpflichtungen Privater als Instrumente des Umweltschutzes, 1986, S. 169; Max-Theo Gaßner, Die Abwälzung kommunaler Folgekosten durch Folgekostenverträge, 1982, S. 394 ff; Wolfgang Karehnke, Die rechtsgeschäftliche Bindung kommunaler Bauleitplanung - Zugleich ein Beitrag zur Wirksamkeit und Rückabwicklung öffentlich-rechtlicher Verträge, 1983, S. 196, 220; Klaus-Dieter Kawalla, Der subordinationsrechtliche Verwaltungsvertrag und seine Abwicklung, 1984, S. 249; Joachim Kottke, System des subordinationsrechtlichen Verwaltungsvertrages, 1966, S. 141 ; Rainer Palauro, Haftungsrelevante Probleme der allgemeinen verwaltungsrechtlichen Zusage, 1983, S. 223 f.; Jürgen Punke, Verwaltungshandeln durch Vertrag, o. J., S. 97ff; Christian Schimpf, Der verwaltungsrechtliche Vertrag unter besonderer Berücksichtigung seiner Rechtswidrigkeit, 1982, S. 321; Helmut Schuster, Wirksame rechtswidrige öffentlich-rechtliche Verträge Zugleich ein Beitrag zu den verfassungsrechtlichen und dogmatischen Grundlagen des öffentlichrechtlichen Vertrages, 1990, S. 150; Fritz Weiß, Der öffentlich-rechtliche Vertrag im Musterentwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes 1963 - Bestandsaufnahme und Kritik, 1971, S. 115. Bis auf die Arbeiten von Punke und Schimpf gehören die genannten Arbeiten allerdings sämtlich zur sogenannten Dissertationsliteratur, die allenfalls einen marginalen Einfluß auf die Entwicklung der Rechtswissenschaft ausübt. 16 Günter Schwär, Leistungsstörungen bei der Erfüllung öffentlich-rechtlicher Leistungspflichten, 1968, S. 170 f.; Lothar Simons, Leistungsstörungen verwaltungsrechtlicher Schuldverhältnisse, 1967, S. 172 ff. 17 Hans Meyer, Das neue öffentliche Vertragsrecht und die Leistungsstörungen, NJW 1977, S. 1705 ff. (S. 1712); Klaus Obermayer, Leistungsstörungen beim öffentlich-rechtlichen Vertrag, BayVBl. 1977, S. 546 ff. (S. 550 ff); Hermann Plagemann, Leistungsstörungen beim Folgelastenvertrag, WM 1979, S. 794 ff. (S. 799).
§ 1 Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Forschungsgegenstand
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zu 18 . Alle diese recht zahlreichen Äußerungen haben jedoch eines gemeinsam: Sie sind selten länger als einige Seiten und erschöpfen sich nur zu oft in wenigen Zeilen. Vorvertragliche Schuldverhältnisse sind daher im Verwaltungsvertragsrecht wohl zu Hause, fristen aber ein von der Dogmatik nur wenig beachtetes Schattendasein. Dieser Befund ist naheliegend (dazu unten 2.) und überraschend (dazu unten 3.) zugleich. 2. Das Verhältnis des öffentlichen
Rechts zum Vertragsrecht
a) Verträge als Handlungsform des Privatrechts Er ist zum einen naheliegend, weil das Schuldverhältnis eine dogmatische Grundeinheit des Privatrechts darstellt19. Von seinen Erscheinungsformen wiederum ist der Vertrag die bedeutendste, weil er im Rechtsverkehr unter Privaten die bei weitem geläufigste und nächstliegende Art ist, Rechtsfolgen herbeizuführen: Der Vertrag ist damit die zentrale Rechts- und Handlungsform 20 des Privatrechts. Beide Bestandteile des Begriffs „vorvertragliche Schuldverhältnisse" stützen daher gleichermaßen den ersten Eindruck eines fest im Privatrecht verwurzelten Rechtsinstituts. b) Neuorientierung durch die Rechtsverhältnislehre Demgegenüber stand im Zentrum der verwaltungsrechtswissenschafitlichen Überlegungen lange Zeit eine andere Handlungsform, der Verwaltungsakt. Der Ordnungsrahmen für ihn wie für die anderen Bauteile des Systems der Handlungsformen war lange Zeit in den Hintergrund gedrängt und gelangt erst durch die in jüngster Zeit mehr und mehr sich durchsetzende Erweiterung und Komplettierung der traditionellen Sichtweise um das Verwaltungsrechtsverhältnis 21 18
Emmerich, in: Münchener Kommentar zum BGB, vor § 275 Rdnr. 62; Heinrichs, in: Palandt, BGB, §276 Rdnr. 69; Löwisch, in: Staudinger, BGB, Vorbemerkungen zu §§ 275 ff. Rdnr. 54; Vollkommer, in: Jauernig, BGB, § 276 Anm. VI 1 e; Wiedemann , in: Soergel, BGB, vor §275 Rdnr. 213. 19 So trägt bereits das zweite Buch des BGB die Überschrift „Recht der Schuldverhältnisse". 20 Versteht man darunter „vertypte Handlungsausschnitte, die besonderen Rechtsanforderungen unterstellt sind" (Eberhard Schmidt-Aßmann, Die Lehre von den Rechtsformen des Verwaltungshandelns, DVB1. 1989, S. 533 ff. [S. 533]), so ist die Entlehnung dieses vornehmlich im Verwaltungsrecht beheimateten Begriffes geeignet, auch Systemteile des Privatrechts zu erfassen. 21 Zum Vordringen der auf diese Grundkategorie gestützten Betrachtungsweise zusammenfassend Hartmut Bauer, Geschichtliche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 167 ff.; ders., Die Verwaltung 25 (1992), S. 301 ff. (S. 315 ff.); ders., Die Bundestreue, 1992, S. 270 ff.; Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, S. 203 ff. sowie die Nachweise in den folgenden FN. Grundlegende Erkenntnisse und entscheidende Einsichten verdankt - dies verdient nachdrückliche Hervorhebung - die Rechtsverhältnislehre insbesondere den Arbeiten von Wilhelm Henke und Norbert Achterberg. Vgl. Wilhelm Henke, Die Rechtsformen der sozialen Sicherung und das Allgemeine Verwaltungsrecht, WDStRL 28 (1970), S. 149 ff. (S. 156 ff.); ders.,
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1. Kap.: Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Problem des Verwaltungsrechts
zu breiterer und seiner Funktion angemessener Wahrnehmung. Der Ausgangsund Grundbegriff, das Rechtsverhältnis, ist dabei im öffentlichen Recht genauso beheimatet wie im Privatrecht: Denn auch das öffentliche Recht kennt rechtliche Beziehungen zwischen mindestens zwei Rechtssubjekten, die sich aus einer rechtlichen Regelung ergeben 22 , und damit Rechtsverhältnisse. Diese können aus einer Vielzahl jeweils im Einzelfall festzustellender Inhalte bestehen: So sprechen die Verwaltungsverfahrensgesetze ganz allgemein von den durch Vertrag begründeten, geänderten oder aufgehobenen Rechtsverhältnissen 2 3 , macht das Prozeßrecht das „Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses" zur Zulässigkeitsvoraussetzung einer Klageart 2 4 und werden in der Wissenschaft Leistungsverwaltung 25 und weitere Gebiete 2 6 mittels dieses Instituts erfaßt, dessen Anwendungsvielfalt damit nur angedeutet ist. A u f dieser Basis baut die Rechtsverhältnislehre auf. Kurzgefaßt ist es ihr Anliegen, für eine Fortentwicklung des Verwaltungsrechts im Hinblick auf vier Schwerpunkte zu sorgen und insoweit die Defizite der traditionellen, handlungsform- und insbesondere verwaltungsaktzentrierten Dogmatik abzugleichen, indem die einseitige Ausrichtung der Wissenschaft auf den Verwaltungsakt überwunden, die Rolle des Bürgers einbezogen, die Zeitdimension berücksichtigt und „mehrpolige" Rechts-
Das Recht der Wirtschaftssubventionen als öffentliches Vertragsrecht, 1979, S. 5 ff; ders., Allgemeines Verwaltungsrecht als Rechtsverhältnisordnung, NVwZ 1983, S. 534 f.; ders., Recht und Staat, 1988, S. 607 ff; ders., Subventionsrecht und Wirtschaftsförderung, in: Hermann Hill (Hrsg.), Verwaltungshandeln durch Verträge und Absprachen, 1990, S. 115 ff. (S. 115ff); Norbert Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 367 ff. (§ 20 Rdnr. 1 ff); ders., Rechtsverhältnisse als Strukturelemente der Rechtsordnung, Rechtstheorie 9 (1978), S. 385 ff; ders., Die Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung, 1982; ders., Die rechtsverhältnistheoretische Deutung absoluter Rechte, in: Manfred Just u. a. (Hrsg.), Recht und Rechtsbesinnung, Gedächtnisschrift für Günther Küchenhoff (1907-1983), 1987, S. 13 ff. 22 Dirk Ehlers, Rechtsverhältnisse in der Leistungsverwaltung, DVB1. 1986, S. 912 ff. (S. 912); Wilhelm Henke, Das subjektive Recht im System des öffentlichen Rechts - Ergänzungen und Korrekturen, DÖV 1980, S. 621 ff. (S. 623) spricht plastisch vom „rechtlichen Gewand einer wirklichen Beziehung von Person zu Person, das beide Beteiligten mit subjektiven Rechten und Pflichten aneinander bindet"; aus dem privatrechtlichen Schrifttum Karl Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, 7. Aufl., 1989, S. 194 ff. 23 §54 VwVfG. 24 §§ 43 Abs. 1 VwGO, 256 Abs. 1 ZPO, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG, 41 Abs. 1 FGO. 25 Vgl. Thomas Fleiner-Gerster/Peter Krause/Theo Öhlinger, Rechtsverhältnisse in der Leistungsverwaltung, WDStRL 45 (1987), S. 152 ff, 182 ff, 212 ff sowie die Begleitaufsätze zu dieser Staatsrechtslehrertagung unter demselben Titel von Ehlers (DVB1. 1986, S. 912 ff), Hermann Hill (NJW 1986, S. 2602 ff); Wolfgang Löwer (NVwZ 1986, S. 793 ff.) und Friedrich E. Schnapp (DÖV 1986, S. 811 ff). 26 Beispiele und Nachweise bei Bauer, Die Bundestreue, S. 272; besonders hinzuweisen ist etwa auf das öffentliche Wirtschafts- und Wirtschaftsüberwachungsrecht (dazu Reiner Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Allgemeiner Teil, 1990, S.455 ff; Rolf Gröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis, 1992, insbesondere S. 135 ff). Die Figur des Rechtsverhältnisses stellt im übrigen nicht nur ein Produkt praxisferner Theoriebildung dar: Anerkannt auch in der Rechtsprechung ist seit langem das „Prüfungsrechtsverhältnis" mit ausdifferenzierten Pflichten nicht nur der prüfenden Behörde, sondern auch des Prüflings. Vgl. BVerwGE 80, S. 282 ff (S. 286); 96, S. 126 ff. (S. 132); BVerwG, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 328.
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beziehungen erfaßt werden 27. Bezugspunkt juristischen Erkenntnisinteresses ist danach das Insgesamt gegenseitiger, aufeinander bezogener Rechte und Pflichten der Beteiligten im gegenseitigen Wirkungszusammenhang28. Diese Lehre erleichtert damit die durch die Orientierung auf die Verwaltungsentscheidung und das dazugehörige Verfahren verstellte Einsicht, daß neben dem Verwaltungsakt auch noch andere Formen der Gestaltung konkreter Verwaltungsrechtsbeziehungen29 zur Verfügung stehen. Zu diesen im Verwaltungsrecht vernachlässigten mehrseitigen Rechtsbeziehungen gehört auch der Vertrag, der allerdings über Jahrzehnte hinweg noch an weiteren Fronten einen „Existenzkampf' 30 auszutragen hatte. Belastet war er mit dem Diktum Otto Mayers, es seien „wahre Verträge des Staates auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts überhaupt nicht denkbar" 31, welches noch im Jahre 1982 und damit längst nach der gesetzlichen Institutionalisierung des öffentlich-rechtlichen Vertrages 32 zu dem Bedürfnis führte, „einen Kranz niederzulegen am Grabe Otto Mayers" 33. Diese grundsätzlichen Bedenken und die verbreitete Neigung, Verwaltungsvertragsrecht vor allem in Form einer „extensiven Nichtigkeitslehre"34 zu betreiben, standen einer Ausgestaltung einzelner Systemteile des Vertragsrechts und damit auch einer Untersuchung vorvertraglicher Schuldverhältnisse im Wege.
27 Bauer, Die Verwaltung 25 (1992), S. 301 ff. (S. 311 ff.) m. w. N.; Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, S. 192 f.; 206 f. 28 Bauer, Die Verwaltung 25 (1992), S. 301 ff. (S. 319); Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, S. 206, der insbesondere darauf aufmerksam macht, daß mit Hilfe des Verwaltungsrechtsverhältnisses „den differenzierten Beziehungen innerhalb des Verwaltungsrechtssystems ... im Wege einer differenzierten Analyse Rechnung getragen" und damit eine spezifische, sachangemessene Feinsteuerung der jeweils konkreten Rechtsbeziehung bewirkt werden kann. 29 Diese Verlagerung des Erkenntnisinteresses hat Wilhelm Henke, Juristische Systematik der Grundrechte, DÖV 1984, S. 1 ff. (S. 1), pointiert zusammengefaßt: „Juristische Systematik beginnt mit dem Rechtsverhältnis zwischen Personen" (Hervorhebung im Original). 30 So Gerd Beinhardt, Der öffentlich-rechtliche Vertrag im deutschen und französischen Recht, Teil II, VerwArch 55 (1964), S. 210 ff. (S. 211). 31 Otto Mayer, Zur Lehre vom öffentlichrechtlichen Vertrage, AöR 3 (1888), S. 3 ff. (S. 42). 32 §§ 54ff. VwVfG, 53 ff. SGB X. 33 Günter Püttner, Wider den öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen Staat und Bürger, DVB1. 1982, S. 122ff. (S. 126); gegen ihn freilich sogleich Ingo Heberlein, Wider den öffentlichrechtlichen Vertrag?, DVB1. 1982, S. 763 ff. Weitere „vertragskritische" Stimmen sind unten in FN 52 nachgewiesen. 34 So die treffende Kennzeichnung der zeitweilig vorherrschenden Tendenzen in der Dogmatik durch Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverträge im Städtebaurecht, in: Wolfgang Lenz (Hrsg.), Festschrift für Konrad Geizer zum 75. Geburtstag, 1991, S. 117ff. (S. 119).
24 1. Kap.: Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Problem des Verwaltungsrechts 3. Vertragsfreundliche
Tendenzen der neueren Verwaltungsrechtsdogmatik
a) Entwicklung und Stand des Verwaltungsvertragsrechts Der erwähnte Befund ist aber auch überraschend. Denn mittlerweile befindet sich das Verwaltungsrecht längst in einer Phase der Neuorientierung, zu deren Wesensmerkmalen es gerade gehört, daß der Blick auf die mehrpoligen verwaltungsrechtlichen Rechtsbeziehungen gelenkt wird 35 . Sie werden ganz allgemein und noch ohne direkten Bezug zum Vertragsrecht auch durch ergänzende Pflichten und Nebenpflichten 36 rechtlich ausgeformt. Und „die zentrale Rechtsfigur des Vertrags" 37 gehört dem öffentlichen Recht genauso wie dem Privatrecht an, was sich - ungeachtet der Diskussion um den apriorischen, den Teilrechtsordnungen vorgelagerten Charakter des Vertrages und die rechtstheoretische Begründung seiner Verbindlichkeit 38 - nach seiner Kodifizierung durch den Gesetzgeber der Verwaltungsverfahrensgesetze 39 schon aus dem geschriebenen Recht ergibt. Er ist zwar noch in mancher Hinsicht ein „Desiderat verwaltungsrechtlicher und verwaltungswissenschaftlicher Durchdringung" 40, und diese Feststellung trifft gewiß zu, soweit sie das Fehlen einer ausdifferenzierten Verwaltungsvertragsdogmatik schlagwortartig zusammenfaßt. Sie darf jedoch nicht zu dem Urteil verleiten, die Rechtswissenschaft habe das Recht des öffentlich-rechtlichen Vertrages insgesamt brachliegen lassen: Bereits vor dem zweiten Weltkrieg findet sich eine ganze Anzahl von Untersuchungen41, 35 36 37
S.84.
Dazu Bauer, Die Verwaltung 25 (1992), S. 301 ff. (S. 323 ff.) m. w. N. Vgl. nur Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 9 Rdnr. 21 ff. Pavlos-Michael Efstratiou, Die Bestandskraft des öffentlichrechtlichen Vertrages, 1988,
38 Dazu Efstratiou, Die Bestandskraft, S. 164 f.; Erichsen, Verwaltungshandeln, S. 358 (§ 24 Rdnr. 1); Ernst Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl., 1973, S. 277. 39 Die Bezeichnung „Verwaltungsvertrag" wäre allerdings begrifflich präziser als die vom Gesetzgeber gewählte (vgl. Norbert Achterberg, Der öffentlich-rechtliche Vertrag, JA 1979, S. 356 ff. [S. 357]). 40 Bauer, Anpassungsflexibilität, S. 247. Ähnlich Wilhelm Henke, Wandel der Dogmatik des öffentlichen Rechts, JZ 1992, S. 541 ff. (S. 546), nach dem das öffentliche Vertragsrecht „als umfassende dogmatische Aufgabe noch nicht erkannt, geschweige denn ausgearbeitet" ist. Vgl. ferner den Vorwurf von Wolfgang Hoffmann-Riem, Verwaltungsrechtsreform, Ansätze am Beispiel des Umweltschutzes, in: ders./Eberhard Schmidt-Aßmann/Gunnar Folke Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, Grundfragen, 1993, S. 115 ff. (S. 156), das deutsche Verwaltungsvertragsrecht hinke im europäischen Vergleich hinterher. 41 WillibaltApelt, Der verwaltungsrechtliche Vertrag, 1920; GeorgBenkard, Verträge über Ausnahmen von statutarischen Bauverboten, VerwArch 17 (1909), S. 360ff.; Theodor Buddeberg, Rechtssoziologie des öffentlich-rechtlichen Vertrages, AöR 47 (1925), S. 85 ff.; Silva Deutsch, Der Auftragsvertrag im Verwaltungsrecht, 1935; G. Grosch, Der Staat als Kontrahent, JöR V (1911), S. 267 ff.; GerhardHebting, Die Loskaufverträge in der Wohnungszwangswirtschaft, 1934; Waldemar Holz, Ist im öffentlichen Recht Raum für Vertragsstrafen?, 1930; Ernst Jeschkowitz, Der Vertrag im Beamtenrecht, AöR 56 (1929), S. 321 ff.; Robert Kohl, Die Möglichkeit öffentlichrechtlicher Verträge im Verwaltungsrecht, 1934; Max Layer, Zur Lehre vom öffentlich-rechtlichen Vertrag, 1916; Mayer, AöR3 (1888), S. 3 ff.; Werner Reusch, Der Vertrag im Verwaltungsrecht,\929; Emil Ruppert, Der öffentlich-rechtliche Vertrag im Verwaltungsrecht, 1935; Heinrich Scheder, Der Vergleich als
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denen ein Befund aus der damaligen Rechtspraxis wie derjenige korrespondiert, daß „Schuldverhältnisse aus Verträgen ... auch im ... Verwaltungsrecht nicht selten"42 seien, und auch in der darauffolgenden Zeit riß die Befassung mit dem Vertragsrecht, sei es in monographischer Form 43 , sei es in Aufsätzen 44 , niemals ab, nahm zumindest quantitativ bis in die jüngste Zeit stetig zu 45 , Rechtstitel im Verwaltungsrecht, 1934; Erwin Schroeter, Die Lehre von der Vereinbarung im deutschen öffentlichen Recht, 1930; Wilhelm Steffen, Der öffentlichrechtliche Vertrag im heutigen Recht, 1938; Carl Walther, Das Fernsprechanschlußverhältnis - ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, VerwArch 34 (1929), S. 229 ff.; G. A. Walz, Die „Vereinbarung" als Rechtsfigur des öffentlichen Rechts, AöR 53 (1928), S. 161 ff. 42 So für Württemberg Kommission für die Landesordnung des Allgemeinen öffentlichen Rechts (Hrsg.), Verwaltungsrechtsordnung für Württemberg, Entwurf eines Gesetzes mit Begründung, 1931, S. 607. 43 Vgl. aus der Zeit vor Inkrafttreten der Verwaltungsverfahrensgesetze etwa Gerd Beinhardt, Der öffentlich-rechtliche Vertrag als Regelungsbefugnis der öffentlichen Verwaltung im deutschen, französischen und spanischen Recht, 1960; Nikolaus-Zeno Bisek, Der öffentlich-rechtliche Vertrag, 1970; Wolf gang Bosse, Der subordinationsrechtliche Verwaltungsvertrag als Handlungsform öffentlicher Verwaltung, 1974; Martin Bullinger, Vertrag und Verwaltungsakt, 1962; Hans-Lutwin Gitzinger, Verwaltungsakt auf Unterwerfung, antragsbedingter Verwaltungsakt oder öffentlichrechtlicher Vertrag, 1963; Peter Glanegger, Der Nachfolgelastenvertrag, 1975; WiegandHennicke, Die Vereinbarung als Verwaltungsrechtsquelle, 1959; Klaus-Jürgen Ihle, Der verwaltungsrechtliche Vertrag aus entscheidungstheoretischer Sicht, 1972; Maximboden, Der verwaltungsrechtliche Vertrag, 1958; Kottke, System; Manfred Rebhan, öffentlichrechtliche Verträge im Bereich des Erschließungs-, Bauplanungs- und Bauordnungsrechts, 1971; Jürgen Salzwedel, Die Grenzen der Zulässigkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrages, 1958; Walter Schick, Vergleiche und sonstige Vereinbarungen zwischen Staat und Bürger im Steuerrecht, 1967; Weiß, Der öffentlich-rechtliche Vertrag; ClausPeter Wulff, Zwangsvollstreckung aus Verwaltungsverträgen, 1970; Andreas Zschoch, Der Erschließungsvertrag und der Vertrag über die kommunalen Folgelasten, 1976. 44 Vgl. aus der älteren Literatur beispielsweise Willibalt Apelt, Der verwaltungsrechtliche Vertrag, AöR 84 (1959), S. 249 ff.; Beinhardt, VerwArch 55 (1964), S. 151 ff., 210 ff.; E. Barocka, Vereinbarungen und Verträge im Wasserrecht unter besonderer Berücksichtigung von Wasserentnahme- und Gestattungsverträgen zur Bodenbewässerung, VerwArch 51 (1960), S. 1 ff.; Albert Bleckmann, Subordinationsrechtlicher Verwaltungsvertrag und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, VerwArch 63 (1972), S. 404 ff.; Martin Bullinger, Zur Notwendigkeit funktionalen Umdenkens des öffentlichen und privaten Vertragsrechts im leistungsintensiven Gemeinwesen, in: Hermann Conrad u. a. (Hrsg.), Gedächtnisschrift Hans Peters, 1967, S. 667 ff.; Hans-Uwe Erichsen, Rechtsfragen des verwaltungsrechtlichen Vertrages, VerwArch 68 (1977), S. 65 ff.; Volkmar Götz, Hauptprobleme des verwaltungsrechtlichen Vertrages, JuS 1970, S. 1 ff.; ders., Der rechtswidrige verwaltungsrechtliche Vertrag, DÖV 1973, S. 298 ff.; Albert v. Mutius, Zulässigkeit und Grenzen verwaltungsrechtlicher Verträge über kommunale Folgekosten, VerwArch 65 (1974), S. 201 ff.; Georg Mörtel, Der öffentlich-rechtliche Vertrag und das Legalitätsprinzip, BayVBl. 1965, S. 217 ff.; Ludwig Renck, Bestandskraft verwaltungsrechtlicher Verträge?, NJW 1970, S. 737 ff.; Hans-Heinrich Rupp, Zum Anwendungsbereich des verwaltungsrechtlichen Vertrages - OVG Münster, Urteil vom 21.6.1960, JuS 1961, S. 59 ff.; Joachim Schmidt-Salzer, Tatsächlich ausgehandelter Verwaltungsakt, zweiseitiger Verwaltungsakt und verwaltungsrechtlicher Vertrag, VerwArch 62 (1971), S. 135 ff.; Ekkehart Stein, Der Verwaltungsvertrag und die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, AöR 86 (1961), S. 320 ff.; Klaus Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, VerwArch 49 (1958), S. 106 ff. 45 Aus der übergroßen Fülle der Literatur seien auch an dieser Stelle exemplarisch die Arbeiten von Wilhelm Henke genannt, der sich immer wieder für den Vertrag einsetzte: Vgl. etwa Recht der Wirtschaftssubventionen, passim; ders., Entwurf eines Gesetzes über den Subventionsvertrag, DVBI. 1984, S. 845 ff.; ders., Allgemeine Fragen des öffentlichen Vertragsrechts, JZ 1984, S. 441 ff.; ders., Praktische Fragen des öffentlichen Vertragsrechts - Kooperationsverträge, DÖV
26 1. Kap.: Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Problem des Verwaltungsrechts untersuchte auch Vertragstypen aus einzelnen Bereichen des Besonderen Verwaltungsrechts, unter denen neben vertraglich ausgestaltetem Umweltrecht 46 oder auch Kommunalabgabenrecht47 das Städtebaurecht stets eine Führungsrolle einnahm48, wandte sich den Querverbindungen zwischen den verwal-
1985, S. 41 ff. Einen „beträchtlichen Entwicklungsschub" (so Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, S. 198) für die Vertragsdogmatik bewirkte insbesondere die Staatsrechtslehrertagung 1992, bei der „Verträge und Absprachen zwischen der Verwaltung und Privaten" Beratungsgegenstand waren (mit Berichten von Joachim Burmeister und Walter Krebs sowie Landesberichten von Christian Autexier, Johannes Hengstschläger und Rainer Schweizer: VVDStRL 52 [1993 S. 190 ff., 248 ff., 285 ff., 298 ff., 314 ff.; Begleitaufsätze von Philip Kunig [DVB1. 1992, S. 1193 ff.] und Helmut Lecheler [BayVBl. 1992, S. 545 ff.], alle m. w. N.). Vgl. ferner die oben in FN 15 sowie speziell zum Fragenkreis des Verhältnisses von Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit öffentlich-rechtlicher Verträge die unten in § 18 III 7 (FN 143) nachgewiesenen Arbeiten. 46 Zu nennen sind hier beispielsweise Vertragsnaturschutz - dazu Udo Di Fabio , Vertrag statt Gesetz?, DVB1. 1990, S. 338 ff.; Martin Gellermann/Andreas Middeke, Der Vertragsnaturschutz, NuR 1991, S. 457 ff.; Hans-Werner Rengeling/Martin Gellermann, Kooperationsrechtliche Verträge im Naturschutzrecht, ZG 1991, S. 317 ff. - und Altlastensanierung - vgl. Martin Beckmann/Holger Matuschak, Altlastensanierung und Störerauswahl im Verwaltungsvertrag, WUR 1990, S. 70 ff.; Christoph Müllmann, Altlastensanierung und Kooperationsprinzip - der öffentlichrechtliche Vertrag als Alternative zur Ordnungsverfügung, NVwZ 1994, S. 876 ff.; Kay Arthur Pape, Die Bewältigung von Altlasten in der Praxis, NJW 1994, S. 409 ff. (S. 411). 47 Dazu Rainer Döring,, Verträge zur Erschließung von Bauland, NVwZ 1994, S. 853 ff.; Wilfried Erbguth/Arnulf Rapsch, Der öffentlich-rechtliche Vertrag in der Praxis: Rechtliche Einordnung und Rechtsfragen von Erschließungsabreden, DÖV 1992, S. 45 ff. (S. 47 f.); Werner Heun, Die Zulässigkeit öffentlich-rechtlicher Verträge im Bereich der Kommunal abgaben, DÖV 1989, S. 1053 ff.; Monika Jachmann, Vereinbarungen über Erschließungsbeiträge im Rahmen von Grundstücksverträgen mit Gemeinden, BayVBl. 1993, S. 326 ff.; Paul Tiedemann, Der Vergleichsvertrag im kommunalen Abgabenrecht, DÖV 1996, S. 594 ff.; Felix Weyreuther, Die Zulässigkeit von Erschließungsverträgen und das Erschließungsbeitragsrecht, UPR 1994, S. 121 ff. 48 Vgl. aus jüngerer und jüngster Zeit Hans-Jörg Birk, Die neuen städtebaulichen Verträge nach dem BauGB und BauGBMaßnG seit dem 1.5.1993 unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage in Baden-Württemberg, VB1BW 1993, S. 457 ff.; VB1BW 1994, S. 3 ff., 88 ff., 130 ff.; ders., Der „neue" Vorhaben- und Erschließungsplan und seine rechtlichen Bindungswirkungen, in: Hans-Joachim Driehaus/ders. (Hrsg.), Baurecht - Aktuell, Festschrift für Felix Weyreuther, 1993, S. 213 ff.; ders., Verträge als Möglichkeit der Problembewältigung in der BebauungsplanAbwägung, in: Jörg Berkemann u. a. (Hrsg.), Planung und Plankontrolle, Otto Schlichter zum 65. Geburtstag, 1995, S. 113 ff.; Jürgen Busse, Kooperatives Recht im Bauplanungsrecht, BayVBl. 1994, S. 353 ff.; Matthias Dombert, Vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten nach der neuen Gesetzgebung im Bereich des Bauplanungs- und Erschließungsrechts, BauR 1994, S. 551 ff.; Herbert Grziwotz, Zur Zulässigkeit und Absicherung vertraglicher Baugebote und Veräußerungsgebote, DVB1. 1991, S. 1348 ff.; ders., Städtebauliche Verträge als Weg zu einer sozialgerechten Bodennutzung?, DVB1. 1994, S. 1048 ff.; ders., Praktische Probleme beim Abschluß städtebaulicher Verträge, NVwZ 1996, S. 637 ff.; Henning Jäde, Neue Aspekte städtebaulicher Verträge, BayVBl. 1992, S. 549 ff.; Eckart Hien, Bemerkungen zum städtebaulichen Vertrag, in: Berkemann u. a. (Hrsg.), FS Schlichter, S. 129 ff.; Walter Krebs, Konsensuales Verwaltungshandeln im Städtebaurecht, DÖV 1989, S. 969 ff.; Eckart Scharmer, Städtebauliche Verträge nach §6 BauGB-Maßnahmengesetz, NVwZ 1995, S. 219 ff.; Eberhard Schmidt-Aßmann/Walter Krebs, Rechtsfragen städtebaulicher Verträge, Vertragstypen und Vertragsrechtslehren, 2. Aufl., 1992; Gerd Schmidt-Eichstaedt, Die Finanzierung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen über städtebauliche Verträge, DÖV 1995, S. 95 ff.; Willy Spannowsky, Städtebauliche Verträge als Instrumente zur Bewältigung komplexer städtebaulicher Entwicklungsaufgaben bei der Wiedernutzung von Brachflächen?, UPR 1996, S. 201 ff.; Stüer, DVB1. 1995, S. 649 ff.
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tungsrechtlichen Handlungsformen z u 4 9 , sparte die Rechtsvergleichung nicht aus 5 0 und erhielt schließlich in den letzten Jahren durch Berichte aus der Praxis eine gewisse rechtstatsächliche Unterfütterung 51 , wenngleich auch die grundsätzlich ablehnenden Stimmen niemals ganz verstummten 52 . Vergegenwärtigt man sich außerdem noch die grundsätzliche Anerkennung der culpa in contrahendo im Zusammenhang mit öffentlich-rechtlichen Verträgen in der Rechtsprechung 5 3 , so fordert auch dieser Umstand zu eingehenderer Beschäftigung nachgerade heraus.
b) Das verwaltungsrechtliche Schuldverhältnis Wie der Vertrag, so ist auch das Schuldverhältnis dem Verwaltungsrecht nicht völlig unbekannt. Seine im Privatrecht zu findenden Charakterisierungen und Umschreibungen 54 , von denen diejenige, die das Schuldverhältnis als
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Jürgen Fluck, Die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen VerpflichtungsVertrages durch Verwaltungsakt, 1985; Heinrich Kreuzer, Der vertragswidrige Verwaltungsakt, 1987. 50 Efstratiou, Die Bestandskraft (vgl. S. 87 ff. zum griechischen; S. 129 ff. zum französischen Verwaltungsvertragsrecht); Ming-Chiang Lin , Der Verwaltungsvertrag als Gestaltungsmittel des öffentlichen Baurechts - Eine vergleichende Untersuchung zum deutschen und taiwanesischen Verwaltungsvertragsrecht, 1992. 51 Vgl. vor allem die Berichte aus dem Bereich des Regierungspräsidiums Stuttgart von Peter Arnold, Die Arbeit mit öffentlich-rechtlichen Verträgen im Umweltschutz beim Regierungspräsidium Stuttgart, VerwArch 80 (1989), S. 125 ff. und Manfred Bulling, Kooperatives Verwaltungshandeln (Vorverhandlungen, Arrangements, Agreements und Verträge) in der Verwaltungspraxis, DÖV 1989, S. 277 ff.; ferner die Beiträge und Vertragsmuster in: Hill (Hrsg.), Verwaltungshandeln, sowie die Rechtsprechungsanalyse von Hartmut Maurer/Birgit Hüther, Die Praxis des Verwaltungsvertrags im Spiegel der Rechtsprechung, 1989. Verschiedene Formen von Privatisierungsverträgen erörtert Hartmut Bauer, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 243 ff. (S. 274 ff.); zur Bedeutung einzelner Vertragsklauseln für die Vertragspraxis ders., Anpassungsflexibilität, S. 274 ff. Zur „Stellung des öffentlich-rechtlichen Vertrages in der Verwaltungspraxis" vgl. ferner Wilfried Braun, Wandel in den Handlungsformen der Leistungsverwaltung, BayVBl. 1983, S. 225 ff. (S. 226 ff.). „Der Bielefelder MVA-Vertrag", ein letztlich gescheitertes Vertragsprojekt, wird aus unterschiedlichen Perspektiven dargestellt von Uwe Lahl und Inge Schulze/Ludwig Heuwinkel, Die Verwaltung 25 (1992), S. 241 ff., 252 ff. Zur Situation in der Finanzverwaltung Michael Streck, Die „tatsächliche Verständigung" in der Praxis, StuW 1993, S. 366 ff. „Musterverträge" aus früherer Zeit finden sich bereits bei Ekkehard Knobloch, Die kommunalen Nachfolgelasten, 1970, S. 220 f.; Rudolf Stützle, Verträge und Abgaben zur Deckung kommunaler Folgelasten der Wohnsiedlungstätigkeit, 1974, S. 30 ff. 52 Durchgehend polemisch etwa Horst Konrad, Der öffentlich-rechtliche Vertrag - Institution oder Trugbild?, 1975, eine Arbeit, die zu dem Ergebnis gelangte, der öffentlich-rechtliche Vertrag sei „weniger ein Rechtsinstitut als eher das Phantom eines solchen" (S. 184 f.). Überwiegend kritisch auch Burmeister, VVDStRL 52 (1993), S. 190 ff.; Albert Bleckmann, Verfassungsrechtliche Probleme des Verwaltungsvertrages, NVwZ 1990, S. 601 ff.; Püttner, DVB1. 1982, S. 122 ff.; Heinz Hübner, Der öffentlichrechtliche Vertrag - ein Instrument zur Aushöhlung des Privatrechts?, in: Paul Hofmann/Ulrich Meyer-Cording/Herbert Wiedemann (Hrsg.), Festschrift für Klemens Pleyer zum 65. Geburtstag, 1986, S. 497 ff. 53 An dieser Stelle sei nur auf die Leitentscheidungen des BVerwG, DÖV 1974, S. 133 f. (S. 134) und des BGH, BGHZ 71, S. 386 ff. (S. 392 ff.); 76, S. 343 ff. (S. 348 f.) verwiesen. 54 Überblick bei Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 8 f.
28 1. Kap.: Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Problem des Verwaltungsrechts „Gefüge und Prozeß" kennzeichnet55, vielleicht die treffendste und daher die geläufigste ist, bauen zwar auf der Terminologie und dem System des BGB auf. Sie zwingen jedoch nicht rechtslogisch zu einer Beschränkung des Begriffs auf diese Kodifikation oder das Privatrecht: Das Schuldverhältnis ist danach eine „komplexe Einheit", gestaltet von Rechtsnormen und Akten der Parteien56 und damit ein Inbegriff von konkreten Rechtsfolgen 57; seine Identität findet es durch die rechtliche Grundstruktur und den Geschäftszweck 58; „das Recht der Schuldverhältnisse umfaßt ... alle Rechtsverhältnisse, die relative Rechte und Pflichten zwischen zumindest zwei Personen begründen, sofern eine Pflicht zur Leistung von vorneherein vorhanden ist oder später zur Entstehung gelangen kann" 59 . Kennt nun das öffentliche Recht die Ordnungskategorie „Rechtsverhältnis" im allgemeinen60, so ist es zum Schuldverhältnis nur mehr ein kleiner Schritt: Steht im Mittelpunkt eines solchen Rechtsverhältnisses eine Leistungspflicht, der zumeist ein Leistungsrecht korrespondiert, so handelt es sich um ein Schuldverhältnis61. Entscheidendes Eingrenzungsmerkmal ist mithin die Leistung, also ein Tun oder Unterlassen eines der Beteiligten, das dem anderen in der Regel von Vorteil - der kein Vermögensvorteil sein muß - ist 62 . Um die im Mittelpunkt stehende Hauptleistungspflicht gruppieren sich Nebenleistungsund weitere Verhaltenspflichten, wobei diese letzteren zunächst keine Leistungspflicht begründen, in gewissen Zusammenhängen aber dennoch ausschließlicher Inhalt eines Schuldverhältnisses sein können63. Ein Hauptbeispiel für derartige Pflichtenkomplexe ist die vertragliche Bindung zwischen mehreren Rechtssubjekten. Die in den privatrechtlichen Definitionen übliche Bezeichnung der Beteiligten des Rechtsverhältnisses als „Personen" umfaßt natürliche wie juristische Personen und damit64 auch dessen staatliche Partner. Ob
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Larenz, Schuldrecht AT, S. 26 ff. Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 9. 57 Larenz, Schuldrecht AT, S. 26. 58 Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 14 f. 59 Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 12. 60 Dazu oben § 112 b. 61 Ehlers, DVB1. 1986, S. 912 ff. (S. 914), sieht diesen Begriff sogar als der allgemeinen Rechtslehre entlehnt an und fordert eine sinngemäße Übertragung ins öffentliche Recht, wie sie hier auch geschehen ist. Seine Definition des verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisses als Komplex einander zweckhaft zugeordneter Sonderrechtsbeziehungen, in deren Mittelpunkt mindestens eine Leistungspflicht bzw. ein Leistungsrecht steht, unterscheidet sich jedenfalls inhaltlich kaum von der im Text gegebenen. 62 Larenz, Schuldrecht AT, S. 8. 63 Zur Dreiteilung in Hauptleistungs-, Nebenleistungs- und sonstige Verhaltenspflichten, auch zur schwankenden Terminologie Larenz, Schuldrecht AT, S. 6 ff; Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 15 ff. 64 Zur Qualifizierung des Staates als juristische Person, die „zum unangefochtenen Dogma der Staatsrechtslehre geworden" ist: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Organ, Organisation, Juristische Person, in: Christian-Friedrich Menger (Hrsg.), Fortschritte des Verwaltungsrechts, Festschrift für Hans J. Wolff zum 75. Geburtstag, 1973, S. 269 ff. (S. 273 f.), der selbst einen Neuansatz entwickelt (S. 287 ff). 56
§ 1 Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Forschungsgegenstand
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auch dem Staat, vermittelt durch seine Organe, relative (subjektive) Rechte zustehen können, ist zwar umstritten65, materiell geht es hier aber nur um die Möglichkeit, gerade von dem oder den anderen Beteiligten der jeweiligen Rechtsbeziehung ein Tun oder Unterlassen verlangen zu können, und damit um die in diesem Zusammenhang herkömmlich „Kompetenz" genannte Rechtsmacht66. Entscheidend ist die Zuordnung der Leistungs- und Verhaltenspflichten - denen ein entweder „Kompetenz" oder „subjektives Recht" genannter Anspruch korrespondiert - zu der Rechtsbeziehung von zwei oder mehreren Rechtssubjekten in Abgrenzung zu den sogenannten absoluten Rechten, die nach geläufiger Definition gegenüber jedermann gelten67. Damit ist das Schuldverhältnis kein spezifisch privatrechtlicher Begriff, sondern auch zur Erfassung öffentlich-rechtlich geregelter Lebenssachverhalte geeignet und nach der - zugegebenermaßen weitgefaßten - Definition nicht selten. Sind derartige Rechtsbeziehungen verwaltungsrechtlich geordnet, handelt es sich um verwaltungsrechtliche Schuldverhältnisse. Freilich gewannen sie im öffentlichen Recht im allgemeinen und im Verwaltungsrecht im besonderen bisher nur geringe Bedeutung: Dem Gesetzgeber ist das öffentlich-rechtliche Schuldverhältnis unbekannt geblieben68, in Lehre und Rechtswissenschaft hat dagegen zumindest das verwaltungsrechtliche Schuldverhältnis, wenn auch nicht als Grundkategorie und Ordnungsmodell wie im Privatrecht 69, sondern auf einem eher speziellen Gebiet, nämlich dem Staatshaftungsrecht, seinen festen Platz. Dort fungiert es als Zweckschöpfung der Rechtsprechung, mittels derer die Haftungsvorschriften des BGB in gewissen, besonders engen Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Bürger zur Anwendung gebracht werden 70,
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Dazu etwa die Abhandlung von Hartmut Bauer, Subjektive öffentliche Rechte des Staates Zugleich ein Beitrag zur Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, DVB1. 1986, S. 208 ff. nebst der Kontroverse mit Albert Bleckmann, DVB1. 1986, S. 666 ff.; vgl. ferner Böckenförde, Organ, S. 302 ff. 66 Insoweit - nämlich als Möglichkeit der Durchsetzung rechtlich konstituierter Verhaltenspflichten - erkennen subjektive öffentliche Recht des Staates auch etwa Erichsen, Verwaltungshandeln, S. 233 f. (§11 Rdnr. 42) und Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 149 (§8 Rdnr. 2) an. 67 Zu diesen klärend und abgrenzend Henke, DÖV 1980, S. 621 ff. (S. 624 f.); Ehlers, DVB1. 1986, S. 912 ff. (S. 913); ferner Papier, Forderungsverletzung, S. 23 ff. 68 Anders nur die Kommission für die Landesordnung (Hrsg.), die im Entwurf einer Verwaltungsrechtsordnung für Württemberg von 1931 das Vierte Buch (Art. 188 ff.) mit der Überschrift „Die Schuldverhältnisse des öffentlichen Rechts" versah, zu denen (Art. 202) auch die „Schuldverhältnisse aus Verträgen" gehörten. 69 Anders aber für die Leistungsverwaltung Ehlers, DVB1. 1986, S. 912 ff. (S. 914 ff.), der das verwaltungsrechtliche Schuldverhältnis als formellen und materiellen Ordnungsrahmen einführen, ihm damit aber die Funktion zuweisen möchte, die in der neueren Verwaltungsrechtsdogmatik das Rechtsverhältnis erfüllt. 70 In der Rechtsprechung ist diese spezielle Form der Haftung seit langem anerkannt; vgl. BGHZ 54, S. 299 ff. (S. 303); 61, S. 7 ff. (S. 11).
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1. Kap.: Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Problem des Verwaltungsrechts
und dort ist auch der Ort seiner wissenschaftlichen Diskussion 71 . Nur vereinzelt wurde es in der rechtswissenschaftlichen Diskussion in einen größeren Zusammenhang gestellt 72 , jedoch fanden die dadurch jeweils gegebenen Anregungen nur spärlichen Widerhall. Nicht erfüllt ist indessen bisher die schon vor einiger Zeit erhobene Forderung, „das verwaltungsrechtliche Schuldverhältnis auszugestalten, indem ... bestimmte Nebenleistungspflichten anerkannt und diese auch sanktioniert werden" 7 3 . Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang darauf, daß das verwaltungsrechtliche Schuldverhältnis, soweit es sich um ein solches vertraglicher oder vertragsnaher Natur handelt, in einem ungeklärten Verhältnis des Neben- oder Übereinander zu den verschiedenen, häufig als „informell" gekennzeichneten Handlungsweisen des „kooperativen Staates" 74 steht. Eine klare Abgrenzung vermochte in diesem Bereich bisher weder im Hinblick auf tatsächliche Unterscheidungskriterien noch bezüglich der auf das informelle Handeln anzuwendenden Rechtsnormen herausgearbeitet zu werden; vielmehr drängt sich zuweilen die Frage auf, ob der Unterschied zwischen einem Vertrag und den verschiedenen „tatsächlichen Absprachen", „Verständigungen", „agreements" und „Übereinkünften" mehr als nur ein terminologischer ist 7 5 . Das Vertragsrecht 71 So etwa bei Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 732 ff. (§ 28 Rdnr. 2 ff.); Fritz Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 4. Aufl., 1991, S. 286 ff.; Wolfgang Rüfrier, Das Recht der öffentlich-rechtlichen Schadensersatz- und Entschädigungsleistungen, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 581 ff. (S. 654 ff. [§ 50 Rdnr. 9 ff.]). Speziell zu dem verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnis, das aufgrund der polizeilichen Beschlagnahme von Wohnraum zugunsten Obdachloser entsteht, und daraus resultierenden Schadenersatzansprüchen HansJoachim Cremer, Ansprüche des Wohnungseigentümers gegen den Polizeiträger auf Ausgleich von Schäden infolge einer Obdachloseneinweisung, VB1BW 1996, S. 241 ff. (S. 244 ff., 248). 72 Zum Beispiel durch Lutz Eckert, Leistungsstörungen in verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnissen, DVB1.1962, S. 11 ff. ; Simons, Leistungsstörungen; Joachim Blume, Schuldrechtsähnliche Sonderverbindungen im öffentlichen Recht, 1967; Schwär, Leistungsstörungen, der - S.21 ff. - ohne inhaltliche Abweichungen den Begriff „Schuldverhältnis" durch „Leistungsverhältnis" ersetzt; Bernd Janson, Verwaltungsrechtliches Schuldverhältnis, Verwaltungsverfahrensgesetz und Reform der Staatshaftung, DÖV 1979, S. 696 ff.; Ehlers, DVB1. 1986, S. 912 ff. (S. 914) mit berechtigter Kritik an der Eingrenzung des Schuldverhältnisses auf vermögensrechtliche Rechtsbeziehungen, wie sie in der älteren Literatur üblich war (ebenso Papier, Forderungsverletzung, S. 59 f.); Berthold Gries/Elmar Willebrand, Entstehung der auf Leistung oder Nutzung gerichteten verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisse, JuS 1990, S. 103 ff.; dies., Beendigung der auf Leistung oder Nutzung gerichteten verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisse, JuS 1990, S. 193 ff. 73 Wolf gang Löwer, Staatshaftung für unterlassenes Verwaltungshandeln, 1979, S. 227. 74 Umfassend zu Verhandlungsstrategien und -lösungen im öffentlichen Recht die Beiträge in Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Band I und II, 1990, sowie Hill (Hrsg.), Verwaltungshandeln; Hans-Werner Rengeling, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, 1989; Bernd Holznagel, Konfliktlösung durch Verhandlungen, 1990; Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, S. 45 ff. 75 Vgl. auch die nicht ganz konsequenten Stellungnahmen zur Bindungswirkung derartiger Absprachen und ihrem Verhältnis zum Rechtsinstitut Vertrag bei Hartmut Maurer, Der Verwaltungsvertrag - Probleme und Möglichkeiten, in: Hill (Hrsg.), Verwaltungshandeln, S. 15 ff. (S. 25, 29, 38). Zu Recht plädiert allerdings Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, S. 129, 137 deutlich gegen eine undifferenzierte Übertragung der für das Vertragsrecht geltenden Normen und Er-
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stellt hier ein Angebot dar, mit Hilfe eines bewährten und anerkannten Rechtsinstituts zu mehr Rechtssicherheit zu gelangen, welches bislang jedoch von der Praxis nicht angenommen wurde 7 6 .
Π. Thematische Eingrenzungen Damit bedarf eine Arbeit, die sich eine Klärung von Bestand und Bedeutung vorvertraglicher Schuldverhältnisse im Verwaltungsrecht zur Aufgabe macht, keiner großen Rechtfertigung. Denn die dogmatische Aufarbeitung des Vertragsrechts kann am Problemkreis des Vorvertraglichen nicht vorbeigehen. Wohl aber ist dabei eine Beschränkung auf ein Teilgebiet des Vertragsrechts angezeigt: Wegen der Funktionen- und Anwendungsvielfalt des Vertrages im öffentlichen Recht und der daraus fließenden Zahl an vorvertraglichen Schuldverhältnissen und ihren Gestaltungsformen soll im folgenden der Verwaltungsvertrag - also der Vertrag zwischen Verwaltungsträgern und Bürgern oder Verwaltungsträgern untereinander 77 , deren Gegenstand verwaltungsrechtliche Rechtsbeziehungen sind - im Mittelpunkt stehen, wobei ein Schwerpunkt auf Verträgen aus dem Regelungsbereich der Verwaltungsverfahrensgesetze liegt. Z u eigen sind die Gegebenheiten verfassungsrechtlicher 78, Völker- und kirchenrechtlicher 79 Verträge, als daß sie im Rahmen dieser Arbeit behandelt werden könnten. Ebensowenig erscheint es angezeigt, sich der Sonderprobleme öffent-
kenntnisse auf zweiseitiges schlichtes Verwaltungshandeln, insbesondere auf informelle Absprachen zwischen Verwaltung und Privaten, nicht zuletzt weil eine derartige „Formalisierung" in Gestalt einer Verrechtlichung des Informellen unweigerlich Vermeidungs- und Umgehungsstrategien nach sich ziehen würde. Diese notwendige Differenzierung schließt es allerdings zum einen nicht aus, das Vertragsrecht zum Ausgangspunkt für die Entwicklung eines spezifischen rechtlichen Entscheidungsrahmens im Hinblick auf informelle Absprachen zu machen (so Schulte, aaO., S. 129); zum anderen ist es auch geboten, dogmatische Ehrlichkeit walten zu lassen, indem dann, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen eines öffentlich-rechtlichen Vertrags i. S. der §§ 54 ff. VwVfG erfüllt sind, die Normen des kodifizierten Vertragsrechts Anwendung finden müssen, ohne daß deren Umgehung mittels eines Ausweichens auf das von einfachrechtlichen normativen Vorgaben bislang weitgehend freie (Schulte, aaO., S. 130) Phänomen der informellen Absprachen zulässig wäre. 76 Vgl. Udo Di Fabio , Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 469. 77 In hergebrachter, zu zeitgemäßer Rechtsauffassung nicht mehr passender Terminologie wird er als „subordinations-" bzw. „koordinationsrechtlicher" Vertrag bezeichnet, so etwa bei Kopp, VwVfG, § 54 Rdnr. 17 ff. 78 Diese beziehen sich auf die rechtliche Grundordnung des Staates, so die Definition von Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 483 (§ 21 Rdnr. 231). 79 Sie betreffen eine Frage der internationalen Beziehungen bzw. die Abgrenzung der Rechtssphären des Staates und der Religionsgesellschaften; beide Arten sind sehr häufig (so Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 483 [§ 21 Rdnr. 229 f.]). Auch die Privatrechtswissenschaft betont die Eigenständigkeit der in dieser und der vorangegangenen FN angesprochenen Verträge, die etwa eine Anwendung privatrechtlicher Normen generell ausschließt, so Hermann Dilcher, in: Julius v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 12. Aufl. (Stand der Bearbeitung: Januar 1979), Vorbemerkung zu §§ 145 ff. Rdnr. 60.
32 1. Kap.: Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Problem des Verwaltungsrechts lichrechtlicher Verträge unter Privaten anzunehmen80. „Vorvertragliche Schuldverhältnisse im Verwaltungsrecht" sind demgemäß gegenseitige Rechts- und Pflichtenbeziehungen, die im Vorfeld eines - wenigstens zeitweise in Aussicht genommenen - Vertragsschlusses zwischen zwei oder mehreren Verwaltungsträgern oder zwischen Bürgern und Verwaltungsträgern bestehen. Damit ist das im folgenden in den Blick zu nehmende Gebiet deskriptiv abgegrenzt, soll soweit als möglich aber im Bezugsrahmen allgemeiner verwaltungsrechtlicher Entwicklungen erörtert werden. Dazu ist es notwendig, den Standort des Themas in der neueren Verwaltungsrechtslehre, speziell der Dogmatik des Verwaltungsvertragsrechts, aufzuzeigen (§2) und sodann auf die Stellung des Vertrages „zwischen"81 oder „über" 82 den öffentlich- bzw. privatrechtlichen Teilordnungen einzugehen (§ 3).
§ 2 Der Selbststand des Verwaltungsvertragsrechts Die Beschäftigung mit dem Verwaltungsvertrag hat erst in neuerer Zeit begonnen, sich von überkommenen Betrachtungsweisen zu lösen, traditionelle Streitfragen als geklärt zu betrachten und ihn stattdessen als eigenständiges, grundsätzlich anerkanntes, aber entwicklungsfähiges und -bedürftiges Rechtsinstitut zu begreifen. Indessen ist dadurch bereits ein „Selbststand" des Vertragsrechts erreicht, den in erster Linie die von Art. 20 Abs. 3 GG vorgegebenen speziellen rechtlichen Bindungen staatlicher Vertragsbeteiligter einerseits, die auf die Erfüllung öffentlicher Aufgaben gerichtete Zweckbindung der Verträge andererseits ausmachen83. In funktionaler Hinsicht kommen noch Aspekte wie Flexibilität, Akzeptanzsicherung und Partizipation des Bürgers an Verwaltungsaufgaben hinzu 84 , die ebenfalls als Spezifikum des Verwaltungsvertrages gelten85. Diese Grundlagen müssen stets mitberücksichtigt werden,
80 Dazu Thomas Clemens, öffentlich-rechtliche Verträge zwischen Privaten, Die Verwaltung 12 (1979), S. 380 ff; Alfons Gern, Der Vertrag zwischen Privaten über öffentlichrechtliche Berechtigungen und Verpflichtungen, 1977; ders., Zur Möglichkeit öffentlichrechtlicher Verträge zwischen Privaten, NJW 1979, S. 694 ff; Hans-Hermann Kasten/Arnulf Rapsch, Der öffentlichrechtliche Vertrag zwischen Privaten - Phänomen oder Phantom?, NVwZ 1986, S. 708 ff 81 Von einer „Quasi-ZWitterstellung" des Verwaltungsvertrages spricht Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 54 Rdnr. 1. 82 S. dazu unten § 3 I. 83 Bauer, Anpassungsflexibilität, S. 254 f.; Krebs, VVDStRL 52 (1993), S. 248 ff (S. 256). 84 Diese Gesichtspunkte waren gelegentlich - im Zuge der Diskussion über den „kooperativen Staat" - Anlaß für eine besonders unkritisch-lobende Einschätzung von Verwaltungsverträgen, dazu Bauer, Anpassungsflexibilität, S. 250 f. m. w. N. 85 Zu Parallelen im Hinblick auf eine moderne Dogmatik des Verwaltungsakts vgl. Friedrich Schoch, Der Verwaltungsakt zwischen Stabilität und Flexibilität, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität, S. 199 ff.
§ 2 Der Selbststand des Verwaltungsvertragsrechts
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um dem Verständnis des Verwaltungsrechts als eines Systems, zu dem die Wissenschaft Prinzipien und Bauelemente beiträgt 86, gerecht zu werden.
I. Prozedurales Denken im Vertragsrecht In Verfolgung dieses Anliegens gilt es nun, weitere Grundlagen für die folgenden Überlegungen zu skizzieren. Von erheblicher Bedeutung für das moderne Verwaltungsrecht im allgemeinen und das Vertragsrecht im besonderen ist die Erkenntnis, daß die herkömmliche, an den „Handlungsformen" orientierte Betrachtungsweise ihr Augenmerk immer nur auf ,,Momentaufnahme[n] innerhalb sich entwickelnder Beziehungen"87 und auf einzelne „Fixpunkte"88 richtete. Die Erweiterung dieser verengenden Perspektive beruht auf einem stärker verfahrensbezogenen Denken, das nicht nur die Entscheidung, sondern auch den zu ihr führenden Prozeß zunächst als faktisches Ereignis und dann als rechtlich geordnetes Verfahren in den Blick nimmt 89 , den Charakter der Entscheidung als Zäsur eines sie tragenden Zeitverlaufs darstellt90 und die rechtsdogmatische Funktion der in den „Handlungsformen" vertypten Entscheidungen als „Speicher"91 anerkennt. Berücksichtigt man diese Sichtweise zunächst im engeren Rahmen der Vertragsrechtsdogmatik, kann sie zu deren fruchtbarer Modifikation führen, indem insbesondere die Zeitdimension92 und das Recht der komplexen Verträge 93 aufgenommen werden. Dazu bietet sich eine Orientierung an der „prozeduralen" Konzeption an, die in neuerer Zeit den Vertrag 86 Dazu Eberhard Schmidt- Αβmann, Zur Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts - Reformbedarf und Reformansätze, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 11 ff. (S. 13). 87 So die Charakterisierung des Verwaltungsakts durch Otto Bachof, Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, WDStRL 30 (1972), S. 193 ff. (S. 231) (Klammerzusatz hinzugefügt). 88 Ehlers, DVB1. 1986, S. 912 ff. (S. 914). 89 Zu dieser Entwicklung Hermann Hill y Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S. 193 ff. 90 Daß demgegenüber das Verwaltungsverfahrensgesetz noch stark der traditionellen Sichtweise anhängt, ist schon früh festgestellt worden: Walter Schmitt Glaeser, Anspruch, Hoffnung und Erfüllung - Das Verwaltungsverfahren und sein Gesetz - eine einleitende Bemerkung, in: ders. (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Richard Boorberg Verlags, S. 1 ff. (S. 36). 91 Schmidt-Aßmann, DVB1. 1989, S. 533 ff. (S. 533); Walter Pauly, Grundlagen einer Handlungsformenlehre im Verwaltungsrecht, in: Kathrin Becker-Schwarze u. a. (Hrsg.), Wandel der Handlungsformen im öffentlichen Recht, 1991, S. 25 ff. (S. 35 ff.) zu den daraus im einzelnen zu ziehenden Folgerungen. 92 Für deren Berücksichtigung pointiert Peter Häberle, Das Verwaltungsrechtsverhältnis - eine Problemskizze, in: ders., Die Verfassung des Pluralismus: Studien zur Verfassungstheorie der offenen Gesellschaft, 1980, S. 248 ff. (S. 262); Ehlers, DVB1. 1986, S. 912 ff. (S. 914); speziell zum Vertragsrecht Krebs, WDStRL 52 (1993), S. 248 ff. (S. 252). Für das Privatrecht Norbert Horn, Die Vertragsdauer als schuldrechtliches Regelungsproblem, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Band 1,1981, S. 551 ff. 93 Zu deren Vernachlässigung im öffentlichen Vertragrecht Schmidt-Aßmann, Reform, S. 59.
3 Keller
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1. Kap.: Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Problem des Verwaltungsrechts
auch juristisch als Ereignis in der Zeit erfaßt 94 . Sie gliedert die Sonderbeziehung der (zu Beginn lediglich potentiellen) Vertragspartner in mehrere, zeitlich aufeinanderfolgende Phasen, von denen die vorvertragliche nur eine ist, und sucht sie j e für sich und auch in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit zu systematisieren und hinsichtlich der für die einzelnen Phasen spezifischen Rechtsfragen einer Lösung zuzuführen. Diese Sichtweise ist nun keineswegs neu oder gar revolutionär 95 : Sie knüpft einerseits an die Gliederungsweise privatrechtlicher Darstellung a n 9 6 und entspricht damit Vorschlägen, sich von der Dreiteilung in Verträge öffentlichrechtlicher, verwaltungsprivatrechtlicher und rein privatrechtlicher N a t u r 9 7 zu lösen 98 , da die hierfür vorausgesetzte Einordnung 99 konkreter Verträge in dieses Dreierschema erhebliche Schwierigkeiten verursacht und für die Lösung spezifischer Rechtsfragen häufig ineffektiv bleibt 1 0 0 . Einer solchen Fortent-
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So bereits Häberle, Verwaltungsrechtsverhältnis, S. 250 f. (insbesondere in FN 25) für Verwaltungsrechtsverhältnisse allgemein; speziell für den Vertrag Krebs, VVDStRL 52 (1993), S. 248 ff. (S. 259); Rainer Pitschas weist in seinem Diskussionsbeitrag (VVDStRL 52 [1993], S. 328 ff. [S. 330]) auf die verwaltungswissenschaftliche Wurzel dieser Vorgehensweise hin. 95 Schon 1971 kennzeichnete Winfried Brohm, Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, VVDStRL 30 (1972), S. 245 ff. (S. 253 ff.) die an der punktuell-individualistischen Entscheidung der Verwaltung ausgerichtete Rechtslehre als „herkömmlich" und forderte die stärkere Berücksichtigung ihrer Gestaltungsfunktion und des Verfahrens (sowie der Verwaltungsorganisation). 96 So beginnt etwa die Darstellung des privatrechtlichen Schuldverhältnisses durch Larenz, Schuldrecht AT, mit dessen Begründung (S. 39 ff), wendet sich sodann den daraus fließenden Rechten und Pflichten zu (S. 125 ff.) und behandelt schließlich seine Beendigung (S. 235 ff). 97 Zu dieser schon klassisch zu nennenden Einteilung, die zwar generell für das Handeln der Verwaltung gelten soll, bei Verträgen aber besonders virulent wird, Friedrich von Zezschwitz, Rechtsstaatliche und prozessuale Probleme des Verwaltungsprivatrechts, NJW 1983, S. 1873 ff; Hans Christian Röhl, Verwaltung und Privatrecht - Verwaltungsprivatrecht?, VerwArch 86 (1995), S. 531 ff; speziell im Hinblick auf das Verwaltungsvertragsrecht Wilfried Braun, Der öffentlich-rechtliche Vertrag im Spannungsfeld zwischen Verwaltungsakt und verwaltungsprivatrechtlichem Rechtsgeschäft, JZ 1983, S. 841ff. (S. 844 ff). 98 Positiv dazu vor allem Krebs, VVDStRL 52 (1993), S. 248 ff. (S. 257 f., 273ff); SchmidtAßmann/Krebs, Rechtsfragen, S. 117 ff, 162 ff; Spannowsky, Grenzen, S. 47 f. 99 Vgl. Klaus Lange, Die Abgrenzung von öffentlichrechtlichem und privatrechtlichem Vertrag, JuS 1982, S. 500 ff; ders., Die Abgrenzung des öffentlichrechtlichen Vertrages vom privatrechtlichen Vertrag, NVwZ 1983, S. 313 ff; Volker Neumann, Dogmatische und prinzipiengeleitete Argumente bei der Abgrenzung von Verwaltungsverträgen, DÖV 1992, S. 154 ff. sowie aus jüngster Zeit etwa Hien, FS Schlichter, S. 137ff. Für die Spruchpraxis der Gerichte maßgeblich geworden ist in dieser Frage die Entscheidung des Gemeinsamen Senates der obersten Gerichtshöfe des Bundes, BGHZ 97, S. 312ff. (S.314), wonach es für die Zuordnung eines Vertrages auf dessen „Gegenstand und Zweck" ankommt. In der neueren verwaltungsgerichtlichen Judikatur etwa werden diese Abgrenzungskriterien beispielsweise herangezogen von BVerwGE 97, S. 33 Iff. (S. 335); VGH Mannheim, VB1BW 1994, S. 17ff. (S. 18). 100 So auch Hien, FS Schlichter, S. 141. Daß es indessen bei der Zuordnung nicht nur um eine rein akademische Fragestellung geht, beweist etwa der Umstand, daß die Vorschriften des Wettbewerbsrechts nach überwiegender Auffassung nur auf privatrechtliche, nicht aber auf öffentlichrechtliche Verträge Anwendung finden sollen (vgl. Falk Frhr. v. Maitzahn, Zur kartellrechtlichen
§ 2 Der Selbststand des Verwaltungsvertragsrechts
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wicklung stehen aber noch vor jeder inhaltlichen Auseinandersetzung überkommene und teilweise untereinander widersprüchliche Dogmen entgegen, so - neben der genannten Dreiteilung als Frage inhaltlicher Rechtsbindung - etwa die Lehre von der „Formenwahlfreiheit der Verwaltung" 101, die eine Ermessensentscheidung der Verwaltung über das anzuwendende (Teil-)Recht möglich sein läßt. Ebenso ist es aber weithin anerkannt, daß die Zuordnung eines jeweils gegebenen Vertrages anhand objektiver Kriterien und nicht nach dem Willen der Verwaltung zu erfolgen hat 102 . Dadurch wird unsicher, wer die Qualifikationskompetenz hinsichtlich eines Vertrages unter Beteiligung der Verwaltung innehat: Sie selbst oder das objektive Recht103? Hier zeigen sich Problemlagen - die eine dogmatische Zusammenführung verwaltungs- und privatrechtlicher Verträge unter dem einheitlichen Oberbegriff „Verwaltungsvertrag" - noch - erheblich erschweren. Zum anderen ist der Bezug dieser phasenspezifischen Betrachtungsweise zur Rechtsverhältnislehre 104, insbesondere hinsichtlich der Berücksichtigung des Zeitmoments, unverkennbar, die ihrerseits wieder durch zahlreiche „Parallelen zum BGB und seinen 'Rechtsweisheiten'"105 die Querverbindung zum Privatrecht herstellt. Im Ordnungsrahmen der Rechtsverhältnislehre lassen sich damit die Anliegen des Verwaltungsvertragsrechts dogmatisch am besten und harmonischsten verwirklichen.
Π. Verminderung der Abstraktionshöhe Ein weiteres Grunddatum der Vertragsrechtsdogmatik ist ihre beträchtliche Abstraktionshöhe, die sich aus der fragmentarischen, im wesentlichen - von verstreuten Einzelregelungen abgesehen - allgemeine Regelungen enthaltenden gesetzlichen Vorordnung einerseits, aus der mittlerweile erreichten Breite und Vielfalt des Einsatzes von Verträgen 106 andererseits ergibt 107 . Die Entwicklung Kontrolle öffentlich-rechtlicher Verträge, GRUR 1993, S. 235 ff. [S. 236 m. w. N.], der selbst allerdings einige Zweifel an dieser Ansicht anmeldet [aaO., S. 240]). ιοί Dazu Ehlers, Privatrechtsform, S. 64 ff.; Christoph Gusy, Freiheit der Formenwahl und Rechtsbindung der Verwaltung, Jura 1985, S. 578 ff.; Bernhard Kempen, Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung, 1989; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 39 ff. (§ 3 Rdnr. 9). In der Rechtsprechung jedenfalls ist diese - in fragwürdiger Terminologie „Freiheit" genannte - Befugnis der Verwaltung, „frei zu entscheiden, ob sie sich zur Erfüllung ihrer Aufgaben der Form des öffentlichen oder der des privaten Rechts bedient", anerkannt (BVerwGE 92, S. 56 ff. [S. 64]). 102 Scherzberg, t JuS 1992, S. 205 ff. (S. 206) m. w. N. 103 Dieser Widerspruch wird gemeinhin zugunsten des objektiven Rechts aufgelöst. Vgl. Ehlers, Privatrechtsform, S.71; Scherzberg, JuS 1992, S.205ff. (S.206); Krebs, WDStRL 52 (1993), S. 248 ff. (S. 275 f.); differenzierend A/awrer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 344 (§ 14 Rdnr. 9). 104 Zu ihr bereits oben § 112 b. 105 Häberle, Verwaltungsrechtsverhältnis, S. 262. 106 Ygi dazu die Nachweise oben in FN 46 f. 107 Vgl. Krebs, WDStRL 52 (1993), S. 248 ff. (S. 256, 259, 277).
36 1. Kap.: Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Problem des Verwaltungsrechts eines „Besonderen Vertragsrechts" blieb bisher vernachlässigt108, damit wurde aber auch die Chance nicht genutzt, ausgehend von den speziellen Bedürfnissen einzelner Vertragstypen spezifische Lösungen zu entwickeln. Solches wäre Aufgabe der Dogmatik, die dabei eine Mittlerfunktion zwischen Gesetz und konkretem Einzelfall - aus jenem die Prinzipien, aus diesem das Regelungsbedürfnis herleitend und beide in Einklang zu bringen suchend - einzunehmen hätte 109 . Hierauf zielen auch die Vorschläge, die die Einziehung „dogmatischer Zwischenebenen" ins Vertragsrecht als ein dringliches Agendum der Wissenschaft ansehen110.
ΙΠ. Verwaltungsrecht und Verwaltungsverfahren als Modus der Rechtskonkretisierung Dieses von Stufe zu Stufe voranschreitende Vorgehen bietet zudem die Gelegenheit, das zum Abschluß eines Vertrages (oder zu einem sonstigen Ergebnis) führende Verwaltungsverfahren als notwendigen Teil des Verwirklichungsprozesses, dessen die generell gefaßten Gesetzesvorschriften notwendig bedürfen 111, in einer Weise aufzunehmen, die sowohl die Vorgaben von Gesetz und Verfassung beachtet als auch der eigenständigen Rechtskonkretisierung durch Verwaltung und Bürger gerecht wird. Hierbei ist die prozedurale, phasenspezifische Betrachtungsweise des Vertrages in eine solche des Verwaltungsrechts insgesamt einzuordnen: Die Problembewältigung (in soziologischer Terminologie: Reduktion von Komplexität112) erfolgt in einem gestuften, vom Erlaß eines in der Regel allgemein formulierten Gesetzes über die Phase der Normkonkretisierung durch die Wissenschaft und im Verwaltungsverfahren bis
los Anders nur im Städtebaurecht, das seit jeher ein Hauptanwendungsfeld für Verwaltungsverträge war: Walter Krebs, Baurecht, in: Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 10. Aufl., 1995, S. 299 ff. (S. 392 [Rdnr. 175]). 109 In diesem Sinne Winfried Brohm, Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit als Steuerungsmechanismen in einem polyzentrischen System der Rechtserzeugung, DÖV 1987, S. 265 ff. (S. 268). 110 Krebs, VVDStRL 52 (1993), S. 248 ff. (S. 259 f., konkretisiert durch den Entwurf einer Vertragstypologie, S. 277 ff.). 111 Zu dieser Funktion Rainer Wahl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL 41 (1983), S. 151 ff. (S. 153); Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 199 f. 112 Hierzu Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 3. Aufl., 1993, zum Verwaltungsverfahren insbes. S. 203 ff. sowie Joachim Martens, Die Praxis des Verwaltungsverfahrens, 1985, S. 29. Damit verbunden ist eine rechtssoziologische Funktionsbestimmung des Rechts, die dieses angesichts zunehmender Komplexität als „selektive Struktur** zur Ermöglichung von Entscheidungen im Zeitablauf deutet, wobei der Entscheidungsprozeß in sich wiederum stark funktional differenziert ist; vgl. Niklas Luhmann, Rechtssoziologie, 3. Aufl., 1987, S. 234 ff., 343 ff. (insbesondere S. 347).
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hin zur Entscheidung113, gegebenenfalls bis zur gerichtlichen Überprüfung, ablaufenden Prozeß der Rechtsverwirklichung, wobei als dessen Subjekte eben nicht nur der Gesetzgeber und später die Judikative, sondern auch die Verwaltung und der mitwirkende Bürger berufen sind 114 . Dies führt jedoch nicht zu einer geminderten Verantwortlichkeit der Verwaltung, deren Pflichten im Verwaltungsverfahren durch derartige neue Sichtweisen nicht überspielt werden dürfen 115. Solcher Rahmenbedingungen rechtlicher und tatsächlicher Art muß sich auch eine Dogmatik vorvertraglicher Schuldverhältnisse im Verwaltungsrecht bewußt halten: nicht um eine Modernität um jeden Preis zu erreichen, sondern um klassische rechtsstaatliche Grenzziehungen und Strukturierungen behutsam und doch zeitgemäß - mit dem nüchternen Ziel erhöhter Leistungsfähigkeit von Verwaltung und Verwaltungsrecht 116 - fortzuentwickeln.
§ 3 Der Vertrag zwischen privatem und öffentlichem Recht I. Gemeinsamkeiten und Überschneidungen Im vorangegangenen Paragraphen wurden vornehmlich die Aufgaben, Ziele und Fragestellungen moderner Verwaltungsrechtslehre angesprochen, an denen sich auch diese Untersuchung zu orientieren hat. Nur als Grundmotiv klang dabei eine Gegebenheit an, die in mehrfacher Hinsicht das öffentliche Vertragsrecht prägt: die Unterscheidung von Privatrecht und öffentlichem Recht 117 . 113 Diese kann ihrerseits ebenfalls gestuft, also in mehreren Phasen erfolgen: vgl. etwa Eberhard Schmidt-Aßmann, Institute gestufter Verwaltungsverfahren: Vorbescheid und Teilgenehmigung Zum Problem der Verfahrensrationalität im administrativen Bereich, in: Otto BachoffLudwig Heigl/Konrad Redeker (Hrsg.), Verwaltungsrecht zwischen Freiheit, Teilhabe und Bindung, Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverwaltungsgerichts, 1978, S. 569 ff.; zusammenfassend zu Vorbescheid, Teilgenehmigung und vorläufigem Verwaltungsakt sowie verwandten Phänomenen Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 211 ff. (§ 9 Rdnr. 58 ff.). 114 Dazu Schmidt-Aßmann, Reform, S. 47; zur Ergänzungsfunktion konsensualer Steuerungstechniken auch Gunnar Folke Schuppert, Konfliktmittlung bei Verhandlungen und Verwaltungsverfahren, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung, Band II, S. 29 ff. (S. 30 ff.); ferner Wahl, VVDStRL 41 (1983), S. 151 ff. (S. 153). 115 Zu alledem Eberhard Schmidt-Aßmann, Konfliktmittlung in der Dogmatik des deutschen Verwaltungsrechts, in: Hoffinann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung, Band II, S. 1 ff. (S. 16). 116 Diese Funktion von Kommunikation und Kooperation betont auch Schuppert, Konfliktmittlung, S.33; die einfach- und verfassungsrechtlichen Grenzen hierfür zeigen Philip Kunig/Susanne Rublack, Aushandeln statt Entscheiden? - Das Verwaltungsverfahrensrecht vor neuen Herausforderungen, Jura 1990, S. 1 ff. (S. 5 ff., 7 ff.) auf. 117 Vollständigkeit der Nachweise zu diesem Thema anzustreben kann nicht Ziel dieser Untersuchung sein, die sich insoweit im folgenden auf exemplarische Belege beschränkt. Grundsätzlich etwa Otto Bachof, Über öffentliches Recht, in: ders./Heigl/Redeker (Hrsg.), Festgabe BVerwG, S. 1 ff.; Martin Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, 1968; Egon Christ, Die Verwaltung
38 1. Kap.: Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Problem des Verwaltungsrechts Grundsätzlich liegt es gerade im öffentlichen Vertragsrecht nahe, nicht nur hinsichtlich des formalen Rahmens - der phasenspezifischen Betrachtungsweise - , sondern möglichst umfassend auf das Privatrecht und seine dogmatischen Reservoirs zuzugreifen, was von der Klärung der Frage abhängt, ob hier mehr als eine äußerlich-technische Anleihe überhaupt zulässig ist: Stellt - von der Warte des öffentlichen Vertragsrechts aus gesehen - das private Vertragsrecht ein auf so grundlegend verschiedenen Prämissen aufgebautes System dar, daß es sich allenfalls als „rechtstechnisches Ordnungsmodell"118 eignet, aus dem einzelne Bausteine herausgebrochen und transponiert werden können? Oder läßt sich nicht die Entwicklung eines „Gemeinrechts"119 denken, das die Zweiteilung dort überwindet, wo sie nicht verfassungsrechtlich oder funktional zwingend vorgegeben ist? Mit dieser Fragestellung verbinden sich zugleich zwei unterschiedliche methodische Wege, privatrechtliche Normen ins öffentliche Recht aufzunehmen 120, nämlich entweder die analoge und damit die Herkunft aus dem Privatrecht betonende, für die sich der Gesetzgeber in § 62 S. 2 VwVfG entschieden hat, oder die unmittelbare und auf einem gemeinsamen Grundstock an Regelungen aufbauende Anwendung. Hier stehen die Positionen noch vergleichsweise unversöhnlich nebeneinander: Wird zuweilen eine Struktur des „materiellen Verwaltungsrechtssatzes" und der Staat-Bürger-Beziehung nach Einleitung eines Verwaltungsverfahrens beschrieben, die deren Ähnlichkeit mit dem Anspruchsverhältnis des Privatrechts herausarbeitet 121 und letztlich in Rechtsanwendung und Verfahren nur die Herausarbeitung und Konkretisierung der jeweils auf Rechtsnormen zurückzuführenden gegenseitigen Rechte und Pflichten sieht 122 , so ist der Unterschied eines verwaltungsrechtlichen zum privatrechtlichen Schuldverhältnis
zwischen öffentlichem und privatem Recht - Erörtert am Beispiel von Realakt und Vertrag, 1984; Jean Nicolas Druey, Privatrecht als Kontaktrecht, JöR N. F. 40 (1991/1992), S. 149 ff.; ChristianFriedrich Menger, Zum Stand der Meinungen über die Unterscheidung von öffentlichem und privatem Recht, in: ders. (Hrsg.), FS Wolff, S. 149 ff.; Schmidt, Die Unterscheidung; historisch: Jan Schröder, Privatrecht und öffentliches Recht - Zur Entwicklung der modernen Rechtssystematik in der Naturrechtslehre des 18. Jahrhunderts, in: Hermann Lange/Knut Wolfgang Nörr/Harm Peter Westermann (Hrsg.), Festschrift für Joachim Gernhuber zum 70. Geburtstag, 1993, S. 961 ff. 118 Krebs, WDStRL 52 (1993), S. 248 ff. (S. 257); ähnlich Ehlers, Privatrechtsform, S. 87 („technischer Normenkomplex"); von Zezschwitz, NJW 1983, S. 1873 ff. (S. 1875): Ermöglichung „umfassender Institutionenleihe", daneben aber auch Schutzfunktion durch die zwingenden Normen des Privatrechts. 119 Dazu Bullinger, Öffentliches Recht, S. 81 ff.; Häberle, Verwaltungsrechtsverhältnis, S. 264 mit Bezug auf das Vertragsrecht. 120 Dazu - auch mit Blick auf den Gesetzesvorbehalt - Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 53 ff. (§ 3 Rdnr. 28 ff.), Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 297. 121 So Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 185; Martens, Praxis, S. 13. 122 J. Martens, Praxis, S. 12 ff.; S. 41 ff. hinsichtlich des Verwaltungsverfahrens; vgl. auch schon dens., Normenvollzug durch Verwaltungsakt und Verwaltungsvertrag, AöR 89 (1964), S. 429 ff. (S. 468): Zusammenfassung von Verwaltungsakt und Verwaltungsvertrag unter dem Oberbegriff „Rechtsgeschäft des Verwaltungsrechts".
§ 3 Der Vertrag zwischen privatem und öffentlichem Recht
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darauf reduziert, daß im Verwaltungsverfahren der Behörde zusätzlich noch die Befugnis zur Verfahrensleitung obliegt 123 ; gerade materiellrechtlich ist damit aber eine schuldrechtlich-vertragliche Konzeption nicht nur möglich, sondern geboten, um in dieser Weise das Recht der Verwaltung in ein Recht der Beziehungen zwischen Bürger und Verwaltung fortzuentwickeln 124. Von einer derartigen Position aus müßte das Thema dieser Arbeit in den Mittelpunkt des Interesses rücken, weil hiermit ein notwendiges Durchgangsstadium nicht nur einer vertraglichen, sondern jeder Verwaltung-Bürger-Beziehung direkt oder mindestens in analoger Weise bezeichnet und erfaßt wäre 125 . Nun ist eine Sichtweise, die von einer so grundsätzlichen Strukturgleichheit ausgeht, keineswegs die gängige; sie wird wohl auch weder den beiden Rechtsgebieten und ihren unterschiedlichen Funktionen noch der mittlerweile erreichten Komplexität der gegenseitigen Verflechtungen gerecht. Allerdings wird im öffentlichen Recht immer häufiger in Rechtsverhältnissen gedacht126, wird die nur terminologische Verschiedenheit zwischen privatrechtlicher „Anspruchsgrundlage" und öffentlich-rechtlicher „Eingriffsermächtigung" konstatiert 127 und stellen auch „Nebenpflichten im Verwaltungsverfahren", die ihre Nähe zu den „Nebenpflichten" des Privatrechts 128 schon terminologisch dokumentieren, durchaus ein Thema der Verwaltungsrechtslehre dar 129 . In engstem Zusammenhang mit dem hier zu erörternden Thema wurde zur Erfassung des „zweiseitig-informellen Verwaltungshandelns" vorgeschlagen, die im Privatrecht mit Blick auf vorvertragliche Kontaktverhältnisse entwickelten Figuren eben die Grundsätze der culpa in contrahendo - heranzuziehen130. Das alles sind Einflüsse, die auf eine Osmose vom Privatrecht ins öffentliche Recht schließen lassen, weil und soweit nicht mehr die Verwaltung und ihr Handeln allein, sondern immer mehr die Rechtsbeziehung mit mindestens zwei Betei-
123
J. Martens, Praxis, S. 43. So das Ziel von Joachim Martens, Der Bürger als Verwaltungsuntertan, KritV 1986, S. 104 ff. (S. 128), das mit den als „Verhaltensnormen" für Bürger und Staat zu verstehenden Normen des Besonderen Verwaltungsrechts und der VwVfGe zu erreichen sei. 125 J. Martens, Praxis, S. 41 ff., erfaßt diese Phase vor allem als diejenige des entscheidungsvorbereitenden Verwaltungsverfahrens, die durch eine Vielzahl von Rechte und Pflichten beider Seiten konstituierender, in der Struktur den materiellen Verwaltungsrechtssätzen gleicher Verfahrensnormen geprägt werden, die in ihrer Gesamtheit ein „Verfahrensrechtsverhältnis" darstellen (S. 44 f.). 126 Dazu oben § 112 b. 127 Fritz Ossenbühl, Rechtsquellen und Rechtsbindungen des Verwaltungsrechts, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 111 ff. (S. 174 [§ 9 Rdnr. 5]). 128 Vgl. zu diesen Larenz, Schuldrecht AT, S. 6 ff. 129 Paul Stelkens, in: ders./Bonk/Sachs, VwVfG, § 9 Rdnr. 21; J. Martens, Praxis, S. 85 ff., 125 ff.; spezieller Klaus Grupp, Mitwirkungspflichten im Verwaltungsverfahren, VerwArch 80 (1989), S. 44 ff. 130 Bauer, VerwArch 78 (1987), S. 241 ff. (S. 263); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 398 (§ 15 Rdnr. 20). 124
40 1. Kap.: Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Problem des Verwaltungsrechts ligten und die spezifischen Gegebenheiten gerade dieser Sonderverbindung 131 in den Mittelpunkt des Interesses rücken. Nimmt man die schon angesprochene Erfassung der Zeitdimension hinzu, so liegt es nahe, auch das verwaltungsrechtliche Schuldverhältnis als „Gefüge und Prozeß" zu betrachten. Spiegelbildlich dazu findet man auf Seiten des Privatrechts keinesfalls eine gegen das öffentliche Recht hermetisch abgeschüttete Bastion vor 132 : die Privatautonomie als Strukturprinzip des Privatrechts ist eine vielfältig gebundene, eingeschränkte und rechtlich verfaßte Freiheit 133. Das gilt schon aufgrund der ihr durch die zahlreichen zwingenden Normen des Privatrechts selbst gezogenen Grenzen. Was die Einwirkungen von seiten des öffentlichen Rechts anbetrifft, so sei lediglich exemplarisch daraufhingewiesen, daß die sogenannten „Verbotsgesetze", die über § 134 BGB die Wirksamkeit privatrechtlicher Rechtsgeschäfte zu verhindern vermögen, zumeist verwaltungsrechtlicher Natur 134 sind. Und ein auf den ersten Blick dem öffentlichen Recht fernliegendes Rechtsgeschäft wie der Verkauf eines Grundstücks erfordert zu seiner Wirksamkeit nicht nur eine notarielle, also staatliche Beurkundung 135 , sondern darüber hinaus noch in der Regel mehrere Genehmigungen136 als Beispiele für „privatrechtsgestaltende Verwaltungsakte"137, die schon begrifflich Zeugnis von dem hier Gemeinten geben - welche der Abschluß- und Inhaltsfreiheit ein recht enges Korsett anlegen. Die Beispiele wären leicht zu vermehren 138.
131
Dies war stets auch ein Anliegen der Rechtsverhältnislehre, siehe nur Ehlers, DVB1. 1986, S. 912 ff. (S. 914); kritisch zur in diesem Zusammenhang häufig postulierten Gleichordnung von Staat und Bürger, dennoch positiv gegenüber der stärkeren Beachtung relativer Rechtsbeziehungen und der Betonung von Gegenseitigkeit und Konnexität Schmidt-Aßmann, DVB1. 1989, S. 533 ff. (S. 539 f.). 132 Die gegenseitige Annäherung der beiden Rechtskreise betonen auch Ehlers, Privatrechtsform, S. 45 f., ders., Verwaltung und Verwaltungsrecht im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 1 ff. (S. 53 ff. [§ 2 Rdnr. 61 ff.]); vgl. ferner die Beratungen auf der Zürcher Staatsrechtslehrertagung unter dem Thema „Verwaltungsrecht als Vorgabe für Zivil- und Strafrecht" mit Berichten von Meinhard Schröder und Hans D. Jarass (WDStRL 50 [1991], S. 196 ff., 238 ff.); in seinem Begleitaufsatz DVB1. 1990, S. 963 ff. (S. 964) spricht Fritz Ossenbühl von einer solchen Vielfalt der Verbindungen, daß deren klar strukturierte Systematisierung nicht mehr möglich sei; ein generell ablehnendes Vorverständnis gegenüber dem öffentlichen Recht auf Seiten der Privatrechtswissenschaft diagnostizierte in einem Diskussionsbeitrag allerdings Martin Bullinger (WDStRL 50 [1991], S. 296 f.). 133 Henke, Recht der Wirtschaftssubventionen, S. 28; Ossenbühl, DVB1. 1990, S. 963 ff. (S. 967); aus privatrechtlicher Perspektive Lorenz, Schuldrecht AT, S. 39 ff. 134 Jarass, WDStRL 50 (1991), S. 238 ff. (S. 248). 135 §313 BGB. 136 So etwa gemäß §§ 2 ff. Grundstücksverkehrsgesetz. 137 Zu ihnen Erichsen, Verwaltungshandeln, S. 250 f. (§12 Rdnr. 16 f.); allgemein zur „Privatrechtsgestaltung durch das Verwaltungsrecht" Ossenbühl, DVB1. 1990, S. 963 ff. (S. 965 f.) sowie umfassend Gerrit Manssen, Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt, 1994, insbesondere S. 19 ff. zu den Typen und Formen der Einwirkung staatlichen Handelns auf das Privatrecht. 138 Sie finden sich etwa bei Jarass, WDStRL 50 (1991), S. 238 ff. (S. 241 ff.), dort auch eine Systematisierung (S. 250 ff.); zu den Gründen einer Vorgabewirkung des Verwaltungsrechts, die mit den topoi Einheit der Rechtsordnung, Systemgerechtigkeit, Vertrauens- und Grundrechtsschutz zu umschreiben sind, Schröder, WDStRL 50 (1991), S. 196 ff. (S. 204 ff.).
§ 3 Der Vertrag zwischen privatem und öffentlichem Recht
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Π. Notwendige Grenzziehungen 1. Normative und strukturelle
Unterschiede
Doch sind bei aller Annäherung positivrechtliche (die Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes139 oder die gesetzlichen Rechtswegzuweisungen140 nötigen nach wie vor zu der tradierten Unterteilung 141) und strukturelle Unterschiede zwischen privatem und öffentlichem Recht nicht zu verkennen, die sich auch im Vertragsrecht niederschlagen und ihm daher einen außergewöhnlichen Reichtum an Bezügen verleihen. Zu diesen grundsätzlichen strukturellen Divergenzen zwischen den beiden Rechtskreisen zählen etwa ihre unterschiedlichen Funktionen: Das öffentliche Recht dient in erster Linie der Begründung und Begrenzung staatlicher Befugnisse, während das Privatrecht die Verwirklichung privatautonomer Freiheit durch die Regelung des rechtsgeschäftlichen Verkehrs bezweckt142. Ebenso sind die im Fluß der Zeit beständigen Grundlagen wie die verfassungsmäßige Trennung von Staat und Gesellschaft, Differenziertheit aller rechtlichen Schutzmechanismen und Regelungen sowie Distanz staatlichen Handelns von Partikularinteressen als rechtsstaatliches Strukturprinzip 143 Beweise für strukturelle Besonderheiten des ius publicum und insbesondere auch Konstanten des Selbststandes des Verwaltungsvertrags 144. Damit ist eine allzu simplifizierende Verwischung der Unterschiede auszuschließen; die Annäherung darf nicht zu einer Preisgabe funktional begründeter Differenzierungen führen. 2. Öffentliches
und privates Interesse
Zu den genannten Umständen kommt die Differenz der von den (potentiellen) Parteien verfolgten Zwecke und der ihrem Handeln zugrundeliegenden Interessen145 hinzu: staatliche Beteiligte haben auch beim Abschluß von Verwaltungsverträgen die Verwirklichung von Staatsaufgaben, damit letztlich das Gemeinwohl, zu verfolgen 146. Diese Pflicht hat der Gesetzgeber für 139
Vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. §§ 13 GVG, 40 VwGO. Weitere Beispiele bei Ehlers, Verwaltung und Verwaltungsrecht, S. 31 (§2 Rdnr. 12). 142 So Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 43 (§ 3 Rdnr. 13); zur funktionalen Begründung der Besonderheiten der beiden Rechtskreise ferner Ehlers, Privatrechtsform, S. 42 ff. 143 Schmidt-Aßmann, DVB1. 1989, S. 533 ff. (S. 539). 144 Dazu oben § 2. 145 Schmidt-Aßmann, Reform, S.37, der die Vernachlässigung dieses Themas im Verwaltungsrecht konstatiert; s. aber etwa Hans J. Wolff/Otto Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl., 1974, S. 166 ff.; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, S. 338 ff. (§ 29 Rdnr. 1 ff.); Peter Habe rie, öffentliches Interesse als juristisches Problem, 1970; Matthias Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, 1992. 146 Krebs, WDStRL 52 (1993), S. 248 ff. (S. 256), der dies als Grund für eine Emanzipation vom Privatrecht ansieht; allgemein zu Staatszwecken, Staatszielen und Staatsaufgaben: HeinzChristoph Link, Georg Ress, Staatszwecke im Verfassungsstaat - nach 40 Jahren Grundgesetz, 140 141
42 1. Kap.: Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Problem des Verwaltungsrechts den Teilbereich der vom VwVfG geregelten Verträge nochmals ausdrücklich in die Kodifikation aufgenommen 147. Im öffentlichen Vertragsrecht wurde und wird das „öffentliche Interesse" auch darüber hinaus immer wieder bei der Lösung von Einzelproblemen herangezogen148. Demgegenüber liegt dem Handeln des Einzelnen in der Regel das Bestreben, seinen eigenen Nutzen zu mehren, zugrunde. Unter der Rechtsordnung des Grundgesetzes bedeuten Gemeinwohlbindung des Staates und eigennütziges Handeln des Einzelnen zwar keinen absoluten Gegensatz, sondern eine Ergänzung 149. Dennoch ist hiermit eine Grenze für den kooperativen Staat markiert 150. Denn „Einzel-" und „öffentliches Interesse" stehen zwar nicht im Verhältnis strikter Ausschließlichkeit151, sondern in dem -von Einzelfall zu Einzelfall variierender - Überlappung, die sich dann und wann sogar bis zur „Symbiose" des Bürgers zur Verwaltung ausdehnen mag 152 . Diese wird und sollte aber nicht die Regel sein, führen doch gerade solche - häufig nur vermeintlichen - Übereinstimmungen leicht zu einer Selektivität der Interessenberücksichtigung und Gefährdung von Drittpositionen153. Die Interessenkongruenz zwischen staatlicher und privater Seite bleibt daher bei aller Sympathie für Konsens und Kooperation partiell. Konkretisieren läßt sich eine derartige Übereinstimmung etwa am Beispiel einer Pflicht staatlicher Verhandlungsbeteiligter, das Bestreben privater Kontrahenten nach fehlerfreier Willensbildung im Vorfeld des Vertrages durch Aufklärung und Information zu
VVDStRL 48 (1990), S. 7 ff., 56 ff.; zu Verwaltungsaufgaben Rainer Wahl, Die Aufgabenabhängigkeit von Verwaltung und Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform, S. 177 ff. 147 § 56 Abs. 1 S. 1 VwVfG. 148 So etwa in bezug auf die clausula rebus sie stantibus - dazu m. w. N. Bauer, Anpassungsflexibilität, S. 286 - und auch bei der Diskussion der „Leistungsstörungen", insbesondere des dabei anzulegenden Verschuldensmaßstabs, im Verwaltungsrecht - dazu an dieser Stelle nur Simons, Leistungsstörungen, S. 147 ff., 156 ff.; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, S. 827 (§55 Rdnr. 38) sowie unten § 20 I. 149 Vgl. dazu Josef Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, in: ders./Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band III: Das Handeln des Staates, 1988, S. 3 ff. (S. 15 [§ 57 Rdnr. 28 f.]). 150 Zum ganzen Henke, Recht der Wirtschaftssubventionen, S. 31 ff. 151 Vor „plakativen Charakterisierungen" warnt in diesem Zusammenhang auch Jarass, VVDStRL 50 (1991), S. 238 ff. (S. 241); zum differenzierten Verhältnis von öffentlichen und privaten Interessen, das sich etwa in tatbestandlichen Koppelungen ausdrückt, Häberle, Öffentliches Interesse, S. 60 ff. 152 So Häberle, Verwaltungsrechtsverhältnis, S. 257. 153 Diese Gefahren sind zumeist als Folgen „informeller" Kooperation dargestellt worden, gelten für die „formelle" aber auch - dazu etwa Bauer, VerwArch 78 (1987), S. 241 ff. (S. 254 f.); Wolfgang Hoffmann-Riem, Selbstbindungen der Verwaltung, VVDStRL 40 (1982), S. 187 ff. (S. 203 ff.); Ernst-Hasso Ritter, Das Recht als Steuerungsmedium im kooperativen Staat, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1 (1990), S. 50 ff. (S. 59); Spannowsky, Grenzen, S. 48 ff., je mit w. N. zu diesem vielerörterten Thema; daher sieht Hoffmann-Riem, Verwaltungsrechtsreform, S. 115 ff. (S. 147) den Staat im Rahmen konsensualen Handelns als Treuhänder von Gemeinwohlinteressen und Instanz zur Vermeidung privaten Machtmißbrauchs in die Pflicht genommen.
§ 3 Der Vertrag zwischen privatem und öffentlichem Recht
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unterstützen154 - hier decken sich privates Interesse an Übereinstimmung zwischen Wille und Erklärung und öffentliches Interesse an Zustandekommen und Rechtsbeständigkeit des Vertrags 155.
ΙΠ. Folgerungen 1. Grundsätzliche Aussagen Alles in allem bringt dies eine ungewöhnliche Zahl von Fluchtlinien mit sich, an denen sich die Rechtsdogmatik gleichzeitig orientieren muß - stehen sich doch Privatautonomie des einzelnen als grundrechtsgeschützte Freiheit und rechtssatzgebundene Verfaßtheit staatlicher Verwaltungsträger im Vertragsrecht in ein und derselben Sonderverbindung gegenüber, die anders als sonstige verdichtete Staat-Bürger-Beziehungen auf die Erzielung eines vom übereinstimmenden Willen beider Beteiligter getragenen Rechtserfolgs gerichtet ist! Da es um die Freiheit geht 156 , darf die Differenzierung nicht als lästiger Ballast abgetan werden, wenn auch gewisse phänomenologische Parallelen zwischen Gestaltungsspielräumen der Verwaltung als Symptom nachlassender Vorordnung und Steuerung durch das Gesetz -die die gesetzesergänzende und rechtsetzende Funktion moderner Verwaltung begründet157 - und privatautonomer Abschluß- und Inhaltsfreiheit des Bürgers ins Auge fallen mögen158. Trotz alldem ist die Unterscheidung zwischen grundrechtlich geschützter Freiheit und rechtssatzgebundener Verfaßtheit nicht nur quantitativ im Sinne eines Mehr an gesetzlicher Bindung der Exekutive bei sonst gleichen Ausgangsbedingungen, sondern fundamental und qualitativ, weil schon die Entstehung und später jedes Handeln staatlicher Organisationseinheiten auf Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) zurückgeführt werden muß. 2. Die Übertragung privatrechtlicher
Modelle ins öffentliche
Recht
Die Stellung des Vertragsrechts zwischen öffentlichem und privatem Recht eröffnet trotz aller notwendigen Abgrenzung der beiden Rechtsgebiete die Möglich-
154 Beispiel nach Peter Krause, Willensmängel bei mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakten und öffentlichrechtlichen Verträgen, JuS 1972, S. 425 ff. (S. 427). 155 Die Existenz eines solchen öffentlichen - hier auch gesetzgeberischen - Interesses belegen die Resultate der unter den Schlagwörtern „Vorrang der Vertragsform" und „erhöhte Fehlerresistenz" geführten Diskussion, dazu an dieser Stelle statt aller Scherzberg, JuS 1992, S. 205 ff. (S. 209 f., 212 ff.) m. w. N. 156 Henke, Recht der Wirtschaftssubventionen, S. 9. 157 Zu diesen Zusammenhängen Brohm, DÖV 1987, S. 265 ff. (S. 267); zu weiteren Funktionszuwächsen der Verwaltung Wahl, WDStRL 41 (1983), S. 151 ff. (S. 158 f.). 158 Vgl. Hill, NJW 1986, S. 2602 ff. (S. 2609); Detlef Göldner, Gesetzmäßigkeit und Vertragsfreiheit im Verwaltungsrecht, JZ 1976, S. 352 ff. kommt inhaltlich trotz mißverständlicher Terminologie nicht zu abweichenden Schlußfolgerungen (S. 358).
44 1. Kap.: Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Problem des Verwaltungsrechts keit, die Tauglichkeit der „Rechtsweisheiten"159 des Privatrechts zur Bewältigung dieser vergleichsweise neuartigen Problemlagen innerhalb von „Sonderverbindungen" zwischen Staat und Bürger zu überprüfen. Allerdings ist vorschneller Optimismus in bezug auf die Fungibilität privatrechtlicher Ordnungsmodelle schon deswegen fehl am Platze, weil das Privatrecht insbesondere im Recht der Schuldverhältnisse stets im Fluß ist und einem Prozeß dynamischer Fortentwicklung unterliegt, ohne seinerseits in allen Bereichen von sicheren Grundlagen aus operieren zu können160. Dies gilt in besonderem Maße für das Recht der vorvertraglichen Schuldverhältnisse: Dort verlief die Entwicklung der Lehre von der culpa in contrahendo keinesfalls bruchlos und hat bis heute noch keine so gefestigten Ergebnisse gezeitigt, daß das bisher Erreichte nicht schon in sich immer neuer Überprüfung fähig und bedürftig wäre. Denn insbesondere die Rechtsprechung trieb angesichts von Regelungsbedürfhissen des Einzelfalls, die durch Anwendung des Gesetzesrechts nicht befriedigend zu erfüllen waren - etwa aufgrund des als lückenhaft empfundenen Deliktsrechts - die Fortbildung der bruchstückhaften Regelungen des BGB voran 161 . Die dabei gewonnenen Ergebnisse werden zwar häufig in einer allgemein-rechtssatzförmigen Formulierung zusammengefaßt 162, die jedoch dadurch belastet ist, daß die vielfältigen Erweiterungen und Erstreckungen der Lehre zumeist nicht unter dem Gesichtspunkt einer Systembildung geschahen. Dies nötigt zu einer so abstrakten Fassung des Rechtsgrundsatzes, daß zwischen ihn und seine Anwendung auf den Einzelfall die Bildung und Ausdifferenzierung zahlreicher Fallgruppen eingeschoben werden muß 163 . In Konsequenz dieser Tatsache sehen manche den Begriff culpa in contrahendo heute nurmehr als Chiffre für gänzlich unterschiedliche Fallgrup-
159
Häberle, Verwaltungsrechtsverhältnis, S. 262. Daher ist das Schuldrecht Ort einer besonders ausgeprägten „Fortbildung, Differenzierung und Verfeinerung der gesetzlichen Regeln" durch die Rechtsprechung (Larenz, Schuldrecht AT, S. 2). 161 Zur Entwicklung seit Inkrafttreten des BGB etwa Medicus, FG Käser, S. 175 ff. (insbesondere zu Modifikationen der Ansätze yJherings durch das BGB); etappenweise begleitet und aus der Sicht auch des Praktikers nachgezeichnet ist sie von Nirk, RabelsZ 1953, S. 310 ff.; ders., FS Möhring 1965, S. 385 ff.; ders., FS Möhring 1975, S. 71 ff.; Bohrer, Die Haftung, S. 104ff. zur Rechtsprechung des Reichsgerichts, S. 151 ff. zu der des Bundesgerichtshofs; der heutige Stand ist wiedergegeben bei Emmerich, Jura 1987, S. 561 ff.; ders., Das Recht der Leistungsstörungen, 3. Aufl., 1991, S. 41 ff. 162 Bildet bereits die Suche nach den materiellen Grundlagen der Haftung aus culpa in contrahendo nach wie vor einen der „Brennpunkte der zivilrechtlichen Diskussion" (Emmerich, Leistungsstörungen, S. 40), so können die Versuche, die Tatbestandsvoraussetzungen in rechtssatzförmiger Präzision zu erfassen, noch weniger als gesichert gelten (vgl. dazu unter kritischer Würdigung entsprechender Vorschläge aùch Medicus, Verschulden, S. 485 f.). 163 In der privatrechtlichen Forschung wird etwa von Emmerich, Leistungsstörungen, S.41 und Medicus, Verschulden, S. 487 die Einigkeit hervorgehoben, die dahingehend bestehe, daß am Anfang dogmatischer Aufbereitung der culpa in contrahendo die Bildung von Fallgruppen stehen müsse. 160
§ 3 Der Vertrag zwischen privatem und öffentlichem Recht
45
pen an, deren einzige Gemeinsamkeit darin bestehe, daß sie von den Haftungstatbeständen des BGB nicht erfaßt werden 164. Dieses Ausmaß, in dem das Rechtsinstitut sich auf den verschiedensten Einsatzfeldern zu bewähren hatte und hat, führt zwar -unabhängig von der Möglichkeit bruch- und lückenloser systematischer Eingliederung-auch dazu, daß es „im Begriff ist, sich zu einem zentralen Rechtsinstitut... unserer Rechtsordnung überhaupt zu entwickeln"165. Diese Entwicklung besteht aber nicht darin, daß die Anwendung eines gesicherten Kanons von Grundregeln ausgedehnt und verfeinert wird, weil die dafür erforderliche Einigkeit nicht existiert. Vielmehr muß sich jede Beschäftigung mit vorvertraglichen Schuldverhältnissen auch der Grundlagen stets aufs Neue vergewissern. 3. Parallele Institute des öffentlichen
Rechts
Nur hinzuweisen ist an dieser Stelle darauf, daß auch das öffentliche Recht Konstellationen anerkennt, die eine ähnliche Sonderbeziehung mit verdichteter Pflichtenlage zumindest auf Seiten des Staates, zuweilen aber auch auf der des Bürgers 166 darstellen. Als Ausschnitt hieraus sind „Vorrechtsverhältnisse" also nicht allein eine Domäne des Privatrechts, sondern werden - zumeist im Zusammenhang mit der Suche nach Anspruchsgrundlagen für Schadensersatzforderungen - auch im öffentlichen Recht diskutiert 167. Hier ist nicht nur die Amtspflichtverletzung als konkurrierende Anspruchsgrundlage zugunsten privater Verhandlungspartner 168 zu nennen, sondern auch der sozialrechtliche Herstellungsanspruch 169, unter welcher Kurzbezeichnung ein eigener Weg er164 Vgl. Emmerich, in: Münchener Kommentar zum BGB, vor §275 Rdnr. 48; auch Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 172 weist auf eine Diskrepanz zwischen dem begrifflich Ausgesagten („nur ein Vorwurf in einer bestimmten Situation") und dem eigentlich Gemeinten hin. 165 Emmerich, Leistungsstörungen, S. 45. 166 Siehe etwa den „verfahrensrechtlichen Nebenpflichten" gewidmeten Abschnitt bei Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 9 Rdnr. 21. Mit der „Bürgerhaftung als Gegenstück zur Staatshaftung" beschäftigt sich der gleichnamige Aufsatz von Jost Hüttenbrink, DÖV 1982, S. 489 ff. 167 Vgl. aus der Diskussion in Österreich Karl Korinek/Michael Holoubek, Grundlagen staatlicher Privatwirtschaftsverwaltung, 1993, S. 24. 168 Die Anspruchsmehrheit wurde vom Gesetzgeber anerkannt in § 15 Nr. 1 des vom BVerfG (E 61, S. 149 ff.) für nichtig erklärten Staatshaftungsgesetzes (BGBl. 19811, S. 553). Siehe zu dieser Konkurrenzfrage Littbarski, JuS 1979, S. 537 ff. (S. 539 ff.), ferner Heinz Joachim Bonk, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 1996, Art. 34 Rdnr. 48, der im Hinblick auf die vorvertraglichen Schuldverhältnisse des Verwaltungsrechts von „Staatshaftung im weiteren Sinne" spricht. 169 Dazu Karl-Jürgen Bieback, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch als Institut staatlicher Haftung für rechtswidriges Verwaltungshandeln, DVB1. 1983, S. 159 ff.; Winfried Brugger, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch · Wildwuchs oder Baustein im System der Staatshaftung für rechtswidriges Verwaltungshandeln?, AöR 112 (1987), S. 389 ff. (S. 419 ff. zum Verhältnis zur Haftung aus einem Schuldverhältnis und zur culpa in contrahendo); Rainer Pietzner/Judith Müller, Herstellungsanspruch und Verwaltungsgerichtsbarkeit, VerwArch 85 (1994), S. 603 ff.; Maximilian Wallerath, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch und die Herrschaft des Rechts, DÖV 1994, S. 757 ff.
46 1. Kap.: Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Problem des Verwaltungsrechts faßt wird, auf dem sich Pflichtverletzungen in der Phase der Annäherung zwischen Sozialverwaltung und Bürger einer Lösung zuführen lassen.
§ 4 Der Vertrag zwischen materiellem und Verfahrensrecht I. Allgemeine Zusammenhänge Eine weitere Dichotomie, die im Vertragsrecht von Bedeutung ist, stellt die Trennung von Verfahrens- und materiellem Recht 170 dar. Diese ließe sich im Privatrecht ebenfalls durchführen -man denke an die Form- und Zugangsvorschriften des BGB 1 7 1 - , dort scheint jedoch kein Bedürfiiis nach ihr zu bestehen, wenn man das Gerichtsverfahren hier wie dort außer Betracht läßt. Im öffentlichen, speziell im Verwaltungsrecht kann auf sie schon deswegen nicht verzichtet werden, weil sie in einigen Normen des positiven Rechts vorausgesetzt wird 172 . Verwaltungsverfahren und -entscheidung dürfen allerdings nicht isoliert, sondern müssen als Phasen in einem System der Rechtsverwirklichung gesehen werden, das von unterschiedlichen, durch Verfassung und Gesetz berufenen Subjekten getragen wird 173 , wobei das Verfahren als planvoll geordneter Vorgang der Informationsgewinnung und -Verarbeitung in der Verantwortung eines Trägers öffentlicher Verwaltung anzusehen ist, das der Hervorbringung administrativer Entscheidungen dient 174 . Damit findet das Verfahren seine zutreffende Einordnung als „staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie" 175, die aber auch nicht überbewertet werden darf 176 . Die Bedeutung des Verfahrensrechts liegt neben und wegen seiner soeben angedeuteten systematischen Funktion darin, daß es innerhalb des Vorganges der Rechtskonkretisierung den sensiblen Bereich der Berührungsflächen von Staat und Gesellschaft regelt und damit zuallererst berufen ist, den Formen kooperativen und konsensualen
170 Dazu Peter Badura, Das Verwaltungsverfahren, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 415 ff. (S. 420 ff. [§ 33 Rdnr. 7 ff.]); Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 220 ff.; Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR III, S. 623 ff. (S. 626 f. [§ 70 Rdnr. 5 ff.]). 171 Das hebt auch Häberle, Verwaltungsrechtsverhältnis, S. 254 FN 52 hervor. 172 Vgl. etwa §§ 45,46 VwVfG. 173 Dazu oben § 2 III. 174 Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, S. 624 (§ 70 Rdnr. 1). 175 Peter Lerche/Walter Schmitt Glaeser/Eberhard Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- u verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984. 176 Wie es im Gefolge der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum „Grundrechtsschutz durch Verfahren" (insbesondere E 53, S.30ff.; 61, S.82ff.) geschah; Eberhard SchmidtAßmann, Der Verfahrensgedanke in der Dogmatik des öffentlichen Rechts, in: Lerche/Schmitt Glaeser/Schmidt-Aßmann, Verfahren, S. 1 ff. (S. 4) spricht hier von einem Prozeß des Einpendeins auf den richtigen Stellenwert.
§ Der Vertrag zwischen a t e m und
e h e c h t
47
Staatshandelns (das ja genauso ein Bürgerhandeln ist) dogmatische Formung zu geben und sie ans allgemeine Verwaltungsrecht anzubinden177.
Π. Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Problem des Verfahrensrechts? Wenn derartige Annäherungsprozesse auf einen Vertragsabschluß angelegt sind, kann ihre juristische Domestizierung mittels des vorvertraglichen Schuldverhältnisses erfolgen. Insoweit trifft sich die Aufgabe der Verfahrensrechtsdogmatik mit dem Anliegen der vorliegenden Arbeit: Die Erfassung und Systematisierung vorvertraglicher Schuldverhältnisse soll genau der angemahnten Stabilisierung und Strukturierung in diesem Bereich dienen. Dabei lassen sich die Funktionen des Verwaltungsverfahrens auch nach den Beteiligten differenzieren: Einerseits sollen Verwaltungsaufgaben gefördert und verwirklicht, andererseits aber die Interessen des Bürgers durch Recht gewahrt werden 178 . Unter diesen Leitgesichtspunkten sollten die Besonderheiten „verfahrensbezogenen Denkens" im Gesamtzusammenhang verwaltungsrechtlicher Rechtsverwirklichung von allen dazu Berufenen berücksichtigt werden so etwa das unterschiedliche Gewicht von Verfahrensnormen, die Betonung der Zweckmäßigkeit der Verfahrensgestaltung (§ 10 VwVfG) und eine sorgfältige, bereichsspezifische und mit den verfassungsmäßigen Vorgaben in Einklang gebrachte gesetzliche Vorordnung 179. Die Verbindung des Themas dieser Arbeit zum Verfahrensrecht beruht aber nicht nur darauf, daß dieses eine Phase im Prozeß der Rechtsverwirklichung normativ ordnet, welche sich zeitlich teilweise mit der hier zu erfassenden Phase vor Vertragsschluß überschneidet. Als normative Vorgabe für das Verwaltungsvertragsrecht regelt das VwVfG ausdrücklich das zum Abschluß eines verwaltungsrechtlichen Vertrages führende Verfahren 180. Hier werden also zum ersten Male spezielle Normen sichtbar, die der Regelung „vorvertraglicher Schuldverhältnisse im Verwaltungsrecht" dienen, und sie haben die soeben be177 Dazu Schmidt-Aßmann, Verfahrensgedanke, S. 5 f.; Friedrich Schoch, Der Verfahrensgedanke im allgemeinen Verwaltungsrecht - Anspruch und Wirklichkeit nach 15 Jahren VwVfG, Die Verwaltung 25 (1992), S. 21 ff. (S. 24). 178 Schoch, Die Verwaltung 25 (1992), S. 21 ff. (S. 23 ff.); zum hier anklingenden Thema eines im Schwerpunkt von seinen Funktionen her geprägten Verfahrensrechts umfassend die Beratungen auf der Staatsrechtslehrertagung 1982 mit Berichten von Rainer Wahl und Jost Pietzcker zum Thema „Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag", VVDStRL 41 (1983), S. 151 ff., 193 ff. 179 Schmidt-Aßmann, Verfahrensgedanke, S. 16 ff. 180 § 9 VwVfG. Soweit § 62 S. 1 VwVfG auf die Geltung der übrigen Vorschriften des VwVfG verweist, sind damit ebenfalls hauptsächlich die verfahrensrechtlichen Vorschriften in Bezug genommen (vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 54 Rdnr. 5; § 62 Rdnr. 4 f.). Allgemein zum Verhältnis des VwVfG zum Verfahrensrecht Schoch, Die Verwaltung 25 (1992), S. 21 ff. (insbesondere S. 32 ff.); Klaus Obermayer, Dogmatische Probleme des Verwaltungsverfahrens, in: Schmitt Glaeser (Hrsg.), FS Boorberg-Verlag, S. 111 ff.
48 1. Kap.: Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Problem des Verwaltungsrechts schriebene stabilisierende Funktion im Vorfeld des Vertragsabschlusses, wenn sie auch fast ausschließlich Pflichten der staatlichen Seite begründen. Des weiteren läßt sich vom Verfahrensrecht aus eine Verbindung zu den in § 2 behandelten allgemeinen Entwicklungen des Vertragsrechts ziehen, da das „Verfahrensrechtsverhältnis" als Bündel gegenseitiger, aufeinander bezogener Rechte und Pflichten in der Rechtslehre einen festeren Platz eingenommen hat als das (allgemeine) Rechtsverhältnis181. In Verbindung mit der eben angesprochenen Existenz einer gewissen gesetzlichen Vorordnung dieses Abschnittes könnte der Schluß naheliegen, es bedürfe lediglich der Entfaltung dieses Verfahrensrechtsverhältnisses, um die vorvertraglichen Schuldverhältnisse im wesentlichen zu erfassen. Dies ist aber ein Trugschluß: Zum einen erschöpft sich das Thema nicht in verfahrensrechtlichen Fragen, denn es sind auch Pflichten und Rechte außerhalb des Verwaltungsverfahrens 182 zu untersuchen; zum anderen stellt das Verwaltungsverfahren in den vom VwVfG gezogenen Grenzen 183 seinerseits nur „den 'harten Kern' der möglichen Verwaltungsverfahrensrechtsverhältnisse" 184 und damit insgesamt lediglich einen Ausschnitt aus der Phase der vorvertraglichen Rechtsbeziehungen dar. Zu klären wird allerdings noch die Frage sein, wie weit die Überschneidungen im Hinblick auf die einzelnen Gegenstände diese Untersuchung reichen.
§ 5 Gang der Untersuchung Nachdem nunmehr der Standort und das normative Fundament des öffentlichen Vertragsrechts überblicksweise kenntlich gemacht worden sind, ist lediglich eine weitere Prämisse dieser Untersuchung noch nachzutragen: Auch wenn gerade in der Vertragsdogmatik die vermehrte Berücksichtigung verwaltungswissenschaftlicher Forschung gefordert wird 1 8 5 , bleibt das Erkenntnisinteresse dennoch in erster Linie juristisch. So ist die Aufnahme der Zeitdimension in die Vertragsdogmatik gewiß ein berechtigtes Anliegen, dem allgemein durch deren „phasenspezifische", „prozedurale" Konzeption Rechnung getragen und das spe181 So Bauer, Die Verwaltung 25 (1992), S. 301ff. (S. 316); zu den Inhalten etwa Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 9 Rdnr. 5 ff, 13 ff; J. Martens, Praxis, S. 41 ff; Kopp, VwVfG, Vorbem § 9 Rdnr. 6. 182 Zu ihnen Hans-Gimter Henneke, Informelles Verwaltungshandeln im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht - Zwischenbilanz zur Erfassung eines seit zehn Jahren benannten Phänomens, NuR 1991, S.267ff. (S.275); Hill, Dasfehlerhafte Verfahren, S.281,316f.; GerdWedemeyer, Kooperationen beim Vollzug des Umweltrechts, 1991, S. 235 f.; die Unabhängigkeit der Pflichtenbindung von der Einleitung eines Verwaltungsverfahrens betont auch Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 9 Rdnr. 21. 183 Zu diesen teils kritisch Pietzcker, WDStRL 41 (1983), S. 193 ff (S. 214 f.). 184 Ulrich Beyerlin, Schutzpflichten der Verwaltung gegenüber dem Bürger außerhalb des formellen Verwaltungsverfahrens?, NJW 1987, S. 2713 ff (S. 2718). 185 Bauer, Anpassungsflexibilität, S. 248; vgl. in allgemeinerem Zusammenhang etwa Pauly, Grundlagen einer Handlungsformenlehre, S. 38; Joachim Jens Hesse, Aufgaben einer Staatslehre heute, Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 1 (1987), S. 55 ff (S. 77, 80).
§ 5 Gang der Untersuchung
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ziell durch die Untersuchung einzelner Phasen wie etwa der vorvertraglichen verwirklicht wird. Darüberhinaus läßt sich eine solche Phase in sich entsprechend ihrem zeitlichen Ablauf gliedern. Dieser auch im Privatrecht übliche und naheliegende Aufbau darf jedoch nicht zugunsten einer Überbetonung empirischer Befunde und daraus abgeleiteter vermeintlich typischer Abläufe des Lebenssachverhalts „Vertragsanbahnung" das primär rechtswissenschaftliche Anliegen dieser Untersuchung verdecken: In einem ersten Schritt ist daher nach den Rechtsgrundlagen der verdichteten Rechts- und Pflichtenbeziehung, die das vorvertragliche Schuldverhältnis ausmacht, zu fragen, da sonst der spezifisch juristische Grundstein des Rechtsinstituts und dieser Untersuchung fehlte. Es wird sich zeigen, daß trotz des gelegentlich für legitim gehaltenen Verzichts auf „alle dogmatischen Einordnungsversuche"186 eine Verankerung vorvertraglicher Schuldverhältnisse in einem Prinzip des geltenden Rechts möglich ist, die auch dem Grundsatz der rechtlichen Gleichordnung der Beteiligten als Wesensmerkmal jeder vertraglichen Bindung187 und damit auch des vorvertraglichen Schuldverhältnisses Rechnung trägt. Erst in einem zweiten Schritt werden sich die Überlegungen dem nun schon stärker an die Verwaltungsrealität angenäherten Problem zuwenden, wann und aufgrund welcher Sachverhalte vorvertragliche Schuldverhältnisse aus der Formenvielfalt von Annäherungen zwischen Bürger und Staat oder zwischen Verwaltungsträgern entstehen. Im Gefüge der Rechtsbeziehungen zwischen Bürger und Staat markieren diese Entstehungstatbestände die Grenze zwischen dem allgemeinen Staat-Bürger-Verhältnis und dem besonderen Verwaltungsrechtsverhältnis, zwischen allgemeinen Rechtspflichten und der von einem Zweckzusammenhang geprägten Sonderverbindung 188. Nach dieser Erforschung der Grundlagen einer systematischen Erfassung kann sich die Untersuchung in einem dritten Schritt dem Inhalt vorvertraglicher Schuldverhältnisse zuwenden, wobei wegen des reichen und disparaten Materials eine Gliederung in Fallgruppen in Übereinstimmung mit der Vorgehensweise der Privatrechtswissenschaft 189 naheliegend und sinnvoll ist. Die Bildung dieser Fallgruppen erfolgt indessen nicht frei oder beliebig. Hier hat die Privatrechtswissenschaft in ihrer jahrzehntelangen Vorarbeit erkenntnisleitend und begriffsprägend gewirkt - man denke nur an die prägnant als „Abbruch der
186
So Nirk, FS Möhring 1965, S. 392; ebenso Messer, FS Steindorff, S. 743. Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, BGHZ 97, S. 312 ff. (S. 314). Zur generellen Möglichkeit einer derartigen präzisen Abgrenzung Häberle, Verwaltungsrechtsverhältnis, S. 253 f. Den Zweckzusammenhang bezeichnet Ehlers, DVB1. 1986, S. 912 ff. (S. 914) als konstitutives Merkmal des verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisses, das dadurch eine innere Ordnung gewinnt. 189 Emmerich, Leistungsstörungen, S. 41; Medicus, Verschulden, S. 487; Larenz, FS Ballerstedt, S. 399; Hans Stoll, FS v. Caemmerer, S. 437. 187 188
4 Keller
50 1. Kap.: Vorvertragliche Schuldverhältnisse als Problem des Verwaltungsrechts Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund" bezeichnete Fallgruppe 190 - so daß sich das öffentliche Recht mit den dort entwickelten Systematisierungen für Fallkonstellationen, die auch ihm nicht fremd sind, auseinanderzusetzen hat. Dennoch ergibt sich insofern eine Eigenständigkeit des öffentlichen Vertragsrechts, als sich aus seiner gesetzlichen Kodifikation manche Pflichten, etwa die sogenannten Verfahrenspflichten der an den Vertragsverhandlungen Beteiligten, ableiten lassen, die zu Bindungen führen, welche bislang allerdings nur selten in ihrem Bezug auf das Stadium des Vorvertraglichen gesehen wurden 191 . Insgesamt lassen sich aber auch hier sinnvolle, eine Systematisierung ermöglichende Ordnungskategorien finden, die den „Selbststand" des Verwaltungsvertragsrechts ausdifferenzieren und konkretisieren. Nachdem in dieser Weise die -primär auf Einhaltung und Erfüllung gerichteten -vorvertraglichen Bindungen Gegenstand der Erörterung waren, werden in einem vierten Schritt die sekundären, bei ihrer Verletzung eintretenden Rechtsfolgen 192 aufgegriffen. In der bisherigen Diskussion insbesondere um das verwaltungsrechtliche Schuldverhältnis (im staatshaftungsrechtlichen Sinne), aber auch hinsichtlich der „Übernahme" der culpa in contrahendo ins öffentliche Recht, hat sich das Augenmerk in erheblichem Maße auf eine einzelne, bestimmte Rechtsfolge, nämlich den Schadensersatz, gerichtet 193. Hier soll im Sinne einer notwendigen Perspektivenerweiterung die Aufmerksamkeit über Fragen des Schadensersatzes hinaus auf die unter bestimmten Voraussetzungen zulässige Überwindung des Scheiterns eines Vertragsschlusses sowie auf weitere Möglichkeiten des Interessenausgleichs gelenkt werden, die im Privatrecht unter den Schlagwörtern „Vertragsanpassung" und „Vertragsaufhebung" bekannt sind. Abgeschlossen wird die Untersuchung sodann durch eine Zusammenfassung in Thesen.
190 Zu ihr aus privatrechtlicher Sicht Götz Cr aushaar, Haftung aus culpa in contrahendo wegen Ablehnung des Vertragsabschlusses - BGH, LM § 276 (Fa) BGB Nr. 28, JuS 1971, S. 127ff.; Barbara Grunewald, Das Scheitern von Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund, JZ 1984, S. 708 ff; monographisch Küpper, Das Scheitern. Diese Fallgruppe ist dem Verwaltungsvertragsrecht ebenfalls geläufig: Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 62 Rdnr. 21. Vgl. unten §§ 18 III 2,22 III 2. 191 Vgl. aber den knappen Hinweis auf die mögliche Schadensersatzpflicht aus culpa in contrahendo bei Verletzung dieser Pflichten bei Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 62 Rdnr. 5. 192 Diese Differenzierung in primäre und sekundäre Pflichten entstammt dem privaten Schuldrecht, in bezug auf vorvertragliche Schuldverhältnisse mit der Besonderheit, daß dort nur die sekundäre, zumeist auf Schadensersatz gerichtete Pflicht auch im Wege der Klage durchsetzbar ist (Larertz, Schuldrecht AT, S. 12). 193 Trotz dieser Beschränkung handelt es sich dabei nach Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 283 um ein „Feld ..., das noch weithin unbestellt ist und viele weiße Flecken aufweist".
Zweites Kapitel
Die Rechtsgrundlagen vorvertraglicher Schuldverhältnisse
§ 6 Vorbemerkungen I. Rechtsgrundlagen und Entstehungstatbestände Nach den allgemein gehaltenen Überlegungen des ersten Kapitels soll nun der im wesentlichen an dem phasenorientierten Modell der Vertragsdogmatik1 orientierte Gang der Untersuchung vorvertraglicher Schuldverhältnisse mit der Darstellung ihrer Rechtsgrundlagen beginnen; im Anschluß daran ist im nächsten Kapitel auf die Entstehungstatbestände einzugehen. Es sind also zwei Entwicklungszusammenhänge dieser Schuldverhältnisse zu verfolgen, ein rechtlicher und ein tatsächlicher2: „Rechtsgrundlagen" sind diejenigen Sollenssätze, die die rechtliche Eigenart eines jeweils in den Blick genommenen Rechtsverhältnisses ausmachen und im speziellen Falle dem Rechte- und Pflichtenbündel des vorvertraglichen Schuldverhältnisses als „Verhaltensprogramm" für die Beteiligten die Verankerung und verpflichtende Kraft gerade im und durch das Recht verschaffen 3. „Entstehungstatbestände" fassen demgegenüber diejenigen Voraussetzungen zusammen, deren Vorliegen erforderlich ist, um das auf jener Rechtsgrundlage beruhende Pflichtenbündel von einer potentiellen Verhaltensanordnung zu einer aktuellen Bindung in einem konkreten Rechtsverhältnis -dem vorvertraglichen Schuldverhältnis -als einem Ereignis in der Zeit werden zu lassen. Mithin bezeichnen sie die Sachverhalte, die den Rechtsgrundlagen erst zur Wirksamkeit, zur Umsetzung in ein individuelles Pflichtenprogramm verhelfen; sie stellen damit eine Station auf dem Wege einer allmählichen, prozeduralen Normkonkretisierung dar4.
1
Dazu oben § 21. Die Differenzierung zwischen Rechtsgrundlagen, Entstehungstatbeständen sowie Inhalten verwaltungsrechtlicher Rechtsverhältnisse findet sich auch bei Hartmut Bauer, Informelles Verwaltungshandeln im öffentlichen Wirtschaftsrecht, VerwArch 78 (1987), S. 241 ff (S. 263 f.). 3 Abweichend die Terminologie bei Michael Bohrer, Die Haftung des Dispositionsgaranten, 1980, S. 114 FN 113, der die Rechtsgrundlage als „Geltungsgrund", den Entstehungstatbestand als „Haftungsgrund" bezeichnet. 4 Vgl. bereits oben § 2 III. 2
52
2. Kap.: Die Rechtsgrundlagen vorvertraglicher Schuldverhältnisse Diese Unterscheidung wird bei der dogmatischen Aufarbeitung vorvertragli-
cher Schuldverhältnisse oft nicht hinreichend beachtet. Daß differenzierende Betrachtung nottut, beweist die Ubiquität 5 des Vertrauensgrundsatzes 6 in diesem Bereich, dessen Erklärungswert nicht allzu hoch ist, wenn ihm sowohl die Qualität einer Rechtsgrundlage 7 als auch die Eigenschaft eines Tatbestandsmerkmals der gerade auch häufig als Vertrauensverhältnisse gekennzeichneten vorvertraglichen Sonderbeziehungen 8, insbesondere bei deren Entstehung, und schließlich die Kraft eines Maßstabs für den Umfang der Pflichten in einem bestehenden Schuldverhältnis 9 beigemessen wird. Dieses Vagabundieren eines
5 Kritisch dazu Volker Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, 3. Aufl., 1991, S. 42; Johannes Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag - Zur Haftung aus geschäftsbezogenem Handeln, 1981, S. 98. 6 Zu ihm noch unten § 11 sowie an dieser Stelle aus privatrechtlicher Sicht etwa die großangelegten Untersuchungen von Michael Bohrer, Die Haftung (insbesondere S. 149 ff. zu den sogleich im Text angesprochenen Unklarheiten); Claus-Wilhelm Canaris , Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971; Götz Cr aushaar, DerEinfluß des Vertrauens auf die Privatrechtsbildung, 1969; ferner Karl Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, 7. Aufl. 1989, S. 43 ff.; Rainer Loges, Die Begründung neuer Erklärungspflichten und der Gedanke des Vertrauensschutzes, 1991, S.37ff. und die in den folgenden FN nachgewiesenen Arbeiten; aus öffentlich-rechtlicher Sicht: Gunter Kisker, Günter Püttner, Vertrauensschutz im Verwaltungsrecht, VVDStRL 32 (1974), S. 149 ff, S. 200 ff.; Hartmut Maurer, Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, in: Josef Isensee/ Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band III: Das Handeln des Staates, 1987, S. 211 ff.; Beatrice Weber-Dürler, Vertrauensschutz im öffentlichen Recht, 1983. 7 Als Rechtsgrundlage wird das Vertrauensprinzip etwa behandelt von Richard Alff, in: Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar, herausgegeben von Mitgliedern des Bundesgerichtshofes (RGRK), Band II, 1. Teil, 12. Aufl. (Stand der Bearbeitung: Dezember 1974) §276 Rdnr. 96 (enttäuschtes Vertrauen als Grundlage und Maßstab des Anspruchs); Heinz Joachim Bonk, in: Paul Stelkens/Heinz Joachim Bonk/Michael Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 4. Aufl., 1993, §62 Rdnr. 21; Canaris, Die Vertrauenshaftung, S. 266 f.; Hermann Eichler, Die Rechtslehre vom Vertrauen - Privatrechtliche Untersuchungen über den Schutz des Vertrauens, 1950, S. 11. Ausführlich hierzu unten § 11. 8 So Bohrer, Die Haftung, S. 89 ff; Rudolf Nirk, Culpa in contrahendo - eine geglückte richterliche Rechtsfortbildung - qüo vadis?, in: Wolfgang Hefermehl/Rudolf Nirk/Harry Westermann (Hrsg.), Festschrift für Philipp Möhring zum 75. Geburtstag, 1975, S. 71 ff. (S. 75): vertragsähnliches Vertrauensverhältnis der Vertragsverhandlungen; Hans Stoll, Tatbestände und Funktionen der Haftung für culpa in contrahendo, in: Hans Claudius Ficker u. a. (Hrsg.), Festschrift für Ernst von Caemmerer zum 70. Geburtstag, 1978, S. 435 ff. (S. 439 ff.); vgl. aber dens., Vertrauensschutz bei einseitigen Leistungsversprechen, in: Horst Heinrich Jakobs u. a. (Hrsg.), Festschrift für Werner Flume zum 70. Geburtstag - 12. September 1978, Band I, 1978, S. 741 ff. (S. 748 ff., 754 ff.) mit seiner Konzeption einer Einstandspflicht für die Vertrauen begründende, einseitige Erweckung von Leistungserwartungen; aus dem Verwaltungvertragsrecht Hans Meyer, in: ders./ Hermann Borgs-Maciejewski, Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 2. Aufl., 1982, § 62 Rdnr. 18; Lothar Simons, Leistungsstörungen verwaltungsrechtlicher Schuldverhältnisse, 1967, S. 178. 9 OdCLuAljf, in: RGRK, § 276 Rdnr. 96; Karl Larenz, Bemerkungen zur Haftung für „culpa in contrahendo", in: Werner Flume/Peter Raisch/Ernst Steindorff (Hrsg.), Beiträge zum Zivil- und Wirtschaftsrecht, Festschrift für Kurt Ballerstedt zum 70. Geburtstag am 24. Dezember 1975, 1975, S. 397 ff. (S. 414 f.) für gewisse Fallgruppen; das Ausmaß und die „Berechtigung" des im Hinblick auf den sicheren Vertragsabschluß erzeugten Vertrauens bildet nach Ansicht vieler auch den Maßstab dafür, wann Vertragsverhandlungen nur mit „triftigem Grund" abgebrochen werden dürfen, so Nirk, FS Möhring 1975, S. 76; Götz v. Craushaar, Haftung aus culpa in contrahendo
§ 6 Vorbemerkungen
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Begriffs erscheint typisch für die Behandlung eines Rechtsinstituts, bei der sich die Rechtsprechung unter teilweiser Billigung des Schrifttums aus der Behandlung von Grundlagen weitgehend zurückgezogen10 und auf die Arrondierung des Erreichten beschränkt hat. Demgegenüber fordern die Zwecke dieser Untersuchung ein systematisches Vorgehen auf gesicherter begrifflicher Grundlage - daher die Trennung von Rechtsgrundlagen und Entstehungstatbeständen.
Π. „Vertragliche" und „gesetzliche" Schuldverhältnisse Eine weitere Vorbemerkung erscheint notwendig: Allgemein wird hinsichtlich der Rechtsgrundlagen - genauso wie im Blick auf die Entstehungstatbestände-häufig auf eine Dichotomie zwischen rechtsgeschäftlichen, insbesondere vertraglichen, und gesetzlichen Schuldverhältnissen verwiesen11. Dies ist aber in mehrfacher Hinsicht unpräzise12 und verstellt den Blick auf die eigentliche Problemlage: Zum einen hat auch ein vertraglicher Gestaltungsspielraum -ob im privaten oder öffentlichen Recht-eine rechtliche Grundlage; zum anderen zeitigen vertragliche Schuldverhältnisse ebenfalls Rechtswirkungen, die vom Gesetz und nur von diesem angeordnet sind13. Die Differenzierung ist nur dann tauglich zur Erfassung eines rechtserheblichen Unterschieds, wenn sie sich ausschließlich auf die Entstehungstatbestände von Rechtsverhältnissen bezieht, denn diese lassen sich mit einiger Berechtigung unterteilen in solche, die in einem Willensentschluß der Beteiligten und dessen Äußerung bestehen14, und solche, die nicht an ein in dieser Weise bewußt auf Rechtsfolgen ausgerichtetes Verhalten anknüpfen 15: Im Hinblick darauf ist es in der Tat angemessen, auch eine begriffliche Abgrenzung vorzunehmen und von autonomer nämlich im rechtsgeschäftlichen Willen und dessen Erklärung begründeter -
wegen Ablehnung des Vertragsabschlusses - BGH, LM §276 (Fa) BGB Nr. 28, JuS 1971, S. 127 ff (S. 128); kritisch Barbara Grunewald, Das Scheitern von Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund, JZ 1984, S. 708ff. (S. 710). 10 So Joachim Klingler, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht - Hypothesen zu ihrer richterlichen Instrumentalisierung, 1981, S. 18 f. zur Rechtsprechung des BGH. Die verwaltungsgerichtliche Judikatur beschränkt sich ebenfalls auf eher knappe Begründungen, so etwa OVG Münster, DÖV 1971, S. 276 ff. (S. 274); BVerwG, DÖV 1974, S. 133 f. (S. 134); dieser Rechtsprechung trotz ihres „Begründungsdefizits" zustimmend Jürgen Punke, Verwaltungshandeln durch Vertrag, o. J., S. 98 f. 11 Etwa von Helmut Heinrichs, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 55. Aufl., 1996, Einführung vor § 305 Rdnr. 2 f. 12 Aus dem privatrechtlichen Schrifttum Wolfgang Fikentscher, Schuldrecht, 8. Aufl., 1992, S. 57 (Rdnr. 57); Joachim Gernhuber y Das Schuldverhältnis, 1989, S. 111 ff. 13 Dies gilt etwa ftlr die rechtliche Reaktion auf Umstände, die die vereinbarungsgemäße Erfüllung des vereinbarten Pflichtenprogramms verhindern, die sogenannten Leistungsstörungen. 14 So etwa der Abschluß eines Vertrages. 15 Dies ist der Fall bei Handlungen, die fremde Rechtsgüter beeinträchtigen und ein auf Ausgleich des dadurch entstandenen Nachteils gerichtetes Rechtsverhältnis wie beispielsweise dasjenige, welches auf einer Amtspflichtverletzung beruht, entstehen lassen.
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2. Kap.: Die Rechtsgrundlagen vorvertraglicher Schuldverhältnisse
und heteronomer-vom Gesetz angeordneter-Entstehung zu sprechen16. Damit reduziert sich die Unterscheidung zwischen rechtsgeschäftlicher und gesetzlicher Entstehung von Rechtsverhältnissen auf die Frage nach der - stets vom Recht gesteuerten - dabei gegebenen Zulässigkeit von Willensakten; insoweit gibt es ausschließlich „gesetzliche" Schuldverhältnisse. Im Privatrecht ist man sich hinsichtlich vorvertraglicher Schuldverhältnisse weithin einig, daß diese zur Gänze heteronom determinierte, mithin nach der hergebrachten Terminologie „gesetzliche" Schuldverhältnisse darstellen17; ihre Entstehung beruht daher nicht auf einem rechtsgeschäftlichem Willens- und Erklärungsakt, sondern auf sonstigen tatsächlichen Umständen, denen die Rechtsordnung eine spezifische rechtliche Bedeutung beimißt. Mehr darf aus jener traditionellen Unterscheidung nicht abgeleitet werden. Für die Darstellung der Rechtsgrundlagen ist sie im übrigen entbehrlich und wird daher im folgenden nicht mehr Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein.
ΙΠ. Die Suche nach der Rechtsgrundlage als spezifisch verwaltungsrechtliche Fragestellung Bei der Erörterung der Rechtsgrundlagen wird es wie generell in dieser Untersuchung unumgänglich sein, den hierzu im Privatrecht erreichten Erkenntnisstand heranzuziehen, kritisch zu würdigen und auf die Fähigkeit zur Übernahme ins Verwaltungsrecht zu überprüfen, zumal § 62 S. 2 VwVfG ein solches Vorgehen nahelegt. Nur teilweise überzeugend wäre es aber, sich mit dieser Verweisung bereits zufriedenzugeben: Denn zum einen ist damit die Problematik nur um einen zusätzlichen Schritt erweitert, nicht aber gelöst, da die Verweisungsnorm stets die Frage nach der Zulässigkeit und dem Umfang der entsprechenden Anwendung privatrechtlicher Rechtsinstitute stellt18. Zum an-
16 Dies bezeichnet Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 113 als den berechtigten Kern jener überlieferten Dichotomie. 17 Vgl. Bohrer, Die Haftung, S. 149; Manfred Löwisch, in: Julius v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 13. Bearbeitung, Vorbemerkungen zu §§ 275 ff. (Stand: Januar 1995) Rdnr. 52; Dieter Medicus, Die culpa in contrahendo zwischen Vertrag und Delikt, in: Peter Forstmoser u. a. (Hrsg.), Festschrift für Max Keller zum 65. Geburtstag, 1989, S. 205 ff. (S. 207); Rudolf Nirk, Culpa in contrahendo - eine richterliche Rechtsfortbildung - in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, in: Wolfgang Hefermehl/ Hans Carl Nipperdey (Hrsg.), Festschrift für Philipp Möhring zum 65. Geburtstag, 1965, S. 385 ff. (S. 389 f.); ders., FS Möhring 1975, S. 73. 18 Dies gewann in der bisherigen Diskussion Bedeutung insbesondere bei der Behandlung der verwaltungsvertraglichen „Leistungsstörungen": Hier wird die Rechtsanwendung zu besonders sorgfältiger Prüfung bei der Anwendung der privatrechtlichen Vorschriften mit Blick auf deren Verankerung in der Privatautonomie angehalten, so etwa von Norbert Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl., 1986, S. 494 f. (§ 21 Rdnr. 273); Hans-Uwe Erichsen, Das Verwaltungshandeln, in: ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl., 1995, S. 205 ff. (S. 386 [§ 27 Rdnr. 4]); moderater Wilhelm Henke, Das Recht der Wirtschaftssubventionen als öffentli-
§ 7 Rechts- und Gesetzesanalogie
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deren beraubt sich eine derartige Beschränkung der Möglichkeit, nach eigenständigen Rechtsgrundlagen im öffentlichen Recht zu forschen, und damit für den Regelungsbereich der Verwaltungsverfahrensgesetze der darin enthaltenen Verweisung in bezug auf die vorvertraglichen Schuldverhältnisse nur eine ergänzende und komplettierende Funktion beizumessen.
§ 7 Rechts- und Gesetzesanalogie I. Analoge Anwendung von Normen des BGB 1. Der Begriff und die Voraussetzungen der Analogie Anders als die in mancher Hinsicht verwandte positive Vertragsverletzung 19, die regelmäßig auf eine mittlerweile zum Gewohnheitsrecht erstarkte Analogie 20 gestützt wird, ist eine derartige Begründung für vorvertragliche Schuldverhältnisse trotz zeitweiliger Favorisierung durch Rechtsprechung und Lehre nicht zum Allgemeingut geworden. Speziell für das im Vorfeld eines verwaltungsrechtlichen Vertrages i. S. der §§ 54 ff. VwVfG verortete Schuldverhältnis liegt allerdings das Thema Analogie insofern nahe, als § 62 S. 2 VwVfG eine entsprechende Anwendung privatrechtlicher Vorschriften anordnet21. Logisch vorrangig ist indessen die Frage, ob bei der Entwicklung des Rechtsinstituts im Privatrecht eine Analogie zu Normen des BGB eine entscheidende Rolle spielt, die von einer nachfolgenden Analogie bei der Übernahme ins Verwaltungsrecht gedanklich zu trennen ist.
ches Vertragsrecht, 1979, S. 315 ff., nach dem der Übernahme der privatrechtlichen Systematik in diesem Bereich Besonderheiten des öffentlichen Rechts grundsätzlich nicht entgegenstehen (aaO., S. 317). Ein Beispiel für eine derartige Modifikation der privatrechtlichen Regelungen stellt die Auffassung von Klaus Obermayer, Leistungsstörungen beim öffentlich-rechtlichen Vertrag, BayVBl. 1977, S. 546 ff. (S. 551) dar. Danach soll im Verwaltungsvertragsrecht eine Haftung der staatlichen Seite aus Verschulden bei Vertragsschluß im Zusammenhang mit wegen ihres Inhalts nichtigen Verträgen weithin ausgeschlossen sein (dazu noch unten § 18 III 6). 19 Über die Enge der Beziehung besteht Streit, insbesondere hat sich das von Claus-Wilhelm Canaris , Ansprüche wegen „positiver Vertragsverletzung" und „Schutzwirkung für Dritte" bei nichtigen Verträgen - Zugleich ein Beitrag zur Vereinheitlichung der Regeln über die Schutzpflichtverletzungen, JZ 1965, S. 475 ff. (S. 478 ff.) vorgeschlagene „einheitliche Schutzpflichtverhältnis", das die Unterschiede am meisten eingeebnet hätte, nicht durchsetzen können. 20 Vgl. etwa Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 276 Rdnr. 105. 21 Im Hinblick auf diese Vorschrift besteht keine Klarheit über das Verhältnis „analoger" und „entsprechender" Anwendung von Normen; so verwendet Ferdinand Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Aufl., 1996, § 62 Rdnr. 5 ff. die Begriffe (dazu noch „sinngemäße Anwendung") synonym.
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2. Kap.: Die Rechtsgrundlagen vorvertraglicher Schuldverhältnisse
Zuvor gilt es, Begriff und Voraussetzungen einer Analogie als Bestandteil der Methodenlehre des Rechts zu klären. Die Analogie gehört zu den Methoden gesetzesimmanenter Rechtsfortbildung, die das Gesetz - als Summe der geschriebenen und ungeschriebenen Normen-gemäß dem ihm zugrundeliegenden Plan und in Erfüllung seiner eigenen Teleologie vervollständigen will 2 2 . Tatbestandliche Voraussetzung für das Einschlagen dieses Weges ist das Vorliegen einer „planwidrigen Lücke" im Gesetz, was bedeutet, daß nach der dem Gesetz zugrundeliegenden Regelungsabsicht eine Frage einer Regelung bedarf, diese Regel aber fehlt 23. Das ist für den Zeitraum zwischen erster Annäherung der möglichen zukünftigen Vertragspartner und dem Vertragsschluß oder dem Ende ihres Kontakts im Privatrecht der Fall, denn das BGB regelt hier nur einige Einzelfragen, überantwortet die weitere Erfassung dieses Bereichs Wissenschaft und Rechtsprechung24. Mag es auch beim Inkrafttreten des BGB durchaus dem Willen des historischen Gesetzgebers entsprochen haben, sich auf diese punktuellen Normen zu beschränken25, so kann die objektive Notwendigkeit umfassender Regelungen heute jedenfalls nicht mehr 26 bestritten werden. 2. Die zwei Wege der Analogie Ist die Voraussetzung einer Lücke damit gegeben, so stehen zu ihrer Ausfüllung zwei Wege der Analogie offen 27: Zum einen die Gesetzesanalogie, bei der eine einzelne Gesetzesnorm auf einen von ihr nicht geregelten, aber in den für die rechtliche Bewertung maßgebenden Hinsichten übereinstimmenden28 Sachverhalt entsprechend angewendet wird; zum anderen die Rechtsanalogie, die sich nicht auf eine, sondern auf mehrere Rechtsnormen mit unterschiedlichem Tatbestand, aber gleicher Rechtsfolge stützt. Diesen wird ein allgemeiner Rechtsgrundsatz entnommen, welcher auf den fraglichen, nicht geregelten Sachverhalt ebenso zutrifft wie auf die bereits geregelten Fallkonstellationen und jenen einer Lösung zuführt. Zu dieser Fortbildung des Rechts in ihren beiden Spielarten ist-nach allgemein anerkannter Auffassung, die sich auch der 22
Karl Lorenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, S. 366, 370. Larenz, Methodenlehre, S. 372. Umfassend zu diesem Thema Claus-Wilhelm Canaris , Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl., 1983. 24 Herbert Wiedemann , in: Kohlhammer-Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, begründet von Hs. Th. Soergel, Band 2, 12. Aufl., 1990, vor § 275 Rdnr. 101. 25 Motive zu dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band II, Recht der Schuldverhältnisse, 1888, S. 179; Volker Emmerich, in: Kurt Rebmann/Franz Jürgen Säcker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 2,3. Aufl., 1994, vor §275 Rdnr. 51. 26 Vgl. in diesem Zusammenhang Loges, Die Begründung, S. 52 ff., der unter anderem darauf hinweist, daß zur Entstehungszeit des BGB von einer „planwidrigen Lücke" nicht die Rede sein konnte. 27 Auch zum Folgenden Larenz, Methodenlehre, S. 383 f. 28 Larenz, Methodenlehre, S. 381. 23
§ 7 Rechts- und Gesetzesanalogie
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Gesetzgeber zu eigen gemacht hat 2 9 -die Rechtsprechung, unterstützt von der Rechtswissenschaft, berufen 30. Dabei handelt es sich um einen schöpferischen, kreativen Akt, um eine „spezifische Entfaltungsleistung" 31 innerhalb der richterlichen Tätigkeit32. Die Ausübung dieser Befugnis 33 kann daher ihrerseits nicht im rechtsfreien Raum erfolgen, sondern muß nach der prinzipiellen Aussage des Art. 20 Abs. 3 GG ebenfalls ihre Grundlage im Recht finden. Gewiß ist hier die Gefahr vager Billigkeitsentscheidungen groß. Das Vorgehen bedarf daher stets der Rückbeziehung auf die Regeln, die insbesondere die juristische Methodenlehre der Rechtsanwendung für diesen Modus der Rechtserzeugung an die Hand gibt, und-in inhaltlicher Hinsicht-auf den zu ergänzenden Normenzusammenhang sowie die Rechtsordnung als Ganzes. Nunmehr ist unter Berücksichtigung dieser Maßgaben zu untersuchen, ob die im Bereich des Vorvertraglichen bestehende Lücke des Gesetzes durch ein solches Vorgehen überhaupt gefüllt werden kann und ob dies zu überzeugenden Ergebnissen, das heißt zu tragfähigen Rechtsgrundlagen, führt.
Π. Die normative Verankerung vorvertraglicher Schuldverhältnisse im Wege der Analogie 1. Gesetzesanalogie Zu denken ist zunächst an eine Gesetzesanalogie. Dann müßte sich nicht nur eine Einzelnorm finden lassen, die eine übertragbare Regelung enthält; vor allem müßten die Fallkonstellationen vorvertraglicher Schuldverhältnisse auf einen-wenn auch weitgefaßten, so doch begrenzten-Tatbestand einzuschmelzen sein, der als Ganzes mit einer einzelnen Norm zu erfassen wäre 34 . Gerade dies erscheint schon auf den ersten Blick unmöglich oder nur in Form einer umfassenden Generalklausel durchführbar: Denn zu weitgespannt ist heute das Pflichtenprogramm 35, das den Verhandlungspartnern auferlegt wird, und zu 29
Vgl. § 132Abs.4GVG. Larenz, Methodenlehre, S. 366. Eberhard Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR I, 1987, S. 987 ff. (S. 1022 [§ 24 Rdnr. 66]). 32 Larenz, Methodenlehre, S. 367. 33 Allgemein dazu Fritz Ossenbühl, Rechtsquellen und Rechtsbindungen des Verwaltungsrechts, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 111 ff. (S. 151 ff. [§ 6 Rdnr. 77 ff.]). Äußere Rechtmäßigkeit und innere Rechtfertigung derartiger Schaffung von Recht sind daher nicht mehr zu bestreiten: Henke, Recht der Wirtschaftssubventionen, S. 17 bezeichnet das Richterrecht etwa als anerkannte, legitime Rechtsquelle, in diesem Sinne auch Ossenbühl, aaO., S. 156 (§ 6 Rdnr. 86). 34 Auf diese Grenzen der Gesetzesanalogie weist auch Larenz, Methodenlehre, S. 384, hin. 35 Dessen Ausmaß belegt die Vielzahl der Funktionen, denen das Rechtsinstitut im Privatrecht dient: Wiedemann , in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 104 ff. führt den Vertrauensschutz, die Verbürgung loyaler Verhandlungsführung, die Kontrolle objektiv unerwünschter Verträge, die 30 31
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2. Kap.: Die Rechtsgrundlagen vorvertraglicher Schuldverhältnisse
verschieden sind die unter der Chiffre „culpa in contrahendo" zusammengefaßten Bindungen 3 6 , denen teilweise jede innere Gemeinsamkeit abgesprochen w i r d 3 7 . Ohne mehr als notwendig vorgreifen zu wollen, läßt sich zumindest eine Zweiteilung in vertragsfernere, nämlich auf den Schutz sogenannter absoluter Rechtsgüter im vorvertraglichen Rechtsverhältnis gerichtete, und vertragsnähere, Loyalität und Treue (auch zum Zwecke des Vermögensschutzes) schon in diesem Stadium gebietende, Pflichten als Kernbestand ausmachen 38 , um den sich in nicht ganz geklärter Verbindung weitere Haftungstypen 39 gruppieren. Aus diesem Grunde stieß auch im Rahmen der geplanten Überarbeitung des Schuldrechts der Vorschlag auf Ablehnung, eine allgemeine Regelung über das Verschulden bei Vertragsverhandlungen, die möglicherweise nicht einmal das ganze Spektrum vorvertraglicher Verhaltensanforderungen abgedeckt hätte, ins B G B aufzunehmen, da sie keine konkrete Entscheidung ermöglicht hätte 4 0 . Demnach bildet das vorvertragliche Schuldverhältnis schon gar keinen einheitlichen Tatbestand, das einer im Wege der Gesetzesanalogie gewonnenen Regelung zugänglich wäre. Doch auch, wenn man bereit ist, eine generalklauselartige Formulierung des Tatbestandes vorvertraglicher Bindung zu akzeptieren, und sodann nach einer
Ergänzung und Korrektur gesetzlicher Rechtsbehelfe und schließlich die Erhaltung absoluter Rechtsgüter auf. Vgl. im übrigen schon Wilhelm Weber, in: Julius v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetzen und Nebengesetzen, 11. Aufl., II. Band, Teil lb, 1961, § 242 Rdnr. A 417, nach dem das BGB für die culpa in contrahendo „nur gewisse Anhaltspunkte gab". 36 Bezeichnend in diesem Zusammenhang der Befund von Emmerich, Leistungsstörungen, S. 45, nach dem die culpa in contrahendo im Begriff ist, sich zu einem zentralen Rechtsinstitut unserer Rechtsordnung überhaupt zu entwickeln. 37 Vgl. oben § 3 III 2. 38 Siehe statt vieler die Einteilung bei Löwisch, in: Staudinger, BGB, Vorbemerkungen zu §§ 275 ff. Rdnr. 53; Dieter Medicus, Verschulden bei Vertragsverhandlungen, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Band I, 1981, 479 ff. (S. 487); Stoll, FS v. Caemmerer, S. 437. 39 Üblicherweise werden hier genannt die „Eigenhaftung des Vertreters und sonstiger Dritter" - dazu Emmerich, Leistungsstörungen, S. 67 ff., ders., in: Münchener Kommentar zum BGB, vor § 275 Rdnr. 172 ff.; Erich Schmitz, Dritthaftung aus culpa in contrahendo, 1980; Wiedemann , in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 218 ff.; kritisch zum inneren Zusammenhang mit den sonstigen Fällen vorvertraglicher Haftung Stoll, FS v. Caemmerer, S. 436 - und die Haftung für Auskünfte (zu ihr allgemein etwa Siegbert Lammel, Zur Auskunftshaftung, AcP 179 [1979], S. 337 ff.; Hans Stoll, FS Flume, S. 764 ff. sowie Köndgen, Selbstbindung, S. 352 ff.; Claus-Wilhelm Canaris, Schutzgesetze - Verkehrspflichten - Schutzpflichten, in: ders./Uwe Diederichsen (Hrsg.), Festschrift für Karl Larenz zum 80. Geburtstag am 23. April 1983, 1983, S. 27 ff. [S. 93 ff.]), der freilich nur wenig ausgeprägte Verbindungslinien zur culpa in contrahendo - so Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 576, ähnlich Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 276 Rdnr. 103, und Lammel, aaO., S. 343 - bescheinigt werden. Canaris , aaO. und Vertrauenshaftung, S. 539, schlägt hingegen eine Lösung „in Anlehnung an die Regeln über die culpa in contrahendo" vor. 40 Dazu Medicus, Verschulden, S. 485 f.; Ulrich Huber, Leistungsstörungen, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Band I, 1981, S. 647 ff. (S. 743).
§ 7 Rechts- und Gesetzesanalogie
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wertungsmäßig ähnlichen Norm des Gesetzes sucht, bestehen Zweifel hinsichtlich dieser zweiten Voraussetzung der Gesetzesanalogie. Wohl existieren gesetzlich geregelte Fälle 41 vorvertraglicher Pflichtbindung, von denen die Entwicklung hätte ausgehen können und teilweise auch ausgegangen ist. Die Bezugnahme auf die hier einschlägigen, vorvertragliche Pflichten konstituierenden Normen erfolgte jedoch zu einer Zeit, da deren Charakter als Bestandteile eines Schuldverhältnisses und damit eines Komplexes aufeinander bezogener Verhaltensanforderungen noch nicht erkannt war, man also nur auf der Suche nach der Grundlage einzelner Pflichten war. Nur für eine solche, lediglich auf die Statuierung vorvertraglicher Pflichten und nicht vorvertraglicher Schuldverhältnisse gerichtete Rechtsfortbildung bietet die Gesetzesanalogie einen gangbaren methodischen Weg. Denn die Vorschriften des BGB, die als Beispiele für die positiv-rechtliche Begründung spezieller vorvertraglicher Pflichten genannt zu werden pflegen, entstammen ganz unterschiedlichen Regelungszusammenhängen. Je für sich sind sie als tatbestandliche Basis für das nach dem Stand der Rechtsentwicklung heute geschuldete umfangreiche vorvertragliche Sorgfaltsprogramm sehr schmal, und ihre Rechtsfolgen bieten eine reiche Palette unterschiedlicher Lösungen, die auf die speziellen Tatbestände zugeschnitten sind. Schon ein kursorischer Überblick über die einschlägigen Normen belegt dies: Die Vorschrift des § 149 BGB etwa begründet eine vorvertragliche Verpflichtung, deren Nichterfüllung allerdings für den Zuwiderhandelnden in spezieller Weise sanktioniert ist 42 . In anderen, praktisch bedeutsameren Fällen führt eine Diskrepanz zwischen Wille und Erklärung bei der Abgabe vertragsbezogener Willenserklärungen, die ja als Verstoß gegen eine Pflicht zur Sorgfalt bei der vertraglichen Gestaltung der Rechtslage angesehen werden könnte, entweder zu ihrer Nichtigkeit nach §§ 116-118 BGB oder zu einem Gestaltungsrecht des Irrenden gemäß §§ 119, 120 BGB; in diesem letzteren Fall hat der andere Vertragspartner erst nach dessen Ausübung unter weiteren Voraussetzungen den verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch aus § 122 BGB, der bei Eingreifen der §§ 116, 117 BGB hingegen ganz entfällt. Primäre „Sanktion" für diese Form vorvertraglichen Fehlverhaltens ist also die Bindung an den Vertrag. Die vorsätzliche Täuschung oder widerrechtliche Drohung im Vorfeld eines Vertragsschlusses führt nach dem Gesetzeswortlaut wiederum zu einer Anfechtbarkeit gemäß § 123 BGB 43 . Anders ist der
41 Insbesondere sind die von v. Jhering behandelten Fallgruppen durch das BGB einer positi v-rechtlichen Lösung zugeführt worden, dazu Dieter Medicus, Zur Entdeckungsgeschichte der culpa in contrahendo, in: Hans-Peter Benöhr u. a. (Hrsg.), Iuris Professio, Festgabe für Max Käser zum 80. Geburtstag, 1986, S. 169ff. (S. 175 ff.). 42 Vgl. § 149 S. 2 BGB. Auch für Canaris , Vertrauenshaftung, S. 327, handelt es sich bei der hier normierten Aufklärungspflichtverletzung um einen Fall der culpa in contrahendo; anders etwa Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 149 Rdnr. 1: Fiktion auf der Grundlage des Vertrauensschutzes. 43 Im Gegensatz dazu werden die Fälle „fahrlässiger" Täuschung meist der culpa in contrahendo zugeschlagen. Vgl. hierzu Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 196 ff; Larenz, FS Ballerstedt,
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2. Kap.: Die Rechtsgrundlagen vorvertraglicher Schuldverhältnisse
Spezialfall falscher Zusicherungen oder vorsätzlicher Verschweigung eines Fehlers im Vorfeld eines Kaufes geregelt: Hier gibt § 463 BGB dem Geschädigten ein Wahlrecht zwischen drei recht unterschiedlichen Rechtsbehelfen. Weitere „gesetzliche" Fälle der culpa in contrahendo regeln die §§ 307, 309 BGB 4 4 , die demjenigen Ersatz des Vertrauensschadens zubilligen, der auf die Gültigkeit eines nach §§ 306 oder 134 BGB nichtigen Vertrages vertraut, wenn der andere Teil die Unmöglichkeit der Leistung oder den Gesetzesverstoß kannte oder fahrlässig nicht kannte. Eine sehr spezielle vorvertragliche Pflicht konstituiert § 663 BGB für denjenigen, der zur Besorgung gewisser Geschäfte öffentlich bestellt ist oder sich öffentlich oder einem Auftraggeber gegenüber dazu erboten hat: Er ist zwar nicht zur Übernahme eines daraufhin erfolgten Auftrags verpflichtet, muß seine Ablehnung aber unverzüglich anzeigen. Rechtsfolge eines Verstoßes gegen diese Pflicht ist ein Ersatzanspruch auf das negative Interesse45. Auf Besonderheiten des Verwahrungsvertrages schließlich reagiert § 694 BGB 46 . Diesen Einzelvorschriften ist die allgemeine Formulierung der Lehre vom vorvertraglichen Schuldverhältnis gegenüberzustellen47. Troz mancher Ungewißheit im Detail läßt sich als zentrale Aussage festhalten, daß von einem noch näher zu bestimmenden Zeitpunkt vor Vertragsschluß an ein Schuldverhältnis besteht, welches die daran Beteiligten zu erhöhter Sorgfalt und Rücksichtnahme und bei einem Verstoß gegen diese Bindungen zu einem Ausgleich der dadurch bewirkten, für die andere Seite nachteiligen Folgen verpflichtet. Dabei zeigt sich, daß keine der soeben aufgeführten Normen diesem generalklauselartigen Prinzip „wertungsmäßig ähnlich" ist: Denn diese haben mit erhöhter Sorgfalt und Rücksicht als generell für einen gewissen Zeitraum bestehender Verpflichtung wenig gemein und können daher nicht als Bestandteile eines allgemeinen Prinzips gewertet werden, sondern reagieren auf spezielle Problemkonstellationen, deren Regelungsbedürftigkeit schon vor Inkrafttreten des BGB bekannt war 48 . Zu uneinheitlich, zu speziell im Tatbestand und zu divergierend
S. 411; kritisch Dieter Medicus, Bürgerliches Recht, 16. Aufl., 1993, S. 80 f. (Rdnr. 150). Umfassend zum Ganzen Rolf Schumacher, Vertragsaufhebung wegen fahrlässiger Irreführung unerfahrener Vertragspartner, 1979, der (zusammenfassend S. 96 f., 119 ff.) eine im Sozialstaatsprinzip fundierte Aufklärungspflicht gegenüber Unerfahrenen als Teil des Schutzes des Schwächeren im Recht annimmt, bei deren Verletzung ein Vertragsaufhebungsanspruch gegeben sei (S. 117 ff.); vgl. zu diesem Konzept noch unten FN 93. 44 So werden diese Vorschriften auch beurteilt von Emmerich, Leistungsstörungen, S. 30 f.; vgl. fernerA/ei#cw5,FGKaser,S. 176. Zur Reichweite ihrer Rechtsfolgeanordnungen unten § 22 III 3 b. 45 Heinz Thomas, in: Palandt, BGB, § 663 Rdnr. 1. Weitere Fälle gesetzlicher vorvertraglicher Aufklärungspflichten finden sich bei Medicus, Verschulden, S. 536. 46 Dazu Bohrer, Die Haftung, S. 103. 47 Medicus, Verschulden, S. 485 f., mit rechtsvergleichenden Hinweisen. 48 In der historischen Entwicklung bedeutete diese Beschränkung des BGB auf fragmentarische Einzelvorschriften ohne inneren Zusammenhang im übrigen einen Rückschritt. Denn v. Jhering hatte 1861 bei seiner „Entdeckung" der culpa in contrahendo einen der heutigen Auffa-
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in der Rechtsfolge sind die dort begegnenden Regelungen, als daß eine von ihnen einer Gesetzesanalogie als Grundlage dienen könnte. Als Ergebnis bleibt daher festzuhalten: Im Wege der Gesetzesanalogie läßt sich keine Rechtsgrundlage für das vorvertragliche Schuldverhältnis gewinnen. 2. Rechtsanalogie Als zweite Methode, deren Anwendung möglicherweise zu einer Rechtsgrundlage führt, kommt die Rechtsanalogie in Betracht. Dann müßte sich aus den eben aufgeführten Einzelvorschriften des BGB und des übrigen Privatrechts der allgemeine Rechtsgedanke entwickeln lassen, der die verdichtete Pflichtenlage im Vorfeld des Vertragsschlusses begründet. Schon im Blick auf die Rechtsentwicklung tut sich die Fragwürdigkeit eines derartigen Vorgehens auf, da es suggeriert, die Einzelvorschriften seien vor dem allgemeinen Prinzip im Recht verankert gewesen, während v. Jhering gerade umgekehrt, nämlich deduktiv verfuhr, indem er seine Antworten auf spezifische Fallfragen aus einem von ihm als rechtsethisch unabdingbar empfundenen Prinzip ableitete49. Dennoch könnte eine zuallererst am positiven Recht der Gegenwart orientierte Sichtweise den Weg der Rechtsanalogie bevorzugen, da hierbei der Rückgriff auf Generalklauseln und Prinzipien erspart bleibt, der oftmals eher an der Billigkeit des dabei erzielten Ergebnisses als an der methodischen Folgerichtigkeit des Lösungswegs orientiert scheint. Im übrigen bedeutet die bei dieser Weise der Rechtsgewinnung als Zwischenschritt notwendige Herausarbeitung eines allgemeinen Rechtsgedankens zugleich eine eigene, schöpferische Leistung des Rechtsanwenders, doch ist hier bei methodisch korrektem Vorgehen die Anbindung an das Gesetz enger als bei den Typen gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung 50. Als Basis für diese Analogie müßten wiederum die im vorangegangenen Abschnitt aufgeführten gesetzlichen Regelungen vorvertraglicher Pflichtbindungen dienen, denn die für die Rechtsanalogie, die anerkanntermaßen der positiven Vertragsverletzung als Schwesterinstitut zugrundeliegt51, herangezogenen Vorschriften 52 aus dem Leistungsstörungsrecht passen hier schon auf den er-
sung nahestehenden, allgemeinen Gedanken herausgearbeitet und war insoweit schon Uber die Konkretisierung von Einzelpflichten hinausgegangen; dazu Larenz, Methodenlehre, S. 422 f.; Nirk, FS Möhring 1975, S. 78. Es wäre daher ungereimt, aus einer gesetzlichen Vorschrift im Wege einer Analogie das schon vorher bekannte Prinzip abzuleiten, dem die Vorschrift selbst entspringt! 49 Siehe die vorherige FN. 50 Dazu allgemein, auch in Abgrenzung zu den Formen gesetzesimmanenter Rechtsfortbildung, zu denen Gesetzes- und Rechtsanalogie zählen, Larenz, Methodenlehre, S. 366 f., 413 ff.: Die Fortbildung über den Plan des Gesetzes hinaus verbleibt zwar „intra ius", im Rahmen der Gesamtrechtsordnung, steht aber außerhalb der gesetzlichen Regelung, damit „extra legem" (S. 414). 51 Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 276 Rdnr. 105. 52 Als Analogiebasis dienen hierbei §§ 280,286, 325,326 BGB.
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2. Kap.: Die Rechtsgrundlagen vorvertraglicher Schuldverhältnisse
sten Blick nicht, da sie einen bestehenden Vertrag voraussetzen. Die bei der Untersuchung der Gesetzesanalogie gewonnene Erkenntnis, daß die gesetzlich geregelten Fälle in Tatbestand und Rechtsfolge sehr unterschiedlich sind und ein disparates Nebeneinander bilden, steht indessen auch der rechtlichen Verankerung der vorvertraglichen Schuldverhältnisse mittels Rechtsanalogie entgegen. Die Uneinheitlichkeit und das Fehlen eines inneren Zusammenhangs der normierten vorvertraglichen Bindungen lassen die Entwicklung eines allgemeinen Rechtsgedankens aus ihnen scheitern: Sie stellen bloß punktuelle Regelungen der übergreifenden Sachproblematik dar, die als vorvertragliches Schuldverhältnis und damit als Komplex im Zusammenhang zu sehender Pflichten dem BGB unbekannt ist 53 , daher läßt sich aus den genannten Vorschriften schwerlich ein allgemeiner Rechtsgedanke ableiten, wie es Voraussetzung für eine Rechtsanalogie wäre. Dennoch wählte namentlich das Reichsgericht auch diese Methode, als es in den ersten Jahrzehnten der Geltung des BGB den Weg für die Entwicklung des Rechtsinstituts hin zu seiner heutigen Gestalt bahnte54. Schon die Tatsache jedoch, daß das Reichsgericht daneben immer wieder auf andere Rechtsgrundlagen rekurrierte 55 und die Analogie nur auf einige der Normen stützte, die im BGB vorvertragliche Pflichten festschreiben, zeigt, daß sich auch die Voraussetzungen einer Rechtsanalogie nur schwer überzeugend begründen lassen56. Folgerichtig findet sich dieser Begründungsansatz auch nur noch selten in der modernen Literatur 57. Entscheidend gegen ihn spricht die
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Canaris , Vertrauenshaftung, S. 327; Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 175. Vgl. etwa die Entscheidungen RGZ 95, S. 58 ff. (S. 60); 104, S. 265 ff. (S. 267 ff.); 107, S. 357 ff. (S. 362). Zur Rechtsprechung des Reichsgerichts zusammenfassend Eugen v. Lackum, Verschmelzung und Neuordnung von „culpa in contrahendo" und „positiver Vertragsverletzung", 1970, S. 66 ff.; Nirk, FS Möhring 1965, S. 389 f. 55 Hierzu im einzelnen Nirk, FS Möhring 1965, S. 389 mit umfangreichen Nachweisen aus der reichsgerichtlichen Spruchpraxis. 56 Nirk, FS Möhring 1965, S. 390, geht allerdings davon aus, die Rechtsanalogie stelle in der Rechtsprechung die nicht mehr explizit angesprochene Grundlage des gesetzlichen Schuldverhältnisses dar; die Position von Nirk selbst bleibt aaO., S. 392 f. undeutlich: dort ist einmal vom „allgemeinen Rechtsgedanken" der culpa in contrahendo die Rede, der in richterlicher Rechtsfortbildung erarbeitet worden sei, sogleich darauf aber vom „besonderen Vertrauen" und schließlich von aus Treu und Glauben erwachsenden Verhaltenspflichten. In der FS Möhring 1975, S. 73 stellt Nirk nurmehr auf den Grundsatz von Treu und Glauben ab; das besondere Vertrauensverhältnis - das seinerseits durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründet wird, aaO., S. 75 - erscheint jetzt als Entstehungstatbestand für das gesetzliche Schuldverhältnis. 57 Er taucht bei Wiedemann, in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 115 ff. bei der Aufzählung der in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen nicht auf. Anders aber Sigurd Littbarski, Die Haftung aus culpa in contrahendo im öffentlichen Recht, JuS 1979, S. 537 ff. (S. 539), nach dem die Haftung aus culpa in contrahendo im Privatrecht „in Rechtsanalogie zu den §§ 179, 307, 309, 443, 523 I, 540, 600, 637 und 697 BGB allgemein bejaht wird". Diese Auffassung findet sich allerdings vornehmlich in der älteren Literatur, so etwa bei Alfred Werner, in: Julius v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band II, Teil 1 c, 10./11. Aufl., 1967, Vorbemerkungen zu §§ 275-292 Rdnr. 99; ähnlich aber auch Löwisch, in: Staudinger, BGB, Vorbemerkungen zu §§ 275 ff. Rdnr. 52. Nach Alff, in: RGRK, § 276 Rdnr. 96, lassen §§ 122, 179, 307, 309, 463 S. 2 BGB erkennen, daß dem BGB der Gedanke der Haftung für Verschulden bei Vertragsschluß 54
§ 8 Gewohnheitsrecht
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Nichtexistenz einer Struktur im BGB, die aus der Vielzahl der Pflichten, die es im Vorfeld und bei der Anbahnung eines Vertrages zu beachten gilt, ein in innerem Zusammenhang stehendes Ganzes formt, als welches sich heute das vorvertragliche Schuldverhältnis darstellt58.
ΠΙ. Analogie als Modus verwaltungsrechtlicher Rechtsetzung Damit ist die Rechts- und Gesetzesanalogie keine überzeugende Grundlage für vorvertragliche Schuldverhältnisse im Privatrecht. Eine zweite Frage ist, ob für ihre verwaltungsrechtlichen Ausprägungen auf diesem Wege eine Grundlage zu finden ist. Hierbei stellt sich sehr schnell heraus, daß die fragmentarische Regelung des öffentlichen Vertragsrechts und darüber hinaus des allgemeinen Verwaltungsrechts noch weniger als das Privatrecht analogiefähige Normen bereithält: Das Vertragsrecht der Verwaltungsverfahrensgesetze enthält nur weniges, was überhaupt auf vorvertragliche Pflichten hindeutet59. Damit lassen sich auch dort keine analogiefähigen Tatbestände oder Normkomplexe finden.
§ 8 Gewohnheitsrecht I. Gewohnheitsrechtliche Verfestigung vorvertraglicher Pflichten? Existenz und Voraussetzungen von Gewohnheitsrecht60 gelten kraft langer Tradition im Grundsatz als gesichert. Vonnöten sind die langandauernde Übung (consuetudo) und die allgemeine Überzeugung von der Rechtmäßigkeit
nicht fremd ist, ohne daß Alff die Entwicklung dieses Rechtsinstituts ausdrücklich auf die Rechtsanalogie zurückführen würde. Wolfgang Jäckle, Die Haftung der öffentlichen Verwaltung aus culpa in contrahendo im Licht der oberinstanzlichen Rechtsprechung, NJW 1990, S. 2520 ff. (S. 2521) sieht die Rechtsgrundlage in einer gewohnheitsrechtlich verfestigten Rechtsanalogie zu den §§ 122, 179, 307 BGB, wobei aber auch hier der verallgemeinerungsfähige Grundgedanke fehlt: nicht nur, weil die Vorschriften teilweise verschuldensunabhängig Rechtsfolgen bewirken, die untereinander stark differieren, sondern auch, weil §§122,179 Abs. 2 BGB eine eigengeartete Anscheinshaftung enthalten. Dazu Medicus, Verschulden, S.506; ders., FS Keller, S. 213 f.; Larenz, Schuldrecht AT, S. 109. 58 Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 175; Peter Gottwald, Die Haftung für culpa in contrahendo, JuS 1982, S. 877 ff. (S. 877); Küpper, Das Scheitern, S. 30; v. Lackum, Verschmelzung, S. 78; Larenz, Schuldrecht AT, S. 107; Max Vollkommer, in: Othmar Jauernig (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 7. Aufl., 1994, § 276 Anm. VI 1 c. 59 Nach Littbarski, JuS 1979, S. 537 ff. (S. 539) fehlt dort jeder auch nur annähernd eindeutige Hinweis auf die Haftung aus culpa in contrahendo. 60 Dazu Ossenbühl, Rechtsquellen und Rechtsbindungen, S. 148 ff. (§ 6 Rdnr. 71 ff.); ders., Gesetz und Recht - Die Rechtsquellen im demokratischen Rechtsstaat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR III, S. 281 ff. (S. 301 ff. [§ 61 Rdnr. 42 ff.]).
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2. Kap.: Die Rechtsgrundlagen vorvertraglicher Schuldverhältnisse
dieser Übung (opinio iuris), daneben als formales Element die Formulierbarkeit dieser Übung als Rechtssatz. Zwar wirft insbesondere die zweite der genannten Voraussetzungen gewisse Anwendungsprobleme auf 51 , die aber im Rahmen dieser Untersuchung nicht weiter erörtert werden sollen. Besonders in der wissenschaftlichen 62 Erörterung der vorvertraglichen Haftung wird häufig das Gewohnheitsrecht als Rechtsgrundlage herangezogen63. Unschwer läßt sich denn auch erkennen, daß dessen soeben dargestellte Voraussetzungen im Privatrecht für die Haftung aus vorvertraglichen Schuldverhältnissen vorliegen 64. Fraglich ist nur, ob die gewohnheitsrechtliche Verfestigung eines solchermaßen im Allgemeinen verhafteten Prinzips die Suche nach der Rechtsgrundlage zu einem erfolgreichen Abschluß bringen kann. /. Die fortbestehende
Ungewißheit über den Rechtsgrund
Die Berufung auf Gewohnheitsrecht verdeckt, daß auch die auf diesem Wege in die Rechtsordnung inkorporierten Bindungen ihrerseits der Verankerung bedürfen: Gewohnheitsrechtliche Anerkennung ersetzt keine dogmatische Begründung65. Diese bleibt also ein Desiderat. Hinzu kommt: Das Prinzip und einzelne seiner Ausprägungen mögen durchaus in der allgemeinen Rechtsüberzeugung, wie sie soeben konturiert wurde, ihren festen Platz gefunden haben. Aber auch diejenigen vorvertraglichen Pflichten, die im Umkreis moderner Vertragstypen modifiziert werden oder sogar neu entstehen, bedürfen einer Grundlage im Recht. Gerade weil das Rechtsinstitut des vorvertraglichen Schuldverhältnisses steter Fortentwicklung durch Rechtswissenschaft und Rechtsprechung unterliegt, läßt sich wohl nur für einzelne Teile desselben und für das zugrundeliegende allgemeine Prinzip, nicht jedoch für alle im Zusammenhang hiermit entwickelten Rechte und Pflichten 61
Dazu Larenz, Mcthodenlehre, S. 433. Die Rechtsprechung schweigt zu diesem Punkt zumeist. Von gewohnheitsrechtlicher Anerkennung des vorvertraglichen Schuldverhältnisses spricht der BGH jedoch in der Entscheidung NJW 1979, S. 1983 f. (S. 1983); dem folgend VGH Kassel, Urteil vom 23.3.1982, IX OE 53/79, ESVGH 32, S. 237 (nur LS), Umdruck S. 30. 63 Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 176; Gottwald, JuS 1982, S. 877 ff. (S.877); Heinrichs, in: Palandt, BGB, §276 Rdnr.65; Norbert Horn, Culpa in Contrahendo, JuS 1995, S.377ff. (S.379); Jäckle, NJW 1990, S. 2520 ff. (S. 2521 ) spricht von einer „gewohnheitsrechtlich verfestigten Rechtsanalogie"; Löwisch, in: Staudinger, BGB, Vorbemerkungen zu §§ 275 ff. Rdnr. 52; Gewohnheitsrecht bejaht auch Larenz, Methodenlehre, S. 433; ders., Schuldrecht AT, S. 108 f., allerdings unter Hinweis auf das letztlich den Haftungsgrund bildende Prinzip von Treu und Glauben; Vollkommen in: Jauernig, BGB, § 276 Anm. VI 1 c (gewohnheitsrechtlich verfestigte Rechtsfortbildung); zurückhaltend Emmerich, in: MUnchener Kommentar zum BGB, vor § 275 Rdnr. 58. 64 So auch v. Lackum, Verschmelzung, S. 79 f. 65 Wiedemann, in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 114; ähnlich Canaris , JZ 1965, S. 475 ff. (S. 478); Emmerich, in: Münchener Kommentar zum BGB, vor § 275 Rdnr. 58; v. Lackum, Verschmelzung, S. 80. 62
§ 8 Gewohnheitsrecht
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die allgemeine Überzeugung der Beteiligten von einem diese Bindung begründenden Rechtssatz und die dementsprechende Ausrichtung des Handelns66 feststellen. Zum größten Teil liegt hier richterliche Rechtsfortbildung vor, die allenfalls als ein Gewohnheitsrecht im Werden verstanden werden kann 67 . Sie bezieht ihre Legitimation denn auch nicht, zumindest noch nicht allein aus der Verwurzelung im allgemeinen Rechtsbewußtsein, sondern stützt sich unmittelbar auf andere, rechtsethische Prinzipien, als deren notwendige Konsequenz sie empfunden wird 68 . Darauf ist in den folgenden Paragraphen näher einzugehen. 2. Formale Hindernisse Schließlich stellt sich die Frage, ob das formale Element des Gewohnheitsrechts, die Formulierbarkeit als Rechtssatz, gegeben ist. Zweifel daran weckt die Unbestimmtheit und Weite, mit der zuweilen der Rechtsgrund vorvertraglicher Schuldverhältnisse mehr bildhaft umschrieben als juristisch präzise erfaßt wird - Unbestimmtheit, soweit lediglich auf das „Rechtsverhältnis der Vertragsverhandlungen" verwiesen wird, das gewohnheitsrechtlich anerkannt sei 69 ; Weite, da mittlerweile eine solche auch noch in ständiger Zunahme begriffene Vielzahl von Problembereichen des Privatrechts in diesem Rechtsinstitut zusammengefaßt wird, daß eine all dies umgreifende Norm notwendig zur vagen Generalklausel, zur Umschreibung des allgemeinen Prinzips wird 70 . Denn es
66 So die Definition der Entstehensvoraussetzungen von Gewohnheitsrecht bei Larenz, Methodenlehre, S. 433. 67 Signifikant hierfür die „Fülle und Verschiedenartigkeit der Fälle" (Horn, JuS 1995, S. 377 ff. [S. 378]), die regelmäßig als Beleg dafür dient, daß das Thema immer noch nicht „ausgeschöpft" (so schon Larenz, FS Beierstedt, S. 419) ist: Rudolf Nirk veranlaßte sie 1965 (FS Möhring 1965, S. 387) und stärker noch 1975 (FS Möhring 1975 im Titel und S. 72, 99) zu der Frage culpa in contrahendo - quo vadis?; für Volker Emmerich, Zum gegenwärtigen Stand der Lehre von der culpa in contrahendo, Jura 1987, S. 561 ff. (S. 561) übertrifft dieses Institut bereits die Unmöglichkeit der Leistung an Bedeutung, wobei ein Ende der Entwicklung noch nicht abzusehen sei. Einem derart im Fluß der Zeit stehenden Rechtsinstitut wird man schwerlich zur Gänze eine Verankerung im allgemeinen Rechtsbewußtsein nachweisen können, zumal schon die Auffassungen der Gerichte untereinander häufiger als bei anderen Problembereichen voneinander abweichen (so Nirk aaO.). 68 Larenz, Methodenlehre, S. 422 f. sieht in diesem Sinne die Haftung für culpa in contrahendo als Fortentwicklung und zugleich Konkretisierung des Prinzips von „Treu und Glauben"; ebenso - unter gleichgewichtiger Heranziehung des Vertrauensprinzips - Canaris , Vertrauenshaftung, S. 266 f. Eine derartige rechtsethische Fundierung nehmen - mehr oder weniger ausdrücklich darüber hinaus diejenigen an, die den Vertrauensgrundsatz (zu diesem als sozial-ethischer Komponente der Privatrechtsordnung Larenz, Allgemeiner Teil, S. 43 ff.; Canaris , Vertrauenshaftung, S. 439 ff.: Vertrauensprinzip als Korrelat der Privatautonomie; noch allgemeiner etwa Maurer, Kontinuitätsgewähr, S. 215 f. [§60 Rdnr. 6]: Vertrauen als Grundbedingung der freiheitlichdemokratischen Ordnung und Grundzug der gesamten Rechtsordnung) oder das Prinzip von Treu und Glauben (dazu unten § 13) als Rechtsgrundlage ansehen. 69 Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 276 Rdnr. 65. 70 Dies war auch der - etwa von Medicus, Verschulden, S. 486, herangezogene - Grund, warum die Aufnahme eines solchen Satzes in das BGB im Rahmen der geplanten Überarbeitung des
5 Keller
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2. Kap.: Die Rechtsgrundlagen vorvertraglicher Schuldverhältnisse
geht ja nicht bloß um eine einzelne Schadensersatzverpflichtung, sondern um einen Komplex vielfältiger Rechte und Pflichten, nach deren Wurzel zu suchen ist. Nimmt man wie schon im vorangegangenen Paragraphen einmal allein das Privatrecht in den Blick, so mag sich also etwa die Pflicht, die absoluten Rechtsgüter des Verhandlungspartners zu schützen und gegebenenfalls im Wege des Schadensersatzes wiederherzustellen, sprachlich fixieren lassen und mittlerweile auch gewohnheitsrechtlich verfestigt haben. Nur in sehr eingeschränktem Maße kann dies jedoch für die zahlreichen Informations- und Aufklärungspflichten gelten, die in ständiger Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung begriffen sind71, namentlich in den modernen Fallkonstellationen des Kapitalanlegerschutzes 72 , aber auch in sonstigen Fällen. Gerade diese modernen Gestaltungsformen sind aber beim verwaltungsrechtlichen Vertrag von besonderer Bedeutung, da er häufig als Mittel zur Bewältigung komplexer Problemlagen eingesetzt wird 73 . Evident ist bei diesen das Bedürfnis nach umfassendem, sachgerechtem Informationsaustausch. Die genaue rechtliche Konturierung dieser Verhaltensanforderungen steht allerdings noch aus. Daher bleibt der Rückgriff auf Gewohnheitsrecht -und damit auch auf die Übernahme eines solchen ins Verwaltungsrecht auf dem Wege des § 62 S. 2 VwVfG - als Grundlage verwehrt: Weder läßt sich hier eine Pflicht rechtssatzförmig formulieren noch dürfte insoweit bereits eine Übung der an solchen Verhandlungen Beteiligten festzustellen sein.
Π. Verwaltungsrechtliches Gewohnheitsrecht Bevor sich die Untersuchung daher den mehrfach angesprochenen rechtsethischen Prinzipien zuwendet und in ihnen selbst die Rechtsgrundlage sucht, auf der sich zum Teil Gewohnheitsrecht gebildet hat oder noch in Bildung be-
Schuldrechts wenig Befürwortung fand; vgl. auch die Bedenken, die sich aus diesem Gesichtspunkt gegen eine Gesetzesanalogie als Begründung ergaben (oben § 7 II 1). 71 Zur Auskunft als Inhalt von Schuldverhältnissen allgemein Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 567 ff. 72 Emmerich, in Münchner Kommentar zum BGB, vor § 275, Rdnr. 72 ff. 73 Materielle und zeitliche Komplexität sind nach Berichten aus der Praxis des Regierungspräsidiums Stuttgart Gründe, um zu Verhandlungs- und Vertragslösungen zu greifen: Peter Arnold, Die Arbeit mit öffentlich-rechtlichen Verträgen im Umweltschutz beim Regierungspräsidium Stuttgart, VerwArch 80 (1989), S. 125 ff. (S. 139 f.); Manfred Bulling, Kooperatives Verwaltungshandeln (Vorverhandlungen, Arrangements, Agreements und Verträge) in der Verwaltungspraxis, DÖV 1989, S. 277 ff. (S. 277, 278, 288). Weitere Beispiele für komplexe Verträge bei Hartmut Bauer, Anpassungsflexibilität im öffentlich-rechtlichen Vertrag, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, S. 245 ff. (S. 278 f.). Vgl. weiter allgemein zur Komplexität von Sachverhalten als Grund für den Abschluß von Verwaltungsverträgen Pavlos-Michael Efstratiou, Die Bestandskraft des öffentlichrechtlichen Vertrags, 1988, S. 85; Udo Di Fabio , Vertrag statt Gesetz?, DVB1. 1990, S. 338 ff. (S. 338); Hartmut Maurer, Der Verwaltungsvertrag - Probleme und Möglichkeiten, in: Hermann Hill (Hrsg.), Verwaltungshandeln durch Verträge und Absprachen, 1990, S. 15 ff. (S. 34 f.).
§ 9 Das Verfahrensrechtsverhältnis
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griffen ist, soll noch kurz die Frage nach einem verwaltungsrechtlichen Gewohnheitsrecht gestellt werden: Nicht nur von Seiten des Privatrechts liegt eine Verankerung der vorvertraglichen Haftung im Gewohnheitsrecht nahe, diese fügte sich auch ins Panorama derjenigen Rechtsinstitute des Verwaltungsrechts ein, die derartiges gewachsenes Recht darstellen: gehört sie doch zum allgemeinen Verwaltungsrecht, in dem dem Gewohnheitsrecht auch nach Erlaß der Verwaltungsverfahrensgesetze ein breiter Anwendungsbereich bescheinigt wird, auch wenn das aus den Äußerungen von Rechtsprechung und Schrifttum selten deutlich werde 74. Da aber noch im Jahre 1979 Anlaß zu Überlegungen gesehen wurde, ob das Rechtsinstitut der culpa in contrahendo im öffentlichen Recht überhaupt einen Platz habe75, spricht wenig für die Annahme, hier könnte bereits genuin verwaltungsrechtliches Gewohnheitsrecht entstanden sein. Das vorvertragliche Schuldverhältnis selbst kann daher noch nicht als gewohnheitsrechtlich im Verwaltungsrecht verankert angesehen werden.
§ 9 Das Verfahrensrechtsverhältnis I. Das Verfahrensrechtsverhältnis als Rechtsgrundlage? Die bisher diskutierten Rechtsgrundlagen entsprachen denjenigen, die auch im Privatrecht herangezogen werden, so daß leicht der Eindruck entstehen konnte, es gehe in dieser Untersuchung nur darum, eine dogmatische Begründung im Privatrecht zu finden, die dann ins Verwaltungsrecht zu transponieren sei. Wie die Überlegungen zum Selbststand des Verwaltungsvertragsrechts gezeigt haben, würde ein solch verkürzter Ansatz dessen Reichtum an Bezügen und dogmatischen Vorgaben auch und gerade aus dem öffentlichen Recht nicht gerecht. Eine stärker am Verwaltungsrecht und dessen Eigenständigkeit orientierte Sichtweise könnte nun den Versuch unternehmen, im Verfahrensrechtsverhältnis76 als dogmatischer Frucht der Verwaltungsverfahrensgesetze des
74 Ossenbühl, Rechtsquellen und Rechtsbindungen, S. 149 f. (§ 6 Rdnr. 74). Die Bedeutung des Gewohnheitsrechts im Verwaltungsrecht betont auch Henke, Das Recht der Wirtschaftssubventionen, S. 17. 75 Littbarski, JuS 1979, S. 537 ff. (S. 537, 539). - Gänzlich ablehnend Hans-Jürgen Papier, Die Forderungsverletzung im öffentlichen Recht, 1970, S. 99 ff., 111 ff., nach dem Art. 34 GG als umfassende Zurechnungs- und Haftungsnorm für Außenrechtspflichtverletzungen des Staates aufzufassen ist. 76 Allgemein hierzu Joachim Martens, Die Praxis des Verwaltungsverfahrens, 1985, S. 41 ff.; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 9 Rdnr. 5 ff. sowie die Nachweise in der folgenden FN; zu den Gründen für das in den letzten Jahrzehnten stetig zunehmende rechtswissenschaftliche
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. Kap.: Die e h t s n d e
vorvertraglicher Schuldverhältnisse
Bundes und der Länder eine normative Grundlegung von Rechten und Pflichten der Verhandlungspartner zu sehen. Eine derartige Ableitung würde - wie sich schon aus der Terminologie ergibt-zugleich die Impulse der Rechtsverhältnislehre aufnehmen: Einmal ist die Dogmatik mittlerweile soweit, verfahrensrechtliche Pflichten auch des Bürgers als selbstverständlich anzuerkennen 77 , wodurch die von der Rechtsverhältnislehre postulierte Mehrpoligkeit Berücksichtigung findet. Außerdem wäre schon ein Bestand an Pflichten vorhanden, von dem aus die Systematisierung ihren Ausgang nehmen könnte. Und zum anderen bietet sich die Kennzeichnung der - systematisierten - Pflichten als vorvertragliches Schuldverhältnis in Fällen eines während dieses Verfahrens wenigstens zeitweise in Aussicht genommenen Vertragsschlusses schon deswegen an, weil das Verwaltungsverfahren nach der oft kritisierten Norm 78 des § 9 VwVfG mit dem Vertragsabschluß endet; insofern liegt nicht nur eine zeitliche Parallele, sondern zugleich-und das ist im Blick auf die Rechtsverhältnislehre von Belang-eine an der Zeitachse orientierte Betrachtungsweise vor 79 .
Π. Das Verhältnis von Verfahrensrecht und vorvertraglichen Pflichten /. Der Entstehungstatbestand des Verwaltungsverfahrens Hieraus ergeben sich aber sofort auch Gründe, die gegen eine solche Gleichsetzung von vorvertraglichem Schuldverhältnis und Verfahrensrechtsverhältnis sprechen, deren Erörterung allerdings einen Vorgriff auf den Gegenstand des nächsten Kapitels erfordert: Sowohl der Beginn als auch der Abschluß des Verwaltungsverfahrens werden nämlich nicht durch objektive Kriterien festgeInteresse an Verwaltungsverfahren zusammenfassend Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR III, S. 624 ff. (S. 625 f. [§ 70 Rdnr. 4]). 77 Vgl. das einschlägige Fallmaterial bei Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 9 Rdnr. 26 sowie umfassend zu einem Teilbereich Klaus Grupp, Mitwirkungspflichten im Verwaltungsverfahren, VerwArch 80 (1989), S. 44 ff. Allerdings hat diese Beidseitigkeit der Pflichten vielerorts noch keinen deutlichen Niederschlag gefunden: Sie wird etwa von Hans Peter Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 1993, S. 171 (Rdnr. 500) zwar erwähnt, ausführlich diskutiert werden aber im folgenden bis auf die Obliegenheit des § 26 Abs. 2 VwVfG nur die „Pflichten der Verwaltung im Verwaltungsverfahren im einzelnen" (aaO., S. 171 ff. [Rdnr. 502 ff.]); genauso einseitig gewichtend Peter Badura, Das Verwaltungsverfahren, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 415 ff. (S. 453 ff. [§ 37 Rdnr. 1 ff.]). Auch Walter Krebs, Verträge und Absprachen zwischen der Verwaltung und Privaten, VVDStRL 52 (1993), S. 248 ff. (S. 260 ff.), der als erste der im Rahmen einer allgemeinen Vertragsdogmatik zu untersuchenden Phasen ausdrücklich das „ Verfahren vor Vertragsschluß" (Hervorhebung hinzugefügt) nennt, nimmt dabei lediglich die „Verfahrensbindung des Verwaltungsträgers" und ebenfalls an die Verwaltung gerichtete „Vertragsgebote" in den Blick. 78 Dazu etwa Friedrich Schoch, Der Verfahrensgedanke im allgemeinen Verwaltungsrecht Anspruch und Wirklichkeit nach 15 Jahren VwVfG, Die Verwaltung 25 (1992), S. 21 ff. (S. 33 f.). 79 Daher wird auch für die wissenschaftliche Durchdringung des Verfahrensrechts eine phasenspezifische Betrachtung als grundlegende Gliederung - parallel zum Vertragsrecht - für zwingend notwendig erachtet: Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, S. 643 f. (§ 70 Rdnr. 27 f.).
§ 9 Das Verfahrensrechtsverhältnis
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legt, sondern ihre Bestimmung ist den Beteiligten des Verfahrens überantwortet. Für das Verfahren nach dem VwVfG gilt etwa: Sein Beginn ist gesetzlich nur mittelbar geregelt80 und liegt in der Hand der das Verfahren leitenden Behörde. Ebenso gibt § 9 VwVfG zwar die Formen vor, in denen nach der Konzeption des Gesetzes der Abschluß des Verfahrens stattfindet, sagt aber nicht, welche Umstände maßgeblich für die Auswahl einer dieser Formen sind: Ob das Verfahren durch Verwaltungsakt oder Vertrag, mit „informellem Handeln" oder in sonstiger Weise81 endet, obliegt zumindest der pflichtgemäßen Ermessensentscheidung der Behörde 82; bei allen Formen „kooperativen" Verwaltungshandelns bedarf es darüber hinaus noch häufig der Zustimmung des oder der sonstigen Beteiligten. Ohne daß hierauf näher eingegangen werden soll, wird schon deutlich, daß der zeitliche Rahmen des Verfahrens und damit auch der Bindung der daran Beteiligten an Verfahrensrechte und -pflichten von diesen selbst abgesteckt wird. Nun liegt aber der Zweck der Charakterisierung des vorvertraglichen Schuldverhältnisses als „gesetzlicher", nicht von Willensakten der Beteiligten abhängiger Rechtsbeziehung darin, daß sie dem Rechtsgüterschutz dient, ohne daß es auf eine darauf gerichtete Willensbetätigung ankäme. Lehnte nämlich eine Behörde einen an sie gerichteten Antrag auf Vertragsabschluß und zugleich auf Durchführung eines Verfahrens gemäß § 22 S. 1 VwVfG ab, so wären sie und der Antragsteller von allen Pflichten freigestellt 83. Dies kann schon deswegen nicht richtig sein, weil Bindungen auch während eines derartigen knappen Kontaktes bestehen. Umgekehrt könnte durch ein Hinauszögern des Verfahrensabschlusses die intensivierte Pflichtenlage über das sachgerechte Ausmaß hinaus verlängert werden. Der Wirkungseintritt der Rechtsgrundlage darf daher nicht von der Entscheidung eines der Beteiligten abhängen. 2. Die materielle Struktur des Verfahrensrechtsverhältnisses Gegen die Gleichsetzung von Verfahrensrechtsverhältnis und Rechtsgrund der vorvertraglichen Pflichten spricht auch noch eine weitere Erwägung. Der Blick auf den Inhalt des Verfahrensrechtsverhältnisses zeigt, daß seine Diskussion einem späteren Abschnitt dieser Untersuchung vorbehalten bleiben muß:
80 Insbesondere lassen sich §22 VwVfG hierzu keine eindeutigen Aussagen entnehmen. Nach Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 9 Rdnr. 61, 67, obliegt der Behörde die Entscheidung über die Einleitung eines Verwaltungsverfahrens, mit dem das Verfahrensrechtsverhältnis synchron abläuft; ebenso J. Martens, Praxis, S. 71. Zum Beginn des Verwaltungsverfahrens vgl. im übrigen unten § 14 II 1. 81 Beispiele hierfür bei Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 9 Rdnr. 121. 82 Efstratiou, Die Bestandskraft, S. 177 f.; Arno Scherzberg, Grundfragen des verwaltungsrechtlichen Vertrages, JuS 1992, S. 205 ff. (S. 209 f.), auch zu möglichen Einschränkungen und Bindungen dieses Ermessens, die unter dem Stichwort „Vorrang der Vertragsform" diskutiert werden. 83 Vgl. Dirk Ehlers, Rechtsverhältnisse in der Leistungsverwaltung, DVB1. 1986, S. 912 ff. (S. 918).
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. Kap.: Die e h t s n d e
vorvertraglicher Schuldverhältnisse
Es hat seinen Platz nicht bei den Rechtsgrundlagen, sondern bei den Entstehungstatbeständen und den Inhalten vorvertraglicher Schuldverhältnisse. Denn gerade wenn man das Verwaltungsverfahren als „Verwirklichungsmodus des Verwaltungsrechts" 84 auffaßt, so wird deutlich, daß das Verfahrensverhältnis selbst nicht pflichtenerzeugend wirkt, sondern ein seinerseits vom Recht gesteuerter 85 Prozeß ist. Auf diese rechtlichen Vorgaben - und nicht auf das Rechtsverhältnis des Verfahrens-müssen sich auch die als formelle oder Verfahrenspflichten 86 gekennzeichneten Bindungen der an einem vorvertraglichen Verhältnis Beteiligten zurückführen lassen. Das Verwaltungsverfahrensrechtsverhältnis ist keine Rechtsgrundlage87, sondern ein Abschnitt der Beziehungen zwischen Verwaltung und Bürger oder zwischen verschiedenen Verwaltungsträgern. Das Verfahrensrechtsverhältnis stellt demgemäß nur die Gesamtheit der spezifisch verfahrensrechtlichen Verhaltensanforderungen während dieser Phase dar; es setzt eine anderweitige normative Begründung der in ihm zusammengefaßten Rechte und Pflichten voraus. Inhaltlich bildet das Verfahrensrechtsverhältnis damit eine Schnittmenge mit dem vorvertraglichen Schuldverhältnis, indem sich diese zwei Pflichtenkreise in Gestalt der verfahrensrechtlichen und der materiellrechtlichen Bindungen vor Abschluß eines Verwaltungsvertrages zeitlich und inhaltlich überschneiden können. Noch nicht abgeschlossen ist mit dieser Feststellung aber die Suche nach der Rechtsgrundlage vorvertraglicher Schuldverhältnisse.
§ 10 Das Rechtsstaatsprinzip I. Die beschränkte inhaltliche Aussagekraft des Rechtsstaatsprinzips Verbleibt man in Verfolgung des Zieles dieses Kapitels auch in diesem Paragraphen noch im Bereich spezifisch öffentlich-rechtlicher Rechtssätze, so bietet sich als Rechtsgrundlage das in seiner Bedeutung weit über Verwaltungsund Verwaltungsverfahrensrecht hinausgehende Rechtsstaatsprinzip an, welches die Entscheidung für die Gestaltung des staatlichen und auch des gesell84
Dazu Rainer Wahl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, WDStRL 41 (1983), S. 151 ff. (153 ff.) und im übrigen oben § 2 III. 85 Friedhelm Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 2. Aufl., 1991, S. 34 f. (Rdnr. 19). 86 Zur unsicheren Abgrenzung zwischen den Begriffen „formelles Recht" und „Verfahrensrecht" Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, S. 626 f. (§ 70 Rdnr. 6); für Bonk, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, § 1 Rdnr. 25 stellt das formelle Verwaltungsrecht den Oberbegriff zu Organisations· und Verfahrensrecht dar; von zwei sich überschneidenden Bereichen geht Badura, Das Verwaltungsverfahren, S. 420 f. (§ 33 Rdnr. 7 ff.) aus. 87 Carl Hermann Ule/Hans-Werner Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Aufl., 1995, S. 216 (§ 19 Rdnr. 24).
§ 10 Das Rechtsstaatsprinzip
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schaftlichen Lebens nach Maßgabe des Rechts 88 -und damit ein Slrukturprinzip der gesamten Staatlichkeit-darstellt. Mit einer derart allgemeinen Formel ist das dieser Untersuchung gestellte konkrete Rechtsproblem freilich noch nicht einmal ansatzweise gelöst; und bei der Konkretisierung des Prinzips und seiner Verknüpfung mit dem hier zu untersuchenden Sachproblem ist es daher erforderlich, sich nicht unter diejenigen ,,findige[n] Köpfe" einzureihen, die das Rechtsstaatsprinzip als „Zauberkiste" mißbrauchen, indem sie aus ihm „schon alle möglichen Rechtsprinzipien und Ansprüche hervorgezaubert haben"89 und bei sich neu stellenden Fragen nur allzu schnell und leichthin auf dieses vermeintliche Wundermittel zurückgreifen. Hier sind also Zurückhaltung und Augenmaß am Platze. Andererseits wird der „Selbststand des Verwaltungsvertragsrechts" häufig mit dem Rechtsstaatsprinzip verknüpft 90. Möglicherweise ist hier die Stelle, die rechtsstaatliche Prägung eines speziellen Sachproblems genauer herauszuarbeiten und das Prinzip in einer normativ orientierten Sichtweise dergestalt einzubinden, daß es sein diffuses Erscheinungsbild wenigstens im hier interessierenden Zusammenhang verliert. Denn könnte es aufgrund nachvollziehbarer und rationaler Deduktionen als Rechtsgrundlage vorvertraglicher Schuldverhältnisse festgemacht werden, so würde einerseits der zu konkretisierende Zusammenhang zwischen dem Selbststand und den rechtsstaatlichen Bedingtheiten des Verwaltungsvertragsrechts nicht bloß den Verweis von einer juristischen Formel auf die nächste darstellen, sondern als Chiffre eines in sich konsistenten Ausschnitts vertragsspezifischer Dogmatik dienen. Zum anderen wäre
88 Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, S. 999 (§24 Rdnr. 21). Allgemein zum Rechtsstaatsprinzip ferner Roman Herzog, in: Theodor Maunz u. a., Grundgesetz, Kommentar, Art. 20 (Stand: September 1980), insbesondere Abschn. VII, daneben Abschn. V und VI; Philip Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip - Überlegungen zu seiner Bedeutung für das Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1986. 89 So Püttner, VVDStRL 32 (1974), S. 200 ff. (S. 203) (Klammerzusatz hinzugefügt) mit Blick auf die Verankerung des verwaltungsrechtlichen Vertrauensschutzes im Rechtssstaatsprinzip - ein nicht weit entferntes Thema! Moderater formuliert das Problem der erschwerten begrifflichen und inhaltlichen Faßbarkeit Herzog, in: Maunz u. a., GG, Art. 20, Abschn. VII Rdnr. 3, indem er die Vielseitigkeit dieses Prinzips betont, das sich auf verschiedenen rechtslogischen Ebenen bewege und dadurch erhebliche Definitions- und Operationalisierungsprobleme verursache. Diese sind auch das Generalthema von Kunig, Rechtsstaatsprinzip, der „dem" Rechtsstaatsprinzip jede eigenständige rechtliche Aussagekraft abspricht und die Lösung der dort verorteten Einzelprobleme in sachnäheren Verfassungsnormen sucht (zusammenfassend S. 458). Sehr fraglich ist allerdings, ob diese Auffassung dem Charakter des Rechtsstaatsprinzips als Staatsstrukturbestimmung gerecht wird; vgl. zur Kritik Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, S. 990 ff. (§ 24 Rdnr. 7 ff.). 90 So wird beispielsweise die Frage nach einer „Vertragsfreiheit" der verhandelnden und vertragsschließenden Verwaltung regelmäßig unter Rückgriff auf die Gesetzesbindung der Verwaltung verneint - siehe nur Eberhard Schmidt-Aßmann/Walter Krebs, Rechtsfragen städtebaulicher Verträge, Vertragstypen und Vertragsrechtslehren, 2. Aufl., 1992,S. 130f\\Bonk, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, § 59 Rdnr. 22 -, wodurch diesem rechtsstaatlichen Prinzip ein entscheidender Anteil an der „Eigenständigkeit des Rechtsinstituts 'Verwaltungs vertrag'" (Krebs, VVDStRL 52 (1993), S. 248 ff. [S. 256]) zukommt.
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vorvertraglicher Schuldverhältnisse
der Einpassung dieses Teilstücks nicht nur ins Vertragsrecht, sondern in das öffentliche Recht insgesamt gedient; und schließlich ließe sich das Rechtsstaatsprinzip von dem Ruf eines rechtswissenschaftlichen Allerweltstopos reinigen. Dieser zuletzt genannte Gewinn läßt sich aus der Untersuchung in jedem Falle ziehen, weil auch bei einem negativen Ergebnis, also der Nichtexistenz des in Rede stehenden Ableitungszusammenhangs, insoweit wenigstens Klarheit geschaffen werden kann.
Π. Das Verhältnis des Rechtsstaatsprinzips zu den vorvertraglichen Pflichten 1. Die Konkretisierung
des Prinzips
In einem ersten Schritt müssen dazu nach einer allgemeinen Begriffsbestimmung in jedem Falle zwischen jenem allgemeinen Prinzip und dem vorvertraglichen Schuldverhältnis noch eine oder mehrere „dogmatische Zwischenebenen"91 eingezogen werden; dies ist grundsätzlich auch legitim und methodisch zulässig, denn auf einem anderen Wege läßt sich gar keine dogmatisch haltbare Verbindung zwischen dem auf höchstem Abstraktionsniveau angesiedelten Prinzip 92 und dem konkreten Rechtsverhältnis im Bereich des Vorvertraglichen herstellen. Solches Tun muß sich nur stets bewußt halten, daß das gewünschte Ergebnis nicht vorher schon in das Prinzip hineingelegt werden darf, um dann an der passend erscheinenden Stelle wieder hervorgeholt zu werden; insbesondere die „Zwischenebenen" bedürfen daher einer festen Verankerung, die ihnen in nachvollziehbarer Weise im „Fundament" des Rechtsstaatsgrundsatzes Halt gibt 93 . 91
Zum Konzept „dogmatischer Zwischenebenen", das angesichts des fragmentarischen Charakters des öffentlichen Vertragsrechts allgemein eine wichtige Funktion erfüllt, Krebs, WDStRL 52 (1993), S. 248 ff. (S. 259 f., 278 f.) sowie oben § 2 II. 92 Bestreitet man die Existenz „desu Rechtsstaatsprinzips und führt dogmatische Ableitungszusammenhänge nur auf eine Vielzahl von sachnäheren Einzelausformungen zurück, unter denen dann für das je zu lösende Problem der einschlägige Rechtssatz auszuwählen ist (so Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 309 ff.), so verliert die im Text angesprochene Suche nach Zwischenebenen nicht ihre Berechtigung, denn die Einzelausprägungen des Prinzips stellen nach der traditionellen Ansicht ja gerade solche Zwischenschritte dar, die nunmehr an den ersten Rang rücken. 93 So geht auch Schumacher, Vertragsaufhebung, S. 79 ff., 96 f. bei seinem Unternehmen vor, im Privatrecht gesteigerte Informationspflichten gegenüber Unerfahrenen vor und während des Vertragsschlusses aus dem Sozialstaatsprinzip zu begründen, indem er nach „Unterprinzipien" dieses Grundsatzes sucht, die das Bindeglied zu den jeweiligen Einzelpflichten darstellen. Inhaltlich problematisch bleibt bei diesem Entwurf, daß die Existenz einer allgemeinen Informationspflicht gegenüber Unerfahrenen mit der durch sie begründeten erhöhten Effektivität des Schutzes Schwächerer im Recht begründet wird (S. 83, 96), was angesichts der Weite der verwendeten Begriffe weniger eine Erklärung denn einen Evidenzappell darstellt. Die grundsätzliche Geltung der von ihm angeführten Grundsätze zumal im Privatrecht, die Schumacher (S. 96 f.) auf § 242 BGB stützt, wird damit noch nicht schlüssig belegt, da dem Privatrecht eine generelle Ungleichbehandlung von Vertragsparteien aufgrund sozialer Kriterien fremd ist und den existierenden gesetzlichen Informationspflichten auch nicht in jedem Falle zugrundeliegt.
§ 10 Das Rechtsstaatsprinzip
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Erhebliche Schwierigkeiten, die zugleich verständlich machen, warum der Verweis auf das Rechtsstaatsprinzip dogmatisch häufig so wenig überzeugt, stellen sich schon bei der genauen Beschreibung dieses Fundaments in den Weg. Die mehrfach angesprochene und auch funktionell notwendige Abstraktionshöhe entbindet nämlich nicht von der Notwendigkeit, den Ausgangspunkt der Überlegungen begrifflich so präzise als möglich zu erfassen. Der Inhalt des Rechtsstaatsprinzips läßt sich indessen nur sehr vage formulieren: Diesem Grundsatz ist nach einer als allgemein anerkannt bezeichneten Definition als rechtliche Aussage abzugewinnen, „daß die Ausübung staatlicher Macht nur auf der Grundlage der Verfassung und von formell und materiell verfassungsmäßig erlassenen Gesetzen mit dem Ziel der Gewährleistung von Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit zulässig ist" 94 . Nimmt man nun diese weite Begriffsbestimmung, eigentlich eine Festlegung verfassungsrechtlicher Strukturen der Staatlichkeit, als der Konkretisierung fähigen und bedürftigen Ausgangspunkt hin, so begegnen auf der nächsten Konkretisierungsstufe und damit auf der ersten dogmatischen Zwischenebene Begriffe und Rechtsfiguren 95, von denen im hier interessierenden Zusammenhang aber nur zwei der weiteren Überprüfung bedürftig erscheinen. Als erstes ist hier die Linie vom Rechtsstaatsprinzip zum Vertrauensschutz96 zu nennen, die entweder direkt oder über die Zwischenstufe der Rechtssicherheit gezogen wird, deren Endpunkt freilich eine neue Unbekannte, die erst im folgenden Paragraphen gründlicher zu erörtern sein wird, darstellt97. Als Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips in Form einer Rechtsgrundlage vorvertraglicher Schuldverhältnisse - und nur darum soll es jetzt gehen - überzeugt der Vertrauensschutz jedenfalls nicht - schon deswegen nicht, weil nicht klar wird, wie aus dem den Staat verpflichtenden Rechtsstaatsprinzip der sich in der hier zu unter-
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Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band 1,2. Aufl., 1984, S. 781. Zu den wesentlichen Elementen der Rechtsstaatlichkeit nach dem Grundgesetz Herzog, in: Maunz u. a., GG, Art. 20, Abschn. VII Rdnr. 21 ff.; Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, S. 1023 ff. (§ 24 Rdnr. 69 ff). „Inhalte und Verwendungsweisen des Rechtsstaatsprinzips" im Spiegel der Verfassungsinterpreten beleuchtet kritisch Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 113 ff. 96 Sie findet sich auch in der ein vorvertragliches Schuldverhältnis des Verwaltungsrechts betreffenden Entscheidung BGHZ 71, S. 386 ff. (S. 393), die Vertrauensschutz als „Merkmal jeder rechtsstaatlichen Ordnung" bezeichnet. Aus der Literatur Weber-Dürler, Vertrauensschutz, S.47ff. unter Hinweis auf die Möglichkeit, diese Ableitungsfolge durch eine „Flut von Literatur" zu erhärten; Kisker, VVDStRL 32 (1974), S. 149 ff. (S. 161 f.); Püttner, VVDStRL 32 (1974), S. 200 ff. (S. 203 f.). Die Schwächen, unter denen die Schlüssigkeit dieser Ableitungsfolge vor allem wegen ihrer defizienten dogmatischen Begründung leidet, veranlassen Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 257, vom „Schein einer rechtlichen Begründung" zu sprechen, der den in Wirklichkeit zugrundeliegenden „Dezisionismus" verdecken solle. Im hier interessierenden Zusammenhang sollen zunächst die Unterprinzipien auf ihre Tragfähigkeit untersucht werden; stellen schon sie sich als ungeeignet heraus, mag ihre Verankerung im Rechtsstaatsprinzip im einzelnen dahinstehen. 97 Andeutungsweise zur Bedeutung des „Vertrauens" im Zusammenhang vorvertraglicher Schuldverhältnisse schon oben § 61. 95
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vorvertraglicher Schuldverhältnisse
suchenden Konstellation98 an Staat und Bürger richtende Grundsatz des Vertrauensschutzes entsteht99. Denn im vorvertraglichen Schuldverhältnis sind alle Beteiligten in Entsprechung zu ihrer rechtlichen Gleichstellung in die Pflicht zu nehmen-das heißt für Vertragsvorbereitungen zwischen Staat und Bürger, daß auch auf Seiten Privater Bindungen entstehen müssen. Der zweite denkbare Ableitungszusammenhang führt vom Rechtsstaatsprinzip zu einer generellen Haftung für staatliches Unrecht, wie er im Zusammenhang und in Erweiterung des sogenannten Folgenbeseitigungsanspruchs und ähnlicher Institute diskutiert wird 100 . Der Beschreitung dieses Weges steht von vornherein entgegen, daß ja im vorvertraglichen Schuldverhältnis erst festgestellt werden muß, was Recht und was Unrecht ist: Aufbauend auf eine Rechtsgrundlage gilt es zunächst, den Pflichtenkreis der an der Vertragsvorbereitung Beteiligten abzustecken, bevor Ansprüche aus der Verletzung dieser Pflichten entwickelt werden können. Jener auf die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, aber auch auf die Grundrechte gestützte Ableitungszusammenhang vermag also allenfalls für die Rechtsfolgen und Sanktionen, nicht aber für den Grund der intensivierten Pflichtenlage von rechtlicher Bedeutung zu sein 101 . 2. Die Ungeeignetheit des Prinzips als Rechtsgrundlage Zudem wird auch hier ein Umstand deutlich, der allen Ableitungsversuchen aus dem Rechtsstaatsprinzip entgegenstand und es schon für sich genommen als Rechtsgrundlage untauglich macht: mag auch seine Bedeutung im nichtstaatlichen Bereich nicht ganz gering sein, so handelt es sich in erster Linie 98 Andere Voraussetzungen liegen in den klassischerweise unter der Überschrift „Vertrauensschutz" behandelten Fällen vor, in denen von vornherein nur das Vertrauen des Bürgers in den Bestand an ihn gerichteter Rechtsakte (Rechtsnormen - dazu etwa Maurer, Kontinuitätsgewähr, S. 218 ff. [§ 60 Rdnr. 10 ff.]) - und einseitig-hoheitliche Verwaltungshandlungen - dazu Maurer, aaO., S. 248 ff. [§ 60 Rdnr. 65 ff.]) geschützt werden soll. 99 Püttner, WDStRL 32 (1974), S. 200 ff. (S. 203). 100 Dazu Fritz Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 4. Aufl., 1991, S.240ff; Friedrich Schoch, Folgenbeseitigung und Wiedergutmachung im öffentlichen Recht, VerwArch 78 (1989), S. 1ff, die den mittlerweile „umfassenden Schutzanspruch" gegenüber hoheitlichem Unrecht in erster Linie auf die Grundrechte stützen (Ossenbühl aaO., S. 241,251 ff), während die Rechtsprechung (BVerwGE 69, S. 366 ff. [S. 370]) Art. 20 Abs. 3 GG bemüht. Kritisch zur Ableitung einer derart umfassenden Haftung, insbesondere einer allgemeinen Vertrauensentschädigung Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, S. 1035 (§ 24 Rdnr. 88). - Bemerkenswert ist im übrigen, daß Ossenbühl (aaO., S. 251) der Diskussion um die Rechtsgrundlagen „Lustlosigkeit und Gleichgültigkeit" attestiert und damit die beinahe zwanzig Jahre früher gestellte Diagnose von Kisker anläßlich der Frage nach den Grundlagen des ebenfalls herkömmlicherweise beim Rechtsstaatsgrundsatz verorteten Vertrauensschutzes fast wortgleich bestätigt (WDStRL 32 [1974], S. 149 ff. [S. 162 FN 50]). 101 Hier ist allerdings mit Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 252 sogleich einschränkend daran zu erinnern, daß das Rechtsstaatsprinzip und die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zwar ebenso wie die neuerdings als Grundlage herangezogenen Grundrechte zwar einen Ausgleich der erfolgten Rechtsverletzung erfordern, für die inhaltliche Ausgestaltung dieser Sekundäransprüche aber wenig oder gar nichts vorgeben.
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doch um eine Strukturbestimmung, die dem Staat eine Ausrichtung und Grundordnung gibt. Der Staat und seine Organe sollen in die Bahnen des Rechts gebracht, in die Pflicht genommen werden, nicht aber der Bürger, der der Nutznießer und nicht der Verpflichtete dieser Bändigung von Macht ist. Eine solche Sinnbestimmung und Eingrenzung entspricht sowohl der historischen Entwicklung dieses Grundsatzes102 als auch modernem Verfassungsverständnis 103 besser als der undifferenzierte Rückgriff auf jenes Prinzip. 3. Geltung des Prinzips als Rechtsgrundlage für staatliche Verhandlungsbeteiligte? Gesondert zu erwägen ist allerdings, ob wenigstens die Bindung staatlicher Beteiligter in dieser Phase auf das Rechtsstaatsprinzip zurückgeführt werden kann. Dies würde indessen bedeuten, daß sich das vorvertragliche Schuldverhältnis im Verhältnis zwischen Verwaltung und Privaten dann auf unterschiedliche Rechtsgrundlagen stützt, eine Konsequenz, die angesichts der rechtlichen Gleichordnung der Beteiligten im Vertragsrechtsverhältnis wenig überzeugt: Mögen auch die Pflichten staatlicher und privater Beteiligter während der Vertragsanbahnung im einzelnen unterschiedlich sein, so handelt es sich doch um ein Rechtsverhältnis, das nicht ohne Not in mehreren Rechtsgrundlagen seinen Ursprung und rechtlichen Bezugspunkt finden sollte.
ΙΠ. „Neminem laedere" Im Anschluß an das Unternehmen, im Rechtsstaatsprinzip und damit einem in erheblicher Abstraktionshöhe angesiedelten Prinzip die gesuchte Rechtsgrundlage zu finden, ist auf einen Ansatz einzugehen, der den rechtlichen Ursprung der intensivierten Pflichtenlage in der vorvertraglichen Phase noch „höher" verortet, indem er sie auf einen „Elementarsatz unserer Rechtsanschauung" - neminem laedere - zurückführt, dessen Verwirklichung „schiere Gerechtigkeit" darstelle104. 102 Diese war stets auf Freiheitssicherung für den einzelnen durch Kanalisierung, Mäßigung und Bändigung der staatlichen Gewalt ausgerichtet, vgl. zur geschichtlichen Entwicklung Herzog, in: Maunz u. a., GG, Art. 20, Abschn. VII Rdnr. 5 ff, zur Freiheit des einzelnen als sinngebendem Zweck Rdnr. 12, 33; Stern, Staatsrecht I, S. 764 ff.; Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, S. 992 ff. (§ 24 Rdnr. 10 ff), S. 1001 (Rdnr. 25) zu Distanz und Sphärenabgrenzung des einzelnen gegenüber anderen Individuen, Verbänden und dem Staat als Grundaussagen der Rechtsstaatlichkeit. 103 Zum heutigen Bedeutungsgehalt von Rechtsstaatlichkeit vgl. bereits die Nachweise in der vorigen FN sowie nochmals kritisch Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 458, der an ihre Stelle bei der Lösung von Rechtsproblemen „einzelne Bestimmungen der Verfassung, insbesondere ... Art. 20 Abs. 3 GG und ... die Grundrechte" setzen möchte. 104 Eduard Picker, Positive Vertragsverletzung und culpa in contrahendo - Zur Problematik der Haftungen „zwischen" Vertrag und Delikt, AcP 183 (1983), S. 369 ff. (Zitate S. 462); ders., Vertragliche und deliktische Schadenshaftung - Überlegungen zu einer Neustrukturierung der Haftungssysteme, JZ 1987, S. 1041 ff.
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Seine Untersuchung erfolgt deswegen im systematischen Zusammenhang mit dem Rechtsstaatsprinzip, weil jener „Elementarsatz" zu den strukturgebenden Prinzipien der rechtsstaatlichen Gesamtordnung gezählt wird 105 . Damit entspringen die beiden Ableitungsfolgen einer gemeinsamen Wurzel, wenngleich sie im einzelnen keine Berührungspunkte mehr aufweisen. 1. Der Ausgangspunkt Der kühne und eine weitgreifende Neuorientierung erstrebende Entwurf speist seine dogmatisch-reformerische Energie aus dem als anlagebedingt und grundsätzlich empfundenen Fehlschlag aller bisherigen Versuche 106, die Haftung aus culpa in contrahendo (und positiver Forderungsverletzung) materiellrechtlich zu begründen. Doch unterscheidet Pickers fulminante Kritik zum Teil nicht hinreichend zwischen den Rechtsgrundlagen und den Entstehungstatbeständen vorvertraglicher Schuldverhältnisse: Auf gleicher Ebene werden das Problem des Beginns der intensivierten Pflichtenbeziehung durch faktischen 107 oder sozialen108 Kontakt und die Lehre von der Vertrauenshaftung, auch soweit diese das Vertrauen als Rechtsgrund heranzieht 109, diskutiert, ohne daß zwischen den unterschiedlichen Anliegen der genannten Erkenntnisansätze mit der gebotenen Schärfe differenziert würde. Dieser Mangel nimmt dem Angriff einen guten Teil seiner Stoßkraft. Genauso macht sich das genannte Defizit bei dem stattdessen vorgeschlagenen neuen Entwurf des Haftungsrechts bemerkbar: Nimmt man einmal das Prinzip des „neminem laedere" als Rechtsgrundlage und fundamentale Regel menschlichen Zusammenlebens hin, so führt dies zu weitreichenden Konsequenzen110. Denn grundsätzlich wird dann für jede rechtswidrig-schuldhafte Schadenszufügung Wiedergutmachung geschuldet; daher sieht sich die Dogmatik nunmehr vor der Aufgabe, den Umfang dieser schon auf den ersten Blick
105 Bedeutet das Rechtsstaatsprinzip Gestaltung der staatlichen Ordnung nach Maßgabe des Rechts, so gehört der neminem-laedere-Satz zum grundlegenden „Rechtsboden" aller Teilrechtsordnungen, so Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, S. 1000 (§ 24 Rdnr. 22). Zur historischen Dimension dieses Satzes Gottfried Schiemann, Das allgemeine Schädigungsverbot: „alterum non laedere", JuS 1989, S. 345 ff. 106 Dargestellt von Picker, AcP 183 (1983), S. 369 (S. 385 ff.). 107 AaO., S. 410 f. 108 AaO., S. 411 ff.; Picker, JZ 1987, S. 1041 ff. (S. 1045 f.). 109 AaO., S. 418 ff. Symptomatisch für diese Unscharfe etwa die Ausführungen auf S. 421, wonach das Vertrauen für die Selektion der tatbestandsmäßigen Fälle (also die Herausarbeitung von Entstehungstatbeständen) keinerlei Fortschritt bringe und, werde es trotz dieser Bedenken zum Grund der Haftung gemacht, zu untragbaren Alternativen führe (Klammerzusatz und Hervorhebung hinzugefügt). 110 AaO., S. 465 ff.
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sehr weittragenden Verantwortlichkeit zu begrenzen 111, und nicht - wie es traditioneller Auffassung entspricht - , die jeweils als unzureichend angesehene vertragliche und deliktische Haftung zu erweitern! Für Picker existiert also nur eine Pflicht, nämlich einem anderen keinen Schaden zuzufügen 112 und diesen gegebenenfalls wiedergutzumachen. Da damit aber auch Vermögensschäden gemeint sind, was bei konsequenter Durchführung des Prinzips zu einer unabsehbaren Ausweitung der Haftungsverpflichtungen für auch geringstes Fehlverhalten und einer „Potenzierung der Gläubigerzahr führen würde, bedarf es nunmehr einer Feststellung, wann diese Wiedergutmachungspflicht rechtlich aktuell wird und wann sie zugunsten einer funktionsfähigen, insbesondere die Handlungsfreiheit des einzelnen113 gewährleistenden Rechtsordnung beschränkt werden muß. Für den hier vorzunehmenden Ausgleich kennt diese zwei Wege: Einmal den in § 823 Abs. 1 BGB eingeschlagenen, diejenigen Rechtsgüter enumerativ aufzuführen, deren Verletzung zu einer Ersatzpflicht führt, und dadurch gleichzeitig „reine" Vermögensschäden auszuschließen. Darin erschöpft sich aber auch der Zweck jener Enumeration 114. Zum anderen aber - und nun begegnet wiederum die Differenzierung zwischen Rechtsgrundlagen und Entstehungstatbeständen - erreicht die Rechtsordnung das genannte Ziel dadurch, daß sie in funktioneller Gleichsetzung mit dem Erfordernis der Verletzung von „absoluten" Rechtsgüter in § 823 Abs. 1 BGB 1 1 5 auf der Ebene der Entstehungstatbestände einen zweiten Filter einführt: Die Voraussetzung einer „rechtlichen Sonderverbindung" für eine Haftung, die auch Vermögensschäden umfaßt, führt die Bestimmung oder wenigstens Bestimmbarkeit der Gläubigerzahl herbei 116 . Dem Entstehungstatbestand einer Sonderverbindung wird damit die (einzige, aber entscheidende) Funktion zugewiesen, die Schranke für die Geltung der umfassenden Wiedergutmachungspflicht zu öffnen. Dadurch avanciert das Vorliegen einer Sonderverbindung zur zentralen Grenzziehung zwischen zwei Rechtslagen, die von unterschiedlicher Dichte der Pflichten in bezug auf das Vermögen gekennzeichnet sind: Auf der einen Seite die Situation ohne Sonderverbindung, die das Vermögen lediglich im weitgezogenen Rahmen des § 826 BGB und durch die von § 823 Abs. 2 BGB aufgerufenen besonderen Schutznormen gegen Schädigungen absichert. Auf der anderen
111 AaO., S. 466. Siehe auch aaO., S. 474: Das herkömmlich gelehrte Regel-AusnahmeVerhältnis wird umgekehrt, so daß nicht mehr die umfassende Haftung, sondern deren Beschränkung der Legitimation bedarf. 112 Damit wird der Schaden zum Zentralbegriff dieser dogmatischen Auseinandersetzung, obwohl doch die (Leistungs-)Pflicht das Primäre ist. 113 Diese „Wertidee" ist nach Picker, JZ 1987, S. 1041 ff. (S. 1049) „partiell antagonistisch" zum neminem-laedere-Prinzip und daher mit ihm in Einklang zu bringen. 114 Picker, AcP 183 (1983), S. 369 ff. (S. 471 f., S. 474). 115 AaO., S. 484. 116 AaO., S. 476 ff. Vgl. ausdrücklich etwa S. 479: Die Individualisierung des Kontakts sorgt für den Ausgleich zwischen den Prinzipien des Schadensausgleichs und der Handlungsfreiheit.
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Seite zeigt sich ein völlig verändertes Bild, sobald eine Sonderverbindung zwischen zwei oder mehreren Rechtssubjekten besteht, denn durch diese Vereinzelung und Konkretisierung entstehen zugleich die zahlreichen rechtlichen Bindungen, die aus der umfassenden Wiedergutmachungspflicht folgen. 2. Das Kriterium
der „ Sonderverbindung"
Dieser zweite Ableitungszusammenhang, der nach Pickers Konzeption als Gegenstück zur Deliktshaftung das fundamentale Schädigungsverbot in die Rechtswirklichkeit umsetzt und zugleich mit dem Prinzip der Handlungsfreiheit in Ausgleich bringt, ist in seiner dogmatischen Überzeugungskraft abhängig von einer präzisen Bestimmung des Begriffs der „Sonderverbindung". Gerade in diesem Punkt aber sind Unscharfen und mangelnde Ausarbeitung des Entwurfs nicht zu verkennen 117, so daß zweifelhaft wird, ob ein derart wenig konturierter Begriff in der Lage ist, die ihm zugedachte zentrale Funktion zu erfüllen, nämlich Voraussetzung und Grundlage einer Haftung zu sein, die eine in erheblichem Maße erhöhte Zahl von Verhaltenspflichten für den einzelnen mit sich bringt. Denn der Begriff der Sonderverbindung bedeutet zugleich eine Lockerung des Vertragsbezugs der Haftung, da sich hierunter auch weitere Beziehungen fassen lassen und es schon nach der traditionellen privatrechtlichen Lehre gelungen ist, Personen in die vorvertragliche Haftung einzubeziehen, „die gerade nicht in Vertragsbeziehungen zu den jeweils Anspruchsberechtigten treten wollen" 118 . Die sich hier abzeichnende Ausdehnung vertraglicher Haftungsregeln auf weder phänomenologisch noch normativ einigermaßen greifbare Tatbestände von „Sonderverbindungen" läßt sich wohl auch nicht mit Prinzipien „schierer Gerechtigkeit" legitimieren, weil und soweit dieser Grundsatz nur einer von mehreren ist, die der Rechtsordnung Struktur und Grundlagen geben. Wird er wie hier zum alleinigen Bestimmungsfaktor menschlichen Verhaltens und dadurch die Handlungsfreiheit des einzelnen stark eingeschränkt, dann bedarf es zur Umsetzung und Konkretisierung solcher Pflich-
1.7 Vgl. Loges, Die Begründung, S. 114. Aus diesem Grunde sieht Picker selbst (aaO., S. 489 ff.) die Notwendigkeit einer Neubestimmung der rechtlichen Sonderverbindung, nachdem er etwa Vertrag oder Verhandlungsverhältnis als beispielhaft für Konzentration und Verdichtung von Rechtsbeziehungen dargestellt hat (aaO., S. 481). An diesem Punkt setzte auch schon bei der Diskussion des Konzepts auf der Zivilrechtslehrertagung 1983 (Sondertagung Schuldrechtsreform) die Kritik ein (siehe dazu den Diskussionsbericht von Eberhard Schilken, AcP 183 [1983], S. 521 ff.). Picker sympathisiert (aaO., S. 491 ff.) mit dem „einseitigen Leistungsversprechen" als möglicher Grundlage ftlr die anzustrebende Neuorientierung und reiht sich damit in eine jüngere Entwicklung ein, die auf einseitige Handlungen als Entstehungstatbestände von Schuldverhältnissen der hier zu behandelnden Art abstellt. Vgl. hierzu die Arbeiten von Stoll, FS Flume, S. 748 ff., und Köndgen, Selbstbindung, S. 156 ff. (theoretische Konzeption einseitiger Selbstbindungen), S. 283 ff. (Umsetzung in bezug auf Fallgruppen). 1.8 So Emmerich, Jura 1987, S. 561 ff. (S. 562); zur damit angesprochenen „Eigenhaftung des Vertreters" siehe die Nachweise oben in FN 39.
§ 10 Das Rechtsstaatsprinzip
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tenbündel klarer, rational begründeter Voraussetzungen. Solange diese nicht herausgearbeitet sind, bleibt als Vorzug der Konzeption Pickers lediglich, das gesamte Haftungsrecht in ein auf den ersten Blick bestechend klares System zu bringen. Sie basiert aber auf der Überbewertung eines Prinzips - „neminem laedere" - , das als alleinige strukturbildende Grundlage „das System des BGB buchstäblich auf den Kopf' 1 1 9 stellt, indem der Schaden zum Dreh- und Angelpunkt der gesamten Dogmatik gemacht wird: An erster Stelle aller Rechtspflichten steht das Gebot, einem anderen keinen Schaden zuzufügen; liegt er einmal vor, so ist er in diesem System der Anknüpfungspunkt für die umfassende, ausdrücklich auf Wiedergutmachung gerichtete Pflicht. Die Ordnung des Privatrechts geht demgegenüber von einem Pflichtensystem aus, das einerseits auf die Erzielung von ausgleichender Vertragsgerechtigkeit 120, andererseits auf gegenseitigen Rechtsgüter- und Interessenschutz121 ausgerichtet ist. 3. „Neminem laedere " im Verwaltungsrecht Im Zusammenhang verwaltungsvertraglicher Schuldverhältnisse erscheint der hier zu erörternde Ableitungszusammenhang darüber hinaus noch deswegen als nicht tragfähig, weil ein allgemeines Schädigungsverbot im Sinne Pikkers wohl das Verhältnis der Bürger untereinander sowie des Staates gegenüber dem Bürger prägen mag, jedoch den Bürger gegenüber dem Staat - darin dem Rechtsstaatsprinzip ähnlich - nicht verpflichten kann. Dazu ist es zu allgemein gefaßt und würde den Freiheitsraum des einzelnen gegenüber dem Staat 122 in viel zu hohem Maße einschränken, ja den Prinzipien der freiheitlichen Verfassung zuwiderlaufen, indem Bindung und nicht Freiheit Grundlage der allgemeinen Rechtsbeziehung zwischen Staat und Bürger darstellte. Die verdichtete Pflichtenlage des Bürgers, die mit dem Entstehungstatbestand eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses einsetzt, darf demgemäß gegenüber dem Staat nicht im Sinne Pickers als bloße Aktualisierung einer latent stets vorhandenen umfassenden Bindung verstanden, sondern muß auf Rechtssätze zurückgeführt
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Dies das knappe, aber zutreffende Urteil von Emmerich, Leistungsstörungen, S. 43. 120 Dazu Larenz, Allgemeiner Teil, S. 45 ff.; zu den Gefährdungen dieses Prinzips Heinrichs, in: Palandt, BGB, Einf. vor § 145 Rdnr. 7, 13 ff. Insbesondere ist hierbei an das Übergewicht an finanzieller oder Verhandlungsmacht einer Seite zu denken, ein Problem, das sich auch beim Verwaltungsvertrag stellt; dazu etwa Albert Bleckmann, Verfassungsrechtliche Probleme des Verwaltungsvertrages, NVwZ 1990, S. 601 ff. (S. 606 f.); Bauer, Anpassungsflexibilität, S. 258. 121 Hierzu dient insbesondere das Deliktsrecht; insoweit beruht die Rechtsordnung auf dem Gedanken eines „differenzierenden Rechtsgüterschutzes" (Canaris, FS Larenz 1983, S. 30). 122 Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Entwurf von Picker - dies sei hier nachgetragen - erwachsen freilich auch gegenüber seiner Konzeption einer Privatrechtsordnung, die den Vermögensschutz des einzelnen gegenüber der allgemeinen Handlungsfreiheit im Übermaß durchsetzt (Canaris , FS Larenz 1983, S. 36 f.). Insoweit versucht Picker allerdings, einen Ausgleich zwischen den von ihm sog. „partiell antagonistischen Wertideen" zu schaffen (vgl. oben bei und in FN 113).
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werden, die im Sinne verfassungsrechtlich gebotener Bestimmtheit bereichsspezifische Verhaltensanordnungen darstellen. Die Herleitung vorvertraglicher Pflichten aus jenem „Elementarsatz der Rechtsordnung" ist dafür nicht der geeignete Weg. 4. Folgerungen Insgesamt also stellt das Rechtsstaatsprinzip genausowenig wie der Satz „neminem laedere" die gesuchte Rechtsgrundlage dar. Dieses Ergebnis war auch zu erwarten, da hier sehr abstrakte Strukturprinzipien herangezogen und überprüft wurden: Die notorische Brüchigkeit von Argumentationsgebäuden, die auf dem Rechtsstaatsprinzip aufgebaut werden, machte sich bemerkbar; des weiteren erwies sich auch der fundamental neue Ansatz Eduard Pickers als nicht überzeugend. Hinzu kommt die noch unerledigte Aufgabe dieser Untersuchung, für beiderseitige Pflichten im Staat-Bürger-Verhältnis eine normative Grundlegung zu finden: dies kann weder das eindeutig staatsgerichtete Rechtsstaatsprinzip noch das allgemeine Schädigungsverbot als übermäßige Beschränkung der Freiheit des einzelnen leisten.
§11 Vertrauensschutz I. „Vertrauen" und Recht Selbständig oder in Zusammenhang mit dem Rechtsstaatsprinzip erscheint als Grundlage staatlicher wie privater vorvertraglicher Rechtsbindungen sehr oft der Vertrauensgrundsatz 123. Nun ist Kritik daran häufig geäußert worden 124 ; dennoch spricht immerhin die Häufigkeit der Rückkopplungen vorvertraglicher Schuldverhältnisse an ein derart „ubiquitäres psychologisches, soziales und juristisches Phänomen"125 wie das Vertrauen für eine nicht geringe Überzeugungskraft dieses Ableitungszusammenhangs bei Rechtsprechung und Lehre. Dazu mag vor allem auf Seiten des Privatrechts die Hochschätzung des Vertrauensprinzips als „sozial-ethische Komponente" einer Rechtsordnung, die „friedliches und gedeihliches Zusammenleben der Menschen" erst ermöglicht 126, beigetragen ha'23 Dazu im einzelnen die Nachweise in FN 127 ff. 124 Vgl. etwa Picker, AcP 183 (1983), S. 369 ff. (S. 418 ff.). 125 Köndgen, Selbstbindung, S. 98. Zum Problem aus soziologischer Sicht Niklas Luhmann, Vertrauen - Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, 3. Aufl., 1989, insbesondere S. 36 f. 126 So Larenz, Allgemeiner Teil, S. 43. Im gleichen Sinne aus dem Bereich des öffentlichen Rechts der Hinweis von Püttner, WDStRL 32 (1974), S. 200 ff. (S. 201) auf das „ethische Kapital" des Vertrauensbegriffs.
§ 11 Vertrauensschutz
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ben. Auch im Verwaltungsrecht, das die Grundlage vorvertraglicher Haftung ebenfalls teilweise im Vertrauensschutz sieht 1 2 7 , galt schon 1973, daß die „These, berechtigtes Vertrauen stehe unter dem Schutz der Rechtsordnung, ... in den vergangenen zwanzig Jahren einen hervorragenden Platz in Lehrbüchern, Kommentaren und gerichtlichen Entscheidungen erobert" 1 2 8 hatte. Dieser besondere Rang wurde noch weiter befestigt durch die Aufnahme von Vorschriften in die Verwaltungsverfahrensgesetze, die Vertrauensschutz in den Mittelpunkt rücken 1 2 9 , und ist im Zusammenhang zu sehen mit einer „ausgeprägten Bedürfnislage" 130 , die das Verhältnis des gesamten öffentlichen Rechts zum Vertrauensgrundsatz kennzeichnet 131 . Von einer so breiten Basis in beiden Teilrechtsordnungen aus liegt es nahe, gerade hier die Wurzel der vorvertraglichen Rechte und Pflichten zu suchen.
II. Vertrauensschutz und vorvertragliche Schuldverhältnisse im Privatrecht Auch hier wird die Untersuchung bei den privatrechtlich gewonnenen Erkenntnissen ihren Ausgang nehmen, da diese Disziplin sich gründlicher zwar nicht mit dem Vertrauensschutz, aber mit seiner Funktion als Rechtsgrundlage vorvertraglicher Schuldverhältnisse beschäftigt hat.
127 So etwa BGHZ 71, S. 386 ff. (S. 393); 76, S. 343 ff. (S. 349); OVG Münster, DÖV 1971, S. 276 ff (S. 277); DVB1. 1972, S. 614 ff. (S. 615); Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 62 Rdnr. 21; Littbarski, JuS 1979, S. 537 ff. (S. 542); Meyer, in: ders./Borgs-Maciejewski, VwVfG, § 62 Rdnr. 18; Christian Schimpf Der verwaltungsrechtliche Vertrag unter besonderer Berücksichtigung seiner Rechtswidrigkeit, 1982, S. 321; Günter Schwär, Leistungsstörungen bei der Erfüllung öffentlich-rechtlicher Leistungspflichten, 1968, S. 168 ff; Simons, Leistungsstörungen, S. 178; noch darüber hinausgehende Funktionen in vorvertraglichen Verhältnissen weisen dem Vertrauensschutz Klaus-Peter Dolde/Michael Uechtritz, Ersatzansprüche aus Bauplanungsabreden, DVB1. 1987, S. 446 ff. (S. 448 ff, 452,454) zu. 128 Kisker, VVDStRL 32 (1974), S. 149 ff. (S. 150), freilich mit der Warnung vor einem „Dschungel der Einzel fall gerecht! gke it", in den diese Lehre die Rechtsanwendung treibe. 129 Vgl. §§ 48 Abs. 2, 3, 49 Abs. 5 VwVfG. 130 Weber-Dürler, Vertrauensschutz, S. 23. 131 Daraus erklären sich auch die Bemühungen, dem Vertrauensschutz über das Prinzip der Rechtssicherheit oder direkt im Rechtsstaatsprinzip und damit in der Verfassung zu verankern; siehe zu diesem Ableitungszusammenhang bereits oben § 10 II 1. Vgl. ferner allgemein zum Vertrauen Rudolf Stich, Vertrauensschutz im Verwaltungsrecht, 1954; Johannes Mainka, Vertrauensschutz im öffentlichen Recht, 1963; Karl-Heinz Lenz, Das Vertrauensschutz-Prinzip - Zugleich eine notwendige Besinnung auf die Grundlagen unserer Rechtsordnung, 1968; Fritz Ossenbühl, Vertrauensschutz im sozialen Rechtsstaat, DÖV 1972, S. 25 ff; Walter Schmidt, „Vertrauensschutz" im öffentlichen Recht - Randpositionen des Eigentums im spätbürgerlichen Rechtsstaat, JuS 1973, S. 529 ff; Hans Huber, Vertrauensschutz - Ein Vergleich zwischen Recht und Rechtsprechung in der Bundesrepublik und in der Schweiz, in: Otto BachoiTLudwig Heigl/Konrad Redeker (Hrsg.), Verwaltungsrecht zwischen Freiheit, Teilhabe und Bindung - Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverwaltungsgerichts, 1978, S. 313 ff
6 Keller
82
. Kap.: Die
e h t s n d e
vorvertraglicher Schuldverhältnisse
1. Das Vertrauensschutzprinzip
als Grundprinzip
des Privatrechts
Berühmter und vielzitierter Ausgangspunkt der Entwicklung in der Privatrechtswissenschaft
ist jene
Formel,
die die vorvertragliche
Haftung
als
„Verpflichtung durch Gewährung in Anspruch genommenen Vertrauens" 1 3 2 kennzeichnet 133 . Auch die Rechtsprechung hat sie übernommen 1 3 4 . Im Kontrast zur grundlegenden Bedeutung des Vertrauens im Privatrecht allgemein und der Prägnanz der zitierten Formel im besonderen sind damit aber im Ergebnis mehr Fragen aufgeworfen als gelöst worden. Dies erweisen gerade auch im hier interessierenden Zusammenhang die Versuche, das Vertrauensprinzip von einem rechtsethischen Grundstein zu einer dogmatischen Leitfigur des Privatrechts insgesamt fortzuentwickeln: Die hierzu entwickelten systematischen Ansätze 1 3 5 dürften als nur partiell überzeugend anzusehen sein 1 3 6 . Selbst wenn sie im Rahmen des Privatrechts große Wirkung gezeitigt haben, so stehen ihrer Übertragung ins Verwaltungsvertragsrecht erhebliche Bedenken entgegen. Dies läßt sich auch an einzelnen Entwürfen zeigen: Insbesondere gilt dies für die großangelegte Konzeption von Claus-Wilhelm Canaris, den Vertrauensgrundsatz als eine von zwei Säulen der Privatrechtsordnung (neben der Privatautonomie 137 ) zu etablieren, die sich auch rechtssatz-
132 Entwickelt von Kurt Ballerstedt, Zur Haftung für culpa in contrahendo bei Geschäffcsabschluß durch Stellvertreter, AcP 151 (1950/1951), S. 501 ff. (S. 507). Diese Formel ist mittlerweile in solchem Maße zum juristischen Allgemeingut geworden, daß mitunter unklar wird, wer von den Beteiligten am vorvertraglichen Schuldverhältnis das Vertrauen gewährt und wer es in Anspruch nimmt (vgl. Bohrer, Die Haftung, S. 267 f. m. w. N.). Die ersten zurückhaltenden Ansätze, dem Vertrauen in diesem Zusammenhang rechtliche Relevanz zuzumessen, finden sich bei Heinrich Stoll, Haftung für das Verhalten während der Vertragsverhandlungen, LZ 1923, Sp. 532 ff. (Sp. 542); ders., Die Lehre von den Leistungsstörungen, 1936, S. 26. 133 Vgl. im Anschluß daran aus dem privatrechtlichen Schrifttum, das freilich häufig Verknüpfungen mit anderen Rechtsgrundlagen oder sonstige Modifikationen vornimmt, etwa Alff, in: RGRK, § 276 Rdnr. 96; Robert Battes , in: Erman, Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 9. Aufl., 1993, § 276 Rdnr. 110; Stephan Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationpflichten beim Vertragssehluß, 1989, S.47ff.; Bohrer, Die Haftung, S. 267 ff., 305 f. (zusammenfassend); Canaris , JZ 1965, S. 475 ff. (S. 478); Heinrichs, in: Palandt, BGB, §276 Rdnr. 66; Gerhard Hohloch, „Vertrauenshaftung" - Beginn einer Konkretisierung?, NJW 1979, S. 2369 ff. (S. 2373); Klingler, Aufklärungspflichten, S. 16 ff.; Küpper, Das Scheitern, S. 30 ff.; Larenz, FS Ballerstedt, S. 397; ders., Schuldrecht AT, S. 106; Lackum, Verschmelzung, S. 97 ff.; Vollkommer, in: Jauernig, BGB, § 276 Anm. VI 1 c. ,34 Vgl. etwa BGHZ 60, S. 221 ff. (S. 223 f.); 71, S. 386 ff. (S. 393). 135 Canaris , Vertrauenshaftung; v. Craushaar, Der Einfluß; vgl. auch die hohe Bedeutung, die Larenz, Allgemeiner Teil, S. 43 ff. dem Vertrauensgrundsatz beimißt. 136 Innere Widersprüchlichkeiten in der Lehre v. Craushaars deckt Köndgen, Selbstbindung, S. 99 ff. auf; vgl. außerdem Loges, Die Begründung, S. 59 ff. 137 Ein funktionell ähnlicher Ansatz zur Erfassung der culpa in contrahendo findet sich bei Gerhard Frotz, Die rechtsdogmatische Einordnung der Haftung für culpa in contrahendo, in: Christoph Faistenberger/Heinrich Mayrhofer (Hrsg.), Privatrechtliche Beiträge - Gedenkschrift Franz Gschnitzer, 1969, S. 163 ff.; ders., Verkehrsschutz im Vertretungsrecht - Zugleich ein Beitrag zur sozialen Verantwortung als Korrelat privatautonomer Gestaltungsfreiheit, 1972, S. 50 ff. (unter weithin wortgleicher Übernahme der erstgenannten Abhandlung), der zwar (GS Gschnitzer,
§ 11 Vertrauensschutz
83
förmig formulieren lasse138 und ihrerseits auf die zwei Prinzipien des Verkehrsschutzes und der bona fides zurückgeführt werden könne 139 , wobei die Tatbestände der culpa in contrahendo zumeist der zweiten Gruppe zugehörten 140. Gerade diese Sicht des Vertrauensgrundsatzes als einer rechtsethischen Maxime, die vor allem auch in ihrer Ausgleichsfunktion zu anderen Leitprinzipien des Privatrechts gesehen wird, führt bei seiner Übertragung ins Verwaltungsvertragsrecht zu der Gefahr, dessen „Selbststand" zu mißachten. Denn der Ausrichtung an den Grundsätzen der Privatautonomie und des Verkehrsschutzes bedarf es im öffentlichen Vertragsrecht nur in eingeschränktem Maße. Diese für das Privatrecht bestimmenden Grundsätze treten im Verwaltungsvertragsrecht hinter die Bindung staatlicher Verhandlungspartner an Gesetz und Recht und seine Ausrichtung auf die Erfüllung öffentlicher Aufgaben zurück; die Privatautonomie ist ersetzt durch eine Form der rechtlichen Gestaltungsbefugnis, die von eigenen Bestimmungsfaktoren gestaltet wird. Von den bei Canaris angeführten Prinzipien, die dem Vertrauensgrundsatz in der von ihm entwickelten Form zugrundeliegen oder mit ihm zusammen systembildend für das Privatrecht wirken, ist die Geltung im öffentlichen Recht nur für die bona fides, den Grundsatz von Treu und Glauben, unbedenklich zu bejahen, da er anerkanntermaßen auch im öffentlichen Recht seinen Platz hat, gerade auch im Gesamtzusammenhang des öffentlich-rechtlichen Vertrauensschutzes 141. Dadurch aber erweist sich dieser Entwurf als nicht ins Verwaltungsvertragsrecht übertragbar, da er nur im Zusammenspiel mit anderen Bausteinen privatrechtlicher Systembildung dogmatische Überzeugungskraft entfaltet. Ungeachtet seiner Bedeutung im Privatrecht erlaubt die Systematik des Verwaltungsrechts nicht, ihn zur Grundlage vorvertraglicher Schuldverhältnisse im Verwaltungsrecht zu machen. Dennoch ist weiter zu fragen, ob nicht eine selbständig zu entwickelnde Vertrauensdogmatik diese immer noch unbesetzte Position der Rechtsgrundlage einnehmen könnte.
S. 168 ff.) Kritik an der „vertrauenstheoretischen Pflichtbegründungskonzeption" übt, ihre Begründung aber - insoweit Canaris angenähert - in der Notwendigkeit eines „Korrelates] privatautonomer Gestaltungsmöglichkeit" (GS Gschnitzer, S. 172 ff. [Klammerzusatz hinzugefügt]) findet. Kritisch Larenz, FS Ballerstedt, S. 398 f. 138 Canaris , Vertrauenshaftung, S. 491: Vertrauenstatbestand, schutzwürdiges Vertrauen und Vertrauensinvestition sowie Zurechenbarkeit als generelle Voraussetzungen, Vertrauensentsprechung oder Ersatz des Vertrauensschadens als Rechtsfolge. 139 Canaris , Vertrauenshaftung, S. 6, 526. 140 Canaris , Vertrauenshaftung, S. 534. Die Auseinandersetzung mit diesem Ansatz wird im hier interessierenden Zusammenhang allerdings dadurch erschwert, daß die vorvertraglichen Schuldverhältnisse, wenigstens soweit sie auf Erlangung von Schadensersatz gerichtet sind, aus Canaris ' Untersuchungsprogramm fast gänzlich herausfallen und bei weitem nicht mit derselben Gründlichkeit wie andere Vertrauenstatbestände behandelt werden. 141 Maurer, Kontinuitätsgewähr, S. 251 f. (§ 60 Rdnr. 71 f.); Henke, Recht der Wirtschaftssubventionen, S. 272 mißt ihm im öffentlichen Vertragsrecht eine besondere Qualität, nämlich rechtserzeugende Kraft im Hinblick auf nicht vertraglich niedergelegte Pflichten der Vertragspartner zu. Ausführlich dazu im übrigen unten § 13.
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. Kap.: Die e h t s n d e
vorvertraglicher Schuldverhältnisse
2. Die inhaltliche Aussage des privatrechtlichen
Vertrauensprinzips
Ein umfangreicher Problemkomplex ergibt sich dabei aus der Notwendigkeit, eine Entscheidung zu treffen, ob das Vertrauen als faktischer Umstand oder als normatives Merkmal zu verstehen ist. a) Faktisches Vertrauen Unternimmt man es zunächst, aus dem „Vertrauen" als tatsächlicher Gegebenheit und seiner zunächst allenfalls ethisch-moralischen Bindungswirkung die Rechtsgrundlage vorvertraglicher Schuldverhältnisse zu entwickeln, stößt man sehr bald auf zwei eng miteinander zusammenhängende Hindernisse: Zum einen erscheinen im klassischen privatrechtlichen Panorama der culpa in contrahendo einige Fallgruppen, bei denen es auf Vertrauen ersichtlich nicht ankommt, vielmehr Schutz für absolute - in § 823 Abs. 1 BGB aufgeführte Rechtsgüter unabhängig von diesem psychologischen Phänomen gewährt wird 1 4 2 und deren Entwicklungsstationen im übrigen von nachgerade berühmten Fallkonstellationen markiert werden 143 . Nun handelt es sich dabei um einen Bereich, bei dessen Zuordnung zur culpa in contrahendo gewisse Defizite des deutschen Deliktsrechts eine nicht geringe Rolle gespielt haben 144 . Der Gedanke liegt daher nicht ganz fern, diese Fallgruppen bei der Suche nach der Rechtsgrundlage außer acht zu lassen, da sie „für die Erkenntnis des 'inneren Grundes' der Haftung für culpa in contrahendo nichts hergeben" 145, und sich auf die vermeintlich „eigentlichen" Fälle vorvertraglicher Pflichten zu beschränken. Dies ist freilich unbefriedigend, da dieses Vorgehen zeitlich und inhaltlich zusammengehörige Lebenssachverhalte auseinanderreißt, zumal nach 142 Dazu larenz, FS Ballerstedt, S. 401. Vgl. weiter Detlef Leenen, Die Funktionsbedingungen von Verkehrssystemen in der Dogmatik des Privatrechts, in: Okko Behrends/Malte Dießelhorst/Ralf Dreier (Hrsg.), Rechtsdogmatik und praktische Vernunft - Symposion zum 80. Geburtstag von Franz Wieacker, 1990, S. 108 ff. (S. 113) mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit von Rechtsschutz gerade in Fällen vertrauensunwürdigen Verhaltens einer Seite. 143 Sie werden meist unter dem Schlagwort „Warenhaus-Fälle" zusammengefaßt. Vgl. RGZ 78, S. 239 ff.; BGHZ 66, S. 51 ff.; BGH, NJW 1962, S. 31 f.; NJW 1986, S. 2757 f. 144 So Emmerich, Jura 1987, S. 561 ff. (S. 561); Heinrichs, in Palandt, BGB, § 276 Rdnr. 67; Horn, JuS 1995, S. 377 ff. (S. 379); U. Huber, Leistungsstörungen, S. 737, 743; Larenz, FS Beierstedt, S. 403; Medicus, Verschulden, S.489; ders., FG Käser, S. 177, 180; zurückhaltender ders., FS Keller, S. 210 ff.; Rudolf Nirk, Rechtsvergleichendes zur Haftung für culpa in contrahendo, RabelsZ 1953, S. 310 ff. (S. 310 f., 350 ff.), ders., FS Möhring 1965, S. 387, 394; ders., FS Möhring 1975, S. 77; Athanassios Pouliadis, Culpa in contrahendo und Schutz Dritter, 1982, S. 30 ff., 78 ff.; Jürgen Schmidt, in: Staudinger, BGB, 12. Aufl., § 242 Rdnr. 1232 (die 13. Bearbeitung [Stand: Juli 1994], Rdnr. 1454 verzichtet auf eine Erörterung der vorvertraglichen Schuldverhältnisse im einzelnen); Stoll, FS v. Caemmerer, S. 437, 452, 454; ders., FS Flume, S. 752. Kritisch Canaris , FS Larenz 1983, S. 85 ff., der den insoweit entwickelten Pflichten eine den Schutz absoluter Rechtsguter erweiternde und abrundende Funktion zuweisen möchte. 145 Larenz, FS Ballerstedt, S. 403. Vgl. noch Pouliadis, Culpa in contrahendo, S. 60 ff. prototypisch für die in der vorigen FN Genannten.
§ 11 Vertrauensschutz
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Vertragsschluß die genannten Schutzpflichten ohne Bedenken als vertragliche angesehen und keine Bedenken bezüglich ihrer „deliktischen" Herkunft geäußert werden 146 . Im Verwaltungsvertragsrecht steht einem derartigen Vorgehen dazu noch entgegen, daß es bei Pflichtverstößen des Staates gegenüber dem Bürger überhaupt keinen auf absolute Rechtsgüter beschränkten „deliktischen" Schutz gibt, denn insoweit konkurriert nicht § 823 Abs. 1 BGB, sondern die Amtshaftung mit den Ansprüchen aus vorvertraglichen Schuldverhältnissen; und die Amtspflichten des § 839 Abs. 1 BGB können auch Vermögensschutz bezwekken 1 4 7 . Mag auch über das Merkmal der „Drittbezogenheit" eine gewisse Annäherung an das allgemeine Deliktsrecht erfolgen 148, so läßt sich doch die scharfe privatrechtliche Zweiteilung in „vertragliche" und „deliktische" Pflichten und die Ausgrenzung der letzteren im öffentlichen Vertragsrecht nicht durchführen, da sie zumindest im Gesetzestext nicht vorgegeben ist. Das heißt aber im Ergebnis, daß weder das „Vertrauen" für diese Pflichten eine Grundlage zu bieten noch eine funktionelle Erklärung -Schwächen des Deliktsrechts -sie zu tragen vermag. Schon wegen dieser Unstimmigkeiten kann das Vertrauen als faktisches Phänomen nicht die gesuchte Rechtsgrundlage sein. Ein zweites kommt hinzu: Genauso wie in den ebengenannten Fällen das Vertrauen im Tatsächlichen keine Rolle spielt, gibt es mannigfaltige Sachverhalte geradezu „blinden" Vertrauens, in denen ihm keineswegs die Kraft beigemessen wird, Schuldverhältnisse zu begründen: Schon früh wurde in diesem Zusammenhang auf alltägliche Situationen im Straßenverkehr hingewiesen, dessen reibungsloses Funktionieren darauf angewiesen ist, daß seine Teilnehmer sich und ihre Rechtsgüter anderen anvertrauen 149. Dennoch erwächst daraus für die Beteiligten keine gegenüber der allgemeinen Verantwortlichkeit erhöhte Verpflichtung. Genauso spielt die vermeintlich rechtliche Bindungen hervorbringende Kraft des Vertrauens nach der traditionellen Lehre und Rechtsprechung150 keine
146
Daraus abgeleiteten Ansprüchen dient die positive Forderungsverletzung als dogmatische Grundlage, vgl. etwa Heinrichs, in Palandt, BGB, § 276 Rdnr. 116. Kritisch zu dieser Inkonsequenz auch Wolfgang Thiele, Leistungsstörung und Schutzpflichtverletzung - Zur Einordnung der Schutzpflichtverletzungen in das Haftungssystem des Zivilrechts, JZ 1967, S. 649 ff. (S. 653); Canaris , FS Larenz 1983, S. 88. 147 Vgl. etwa Bernd Janson, Verwaltungsrechtliches Schuldverhältnis, Verwaltungsverfahrensgesetz und Reform der Staatshaftung, DÖV 1979, S. 696 ff. (S. 699); Karl-Heinz Ladeur, Zur Bestimmung des drittschützenden Charakters von Amtspflichten i. S. von § 839 BGB und Art. 34 GG - insbesondere bei Aufsichtspflichten, DÖV 1994, S. 665 ff. (S. 665). 148 Sie findet ihren Ausdruck in der gegenüber jedermann bestehenden Amtspflicht zur Unterlassung unerlaubter Handlungen. Dazu Alexander Blankenagel, Die „Amtspflicht gegenüber einem Dritten" Kasuistik ohne Systematik?, DVB1. 1981, S. 15 ff. (S. 17, 21 f.); Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl., 1995, S. 618 (§ 25 Rdnr. 21); Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 48. 149 Karl Larenz, Culpa in contrahendo, Verkehrssicherungspflicht und „sozialer Kontakt", MDR 1954, S. 515 ff. (S. 517). Ebenso in neuerer Zeit Picker, AcP 183 (1983), S. 369 ff. (S. 413 f.). 150 Vgl. BGHZ 63, S. 382 ff. (S. 388); Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 26 ff.; Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 276 Rdnr. 105 f. Anders allerdings Canaris , JZ 1965, S. 475 ff. (S. 476 f.), der
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. Kap.: Die e h t s n d e
vorvertraglicher Schuldverhältnisse
Rolle mehr, sobald einmal auf andere Weise ein Schuldverhältnis begründet wurde 151 . Im Falle des Zustandekommens eines Vertrages wird danach nämlich der „zunächst gegebene Haftungsgrund des enttäuschten Verhandlungsvertrauens gleichsam von der stärkeren Haftung aus Vertrag überholt" 152 -ein rational schwerlich zu erklärendes Geschehen! Denn nach Vertragsschluß haben die Parteien mindestens genausoviel Grund, Vertrauen zueinander zu entwickeln oder zu haben, wie vor dieser Zäsur; und die von der hergebrachten Doktrin behauptete Wirkung der rechtsgeschäftlichen Willenseinigung, die Funktion einer Rechtsgrundlage nicht nur für das vereinbarte Hauptleistungsprogramm, sondern auch für sämtliche Nebenpflichten zu übernehmen, läßt sich von diesem Ausgangspunkt aus nicht nachvollziehen153. Warum soll das Vertrauen nun keine Rolle mehr spielen? b) Vertrauen als normativer Begriff Die obligierende Kraft realen „Vertrauens" ist damit eine unsichere Größe, seine Einpassung in das System der Verpflichtungsgründe von Widersprüchlichkeiten und Begründungsdefiziten geprägt. Es bleibt aber die Möglichkeit, „Vertrauen" als normativen Begriff anzusehen und seine pflichtenbegründende Kraft nicht auf einen nur schwer in juristische Kategorien einzuordnenden psychologischen Zustand, sondern auf einen vom Recht definierten, begründeten und begrenzten Tatbestand zurückzuführen. Träfe das zu, was von den Anhängern dieses Verständnisses zumeist durch die Erweiterung des Begriffs um Beiwörter wie „schutzwürdig", „berechtigt", „redlich" gekennzeichnet wird, so drängt sich sofort die Frage auf, mit Hilfe welcher Maßstäbe das schutzwürdige vom unwürdigen, das berechtigte vom unberechtigten, das redliche vom unredlichen Vertrauen gesondert werden soll. Sofern überhaupt eine Abgrenzung des Begriffs in normativer Hinsicht von demjenigen des normalen Sprachgeaus der „tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeit auf die Rechtsgüter des anderen Teils" ein besonderes Vertrauensverhältnis herleitet, das Grundlage für ein einheitliches gesetzliches Schutzpflichtverhältnis vor und nach Vertragsschluß darstelle (Ansätze in dieser Richtung bereits bei Heinr. S toll, Leistungsstörungen, S.26); dazu etwa weiter Marina Frost, „Vorvertragliche" und „vertragliche" Schutzpflichten, 1981, S. 204 ff.; Walter Gerhardt, Der Haftungsmaßstab im gesetzlichen Schutzverhältnis (Positive Vertragsverletzung, culpa in contrahendo), JuS 1970, S. 597 ff. (S. 598); ders., Die Haftungsfreizeichnung innerhalb des gesetzlichen Schutzverhältnisses, JZ 1970, S. 535 ff. (S. 536); Thiele, JZ 1967, S. 649 ff. (S. 653 f.). Vgl. zur Fortentwicklung dieser Lehre Canaris , FS Larenz 1983, S. 102 ff. Zustimmend Nirk, FS Möhring 1975, S. 78. 151 Dazu Picker, AcP 183 (1983), S. 369 ff. (S. 422 f.). In der Aufdeckung der Widersprüchlichkeiten und Unstimmigkeiten der bisherigen dogmatischen Behandlung der culpa in contrahendo liegt der bleibende Verdienst der Abhandlung Pickers. 152 BGHZ 63, S. 382 ff. (S. 388); ins Verwaltungsvertragsrecht übernommen von OVG Münster, Urteil vom 11.10.1991,3 A 2619/87 (nicht veröffentlicht), Umdruck S. 12 f. Kritik an der „höchst dunklen und unwissenschaftlichen Bildersprache" des BGH übt Canaris, FS Larenz 1983, S. 103. 153 Dieser Vorwurf trifft die Lehre vom „einheitlichen Schutzpflichtverhältnis" (vgl. die in FN 150 Zitierten) nicht.
§ 11 Vertrauensschutz
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brauchs vorgenommen wird 154 , bleiben die Voraussetzungen dennoch unklar; insbesondere begegnet wiederum die Frage, warum ein wie immer zu definierendes Vertrauen nur vor, nicht aber nach Vertragsschluß pflichtenbegründend wirkt, die auch die präziseste Definition des „schutzwürdigen Vertrauens" nicht beantworten kann. An Vorschlägen einer Begriffsbestimmung läßt sich etwa der Verweis auf „Umstände" anführen, die „so beschaffen sind, daß man auf sie vertrauen kann, ohne sich dem Vorwurf mangelnder Wahrnehmung zumutbaren Selbstschutzes auszusetzen"155, auf das Zusammenspiel von Vertrauenstatbestand, schutzwürdigem Vertrauen und Vertrauensinvestition sowie Zurechenbarkeit 156 , auf „legitime Erwartungen" 157, „zurechenbare Verhaltenserwartungen" 158 und „Dispositionsschutz"159, auf die Voraussetzung, daß der Vertrauende „in guten Treuen davon ausgeht, die durch den Staat erweckten Erwartungen würden sich erfüllen" 160, auf die „allgemeine Redlichkeitserwartung im Rechtsverkehr" 161 oder auf die Gleichsetzung mit „besonderem" Vertrauen 162 -wie dieser Streifzug zeigt, ein bunter Strauß an Definitionen. Zwei Bedenken stehen ihnen entgegen: Entweder enthalten sie nur allgemeine Aussagen, die das inhaltliche Problem lediglich auf deren Konkretisierung weiterverschieben (so die „legitime Erwartung", die „allgemeine Redlichkeitserwartung", der „zumutbare Selbstschutz"), oder wiederum das Tatbestandsmerkmal „Vertrauen", so daß sich die Erklärung letztlich im Kreise dreht 163 . Ergebnis der Überprüfung dieser allgemeinen Erklärungsansätze kann nur sein: Weder faktisches noch normativiertes „Vertrauen" stellt eine Grundlage dar, die wenigstens insoweit überzeugend wäre, daß in einem zweiten Schritt der Versuch unternommen werden sollte, sie auf die speziellen Verhältnisse des öffentlichen Vertragsrechts zu übertragen. Dies entbindet diese Untersuchung freilich nicht davon, das Vertrauen als eigene, öffentlich-rechtliche Rechtsgrundlage in Betracht zu ziehen. 154
Häufig wird der Schutz berechtigten Vertrauens als Aufgabe der Rechtsordnung dargestellt, ohne daß dieser Ausgangspunkt näher erläutert würde. Auch bei Canaris , nach dem (Vertrauenshaftung, S. 504) „für die Begriffsbildung nicht allein psychologische, sondern auch juristisch-normative Kriterien maßgeblich sind", löst die „allgemeinen Merkmale der Vertrauenshaftung" (aaO., S. 491 ff.) in eine Vielzahl von Tatbestandsmerkmalen und verschiedensten vertrauensbegründenden Umständen - vom Handelsregister bis zum Verlöbnis - auf, deren innerer Zusammenhang nicht mehr deutlich ist. 155 V. Craushaar, Der Einfluß, S. 23; ders., JuS 1971, S. 127 ff. (S. 128); ähnlich schon Eichler, Vertrauen, S. 112. 156 Canaris , Vertrauenshaftung, S. 491. 157 Köndgen, Selbstbindung, S. 116. 158 Dazu Bohrer, Die Haftung, S. 78 ff., 271 ff. 159 Kisker, WDStRL 32 (1974), S. 149 ff. (S. 151) zum Parallelproblem im Verwaltungsrecht. 160 Weber-Dürler, Vertrauensschutz, S. 92 (Hervorhebung im Original). 161 Vgl. Larenz, FS Ballerstedt, S. 414 f. 162 So Nirk, FS Möhring 1965, S. 392; ders., FS Möhring 1975, S. 78. Larenz, FS Ballerstedt, S. 414 f. erkennt demgegenüber das „besondere" Vertrauen nur als zusätzliches pflichtbegründendes Moment an. 163 Das Tautologische, Zirkelhafte und Leerlaufende dieser Erklärungsversuche kritisiert auch Leenen, Funktionsbedingungen, S. 113.
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. Kap.: Die e h t s n d e
vorvertraglicher Schuldverhältnisse
m . Vertrauensschutz im Verwaltungsrecht 1. Der kodifizierte
Vertrauensschutz
Die Dogmatik des Verwaltungsrechts hat gegenüber der privatrechtlichen (und auch der staatsrechtlichen) Erfassung des Vertrauens als Rechtsprinzip insofern eine andere Ausgangsposition inne, als sie nicht unbedingt auf die traditionelle „Vertrauensdogmatik" zurückgreifen muß. Vielmehr könnten die schon genannten Vertrauensschutzvorschriften des VwVfG maßstabsbildende Kraft für die verwaltungsrechtliche Erfassung des Phänomens „Vertrauen" entfalten: Einerseits stellen sie Vermutungen zugunsten der Schutzwürdigkeit von Vertrauen auf und erleichtern damit die Schwierigkeiten der Begriffsbestimmung, andererseits formulieren sie Tatbestände, bei deren Vorliegen eine Berufung auf Vertrauen nicht möglich ist 164 . Allerdings ergeben sich erste Bedenken schon aus dem Standort dieser Normen im systematischen Zusammenhang der Regeln über den Verwaltungsakt; daß aber dem Vertrauensschutz dienende Normen aus diesem Bereich auch sonst durchaus geeignet sein können, Defizite des Verwaltungsvertragsrechts zu beheben, zeigt die weithin gebilligte analoge Anwendung des § 49 Abs. 5 VwVfG als Ergänzung des in § 60 Abs. 1 S. 2 VwVfG normierten besonderen Kündigungsrechts165. Hierdurch sollen Lücken eines auch in der Vertragsdogmatik als notwendig empfundenen Vertrauensschutzes geschlossen werden. 2. Die inhaltlichen Aussagen des verwaltungsrechtlichen
Vertrauensschutzes
Ist damit eine derartige gegenseitige Ergänzung verschiedener Normenkomplexe des VwVfG nicht von vornherein ausgeschlossen, so fragt sich allerdings, ob diese spezifische gesetzliche Ausprägung des Vertrauensschutzes einem in der Weise verallgemeinerungsfähigen Prinzip entstammt, daß sie auch im hier zu erörternden Zusammenhang zu tragfähigen Ergebnissen führt. a) Die einseitige Bindungswirkung Hier führt eine im systematischen Zusammenhang der Regeln über den Verwaltungsakt nicht weiter auffällige Besonderheit des Vertrauensschutzes zu einem Hindernis, das der Übertragung der bisher gewonnenen Erkenntnisse
164
§ 48 Abs. 2 S. 2, 3 VwVfG. Insoweit ist die von Kisker, VVDStRL 32 (1974), S. 149 ff. (S. 151) angemahnte Aufgabe, die „Leerformel" vom berechtigten Vertrauen auszufüllen, vom Gesetzgeber erledigt worden. 165 Dazu Sigurd Littbarski, Der Wegfall der Geschäftsgrundlage im öffentlichen Recht - Zugleich ein Beitrag zur Auslegung des § 60 I VwVfG, 1982, S. 57 f.; Krebs, VVDStRL 52 (1993), S. 248 ff. (S. 273); Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 60 Rdnr. 22.
§ 11 Vertrauensschutz
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über „Vertrauensschutz im Verwaltungsrecht" auf Rechtsverhältnisse, die durch Bindungen auf beiden Seiten gekennzeichnet sind, im Wege steht: Die einschlägigen gesetzlichen Regeln haben-da sie die behördliche Aufhebung von hoheitlichen Maßnahmen normieren -nur die reagierenden Ansprüche der betroffenen Bürger auf Erhalt seiner Rechtsposition oder wenigstens Ausgleich eines etwaigen Vermögensnachteils zum Inhalt. „Vertrauensschutz" begründet hier also nur Pflichten, nicht aber Rechte für den Staat. Dies entspricht der allgemein festzustellenden Haltung, Vertrauensschutz nur gegen den Staat, nicht zu seinen Gunsten zu gewähren, der eine Abneigung im Schrifttum korrespondiert, auf diesen Aspekt auch nur einzugehen166. Dies mag mit der tradierten Verankerung des Vertrauensschutzes im Rechtsstaatsprinzip zusammenhängen 167 , paßt aber nicht zum „ethischen Kapital" 168 dieses Begriffs. Denn die Privatrechtswissenschaft steht nicht an, hieraus in weitem Umfang Pflichten abzuleiten; wenn auch die Fragwürdigkeit dieses Vorgehens zuvor dargestellt wurde, so fehlt angesichts der sonst zu verzeichnenden Allgegenwärtigkeit des Vertrauensprinzips doch eine einleuchtende Begründung, warum die obligierende Kraft des Vertrauens nur zugunsten des Bürgers wirken soll. Die Rechtsprechung geht davon aus, daß im Verhältnis zwischen Staat und Bürger naturgemäß nur dieser als der Schwächere zu schützen sei 169 -diese Voraussetzung trifft aber im Zusammenhang von Verwaltungsverträgen rechtlich in keinem Falle, in bezug auf tatsächliche Verhandlungsmacht nur bedingt zu, infolgedessen sind grundsätzlich die Rechtspositionen beider Seiten gleich schutzwürdig 1 7 0 . Daß praktische Bedürfnisse es erfordern, die berechtigten Erwartungen auch der staatlichen Beteiligten am Rechtsverhältnis zu sichern, läßt sich unschwer begründen. So kann etwa eine Gemeinde vom Abbruch von Vertragsverhandlungen mit einem Investor genauso nachhaltig und folgenschwer be-
166 Siehe nur die thematischen Eingrenzungen bei Ossenbühl, DÖV 1972, S. 25 ff. (S. 25); Weber-Dürler, S. 11 f. (trotz Anerkennung der „fundamentalen Bedeutung" des Vertrauens auch im Verhältnis Staat-Bürger); grundsätzlich ablehnend auch schon Mainka, Vertrauensschutz, S. 30 f., der aber nicht bestreiten will, „daß die Grundsätze eines rechtlichen und loyalen Verhaltens auch zugunsten des Staates wirken"; Püttner, WDStRL 32 (1974), S. 200 ff. berührt das Problem nur beiläufig (S. 203, 205 [Vertrauensschutz zwischen Behörden]), jedoch nicht in bezug auf öffentlich-rechtliche Verträge (S. 214); ebenso Hans Huber, Vertrauensschutz, S. 319. Anders nur Kisker, WDStRL 32 (1974), S. 149 ff. (S. 168 ff.) (allerdings unter dem Aspekt des „Dispositionsschutzes") und zur Begründung der culpa in contrahendo im öffentlichen Recht auch Schwär, Leistungsstörungen, S. 169. 167 Von dieser Ausgangsposition aus ist es konsequent, Vertrauensschutz nur gegen den Staat zu gewähren, ist er doch der aus dem Rechtsstaatsprinzip Verpflichtete. 168 Püttner, VVDStRL 32 (1974), S. 200 ff. (S. 201); vgl. ferner Stich, Vertrauensschutz, S. 3. 169 Sehr pointiert BVerwGE 23, S. 25 ff. (S. 30): „Wollte man diesen Schutz auch den Verwaltungsbehörden einräumen, so hieße es, ihn in sein Gegenteil verkehren". 170 So auch Littbarski, JuS 1979, S. 537 ff. (S. 542). Nach Wolfgang Hoffmann-Riem,, Selbstbindungen der Verwaltung, VVDStRL 40 (1982), S. 187 ff. (S. 203) „gehört die Bereitschaft, dem Partner Erwartungssicherheit zu geben", allgemein zu den „Grundbedingungen von Austauschbeziehungen", beschränkt sich also nicht auf eine Seite.
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. Kap.: Die e h t s n d e
vorvertraglicher Schuldverhältnisse
troffen sein wie ein Privater, der sich im Vorfeld eines Vertragsabschlusses einer Pflichtverletzung seines Verhandlungspartners gegenübergestellt sieht 171 . Damit ist aber nur eine der Grundannahmen dieser Untersuchung, die Erforderlichkeit beidseitiger Bindungen im vorvertraglichen Schuldverhältnis, wiederholt. Ob ein aus den verwaltungsrechtlichen Einzelvorschriften entwickelter Vertrauensschutz hierfür die richtige Grundlage sein kann, bleibt schon deswegen zweifelhaft, weil über dessen unbestreitbar einseitig gegen den Staat gerichteten Schutzzweck nach Wortlaut und Sinn der einschlägigen Normen keine methodisch zulässige Auslegung hinweghilft. Denn dabei geht es - anders als in der Situation vor Vertragsschluß-gerade um ein auszugleichendes rechtliches Übergewicht des Staates, dessen Befugnis zur Aufhebung von ihm geschaffener Rechtspositionen des Einzelnen dadurch begrenzt oder wenigstens in den vermögensrechtlichen Auswirkungen gemildert wird. Das vorvertragliche Schuldverhältnis zielt demgegenüber auf rechtliche Steuerung einer Annäherung auf gleicher Ebene und daraus erwachsende gegenseitige Verhaltensanforderungen. Damit ist eine Ausdehnung des im VwVfG angesprochenen Vertrauensschutzes auf die vorvertragliche Phase nicht möglich. b) Die fehlende inhaltliche Tragfähigkeit des Vertrauensschutzprinzips Gegen ein allgemeines, dem Verwaltungsrecht insgesamt entnommenes Vertrauensschutzprinzip als hier gesuchte Grundlage spricht schließlich: Alle terminologischen und inhaltlichen Schwierigkeiten, die das Vertrauen als Rechtsbegriff schon bei einer vom Privatrecht ausgehenden Betrachtungsweise verursacht, ergeben sich auch bei einem Interpretationsansatz, der auf eine genuin verwaltungsrechtliche Begriffsbestimmung abzielt. Zum einen dürfte eine vom Privatrecht völlig gelöste Auslegung gar nicht möglich sein, zumal wenn es um das Vertrauen beteiligter Privater geht; zum anderen haben auch die bisherigen öffentlich-rechtlichen und speziell verwaltungsrechtlichen Erklärungsversuche nur wenig Licht ins Dunkel gebracht 172. So ist in der Rechtsprechung davon die Rede, die „Erwartung ..., daß die Vertreter der öffentlich-rechtlichen Gegenseite sich wegen ihres der Allgemeinheit verpflichteten Auftrages in besonderem Maß an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) gebunden wissen", begründe Ansprüche 171 Dennoch fand die Pflichtbindung auch und gerade privater Beteiligter an Verwaltungsrechtsverhältnissen bisher allenfalls am Rande Erwähnung; etwa durch Bauer, VerwArch 78 (1987), S. 241 ff. (S. 266); Hans-Günter Henneke, Informelles Verwaltungshandeln im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht - Zwischenbilanz zur Erfassung eines seit zehn Jahren benannten Phänomens, NuR 1991, S. 267 ff. (S. 275); Hermann Hill, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S. 281, 317; Jost Hüttenbrink, Die Bürgerhaftung als Gegenstück zur Staatshaftung, DÖV 1982, S. 489 ff. (S. 495) (für die positive Forderungsverletzung); Littbarski, JuS 1979, S. 537 ff. (S. 542); Schwär, Leistungsstörungen, S. 168 f.; Simons, Leistungsstörungen, S. 176 ff. 172 Beispiele hierfür bereits oben bei FN 159 f.
§ 12 Sonstige Rechtsgrundlagen
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aus culpa in contrahendo173. Nun greift eine derartige Begründung aber zu kurz: Daß ein Rechtsverstoß auf staatlicher Seite vorliegt und dieser Art. 20 Abs. 3 GG (bzw. dem Vorrang des Gesetzes) widerspricht, sagt hinsichtlich der Rechtsfolgen des Verstoßes noch nichts aus, denn genauso könnte dieser zu bloßer Rechtsunwirksamkeit gesetzesinkongruenter Verwaltungshandlungen führen. Unerfindlich bleibt, wieso eine auf diese Rechtsbindung gerichtete Erwartung des Bürgers gerade besondere zusätzliche Pflichten auch auf seiner Seite, bei deren Verletzung Schadensersatzansprüche doch wohl ebenso gegen ihn wie zu seinen Gunsten entstehen, erzeugen soll, zumal in derselben Entscheidung kurz zuvor betont worden war, die Ansprüche aus culpa in contrahendo schützten das „wechselseitige Vertrauen" der Verhandlungspartner 174. So wünschenswert dies als Ergebnis 175 auch sein mag-eine schlüssige Begründung fehlt weiterhin. 3. Fazit Im Ergebnis ist damit die Rechtsgrundlage noch immer nicht gefunden. Die überzeugende Lösung klang allenfalls an, soweit in Verbindung mit den in diesem und im letzten Paragraphen diskutierten Möglichkeiten in der einschlägigen Literatur auch das Prinzip von Treu und Glauben ins Spiel gebracht wurde. Bevor aber dies näher behandelt werden kann, sollen auch diejenigen Ansätze kurz dargestellt werden, die entweder im bisherigen Verlauf der Untersuchung noch überhaupt keine Erwähnung gefunden haben oder deswegen nicht erfaßt worden sind, weil sie mehrere Rechtsgrundlagen nebeneinander heranziehen.
§ 12 Sonstige Rechtsgrundlagen I. Sozialer Kontakt als Verpflichtungsgrund Im Privatrecht ist die Vertrauenshaftung als Grundlage vorvertraglicher Pflichten, obwohl zuweilen als herrschende Meinung bezeichnet176, niemals kritiklos anerkannt gewesen. Neben gänzlich ablehnenden Stimmen177 finden
173
OVG Münster, DÖV 1971, S. 276 ff. (S. 277). Gegenstand des Rechtsstreites war die schuldhafl von einer Gemeinde verursachte Formnichtigkeit eines Vertrages. 174 OVG Münster, aaO. Kritisch dazu auch Littbarski, JuS 1979, S. 537ff. (S. 538). 175 Vertrauen als (tatsächliche) Folge, nicht als (rechtliche) Voraussetzung vorvertraglicher Pflichten - so etwa Wiedemann , in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 105 - wäre ein Zeichen für Überzeugungskraft und Akzeptanz der Rechtsordnung! Die Ausführungen des OVG Münster aaO. würden durch eine solche Interpretation aber wohl unzutreffend ausgelegt. 176 Wiedemann , in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 115. 177 Picker, AcP 183 (1983), S. 369ff. (S. 418 ff).
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Kap.: Die Rechtsgrundlagen vorvertraglicher Schuldverhältnisse
sich aber auch solche, die das begrifflich trotz aller Erklärungs- und Konkretisierungsversuche stets blaß gebliebene „Vertrauen" durch das zumindest semantisch nahestehende „Anvertrauen" ersetzen oder ergänzen wollen. Das mit diesem Begriff Gemeinte verschiebt den Schwerpunkt der pflichtbegründenden Umstände auf äußerlich-faktisches Geschehen, auf die Eröffnung einer Zugriffs- und Einflußmöglichkeit auf diejenigen Rechtsgüter, die während der Phase der Vertragsanbahnung und den dadurch verdichteten Kontakt zu den anderen Beteiligten in deren Sphäre erhöhter Gefährdung ausgesetzt sind. Damit begründet der „soziale Kontakt" bereits die verstärkten Bindungen im vorvertraglichen Verhältnis 178. Wer über das deliktsrechtlich Geschuldete hinaus Risiken bei der Vertragsanbahnung schafft, muß nach dieser Auffassung auch dafür einstehen179. Von vornherein wohnt dieser Rechtsgrundlage nur begrenzte Tragfähigkeit inne, da sie keine vertragsbezogenen Bindungen, sondern nur nur sogenannte „Schutz-" oder „Erhaltungspflichten" betreffend absolute Rechtsgüter180 begründen will und kann. Denn die Verantwortlichkeit für die eigene Sphäre kann nicht zur Aufklärung, Information oder Beratung über Vertragsschluß und -gegenständ verpflichten, weil es hier häufig an jedem inneren Bezug fehlt: Diese Bindungen stehen vielmehr in engem Zusammenhang mit dem intendierten Vertrag, der ja auch für ihre inhaltliche Ausgestaltung sorgt, und betreffen alle Vertragsbeteiligten, fallen also nicht in die Sphäre nur eines von ihnen. Soweit es überdies um den Schutz des Vermögens geht, wird man Vertragsvorbereitungen juristisch nicht schon regelmäßig als dessen Gefährdung betrachten dürfen, weil dies den Grundannahmen der Wirtschaftsordnung, nach der Verträge und deren Anbahnung ja erwünscht sind, schlicht zuwiderliefe. Aber auch für den von ihr erfaßten Teil der Pflichten überzeugt die Auffassung nicht, weil zum einen ein bloßes Faktum - der soziale Kontakt - „kaum zur Normbegründung genügt"181; es zum anderen wohl auch nicht gelingen
178 Diese Auffassung geht zurück auf Hans Dölle, Außergesetzliche Schuldpflichten, ZgesStW 103 (1943), S. 67 ff. (S. 72 ff., 84); sie wurde aufgenommen von Walter Erman, Beiträge zur Haftung für das Verhalten bei Vertragsverhandlungen, AcP 139 (1934), S. 273 ff. (S. 321); Josef Esser/Eike Schmidt, Schuldrecht, Band I, Teilband 2, 7. Aufl., 1993, S. 130 f.; als Ergänzung des Vertrauensschutzprinzips auch von Thiele, JZ 1967, 649 ff. (S. 652); unter Modifikationen bzw. für gewisse Fallgruppen zustimmend weiter J. Schmidt, in: Staudinger, BGB, 12. Aufl., § 242 Rdnr. 1222 ff.; vgl. ferner Canaris , FS Larenz 1983, S. 88; Frotz, GS Gschnitzer, S. 173 f.; ders., Verkehrsschutz, S. 63 f. 179 So Fikentscher, Schuldrecht, S. 67 (Rdnr. 69); aus der Rechtsprechung BGHZ 60, S. 221 ff. (S. 223 f.); 71, S. 386 ff. (S. 393). 180 Zu dieser Zweiteilung noch unten § 17 II 1. Hinsichtlich der sonstigen vorvertraglichen Pflichten verlangt etwa Dölle, ZgesStW 103 (1943), S. 67 ff. (S. 86 ff.) einen rechtsgeschäftlichen Kontakt, bei dem aber letztlich das unter den Parteien bestehende besondere Vertrauensverhältnis den alleinigen Rechtsgrund der Haftung bildet. 181 J. Schmidt, in: Staudinger, BGB, 12. Aufl., § 242 Rdnr. 1222, der dennoch aus dem Gedanken des „Institutionenschutzes für sinnvolle Institutionen unterhalb der gesamtgesellschaftlichen Ebene" (aaO. Rdnr. 1223) einen nahestehenden Denkansatz entwickelt.
§ 12 Sonstige Rechtsgrundlagen
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wird, aus der Masse sozialer Kontakte die haftungsbegründenden herauszufiltern 182 . Vollends ungeeignet erscheint ein sozialer Kontakt schließlich, um verdichteten Pflichtenbeziehungen unter staatlicher Beteiligung zugrundezuliegen: Daß das Näheverhältnis zum Staat allein für den Bürger gerade keine verstärkten Bindungen herbeiführt, diese vielmehr einer gesonderten Rechtsgrundlage bedürfen, ist der Ertrag langer Bemühungen von Rechtswissenschaft und Rechtsprechung183, der nicht auf diesem Wege wieder zunichte gemacht werden darf. Der „Distanzschutz" als Kennzeichen einer vom Recht geprägten Ordnung der Beziehung des Bürgers zum Staat 184 und letztlich auch der Vorbehalt des Gesetzes für rechtliche Belastungen verlangen, daß Normen die hier gesuchte Grundlage auch in von einer tatsächlichen Nähe des einzelnen zum Staat gekennzeichneten Beziehung darstellen. Für vorvertragliche Beziehungen zwischen Verwaltungsträgern endlich sind die Kriterien des besonderen Näheverhältnisses als faktischer Beziehung und der erhöhten Risikoschaffung in abgegrenzten „Risikosphären", die ersichtlich der privatautonomem Gestaltungsmacht korrespondieren, ganz unpassend. Dennoch läßt sich der „soziale" Kontakt zwischen Bürger und Verwaltung im hier interessierenden Fragenkreis fruchtbar machen, wenngleich an systematisch anderer Stelle: Soweit es nämlich um die Entstehung des vorvertraglichen Schuldverhältnisses in der Zeit und um seine Abgrenzung vom „allgemeinen" Staat-Bürger-Verhältnis geht, kann die Annäherung, das AufeinanderZugehen und Miteinander-Sprechen, wertvolle Anhaltspunkte für die tatsächliche Existenz des vorvertraglichen Schuldverhältnisses als eines Verwaltungsrechtsverhältnisses liefern 185. Auf diese Weise ist es möglich, die mannigfaltigen Kontaktaufhahmen der Verwaltungswirklichkeit dogmatisch aufzunehmen und zu erfassen, ohne der Gefahr zu erliegen, faktischen Gegebenheiten eine Funktion beizulegen, die sie innerhalb einer normativ orientierten Rechtswissenschaft nicht erfüllen können und sollen.
182 So schon Larenz, MDR 1954, S. 515 ff. (S. 517) angesichts des auch hier zu Zweifeln Anlaß gebenden Beispiels des Straßenverkehrs und seiner an Enge wohl schwer zu Uberbietenden Kontakte. 183 Vgl. zu dieser Entwicklung den Überblick bei Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 112 ff. (§6 Rdnr. 17 ff.). 184 Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, S. 1001 (§ 24 Rdnr. 25); vgl. zur rechtlichen Bedeutung von Nähebeziehungen zwischen Staat und Bürger allgemein Wolfgang Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung - Zur Institutionalisierung der engeren Staat/Bürger-Beziehungen, 1982, S. 184 ff. 18 5 Dazu Peter Häberle, Das Verwaltungsrechtsverhältnis - eine Problemskizze, in: ders., Die Verfassung des Pluralismus: Studien zur Verfassungstheorie der offenen Gesellschaft, 1980, S. 248 ff. (S. 252 ff.); Hermann Hill, Rechtsverhältnisse in der Leistungsverwaltung, NJW 1986, S. 2602 ff. (S. 2607); zu den vielfältigen Formen der Annäherung, die vor einem Vertragsschluß beobachtet werden können, an dieser Stelle nur Bauer, Anpassungsflexibilität, S. 257.
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. Kap.: Die e h t s n d e
vorvertraglicher Schuldverhältnisse
Π. „Kombinatorische" Begründungen Die geschilderten Schwierigkeiten, einen konsistenten Ableitungszusammenhang zwischen einer der dargestellten Rechtsgrundlagen und der Vielfalt an vorvertraglichen Schuldverhältnissen zu entwickeln, hat verschiedentlich soweit die Befassung mit dieser Frage nicht ohnehin vermieden 186 oder unter Hinweis auf jedenfalls anzunehmendes Gewohnheitsrecht umgangen wurde 1 8 7 dazu geführt, eine Verankerung im Recht an mehreren Stellen vorzunehmen. Im Privatrecht geschieht dies sehr häufig in Entsprechung zu der Unterscheidung von Loyalitätspflichten, die weithin auf das Vertrauensschutzprinzip zurückgeführt werden, und Schutzpflichten für absolute Rechtsgüter des jeweiligen Vertragspartners, die zumeist mit der Lückenbüßerfunktion 188 für das defizitäre Deliktsrecht erklärt werden. Daß eine solches Auseinanderreißen phänomenologisch zusammenfallender Pflichten genausowenig überzeugen kann wie eine Differenzierung der Rechtsgrundlagen nach staatlichen und privaten Beteiligten, ist bereits angesprochen worden 189 . Fand bei diesem Vorgehen aber noch eine Rückführung verschiedener Pflichten auf je eine einzelne Rechtsgrundlage statt, so gibt es auch Ansätze, die Gesamtheit vorvertraglicher Bindungen auf eine Mehrheit von Rechtsgrundlagen zu stützen. Aus dem Privatrecht ist hier etwa der Vorschlag zu nennen, Rechtsanalogie und Gewohnheitsrecht 190 oder darüber hinaus noch das in § 242 BGB verankerte Prinzip von Treu und Glauben nebeneinander heranzuziehen191; in einer der knappen Äußerungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu der Frage findet sich zwar vor allem die Abstützung im Vertrauensprinzip, zugleich aber wird auch noch das Prinzip von Treu und Glauben bemüht192. Auch im Schrifttum zum Verwaltungsvertragsrecht findet sich gelegentlich eine solche Häufung von Rechtsgrundla-
186 Manche Stimmen im Schrifttum, auf die teilweise auch an anderer Stelle dieser Untersuchung hingewiesen wird, propagieren einen mittlerweile nach ihrer Auffassung legitimen Verzicht auf die Klärung der Rechtsgrundlage, so etwa Gerhardt, JuS 1970, S. 597 ff. (S. 598); Herbert Messer, Schadensersatzansprüche aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen wegen der Verletzung für den Vertragsinhalt wesentlicher vorvertraglicher Pflichten, in: Jürgen F. Baur/Klaus J. Hopt/K. Peter Mailänder (Hrsg.), Festschrift für Ernst Steindorff zum 70. Geburtstag am 13. März 1990, 1990, S. 743 ff. (S. 743); auch (im Widerspruch zu eigenen Ausführungen an anderen Stellen) Nirk, FS Möhring 1965, S. 392; J. Schmidt, in: Staudinger, BGB, 13. Bearbeitung, §242 Rdnr. 1454. 187 Vgl. etwa Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 276 Rdnr. 65. 188 Nirk, RabelsZ 1953, S. 310 ff. (S. 311). 189 Vgl. oben § 10 II 3 (zum Rechtsstaatsprinzip als Rechtsgrundlage allein für die Pflichten staatlicher Beteiligter) sowie § 11 II 2 a (zur gelegentlich angenommenen Sonderstellung der Schutzpflichten im Hinblick auf die Rechtsgrundlagen). 190 So Littbarski, JuS 1979, S. 537 ff. (S. 539) zur privatrechtlichen Begründung der culpa in contrahendo. 191 Fikentscher, Schuldrecht, S. 69 (Rdnr. 70). 192 OVG Münster, DÖV 1971, S. 276 ff. (S. 277).
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gen 193 . Generell entspricht dies dem unklaren Verhältnis von Treu und Glauben, Vertrauensschutz und - als Spezifikum des öffentlichen Rechts - dem Rechtsstaatsprinzip. Zur Klärung der aufgeworfenen Probleme vermag eine derartige Häufung möglicher Rechtgrundlagen jedenfalls wenig beizutragen, sorgt sie doch eher für eine Kumulierung der Ungewißheiten: Soll die Rechtsgrundlage die Funktion haben, die Vielfalt vorvertraglicher Pflichten zu bündeln, zu ordnen und für eine weniger am Einzelproblem als am dogmatischen Gesamtzusammenhang orientierte Betrachtungsweise faßbar zu machen, dann ist es wenig überzeugend, wenn denkbare Rechtsgrundlagen nicht kritisch überprüft, sondern lediglich nebeneinandergestellt werden. Dies hat auch zur Folge-um nur eine der mißlichen Konsequenzen näher auszuführen-, daß dem Rechtsinstitut „vorvertragliches Schuldverhältnis" neben seinem anerkannten Kern einen immer weiterer Randbereich zugerechnet wird, in dem noch nicht ausgearbeiteten Rechtsfiguren ein Refugium geboten wird, das ihnen ein Eigenleben ohne die gebotene, nur durch einen in sich konsistenten Ableitungszusammenhang von der Rechtsgrundlage bis hin zu der Lösung des speziellen Sachproblems gewährleistete juristische Disziplinierung ermöglicht. Im Privatrecht belegen dies die unter dem Schlagwort „Haftung für Rat, Auskunft und Gutachten" bekannten Phänomene194, bei denen häufig von zwar „wenig ausgeprägten Verbindungslinien"195 zur culpa in contrahendo die Rede ist, Ausmaß und Inhalt einer doch wohl grundsätzlich bejahten Beziehung aber letztlich unklar bleiben. Und im öffentlichen Recht droht das allgegenwärtige Auftreten der als „informelles Verwaltungshandeln" bezeichneten Erscheinungen eine nachvollziehbare faktische Abgrenzung und normative Unterfütterung jeweils typischer rechtlich erfassungsbedürftiger Gegebenheiten wie der Situation der Vertragsanbahnung unmöglich zu machen. Denn jener Begriff ist so weit und daher so bequem zu verwenden, daß durch ihn spezifische, etwa vertragsbezogene Problemkonstellationen nur allzu leicht mit ganz anderen Fragen 196 vermengt werden. Beschränkt man sich nun nicht nur darauf, als
193 So etwa bei Klaus-Dieter Kawalla, Der subordinationsrechtliche Verwaltungsvertrag und seine Abwicklung, 1984, S. 249 f., der die verwaltungsvertragliche culpa in contrahendo nacheinander auf den Grundsatz von Treu und Glauben, das Prinzip des Vertrauensschutzes, das besondere Vertrauen der Beteiligten im gegenseitigen Einflußbereich und Treu und Glauben (gerade) im Geschäftsverkehr stützt. 194 Dazu Nachweise schon in FN 39; speziell zu den Rechtsgrundlagen in diesem Zusammenhang Dieter Strauch, Rechtsgrundlagen der Haftung für Rat, Auskunft und Gutachten, JuS 1992, S. 897 ff. 195 Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 576. 196 „Informelles Verwaltungshandeln" meint auch einen ganzen Komplex einseitig-staatlicher Handlungen wie etwa staatliche Warnungen - Beispiele dazu aus der Rechtsprechung: BVerfG, NJW 1989, S. 3269 ff.; BVerwGE 82, S. 76 ff.; 87, S. 37 ff. mit kritischer Besprechung von Friedrich Schoch, Staatliche Informationspolitik und Berufsfreiheit - Das Urteil des BVerwG vom 18.10.1990 (3 C 2/88) im Spiegel der Rechtsordnung, DVB1. 1991, S. 667 ff.
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„rechtsstaatliche Vorgaben für informelles Verwaltungshandeln"197 „gesetzliche Verfahrensregelungen... und... vor allem gesetzliche inhaltliche Festlegungen" für „Verhandlungsverfahren" allgemein anzumahnen, sondern entwickelt solche Verfahrens- und materiellrechtlichen Maßgaben für einen abgrenzbaren Bereich aus dem bisher von Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtsprechung Erreichten, so lassen sich Überschaubarkeit und Beherrschbarkeit in einem auf den ersten Blick höchst unübersichtlichen Rechtsgebiet vermehren. Dies alles gelingt aber nur, wenn schon bei der Suche nach der Rechtsgrundlage die notwendige Selbstdisziplin gewahrt bleibt und somit der Rückgriff auf mehrere Verankerungen im Rechtssystem vermieden wird, sofern er nicht unumgänglich geboten ist. Der Nachweis eines derartigen unabweisbaren Bedürfnisses ist indessen nicht erbracht, solange im Rahmen dieser Untersuchung noch nicht der Kreis möglicher Rechtsgrundlagen vollständig abgeschritten wurde.
§ 13 Das Prinzip von Treu und Glauben I. Treu und Glauben als normative Grundlage von Rechtsverhältnissen Der Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben verbleibt als letzte mögliche Antwort auf die im vorliegenden Kapitel gestellte Frage. Kann aber dieses Prinzip, das seine positiv-rechtliche Verankerung im „königlichen Paragraphen" 198 § 242 BGB gefunden hat, die pflichtenbegründende und anspruchsschaffende Funktion einer Rechtsgrundlage übernehmen? 1. Die Funktionen des Grundsatzes von Treu und Glauben Dies ist zunächst kein fernliegender Gedanke, der auch schon häufiger allein oder ergänzend zu der Ableitung aus anderen Rechtsgrundlagen herangezogen wurde 199 . Dem liegt die mittlerweile wohl als gefestigt anzusehende Auffassung zugrunde, daß hier ein allgemeiner Rechtsgrundsatz (und nicht die entsprechende Anwendung einer privatrechtlichen Norm), ein rechtsethisches Prinzip, dessen Bedeutung in allen Rechtsgebieten gar nicht überschätzt wer-
197 So der Titel einer Abhandlung von Winfried Brohm, DVB1. 1994, S. 133 ff. (das folgende Zitat: S. 138). 198 Adolf Schüle, Treu und Glauben im deutschen Verwaltungsrecht, VerwArch 39 (1934), S. 1 ff. (S. 39); Joachim Gernhuber, §242 BGB - Funktionen und Tatbestände, JuS 1983, S. 764 ff. (S. 764); Ralph Weber, Entwicklung und Ausdehnung des § 242 BGB zum „königlichen Paragraphen", JuS 1992, S. 631 ff. 199 Vgl. an dieser Stelle zunächst aus der Rechtsprechung OVG Münster, DÖV 1971, S. 276 ff. (S. 277) sowie BGHZ 71, S. 386 ff. (S. 393).
§ 13 Das Prinzip von Treu und Glauben
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den kann, auch im Bereich des Vorvertraglichen die ihm zustehende Geltung beansprucht. Im einzelnen: a) Die Entwicklung des Grundsatzes Die Breite des Anwendungsbereichs des Grundsatzes von Treu und Glauben wird am deutlichsten, wenn man sich kurz seine Entwicklung im Privatrecht vergegenwärtigt 200. Die Norm des § 242 BGB, die nach ihrem Wortlaut lediglich dem Schuldner in einem bestehenden Schuldverhältnis eine Pflicht hinsichtlich der Art und Weise auferlegt, in der er seine Leistung zu erbringen hat, wurde unter Aufgabe jeder Begrenzung des persönlichen oder sachlichen Anwendungsbereichs zum positiv-rechtlichen Anknüpfungspunkt für einen „das gesamte Rechtsleben beherrschenden Grundsatz" 201. Seiner Tragweite kann zwar ein bloßer Überblick über die von ihm gezeitigten Rechtswirkungen kaum gerecht werden; sie scheint indessen wenigstens einigermaßen deutlich bei einer - notwendig verkürzenden - Darstellung seiner Funktionen202 auf. Dabei zeigt sich, daß der Grundsatz in verschiedenen Richtungen wirkt: Er stellt eine Schranke unzulässiger oder mißbräuchlicher Rechtsausübung dar, greift regulierend und ergänzend, anpassend und korrigierend ein, wo sich gesetzliche Regeln als unvollständig, zu hart oder zu starr erweisen, dient allenthalben im Rechtsverkehr der Richtigkeitskontrolle und der Einbeziehung übergeordneter Wertungen und begründet schließlich Pflichten nicht bloß auf Seiten eines „Schuldners" und gerade in einem bestehenden Schuldverhältnis, sondern gleichmäßig bei allen Beteiligten eines wie immer entstandenen Rechtsverhältnisses, sei es schuldrechtlicher Natur, sei es eine sonstige rechtliche Sonderverbindung. Damit erweist das Prinzip von Treu und Glauben über seinen kodifizierten Wortlaut hinaus seine grundsätzliche Eignung als Rechtsgrundlage im Sinne dieser Untersuchung, zumindest -und dort wohl nahezu unbestritten - im Privatrecht. b) Die umfassende Geltung des Grundsatzes Durch einen „Siegeszug quer durch unsere gesamte Rechtsordnung"203 überwand das Prinzip von Treu und Glauben aber bald die Grenzen dieses Teilgebiets und wurde „auch für das öffentliche Recht ein beherrschender
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Dazu und zum Folgenden Weber, JuS 1992, S. 631 ff. Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 242 Rdnr. 1; vgl. auch schon Heinr. Stoll, Leistungsstörungen, S. 25. 202 Vgl. zum Folgenden Gernhuber, JuS 1983, S. 764 ff. (S. 765 f.); Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 242 Rdnr. 13. 203 Weber, JuS 1992, S. 631ff. (S. 633). 201
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2. Kap.: Die Rechtsgrundlagen vorvertraglicher Schuldverhältnisse
Rechtsgrundsatz" 204 . Unter allmählicher Loslösung von der engen Bindung an § 242 BGB brach sich die Überzeugung Bahn, daß diese Norm nur eine Einbruchsteile für ein rechtsethisches Prinzip ist, das wegen seines materialen Gerechtigkeitsgehalts in jeder rechtlich geordneten Beziehung Geltung beansprucht 205 . Folgerichtig handelt es sich bei dem Prozeß, durch den diese Erkenntnis in die Rechtswirklichkeit aller Teilrechtsordnungen umgesetzt wird, auch nicht um die analoge Anwendung einer zivilrechtlichen Norm mit den spezifischen Voraussetzungen dieser Methode der Rechtsfortbildung 206 , sondern um die Ausformung und Konkretisierung eines dem öffentlichen Recht ebenso wie dem Privatrecht immanenten allgemeinen Grundsatzes. Dies ist mittlerweile sowohl auf privatrechtlicher 207 wie auf öffentlich-rechtlicher Seite 2 0 8 unter Einschluß der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte 209 anerkannt.
204 So bereits der Musterentwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes (EVwVerfG 1963), S. 205; wortgleich der Entwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG), BT-Drucks. 7/910, S. 83. 205 Dazu und - auch am Beispiel der culpa in contrahendo - zu den Wegen, auf denen solche „Leitgedanken" ihren Eingang in die Rechtsordnung und ihre Ausgestaltung zu konkreten Regeln finden, Larenz, Methodenlehre, S. 421 ff. 206 Oben § 7 I; allgemein Larenz, Methodenlehre, S. 381 ff. 207 Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 242 Rdnr. 17; Günter H Roth, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 242 Rdnr. 72; Weber, in: Staudinger, BGB, 11. Aufl., § 242 Rdnr. A 60 (.J Schmidt, in: Staudinger, BGB, 12. Aufl., § 242 Rdnr. 1450 verzichtet unter Hinweis auf die Vorauflage auf eine eigenständige Bearbeitung). Kritisch Arndt Teichmann, in: Soergel, BGB, § 242 Rdnr. 97 ff., der allenfalls eine analoge Anwendung des Grundsatzes und auch diese lediglich im Rahmen verwaltungsrechtlicher Schuldverhältnisse und sonstiger Sonderrechtsbeziehungen für zulässig hält (aaO. Rdnr. 98). 208 Speziell im Verwaltungsrecht wird mittlerweile die Geltung des Grundsatzes von Treu und Glauben mit Selbstverständlichkeit bejaht, vgl. in diesem Sinne Hartmut Bauer, Die Verwirkung von Nachbarrechten im öffentlichen Baurecht, Die Verwaltung 23 (1990), S. 211 ff. (S. 212 f.); Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 272 (Rdnr. 832); Erichsen, Verwaltungshandeln, S. 240 (§ 11 Rdnr. 51); Henke, Recht der Wirtschaftssubventionen, S. 271; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 54 f. (§ 3 Rdnr. 28, 30); Wolfgang Löwer, Rechtsverhältnisse in der Leistungsverwaltung, NVwZ 1986, S. 793 ff. (S. 797); Rainer Pietzner/Judith Müller, Herstellungsanspruch und Verwaltungsgerichtsbarkeit, VerwArch 85 (1994), S. 603 ff. (S. 618); Schimpf Vertrag, S. 317; früher schon Adolf Schüle, Treu und Glauben im deutschen Verwaltungsrecht, VerwArch 38 (1933), S. 399 ff. (S. 427); Simons, Leistungsstörungen, S. 180 f. mit Nachweisen aus der älteren Literatur; Schwär, Leistungsstörungen, S. 80. Auch in den übrigen Bereichen des ius publicum wird der Grundsatz von Treu und Glauben als Rechtsgrundlage fruchtbar gemacht; als Beispiel aus der Staatsrechtswissenschaft sei hier genannt Hartmut Bauer, Die Bundestreue, 1992, S. 243 ff. 209 Schon das preußische Oberverwaltungsgericht legte seiner Rechtsprechung die Feststellung zugrunde, daß das Prinzip von Treu und Glauben das gesamte Rechtsleben und damit auch das öffentliche Recht beherrsche. Vgl. PrOVGE 82, S. 305 ff. (S.315); 84, S. 301 ff. (S. 305); 87, S. 1 ff. (S. 4); 87, S. 136 ff. (S. 140 f.); 90, S. 253 ff. (S. 256). Das Bundesverwaltungsgericht sowie die Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe nahmen diese auch an Entscheidungen des Reichsgerichts (RGZ 113, S. 19 ff. [S. 24]; 126, S. 243 ff. [S. 244]) anknüpfende Tradition auf und setzen sie bis in die jüngste Zeit mit Selbstverständlichkeit fort, so BVerwGE 55, S. 337 ff. (S. 339); 92, S. 8 ff. (S. 20); BVerwG, Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 92; VGH Mannheim, NVwZ 1991, S. 583 ff. (S. 587); OVG Münster, NWVB1. 1995, S. 75 f. (S. 75).
§ 13 Das Prinzip von Treu und Glauben
99
c) Das Verhältnis zum Privatrecht Diese Erkenntnis verpflichtet zur Vorsicht bei der Übernahme privatrechtlicher Folgerungen und Ableitungszusammenhänge. Die Loslösung von einer allzu engen Bindung an das Privatrecht entlastet die öffentlich-rechtliche Dogmatik nicht zuletzt von manchen Streitfragen, die sich etwa aus der Existenz mehrerer Normen ergeben, welche das Prinzip im BGB zum Ausdruck bringen (neben § 242 etwa noch §§ 157, 162, 320 Abs. 2, 815). Gleichwohl stehen einer Anwendung der verschiedenen, soeben skizzierten Funktionskreise des Grundsatzes keine grundsätzlichen Bedenken entgegen, weil es sich insoweit um eine primär heuristische Einteilung handelt-einzelne, konkrete Verpflichtungen sind damit noch nicht begründet. Hier interessiert naturgemäß in besonderem Maße die pflichtenbegründende Funktion. Für ihre Existenz auch im öffentlichen Recht spricht, daß sie in der Lage ist, in mehrseitigen Rechtsbeziehungen alle Beteiligten, seien sie staatlich, seien sie privat, gleichmäßig zu binden und dadurch mit der Mehrpoligkeit auch hinsichtlich der Pflichten Ernst zu machen: Anders nämlich als andere Grundsätze des öffentlichen Rechts wie etwa das hier schon angesprochene Rechtsstaatsprinzip oder der zugunsten des Staates völlig vernachlässigte Vertrauensschutz, anders auch als das Verhältnismäßigkeitsprinzip richtet sich die Verpflichtung zu einem Verhalten gemäß Treu und Glauben eben an Private genauso wie an staatliche Beteiligte eines Rechtsverhältnisses, wenn sie denn eine eigenständige Wirkkraft auch im öffentlichen Recht entfalten soll. Nicht umsonst ist diese Gegenseitigkeit schon im Wortlaut des Begriffspaares angelegt210, und es bedarf hier keiner besonderen Begründung mehr, daß der Grundsatz auf seinem Konkretisierungsweg ausgehend von der allgemeinen Geltung hinein ins öffentliche Recht und das Verwaltungsrecht bis hin zum Vertragsrecht diesen Charakter der Mehrpoligkeit und des inneren Zusammenhangs der aus ihm erwachsenden Pflichten als ein Wesensmerkmal beibehält. 2. Bedenken gegen Treu und Glauben als Prinzip des öffentlichen
Rechts
Der Geltung des Grundsatzes als eines allgemeinen Prinzips im öffentlichen, speziell im Verwaltungsrecht und seiner pflichtenbegründenden Funktion läßt sich allerdings entgegenhalten, hier werde dem Strauß unbestimmter Begriffe des öffentlichen Rechts wie dem Rechtsstaats-, dem Vertrauensschutz- und
210 Vgl. Eichler, Vertrauen, S. 15 ff.; W. Weber, in: Staudinger, BGB, 11. Aufl., § 242 Rdnr. A 108; R. Weber, JuS 1992, S. 631 ff. (S. 634 f.). Die sprachlich wie inhaltlich begründete Gegenseitigkeit der Pflichtbindung (des „Gläubigers" und des „Schuldners") ersetzt im übrigen auch höchst fragwürdige Begründungen wie etwa diejenige, die Verantwortlichkeit privater Beteiligter auf eine auch diesen obliegende Gemeinwohlverpflichtung zurückzuführen - so aber Simons, Leistungsstörungen, S. 176 ff.
100
. Kap.: Die e h t s n d e
vorvertraglicher Schuldverhältnisse
dem Verhältnismäßigkeitsprinzip noch eine weitere Blüte hinzugefügt, ohne daß ein Nutzen entweder für die systematische Durchdringung oder für die praktische Anwendung des Verwaltungsrechts oder beide sichtbar sei. Dazu ist zu sagen, daß Weite, vorläufige Unbestimmtheit und Konkretisierungsbedürftigkeit von Rechtsbegriffen für sich allein genommen noch kein Argument für ihre Untauglichkeit sind. Sie müssen nur der Ausfüllung nicht bloß bedürftig, sondern auch fähig sein, um sowohl als Baustein juristischer Dogmatik dienen als auch zugleich die ordnende Kraft des Rechtssystems in Einzelfragen zur Entfaltung bringen zu können. Die eigenständige Bedeutung des Grundsatzes von Treu und Glauben, die ihn eben keine Leerformel 211 sein läßt, zeigt sich vor allem darin, daß nur er in der Lage ist, in Staat-Btlrger-Beziehungen auch Verpflichtungen des Bürgers zu begründen 212, während anderen denkbaren normativen Verankerungen eine solche Breitenwirkung fehlt. Von hier aus naheliegend ist ein weiterer Einwand gegen die generelle Brauchbarkeit des Grundsatzes von Treu und Glauben, daß er nämlich ausweislich seiner privatrechtlichen Herkunft Regeln für die Rechtsbeziehungen unter Privaten, aber auch nur solche zu generieren bestimmt sei. Widerlegt ist diese beschränkende Auffassung schon durch die nahezu allseitige Zustimmung zu seiner Geltung im öffentlichen Recht, die notwendig eine Geltung auch in Rechtsverhältnissen unter staatlicher Beteiligung einschließt, widerlegt also letztlich durch das offensichtliche Bedürfnis der Gesamtrechtsordnung nach einem derartigen komplettierenden, Ausgleich und ergänzende Bindungen schaffenden Prinzip, das daher auch in der Regelung der Beziehungen von staatlichen Rechtsträgern untereinander Anwendung findet 213 .
211
Wie jedem allgemein formulierten Rechtsgrundsatz begegnen auch dem Prinzip von Treu und Glauben und seiner Anwendung Vorwürfe wegen vermeintlicher Inhaltsleere und des „Spiels mit Worten" (in dieser Richtung etwa Köndgen, Selbstbindung, S. 98; Löwer, NVwZ 1986, S. 793 ff. [S. 797]; Püttner, WDStRL 32 [1974], S. 200 ff. [S. 202]) - teils und nur berechtigt, soweit es als beliebig verfügbarer Allerweltstopos mißbraucht, die Arbeit mit sachnäheren Normen vernachlässigt wird. Vgl. zu ähnlichen Schwierigkeiten mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Friedrich Schnapp, Die Verhältnismäßigkeit des Grundrechtseingriffs, JuS 1983, S. 850 ff. (S. 850 f.). 212 Seine pflichtenschaffende Funktion ist auch in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ausdrücklich anerkannt worden. Diese Bestätigung erfolgte nicht nur durch allgemein gehaltene Aussagen - vgl. beispielsweise VGH Mannheim, NVwZ 1991, S. 583 ff. (S. 587) -, sondern auch in Gestalt der Ableitung spezieller Einzelpflichten. So spricht das Bundesverwaltungsgericht von einer „Pflicht des Prüflings, im Prüfungsverfahren mitzuwirken, die ihren Rechtsgrund in dem auch im Prüfungsrechtsverhältnis geltenden Grundsatz von Treu und Glauben hat" (BVerwGE 80, S. 282 ff. [S. 286]) und konkretisiert dies in einer neueren Entscheidung dahingehend, daß es dem Prüfling u. a. obliege, „sich rechtzeitig über die für das Prüfungsrechtsverhältnis geltenden Vorschriften zu informieren" (BVerwGE 96, S. 126 ff. [S. 132]). 213 Nochmals sei hier auf Bauer, Die Bundestreue, S. 243 ff. und die dort erfolgende AbStützung jenes Rechtsinstituts in Treu und Glauben hingewiesen; aaO., S. 249 f. auch eine Auseinandersetzung mit der Beschränkung des Grundsatzes auf die Beziehungen unter Privaten.
§ 13 Das Prinzip von Treu und Glauben
101
Π. Treu und Glauben in vorvertraglichen Schuldverhältnissen Ist damit die Qualität des Grundsatzes von Treu und Glauben als allgemeiner Rechtsgrundsatz und seine Geltung im öffentlichen Recht bestätigt und geklärt, muß nun noch der Zusammenhang zwischen ihm und den vorvertraglichen Schuldverhältnissen aufgehellt werden. 1. Die Haltung der Privatrechtswissenschaft Zu diesem Zweck einen Seitenblick auf das Privatrecht zu werfen, das ja bei paralleler Problemstellung parallele Lösungen entwickelt haben könnte, führt zu dem Befund, daß zwar der Zusammenhang mit Treu und Glauben bzw. § 242 BGB durchaus geläufig ist 214 , häufig jedoch nur neben weiteren Radizierungen dieser Form von Schuldverhältnissen215, an anderer systematischer Stelle und damit auch in anderer Funktion216 oder in einer nicht näher spezifizierten Querverbindung 217 erscheint. Hier fehlt es wohl weithin an dem Mut, „Treu und Glauben" an den Anfang eines Ableitungszusammenhangs zu stellen, der in konkreten Pflichten vor Vertragsschluß mündet. Dabei vermeidet dieser Ansatz viele Inkonsequenzen, die sich bei Heranziehung anderer Rechtsgrundlagen ergeben. So liefert er zum Beispiel eine konsistente Erklärung für diejenigen Pflichten, die auch nach der Zäsur des Vertragsschlusses gleichartig bestehenbleiben, da Treu und Glauben auch in einem bestehenden Vertragsverhältnis die Parteien bindet-anders als die herkömmlichen Konzeptionen, die wie dargestellt für dieselben Verpflichtungen je nach ihrem zeitlichen Verhältnis zum Vertragsschluß unterschiedliche Rechtsgrundlagen annehmen218. Vielmehr ist auf diese Weise das „Vertrauen" auf die Funktion zu-
214 So beruht nach Larenz, Schuldrecht AT, S. 109, die vorvertragliche Haftung „letzten Endes auf dem Prinzip von 'Treu und Glauben'". 215 Vgl. hier zunächst allgemein zu „kombinatorischen" Begründungen oben § 12 II; als Beispiel für eine derartige Heranziehung von Treu und Glauben neben anderen Grundlagen: Fikentscher, Schuldrecht, S. 69 (Rdnr. 70), 127 (Rdnr. 160), wobei der nur „ausnahmsweise" pflichtenbegründende Charakter von § 242 (in Verbindung mit Gewohnheitsrecht und Rechtsanalogie) betont wird. Wiedemann , in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 121 akzeptiert Treu und Glauben immerhin als mögliche „Einheitserklärung für die Verantwortung der Vertragspartner", favorisiert indessen (aaO., Rdnr. 121 ff.) eine eher funktionelle und auf rechtliche Gleichbehandlung vor und nach Vertragsschluß abstellende Lösung. Canaris , JZ 1965, S. 475 ff. (S. 478) erblickt die „positiv-rechtliche Grundlage" des vorvertraglichen Vertrauensverhältnisses in § 242 BGB. Auch das OVG Münster, DÖV 1971, S. 276 ff. (S. 277) spricht in bezug auf Treu und Glauben von einem Grundsatz, „auf dem die Ansprüche aus culpa in contrahendo nach neuerer Auffassung beruhen", stützt seine Begründung aber hauptsächlich auf Vertrauensschutzargumente. 216 Vgl. etwa Larenz, FS Ballerstedt, S. 398: Treu und Glauben als Maßstab aller vorvertraglichen Pflichten. 217 So stellt nach den Ausführungen von Nirk, FS Möhring 1975, S. 73, 75 Treu und Glauben wohl zugleich Grundlage und Maßstab vorvertraglicher Pflichten dar. 2 18 Dazu die Nachweise oben in FN 150.
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. Kap.: Die e h t s n d e
vorvertraglicher Schuldverhältnisse
rückgeführt, die ihm in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht besser entspricht, nämlich Folge, nicht Grund vorvertraglicher Pflichten zu sein 219 . Und sowohl gegenüber dem Vertrauensgrundsatz als auch gegenüber einem noch allgemeiner verstandenen Prinzip wie dem des „neminem laedere" hat Treu und Glauben den Vorzug, daß es sich nicht um eine der Soziologie, der Psychologie oder der Ethik genauso wie der Jurisprudenz zugehörige Maxime, sondern trotz einer unbestreitbaren ethischen Komponente doch zuallererst um einen Grundsatz des Rechts handelt, der für eine Rechtsfrage eine angemessene Lösung bereithält. Sie ist von ihrer Anlage her gerade in bezug auf das Vertragsrecht geeignet, Defizite zu ergänzen und die rechtliche Ordnung um die weder gesetzlich normierbaren noch von den Parteien autonom geregelten Verhaltenspflichten zu komplettieren. Denn das Problem, daß die vorvertraglichen Pflichten je nach dem intendierten Vertrag, der wirtschaftlichen Stärke der Verhandlungspartner, der Dauer der Verhandlungen und den erzielten Verhandlungsfortschritten von ganz unterschiedlicher Dichte und Intensität sein können, zwingt zur Generierung bereichs- und vertragsspezifischer Pflichten, die sich in ihrer ganzen Breite nur auf eine allgemeine, für eine Vielzahl von unterschiedlich ausgestalteten Rechtsverhältnissen tragfähige Rechtsgrundlage stützen kann. 2. Treu und Glauben als Rechtsgrundlage vorvertraglicher im Verwaltungsrecht
Pflichten
Diese Umstände sprechen in gleichem Maße dafür, im Verwaltungsvertragsrecht das Prinzip von Treu und Glauben als rechtliche Grundlage vorvertraglicher Pflichten 220 anzusehen, weil sich im Verlauf der Untersuchung die auf Vertrauen gegründeten Argumentationen als brüchig und auch die sonstigen Vorschläge der Anknüpfung im Recht als nicht überzeugend erwiesen haben. An positiven Gründen sind zu nennen zum einen die ohne dogmatischen Aufwand zu bejahende Kraft des Grundsatzes von Treu und Glauben, in mehrpoligen Rechtsbeziehungen, vor allem unter privater Beteiligung, auf allen Seiten, auch zugunsten des Staates, obligierend zu wirken, zum anderen seine spezifisch normativ-rechtliche Qualität und schließlich seine Vertragsbezogenheit. Vertragsbezogenheit bedeutet, daß bei allen Bedenken, die allgemein der Geltung des Grundsatzes von Treu und Glauben im öffentlichen Recht entgegenge-
219
Vgl. Wiedemann , in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 105. Übereinstimmend Henke, Recht der Wirtschaftssubventionen, S. 174, 274, 361; Henneke, NuR 1991, S. 267 ff. (S. 275)(unter zusätzlichem Rückgriff auf rechtsstaatliche Grundsätze und grundrechtliche Vorwirkungen); Weber, in: Staudinger, BGB, 11. Aufl., § 242 Rdnr. A 89; allgemein für „Nebenpflichten" auch Gerd Schetting, Rechtspraxis der Subventionierung - Eine Untersuchung zur normativen Subventionspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, 1973, S. 128; vgl. weiter Bauer, VerwArch 78 (1987), S. 241 ff. (S. 263, 266); Hill, NJW 1986, S. 2602 ff. (S. 2607 f.); ders., Das fehlerhafte Verfahren, S. 281. 220
§ 13 Das Prinzip von Treu und Glauben
103
bracht werden könnten, doch schon seit längerem sich die Überzeugung verfestigt hat, daß das Recht des Verwaltungsvertrages davon „im wahrsten Sinne des Wortes beherrscht" 221 ist, seine Heranziehung sich hier also nachgerade anbietet. 3. Folgerungen Überdies eröffnet diese Konzeption die Gelegenheit, jenen Grundsatz schrittweise zu konkretisieren, womit der Forderung nach der Einziehung dogmatischer Zwischenebenen222 in das öffentliche Vertragsrecht Genüge getan werden kann. Diese Konkretisierung findet statt einerseits durch die typisierende Herausarbeitung derjenigen Entstehungstatbestände, die die Entfaltung des Prinzips von Treu und Glauben in einem bestimmten Lebenssachverhalt auslösen; andererseits durch eine Systematisierung von Einzelpflichten und Pflichtengruppen und schließlich durch die Zuordnung von interessengerechten Rechtsfolgen bei Verletzung dieser Pflichten. Den in dieser Weise kurz umrissenen Herausforderungen stellen sich die folgenden Kapitel. Zuvor ist allerdings noch zu klären, ob bei dieser Verankerung der vorvertraglichen Haftung in einem allgemeinen Rechtsgrundsatz-auch-des Verwaltungsrechts nicht die lex scripta in unzulässiger Weise übergangen wurde: Denn schließlich wird in diesem Zusammenhang eine Heranziehung von § 62 S. 2 VwVfG überflüssig, da das Prinzip von Treu und Glauben nicht „ergänzend" und „entsprechend", sondern als Rechtsprinzip auch des Verwaltungsrechts unmittelbar angewandt wird. Doch geht auch schon die amtliche Begründung von einer originären Geltung des Grundsatzes im öffentlichen Recht aus 223 . Des ausdrücklichen Anwendungsbefehls des § 62 S. 2 VwVfG bedarf es daher auch im Interesse eines überschaubaren Ableitungszusammenhangs konsequenterweise nicht, zumal diese Norm nur auf „Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches" verweist und damit die Übernahme umfangreicher, teils richterrechtlich geformter Rechtsgrundsätze und dogmatischer Kausalketten, um die es hier geht, ihrerseits erst nach einiger Auslegungsarbeit ermöglicht 224. Ein legitimer, freilich ebenfalls über den Wortlaut hinausgehender Anwendungsbereich eröffnet sich aber dort, wo es um die Verpflanzung von Fallgruppen und Rechtsfolgen vorvertraglicher Schuldverhältnisse ins Verwaltungsrecht geht - im Hinblick darauf liefert der Grundsatz von Treu und Glauben keine Vorgaben, so daß der Rückgriff auf privatrechtliche Einteilungen möglich ist. Eine derartige Parallelisierung der Systematik in den Teilrechtsordnun221 So schon Schule, VerwArch 38 (1933), S. 399ff. (S. 427). 222 zu diesem Anliegen moderner Verwaltungsvertragsdogmatik oben § 2 II. 223 Entwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG), BT-Drucks. 7/910, S. 83. 224 Die Schwierigkeiten, die dieser enge Wortlaut gerade für die verwaltungsvertragliche culpa in contrahendo verursacht, hebt auch Littbarski, Jus 1979, S. 537 ff. (S. 539) hervor. Vgl. zu dieser Frage ferner Punke, Verwaltungshandeln, S. 99 f.
104
. Kap.: Die e h t s n d e
vorvertraglicher Schuldverhältnisse
gen entspricht zwar ebenfalls nicht dem ausdrücklichen Regelungsgehalt der Transformationsnorm. Immerhin ist es auf diese Weise aber möglich, den normativen Brückenschlag zwischen den Teilrechtsordnungen im Anwendungsbereich der Verwaltungsverfahrensgesetze für die Dogmatik der vorvertraglichen Schuldverhältnisse zu nutzen, obwohl dies speziell im Hinblick auf die Rechtsgrundlage nicht erforderlich ist, und damit dem Geltungsanspruch der Verweisung in einem Bereich Rechnung zu tragen, dessen Vorformung durch das Privatrecht auch in Zukunft wohl unverkennbar bleiben wird.
Drittes Kapitel
Die Entstehungstatbestände vorvertraglicher Schuldverhältnisse
§ 14 Entstehungstatbestände und Verwaltungsverfahrensrecht
I. Die Funktion des Entstehungstatbestandes in der Systematik vorvertraglicher Schuldverhältnisse Im vorangegangenen Kapitel wurde das Prinzip von Treu und Glauben als die gesuchte rechtliche Basis vorvertraglicher Schuldverhältnisse ausgemacht. Nach der ebenfalls schon getroffenen begrifflichen Unterscheidung zwischen Rechtsgrundlagen und Entstehungstatbeständen1 ist es nunmehr Aufgabe dieses Kapitels, aufbauend auf den bereits gewonnenen Erkenntnissen die tatbestandlichen Voraussetzungen zu ermitteln, unter denen eine „individualisierende 'besondere' Verdichtung der Beziehung zwischen Bürger und Verwaltung"2 oder verschiedenen Verwaltungsträgern entsteht, welche ihrerseits in juristischer Hinsicht durch ein in Treu und Glauben wurzelndes Insgesamt an Rechten und Pflichten gekennzeichnet ist. Die faktischen Gegebenheiten, die typischerweise diesem Wechsel zu einem Mehr an rechtlicher Bindung sein Gepräge geben, bedürfen im Verwaltungsvertragsrecht nicht nur wegen des neuerdings verstärkten wissenschaftlichen Interesses an gerade diesem Rechtsgebiet, sondern schon aus verfassungsrechtlichen Gründen einer präzisen Herausarbeitung: Sind Private an den Vertragsverhandlungen beteiligt, so beschneiden die vorvertraglichen Pflichten ihren persönlichen Freiheitsraum. Damit bedürfen diese Bindungen zu ihrer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit nicht nur irgendeiner normativen Abstützung, sondern verlangen von dem sie zur Geltung bringenden Tatbestand die Erfüllung gewisser inhaltlicher Voraussetzungen, um vor den verfassungsrechtlichen Anforderungen bestehen zu können. Diese 1 Siehe dazu oben § 6 I. Allgemein zu Entstehungstatbeständen von Verwaltungsrechtsverhältnissen etwa Hartmut Bauer, Verwaltungsrechtslehre im Umbruch?, Die Verwaltung 25 (1992), S. 301 ff. (S. 320 f.); Rolf Gröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis, 1992, S. 152ff; FranzJosef Terwey, Die rechtliche Betreuung des Bürgers nach dem Sozialgesetzbuch, 1980, S. 49 ff. 2 Peter Häberle, Das Verwaltungsrechtsverhältnis - eine Problemskizze, in: ders., Die Verfassung des Pluralismus: Studien zur Verfassungstheorie der offenen Gesellschaft, 1980, S. 248 ff (S. 254) (Hervorhebungen im Original).
106
3. Kap.: Die Entstehungstatbestände vorvertraglicher Schuldverhältnisse
Erfordernisse, in der Regel dem Rechtsstaatsprinzip3 zugeordnet, werden zumeist mit Vokabeln wie „Berechenbarkeit", „Voraussehbarkeit" oder „Bestimmbarkeit" der über das von jedermann geforderte Maß an Pflichten hinausgehenden Bindungen verdeutlicht4. Nimmt man dieses grundgesetzlich vorgegebene Bestimmtheitsgebot als Teil auch des Selbststandes des Verwaltungsvertragsrechts, so erfüllt die Herausarbeitung möglichst klar und präzise gefaßter Entstehungstatbestände angesichts der Weite und Konkretisierungsbedürftigkeit der für die vorvertraglichen Schuldverhältnisse gefundenen Rechtsgrundlage die hierdurch der Vertragsdogmatik gestellte Aufgabe. Zugleich kann auf diesem Wege die Abgrenzung zu anderen, nicht ausschließlich dem Vertragsrecht zugehörigen „Vorrechtsverhältnissen" vorgenommen werden. Hinzuweisen ist allerdings zugleich darauf, daß es eine allgemeine Formel, die alle denkbaren Fallkonstellationen zu einem präzisen Tatbestand bündelt, schon deswegen nicht geben wird, weil der Phase vor Vertragsschluß in rechtstatsächlicher Hinsicht vielgestaltige Formen der gegenseitigen Annäherung und zeitweiligen Abstandnahme, der Kommunikation und des Kontakts der Partner geradezu wesensimmanent sind. Allzu kleinliche tatbestandliche Fixierungen des Beginns der verdichteten Pflichtenlage provozieren denn auch allenfalls Vermeidungsstrategien5, womit das Ziel verfehlt würde, den Beteiligten während des gesamten vorvertraglichen Abschnitts „Sicherheit im Normalfall, aber die Chance zur Flexibilität bei Krisen und Pathologien"6 auch in rechtlich zur Zeit noch unsicherem Gelände zu eröffnen. Wiederum geht es also darum - dies als Zwecksetzung auch dieses Kapitels und zugleich als Abschluß der allgemeinen Vorüberlegungen - , eine „Zwischenebene" zwischen der Abstraktionshöhe des normierten öffentlichen Vertragsrechts einerseits und kasuistischer Aufzählung andererseits einzuziehen.
3
Vgl. dazu im Zusammenhang mit vorvertraglichen Schuldverhältnissen bereits oben § 10. Grundsätzlich zur Bestimmtheit von Normen BVerfGE 21, S. 73 ff. (S. 79); 52, S. 1 ff. (S. 41); zum Zusammenhang dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe mit dem Vorbehalt des Gesetzes Fritz Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band III: Das Handeln des Staates, 1988, S. 315 ff. (S. 328 f. [§ 62 Rdnr. 23]); zum grundgesetzlich geregelten Spezialfall des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG ders., Rechtsverordnung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR III, S. 387 ff. (S. 395 ff. [§64 Rdnr. 17 ff.]) und zu neueren verwaltungsrechtlichen und -wissenschaftlichen Aspekten Hermann Hill, Rechtsstaatliche Bestimmtheit oder situationsgerechte Flexibilität des Verwaltungshandelns, DÖV 1987, S. 885 ff. 5 Zu dieser Gefahr, die allgemein bei einer übermäßigen Formalisierung und Verrechtlichung von bislang juristisch nicht in jeder Hinsicht domestizierten Verhaltensweisen droht, Martin Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, 1995, S. 112 f., 137. 6 So Wolf gang Hoffmann-Riem, Selbstbindungen der Verwaltung, VVDStRL 40 (1982), S. 187 ff. (S. 203) zu strukturell ähnlichen Bindungsbedürfhissen im Rahmen des „informellen" Verwaltungshandelns. 4
§ 14 Entstehungstatbestände und Verwaltungsverfahrensrecht
107
Π. Das Verfahrensrechtsverhältnis als Modell? Bei der Umsetzung dieses Anliegens sollte im Sinne einer einheitlichen Systematisierung auf in der bisherigen Rechtsentwicklung bereits gewonnene Erkenntnisse zurückgegriffen werden, seien sie privatrechtlich, seien sie öffentlich-rechtlich ausgerichtet. Anders als bei der im vorangegangenen Kapitel behandelten Frage der Rechtsgrundlagen, die aufgrund der rechtshistorischen Entwicklungsverläufe und der daraus folgenden Dichte der praktischen und wissenschaftlichen Durchdringung des Themas von Beginn an unter starker Berücksichtigung des Privatrechts behandelt werden mußte, liegen für den nunmehr in Rede stehenden Komplex genuin öffentlich-rechtliche Antworten nahe, deren Untersuchung daher der Vorrang gebührt. Zu klären ist folglich zunächst, ob etwa das Verwaltungsrecht nicht schon in Gestalt des Verfahrensrechtsverhältnisses ein teilweise kodifiziertes Modell bereithält, dessen zeitlicher Rahmen auf das vorvertragliche Rechtsverhältnis übertragbar ist7. Dies hätte den Vorteil, daß für die gesuchte zeitliche Zäsur gesetzliche Regelungen bereit stünden8, an welche sich anknüpfen ließe. Überschneidungen des allgemeinen verfahrensrechtlichen und des speziellen vertragsrechtlichen Rechtsverhältnisses9 wurden bereits festgestellt, zugleich aber auch Trennendes, das eine völlige dogmatische Gleichbehandlung verbietet 10 . Bei diesen Unterschieden fielen besonders zwei ins Gewicht, welche auch hinsichtlich der Entstehungstatbestände für die Untersuchung maßgeblich sein werden: In formaler Hinsicht der einer Entscheidung der Verwaltung überantwortete Beginn des Verwaltungsverfahrens und sachlich-inhaltlich der über die herkömmlich als „Verfahrensrecht" bezeichnete Materie hinausgehende Bindungs- und Regelungsbedarf. 1. Der „ Beginn des Verwaltungsverfahrens " als ungelöstes Problem des Verwaltungsrechts Der „Beginn des Verwaltungsverfahrens" ist im vorliegenden Zusammenhang naturgemäß von besonderem Interesse, da hiermit möglicherweise der gesuchte Einschnitt in der zeitlichen Entwicklung hin zum vorvertraglichen Schuldverhältnis bereits bezeichnet ist. Der Verfahrensbeginn war und ist Ge-
7 Dazu und zum Folgenden Hermann Hill, Rechtsverhältnisse in der Leistungsverwaltung, NJW 1986, S. 2602 ff. (S. 2606,2609); Jürgen Funke, Verwaltungshandeln durch Vertrag, o. J., S. 100 ff. 8 Vgl. §§ 9,22 VwVfG. 9 Weitgehende Gleichsetzung dieser beiden Abschnitte bei Hermann Hill, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S. 183 ff. Pointiert für einen Teilbereich Wilhelm Henke, Das Recht der Wirtschaftssubventionen als öffentliches Vertragsrecht, 1979, S.39: „Subventionsrecht ist Vertragsrecht, zugleich aber auch Verfahrensrecht (Hervorhebungen im Original). 10 Oben §4 II.
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3. Kap.: Die Entstehungstatbestände vorvertraglicher Schuldverhältnisse
genstand dogmatischer Erörterungen, in denen es vor allem um die Funktion des „Antrags" ging. Trotz des sprachlichen Gleichklangs zu der Willenserklärung 11 , die zusammen mit der Annahme gemäß §§ 145 ff. BGB den Tatbestand eines Vertrages ausmacht, stellt jener Antrag doch funktionell etwas anderes dar, er ist nämlich „Zulässigkeitsvoraussetzung für das Verfahren ... und bestimmt zugleich den Verfahrensgegenstand" 12. Umstritten ist demgegenüber jedoch, ob er zugleich den Beginn des Verfahrens darstellt13. Diese Kontroverse hat-mangels Erforderlichkeit eines Antrags im Sinne des VwVfG-inhaltlich für das hier zu untersuchende Problem keine unmittelbaren Konsequenzen. Sie zeigt aber schlaglichtartig, daß auch nach einer nicht unerheblichen Geltungsdauer eigener „Verwaltungsv^r/äArenygesetze" und ihrer umfangreichen dogmatischen Vorbereitung und Begleitung begriffliche Unscharfen des Verfahrensrechts neben anderen Unzulänglichkeiten14 keineswegs selten sind. 2. Die zeitlichen Grenzen des Verwaltungsverfahrens Eine inhaltliche Begrenzung des „Verwaltungsverfahrens" im Sinne seiner Kodifikationen ergibt sich weiterhin aus der tatbestandlich notwendigen Ausrichtung der behördlichen Tätigkeit auf den Erlaß eines Verwaltungsaktes oder den Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrages 15. Aus dieser zum einen behördenorientierten, zum anderen subjektivierenden („Ausrichtung") Sichtweise ergibt sich aber als Konsequenz in zeitlicher Hinsicht für ein keinen Antrag erforderndes 16 Verfahren, daß es durch eine Entscheidung der Behörde eröffnet wird 17 . Diese mag zuweilen mit dem Eintritt in Vertragsverhandlungen zusammenfallen 18. Generell 11 Vgl. dazu allgemein Winfried Kluth, Rechtsfragen der verwaltungsrechtlichen Willenserklärung, NVwZ 1990, S. 608 ff. 12 Wolfgang Clausen, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 5. Aufl., 1996, § 22 Rdnr. 4.1 unter 1. (im Original teilweise hervorgehoben). 13 Hierzu Paul Stelkens, in: ders./Heinz Joachim Bonk/Michael Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 4. Aufl., 1993, § 9 Rdnr. 9, § 22 Rdnr. 36 mit Nachweisen zum Streitstand. Freilich wird auch in neuerer monographischer Literatur diese Problematik zuweilen völlig verkannt, so etwa bei Klaus-Dieter Schromek, Die Mitwirkungspflichten der am Verwaltungsverfahren Beteiligten - eine Grenze des Untersuchungsgrundsatzes?, 1989, S. 8 f. 14 Eine Zwischenbilanz etwa bei Friedrich Schoch, Der Verfahrensgedanke im allgemeinen Verwaltungsrecht - Anspruch und Wirklichkeit nach 15 Jahren VwVfG, Die Verwaltung 25 (1992), S. 21 ff. (S. 32 ff). 15 So §9 VwVfG. 16 Zu der Kontroverse hinsichtlich des Antrags siehe soeben FN 13. 17 Friedhelm Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 2. Aufl., 1991, S. 94 (Rdnr. 113); Ferdinand Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Aufl., 1996, § 22 Rdnr. 2, 5; Stelkens, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, § 9 Rdnr. 61; Carl Hermann Ule/Hans-Werner Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Aufl., 1995, S. 218 (§ 20 Rdnr. 1). 18 Als Regelfall sieht dies Punke, Verwaltungshandeln, S. 100 an; vgl. auch Klaus Obermayer, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl., 1990, Vorbemerkung zu § 9 Rdnr. 9; § 22 Rdnr. 9, der die Einigung über die Verfahrenseinleitung als einen Entstehungstatbestand des auf Vertragsabschluß gerichteten Verfahrensrechtsverhältnisses kennzeichnet, innerhalb dessen
§ 14 Entstehungstatbestände und Verwaltungsverfahrensrecht
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ist die Phase der verdichteten Rechte- und Pflichtenlage jedoch nicht auf den Zeitraum nach einer derartigen behördlichen Entscheidung beschränkt, schon weil ein solches bereits auf eine Handlungsform der Verwaltung konkretisiertes Ziel den Beteiligten auf staatlicher Seite bei der Kontaktaufiiahme häufig noch gar nicht oder noch nicht klar vor Augen liegt. Daraus erklärt sich folgerichtig, warum der rechtlicher Durchdringung durchaus bedürftige Abschnitt bis zu der genannten behördlichen Entscheidung häufig als „Vorverfahrensverhältnis" 19 gekennzeichnet wird. Die Enge des gesetzlichen Verfahrensbegriffs führt dazu, daß er auch auf die Frage nach den Entstehungstatbeständen vorvertraglicher Schuldverhältnisse keine hinreichende Antwort zu geben vermag. 3. Zur Geltung kodifizierten Verfahrensrechts vorvertraglichen Schuldverhältnis
im
Darüber hinaus sprechen auch teilweise bereits erwähnte inhaltliche Gesichtspunkte dagegen, die vorvertragliche Phase und das Verfahrensrechtsverhältnis in eins zu setzen: Jeweils für sich betrachtet sind die Verfahrensvorschriften einerseits nicht erschöpfend, indem sie insbesondere die Bindungen auf Seiten des Bürgers nicht erfassen und auch nicht alle Pflichten als „Verfahrensrecht" bezeichnet werden können, andererseits zu weitgehend, weil und soweit sie teilweise verfassungsrechtlich begründet und veranlaßt sind20 und daher als allgemein gefaßte Prinzipien erst den vertragsspezifischen Besonderheiten angepaßt werden müssen21. Darauf ist im einzelnen erst bei der Erörterung des Inhalts vorvertraglicher Schuldverhältnisse einzugehen; an dieser Stelle reicht der Hinweis aus, daß die verfahrensrechtlichen Gesetzesnormen auch nach ihrem inhaltlichen Zuschnitt nicht geeignet sind, für die Suche nach dem zeitlichen Rahmen des vor-
sieh dann Sorgfalts- und Treuepflichten ergeben (aaO., § 62 Rdnr. 163 ff.). Hierdurch wird der Beginn der intensivierten Pflichtenlage nicht mehr allein in die Hand der Verwaltung gelegt, was zwar vertragsrechtsdogmatisch sinnvoll ist, so aber aus der gesetzlichen Konzeption des Verfahrensbeginns kaum hergeleitet werden kann. 19 So Hans Peter Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl., 1993, S.267 (Rdnr. 814); Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 281. Allgemein zwischen „eigentlichem VwVerfahren" und „Vorverfahrensperiode" differenzierend auch Hermann Borgs-Maciejewski, in: Hans Meyer/ders., Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl., 1982, §9 Rdnr. 9; ferner Hufen, Das fehlerhafte Verfahren, S.87ff. (Rdnr. 103 ff.) zum Thema „Verfahrensfehler vor dem Verfahren?", der von „Vorabverfahren" spricht (S. 87). 20 Dazu allgemein Clausen, in: Knack, VwVfG, vor §9 Rdnr. 3.1; Peter Häberle, Verfassungsprinzipien „im" Verwaltungsverfahrensgesetz, in: Walter Schmitt Glae'ser (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Richard Boorberg Verlags, 1977, S. 47 ff.; Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, S. 632 ff. (§70 Rdnr. 12 ff.); Stelkens, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, § 1 Rdnr. 21 ff., §9 Rdnr. 17; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, S. 4 ff. (§ 1 Rdnr. 6 ff.); Rainer Wahl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, WDStRL 41 (1983), S. 151 ff. (S. 166 ff.). 21 Deutlich wird dies am Beispiel der Anhörung gemäß § 28 VwVfG (siehe dazu an dieser Stelle nur Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 62 Rdnr. 5, sowie unten § 18 12 a).
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3. Kap.: Die Entstehungstatbestände vorvertraglicher Schuldverhältnisse
vertraglichen Schuldverhältnisses eine Orientierungshilfe zu geben, denn ihre Bestimmung liegt im Schwerpunkt darin, rechtliche Maßstäbe für das Handeln und materiell rechtmäßige Entscheiden der Verwaltung 22, weniger aber darin worauf es hier ankäme - , ein System von Regeln für das Verfahren zwischen rechtlich gleichgeordneten Subjekten aufzustellen 23. Daß diese Normen inhaltlich nicht allzu eng mit dem Verwaltungsvertragsrecht verknüpft sind und daher aus ihnen nur in begrenztem Umfang Folgerungen für dessen Dogmatik gezogen werden können, ergibt sich auch daraus, daß der Gesetzgeber ihre Geltung in diesem Bereich eigens angeordnet hat 24 . Diese inhaltlichen Aspekte erhärten den Befund, daß die spezifisch verfahrensrechtlichen Regeln des kodifizierten Verwaltungsrechts nicht genügen, um die Phase des Vorvertraglichen hinreichend rechtlich zu erfassen. Dies wirkt sich auch im Hinblick auf die zeitliche Erstreckung der beiden Arten von Rechtsverhältnissen aus: Die Einleitung eines Verwaltungsverfahrens und die Entstehung eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses können zwar zusammenfallen, notwendig ist eine derartige Kongruenz aber nicht. Das Bild zweier sich überschneidender Kreise dürfte das Verhältnis der beiden Regelungskomplexe am besten erfassen; damit wiederholt sich das für die Frage der Rechtsgrundlage vorvertraglicher Schuldverhältnisse gefundene Ergebnis25. 4. Folgerungen für das vorvertragliche
Schuldverhältnis
Als Ergebnis bleibt festzuhalten, daß der enge gesetzliche Begriff des Verwaltungsverfahrens nicht als Modell für die Markierung und Abgrenzung der verdichteten vorvertraglichen Pflichtenlage im Fluß der Zeit taugt. Und löst man sich von den normativen Vorgaben, so könnte zwar unter einen allgemeinen, die gesetzliche Definition überschreitenden Verfahrensbegriff 26 auch die 22 Die Möglichkeit, Einzelnormen wie etwa § 26 Abs. 2 VwVfG als Maßstab für vorvertragliche Verhaltenspflichten Privater heranzuziehen (dafür Punke, Verwaltungshandeln, S. 104), ändert an diesem grundsätzlichen Ungleichgewicht nichts. 23 Schoch, Die Verwaltung 25 (1992), S. 21 ff. (S. 36). Ein Beispiel dafür, daß die inhaltliche Begrenztheit des gesetzlichen Verfahrensrechts eine der Sache nach wünschenswerte zeitliche Ausdehnung behördlicher Pflichten und entsprechender Kompetenzen erschwert, liefert die Suche nach einer Grundlage für behördliche Beratungstätigkeit, die häufig gerade vor Einleitung eines Verwaltungsverfahrens notwendig ist; dazu Janbernd Oebbecke, Beratung durch Behörden, DVB1. 1994, S. 147 ff. (S. 151); ferner Astrid Jochum, Auskunfts- und Hinweispflichten bei der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben, NVwZ 1987, S. 460 ff. (S. 460 f.). 24 § 62 S. 1 VwVfG. Allgemein ist anerkannt, daß diese Norm gerade die Verfahrensvorschriften des VwVfGerfaßt; vgl. dazu statt aller Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 62 Rdnr. 5. 25 Oben § 9. Ähnlich Punke, Verwaltungshandeln, S. 108 f., der eine „schuldrechtliche Überfrachtung des Verwaltungsverfahrens" und dessen „subjektivrechtliche Überbewertung" für den Fall befürchtet, daß im Ausgangspunkt nicht hinreichend präzise zwischen Verfahrensrecht und dem vorvertraglichen Haftungssystem differenziert wird. 26 Vgl. Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl., 1995, S. 445 f. (§ 19 Rdnr. 1 f.) mit dem Vorschlag einer analogen Anwendung der kodifizierten Verfahrensvorschrif-
§ 15 Die Übernahme privatrechtlicher Modelle
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vorvertragliche Phase gefaßt werden 27. Nur verbleibt dieser Befund zu sehr im allgemeinen, als daß er an dieser Stelle der Untersuchung hilfreich wäre.
§ 15 Die Übernahme privatrechtlicher Modelle I. Besondere Anforderungen des Privatrechts an den Entstehungstatbestand 1. Die Ausgangssituation: Das Bedürfnis nach einer früh einsetzenden Haftung Nachdem sich im vorangegangenen Paragraphen gezeigt hat, daß das kodifizierte Verfahrensrecht die Frage nach den Entstehungstatbeständen nicht in zufriedenstellender Weise beantworten kann, sind nunmehr die einschlägigen Modelle des Privatrechts 28 darauf zu untersuchen, ob sie sich zur Übernahme ins Verwaltungsvertragsrecht eignen. Vorab ist hierbei auf einen bereits in anderen Zusammenhängen angesprochenen Umstand hinzuweisen, der die privatrechtliche Diskussion dieses Sachproblems in besonderer Weise prägt, im Verwaltungsrecht jedoch nur allenfalls geringe Bedeutung gewinnt: Die Verwendung des Rechtsinstituts der culpa in contrahendo als „Lückenbüßer"29 für das als defizitär empfundene Deliktsrecht wirkte im Bereich des Haftungsbeginns maßstabsbildend, indem zur Erzielung einer möglichst umfangreichen Haftung die inhaltlichen Vorgaben des Entstehungstatbestands stark abgesenkt, nämlich auf das Kriterium einer gewissen räumlichen Nähe zwischen Berechtigtem und Verpflichtetem reduziert wurden - Schulfall und zugleich rechtstatsächlicher Anlaß dieser Entwicklung sind die sogenannten Warenhausfälle 30. Mag hier
ten auf ähnliche Konstellationen im Verhältnis zwischen Bürger und Verwaltung. Siehe ferner Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 281, 316 f. zur „Pflicht zur verfahrensmäßigen Rücksichtnahme" (im Original teilweise hervorgehoben) außerhalb konkreter Verfahrensrechtsverhältnisse. 27 In diesem Sinne etwa auch Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HStR III, S. 623 ff. (S. 644 [§ 70 Rdnr. 28]), der unter anderem zwischen einer Einleitungs-, einer Enscheidungsvorbereitungs- und einer Entscheidungfmdungsphase als Gliederungsabschnitten eines Verwaltungsverfahrens im weiteren Sinne differenziert. Unter diese Begriffe lassen sich mühelos auch alle Konstellationen vorvertraglicher Beziehungen subsumieren. 28 Zu diesen ausführlich Michael Bohrer, Die Haftung des Dispositionsgaranten, 1980, S. 202 ff., 247 ff., 305 f.; Michael Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, 1981, S. 340 ff.; ders., Die bürgerlichrechtliche Haftung für Werbeangaben, NJW 1981, S. 1233 ff. (S. 1239 f.). 29 So schon Rudolf Nirk, Rechtsvergleichendes zur Haftung für culpa in contrahendo, RabelsZ 1953, S. 310 ff. (S. 311); die Bedeutung dieser Funktion vorvertraglicher Pflichtbindung wird im Privatrecht heute teilweise als in der Diskussion überbewertet angesehen (in diesem Sinne Herbert Wiedemann, in: Kohlhammer-Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, begründet von Hs. Th. Soergel, Band 2,12. Aufl., 1990, vor § 275 Rdnr. 108). 30 RGZ 78, S. 239 ff.; BGHZ 66, S. 51 ff.; BGH, NJW 1962, S. 31 f.; NJW 1986, S. 2757 f.; hierzu unten § 17 II 1 und Marina Frost, „Vorvertragliche" und „vertragliche" Schutzpflichten, 1981, S. 112 ff.
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3. Kap. : Die Entstehungstatbestände vorvertraglicher Schuldverhältnisse
auch durch den Ausbau der sogenannten Verkehrssicherungspflichten mittlerweile das Deliktsrecht umfassenderen Schutz gewähren, so bleiben doch für den Geschädigten bei der gerichtlichen Durchsetzung seiner Ansprüche immer noch Vorteile der vorvertraglichen Haftung 31. Bei allen dogmatischen Bedenken, die sich gegen die Einbeziehung der in diesen Fällen geschuldeten Pflichten in die vorvertraglichen Schuldverhältnisse richten32, läßt sich daher die Erkenntnis nicht von der Hand weisen, daß durch eine „Umfirmierung (seil, ins Deliktsrecht) der Schutzpflichten im Grunde das Problem lediglich auf eine andere Ebene verschoben"33 würde und damit hinsichtlich des Beginns der gesteigerten Einstandspflichten jedenfalls ein interessengerechter Rechtszustand gegeben ist. 2. Die Ausgangsposition der Verwaltungsvertragsdogmatik Im Verwaltungsrecht dagegen konkurrieren im vorvertraglichen Zeitabschnitt andere Anspruchsgrundlagen als im Privatrecht miteinander, außerdem muß nach den staatlichen und privaten Beteiligten und ihren Interessen hinsichtlich des Einsetzens verstärkter Bindung im vorvertraglichen Abschnitt differenziert werden, was bei der Frage nach den Entstehungstatbeständen nicht unberücksichtigt bleiben darf. So ist im Verhältnis eines geschädigten Bürgers zum Staat das konkurrierende Haftungssystem die vermittelte Verantwortlichkeit des Staates aus § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG. Auch hier erleichtert die Haftung aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis unter Gesichtspunkten des Verfahrensrechts und der materiellen Voraussetzungen die Durchsetzung der Ansprüche34, wobei diese nach Auffassung der Praxis auf dem Zivilrechtsweg zu verfolgen sind35. Aus Sicht eines privaten Verhandlungspartners ist also wie im Privatrecht das möglichst frühe Einsetzen der Verpflichtung aus vorvertraglicher Haftung vorteilhaft. 31 Bedeutsame Unterschiede ergeben sich hier im Hinblick auf die Haftung für Hilfspersonen, die Verjährungsfrist und die Beweislast (vgl. zusammenfassend BGHZ 66, S. 51 ff. [S. 54]; Norbert Horn, Culpa in contrahendo, JuS 1995, S. 377 ff. [S. 379]). 32 Stellvertretend für viele Dieter Medicus, Verschulden bei Vertragsverhandlungen, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Band I, 1981, S. 479 ff. (S. 487 ff.). 33 Volker Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, 3. Aufl., 1991, S. 42 (Klammerzusatz hinzugefügt). 34 Dazu Ulrich Battis , Culpa in contrahendo im Beamtenrecht, ZBR 1971, S. 300 ff. (S. 300); Littbarski, JuS 1979, S. 537 ff. (S. 542). Einer Haftung aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis stehen weder die amtshaftungsrechtliche Subsidiaritätsklausel (§ 839 Abs. 1 S. 2 BGB) noch die besondere Schadensabwendungspflicht, die § 839 Abs. 3 BGB statuiert, im Wege; ferner ist der Anspruch nicht auf eine Geldleistung beschränkt und schließlich greift in prozessualer Hinsicht ebenfalls die Beweiserleichterung des § 282 BGB ein. 35 So der BGH, DVB1. 1986, S. 409 (S. 410). Zur Kritik an dieser Ansicht Joachim Scherer, Rechtsweg bei öffentlichrechtlicher „Culpa in contrahendo", NVwZ 1986, S. 540 f. sowie ausführlich unten § 22 VII.
§ 15 Die Übernahme privatrechtlicher Modelle
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Aber auch vom Standpunkt staatlicher Verhandlungsbeteiligter aus bietet die vorvertragliche Bindung Vorteile, da sie gegen einen anderen Hoheitsträger allenfalls Amtshaftungsansprüche mit ihren soeben genannten Nachteilen sowie gegen einen Bürger überhaupt keine Forderungen auf dieser Grundlage geltend machen können und damit trotz des vorvertraglichen rechtlichen Gleichordnungsverhältnisses ohne die Existenz eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses deutlich schlechter stünden36. Aus den schon erwähnten verfassungsrechtlichen Gründen des Gesetzesvorbehalts und der notwendigen Bestimmtheit von Gesetzesnormen ist zwar Behutsamkeit bei der Berücksichtigung staatlicher Interessen und damit Zurückhaltung bei der Generierung haftungsauslösender Tatbestände zu Lasten des Bürgers geboten. Doch vermögen die genannten Gesichtspunkte im Hinblick auf die Entstehungstatbestände vorvertraglicher Schuldverhältnisse durchaus herangezogen werden, da sie insoweit lediglich zur Herausarbeitung einzelner Voraussetzungen eines auf der gesicherten Grundlage des Prinzips von Treu und Glauben stehenden Rechtsverhältnisses dienen. Ergebnis dieses Vergleichs der in Privat- und Verwaltungsrecht jeweils in der vorvertraglichen Phase konkurrierenden Regelungssysteme bleibt damit insgesamt, daß auch im Blick auf den Zeitpunkt des Entstehens vorvertraglicher Bindungen die Notwendigkeit eines hinreichend frühen Beginns besteht. Anders als im Privatrecht bestehen im öffentlichen Vertragsrecht jedoch keine Bedenken, eine Regelungssystematik könne zu Lasten einer bereits existierenden und für die Sachproblematik vorrangig Geltung fordernden normativen Ordnung übermäßig ausgedehnt werden, denn das Amtshaftungsrecht reicht zur befriedigenden rechtlichen Erfassung der vorvertraglichen Phase schon wegen seiner einseitigen Ausrichtung gegen den Staat nicht aus.
Π. Die Notwendigkeit eines qualifizierten Kontaktverhältnisses Unter Berücksichtigung dieser dogmatischen Vorgaben kann nunmehr auf Ableitungszusammenhänge zurückgegriffen werden, die schon bei den Rechtsgrundlagen der vorvertraglichen Schuldverhältnisse, dort aber als systematisch falsch piaziert angesprochen wurden. Bereits im vorangegangenen Kapitel nämlich war vom „sozialen Kontakt" als einem für die vorvertragliche Pflichtenlage maßgeblichen Umstand die Rede37. Dadurch wurde bereits der Schlüsselbegriff für das Thema dieses Kapitels aufgerufen: „Kontakt" als zunächst faktische Gegebenheit stellt im dogmatischen Gesamtzusammenhang nicht die Rechtsgrundlage vorvertraglicher Pflichten dar. Viel naheliegender ist es, die
36 37
Hierzu nochmals Littbarski, Oben § 12 I.
8 Keller
JuS 1979, S. 537 ff. (S. 542).
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3. Kap.: Die Entstehungstatbestände vorvertraglicher Schuldverhältnisse
vielfältigen Formen gegenseitiger Kommunikation und Interaktion 38 unter einen Obersatz zu bündeln, der als Entstehungstatbestand fungiert, und dadurch an dieser Stelle dogmatisch fruchtbar zu machen. Denn will man insoweit über eine bloße Phänomenologie vorvertraglicher Beziehungsanknüpfung hinausgelangen, so bietet sich hier die Gelegenheit, aus jener Vielzahl tatsächlicher Erscheinungen einen abstrakteren Rechtssatz zu entwickeln, der dann das Eintreten der verdichteten Rechte- und Pflichtenbeziehung sprachlich erfaßt und der Rechtsanwendung verfügbar macht. Genauso sicher und schnell wie die Feststellung, daß irgendeine Form von Kontakt zwischen den potentiellen Vertragspartnern den Kern des gesuchten Entstehungstatbestandes darstellt, läßt sich die Aussage machen, daß hierfür nicht jede Form von Kontakt genügt39. Zwar hat die Rechtsprechung ein „besonderes, enges Näheverhältnis" als tatsächliche Grundlage dafür herangezogen, um in dem von ihr als „Zweckschöpfung" 40 institutionalisierten „verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnissen" die Haftungsregelungen des BGB in Geltung zu setzen41. Deren Unterschied zu den hier in Rede stehenden Konstellationen besteht allerdings darin, daß die „verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisse" zusätzliche Anspruchsgrundlagen in bereits existierenden Rechtsverhältnissen schaffen und dadurch Defizite des öffentlich-rechtlichen Haftungssystems ausgleichen sollen. Typischerweise besteht in diesen Fällen etwa ein öffentlich-rechtliches Nutzungsverhältnis, dessen normative Ordnung durch die Heranziehung privatrechtlicher Haftungsvorschriften ergänzt wird. Die Notwendigkeit ihrer Anwendung mag dann in tatsächlicher Hinsicht auf die besondere Dichte der Beziehung gestützt werden. Vorvertragliche Schuldverhältnisse dagegen setzen überhaupt erst eine von besonderen Rechtsnormen auf der Grundlage von Treu und Glauben gestaltete Beziehung in Geltung, ihre Entstehung muß daher tatbestandlich präziser erfaßt werden. Schon im Zusammenhang der Diskussion des Vertrauensgedankens als Rechtsgrundlage42 stellte sich nämlich heraus, daß es in hinreichender Zahl Gestaltungen menschlichen Zusammentreffens gibt, aus denen allein sich gerade keine Folgerungen im Hinblick auf ein erhöhtes Maß an Bindungen ableiten lassen. Dies gilt nicht nur für die Entstehung rechtserheblichen Vertrauens, soweit man ein solches anerkennt, sondern ganz allgemein-erinnert sei an das
38 Dargestellt etwa bei Hartmut Bauer, Anpassungsflexibilität im öffentlich-rechtlichen Vertrag, in: Wolfgang Hoflmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, S. 245 ff. (S. 257). 39 Vgl. Gerd v. Wedemeyer, Kooperationen beim Vollzug des Umweltrechts, 1991, S. 236. 40 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 732 (§ 28 Rdnr. 2). 41 BGHZ 54, S. 299 ff. (S. 303); 61, S. 7 ff. (S. 11); VGH Mannheim, VB1BW 1982, S. 369 ff. (S. 369). 42 Oben§ 11112a.
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Beispiel des Straßenverkehrs. Bloße räumliche Nähe genügt also nicht43 und löste speziell im Verwaltungsvertragsrecht auch Assoziationen mit dem überwundenen „besondere Gewaltverhältnis" aus, dessen rechtsmindernde Auswirkung auf den betroffenen Einzelnen ja ebenfalls mit dessen Nähe zum Staat begründet wurde 44. Es bedarf vielmehr einer Qualifikation des Merkmals „Kontakt", um dessen rechtsrelevante Erscheinungsformen von den sonstigen zu sondern. Nun wurde soeben darauf hingewiesen, daß im Privatrecht die Anforderungen sehr stark reduziert wurden, um eine möglichst weite Ausdehnung der Haftung zu erreichen. Extremposition in dieser Richtung ist der schon früher genannte Versuch, jedweden „sozialen" Kontakt, schon die „bewußten Berührungen der Rechtsgütersphären"45 zum Anlaß zu nehmen, um weitreichende vorvertragliche Pflichten nicht nur rechtlich zu begründen, sondern auch in der Wirklichkeit entstehen zu lassen. Auch im öffentlichen Recht wurde dem sozialen Kontakt mitunter ganz allgemein die Fähigkeit beigemessen, Verwaltungsrechtsverhältnisse zur Entstehung zu bringen 46. Zur geringen Abgrenzungskraft und teilweisen inneren Inkonsequenz dieser Lehre ist in der Privatrechtswissenschaft jedoch das Nötige schon früh gesagt worden 47; sie kann die Anwendung gerade der vertragsrechtlichen Regeln schon deswegen nicht überzeugend erklären, weil die Möglichkeiten der Einwirkungen auf fremde Rechtssphären und damit soziale Kontakte in zu mannigfachen Formen auftre-
43 Vgl. aber Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 281, wonach „dem Bürger und der Behörde bereits aus dem Gesichtspunkt des Verfahrenskontakts ungeschriebene Pflichten zur verhältnismäßigen Rücksichtnahme" obliegen (Hervorhebung im Original). Zutreffend dagegen Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Theodor Maunz u. a., Grundgesetz, Kommentar, Art 19 Abs. IV (Stand: Januar 1985), Rdnr. 84, nach dem allein durch den Umstand des besonders engen Kontaktes zwischen Staat und Bürger noch nicht vorentschieden ist, welche dogmatischen Konsequenzen daraus zu ziehen sind, sondern die Reaktion auf den sich in dieser Weise ergebenden besonderen Regelungsbedarf dem positiven Recht überlassen bleibt. 44 Dazu Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/l, 1988, S. 1373 („Intensität der Einbeziehung" des Privaten als Abgrenzungskriterium zwischen allgemeinem und besonderem Gewaltverhältnis) sowie umfassend Wolfgang Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung - Zur Institutionalisierung der engeren Staat/Bürger-Beziehungen, 1982. 45 So Hans Dölle, Außergesetzliche Schuldpflichten, ZgesStW 103 (1943), S. 67 ff. (S. 74 einschränkend S. 86 für die Entstehung von Aufklärungspflichten, die einen rechtsgeschäftlichen Kontakt erforderten); heute vor allem vertreten von Josef Esser/Eike Schmidt, Schuldrecht, Band I, Teilband 2, 7. Aufl., 1993, S. 129 (Aufnahme einer „finalen Sonderbeziehung"); dem nahestehend auch Peter Gottwald, Die Haftung für culpa in contrahendo, JuS 1982, S. 877 ff. (S. 878). Im Hinblick auf vorvertragliche Schuldverhältnisse des Verwaltungsrechts, insbesondereftlr das Verhältnis zwischen einem Beamtenbewerber und der über die Ernennung entscheidenden Behörde, mißt Battis , ZBR 1971, S. 300 ff. (S. 302) dem „sozialen Kontakt, der auf die Begründung einer besonders engen Sonderbeziehung gerichtet ist", die Kraft bei, Sorgfalts- und Offenbarungspflichten zur Entstehung zu bringen. 46 Hans-Uwe Erichsen, Das Verwaltungshandeln, in: ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl., 1995, S. 205 ff. (S. 215 [§ 11 Rdnr. 8]). 47 Dazu insbesondere Karl Larenz, Culpa in contrahendo, Verkehrssicherungspflicht und „sozialer Kontakt", MDR 1954, S. 515 ff. (S. 517); Frost, Schutzpflichten, S. 58 ff.
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ten 48 , die sich nicht alle in ein vorvertragliches Rechte- und Pflichtenverhältnis einordnen lassen. Speziell für das Verwaltungsvertragsrecht ist noch hinzuzufügen, daß die qualifizierende Kennzeichnung eines Kontaktes als „sozial" in diesem Rechtsgebiet einen schwer zu integrierenden Fremdkörper bilden würde, weil sie wohl besser auf die Sphäre der Rechtsbeziehungen zwischen Privaten als auf das Verhältnis zwischen Bürger und Staat oder gar zwischen zwei Verwaltungseinheiten paßt.
ΙΠ. Der „geschäftliche" oder „rechtsgeschäftliche 44 Kontakt als Entstehungstatbestand 7. Der privatrechtliche
Kontext
Aus den genannten Gründen findet die soeben erörterte Auffassung nur geringe Gefolgschaft. Durchgesetzt hat sich demgegenüber eine Einschränkung des Tatbestandsmerkmals „Kontakt", die diesen im Privatrechtsverkehr nur dann zur Begründung der intensivierten Pflichtenlage ausreichen läßt, wenn er „rechtsgeschäftlicher" bzw. „geschäftlicher" 49 Natur ist 50 . Damit sollen rein gesellschaftliche und Zufallskontakte ausgeschlossen bleiben. Wie sehr aber dieses Kriterium durch weitherzige Auslegung zu einer Leerformel verkommen ist, zeigt sich daran, daß bereits dann, wenn jemand ohne konkrete Kaufabsicht ein Warenhaus betritt 51, das vorvertragliche Schuldverhältnis zwischen dem Kaufhausinhaber und Kunde zur Entstehung gelangen soll, da mindestens eine Vermutung für den geschäftlichen Zweck-Information über das Warenangebot -dieses Handelns streite52. Nicht zu verkennen ist also die Vagheit dieses Ab-
48
So auch Wiedemann , in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 122. So BGHZ 66, S. 51 ff. (S. 54); Robert Battes , in: Erman, Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 9. Aufl., 1993, §276 Rdnr. 110; Emmerich, in: Kurt Rebmann/Franz Jürgen Säcker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 2, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl., 1994, vor § 275 Rdnr. 71; Larenz, MDR 1954, S. 515 ff (S. 518); ders., Bemerkungen zur Haftung für „culpa in contrahendo", in: Werner Flume/Peter Raisch/Ernst Steindorff (Hrsg.), Beiträge zum Zivil- und Wirtschaftsrecht, Festschrift fìlr Kurt Ballerstedt zum 70. Geburtstag am 24. Dezember 1975, 1975, S. 397 ff. (S. 400); Helmut Heinrichs, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 55. Aufl., 1996, § 276 Rdnr. 65; Manfred Löwisch, in: Julius v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 13. Bearbeitung (Stand: Januar 1995), Vorbemerkungen zu §§ 275 ff. Rdnr. 56 f.; Rudolf Nirk, Culpa in contrahendo - eine richterliche Rechtsfortbildung - in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, in: Wolfgang Hefermehl/Hans Carl Nipperdey (Hrsg.), Festschrift für Philipp Möhring zum 65. Geburtstag, 1965, S. 385 ff. (S. 392 f., 404 f.); Max Vollkommen in: Othmar Jauernig (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 7. Aufl., 1994, § 276 Anm. VI 3 a aa; Wiedemann , in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 245. 50 Mangels hinreichender Differenzierung zwischen Rechtsgrundlagen und Entstehungstatbeständen vorvertraglicher Schuldverhältnisse wird diese Aussage freilich häufig nur implizit getroffen. 51 Zu dieser Personengruppe und ihrer rechtlichen Behandlung Frost, Schutzpflichten, S. 125 ff. 52 So Larenz, MDR 1954, S. 515 ff. (S. 518). 49
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grenzungskriteriums 53, mit welchem-sofern es zur Abschichtung von gesellschaftlichen Kontakten dienen soll-alle diejenigen Schwierigkeiten wiederkehren, die in der Rechtsgeschäftslehre die Unterscheidung von Rechtsgeschäften und „Gefälligkeitsverhältnissen" 54 bereitet: Hier wie dort ist es notwendig, subjektive Kriterien heranzuziehen (den Bindungswillen der Parteien bzw. den geschäftlichen Zweck ihres Handelns), die weder begrifflich klar sind noch ohne weiteres aus dem Verhalten der Parteien herausgelesen werden können. Dies führt in Zweifelsfällen zu erheblichen Entscheidungsschwierigkeiten55. Mögen diese auch in der Natur der Sache begründet und daher zu einem guten Teil unvermeidlich sein, so ist das Merkmal „geschäftlich" oder „rechtsgeschäftlich" doch recht eindeutig auf vertragsbezogenes Verhalten im Privatrechtsverkehr zugeschnitten; seine Übertragung ins Verwaltungsrecht fällt daher schwer. Im einzelnen: Zunächst sind Sachverhaltskonstellationen, die denjenigen der Warenhausfälle ähneln, im Verwaltungsvertragsrecht generell wohl eher die Ausnahme und unterscheiden sich, wenn sie einmal auftreten, auch in einem wichtigen Aspekt von jenen. Denn im Privatrecht zeigt dabei einer der Beteiligten, der Inhaber des Warenhauses, schon durch die Eröffnung des Verkehrs, durch Werbung und Bereitstellung des Warenangebotes, sein geschäftliches Interesse 56 , mag es dem, der das Warenhaus betritt, auch noch fehlen oder nur in Form einer Informationsabsicht vorliegen. Stets ist also von vornherein ein - wenn auch noch lockerer und möglicherweise bloß einseitiger-Bezug zu einem späteren Vertragsabschluß gegeben; und aus diesem Grunde ist die Aussage zutreffend, es dürfe „nicht der Schluß gezogen werden, Werbung bewege sich bürgerlichrechtlich in einem rechtsfreien Raum" 57 . Dies alles läßt sich hingegen von den auf den ersten Blick verwandten Fällen, in denen jemand ohne irgendeine auf rechtserhebliches Handeln gerichtete Absicht ein Behördengebäude betritt, nicht sagen, denn es kann keine Rede davon sein, daß die Verwaltung jeden, der nur in räumliche Nähe zu ihr kommt, zum Eintreten in ein Rechtsverhältnis, geschweige denn zu einem Vertragsabschluß, veranlassen will. Hier besteht demnach von keiner Seite eine Verbindung zu dem Rechtsinstitut Vertrag-in diesen Fällen hat es folgerichtig beim Amtshaftungs- und Deliktsrecht sein Bewenden. Weiterhin ist im Verwaltungsvertragsrecht aber auch keine Abgrenzung zu rein gesellschaftlichen Kontakten erforderlich, denn diese haben im durchgän-
53
Gottwald,, JuS 1982, S. 877ff. (S. 879). Dazu Wolfgang Fikentscher, Schuldrecht, 8. Aufl., 1992, S. 31 ff. (Rdnr. 25 ff); Ernst A. Kramer, in: Münchener Kommentar zum BGB, Einleitung vor § 241, Rdnr. 28 ff. 55 So auch BGHZ 66, S. 51 ff (S. 55). 56 Vgl. Wiedemann , in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 245. 57 Lehmann, NJW 1981, S. 1233 ff. (S. 1235). 54
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3. Kap.: Die Entstehungstatbestände vorvertraglicher Schuldverhältnisse
gig vom Recht beherrschten Verhältnis von Bürger und Verwaltung keinen Platz, so daß der geschäftliche Charakter eines Kontakts hier nicht in der Lage ist, einem tatsächlichen Differenzierungsbedürfnis Rechnung zu tragen. 2. Die Ausrichtung auf verwaltungsrechtliche
Rechtsfolgen
Wollte man schließlich das in dem Merkmal „geschäftlich" bzw. „rechtsgeschäftlich" Ausgedrückte aus seinem privatrechtlichen Bedeutungszusammenhang lösen und auf dem Wege dem Verwaltungsrecht adaptieren, daß man einen auf die Erzielung von Rechtsfolgen gerichteten Kontakt verlangte 58, so fehlte im Verwaltungsrecht dieser Definition noch der notwendige Vertragsbezug. Ein solcher ergibt sich zwanglos nur im dogmatischen Rahmen der Rechtsbeziehungen unter Privaten. Denn im Privatrecht ist der Vertrag die gewöhnliche und naheliegende rechtliche Gestaltungsform für Rechtsbeziehungen unter mehreren Rechtssubjekten, insoweit lassen sich in dieser Teilrechtsordnung Rechtsfolgen bezweckendes und rechtsgeschäftliches Handeln weitgehend gleichsetzen59. Dort stellt eine Begrenzung auf „geschäftliche" oder „rechtsgeschäftliche" Kontakte eine solche auf vertragsbezogene und auf rechtsfolgenorientierte Kontakte zugleich dar. Anders im Verwaltungsrecht: Findet hier eine Annäherung zwischen zwei Rechtssubjekten statt, die die rechtliche Regelung eines Sachverhaltes zum Ziele hat, so könnten die angestrebten Rechtsfolgen sehr häufig auch durch eine andere Handlungsform verwirklicht werden; insoweit ist dann das Rechtsverhältnis, liegt ihm auch die Absicht, rechtlich relevante Folgen zu setzen, zugrunde, doch kein vorvertragliches Schuldverhältnis. Auch derartige Rechtsverhältnisse sind von einer intensivierten Pflichtenlage der Beteiligten gekennzeichnet, spätestens mit Eröffnung eines Verwaltungsverfahrens im Sinne des VwVfG, wobei die normative Ordnung hier genauso von dem Grundsatz von Treu und Glauben ergänzt wird, wie dies bei allen Rechtsbeziehungen des öffentlichen Rechts der Fall ist 60 .
58 Ähnlich die Abgrenzung durch v. Wedemeyer, Kooperationen, S. 236: Es sei „ein Verhalten und ein Wille der Beteiligten erforderlich, die auf eine zukünftige rechtsverbindliche Regelung der Beziehung zwischen Verwaltung und Bürger durch Verwaltungsakt bzw. Vertrag oder auf die Ersetzung einer Ordnungsverfügung durch eine informale Absprache abzielen". Vgl. ferner die Umschreibung des Beginns vorvertraglicher Bindungen bei Hermann Eichler, Die Rechtslehre vom Vertrauen - Privatrechtliche Untersuchungen über den Schutz des Vertrauens, 1950, S. 13, wonach eine vorvertragliche Verpflichtung aus Treu und Glauben denjenigen trifft, „der eine rechtlich bedeutsame Handlung vornimmt", sowie bei Wilhelm Weber, in: Julius v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetzen und Nebengesetzen, II. Band, Teil lb, 11. Aufl., 1961, Rdnr. A 416: „ernstliche Beziehung ..., die zu einer rechtlich erheblichen Einigung führen soll". 59 Dem entspricht es, daß sich das privatrechtliche Rechtsgeschäft unter anderem durch den „Zweck ..., eine privatrechtliche Rechtsfolge ... herbeizuführen" (Karl Larenz, Der allgemeine Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, 7. Aufl., 1989, S. 314) definiert. 60 Vgl. dazu oben § 1311 b.
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Gleiches gilt, wenn es nicht zu einem Verfahren im Sinne des Gesetzes kommt, sondern die angestrebte Folge nur in der Erteilung einer Auskunft besteht-eine in Zeiten zunehmender Verkomplizierung und Undurchschaubarkeit des Rechts gewiß nicht seltene Konstellation61. Mit anderen Worten: Auf die Erzielung von Rechtsfolgen gerichtet sind so viele Kontakte zwischen Bürger und Verwaltung sowie zwischen zwei Verwaltungseinheiten, daß in der lediglich auf einen derartigen, noch vergleichsweise wenig bestimmten Zweck gerichteten Anknüpfung einer Beziehung noch nicht der Entstehungstatbestand eines spezifisch vorvertraglichen Schuldverhältnisses gesehen werden kann. Hierin kann man allenfalls-als Vorstufe-zumindest die Silhouette der Trennlinie zwischen „allgemeinem" und „besonderem" Staat-Bürger-Verhältnis sehen, deren Fixierung das Parallelproblem zu der in diesem Kapitel behandelten Frage auf einer allgemeineren Ebene darstellt62.
IV. Die „Aufnahme von Vertragsverhandlungen" als Entstehungstatbestand Schon auf den ersten Blick näher am tatsächlichen Verlaufsprozeß vertragsbezogener Annäherung steht die Auffassung, die den Entstehungstatbestand vor allem 63 oder ausschließlich64 durch das Merkmal der „Aufnahme von Verhandlungen" ausgefüllt sieht. Soweit dadurch wie regelmäßig nur der hauptsächliche Fall vorvertraglicher Kontaktaufnahmen beispielhaft umschrieben werden soll, ist hiergegen grundsätzlich nichts einzuwenden, denn wenn sich Bürger und Verwaltung oder zwei Verwaltungsträger mit dem Ziel, einen Vertrag zu schließen, in Verhandlungen eingelassen haben, so haben sie die Schwelle vom Nebeneinander zum Miteinander 65 in bezug auf die gegenseitigen Pflichten überschritten. Sowohl das äußere Erscheinungsbild der Beziehung als auch die innere Haltung aller Beteiligten ist nunmehr auf einen Vertragsschluß ausgerichtet. Dies rechtfertigt es, ihr Verhältnis in rechtlicher Hinsicht den Geboten des Prinzips von Treu und Glauben zu unterstellen, und zwar gerade denjenigen, die für die vorvertragliche Phase entwickelt worden sind.
61
Oebbecke, DVB1. 1994, S. 147 ff. (S. 148). Hierzu im allgemeineren Kontext des „Verwaltungsrechtsverhältnisses" Häberle, Das Verwaltungsrechtsverhältnis, S. 253 f. 63 Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 276 Rdnr. 65; vgl. allgemein zur Begründung von Verwaltungsrechtsverhältnissen durch Aufnahme von Vorverhandlungen Bauer, Die Verwaltung 25 (1992), S. 301 ff. (S. 320). 64 Richard Alf)] in: Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar, herausgegeben von Mitgliedern des Bundesgerichtshofes (RGRK), Band II, 1. Teil, 12. Aufl. (Stand der Bearbeitung: Dezember 1974), § 276 Rdnr. 96; Dieter Medicus, Schuldrecht I, Allgemeiner Teil, 8. Aufl., 1995, S. 2 (Rdnr. 5), 56 (Rdnr. 103); für das Verwaltungsvertragsrecht Hans J. Wolff/Otto Bachof/Rolf Stober, Verwaltungsrechtl, 10. Aufl., 1994, S. 829 (§ 55 Rdnr. 44); Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, S. 219. 65 Frost, Schutzpflichten, S. 53, 55, 65. 62
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3. Kap.: Die Entstehungstatbestände vorvertraglicher Schuldverhältnisse
Allerdings erreicht man auch hier bald einen Bereich, in welchem eindeutige Aussagen nicht mehr möglich sind: Wie ist die Situation zu beurteilen, solange nur eine Seite die Aufnahme von Vertragsverhandlungen angeregt, die andere sich aber darauf noch nicht eingelassen hat66? Hier von „einseitiger" Aufnahme von Verhandlungen zu sprechen67, ist bereits begrifflich unscharf und kann nur unzureichend erklären, warum durch derartiges einseitiges Handeln beide Seiten in einem Schuldverhältnis gebunden werden sollen. Andererseits verkürzt die Beschränkung auf zweiseitige Verhandlungen die Rechtsschutzzone und überantwortet das Ob vorvertraglicher Haftung dem Belieben desjenigen Beteiligten, der noch vor der Entscheidung steht, ob er sich dem von der anderen Seite bereits vorgenommenen Eintritt in Vertragsverhandlungen anschließen will. Im Ergebnis ist also auch die Verhandlungsaufnahme kein generell überzeugendes Kriterium.
V. Die Bedeutung des Vertrauens für die Entstehung vorvertraglicher Schuldverhältnisse Als weiteres der in der privatrechtlichen Diskussion angebotenen Abgrenzungsmerkmale zwischen den für jedermann geltenden Verhaltensvorschriften des Deliktsrechts und der Sonderbeziehung eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses ist nunmehr auf das Vertrauen einzugehen, welches ja keineswegs nur als Rechtsgrundlage Eingang in die rechtswissenschaftlichen Erörterungen gefunden hat 68 . Schon die nachgerade berühmt gewordene Formel, die vorvertragliche Rechtsbeziehung stelle eine „Verpflichtung durch Gewährung in Anspruch genommenen Vertrauens" 69 dar, kann nicht nur als deren Abstützung in einem als Rechtsgrundsatz verstandenen Vertrauensschutzprinzip, sondern zugleich auch als Umschreibung derjenigen Situation gelesen werden, in der diese Verpflichtung faktisch entsteht70. Und in der Tat ist es vom Standpunkt der in 66
Diese Spanne wurde schon von Heinrich Stoll, Haftung für das Verhalten während der Vertragsverhandlungen, LZ 1923, Sp. 532 ff. (Sp. 544) der verstärkten Bindung unterworfen (anders aber ders., Die Lehre von den Leistungsstörungen, 1936, S. 26); ebenso heute von denjenigen, die sich in irgendeiner Form für eine (einseitige) Erklärungshaftung aussprechen, vgl. etwa Johannes Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag - Zur Haftung aus geschäftsbezogenem Handeln, 1981, insbesondere S. 284 ff. (Vorverlagerung der Bindung bereits auf Werbeaussagen); Heinrich Stoll, Vertrauensschutz bei einseitigen Leistungsversprechen, in: Horst Heinrich Jakobs u. a. (Hrsg.), Festschrift für Werner Flume zum 70. Geburtstag -12. September 1978, Band I, 1978, S. 741 ff. 67 So BGH LM § 276 (Fa) BGB Nr. 3. Kritisch zu dieser Begrifflichkeit auch Bohrer, Die Haftung, S. 203. 68 Zur Allgegenwärtigkeit dieses Rechtsinstituts siehe bereits die Nachweise oben § 61 (FN 5 ff). 69 Kurt Ballerstedt, Zur Haftung für culpa in contrahendo bei Geschäftsabschluß durch Stellvertreter, AcP 151 (1950/51), S. 501 ff. (S. 507). 70 Auf ein derartiges Verständnis stützt etwa Gerhard Frotz, Die rechtsdogmatische Einordnung der Haftung für culpa in contrahendo, in: Christoph Faistenberger/Heinrich Mayrhofer (Hrsg.), Privatrechtliche Beiträge, Gedenkschrift Fritz Gschnitzer, 1969, S. 163 ff. (S. 168 ff.); ders., Verkehrsschutz im Vertretungsrecht - Zugleich ein Beitrag zur sozialen Verantwortung als
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irgendeiner Form auf das Vertrauen gestützten Lehren aus auch konsequent, dieses mindestens bei der Entstehung der daraus abgeleiteten Verpflichtung auch als faktische Voraussetzung zu fordern. Nun hat sich aber bereits im vorigen Kapitel herausgestellt, daß die Berufung auf reales Vertrauen als Anknüpfungspunkt rechtlicher Verpflichtungen zumeist die Verankerung des als wünschenswert empfundenen Ergebnisses in einer Fiktion bedeutet. Vollends gilt dies für den Versuch, den Beginn der vorvertraglichen Sonderbeziehung zu dem Zeitpunkt anzusetzen, zu dem die Verhandlungspartner einander vertrauen „durften". Denn es ist bereits nahezu unmöglich, Vertrauen als eine innere Tatsache festzustellen und zugleich deren rechtsrelevante von den insoweit belanglosen Erscheinungsformen zu sondern. Diese faktischen Schwierigkeiten führen dazu, daß ein normativierter Vertrauensbegriff überhaupt keine oder doch nur eine sehr unsichere Basis im Realen hat und damit für die im vorliegenden Zusammenhang erforderliche einigermaßen präzise Grenzziehung ungeeignet ist. Schon in der Privatrechtsordnung, deren Bestand und Verwirklichung voraussetzt, daß „entgegengebrachtes Vertrauen wenigstens im allgemeinen nicht enttäuscht, sondern bestätigt wird" 71 , läßt sich denn auch eine solche Aussage nur in einem sehr grundsätzlichen Sinne treffen. Nicht geeignet ist der so vielfältig changierende Vertrauensbegriff, als zentraler Bestandteil eines Tatbestandes zu fungieren, der die Grenze zwischen den potentiell für jedermann geltenden rechtlichen Verhaltensanordnungen und den speziellen vorvertraglichen Bindungen - privatrechtlich gesprochen: zwischen Delikts- und Vertragsrecht-ziehen soll. Damit sind nochmals kurz die Bedenken aufgegriffen, die im Privatrecht gegen die „vertrauenstheoretischen Pflichtenbegründungungskonzeptionen" 72 vorgebracht werden. Sie gelten, ohne daß dies hier nochmals im einzelnen darzustellen wäre 73 , auch im Verwaltungsvertragsrecht. Schwer wiegt im hier interessierenden Zusammenhang insbesondere, daß die Beziehung zwischen Verwaltung und Bürger bei der Anbahnung eines Vertrags kaum zutreffend als „Vertrauensverhältnis" gekennzeichnet werden kann: Versteht man den Begriff im tatsächlichen Sinne, so verhindert der Umstand, daß es sich dabei in erster Linie um ein psychologisches Phänomen handelt, seine unbefangene Anwendung auf die jeweils als solche beteiligte staatliche Organisationseinheit. Denn dieses Kunstprodukt juristischer Dogmatik ist Korrelat privatautonomer Gestaltungsfreiheit, 1972, S. 60 ff., seine „Kritik der vertrauenstheoretischen Pflichtbegründungskonzeption". 71 Larenz, Allgemeiner Teil, S. 43. 72 So die durchgehend kritisch grundierte Umschreibung bei Frotz (vgl. soeben FN 70). Eine pointierte Zusammenfassung der privatrechtswissenschaftlichen Kritik am Vertrauensbegriff findet sich bei Eduard Picker, Positive Vertragsverletzung und culpa in contrahendo - Zur Problematik der Haftungen „zwischen" Vertrag und Delikt, AcP 183 (1983), S. 369 ff. (S. 418 ff.). 73 Vgl. dazu bereits oben § 11 III.
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3. Kap.: Die Entstehungstatbestände vorvertraglicher Schuldverhältnisse
nicht in der Lage, eine stabilisierte Erwartungshaltung zu entwickeln und zur Grundlage seines Handelns zu machen; dies können nur Menschen. Konsequenterweise wäre also nach der inneren Situation der in der konkreten Situation tätigen Amtswalter zu fragen - aber abgesehen davon, daß sich diese im nachhinein regelmäßig nur schwer feststellen lassen werden, würde hierdurch der Beginn vorvertraglichen Einstehenmüssens den Zufällen der Befindlichkeit des für die staatliche Seite jeweils Handelnden überantwortet. Dadurch würden die Schwierigkeiten, die die Feststellung realen Vertrauens schon im Falle eines privatrechtlichen Zweipersonenverhältnisses verursacht, vervielfacht. Ergebnis wäre gerade die Unsicherheit, die im Blick auf die zeitlichen Grenzen der Haftung tunlichst vermieden werden sollte. Aber auch eine Normativierung des Vertrauensbegriffs etwa im Sinne eines Verständnisses als Erzeugung rechtlich stabilisierter und damit legitimer Erwartungen74 oder als Schaffung von Erwartungssicherheit 75 umschreibt zwar nüchterner den Anlaß der Generierung einer verdichteten vorvertraglichen Rechte- und Pflichtenlage. Verkannt werden darf auch nicht, daß damit zugleich das Ziel der verstärkten Bindung76 gekennzeichnet ist, denn sie soll ja Sicherheit in dieser Phase schaffen. Doch führen diese teils sehr grundsätzlichen, teils eher beschreibenden Ansätze in der hier interessierenden Problematik nicht weiter. Denn sie geben lediglich Antwort auf die Frage, ob und zur Erfüllung welchen Zwecks gehaftet werden soll, nicht aber, von welchem Zeitpunkt an. Damit bestätigt sich auch hier, daß der Vertrauensgedanke zwar zur Aufhellung einiger Aspekte beitragen, jedoch nicht allein zu einer stimmigen dogmatischen Herleitung der vorvertraglichen Haftung insgesamt oder wenigstens einer der durch sie veranlaßten Einzelfragen dienen kann77.
VI. Ergebnis: Die fehlende Überzeugungskraft privatrechtlicher Modelle Damit ist auf vergleichsweise knappem Raum der Kreis der hergebrachten Entstehungstatbestände, die für eine Übernahme ins Verwaltungsvertragsrecht in Betracht kommen, abgeschritten. Weder verwaltungsverfahrensrechtliche noch privatrechtliche Modelle vermochten allerdings völlig zu überzeugen. Immerhin lassen sich den bis hierher angestellten Überlegungen wichtige Maßgaben für die Entwicklung eines spezifisch für das Verwaltungsvertragsrecht zu konzipierenden Lösungsvorschlags entnehmen. So ist als zunächst noch nicht
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So Köndgen, Selbstbindung, S. 117. Hoffmann-Riem, VVDStRL 40 (1982), S. 187 ff. (S. 203). 76 Zum Vertrauensschutz als Ziel, nicht Grundlage der vorvertraglichen Pflichten Wiedemann, in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 104 f. 77 So etwa als eine maßvolle Stimme aus dem Konzert der gegenüber dem Vertrauensbegriff kritischen Äußerungen Emmerich, in: Münchener Kommentar zum BGB, vor § 275 Rdnr. 55. 75
§ 15 Die Übernahme privatrechtlicher Modelle
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auf eine Teilrechtsordnung beschränkte Notwendigkeit festzustellen, daß Verhandlungen im Sinne zwei- oder mehrseitigen Tätigwerdens nicht erforderlich sind, um die Zone verschärfter Haftung zu erreichen, ausreichend sind schon einseitige Maßnahmen78, die zu einer von dem Grundsatz von Treu und Glauben geprägten rechtsrelevanten Beziehung fuhren sollen. Des weiteren ist festzuhalten, daß andererseits nicht schon jede Art von Kontaktaufnahme genügt, um von einem rechtlich relevanten Tatbestand der Entstehung eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses sprechen zu können, sondern daß ein qualifizierendes Merkmal hinzutreten muß 79 . Im Blick auf dieses muß noch ein erkenntnisleitender Gesichtspunkt beachtet werden: Unumgänglich ist es, subjektive Kriterien, insbesondere die von den Beteiligten verfolgten Zwecke, bei seiner Bestimmung heranzuziehen, zumal dadurch mitunter das Eintreten der gegenseitigen vorvertraglichen Verpflichtungen sogar gänzlich auszuschließen ist 80 . Dabei dürfen die Voraussetzungen auch nicht allzu psychologisierend sein - wie etwa durch Berufung auf das durch die Annäherung entstehende Vertrauen-, da dann Fiktionen und Unscharfen der Tatbestandseingrenzung die Folge sind. Diese Befürchtung zwingt jedoch nicht dazu, die Erfüllung des Entstehungstatbestandes lediglich vom Vorliegen äußerer, sinnlich erfahrbarer Umstände abhängig zu machen, denn die Frage nach den Zwecken, Zielen und Aufgaben des Handelns, vor allem der Staatstätigkeit, führt im öffentlichen Recht allgemein 81 genauso wie im Verwaltungsvertragsrecht 82 zu den Ausgangspositionen jeder rechtswissenschaftlichen Untersuchung zurück. Sie zu stellen ist daher legitim und im Zusammenhang einer Untersuchung wie dieser angebracht, weil und sofern der fundamentale Unterschied zwischen einem in erster Linie auf der Ebene des Psychologischen angesiedelten Tatbestandsmerkmal wie dem „Vertrauen" und einem subjektiven Umstand wie der Zweckrichtung des Han78 Deutlich in diesem Sinne Wolfgang Küpper, Das Scheitern von Vertragsverhandlungen als Fallgruppe der culpa in contrahendo, 1988, S. 289; Wiedemann , in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 244; vgl. außerdem Bohrer, Die Haftung, S. 202 ff. 79 So spricht auch Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, S. 219 ausdrücklich von einem „Sora/erkontakt zwischen Bürger und Verwaltung" (Hervorhebung hinzugefügt) als Anknüpfungspunkt für die Haftung aus culpa in contrahendo. 80 Hier ist an den zu denken, der bei der Anbahnung des Kontakts von vorneherein die Rechtsgüter der Gegenseite schädigen will. Für ein Rechtsverhältnis, das auf Treu und Glauben aufbaut und ein Vertrauensverhältnis ermöglichen soll, ist in solchen Fällen kein Raum. Im Privatrecht wird insoweit diskutiert, ob auch zwischen Geschäftsinhaber und Ladendieb ein vorvertragliches Schuldverhältnis zustandekommt (zu Recht ablehnend Gottwald, JuS 1982, S. 877 ff. [S. 879], anders aber - zumindest zu Lasten des Diebes - ζ. B. Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 276 Rdnr. 71). Vgl. dazu außerdem Frost, Schutzpflichten, S. 106 ff. Ähnliche Konstellationen „rechtsgutfeindlichen Kontakts" sind auch im Verwaltungsvertragsrecht denkbar. 81 Dazu, daß sich in der Geschichte kaum ein „aufgabenloser" Staatfinden lassen wird, vgl. Roman Herzog, Ziele, Vorbehalte und Grenzen der Staatstätigkeit, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR III, S. 83 ff. (S. 89 [§ 58 Rdnr. 13]). 82 So besteht eine Gemeinsamkeit aller Verwaltungsverträge darin, „daß sie zur Wahrnehmung von Staatsaufgaben geschlossen werden" (Walter Krebs, Verträge und Absprachen zwischen der Verwaltung und Privaten, WDStRL 52 [1993], S. 248 ff. [S. 256]).
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3. Kap.: Die Entstehungstatbestände vorvertraglicher Schuldverhältnisse
delns, die auch zwanglos für eine ganze staatliche Organisationseinheit geprüft und anhand aller Umstände des Einzelfalls zuverlässig erschlossen werden kann, beachtet wird 83 . Anders als durch den Rückgriff auch auf solche Elemente läßt sich den vielen Formen der Annäherung kaum der jeweils passende rechtliche Zusammenhang zuordnen. Legt man sich daher nun die Frage vor, welcher Zweck einem Kontakt zugrundeliegen muß, wenn durch ihn ein vorvertragliches Schuldverhältnis des Verwaltungsrechts begründet werden soll, so kann er nur in einer sogleich näher zu erläuternden Weise „vertragsspezifisch" sein.
§ 16 Der „vertragsspezifische Kontakt" I. „Kontakt" als dogmatische und tatsächliche Grundlage Faßt man die Vorgaben für den Entstehungstatbestand eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses nochmals in einem Wort zusammen, so muß es sich dabei um einen Kontakt zwischen der Verwaltung und einem Bürger oder zwischen zwei Verwaltungseinheiten handeln, der von einem auf den Vertrag bezogenen, eben vertragsspezifischen Zweck geprägt ist. Das Tatbestandsmerkmal Kontakt erschließt sich unmittelbar aus der Wortbedeutung: Damit ist ein Sich-Annähern, Aufeinander-Zugehen, der Übergang vom beziehungslosen Nebeneinander zu einem-gewiß auf einen Teilbereich beschränkten-Miteinander, zu Interaktion und Kommunikation in der raumzeitlichen Dimension aller dieser Begriffe gemeint84. Genauer muß dagegen das Problem ausgeleuchtet werden, was unter einem vertragsspezifischen Zweck zu verstehen ist, denn hier werden die entscheidenden Weichen gestellt, um die Abgrenzung von zufälligen Kontakten einerseits, zu deren rechtlicher Bewältigung die hergebrachten Formen der Staatshaftung und des Deliktsrechts hinreichen, und von zu keiner Zeit auf den Abschluß eines Verwaltungsvertrages, sondern etwa auf die Erteilung einer Genehmigung und damit den Erlaß eines Verwaltungsaktes gerichteten Kontakten andererseits, deren rechtliche Unterfütterung folgerichtig nicht von einem vorvertraglichen Schuldverhältnis gebildet werden kann, vorzunehmen.
83
Methodisch entspricht dies dem Vorgehen des Privatrechts, soweit dort nach der „geschäftlichen" oder „rechtsgeschäftlichen" Ausrichtung eines Kontakts und damit gerade nach dem erkennbaren Zweck des Handelns gefragt wird. 84 Nicht jedoch bedarf es eines „persönlichen" Kontakts! Dieses Attribut würde zu einer angesichts moderner Kommunikationsmittel und -formen unangemessenen Einengung der relevanten Tatbestände führen und wird auch von der privatrechtlichen Lehre nicht mehr verlangt (Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 342).
§ 16 Der „vertragsspezifische Kontakt"
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Π. Der vertragsspezifische Charakter eines Kontakts als das entscheidende Abgrenzungskriterium /. Zulässigkeit der Vertragsform
und vertragsspezifischer
Kontakt
Vertragsspezifisch ist ein Kontakt nicht schon deshalb, weil allgemein die Möglichkeit besteht, den Lebenssachverhalt, dessen Regelung von einem oder mehreren Beteiligten in Aussicht genommen wurde, einer vertraglichen Lösung zuzuführen. Dies hieße, Zweck des Handelns und von der Rechtsordnung zugelassene Gestaltungsmöglichkeit einander gleichzusetzen. Eine solche Begriffsbestimmung wäre allenfalls dann dogmatisch vertretbar und in der Rechtsanwendung praktikabel, wenn das Anwendungsgebiet des Verwaltungsvertrages eng begrenzt und die Zahl der einer Lösung im Wege vertraglicher Vereinbarung zugänglichen Sachverhalte klein wäre. Denn dann ließe sich gewissermaßen eine Akzessorietät von regelungsbedürftigem Gegenstand und zur Verfügung stehender Handlungsform und damit eine notwendige Vorprägung gewisser Lebenssachverhalte feststellen, die einem darauf bezogenen Kontakt zwischen Verwaltung und Bürger oder zwischen Verwaltungseinheiten den Charakter eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses verleihen würden. Infolge dieser Verknüpfung könnte darauf verzichtet werden, im Einzelfall die Zweckbindung des Kontaktes anhand subjektiver Kriterien zu ermitteln. Da dem Verwaltungsvertrag nun aber weder in tatsächlicher85 noch in rechtlicher 86 Hinsicht eine Nebenrolle in einem eng umgrenzten Bereich zugewiesen ist, sondern die Vertragsform für eine Vielzahl von Fällen in Betracht kommt, reicht die rechtliche Möglichkeit, daß ein Kontakt zwischen Verwaltung und Privatem zu einem Vertrag führt, noch nicht aus, um eine Abgrenzung in der hier wünschenswerten Deutlichkeit herbeizuführen. Allenfalls können mit Hilfe dieses Maßstabs jene Konstellationen ausgeschlossen werden, in denen ein sogenanntes „Vertragsformverbot" die Auswahl unter den Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten einengt87. Selbst hier aber zeigt die Rechtswirklich85
Vgl. zum Einsatz verwaltungsrechtlicher Verträge in der Praxis bereits oben § 113 a. Seit sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, daß mindestens im Anwendungsbereich der Verwaltungsverfahrensgesetze und des SGB X eine gesetzliche Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt für die Vertragsform besteht (vgl. statt aller Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 54 Rdnr. 1) und es keiner ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung bedarf, um einen Verwaltungsvertrag abschließen zu dürfen (so - stellvertretend für die ältere Lehre - noch Klaus Stern, Zur Grundlegung einer Lehre des öffentlich-rechtlichen Vertrages, VerwArch 49 (1958), S. 107 ff. [S. 139 ff.]), ist der Zugang zu vertraglichem Handeln nicht mehr durch allzu hohe juristische Hürden erschwert. 87 Derartige generelle Ausschlüsse vertraglicher Lösungen sind „insgesamt aber recht selten" - so Krebs, WDStRL 52 (1993), S. 248 ff. (S. 264); ebenso Helmuth Schulze-Fielitz, Kooperatives Recht im Spannungsfeld von Rechtsstaatsprinzip und Verfahrensökonomie, DVB1. 1994, S. 657 ff. (S. 663); vgl. außerdem Bauer, Anpassungsflexibilität, S. 264 f. Beispiele hierfür sind Ernennung, Beförderung und Besoldung von Beamten sowie die Einbürgerung (Arno Scherzberg, Grundfragen des verwaltungsrechtlichen Vertrages, JuS 1992, S. 205 ff. [S. 208]). Zum Steuer86
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3. Kap. : Die Entstehungstatbestände vorvertraglicher Schuldverhältnisse
keit, daß in einem engen zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang mit Entscheidungen, die nur in Form des Verwaltungsaktes ergehen dürfen, Verträge und damit auch vorvertragliche Schuldverhältnisse auftreten können: So lassen sich Verhandlungen über die Ernennung eines Hochschullehrers und über die zeitgleich abgeschlossene Berufungsvereinbarung 88 weder zeitlich noch inhaltlich voneinander trennen, weil eine Einigung über Abschluß und Inhalt der Berufungsvereinbarung faktisch die Voraussetzung für die Ernennung darstellt. Eine ebenso enge Verknüpfung der Handlungsformen liegt bei Verträgen über die Rückzahlung von Ausbildungsbeihilfen vor, von deren Abschluß die Einbürgerung eines Ausländers abhängig gemacht wird 89 . 2. Die Funktion des Abgrenzungskriteriums Wird den Beteiligten in der Mehrzahl der auftretenden Konstellationen von der Rechtsordnung der Weg zu einer vertragsförmigen Erledigung eröffnet, so läßt dieser Umstand allein in der konkreten Kontakt- und Verhandlungssituation noch kein vorvertragliches Schuldverhältnis entstehen. Dieses unterscheidet sich sowohl von dem allgemeinen Staat-Bürger-Verhältnis wie von der ausschließlich auf eine sonstige Handlungsform gerichteten Rechtsbeziehung, und der Entstehungstatbestand hat gerade die Funktion, diesen Trennstrich zu ziehen. Hinsichtlich der Abgrenzung zum allgemeinen Staat-Bürger-Verhältnis gelingt dies noch am ehesten, da hierfür jeder auf eine Rechtsfolge gerichtete Kontakt ausreicht. Anders ist es jedoch im Verhältnis zu Annäherungen, bei denen die Beteiligten zu keiner Zeit den Abschluß eines Vertrages beabsichtigt oder wenigstens als mögliche Lösung bedacht haben. Zwar mag die Rechtsgrundlage für einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen auch in diesen Fällen das Prinzip von Treu und Glauben bilden; und einige der Fallgruppen vorvertraglicher Pflichten eignen sich gewiß dazu, auf verwandte Sachverhalte übertragen zu werden 90. Außerdem läßt sich in Gestalt der grundsätzlichen Regeln für verwaltungsrechtliche Rechtsverhältnisse, soweit sie etwa im VwVfG normativ fixiert sind, ein gemeinsamer Ausgangspunkt der rechtlichen Beurund Abgabenrecht, in dem das von Rechtsprechung und großen Teilen der Literatur immer wieder betonte Vertragsformverbot mittlerweile vielfältig durchbrochen ist, an dieser Stelle zusammenfassend nur Hans-Günter Henneke, in: Knack, VwVfG, § 54 Rdnr. 8 m. w. N.; Jürgen Sontheimer, Der verwaltungsrechtliche Vertrag im Steuerrecht, 1987, insbes. S. 50 ff; Michael Streck, Die „tatsächliche Verständigung" in der Praxis, StuW 1993, S. 366 ff. 88 Vgl. zu einer derartigen Fallkonstellation unter dem Gesichtspunkt vorvertraglicher Pflichtverletzungen VGH Kassel, Urteil vom 26.8.1981,1 OE 82/78, ESVGH 31, S. 317 (nur LS). 89 So die Fallgestaltung, die der Entscheidung BVerwGE 96, S. 326 ff. zugrundeliegt. 90 So hält Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 399 (§ 15 Rdnr. 20) die Grundsätze der culpa in contrahendo im Bereich informeller Absprachen für „in vorsichtiger Weise entsprechend anwendbar". Vgl. hierzu in allgemeinerem Zusammenhang auch Hartmut Bauer, Informelles Verwaltungshandeln im öffentlichen Wirtschaftsrecht, VerwArch 78 (1987), S. 241 ff. (S. 262 ff.) sowie oben § 113 b bei und in FN 75.
§ 16 Der „vertragsspezifische Kontakt"
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teilung ausmachen91. Trotz diesen partiellen inhaltlichen Gemeinsamkeiten handelt es sich jedoch nicht um vorvertragliche Schuldverhältnisse. 3. Die nach außen erkennbare Ausrichtung auf vertragliches
Handeln
Vertragsspezifisch ist der Zweck einer Kontaktaufnahme zwischen Verwaltung und Bürger oder zwischen verschiedenen Verwaltungseinheiten dann, wenn und soweit nicht nur objektiv der jeweils in Rede stehende Lebenssachverhalt einer vertraglichen Regelung zugänglich ist, sondern die Beteiligten die Möglichkeit einer Entscheidung durch Vereinbarung, basierend auf kongruenten Willenserklärungen, wenigstens in ihr Überlegungs- und Handlungsprogramm für den Abschnitt vor einer Entscheidung aufgenommen haben92. Ein solches „Kooperationsverhalten" 93, eine derartige „Teilkongruenz der Interessen"94, jeweils bezogen auf eine vertraglich-konsensuale Gestaltung der Rechtslage, hebt das vorvertragliche Schuldverhältnis von den sonstigen Verwaltungsrechtsverhältnissen ab: Sein Charakter als ein Rechtsverhältnis, das auf einen Vertrag „'hingeordnet', ihm zweckhaft zugeordnet ist" 95 und insoweit eine „Vorwirkung" 96 des intendierten Vertragsrechtsverhältnisses darstellt, kommt damit auch in seinem Entstehungstatbestand zum Ausdruck. Dabei reicht es aus, wenn nur einer der Beteiligten erkennbar die konsensuale Lösung als mögliche und ernstzunehmende Handlungs- und Entscheidungsalternative heranzieht und dies von den übrigen Beteiligten -und sei es auch nur durch widerspruchslose Hinnahme - akzeptiert wird 97 . Insoweit sind die Mindestvoraussetzungen des Entstehungstatbestandes formuliert; dieser entfaltet seine rechtliche Wirkung - die Entstehung eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses - erst recht dann, wenn alle Beteiligten eine Vertragslösung für möglich halten oder sogar anstreben. Für die Entstehung der vorvertraglichen Rechtsbindungen nicht erforderlich ist es hingegen, daß das durch einen vertragsspezifischen Kontakt begründete Rechtsverhältnis tatsächlich in einen Vertragsschluß mündet98. 91
Dazu Schulze-Fielitz, DVB1. 1994, S. 657 ff. (S. 662 f.). In diesem Sinne, allerdings nicht beschränkt auf die Anbahnung eines Vertrages, v.Wedemeyer, Kooperationen, S. 236 (vgl. oben FN 58), der auch die Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorhabens als Voraussetzung einer rechtlichen Verdichtung betont. 93 Terwey, Die rechtliche Betreuung, S. 77. 94 Hill, NJW 1986, S. 2602 ff. (S. 2607). 95 So kennzeichnet Norbert Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl., 1986, S. 381 (§ 20 Rdnr. 30) das vorvertragliche Schuldverhältnis. 96 Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, S. 219. 97 Dadurch wird der Annäherung und dem Verhandeln kein allzu enges Korsett angelegt, denn - worauf in den folgenden Kapiteln einzugehen sein wird - die Intensität und die Dichte vorvertraglicher Pflichten sowie ihre Rechtsfolgen hängen entscheidend von dem Stand der Verhandlungen und dem Grad der darin erreichten Übereinstimmung ab. 98 Dieser im Privatrecht seit langem allgemein anerkannte Satz - vgl. statt aller Karl Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band I, Allgemeiner Teil, 14. Aufl., 1987, S. 109 - gilt auch im Ver92
128
3. Kap.: Die Entstehungstatbestände vorvertraglicher Schuldverhältnisse
Eine derartige Definition mag zunächst den Vorwurf mangelnder Praktikabilität auf sich ziehen, weil sie-wie gezeigt: notwendigerweise-in Gestalt des vertragsspezifischen Zweckes ein subjektives Element enthält und dieses sich als innere Tatsache schwerer ermitteln und feststellen läßt als äußere Umstände, zumal wenn es auf sie in einem Rechtsstreit ankommen sollte. Doch sind hier Erleichterungen durch Regelbeispiele und typische Geschehensabläufe denkbar, bei deren Vorliegen von einem Kontakt mit vertragsspezifischer Zweckbindung ausgegangen werden kann, wenn nicht besondere Umstände dagegen sprechen. So wird etwa in den Rechtsgebieten, in denen der Vertrag auch tatsächlich zu einem gleichberechtigten Mittel der Entscheidungsgewinnung geworden ist, nur dann der Entstehungstatbestand nicht ausgefüllt sein, wenn Indizien dafür sprechen, daß eine vertragliche Lösung zu keinem Zeitpunkt innerhalb des Kontaktverhältnisses in Betracht kam. Angesichts des zwar gesicherten Standes des Verwaltungsvertrages in der Dogmatik, seiner jedoch noch nicht alle Verästelungen des Besonderen Verwaltungsrechts gleichermaßen erreichenden praktischen Verbreitung läßt sich eine solche Aussage zum gegenwärtigen Zeitpunkt wohl nur im Hinblick auf das Städtebaurecht machen". Eine solche Argumentations- und Beweislastverschiebung entspricht dann den rechtstatsächlichen Gegebenheiten. Diese Erleichterung bietet sich zudem nicht nur bereichsspezifisch in einzelnen Gebieten des Besonderen Verwaltungsrechts an, sondern auch im Blick auf die konkret an einem solchen Kontaktverhältnis Beteiligten: So mögen sie sich schon zuvor einmal oder im Rahmen einer längerdauernden, komplexen Beziehung sogar mehrmals vertraglich geeinigt haben. Oder der staatliche Verhandlungspartner, in besonderem Maße dem Gleichheitsgrundsatz und einer rationalen, nachvollziehbaren Handlungsweise verpflichtet, hat in einer Vielzahl ähnlicher Fallkonstellationen die Vertragsform in Betracht gezogen und verwirklicht-bei einer derartigen Vorprägung drängt sich die Vermutung geradezu auf, daß bei dem einen in Rede stehenden Sachverhalt ebenfalls vertragsbezogene Überlegungen eine Rolle gespielt haben 100 . Dann aber entspricht es den Grundsätzen einer sachangemessenen und der Lebenserfahrung entsprechenden Verteilung der Darlegungslast,
waltungsvertragsrecht (BGH, DVB1. 1986, S. 409 f. [S. 410]; Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 381 [§20 Rdnr. 30]; Obermayer, VwVfG, §62 Rdnr. 162; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, S. 829 [§ 55 Rdnr. 44]). 99 In diesem Teilgebiet gilt der Verwaltungsvertrag als „seit langem anerkanntes und vielfach benutztes Institut" (Eberhard Schmidt-Aßmann/Walter Krebs, Rechtsfragen städtebaulicher Verträge, Vertragstypen und Vertragsrechtslehren, 2. Aufl., 1992, S. 111). Konsequenterweise wird hier sogar schon von der Entwicklung eines „besonderen Vertragsrechts" gesprochen wird - so Walter Krebs, Baurecht, in: Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 10. Aufl., 1995, S. 299 ff. (S. 392 [Rdnr. 175]). 100 Bekannt gewordenes Beispiel für eine solche Vielzahl von Verträgen (hier insgesamt 1200) ist das Vorgehen des Regierungspräsidiums Stuttgart bei der Beseitigung rechtswidrig errichteter Gartenhäuser, dazu Manfred Bulling , Kooperatives Verwaltungshandeln (Vorverhandlungen, Arrangements, Agreements und Verträge) in der Verwaltungspraxis, DÖV 1989, S. .277 ff. (S. 282).
§ 16 Der „vertragsspezifische Kontakt"
129
daß bei dem Lebenssachverhalt vom gewöhnlichen Lauf der Dinge auch im Hinblick auf die inneren Tatsachen, hier die Vertragsbezogenheit, ausgegangen werden darf 101 . Nur kann und soll diese Erleichterung der Anforderungen an die Tatsachenfeststellung keine faktische Aufhebung des Tatbestandsmerkmals sein. Voraussetzung eines solchen Schlusses von den äußeren auf die inneren Tatsachen ist, daß die Basis für eine derartige Folgerung breit genug ist; und ein bloßer Kontakt zwischen Verwaltung und Bürger erfüllt diese Anforderungen eben gerade nicht. Hinzukommen muß die Vertragsnähe des konkreten Sachverhalts und seiner sich anbietenden rechtlichen Gestaltung - etwa im Bereich des Städtebaurechts - , wodurch auch die Vertragsbezogenheit des Kontakts, der diese Beziehung einleitet, indiziert wird. Oder aber es bedarf sonstiger konkreter Anhaltspunkte wie etwa der genannten Selbstbindung des Verwaltungsträgers durch die häufige Verwendung der Vertragsform in ähnlichen Sachverhalten. Liegen derartige Indizien vor, so ist damit - darauf sei zur Verdeutlichung nochmals hingewiesen - die Erfüllung des Entstehungstatbestandes eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses noch nicht unwiderleglich festgestellt. Ergibt sich aus sonstigen Umständen, daß der Kontakt nicht vertragsbezogen war etwa weil es dem privaten Beteiligten ausschließlich darum ging, den Erlaß eines Verwaltungsakts zu erwirken, auch entgegen der in ähnlichen Sachverhalten geübten Praxis-, so gelangt auch der besondere Rechte- und Pflichtenkomplex des vorvertraglichen Schuldverhältnisses nicht zur Wirksamkeit. Im Ergebnis ist eine solche Lösung, die auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen in beiden Teilrechtsordnungen zwar aufbaut, aber für das Gebiet des Verwaltungsvertrages doch eine selbständige Lösung entwickelt, am besten geeignet, dem „Selbststand des Verwaltungsvertragsrechts" gerecht zu werden. Der „vertragsspezifische Kontakt" bietet sich als Entstehungstatbestand des vorvertraglichen Schuldverhältnisses an, weil er einerseits die subjektive Seite beim Übertritt vom allgemeinen zum rechtlich besonders geordneten Verhältnis zweier Rechtssubjekte genügend beachtet, andererseits aber auch Raum läßt für eine praktikable, typische Geschehensabläufe berücksichtigende Umsetzung in die Rechtswirklichkeit.
101 Auf privatrechtlicher Seite ist dieser Weg, Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsaufklärung mittels der Verteilung der Darlegungslast zu begegnen, schon früh auch im hier interessierenden Zusammenhang beschritten worden: Vgl. Larenz, MDR 1954, S. 515 ff. (S. 518).
9 Keller
Viertes Kapitel Der Inhalt vorvertraglicher Schuldverhältnisse
§ 17 Die Struktur des vorvertraglichen Pflichtengefüges I. Die Notwendigkeit einer Aufteilung nach Fallgruppen Die Geschichte der vorvertraglichen Schuldverhältnisse im Privatrecht ist zugleich zu wesentlichen Teilen die Geschichte der Entwicklung und Ausdifferenzierung von Fallgruppen. Unter rechtshistorischem Blickwinkel mag dies darauf beruhen, daß die „Entdeckung" dieses Rechtsinstituts auf die „Unbilligkeit und praktische Trostlosigkeit"1 bei der Lösung gewisser Fälle und erst als Reaktion hierauf auf die systematische Entwicklung aus einem allgemeinen Rechtsgedanken zurückgeht. Insoweit widerspricht auch der Gang dieser Untersuchung, der mit der Suche nach der Rechtsgrundlage begann, dem geschichtlichen Werdegang. Dafür, beim heutigen Stand der Rechtsentwicklung zunächst nach der normativen Verankerung der vorvertraglichen Pflichten zu fragen, bestehen freilich gute Gründe2: Ihre weite Auffächerung verlangt in erster Linie nach der Zusammenfassung und Bündelung durch die sichere Verankerung in einer normativen Grundlage. Aufbauend auf der so gewonnenen Basis von Treu und Glauben steht aber dann einer Feingliederung der mit einem vertragsspezifischen Kontakt entstehenden Rechte und Pflichten nach typischen Sachverhaltskonstellationen und damit nach Fallgruppen nichts im Wege. Dabei empfiehlt sich auch hier eine abgestufte Systematisierung, innerhalb welcher sich das Prinzip von Treu und Glauben in über- und untergeordneten Anwendungsbereichen und damit in immer weiter fortschreitenden Verwirklichungsgraden ausprägt. Diese Vorgehensweise ist denn auch im Privatrecht bis heute so selbstverständlich, daß sie keiner eigenen Begründung mehr zu bedür-
1 Rudolf v. Jhering, Culpa in contrahendo oder Schadensersatz bei nichtigen oder nicht zur Perfection gelangten Verträgen, JherJahrb 4 (1861), S. 1 ff. (S. 2); zu den Konsequenzen sei an dieser Stelle nur auf Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, S. 422 f. und im übrigen auf die Überlegungen zur Analogie als Rechtsgrundlage - oben § 7 - verwiesen. 2 Vgl. dazu oben § 5.
§ 17 Die Struktur des vorvertraglichen PflichtengefÜges
131
fen scheint3; betont zu werden pflegt vielmehr die Einigkeit, die in dieser Frage bestehe4. Ihre Rechtfertigung nicht nur für das Privatrecht, sondern auch für das Verwaltungsrecht ergibt sich daraus, daß es anders kaum möglich sein dürfte, der Vielfalt der Formen vorvertraglicher Annäherungen und des jeweils daraus entstehenden Bindungsbedarfs in einer zugleich systematischen und praktikablen Weise Herr zu werden und damit die Forderung nach der Einziehung dogmatischer Zwischenebenen5 zu erfüllen: In systematischer Hinsicht bildet dies ein Teilstück der Ableitung einer konkreten Regelung aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben, welcher ja nur auf diesem Wege in die Rechtswirklichkeit umgesetzt werden kann6. Zudem lassen sich die Fallgruppen einzelnen Funktionen7 der vorvertraglichen Haftung wie etwa dem Schutz absoluter Rechtsgüter oder der loyalen Verhandlungsführung zuweisen. Und unter dem Gesichtspunkt praktischer Anwendung sorgen Fallgruppen mit ihren gegenüber dem allgemeinen Rechtsgrundsatz verdeutlichenden und präzisierenden Tatbestandsvoraussetzungen für die rasche Zuordnung eines Lebenssachverhalts zu den vorvertraglichen Schuldverhältnissen. Typische und regelmäßig wiederkehrende vorvertragliche Geschehensabläufe werden auf diesem Wege in die Darstellung einbezogen. Hinsichtlich des zu verarbeitenden Fallmaterials ist es dabei legitim und zweckmäßig, das Augenmerk auch auf die bisher entwickelten Pflichten zwischen staatlichen und privaten Verhandlungspartnern in Privatrechtsverhältnissen zu richten: Zum einen sind hier die Grenzen in Anbetracht der zunehmenden Annäherung zwischen privat3 Schon Rudolf Nirk, Rechtsvergleichendes zur Haftung für culpa in contrahendo, RabelsZ 1953, S. 310 ff. (S. 313) begann seine inhaltliche Erörterung der vorvertraglichen Haftung mit einer Einteilung der Anwendungsfälle in vier Gruppen, ohne dies näher zu begründen. Ebenso gehen in jüngerer Zeit Norbert Jäckle, Die Haftung der öffentlichen Verwaltung aus culpa in contrahendo im Licht der oberinstanzlichen Rechtsprechung, NJW 1990, S. 2520 ff. (S.2521 ff.) und Norbert Horn, Culpa in contrahendo, JuS 1995, S. 377 ff. (S. 379 ff.) vor. Vgl. weiter allgemein zum Verhältnis von Generalklauseln und Fallgruppen Ralph Weber, Einige Gedanken zur Konkretisierung von Generalklauseln durch Fallgruppen, AcP 192 (1992), S. 516 ff. 4 So Volker Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, 3. Aufl., 1991, S. 41; Dieter Medicus, Verschulden bei Vertragsverhandlungen, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Band I, 1981, S. 479 ff. (S. 487). 5 Zur Bedeutung dieses von Walter Krebs, Verträge und Absprachen zwischen der Verwaltung und Privaten, WDStRL 52 (1993), S. 248 ff. (S. 259, 277 ff.) entwickelten Begriffes für diese Untersuchung bereits oben § 2 II. 6 Dazu Helmut Heinrichs, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 55. Aufl., 1996, §242 Rdnr. 13; Wilhelm Weber, in: Julius v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetzen und Nebengesetzen, II. Band, Teil lb, 11. Aufl., 1961, § 242 Rdnr. A 168. 7 Zu ihnen Herbert Wiedemann , in: Kohlhammer-Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, begründetvon Hs.Th. Soergel, Band 2,12. Aufl., 1990, vor §275 Rdnr. 104 ff. sowie aus der Sicht der ökonomischen Analyse des Rechts DetlefLeenen, Die Funktionsbedingungen von Verkehrssystemen in der Dogmatik des Privatrechts, in: Okko Behrends/Malte Dießelhorst/Ralf Dreier (Hrsg.), Rechtsdogmatik und praktische Vernunft - Symposion zum 80. Geburtstag von Franz Wieacker, 1990, S. 108 ff. (S. 111 ff.). Zur Wechselwirkung von Funktionen und Fallgruppen vorvertraglicher Haftung auch Manfred Löwisch, in: Julius v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 13. Bearbeitung (Stand: Januar 1995), Vorbemerkungen zu §§ 275 ff. Rdnr. 53.
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4. Kap.: Der Inhalt vorvertraglicher Schuldverhältnisse
rechtlichen und öffentlichrechtlichen Verträgen gerade in Fragen der „Formtypik" 8 und im Hinblick auf die Offenheit von Verhandlungsprozessen nicht scharf zu ziehen. Zum anderen ergibt sich ein gewisser faktischer Gleichlauf speziell der in der Rechtsprechung herausgearbeiteten Pflichten auch daraus, daß die ordentlichen Gerichte den Rechtsweg zu sich nicht nur für die privatrechtliche, sondern auch für die verwaltungsrechtliche culpa in contrahendo eröffnet sehen9. Zunächst aber und unabhängig davon ist die Frage zu beantworten, nach welchen Gesichtspunkten die Einteilung vorzunehmen ist, was wie so oft im Verlaufe dieser Untersuchung zugleich eine Entscheidung darüber bedeutet, ob die Übernahme privatrechtlicher Muster oder die Entwicklung eigenständiger verwaltungsrechtlicher Lösungsansätze dogmatisch befriedigender und sachangemessener ist 10 . Es wird sich hierbei wiederum zeigen, daß nur eine differenzierende Betrachtungsweise dem Selbststand des Vertragsrechts und der vorvertraglichen Schuldverhältnisse gerecht wird.
II. Der Vertragsbezug vorvertraglicher Pflichten /. Privatrechtliche
Vorgaben
Im Privatrecht ist eine erste Grobeinteilung vorvertraglicher Pflichten nach ihrem inhaltlichen Bezug zu dem intendierten Vertrag 11 üblich: Mit Hilfe dieses Kriteriums werden als vom Inhalt der in Aussicht genommenen Vereinbarung unabhängige Bindungen die sogenannten Schutz12- oder Erhaltungs8 Eberhard Schmidt-Aßmann/Walter Krebs, Rechtsfragen städtebaulicher Verträge, Vertragstypen und Vertragsrechtslehren, 2. Aufl., 1992, S. 162. 9 Stellvertretend für diese Auffassung BGH, DVB1. 1986, S. 409 f. (S. 410). Hierzu noch unten § 22 VII. 10 Bereits oben § 13 II 3 wurde daraufhingewiesen, daß sich der Verweisungsnorm des § 62 S. 2 VwVfG im Anwendungsbereich der Verwaltungsverfahrensgesetze ein normativer Anhaltspunkt für die Übernahme der vom Privatrecht vorgeformten Dogmatik entnehmen läßt. Vergleichsweise eindeutig zugunsten des Privatrechts spricht sich im Hinblick auf diese Frage Willy Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns durch Verträge und Absprachen, 1994, S. 243 f. aus, nach dem „grundsätzlich von den im Zivilrecht anerkannten Anspruchsvoraussetzungen auszugehen" ist, „normative Wertungen des öffentlichen Rechts" allerdings in Einzelfällen zu einer anderen Beurteilung führen können. 11 Im privatrechtswissenschaftlichen Schrifttum wird zuweilen in diesem Zusammenhang betont, daß der legitime Bereich der culpa in contrahendo nur den Bereich umfasse, in welchem sich das Verschulden gerade auf den beabsichtigten Vertrag beziehe (Ernst \.Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, in: ders., Gesammelte Schriften, Band I, Rechtsvergleichung und Schuldrecht, 1968, S. 452 ff. [S. 461 f.]). Zustimmend Hans Stoll, Tatbestände und Funktionen der Haftung für culpa in contrahendo, in: Hans Claudius Ficker u. a. (Hrsg.), Festschrift für Ernst von Caemmerer zum 70. Geburtstag, 1978, S. 435 ff. (S. 437 f.). Vgl. zu parallelen Abgrenzungsbemühungen im Rahmen der Suche nach der Rechtsgrundlage vorvertraglicher Pflichten oben § 11 II 2 a. 12 So die Terminologie bei Volker Emmerich, Zum gegenwärtigen Stand der Lehre von der culpa in contrahendo, Jura 1987, S. 561 ff. (S. 562); ders., Leistungsstörungen, S. 46; ders., in: Kurt Rebmann/Franz Jürgen Säcker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetz-
§ 17 Die Struktur des vorvertraglichen PflichtengefÜges
133
pflichten 13 herausgestellt. A u f deren privatrechtliche Sonderstellung und die Gründe ihrer Einbeziehung in die vorvertraglichen Schuldverhältnisse wurde im Verlauf der Untersuchung schon mehrfach hingewiesen und Bezug genomm e n 1 4 . Inhaltlich geht es dabei der Sache nach um die im Rahmen des Rechts der unerlaubten Handlungen, also außerhalb vertraglicher Beziehungen, zum Schutze der absoluten Rechtsgüter wie Gesundheit, Freiheit und Eigentum entwickelten Verkehrssicherungspflichten 15. Diese sind dann bei der Bearbeitung eines konkreten Falles innerhalb zweier Anspruchsgrundlagen zur Geltung zu bringen, mit unterschiedlichen Anforderungen an die Haftung für Gehilfen 1 6 und die Beweislast 17 , differierender Verjährung 1 8 sowie verschiedenen Rechtsfolgen 1 9 . I m Privatrecht läßt sich diese Problematik derzeit nicht weiter auflösen 2 0 , weil beide Haftungssysteme dem Geschädigten im Hinblick auf die Durchsetzung seiner Rechte jeweils eigene Vorteile bieten. Es droht aber bereits in die-
buch, Band 2, 3. Aufl., 1994, vor §275 Rdnr. 72; Marina Frost, „Vorvertragliche" und „vertragliche" Schutzpflichten, S. 13 (und passim); Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 276 Rdnr. 71; Löwisch, in: Staudinger, BGB, Vorbemerkungen zu §§ 275 ff. Rdnr. 53, 56 ff; Medicus, Verschulden, S. 487 ff.; Wiedemann , in: Soergel, vor § 275 Rdnr. 110 f.; grundlegend Heinrich Stoll, Die Lehre von den Leistungsstörungen, 1936, S. 27 ff. 13 So etwa Karl Larenz, Bemerkungen zur Haftung für „culpa in contrahendo", in: Werner Flume/Peter Raisch/Ernst Steindorff (Hrsg.), Beiträge zum Zivil- und Wirtschaftsrecht, Festschrift für Kurt Ballerstedt zum 70. Geburtstag am 24. Dezember 1975, 1975, S. 397 ff. (S. 400 ff.). Beide Begriffe verwenden gleichberechtigt Peter Gottwald, Die Haftung für culpa in contrahendo, JuS 1982, S. 877 ff. (S. 878); Nirk, RabelsZ 1953, S. 310 ff. (S. 311). 14 Vgl. etwa oben § 151 1. 15 Dies wird bei Emmerich (Nachweise soeben in FN 12) besonders deutlich; vgl. ferner Ernst A. Kramer, in: Münchener Kommentar zum BGB, Einleitung vor § 241 Rdnr. 79 ff.; Dieter Medicus, Die culpa in contrahendo zwischen Vertrag und Delikt, in: Peter Forstmoser u. a. (Hrsg.), Festschrift für Max Keller zum 65. Geburtstag, 1989, S.205ff. (S.210ff.). Die Vorschläge etwa von Christian \.Bar, Verkehrspflichten - Richterliche Gefahrsteuerungsgebote im deutschen Deliktsrecht, 1980, S. 204 ff., 220 ff. und Konrad Huber, Verkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens, in: Hans Claudius Ficker u. a. (Hrsg.), Festschrift für Ernst von Caemmerer zum 70. Geburtstag, 1978, S. 359ff., auch das Vermögen durch Verkehrssicherungpflichten zu schützen, haben sich nicht durchsetzen können; vgl. dazu auch Claus-Wilhelm Canaris, Schutzgesetze Verkehrspflichten - Schutzpflichten, in: dersAJwe Diederichsen (Hrsg.), Festschrift für Karl Larenz zum 80. Geburtstag am 23. April 1983,1983, S.27ff. (S. 81 ff.). 16 Bei der Haftung aus culpa in contrahendo findet § 278 BGB, bei der aus unerlaubter Handlung § 831 BGB Anwendung; vgl. BGHZ 66, S. 51 ff. (S. 54). 17 Dazu BGH, NJW 1962, S. 31 f.; NJW 1986, S. 2757 f.: Für die culpa in contrahendo gilt die von § 282 BGB angeordnete Beweislastumkehr entsprechend, während für die deliktische Haftung lediglich - allerdings weitreichende - Beweiserleichterungen in Betracht kommen. 18 BGHZ 66, S. 51 ff. (S. 54). 19 Soweit es um Schadensersatz geht, münden zwar beide Tatbestände zunächst in die hierfür allgemein geltenden Vorschriften der §§ 249 ff. BGB. Doch setzt etwa der Schmerzensgeldanspruch aus § 847 BGB die Verletzung einer deliktischen Verkehrssicherungspflicht voraus. 20 Wiedemann, in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 125. Siehe jedoch die Vorschläge de lege ferenda bei Medicus, Verschulden, S. 494. Als mittlerweile stark eingeebnet sieht die Unterschiede zwischen culpa in contrahendo und Deliktsrecht Christian v. Bar, Vertragliche Schadensersatzpflichten ohne Vertrag?, JuS 1982, S. 637 ff. (S. 639 ff.) an.
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4. Kap.: Der Inhalt vorvertraglicher Schuldverhältnisse
ser Teilrechtsordnung die Gefahr der Überbewertung dieser Umstände21, wenn sie faktisch zur Grundlage der Einteilung der Pflichten gemacht werden. Im Verwaltungsrecht ist darüber hinaus die Konkurrenzsituation eine andere, kompliziertere: Dem durch eine der staatlichen Seite zuzurechnende Pflichtverletzung geschädigten Bürger steht das allgemeine Deliktsrecht in der Regel nicht zu Gebote. Vielmehr ist er auf das Haftungssystem des § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG, die sogenannte Amtshaftung, angewiesen. Dabei werden die entscheidenden Eingrenzungen dieses Tatbestandes nicht durch seine Beschränkung auf den Schutz gewisser Rechtsgüter, sondern durch die Voraussetzung der Verletzung einer besonders qualifizierten Pflicht, nämlich einer dem „Beamten" im Sinne dieser Norm „einem Dritten gegenüber obliegenden Amtspflicht" bewirkt. Auch die Haftung für Hilfspersonen wirft in diesem Zusammenhang spezifische Probleme auf 22 , die keine Berührungspunkte mit denen des Privatrechts haben. In der umgekehrten, durch eine Pflichtverletzung des Bürgers ausgelösten Anspruchssituation hat es wiederum sein Bewenden beim Recht der unerlaubten Handlung, das hier wie beim Rechtsverhältnis (nur) zwischen Privaten die Ersatzpflicht des Bürgers begründet23. Sind an einem vorvertraglichen Rechtsverhältnis hingegen zwei Verwaltungsträger beteiligt, so steht ihnen als zusätzliche Haftungsgrundlage wiederum allenfalls das Amtshaftungsrecht zur Verfügung 24. Angesichts dieser Mehrheit von Rechtsgrundlagen und darauf gestützten Ansprüchen eignet sich die herkömmliche Scheidung zwischen vertragsbezogenen und nicht vertragsbezogenen Pflichten nicht ohne eine deutliche inhaltliche Modifikation zur Übernahme ins Recht des Verwaltungsvertrages: Zunächst läßt sich nach der Erfüllung des Entstehungstatbestandes eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses, dem Eintreten eines vertragsspezifischen Kontakts, sinnvollerweise nicht mehr von „vertragsunabhängigen" Pflichten sprechen. Eine solche Terminologie entbehrte auch der sachlichen Grundlage, weil der beabsichtigte Vertrag in tatsächlicher Hinsicht der Anlaß zur Anknüpfung des Kontaktverhältnisses war, welches die in Treu und Glauben wurzelnden Pflichten überhaupt erst zur Entstehung brachte25. Die Unterscheidung zwi-
21 Eine solche sieht auch Wiedemann , in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 108. Entsprechend hält Joachim Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, S. 184, die Sicherungspflicht für eine „Randerscheinung" in Theorie und Praxis. 22 Insoweit geht es nicht um eine mögliche Exkulpation wie bei § 831 BGB, sondern darum, wer „Beamter" i. S. des § 839 BGB ist. Dazu Fritz Ossenbühl Staatshaftungsrecht, 4. Aufl., 1991, S. 12 ff.; Peter Lüdemann/Kai Windthorst, Struktur und Reichweite des haftungsrechtlichen Beamtenbegriffs i. S. von § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG, SächsVBl. 1995, S. 125 ff. 23 Jost Hüttenbrink, Die Bürgerhaftung als Gegenstück zur Staatshaftung, DÖV 1982, S. 489 ff. (S. 490 ff.). 24 Vgl. Sigurd Littbarski, Die Haftung aus culpa in contrahendo im öffentlichen Recht, JuS 1979, S. 537 ff. (S. 542). 25 Dazu im einzelnen oben § 16.
§ 17 Die Struktur des vorvertraglichen PflichtengefÜges
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sehen vertragsunabhängigen Schutzpflichten einerseits und vertragsbezogenen Pflichten andererseits, wie sie im Privatrecht vorgenommen wird, würde sich auch deswegen nicht in die verwaltungsrechtliche Systematik einfügen, weil sie zwar auf einer in der Tat gegebenen Zweiteilung des im Privatrecht anzutreffenden Pflichtenbündels aufbaut, aber im Blick auf deren wirklichen sachlichen Aussagegehalt in die Irre führt. Denn nicht der Vertragsbezug ist in der privatrechtlichen Dogmatik das Entscheidende, sondern das verletzte Rechtsgut - die vorvertragliche „Schutzpflicht" bezweckt in erster Linie den umfassenden Schutz der absoluten Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 BGB 2 6 , während die übrigen Pflichten auf den Vermögensschutz ausgerichtet sind. Genau diese Unterscheidungskriterien führen im Recht des Verwaltungsvertrages nicht weiter, soweit es um die Einstandspflicht des Staates geht, denn diese orientiert sich im Rahmen des Amtshaftungsrechts an dem Schutzzweck der jeweiligen rechtlichen Bindung und damit an der Frage, ob diese Pflicht auch und gerade dem Schutz der Interessen des Geschädigten dient27; ist dies der Fall, so werden auch die sogenannten „reinen" Vermögensschäden ersetzt28. Auch was die Haftung des Bürgers betrifft, steht dabei keinesfalls die Frage im Mittelpunkt, ob und wie der staatlichen Seite zuzurechnende Rechtsgüter in einer über das allgemeine Deliktsrecht hinausgehenden Weise zu schützen seien, kommt doch hier allenfalls das Eigentum als Rechtsposition von nennenswerter Bedeutung in Betracht. Als Ausgangsbasis systematischer Erfassung vorvertraglicher Pflichten des Verwaltungsrechts eignet sich daher die getreuliche inhaltliche Übernahme der privatrechtlichen Zweiteilung nicht. 2. Vorvertragliche Pflichten als Bindungen in Abhängigkeit von einem Rechtsverhältnis a) Das Amtshaftungsrecht als Modell Sollen also vor allem die Anforderungen und Gegebenheiten des öffentlichen Rechts der Einteilung zugrundeliegen, so stellt sich die Frage, ob nicht aus dem Recht der Amtshaftung in der Gestalt, die es im Verlauf der
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Deutlich wird dies etwa bei Frost, Schutzpflichten, S. 48: „Sie (sc. die Schutzpflichten) haben lediglich den Rechtsgüterschutz zum Inhalt, verfolgen also einen von dem Zielvertrag nicht beeinflußten Zweck" (Hervorhebung hinzugefügt). Grund der Differenzierung ist damit die unterschiedliche Schutzrichtung, nicht in erster Linie der Vertragsbezug. 27 BGH, NJW 1990, S. 1042 ff. (S. 1043); Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl., 1995, S. 616 (§ 25 Rdnr. 19). 28 Bernd Janson, Verwaltungsrechtliches Schuldverhältnis, Verwaltungsverfahrensgesetz und Reform der Staatshaftung, DÖV 1979, S. 696 ff. (S. 699); Karl-Heinz Ladeur, Zur Bestimmung des drittschützenden Charakters von Amtspflichten i. S. von § 839 BGB und Art. 34 GG - insbesondere bei Aufsichtspflichten, DÖV 1994, S. 665 ff. (S. 665).
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Kap. : De nhat vorvertraglicher Schuldverhältnisse
Rechtsentwicklung mittlerweile angenommen hat 29 , ein Muster zu gewinnen ist, welches durch die Übertragung auf die vorvertraglichen Schuldverhältnisse diesen eine erste Strukturierung zu geben vermag. Dabei kommt es für die Differenzierung weniger auf die Art des verletzten Rechtsguts als auf den Charakter und in einem nunmehr wörtlich zu nehmenden Verständnis auf den Vertragsbezug der Pflicht an. Für die Amtshaftung gilt bei einer solchen Betrachtungsweise, daß im Blick auf die tatbestandlich vorausgesetzte Drittrichtung zwei Arten von Amtspflichten existieren30: Die eine ist deswegen „gegenüber einem Dritten" i. S. des § 839 BGB zu erfüllen, weil bereits ein Rechtsverhältnis zwischen dem Dritten und dem Staat vorliegt. Hier ist nicht zu übersehen, daß Existenz und Inhalt dieser rechtlichen Sonderverbindung auch prägend für die jeweiligen Amtspflichten sind31. Die andere Art nimmt allgemeine Verhaltenspflichten in den Zusammenhang der Amtspflichten auf und erfüllt damit diejenige Aufgabe, die im Recht der unerlaubten Handlungen sonst den Verkehrssicherungspflichten und den Schutzgesetzen i. S. des § 823 Abs. 2 BGB zugewiesen ist. Die Drittbezogenheit ist dabei als Tatbestandsmerkmal mit eigener Funktion weitgehend zugunsten der Annäherung an das allgemeine Deliktsrecht zurückgetreten 32. b) Die Anwendung auf vorvertragliche Schuldverhältnisse Diese Sichtweise, die von einer einheitlichen Wurzel der jeweiligen Pflichten in Gestalt ihrer gemeinsamen Rechtsgrundlage ausgeht und sodann nach ihrer inhaltlichen Beziehung zu dem jeweils ihnen zugeordneten Rechtsverhältnis fragt, läßt sich auf die vorvertraglichen Schuldverhältnisse übertragen. Die einheitliche Rechtsgrundlage stellt dann das Prinzip von Treu und Glauben dar; den Anknüpfungspunkt für die Einordnung der Pflichten bildet entsprechend der zweckhaften Zuordnung des vorvertraglichen Schuldverhältnisses auf das nachfolgende Rechtsverhältnis33 in erster Linie der in Aussicht genommene Vertrag. Ist einmal der Entstehungstatbestand eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses erfüllt, so wirken etwa die generellen Bindungen, die dem Schutz absoluter Rechtsgüter dienen, für beide Seiten - mitunter noch verstärkt - zwar 29 Hierzu und zum Folgenden Alexander Blankenagel, Die „Amtspflicht gegenüber einem Dritten" - Kasuistik ohne Systematik?, DVB1. 1981, S. 15 ff. 30 Blankenagel DVBI. 1981, S. 15 ff. (S. 19 ff.); Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 48. 31 Stellt die Sonderverbindung allerdings einen öffentlich-rechtlichen Vertrag dar, so können nach Auffassung der Rechtsprechung (BGHZ 87, S. 9 ff. [S. 16 ff.]) Ansprüche wegen dessen Nicht- oder Schlechterfüllung bzw. wegen des Wegfalls oder Fehlens der Geschäftsgrundlage nur als vertragliche Leistungstörungen, nicht jedoch als Verletzung von Amtspflichten geltend gemacht werden. 32 Eine derartige Entwicklung konstatiert Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 618 (§ 25 Rdnr. 21). Vgl. in diesem Sinne auch Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 51. 33 Vgl. Norbert Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl., 1986, S. 381 (§20 Rdnr. 30); Martin Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, 1995, S. 219 sowie oben § 16 II 3.
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weiter, sie finden ihre Rechtsgrundlage jetzt aber in dem Prinzip von Treu und Glauben, welches das vorvertragliche Rechtsverhältnis beherrscht. Darin allerdings erschöpft sich auch ihr Vertragsbezug. Sie bilden damit die allgemeinste Kategorie vorvertraglicher Pflichten, bestehen unabhängig von der Entwicklung des Verhandlungs- und Anbahnungsverhältnisses in der Zeit 34 und sind auch unbeeinflußt von Inhalt und späterem Zustandekommen eines Vertrages 35. Damit markieren sie auf einer Skala der Vertragsnähe der Pflichten den äußersten, von dem je konkreten Rechtsverhältnis am weitesten entfernten Punkt. Anschauliches Beispiel für die allgemeinen Pflichten, die von Inhalt des geplanten Vertrages und Schwierigkeitsgrad des Regelungsgegenstandes unabhängig im Gefolge nahezu jedes vertragsspezifischen Kontaktes eintreten können, ist die in Anlehnung an die „Warenhausfälle" des Privatrechts 36 zu entwickelnde Pflicht, die Verhandlungsräume und den Zugang hierzu jederzeit so in Ordnung zu halten, daß die andere Seite nicht an Leben oder Gesundheit gefährdet ist. Geschützt ist in dieser Weise weiterhin das Eigentum beider Seiten; für den Parallelfall eines öffentlich-rechtlichen Benutzungsverhältnisses37 erkennt dies auch die Rechtsprechung mittlerweile an 38 . Eine vergleichbare Doppelfunktion kommt im hier interessierenden Zusammenhang den allgemeinen verfahrensrechtlichen Normen des Verwaltungsrechts39 zu, denn auch sie gelten außerhalb der Entstehung eines vorvertragli34 Zur „Dynamik" des vorvertraglichen Schuldverhältnisses und ihrem Einfluß auf den Umfang der jeweils konkret geschuldeten Pflichten Marcus Lutter , Der Letter of Intent - Zur rechtlichen Bedeutung von Absichtserklärungen, 1982, S. 59 f. 35 Wiedemann , in: Soergel, BGB, vor §275 Rdnr. 172 für das Privatrecht; anders Frost, Schutzpflichten, S. 106 ff. 36 RGZ 78, S. 239 ff.; BGHZ 66, S. 51 ff.; BGH, NJW 1962, S. 31 f.; NJW 1986, S. 2757 f. 37 In der verwaltungsrechtlichen Literatur wurde die Geltung schuldrechtlicher Haftungsgrundsätze für beide Seiten in diesem Bereich schon vor geraumer Zeit verlangt, so von Burkhard Tiemann, Grundfragen der Staats- und Benutzerhaftung in öffentlich-rechtlichen Benutzungsverhältnissen, VerwArch 65 (1974), S. 381 ff. (S. 395 f.). 38 So BVerwG, NJW 1995, S. 2303 ff. (S. 2304); VGH Mannheim, VB1BW 1994, S. 497 f. Hier wird eine Haftung des privaten Beteiligten eines derartigen Benutzungsverhältnisses gegenüber einer Gemeinde aus „den im Zivilrecht entwickelten Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung" (VGH Mannheim, aaO., S. 497; ebenso BVerwG, aaO.) bejaht, weil der Gemeinde durch unsachgemäße Abwassereinleitung Schäden an ihrer Kanalisation entstanden waren. Daß der Anwendungsbereich der positiven Vertragsverletzung auf ein nicht-vertragliches Rechtsverhältnis (vgl. in diesem Sinne bereits VGH Mannheim, VB1BW 1982, S. 369 ff. [S. 369]) erstreckt wird, zeigt zweierlei: Zum einen, daß die Fortentwicklung des Verwaltungsrechts im Bereich zwei- und mehrseitiger Rechtsverhältnisse nur unter Rückgriff auf bereits im Privatrecht vorgeformte Rechtsinstitute zu sachgerechten Ergebnissen führen kann; zum anderen, daß die Lehre vom „einheitlichen Schutzpflichtverhältnis" (dazu oben § 11 II 2 a [FN 150 ff.]) auch im Verwaltungsrecht ihre innere Berechtigung hat, denn nach Struktur und Inhalt dieser Pflichten kann es auf die vertragliche, vorvertragliche oder in sonstiger Weise auf Kooperation gerichtete Natur des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses nicht entscheidend ankommen. 39 Hierzu Hartmut Bauer, Anpassungsflexibilität im öffentlich-rechtlichen Vertrag, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, S. 245 ff. (S. 259 f.).
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4. Kap.: Der Inhalt vorvertraglicher Schuldverhältnisse
chen Schuldverhältnisses durch vertragsspezifischen Kontakt, sofern nur ein Verfahrensrechtsverhältnis angeknüpft wurde. Ihre Besonderheit, wenn sie innerhalb eines solchen zur Anwendung kommen, besteht darin, daß ihre Verletzung nicht bloß einen Rechtsverstoß darstellt, sondern eine spezifische Rechtsfolge vorvertraglicher Schuldverhältnisse, in der Regel eine Schadensersatzpflicht, nach sich zieht. 3. Folgerungen: Vertragsabschluß und Vertragsinhalt vorvertraglicher Pflichten
als Bezugspunkte
Zu fragen ist also nach alledem in bezug auf das vorvertragliche Schuldverhältnis, ob eine zwar auf den in Aussicht genommenen Vertrag als solchen bezogene, von dessen inhaltlicher Ausgestaltung jedoch unbeeinflußte Pflicht oder eine gerade damit verknüpfte Bindujng vorliegt 40. Nur insoweit geht es um den „Vertragsbezug"; nur ein derartiges Verständnis der inneren Systematik vorvertraglicher Pflichten im Verwaltungsrecht ist aber auch geeignet, sie in einer Weise zu ordnen, die den Besonderheiten des öffentlichen Rechts gerecht wird: Die sogenannten „Verfahrenspflichten", deren Verhältnis zu den hier untersuchten Gegenständen früher schon als dasjenige sich überschneidender Kreise gekennzeichnet wurde 41, lassen sich - wie gesagt - auf diesem Wege ebenso sinnvoll eingliedern wie die ausschließlich im Vorfeld eines Vertrages denkbaren Verhaltensanordnungen, etwa das Verbot des Abbruchs von Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund. Schließlich finden hier auch vorvertragliche Pflichten ihre zutreffende Einordnung, die sich aus einem ganz bestimmten Rechtsverhältnis und seinen spezifischen Bedingtheiten entwickeln: So kann die Komplexität einer Vertragsmaterie eine besonders sorgfältige Aufklärung und Beratung erfordern, die derjenige Verhandlungspartner leisten muß, welcher einen Vorsprung an Wissen und Kenntnissen hinsichtlich der problematischen Inhalte der geplanten Abrede hat oder sich einen solchen doch mühelos verschaffen kann. Diese Last muß im übrigen keinesfalls immer die staatliche Seite tragen: Zahlreiche Fragen kann nur ein privater Beteiligter aufklären, sei es, weil der Sachverstand zu dem betreffenden Problem sich vorwiegend auf seiner Seite findet, sei es, weil bestimmte vertragswesentliche Umstände von dem staatlichen Partner wegen der Komplexität der Sachlage nicht erkannt worden sind, während sich der Private damit umfassend auseinandergesetzt hat 42 . Eine Querverbindung besteht hier zu der im Privatrecht in-
40 Ähnliche Überlegungen, die den Bezug zu einer speziellen Sonderverbindung als Kriterium für die innere Systematik vorvertraglicher Beziehungen heranziehen, finden sich auch im Privatrecht, so etwa bei Kramer, in: MUnchener Kommentar zum BGB, Einleitung vor § 241 Rdnr. 80 f. 41 Vgl. oben § 4 II. 42 Auch das allgemeine Verwaltungsrecht erkennt derartige Bindungen privater Beteiligter in § 26 Abs. 2 VwVfG an.
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tensiv diskutierten Berufshaftung 43: Auch dabei werden unter anderem überdurchschnittliche Sachkunde, außerordentliche Zuverlässigkeit oder ungewöhnliche Einflußmöglichkeiten einer Seite bei bestimmten Vertragstypen zum Anlaß genommen, die Pflichtenlage dieser Beteiligten in hohem Maße zu verdichten44. Solche Pflichten nähern sich mithin auf der gedachten Skala der Vertragsnähe dem anderen Endpunkt, nämlich dem des engsten Vertragsbezugs, weil sie nur bei denjenigen vorvertraglichen Schuldverhältnissen zur Wirksamkeit gelangen, die auch nach ihrem tatsächlichen Gegenstand derartige Anforderungen an die Beteiligten stellen. Dieser am inhaltlichen Vertragsbezug der Pflichten orientierte Einteilungsmodus ist kein dem Verwaltungsrecht gewaltsam aufgepreßtes privatrechtliches Schema, sondern findet seine genuin verwaltungsrechtliche Parallele - noch unabhängig von den speziellen Erfordernissen des Verwaltungsvertragsrechts - etwa in der gesetzlichen Regelung des Verwaltungsverfahrens, die eine ähnliche stufenweise erfolgende Verdichtung der Rechte- und Pflichtenlage, ihre Modifizierung und Anpassung an die jeweiligen konkreten Erfordernisse des Verfahrensstandes vorzeichnet: So lassen sich in einem als Prozeß in der Zeit verstandenen Verfahren jedem Abschnitt spezifische rechtliche Anforderungen zuordnen45. Geht man nun von der bisher erst in ihren Endpunkten deutlichen Skala der vorvertraglichen Pflichten aus und systematisiert mit Hilfe dieses vorläufigen Maßstabs die vornehmlich aus dem Privatrecht bekannten, aber im Verwaltungsvertragsrecht genauso denkbaren Fälle, so ergibt sich jenseits der ganz allgemeinen Pflichten eine weitere Abstufung im Hinblick auf die unmittelbaren Folgen einer Pflichtverletzung, aus denen sich wiederum ein Rückschluß auf deren Beziehung zu dem konkret in Aussicht genommenen Vertrag ziehen läßt: Zum einen nämlich gibt es Konstellationen, in denen der Verstoß einer Seite gegen eine aus dem Prinzip von Treu und Glauben folgende Bindung das Scheitern des gesamten Vertragsprojektes zur Folge hat 46 oder nur scheinbar den gewünschten Erfolg nach sich zieht47. Will man dieser besonderen Pflich43 Dazu aus jüngster Zeit Gottfried Schiemartn, Wandlungen der Berufshaftung, in: Hermann Lange/Knut Wolfgang Nörr/Harm Peter Westermann (Hrsg.), Festschrift für Joachim Gernhuber zum 70. Geburtstag, 1993, S. 387 ff. 44 Vgl. Wiedemann , in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 228 m. w. N. 45 Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band III: Das Handeln des Staates, 1988, S. 624 ff. (S. 644 [§ 70 Rdnr. 28]). 46 Hierzu zählen beispielsweise die auch als Problemkreise des Verwaltungsvertragsrechts erkannten (Heinz Joachim Bonk, in: Paul Stelkens/Heinz Joachim Bonk/Michael Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 4. Aufl., 1993, § 62 Rdnr. 21) Sachverhalte des grundlosen Abbruchs der Verhandlungen. 47 Prototypisch hierfür sind die wegen Vertretungsmängeln oder Verstoßes gegen Formvorschriften unwirksamen (und also allenfalls scheinbar zustandegekommenen) Verträge. Vgl. als Beispiel hierfür aus der Rechtsprechung BGHZ 92, S. 164 ff. (S. 173 f.) sowie unten § 18 II; ferner Jäckle, NJW 1990, S. 2520 ff. (S. 2523 f.).
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4. Kap.: Der Inhalt vorvertraglicher Schuldverhältnisse
tengruppe auch begrifflich Rechnung tragen, so trifft eine Bezeichnung als „vertragsabschlußbezogen" das Gemeinte am besten 48 : In einem solchen Zusammenhang mag der Inhalt der in Aussicht genommenen oder schon getroffenen Abreden zwar Motiv oder Anlaß für das pflichtwidrige Handeln sein 4 9 . Dieses Fehlverhalten selbst jedoch besteht in mangelhafter Loyalität 5 0 des Verhandlungspartners. Wohl kann ihm dieser Vorwurf nur innerhalb eines durch vertragsspezifischen Kontakt begründeten Rechtsverhältnisses gemacht werden, denn nur dort besteht überhaupt eine Pflicht zur Offenlegung von vertragsbezogenen Absichten. Unabhängig ist diese aber von dem Inhalt der ins Auge gefaßten Abreden. A u f der anderen Seite stehen Pflichten, die von der Eigenart und dem speziellen gegenseitigen Pflichtenprogramm des zukünftigen Vertrages abhängig und daher „vertragsinhaltsbezogen" zu nennen sind 5 1 . Sie sind typischerweise Aufklärungspflichten 52 . Einen starken inhaltlichen Vertragsbezug weisen bei-
48 Etwas abweichend die privatrechtswissenschaftliche Terminologie: Medicus, Verschulden, S. 487 f. attestiert allen „Pflichten hinsichtlich des abzuschließenden Vertrages selbst", daß sie sich (nur) auf den Vertragsabschluß bezögen, und erblickt das verbindende Moment der im Text angsprochenen Fälle im Scheitern eines wirksamen Vertragsschlusses. Dem hier vertretenen Einteilungsmodus nahestehend Wiedemann, in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 128 ff: „Verhinderung des Vertragsschlusses oder Verwendung eines unwirksamen Vertrages", unter vorangegangenem Hinweis (Rdnr. 120) auf den Vertragsbezug dieser Pflichten, sowie Löwisch, in: Staudinger, BGB, Vorbemerkungen zu §§ 275 ff. Rdnr. 53. Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 184 ff. faßt den hier in Rede stehenden Komplex als „Verhandlungstreuepflicht" zusammen. 49 Zumindest eine Vermutung in dieser Richtung legen die den Entscheidungen BGHZ 71, S. 386 ff.; 76, S. 343 ff. zugrundeliegenden Sachverhalte nahe, in denen es jeweils zu dem Zeitpunkt zum Abbruch der Vertragsverhandlungen zwischen einer Gemeinde und einem bauwilligen Investor gekommen war, als die Gemeinde ihre Planungsabsichten in rechtlich zulässiger Weise, aber im Widerspruch zu den von dem Investor verfolgten und zur vertraglichen Umsetzung vorgesehenen Zwecken änderte. 50 Gegenseitige Loyalität der Verhandlungspartner sieht auch Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, S.219, als wichtigen Bestandteil des vorvertraglichen PflichtengefÜges an. Sie hätte sich nach den von der Rechtsprechung angelegten Maßstäben etwa in den Fällen von BGHZ 71, S. 386 ff. (S.396f.); 76,S. 16ff.(S.24) in einer Aufklärung des anderen Teiles über die dem planmäßigen Fortgang der Vertragsverhandlungen im Wege stehenden Hindernisse verwirklichen müssen. 51 In der Praxis des Privatrechts wird der Bezug solcher Pflichten zum Inhalt des späteren Vertrages auch daran deutlich, daß immer wieder Grenzfälle einer Entscheidung zugeführt werden müssen, in denen vorvertragliche Bindungen und solche, die hinsichtlich einer ordnungsgemäßen Leistungserbringung aus dem abgeschlossenen Vertrag folgen, dogmatisch in Einklang zu bringen sind. Zu den einzelnen Vertragstypen des BGB und ihrem Verhältnis zur culpa in contrahendo haben Rechtsprechung und Wissenschaft feinverästelte und häufig vor allem ergebnisorientierte Differenzierungen entwickelt, die etwa von Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 276 Rdnr. 80 ff. und Wiedemann , in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 249 ff. dargestellt werden. Das Verwaltungsvertragsrecht sollte den Vorteil nutzen, der sich hier aus der Abwesenheit eines geschriebenen detaillierten Leistungsstörungsrechts (dazu allgemein Bauer, Anpassungsflexibilität, S. 284 f.) ergibt, und Pflichtverstöße im zeitlichen Rahmen des vorvertraglichen Schuldverhältnisses von vornherein allein nach dessen Regeln lösen, um die leidige Abgrenzungsproblematik zu vermeiden. Vgl. zu diesem Problemkreis auch noch unten § 191. 52 Vgl. allgemein zu vorvertraglichen Aufklärungspflichten des Privatrechts Stephan Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluß, 1989 (dort - S. 4 -
§ 17 Die Struktur des vorvertraglichen PflichtengefÜges
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spielsweise die in den Gesamtzusammenhang vorvertraglich geschuldeter Informationen, Offenbarungen und Hinweise gehörigen Pflichten auf, deren Nichtbeachtung zur Folge hat, daß eine Partei sich in einer Weise vertraglich bindet, der sie bei ordnungsgemäßem Verhalten der anderen Seite nicht oder nur mit einem anderen Inhalt zugestimmt hätte53. 4. Zum Kontrahierungszwang Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang noch auf die stärkste, zugleich vertragsabschluß- und vertragsinhaltsbezogene, die vollständige Realisierung eines zukünftigen Vertrages bezweckende vorvertragliche Pflicht: Gerade das öffentliche Recht erlegt seinen Adressaten häufig auf, bestimmte inhaltlich vorgezeichnete Verträge auf die Initiative eines der zukünftigen Vertragspartner hin abzuschließen, ohne daß der so in Anspruch Genommene sich dem widersetzen könnte54. Ein derartiger Kontrahierungszwang 55 gibt dem gesamten vorvertraglichen Pflichtenbündel ein eigenes, besonderes Gepräge, weil das Rechtsverhältnis zwischen den zukünftigen Vertragspartnern viel stärker am Erfolg der Vertragsverhandlungen orientiert sein muß 56 . Dadurch werden die vorvertraglichen Verhaltensspielräume erheblich eingeengt57; entsprechend verdichtet ist die Pflichtenlage. Eine ähnliche, wenn auch abgeschwächte beschränkende Wirkung erzielt das öffentliche Vertragsrecht zuweilen dadurch, daß es für die Ablehnung des Vertragsschlusses gewisse Gründe normativ ausschließt: So darf ein Landkreis gegenüber einem Träger der freien Wohlfahrtspflege den Abschluß einer Pflegesatzvereinbarung 58 nicht deswegen verweigern, weil nach Auffassung des Landkreises kein Bedürfnis für die Ein-
audi Hinweise zur schwankenden Terminologie, die mit den Bezeichnungen „Belehrungs-", „Aufklärungs-", „Offenbarungs-", „Hinweis-", „Warn-" oder „Informationspflichten" meist keine sachliche Differenzierung anstrebt). 53 BGH, NVwZ 1982, S. 145 ff. (S. 147); Jäckle, NJW 1990, S. 2520 ff. (S. 2522). 54 Vgl. etwa § 6 Abs. 1 EnWG. 55 Er ist auch dem Verwaltungsvertragsrecht nicht völlig fremd (vgl. Klaus Obermayer, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl., 1990, § 54 Rdnr. 57 ff.) und kann als Pflicht des Bürgers aus einem kommunalrechtlich begründeten Anschluß- und Benutzungszwang (vgl. etwa § 11 BWGO; Art. 24 Abs. 1 Nr. 2, 3 BayGO; § 14 SächsGO) folgen, soweit das Benutzungsverhältnis seine nähere Ausgestaltung durch eine vertragliche Regelung erfährt. 56 Zum Kontrahierungszwang allgemein Franz Bydlinski, Zu den dogmatischen Grundfragen des Kontrahierungszwanges, AcP 180 (1980), S. 1 ff.; Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 130 ff. (zum Verhältnis zum vorvertraglichen Schuldverhältnis S. 139); Wolfgang Kilian, Kontrahierungszwang und Zivilrechtssystem, AcP 180 (1980), S. 47 ff. 57 Vgl. für das Privatrecht Wiedemann , in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 128. Auf mit dem Kontrahierungszwang regelmäßig einhergehende Einschränkungen inhaltlicher Gestaltungsmöglichkeiten, die sich notwendigerweise auch schon bei den Vertragsverhandlungen auswirken, weist Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 131, hin. 58 Rechtsgrundlage für derartige Vereinbarungen ist § 93 BSHG.
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4. Kap.: Der Inhalt vorvertraglicher Schuldverhältnisse
richtung besteht, die der Träger der freien Wohlfahrtspflege betreibt und deren Finanzierung die Vereinbarung absichern soll 59 . 5. Fazit Als Ergebnis dieser Untersuchung des Begriffs „Vertragsbezug" und seines Aussagegehalts für eine Systematisierung vorvertraglicher Pflichten lassen sich somit zwei hierfür bedeutsame Erkenntnisse festhalten: Zum einen ist damit ein erstes Kriterium in Form eines flexiblen Maßstabes für die Einteilung aller vorvertraglichen Bindungen gefunden 60. Zum anderen handelt es sich um eine spezifisch auf die Vertragsdogmatik zugeschnittene Maßgabe, denn auf der Grundlage des vertragsspezifischen Kontakts wird im folgenden noch genauer ein vertragsbezogenes Pflichtenprogramm zu entwickeln sein, das sich wegen der gleichmäßigen Belastung und der damit korrespondierenden Berechtigung aller Beteiligten und im Hinblick auf seinen Inhalt nicht unerheblich von sonstigen Verwaltungsrechtsverhältnissen - auch soweit es sich um „Vorverhältnisse" 61 handelt - unterscheidet.
§ 18 Vertragsabschlußbezogene Pflichten I. Verfahrens- und materiellrechtliche Pflichten 1. Verwaltungsverfahrensrecht
als vertragsabschlußbezogenes
Recht
Die im vorangegangenen Abschnitt dargestellte Gliederung der vorvertraglichen Pflichten nach ihrem Vertragsbezug ist nunmehr insoweit zu ergänzen, als sie auch gemäß der für das Verwaltungsrecht bedeutsamen Dichotomie von Verfahrensrecht und materiellem Recht systematisch erfaßt werden können62 und dieser Einteilungsmodus mit dem hier entwickelten wenn schon nicht in völligen 59
So BVerwGE 94, S. 202 ff. (S. 205 ff). Diese Bindung der Verhandlungspartner schrankt die vorvertraglichen Handlungsspielräume der staatlichen Seite in inhaltlicher Hinsicht ein. Sie darf nicht mit dem weiter unten im Text zu erörternden Verbot des Abbruchs der Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund verwechselt werden, welches andere Voraussetzungen hat, namentlich die auf einer Seite bestehende Sicherheit hinsichtlich des zukünftigen Vertragsschlusses, auf die es hier nicht ankommt. 60 Dieses ist auch nicht nur von rein heuristischem Interesse, sondern hat durchaus rechtliche Konsequenzen: So ist im Privatrecht anerkannt, daß mit zunehmendem inhaltlichem Vertragsbezug gewisse Regeln des späteren Vertrages Vorwirkungen entfalten und etwa das Maß der erforderlichen Sorgfalt im Einzelfall senken können (vgl. BGHZ 93, S. 23 ff. [S. 27 ff.] und zur Übertragbarkeit dieser Grundsätze ins Verwaltungsvertragsrecht unten § 20 III). 61 Zu diesen allgemein Hans Peter Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl., 1993, S. 267 (Rdnr. 814). 62 In diesem Sinne Bauer, Anpassungsflexibilität, S. 259 ff.
§ 18 Vertragsabschlußbezogene Pflichten
143
Einklang, so doch wenigstens in ein Verhältnis störungsfreien Nebeneinander gebracht werden muß. Dabei ist zunächst daraufhinzuweisen, daß die verfahrensrechtlichen Pflichten als Bestandteil vorvertraglicher Schuldverhältnisse stets dadurch einen materiellen „Einschlag" erhalten, daß ihnen die Möglichkeit der Entstehung sekundärer Schadensersatzansprüche zusätzliches materiellrechtliches Gewicht verleiht 63. Generell weist die bisher nicht gelungene präzise Abgrenzung von Verfahrens- und materiellem Recht darauf hin, daß hier „mit gleitenden Übergängen zu rechnen ist" 64 . Dennoch läßt sich bei einigen Bindungen der Verhandlungspartner zumindest ein verfahrensrechtlicher Schwerpunkt feststellen: Zu vergegenwärtigen hat man sich zu diesem Zweck, daß Verwaltungsverfahren „planvoll geordnete Vorgänge der Informationsgewinnung und -Verarbeitung, die in der Verantwortung eines Trägers öffentlicher Verwaltung ablaufen und der Hervorbringung administrativer Entscheidungen dienen"65, darstellen. Unter diesen allgemeinen Begriff läßt sich zumindest die vorvertragliche Tätigkeit staatlicher Beteiligter zu einem guten Teil, partiell aber auch diejenige des in Vertragsverhandlungen begriffenen Bürgers subsumieren. Der Gesichtspunkt der Informationsgewinnung spielt bei den vorvertraglichen Informations- und Aufklärungspflichten eine entscheidende Rolle. Soweit das Verfahrensrecht gesetzlich geregelt ist, stehen sich hier der für die staatliche Seite geltende Untersuchungsgrundsatz66 und die allgemeine Beratungs- und Betreuungspflicht 67 sowie Mitwirkungspflichten beteiligter Bürger 68 gegenüber. Als vom Gesetz ausdrücklich dem Verwaltungsverfahren zugewiesene Materie gehören sie nach den soeben dargestellten Kriterien insoweit zu den „vertragsabschlußbezogenen" Pflichten, als sie für das Zustandekommen eines möglichen späteren Vertrages bedeutsame Umstände erst zutage fördern und dabei allgemein für geordnete Verfahrensabläufe sorgen sollen.
63 Bauer, Anpassungsflexibilität, S. 260 f.; Elsa Güttier, Tagungsbericht, in: Die Entwicklung des öffentlichen Rechts, Berichte über die Arbeitskreise und die Podiumsdiskussion beim 7. Deutschen Verwaltungsrichtertag in Berlin, DVB1. 1983, S. 676 ff. (S. 688). 64 Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, S. 626 (§ 70 Rdnr. 5). 65 Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, S. 624 (§ 70 Rdnr. 1). 66 § 24 VwVfG. Die aus dieser Norm einer beteiligten Behörde erwachsenden Pflichten können aber bei bestimmten Vertragstypen eingeschränkt sein; vgl. Bonk> in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 62 Rdnr. 5. Zur „Sachverhaltsverantwortung" beteiligter Behörden aus § 24 VwVfG ferner Jürgen Punke, Verwaltungshandeln durch Vertrag, o. J., S. 60. 67 Diese ist für beteiligte Behörden teilweise in § 25 VwVfG gesetzlich festgelegt und konkretisiert. Die Anwendbarkeit dieser Norm im Verwaltungsvertragsrecht über die als „Transformator" dienende Vorschrift des § 62 VwVfG wird weithin bejaht; siehe etwa Hans Meyer, in: ders./Hermann Borgs-Maciejewski, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl., 1982, § 62 Rdnr. 4. Daher ist ihre Sanktionierung durch einen Schadensersatzanspruch im Rahmen eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses nur folgerichtig (so auch Obermayer, VwVfG, § 62 Rdnr. 60). 68 § 26 Abs. 2 VwVfG. Vgl. hierzu allgemein Klaus Grupp, Mitwirkungspflichten im Verwaltungsverfahren, VerwArch 80 (1989), S.44ff. (zum VwVfG insbesondere S.50ff); Klaus-Dieter Schromek, Die Mitwirkungspflichten der am Verwaltungsverfahren Beteiligten - eine Grenze des Untersuchungsgrundsatzes?, 1989.
144
4. Kap.: Der Inhalt vorvertraglicher Schuldverhältnisse 2. Vertragsabschlußbezogene
vorvertragliche
Verfahrenspflichten
Bei alledem ist freilich zu beachten, daß die Beteiligten keine allgemeine Verfahrens- und VertragsabschlußfÖrderungspflicht trifft, sondern nur im einzelnen rechtlich zu begründende, an ihren Interessen und am Zweck des jeweiligen vorvertraglichen Verhältnisses orientierte Verfahrensbindungen den verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Vorgaben auf diesem Sektor genügen69. Dennoch lassen sich hier einige Verhaltensgebote für beide Seiten festmachen, die nur zum Teil in den genannten gesetzlichen Vorschriften ihre Grundlage finden, sonst jedoch unmittelbar auf den Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben zurückzuführen sind. a) Einzelne Verfahrenspflichten Als allgemeine Pflicht im Rahmen eines ihre rechtliche Gleichordnung respektierenden Verfahrens dürfen die Verhandlungspartner einander keine Umstände vorenthalten, die als Tatsachengrundlage für die Entscheidung des jeweils anderen Teiles für oder gegen den Vertragsabschluß von erkennbarer Bedeutung sind70. Des weiteren werden auch noch die in § 62 S. 1 VwVfG in Bezug genommenen Verfahrensvorschriften im vorvertraglichen Schuldverhältnis relevant, so weit der Anwendungsbereich des VwVfG reicht. Zu nennen sind insbesondere die Befangenheitsvorschriften 71 und die normierten Beratungsund Auskunftspflichten 72; hingewiesen sei auf die Diskussion um die Anwendbarkeit der Vorschrift des § 28 VwVfG (Anhörung Beteiligter), deren inhaltliche Aussage aber jedenfalls im Rahmen des vorvertraglichen Schuldverhältnisses zur Wirksamkeit gelangen muß, wie es ja auch dem traditionellen Verständnis des Rechtsinstituts Vertrag als Ergebnis eines Aushandelungsprozesses entspricht73. Eine verfahrensrechtliche Pflicht eigener Art folgt aus § 58 VwVfG, der vorvertragliche Mitwirkungsrechte Dritter konstituiert74. Da die 69
Vgl. Sielkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 9 Rdnr. 22; § 26 Rdnr. 32 f. BGHZ 71, S. 386 ff. (S. 396 ff.); BGHZ 76, S. 16 ff. (S. 23 f.); BGH, DVB1. 1986, S. 409 f. (S. 410); BayObLGZ 1976, S. 47 ff. (S. 53); OVG Lüneburg, BRS 40, S. 76 ff. (S. 78 f.); vgl. ferner für vorvertragliche Pflichten bei einem privatrechtlichen Kooperationsvertrag zwischen Gemeinde und Privaten BGH, NVwZ 1982, S. 145 ff. (S. 147). In diesen Entscheidungen wird dem vorvertraglichen Schuldverhältnis eine dem jeweiligen Stand der Verhandlungen angepaßte Offenbarungspflicht hinsichtlich der für das weitere Verfahren wesentlichen Umstände entnommen. 71 §§20,21 VwVfG. 72 § 25 VwVfG. Vgl. Spannowsky, Grenzen, S. 244. 73 Vgl. Bauer, Anpassungsflexibilität, S.256. Wer wie Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 62 Rdnr. 5 und Meyer, in: ders./Borgs-Maciejewski, VwVfG, § 62 Rdnr. 4 die Heranziehung von § 28 VwVfG insoweit für entbehrlich hält, stützt dies folgerichtig darauf, daß „das Vertragshandeln die in § 28 angesprochene 'Gelegenheit, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern', von selbst ergibt" (Meyer, aaO.). 74 Zur hier notwendigen „rechtsdogmatischen Abgleichung" mit § 13 VwVfG Krebs, VVDStRL 52 (1993), S. 248 ff. (S. 262). 70
§ 18 Vertragsabschlußbezogene Pflichten
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Rechtsfolge eines unter Verletzung dieser Vorschrift zustandegekommenen Vertrages seine schwebende Unwirksamkeit ist, wird unmittelbar aus dem Gesetz der vorrangige Bezug der Beteiligungspflicht zum Vertragsabschluß im Sinne der hier zugrundegelegten Gliederung deutlich. Beide Seiten sind zur Verwirklichung dieses Beteiligungsgebotes aufgerufen; insofern steht es hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen der im Privatrecht anerkannten vorvertraglichen Pflicht nahe, erforderliche Genehmigungen des Vertrages durch Dritte herbeizuführen und sich ihnen gegenüber stets fördernd, aber keinesfalls vereitelnd zu verhalten75. b) Besonderheiten der Rechtswirkungen von vorvertraglichen Verfahrenspflichten Auch im öffentlichen Vertragsrecht müssen die Grenzen Beachtung finden, die das kodifizierte Verwaltungsrecht der Bedeutung von Verfahrensfehlern zieht 76 . Zentrale Bedeutung hat hierbei die Norm des § 46 VwVfG, welche über § 59 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwVfG im Vertragsrecht Anwendung findet. Lediglich mit Verfahrens- und Formfehlern behaftete Verwaltungsverträge bleiben danach von der Nichtigkeitssanktion ausgenommen, die diese Vorschriften für gewisse Fallgruppen rechtswidriger Verträge anordnen. Daraus folgt zugleich, daß diese Verstöße gegen das Verfahrensrecht nach dem Willen des Gesetzgebers nicht mehr mit Stoßrichtung gegen die Wirksamkeit des Vertrages geltend gemacht werden sollen, sobald dieser geschlossen wurde. Dies gewinnt aber vor allem auf der im nächsten Kapitel zu behandelnden Rechtsfolgenseite vorvertraglicher Pflichten Bedeutung - vor Vertragsschluß beanspruchen alle Verfahrensvorschriften, soweit sie überhaupt im vorvertraglichen Schuldverhältnis sinnvoll anzuwenden sind, auch Geltung77. Damit sind diejenigen vorvertraglichen Pflichten angesprochen, deren Schwerpunkt im Verfahren liegt. Die übrigen in diesem Kapitel darzustellenden Bindungen der Verhandlungspartner sind -auch unter Berücksichtigung aller angesprochenen Abgrenzungsschwierigkeiten in diesem Bereich - materiell75 BGHZ 14, S. 1 ff. (S. 2); Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 189 f. mit Nachweisen aus der reichsgerichtlichen Rechtsprechung; Wiedemann , in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 143; Emmerich, in: Münchener Kommentar zum BGB, vor § 275 Rdnr. 87 f. Zum Ganzen auch noch unten § 18 III 4. 76 Dazu aus jüngerer Zeit Friedrich Schoch, Der Verfahrensgedanke im allgemeinen Verwaltungsrecht - Anspruch und Wirklichkeit nach 15 Jahren VwVfG, Die Verwaltung 25 (1992), S. 21 ff. (S. 44 ff.). 77 Dieses Ergebnis entspricht der gerade auch auf § 59 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwVfG gestützten Auslegung des § 46 VwVfG, nach der die Norm lediglich die Rechtsbeständigkeit des Verfahrensergebnisses bestärkt, die Rechtspflichten während des Verfahrens selbst jedoch unberührt läßt; vgl. dazu Peter Badura, Das Verwaltungsverfahren, in: Hans-Uwe Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl., 1995, S. 415 ff. (S. 481 f. [§ 38 Rdnr. 31]).
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4. Kap.: Der Inhalt vorvertraglicher Schuldverhältnisse
rechtlicher Natur oder lassen sich - wie die sogleich zu erörternden Form- und Vertretungsvorschriften - keiner der beiden Kategorien zweifelsfrei zuordnen. Indessen sind auch die Begriffspaare „verfahrensrechtlich - materiellrechtlich" und „vertragsabschlußbezogen - vertragsinhaltsbezogen" streng zu trennen, weil materiellrechtliche Bindungen ebenfalls nur einen Bezug zum Vertragsabschluß aufweisen können78 und außerdem die Verfahrenspflichten nur einen Teilbereich der abschlußbezogenen Verhaltensanforderungen darstellen79. Immerhin finden hier - nämlich bei den materiellrechtlichen Bindungen - aber auch zahlreiche auf den zukünftigen Vertragsinhalt bezogene Aufklärungspflichten 80 ihren Platz, die im Falle eines Vertragsschlusses in allenfalls leicht modifizierter Form als vertragliche Nebenpflichten fortwirken. Das Prinzip von Treu und Glauben knüpft sie vor allem an einen überlegenen Wissens- und Kenntnisstand hinsichtlich vertragswesentlicher Umstände81, weil und soweit hierdurch der Grundsatz rechtlicher Gleichordnung, der für das vertragliche Rechtsverhältnis von entscheidender Bedeutung ist, gefährdet wird 82 . Außerhalb einer derartigen materiellen Rechtfertigung gibt es auch im Verwaltungsvertragsrecht keine allgemeine Rechtspflicht zur Aufklärung über für eine Seite möglicherweise entscheidungswichtige Gegebenheiten83. Es bleibt damit festzuhalten, daß die von Randunschärfen und begrifflichen Unsicherheiten nicht freie Unterscheidung zwischen Verfahrens- und materiellrechtlichen Pflichten sich nicht bruchlos mit der hier zugrundegelegten Gliede78
Vgl. oben § 17 II 2 b im Hinblick auf die sogenannten Schutzpflichten. Dem Bereich „materiellrechtlicher Stabilisierungen" des Vertragsabschlusses ist zum Beispiel das Verbot des Abbruchs der Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund zuzurechnen 0Bauer, Anpassungsflexibilität, S. 261). 80 Umfang und Inhalt derartiger Pflichten - darauf sei zur Verdeutlichung bereits an dieser Stelle hingewiesen - lassen sich vor allem aus dem jeweiligen intendierten Vertragszweck ermitteln, der im Zusammenhang mit den Einfluß- und Risikosphären der Partner des konkreten vorvertraglichen Schuldverhältnisses gesehen werden muß (so auch Emmerich, in: Münchener Kommentar zum BGB, vor § 275 Rdnr. 79 ff.). So hat die Rechtsprechung im Vorfeld von Vertragsabschlüssen zwischen Gemeinden und Privaten mehrfach den ersteren die Pflicht auferlegt, den Kontrahenten über den für die Erreichung des Vertragszwecks maßgeblichen Stand der Bauleitplanung auf dem laufenden zu halten, weil ihnen hier eine besondere Sachkunde zukomme: BGHZ 71, S. 386 ff. (S. 396); BGH, NJW 1990, S. 1042 ff. (S. 1045) für Verträge auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts; BGH, NVwZ 1982, S. 145 ff. (S. 147) für solche privatrechtlichen Charakters. Zu diesem Problemkreis ferner Wolf gang Karehnke, Die rechtsgeschäftliche Bindung kommunaler Bauleitplanung - Zugleich ein Beitrag zur Wirksamkeit und Rückabwicklung öffentlich-rechtlicher Verträge, 1983, insbesondere S. 220 ff. 81 Vgl. hierzu die vorangegangene FN. 82 Zu unterschiedlicher „bargaining-power" und „Machtgeföllen", die auch rechtlich zu bewältigen sind, in kooperativen Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Bürger allgemein BVerwGE 42, S. 331 ff. (S. 342 f.); Albert Bleckmann, Verfassungsrechtliche Probleme des Verwaltungsvertrages, NVwZ 1990, S. 601 ff. (S. 607); Wolfgang Hoffmann-Riem, Selbstbindungen der Verwaltung, WDStRL 40 (1982), S. 187 ff. (S. 210 f.). 83 Siehe nur Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 62 Rdnr. 21. Diese Aussage beweist die Bedeutsamkeit der sorgfältigen und auf die jeweilige Situation bezogenen Herleitung einer konkreten Einzelpflicht aus der Rechtsgrundlage von Treu und Glauben. 79
§ 18 Vertragsabschlußbezogene Pflichten
147
rung der Pflichten nach ihrem Vertragsbezug harmonisieren läßt. Dies beruht jedoch auf der spezifischen Konstellation der vorvertraglichen Kooperation, die mit so allgemeinen Kategorien wie dem Begriff „Verfahrensrecht" eben nicht hinreichend erfaßt werden kann, sondern eigener, rechtsformbezogener Maßstäbe bedarf. Von diesen vertragsbezogenen Verhaltensanforderungen wird daher im folgenden die Rede sein.
Π. Form- und Vertretungsvorschriften A u f die Einhaltung gesetzlicher Formerfordernisse 84 haben im vorvertraglichen Schuldverhältnis beide Seiten zu achten 85 . Dem jeweils konkret Verhandelnden und Vertragschließenden muß Vertretungsmacht zustehen 86 . Diese beiden rechtlichen Anforderungen, deren Nichtbeachtung grundsätzlich die Rechtswirksamkeit eines Vertrages hindert, verdienen besonderes Augenmerk. Denn sie haben bei vorvertraglichen Aktivitäten auf staatlicher, insbesondere kommunaler Seite erhebliche praktische, durch eine Vielzahl von Gerichtsent-
84 In erster Linie ist hier § 57 VwVfG zu nennen; diese „Mindestform" kann jedoch strengeren Anforderungen (etwa der des § 313 S. 1 BGB [dessen Anwendung aber teilweise wiederum ausdrücklich ausgeschlossen wird, etwa durch § 159 Abs. 2 S. 2 BauGB]) weichen (Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 57 Rdnr. 12). Umstritten ist, was die „Schriftform" im einzelnen verlangt (zur Frage einer entsprechenden Anwendung des § 126 BGB etwa OVG Saarlouis, NJW 1993, S. 1612 ff. [S. 1612 f.]), insbesondere ob sie hier eine Unterzeichnung des Vertragstextes durch alle Parteien auf derselben Urkunde bedeutet (bejahend OVG Lüneburg, NJW 1992, S. 1404 ff. [S. 1405]; ablehnend Hans-Günter Henneke, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), Kommentar, 5. Aufl., 1996, § 57 Rdnr. 2.4 sowie für den Sonderfall der einseitigen Verpflichtung des privaten Vertragspartners auch BVerwGE 96, S. 326 ff. [S. 332 ff.]); dazu umfassend Oliver Weihrauch, Verwaltungsrechtlicher Vertrag und Urkundeneinheit - Zur Anwendbarkeit des § 126 Abs. 2 Satz 1 BGB auf den verwaltungsrechtlichen Vertrag, VerwArch 82 (1991), S. 543 ff. Auf öffentlich-rechtliche Verträge unter Privaten ist § 57 VwVfG allerdings nicht anwendbar (BVerwG, DVB1. 1992, S. 1295 f.). 85 Emmerich, in: Münchener Kommentar zum BGB, vor § 275 Rdnr. 84 unter ausdrücklicher Anknüpfung an das Prinzip von Treu und Glauben. Die Möglichkeit von Schadensersatzansprüchen aus culpa in contrahendo bei Verletzung dieser Pflicht im Rahmen verwaltungsrechtlicher Verträge setzen OVG Münster, Urteil vom 11.10.1991, 3 A 2619/87 (nicht veröffentlicht), Umdruck S. 11 und OVG Lüneburg, NJW 1992, S. 1404 ff. (S. 1405) voraus. Hans Meyer, Das neue öffentliche Vertragsrecht und die Leistungsstörungen, NJW 1977, S. 1705 ff. (S. 1712) sieht hierin sogar den Hauptanwendungsfall der culpa in contrahendo im verwaltungsrechtlichen Vertrag. 86 Diese vorvertragliche Pflicht wurde im Bereich der Tätigkeit von Gemeinden auf dem Gebiete des Privatrechts von der Rechtsprechung vielfach bestätigt; so etwa von BGHZ 6, S. 330 ff. (S. 333 ff); 21, S. 59 ff. (S. 65); 92, S. 164 ff. (S. 175 f.); BGH, NJW-RR 1992, S. 1435 f. (S. 1436); vgl. ferner Jäckle, NJW 1990, S. 2520 ff. (S. 2523 f.) m. w. N. Für die Rechtslage im Vorfeld eines Verwaltungsvertrages kann nichts anderes gelten (OVG Münster, DÖV 1971, S. 276 ff. [S. 277]; vgl. weiter BGH, NVwZ 1990, S. 403 ff. [S. 406] als zwar ausschließlich mit Hilfe von privatrechtlichen Normen entschiedenen Fall, der aber ein verwaltungsrechtliches Vertragspreis, nämlich die Übertragung eines Wasserrechts, zum Gegenstand hatte). Einen Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo in diesen Fällen bejaht auch Klaus Obermayer, Leistungsstörungen beim öffentlich-rechtlichen Vertrag, BayVBl. 1977, S. 546 ff. (S. 551).
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4. Kap.: Der Inhalt vorvertraglicher Schuldverhältnisse
Scheidungen dokumentierte Bedeutsamkeit gewonnen, wobei in Teilbereichen eine Überlappung zu konstatieren ist: Bei der Anbahnung privatrechtlicher Vertragsverhältnisse werden traditionell auch solche Vorschriften unter die Regelungen der rechtsgeschäftlichen Vertretung gefaßt, die bei unbefangener Betrachtung eher die Form des Vertrages betreffen 87 . Die Sonderstellung 88 derartiger Zuständigkeitsnormen findet auf der Rechtsfolgenseite darin ihre Fortsetzung, daß die Rechtsprechung im Falle ihrer Verletzung grundsätzlich nicht zuläßt, daß ein danach unwirksamer 89 Vertrag unter Berufung auf Treu und Glauben dennoch Erfüllungspflichten auslöst, weil die dadurch bewirkte Überspielung dieser Vorschriften unzulässig sei 9 0 . I m Hinblick auf die Rechtsfolgen eines in diesem Zusammenhang erfolgten Verstoßes gegen vorvertragliche Pflichten bedeutet dies, daß ein Geschädigter nur das negative, nicht das positive Interesse beanspruchen kann, weil durch die Zubilligung des letzteren wiederum der von der Rechtsprechung postulierte Vorrang der Vertretungsnormen
87 So ζ. B. BGHZ 32, S. 375 ff. (S. 380 ff.); 92, S. 164 ff. (S. 174); 97, S. 224 ff. (S. 226); 98, S. 148 ff. (S. 155); Spannowsky, Grenzen, S. 166. Grund dieser Qualifikation ist der Umstand, daß die hier einschlägigen Regelungen zumeist dem Kommunalrecht entstammen (vgl. etwa die Unterzeichnungsvorschriften für Verpflichtungserklärungen der Gemeinden in § 54 BWGO; Art. 38 Abs. 2 BayGO; § 60 SächsGO) und die insoweit zuständigen Landesgesetzgeber wohl die Kompetenz zum Erlaß von Zuständigkeits-, nicht aber für (privatrechtliche) Formvorschriften innehaben (Art. 55 EGBGB). 88 Um insoweit einen Gesamteindruck vermitteln zu können, ist ein Vorgriff auf den Gegenstand des nächsten Kapitels erforderlich. Vgl. im übrigen, auch zu den sogleich im Text verwendeten Begriffen „negatives" und „positives" Interesse, unten §§21 II 3,22 II 3 b, c. 89 Hier finden die §§ 177 ff. BGB entsprechende Anwendung, so daß einer anfänglichen „schwebenden" Unwirksamkeit durch Nachholung des fehlenden Rechtsakts - etwa der zweiten Unterschrift bei einer ζ. B. nach § 54 Abs. 2 3. Alt. BWGO erforderlichen Gesamtvertretung - gegebenenfalls noch abgeholfen werden kann; vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 57 Rdnr. 13; Karl Otto Bergmann, Die rechtsgeschäftliche Vertretung der Gemeinden in den neuen Bundesländern, LKV 1995, S. 169 ff. (S. 172). 90 BGHZ 6, S. 330 ff. (S. 333); 92, S. 164 ff. (S. 174); BGH, NJW 1972, S. 940 ff. (S. 941); NVwZ 1990, S. 403 ff. (S. 405 f.). Eine Ausnahme macht die Spruchpraxis (vgl. neben den soeben genannten Entscheidungen noch BGHZ 21, S. 59 ff. (S. 65 f.); BGH, NJW 1980, S. 117 ff. (S. 118); NJW 1984, S. 606 f. (S. 607); NJW 1994, S. 1528 ff. (S. 1528); NJW 1995, S. 3389 ff. (S. 3390); OLG Frankfurt, NJW-RR 1989, S. 1425 ff. (S. 1426); NJW-RR 1989, S. 1505) nur in Fällen, in denen die zuständigen Organe den Vertragsinhalt zwar gebilligt, aber ihre Erklärungen nicht schriftlich oder unter Verstoß gegen sonstige Förmlichkeiten abgegeben hatten. Hier kann der Verhandlungspartner Erfüllung der vertraglichen Pflichten verlangen, freilich ohne daß dieses Ergebnis immer konsistent begründet würde (vgl. etwa BGH, NVwZ 1990, S. 403 ff. [S. 405], wo lediglich davon die Rede ist, der Verstoß gegen die Vertretungsvorschriften werde „überwunden"); damit nähert sich die tatsächliche dogmatische Behandlung der fraglichen Normen wieder derjenigen von Formvorschriften an (Kai Habermehl, Die Vertretung der Kommune, DÖV 1987, S. 144 ff. [S. 149]; ferner Karlheinz Boujong, Vertretungsbefugnis und Vertretungsmängel im öffentlichen Recht, WiVerw 1979, S. 48 ff. [S. 53 f.]). Einen dritten Lösungsweg schlägt das OLG München, NVwZ 1985, S. 293 f. (S. 294) ein: Das Gericht bejaht einen Anspruch des privaten Partners des unwirksamen Vertrages aus dem Rechtsinstitut der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB), da er seine vermeintlichen vertraglichen Pflichten mit Duldung und unter Überwachung der beklagten Gemeinde erbracht habe.
§ 18 Vertragsabschlußbezogene Pflichten
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mißachtet würde 9 1 . Bei einem Verstoß gegen genuine Formvorschriften jedoch können existenzgefährdende oder sonst „schlechthin unerträgliche" Folgen einer Nichterfüllung mittels des in § 242 BGB positivierten Prinzips und einer darauf gestützten Fiktion der Wirksamkeit des Vertrages verhindert werden 9 2 . Eine derartige Differenzierung hinsichtlich der Voraussetzungen und Rechtsfolgen der notwendigen Form ist indessen bei der Anbahnung öffentlichrechtlicher Verträge nicht erforderlich 93 . Daher ist es auch zulässig, das gesamte Spektrum an Rechtsfolgen einzusetzen, welches das Prinzip von Treu und Glauben eröffnet, falls es im Zusammenhang mit der Einhaltung der Form zu Pflichtwidrigkeiten kommt 9 4 .
ED. Sonstige vertragsabschlußbezogene Pflichten I m vorangegangenen Paragraphen wurden die vertragsabschlußbezogenen Pflichten bereits überblicksweise aufgezeigt und angesprochen 95 . A u f sie ist nunmehr genauer einzugehen 96 .
91 BGHZ 92, S. 164 ff. (S. 174 f.); BGH, NVwZ 1990, S. 403 ff. (S. 406); NJW-RR 1992, S. 1435 f. (S. 1436). Zustimmend Emmerich, in: Münchener Kommentar zum BGB, vor § 275 Rdnr. 61; Wiedemann , in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 194,211. Vgl. dazu unten § 22 II 3 b. 92 BGHZ 21, S. 59 ff. (S. 65 f.); 85, S. 315 ff. (S. 318 f.) als Beispiele aus der Spruchpraxis. Eine ausführliche Darstellung der Entwicklung der Rechtsprechung zu dieser Frage bis 1960 findet sich bei Weber, in: Staudinger, BGB, 11. Aufl., § 242 Rdnr. D 421, 427 ff.; die Kritik der Privatrechtswissenschaft an dieser Judikatur faßt Hermann Förschler, in: Münchener Kommentar zum BGB, Band 1, 3. Aufl., 1993, § 125 Rdnr. 52 zusammen. Vgl. weiter Karl Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Allgemeiner Teil, 14. Aufl., 1987, S. 145 ff. Eine Übernahme der hier entwikkelten Grundsätze ins Verwaltungsvertragsrecht findet allerdings nur teilweise Zustimmung, so in der Rechtsprechung durch VGH Mannheim, VB1BW 1986, S. 462 ff. (S.463); Urteil vom 10.5.1989, 3 S 3437/88 (nicht veröffentlicht), Umdruck S. 13 f.; OVG Lüneburg, NJW 1992, S. 1404 ff. (S. 1406) sowie bei Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 57 Rdnr. 16; Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 125 Rdnr. 5. 93 Habermehl, DÖV 1987, S. 144 ff. (S. 148); Richard Kunze/Otto Bronner/Alfred Katz/Konra v.Rotberg, Gemeindeordnung für Baden-Württemberg, Kommentar (Loseblatt), 4. Aufl., § 54 (Stand: August 1984) Rdnr. 13; EdzardSchmidt-Jortzig/Sönke Petersen, Deliktische Haftung der Gemeinde filr betrügerische Vertretungshandlungen ihres Bürgermeisters - BGH, NJW 1986,2939, JuS 1989, S. 27 ff. (S. 28). Hier können die im Kommunalrecht erforderlichen Förmlichkeiten also als Formvorschriften i. S. von § 57 VwVfG behandelt werden; ihre Verletzung zieht grundsätzlich die Rechtsfolgen aus §§59 LVwVfG, 125 BGB nach sich. Unbefriedigend an dieser Lösung bleibt, daß dieselben Rechtsnormen - möglicherweise in inhaltlich durchaus ähnlichen Rechtsverhältnissen einmal als Form-, einmal als Vertretungsregelungen angesehen werden. Nicht nachvollzogen wird diese Differenzierung von Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 57 Rdnr. 13. 94 Vgl. zum Verhältnis von Formerfordemissen und dem Prinzip von Treu und Glauben im Verwaltungsvertragsrecht weiter Jürgen Fluck, Grundprobleme des öffentlich-rechtlichen Vertragsrechts - Dargestellt anhand beamtenrechtlicher Entscheidungen, Die Verwaltung 22 (1989), S. 185 ff. (S. 206 f.), der zur Zurückhaltung beim Beiseiteschieben des Formerfordernisses mahnt. 95 Die vertragsabschlußbezogenen Verfahrenspflichten wurden soeben im Text bereits dargestellt; sie bedürfen daher keiner nochmaligen Erörterung. 96 In der Bezeichnung der einzelnen Fallgruppen orientiert sich die folgende Darstellung in erster Linie an der differenzierenden, außerordentlich präzisen Begrifflichkeit von Wiedemann , in: Soergel, vor § 275 BGB Rdnr. 128 ff.
150
4. Kap.: Der Inhalt vorvertraglicher Schuldverhältnisse 1. Pflichtwidriger
Eintritt
in Vertragsverhandlungen
Pflichtwidrig mag in manchen - seltenen - Fällen bereits der Eintritt in Vertragsverhandlungen sein; dann nämlich, wenn der Abschluß eines Vertrages nach Lage der Dinge von vornherein nicht sinnvoll oder auch nur möglich ist und dieses vorprogrammierte Scheitern der Absicht oder dem Wissen eines Verhandlungspartners entspricht. In derartigen Fällen ist es ein Gebot der Redlichkeit, den anderen gar nicht erst zu Aufwendungen irgendwelcher Art zu veranlassen97. 2. Der Abbruch der Vertragsverhandlungen
ohne triftigen
Grund
Geradezu prototypisch für die hier zu erörternde Fallgruppe ist das Verbot des Abbruchs von Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund 98. Hierin findet sich das Mindestmaß an Loyalitätserwartung vertypt, welches das Prinzip von Treu und Glauben an die Partner eines vertragsbezogenen Rechtsverhältnisses heranträgt. Zwar binden sie sich endgültig erst durch den Vertragsschluß, während es ihnen vor diesem Zeitpunkt grundsätzlich freisteht, von der intendierten Verpflichtung Abstand zu nehmen99. Dies muß unabhängig von dem für den geplanten Vertrag gültigen Rechtsregime gelten, weil mit dem Bild des vorvertraglichen Verhältnisses als einer gegenseitigen Annäherung, des Austausche der Positionen, der Information über Absichten und Pläne untrennbar die Möglichkeit des Scheiterns verbunden ist 100 . Diese faktische Grunddisposition vor-
97 Wolfgang Küpper, Das Scheitern von Vertragsverhandlungen als Fallgruppe der culpa in contrahendo, 1988, S. 39, 290; Wiedemann , in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 129. Vgl. ferner BGH, LM § 276 (Fa) BGB Nr. 53 und zu dieser Entscheidung unten FN 179. 98 Die Existenzberechtigung dieser Pflicht ist im Privatrecht nicht unumstritten, insbesondere wird ihr vorgeworfen, daß sie die Vertragsfreiheit zu sehr einschränke; vgl. etwa v. Bar, JuS 1982, S. 637 ff. (S. 638 f.); Medicus, Verschulden, S. 497; Rudolf Nirk, Culpa in contrahendo - eine geglückte richterliche Rechtsfortbildung - quo vadis?, in: Wolfgang Hefermehl/Rudolf Nirk/Harry Westermann (Hrsg.), Festschrift für Philipp Möhring zum 75. Geburtstag, 1975, S. 71 ff. (S. 83 f.). Angesichts der im folgenden darzustellenden engen Voraussetzungen der Haftung lassen sich diese Bedenken aber ausräumen. Sie ist daher zu Recht auch für die Praxis des Verwaltungsvertragsrechts anerkannt (vgl. nur BGH, NJW 1990, S. 1042 ff. [S. 1045]). Allgemein zu dieser Fallgruppe Götz v. Craushaar, Haftung aus culpa in contrahendo wegen Ablehnung des Vertragsabschlusses - BGH, LM § 276 (Fa) BGB Nr. 28, JuS 1971, S. 127 ff.; Barbara Grunewald, Das Scheitern von Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund, JZ 1984, S. 708 ff.; Küpper, Das Scheitern (S. 287: Bejahung der Geltung der speziellen Haftungsregeln auch im öffentlichen Vertragsrecht); Hans Stoll, Haftungsfolgen fehlerhafter Erklärungen beim Vertragsschluß, in: Erik Jayme/Gerhard Kegel/ Marcus Lutter (Hrsg.), lus inter nationes, Festschrift für Stefan Riesenfeld aus Anlaß seines 75. Geburtstages, 1983, S. 275 ff.; Martin Weber, Haftung für in Aussicht gestellten Vertragsabschluß, AcP 192 (1992), S. 390 ff. (S. 427: ausdrückliche Einbeziehung öffentlich-rechtlicher Rechtsverhältnisse in den Anwendungsbereich der Haftungsgrundsätze). 99 Vgl. für das Privatrecht Emmerich, in: Münchener Kommentar zum BGB, vor § 275 Rdnr. 160; Löwisch, in: Staudinger, BGB, Vorbemerkungen zu §§ 275 ff. Rdnr. 66. 100 Bauer, Anpassungsflexibilität, S. 257.
§ 18 Vertragsabschlußbezogene Pflichten
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vertraglichen Handelns kann das Verwaltungsrecht nicht unberücksichtigt lassen; sie bildet daher auch hier die Basis für die weiteren Überlegungen. Die Grenze solcher Freiheit zieht das Privatrecht seinem Ausgangspunkt entsprechend sehr weit: Erst durch die Erweckung der sicheren Erwartung des Vertragsabschlusses, verbunden mit dem Fehlen eines triftigen Grundes für den Verhandlungsabbruch, wird sie erreicht 101. Nur so kann dem Regel-AusnahmeVerhältnis zwischen vorvertraglicher Ungebundenheit und deren aus Treu und Glauben folgenden Einschränkungen Rechnung getragen werden. Dieser Ableitungszusammenhang läßt sich nicht ohne weiteres ins Verwaltungsvertragsrecht übertragen, denn dort handelt die staatliche Seite nicht in Ausübung von Freiheit, sondern lediglich innerhalb der vom Recht umschlossenen Spielräume 1 0 2 . Dennoch führt die Rechts- und Gesetzesgebundenheit des Verwaltungshandelns im Ergebnis nicht zu einer Pflichtenvermehrung: Das Prinzip von Treu und Glauben als die maßgebliche rechtliche Grundlage fordert lediglich innere Konsequenz des staatlichen Handelns103, die vom ersten vertragsspezifischen Kontakt an die Verhandlungen prägen muß, und ein solches Mindestmaß an Loyalität ist dem privaten Verhandlungspartner ebenfalls abzuverlangen. In die Rechtspraxis umgesetzt heißt dies, daß ein Verhandlungspartner den zukünftigen Vertragsabschluß nicht zunächst als sicher hinstellen und sodann die Verhandlungen ohne triftigen Grund abbrechen darf. Vor einer Haftung im Rahmen dieser Fallgruppe stehen damit zwei Voraussetzungen104, die ernstgenommen werden müssen, um die im Vorfeld von Verwaltungsverträgen eröffnete Flexibilität nicht unnötig einzuengen. Im einzelnen: a) Aufklärung über die Bereitschaft zum Vertragsabschluß Während der Vertragsverhandlungen darf zunächst niemand zu Unrecht den Eindruck entstehen lassen, der Vertrag werde mit Sicherheit Zustandekommen 105 , will er vermeiden, später wegen fehlgeschlagener Aufwendungen der 101 Übersicht über die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bei Wiedemann , in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 131. 102 Zu diesem Problem, insbesondere auch zu seiner begrifflichen Seite Detlef Göldner, Gesetzmäßigkeit und Vertragsfreiheit im Verwaltungsrecht, JZ 1976, S. 352 ff. (S. 358). 103 Sie entspricht der aus dem Amtshaftungsrecht bekannten und dort ebenfalls an das Prinzip von Treu und Glauben angeknüpften „Pflicht zu konsequentem Verhalten"; vgl. allgemein Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 44, sowie zu ihrer Bedeutung im vorvertraglichen Schuldverhältnis Krohn, LM § 276 (Fa) BGB Nr. 68 a, Anmerkung zu BGHZ 76, S. 343 ff.; Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, S. 220. 104 Daß die hier erörterte Fallgruppe zweierlei strukturell unterschiedliche Pflichten vereint, wird besonders von Küpper, Das Scheitern, S. 173 ff. („Verletzung einer Pflicht zur Aufklärung über die Gründe des Scheiterns" einerseits); 202 ff. („Pflichtwidriges Scheiternlassen der Vertragsverhandlungen" andererseits) betont und anhand von Fallbeispielen herausgearbeitet. 105 Vgl. BGHZ 71, S. 386 ff. (S. 395); 76, S. 343 ff. (S. 349); OVG Lüneburg, BRS 40, S. 76 ff. (S. 78) für Vertragsverhandlungen auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts; für privat-
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4. Kap. : Der Inhalt vorvertraglicher Schuldverhältnisse
anderen Seite in Anspruch genommen zu werden. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn der Vertrag - wie regelmäßig im Verwaltungsrecht 106 - formgebunden ist 107 , denn daraus folgt kein Freibrief für illoyales Verhalten vor seinem Abschluß108. Besteht daher für eine Seite der Bedarf oder aus Rechtsgründen die Notwendigkeit109, die Offenheit der rechtlichen Situation zu bewahren, so ist sie lediglich gehalten, dies nach außen hin deutlich zu machen110. Sie darf daher beispielsweise nicht etwa den Vertragsschluß als „bloße Formsache" bezeichnen111, selbst mit der Vertragsausführung beginnen oder zu Vorleistungen 112 oder sonstigem nur auf der Grundlage eines geschlossenen Vertrages sinnvollem Tätigwerden auffordern 113; auch die Einigung über nahezu alle vertragswesentlichen Punkte vermag Bindungen zu begründen 114. Hat aber ein Beteiligter keine derartigen tatsächlichen Anhaltspunkte für die Annahme geschaffen, ein ergebnisloser Abbruch der Verhandlungen komme nicht mehr in Betracht, so braucht er auch keine „triftigen" Gründe für diese Form der Beendigung des vertragsspezifischen Kontaktes. Private Verhandlungspartner können das vorvertragliche Schuldverhältnis in diesem Fall nach Belieben auflösen; staatliche Beteiligte, denen eine solche „Freiheit" nicht zuzuerkennen ist, haben und behalten dabei immerhin einen sehr weiten Ermessensspielraum 115, der die weitgehende Berücksichtigung auch politischer und wirtschaftlicher Umstände erlaubt. Für die staatliche Seite gilt allerdings - als Eigenart verwaltungsrechtlicher Verträge - zusätzlich, daß nicht nur ihr Verhalten in einem einzelnen konkreten vorvertraglichen Schuldverhältnis die sichere Erwartung
rechtliche Verhandlungen unter Beteiligung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts vgl. etwa BGHZ 92, S. 164 ff. (S. 176). 106 Vgl. § 57 VwVfG. 107 So etwa auch Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 186. Ausführliche Darstellung der privatrechtlichen Diskussion bei Küpper, Das Scheitern, S. 316 ff. 108 Wiedemann, , in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 137. 109 Sie folgt etwa aus der Führung von Verhandlungen durch einen Vertreter ohne Abschlußvollmacht (vgl. Medicus, Verschulden, S. 501). Im öffentlichen Dienstrecht kann sich die Notwendigkeit einer Offenhaltung auch aus dem Haushaltsrecht ergeben, so etwa im Fall des BAG, JZ 1964, S. 324 f. m. Anm. von Kurt Ballerstedt, aaO., S. 325 f. 110 Insoweit ergibt sich hier strukturell eine Aufklärungspflicht für den nicht mehr unbedingt abschlußwilligen Verhandlungspartner; vgl. Grunewald, JZ 1984, S. 708 ff. (S. 709). Allein als Unterfall vorvertraglicher Aufklärungspflichten wird die gesamte Fallgruppe angesehen von Erich Schmitz, Dritthaftung aus culpa in contrahendo, 1980, S. 164 f. Im Falle eines verwaltungrechtlichen Vertrages wurden in der Rechtsprechung mitunter erhebliche Anforderungen an die rechtliche Notwendigkeit einer Aufklärung gestellt: So wollte das Bayerische Oberste Landesgericht, BayObLGZ 1976, S. 47 ff. (S. 53) eine solche Pflicht erst dann bejahen, wenn ein Verhandlungspartner den Vertragsschluß oder eine für diesen unabdingbare Voraussetzung „unabänderlich, endgültig und verbindlich" zugesagt oder eine entsprechende Fehlvorstellung bei einem anderen Beteiligten positiv erkannt hätte, wodurch vor der Haftung sicherlich zu hohe Hürden errichtet wurden. 111 Vgl. die Sachverhaltsschilderung in BGHZ 76, S. 343 ff. (S. 345). 112 Vgl. BGHZ 92, S. 164 ff. (S. 175); Horn, JuS 1995, S. 377 ff. (S. 381). 113 Küpper, Das Scheitern, S. 188 f.; Wiedemann , in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 136. 114 Wiedemann, aaO. 115 Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 54 Rdnr. 4.
§ 18 Vertragsabschlußbezogene Pflichten
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eines Vertragsabschlusses wecken kann, sondern auch die Verwendung vertraglicher Lösungen bei der Erledigung von weiteren Sachverhalten, die jenem inhaltlich nahestehen. Dann nämlich ist das Gleichheitsgebot des Art. 3 G G aufgerufen 116 , welches in diesem Fall die Verwaltung nicht nur bei ihrer Auswahl unter den Handlungsformen auf die Verwendung eines Vertrages festleg e n 1 1 7 , sondern im Hinblick auf das Ob eines Vertragsschlusses 118 auch dazu zwingen kann, diese Handlungsform tatsächlich einzusetzen. Auch insoweit muß die Verwaltung schon ihre Weigerung, weiter zu verhandeln, auf sachliche, rational begründete, überzeugende und nachvollziehbare, eben „triftige" Gründe stützen können.
b) Das Erfordernis des „triftigen" Grundes Damit ist bereits deutlich geworden, daß einem Verhandlungspartner der Vorwurf pflichtwidrigen Verhaltens keinesfalls schon dann gemacht werden kann, wenn er einseitig die Vertragsverhandlungen beendet. Selbst wenn dies nach Schaffung der sicheren Erwartung des Zustandekommens des Vertrages auf der Gegenseite geschieht, ist es zulässig, wenn und soweit sich derjenige, der sich aus dem Schuldverhältnis lösen will, auf einen „triftigen" G r u n d 1 1 9 be-
116 Vgl. Bleckmann, NVwZ 1990, S. 601 ff. (S. 607) sowie allgemein zur Bedeutung des Gleichheitsgrundsatzes unter dem Aspekt der „Verfahrenschancengleichheit" im Kontext von Vorverständigungen, Vorverhandlungen und Absprachen Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, S. 106 f. 117 Zum damit angesprochenen Problemkomplex des Vorrangs des Vertrages vor anderen Handlungsformen Bauer, Anpassungsflexibilität, S. 265 f.; Walter Krebs, Konsensuales Verwaltungshandeln im Städtebaurecht, DÖV 1989, S. 969 ff. (S. 974); Hans Reckers, Gesetzwidrige und gesetzesabweichende Regelungen in Verwaltungsverträgen zwischen Bürger und Staat, 1988, S. 82 ff.; Arno Scherzberg, Grundfragen des verwaltungsrechtlichen Vertrages, JuS 1992, S. 205 ff. (S. 209 f.). 118 Dieses Entschließungsermessen ist - zur Verdeutlichung sei daraufhingewiesen - durch die Festlegung auf den Vertrag als einzig oder vorrangig zur Verfügung stehendes Mittel rechtlichen Handelns noch nicht berührt, so daß es zu seiner rechtlichen Eingrenzung einer zusätzlichen, wenn auch ebenfalls im Gleichheitsgebot wurzelnden Pflicht bedarf. 119 Viel Unsicherheit über diesen Begriff ist im Privatrecht deswegen entstanden, weil man sich über sein Verhältnis zum Verschulden als - sonst regelmäßig erforderlicher - Haftungsvoraussetzung nicht einig ist. Manche sehen in dieser Fallgruppe das Beispiel einer verschuldensunabhängigen Vertrauenshaftung in Analogie zu § 122 BGB (Larenz, Schuldrecht AT, S. 107 f.; ders., in: FS Ballerstedt, S. 415 ff.). Die - schwankende (vgl. Emmerich, in: Münchener Kommentar zum BGB, vor § 275 Rdnr. 161) - Rechtsprechung verlangt demgegenüber einen schuldhaften Abbruch von Verhandlungen, die zu einem öffentlich-rechtlichen Vertrag führen sollten, und gleichzeitig das Fehlen eines triftigen Grundes als Haftungsvoraussetzung (so BGHZ 71, S. 386 ff. [S. 395]; 76, S. 343 ff. [S. 349]). Gegen die zuerst genannte Auffassung spricht, daß eine verschuldensunabhängige Haftung systemwidrig ist, weil auch nach Vertragsschluß generell nur für Verschulden gehaftet wird (Stoll, FS v. Caemmerer, S. 449). Richtig ist es daher, zwar am Verschulden als Tatbestandsvoraussetzung festzuhalten, dieses aber regelmäßig im Mangel eines sachlich gerechtfertigten Grundes zu sehen (so auch Gottwald, JuS 1982, S. 877 ff. [S. 879]; Emmerich, aaO., Rdnr. 164; Küpper, Das Scheitern, S. 208; Stoll aaO.).
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4. Kap.: Der Inhalt vorvertraglicher Schuldverhältnisse
rufen kann. Um nicht einen verdeckten Kontrahierungszwang herbeizuführen oder im Ergebnis die vorvertragliche Haftung schärfer als die vertragliche auszugestalten120, dürfen an die Triftigkeit keine überspannten Anforderungen gestellt werden: Sie ist schon dann gegeben, wenn der Verhandlungsabbruch eine Reaktion auf bisher unvorhergesehene, für den Vertragszweck nicht unerhebliche Umstände, die erst nachträglich in die vertragsbezogene Willensbildung aufgenommen werden konnten, darstellt 121. Hiermit wird sowohl der im vorvertraglichen Stadium deutlich verringerten Bindungsintensität Rechnung getragen, die bei Veränderung der für eine oder beide Parteien maßgeblichen Sachlage Anpassungen des zwischen ihnen bestehenden Rechtsverhältnisses bis hin zu seiner Beendigung zulassen muß, als auch eine gewisse Stabilität für bereits Erreichtes garantiert 122. Die inhaltliche Frage nach der Triftigkeit des Grundes kann letztlich nicht allgemein beantwortet, sondern muß nach Maßgabe des konkreten Rechtsverhältnisses gelöst werden. Zu berücksichtigen ist dabei vor allem der Grad an Sicherheit, mit der der Vertragsschluß bereits erwartet werden durfte: Je höher er ist, desto weiter gehen die Anforderungen an die Triftigkeit des Grundes 123. Mitunter liefert auch die Rechtsordnung selbst den triftigen Grund für den Verhandlungsabbruch: So kann einer Gemeinde nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß sie Verhandlungen über einen städtebaulichen Vertrag wegen einer Änderung ihrer Bauleitplanung beendet124, weil sie das ihr dabei zustehende Planungsermessen nicht vertraglich einschränken kann 125 .
120 Diese Gesichtspunkte sprechen etwa gegen das Begriffsverständnis von Gottwald, JuS 1982, S. 877 ff. (S. 879); Löwisch, in: Staudinger, BGB, Vorbemerkungen zu §§ 275 ff. Rdnr. 69 und Stoll, FS v. Caemmerer, S. 450, nach welchen nur solche Umstände zum Verhandlungsabbruch berechtigen, die nach Vertragsschluß eine Lösung vom Vertrag gestattet hätten. Zu eng auch Nirk, FS Möhring 1975, S. 84, der eine Gleichstellung mit den für das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage geltenden Regeln vorschlägt. 121 Vgl. Wiedemann, in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 136; Küpper, Das Scheitern, S. 243. 122 Zu diesem Ziel juristischer Domestizierung kooperativer Rechtsverhältnisse HoffmannRiem, WDStRL 40 (1982), S. 187 ff. (S. 203). 123 Vgl. dazu Weber, AcP 192 (1992), S. 390 ff. (S. 421 f., insbes. S. 422: Die Parteien durchlaufen einen „schrittweisen Selbstbindungsprozeß"). 124 BGHZ 71, S. 386 ff. (S. 396); OVG Lüneburg, BRS 40, S. 76 ff. (S. 78); Spannowsky, Grenzen, S. 244. Nach den angeführten Entscheidungen des BGH und des OVG Lüneburg kommt eine Haftung der Gemeinde nur dann in Betracht, wenn sie ihren Verhandlungspartner über die bevorstehende Änderung der Sachlage nicht aufgeklärt hat, obwohl diese in der ihr zuzurechnenden Sphäre wurzelt. Hierbei gründet der Vorwurf der Pflichtverletzung aber nicht auf dem Abbruch der Vertragsverhandlungen. Klaus-Peter Dolde/Michael Uechtritz, Ersatzansprüche aus Bauplanungsabreden, DVB1. 1987, S. 446 ff. (S. 450) schlagen für den Fall planungsrechtlich zulässigen Abrückens von dem vorgesehenen Vorhaben einen verschuldensunabhängigen Anspruch aus „Risikoübernahme" vor; dazu unten § 22 II 3 a. 125 Zusammenfassend hierzu Schmidt-Aßmann/Krebs, Rechtsfragen, S. 87 ff. Wegen weiterer Nachweise und zu den Konsequenzen im Hinblick auf die Rechtsfolgen sei nochmals auf die Darstellung unten § 22 II 3 a verwiesen.
§ 18 Vertragsabschlußbezogene Pflichten
155
Insgesamt handelt es sich bei dieser Fallgruppe um eine spezielle Form vertragsabschlußbezogener Pflichten, die durch die von ihr bewirkte rechtliche Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten hinsichtlich des „Ob" eines Vertragsabschlusses eine exponierte Stellung einnimmt und daher gesonderter Behandlung bedürftig ist. Abgesehen von dieser außergewöhnlichen Folge gibt es aber auch sonst Bindungen für die Verhandlungspartner, die ihr in den inhaltlichen Anforderungen nahestehen und die im folgenden zu behandeln sind. 3. Allgemeine Mitwirkungspflichten Vorvertragliche Loyalität, die das Prinzip von Treu und Glauben von den Beteiligten verlangt, findet ihre Ausprägung in einer allgemeinen, auf einen wirksamen und interessengerechten Abschluß der Verhandlungen bezogenen beiderseitigen Mitwirkungspflicht 126, die allerdings an den Gestaltungsspielräumen der Verhandlungspartner hinsichtlich des Ob vertraglicher Einigung ihre Grenzen findet 127 . Ihre Intensität ist wiederum davon abhängig, wie weit die Verhandlungen bereits gediehen sind 128 : Während sich unmittelbar nach dem ersten vertragsbezogenen Kontakt solche Pflichten noch kaum feststellen lassen, sind sie etwa dann auf eine spezifische rechtliche Verhaltensanordnung konzentriert, wenn es in engem Zusammenhang mit dem Vertragsabschluß nurmehr darum geht, ein einzelnes Hindernis für diesen aus dem Weg zu räumen. Das gesamte vorvertragliche Schuldverhältnis durchzieht jedoch das Verbot, den anderen Beteiligten über die eigenen Absichten zu täuschen oder ihn hinzuhalten129. Auch insoweit besteht die geschuldete Leistung allerdings lediglich in einem Mindestmaß an Aufklärung. 4. Pflicht zur Herbeiführung
einer Genehmigung
Die Wirksamkeit des Vertragsschlusses kann weiterhin von der Erteilung einer Genehmigung abhängig sein 130 . Ist dies der Fall, so haben grundsätzlich beide Beteiligte zur Erfüllung dieser speziellen Mitwirkungspflicht darauf hin126
Eine ihrer Ausprägungen stellt etwa das Verbot dar, schuldhaft die Wirksamkeit des Vertrages auf anderem Wege als durch Abbruch der Vertragsverhandlungen zu verhindern; dazu Emmerich, in: Münchener Kommentar zum BGB, vor § 275 Rdnr. 159, 169. 127 Die Einhaltung dieser Schranken der Vertragsförderpflicht mahnt auch Weber, AcP 192 (1992), S. 390 ff. (S. 398) an. 128 vgl Wiedemann , in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 141. 129 Vgl. Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 185; Weber, AcP 192 (1992), S. 391 ff. (S. 393 f.); beide mit einem Hinweis auf die - bisher - mangelnde praktische Bedeutsamkeit derartigen Fehlverhaltens. Anders aber zur Fallgruppe der Verzögerung Medicus, Verschulden, S. 503 f. mit dem Versicherungsrecht entnommenen Beispielsfällen. 130 Vgl. hierzu bereits OGH Brit. Z., NJW 1949, S. 103 ff. (S. 104) sowie BGH, LM Verwaltungsrecht - Allgemeines (Verwaltungsakt) Nr. 5; LM § 276 (Fe) BGB Nr. 4; Küpper, Das Scheitern, S. 327 ff.
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4. Kap. : Der Inhalt vorvertraglicher Schuldverhältnisse
zuwirken, daß der vorgesehene Vertragsinhalt genehmigungsfähig ist 131 und die Entscheidung desjenigen, dem die Genehmigungsbefugnis zusteht, in angemessener Zeit herbeigeführt wird. Je leichter, mit je weniger Aufwand eine Seite diese Ziele erreichen kann, desto mehr obliegt es ihr, die Pflicht zu erfüllen 132 . Für das Verwaltungsvertragsrecht von besonderer Bedeutung ist hierbei die Vorschrift des § 58 VwVfG, die zwei Genehmigungserfordernisse 133 statuiert. Pflichtverletzungen im Rahmen eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses können hier zum einen daraus folgen, daß eine Seite die Genehmigungsbedürftigkeit schuldhaft verkannt hat und daher dem abgeschlossenen Vertrag die Wirksamkeit versagt blieb; zum anderen daraus, daß die Genehmigungsbedürftigkeit zwar erkannt, ihr aber nicht mit hinreichender Sorgfalt Rechnung getragen wurde und daran die Vertragswirksamkeit scheiterte. Derartige vorwerfbare Pflichtverletzungen müssen zusätzlich zu der sich aus § 58 VwVfG ergebenden Rechtsfolge schwebender Unwirksamkeit mit einer Ausgleichspflicht für dem anderen Teil entstandene Nachteile sanktioniert werden. 5. Vertragsabschlußbezogene
Aufklärungspflichten
Wie schon mehrfach angeklungen ist, sind mit den hier angesprochenen Pflichten zahlreiche Aufklärungspflichten verknüpft, die - allgemein gesprochen - immer dann eingreifen, wenn das Wirksamkeitshindernis in der Sphäre einer Partei wurzelt oder auch nur von ihr früher erkannt wird oder kraft ihrer insoweit überlegenen Verhandlungsposition erkannt werden kann 134 . Dann nämlich ist die Ausgangsbasis rechtlicher Gleichordnung der Parteien gestört; Treu und Glauben gebietet jedoch ihre Wiederherstellung. Dies kann nur in der Form geschehen, daß dem anderen Verhandlungspartner die Veränderung der Umstände bewußt gemacht wird und daraufhin die weiteren Verhandlungen 131 So etwa BGHZ 14, S. 1 if. (S. 2); diese Pflicht gehört systematisch zu den im nächsten Paragraphen zu behandelnden vertragsinhaltsbezogenen Pflichten. Ihr korrespondiert im Falle der Pflichtverletzung auf der Rechtsfolgenseite ein Anspruch nicht auf Schadensersatz im üblichen Sinne, sondern auf Anpassung des Vertrages; dazu unten § 22 IV 2 und an dieser Stelle etwa BGHZ 67, S. 34 ff. (S. 35); Emmerich, in: Münchener Kommentar zum BGB, vor § 275 Rdnr. 87. Mitunter geht die Rechtsprechung noch darüber hinaus und fügt in den Vertragstext im Wege richterlicher Vertragsergänzung eine Klausel ein, die dem Vertrag insoweit zur Wirksamkeit verhilft; Beispiel hierfür ist die Entscheidung BGHZ 63, S. 132 ff. (S. 135 f.). 132 Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 189. 133 Absatz 1 der Vorschrift gilt für Verträge, die in Rechte Dritter eingreifen; Absatz 2 für Mitwirkungsrechte am Vertrag nicht beteiligter Behörden. 134 Vgl. Wiedemann , in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 135, 144 ff. Ein Beispiel aus der Rechtsprechung ist die Entscheidung BGH LM § 276 (Fe) BGB Nr. 4: Eine Gemeinde schließt einen privatrechtlichen Grundstückskaufvertrag, unterläßt es aber pflichtwidrig, darauf hinzuweisen, daß den berechtigten Erwartungen des Vertragspartners zuwider nicht mit der Erteilung der notwendigen aufsichtsbehördlichen Genehmigung gerechnet werden kann, welche dann auch tatsächlich ausbleibt. Eine derartige Konstellation ist auch im Vorfeld eine verwaltungsrechtlichen Vertrages mühelos vorstellbar.
§ 18 Vertragsabschlußbezogene Pflichten
157
wieder das Gepräge der Gleichordnung tragen. Inhaltlich können sie sich auf alle angeführten Wirksamkeitshindernisse beziehen135: So ist insbesondere auf das Fehlen oder den Wegfall der Abschlußbereitschafi auf einer Seite und die Notwendigkeit der Einhaltung von Form- oder Genehmigungsvorschriften hinzuweisen; im Falle eines von einer bestimmten Bauleitplanung abhängigen Vertragsabschlusses136 muß auch über die Gefährdung des Bestands eines Bebauungsplans durch ein bevorstehendes oder anhängiges Normenkontrollverfahren aufgeklärt werden 137 . Erst durch diese Pflichten wird die vorvertragliche Rechtswahrung komplettiert, denn die praktisch häufig auftretende Situation partieller Überlegenheit im Wissen eines Verhandlungsbeteiligten kann nur so interessengerecht ausgeglichen werden. 6. Verwendung eines unwirksamen oder nichtigen Vertrages Als letzte Fallgruppe der vertragsabschlußbezogenen Pflichtenverstöße ist die Verwendung eines unwirksamen oder anfechtbaren 138 Vertrages zu nennen 139 . Ein Vorwurf trifft hier (schon) deswegen einen Verhandlungspartner, weil er schuldhaft den Abschluß eines nichtigen oder in seiner Bestandskraft gefährdeten Vertrages herbeigeführt hat, ohne daß es insoweit noch auf eine zusätzliche Aufklärungspflicht ankäme140. Auch ein solches Verhalten verletzt das für das Vertragsrecht maßgebliche Prinzip der rechtlichen Gleichordnung, weil eine Seite sich rechtlich gebunden glaubt und sich dementsprechend verhält, während die andere die fehlende oder verminderte Bindungswirkung erkannt hat oder doch zumindest hätte erkennen müssen. Für einige dieser Sachverhalte enthält das Privatrecht in §§ 307, 309 BGB Sonderregelungen, welche 135 Zur Pflicht eines Verhandlungspartners, die andere Seite auch noch nach Vertragsschluß Uber Zweifel an der RechtsgUltigkeit des geschlossenen Vertrages zu unterrichten, VGH Kassel, Urteil vom 23.3.1982, IX OE 53/79, ESVGH 32, S. 237 (nur LS), Umdruck S. 30 ff. 136 Zu den hier einer Gemeinde im Rahmen eines städtebaulichen Vertrages im Hinblick auf den Stand ihres Planungsverfahrens erwachsenden Einzelpflichten Dolde/Uechtritz, DVB1. 1987, S. 446 ff. (S. 452 f.). 137 Vgl. BGH, NJW 1990, S. 1042 ff. (S. 1045). 138 Die Regeln des BGB über die Anfechtung von Willenserklärungen finden - mit Modifikationen - im Verwaltungsrecht entsprechende Anwendung; vgl. allgemein nur Wolf gang Clausen, in: Knack, VwVfG, § 9 Rdnr. 5. 4; Wilfried Kluth, Rechtsfragen der verwaltungsrechtlichen Willenserklärung, NVwZ 1990, S. 608 ff. (S. 613); speziell für Verwaltungsverträge Henneke, in: Knack, aaO., § 62 Rdnr. 3. 139 Vgl. Obermayer, VwVfG, § 59 Rdnr. 134, ders., BayVBl. 1977, S. 546 ff. (S. 551). Ansätze in dieser Richtung auch bei Wolf Rüdiger Schenke, Der rechtswidrige Verwaltungsvertrag nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz, JuS 1977, S. 281 ff. (S. 292). 140 Anders Obermayer, VwVfG, § 62 Rdnr. 60 für den anfechtbaren Verwaltungsvertrag, der in diesen Fällen die Haftung auf eine Verletzung der aus § 25 VwVfG folgenden Beratungs- und Auskunftspflicht stützen will. Abgesehen davon, daß diese Norm sich nur an Behörden richtet, eine Haftungsfreistellung Privater indessen durch nichts gerechtfertigt ist, liegt das Fehlverhalten hier aber bereits im Abschluß und der Durchführung des erkanntermaßen unwirksamen Vertrags. Zutreffend dagegen Wiedemann , in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 149 für das Privatrecht.
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4. Kap. : Der Inhalt vorvertraglicher Schuldverhältnisse
insbesondere hinsichtlich der Voraussetzungen und des Umfangs des durch eine Pflichtverletzung ausgelösten Schadensersatzanspruches einige Modifikationen gegenüber den allgemeinen Regeln bewirken, jedoch trotz § 62 S. 2 VwVfG im Recht des Verwaltungsvertrages richtigerweise nicht entsprechend anzuwenden sind 141 . Nicht überzeugend ist es außerdem - dies sei im Vorgriff auf den Gegenstand des folgenden Kapitels hier angemerkt-, im Verwaltungsvertragsrecht zwar grundsätzlich die Möglichkeit einer auf vorvertraglicher Pflichtwidrigkeit beruhender Nichtigkeit anzuerkennen, aber unter Verweis auf das Fehlen eines dem § 49 Abs. 5 VwVfG entsprechenden Tatbestandes von vorneherein eine Pflicht zur Schadensersatzleistung durch staatliche Verhandlungspartner als Rechtsfolge in weitem Umfange abzulehnen142. Für eine solche Privilegierung einer Seite besteht kein Anlaß; sie läßt sich auch nicht auf einen Umkehrschluß aus § 49 Abs. 5 VwVfG stützen, denn diese Norm reagiert nicht auf einen staatlichen Pflichtenverstoß, sondern gleicht lediglich die Folgen rechtmäßigen Verwaltungshandelns aus und betrifft damit einen völlig anderen Sachverhalt, der für die hier erörterten Fälle keine Rückschlüsse zuläßt. 7. Wechselwirkungen zwischen vertragsabschlußbezogenen und kodifiziertem Verwaltungsvertragsrecht
Pflichten
Im Rahmen der beiden zuletzt genannten Pflichtengruppen ist die Möglichkeit gegeben, die Nichtigkeitsgründe des § 59 VwVfG, soweit der intendierte Vertrag von ihnen betroffen ist, dadurch zu ergänzen, daß ihre schuldhafte Herbeiführung wenigstens durch einen Anspruch wegen vorvertraglicher Pflichtverletzung ausgeglichen wird. Oftmals, aber nicht notwendigerweise wird es so sein, daß die staatliche Seite hier über genauere Informationen verfügt, die sie zum primären Pflichtadressaten machen. Nicht herangezogen werden darf dagegen das vorvertragliche Schuldverhältnis mitsamt den von ihm ausgelösten Rechtsfolgen, um die im Anwendungsbereich der Verwaltungsverfahrensgesetze klare gesetzgeberische Entscheidung zugunsten der sogenannten „erhöhten Fehlerresistenz" des verwaltungsrechtlichen Vertrages zu korrigieren. Darunter ist seine - wohl mittlerweile weithin akzeptierte - Eigenschaft zu verstehen, auch dann wirksam zu sein, wenn er rechtswidrig ist, ohne daß es angesichts dieses Umstandes einer Partei gestattet wäre, sich von seinen Bindungen einseitig zu lösen143. Nun mag 141
Entgegen Obermayer, VwVfG, § 59 Rdnr. 134; dazu unten § 22 III 3 b. So Obermayer, BayVBl. 1977, S. 546 ff. (S. 551). 143 Mit der Frage nach den Folgen von Rechtsverstößen im Vertrag ist einer der hauptsächlichen Schauplätze dogmatischer Auseinandersetzungen um den verwaltungsrechtlichen Vertrag angesprochen. Vgl. bereits den Entwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG), BT-Drucks. 7/910, S. 81, sowie aus dem Schrifttum etwa Axel Baumanns, Die Zwangsvollstreckung aus öffentlich-rechtlichen Verträgen - zugleich ein Beitrag zur Frage der Wirksamkeit rechtswidriger 142
§ 18 Vertragsabschlußbezogene Pflichten es denkbar sein, die schuldhafte Herbeiführung
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eines solchen wirksam-
rechtswidrigen Verwaltungsvertrages als Verstoß gegen eine vorvertragliche Pflicht anzusehen und dementsprechend dem anderen Kontrahenten einen Schadensersatzanspruch zuzubilligen, der auf Befreiung von der vertraglichen Bindung gerichtet w ä r e 1 4 4 . Jedoch ist bereits die dieser Auffassung zugrundeliegende Voraussetzung zweifelhaft, es gebe eine Rechtspflicht, den Abschluß rechtswidriger Verträge zu vermeiden. Denn diese läßt sich nicht mit dem Hinweis auf die - bereits erörterte - Fallgruppe der Herbeiführung eines unwirksamen Vertrages begründen, weil beim Abschluß eines rechtswidrigen, aber eben wirksamen Vertrages das Ergebnis der Verhandlungen den aufgrund des äußeren Anscheins berechtigten Erwartungen der Kontrahenten beim Vertragsabschluß entspricht, während sie durch einen unwirksamen Vertrag gerade enttäuscht werden. Dieser Unterschied muß auch auf der Tatbestandsseite der Pflichten berücksichtigt werden: Von den Verhandlungsparteien kann allenfalls -
in den bereits aufgezeigten Grenzen vorvertraglicher Entscheidungs- und
Entschließungsspielräume - eine Herbeiführung des erfolgreichen Abschlusses, nicht jedoch die Abgleichung der intendierten Vereinbarung mit allen denkbaren einschlägigen Rechtsnormen gefordert werden 1 4 5 . Dies gilt trotz ihrer strikten Bindung an Recht und Gesetz auch für die staatliche Seite: Das kodifi-
Verträge, 1978; Wolfgang Beyer, Der öffentlich-rechtliche Vertrag, informales Handeln der Behörden und Selbstverpflichtungen Privater als Instrumente des Umweltschutzes, 1986, S. 51 ff.; Alexander Blankenagel, Folgenlose Rechtswidrigkeit öffentlich-rechtlicher Verträge?, VerwArch 76 (1985), S. 276 ff.; Ilse Bramsche, Rechtsfolgen verwaltungsvertraglicher Gesetzesverstöße, 1986; Volker Büchner, Die Bestandskraft verwaltungsrechtlicher Verträge, 1979; Pavlos-Michael Efstratiou, Die Bestandskraft des öffentlich-rechtlichen Vertrages, 1988; Hans-Uwe Erichsen, Das Verwaltungshandeln, in: ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 205 ff. (S. 377 ff. [§26 Rdnr. 18 ff.]); Fluck, Die Verwaltung 22 (1989), S. 185 ff. (S. 196 ff.); Wilhelm Henke, Das Recht der Wirtschaftssubventionen als öffentliches Vertragsrecht, 1979, S. 293 ff; Henneke, in: Knack, VwVfG, § 59 Rdnr. 1 ; Karehnke, Die rechtsgeschäftliche Bindung; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 368 ff. (§ 14 Rdnr. 36 ff.); Wolfgang Meyer-Hesemann, Die Zulässigkeit gesetzesinkongruenter verwaltungsrechtlicher Vergleichsverträge und Prozeßvergleiche, DVB1. 1980, S. 869 ff.; Reckers, Regelungen, S. 153 ff.; Obermayer, VwVfG, § 59 Rdnr. 24 ff.; Schenke, JuS 1977, S. 281 ff.; Scherzberg,, JuS 1992, S. 205 ff. (S. 212 ff.); Theodor Schilling, Der „unfreiwillige" Vertrag mit der öffentlichen Hand, VerwArch 87 (1996), S. 191 ff. (S. 196 ff., 206 ff.); Christian Schimpf Der verwaltungsrechtliche Vertrag unter besonderer Berücksichtigung seiner Rechtswidrigkeit, 1982, S. 257 ff.; Schmidt-Aßmann/Krebs, Rechtsfragen, S. 198 ff.; Helmut Schuster, Wirksame rechtswidrige öffentlich-rechtliche Verträge - Zugleich ein Beitrag zu den verfassungsrechtlichen und dogmatischen Grundlagen des öffentlich-rechtlichen Vertrages, 1990; Ingo Tschasehnig, Die Nichtigkeit subordinationsrechtlicher Verträge nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz - Die §§ 54 ff. VwVfG im Spannungsfeld von Vertragsfreiheit und Legalitätsprinzip, 1984; Felix Weyreuther, Ablösungsverträge, entgegenstehende Rechtsvorschriften und gesetzliche Verbote, in: Heinrich Ackermann/Jan Albers/Karl August Bettermann (Hrsg.), Aus dem Hamburger Rechtsleben - Walter Reimers zum 65. Geburtstag, 1979, S. 379 ff. (S. 382 ff.). Zur Sonderfrage der „Folgen eines EWG-Vertragsverstoßes für den Bestand öffentlich-rechtlicher Verträge" JensPeter Schneider, Vertragliche Subventionsverhältnisse im Spannungsfeld zwischen europäischem Beihilferecht und nationalem Verwaltungsrecht, NJW 1992, S. 1197 ff. (S. 1198 ff.). 144 So Schimpf Der verwaltungsrechtliche Vertrag, S. 320 ff. 145 So auch Schuster, Verträge, S. 152.
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4. Kap.: Der Inhalt vorvertraglicher Schuldverhältnisse
zierte Verwaltungsvertragsrecht hat die Weichen in Richtung weitgehender Beständigkeit einmal geschlossener Verträge gegenüber einseitigen Loslösungsbestrebungen gestellt. Für diese Auffassung spricht auch § 59 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG, der nur bei ganz bestimmten Formen beiderseitigen vorvertraglichen Fehlverhaltens146 den Vertrag mit der Sanktion der Nichtigkeit belegt. Es kann nicht das Anliegen der Dogmatik vorvertraglicher Schuldverhältnisse sein, diese Grundsatzentscheidung zu überspielen; vielmehr ist die Rechtsbindung durch §§59 und 60 VwVfG dahingehend gestaltet, daß nur besonders schwerwiegende Rechtsverstöße einer getroffenen Vereinbarung die Rechtswirksamkeit und -beständigkeit entziehen. Die erhöhten Gestaltungs- und Einflußmöglichkeiten während der Verhandlungen im Vorfeld des Vertragsschlusses wirken hier indessen ausgleichend147. Angesichts dieser Ausgangssituation ist die Funktion des Gesetzes von besonderer Bedeutung: Es ist „nicht nur Grenze, sondern auch Determinante der Vertragsgestaltung" und „gibt dem Vertrag Rahmen und Richtpunkte"148. Diese spezifische Struktur der normativen Vorgaben und ihre Aussagekraft für das Vertragsrechtsverhältnis im Ganzen bedeutet auf die vorvertraglichen Pflichten der Verhandelnden gewendet nicht nur, daß sich unter ihnen kein Gebot umfassender inhaltlicher Rechtmäßigkeitskontrolle der intendierten Vereinbarung finden läßt, sondern auch, daß sie keine Aufklärungspflicht hinsichtlich der den Vertrag betreffenden Rechtslage enthalten149. Diese würde wiederum zu einem dem Gesetzeszweck zuwiderlaufenden Ergebnis zurückführen, nämlich zu der im Vertragsrecht allmählich für überwunden gehaltenen „extensiven Nichtigkeitslehre" 150, die auf dem Umweg über das vorvertragliche Schuldverhältnis wiederkehrte. Unabhängig hiervon mutet die Konstruktion einer derartigen Aufklärungspflicht schließlich auch einigermaßen lebensfremd an 1 5 1 . Nach alledem ist also der wirksam-rechtswidrige Verwaltungsvertrag nicht auf dem Weg über das vorvertragliche Schuldverhältnis angreifbar, weil es keine Pflichtverletzung darstellt, ihn herbeizuführen. Die Verhandlungspartner sind in ihrem Verhältnis zueinander lediglich gehalten, für die Wirksamkeit der
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Durch diese Norm werden vor allem Tatbestände kollusiven Zusammenwirkens dem Schutz der Rechtsordnung entzogen. Vgl. Entwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG), BT-Drucks. 7/910, S. 82; Henneke, in: Knack, VwVfG, § 59 Rdnr. 4.2. 147 Erichsen, Verwaltungshandeln, S. 375 f. (§ 26 Rdnr. 15); Obermayer, VwVfG, § 59 Rdnr. 29; vgl. zu den Anforderungen, die die verfassungsrechtliche Bindung an Gesetz und Recht an Verwaltungsverträge und ihre normative Vorordnung stellt, BVerwGE 42, S. 331 ff. (S. 334 ff.). 148 Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverträge im Städtebaurecht, in: Werner Lenz (Hrsg.), Festschrift für Konrad Geizer zum 75. Geburtstag, 1991, S. 117 ff. (S. 122) (beide Zitate). 149 So aber Reckers, Regelungen, S. 139 ff; Schimpf Der verwaltungsrechtliche Vertrag, S. 322 f. für staatliche Verhandlungspartner; dagegen auch Schuster, Verträge, S. 151 f. ,5 ° Schmidt-Aßmann,, FS Geizer, S. 119. 151 Vgl. für ähnliche Fallkonstellationen im Privatrecht in diesem Sinne Wiedemann , in: Soergel, BGB, vor § 275 Rdnr. 149.
§ 1 Vertragshlbezogene Pflichten
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intendierten Vereinbarung zu sorgen, nicht jedoch für ihre Rechtmäßigkeit152. Diese Aussage mag überraschend klingen, soweit sie sich auf staatliche Beteiligte bezieht, weil sie den Eindruck erweckt, das Verfassungsprinzip der Rechtsbindung aller staatlichen Organe zu mißachten. Selbstverständlich bleibt dieser Grundsatz jedoch unangetastet: Er verpflichtet die Verwaltung auch bei Vertragsverhandlungen zur Einhaltung aller Rechtsnormen, erzwingt aber bei einem Verstoß dagegen keinesfalls bestimmte, von Verfassungs wegen vorgegebene Sanktionen153 oder sonstige Rechtsfolgen. Dieser Gesichtspunkt spricht bereits allgemein gegen die rechtliche Notwendigkeit ausnahmsloser Nichtigkeit des rechtswidrigen Verwaltungsvertrages, weil der Gesetzgeber seinen insoweit eröffneten Gestaltungsspielraum nicht überschritten hat 154 . Umso weniger besteht in dem Rechtsverhältnis zwischen den Verhandlungspartnern eine Pflicht, auf die Rechtmäßigkeit des geplanten Vertrages hinzuwirken oder über Bedenken in dieser Richtung zu informieren 155. Die Rechtsbindung der Verwaltung als allgemeines Prinzip hat damit im vorvertraglichen Schuldverhältnis keine unmittelbar anspruchsbegründende Funktion.
§ 19 Vertragsinhaltsbezogene Pflichten I. Vorüberlegungen Die Darstellung der vertragsabschlußbezogenen Pflichten im vorangegangenen Paragraphen hat gezeigt, daß sich unter diesem Oberbegriff ganz verschiedenartige rechtliche Verhaltensanforderungen vereinigen: Sie können auf konsequentes Verhalten während der Vertragsanbahnung gerichtet sein, die Erfüllung der Wirksamkeitsvoraussetzungen für den intendierten Vertrag durch die 152
So auch Schuster, Verträge, S. 152. Schmidt-Aßmann/Krebs, Rechtsfragen, S. 207 f. 154 Scherzberg,, JuS 1992, S. 205 ff. (S. 213). 155 Daß nicht alle Rechtspflichten staatlicher Organe in deren Verhältnis zu Dritten Auswirkungen haben, ist keine Besonderheit vorvertraglicher Schuldverhältnisse: Nicht nur daß die traditionelle Definition des „subjektiven öffentlichen Rechts" stets noch den Schutz eines Individualinteresses zusätzlich zu der durch Rechtssatz begründeten Verhaltenspflicht fordert (vgl. dazu und zur Kritik hieran Erichsert, Verwaltungshandeln, S. 228 ff. [§ 11 Rdnr. 35 ff] sowie umfassend Hartmut Bauer, Altes und Neues zur Schutznormtheorie, AöR 113 [1988], S. 582ff. [insbesondere S. 592 ff.]); gerade im Amtshaftungsrecht ist die Drittrichtung der verletzten Amtspflicht ein - freilich der Kritik ausgesetztes - haftungsbegrenzendes Tatbestandsmerkmal (dazu Blankenagel,DVB1.1981,S. 15ff. [insbes.S.\l\\Ladeur, DÖV 1994, S. 665 ff). Seine Kennzeichnung als „Wesensmerkmal jeder Staatshaftung" (