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German Pages 438 [443] Year 2020
JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 105
ARTI BUS
Axel Halfmeier
Popularklagen im Privatrecht Zugleich ein Beitrag zur Theorie der Verbandsklage
Mohr Siebeck
Axel Halfmeier, geboren 1967; 198 8 - 1 9 9 3 Studium am Fachbereich Rechtswissenschaft II der Universität Hamburg; 1 9 9 4 - 1 9 9 8 dort wissenschaftlicher Mitarbeiter; 1996 LL.M. (University of Michigan Law School, Ann Arbor); 1999 Promotion; 1 9 9 9 - 2 0 0 0 Rechtsanwalt in Hamburg; seit 2 0 0 0 wissenschaftlicher Assistent am Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Bremen; 2006 Habilitation; Privatdozent für Bürgerliches Recht, Zivilverfahrensrecht, Europäisches und Internationales Privatrecht sowie Rechtsvergleichung.
Als Habilitationsschrift auf Empfehlung des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Universität Bremen gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
978-3-16-157950-9 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019
ISBN 3-16-149048-7 ISBN-13 978-3-16-149048-4 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum)
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2006 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide Druck in Tübingen aus der Sabon gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2 0 0 5 / 2 0 0 6 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Bremen als schriftliche Habilitationsleistung angenommen. Sie entstand während meiner dortigen Tätigkeit als wissenschaftlicher Assistent. Zuvorderst gilt daher mein Dank den Bürgern der Freien Hansestadt Bremen dafür, daß sie mit dieser Universität eine Stätte erfolgreicher wissenschaftlicher Arbeit geschaffen haben und diese auch weiterhin unterstützen. Ich hoffe, daß ich der Stadt Bremen mit meinen Lehrveranstaltungen und Forschungsarbeiten insoweit etwas zurückgeben konnte. Inhaltlich kam diese Arbeit in den Genuß von zwei Betreuern, nämlich zunächst von Prof. Dr. Dr. h.c. Norbert Reich und - nach dessen Übernahme des Rektorats der Riga Graduate School of Law - von Prof. Dr. Eike Schmidt, der die Arbeit maßgeblich und bis zum Abschluß begleitete. Beide haben auf die ihnen jeweils eigene Art zur Erweiterung meines fachlichen und menschlichen Horizonts beigetragen; dafür danke ich ihnen von Herzen. Im übrigen ist es kaum möglich, all diejenigen aufzuzählen, die mir mit Rat und Tat bei der Anfertigung der Arbeit beiseite standen. Insbesondere danke ich jedoch Prof. Dr. Gert Brüggemeier für die souveräne Leitung des Habilitationsverfahrens und für die Unterstützung während seiner Zeit als Dekan, Prof. Dr. Harald Koch für die Übernahme und zügige Anfertigung des externen Gutachtens sowie Prof. Dr. Jürgen Basedow und den Mitarbeitern des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht für die dort zur Verfügung gestellten Arbeitsmöglichkeiten und für die Einladung zum Habilitandenkolloquium des Jahres 2 0 0 3 . Eine für mich wichtige Übersetzung aus dem Polnischen besorgte Joanna Serdynska, L L . M . Eur. In Fragen der italienischen Sprache half mir mehrfach meine Bremer Kollegin Dr. Simona Rossi-Herrmann. Mein Vater, Senatsdirektor a.D. Hartmut Halfmeier, versorgte mich mit Informationen aus der Perspektive des öffentlichen Rechts. Für instruktive Gespräche danke ich weiterhin meinen beiden Parallel-Habilitandinnen auf dem Forschungsgebiet der Verbandsklage, nämlich Dr. Sabine Schlacke und Privatdozentin Dr. Eva Kocher. Eine Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch ergab sich u.a. auf einer Tagung in Bamberg, die 2 0 0 4 von Prof. Dr. Astrid Stadler und Prof. Dr. Hans-W. Micklitz im Rahmen ihrer Studie zum »Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft« organisiert wurde. Der vorliegende Beitrag versteht sich als Teil dieser und anderer Bemühungen im fortdauernden »Kampf um's Recht«. Bremen, im Mai 2 0 0 6
Axel Halfmeier
Inhaltsübersicht Einleitung
1
I. Gegenstand der Untersuchung II. Stand der Forschung III. Plan der Darstellung Erstes Kapitel:
3 20 23
actiones populäres
29
I. Einzelfragen II. Prinzip und Funktion der actiones populäres
30 43
Zweites Kapitel: Populär- und Verbandsklagekompetenzen im geltenden Recht I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX. X. XI.
Drittes Kapitel: I. II. III. IV.
Z u r Dogmatik der Populär- und Verbandsklage
Popularklage als objektive Rechtskontrolle Klage ohne subjektives Recht Klage ohne Anspruch Popularklage als aktionenrechtliche Kompetenz
Viertes Kapitel: I. II. III. IV. V. VI.
51
Popularklage gemäß § 81 PatG Populär- und Verbandsklage gemäß § 55 MarkenG Verbandsklage gemäß § 8 UWG Verbandsklage gemäß § 10 UWG Verbandsklagen gemäß §§ 33, 34a GWB Verbandsklage gemäß § 1 UKlaG Verbandsklage gemäß §2 UKlaG Verbandsklage gemäß § 2a UKlaG Verbandsklage gemäß §44 TKG Verbandsklage gemäß § 17 Abs. 1 Satz 5 KHEntgG Gemeinsame Strukturprobleme
Lösungsvorschläge zum geltenden Recht
Sachlicher Anwendungsbereich Akteure Klagziel Rechtskraft und Rechtshängigkeit Dispositionsbefugnis Unzulässige Rechtsausübung
51 76 89 119 134 142 173 182 184 185 186 . .
199 199 230 252 275 295 295 296 296 297 324 332
VIII
Inhaltsübersicht
VII. Sachverhaltsermittlung VIII. Kosten I X . Verjährung Fünftes
Kapitel:
340 350 355
Rechtspolitische Vorschläge
I. Sachlicher Anwendungsbereich II. Akteure
357 357 365
III. Klagziel
382
IV. Rechtskraft und Rechtshängigkeit
388
V. Dispositionsbefugnis VI. Unzulässige Rechtsausübung VII. Sachverhaltsermittlung VIII. Kosten I X . Verjährung X . Zuständigkeit
390 391 391 391 392 392
X I . Überlegungen zu einer Regelung der privatrechtlichen Popularklage in der Z P O Literaturverzeichnis
393 397
Inhaltsverzeichnis
Einleitung I. Gegenstand der Untersuchung 1. Populär- und Verbandsklagen als originäre Interventionskompetenzen 2. Abgrenzung zur Bündelung individueller Rechte a) Mandatierte Repräsentation individueller Interessen b) Wahrnehmung fremder Interessen durch ex officio-Repräsentation c) »Verbandsklage« im Arbeitsrecht 3. Abgrenzung zur aktienrechtlichen Anfechtungsklage 4. Beschränkung auf das Privatrecht
3 3 5 7 7 11 14 15 16
II. Stand der Forschung
20
III. Plan der Darstellung
23
Erstes Kapitel: actiones populäres I. Einzelfragen 1. Sachlicher Anwendungsbereich 2. Akteure 3. Klagziel 4. Rechtskraft und Rechtshängigkeit 5. Dispositionsbefugnis II. Prinzip und Funktion der actiones populäres 1. Popularkläger als Quasi-Staatsanwalt? 2. Schutz eigener Jedermannsrechte 3. Popularklage als spezifische Form sozialer Kontrolle
29 30 30 35 35 37 40 43 43 44 46
Zweites Kapitel: Populär- und Verbandsklagekompetenzen im geltenden Recht I. Popularklage gemäß § 81 PatG 1. Sachlicher Anwendungsbereich 2. Akteure 3. Klagziel 4. Rechtskraft und Rechtshängigkeit
51 51 54 54 56 56
X
Inhaltsverzeichnis
5. Dispositionsbefugnis
59
a) Abtretung
59
b) Verzicht
60
c) Klagerücknahme
67
d) Klageverzicht und Anerkenntnis
68
e) Vergleich
71
6. Unzulässige Rechtsausübung
73
7. Sachverhaltsermittlung
74
8. Kosten
75
9. Verjährung
II. Populär-und
76
Verbandsklage gemäß § 55 MarkenG
Sachlicher Anwendungsbereich 2 . Akteure
76 76 79
3. Klagziel
80
4 . Rechtskraft und Rechtshängigkeit
81
5. Dispositionsbefugnis a) Abtretung
81 81
b) Verzicht
82
c) Klagerücknahme
85
d) Klageverzicht und Anerkenntnis
85
e) Vergleich
86
6. Unzulässige Rechtsausübung
86
7. Sachverhaltsermittlung
87
8. Kosten
89
9. Verjährung
III. Verbandsklage gemäß § 8 UWG
89
89
1. Sachlicher Anwendungsbereich
89
2. Akteure
93
3. Klagziel 4. Rechtskraft und Rechtshängigkeit 5. Dispositionsbefugnis a) Abtretung
99 100 103 103
b) Verzicht
104
c) Klagerücknahme
106
d) Klageverzicht und Anerkenntnis
107
e) Vergleich
107
6. Unzulässige Rechtsausübung
108
7. Sachverhaltsermittlung
111
8. Kosten
118
9. Verjährung
118
IV. Verbandsklage gemäß § 10 UWG
119
1. Sachlicher Anwendungsbereich
120
2. Akteure
121
Inhaltsverzeichnis 3. Klagziel a) Klage zugunsten des Bundeshaushalts b) Feststellungsklage aus § 10 UWG? c) Dogmatische Einordnung des § 10 UWG d) Verfassungsrechtliche Bedenken? 4. Rechtskraft und Rechtshängigkeit 5. Dispositionsbefugnis a) Abtretung b) Verzicht c) Klagerücknahme d) Klageverzicht, Anerkenntnis, Vergleich 6. Unzulässige Rechtsausübung 7. Sachverhaltsermittlung 8. Kosten 9. Verjährung V. Verbandsklagen gemäß §§33, 34a GWB 1. Sachlicher Anwendungsbereich 2. Akteure 3. Klagziel 4. Rechtskraft und Rechtshängigkeit 5. Dispositionsbefugnis und unzulässige Rechtsausübung 6. Sachverhaltsermittlung 7. Kosten 8. Verjährung VI. Verbandsklage gemäß § 1 UKlaG 1. Sachlicher Anwendungsbereich 2. Akteure 3. Klagziel 4. Rechtskraft und Rechtshängigkeit a) Sonderregel in § 11 UKlaG b) Fehlende sonstige Wirkungen c) Durchbrechung der Rechtskraft nach § 10 UKlaG 5. Dispositionsbefugnis a) Abtretung b) Verzicht c) Klagerücknahme d) Klageverzicht und Anerkenntnis e) Vergleich 6. Unzulässige Rechtsausübung 7. Sachverhaltsermittlung 8. Kosten 9. Verjährung
XI 122 122 123 124 125 127 129 129 130 130 130 131 131 133 133 134 134 136 137 138 139 139 142 142 142 142 145 146 148 148 151 152 155 155 156 157 158 160 163 166 170 170
XII
Inhaltsverzeichnis 173 174 174 176 178 179 181 181
VII. Verbandsklage gemäß §2 UKlaG 1. Sachlicher Anwendungsbereich a) Verbraucherschutzgesetze b) Im Interesse des Verbraucherschutzes 2. Akteure 3. Klagziel 4. Rechtskraft und Rechtshängigkeit 5. Unzulässige Rechtsausübung
182 182 183 183 184 184
VIII. Verbandsklage gemäß §2a UKlaG 1. Sachlicher Anwendungsbereich 2. Akteure 3. Klagziel 4. Rechtskraft und Rechtshängigkeit 5. Unzulässige Rechtsausübung IX. Verbandsklage X. Verbandsklage
gemäß §44 TKG
184
gemäß §17 Abs. 1 Satz 5 KHEntgG
185 186 187 187 189 191 192 192 193 194 194 195 195 196 197 197
XI. Gemeinsame Strukturprobleme 1. Sachlicher Anwendungsbereich 2. Akteure 3. Klagziel 4. Rechtskraft und Rechtshängigkeit 5. Dispositionsbefugnis a) Abtretung b) Verzicht c) Klagerücknahme d) Klageverzicht und Anerkenntnis e) Vergleich 6. Unzulässige Rechtsausübung 7. Sachverhaltsermittlung 8. Kosten 9. Verjährung Drittes Kapitel. Z u r D o g m a t i k der Populär- und Verbandsklage . . I. Popularklage als objektive Rechtskontrolle 1. Begriff der Popularklage 2. Popularklage und Interessentenklage 3. Klage im öffentlichen Interesse a) Begriff des Interesses b) Mangelnde Erklärungsmacht des Gemeinwohlbegriffs 4. Verbandsklage und Gruppeninteresse 5. Diffuse Interessen 6. Irrelevanz von Interessen und Motiv des Klägers 7. Kompensatorische Funktion der Populär-und Verbandsklage
...
199 199 199 201 202 203 204 210 213 216 217
Inhaltsverzeichnis
XIII
a) Vom liberalen zum prozeduralen Rechtsparadigma b) Vollzugsdefizite im liberalen Modell c) Kompensation im Prozeßrecht d) Krise des Rechts 8. Zwischenergebnis
217 220 223 228 230
II. Klage ohne subjektives Recht 1. Zum Begriff des subjektiven Rechts a) Geschichte b) Die Demontage des subjektiven Rechts durch Kelsen und den Rechtsrealismus c) Jüngere Deutungsversuche d) Zum normativen Eigensinn des subjektiven Rechts 2. Populär- und Verbandsklage und subjektives Recht a) Mangelnde Dispositionsmöglichkeit des Klägers b) Kein geschütztes Interesse des Klägers c) Keine Güterzuordnung an den Kläger d) Subjektive Rechte als Ausdruck individueller Freiheit 3. Zwischenergebnis
230 231 231 234 236 241 243 244 246 248 249 250
III. Klage ohne Anspruch 1. Entscheidung durch den Gesetzgeber? 2. Materiell-rechtlicher Gehalt des Anspruchsbegriffs a) Windscheids Anspruchsbegriff b) Anspruch und subjektives Recht heute c) Kodifikation in § 194 BGB 3. Die Reprozeduralisierung des Anspruchsbegriffs a) Vorbeugende Unterlassungsklage als Anspruch b) Populär- und Verbandsklage als Anspruch? 4. Verbandsklage als Geltendmachung fremder Ansprüche? a) Individualansprüche b) Kollektivrechte c) Anspruch des Staates? d) Populär- und Verbandsklage als status procuratoris 5. Zwischenergebnis IV. Popularklage als aktionenrechtliche Kompetenz 1. Prozeßrechtliche Deutungen der Populär-und Verbandsklage 2. Verbandsklage als eingeschränkte Popularklage 3. Systematische Folgen einer prozeßrechtlichen Konzeption a) Internationales Privat- und Prozeßrecht (1) Ausländischer Verbands-oder Popularkläger (2) Kontrolle von Verhalten im Ausland (3) Ergebnis b) Einstweiliger Rechtsschutz c) Negative Feststellungsklage 4. Ergebnis
252 252 254 254 256 261 263 263 266 270 270 271 272 274 275 275 . . .
275 279 280 281 281 283 289 289 291 293
XIV
Inhaltsverzeichnis
Viertes Kapitel: Lösungsvorschläge zum geltenden Recht I. Sachlicher
Anwendungsbereich
296
Klagziel
/V. Rechtskraft
295 296
II. Akteure III.
295
und Rechtshängigkeit
1. Zum Streitgegenstand der Popularklage
297 297
a) Streitgegenstand und Individualität der Parteien
297
b) Jede Popularklage als eigener Streitgegenstand?
299
c) Prozeßstandschaftliche Lösung
300
d) Streitgegenstand der bayerischen Popularklage
301
e) Streitgegenstand in anderen öffentlich-rechtlichen Normenkontrollverfahren f) Entsubjektivierter Streitgegenstand der Popularklage 2. Verhältnis der Popularklagen untereinander a) Rechtskraftwirkung der erfolgreichen Popularklage
302 303 308 308
(1) Vollstreckungsmöglichkeit für alle Klageberechtigten . . . .
309
(2) Analoge Anwendung des § 7 2 7 Z P O
310
b) Rechtskraftwirkung der als unbegründet abgewiesenen Popularklage
313
(1) Rechtliches Gehör
313
(2) Kollusionsgefahr und Fehler des ersten Klägers
315
(3) Zulässigkeit und Wirkung eines Versäumnisurteils
317
(4) Überprüfung durch Rechtsmittel
318
(5) Zwischenergebnis c) Rechtshängigkeit 3. Verhältnis von Populär- und Individualklage
321 321 321
a) Breitenwirkung zu Lasten des Beklagten
322
b) Keine rechtliche Wirkung erga omnes
323
V. Dispositionsbefugnis
324
1. Abtretung
325
2. Verzicht
326
a) Materiell-rechtlicher Erlaß
326
b) Pactum de non petendo
326
3. Klagrücknahme
328
4. Klagverzicht und Anerkenntnis
329
5. Vergleich
331
VI. Unzulässige
Rechtsausübung
1. Popularklage und Eigennutz
332 332
a) Private vices and public benefits
334
b) Zur Mißbrauchsfurcht im Lauterkeitsrecht
335
2. Die positivierten Mißbrauchsregeln in U W G und UKlaG
338
3. Popularklage und Verhältnismäßigkeit
339
Inhaltsverzeichnis
VII. Sachverhaltsermittlung 1. Normtatsachen und Subsumtionstatsachen a) Terminologie b) Unterscheidung zwischen Norm- und Einzeltatsachen c) Normtatsachen im Individualprozeß d) Normtatsachen im Populär- und Verbandsklageverfahren 2. Ermittlung von Normtatsachen a) Zum Geltungsgrund der Verhandlungsmaxime b) Untersuchungsmaxime für Normtatsachen VIII. Kosten 1. Prozeßkosten a) Streitwert der Populär- oder Verbandsklage b) Kosten der Ermittlung von Normtatsachen 2. Ersatz von Abmahnkosten IX. Verjährung
Fünftes Kapitel: Rechtspolitische Vorschläge
XV
. . .
340 341 341 342 344 344 346 346 348 350 350 350 353 353 355
357
I. Sachlicher Anwendungsbereich 1. Generalklausel oder Einzeltatbestände? a) Bisherige Vorschläge b) Generalklausel und Regelbeispiele 2. Verfassungsmäßigkeit einer erweiterten Populär- und Verbandsklagebefugnis II. Akteure 1. Defizite des Modells der Verbandsklage 2. Zivilprozessuale Klagebefugnis für Behörden? 3. Praktische Einwände gegen die Popularklage 4. Zur Rehabilitation der Popularklage 5. Popularklage und Denunziantentum
362 365 365 371 372 377 380
III. Klagziel 1. Unterlassung, Beseitigung, Gestaltung, Feststellung 2. Schadensersatz a) Geltendmachung fremder Schäden b) Eigener Schaden des Populär- oder Verbandsklägers 3. Privatstrafe 4. Gewinnabschöpfung
382 382 383 383 383 386 387
IV. Rechtskraft
388
und Rechtshängigkeit
V. Dispositionsbefugnis VI. Unzulässige Rechtsausübung VII. Sachverhaltsermittlung VIII. Kosten IX. Verjährung
357 357 357 360
390 391 391 391 392
XVI
Inhaltsverzeichnis
X. Zuständigkeit XI. Überlegungen zu einer Regelung der privatrechtlichen in der ZPO 1. Systematische Überlegungen 2. Generalklausel der Popularklage 3. Weitere Vorschriften
392 Popularklage 393 393 395 396
Literaturverzeichnis
397
Sachregister
419
Denn es ist zum allgemeinen Besten, daß man ohne Furcht und Gefahr über die Straßen gehen kann. Ulpian (Dig. 9.3.1.1., in der Übersetzung von Sintenis)
Einleitung I. Gegenstand der
Untersuchung
Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag leisten zur Theorie und Dogmatik privatrechtlicher Populär- und Verbandsklagen. Diese beiden Begriffe unterscheiden sich zunächst darin, daß ihnen in der rechtswissenschaftlichen Diskussion ein ganz unterschiedlicher Grad an Aufmerksamkeit zukommt. Während die Verbandsklage Gegenstand ständiger rechtspolitischer Diskussion und zahlreicher wissenschaftlicher Veröffentlichungen ist, wird die Popularklage meist nur mit dem eilig angefügten Zusatz erwähnt, daß sie im geltenden Recht eigentlich nicht vorkomme. Das Schlagwort vom »Ausschluß der Popularklage« in § 4 2 Abs. 2 V w G O ist eine stets wiederkehrende Formel in Literatur und Rechtsprechung. 1 Die aufgrund des Art. 98 Satz 4 der Verfassung des Freistaates Bayern geschaffene Popularklage wird als bloße und diese Regel bestätigende Ausnahme verstanden. 2 Sie wird als Unikum, gar als Bestandteil des »bayerischen Kuriositätenkabinetts« 3 betrachtet. Entgegen dieser Übung soll jedoch im folgenden auch der Popularklage die ihr gebührende Aufmerksamkeit geschenkt werden. Dies ist nicht ohne Risiko, denn »im allgemeinen gehört es heute nicht zum guten Ton, der Popularklage das Wort zu reden; der Verfechter läuft Gefahr, für einen Wirr- oder Querkopf erklärt zu werden.« 4 Dieser Befund von 1 9 5 7 ist auch heute noch gültig. Das Stichwort Popularklage evoziert immer noch ein »Gewirr juristischer Vorurteile und ungeprüfter Assoziationen« 5 , denen die vorliegende Untersuchung begegnen soll. Für eine Befassung mit der Popularklage sprechen aber gewichtige historische und dogmatische Gründe. Historisch gesehen muß die Popularklage in ihrer römisch-rechtlichen Erscheinungsform als Vorläuferin der Verbandsklage betrachVwGO, § 4 2 R n . 5 9 m.w.N. Siehe nur Kopp/Schenke, Vgl. Nawiasky/Schweiger/Knöp/Ze, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 98 Satz 4 R n . 2 : »einmalige Rechtsschutzform«. 3 So beschreibt Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts 120, in kritischer Absicht den üblichen Umgang mit Art. 98 Satz 4 BV. 4 Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat 331 F n . 5 0 . Eine unberechtigte Stigmatisierung der Popularklage konstatieren auch Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse 1, sowie Masing, a.a.O. 119 (»perhorreszierte« Popularklage). 5 Rehbinder/Burgbacher/Knieper, Bürgerklage im Umweltrecht 10. 1
2
4
Einleitung
tet werden. Ebenso wie diese diente die römisch-rechtliche Popularklage der rechtsförmigen Durchsetzung von Interessen, die nicht ausschließlich einem Individuum zugeordnet werden können. Schon aufgrund dieser funktionellen Verwandtschaft liegt es nahe, die Verbandsklage als besondere, in personeller Hinsicht eingeschränkte Form der Popularklage zu begreifen. 6 Die enge Verwandtschaft zwischen Popularklage und Verbandsklage wird im dogmatischen Teil dieser Arbeit noch deutlicher werden. Während also die Popularklage (wieder) aus dem Schatten ans Licht zu befördern ist, so ist die Beleuchtung der Verbandsklage zwar schon stark, aber doch unscharf. Dies zeigt sich bereits in ihrer Behandlung durch den Gesetzgeber, der sie hier und dort einsetzt, ohne daß eine zusammenhängende Systematik erkennbar wäre. So wurde etwa die Verbandsklage zur Durchsetzung urheberrechtlicher Schrankenbestimmungen nicht im Urheberrechtsgesetz, sondern in § 2a UKlaG eingefügt, als sei dies eine Art Sammelwerk für Verbandsklagebefugnisse. Andererseits verblieben auch nach der grundlegenden Neufassung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerbs die lauterkeitsrechtlichen Verbandsklagebefugnisse in eben diesem Gesetz. Damit fehlt im Unterlassungsklagengesetz eine der praktisch wohl wichtigsten Verbandsklagen, nämlich diejenige des Lauterkeitsrechts. Auch die Europäische Union verpflichtet ihre Mitgliedstaaten zur Schaffung von Verbandsklagebefugnissen ganz unterschiedlicher Art, etwa im Bereich des Verbraucherschutzes, 7 beim Schutz vor Diskriminierungen 8 und bei der Durchsetzung der »Rechte des geistigen Eigentums«. 9 Auch durch diese Europäisierung der Verbandsklage ist »die rechtlich-politische Diskussion um die sachge6 So mit Recht Thiere, Die Wahrnehmung überindividueller Interessen im Zivilprozeß 290; Münchener Kommentar ZPO/Lindacber, Rn.72 vor §50: Verbandsklage »relativiert das Verbot der Popularklage«. Auch der BGH sprach einst im Hinblick auf die lauterkeitsrechtliche Verbandsklage von der »Popularklage aus § 1 3 UWG« (BGH 5.1. 1960, GRUR 1960, 379, 380); allerdings findet sich dieser Sprachgebrauch später in der Rechtsprechung nicht mehr wieder. 7 Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.5. 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, ABl. EG 1998 L 166, 51. 8 Siehe Art. 7 Abs.2 der Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29.6. 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, ABl. EG L 180, 22; Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 des Rates vom 27.11. 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. EG L 303, 16; Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 76/207/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen i.d.F. der Richtlinie 2002/73/EG, ABl. EG L 269, 15; Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13.12. 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen. ' Art. 4 c) und d) der Richtlinie 2004/48/EG des Rates vom 29.4. 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, ABl. EU L 157, 45.
I. Gegenstand
der
Untersuchung
5
mäßen Strukturen und Perspektiven unseres Verbandsklagesystems in eine neue Phase getreten.« 10 Allerdings wird das Mittel der Verbandsklage vom deutschen und europäischen Gesetzgeber sehr punktuell eingesetzt, ohne daß ein größerer Zusammenhang oder gar ein System auf den ersten Blick erkennbar wäre. Neben diesem Pointiiiismus der gesetzlichen Regeln der Verbandsklage sorgt auch ihre Einbettung in das weitere Feld der Repräsentation kollektiver Interessen für erhebliche Unschärfen. Die Verbandsklage wird oft gemeinsam diskutiert mit Stichworten wie Gruppenklage, Sammelklage und Musterklage. 11 Sie steht damit im weiteren Kontext der Entwicklung neuer oder erweiterter Formen des kollektiven Rechtsschutzes in Deutschland und in Europa. Diese Entwicklung ist zumindest auch als Reaktion auf die rechtstatsächliche Dominanz der US-amerikanischen class action zu erklären. Die rechtsvergleichende Forschung konstatiert darüber hinaus einen allgemeinen internationalen Trend zur Erweiterung der Formen des kollektiven Rechtsschutzes. 12 Will man also den Blick auf die Verbandsklage schärfen, so muß zunächst ihr Standort innerhalb dieses weiteren Kontexts des kollektiven Rechtsschutzes geklärt werden. 1. Populär- und Verbandsklagen als originäre Interventionskompetenzen Zu diesem Zwecke ist eine wichtige Abgrenzung vorzunehmen, die den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung bestimmt. In der Diskussion um Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes muß man zwischen zwei Typen rechtlicher Befugnisse unterscheiden: Einerseits gibt es Befugnisse, die nur der gebündelten oder vereinfachten Durchsetzung ohnehin bestehender individueller Rechte dienen, andererseits gibt es aber auch originäre Interventionskompetenzen der Populär- oder Verbandskläger, die von einer derartigen Repräsentation individueller Rechte zu unterscheiden sind. Dieser Unterscheidung folgt die vorliegende Arbeit. Ihr liegt die Hypothese zugrunde, daß diese unterschiedlichen Typen von Befugnissen auch ganz unterschiedliche prozessuale Probleme aufwerfen. Soweit es um die Durchsetzung bestehender individueller Ansprüche in veränderten Formen geht, ändert dies nichts am grundlegenden Charakter des Zivilprozesses als Durchsetzung subjektiver Privatrechte. Wird dagegen von originären Interventionskompetenzen Gebrauch gemacht, die nicht in einer derartigen Durchsetzung individueller Rechtspositionen bestehen, so können auch die prozeßrechtlichen Regeln von diesem Perspektivenwechsel nicht unbeeinflußt bleiben.
Münchener Kommentar BGB/Micklitz, R n . 7 4 vor § 13 AGBG. Siehe etwa die diese Fragen zusammenfassend diskutierenden Bände Basedow u.a. (Hrsg.), Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß; Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeßrecht. 12 Hopt/Baetge, in: Basedow u.a. (Hrsg.) a.a.O. 11, 12. 10 11
6
Einleitung
Dieser Unterschied zwischen der Addition von Individualansprüchen einerseits und orginärer Interventionskompetenz des Verbandsklägers andererseits wird auch in der EG-Richtlinie über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen deutlich: Diese bezieht sich ausdrücklich nur auf »Kollektivinteressen der Verbraucher« und meint damit solche Interessen, »bei denen es sich nicht um eine Kumulierung von Interessen durch einen Verstoß geschädigter Personen handelt.« 13 Genau diese Differenz kennzeichnet auch das Verhältnis zwischen der USamerikanischen class action und der deutschen Verbandsklage, wie man sie etwa in § § 8 Abs. 3 UWG, 1 ff. UKlaG vorfindet. Bei einer class action können die Mitglieder der class nicht mehr erhalten, als ihnen auch im Individualprozeß zugesprochen würde; es handelt sich also nur um ein besonderes - wenn auch schlagkräftiges - Verfahren zur Durchsetzung bereits bestehender Ansprüche.14 Dagegen hängt die Verbandsklage gemäß §§8 Abs. 3 UWG, § § 1 ff. UklaG weder von der Existenz individueller Ansprüche - etwa geschädigter Verbraucher oder Wettbewerber - ab, noch wird in dem mit ihr eingeleiteten Verfahren über das Bestehen oder Nichtbestehen solcher Ansprüche entschieden. Stattdessen schaffen diese Verbandsklagebefugnisse zusätzliche »Intervenienten«15 in Form der klageberechtigten Verbände. Daher handelt es sich bei ihnen nicht um eine verbesserte Durchsetzungsmöglichkeit für individuelle Ansprüche, sondern um eine davon abweichende zusätzliche »Spur« 16 des Rechtsschutzes, die sich durch eine Erweiterung des Kreises der Klagebefugten über die individuell Betroffenen hinaus auszeichnet.17 Der Unterschied zwischen class action und Verbandsklage wird teilweise auch darin gesehen, daß erstere eine Addition von Individualinteressen oder -rechten darstellt, letztere dagegen über-individuelle, diffuse oder öffentliche Interessen schützen soll. 18 Diese Unterscheidung widerspricht der hier vertretenen nicht, denn die zum Schutze der »nicht-individuellen« Interessen eingeräumten Kompetenzen bestehen gerade in der Interventionsmöglichkeit der Verbände. Gegen eine derartige Trennung spricht aber, daß auch die class action als Klage im öffentlichen Interesse verstanden wird. 19 Die Begriffe des individuellen, überindividuellen, öffentlichen, allgemeinen oder diffusen Interesses sind auf den ersten Richtlinie 98/27/EG, a.a.O., Erwägungsgrund 2. Vgl. nur die Beschreibung der US-amerikanischen class action als Klageart, die sich auf eine Gruppe bezieht, »deren Mitglieder durch gleichartige Ansprüche miteinander verbunden sind.« Baetge/Eichholtz, in: Basedow u.a. (Hrsg.) a.a.O. 285, 288. 15 Lindacher, ZZP 103 (1990) 397, 401. 16 E. Schmidt, ZIP 1991, 629, 633. 17 Kötz, in: Homburger/Kötz, Klagen Privater im öffentlichen Interesse 69, 88. 18 Koch, ZZP 113 (2000) 413, 415; ders., Duke J. Comp. & Int. L. 11 (2001) 355, 357. 19 Baetge/Eichholtz, a.a.O. 2 8 5 , 2 8 8 . Vgl. auch die Titel der Arbeiten von Hensler u.a., Class Action Dilemmas: Pursuing Public Goals for Private Gain; Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse; Homburger/Kötz, Klagen Privater im öffentlichen Interesse. 13
14
7
I. Gegenstand der Untersuchung
Blick auch nicht besonders trennscharf und bedürfen einer genaueren Überprüfung. 2 0 Ahnliches gilt für die vor allem im öffentlichen Recht teilweise vorgenommene Unterscheidung zwischen egoistischer Verbandsklage einerseits und altruistischer oder ideeller Verbandsklage andererseits. 2 1 Z w a r könnte man die in der vorliegenden Arbeit untersuchten Interventionskompetenzen für Populär- und Verbandskläger als altruistisch in dem Sinne bezeichnen, daß sie keine Betroffenheit in eigenen Interessen voraussetzen. J e d o c h heißt dies nicht, daß altruistisch im Sinne von »selbstlos« gehandelt wird oder werden muß: So wird etwa die populäre Patentnichtigkeitsklage regelmäßig nicht aus selbstlosem Idealismus, sondern aus konkreten materiellen Interessen heraus erhoben. Auch eine »altruistische« Verbandsklagekompetenz wie etwa diejenige des Lauterkeitsrechts kann durchaus »egoistisch« verwendet werden, nämlich etwa zur Erzielung von Einnahmen durch Abmahnungen. Inwieweit eine derartige M o t i v a t i o n geduldet werden k a n n , ist noch genauer zu untersuchen. 2 2 Das Ergebnis dieser Überprüfung sollte aber nicht durch eine dem Phänomen möglicherweise nicht gerecht werdende Bezeichnung wie »altruistische Verbandsklage«
vorweggenommen
werden. Trotzdem zeigt auch diese Begrifflichkeit, daß es einen wesentlichen Unterschied gibt zwischen der Bündelung von Individualrechten oder -interessen einerseits und der Schaffung originärer Interventionskompetenzen für Popularoder Verbandskläger andererseits. N u r letztere sind Gegenstand dieser Arbeit.
2 . A b g r e n z u n g zur B ü n d e l u n g individueller R e c h t e Diese Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands von Formen der Bündelung individueller Rechte soll im folgenden mit Blick auf die derzeit diskutierten Phänomene des kollektiven Rechtsschutzes noch vertieft werden.
a) Mandatierte Repräsentation individueller Interessen Zunächst scheiden alle Formen der mandatierten Repräsentation fremder Interessen aus dem Untersuchungsgegenstand aus. M i t mandatierter Repräsentation ist dabei eine Konstellation gemeint, in der ein primär Betroffener eine andere Person mit der Durchsetzung seiner Rechte beauftragt. Eine solche mandatierte Dazu unten, S.202ff. Siehe Rehbinder, ZRP 1 9 7 6 , 1 5 7 , 1 5 8 ; Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen 217ff.; Faber, Die Verbandsklage im Verwaltungsprozeß 10 und 40. Ebenso die auf das Privatrecht bezogene Unterscheidung bei Kessedjian, Riv. dir. int. priv. proc 33 (1997) 281, 282: Verbandsklagen seien in zwei Gattungen zu unterteilen, nämlich solche, welche Individualrechte repräsentieren einerseits und andererseits solche im Allgemeininteresse. 2 2 Siehe dazu unten, S.332ff. 20 21
8
Einleitung
Repräsentation setzt die Existenz der durchzusetzenden Individualrechte voraus und ändert an ihrem Charakter und Inhalt nichts. Beispiele einer solchen Konstellation sind etwa die Klage des römischen cognitor oder des procurator23 sowie in neuerer Zeit die Inkassozession und die gewillkürte Prozeßstandschaft. Eine dieser Formen ist die seit langem in der Rechtsprechung anerkannte prozeßstandschaftliche Klage eines Verbands für seine Mitglieder. So wurde es etwa für zulässig erachtet, daß der Deutsche Anwaltsverein Unterlassungsansprüche seiner Mitglieder wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz als Prozeßstandschafter geltend macht. 24 Eine derartige Klage setzt ein Doppeltes voraus, nämlich einen Anspruch des einzelnen Mitglieds und eine Ermächtigung des Verbands zur Geltendmachung dieses Anspruchs. 25 Die Ermächtigung wird von der Rechtsprechung unter bestimmten Umständen bereits in der Mitgliedschaft in dem Verband gesehen. 26 Jedenfalls handelt es sich auch bei einer derartigen Klage im Mitgliederinteresse um eine mandatierte Repräsentation individueller Ansprüche. Sie hat im Vergleich zu den gesetzlich geregelten Verbandsklagebefugnissen keine große praktische Bedeutung erlangt. 27 Teilweise werden die gesetzlich vorgesehene Verbandsklagebefugnisse gar als Ausschluß prozeßstandschaft licher Befugnisse derselben Verbände betrachtet. 28 Der im Schrifttum gemachte Vorschlag der Ausweitung einer auf gewillkürter Prozeßstandschaft gegründeter Verbandsklage auf den Umweltschutz und andere Lebensbereiche 29 hat sich bisher nicht durchgesetzt. Auch die Inkassozession eines Anspruchs an einen Verbraucherverband, die gemäß Art. § 3 Nr. 8 RBerG seit 2 0 0 2 zulässig ist, ist eine mandatierte Repräsentation individueller Rechte, da sie auf dem Willen des betroffenen Verbrauchers beruht, seine Rechtsangelegenheiten durch diesen Verband erledigen zu lassen. Man mag auch dies eine Verbandsklage nennen, 30 da ein Verband agiert. Im Unterschied zu den Verbandsklagen etwa aus § § 1 ff. UKlaG handelt der Verband hier aber nicht aufgrund einer speziell ihm zugewiesenen Interventionskompetenz, sondern schlicht als Zessionar des individuellen Verbrauchers. Dies ist eine Rolle, die - in den Grenzen des Rechtsberatungsgesetzes - jedermann einnehmen Dazu und zu den Unterschieden Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozeßrecht 210 ff. BGH 9.5. 1967, BGHZ 48, 12, 15. Zur prozeßstandschaftlichen Klage einer Gewerkschaft für ihr Mitglied vgl. Pfarr/Kocher, Kollektivverfahren im Arbeitsrecht 51 ff. 2 5 Vgl. zuletzt etwa BGH 13.11. 2 0 0 1 , BGHZ 149, 165, 167f. 2 6 BGH 9.5. 1967, BGHZ 48, 12, 15. 2 7 Zumal in der Rechtsprechung zwischen prozeßstandschaftlicher Wahrnehmung von Mitgliederrechten und Klagen aus eigener Verbandsklagebefugnis nicht immer eindeutig unterschieden wird, vgl. dazu Marotzke, Von der schutzgesetzlichen Unterlassungsklage zur Verbandsklage 23 ff. Vereinzelt gebliebene Beispiele für die gewillkürte Prozeßstandschaft im Mitgliederinteresse sind zu finden bei Zöller/Vollkommer, ZPO, Rn. 60 vor § 50. 2 8 BGH 9.10. 1997, NJW 1998, 1 1 4 8 , 1 1 4 9 f . ; zustimmend Zöller /Vollkommer, a.a.O.; kritisch jedoch Kocher, VuR 1998, 276f. 29 Marotzke, Von der schutzgesetzlichen Unterlassungsklage zur Verbandsklage 87ff. 3 0 So bei Stadler, FS Ekkehard Schumann 465, 4 7 8 ff. 23 24
I. Gegenstand der Untersuchung
9
kann, etwa auch ein Verwandter oder Bekannter des betroffenen Verbrauchers. Die Bezeichnung als Verbandsklage bringt hier also keinen besonderen Gewinn. Ebenso wenig hilfreich ist die Bezeichnung des in Art. 1 § 3 Nr. 8 R B e r G beschriebenen Vorgangs als » M u s t e r k l a g e « . 3 1 Die Inkassozession an den Verbraucherverband entfaltet - dessen sind sich auch die Urheber dieser Bezeichnung freilich b e w u ß t 3 2 - keinerlei rechtliche Musterwirkung. Für eine solche rechtliche Musterwirkung bedürfte es entweder einer vertraglichen Ubereinkunft der betroffenen Parteien 3 3 oder einer gesetzlichen Anordnung derartiger Wirkungen wie in § 9 3 a V w G O . Wird also bezüglich Art. 1 § 3 Nr. 8 R B e r G von einer M u sterklage gesprochen, so kann damit nur die faktische Musterwirkung gemeint sein, die aber jeder andere Individualprozeß auch haben kann. Um Fälle der mandatierten Repräsentation handelt es sich auch bei den in den Antidiskriminierungsrichtlinien
der Europäischen Union vorgesehenen Ver-
bandsklagen, 3 4 da die jeweils berechtigten Verbände hier nicht aus eigener Initiative, sondern nur aufgrund einer ausdrücklichen Ermächtigung des Betroffenen prozessieren k ö n n e n . 3 5 In der Diskussion um etwaige in Deutschland nötige M a ß n a h m e n zur Umsetzung dieser Richtlinien wurde daher nicht ganz zu Unrecht darauf hingewiesen, daß es besonderer Umsetzungsmaßnahmen im Hinblick auf Verbandsklagebefugnisse gar nicht bedarf, sondern daß die vorhandenen Möglichkeiten der Inkassozession und der gewillkürten Prozeßstandschaft ausreichen. 3 6 Allerdings müßten dann diese Möglichkeiten auch für die von den Richtlinien betroffenen Sachbereiche eröffnet werden, d.h. entweder durch Veränderungen im Rechtsberatungsgesetz ähnlich wie zum Verbraucherschutz in Art. 1 § 3 Nr. 8 R B e r G oder durch Lockerung der von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an die Zulässigkeit der gewillkürten Prozeßstandschaft. 3 7 Eine solche vom Betroffenen mandatierte Klagemöglichkeit für Verbände wurde bereits in § 6 3 S G B I X für Fälle der Diskriminierung behinderter M e n schen eingeführt. Diese Vorschrift wird teilweise als Vorbild für eine mandatierte »Verbandsklage« im Antidiskriminierungsrecht vorgeschlagen. 3 8 Auch § 1 2 des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen ( B G G ) enthält eine Regelung
3 1 Ebd. Von einem »Musterprozeß« und einer »Musterklage« spricht im Hinblick auf Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG auch Münchener Kommentar ZPO/Micklitz (Aktualisierungsband 2002) UKlaG Rn.27ff. 3 2 Vgl. Stadler, FS Ekkehard Schumann 465, 479. 3 3 Dazu eingehend Jacoby, Der Musterprozeßvertrag. 3 4 Siehe oben, Fn. 8. 3 5 Dazu Kocher, ZEuP 2 0 0 4 , 2 6 0 , 2 6 5 ff. (Prozeßstandschaft des Verbandes oder Inkassozession); Mahlmann, ZEuS 2 0 0 2 , 407, 416. 3 6 Stellungnahme 14/02 des Deutschen Anwaltvereins vom 13.2. 2002 zum Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Verhinderung von Diskriminierung im Zivilrecht 13. 37 Kocher, ZEuP 2 0 0 4 , 260, 265. 3 8 Ebd. 269.
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Einleitung
über die gewillkürte Prozeßstandschaft bestimmter Verbände bei der Durchsetzung von Ansprüchen behinderter Menschen. 39 Eine über die Anforderungen der EG-Richtlinien hinausgehende und vom Mandat des Betroffenen unabhängige Verbandsklage gegen Diskriminierungen wurde zwar 2001 vom Bundesjustizministerium vorgeschlagen, 40 jedoch nach Kritik in der Literatur an der Gesamtkonzeption des geplanten Diskriminierungsschutzes 41 nicht weiter verfolgt. Der 2006 vorgelegte Regierungsentwurf eines »Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes« sieht nur noch die Prozeßvertretung durch bestimmte Verbände vor. 42 In der im Angesicht der US-amerikanischen class action geführten rechtspolitischen Diskussion wird für Deutschland teilweise eine »opt-in«-Gruppenklage vorgeschlagen. 43 Auch sie wäre als Fall der mandatierten Repräsentation einzuordnen, denn der Begriff des »opt-in« meint ja gerade, daß die Wirkungen der Gruppenklage für den einzelnen Betroffenen davon abhängen sollen, ob er sich ausdrücklich der Klage anschließt. Tut er nichts, so hat die Gruppenklage für ihn auch keinerlei rechtliche Wirkung. Diese Konstruktion unterscheidet sich daher nicht nennenswert von einer gewillkürten Prozeßstandschaft oder von einer Inkassozession, wie sie etwa in Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG ermöglicht wird. Daher wird letztere Vorschrift auch als bereits de lege lata bestehende Möglichkeit einer » opt-in «-Gruppenklage beschrieben. 44 39
Vgl. Schlacke, R s D E 5 2 (2003) 60, 6 6 f f . und 81 f. Bundesministerium für Justiz, Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Verhinderung von Diskriminierungen im Zivilrecht v. 1 0 . 1 2 . 2 0 0 1 (unveröffentlicht). Der Entwurf enthielt u.a. ein allgemeines Verbot von Diskriminierungen im Vertragsrecht ( § 3 1 9 a BGB-Entwurf), wobei für das Arbeitsrecht besondere Regeln gelten sollten. N e b e n Ansprüchen der individuell Betroffenen sollte das Diskriminierungsverbot - soweit ein Unternehmer dagegen verstößt - auch durch eine im UKlaG angesiedelte Verbandsklage bewehrt werden: »Ein Unternehmer, der gegen das Benachteiligungsverbot des § 3 1 9 a des Bürgerlichen Gesetzbuches verstößt, k a n n auf Unterlassung in Anspruch g e n o m m e n werden, soweit der Anspruch eine H a n d l u n g betrifft, durch die wesentliche Belange der benachteiligten Personengruppe b e r ü h r t werden« (§ 2 Abs. 3 UKlaG-Entwurf). Die Verbandsklagebefugnis sollte Verbraucherverbänden u n d besonderen Verbänden gegen Diskriminierungen zustehen, wobei unklar blieb, w a r u m gerade die Verbraucherverbände hier besondere Kompetenzen h a b e n sollen, vgl. Wiedemann/Thüsing, DB 2 0 0 2 , 463, 470. 41 Statt vieler die p r ä g n a n t e Kritik von Ladeur, G e r m a n L a w J o u r n a l 3 (2002), Nr. 5 v. 1.5. 2 0 0 2 : Eine allgemeine Antidiskriminierungsregel verstoße gegen die notwendige T r e n n u n g zwischen moralischer Verpflichtung und rechtlichem Z w a n g . Das vorgeschlagene Gesetz sei typisch für eine sozialdemokratische Regierung, die die wirklichen sozialen Probleme nicht m e h r bewältigen k ö n n e u n d daher Z u f l u c h t in symbolischer Gesetzgebung suche. 42 So § 2 3 Abs. 2 A G G - E im Regierungsentwurf vom M a i 2 0 0 6 . G e m ä ß Abs. 3 dieser Vorschrift ist auch die Inkassozession an einen solchen Verband möglich. 43 Stadler, in: Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeßrecht 2 4 f f . Für eine » o p t - o u t « - G r u p p e n k l a g e und damit für eine stärkere A n n ä h e r u n g an das US-amerikanische Modell plädieren dagegen Hopt/Baetge, in: Basedow u.a. (Hrsg.), Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß 11, 4 7 f f . 44 Siehe M ü n c h e n e r K o m m e n t a r Z P O / M i c k l i t z (Aktualisierungsband 2002) UKlaG Rn. 31, 40
I. Gegenstand
der
Untersuchung
11
h) 'Wahrnehmung fremder Interessen durch ex officio-Repräsentation Die dargestellten Formen der mandatierten Repräsentation von Individualinteressen können also recht eindeutig aus dem Untersuchungsbereich dieser Arbeit ausgeschieden werden. Sie unterscheiden sich etwa von den Verbandsklagen gemäß §§8 Abs. 3 UWG, lff. UKlaG nicht nur durch ihren Bezug auf individuelle Rechtspositionen, sondern auch dadurch, daß sie von der ausdrücklichen oder impliziten Zustimmung des individuell Betroffenen abhängen. Im Gegensatz dazu hängt ja die Klagekompetenz nach §§8 Abs. 3 UWG, lff. UKlaG nicht davon ab, daß irgendein betroffener Verbraucher oder Wettbewerber in die Prozeßführung durch den Verband einwilligt. Dessen Klageberechtigung ergibt sich vielmehr schon aus der gesetzlichen Zuweisung. Im Gegensatz zur mandatierten Repräsentation bestimmter Interessen könnte man daher diese Klageberechtigungen als Repräsentation ex officio bezeichnen.45 Ebenso wie ein Insolvenzverwalter kraft richterlicher Bestellung zum Repräsentanten bestimmter Interessen wird, so werden auch die in § 8 Abs. 3 UWG und § 3 UKlaG bezeichneten Verbände zum Sachwalter der Durchsetzung bestimmter Rechtsvorschriften ernannt. Anders als beim Insolvenzverwalter verleiht hier allerdings bereits das Gesetz - sowie gegebenenfalls die Eintragung in die »Liste qualifizierter Einrichtungen« gemäß § 4 UKlaG - diese Repräsentantenstellung. Die Unterscheidung zwischen mandatierter Repräsentation und Repräsentation ex officio ist nicht nur von systematischem Interesse, sondern hat auch erhebliche dogmatische und funktionale Bedeutung. Dies betrifft zunächst das Problem der Rechtskraftwirkung. Bei der mandatierten Repräsentation ist zumindest intuitiv einleuchtend, daß jemand die Wirkungen eines Verfahrens für und gegen sich gelten lassen muß, wenn er seinen Repräsentanten mit der Führung dieses Verfahrens beauftragt hat. Bei der Repräsentation ex officio ist dies erheblich problematischer. Sie ist stets mit Legitimationsproblemen behaftet, nämlich mit der Frage, warum gerade dieser Kläger der geeignete Repräsentant bestimmter Kollektivinteressen sein soll und warum und wie weit andere Betroffene an die vom ex o/jfoo-Repräsentanten erzielten Ergebnisse gebunden sein sollen. Auch hinsichtlich der faktischen Wirkung gibt es erhebliche Unterschiede. Die mandatierte Repräsentation ist insofern ein schwächeres oder milderes Mittel, als sie die Entscheidung über die rechtsförmige Austragung eines Konflikts in den Händen eines individuell Betroffenen läßt, mit allen damit verbundenen Vorund Nachteilen. Dies zeigt sich etwa in der Diskussion um die Verbandsklage im Antidiskriminierungsrecht: Solange man die Entscheidung über die Prozeßfühder statt »Gruppenklage« von »Sammelklage« spricht, was aber keinen inhaltlichen Unterschied macht. 4 5 Vgl. zu dieser Unterscheidung Halfmeier, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2 0 0 3 , 129ff.
12
Einleitung
rung der angeblich diskriminierten Person überläßt, bestimmt deren Motivationslage darüber, ob der Fall zum Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzung gemacht wird. Sieht sie - aus welchen Gründen auch immer - von einer Klage ab, so unterbleibt eine solche rechtliche Verarbeitung des Falles, und zwar ganz unabhängig davon, ob eine rechtliche Klärung möglicherweise im Interesse vieler Menschen geboten erscheint. Darf dagegen - wie im Diskussionsentwurf des Bundesjustizministeriums vom Dezember 2001 angedacht46 - ein Verband den Fall ohne Zustimmung des oder der individuell Betroffenen vor Gericht bringen, so kann die Frage nach dem gesamtgesellschaftlichen Interesse an einer rechtsförmigen Klärung durchaus ausschlaggebend sein. Zweifellos hängt auch dies wieder von den Motiven der Verbandsfunktionäre, von der Ausstattung des Verbands und anderen Umständen ab, aber eben nicht allein von der Motivationslage einzelner Betroffener. Diese Möglichkeit, einen Sachverhalt unabhängig vom Willen einzelner Betroffener aufzugreifen und einer rechtsförmigen Klärung zuzuführen, ist für die Repräsentation ex officio kennzeichnend. Die ex officioVerbandsklage ist daher mit Recht auch als »Aufgreifzuständigkeit«47 der jeweils berechtigten Verbände bezeichnet worden. Allerdings gibt es auch Formen der ex o///c/o-Repräsentation, die sich auf die Durchsetzung individueller Rechte beschränken und daher nicht zum Gegenstand der vorliegenden Untersuchung gehören. So ist etwa die US-amerikanische class action durchaus als Repräsentation ex officio einzuordnen. Bei ihr repräsentiert der prozeßführende Kläger - der named plaintiff- die restlichen Mitglieder der Gruppe. Diese Repräsentantenstellung erlangt er aber nicht durch Mandat der Gruppenmitglieder, sondern durch eigene Initiative und die darauf folgende richterliche Zuweisung in Form der certification der class action,48 Diese bewirkt, daß die Ergebnisse des Verfahrens auch für und gegen die anderen Mitglieder der Gruppe wirken. Zwar muß durch geeignete Mittel versucht werden, alle Gruppenmitglieder von der Durchführung des Verfahrens und von der Möglichkeit des opt-out zu unterrichten, aber die Rechtskraftwirkung nach Abschluß des Verfahrens hängt nicht vom Erfolg dieser Bemühungen ab. 4 9 Bereits oben wurde jedoch dargestellt, daß die class action nur eine Bündelung bereits bestehender Ansprüche bewirkt und keine originären Interventionskompetenzen schafft. Eine der US-amerikanischen class action vergleichbare Durchsetzung bestehender Ansprüche durch ex o//iao-Repräsentation kennt das deutsche Recht bisher kaum. Allenfalls könnte man die Wahrnehmung bestimmter Vergütungsrechte von Urhebern durch die entsprechenden Verwertungsgesellschaften gemäß § 54h UrhG als derartigen Vorgang einordnen. Immerhin stehen diese Ansprüche 46 47 48 49
Siehe oben, F n . 4 0 . Lindacher, FS Deutsche Richterakademie 2 0 9 , 2 1 3 ; E. Schmidt, Dazu Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action 129 ff. Ebd. 2 1 5 .
N J W 1989, 1 1 9 2 , 1194.
1. Gegenstand der Untersuchung
13
gemäß § § 5 4 , 5 4 a U r h G zwar dem Urheber selbst zu, aber er m u ß sich kraft der gesetzlichen Anordnung in § 5 4 h Abs. 1 U r h G durch die Verwertungsgesellschaft repräsentieren lassen. Die jüngste EG-Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums scheint über diese vorhandenen Formen der Bündelung individueller Ansprüche nicht hinauszugehen. 5 0 Auch im Gesellschaftsrecht gibt es Phänomene der ex officio-Rcprasentation
individueller Rechte: D e r gemeinsa-
me Vertreter im gesellschaftsrechtlichen Spruchverfahren gemäß § 6 SpruchG ähnelt dem named plaintiff der US-amerikanischen class action zumindest darin, daß er den individuell Betroffenen kraft gerichtlicher Entscheidung zugeordnet wird und diese dann gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 SpruchG vertritt. Eine weitere Spielart der ex o//icio-Repräsentation individueller Interessen ist mit dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz ( K a p M u G ) für Schadensersatzansprüche wegen falscher oder irreführender öffentlicher Kapitalmarktinformationen eingeführt w o r d e n . 5 1 Das dort verankerte Musterverfahren ist als Repräsentation ex officio einzuordnen, weil der Musterkläger nicht von den jeweils betroffenen Anspruchsinhabern ausgesucht wird, sondern vom Gericht bestimmt wird (§ 8 Abs. 2 K a p M u G ) . Das damit verbundene Legitimationsproblem wird hier im Vergleich zur class action jedoch erheblich gemildert, indem die anderen Anspruchsinhaber, soweit sie bereits Klage erhoben hatten, zum Musterverfahren beigeladen werden. Sie haben als Beigeladene die Rechte eines Nebenintervenienten gemäß § 6 7 Z P O . 5 2 Auch die in § 16 K a p M u G geregelte Wirkung des »Musterentscheids« entspricht der Interventionswirkung gemäß § 6 8 Z P O . Gegenüber Anspruchsinhabern, die nicht zum Musterverfahren beigeladen wurden - weil sie etwa noch keine Klage erhoben hatten
soll der Musterentscheid kei-
ne Rechtskraftwirkung entfalten. Insoweit hätte der Musterentscheid allenfalls eine faktische Musterwirkung. Es bleibt abzuwarten, o b sich das Musterverfahren bewährt und welche faktische Wirkungsmacht es erreicht. Weder § 6 SpruchG noch das Verfahren nach dem K a p M u G werden jedoch in der vorliegenden Arbeit näher untersucht, da es bei ihnen zwar um die verbesserte Durchsetzung ohnehin bestehender individueller Ansprüche geht, nicht jedoch um die
5 0 Vgl. Art.4 c) und d) der Richtlinie 2004/48/EG des Rates vom 2 9 . 4 . 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, ABl. EU L 157, 45 (Repräsentation durch Verwertungsgesellschaften und Berufsorganisationen, »soweit nach den Bestimmungen des anwendbaren Rechts zulässig«). Der insoweit weitergehende ältere Vorschlag der Kommission vom 3 0 . 1 . 2003 sah in seinem Art. 5 Abs. 2 noch die Wahrnehmung »kollektiver und individueller Rechte« durch Verbände vor; zu diesem Vorschlag Metzger/Wurmnest, ZUM 2 0 0 3 , 922, 926f. 51 So die Beschreibung des Anwendungsbereiches in § 1 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG, hinzu tritt gemäß Nr. 2 dieser Vorschrift die Erfüllungshaftung nach öffentlichen Übernahmeangeboten. Vgl. zu den Einzelheiten des Gesetzes und seiner Entstehungsgeschichte Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737ff.; Heß/Michailidou, ZIP 2 0 0 4 , 1 3 8 1 ff.; Heß, W M 2 0 0 4 , 2329ff.; Reuschle, W M 2004, 2334ff.; Sessler, W M 2 0 0 4 , 2344ff. 5 2 So der im Wortlaut gleiche § 12 KapMuG.
14
Einleitung
hier zu behandelnde Schaffung originärer Interventionskompetenzen für Populär- oder Verbandskläger. c) »Verbandsklage«
im
Arbeitsrecht
Ein weiteres Phänomen, das aus dem hier untersuchten Gebiet auszuscheiden ist, ist die seit der Burda-Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts 53 anerkannte Klagemöglichkeit der Gewerkschaften zur Durchsetzung von Tarifverträgen gegen betriebseinheitliche tarifwidrige Regelungen. Allerdings beruht diese vom Bundesarbeitsgericht anerkannte Klagemöglichkeit auf einem Recht der Gewerkschaft selbst, nämlich auf der kollektiven Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG. Das Bundesarbeitsgericht betont, daß dieses Grundrecht nicht nur die Bildung von Koalitionen garantiert, sondern über seinen Wortlaut hinaus auch Rechte des so geschaffenen Verbands selbst begründet. Zumindest insoweit folgerichtig spricht das Gericht auch von einem der Gewerkschaft selbst zustehenden Unterlassungsanspruch aus §§ 1 0 0 4 , 823 BGB. 5 4 Trotzdem ist auch diese Klagemöglichkeit in den Kontext der Durchsetzung allgemeiner Interessen eingebettet. Faktisch geht es hier um die Interessen aller betroffener Arbeitnehmer - und möglicherweise auch der Arbeitgeber - an der Durchsetzung von Tarifverträgen und an der Aufrechterhaltung der Tarifautonomie. Vor diesem Hintergrund ist es daher verständlich, wenn auch die BurdaEntscheidung als »Vorstufe einer Verbandsklage« bezeichnet wird. 5 5 Gleichwohl handelt es sich hier jedenfalls um eine »andere Konzeption« 5 6 von Verbandsklage als etwa bei § § 1 ff. UKlaG. Denn anders als bei dieser werden bei der gewerkschaftlichen Klage gegen Tarifbruch vornehmlich die konkreten tariflichen Rechte der betroffenen Gewerkschaftsmitglieder durchgesetzt: Der Anspruch gegen tarifwidrige arbeitsvertragliche Regelungen besteht nur dann, wenn der betreffende Tarifvertrag im Anwendungsbereich der von der Gewerkschaft angegriffenen betrieblichen Regelung normativ gilt. 5 7 Diese Geltung wiederum beruht - vom Sonderfall der Allgemeinverbindlichkeitserklärung zunächst abgesehen - gemäß § 3 Abs. 1 T V G auf der freiwilligen Mitgliedschaft der jeweiligen Arbeitnehmer in der Gewerkschaft. Die Durchsetzung des Tarifs ist daher von den Gewerkschaftsmitgliedern in dem hier vertretenen Sinne mandatiert, und zwar ungeachtet der Tatsache, daß die einzelnen Arbeitnehmer tarifwidrige Arbeitsverträge abschließen. Dies ändert nichts an der freiwillig eingegangenen Tarifbindung, die jeder Arbeitnehmer durch Austritt aus der GewerkBAG 2 0 . 4 . 1999, RdA 2 0 0 0 , 165. Ebd. 166. 55 Franzen, Referat auf der 28. Tagung für Rechtsvergleichung 2 0 0 1 in Hamburg, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Rechtsvergleichung Nr. 2 9 , Januar 2 0 0 3 , 48. 56 Kocher, ZEuP 2 0 0 4 , 2 6 0 , 2 6 3 . 5 7 BAG 2 0 . 4 . 1999, RdA 2 0 0 0 , 165, 168. 53
54
I. Gegenstand der Untersuchung
15
Schaft auch wieder aufheben kann. Insgesamt geht es also bei der Gewerkschaftsklage gegen Tarifbruch um eine von den Mitgliedern mandatierte Durchsetzung ihrer Interessen und nicht um eine in der vorliegenden Arbeit zu untersuchende besondere Interventionskompetenz. Dies mag sich allerdings in Zukunft ändern, soweit die gewerkschaftliche Unterlassungsklage auch in Fällen allgemeinverbindlicher Tarifverträge Bedeutung erlangt. In diesem Fall wäre sie allerdings als originäre Interventionskompetenz im hier vertretenen Sinne anzusehen, da sie dann schlicht der Durchsetzung des objektiven Rechts (§ 5 Abs. 4 T V G ) diente, ohne Rücksicht darauf, o b die betroffenen Arbeitnehmer in der Gewerkschaft organisiert sind. Angesichts des bisher noch bescheidenen Umfangs von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen ist diese Variante allerdings zu vernachlässigen und soweit ersichtlich auch noch nicht praktisch relevant geworden. Im übrigen darf auf die einschlägigen jüngeren Untersuchungen zur kollektiven Rechtsdurchsetzung im Arbeitsrecht verwiesen werden. 5 8
3. Abgrenzung zur aktienrechtlichen Anfechtungsklage Neben dem Arbeitsrecht wird auch das Gesellschaftsrecht als weitere Spezialmaterie in der vorliegenden Untersuchung nicht behandelt. Allerdings enthalten § § 2 4 5 f f . A k t G eine Klagekompetenz, die teilweise als eine »auf den Kreis der Aktionäre beschränkte Popularklage« bezeichnet w i r d . 5 9 Für eine solche Bezeichnung spricht, daß der jeweilige Aktionär hier unabhängig davon klageberechtigt ist, o b der angegriffene Beschluß der Hauptversammlung ihn in seinen Rechten verletzt. 6 0 Daher wird behauptet, daß die Befugnis aus § 2 4 5 A k t G nicht dem Individualinteresse des Aktionärs, sondern dem Gesamtinteresse aller Aktionäre diene. 6 1 Andererseits wird darauf verwiesen, daß der einzelne Kläger zur Vertretung eines solchen Gesamtinteresses gar nicht legitimiert wäre und daß es sich bei dem Anfechtungsrecht um eine eigene Kompetenz des Aktionärs handele, die in seiner mitgliedschaftlichen Stellung begründet sei. 6 2 Allerdings unterscheidet sich § 2 4 5 A k t G von den anderen hier untersuchten Populär- und Verbandsklagen schon dadurch, daß er nicht nur die Kontrolle des für jedermann geltenden objektiven Rechts bezweckt, sondern ausweislich des § 2 4 3 Abs. 1 A k t G zumindest auch der Einhaltung der durch die Satzung konsti-
Insbesondere Pfarr/Kocher, Kollektivverfahren im Arbeitsrecht. Horrwitz, Das Recht der Generalversammlungen der Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien 88; ebenso im Ergebnis Rebbinder/Burgbacher/Knieper, Bürgerklage im Umweltrecht 97ff.; Kölner Kommentar AktG /Zöllner, § 245 Rn. 77; Tbiere, Die Wahrung überindividueller Interessen im Zivilprozeß 337. 60 Hüffer, AktG, §246 Rn.9 m.w.N. 61 Tbiere, a.a.O. 337. 62 Horrwitz, a.a.O. 50f. und 114f. 58 59
16
Einleitung
tutierten innergesellschaftlichen Rechtsordnung dient. Daher ist der Kreis der Klageberechtigten auch in anderer Weise beschränkt als bei den übrigen hier untersuchten Populär- und Verbandsklagen. Im Gegensatz zu einer klassischen Popularklage ist gerade nicht quivis ex populo klageberechtigt, sondern sind es nur die Aktionäre der jeweiligen Gesellschaft. Allerdings ist auch bei den Verbandsklagen der Kreis der Klageberechtigten gemäß § 3 UKlaG und vergleichbaren Bestimmungen beschränkt; aber diese Beschränkungen ergeben sich nicht aus dem mitgliedschaftlichen Charakter der Klagebefugnis, sondern aus noch zu erörternden pragmatischen Erwägungen. Dieser Charakter des § 245 AktG als einer aus der Mitgliedschaft in einer Organisation fließenden Befugnis ist ein ausreichender Grund, ihn hier nicht zu behandeln. Dies setzte eine vertiefte Befassung mit dem Charakter und den Konsequenzen dieser Mitgliedschaft voraus, welche der gesellschaftsrechtlichen Diskussion überlassen bleiben sollte. Allerdings ist § 245 AktG insofern von allgemeiner Bedeutung, als er häufig unter dem Gesichtspunkt des Mißbrauchs von Klagebefugnissen behandelt wird. 63 Soweit in dieser Diskussion allgemeine Aspekte des Mißbrauchs der Popularklage behandelt werden, sind sie auch für die hier unternommene allgemeine Untersuchung relevant. 64 4. Beschränkung auf das Privatrecht Des weiteren ist schon im Titel der Arbeit eine Beschränkung auf diejenigen Kompetenzen enthalten, die in den Formen des Privatrechts ausgeübt werden. Diese Abgrenzung ist zunächst der tradierten Trennung der rechtswissenschaftlichen Fächer geschuldet. Zweifellos gibt es auch im öffentlichen Recht Phänomene der objektiven Rechtskontrolle; hier sind insbesondere die im Bundesnaturschutzgesetz und in zahlreichen Landesnaturschutzgesetzen enthaltenen Verbandsklagebefugnisse für Naturschutzverbände zu nennen. Diese Verbände sollen hier die Durchsetzung umweltrechtlicher Vorschriften überwachen. Diese Kontrollbefugnis ist ihnen kraft der genannten gesetzlichen Vorschriften »zugeordnet«. 65 Ähnlich verfährt auch die Europäische Gemeinschaft, indem sie in 6 3 Vgl. etwa BGH 2 2 . 5 . 1989, B G H Z 107, 2 9 6 , 3 1 1 : Unzulässige Ausübung des Anfechtungsrechts, wenn der Kläger die Gesellschaft »in grob eigennütziger Weise« zu einer Leistung veranlassen will, die ihm nicht gebührt; weitere Nachweise bei Hüffer, AktG, § 2 4 5 R n . 2 2 f f . Zur Gegenposition bereits Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre 14: Da die Anfechtungsklage nur dem Zweck diene, eine Rechtswidrigkeit zu beseitigen, könne sie nicht von den Motiven des Anfechtenden abhängig gemacht werden. 6 4 Siehe unten, S . 3 3 4 f . 6 5 BVerwG 3 1 . 1 0 . 1990, BVerwGE 87, 62, 73 (Naturschutzverband vertrete »die ihm in besonderer Weise zugeordneten Ziele von Naturschutz und Landschaftspflege«); zur naturschutzrechtlichen Verbandsklage vgl. C. Calliess, NJW 2 0 0 3 , 97ff.; Gassner, Treuhandklage zugunsten von Natur und Landschaft. Selbst im Völkerrecht ist jüngst das Phänomen einer »actio popularis« beschrieben worden, dazu Neugärtner, Die actio popularis in der W T O .
I. Gegenstand
der
Untersuchung
17
jüngeren Richtlinien bestimmten Verbänden im Interesse des Umweltschutzes öffentlich-rechtliche Klagekompetenzen gewährt. 66 Auch § 13 BGG enthält ein öffentlich-rechtliches Verbandsklagerecht zur Feststellung von Verstößen gegen Benachteiligungsverbote und gegen die Verpflichtung zur Barrierefreiheit öffentlicher Bauten und Anlagen. 67 Insofern besteht kein qualitativer Unterschied etwa zur Bekämpfung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen durch die in § § 1 und 3 UKlaG enthaltenen Interventionskompetenzen für bestimmte Verbraucherschutzverbände. In allen diesen Fällen geht es um gesellschaftlich relevante Anliegen, deren Durchsetzung im Rahmen individualisierter Rechtsansprüche schwierig erscheint 68 und für die daher besondere Repräsentationsinstrumente geschaffen werden. Sowohl Verbraucherinteressen wie auch ökologische Interessen werden als typische »diffuse« und daher mit besonderen rechtlichen Instrumenten zu schützende Interessen bezeichnet. 69 Diese Interessen lassen sich auch nicht exklusiv dem Privatrecht oder dem öffentlichen Recht zuordnen. Die Tatsache, daß in Deutschland heute Verbraucherinteressen eher im Gewände zivilrechtlicher Verbandsklagen geschützt werden, während Naturschutzfragen eher im Verwaltungsprozeßrecht auftauchen, läßt sich nicht auf eine Art ontologische Verschiedenheit dieser Interessen zurückführen. Vielmehr ist es eine politische Entscheidung des Gesetzgebers, bestimmte Interessen in den Formen des Privatrechts oder des öffentlichen Rechts zu schützen. Diese Alternative wurde schon bei Schaffung des AGB-Gesetzes diskutiert. Statt einer öffentlich-rechtlichen Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen, etwa in Form eines Genehmigungsverfahrens, wurde vom Gesetzgeber jedoch bewußt das Instrument der privatrechtlichen Verbandsklage gewählt. 70 Ökologische Interessen wurden in der Vergangenheit möglicherweise deswegen vorschnell mit öffentlich-rechtlicher Regulierung identifiziert, weil sie in Konflikten mit öffentlich-rechtlich organisierten Großprojekten zutage traten, etwa bei Vorhaben der seinerzeit öffentlich-rechtlich organisierten Energieversorgung oder der Verkehrsinfrastruktur. Diese öffentlich-rechtliche Prägung ökologischer Probleme ist aber angesichts zunehmender Privatisierung derarti66 Richtlinie 2 0 0 3 / 3 5 / E G des Europäischen Parlaments und des Rates v. 2 6 . 5 . 2 0 0 3 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne u n d P r o g r a m m e und zur Ä n d e r u n g der Richtlinien 8 5 / 3 3 7 / E W G u n d 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Z u g a n g zu Gerichten, ABl. EU 2 0 0 3 L 156, 17; Richtlinie 2 0 0 4 / 3 5 / E G des Europäischen Parlaments und des Rates v. 2 1 . 4 . 2 0 0 4 über Umwelth a f t u n g zur Vermeidung u n d Sanierung von Umweltschäden, ABl. EU 2 0 0 4 L 143, 56 (Art. 12f.). 67 Dazu Schlacke, R s D E 5 2 (2003) 6 0 , 7 4 f f . 68 So z u m Verbraucherschutz E. Schmidt, N J W 2 0 0 2 , 25, 28. 69 Siehe bereits Cappelletti/Garth, Access to Justice, Vol. 1/1, viii; Krämer, Env. Liability 5 (2000)127ff. 70 Kritisch dazu Damm, Z R P 1978, 167ff.
18
Einleitung
g e r G r o ß p r o j e k t e k e i n e s w e g s m e h r s e l b s t v e r s t ä n d l i c h . 7 1 E s ist e b e n s o v o r s t e l l b a r , e i n e m N a t u r s c h u t z v e r b a n d z i v i l r e c h t l i c h e B e f u g n i s s e zu v e r l e i h e n , e t w a a u f Unterlassung rechtswidriger Emissionen oder gar auf Ersatz ökologischer Schäden gegen das verschmutzende U n t e r n e h m e n . 7 2 Andererseits m u ß auch Schutz von Verbraucherinteressen nicht notwendig privatrechtlich w e r d e n , s o n d e r n k ö n n t e a u c h s t ä r k e r in die ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e
der
organisiert
Gewerbeauf-
sicht verlagert werden. T r o t z dieser G e m e i n s a m k e i t e n
zwischen privatrechtlichen
und
öffentlich-
r e c h t l i c h e n I n s t r u m e n t e n des k o l l e k t i v e n R e c h t s s c h u t z e s ist e i n e g e t r e n n t e U n tersuchung der privatrechtlichen Instrumente sinnvoll, und z w a r aus f o r m a l e n und damit zusammenhängenden rechtspolitischen Gründen. Öffentlich-rechtlic h e u n d p r i v a t r e c h t l i c h e I n s t r u m e n t e u n t e r s c h e i d e n s i c h n i c h t n o t w e n d i g in i h r e r F u n k t i o n o d e r in d e n m i t i h n e n v e r f o l g t e n I n t e r e s s e n , 7 3 w o h l a b e r d e r F o r m nach: Öffentlich-rechtliche
Befugnisse richten sich ausschließlich gegen
den
S t a a t , sie e n t h a l t e n - in G e o r g J e l l i n e k s W o r t e n - » k e i n M o m e n t , w e l c h e s u n m i t t e l b a r e i n V e r h ä l t n i s zu a n d e r e n s u b j i z i e r t e n P e r s ö n l i c h k e i t e n h e r v o r r u f e n k ö n n t e . « 7 4 D a g e g e n enthält eine privatrechtliche Befugnis i m m e r a u c h ein E l e m e n t des s t a a t l i c h g e s c h ü t z t e n » D ü r f e n s « g e g e n ü b e r e i n e m a n d e r e n R e c h t s u n t e r w o r f e n e n . 7 5 A u c h die v i e l f ä l t i g e n V e r s u c h e j ü n g e r e n D a t u m s z u r A b g r e n z u n g des privaten v o m öffentlichen Recht - etwa im Hinblick auf § § 4 0 V w G O , 13 G V G 7 1 Zu den dadurch entstehenden Problemen bei der naturschutzrechtlichen Verbandsklage Michaels, KJ 2 0 0 1 , 4 5 8 , 4 6 2 f f . Allgemein zur Vernachlässigung des Privatrechts im Bereich des Umweltschutzes Medicus, AT BGB 35: »Viele Sünden gegen den Umweltschutz gehen gerade auf die Verdrängung privatrechtlicher Unterlassungsansprüche zurück (z.B. gegen gewerbliche Emissionen oder die Folgen unnötiger Fliegerei).« In diesen Bereichen haben selbst die unmittelbar Betroffenen kaum noch subjektive Rechte. 7 2 Dies geschieht etwa in den USA im Rahmen der Bürgerklagen gemäß dem Clean Air Act, dem Clean Water Act und anderen umweit- und planungsrechtlichen Gesetzen, dazu zuletzt Friends of the Earth v. Laidlaw Environmental Services, Inc., 528 U.S. 167 (2000); Carrington, German Law Journal 5 (2004) 1413, 1426ff.; T. Stein, Interessenvertretung der Natur in den USA 32ff.; Kötz, in: Homburger/Kötz, Klagen Privater im öffentlichen Interesse 69, 97 F n . 6 2 ; zu vergleichbaren Entwicklungen in Italien vgl. Colombi Ciacchi, II ruolo delle associazoni nel risarcimento del danno ambientale; Godt, Haftung für ökologische Schäden 79ff. und 278ff. Rechtspolitische Forderungen in dieser Richtung bereits bei Rebbinder/Burgbacher/Knieper, Bürgerklage im Umweltrecht 163ff. (privatrechtliche »Direktklage« im Umweltrecht). 7 3 Zum Begriff des Interesses siehe unten, S . 2 0 3 f f . Zur Absage an eine auf die Dichotomie Privatinteresse und öffentliches Interesse bezogene Unterscheidung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht siehe bereits AK-BGB /Damm, Einl. Rn. 23: Die »Verflüchtigung des Interesses als Differenzierungskriterium« zwischen privatem und öffentlichen Recht entspreche dem »Eindeutigkeitsverlust einer Trennung zwischen staatlicher und gesellschaftlicher Sphäre, zwischen politischem und ökonomischem System.« Ähnlich bereits Raiser, Die Zukunft des Privatrechts 19: »Es ist offensichtlich, daß das auf der Trennung von Staat und Gesellschaft beruhende Modell einer strengen Zweiteilung der Rechtsordnung in die beiden je für sich geschlossenen Systeme des öffentlichen und des Privatrechts seine Geltung als Maßstab und orientierende Verständnishilfe verloren hat.« 74 Georg Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte 51. 7 5 Ebd.
I. Gegenstand der Untersuchung
19
- führen k a u m über diese formale Unterscheidung hinaus. Wenn in der Rechtsprechung zur Abgrenzung bürgerlich-rechtlicher von
öffentlich-rechtlichen
Streitigkeiten danach gefragt wird, » o b sich der Träger hoheitlicher Gewalt der besonderen Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedient,« 7 6 so führt dies nicht recht weiter, da ja gerade zu fragen ist, was diese öffentlich-rechtlichen Rechtssätze kennzeichnet. Die Literatur erläutert dies etwa damit, daß das öffentliche Recht das Sonderrecht des Staates sei. 7 7 Diese Erläuterung paßt aber zu Jellineks formaler Analyse, wonach die privatrechtliche Befugnis über eine solche gegenüber dem Staat hinausgeht und sich gegen jedermann richten kann. Eine Populär- oder Verbandsklage ist also unabhängig von den mit ihr verfolgten Z w e c k e n oder geschützten Interessen dann und nur dann privatrechtlicher Natur, wenn sie unmittelbar auf das Verhalten eines Privatrechtssubjekts gerichtet ist. 7 8 In diesem zusätzlichen »Dürfen« gegenüber anderen Rechtsunterworfenen, das die privatrechtliche Befugnis auszeichnet, liegt auch ihre rechtspolitische Bedeutung. Eine Klagebefugnis wegen einer Umweltverschmutzung mag man öffentlich-rechtlich in der Weise konstruieren, daß sie sich gegen den Staat richtet, auf daß dieser sein Instrumentarium gegen den Verschmutzer richte, etwa durch Entzug einer Genehmigung oder sonstiges Verwaltungshandeln. D e r Gesetzgeber könnte sich aber auch dafür entscheiden, daß ein Naturschutzverband sich qua privatrechtlicher Befugnis unmittelbar gegen den privaten Verschmutzer wenden darf, auf daß dieser die Schäden beseitige oder ersetze. Die privatrechtliche Befugnis erscheint hier fast als die weitergehende Alternative, da sie die interessierten Verbände oder andere Berechtigte zu direktem Handeln gegen den Verschmutzer ermächtigt. Es ist daher auch rechtspolitisch aufschlußreich, privatrechtliche Populär- und Verbandsklagen getrennt von ihren öffentlich-rechtlichen Verwandten zu untersuchen. Das heißt nicht, daß öffentlich-rechtliche Populär- und Verbandsklagen ganz ausgeblendet werden können. Soweit es um allgemeine Aspekte der Populär- oder Verbandsklage geht, dürfen sie an geeigneter Stelle nicht unerwähnt bleiben. Gegenstand dieser Arbeit sind also privatrechtliche Populär- und Verbandsklagen als originäre Interventionskompetenzen, die über die Durchsetzung individueller Ansprüche hinausgehen. Es geht um die Populär- und Verbandsklage als eine F o r m des »sozialen Interventionsrechts« 7 9 .
76 77 78 79
GmS d. OGB 10.4. 1986, BGHZ 97, 312, 314. Kopp/Schenke, VwGO §40 Rn. 11. So bereits Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse 8. Lüderssen, FS Arthur Kaufmann 487, 497.
20
Einleitung
II. Stand der
Forschung
Der Forschungsstand in dem so umrissenen Feld ist zunächst durch das Fehlen neuerer Untersuchungen zur Popularklage gekennzeichnet. Die wichtigsten deutschsprachigen Studien zur römischen Popularklage sind bereits mehr als 100 Jahre alt. 80 Der Begriff der actio popularis wird nur noch vereinzelt genutzt, etwa im Zusammenhang mit dem Streitbeilegungsverfahren der Welthandelsorganisation.81 Dieser Vernachlässigung der Popularklage als klassischer Form der objektiv-rechtlichen Konttrolle soll mit der vorliegenden Arbeit begegnet werden. Die Forschung zur Verbandsklage ist dagegen von einer Vielzahl von Untersuchungen gekennzeichnet, deren Erscheinen weitgehend parallel zu der gesetzgeberischen Entwicklung verläuft. Insbesondere die 1965 vorgenommene Erweiterung der lauterkeitsrechtlichen Verbandsklage auf Verbraucherschutzverbände und die Einführung der Verbandsklage im AGB-Gesetz des Jahres 1976 gaben vermehrt Anlaß zur Beschäftigung mit der Verbandsklage in Deutschland.82 Später trat eher die europäische Dimension der Verbandsklage ins Blickfeld,83 welche sich insbesondere in der 1998 verabschiedeten EG-Richtlinie über Unterlassungsklagen84 manifestiert. Die Zusammenfassung verschiedener Verbandsklagebefugnisse in dem mit der Schuldrechtsmodernisierung geschaffenen Unterlassungsklagengesetz gab kurze Zeit später erneut Anlaß zur Beschäftigung mit der Verbandsklage.85 Aufgrund ihrer Orientierung an der gesetzgeberischen Entwicklung stehen bei diesen Untersuchungen jedoch regelmäßig Einzelaspekte im Vordergrund, so daß weiterhin das Fehlen einer »umfassenden Theorie der Verbandsklage«86 konstatiert wird.
80 Mommsen, SZ (Rom.) 24 (1903) 1 ff.; C. G. Bruns, Z R G 3 (1864) 341 ff. In der fremdsprachigen Literatur gibt es vereinzelte neuere Studien, insbesondere Casavola, Studi sulle azioni populari, in deutscher Sprache rezensiert durch G. Jahr, SZ (Rom.) 77 (1960) 472ff.; soweit ersichtlich ist die jüngste Untersuchung Sitek, Actiones populäres w prawie rzymskim na przelomie republiki i pryncypatu. 81 Neugärtner, Die actio popularis in der W T O . 8 2 Etwa bei Wolf, Die Klagebefugnis der Verbände; Reinel, Die Verbandsklage nach dem AGBG; Göbel, Prozeßzweck der AGB-Klage und herkömmlicher Zivilprozeß; erste Erfahrungen auswertend dann Axmann, Die praktische Bedeutung und Effizienz der Verbandsklage nach §§ 13ff. AGB-Gesetz; sowie als »späte Frucht« einer 1977 begonnenen Untersuchung Marotzke, Von der schutzgesetzlichen Unterlassungsklage zur Verbandsklage. 83 Vgl. nur Lakkis, Der kollektive Rechtsschutz der Verbraucher in der Europäischen Union; Baetge, ZZP 112 (1999) 329ff.; Koch, ZZP 113 (2000) 413ff. 84 Richdinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 1 9 . 5 . 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, ABl. EG L 166, 51. 85 Insbesondere bei Heß, Das geplante Unterlassungsklagengesetz, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform 527ff.; v. Moltke, Kollektiver Rechtsschutz der Verbraucherinteressen. 86 E. Schmidt, N J W 2 0 0 2 , 25. Vgl. bereits Gilles, ZZP 98 (1985) 1, 2: Das Verhältnis der
II. Stand der
Forschung
21
Dies heißt nicht, daß nicht bereits wichtige Schritte auf dem Weg zu einer solchen Theorie gemacht wurden. Bereits wenige Jahre nach Inkrafttreten des AGBGesetzes und der darin enthaltenen Verbandsklageberechtigung erschienen die Monographien von Reinel und Göbel, welche die prozeßrechtlichen Implikationen dieser neuen Vorschrift behandelten.87 Urbanczyk unternahm wenig später eine umfassende Untersuchung, in der »das Prinzip der Verbandsklage und die damit zusammenhängenden prozessualen Grundprobleme« 88 geklärt werden sollten. Etwa zur gleichen Zeit widmete sich Thiere in ähnlicher Absicht der Suche nach »zivilprozessualen Besonderheiten, die es den Verfahrensbeteiligten ermöglichen oder erleichtern, materiell-rechtlich geschützte überindividuelle Interessen in einem konkreten Zivilprozeß durchzusetzen.«89 Auf diesen Arbeiten kann hier aufgebaut werden. Sie bedürfen jedoch aus mehreren Gründen der Fortschreibung und der Ergänzung. Zunächst erscheinen die »prozessualen Grundprobleme« der Verbandsklage weiterhin nicht ausreichend geklärt. Derartige Probleme sind auch durch die neuen gesetzlichen Regelungen im Unterlassungsklagengesetz und im Lauterkeitsrecht keineswegs verschwunden. Vielmehr müssen diese neuen Regelungen erst noch dogmatisch verarbeitet werden. In der Literatur wird mit Recht darauf hingewiesen, daß die Einführung neuer Verbandsklagekompetenzen dazu zwinge, »sich der Mühe [zu] unterziehen, für diese artfremden Zivilprozesse wenigstens artgerechte Verfahrensregeln zu schaffen.« 90 Dazu soll die vorliegende Arbeit einen Beitrag leisten. Ein weiterer Unterschied zu den bisher vorliegenden Untersuchungen ist methodischer Art. Sowohl Thiere als auch Urbanczyk und Göbel wählen einen deduktiven Ansatz, indem sie zunächst gewisse Grundbegriffe erörtern und später auf dieser Grundlage die einzelnen besonderen rechtlichen Phänomene behandeln. So widmet sich Thiere zunächst ausführlich dem Begriff des Interesses in seinen verschiedenen Aspekten,91 um dann anhand verschiedener Bereiche des Zivilprozeßrechts die Berücksichtigung »überindividueller Interessen« in demselben zu überprüfen. 92 Diese Bereiche reichen vom Scheidungsprozeß bis zum Vorschlag einer class action bei breitgestreuten Bagatellschäden. Damit sind sie aber so disparat, daß gemeinsame Strukturen oder Problemlösungen kaum aufgezeigt werden können; das Ergebnis jener Arbeit besteht daher im wesentlichen darin, die verschiedenen Möglichkeiten aufzuzeigen und zu bewerten, in denen Verbandsklagemöglichkeiten zum allgemeinen Zivilprozeßrecht sei »eines der großen Gegenwartsprobleme« für die deutsche Zivilprozeßrechtswissenschaft. 87 Reinel, Die Verbandsklage nach dem AGBG; Göbel, Prozeßzweck der AGB-Klage und herkömmlicher Zivilprozeß. 88 Urbanczyk, Zur Verbandsklage im Zivilprozeß 4. 89 Thiere, Die Wahrung überindividueller Interessen im Zivilprozeß 21. 90 Greger, ZZP 113 (2000) 399, 411. 91 Thiere, a.a.O. 2 3 - 1 2 0 . 9 2 Ebd. 121 ff.
22
Einleitung
überindividuelle Interessen im Zivilprozeß berücksichtigt werden. 9 3 Eine ähnliche Vorgehensweise findet m a n bei Urbanczyk, der mit der rechtlichen Einordnung der Verbandsklage beginnt, 9 4 daraus Konsequenzen für einzelne Probleme zieht und erst am Ende die Besonderheiten einzelner Verbandsklageberechtigungen erörtert. 9 5 Aufgrund seines engeren Untersuchungsgegenstandes k o m m t er zu konkreteren Lösungsvorschlägen als Thiere, die jedoch bei weitem noch nicht alle mit der Verbandsklage zusammenhängenden prozessualen Fragen beantw o r t e n . 9 6 Auch Göbel beginnt seine Arbeit mit ausführlichen Erörterungen zum ideengeschichtlichen Hintergrund der Zivilprozeßordnung sowie zum Z w e c k des Zivilprozesses im Allgemeinen und der AGB-Kontrollklage im Besonder e n . 9 7 Aus diesen grundsätzlichen teleologischen Überlegungen leitet er dann Lösungsvorschläge für die einzelnen prozeßrechtlichen Probleme der AGB-Verbandsklage a b . 9 8 Dieses deduktive Vorgehen ist im Sinne einer teleologischen Auslegung der jeweiligen Vorschriften durchaus sinnvoll und führt bei den genannten Autoren zu wichtigen Einsichten. Trotzdem sind damit die prozessualen Fragen der Verbandsklagekompetenzen noch nicht hinreichend geklärt, weil diese Fragen eher im konkreten Detail der einzelnen Klageberechtigungen und der dazu vorhandenen Rechtsprechung aufscheinen. In diesem Sinne wurde bereits bei Erscheinen der genannten Arbeiten angemerkt, daß die Lösung der Detailproblem nicht nur durch Schluß v o m Allgemeinen auf das Besondere unternommen werden könne, sondern »zwingenderer Gründe im Detail« bedürfe. 9 9 Dies gilt heute umso mehr, da in den vergangenen Jahrzehnten bereits erhebliche praktische Erfahrungen mit den verschiedenen Verbandsklagekompetenzen gesammelt werden konnten und ein gewisser Fundus an Fallmaterial und Literatur vorhanden ist. D a h e r soll in der vorliegenden Arbeit ein gewissermaßen induktiver Weg gegangen werden: Zunächst sollen die einzelnen Phänomene und die dazugehörigen Probleme erörtert werden, erst danach wird über Gemeinsamkeiten und Grundbegriffe zu reden sein. Z u diesen Gemeinsamkeiten der hier untersuchten Populär- und Verbandsklagen gehört insbesondere ihre bereits angesprochene Funktion als Repräsentation des Interesses an der Durchsetzung des objektiven Rechts und damit auch als SiEbd. 369ff. Urbanczyk, a.a.O. 2 9 - 1 2 9 . 9 5 Ebd. 211 ff. 9 6 Vgl. die Zusammenfassung der Ergebnisse ebd. 263 f., welche im wesentlichen die Rechtsprechung zur »Doppelnatur« (d.h. eigener materiell-rechtlicher Anspruch und besondere Prozeßführungsbefugnis) der Verbandsklage bestätigen. Detailfragen wie Verzicht, Verwirkung u.a. werden nicht behandelt, insoweit verweist Urbanczyk auf die Darstellungen zu den einzelnen Verbandsklagen, z.B. ebd. 211 Fn. 1. 97 Göbel, a.a.O. 4 - 1 1 2 . 9 8 Ebd. 1 1 3 - 1 4 4 . 93 94
99
Gottwald, JZ 1981, 112.
23
III. Plan der Darstellung
cherung des Zugangs bestimmter Interessen zum Recht. Diese Funktion der Verbandsklage und anderer Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes ist insbesondere in dem mit dem Begriff access to justice100
verbundenen Forschungszu-
sammenhang der siebziger J a h r e des 2 0 . Jahrhunderts hervorgehoben worden. Diese teils etwas verschüttet anmutenden Säulen der Theorie der Berücksichtigung kollektiver Interessen im Zivilprozeß sind freizulegen und auf ihre heutige Bedeutung hin abzuklopfen. Auch dies erscheint nach dreißig J a h r e n und angesichts der aktuellen legislativen Entwicklungen durchaus lohnenswert. » W h a t difference does a generation m a k e to thinking about access to justice and consumer protection?« fragte in diesem Sinne der Eröffnungsredner einer 2 0 0 1 durchgeführten internationalen Konferenz zum T h e m a »Consumers' Access to Justice«.101
III. Plan der
Darstellung
Im ersten Kapitel wird die bereits angesprochene historische Dimension der Popularklage - und damit auch der Verbandsklage als eine ihrer heutigen Erscheinungsformen - in F o r m eines Rückblicks auf die römischen actiones
populäres
berücksichtigt. Dieser Bezug auf das römische Recht impliziert jedoch keine Vorrangstellung oder gar einen Vorbildcharakter desselben. Die Problemlösungen in einer antiken Sklavenhaltergesellschaft müssen sich notwendig von heutigen Lösungen unterscheiden. Das römische Recht ist zwar ein klassisches, aber eben auch ein » K l a s s e n r e c h t « . 1 0 2 Trotz dieses historischen und gesellschaftlichen Abstands ist es aber schlicht »schön, diesen leidenschaftlichen Amateuren [gemeint sind die römischen Juristen] bei der Arbeit zuzuschauen«, wie es ein Historiker formuliert, wobei der »Amateur« hier wohl nicht pejorativ gemeint ist, sondern im ursprünglichen Sinne eines L i e b h a b e r s . 1 0 3 Die Beschäftigung mit dem römischen Recht zeigt immerhin, daß bestimmte Grundprobleme bereits seit langer Zeit vorhanden sind und kann damit zur Bildung eines Bezugsrahmens beitragen, der über den zeitgenössischen und nationalstaatlichen Tellerrand hinausreicht. Sie zeigt die Kontingenz des geltenden
1 0 0 So der Titel der insoweit wegweisenden Studien von Cappellettiu.a. (Hrsg.), Access to Justice, Vol. I-IV. 101 Ramsay, in: Rickett/Telfer (Hrsg.), International Perspectives on Consumers' Access to Justice 17, 20. 102 Wesel, Geschichte des Rechts 156. 103 Veyne, Brot und Spiele 503. Veynes Beschreibung der Methode der römischen Juristen trifft jedenfalls weitgehend auch heute noch zu: Sie »gingen nach Art jener Interpreten heiliger Texte vor, die immer schon wissen, daß die Schrift von Ewigkeit her die richtige Antwort auf jede neue Frage enthält, die sich in Zukunft stellen kann. Also suchten sie nach ihr und fanden sie immer« (ebd. 504).
24
Einleitung
Rechts und kann als »historisch-vergleichende Betrachtung das Verständnis des eigenen Rechts befördern«. 104 Im Anschluß an den Rückblick auf das römische Recht wird im zweiten Kapitel eine Bestandsaufnahme der im geltenden deutschen Recht existierenden Populär- und Verbandsklagekompetenzen vorgenommen. Ziel dieser Bestandsaufnahme ist es, aus der Fülle des vorhandenen Materials die möglicherweise vorhandenen gemeinsamen Strukturprobleme privatrechtlicher Populär- und Verbandsklagen herauszuarbeiten. Mit gemeinsamen Strukturproblemen sind solche gemeint, die nicht für die jeweilige Populär- oder Verbandsklage spezifisch sind, sondern die darüber hinaus die Dogmatik und die Funktionsweise von Populär- und Verbandsklagen insgesamt betreffen können. So wird etwa zu § 8 UWG nicht untersucht, welche Wettbewerbshandlungen im Einzelnen mit der Verbandsklage angegriffen werden können, und zu § 1 UKlaG nicht, wann etwa ein »Verwenden« von Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Sinne dieser Vorschrift vorliegt. Diese spezifischen Fragen würden den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen und sollen der einschlägigen Spezialliteratur vorbehalten bleiben. Wohl aber ist es für die hier verfolgten Zwecke bei den beiden genannten Verbandsklageberechtigungen relevant, ob und unter welchen Voraussetzungen der befugte Verband diese Berechtigung durch Verzicht oder Verwirkung verlieren kann, da dies die Grundstrukturen der hier untersuchten Berechtigungen betrifft. Dieser Vergleich bestimmter Strukturmerkmale kann als »Binnenvergleich« verschiedener Rechtsinstitute im deutschen Recht verstanden werden. 105 Ähnlich wie bei der nach außen gerichteten Rechtsvergleichung soll ein solcher Vergleich anhand einheitlicher Kriterien das Verständnis der Probleme verbessern und so möglicherweise zum Auffinden angemessener gemeinsamer Lösungen beitragen. So wie die Rechtsvergleichung eine »Landkarte« der rechtlichen Lösungen zeichnen kann, 1 0 6 so soll die vorliegende Untersuchung eine Karte, einen Grundriß der Popularklagebefugnisse zeichnen, der eine Übersicht über dieses Phänomen ermöglicht. Ein solcher Grundriß muß sich an einem Schema orientierten, anhand dessen die jeweiligen Kompetenzen untersucht werden. Nur dadurch werden sie vergleichbar und es können gemeinsame Probleme und Lösungsmöglichkeiten identifiziert werden. Dieses Schema, mit dem die jeweiligen Kompetenzen überzogen werden, besteht aus folgenden Elementen: Am Anfang (1.) steht die Frage nach den Sachbereichen, die von der jeweiligen Berechtigung betroffen sind. Dabei geht es, wie zuvor dargestellt, nicht um die genaue Interpretation der jeweiligen 104
Zimmermann, AcP 2 0 2 (2002) 2 4 3 , 2 5 9 . Das Bild von der »innerstaatlichen Rechtsvergleichung« benutzt bereits Grunsky, G r u n d l a g e n des Verfahrensrechts IV, der die verschiedenen Verfahrensarten im deutschen Recht vergleicht. 106 So das Bild bei Bussani/Mattei, Columbia J. Europ. L. 3 (1997) 3 3 9 , 340f. 105
25
III. Plan der Darstellung
Tatbestände, sondern um die Frage, welche Bereiche der Lebenswirklichkeit von der besonderen Populär- oder Verbandsklageberechtigung betroffen sind, und wie sich die Sonderbehandlung dieser Lebensbereiche im Blick auf die gesamte Rechtsordnung rechtfertigt. Immerhin werden ja die Populär- und Verbandsklage als Ausnahmen von der Regel angesehen, daß privatrechtlich ausgeformter Rechtsschutz darin besteht, bestimmten Individuen zugewiesene individuelle Rechtspositionen durchzusetzen. Es ist also zu fragen, warum und in welchen Sachbereichen diese Regel durchbrochen wird. Anschließend (2.) wird überprüft, welchen Akteuren diese mit einem Ausnahmecharakter versehenen Berechtigungen zugewiesen sind, d.h. o b es sich um eine Popularklage im römischen Sinne handelt, bei der quivis ex populo
klagebe-
rechtigt ist, oder o b die Klageberechtigung auf bestimmte Personen oder Institutionen beschränkt ist, wie es bei den modernen Verbandsklageberechtigungen der Fall ist. D a n a c h folgt (3.) jeweils die Frage nach dem Inhalt der Berechtigung, d.h. nach dem Ziel der Klage. Bereits das römische Recht unterschied die auf Unterlassung von Störungen gerichteten Popularinterdikte von den auf Zahlung einer Privatstrafe gerichteten Popularklagen. Erstere sind in Form der Verbandsklage im deutschen Recht seit langem etabliert, während bei auf Zahlung gerichteten Verbandsklagen die Rechtsentwicklung noch im Fluß ist, wie § 1 0 U W G in der seit 2 0 0 4 geltenden Fassung zeigt. Ein weiteres bei allen hier zu untersuchenden Berechtigungen auftretendes Problem ist (4.) die Frage nach den Wirkungen von Rechtshängigkeit und Rechtskraft. Aufgrund der Verteilung der Klageberechtigung hinsichtlich eines Vorfalls oder Gegenstands auf eine Vielzahl von Personen ist zu erwarten, daß Probleme der Klagenkonkurrenz bei allen untersuchten Berechtigungen eine gewisse Bedeutung haben. N a c h diesen allgemeinen M e r k m a l e n der jeweiligen Berechtigung sollen vornehmlich solche Fragen untersucht werden, die mit der Dispositionsbefugnis des Berechtigten zusammenhängen (5.). M i t Dispositionsbefugnis soll die Möglichkeit des Berechtigten bezeichnet werden, seine Berechtigung zu übertragen oder aufzugeben. Für den zivilrechtlichen Normalfall der Ausübung
subjektiver
Rechte ist eine solche Dispositionsbefugnis geradezu kennzeichnend. 1 0 7 D a die hier untersuchten Berechtigungen von diesem Normalfall abweichen, ist auch der Umfang und die Ausübung einer solchen Dispositionsbefugnis stets problematisch und von hohem Interesse für die vergleichende Analyse. Es werden daher die Abtretung, der Verzicht, die Möglichkeit der Klagrücknahme, des Klagverzichts und des Anerkenntnisses sowie eines Vergleichs als einzelne Aspekte der Dispositionsbefugnis untersucht.
107
Bork, AT, Rn. 1127.
26
Einleitung
Ein weiterer bei Popular- und Verbandsklagen häufig erörterter Aspekt ist derjenige der unzulässigen Rechtsausübung (6.). Unter diesem Begriff werden hier verschiedene Fallgruppen zusammengefaßt, in denen aufgrund besonderer Umstände die Ausübung der Popular- oder Verbandsklagekompetenz beschränkt sein kann. Zu ihnen gehört sowohl das Verbot widersprüchlichen Verhaltens als auch die Problematik der Verwirkung, die als Unterfall dieses Verbots anzusehen ist. 108 Außerdem ist noch auf Besonderheiten bei der Sachverhaltsermittlung (7.), bei den Kostenregeln (8.) und hinsichtlich der Verjährung (9.) einzugehen. Diese Fragen werden zunächst für jede der untersuchten Berechtigungen erörtert, um dann zu einem Zwischenergebnis zu gelangen, das für jedes dieser Merkmale Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Binnenvergleich darstellt. Auch die im ersten Kapitel behandelten römischen actiones populares sollen zumindest im Ansatz dem dargestellten Untersuchungsschema unterworfen werden, soweit die Quellen und die Ergebnisse der romanistischen Forschung dies gestatten. Dem Europarecht wird in der vorliegenden Arbeit kein eigener Abschnitt gewidmet, sondern es wird jeweils dort berücksichtigt, wo es unmittelbar anwendbar ist oder in anderer Weise das deutsche Recht beeinflußt. Diese Vorgehensweise impliziert keine Geringschätzung des Europarechts. Im Gegenteil: Seine Bedeutung hat ein derartiges Maß erreicht, daß es jenseits seiner konstitutionellen Besonderheiten nicht mehr sinnvoll erscheint, es als »abgehobenes« Rechtsgebiet auszuweisen und zu behandeln. Vielmehr ist es in allen Rechtsgebieten als integraler Bestandteil des geltenden Rechts zu behandeln. So soll auch hier verfahren werden. Für eine solche integrierte Behandlung europarechtlicher Fragestellungen spricht auch, daß derzeit weder im Primär- noch im Sekundärrecht der Europäischen Union unmittelbar anwendbare privatrechtliche Verbandsoder Popularklagen existieren. Der europäische Gesetzgeber setzt in diesem Bereich stets auf Richtlinien, die der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten bedürfen. Erst bei der Auslegung der umgesetzten Bestimmungen ist die europarechtliche Herkunft gebührend zu berücksichtigen. Eine Diskussion über europarechtliche Verbandsklagebefugnisse im engeren Sinne gibt es im Primärrecht bisher nur in öffentlich-rechtlichen Erscheinungsformen, namentlich bei der Kontrolle europarechtlicher Normen durch Verbände. 109 Diese europäisch-verfassungsrechtlichen Fragen müssen hier außer Betracht bleiben. 1 0 8 Vgl. BGH 1 6 . 7 . 2 0 0 4 , N J W 2 0 0 4 , 3 3 3 0 , 3 3 3 1 : Verwirkung bedeute, »daß von einem Recht über einen längeren Zeitraum hinweg kein Gebrauch gemacht wurde und besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen rechtfertigen, das Recht werde nicht mehr geltend gemacht.« Dies sei eine Form des »wegen Widersprüchlichkeit treuwidrigen Verhaltens« (ebd. 3332); BGH 2 0 . 1 0 . 1988, B G H Z 105, 2 9 0 , 2 9 8 (Verwirkung als »Unterfall der wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben unzulässigen Rechtsausübung«). 1 0 9 Der EuGH ist hier sehr restriktiv, vgl. EuGH 2 . 4 . 1998, Rs. C-321/95 P, Slg. 1998 1 1651, 1715 (keine Berechtigung für Greenpeace zur Kontrolle von Entscheidungen über EG-Finanzie-
III. Plan der
Darstellung
27
In der im zweiten Kapitel vorgenommenen Bestandsaufnahme wird eine dogmatische Einordnung der Popular- und Verbandsklagekompetenzen zunächst zurückgestellt. Mit dem neutralen Begriff der Kompetenz soll vorerst nur eine »von der Rechtsordnung verliehene Rechtsmacht« 110 beschrieben werden, so daß die inhaltlich aufgeladenen und höchst streitigen Begriffe des Anspruchs oder des subjektiven Rechts zunächst vermieden werden können. Die Verwendung solcher Begriffe könnte dazu verleiten, aus den verwendeten allgemeinen Begriffen die Lösungen für einzelne konkrete Sachfragen abzuleiten. 111 Genau dies ist hier nicht beabsichtigt. Vielmehr soll die im dritten Kapitel vorzunehmende dogmatische Einordnung der Phänomene mit den im Detail aufgefundenen Problemen in Übereinstimmung gebracht werden. Dies heißt nicht, daß ein dogmatisches Ergebnis nicht auch Rückwirkungen auf die in concreto zu entscheidenden Sachfragen hätte. Dieser Vorgang kann aber nicht im Sinne einer einfachen Ableitung der Ergebnisse aus allgemeinen Begriffen verstanden werden. Rechtsdogmatische Sätze haben ja keinen Wahrheitsoder Richtigkeitsgehalt in dem Sinne, daß man aus ihnen zwingende Schlüsse ableiten könnte. Vielmehr handelt es sich nur um Zusammenfassungen und Abstraktionen aus bisherigen Erkenntnissen, denen nur so lange gefolgt werden kann, bis es bessere Argumente gibt. Abweichungen von dogmatischen Sätzen und ihre Abänderung sind aufgrund solcher Argumente möglich, was den Wert der Dogmatik aber nicht mindert. Sie reduziert die Komplexität der Beurteilung eines konkreten Problems dadurch, daß man es zunächst mit den dogmatischen Begriffen und Sätzen zu lösen versucht. 112 Wer eine solche Lösung für unbefriedigend hält, trägt eine besondere Argumentationslast, die wiederum zu Veränderungen der dogmatischen Sätze führen kann. 113 In diesem Sinne ist daher auch bei der dogmatischen Beurteilung der Popular- und Verbandsklage
rung des Baus von Kraftwerken auf Teneriffa und Gran Canaria); EuGH 2 5 . 7 . 2 0 0 2 , Rs. C-50/ 00 P, Slg. 2002 I 6677, 6733 ff. (keine Berechtigung für die Unión de Pequeños Agricultores zur Kontrolle einer EG-Verordnung über die Marktorganisation bei Olivenöl), jeweils mit abweichenden Stellungnahmen der Generalanwälte; zum Ganzen Ahrens, Die Klagebefugnis von Verbänden im europäischen Gemeinschaftsrecht; Gormley, Liber Amicorum Lord Slynn of Hadley 191 ff.; Amtenbrink, VuR 1996, 107ff. 110 Kelsen, Reine Rechtslehre 152ff.; vgl. auch die Verwendung des Kompetenzbegriffs bei Alexy, Theorie der Grundrechte 211 ff. 1 1 1 Gegen eine solche Vorgehensweise auch Lindacher, FS Deutsche Richterakademie 209, 217; Leipold, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung 57, 65. 1 1 2 Vgl. nur Esser, in: Methoden der Rechtswissenschaft I, 3, 20: Dogmatik ermögliche es, komplexe Probleme durch vermeintliche Syllogismen zu lösen. 1 1 3 Vgl. Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, Vorwort: Aufgabe der Rechtsdogmatik sei es, »tatbestandlich verdichtete Vorstellungen von korrekten Lösungen zu vermitteln, die sich [...] als sachrichtig zu bewähren haben und zugunsten überzeugenderer Lösungen preiszugeben sind, wenn sie sich nicht (oder: nicht mehr) bewähren.«
28
Einleitung
weder die Antwort auf Einzelfragen aus der Beurteilung der Rechtsnatur schlicht zu deduzieren noch [...] umgekehrt die theoretische Anpassung als bloße nachträgliche Konsequenz aus der Summe der Einzelantworten auf konkrete rechtliche Zweifelsfragen zu sehen [...] Systematik und teleologische Gesetzesanwendung zu Einzelfragen sollten sich vielmehr gegenseitig ergänzen und befruchten. 114 Diese gegenseitige Befruchtung zwischen der Lösung einzelner Sachfragen und dogmatischer Einordnung soll in der vorliegenden Untersuchung dadurch zum Ausdruck gebracht werden, daß im zweiten Kapitel die bei den einzelnen Phänomenen aufscheinenden Sachfragen im Vordergrund stehen, anschließend im dritten Kapitel die eher theoretischen und dogmatischen Gesichtspunkte, welche dann aber im vierten Kapitel wieder auf die sachlichen Probleme zurückbezogen werden. D e r dogmatische Teil der Arbeit im dritten Kapitel ist daher auch der angemessene O r t für die Befassung mit den Begriffen des Interesses, des subjektiven Rechts und des Anspruchs. Diese sollen jedoch nicht losgelöst von ihrem gesellschaftlichen und funktionellen Z u s a m m e n h a n g betrachtet werden, so daß hier auch Exkurse zur sozialen Funktion der Populär- und Verbandsklage angebracht sind. Die vor diesem Hintergrund gefundenen dogmatischen Ergebnisse werden im vierten Kapitel zurückbezogen auf die im geltenden Recht gefundenen Strukturprobleme, um diese jeweils einer möglichst konsistenten Lösung zuzuführen. Im abschließenden fünften Kapitel werden auf Grundlage der zuvor gewonnenen Erkenntnisse rechtspolitische Vorschläge für eine zusammenhängende Regelung der Populär- und Verbandsklage gemacht.
114 Leipold, in: Gilles (Hrsg.), a.a.O. 57, 65. Ähnlich Wolf, ZZP 94 (1981) 107,108f.: Kriterium für die dogmatische Einordnung der Verbandsklage müsse auch sein, daß sich aus ihr »beim Schweigen des Gesetzes die sachgerechtesten Rechtsfolgen herleiten lassen.« Dazu muß man aber erst im Detail über die sachlichen Probleme sprechen.
Erstes
Kapitel
actiones populares Das Problem objektiv-rechtlicher Kontrollbefugnisse im Zivilprozeß ist keineswegs neu, auch wenn dies in der Diskussion um access to justice teilweise so anklingt.1 Mit der Schaffung von Aufgreifzuständigkeiten für zusätzliche Intervenienten steht die heutige ex o//i«o-Verbandsklage vielmehr ganz in der Tradition der römischen Popularklage. Dieser Tradition ist der folgende Rückblick auf die actiones populäres gewidmet. Bei ihnen handelte es sich um im Zivilprozeß2 geltend zu machende Klagekompetenzen aufgrund deliktischer Handlungen, die sich auf Zahlung einer Privatstrafe an den Kläger oder - in der Variante der Popularinterdikte - auf Unterlassung oder Beseitigung einer Störung richteten. Sie waren populär in dem Sinne, daß die Klageberechtigung quivis ex populo zustand, also jedem aus dem Volke. Allerdings darf diese Wendung keineswegs wörtlich genommen werden, was hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs noch zu zeigen sein wird. Die Idee der Popularklage scheint bis in die Frühzeit des römischen Rechts zurückzureichen. Bereits für die vorklassische Zeit um 200 v. Chr. hat Käser Hinweise auf eine Popularklage wegen circumscriptio minorum gefunden, d.h. der Übervorteilung eines Minderjährigen durch Ausnutzen seiner Unerfahrenheit.3 Noch weiter zurück blickte Jhering, der Gründe für die Annahme sieht, daß »der uralte Gedanke« der Popularklage sich schon in der Zwölftafelgesetzgebung fand, d.h. etwa 450 v. Chr.4 Jedenfalls scheinen die in den Digesten überlieferten Popularklagen insofern ältere Vorbilder zu haben, als es anscheinend schon in der Frühzeit der römischen Republik Personen gab, die dadurch Geld verdienten, daß sie - ohne selbst verletzt zu sein - eingeklagte Strafen ganz oder teilweise 1 Vgl. nur Cappelletti, in: Cappelletti/Garth (Hrsg.), Access to Justice Vol. V\, viiif: »diffuse« Rechte wie diejenigen der Verbraucher, der Umweltschützer, der Mieter, der Armen seien »new rights«. Auch die heutige Verbandsklage trägt »die Aura des Progressiven, Modernen«, obwohl sie bereits seit über 100 Jahren existiert; Greger, ZZP 113 (2000) 399, 401. 2 Käser, Das römische Privatrecht, Bd. I, 610. 3 Käser, Über Verbotsgesetze und verbotswidrige Geschäfte im römischen Recht 39ff.; ders., Das Römische Privatrecht, Bd.I 276f.; Jhering, Geist des römischen Rechts, Dritter Teil 121 (»Schutzklage« für Minderjährige »gegen betrügerische Contrahenten« war ebenso Popularklage wie die Klage gegen »ungetreue Vormünder« eines Unmündigen). Nach F. Schulz, Classical Roman Law 191 f., existierten diese Popularklagen auch noch in der Periode des klassischen römischen Rechts, d.h. gegen Ende der römischen Republik und im Kaiserreich. 4 Jhering, Geist des römischen Rechts, Dritter Teil 113 Fn. 139. Frühe Formen der actiones populäres erwähnt auch Voigt, Die XII Tafeln I 513 Fn.3.
30
1. Kapitel: actiones
populäres
für sich behalten konnten. 5 Im folgenden muß die Untersuchung aber auf die in der romanistischen Forschung am besten aufgearbeiteten Popularklagen des klassischen römischen Rechts beschränkt werden. Ebenso wie bei den Verbandsklagen des deutschen Rechts kannte auch das römische Recht kein allgemeines Prinzip oder gar eine Generalklausel der actiones populäres. Vielmehr gibt es in den Quellen nur verstreute Bemerkungen dazu, so daß nicht bei jeder actio ganz klar ist, ob es sich um eine actio popularis handelt oder nicht.
I.
Einzelfragen
1. Sachlicher Anwendungsbereich In der neuesten romanistischen Forschung werden die als solche sicher feststellbaren actiones populäres des klassischen römischen Rechts in drei wesentliche Anwendungsbereiche geschieden: Sie unterstützten erstens die Ausübung der Gerichtsgewalt, garantierten zweitens die sichere Nutzung der öffentlichen Sachen und Plätze und schützten drittens das ius sacrum, das Heilige.6 Eindeutig der ersten Gruppe, d.h. der Unterstützung der Gerichtsgewalt, zuzuordnen ist die Popularklage wegen Beschädigung des prätorischen album: Wenn jemand das, was für die ständige Gerichtsbarkeit [...] auf der geweißten Holztafel oder auf Papier oder auf anderem Stoff öffentlich ausgehängt ist, vorsätzlich beschädigt, ist gegen ihn eine Strafklage auf fünfzig Goldstücke gegeben; sie ist eine Popularklage. 7
Die in dieser Quelle gemeinten geweißten Holztafeln enthalten das Edikt des Prätors und damit zwar kein Gesetzbuch im heutigen Sinne, wohl aber die öffentliche »Selbstbindung des Prätors [...], der damit zugleich ankündigte, wie er sein Amt auszuüben gedachte.« 8 Das album enthielt also wichtige Handlungsanweisungen und Rechtsschutzverheißungen für die Rechtsunterworfenen. Die Beschädigung oder Verfälschung9 dieses offiziellen Aushangs störte daher die geordnete Rechtspflege erheblich; dies mag der Grund dafür sein, daß hier zum Mittel der populären Strafklage gegriffen wurde. Auch der Ungehorsam gegenüber einer richterlichen Anordnung berechtigte nach Auffassung mancher Auto5 Die sogenannten quadruplatores, die in der Kömodie »Persa« des römischen Schriftstellers Plautus erwähnt werden (1. Akt, 2. Szene); dazu C.G. Bruns, ZRG 12 (1876) 127, 137ff.; de Martino, Labeo 1 (1955) 32, 39ff.; Sitek, Actiones populäres w prawie rzymskim 50. 6 Diese Systematisierung findet man bei Sitek, a.a.O. 80ff. 7 D. 2.1.7.pr. Allgemeine Anmerkung zu den Übersetzungen der römischen Quellen: Die Bücher 1-20 der Digesten werden nach der von Behrends/Knütel/Kupisch/Seiler herausgegebenen neuen Übersetzung zitiert; soweit diese noch nicht vorliegt, d.h. bei den Büchern 21 ff. der Digesten, wird die ältere Übersetzung von Otto/Schilling/Sintenis (Hrsg.) verwendet. 8 Bürge, Römisches Privatrecht 64. 9 Zur Verfälschung des Edikts D. 48.10.25; dazu Sitek, a.a.O. 85f.
I.
Einzelfragen
31
ren zu einer popularen Strafklage gegen den ungehorsamen Prozeßbeteiligten, wenn auch die Quellen hier nicht eindeutig sind. 10 Ebenfalls in den Zusammenhang des Schutzes der geordneten Rechtspflege gehört die Klage wegen des unbefugten Offnens eines Testamentes.11 Auch sie wurde teilweise als Popularklage bezeichnet.12 Dies wird aber überwiegend abgelehnt; vielmehr handelt es sich hier wohl um einen Straftatbestand, bei dem - wie in vielen anderen Fällen auch - dem Anzeigenden eine Belohnung versprochen wird. 13 Auf diesen Unterschied wird noch zurückzukommen sein. In der zweiten Gruppe der römischen Popularklagen geht es um die ungestörte Nutzung der öffentlichen Wege, Plätze und Sachen. Diesem Zwecke dienen insbesondere die »Popularinterdikte«14 zur Sicherung des ungestörten Gebrauchs dieser wichtigen Infrastruktureinrichtungen. Diese popularen Klagekompetenzen waren insbesondere dann gegeben, wenn ein öffentlicher Platz oder Weg verbaut, versperrt oder verschmutzt wurde. 15 Ähnliches galt für öffentliche Flüsse und Flußufer: Auch sie waren mittels Popularinterdikten gegen Beeinträchtigungen der Schiffahrt 16 und gegen Veränderungen des Wasserlaufs17 geschützt. Ein weiteres Popularinterdikt richtete sich gegen jeden, der eine öffentliche Abwasseranlage verstopft oder beschädigt; dieses Interdikt diente dem Schutz der öffentlichen Hygiene.18 Hinsichtlich des ungestörten Gebrauchs der öffentlichen Straßen wird in der neueren Forschung nicht nur ein Interdikt, sondern auch eine actio de via publica angenommen. 19 Dafür spricht immerhin ein Fragment, in dem im Zusammenhang mit Popularklagen davon die Rede ist, daß »wegen der Öffentlichkeit eines Wegs« geklagt werden kann. 20 Im gleichen Satz wird allerdings vorausgesetzt, daß der Kläger »wegen des Verbots [der Benutzung des Weges] persönlich einen Schaden erleidet.« 21 Insoweit ein solcher individueller Schaden eingetreten ist
1 0 Vgl. D. 2.3.1.pr. Für eine Popularklage in diesem Fall Sitek, a.a.O. 86ff.; ebenso bereits Rudorff, Römische Rechtsgeschichte Bd. 2, 313; weitere Nachweise bei Kaser/Hackl, Das Römische Zivilprozeßrecht 178 Fn.50. 1 1 Actio de testamento aperto, D. 2 9 . 5 . 2 5 . 2 . 12 Rudorff, Römische Rechtsgeschichte Bd. 2, 157. 1 3 C.G. Bruns, Z R G 3 (1864) 341, 377f. und 4 0 9 ; Lenel, Das edictum perpetuum 3 6 5 . 1 4 So der Begriff bei Wenger, Institutionen des römischen Zivilprozeßrechts 2 4 4 . 15 Siehe D. 43.8.2.2 (Interdikt gegen unrechtmäßiges Bauen auf öffentlichen Plätzen steht quivis ex populo zu); D. 4 3 . 8 . 2 . 3 4 (ebenso gegen Versperren und Verschmutzen); ausführlich dazu C.G. Bruns, a.a.O. 390ff. 1 6 D. 43.12.1.pr.; zum populären Charakter der Interdikte aus D.43.12., vgl. C.G. Bruns, a.a.O. 390ff. 1 7 D. 43.13.1.pr.; D. 4 3 . 1 3 . 1 . 9 (explizit zum populären Charakter). 1 8 D. 4 3 . 2 3 . 1 . 1 5 ; zum populären Charakter wiederum C.G. Bruns, a.a.O. 390ff. 19 Sitek, a.a.O. 91 ff. 2 0 D. 3.3.42.pr. 2 1 Ebd.
32
1. Kapitel:
actiones
populäres
und damit ein genuin privates Interesse geltend gemacht wird, kann man jedoch nicht mehr von einer Popularklage im eigentlichen Sinne sprechen.22 Die wohl bekanntesten Popularklagen in dieser auf die Nutzung öffentlicher Infrastruktur bezogenen zweiten Gruppe sind die actio de effusis vel deiectis23 und die actio de positis vel suspensis24 . Beide müssen vor dem Hintergrund der faktischen Wohnverhältnisse im alten Rom betrachtet werden. Vor allem in den oberen Geschossen der großen Mietshäuser (insulae) wohnte man sehr beengt. Es war üblich, flüssige und feste Abfälle schlicht aus dem Fenster auf die Straße zu gießen oder zu werfen.25 Diese Unsitte war anscheinend so verbreitet, daß der Prätor sich veranlaßt sah, wegen der sich daraus für die Passanten ergebenden Gefahren die actio de effusis vel deiectis zu gewähren.26 Ähnliches galt für die actio de positis vel suspensis. Sie hatte ihren Grund darin, daß viele Bewohner städtischer Mietshäuser wegen des Platzmangels dazu übergingen, ihre Küchengeräte oder sonstige Haushaltsgegenstände auf Fensterbänken oder Vordächern aufzustellen oder sie an der Außenwand herabhängen zu lassen. Damit waren so große Risiken für die städtische Öffentlichkeit verbunden, daß eine Popularklage zur Bekämpfung dieser Unsitte angebracht erschien.27 So wird in den Quellen von einem Fall berichtet, in dem eine Amphore, die in einem Netz an einer Hauswand aufgehängt war, heruntergefallen war und Schaden zugefügt hatte. 28 Allerdings setzte die actio de positis vel suspensis nicht den Eintritt eines solchen Schadens voraus. Sie war bereits dann gegeben, wenn ein Gegenstand in gefährdender Weise aufgestellt oder aufgehängt war, »gleichgültig ob das Aufgestellte schon Schaden angerichtet hat oder nicht.« 29 Bereits durch die Schaffung dieser Gefahrenlage war die Privatstrafe von zehn Goldmünzen verwirkt.30 Diese strenge Regelung zeigt die Bedeutung, die dem betreffenden Problem im alten Rom zugemessen wurden. Etwas anders scheint es dagegen bei der actio de effusis vel deiectis gelegen zu haben. Hier wurde wohl nicht bereits die durch das Ausgießen oder Herauswerfen entstehende Gefährdungslage sanktioniert, sondern erst ein tatsächlicher Schadenseintritt begründete die actio. Bei Verletzung 2 2 Vgl. C.G. Bruns, a.a.O. 393 zur vergleichbaren Lage bei Interdikten für diejenigen, die konkret an der Nutzung eines Wegs o.ä. gehindert werden. Bruns weist mit Recht darauf hin, daß eine solche Klage keine Besonderheiten aufweist. Insbesondere sei die Bestellung eines Prokurators möglich (wovon auch das in der vorigen Fn. zitierte Fragment D. 3.3.42.pr. handelt), und es könne nicht zu einer Konkurrenz mehrer Kläger kommen. 2 3 D. 9.3.1.pr.; D. 9.3.5.5. zum populären Charakter. 2 4 D. 9.3.5.6.; D. 9.3.5.13. zum populären Charakter. 25 Zu den historischen Bedingungen des Edikts de his, qui effuderint vel deiecerint vgl. ausführlich Zimmermann, FS Lange 301 ff. 26 Van der Merwe, in: Feenstra/Zimmermann (Hrsg.), Das römisch-holländische Recht 4 5 5 , 461. 2 7 Ebd. 4 6 2 . 2 8 D. 9.3.5.12. 2 9 D. 9.3.5.11. 3 0 D. 9.3.5.6.
I.
33
Einzelfragen
oder T ö t u n g eines freien M e n s c h e n konnte eine Popularklage erhoben werden, und zwar auf die Zahlung einer Privatstrafe in H ö h e von 5 0 Goldstücken bei T ö tung oder auf einen vom Richter festzusetzenden angemessenen Betrag bei bloßer Verwundung. 3 1 Es ist unklar, o b die actio de effusis
vel deiectis
auch bei Sach-
schaden oder Verletzung eines Sklaven eine Popularklage war. Fest steht nur, daß in solchen Fällen der Geschädigte eine Klage auf Strafschadensersatz in
duplum,
d.h. auf das Doppelte des verursachten Schadens hatte. 3 2 In den Quellen wird explizit nur die Klage bei T ö t u n g oder Verletzung eines Freien als Popularklage bezeichnet. 3 3 Neuere Forschungsergebnisse deuten aber darauf hin, daß auch bei Sachschäden jedermann auf den Schaden in duplum Die actio
de effusis
vel suspensis
klagen k o n n t e . 3 4
ist außerdem durch besonders strenge Haf-
tungsregeln gekennzeichnet. Sie richtet sich nicht gegen den Verursacher selbst, sondern gegen denjenigen, der zur Zeit des Schadenseintritts babitator
des be-
treffenden Hauses oder Stockwerks war, also gegen den Mieter oder gegen den selbstnutzenden Eigentümer. 3 5 Sie wird daher als eine frühe F o r m der Gefährdungshaftung angesehen. 3 6 Angesichts der Tatsache, daß der Hausbesitzer ohne eigenes Verschulden haftete, ist gar von »stumpfer«, weil übertriebener prätorischer Rechtspolitik die R e d e . 3 7 Zumindest zeigt die Strenge der Haftungsvoraussetzungen ebenso wie das Instrument der Popularklage, daß das Problem des Ausgießens und Hinauswerfens auf die Straße als so gravierend angesehen wurde, daß es mit durchgreifenden M a ß n a h m e n bekämpft werden sollte. Zusätzlich zu diesen prätorischen actiones lizischen Edikt stammende actio fusis vel deiectis
de bestiis
populäres
ist noch die aus dem ädi-
zu nennen. Sie gleicht der actio
de ef-
zunächst in ihrem Z w e c k , nämlich der Sicherung der öffentli-
chen Wege: N u r bei Schäden an Orten, » w o Leute gewöhnlich gehen w e r d e n « 3 8 , ist eine actio
de bestiis
möglich. Aber auch in der Abstufung der verschiedenen
Schadensfälle entspricht sie der actio
de effusis
vel deiectis:
Wird ein freier
M e n s c h durch ein Tier getötet, so ist eine Privatstrafe von 2 0 0 Goldstücken verwirkt. W i r d ein freier M e n s c h verletzt, so liegt die H ö h e der Strafe im Ermessen des Richters. Bei sonstigen Schäden ist Strafschadensersatz in duplum
zu zah-
D. 9.3.1.pr. Ebd. 33 D. 9.3.5.5. 34 Van Hoek, SZ (Rom.) 117 (2000) 454, 463ff. 35 D. 9.3.1.4; D. 9.3.1.9; zum Begriff des habitators in diesem Zusammenhang vgl. Zimmermann, FS Lange 301, 305 f. Gegen den Verursacher selbst mag eine Klage aus der lex Aquilia gegeben sein, zum Verhältnis dieser zur actio de effusis vel deiectis siehe van Hoek, SZ (Rom.) 117 (2000) 454ff. 3 6 Dazu Zimmermann, FS Lange 301, 313ff.; van der Merwe, in: Feenstra/Zimmermann (Hrsg.), a.a.O. 455ff. 37 Van Hoek, SZ (Rom.) 117 (2000) 454, 467. 38 D. 21.1.42. Statt actio de bestiis (so die Bezeichnung bei van Hoek, a.a.O. 464) wird z. T. auch von actio de feris gesprochen: Sitek, a.a.O. 102ff. 31
32
34
1. Kapitel: actiones
populares
len. 39 Die actio de bestiis gilt trotz ihrer nur fragmentarischen Überlieferung »unzweifelhaft« als Popularklage. 40 Ihre Funktion bestand anscheinend im Schutz der Marktplätze, auf denen mit wilden Tieren - offensichtlich auch mit Bären, Panthern und Löwen 41 - Handel getrieben wurde. Dies erklärt auch die Stellung dieser Klage im Edikt der Ädilen, die zur Aufsicht über derartige Handelsplätze berufen waren. 42 Schließlich ist noch auf den dritten Sachbereich einzugehen, in dem das römische Recht Popularklagen kannte, nämlich auf den Schutz des Heiligen. In diesem Bereich ist eine weitere bekannte Popularklage angesiedelt, nämlich die actio de sepulcro violato. Sie wird in den Quellen explizit als actio popularis bezeichnet 43 und in der romanistischen Forschung teilweise als Modell der römischen Popularklagen überhaupt angesehen. 44 Voraussetzung für die actio de sepulcro violato war die vorsätzliche Beschädigung oder sonstige Verletzung eines Grabmals. 45 Dies umfaßte nicht nur Sachbeschädigungen im heutigen Sinne, sondern auch sonstige Störungen der Heiligkeit des Begräbnisortes, wie etwa das Wohnen in oder auf einem Grab. 4 6 Die Funktion dieser actio als Schutz des Heiligen zeigt sich auch daran, daß nicht-heilige Grabmale, nämlich diejenigen der »Feinde« Roms, nicht denselben Schutz genossen. Im Gegenteil: Man darf »die davon hinweggeschafften Steine zu jedem beliebigen Gebrauch verwenden,« ohne daß eine actio de sepulcro violato gegeben wäre. 47 Wird aber ein römisches und daher heiliges Grabmal verletzt, so ist die Rechtsfolge der actio de sepulcro violato einschneidend: Immerhin ist eine Privatstrafe von 100 Goldstücken verwirkt. 48 Damit sind die wichtigsten Anwendungsbereiche der römischen Popularklagen beschrieben. Sie sind recht heterogen und reichen vom Schutz der staatlich organisierten Rechtspflege über den Schutz religiöser Empfindungen bis hin zu so handfesten Dingen wie der Sicherheit des Straßen- und Schiffsverkehrs. In den zahlreichen Bestimmungen zum Schutz der Gewässer und der Abwasseranlagen kann man mit etwas Fantasie sogar erste Ansätze einer Popularklage zum Schutz der Umwelt erkennen.
39
D. 21.1.42. C . G . Bruns, a . a . O . 343; Sitek, a . a . O . 1 0 2 f f . 41 So u.a. die Aufzählung in D. 2 1 . 1 . 4 0 . 42 Vgl. Sitek, a . a . O . 104. 43 D. 4 2 . 1 2 . 3 . 1 2 . 44 So Casavola, Studi sulle azioni popolari R o m a n e 56: » [Q]uest'editto abbia costitutio il paradigma per il regime di tutte le ulteriori azioni popolari.« 45 D. 42.12.3.pr. 46 Vgl. D. 4 2 . 1 2 . 3 . 6 . 47 D. 4 2 . 1 2 . 4 . 48 D. 42.12.3.pr. 40
I.
Einzelfragen
35
2. Akteure Heute wird eine Popularklage gern als solche bezeichnet, bei der »jedermann« klagen könne. 49 Dem entspricht die römisch-rechtliche Wendung des klageberechtigten quivis ex populo50 oder unus ex populo.51 Trotzdem steht fest, daß die römischen actiones populares nicht »jedermann« im heutigen Sinne zustanden. Zunächst waren nur die freien Bürger gemeint, nicht dagegen die grundsätzlich partei- und prozeßunfähigen Sklaven.52 Aber auch Frauen und minderjährige männliche Bürger konnten keine Popularklage erheben, sondern durften etwa die actio de effusis vel deiectis nur dann erheben, wenn sie selbst verletzt waren. 53 Selbst unter den freien und volljährigen männlichen Bürgern durften nicht alle eine actio popularis erheben, sondern nur die »unbescholtenen« (integrae),54 d.h. solche, die nicht aufgrund vorheriger Verfehlungen als infam galten. Diese Anforderungen an die Person des Popularklägers ähneln denjenigen, die auch für die Person eines procurators im sonstigen Privatrecht galten. 55 Dies zeigt, daß es um die Sicherung angemessener Interessenvertretung ging, wobei die Vorstellung eines angemessenen Repräsentanten von den damals geltenden sozialen Verhältnissen diktiert war. Die mit den Popularklagen zu schützenden kollektiven oder allgemeinen Interessen konnten also nicht von jedem Menschen wahrgenommen werden. Statt dessen gab es erhebliche Beschränkungen hinsichtlich der Person des Klageberechtigten, die sich aus den gesellschaftlichen Wertvorstellungen über würdige oder kompetente Repräsentation des Allgemeininteresses ergaben. Bereits hier zeigt sich, daß der Unterschied der actiones populares zu den Verbandsklagen des heutigen Rechts kein prinzipieller, sondern nur ein gradueller ist. 3. Klagziel Die römische Popularklage zielte entweder auf Zahlung einer Privatstrafe oder auf Unterlassung oder Beseitigung von Störungen. Dabei muß die auf eine Privatstrafe gerichtete Klage als actio popularis im engeren Sinne bezeichnet werden, weil es sich bei den auf Unterlassung oder Beseitigung gerichteten Berechtigungen um interdicta handelt, die sich von einer actio durchaus unterscheiden. 4 9 Vgl. etwa Reinel, Die Verbandsklage nach dem AGBG 122: Das »grundlegende Merkmal einer Popularklage« sei die »jedermann« zustehende Klagebefugnis. 50 Käser, Das römische Privatrecht I, 609. 51 Savigny, System des heutigen römischen Rechts II, 132. 52 Käser, Das römische Privatrecht I, 2 8 7 (Sklaven konnten im Zivilprozeß weder Partei noch Vertreter sein). 5 3 Dies darf man folgern aus D. 4 7 . 2 3 . 6 . : »Einer Frau und einem Unmündigen werden Volksklagen nur dann erteilt, wenn sie die Sache angeht.« 5 4 D. 4 7 . 2 3 . 4 . 5 5 C.G. Bruns, Z R G 3 (1864) 3 4 1 , 380.
36
1. Kapitel: actiones
populares
Trotzdem kann man auch die interdicta popularía als Popularklagen im weiteren Sinne bezeichnen, da für sie - bis auf die verfahrensmäßigen Besonderheiten - im wesentlichen dieselben Grundsätze wie für die actiones populares galten. 56 Bei den Interdikten handelt es sich um eine Frühform des einstweiligen Rechtsschutzes. Sie werden in einem besonderen Verfahren durchgesetzt, das sich vom ordentlichen Klageweg der actio insbesondere durch die Form und durch die rasche Prozedur unterscheidet. 57 Das Interdikt ist ein Befehl des Magistrates zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen und wird nur auf Grundlage des klägerischen Vortrags erlassen. Befolgt der Beklagte diesen Befehl nicht, so wird ein ordentliches Streitverfahren durchgeführt, in dem die Sache vom Gericht untersucht wird. 58 Meist konnte der Kläger die Zahlung einer Strafsumme verlangen, über die dann ein besonderer Prozeß geführt wurde, in dessen Rahmen der Beklagte auch die Rechtmäßigkeit des erlassenen Interdikts angreifen konnte. 5 9 Dagegen wurden die auf Zahlung einer Privatstrafe gerichteten actiones populares im normalen Verfahren geltend gemacht. Auch die Privatstrafe als Rechtsfolge war keine Besonderheit der actiones populares. Vielmehr gab es auch zahlreiche Privatklagen, bei denen das Klagziel in der Zahlung einer solchen Strafe bestand. Die Höhe der Strafzahlung war entweder im prätorischen Edikt festgesetzt oder in das Ermessen des Richters gestellt. 60 In der romanistischen Forschung war es zeitweilig strittig, an wen bei einer actio popularis die Strafe zu zahlen war. Es ist das Verdienst von Bruns, dies aufgeklärt zu haben. In einer umfangreichen Untersuchung trennte er die »Popularklagen« strafrechtlicher Art von den hier interessierenden Popularklagen im engeren Sinne. Dabei kam er zu folgendem Ergebnis: Popularklage k a n n m a n im allgemeinen jede Klage nennen, die quilibet ex populo anstellen kann; im alten und eigentlichen Sinne verstehen die R ö m e r d a r u n t e r aber nur die Klagen, die im öffentlichen Interesse ihren eigentlichen G r u n d und Zweck haben und d a r u m von jedem Bürger angestellt werden k ö n n e n , die aber nach der Anstellung als Privatklagen des Klägers zu seinem Nutzen und Vortheile behandelt w e r d e n . 6 1
Bei den oben beschriebenen actiones populares im engeren Sinne fließt also die versprochene Privatstrafe stets und ausschließlich dem Kläger zu, er klagt aus eigener Kompetenz und in eigenem Namen. 6 2 Darüber hinaus gab es noch zahlreiche andere Varianten, die meist den Strafprozeß betreffen und in denen der Klä56
K.A. Schmidt, Das Interdiktenverfahren der Römer 132. Zu den römischen Interdikten siehe Berger, in: Realencyclopädie 18. Halbbd. (1916) Sp.l609ff. 58 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozeßrecht 408 f. 59 Ausführlich zum Interdiktenverfahren Berger, a.a.O. Sp. 1691 ff. 60 Beispiele bei Käser, Das römische Privatrecht I, 612f.; Leonhard, in: Realencyclopädie 1. Halbbd. (1893) Sp.303, 316ff. 61 C.G. Bruns, ZRG 3 (1864) 341, 366f. 62 Leonhard, in: Realencyclopädie 1. Halbbd. (1893) Sp.303, 319. 57
I.
Einzelfragen
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ger eher als Vertreter des Staates oder einer Gemeinde auftritt und die eingeklagte Strafe ganz oder teilweise an den Staat oder die Gemeinde abgeben muß. 63 Diese werden aber hier nicht behandelt, da sie nicht als privatrechtliche Befugnisse im heutigen Sinne angesehen werden können. 64 4. Rechtskraft und Rechtshängigkeit Dadurch, daß die Popularklageberechtigung wegen eines Vorfalls einer Vielzahl möglicher Kläger zustand, ergab sich zwangsläufig das Problem der Klagenkonkurrenz. Mehrere Popularklagen aufgrund ein und desselben Vorfalls durften nicht stattfinden. 65 Dies wurde zunächst dadurch erreicht, daß dem Beklagten ab der litis contestatio, also der förmlichen Streiteinsetzung,66 gegenüber einer weiteren Klage in derselben Sache die exceptio rei in iudicium deductare zustand. 67 Der Begriff derselben Sache (in eadem causam) wurde hier also so interpretiert, daß ein zweiter quivis ex populo trotz Verschiedenheit des Klägers in eadem causam klagt, solange nur der sonstige Klaggrund derselbe ist. Hier zeigt sich also hinsichtlich des Begriffs vom Streitgegenstand ein wichtiger Unterschied zwischen der actio popularis und anderen Klagen: Sind wegen eines Vorfalls mehrere unmittelbar verletzt, so kann zweifellos der Klage eines zweiten Verletzten nicht entgegengehalten werden, daß dieser in eadem causam wie der erste Verletzte klage. 68 Der Begriff des Streitgegenstands umfaßte hier selbstverständlich die jeweils betroffenen Parteien, 69 so daß zwei unterschiedliche Kläger auch einen jeweils anderen Streitgegenstand vor Gericht geltend machten. Beruhte aber die Klageberechtigung eines zweiten Klägers nicht auf einer eigenen Verletzung, sondern »nur« auf der Stellung als quivis ex populo, so lag nach der römischen Auffassung gerade kein zweiter Streitgegenstand vor, da das zu repräsentierende Allgemeininteresse bereits im ersten Prozeß ausreichend zur Geltung kam. 6 3 Vgl. die Nachweise bei C.G. Bruns, Z R G 3 (1864) 341, 367; Mommsen, SZ (Rom.) 2 4 (1903) l f f . 6 4 Dazu bereits C.G. Bruns, ebd. 357f.: »Diesem allem zufolge gehört das gesammte MultenSystem der Römer mit seiner eigenthümlichen Ausbildung lediglich und ausschließlich dem öffentlichen Rechte und dem Criminalprocesse an, und man hat die Begriffe von Popularklagen und Civilverfahren davon durchaus fern zu halten.« 65 Meffert, Die Streitgenossenschaft im klassischen römischen Recht 66; in den Quellen ergibt sich dies aus D. 9.3.5.5; D. 47.12.3.pr.; D. 47.23.2.; D. 47.23.3.1. 6 6 Vgl. dazu Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozeßrecht 75ff. und 289ff. 6 7 D. 47.12.3.pr.; D. 47.23.2.; D. 4 7 . 2 3 . 3 . 1 . 6 8 Dies gilt natürlich auch für die von der Popularklage erfaßten Delikte, siehe nur D. 4 7 . 1 2 . 3 . 9 : Wenn ein Grabmal mehrere Inhaber hat, so können mehrere auch als Verletzte bei einer Beschädigung klagen; die Privatstrafe ist dann kumulativ an jeden Verletzten zu zahlen. Vgl. dazu Meffert, a.a.O. 67 Fn. 18; Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozeßrecht 3 0 5 ; Levy, Die Konkurrenz der Aktionen und Personen im klassischen römischen Recht I, 5 1 0 . 6 9 Vgl. nur D. 4 4 . 2 . 2 7 .
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1. Kapitel:
actiones
populäres
Kam es also vor der litis contestatio zu einer Konkurrenz mehrer potentieller Kläger, so hatte der Prätor einen dieser Aspiranten auszuwählen. Die Kriterien für eine solche Auswahl ergeben sich zum Teil aus den römischen Quellen. Zunächst wurde derjenige Kläger bevorzugt, der von dem Delikt unmittelbar verletzt oder betroffen war. Dies wird in den Quellen zur actio de sepulcro violato ausdrücklich überliefert: Sie stehe zunächst dem Besitzer des Grabmals zu und nur ersatzweise jedem anderen.70 Die Popularklage ist hier also nur subsidiär gegenüber einer Klage des unmittelbar Betroffenen. Hat aber die Klage eines quivis ex populo bereits das Stadium der litis contestatio erreicht, so kann diese Rechtshängigkeit auch dem unmittelbar Betroffenen entgegengehalten werden, denn der Grundsatz der Subsidiarität der Popularklage gilt nur vor der litis contestatio. Ist sie bewirkt, so erlischt der Vorrang des unmittelbar Betroffenen.71 War kein unmittelbar Betroffener zur Klage bereit, so wählte der Prätor unter den vorhandenen Klagewilligen denjenigen aus, den er für den geeignetesten oder würdigsten Repräsentanten des Kollektivinteresses hielt. 72 Auch diese Auswahlmöglichkeit muß jedoch nach dem soeben Gesagten mit der litis contestatio eines Popularklägers enden; nach ihr kann auch ein möglicherweise besser geeigneter Kläger nicht mehr klagen. Die für die Rechtshängigkeit dargestellten Grundsätze galten anscheinend entsprechend auch für die Wirkung rechtskräftig beendeter Prozesse. Der Klage eines zweiten quivis ex populo wegen desselben Delikts stand die exceptio rei iudicatae entgegen.73 Von diesem Grundsatz wird eine Ausnahme gegolten haben, wenn der Erstprozeß in Kollusion zwischen Kläger und Beklagtem durchgeführt wurde.74 Hinsichtlich der Wirkung einer rechtskräftigen Entscheidung könnte man aber noch nach einer verurteilenden Entscheidung und einer klagabweisenden Entscheidung differenzieren. Für eine solche Differenzierung spricht ein Fragment in den Quellen, das davon handelt, daß während der Abwesenheit des unmittelbar Betroffenen eine populäre actio de sepulcro violato durchgeführt und entschieden wurde. Kehrt der unmittelbar Betroffene zurück, so dürfe er jedenfalls dann nicht erneut klagen, wenn der Beklagte zur Strafzahlung verurteilt wurde.75 Von der Wirkung einer klagabweisenden Entscheidung ist an dieser Stelle nicht die Rede. Daraus könnte man schließen, daß einer klagabweisende Entscheidung keine umfassende D. 4 7 . 1 2 . 3 . 1 0 ; D. 4 7 . 1 2 . 6 . D. 4 7 . 1 2 . 3 . 1 0 ; Levy, a.a.O. 3 9 9 . 7 2 D. 4 7 . 2 3 . 2 : »Si plures simul agant populari actione, praetor eligat idoneiorem.« In der älteren deutschen Übersetzung wird idoneiorem mit »den tüchtigem« übersetzt. Meffert, a.a.O. 66f. übersetzt mit »geeignetsten«, bei Kaser/Hackly Das römische Zivilprozeßrecht 333 Fn.44, wird schließlich vom »würdigeren« Kläger gesprochen. 73 D. 47.23.3.pr. 74 Rudorff, Römische Rechtsgeschichte Bd. 2, 159 mit Verweis auf D. 12.2.30.3; D. 4 3 . 2 9 . 3 . 1 3 . ; ebenso Levy, a.a.O. 3 9 6 . 7 5 D. 4 7 . 1 2 . 6 . 70 71
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Einzelfragen
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Rechtskraftwirkung zukam. 76 Dies wäre aber unvereinbar mit der ansonsten geltenden allgemeinen Aussage, daß jede rechtskräftige Entscheidung einer Popularklage eine zweite Klage in eadem causam hindert. 77 Ein sachlicher Grund für diese besondere Behandlung der actio de sepulcro violato ist nicht ersichtlich. 78 Daher wird in der Literatur mit guten Gründen vermutet, daß die fragliche Stelle nicht die Regeln des klassischen römischen Rechts wiedergibt, sondern später von den Kompilatoren der Digesten eingefügt wurde. 79 Außerdem wird darauf hingewiesen, daß die anerkannte Ausnahmeregel zur Kollusion zwischen Kläger und Beklagtem unnötig wäre, wenn nur die erfolgreiche Klage zur exceptio rei iudicatae führte: Ein kollusiv durchgeführter Prozeß wird ja gerade dazu führen, daß der Beklagte nicht zahlen muß, so daß dann nach dem fragwürdigen Fragment ohnehin keine exceptio rei iudicatae gegeben wäre, ohne daß es der Feststellung einer Kollusion bedürfte. 80 Insgesamt ist daher davon auszugehen, daß die rechtskräftige Entscheidung einer Popularklage unabhängig vom Ergebnis der Entscheidung eine zweite Popularklage in derselben Angelegenheit unmöglich machte. Dies galt auch für die Popularinterdikte: War ein solches einmal erlassen, so konnte der Beklagte die exceptio rei iudicatae gegen jeden erheben, der ein Interdikt in derselben Angelegenheit begehrte.81 Auch ein klagabweisendes Urteil im Interdiktenverfahren hatte diese Rechtskraftwirkung gegen jedermann, sofern dieses Urteil nicht auf der »Kollusion des ersten Klägers« beruhte. 82 Aus der Besonderheit des Interdiktenverfahrens ergab sich allerdings noch eine zweite Einschränkung der Rechtskraftwirkung: Wenn der Beklagte es vorzog, die Strafsumme zu zahlen, anstatt dem Interdikt folge zu leisten, so war eine zweite Interdiktenklage - sei es durch den ersten oder einen anderen Kläger - möglich, denn der sachliche Grund der Klagekompetenz war in diesem Fall weiter gegeben.83 Dies war bei der aufgrund einer actio popularis gezahlten Privatstrafe anders: Mit der Zahlung der Strafe war der Zweck der Klage erledigt.
7 6 Unklar insoweit Leonhard, in: Realencyclopädie, 1. Halbbd. (1893) Sp.303, 319: Wegen derselben Sache sei »mit Erfolg nur eine einmalige Verwendung der actio popularis möglich«. 7 7 Diese allgemeine Aussage zur exceptio rei iudicatae bei Popularklagen findet man in D. 47.23.3.pr., dazu ausführlich Levy, a.a.O. 395ff. 78 Levy, ebd. 398. 7 9 Ebd. 398f. 8 0 Ebd. 399. 81 K.A. Schmidt, Das Interdiktenverfahren der Römer 133 mit Verweis auf D. 43.29.3.13. 82 K.A. Schmidt, ebd. 134. 8 3 D. 43.29.3.13. K.A. Schmidt, a.a.O. 134, hält dies für einen »aus der besonderen Natur des Gegenstands, auf den das Interdikt sich bezieht« (es geht um die Freilassung eines freien Bürgers) begründeten Sonderfall. Doch spricht der Zweck des Interdiktenverfahrens, nämlich »die öffentliche Ordnung vor Erschütterungen zu schützen« (Berger, in: Realencyclopädie, 18. Halbbd. Sp.1609, 1611) auch in allen anderen Fällen, in denen eine Störung dieser Ordnung fortdauert, für die Möglichkeit eines zweiten Interdikts.
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1. Kapitel:
actiones
populäres
Dispositionsbefugnis
5.
Somit wurden also die Popularklageberechtigungen bereits hinsichtlich des Streitgegenstands anders behandelt als sonstige, auf ein individuelles Interesse zugeschnittene Klagekompetenzen: Die Popularklageberechtigung des einen quivis ex populo wird als dieselbe Sache wie die eines anderen quivis angesehen. Bei individuellen Interessen dagegen ist die Verletzung des A zweifellos nicht dieselbe Sache wie die Verletzung des B. Das bedeutet, daß die Klageberechtigung bei der Popularklage von einer ganz anderen Qualität als die eines individuell Betroffenen ist. Der zur Popularklage berechtigte quivis ex populo hat kein ihm persönlich zugewiesenes »speziell bestimmtes Recht« 84 oder »Sonderrecht für den Actor,« 85 das diesen zu einer eigenen Klage unabhängig von bereits erfolgten anderen Klagen berechtigen könnte. Savigny drückte diesen Unterschied so aus: Die Popularklagen » beruhten nicht auf einer Obligation «, da der Kläger nur eine allgemeine Bürgerpflicht zum Schutze kollektiver Interessen ausübe.86 Bereits hier zeigt sich eine Parallele zur heutigen Diskussion um die dogmatische Einordnung der Populär- und Verbandsklage. Wenn Savigny bezüglich der Popularklage vom Fehlen einer »Obligation« spricht, dann meint er damit, daß die Popularklagekompetenz ihrem Inhaber nicht in derselben Weise individuell zugeordnet ist wie das, was später im Gefolge von Windscheid als materiell-rechtlicher Anspruch bezeichnet wurde. Nun war eine Unterscheidung zwischen materiellen Rechten und daraus folgenden Klagemöglichkeiten den römischen Juristen freilich fremd. Sie dachten »aktionenrechtlich« in dem Sinne, daß sie im wesentlichen die Frage im Blick hatten, unter welchen Voraussetzungen man vor Gericht etwas verlangen konnte. 87 Dieses Denken schloß es jedoch nicht aus, den prinzipiellen Unterschied zwischen einer individuellen Rechtsposition und der Klagekompetenz des quivis ex populo zur Kenntnis zu nehmen. So wird in den Quellen ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Berechtigung zur Popularklage kein Vermögensrecht ist: Es »erscheint der nicht reicher, wer diese Klage hat.« 88 In der romanistischen Literatur wird dies so zusammengefaßt: »Daher giebt es zwar populäre Processmittel (Klagformeln, Actionen in diesem Sinne), nicht aber populäre Ansprüche oder Forderungsrechte.« 89
Meffert, a.a.O. 67. Leonhard, in: Realencyclopädie 1. Halbbd. (1893) Sp.303, 3 1 9 : »Sonderrecht für den Actor« entstehe bei der actio popularis im Gegensatz zu anderen actiones erst durch Klagerhebung. 86 Savigny, Obligationenrecht II, 303. 8 7 Vgl. zum Begriff des »aktionenrechtlichen Denkens« Käser, Das römische Privatrecht I, 2 2 6 ; Bucher, AcP 186 (1986) 1, 5ff. 88 D. 4 7 . 2 3 . 7 . 1 . 89 Leonhard, in: Realencyclopädie 1. Halbbd. (1893) Sp.303, 3 1 9 . 84 85
I.
Einzelfragen
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Sieht man also die Popularklageberechtigung nicht als Bestandteil des eigenen Vermögens an, so konnte der jeweils berechtigte quivis ex populo auch nicht in derselben Weise über sie verfügen, wie er es über sein Vermögen konnte. Eine Abtretung im heutigen Sinne war dem klassischen römischen Recht ohnehin fremd. 90 Statt dessen konnte ein gewünschter Gläubigerwechsel etwa dadurch erreicht werden, daß der ursprüngliche Gläubiger den »Zessionar« zum procurator in rem suam bestellte, so daß dieser die Forderung des Zedenten im eigenen Namen einklagen konnte und den eingeklagten Betrag dann im Verhältnis zum »Zedenten« auch behalten durfte.91 Auch diese Form der faktischen Abtretung war bei der Popularklage schon deshalb unmöglich, weil der Popularkläger keinen Prokurator bestellen durfte. 92 Diese Regel wird damit erklärt, daß der Popularkläger vor einer Klagerhebung noch gar kein eigenes Forderungsrecht hat, dessen Durchsetzung er einem Prokurator anvertrauen könnte, und daß ohnehin jedermann in eigenem Namen klageberechtigt ist. Eine Übertragung eines solchen Jedermannrechts wäre theoretisch möglich, »aber einen rechten Sinn hat es allerdings nicht.« 93 Zum Bestandteil des persönlichen Vermögens wurde die Popularklageberechtigung erst mit der litis contestatio, d.h. wenn sie bereits rechtshängig war. 94 Erst dadurch entsteht eine dem Kläger individuell zugewiesene Rechtsposition, die auch vererblich ist. 95 Auch dies wird bereits von Savigny beschrieben, indem er ausführt, daß sich das populäre Klagerecht erst mit der litis contestatio in eine »wahre Obligation« verwandelt, »was es bis dahin nicht war.« 96 Vor der litis contestatio besteht also keine Obligation oder eine vergleichbare materiell-rechtliche Rechtsposition, so daß auch kein Verzicht oder Erlaß im materiell-rechtlichen Sinne in Betracht kommt. 97 Es ist allenfalls ein vor der Rechtshängigkeit geschlossenes pactum de non petendo denkbar, aus dem der Beklagte bei abredewidriger Klagerhebung die exceptio pacti herleiten könnte. 98 Auf die Frage, ob ein solcher Verzicht auf die Popularklageberechtigung trotz der mit dieser Berechtigung verfolgten Kollektivinteressen möglich war, geben weder die Quellen noch die romanistische Forschung eine Antwort. Man darf vermuten, daß diese Problematik angesichts der Vielzahl der Klageberechtigten faktisch nicht releVgl. nur Käser, Das römische Privatrecht I, (¡SU. Ebd. 9 2 D. 4 7 . 2 3 . 5 (der Beklagte dagegen durfte sich eines Prokurators bedienen). 9 3 C.G. Bruns, Z R G 3 (1864) 341, 3 8 1 . 9 4 D. 50.16.12.pr.: Erst ab der litis contestatio kann man den Popularklageberechtigten einen Gläubiger (creditor) nennen. 9 5 Dazu C.G. Bruns, Z R G 3 (1864) 3 4 1 , 382f. Die Frage der Vererbbarkeit der actiones populäres ist im Detail allerdings nur schwer zu rekonstruieren, vgl. dazu etwa Sitek, a.a.O. 126ff. 96 Savigny, System II, 132. 9 7 Zum Erlaß im römischen Recht siehe Käser, Das römische Privatrecht I, 640ff.; Kleinschmidt, Der Verzicht im Schuldrecht 2 6 2 f . m.w.N. 9 8 Zum pactum de non petendo im römischen Recht siehe Käser, Das römische Privatrecht I, 6 4 2 ; Zimmermann, The Law of Obligations 5 0 8 . 90 91
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1. Kapitel: actiones
populäres
vant wurde: Dem potentiell Beklagten konnte es nicht viel helfen, einem quivis ex populo die Klageberechtigung »abzukaufen«, da dies nichts an der Berechtigung der zahllosen anderen potentiellen Kläger änderte. Diese Lage ändert sich aber mit der Rechtshängigkeit der Popularklage, da sie ja die Erhebung weiterer Popularklagen in derselben Angelegenheit sperrte. Es ist daher zu fragen, welche Dispositionsbefugnisse dem Popularkläger nach Rechtshängigkeit zustanden. Eine Klagerücknahme im heutigen Sinne, d.h. ein Abstandnehmen von der Rechtsverfolgung mit der Möglichkeit einer späteren neuen Klageerhebung, kannte das römische Zivilprozeßrecht anscheinend nicht. Vielmehr konnte der jeweilige Rechtsstreit nur noch in und durch das mit der litis contestatio geschaffene iudicium entschieden werden." Dagegen war der Vergleich im römischen Privatrecht durchaus bekannt. Als transactio konnte er einen Verzicht auf die Klageberechtigung für eine Gegenleistung enthalten. 100 Grundsätzlich war dies bei allen Arten von Rechten und in allen Verfahren zulässig.101 War jedoch in einem Prozeß bereits die litis contestatio erfolgt, so unterlag ein Vergleich besonderen Beschränkungen. Er war wohl nur mit Mitwirkung des Magistrats möglich. Dieser mußte gegenüber dem durch die litis contestatio eingesetzten Gericht ein Urteilsverbot (iudicare vetare) aussprechen, um den Parteien die Chance zu geben, ihren Streit ohne Urteil beizulegen. 102 Ein solches Urteilsverbot führte zur vorzeitigen Auflösung des eingesetzten Gerichts. 103 Über Vergleiche oder Verfahrensbeendigungen ohne Urteil ist im Hinblick auf Popularklagen nichts überliefert. Es spricht jedoch hier ebenso wie beim pactum de non petendo nichts dagegen, die allgemeinen Regeln auch auf die Popularklage anzuwenden. Ein Vergleich wäre also auch bei dieser zulässig. Aufgrund der Konstruktion der Vergleichsmöglichkeit durch Auflösung des Gerichts kann der Vergleich jedoch nicht einem rechtskräftigen Urteil gleichgesetzt werden, sondern ist bloßer Vertrag zwischen den Parteien. Er begründet daher keine exceptio rei iudicatae gegen einen anderen Popularkläger in einem späteren Prozeß. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, daß sich die römischen Popularklageberechtigungen deutlich von individuell zugewiesenen Rechtspositionen unterschieden und daß dieser Unterschied bereits von den römischen Juristen klar erkannt wurde. Die allgemeinen prozeßrechtlichen Regeln wurden nur insoweit angewandt, als sie mit diesem Unterschied vereinbar waren, was sich am deutlichsten in der Regelung über die Rechtskraftwirkung der Popularklage zeigt.
Siehe dazu Kaser/Hackl, Das römisches Zivilprozeßrecht 80f.; 295ff. Käser, Das römische Privatrecht I, 642. 101 Käser, in: Realencyclopädie, Zweite Reihe, 6. Bd.(1937) Sp.2139, 2143. 1 0 2 Ebd. Sp.2144. 103 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozeßrecht 352, dort in Fn. 2 0 auch weitere Nachweise zur Wirkung eines Vergleichs nach Rechtshängigkeit. 99
100
II. Prinzip und Funktion
der actiones
populares
II. Prinzip und Funktion der actiones
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populäres
Angesichts der oben beschriebenen sachlichen Vielfalt fällt es schwer, die verschiedenen Anwendungsfälle der actio popularis auf ein einheitliches Prinzip zurückzuführen. Trotzdem wurde dies in der romanistischen Forschung mehrfach versucht. 1. Popularkläger als Quasi-Staatsanwalt? Savigny sah den Bürger, der sich einer actio popularis bediente, »in seiner politischen, nicht in seiner juristischen (privatrechtlichen) Eigenschaft« 104 tätig. In den actiones populäres, so Savignys Interpretation, »stellte gleichsam jeder Römische Bürger einen Staatsanwalt vor, der im öffentlichen Interesse eine Geldstrafe verfolgte und dem dafür, als eine Art von Besoldung für diese öffentliche Thätigkeit, der Gewinn der eingeklagten Summe gestattet war.« 105 Diese Wahrnehmung von Gemeinwohlaufgaben durch die Bürger sei spezifisch für das alte Rom und finde sich in den modernen Verfassungen - egal ob monarchisch oder republikanisch - nicht wieder. Aus diesem Grund könne »an eine heutige Anwendung [der actiones populäres] gar nicht gedacht werden.« 106 Diese Erläuterungen Savignys zur Popularklage sind in zweierlei Hinsicht interessant. Zunächst enthalten sie bereits die Wendung vom Bürger als privatem Staatsanwalt, die mehr als ein Jahrhundert später als »private attorney-general« in der access-to-justice-Bewegung wieder auftaucht und im wesentlichen auf die US-amerikanische class action bezogen wird. 107 Darüber hinaus verweisen sie allerdings ohne nähere Erläuterung - auf eine im 19. Jahrhundert noch als selbstverständlich vorausgesetzte Aufgabenteilung zwischen Bürgern und Staat, mit der die actio popularis nicht vereinbar sei. Die actio popularis schützt in Savignys Interpretation schlicht das öffentliche Interesse im Gegensatz zum privaten. 108 Den Schutz des öffentlichen Interesses hält Savigny anscheinend in der modernen Verfassung für eine ausschließliche Aufgabe des Staates, ganz im Gegensatz zum alten Rom. Dort waren Staat und Gesellschaft insoweit noch nicht eindeutig getrennt. Daher wird die Auffassung vom Popularkläger als StaatsanSavigny, System II, 131. Savigny, Obligationenrecht II, 314. 1 0 6 Ebd. 313f. 1 0 7 Vgl. nur den Titel der Arbeit von Coffee, Rescuing the Private Attorney General: Why the Model of a Lawyer as a Bounty Hunter is Not Working, 4 2 Maryland L. Rev. 215ff. (1983). 1 0 8 »[Die actiones populäres] sind Klagen auf eine dem Kläger zu zahlende Geldstrafe, wodurch aber ein öffentliches Interesse verfolgt und geschützt werden soll.« Savigny, System II, 131, mit Verweis auf D. 4 7 . 2 3 . 1 , wo allerdings der Begriff des öffentlichen Interesses nicht vorkommt. Vielmehr wird dort die Popularklage als solche definiert, die »dem Volk sein Recht beschützt.« Ähnlich wie Savigny aber Rudorff, Römische Rechtsgeschichte Bd. 2, 157: Popularklagen seien »Schutz des Gesamtinteresses durch Civilklage jedes beliebigen Einzelnen.« 104 105
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1. Kapitel:
actiones
populäres
walt oder »Polizeidiener« auch als »Hereintragen moderner Ideen« in das römische Recht kritisiert. 109 In eine ähnliche Richtung wie Savignys Begriff vom Popularkläger als QuasiStaatsanwalt zielt Mommsen, indem er der Popularklage grundsätzlich eine prokuratorische Natur zuspricht: »Die Klage ist anerkannter Massen eine durch Stellvertretung angebrachte, in welcher das Volk als Auftraggeber, der Kläger als Procurator erscheint.« 110 Gegen diese Vorstellung spricht aber der von Bruns zumindest hinsichtlich der hier interessierenden privatrechtlichen Popularklagen geführte Nachweis, daß der Popularkläger aus eigenem Recht und zu eigenem Vorteil klagt. 111 Weder mit Savignys Vorstellung vom Popularkläger als privatem Staatsanwalt noch mit Mommsen Idee von der prokuratorischen Natur der Popularklage läßt sich aber erklären, warum nur ein Teil der die öffentlichen Interessen berührenden Delikte als Popularklagen ausgestaltet sind. Außerdem bleibt unklar, warum nicht auch in diesen Fällen wie in zahlreichen anderen Fällen des römischen Strafrechts eine Belohnung des Anzeigenden im Rahmen eines gewöhnlichen Strafprozesses ausreicht. 112 So fragt sich etwa Käser, warum die Übervorteilung eines Minderjährigen zur Popularklage Anlaß gab, warum dieses Delikt also eine stärkere Verletzung der Interessen unbeteiligter Dritter darstelle als andere Delikte. Dies sei »schwer zu deuten.« 113 2. Schutz eigener Jedermannsrechte Hinsichtlich der mit Hilfe der Popularklagen geschützten Interessen hat allerdings Jhering auf weitere wichtige Aspekte hingewiesen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Popularinterdikte bezüglich des ungehinderten Gebrauchs der öffentlichen Wege und Flüsse. Zweifellos dienten diese Popularinterdikte ebenso wie alle Interdikte des römischen Rechts faktisch dazu, »polizeilich verwaltungsrechtliche Ordnung in den Gemeinden zu gewährleisten.«114 Trotzdem ging es bei den Popularinterdikten nicht darum, daß der klagende Bürger eine fremde, nämlich staatliche, Aufgabe wahrnimmt. Vielmehr schützt der Popularkläger sein ureigenes Recht, als römischer Bürger die res publicae zu nutzen: Das Befremdende dieser Erscheinung [der Popularklagen] verschwindet, wenn man sie mit jener eigenthümlichen Gemeinsamkeit des Rechts, wie sie innerhalb der Gentilverfassung statt fand, in Beziehung setzt. [...] Gleich wie die Gentilsachen nicht im Eigenthum
C.G. Bruns, Z R G 3 (1864) 3 4 1 , 4 0 8 . Mommsen, Die Stadtrechte der latinischen Gemeinden Salpensa und Malaca in der Provinz Baetica, in: Gesammelte Schriften Bd. 1, 2 6 5 , 354. 111 C.G. Bruns, Z R G 3 (1864) 3 4 1 , 366f. 1 1 2 Ebd. 4 0 6 . 113 Käser, Über Verbotsgesetze 41 Fn. 15. 114 Wenger, Institutionen des römischen Zivilprozeßrechts 2 3 7 . 109 110
II. Prinzip und Funktion der actiones
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der Gens als gedachter juristischer Persönlichkeit, sondern in dem der Gentilen stehen, so auch die res publicae nicht in dem des Staats, sondern sämmtlicher Staatsangehörigen. Der Einzelne also, der z.B. wegen Verletzung der Landstraße klagt, stützt sich auf sein eigenes Recht und Interesse, nur daß die Beziehung dieser Sache zu ihm hier eine schwächere und weniger in die Augen springende ist als bei den Gentilgrundstücken; denn je ausgedehnter der Kreis derer wird, die zur ungetheilt-gemeinsamen Benutzung und zur klageweisen Geltendmachung derselben berufen sind, um so mehr kann sich der Gesichtspunkt, daß jeder hier sein eigenes Recht ausübt, der Beobachtung entziehen. 1 1 5
Anders als für Savigny bedarf es also für Jhering bei den Popularklagen hinsichtlich der ungestörten Nutzung der öffentlichen Infrastruktur nicht der Konstruktion einer Vertretung des Staates als privater Staatsanwalt, sondern jeder Bürger klagt hier unmittelbar eine eigene Berechtigung ein. 116 Dies ergibt sich bereits aus der Konstruktion des Eigentums an öffentlichen Sachen, bei welchen zumindest im älteren römischen Recht nicht zwischen einem Eigentum des Staates an diesen Sachen und einer »Art von Gesamteigentum« 117 aller Bürger an diesen Sachen unterschieden wurde. 118 Darüber hinaus zeigt die Existenz der actiones populäres aber, daß im alten Rom die öffentlichen Interessen eben auch und gerade als Interessen eines jeden einzelnen wahrgenommen wurden. 119 Es ist nicht nur in einem abstrakten öffentlichen Interesse, daß man auf den Straßen gehen kann, ohne von oben begossen oder beworfen zu werden, sondern im konkreten Interesse eines jeden römischen Bürgers. Die actio de effusis vel deiectis als Popularklage schützt also »potentiell jeden einzelnen und damit aktuell alle.« 120 Wenn zur Begründung einer Popularklage in den Digesten die Sicherheit der öffentlichen Straßen als publice utile est beschrieben wird, 121 so muß man dies nicht notwendig mit dem schillernden Begriff des »öffentlichen Interesses« übersetzen, wie es die jüngste deutsche Übersetzung tut. 122 Es reicht auch die Feststellung aus, daß dies für jedermann nützlich ist. 115 116
40 f.
Jhering, Geist des römischen Rechts I 203. Zustimmend zu Jhering daher C. G. Bruns, a.a.O. 406 f.; im Ergebnis ebenso Sitek, a.a.O.
C.G. Bruns, a.a.O. 408. C.G. Bruns, ebd. Anders Käser, Das römische Privatrecht I, 381, der zumindest für die Periode des klassischen römischen Rechts ein »Eigentum des Staates« an den öffentlichen Sachen konstatiert, wenngleich er einschränkend darauf hinweist, daß den einzelnen Bürgern trotzdem mittels der Popularinterdikte ein gewisser Schutz des Gemeingebrauchs dieser Sachen übertragen ist. 119 Vgl. Danilovic, FS Grosso VI, 13, 15: »[L]'intérêt privé coïncidant avec l'intérêt public.« Ebenso Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse 2: Die Existenz der römischen Popularklagen belege, daß »im altrömischen Recht Staat und Bürgerschaft noch nicht als getrennte Rechtsträger gedacht, sondern als identisch angesehen wurden.« 120 Hansell, SZ (Rom.) 95 (1978) 93, 106. 121 D. 9.3.1.1. 122 Behrends/Knütel/Kupisch/Seiler (Hrsg.), Corpus Iuris Civilis Bd. II, 770; anders die ältere Übersetzung von Sintenis, der mit »es ist zum allgemeinen Besten« übersetzt: Otto/Schilling/ 117 118
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1. Kapitel: actiones
populäres
In der späteren Forschung wurden auch andere Versuche unternommen, die mit den actiones populäres geschützten Interessen genauer zu bestimmen, als dies mit dem vagen Begriff des öffentlichen Interesses möglich ist. So soll etwa die Besonderheit der römischen Popularklagen darin liegen, daß sie weder das Staatsinteresse schützen noch das Privatinteresse der Familie, welches vom pater familias vertreten wird, sondern ein drittes, nämlich das Interesse des Individuums selber, unabhängig von seiner Stellung als Glied des Staates und einer Familie. 123 Diese eigenwillige Begriffsbildung wurde jedoch sogleich wieder kritisiert: Wenn die Popularklage Individualinteressen schütze, dann sei damit gerade nicht geklärt, warum auch ein nicht unmittelbar Betroffener Klage erheben könne. Dies sei nur mit dem öffentlichen Interesse an einer solchen Klage erklärbar. 124 Im übrigen sei nicht erkennbar, warum etwa hinsichtlich des höchst individuellen Interesses an körperlicher Unversehrtheit etwa gegenüber einer mutwilligen Körperverletzung keine Popularklage gegeben ist (sondern die nur vom Verletzten zu erhebende actio iniuriarum), warum aber hinsichtlich desselben Interesses bei aus dem Fenster fallenden Gegenständen eine Popularklage besteht. 125 Auch die Existenz der Popularinterdikte kann mit dem Begriff des öffentlichen Interesses nicht hinreichend erklärt werden: »Gewiß wird in der Regel die Berechtigung des quivis ex populo, ein solches [Popularinterdikt] zu postulieren, mit der publica utilitas zusammenfallen, aber dieses letztere Requisit allein reicht nicht aus, um den Popularcharakter eines Interdikts zu bestimmen.« 126 Vielmehr gab es eine Reihe von »Privatinterdikten«, d.h. solchen, die nur vom unmittelbar Betroffenen durchgesetzt werden konnten, die ebenfalls im öffentlichen Interesse bestanden. 127 3. P o p u l a r k l a g e als spezifische F o r m sozialer K o n t r o l l e Die Frage nach den geschützten Interessen führt also bei der Suche nach einem Prinzip der actiones populäres nicht recht weiter. Bereits Jhering hat seiner auf den Begriff des Interesses bezogenen Analyse daher noch einen weiteren Aspekt hinzugefügt, der bis heute aktuell ist. Er faßt die bei den römischen Popularklagen betroffenen Interessen in einer Weise zusammen, die man als »diffuse« beSintenis (Hrsg.), Das C o r p u s Iuris Civilis, Bd. 1 , 8 1 7 . Siehe dazu auch Honseil, SZ 95 (1978) 93, 106, der mit Blick auf die actio de effusis vel deiectis a n m e r k t , d a ß »utilitas publica hier kein vom Einzelinteresse verschiedenes Staatsinteresse bedeutet.« Siehe zum Begriff der utilitas publica ausführlich Käser, SZ (Rom.) 103 (1986) 1, 16ff. 123 Casavola, Studi sulle azioni popolari 16. 124 Jahr, SZ (Rom.) 7 7 (1960) 4 7 2 , 4 7 6 . Z u s t i m m e n d zu Casavolas These vom Schutz des Individualinteresses jedoch Käser, Labeo 4 (1958) 340, 3 4 4 f . 125 Danilovic, FS Grosso VI, 13, 17. 126 Berger, in: Realencyclopädie 18. H a l b b d . (1916) S p . 1 6 0 9 , 1621. 127 Aufzählung ebd.
II. Prinzip und Funktion
der actiones
47
populares
zeichnen könnte: Die relevanten Interessen »verlieren sich in der That ins Unbestimmte, Allgemeine, es sind die der Gemeinschaft, des Publikums.« 1 2 8 Derartige Interessen zu schützen, ist im modernen Staat im wesentlichen Aufgabe der Polizei und der Fachbehörden, so daß die actiones
populäres
bereits bei Jhering als
Ersatz für behördliches Handeln erscheinen: »[D]ie Handlungen, gegen welche sie [die actiones
populäres]
Schutz gewähren sollen, sind gemeingefährlicher Art;
unser heutiges Recht hat ihre Verhinderung und Ahndung der Polizei überwiesen. « 1 2 9 Eine derartige soziale Kontrolle durch Polizei oder Fachbehörden gab es im alten R o m jedoch allenfalls in embryonaler Form. 1 3 0 Das besondere Merkmal der römischen Popularklagen ist also nicht so sehr in den mit ihnen geschützten Interessen zu suchen, sondern in ihrer Funktion als soziale Kontrollinstrumente. Hinsichtlich einiger als besonders wichtig empfundener Sachbereiche, nämlich der Ausübung der Rechtspflege, dem Schutz der öffentlichen Infrastruktur und dem Schutz des Sakralen, sollte jedermann eine Kontrollkompetenz zustehen. Dies galt jedenfalls für diejenigen Fälle, in denen ein unmittelbar Verletzter oder sonst Betroffener nicht willens oder fähig war zu klagen. Gab es einen solchen klagewilligen primär Betroffenen, so überließ man ihm die Rechtsverfolgung. Gab es ihn nicht oder nahm er seine Rechte nicht war, so wurde dies durch die subsidiäre Klageberechtigung des quivis ex populo
kom-
pensiert. Aus Sicht des neuzeitlichen Staates des 19. Jahrhunderts, in dem derartige Kontrollkompetenzen weitgehend bei der Polizei und den Fachbehörden monopolisiert waren, erscheinen die römischen Popularklagen daher als Ersatz oder Kompensation für mangelnde obrigkeitliche Kontrolle. Aus römischer Sicht wurde dies jedoch kaum als mangelnde Tätigkeit des Staates angesehen, sondern als Verantwortung aller für wichtige gemeinsame Anliegen. Dieses bürgerschaftliche Engagement scheint insbesondere in der späten römischen Republik besonders stark gewesen zu sein, und es wird sogar spekuliert, daß das Phänomen der actiones
populäres
ein Zeichen der in der Repu-
blik »zunehmenden Durchtränkung des römischen Gemeinwesens mit demokratischen Elementen« sei. 1 3 1 Auch Jhering hält die actiones
populäres
für ein Bei-
Jhering, Geist des römischen Rechts, Dritter Teil 3 5 5 . Jhering, ebd. sowie Bd.II/1, 83: Actio popularis entspreche »unsere[n] heutigen Polizeicontraventionen «. 130 Sitek, a.a.O. 50. 131 Paalzow, Zur Lehre von den römischen Popularklagen, zit. nach der Rezension durch Kipp, SZ (Rom.) 11 (1890) 3 3 1 . Einen demokratischen Charakter der actiones populäres sieht auch Fadda, L'azione popolare 387: » [Le azioni popolari] vi è una tendenza democratica, che va direttamente ad urtare contro l'evoluzione politica romana dell'impero.« Ähnlich Chervet, Théorie des Actions Populaires 4: » [L'] esprit démocratique du peuple romain« passe zu den römischen Popularklagen. Casavola, Labeo 1 (1955) 131, 153 Fn. 118, interpretiert die actiones populäres gar als Ausdruck einer liberalen Auffassung von der Beziehung des Individiuums zum Staat, da sie die Handlungsmöglichkeiten des Individuums stärken und dieses nicht einem allmächtigen Staat assimilieren. 128 125
48
1. Kapitel: actiones
populäres
spiel des »republikanische[n] Selbstregiment[s] der Römer.« 132 Immerhin war der Begriff populäres ursprünglich auch ein politischer Begriff, der eine fortschrittliche, reformorientierte Gruppierung in der römischen Republik bezeichnete. 133 Allerdings sind die römischen Popularklagen nicht mit der republikanischen Staatsform notwendig verbunden; vielmehr stammen sie in ihrer oben dargestellten »klassischen« Form auch aus Quellen des Kaiserreichs. Selbst unter Kaiser Justinian, d.h. über 500 Jahre nach Ende der römischen Republik, wurden noch populäre Rechtsmittel im weiteren Sinne neu eingeführt. 134 Dies mag aber auch eine die Regel bestätigende Ausnahme sein, die möglicherweise mit Justinians Interesse für das klassische Recht erklärt werden kann. Die im Kaiserreich zwangsläufig entstehende Dichotomie zwischen »Staat und Untertan« paßt jedenfalls nicht recht zur Bürgerklage. 135 Unabhängig von der Staatsform sind die actiones populäres zumindest Ausdruck eines »vigorous and active public spirit« 136 der römischen Bürger, die sich selbst um das Gemeinwohl kümmern und dies nicht einem anonymen Staatsapparat überlassen. 137 Allerdings ist damit nicht eine selbstlose Aufopferung für das Gemeinwesen gemeint, sondern die dem Kläger zufließende Geldbuße bot einen besonderen Anreiz für derartiges Eingreifen der Bürger. Diesbezüglich waren die Römer offensichtlich Realisten, denn von »uneigennützigem Patriotismus hat das römische Strafrecht der späteren Republik und der Kaiserzeit gewiß mit Recht wenig erwartet.« 138 Mit der besonderen Qualität bürgerlichen Engagements im alten Rom mag auch das Verschwinden der Popularklage in der Rezeption des römischen Rechts zu erklären sein. Noch das mittelalterliche englische Recht kannte immerhin eine Reihe von »populär actions«. 139 Dabei handelte es sich um die Einleitung von Strafprozessen durch Privatpersonen (»informer«), denen zur Belohnung ein Teil der verwirkten Geldstrafe zufloß. Bereits Blackstone machte sich Gedanken über die rechtliche Einordnung dieser Berechtigung. Er folgte den römischen Quellen darin, daß vor Rechtshängigkeit einer populär action kein Forderungsrecht des einzelnen »informers« bestand, sondern daß ein solches Recht erst mit 132
Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd.II/1, 135f. Sitek, a . a . O . 2 0 f f . 134 Kipp, SZ (Rom.) 11 (1890) 3 3 1 . 135 Koch, P r o z e ß f ü h r u n g im öffentlichen Interesse 2; in diesem Sinne auch Marcic, Vom Gesetzesstaat z u m Richterstaat 3 2 8 . 136 F. Schulz, Classical R o m a n L a w 43. 137 Den »gemeinnützigen« und »idealen Sinn«, der den römischen Popularklagen zugrundelag, lobt auch Jhering, Der Kampf um's Recht 5 4 f . (Fußnote). 138 Mommsen, SZ (Rom.) 24 (1903) 1 , 1 2 . M o m m s e n spricht hier von »Strafrecht«, da er die Popularklagen auf Z a h l u n g einer Privatstrafe materiell als Strafrecht betrachtet, m a g dies auch in den Formen des Zivilprozesses durchgesetzt werden (ebd. 6f.). 139 F. Schulz, Classical R o m a n Law 43; zu den englischen »populär actions« auch C. G. Bruns, Z R G 3 (1864) 341, 4 1 1 ff. 133
II. Prinzip und Funktion der actiones
populares
49
Rechtshängigkeit entstehe. M i t Rechtshängigkeit werde der Anspruch auf den jeweiligen Anteil des Klägers an der Strafe »private property« des Klägers, insofern sei diese Klage ein Weg des Eigentumserwerbs. 1 4 0 Auf dem Kontinent dagegen verschwanden die actiones
populäres
weitge-
hend. Die Voraussetzungen eines dem Gemeinwohl verpflichteten aktiven Bürgertums waren schlicht nicht mehr gegeben. 1 4 1 So wurde etwa im römisch-holländischen R e c h t , das sich ansonsten eng an die römischen Vorbilder anlehnte, die populäre actio de positis vel suspensis
bewußt nicht übernommen: »Derarti-
ge Aufgaben der Gefahrenbekämpfung wurden im Laufe der Zeit [...] zunehmend durch Verordnungen der örtlich zuständigen Behörden wahrgenommen und durch die Polizei durchgesetzt.« 1 4 2 Auch im preußischen Polizeirecht lassen sich noch Spuren der römisch-rechtlichen Popularklage identifizieren, und zwar nicht zufällig im Bereich des Rechts der öffentlichen Wege. N o c h im ausgehenden 1 9 . Jahrhundert sah sich das Preußische Oberverwaltungsgericht mehrfach veranlaßt, darauf hinzuweisen, daß es keine Popularklagen zum Schutze der öffentlichen Wege mehr gebe. Vielmehr stehe »die Erhaltung und der Schutz der öffentlichen Kommunikationswege« womit nicht Telefonleitungen, sondern schlicht Straßen und Wege gemeint sind »lediglich den Polizeibehörden, nicht dem unbestimmten Kreise derjenigen zu, welche auf die Benutzung der öffentlichen Wege angewiesen s i n d . « 1 4 3 Soweit der einzelne Bürger mit der Tätigkeit der Polizei in dieser Hinsicht nicht zufrieden sei, so möge er sich im Wege der »Vorstellung oder Beschwerde« bei der Behörde m e l d e n ; 1 4 4 ein direktes Handeln des Bürgers zur Störungsabwehr w a r nun nicht mehr vorgesehen. Trotzdem gab es auch im preußischen Polizeirecht noch ein Relikt der Popularklage, nämlich § 5 7 Abs. 1 Satz 2 des Zuständigkeitsgesetzes von 1 8 8 3 . 1 4 5 D a nach konnte sich jeder Bürger vor den Verwaltungsgerichten gegen die Einziehung - in der heutigen verwaltungsrechtlichen Terminologie teilweise auch als Entwidmung bezeichnet - eines öffentlichen Weges wehren, was einer gewissen Logik nicht entbehrte: Wird der Weg dem Gemeingebrauch des Publikums entzogen, so sollte auch »jeder aus dem Publikum« - wie es das Preußische OberverBlackstone, Commentaries on the Lawss of England II 4 3 7 , IV 399. F. Schulz, Classical Roman Law 43. 142 Van der Merwe, in: Feenstra/Zimmermann (Hrsg.), a.a.O. 455, 463; vgl. auch Zimmermann, FS Lange 301, 315: »Mit dem Aufstieg der modernen Territorialstaaten und ihren Verwaltungsorganen wurde jedoch die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit in zunehmendem Maße eine polizeiliche Aufgabe.« 1 4 3 PrOVG 2 0 . 2 . 1878, PrOVGE 3, 186, 188. Ähnlich dann PrOVG 18.6. 1889, PrOVGE 18, 2 4 4 , 248: Der Schutz der »öffentlichen polizeilichen Rechtsordnung ist der Polizeigewalt anvertraut, nicht den Einzelnen, welche etwa ein Interesse an deren Bestehen haben.« 1 4 4 PrOVG 5 . 6 . 1878, PrOVGE 4, 230, 232f. 1 4 5 Preußisches Gesetz über die Zuständigkeit der Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbehörden v. 1.8. 1883, Gesetzessammlung 1883, 237; vgl. auch Häberle, Öffentliches Interesse 255. 140 141
50
1. Kapitel: actiones
populäres
waltungsgericht in bewußter Anlehnung an den römisch-rechtlichen Sprachgebrauch formulierte 1 4 6 - die Rechtmäßigkeit dieses Vorgangs kontrollieren können. Diese wegerechtliche Popularklage diente nach damaligem Verständnis »als Mittel der Kontrolle über die Thätigkeit der P o l i z e i « 1 4 7 und bewirkte ganz wie ihre römisch-rechtlichen Vorläufer, »daß mit dem Rechtsbehelfe jedes Einzelnen zugleich das allgemeine, öffentliche Interesse Wahrung findet.« 1 4 8 Selbst dieses kleine Relikt der römischen Popularklage verschwand jedoch in der Folgezeit. Heute können sich nur bestimmte »Betroffene« gegen die Entwidmung eines öffentlichen Weges wehren, etwa die Anlieger des W e g e s . 1 4 9 Alle anderen Bürger, die den Weg möglicherweise gerne weiter genutzt hätten, sind nach heutigem R e c h t nicht mehr zur Anfechtung der Entwidmungsverfügung befugt, denn - so die zirkuläre Begründung der heutigen Verwaltungsrechtslehre - sie werden als bloße »Gemeingebrauchsberechtigte« von der Entwidmung gar nicht belastet. »Ihr Nutzungsrecht setzt eine öffentliche Straße voraus, endet also mit dem Wegfall des G e m e i n g e b r a u c h s . « 1 5 0 Die Abschaffung der Popularklage bedeutet in diesem Bereich also einen erheblichen Verlust an Rechtsschutz für die Bürger. Dieser Verlust an bürgerlichen Partizipationsmöglichkeiten sollte durch die Erwartung gerechtfertigt werden, daß die Staatsgewalt in ihrer Machtfülle besser und effektiver für das Gemeinwohl streiten könne als einzelne Popularkläger. So k o m m t auch Bruns bereits im J a h r e 1 8 6 4 in seiner ausführlichen Untersuchung zu den römischen Popularklagen zu dem gar nicht resignierenden, sondern durchaus positiv gemeinten Schluß, daß Popularklagen im modernen Recht keinen Platz mehr haben: Der Schutz des öffentlichen Interesses bei den Wegen und Flüssen ist [...] ausschließlich Sache der Administrativbehörden, und wird dies auch bei der heutigen Organisation des Staatslebens bleiben müssen, da der Schutz durch die römischen Popularinterdicte doch ein gar zu precärer und dem Zufall und der Willkür unterworfener ist. 1 5 1 D e r schon mit Inkrafttreten des U W G im J a h r e 1 8 9 6 beginnende Aufstieg der modernen Verbandsklage als Kompensation für staatliche Steuerungsdefizite widerlegt jedoch diese Erwartung.
146 147 148 149 150 151
PrOVG 15.9. 1888, PrOVGE 18, 236, 238. PrOVG 14.1. 1890, PrOVGE 19, 250, 253. PrOVG 15.9. 1888, PrOVGE 18, 236, 238. Papier, in: Achterberg u.a. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd.I, 893. Ebd. 892. C.G. Bruns, ZRG 3 (1864) 341, 410.
Zweites Kapitel Populär- und Verbandsklagekompetenzen im geltenden Recht
I. Popularklage gemäß § 81 PatG Bereits seit 1 8 7 7 enthält das Patentgesetz eine Popularklagekompetenz hinsichtlich der Nichtigerklärung eines Patents. 1 M a n findet diese Klageberechtigung heute in § § 2 2 , 81 PatG, aus denen sich ergibt, daß jedermann befugt ist, die Nichtigerklärung eines Patents beim Patentgericht zu beantragen. Diese als Popularklage gestaltete Patentnichtigkeitsklage hat erhebliche praktische Bedeutung. 2 Eine vergleichbare Regelung findet man in § § 1 5 , 1 6 G e b r M G , wonach jedermann unter bestimmten Voraussetzungen einen »Anspruch auf Löschung« eines Gebrauchsmusters beim Patentamt durchsetzen kann. Diese zum Teil als »Popularanspruch« 3 bezeichnete Kompetenz bedarf hier jedoch keiner näheren Untersuchung, da für sie die für das »große« Patent entwickelten Grundsätze regelmäßig übernommen werden. 4 Hinzu kommt, daß sich der »Popularanspruch« gemäß §§ 15, 16 G e b r M G nicht gegen den Inhaber des Gebrauchsmusters richtet, sondern als Anspruch gegen das Patentamt auf dessen Einschreiten konstruiert ist, so daß nicht von einer zivilrechtlichen Kompetenz im bereits erörterten Sinne gesprochen werden kann. Eindeutig zivilrechtlich geprägt ist dagegen die Popularklage aus § 3 3 Abs. 2 Satz 2 GeschmMG, die von jedermann erhoben werden kann und gegen den Inhaber des eingetragenen Geschmacksmusters gerichtet ist. Ebenso wie im Patentrecht kann der Popularkläger hier die Feststellung der Nichtigkeit des angegriffenen Geschmacksmusters beantragen. Auch diese Vorschrift soll im folgenden jedoch nicht näher untersucht werden, da für sie kaum eigenständige Grundsätze entwickelt wurden. Statt dessen wird auch bei ihr regelmäßig auf die zur Patentnichtigkeitsklage entwickelten Grundsätze verwiesen. 5 Allerdings soll der Untersuchungsgrundsatz des PatentnichtigkeitsVerfahrens für ein Verfahren nach § 3 3
Seinerzeit in §§ 10, 2 8 PatG, vgl. R G 8 . 1 0 . 1910, R G Z 74, 2 0 9 . Kraßer, Patentrecht 638. Zur Empirie der patentrechtlichen Popularklage siehe insbesondere Liedel, Das deutsche Patentnichtigkeitsverfahren. 3 Benkard/Rogge, PatG, § 15 GebrMG Rn. 15a. 4 Ebd. Rn. 16ff. 5 Eichmann/Falckenstein, GeschmMG, § 3 3 R n . 6 ; Nirk/Kurtze, GeschmMG [a.F.], § 10c Rn. 16 (Popularklage aus § 10c GeschmMG a.F. gleiche der Regelung für die anderen gewerblichen Schutzrechte). 1
2
52
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
Abs. 2
GeschmMG
nicht
gelten. 6
Für
das
im geltenden
europäische
Recht
Gemeinschaftsge-
schmacksmuster ist keine zivilrechtliche Nichtigkeitsklage für jedermann vorgesehen. Stattdessen kann die Nichtigkeit nur durch den jedermann möglichen Antrag an das Gemeinschaftsmarkenamt oder durch eine Widerklage im Verletzungsprozeß geltend gemacht werden. 7 Allerdings kann man sich auch hinsichtlich der im folgenden näher zu untersuchenden patentrechtlichen Popularklage fragen, ob diese dem Privatrecht oder dem Verwaltungsrecht zuzuordnen ist. Für ihre Zuordnung zum Privatrecht spricht immerhin, daß die Klage nach dem Wortlaut des Gesetzes »gegen den im Register als Patentinhaber Eingetragenen« zu richten ist. Andererseits enthält sie auch eine verwaltungsrechtliche K o m p o n e n t e , da sie auf die Nichtigerklärung des in öffentlich-rechtlicher F o r m erteilten Patents 8 gerichtet ist. Zumindest die ältere patentrechtliche Literatur hat daher die Patentnichtigkeitsklage gelegentlich dem Verwaltungsrecht zugeordnet. 9 Heute scheint jedoch eher die Ansicht vorzuherrschen, das Patentnichtigkeitsverfahren trotz seiner Besonderheiten dem Privatrecht zuzurechnen. 1 0 Die Rechtsprechung geht mit dieser Einordnungsfrage eher pragmatisch um. In einer älteren Entscheidung des Bundesgerichtshofes wird das Patentnichtigkeitsverfahren bezeichnet als »seinem Wesen nach ein Verwaltungsstreitverfahren, in dem darüber entschieden wird, o b der Verwaltungsakt der Patenterteilung zu R e c h t ergangen ist.« 1 1 Diese Einordnung darf jedoch nicht überbewertet werden. Sie diente im konkreten Fall nur der Begründung der Ansicht, daß es bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Patenterteilung auf die Rechtslage bei Erteilung des Patents a n k o m m e 1 2 und nicht etwa auf diejenige zur Zeit der Urteilsverkündung, wie es von der Rechtsprechung für den gewöhnlichen Zivilprozeß angenommen wird. 1 3 Z u r Begründung dieses Unterschieds hätte es jedoch der weitergehenden Aussage, daß das Nichtigkeitsverfahren ein »Verwaltungsstreitverfahren« sei, nicht bedurft. Vielmehr ordnet bereits § 9 9 Abs. 1 P a t G an, daß die Vorschriften der Zivilprozeßordnung nur insoweit anwendbar sind, als »die Besonderheiten des Verfahrens vor dem Patentgericht dies nicht ausschlieEichmann/Falckenstein, GeschmMG, § 33 Rn. 7. Art. 24 Abs. 1 und 52 Abs. 1 der Verordnung 6/2002/EG des Rates v. 12.12. 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster, ABl. EU 2002 L 3, 1. 8 Vgl. BPatG 8.9. 1961, BPatGE 1, 1, 4: Die Erteilung des Patents wird als Verwaltungsakt angesehen. 9 Bernhardt, Lehrbuch des deutschen Patentrechts 217; Liedel, a.a.O. 21. 10 Kraßer, Patentrecht 635 (Betonung der »privatrechtlichen Elemente« sei »angemessener« als die Einordnung als Verwaltungsstreitverfahren); BusselKeukenschrijver, PatG, Rn.2 vor § 81 (Nichtigkeitsverfahren »stellt sich eher als Zivilprozeß dar«); für Einordnung als Zivilprozeß auch Lindenmaier/Röhl, PatG, Rn. 1 vor § 37; Venrooy, GRUR 1991, 92, 94; Jestaedt, FS Traub 141, 147. 11 BGH 8.7. 1955, BGHZ 18, 81, 92. 12 Ebd. 13 Dazu BGH 26.2. 1953, BGHZ 9, 101, 102f. 6
7
L Popularklage
gemäß §81 PatG
53
ßen.« Es hätte also die Feststellung ausgereicht, daß für die Frage des intertemporal anwendbaren Rechts aufgrund der Besonderheiten des Patentstreitverfahrens eine andere Lösung als im sonstigen Zivilprozeß sinnvoll erscheint. Gegen die Einordnung des Patentnichtigkeitsverfahrens als Verwaltungsverfahren spricht zunächst die schlichte Tatsache, daß jenes sich von diesem »wesentlich dadurch unterscheidet, daß der Prozeß zwischen zwei gleichgeordneten Personen bürgerlichen Rechts [...] und ohne Mitwirkung der betroffenen Verwaltungsbehörde« 14 stattfindet. Es macht durchaus einen Unterschied, ob der Gesetzgeber es - wie in § 15 GebrMG oder im Einspruchsverfahren nach § 59ff. PatG - einem Bürger ermöglicht, bei der zuständigen Behörde eine bestimmte Handlung zu beantragen, oder ob der Gesetzgeber den Streit über eine solche Handlung in ein Verhältnis zweier Bürger verlagert. Es wurde bereits dargelegt, daß eine privatrechtliche Befugnis anders als ihr öffentlich-rechtliches Pendant nicht nur in einem Können gegenüber dem Staat, sondern auch in einem staatlich geschützten Dürfen gegenüber einem anderen Rechtsunterworfenen besteht. 15 Auch nach den heute herrschenden, wenngleich eher tautologisch anmutenden Abgrenzungstheorien zwischen öffentlichem und privatem Recht, kann man das Verfahren nach § 81 PatG nicht als öffentlich-rechtliches Streitverfahren einordnen. Die Parteien stehen weder in einem Über- und Unterordnungsverhältnis zueinander, wie es nach der Subordinationstheorie erforderlich wäre, noch ist eine der Parteien das Subjekt besonderer, nur dem Staat verliehene Befugnisse, wie es die Sonderrechtstheorie für das Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit fordert. 16 Der Annahme eines privatrechtlich geprägten Verfahrens steht auch nicht entgegen, daß es inhaltlich bei der Streitentscheidung auf Normen des öffentlichen Rechts ankommt, nämlich etwa ob das Patent gemäß § § 1 ff. PatG überhaupt hätte erteilt werden dürfen. Eine solche Bedeutung öffentlich-rechtlicher Normen innerhalb einer privatrechtlichen Streitigkeit ist auch in anderen Fallgestaltungen denkbar. Auch ein im Verwaltungsverfahren nicht angegriffener und dadurch unanfechtbar gewordener Verwaltungsakt kann nach Ansicht des Bundesgerichtshofs von den Zivilgerichten ja noch als rechtswidrig qualifiziert werden. 17 Insgesamt erscheint es daher sinnvoll, das Patentnichtigkeitsverfahren aufgrund seiner horizontalen Kläger-Beklagten-Struktur als privatrechtliches Verfahren einzuordnen. Den durch die öffentlich-rechtliche Komponente der Überprüfung der Patenterteilung bedingten Besonderheiten wird durch die Sonderregeln der §5 86ff. PatG ausreichend Rechnung getragen.
14
Benkard/Rogge, PatG, R n . 2 vor § 8 1 . G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte 51. 16 Z u diesen Theorien etwa Bull/Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht, R n . 6 7 f f . 17 So jedenfalls B G H 2 6 . 1 . 1 9 8 4 , B G H Z 9 0 , 1 7 , 2 3 ; B G H 2 7 . 1 . 1983, B G H Z 86, 356, 3 5 9 ; Staudinger/Roifc, BGB (2002) § 9 0 6 R n . 3 5 (dort weitere Nachweise auch zur Gegenansicht). 15
54
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
1. Sachlicher Anwendungsbereich Die Popularklage aus § § 2 2 , 81 Abs. 1 PatG kann auf die Nichtigkeitsgründe der § § 2 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 PatG gestützt werden. Mögliche Sachfragen, die mit der Popularklage zum Gegenstand eines Verfahrens gemacht werden können, sind also die Frage nach der Patentfähigkeit gemäß §§ 1 bis 5 PatG (§21 Abs. 1 Nr. 1 PatG) einschließlich der Frage der vollständigen Offenbarung des Patentinhalts (§21 Abs. 1 Nr. 2 PatG) sowie der Problematik einer in unzulässiger Weise über den Inhalt der Patentanmeldung hinausgehenden Patentierung. Ausdrücklich ausgeschlossen ist eine Popularklage dagegen gemäß § 8 1 Abs. 3 PatG für den Vorwurf der widerrechtlichen Entnahme (§21 Abs. 1 Nr. 3 PatG), d.h. bei der unberechtigten Übernahme einer fremden Erfindung in das eigene Patent. In diesem Fall ist nur der jeweils verletzte Erfinder zur Nichtigkeitsklage berechtigt. Diese Unterscheidung verschiedener Nichtigkeitsgründe bei der Gewährung der Popularklageberechtigung deutet bereits auf den vom Gesetzgeber verfolgten Zweck hin: Diejenigen Aspekte der Patenterteilung, die Allgemeininteressen berühren - insbesondere die Frage nach der Patentfähigkeit - , sollen auch von jedermann aus dieser Allgemeinheit zum Gegenstand justizieller Überprüfung gemacht werden können. Mit der populären Patentnichtigkeitsklage wird das Allgemeininteresse verfolgt, daß zu Unrecht erteilte Patente wieder vernichtet werden. 18 Mit Hilfe des Patentnichtigkeitsverfahrens kann - so bereits das Reichsgericht - im Interesse der Allgemeinheit »der Gegenstand des Patents dem Sondernutzungsrechte eines einzelnen entzogen« und »als Gemeingut dem Volke« zurückgegeben werden. 19 Mit der Klage aus § 81 Abs. 1 PatG kann auch ein mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteiltes europäisches Patent im Umfang dieser Wirkung angegriffen werden. 20 2 . Akteure Die patentrechtliche Popularklage ist eine solche im klassischen Sinne, da quivis ex populo zur Klage berechtigt ist. Dies wird im Gesetz zwar nicht ausdrücklich gesagt, ergibt sich aber im Umkehrschluß aus § 81 Abs. 3 PatG und entspricht auch der ganz einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum. 21 Auch 18 Benkard/Rogge, PatG, § 22 Rn.21; BGH 15.5. 1990, GRUR 1990, 667: Popularklage sei möglich, »weil die förmliche Nichtigerklärung eines Patents, dem keine Schutzwürdigkeit zukommt, für sich schon im öffentlichen Interesse liegt.« Abweichend jedoch Jestaedt, FS Traub 1 4 1 , 1 5 1 f., der ein Interesse der Allgemeinheit an der Vernichtung rechtswidrig erteilter Patente bestreitet und daher die populäre Klagebefugnis für »bedenklich« hält und de lege ferenda ihre Abschaffung zu fordern scheint. 1 9 RG 8.10. 1910, RGZ 74, 209. 20 Kraßer, Patentrecht 725. 2 1 Siehe nur RG 5 . 1 1 . 1904, R G Z 5 9 , 1 3 3 , 135; BGH 2 0 . 5 . 1953, BGHZ 10, 22, 24; BGH
I. Popularklage
gemäß § 81 PatG
55
Ausländer sind zur Klage berechtigt, wie sich implizit aus den Regeln zur Prozeßkostensicherheit in § 81 Abs. 6 PatG ergibt. In der Rechtsprechung wird aus dem populären Charakter der Klageberechtigung abgeleitet, daß der Kläger keinerlei besonderes Interesse oder eine besondere Stellung im Hinblick auf das Patent oder den beklagten Patentinhaber darlegen müsse. 22 Die im Einzelfall vorliegenden Motive des Klägers sind vom Gericht »nicht zu erforschen.« 23 Von diesem Grundsatz der Irrelevanz klägerischer Motive weicht die Rechtsprechung jedoch dann ab, wenn der Kläger als »Strohmann« eines hinter ihm stehenden faktischen Klägers fungiert. Dies ist dann der Fall, wenn jemand »äußerlich im eigenen Namen, der Sache nach aber im Interesse seines >Hintermanns< und auf dessen Weisungen hin das Nichtigkeitsverfahren betreibt.« 24 In einem solchen Fall sollen die gegenüber dem Hintermann möglichen Einwände insbesondere jene der res iudicata oder die auf eine vertragliche Nichtangriffsabrede gestützte exceptio pacti - auch dem Strohmann entgegengehalten werden können. 25 Die Rechtsprechung erkennt in der mit der Strohmann-Argumentation verbundenen Einschränkung der Klageberechtigung keinen Widerspruch zum populären Charakter der Nichtigkeitsklage, denn sie sieht die Klage des Strohmanns nicht als eigene, sondern als verdeckte Klage des Hintermanns an. 26 Es handelt sich also bei der Strohmann-Rechtsprechung jedenfalls aus Sicht der Rechtsprechung nicht um eine Beschränkung des Kreises der Klageberechtigten, sondern um einen Schutz gegen Umgehungen und Mißbräuche, die aufgrund des populären Charakters der Berechtigung möglich werden. Kann nämlich gegen den Hintermann keine die Zulässigkeit der Klage betreffende Einrede erhoben werden, so ist auch die Klage des Strohmanns ohne weiteres zulässig,27 etwa wenn von vorneherein durch einen Strohmann geklagt wird und nicht zur Umgehung der Rechtskrafteinrede. Kein Strohmann im Sinne der Rechtsprechung ist, wer die Nichtigkeitsklage zumindest auch aus eigenem Antrieb erhebt. Die Rechtsprechung spricht hier davon, daß der Kläger zumindest auch ein eigenes Interesse an der Vernichtung des streitgegenständlichen Patents haben müsse, um der Qualifikation als Stroh-
15.5. 1990, GRUR 1990, 667; Benkard/Rogge, PatG, § 2 2 Rn.21; Busse/Keukenschrijver, PatG, § 8 1 Rn.37. 2 2 BGH 10.1. 1963, GRUR 1963, 253. 2 3 RG 8 . 1 0 . 1910, R G Z 74, 209. 2 4 BGH 1 0 . 1 . 1 9 6 3 , GRUR 1 9 6 3 , 2 5 3 ; vgl. die leicht abgewandelte und wohl noch etwas engere Definition bei Benkard/Rogge, PatG, § 22 Rn. 22: Strohmann ist, wer das Nichtigkeitsverfahren »zwar äußerlich im eigenen Namen, der Sache nach aber nur im Auftrag und Interesse des >Hintermanns< sowie auf dessen Weisung und Kosten ohne jedes eigenes Interesse an der Vernichtung des Patents betreibt.« 2 5 BGH 10.1. 1963, GRUR 1963, 253f. 2 6 RG 5 . 5 . 1936, R G Z 159, 325, 328. 2 7 Vgl. BGH 10.1. 1963, GRUR 1963, 254.
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2. Kapitel: Popular-
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Recht
mann zu entgehen. 28 Teilweise wird auch ein eigenes »gewerbliches« Interesse verlangt, 29 obwohl eine derartige Beschränkung auf Vermögensinteressen sich weder aus dem Gesetz noch aus allgemeinen Erwägungen rechtfertigt. Auch die Rechtsprechung spricht nur vom »eigenen Interesse« 30 , nicht von Vermögensinteressen. So kann man nicht von einer Strohmannklage sprechen, wenn ein Verband auf Hinweis und mit Instruktion eines Dritten die Nichtigkeitsklage erhebt, wenn etwa dieser Verband aufgrund seines satzungsmäßigen Zweckes selbst an der Vernichtung des angegriffenen Patents interessiert ist. 3. Klagziel Das wichtigste der gemäß § 81 Abs. 1 PatG möglichen Klagebegehren ist die »Erklärung der Nichtigkeit des Patents.« Dies ist auch der Tenor des Urteils bei erfolgreicher Klage. Das Urteil wirkt unmittelbar, so daß das Patent mit der Rechtskraft des Urteils wegfällt. Mit der Nichtigerklärung des Patents wird der durch den Verwaltungsakt der Patenterteilung geschaffene Patentschutz unmittelbar beseitigt.31 Es handelt sich also um ein Gestaltungsurteil. 32 Die ältere Rechtsprechung hielt bei klagabweisendem Urteil auch eine sogenannte »Klarstellung« des Patentinhalts durch das Gericht für möglich. 33 Damit war gemeint, daß das Gericht aus eigener Initiative eine neue Formulierung des Patentinhalts, d.h. eines oder mehrerer Patentansprüche, in den Urteilstenor aufnehmen konnte. 34 Eine solche Initiativbefugnis des Gerichts über die Parteianträge hinaus wird jedoch heute vom Bundesgerichtshof abgelehnt. 35 4. Rechtskraft und Rechtshängigkeit Eine durch Urteil ausgesprochene Nichtigkeit eines Patents wirkt »für und gegen jedermann.« 36 Dies ergibt sich bereits aus der materiell-rechtlichen Gestaltungs-
28 Vgl. BPatG 5 . 6 . 1962, BPatGE 2, 1 0 2 , 1 0 3 (Strohmann n u r derjenige, der »ohne jedes eigene Interesse an der Vernichtung des Patents« handelt). 29 So bei Benkard/Rogge, PatG, § 2 2 Rn.22. 30 B G H 2 . 6 . 1987, G R U R 1987, 900, 903. 31 R G 2 . 2 . 1943, R G Z 170, 346, 3 5 4 ; Benkard/Rogge, PatG, § 2 2 R n . 6 2 . 32 B G H 3 0 . 6 . 1959, G R U R 1960, 2 7 , 29; Liedel, a . a . O . 153. 33 R G 2 . 2 . 1943, R G Z 170, 346, 3 5 7 ; B G H 6 . 7 . 1967, G R U R 1968, 33, 37. Z u r älteren Rechtsprechung in dieser Frage vgl. Busse/Schwendy, PatG, § 2 1 Rn. 126ff., sowie ausführlich Liedel, a . a . O . 153ff., der bereits damals die »Klarstellung« für unzulässig und »ohne weiteres verzichtbar« (ebd. 159) hielt. 34 Klarstellung sei »Fassungsänderung des Anspruchs«, so B G H 6 . 7 . 1967, G R U R 1968, 33, 37. 35 B G H 2 3 . 2 . 1988, B G H Z 103, 2 6 2 , 2 6 4 f f . 36 R G 5 . 1 1 . 1 9 0 4 , R G Z 59, 133, 134.
I. Popularklage
gemäß §81
PatG
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wirkung des Urteils. 37 Dagegen entfaltet nach herrschender Ansicht das klagabweisende Urteil keine über die Prozeßparteien hinausgehende Wirkung, d.h. ein anderer Kläger kann dasselbe Patent mit derselben Behauptung noch einmal angreifen. 38 Darin wird keine übermäßige Belastung des Beklagten gesehen, sondern diese Möglichkeit der Mehrfachklage wird offensichtlich als Konsequenz der Entscheidung des Gesetzgebers für die populäre Nichtigkeitsklage angesehen. In der Literatur wird jedoch vereinzelt gefordert, daß auch das klagabweisende Urteil in dem Sinne inter omnes gelten solle, das eine auf denselben Nichtigkeitsgrund gestützte erneute Klage auch eines anderen Klägers unzulässig sein sollte. 39 Der Vertreter dieser Minderheitsauffassung begründet dies mit patentrechtlichen Besonderheiten und mit dem im Nichtigkeitsverfahren herrschenden Untersuchungsgrundsatz, der für eine ausreichende Prüfung des jeweiligen Nichtigkeitsgrundes im Erstprozeß sorge. Es sei vor diesem Hintergrund nicht einzusehen, »wer und was eigentlich durch eine unbeschränkte Möglichkeit jedes Dritten geschützt werden könne, einen und denselben Klagegrund wieder und wieder zu benutzen, obwohl doch schon komplett durchgeprüft worden ist, daß er nicht trägt.« 4 0 Tatsächlich erscheint es unwahrscheinlich, daß in einem Zweitprozeß zu demselben Nichtigkeitsgrund ein anderes Ergebnis gefunden wird. Schon der Gesichtspunkt der Effektivität spricht daher gegen die Zulassung einer zweiten Popularklage in derselben Sache. Weiterhin mag man Zweifel daran haben, ob nicht bereits ein richtiges Verständnis des Begriffs vom Streitgegenstand hier zur Rechtskraftwirkung auch gegenüber einem zweiten Popularkläger führt. Diese allgemeine Frage ist unten noch zu vertiefen. Darüber hinaus stellt sich aber die Frage nach dem angemessenen rechtlichen Gehör für möglicherweise betroffene Dritte, auf die bereits das Reichsgericht hinwies 41 und die von der Mindermeinung nicht erörtert wird. Insbesondere muß der Zusammenhang des Nichtigkeitsverfahrens mit dem Verfahren wegen Patentverletzung berücksichtigt werden. Im Patentverletzungsverfahren kann der angebliche Verletzer nicht einwenden, das Patent hätte etwa wegen mangelnder Patentfähigkeit gar nicht erteilt werden dürfen. Er ist insoweit auf die Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren verwiesen. 42 Die Nichtigkeitsklage ist daher 3 7 Auch bei sonstigen Gestaltungsurteilen tritt die Gestaltungswirkung ja »für und gegen alle ein«, so Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 529. 3 8 RG 2 . 2 . 1943, R G Z 170, 346, 356; KmsdSckwendy, PatG, § 2 1 Rn. 132, weitere Nachweise bei Venrooy, GRUR 1991, 92. 3 9 So der Vorschlag bei Venrooy, GRUR 1991, 92 ff. 4 0 Ebd. 96. 4 1 RG 2 . 2 . 1943, RGZ 170, 346, 356: Bei einer erga omnes Wirkung des klagabweisenden Urteils entstünden »unlösbare Schwierigkeiten im Rechtsverkehr«, zumal betroffene Dritte auf den Erstprozeß weder Einfluß hätten noch die Akten einsehen könnten. 4 2 Vgl. nur Busse/Keukenscbrijver, PatG, § 139 Rn. 184 m.w.N.
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2. Kapitel: Populär-
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Recht
für einen angeblichen Patentverletzer oft das wichtigste Verteidigungsmittel. 43 Wird ihm nun mit der Mindermeinung wegen eines klagabweisenden Ersturteils in einem Nichtigkeitsverfahren auch diese Möglichkeit genommen, die mangelnde Schutzfähigkeit geltend zu machen, so wirft dies doch ernste Zweifel im Hinblick auf das durch Art. 103 Abs. 1 GG garantierte rechtliche Gehör auf. Die von der Mindermeinung vorgeschlagene »teleologische Reduktion« 4 4 der Klageberechtigung gemäß § 81 PatG bei abgewiesener Klage im Erstprozeß müßte daher zumindest insoweit relativiert werden, als ein mit einer Verletzungsklage überzogener oder bedrohter Nutzer des Patents weiterhin klageberechtigt ist. Eine andere Beschränkung der Klageberechtigung besteht in der bereits erwähnten Strohmann-Lehre. Sie ist vornehmlich im Hinblick auf die Rechtskraftwirkung und Versuche ihrer Umgehung entwickelt worden. Bereits das Reichsgericht ging davon aus, daß eine Klage unzulässig sei, wenn der betreffende Kläger nur Strohmann eines bereits rechtskräftig im Erstprozeß abgewiesenen Nichtigkeitsklägers sei. 45 Die Einrede der Rechtskraft greife in einem solchen Fall durch, da hinter dem Strohmann »als eigentliche Prozeßpartei der frühere Kläger steht.« 46 Trotz der mit der Popularklageberechtigung verfolgten Allgemeininteressen sei jedenfalls die wiederholte Wahrnehmung ein und desselben Individualinteresses nicht mit den »Grundsätzen einer geordneten Rechtspflege« zu vereinbaren. 47 In einer späteren Entscheidung betonte das Reichsgericht, daß dies dem populären Charakter der Klageberechtigung deswegen nicht widerspreche, weil die Klage des Strohmanns nicht als eigene, sondern als Klage des Hintermanns angesehen werde, der aber bereits im Erstprozeß unterlegen sei. 48 Diese Strohmann-Lehre bei rechtskräftiger Entscheidung ist vom Bundespatentgericht und vom Bundesgerichtshof übernommen worden. Die gegen den Hintermann möglichen Einreden, insbesondere hinsichtlich der Rechtskraft des Ersturteils, können daher auch gegen den Strohmann erhoben werden. 49 Die Begründung der Strohmann-Lehre ist nicht gerade überzeugend. Wenn die geordnete Rechtspflege es verlangen soll, daß bei rechtskräftig abweisendem Ersturteil nicht noch einmal durch einen Strohmann geklagt werden könne, dann ist nicht nachvollziehbar, daß von zahllosen Nicht-Strohmännern erneut in derselben Sache geklagt werden kann. Es wäre mit dieser Argumentation wirklich konsequenter, mit der oben dargestellten Mindermeinung auch dem klagab43
Benkard/Rogge, PatG, § 2 2 R n . 5 . Venrooy, a . a . O . 98. 45 R G 8 . 1 0 . 1910, R G Z 74, 2 0 9 , 2 1 0 mit N a c h w e i s e n zum damaligen Schrifttum. 46 R G 5 . 1 1 . 1904, R G Z 59, 133, 138. 47 R G ebd. 135. 48 R G 5 . 5 . 1 9 3 6 , R G Z 159, 3 2 5 , 3 2 8 (im Ergebnis griff die Einrede der Rechtshängigkeit hier jedoch nicht, da nach den Feststellungen des Gerichts der Kläger im Z w e i t p r o z e ß z w a r für einen H i n t e r m a n n handelte, dieser H i n t e r m a n n aber nicht Kläger im Erstprozeß war). 49 BPatG 5 . 6 . 1 9 6 2 , BPatGE 2 , 1 0 2 , 1 0 3 ; BPatG 2 5 . 4 . 1 9 7 9 , BPatGE 2 2 , 2 0 , 2 2 ; B G H 1 0 . 1 . 1963, G R U R 1963, 2 5 3 f. 44
I. Popularklage
gemäß § 81 PatG
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weisenden Urteil Rechtskraft inter otnnes zuzusprechen. Da dies aber - wie bereits gezeigt - vor allem mit Rücksicht auf den Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht unproblematisch ist, kann man die Strohmann-Lehre nur als Kompromiß deuten zwischen der Wahrung des populären Charakters der Nichtigkeitsklage einerseits und der Vermeidung mißbräuchlicher Prozeß Wiederholungen andererseits. 50 Fragt man nicht nach der Wirkung rechtskräftig entschiedener Nichtigkeitsverfahren, sondern nach der Wirkung bloß rechtshängiger Verfahren auf Parallelverfahren, so ergibt sich folgendes Bild: Die Rechtshängigkeit einer Nichtigkeitsklage hindert einen zweiten Kläger nicht an der Erhebung einer eigenen, weiteren Klage, mag diese auch auf denselben Nichtigkeitsgrund gestützt sein. Dies ergibt sich bei formaler Betrachtung bereits daraus, daß die zweite Klage aufgrund der verschiedenen Kläger nicht gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO unzulässig ist. Eine Unzulässigkeit aufgrund anderweitiger Rechtshängigkeit ergibt sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt, daß etwa der Streitgegenstand im Zweitprozeß von der Rechtskraftwirkung einer Entscheidung im Erstprozeß betroffen wäre. 51 Wie oben gezeigt, erkennt die herrschende Ansicht ja keine Rechtskraftwirkung der klagabweisenden Entscheidung im Erstprozeß auf den Zweitprozeß an. Daher kann dieser auch nicht aus diesem Gesichtspunkt unzulässig sein. 52 Wird dagegen der Klage im Erstprozeß stattgegeben und das Patent für nichtig erklärt, so wird die Klage im Zweitprozeß nicht unzulässig, sondern ist in der Hauptsache als erledigt zu betrachten. 53 Die Durchführung paralleler Nichtigkeitsverfahren durch verschiedene Kläger ist daher jedenfalls nach herrschender Ansicht möglich. Eine Verbindung der Verfahren nach § 147 ZPO ist möglich, 54 aber nicht zwingend.
5. Dispositionsbefugnis a)
Abtretung
Über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Abtretung der Popularklageberechtigung aus §81 PatG haben sich Rechtsprechung und Schrifttum bisher nicht geäußert. Für die Konstruktion einer Abtretung gibt es auch kein Bedürfnis, da die fragliche Berechtigung ohnehin jedermann zusteht. Auch für eine Abtretung im Vollstreckungsverfahren ist kein Raum, da das auf Erklärung der 50 Vgl. dazu Gaul, FS Beitzke 997, 1 0 2 7 Fn. 132, der die Strohmannklage als » M i ß b r a u c h der Popularklagebefugnis« bezeichnet und ihr aus diesem G r u n d zustimmt. 51 Dazu etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 569. 52 Z u diesem Verhältnis von R e c h t s k r a f t w i r k u n g und Rechtshängigkeit siehe M ü n c h e n e r K o m m e n t a r Z P O I L ü k e , § 2 6 1 R n . 4 3 : Die Rechtshängigkeitssperre h a b e »bei Identität der Streitgegenstände den negativen Inhalt mit der materiellen Rechtskraft gemeinsam.« 53 B G H 3 0 . 6 . 1959, G R U R 1960 2 7 , 29. 54 Schulte, PatG, § 8 1 Rn. 15.
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Nichtigkeit eines Patents lautende Urteil als Gestaltungsurteil ohnehin keinen vollstreckungsfähigen Inhalt hat. 5 5 Nur die oben dargestellte Strohmann-Lehre läßt sich als eine Art Abtretungskonstruktion umdeuten, obwohl dies nicht explizit so dargestellt wird. Immerhin wird aber der Strohmann so behandelt, als sei er Zessionar des im Erstprozeß unterlegenen Klägers und müsse daher gemäß § 325 Abs. 1 ZPO das Urteil im Erstprozeß gegen sich gelten lassen. Obwohl also das Institut der Abtretung im Hinblick auf die Popularklageberechtigung unbekannt ist, so gibt es zumindest in dieser Hinsicht doch gewisse Parallelen. b) Verzicht Die Möglichkeit eines materiell-rechtlichen Verzichts etwa im Sinne eines Erlaßvertrages gemäß § 397 BGB wird im Hinblick auf die Popularklageberechtigung aus §81 PatG nicht erörtert. Eine solche Verzichtsmöglichkeit auf materiellrechtlicher Ebene muß schon deshalb verneint werden, weil die Parteien des Nichtigkeitsverfahrens über dessen materiell-rechtlichen Aspekt, nämlich den Bestand oder Inhalt des streitigen Patents, nicht disponieren können. 56 Die Diskussion über Verzichtsmöglichkeiten bei der patentrechtlichen Popularklage hat sich daher auf die Frage nach einem Verzicht auf die prozessuale Ausübung der Popularklageberechtigung konzentriert. Ein solcher prozeßrechtlicher Verzicht wird in der patentrechtlichen Literatur und Rechtsprechung üblicherweise als Nichtangriffsabrede 57 oder als pactum de non petendo58 bezeichnet. Es ist allerdings fraglich, worin sich der Verzicht auf die Ausübung einer Berechtigung vom Verzicht auf die Berechtigung selbst unterscheiden soll. Diese Frage ist aufgrund ihrer grundsätzlichen Bedeutung, die über das Patentnichtigkeitsverfahren weit hinausreicht, zunächst zurückzustellen und im späteren Verlauf dieser Untersuchung zu behandeln. 59 Bei der populären Patentnichtigkeitsklage hatte das Reichsgericht zunächst die Einrede der exceptio pacti nicht zugelassen. Auch eine entgegen einer vertraglichen Nichtangriffsverpflichtung erhobene Nichtigkeitsklage sei zulässig, da auch insoweit nicht über das hinter der Klageberechtigung stehende Allgemeininteresse an der Vernichtung rechtswidriger Patente disponiert werden könne. 55
Vgl. Benkard/Rogge, PatG, § 84 Rn. 7. R G 9 . 1 . 1 9 3 7 , R G Z 153, 3 2 9 , 3 3 1 f . (allenfalls schuldrechtliche Vereinbarung über die A u s ü b u n g des Patents möglich); B G H 1 . 1 2 . 1 9 6 1 , G R U R 1962, 2 9 4 , 2 9 5 (Änderung des Patentinhalts durch Parteivereinbarung unmöglich). 57 So die Bezeichnung bei Schulte, PatG, § 8 1 R n . 5 3 ; Busse/Keukenschrijver, PatG, § 8 1 R n . 6 8 ; Benkard/Rogge, PatG, § 2 2 R n . 2 5 a ; B G H 2 0 . 5 . 1953, B G H Z 10, 22, 23. 58 Etwa bei Wagner, Prozeßverträge 105; Busse/Keukenschrijver, P a t G , § 81 Rn. 68, spricht dagegen vom » p a c t u m de n o n litigando«, ohne d a ß damit ein sachlicher Unterschied bezeichnet wäre. 59 Siehe unten, S. 326 ff. 56
I. Popularklage
gemäß § 81 PatG
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Aufgrund dieses Allgemeininteresses komme es - so die ursprüngliche Ansicht des Reichsgerichts - weder auf die Beweggründe des Klägers an, noch darauf, »ob die Erhebung [der Nichtigkeitsklage] mit Pflichten aus einem Vertrage in Widerspruch steht.« 60 In einem späteren Urteil rückte das Reichsgericht von dieser Linie jedoch wieder ab: Der Nichtigkeitskläger hatte sich hier nach Klagerhebung in einem außergerichtlichen Vergleich gegenüber dem Beklagten zur Rücknahme der Klage verpflichtet. Aufgrund späterer Konflikte kam es dann aber nicht zur Klagrücknahme. Das Reichsgericht gestattete es dem Beklagten, sich mit prozessualer Wirkung auf die vertragliche Verpflichtung zur Klagrücknahme zu berufen, und erklärte die Klage für zurückgenommen.61 Der mögliche Konflikt dieser Lösung mit dem populären Charakter der Klage und den damit verbundenen Allgemeininteressen wurde nicht erörtert. Derartige Erörterungen und damit eine Auseinandersetzung mit den Gründen für die ursprüngliche Rechtsprechung fehlen auch in einem weiteren Urteil, in dem erneut ein außergerichtlicher Vergleich zur Debatte stand. Der in diesem Vergleich vereinbarte »Verzicht auf das Klagerecht« sei möglich und führe zur Unzulässigkeit der gleichwohl erhobenen Klage. 62 Der Bundesgerichtshof schloß sich dieser veränderten Rechtsprechung des Reichsgerichts 1953 in einem grundlegenden Urteil an. Hier hatte sich der Nichtigkeitskläger in einem Lizenzvertrag verpflichtet, das streitige Patent nicht anzugreifen, trotzdem aber später die Nichtigkeitsklage erhoben. Das Patentamt als damals noch erste Instanz im Nichtigkeitsverfahren stellte sich auf den älteren reichsgerichtlichen Standpunkt, daß eine Nichtangriffsabrede unwirksam sei, zumindest aber nicht zur Unzulässigkeit einer trotzdem erhobenen Nichtigkeitsklage führen könne. 63 Der Bundesgerichtshof wies diese Ansicht zurück. Eine Nichtangriffsabrede sei grundsätzlich möglich und führe im Wege der exceptio pacti zur Unzulässigkeit der abredewidrig erhobenen Klage. Zwar nehme der Nichtigkeitskläger das öffentliche Interesse an der Vernichtung zu Unrecht erteilter Patente wahr, aber die Wahrnehmung dieses Interesses vollziehe sich in den Formen des Streitverfahrens. Die Nichtigkeitsklage ist gegen den Patentinhaber zu richten. Der Nichtigkeitskläger und der Patentinhaber treten sich formell als Prozeßparteien gegenüber. Daraus ergibt sich aber, daß dem Nichtigkeitskläger auch Einwendungen aus seiner Person und ebenso Einwendungen aus etwaigen vertraglichen Beziehungen zu dem Beklagten, insbesondere also aus einer Nichtangriffsabrede, entgegengehalten werden können. 6 4
Neben diesem eher formal anmutendem Argument stützt der Bundesgerichtshof seine Entscheidung auch auf die Überlegung, daß eine gütliche Einigung zwi60 61 62 63 64
RG 14.2. 1901, Bl. PMZ 8 (1902) 177, 179f. RG 2 8 . 3 . 1914, Bl. PMZ 20 (1914) 348. RG 2 3 . 9 . 1922, Bl. PMZ 28 (1922) 146. Vgl. den Tatbestand bei BGH 2 0 . 5 . 1953, BGHZ 10, 22, 23. BGH ebd. 24.
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2. Kapitel:
Popular-
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sehen den Beteiligten einschließlich einer Nichtangriffsabrede »wirtschaftlich gerechtfertigt und nützlich« sei. 65 Das Interesse der Allgemeinheit trete zurück, »wenn die Nächstbeteiligten bereit sind, einem vielleicht langwierigen oder fruchtlosen Nichtigkeitsprozeß durch eine gütliche Einigung aus dem Wege zu gehen.« 66 Mißbräuchliche Vereinbarungen könnten stets noch am Maßstab des § 1 3 8 BGB überprüft und gegebenenfalls für unwirksam erklärt werden. 67 Der Bundesgerichtshof folgt diesen Grundsätzen bei überwiegender Zustimmung der Literatur 68 auch in jüngerer Zeit. 69 Er weitet den Anwendungsbereich der exceptio pacti sogar noch über explizite Nichtangriffsabreden hinaus aus, indem er in bestimmte Verträge patentrechtlicher Prägung eine stillschweigende Nichtangriffsabrede hineinliest.70 So soll etwa ein Lizenzvertrag unter bestimmten Umständen eine solche implizite Nichtangriffsabrede enthalten, 71 und auch ein Arbeitsvertrag kann nach Ansicht des Bundesgerichtshofs implizit eine Nichtangriffsabrede hinsichtlich der im Arbeitsverhältnis entstandenen Erfindungen enthalten. 72 Diese recht weitgehenden Beschränkungen der populären Nichtigkeitsklage aufgrund der Anerkennung der exceptio pacti einschließlich ihrer Ausdehnung auf implizite Abreden sind in der Literatur jedoch auch auf Kritik gestoßen. Diese Kritik setzt auf zwei unterschiedlichen Ebenen an: Es wird teilweise bereits die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Nichtangriffsabrede bezweifelt,73 während andere Autoren eher ihre prozessuale Wirkung in Form der exceptio pacti verneinen. 74 Mit Blick auf die materiell-rechtliche Wirksamkeit wird zunächst erwogen, ob Nichtangriffsabreden gemäß § 134 oder § 138 BGB nichtig sind, da die bewußte Ausschließung der im Allgemeininteresse gewährten Vernichtungsmöglichkeit jedenfalls dann mit diesem Allgemeininteresse unvereinbar sei, wenn die Vereinbarung in Kenntnis der Nichtigkeit des betreffenden Patents getroffen werde. 75 Insoweit unterscheidet sich diese Position allerdings nicht von derjenigen der Rechtsprechung, die ja die Möglichkeit sittenwidriger Nichtangriffsabreden durchaus anerkennt. Allerdings erscheint diese Fallgruppe wegen Ebd. 26. Ebd. 6 7 Ebd. 27 (Nichtangriffsabrede, die etwa in Kenntnis der Vernichtbarkeit des Patents getroffen wurde, könne sittenwidrig sein). 6 8 Busse/Keukenschrijver, PatG, § 81 R n . 6 2 und 68ff.; Schulte, PatG, § 81 R n . 5 3 ; Benkard/ Rogge, PatG, § 2 2 Rn. 25a; Wagner, Prozeß vertrage 105; differenzierend jedoch v. Maitzahn, FS v. Gamm 5 9 7 , 6 1 3 (Nichtangriffsrede zumindest als Teil eines Prozeßvergleichs wirksam). 6 9 Vgl. etwa BGH 2 2 . 6 . 1993, GRUR 1993, 895, 896. 7 0 Zusammenfassende Übersicht dazu bei Schulte, PatG, § 81 R n . 5 9 f f . 7 1 Dazu etwa BGH 3 0 . 1 1 . 1967, GRUR 1971, 2 4 3 , 244f.; für eine implizite Nichtangriffsverpflichtung in Lizenzverträgen auch Kraßer, Patentrecht 966 m.w.N. 7 2 BGH 1 2 . 7 . 1 9 5 5 , GRUR 1955, 535, 5 3 7 . 7 3 So insbesondere bei Hartgen, Bl. P M Z 54 (1952) 2 6 9 , 270ff. 7 4 Dazu Kuhbier, GRUR 1954, 187, 189; Schwerdtner, GRUR 1 9 6 8 , 9, 11. 75 Hartgen, a.a.O. 2 7 1 . 65 66
I. Popularklage gemäß § 81 PatG
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der Schwierigkeit, die Kenntnis von der Vernichtbarkeit des Patents nachzuweisen, allenfalls von theoretischem Interesse. 76 Anerkannt sind außerdem kartellrechtliche Wirksamkeitsschranken für patentrechtliche Nichtangriffsabreden. Während das ältere deutsche Kartellrecht diese in § 17 Abs. 2 Nr. 3 GWB a.F. im Rahmen von Lizenzverträgen noch ausdrücklich für zulässig erklärte, 77 hat der Europäische Gerichtshof patentrechtliche Nichtangriffsklauseln als regelmäßig unzulässige Beschränkungen des Wettbewerbs im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EGV angesehen, sofern es sich nicht um eine kostenlose Lizenz handelt oder um eine Lizenz auf ein technisch überholtes Verfahren, von dem der Lizenznehmer keinen Gebrauch gemacht hat. 7 8 Damit sind jedenfalls solche Nichtangriffsabreden als nichtig gemäß Art. 81 Abs. 2 EGV anzusehen, bei denen der innergemeinschaftliche Handel im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EGV betroffen ist. Bis 2004 konnten Nichtangriffsabreden noch unter bestimmten Bedingungen gemäß Art. 81 Abs. 3 EGV i.V.m. der EG-Gruppenfreistellungsverordnung für Technologietransfervereinbarungen Nr. 240/96 von dem kartellrechtlichen Verbot nach einer Anmeldung freigestellt werden. 79 Gemäß Art. 5 Abs. 1 c) der seit 2004 geltenden Fassung dieser Gruppenfreistellungsverordnung 80 ist eine solche Freistellung jedoch heute nicht mehr möglich. Nichtangriffsabreden werden nach dieser Vorschrift gerade nicht vom Kartellverbot freigestellt. Freigestellt ist nur noch die Abrede, daß der Vertrag im Falle des Angriffs auf die lizensierten Rechte beendet werden kann. Eine solche schuldrechtliche Kündigungsmöglichkeit - die wegen ihrer faktisch abschrekkenden Wirkung ebenfalls wettbewerbsrechtlich bedenklich sein kann 8 1 - berührt jedoch nicht die Möglichkeit der Nichtigkeitsklage. Eine Nichtangriffsabrede könnte also nur noch dann als mit europäischem Kartellrecht vereinbar angesehen werden, wenn sämtliche Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EGV erfüllt sind; 82 dann bedürfte es anders als im früheren Recht heute auch keiner Freistellung durch die Kommission mehr. 83
76
So mit Recht v. Maitzahn, FS v. Gamm 597, 601 Fn.9. Zur Kritik an dieser Regelung siehe jedoch die Nachweise bei v. Maitzahn, a.a.O. 604. Die Streichung von § 17 Abs.2 Nr. 3 GWB a.F. forderte bereits Emmerich, in: Immenga/Mestmäkker, GWB, § 17 Rn.127. 78 EuGH 2 7 . 9 . 1 9 8 8 , Rs. 65/86, Slg. 1988 5249, 5286 (zu Art. 85 Abs. 1 EGV a.F.) Zu dieser Entscheidung und ihren Hintergründen eingehend v. Maitzahn, FS v. Gamm 597, 605 ff. 79 Verordnung (EG) 240/96 der Kommission zur Anwendung von Art. 85 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von Technologietransfervereinbarungen, ABl. EG L 31 v. 9.2. 1996. Dazu Schulte, PatG, § 8 1 Rn.58; Heinemann, Immaterialgüterschutz in der Wettbewerbsordnung 295ff. m.w.N. 80 Verordnung (EG) Nr. 772/2004 zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von Technologietransfervereinbarungen, ABl. EG L 123/11 v. 27.4. 2004. 81 Dazu Sack, FS Fikentscher 740, 766 f. 82 Vgl. Schultze/Pautke/Wagener, EWS 2004, 437, 443. 83 Dies ergibt sich aus Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates v. 1 6 . 1 2 . 2 0 0 2 77
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im geltenden
Recht
M i t der am 1 . 7 . 2 0 0 5 in Kraft getretenen siebten GWB-Novelle ist nun das deutsche Kartellrecht weitgehend an diese europarechtlichen Vorgaben angeglichen worden. 8 4 Damit sind Nichtangriffsabreden ebenso wie andere wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen nur noch unter den in § 2 G W B n.F. übernommenen Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 E G V zulässig. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen ist bei einer Nichtangriffsabrede hinsichtlich eines Patents jedoch schwer vorstellbar. Insbesondere ist nicht einzusehen, warum eine Nichtangriffsabrede für den Abschluß eines Lizenz- oder Technologietransfervertrages im Sinne dieser Vorschrift »unerläßlich« sein sollte. 85 Auch die EG-Kommission geht daher in ihren »Leitlinien« zur Anwendung des Art. 81 E G V auf Technologietransfervereinbarungen davon aus, daß Nichtangriffsabreden regelmäßig nicht die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 E G V erfüllen. 86 Nach europäischem und neuem deutschen Kartellrecht spricht also einiges gegen die materiell-rechtliche Wirksamkeit von Nichtangriffsabreden. 8 7 In der Literatur wird darüber hinaus erwogen, ob die Zulassung von Nichtangriffsabreden gar als die europarechtlichen Grundfreiheiten beschränkende Maßnahme im Sinne von Art. 2 8 f . E G V einzuordnen ist. 8 8 Auch das TRIPS-Übereinkommen bezeichnet lizenzvertragliche Nichtangriffsklauseln als potentiell wettbewerbswidrige Praktiken, deren Bekämpfung durch die Mitgliedstaaten zulässig ist. 8 9 Aber auch die von der deutschen Rechtsprechung angenommene prozessuale Wirkung der Nichtangriffsabrede in Form der zur Unzulässigkeit der Klage fühzur Durchführung der in Art. 81 und 82 EG niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. EG L 1/1 v. 4.1. 2003. 8 4 Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs in BT-Drs. 15/3640, 21. 85 Vgl. dazu Sack, FS Fikentscher 7 4 0 , 761 f.: Die Vorschrift des (seinerzeit) Art. 85 Abs. 3 EGV könnte nur »bei Vorliegen ganz besonderer Umstände« zu einer Freistellung von Nichtangriffsabreden führen.« Dies könnte etwa dann der Fall sein, wenn kleine Technologieunternehmen sich gegen schikanöse Prozesse mächtiger Lizenznehmer wehren müssen, so EuGH-Generalanwalt Darmon in seinen Schlußanträgen in der Rs. 65/86 v. 7 . 7 . 1987, Slg. 1988, 5 2 7 5 ,
sin.
86 Leitlinien der EG-Kommission zur Anwendung von Artikel 81 EG-Vertrag auf Technologietransfer-Vereinbarungen, ABl. EG 2 0 0 4 C 101, 2, Nr. 112. Allerdings soll dies nach Auffassung der Kommission nicht im Rahmen von »Anspruchsregelungs- und Anspruchsverzichtvereinbarungen« gelten, d.h. für Vereinbarungen, mit denen eine Patentstreitigkeit gütlich beigelegt wird (ebd. R n . 2 0 9 ) . Vgl. aber dazu unten, S. 71 f. 8 7 Gegen die Zulässigkeit von Nichtangriffsabreden aus Sicht des EG-Kartellrechts auch Sack, FS Fikentscher 7 4 0 , 759: »Bei der wettbewerbsrechtlichen Würdigung von Nichtangriffsabreden können die privatrechtlichen Beziehungen zwischen den Vertragsparteien, auch wenn sie ein Bestreiten des Schutzrechts erst ermöglichen, keinen Vorrang haben vor dem öffentlichen Interesse an einer möglichst weitgehenden Handlungsfreiheit.« Ebenso kritisch gegenüber Nichtangriffsabreden Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht 727ff. 88 Sack, FS Fikentscher 740, 770ff.; Heinemann, Immaterialgüterschutz in der Wettbewerbsordnung 2 2 0 F n . 1 2 1 , dort auch zur insoweit abweichenden Ansicht des Europäischen Gerichtshofes in EuGH 2 7 . 9 . 1988, Rs. 65/86, Slg. 1988, 5 2 4 9 , 5 2 8 5 . 89 Art. 4 0 Abs. 2 TRIPS (Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums), BGBl. 1994 II, 1730, 1740.
I. Popularklage
gemäß § 81 PatG
65
renden exceptio pacti begegnet berechtigten Bedenken. Dabei soll zunächst die Frage zurückgestellt werden, inwieweit die Zulassung eines noch dazu formfreien pactum de non petendo überhaupt mit wesentlichen Grundsätzen des Zivilverfahrensrechts vereinbar ist. 90 Aber auch die konkret auf den patentrechtlichen Nichtangriffspakt bezogenen Argumente des Bundesgerichtshofes können nicht überzeugen. Insbesondere trifft die Überlegung, daß der gütlichen Streitbeilegung der »Nächstbeteiligten« nichts im Wege stehen solle, nicht den Kern der Problematik. Immerhin ist ja gerade der Kläger nicht (mehr) bereit, die Angelegenheit gütlich beizulegen, denn sonst hätte er ja die Klage nicht erhoben. Es ist vielmehr zu fragen, ob der Kläger auch prozeßrechtlich an seine mit dem Beklagten getroffene Vereinbarung gebunden sein soll, d.h. ob er sich über die schuldrechtlichen Beziehungen hinaus 91 selbst die Möglichkeit nehmen kann, das streitige Patent zu vernichten. Soweit der Bundesgerichtshof hier darauf verweist, daß der Popularkläger unstreitig seine Klage auch zurücknehmen könne oder von vorneherein die Klagerhebung unterlassen könne, 92 so trifft dies nicht den Kern der Problematik. Denn weder das schlichte Unterlassen einer Klagerhebung noch die Rücknahme einer bereits erhobenen Klage nehmen dem Popularkläger dauerhaft die Möglichkeit zur Erhebung der Nichtigkeitsklage - im Gegenteil: Gerade nach Rücknahme der Klage steht es jedem Kläger frei, später dieselbe Klage erneut zu erheben. 93 Die durch Zulassung der exceptio pacti ermöglichte Selbstaufgabe der Möglichkeit zur Vernichtung eines rechtswidrig erteilten Patents paßt auch nicht zu den mit der Gewährung der Popularklageberechtigung verfolgten gesetzgeberischen Zwecken. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Erhebung einer Patentnichtigkeitsklage so aufwendig ist und besondere technische Kenntnisse voraussetzt, daß zwar theoretisch quivis ex populo berechtigt sind, faktisch aber nur wenige Kenner der Materie in der Lage sind, ein solches Verfahren mit gewisser Erfolgsaussicht durchzuführen.94 Es ist oft gerade der Lizenznehmer, der über das nötige Wissen über das Patent verfügt. 95 Wird nun aber gerade dieser »besonders befähigte potentielle Angreifer« 96 durch eine in den Lizenzvertrag integrierte oder gar nur hineingelesene Nichtangriffsabrede von der NichtigkeitsklaDazu unten, S. 326 ff. In denen er sich durch die Klagerhebung möglicherweise schadensersatzpflichtig macht, dazu Schwerdtner, GRUR 1968, 9, 11 f. 9 2 BGH 2 0 . 5 . 1953, BGHZ 10, 22, 27f. 9 3 Dies ergibt sich aus § 2 6 9 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 6 ZPO; siehe nur Grunsky, Zivilprozeßrecht, Rn. 142. 94 Hartgen, a.a.O. 272. 9 5 Vgl. dazu Sack, FS Fikentscher 740, 745f. m.w.N. 9 6 So v. Maitzahn, FS v. Gamm 597, 604. Ähnlich die EG-Kommission in ihren Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 EG-Vertrag auf Technologietransfer-Vereinbarungen, ABl. EG 2004 C 101, 2, Nr. 112: Der Lizenznehmer könne in der Regel am besten beurteilen, ob ein Schutzrecht gültig ist oder nicht. »Im Interesse eines unverzerrten Wettbewerbs [...] sollten ungültige Schutzrechte aufgehoben werden.« 90
91
66
2. Kapitel:
Popular-
und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
ge ausgeschlossen, so verliert selbige und das mit ihr verfolgte Allgemeininteresse doch erheblich an Wirkung. Die klaghindernde Wirkung der Nichtangriffsabrede führt dann faktisch dazu, daß »nach wie vor zahlreiche nichtige und wertlose Patente niemals angegriffen werden und infolgedessen als Grundlage für weitreichende Wettbewerbsbeschränkungen mißbraucht werden können.« 9 7 Dieser Argumentation, die sich auf das typischerweise beim Lizenznehmer vorhandene besondere Wissen stützt, wird entgegengehalten, daß gerade ein solches Wissen für die populäre Nichtigkeitsklage nicht erforderlich sei. So sei etwa der die Patenterteilung hindernde Stand der Technik gemäß § 3 Abs. 1 und 2 PatG »definitionsgemäß allgemein zugänglich«, so daß die Allgemeinheit zumindest mit Blick auf diesen Nichtigkeitsgrund auf ein Sonderwissen des Lizenznehmers nicht angewiesen sei. 9 8 Dieses Argument ist zwar theoretisch berechtigt, scheint aber eher praxisfremd. Die Feststellung dessen, was Stand der Technik ist und o b das streitige Patent über diesen hinausgeht, erfordert doch erhebliches Fachwissen. M i t »der Öffentlichkeit zugänglich« ist in § 3 Abs. 1 Satz 2 ja nicht gemeint, daß jedermann die fraglichen Kenntnisse besitzt, sondern nur, daß man sie sich als Fachmann aus Fachpublikationen beschaffen kann. 9 9 Für die Zulässigkeit von patentrechtlichen Nichtangriffsabreden im Rahmen von Lizenzverträgen wird außerdem angeführt, daß das »Individualinteresse des Lizenznehmers, vom Vertrag loszukommen,« nicht »im Allgemeininteresse instrumentalisiert« werden sollte. 1 0 0 Gerade diese Verbindung zwischen Individualinteresse und Allgemeininteresse ist aber für die Popularklage typisch und erwünscht. Es kommt in der Praxis kaum vor, daß eine aufwendige und mit Kostenrisiko behaftete Patentnichtigkeitsklage aus ideellen oder altruistischen Motiven erhoben wird. Vielmehr ist die Allgemeinheit hier auf die Initiative der wirtschaftlich Betroffenen angewiesen. Gegen eine prozessuale Berücksichtigung von Nichtangriffsabreden spricht auch die Tendenz in der europäischen Patentrechtsvereinheitlichung. Z w a r sieht das Europäische Patentrechtsübereinkommen 1 0 1 kein eigenes zivilrechtlich ausgestaltetes Nichtigkeitsverfahren vor, sondern regelt in Art. 9 9 EPÜ nur das mit § § 5 9 f f . PatG vergleichbare verwaltungsrechtliche Einspruchsverfahren. Im Gegensatz zur wohl noch herrschenden Meinung zum deutschen Einspruchsverfah-
97 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, G W B § 17 Rn. 127; zum wettbewerbsbeschränkenden Charakter einer Nichtangriffsabrede im Zusammenhang mit Lizenzvereinbarungen zuletzt Schumacher/Schmid, GRUR 2 0 0 6 , 1, 9. Allerdings hängt die faktische »Außenwirkung« der Nichtangriffsabrede zweifellos von den konkreten Umständen des einzelnen Falles ab, vgl. Heinemann, Immaterialgüterschutz in der Wettbewerbsordnung 3 5 3 . 98 Kraßer, Patentrecht 981. 9 9 Ebd. 2 6 5 und 2 8 6 . 1 0 0 Ebd. 981. 1 0 1 Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente vom 5 . 1 0 . 1973, BGBl. 1976 II 826, 877.
I. Popularklage gemäß § 81 PatG r e n 1 0 2 ist jedoch im Einspruchsverfahren nach EPÜ die exceptio
67 pacti nicht zu
berücksichtigen. 1 0 3 Aufgrund der kritischen Betrachtung von Nichtangriffsabreden sowohl im europäischen Kartellrecht als auch im EPÜ-Einspruchsverfahren spricht der Gedanke der Harmonisierung des Patentrechts also eher gegen eine prozessuale Berücksichtigung von Nichtangriffsabreden. 1 0 4 Im zuletzt diskutierten Entwurf einer EG-Verordnung über das Gemeinschaftspatent 1 0 5 findet sich dazu keine ausdrückliche Regelung. Art. 3 1 Abs. 2 dieses Verordnungsentwurfs enthält ähnlich wie § 8 1 P a t G eine populare Nichtigkeitsklage: »Jede Person« kann nach diesem Entwurf vor dem noch zu errichtenden Gemeinschaftspatentgericht auf Nichtigkeit eines Gemeinschaftspatents klagen. Sollte das Gemeinschaftspatent jemals Realität werden, so bleibt abzuwarten, wie bei dieser Klageberechtigung mit Nichtangriffsabreden verfahren werden wird. Bereits heute streiten aber die oben dargestellten besseren Argumente gegen eine die Nichtigkeitsklage hindernde prozessuale Wirkung von Nichtangriffsabreden. Dies m u ß selbst dann gelten, wenn sich diese Abrede im Einzelfall als materiell-rechtlich wirksam erweisen sollte. Die prozessuale Kompetenz zur Popularklage wird davon nicht b e r ü h r t . 1 0 6
c)
Klagerücknahme
Der Nichtigkeitskläger kann seine Klage bis zur Rechtskraft des Urteils in jeder Lage des Verfahrens und - insofern abweichend v o m normalen Zivilprozeß stets ohne Einwilligung des Beklagten zurücknehmen. Die Rechtsprechung begründet dies damit, daß der Kläger schließlich nicht dazu gezwungen werden könne, »gegen seinen Willen als Anwalt der öffentlichen Belange aufzutret e n . « 1 0 7 Eine Fortführung des Prozesses auf Initiative des Gerichts trotz Klagerücknahme ist nicht möglich, selbst wenn das Gericht aufgrund der Lage des Verfahrens davon ausgeht, daß das Patent vernichtet werden m ü ß t e . 1 0 8 D a m i t setzt sich insoweit im zivilrechtlich geprägten Nichtigkeitsverfahren die Dispositionsm a x i m e durch. Anders ist dagegen die Lage in den verwaltungsrechtlichen Ein102 Schulte, PatG, § 59 Rn. 40 m.w.N.; a.A. insbesondere Koppe, FS 25 Jahre Bundespatentgericht 229, 244. 1 0 3 EPA Große Beschwerdekammer 2 1 . 1 . 1999, ABl. EPA 1999, 245, 262 (Nichtangriffsabrede berührt die Zulässigkeit des Einspruchs nicht, Patentinhaber wird auf ggf. nach nationalem Recht mögliche schuldrechtliche Sanktionen bei Verletzung der Nichtangriffsabrede verwiesen). 1 0 4 So auch - allerdings nur in Bezug auf das verwaltungsrechtliche Einspruchsverfahren Busse/Schwendy/Keukenschrijver, PatG, § 5 9 Rn.22. 105 Vorschlag vom 8.3. 2 0 0 4 des Rates der Europäischen Union für eine Verordnung des Rates über das Gemeinschaftspatent, Dokument-Nr. 7119/04 PI 28. 1 0 6 Ebenso im Ergebnis Schwerdtner, GRUR 1968, 9, 11: Die Nichtangriffsabrede berühre die Aktivlegitimation für die Nichtigkeitsklage nicht. 1 0 7 BGH 2 2 . 6 . 1993, GRUR 1993, 895. 1 0 8 RG 15.2. 1936, RGZ 150, 280, 282; BGH 2 0 . 5 . 1953, BGHZ 10, 22, 28.
68
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
spruchsverfahren gegen die Patenterteilung gemäß § § 5 9 ff. P a t G und Art. 9 9 EPU: In diesen Verfahrensarten m u ß (Art. 6 1 Abs. 1 Satz 2 P a t G ) oder kann (Regel 6 0 (2) EPÜ) das Patentamt auch nach R ü c k n a h m e eines Einspruchs das Verfahren ohne den Einsprechenden fortsetzen, um ein zu Unrecht erteiltes Patent zu beseitigen. 1 0 9
d) Klageverzicht
und
Anerkenntnis
Es ist strittig, o b der beklagte Patentinhaber im Nichtigkeitsverfahren ein Anerkenntnis im Sinne und mit der Wirkung des § 3 0 7 Z P O erklären kann. Die Rechtsprechung hält dies für unmöglich, da den Parteien im Nichtigkeitsverfahren anders als im normalen Zivilprozeß die »Verfügung über den Prozeßstoff« nicht zustehe. 1 1 0 Immerhin seien unter Umständen auch die Interessen Dritter betroffen, etwa von Lizenznehmern des streitigen Patents. 1 1 1 In der Literatur wird dagegen teilweise ein Anerkenntnis auch im Nichtigkeitsverfahren für möglich gehalten, da dieses von der Dispositionsmaxime geprägt sei. 1 1 2 D e r im Nichtigkeitsverfahren gemäß § 8 7 Abs. 1 P a t G geltende Untersuchungsgrundsatz stehe nicht im Gegensatz zur Dispositionsmöglichkeit der Parteien, wie das verwaltungsgerichtliche Verfahren zeige. 1 1 3 Die Interessen Dritter seien im Gegensatz zu der Auffassung der Rechtsprechung ohnehin nicht vor Beeinträchtigungen durch Handlungen des Patentinhabers geschützt, da dieser ja auch jederzeit außerhalb eines Nichtigkeitsverfahrens durch Erklärung gegenüber dem Patentamt auf das Patent verzichten k ö n n e . 1 1 4 Durch diese - heute in § 2 0 Abs. 1 Nr. 1 P a t G geregelte - Möglichkeit des Verzichts auf das Patent durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Patentamt wird der Streit um die Möglichkeit eines Anerkenntnisses in seiner Bedeutung erheblich relativiert. M a c h t der Beklagte nämlich nach Klagerhebung von der allgemeinen Möglichkeit des Patentverzichts gemäß § 2 0 Abs. 1 Nr. 1 P a t G Gebrauch, so ist die Nichtigkeitsklage in der Hauptsache als erledigt anzusehen. Der Beklagte trägt dann auch die Kosten des Nichtigkeitsverfahrens, da er sich durch den außerprozessualen Verzicht in die Rolle des Unterlegenen begeben h a t . 1 1 5 Im Ergebnis besteht also zumindest hinsichtlich des Bestands des Patents und hinsichtlich der Verfahrenskosten kein Unterschied zu einem Anerkenntnis gemäß § 3 0 7 Z P O . Unterschiede können sich allerdings daraus ergeben, daß das Siehe zu beiden Verfahrensarten Schulte, PatG, § 61 Rn.26f. RG 9.10. 1909, RGZ 71, 440, 442. 111 RG 23.6. 1915, RGZ 86, 440, 441. 112 Schmieder, GRUR 1980, 74, 76 f.; dem zustimmend Kraßer, Patentrecht 640. 113 Schmieder, ebd. 77. Anders jedoch Jestaedt, FS Traub 141,149f., der aus der Geltung des Untersuchungsgrundsatzes die Unmöglichkeit des Anerkenntnisses im Patentnichtigkeitsverfahren folgert. 114 Schmieder, ebd. 115 Ebd. 74; BPatG 8.6. 1990, BPatGE 31, 191, 192. 109
110
I. Popularklage gemäß § 81 PatG
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Gestaltungsurteil im Nichtigkeitsverfahren gemäß § § 2 1 Abs. 3 Satz 1, 2 2 Abs. 2 P a t G ex tunc wirkt, der Verzicht gegenüber dem Patentamt dagegen nur ex nunc.116
J e nach Fallgestaltung wird daher der Nichtigkeitskläger das Verfahren
erst dann für erledigt erklären, wenn der Beklagte neben dem Verzicht auf das Patent zusätzlich noch erklärt, auch für die Vergangenheit gegen den Kläger keine Ansprüche aus dem Patent geltend zu m a c h e n . 1 1 7 Trotz dieser in der Praxis erprobten Lösung der Problematik bleibt die Frage nach der Möglichkeit eines Anerkenntnisses für die vorliegende Untersuchung bedeutsam, da sie die Geltung der Dispositionsmaxime und damit die Grundlagen des Nichtigkeitsverfahrens betrifft. Die dargestellte Literaturmeinung, die ein Anerkenntnis auch im Patentnichtigkeitsverfahren für möglich hält, erscheint überzeugend. Es kann keine Rede davon sein, daß der beklagte Patentinhaber nicht über den Prozeßstoff, d.h. den Bestand des Patents, disponieren könne. Vielmehr zeigt gerade die Verzichtsmöglichkeit gemäß § 2 0 Abs. 1 Nr. 1 P a t G , daß der Bestand des Patents in das Belieben seines Inhabers gestellt ist. Die Regelung entspricht auch dem allgemeinen Charakter des Patents als eigentumsähnliches subjektives Ausschlußrecht. 1 1 8 Z u diesem eigentumsähnlichen Charakter gehört auch die Möglichkeit der Aufgabe des R e c h t s . 1 1 9 O b der Patentinhaber damit seine Verpflichtungen gegenüber etwaigen Lizenznehmern verletzt, ist in dem zwischen Patentinhaber und Lizenznehmer bestehenden schuldrechtlichen Verhältnis auszutragen. Daher ist auch im Patentnichtigkeitsverfahren ein Anerkenntnis gemäß § 3 0 7 Z P O möglich. Diesem Ergebnis steht auch nicht der im Nichtigkeitsverfahren gemäß § 8 7 Abs. 1 P a t G geltende Untersuchungsgrundsatz entgegen. Die teilweise mit allgemeinem Geltungsanspruch erhobene Behauptung, daß weder
Anerkenntnis
noch Klageverzicht in Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz möglich seien, 1 2 0 trennt nicht ausreichend zwischen den Gegensatzpaaren Verhandlungs- und Untersuchungsgrundsatz einerseits sowie Dispositions- und Offizialmaxime andererseits. 1 2 1 Für die Möglichkeit von Anerkenntnis und Verzicht k o m m t es nicht auf die Geltung von Verhandlungs- oder Untersuchungsgrundsatz an. Diese betreffen nur die M e t h o d e der Sammlung des maßgeblichen Tatsachenstoffs, also die Sachverhaltsermittlung. 1 2 2 Anerkenntnis und Verzicht betreffen aber nicht Benkard/Schäfers, PatG, §20 Rn.9 m.w.N. Benkard/Rogge, PatG, §81 Rn.29. 118 Kraßer, Patentrecht 1: »Patent als staatlich gewährtes subjektives Ausschlußrecht«; vgl. auch das Plädoyer für den Begriff des geistigen Eigentums bei Ohly, JZ 2003, 545ff. 119 Treffend Westermann, Sachenrecht 470: »Der Verfügungsfreiheit entspricht es, daß der Eigentümer sein Eigentum beseitigen kann.« 120 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 792f. zum Anerkenntnis und 798 zum Verzicht. 121 Zu diesen Begriffen statt vieler Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts 18 ff.; Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht Rn.538ff. 122 Rosenberg/Schwab/Gottwald, a.a.O. 479 116 1,7
70
2. Kapitel: Popular-
und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
den Sachverhalt, sondern die Rechtsfolgebehauptung der jeweiligen Partei. 123 Die Zulässigkeit von Anerkenntnis und Klageverzicht hängt daher davon ab, ob die jeweilige Partei materiell-rechtlich zur Verfügung über diese Rechtsfolge, also über den von ihr geltend gemachten Anspruch, berechtigt ist. 124 Auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sind Anerkenntnis und Verzicht durchaus möglich, soweit die jeweilige Partei materiell-rechtlich dispositionsbefugt ist. 125 Selbst der Strafprozeß kennt Dispositionsmöglichkeiten der Beteiligten, man denke nur an den Rechtsmittelverzicht gemäß § 302 StPO oder an den sogenannten »deal« zur Beendigung eines Strafverfahrens. 126 Der Patentinhaber kann jedenfalls über den Bestand des Patents disponieren, so daß er auch gemäß § 307 ZPO den auf Erklärung der Nichtigkeit des Patents gerichteten Klaganspruch anerkennen kann. Auf das Spiegelbild des Anerkenntnisses, den Klageverzicht gemäß § 306 ZPO, läßt sich dieses Ergebnis jedoch nicht ohne weiteres übertragen. Die eigentumsähnlichen Rechtsposition des beklagten Patentinhabers findet auf Seiten des Nichtigkeitsklägers keine Entsprechung. Bei der Berechtigung zur Popularklage läßt sich kaum ein disponibler materiell-rechtlicher Anspruch, der für eine Verzichtsmöglichkeit im Sinne von § 306 ZPO vorausgesetzt wird, 127 von der prozessualen Berechtigung zur Erhebung der Nichtigkeitsklage abspalten. Auch hier ist daher an anderer Stelle noch die Frage zu vertiefen, ob die Popularklageberechtigung aus § 8 1 PatG überhaupt als materiell-rechtlicher Anspruch bezeichnet werden kann und was mit einer solchen Bezeichnung gemeint wäre. Rechtsprechung und Literatur äußern sich zur Möglichkeit eines Klageverzichts bei der Patentnichtigkeitsklage nicht. Wendet man die Rechtsprechung zum Anerkenntnis allerdings auf den Klageverzicht an, so dürfte wegen der angeblich mangelnden Verfügungsmöglichkeit der Parteien über den Bestand des Patents erst recht kein Klageverzicht möglich sein. Auch die dargestellte Literaturmeinung, die ein Anerkenntnis für möglich hält, paßt nicht zum Klageverzicht, da sie mit der zweifellos bestehenden Verfügungsmöglichkeit des Beklagten über das Patent argumentiert. Dieses Argument ist aber nur auf den Beklagten anwendbar. Der Kläger kann dagegen nicht über den Bestand des Patents disponieren. Es erschiene daher auch nicht angemessen, ihm durch den Klagever123
Siehe Z ö l l e r / V o l l k o m m e r , Z P O , Rn. 1 vor § 306. Siehe dazu M ü n c h e n e r K o m m e n t a r Z P O / M u s i e l a k , § 3 0 7 Rn. 16: Es sei »stets zu p r ü f e n , o b das materielle Recht der a n e r k e n n e n d e n Partei die Verfügung über den anzuerkennenden A n s p r u c h zugesteht; ist dies zu verneinen, d a n n ist wegen fehlender Dispositionsbefugnis ein Anerkenntnis ausgeschlossen.« 125 Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht R n . 5 3 9 ; Kopp/Schenke, V w G O , § 8 6 Rn. 16 und § 107 R n . 5 m . w . N . auch zu abweichenden M e i n u n g e n . 126 Grundlegend z u m strafprozessualen deal siehe Weßlau, Das Konsensprinzip im Strafverfahren. 127 Vgl. dazu M ü n c h e n e r K o m m e n t a r XPO/Musielak, § 306 Rn. 4: Klagverzicht setze materiell-rechtliche Dispositionsbefugnis über den fraglichen Anspruch voraus. 124
I. Popularklage gemäß § 81 PatG
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zieht die Möglichkeit einzuräumen, ein Sachurteil herbeizuführen, welches den rechtmäßigen Bestand des Patents voraussetzt. Ein Klageverzicht ist daher im Patentnichtigkeitsverfahren nicht möglich.
e)
Vergleich
Ein den Bestand oder den Inhalt des streitigen Patents betreffender Vergleich im Sinne von § 7 9 4 Abs. 1 Nr. 1 Z P O ist im Patentnichtigkeitsverfahren unmöglich, da der Bestand des Patents nur durch rechtsgestaltendes Urteil verändert werden k a n n . 1 2 8 Vergleiche mit anderem Inhalt sind jedoch m ö g l i c h . 1 2 9 So ist es den Beklagten u n b e n o m m e n , in einem Vergleich einen ihm bisher zustehenden Patentschutz aufzugeben oder einzuschränken. 1 3 0 Diese Möglichkeit ergibt sich schon aus den bereits dargestellten Überlegungen zur Dispositionsbefugnis des Patentinhabers über das Patent. Schwieriger ist dagegen die Beurteilung von Vergleichen, in denen der Kläger über die ihm zustehende Klagekompetenz disponiert. Diesbezüglich wird die Auffassung vertreten, daß sich der Kläger - etwa gegen Vergabe einer Lizenz zur Klagrücknahme verpflichten k ö n n e . 1 3 1 Soweit damit jedoch ein dauernder Ausschluß des Klagerechts gemeint ist, begegnet diese Auffassung den oben dargestellten Bedenken hinsichtlich der Möglichkeit einer exceptio
pacti. Allerdings
wird in der Literatur teilweise für eine unterschiedliche Behandlung von vorprozessual getroffenen Nichtangriffsabreden und solchen plädiert, die erst im R a h men eines Prozeßvergleichs getroffen w e r d e n . 1 3 2 N a c h dieser Auffassung soll auch eine eigentlich unzulässige - weil etwa EG-kartellrechtswidrige - Nichtangriffsabrede dann zulässig und wirksam sein, wenn sie in einem Prozeßvergleich ohne kollusive Absicht getroffen wird. Bei einer solchen Abrede stehe nicht die Beschränkung des Wettbewerbs, sondern die Wiederherstellung des Rechtsfriedens im Vordergrund. 1 3 3 M i t dieser Argumentation hat auch der Bundesgerichtshof zumindest für den Patentverletzungsprozeß einen Vergleich für zulässig erachtet, der den Schutzumfang des Patents mit Wirkung für die Parteien festlegt, soweit über diesen Umfang »bei objektiver Beurteilung ernsthafte Zweifel bestehen k ö n n e n . « 1 3 4 RG 9.1. 1937, RGZ 153, 329, 331; BGH 1.12. 1961, GRUR 1962, 294, 295. BGH 24.3. 1966, GRUR 1966, 523, 524. Beispiele aus der Praxis bei Schulte, PatG, § 81 Rn. 180. 130 Benkard/Rogge, PatG, §81 Rn.33. 131 Ebd. 132 v. Maitzahn, FS v. Gamm 597, 613; anders jedoch Benkard/Rogge, PatG, § 81 Rn. 33, der für eine Gleichbehandlung von vorprozessualen Nichtangriffsabreden und entsprechenden Prozeßvergleichen eintritt. 133 Ebd. 134 BGH 5.10. 1951, BGHZ 3, 193, 197ff.; ebenso zum Warenzeichengesetz BGH 15.2. 1955, BGHZ 16, 296, 303 f. Zustimmend Kraßer, Patentrecht 977. 128
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2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
Zumindest im Hinblick auf eine Beurteilung nach Art. 8 1 Abs. 1 E G V spricht jedoch einiges gegen diese Ansicht. Dieses Verbot unterscheidet nicht nach den M o t i v e n der an der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung beteiligten Unternehmen. Insbesondere sind nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht nur solche Vereinbarungen untersagt, die eine Wettbewerbsbeschränkung
»bezwecken«,
sondern auch solche, die diese bloß »bewirken«. Dabei handelt es sich um zwei alternative Tatbestandsmerkmale, die sich aber hinsichtlich der wichtigsten Rechtsfolgen, d.h. Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung, nicht unterscheiden. 1 3 5 Unterschiede ergeben sich allenfalls im Hinblick auf die H ö h e etwaiger Bußgelder und hinsichtlich des von der E G - K o m m i s s i o n gegebenenfalls anzuwendenden Verfahrens. 1 3 6 Es ist für die Qualifikation einer Vereinbarung oder anderen M a ß n a h m e als rechtswidrig und damit nichtig gemäß Art. 8 1 Abs. 2 E G V jedenfalls ausreichend, daß eine Wettbewerbsbeschränkung zwar nicht bezweckt, aber doch faktisch herbeigeführt w i r d . 1 3 7 Für diese Überlegung spricht auch der die Wettbewerbsordnung sichernde Charakter der kartellrechtlichen Vorschriften, die nicht primär einen bösen Willen der Parteien sanktionieren, sondern die objektive Funktionsfähigkeit der marktwirtschaftlichen Ordnung sichern sollen. Daher ist es für die Beurteilung der Wirksamkeit einer Nichtangriffsabrede irrelevant, ob diese außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens oder im R a h m e n eines Prozeßvergleichs getroffen w i r d . 1 3 8 Eine solche Differenzierung läßt sich nach der Änderung der einschlägigen Gruppenfreistellungsverordnung auch nicht mehr damit begründen, daß die gegebenenfalls aufgrund von Art. 8 1 Abs. 3 E G V und der einschlägigen Gruppenfreistellungsverordnung mögliche Freistellung der Vereinbarung eine Anmeldung des Prozeßvergleichs bei der E G - K o m m i s s i o n und damit dort einen erhöhten Arbeitsanfall nötig m a c h e . 1 3 9 Wie oben bereits dargestellt, ist eine Freistellung einer Nichtangriffsabrede vom Kartellverbot heute ohnehin nicht mehr möglich; sie kann allenfalls inzident durch ein mit ihr befaßtes Gericht als mit Art. 8 1 Abs. 3 E G V kompatibel angesehen werden. Für diese Beurteilung spielt es aber keine Rolle, unter welchen Umständen die Vereinbarung zustande gek o m m e n ist.
EuGH 1 7 . 7 . 1997, Slg. 1 9 9 7 1 , 4 4 1 1 , 4 4 3 5 . Stockenbuber, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 81 EGV Rn. 140. 1 3 7 EuGH 3 0 . 6 . 1966, Slg. 1966, 2 8 1 , 303. 1 3 8 Ebenso im Ergebnis EuGH 2 7 . 9 . 1988, Rs. 65/86, Slg. 1988, 5 2 4 9 , 5285f.; dazu Heinemann, Immaterialgüterschutz in der Wettbewerbsordnung 311 f. 1 3 9 So noch das Argument bei v. Maitzahn, a.a.O. 614. 135
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I. Popularklage gemäß § 81 PatG
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6. Unzulässige R e c h t s a u s ü b u n g Bereits die Ausführungen der Rechtsprechung zu aufgrund von Treu und Glauben in bestimmte patentrechtlich relevante Verträge hineinzulesende Nichtangriffsabreden stützen sich auf Erwägungen, die dem Topos der unzulässigen Rechtsausübung n a h e k o m m e n , wenn etwa ausgeführt wird, d a ß der Verkäufer eines Patents nach Treu und Glauben daran gehindert sei, das übertragene Schutzrecht später durch die Nichtigkeitsklage zu Fall zu bringen. 1 4 0 Trotzdem unterscheiden sich jene Fälle von den Fällen allgemein unzulässiger Rechtsausübung dadurch, daß in jenen die Nichtangriffsverpflichtung auf einen Vertrag gestützt wird, der jedoch für die Annahme einer unzulässigen Rechtsausübung nicht erforderlich ist. M i t unzulässiger Rechtsausübung sind im folgenden diejenigen Fälle gemeint, in denen unabhängig von einem Vertrag die klägerische Berechtigung durch dessen eigenes Verhalten erlischt oder er zumindest an ihrer Ausübung gehindert ist. Dieser bewußt unscharfe Begriff umfaßt insbesondere auch die Frage der Verwirkung. Auch die Verwirkung stellt nur einen Fall des venire
contra
factum
propri-
um als eine der anerkannten Fallgruppen unzulässiger Rechtsausübung dar. 1 4 1 Bei der Patentnichtigkeitsklage hat die Rechtsprechung im wesentlichen zwei Fallgruppen anerkannt, in denen auch ohne vertragliche Bindungen zwischen den Parteien die Klagerhebung als unzulässige Rechtsausübung gewertet werden könne, nämlich Arglist und venire
contra
factum
proprium.
Arglist soll insbe-
sondere dann vorliegen, wenn die Nichtigkeitsklage nur dazu dient, dem Kläger einen rechtswidrig erworbenen Besitzstand zu sichern. 1 4 2 Ein solcher Ausnahmefall wird etwa angenommen, wenn die Nichtigkeitsklage auf eine offenkundige Vorbenutzung (§ 3 Abs. 1 Satz 2 PatG) der Erfindung durch den Kläger gestützt wird, die wiederum selbst rechtswidrig w a r . 1 4 3 Auch der Grundsatz der Verwirkung der Klageberechtigung wird vom Bundesgerichtshof zumindest in einem obiter
dictum
anerkannt. D a n a c h soll es möglich sein, daß eine lange Zeit nicht
erhobene Klage bei Hinzutreten weiterer Umstände unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes rechtsmißbräuchlich sei. 1 4 4 Eine derartige Verwirkung scheint jedoch nur in einem Fall vom Bundesgerichtshof bejaht worden zu sein, in welchem dem Kläger im Sinne eines venire
contra
factum
proprium
vorgehal-
ten wurde, er habe über längere Zeit das Vertrauen erweckt, nicht gegen das streitige Patent vorgehen zu w o l l e n . 1 4 5
BGH 12.7. 1955, GRUR 1955, 535, 536f. Vgl. nur Wieling, AcP 176 (1976) 334ff.; ?a\andt/Heinrichs, BGB, §242 Rn.55 und 87; BGH 16.7. 2004, NJW 2004, 3330, 3332. 142 BGH 15.10. 1957, GRUR 1958, 177, 178. 143 RG 7.10. 1941, RGZ 167, 339, 357. 144 BGH 26.6. 1973, GRUR 1974, 146, 147. 145 BGH bei Liedl 1978-80, 524, zit. nach Schulte, PatG, § 81 Rn.68. 140 141
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2. Kapitel: Popular-
und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
Die Rechtsprechung gestattet also dem Patentinhaber unter bestimmten Umständen auch gegenüber der populären Nichtigkeitsklage einen auf vorheriges Verhalten des Klägers gestützten Einwand der unzulässigen Rechtsausübung. Dies erscheint vom Standpunkt der Rechtsprechung aus nur konsequent, da sie im Hinblick auf die Nichtangriffsabrede ja bereits festgestellt hat, daß es in der Hand des Klägers liegt, sich durch eigenes Verhalten seiner Klageberechtigung zu begeben. Die wenigen Fälle der unzulässigen Rechtsausübung dehnen diese Möglichkeit nur über den Bereich rechtsgeschäftlichen Verzichts auf faktisches Handeln aus. Allerdings kommt dem Verlust der Klageberechtigung durch faktisches Handeln keine große Bedeutung zu, da die Rechtsprechung den Bereich rechtsgeschäftlich begründeter Nichtangriffsabreden sehr stark ausgedehnt hat, indem sie derartige Abreden auch ohne explizite Äußerung der Parteien zustande kommen läßt. Stellt man sich jedoch auf den oben eingenommenen Standpunkt, daß ein rechtsgeschäftlicher Verzicht auf die Popularklageberechtigung nicht möglich ist, so erscheint auch die Rechtsprechung zur unzulässigen Rechtsausübung zweifelhaft. Das wesentliche Argument gegen die Möglichkeit des rechtsgeschäftlichen Verzichts auf die Popularklageberechtigung ist ja die Sicherung der vom Gesetzgeber bezweckten effektiven Durchsetzung des objektiven Rechts. Hinsichtlich dieses Verlusts an effektiven Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten macht es aber keinen Unterschied, ob die Popularklageberechtigung durch rechtsgeschäftliches oder durch rein faktisches Handeln entfällt. Im Gegenteil: Schränkt man die Dispositionsbefugnis des Klageberechtigten so weit ein, daß er nicht willentlich auf diese Berechtigung verzichten kann, so kann man ihm dieselbe erst recht nicht ohne seinen Willen nehmen. Diese Überlegung entspricht der unten noch näher zu erörternden Ansicht, daß Rechtsverlust durch Verwirkung die Dispositionsbefugnis über die fragliche Rechtsposition voraussetzt. 146
7. Sachverhaltsermittlung Wie bereits oben erwähnt, unterscheidet sich das Patentnichtigkeitsverfahren auch dadurch vom gewöhnlichen Zivilprozeß, daß der Gesetzgeber in § 87 Abs. 1 PatG für die Sachverhaltsermittlung ausdrücklich den Untersuchungsgrundsatz angeordnet hat. Dies wird damit begründet, daß angesichts des öffentlichen Interesses am Prozeßergebnis die Aufbereitung des Sachverhalts nicht ausschließlich den beteiligten Prozeßparteien überlassen werden dürfe. 147 Wie in anderen Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz -etwa dem Verwaltungsprozeß schließt dies jedoch nicht aus, daß aus pragmatischen Gründen der Sachnähe den Parteien erhebliche Darlegungs- und Informationspflichten aufgebürdet wer146 147
Wieling, AcP 176 (1976) 334, 3 3 8 f f . Liedel, Das deutsche Patentnichtigkeitsverfahren 17.
I. Popularklage gemäß §81 PatG
75
den. 1 4 8 Diese Pflichten der Parteien zur Aufklärung des Sachverhalts gehen selbst im Verwaltungsprozeß bis hin zur Präklusion des entsprechenden Vortrags (§ 8 7 b V w G O ) . Auch im vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Patentverfahren sind Mitwirkungspflichten der Parteien in § § 3 4 Abs. 7 und 1 2 4 P a t G normiert. Ebenso wie im Verwaltungsprozeß kann ein Verstoß gegen diese M i t wirkungspflichten dazu führen, daß das Gericht die fraglichen Tatsachen nicht weiter aufklären muß. Insbesondere ist das Patentgericht nicht gezwungen, sämtliche Gesichtspunkte von sich aus zu erforschen, die für die Rechtsauffassung einer Partei sprechen. Vielmehr müssen die Parteien ihre Auffassungen hinreichend begründen und ähnlich wie im Zivilprozeß »substantiiert« vortra149 gen. l H y Auch in Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz gibt es außerdem eine Beweislast im objektiven Sinne, die denjenigen trifft, zu dessen Ungunsten sich die Unaufklärbarkeit eines Sachverhalts auswirkt. 1 5 0 Diese Form der Beweislast trifft im Nichtigkeitsverfahren den Kläger, da dem Patentinhaber die bereits erlangte Rechtsstellung nur genommen werden soll, wenn mit hinreichender Sicherheit feststeht, daß er sie zu Unrecht erlangt hat. 1 5 1 Für Einwendungen des Beklagten etwa das Vorliegen einer Nichtangriffsabrede - trägt dagegen dieser die objektive Beweislast. 1 5 2 D a m i t folgen die Regeln der objektiven Beweislast im Patentnichtigkeitsverfahren den auch im übrigen Zivilrecht geltenden Grundsätzen, namentlich dem Prinzip der Unterscheidung zwischen anspruchsbegründenden Normtatbeständen einerseits und anspruchsvernichtenden bzw. -hemmenden Normpartikeln andererseits. 1 5 3
8. Kosten Über die Kosten des Nichtigkeitsverfahrens entscheidet das Gericht entsprechend den Vorschriften der Z P O , soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert (§ 8 4 Abs. 2 Satz 2 PatG). In der Praxis werden die Kosten regelmäßig entsprechend § 9 1 Z P O der unterliegenden Partei auferlegt. 1 5 4 Von der Möglichkeit der Abweichung von diesem Grundsatz aus Billigkeitsgründen macht die Rechtsprechung nur sparsam und nur in besonders gelagerten Einzelfällen G e b r a u c h . 1 5 5 Eine weitere Möglichkeit der Korrektur von Kostenrisiken 148 Zu den Mitwirkungspflichten der Parteien in Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz bereits Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts 173 f. 149 Busse, PatG, § 87 Rn. 12 m.w.N. 150 Siehe dazu zuletzt E. Schmidt, JuS 2003, 1007ff. 151 BGH 22.12. 1983, GRUR 1984, 339, 340. 152 BPatG 22.11. 1966, BPatGE 9, 34, 39. 153 Dazu E. Schmidt, JuS 2003, 1007, lOlOf. 154 Benkard/Rogge, PatG, § 84 Rn. 15. 155 Details bei Schulte, PatG, § 84 Rn.49.
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2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
aus Billigkeitsgründen ist die gemäß § 144 PatG mögliche Streitwertherabsetzung. Mit ihr soll das mit der Durchführung einer Nichtigkeitsklage verbundene oft recht hohe finanzielle Risiko im Einzelfall verringert werden können. 156 9. Verjährung Die Klage auf Nichtigerklärung eines Patents kann nach einhelliger Meinung im Schrifttum ohne zeitliche Beschränkung erhoben werden. 157 Sie unterliegt also nicht einer Verjährung im Sinne von § 194 BGB, wonach Zeitablauf zu einer rechtshemmenden Einrede führt. Diese Abweichung vom allgemeinen Zivilrecht entspricht dem öffentlichen Interesse an der Vernichtung rechtswidrig erteilter Patente. Dieses Interesse wird durch Zeitablauf nicht geringer. Die ansonsten für das Institut der Verjährung sprechenden Ziele des Rechtsfriedens 158 und der Rechtssicherheit 159 treten demgegenüber zurück.
II. Populär- und Verbandsklage gemäß §55
MarkenG
1. Sachlicher Anwendungsbereich Das Markengesetz sieht in seinen § § 53ff. verschiedene Formen vor, in denen die Löschung einer Marke unternommen werden kann. Ähnlich wie im Patentgesetz sind hier verwaltungsrechtliche und zivilrechtlich geprägte Verfahren zu unterscheiden. Wird etwa ein Löschungsbegehren auf das Vorliegen sogenannter absoluter Schutzhindernisse gestützt - z.B. weil die eingetragene Marke gemäß § 8 MarkenG gar nicht schutzfähig sei - so sieht das Gesetz in § 54 ein öffentlichrechtlich ausgestaltetes »Popularverfahren« 160 vor. In diesem Verfahren ist gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 MarkenG jedermann berechtigt, einen Antrag auf Löschung der Marke beim Patent- und Markenamt zu stellen. In diesem Verfahren ist nach Ansicht des Patentamts weder eine etwaige Strohmanneigenschaft des Antragstellers noch der Einwand der Verwirkung beachtlich. 161 Auch ein allgemeiner Einwand der unzulässigen Rechtsausübung, der sich etwa auf ein venire contra factum proprium des Antragstellers stützt, wird von der Rechtsprechung im Verfahren nach § 54 MarkenG nicht anerkannt. 162 1 5 6 Zu den faktischen Kostenrisiken bei Patentstreitigkeiten vgl. Kraßer, Patentrecht 911 f.; Liedel, Das deutsche Patentnichtigkeitsverfahren 240. 157 Benkard/Rogge, PatG, § 81 Rn.21; Busse/Keukenschrijver, PatG § 81 Rn. 14. 1 5 8 BGH 2 3 . 1 1 . 1994, BGHZ 128, 74, 82. 159 Bork, AT, R n . 3 1 9 . 160 Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 5 4 Rn.3. 1 6 1 DPMA 7.7. 1980, Mitt. dt. Patentanwälte 1984, 117, 118. 1 6 2 BPatG 1.2. 1999, GRUR 1999, 746, 747: »Das markenrechtliche Löschungsverfahren kann von jedermann angestrengt werden und [dient] dem öffentlichen Interesse an der Freihai-
IL Populär- und Verbandsklage gemäß § 55 MarkenG
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Auch die EG-Verordnung über die europäische Gemeinschaftsmarke sieht in ihren Art. 5 5 f . ein öffentlich-rechtlich ausgestaltetes Antragsverfahren vor, in dem die Erklärung der Nichtigkeit einer Gemeinschaftsmarke von jedermann beim Gemeinschaftsmarkenamt beantragt werden k a n n . 1 6 3 Nicht vor dem Patent- oder M a r k e n a m t , sondern vor den ordentlichen Gerichten zu erheben ist dagegen die eher zivilrechtlich geprägte Löschungsklage gemäß § 5 5 M a r k e n G wegen Verfalls der M a r k e oder wegen des Bestehens älterer Rechte. Hier ist insbesondere die Klage wegen Verfalls der M a r k e näher zu untersuchen, da sie gemäß § 5 5 A b s . 2 Nr. 1 M a r k e n G von »jeder Person« erhoben werden kann. Als Gründe für den Verfall einer M a r k e k o m m e n gemäß § 4 9 M a r k e n G die fünfjährige Nichtbenutzung dieser M a r k e ( § 4 9 Abs. 1), die Entwicklung der M a r k e zu einer Gattungsbezeichnung ( § 4 9 Abs. 2 Nr. 1), eine durch die Benutzung der M a r k e hervorgerufene Täuschungsgefahr ( § 4 9 Abs. 2 N r . 2 ) sowie der Wegfall der Markenrechtsfähigkeit des Inhabers ( § 4 9 A b s . 2 Nr. 3) in Betracht. Die in diesen Fällen bestehende Popularklagekompetenz wird damit begründet, daß es im Interesse der Allgemeinheit sei, das Register von denjenigen M a r k e n zu reinigen, bei denen derartige Verfallsgründe vorliegen. 1 6 4 Neben der Popularklageberechtigung wegen Verfalls enthält § 5 5 M a r k e n G auch die hier nicht weiter zu untersuchende Individualklage der Inhaber älterer Rechte (§ 5 5 Abs. 2 Nr. 2) sowie eine Verbandsklageberechtigung für diejenigen Fälle, in denen die angestrebte Löschung der M a r k e mit dem Bestehen einer älteren geographischen Herkunftsangabe begründet wird (§ 5 5 A b s . 2 N r . 3 ) . Die Vorschrift des § 5 5 M a r k e n G entspricht in weiten Teilen der Regelung des bis 1 9 9 4 geltenden Warenzeichengesetzes. Seinerzeit gewährten § 1 1 Abs. 1 Nr. 2 - 4 W Z G eine »echte P o p u l a r k l a g e « 1 6 5 auf Löschung eines Warenzeichens wegen Aufgabe des Geschäftsbetriebs, Täuschungsgefahr oder Nichtbenutzung des Zeichens. Die Rechtsprechung zum Warenzeichengesetz ist daher jedenfalls insoweit weiter verwertbar, als es um die für die vorliegende Untersuchung relevanten strukturellen Fragen der Popularklageberechtigung geht. Hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs der Popularklage wegen Verfalls einer M a r k e bestehen allerdings gewisse Unklarheiten. Es wird nämlich
tung des Registers von schutzfähigen Marken. Das eigene Verhalten des Antragstellers spielt deshalb bei der Beurteilung der von ihm vorgetragenen - auf absolute Schutzhindernisse gestützten - Löschungsgründe keine Rolle. Der Gesichtspunkt der unclean bands, dem im Wettbewerbsrecht ausnahmsweise Rechnung zu tragen ist, spielt im markenrechlichen Löschungsverfahren nach § 50 MarkenG keine Rolle.« Der Antragsteller hatte hier selbst eine Marke eintragen lassen, die sich von der seines Konkurrenten nur unwesentlich unterschied. Nun griff er die Konkurrenzmarke mit dem Argument an, diese sei mangels Unterscheidungskraft gar nicht schutzfähig. 1 6 3 Verordnung (EG) 40/1994 des Rates über die Gemeinschaftsmarke, ABl. EG 1994 L 11, 1. 164 165
Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 5 5 Rn.5; Fezer, FS Kraft 77. Busse/Starck, WZG, § 11 Rn.22.
78
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
die Auffassung vertreten, daß eine Löschungsklage dann nicht möglich sein soll, wenn die angegriffene Marke trotz Löschung ohnehin von keinem Dritten benutzt werden könne, weil etwa der Markeninhaber auch noch über andere Schutzrechte verfüge. In diesen Fälle bestehe an der Löschungsklage kein öffentliches Interesse. 166 Diese Einschränkung des Anwendungsbereichs der Löschungsklage ist in der Literatur jedoch umstritten. 167 Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist in dieser Hinsicht uneinheitlich. Unter Geltung des Warenzeichengesetzes wurde zunächst ein »konkretes« öffentliches Interesse für die Erhebung der Löschungsklage zur Voraussetzung erklärt. 168 Damit war gemeint, daß die Löschungsklage dann unzulässig sei, wenn auch nach einer möglichen Löschung des angegriffenen Zeichens dieses von niemand außer dem bisherigen Inhaber benutzt werden könnte. Eine solche Situation kann unter Umständen eintreten, wenn der Zeicheninhaber die Nutzung dieses Zeichens auch aufgrund anderer Rechtsgrundlagen untersagen konnte. Später zog der Bundesgerichtshof diese Einschränkung wieder in Zweifel und rückte von ihr explizit jedenfalls für den Löschungsgrund der Nichtbenutzung des Warenzeichens wieder ab. 1 6 9 Seit Geltung des Markengesetzes hat sich der Bundesgerichtshof nur in einem obiter dictum zu dieser Frage geäußert, in welchem die Möglichkeit einer Löschungsklage bejaht wird, da »Anhaltspunkte für ein Fehlen jeglichen öffentlichen Interesses an der Löschung nicht vorliegen.« 170 Gleichzeitig und insofern zu Mißverständnissen einladend verweist das Gericht jedoch auf die zuvor zitierte Entscheidung zum Warenzeichengesetz, in der eine solche Voraussetzung gerade abgelehnt wurde. Ein Ausschluß der Popularklageberechtigung in Fällen, in denen es in dem oben dargestellten Sinne am öffentlichen Interesse fehlt, scheint allerdings mit dem Gesetzeswortlaut nur schwer vereinbar. Dieser verlangt gerade kein im konkreten Fall bestehendes öffentliches Interesse. Das abstrakt bestehende Allge166 Fezer, FS Kraft 77, 81, unter Berufung auf ältere Rechtsprechung zum Warenzeichengesetz, namentlich RG 4 . 1 0 . 1 9 4 3 , R G Z 172, 49, 55f. und BGH 11.12. 1956, GRUR 1957, 350, 351. 1 6 7 Ausdrücklich ablehnend insbesondere Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 55 Rn. 6; Ströbele/ Hacker, MarkenG, § 55 Rn. 26; Stuckel, in: v. Schultz, Markenrecht, § 55 Rn. 6. 1 6 8 BGH 1 1 . 1 2 . 1956, GRUR 1957, 350, 351: Popularklage wegen Löschung eines Warenzeichens sei »im Hinblick auf das Interesse der Allgemeinheit an der Reinhaltung der Zeichenrolle gegeben und erfordert daher, daß ein öffentliches Interesse an der begehrten Löschung tatsächlich besteht. An diesem Interesse fehlt es aber dann, wenn das Zeichen nach seiner Löschung von anderer Seite nicht verwendet werden könnte.« 1 6 9 BGH 2 4 . 1 0 . 1985, GRUR 1986, 315, 316: Jedenfalls für die Löschungsklage wegen Nichtbenutzung sei von weiteren Erfordernissen wie demjenigen eines konkreten öffentlichen Interesses an der Löschung abzusehen. »Die im Sinne des Benutzungszwangs liegende Ausübung des Klagerechts würde zweckwidrig erschwert, wenn trotz allgemeiner Zubilligung der Popularklage jeweils noch geprüft werden müßte, ob tatsächlich im Einzelfall ein öffentliches Interesse an der Löschung und damit die Klageberechtigung besteht.« 1 7 0 BGH 2 0 . 3 . 1997, GRUR 1997, 747, 748.
II. Populär- und Verbandsklage gemäß §55
MarkenG
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meininteresse an der Registerbereinigung ist bloßes gesetzgeberisches Motiv, das dadurch aber nicht schon zur tatbestandlichen Voraussetzung der Klageberechtigung w i r d . 1 7 1 Hinzu k o m m t , daß das Löschungsverfahren mit schwierigen zusätzlichen Fragen belastet würde, wenn stets zusätzlich zu prüfen wäre, o b der Benutzung der fraglichen M a r k e andere Hindernisse aus allen erdenklichen Rechtsgründen entgegenstehen. 1 7 2 Auch im Interesse der Rechtssicherheit sollte die förmliche Löschung einer verfallenen M a r k e ohne Rücksicht auf schwierig zu klärende sonstige mit diesem Kennzeichen unter Umständen verbundene Rechtspositionen möglich sein. Diese anderen R e c h t e mögen im Einzelfall andere Voraussetzungen haben, die dann in einem konkreten Streitfall darzulegen 1 IT, waren.
2.
J
Akteure
Die Klage auf Löschung einer M a r k e wegen Verfalls gemäß § 5 5 Abs. 2 Nr. 1 M a r k e n G ist eine uneingeschränkte Popularklage. Jedermann kann sie erheben, ohne daß es darauf ankäme, o b der Kläger ein eigenes Interesse an der Löschung darlegen k a n n . 1 7 4 Wegen des klaren Gesetzeswortlauts (»jede Person«) sind auch Ausländer zur Klagerhebung berechtigt. Allerdings hat die Rechtsprechung unter Geltung des Warenzeichengesetzes dazu die einschränkende Voraussetzung aufgestellt, daß der ausländische Kläger eine geschäftliche Beziehung zum Inland unterhalten müsse. Andernfalls sei der ausländische Kläger »nicht legitimiert, das inländische Allgemeininteresse w a h r z u n e h m e n . « 1 7 5 J e d o c h ist diese Einschränkung nicht besonders gravierend, da die angeblich erforderliche Inlandsbeziehung bereits in dem bloßen Wunsch des Klägers bestehen kann, seinen Geschäftsbetrieb auf Deutschland auszudehnen. 1 7 6 Trotzdem läßt sich diese Einschränkung mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbaren und wird daher in der Literatur mit Recht abgelehnt. 1 7 7 Die Begründung des Bundesgerichtshofes, w o n a c h ein ausländischer und in Deutschland nicht geschäftlich aktiver Kläger nicht zur Wahrnehmung inländischer Allgemeininteressen »legitimiert« sei, überzeugt nicht. Auch der inländische Popularkläger ist nicht zur Wahrnehmung von Allgemeininteressen in dem Sinne »legitimiert«, als daß ihm etwa wie einem Parlamentarier ein M a n d a t oder sonst ein Auftrag erteilt wäre. Im Gegenteil: Es steht jedem Popularkläger frei, die Popu171 Darauf weist mit Recht hin Jackermeier, Die Löschungsklage im Markenrecht 108. 172 Ingerl/Rohnke,MarkenG, § 55 Rn. 6. 173 Ströbele/Hacker, MarkenG, §55 Rn.26. 174 Ingerl/Rohnke, MarkenG, $55 Rn.5. 175 BGH 23.3. 1966, GRUR 1967, 298, 303. 176 BGH ebd. 177 So bei Ingerl/Rohnke, MarkenG, §55 Rn.7; Ströbele/Hacker, MarkenG, §55 Rn.27. Zustimmend zur restriktiven Rechtsprechung allerdings noch Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht (22.Aufl.) Einl. UWG Rn.455.
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2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
larklageberechtigung aus ganz egoistischen Motiven wahrzunehmen, und genau dies geschieht auch üblicherweise bei den Popularklagen des gewerblichen Rechtsschutzes. Das Interesse der Allgemeinheit besteht nur darin, möglichst vielen Personen die entsprechende Klageberechtigung zu verschaffen, keineswegs aber muß der konkrete Kläger sich in irgendeiner Weise vom Allgemeininteresse leiten lassen. Für den gesetzgeberischen Zweck der Popularklageberechtigung, nämlich zu Unrecht eingetragene Marken wieder aus dem Register zu entfernen, ist es irrelevant, ob der Kläger, der diese Löschung betreibt, aus dem In- oder Ausland stammt. Die Einschränkung hinsichtlich der Klageberechtigung von Ausländern verstößt also nicht nur gegen den Wortlaut, sondern auch gegen den Zweck des § 5 5 Abs. 2 Nr. 1 M a r k e n G . Für den Bereich der Europäischen Union verstößt sie darüber hinaus gegen das in Art. 12 E G V verankerte Diskriminierungsverbot. 1 7 8 Neben der unbeschränkten Popularklage wegen Verfalls einer Marke enthält das Gesetz auch den Spezialfall der Verbandsklage auf Markenlöschung wegen Bestehens einer älteren geographischen Herkunftsangabe (§ 5 5 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG). Das Gesetz verweist hier hinsichtlich der klageberechtigten Personen auf § 8 Abs. 3 U W G , mithin auch auf qualifizierte Einrichtungen im Sinne von § 4 UKlaG. Es reicht also aus, wenn der jeweilige Verband die Voraussetzungen von § 4 UKlaG erfüllt, auf einen konkreten Bezug seiner Tätigkeit zu der streitigen geographischen Herkunftsangabe kommt es dagegen nicht an.
3 . Klagziel Die markenrechtlichen Popularklage ist nach dem Gesetzeswortlaut eine Klage »auf Löschung« der Marke ( § 5 5 Abs. 1 MarkenG). Allerdings kann die Löschung der M a r k e im Register nicht vom beklagten Markeninhaber selbst vorgenommen werden, sondern nur vom Patentamt. Der Klagantrag bei der gegen den Markeninhaber gerichteten Löschungsklage ist daher auf die Einwilligung des Beklagten in die Löschung zu richten. 1 7 9 Wird der Beklagte diesem Antrag entsprechend verurteilt, so gilt diese Einwilligung gemäß § 8 9 4 Abs. 1 Satz 1 Z P O als erteilt, so daß der Kläger beim Patentamt unter Vorlage einer vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils ohne weiteres die Löschung bewirken kann. 1 8 0 Die gemäß § 5 5 Abs. 2 Nr. 3 M a r k e n G i.V.m. § 8 Abs. 3 U W G und § 4 UKlaG zur Erhebung der Löschungsklage befugten Personen und Institutionen sind außerdem gemäß § 1 2 8 Abs. 1 M a r k e n G auch zur Erhebung einer Unterlassungsklage gegen die unbefugte Benutzung einer geographischen Herkunftsangabe berechtigt. Diese Verbandsklage ähnelt stark der allgemeinen lauterkeitsrechtli-
178 179 180
Ströbele/Hacker, MarkenG, § 5 5 R n . 2 7 . BGH 1 0 . 1 0 . 2 0 0 2 , GRUR 2 0 0 3 , 428, 4 3 0 . Fezer, Markenrecht, § 5 5 R n . l l .
II. Populär-
und Verbandsklage
gemäß
§55
MarkenG
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chen Verbandsklage auf Unterlassung gemäß § 8 UWG. Insoweit kann daher auf die Ausführungen zum Lauterkeitsrecht verwiesen werden. 4. Rechtskraft und Rechtshängigkeit Die erfolgreiche Löschungsklage wirkt als Leistungsklage zunächst nur unter den Prozeßparteien.181 Wirkungen darüber hinaus werden erst durch die vom siegreichen Kläger veranlaßte amtliche Löschung der Marke erreicht. Diese wirkt gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 MarkenG auf den Zeitpunkt der Erhebung der Löschungsklage zurück. Darüber hinaus kann gemäß § 52 Abs. 1 Satz 2 MarkenG auf Antrag einer Partei durch das Gericht ein früherer Zeitpunkt bestimmt werden, zu dem die Wirkungen der Marke rückwirkend wegfallen; dies ist insbesondere dann relevant, wenn der Verfallsgrund deutlich vor Klagerhebung eingetreten ist. 182 Auch das eine Löschungsklage abweisende Urteil wirkt nur inter partes, so daß die Löschungsklage eines anderen Klägers auch dann zulässig ist, wenn sie sich auf denselben Verfallsgrund stützt. 183 Allerdings wendet der Bundesgerichtshof auch hier die zur patentrechtlichen Popularklage entwickelten Grundsätze über das Vorschieben eines Strohmanns an. Dem Strohmann, der gänzlich ohne eigenes Interesse nur im Auftrag seines Hintermanns handelt, kann der Einwand der res iudicata entgegengehalten werden, wenn dieser gegenüber dem Hintermann besteht. 184 Auch für die Wirkung der Rechtshängigkeit gelten somit sinngemäß die für die patentrechtliche Nichtigkeitsklage entwickelten Grundsätze. Wegen der auf die Prozeßparteien beschränkten Wirkung eines klagabweisenden Urteils hindert die Rechtshängigkeit eines Löschungsprozesses nicht die Erhebung einer auf denselben Löschungsgrund gestützten zweiten Klage eines weiteren Klägers. 185 Wird nach einem obsiegenden Urteil im Erstprozeß die Marke durch das Patentamt gelöscht, so ist der Zweitprozeß in der Hauptsache erledigt. 5. Dispositionsbefugnis a)
Abtretung
Die Frage einer Abtretung der Popularklageberechtigung wird im markenrechtlichen Schrifttum ebensowenig erörtert wie bei der patentrechtlichen PopularklaEbd. Vgl. Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 5 2 R n . 6 . 183 Fezer, Markenrecht, § 5 5 Rn. 12. 1 8 4 BGH 1 6 . 6 . 1993, B G H Z 123, 30, 35 (allerdings zum Löschungsverfahren nach § 1 0 W Z G a.F.); dem zustimmend und auf die Klage nach § 55 MarkenG übertragend Fezer, Markenrecht, § 5 5 Rn. 12; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 5 5 R n . 2 2 . 185 Ebenso im Ergebnis Jackermeier, Die Löschungsklage im Markenrecht 109, der dies allerdings als Frage des »Rechtsschutzbedürfnisses« behandelt. 181
182
82
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
ge. Auch bei § 5 5 M a r k e n G erscheint diese Frage nicht besonders sinnvoll. Im Stadium vor einem Löschungsprozeß steht die Klageberechtigung ohnehin jedermann zu. Auch für eine Abtretung im Vollstreckungsstadium ist kein R a u m , da das auf Einwilligung in die Löschung lautende Urteil gemäß § 8 9 4 Abs. 1 Satz 1 Z P O wirkt und damit weitere Vollstreckungsmaßnahmen weder nötig noch zulässig sind. 1 8 6
b)
Verzicht
Ebenso wie bei der patentrechtlichen Popularklage konzentriert sich auch bei der markenrechtlichen Popularklage die Diskussion zur Möglichkeit eines Verzichts auf die Klageberechtigung auf die Frage nach der Zulässigkeit und Wirkung von Nichtangriffsabreden. Allerdings unterscheiden sich die Ergebnisse dieser Diskussion im M a r k e n r e c h t ganz erheblich von denjenigen im Patentrecht. Dies gilt vor allem für die Rechtsprechung zu Nichtangriffsabreden im M a r kenrecht. Das Reichsgericht postulierte unter Geltung des Warenzeichengesetzes das weitreichenden Prinzip, daß dem Popularkläger im Zeichenrecht »Einreden aus seiner Person nicht entgegengehalten werden k ö n n e n . « 1 8 7 Dieses Prinzip wurde damit begründet, daß der Kläger »dem andern Teil nicht als bestimmte Einzelperson, sondern lediglich als Vertreter allgemeiner Interessen gegenübers t e h t . « 1 8 8 Das Reichsgericht sah den Popularkläger also als ganz auswechselbare und eher zufällig in der Klägerrolle befindliche Person a n . 1 8 9 Z u den aufgrund dieser Argumentation unbeachtlichen Einreden aus der Person des Klägers und dessen früherem Verhalten gehören auch vertragliche Abreden über die Ausübung der Popularklageberechtigung. Allerdings führte das Reichsgericht für die Unbeachtlichkeit des vertraglichen Ausschlusses der Popularklageberechtigung noch ein weiteres Argument ins Felde, nämlich die materiell-rechtliche Unwirksamkeit derartiger Verträge. Ein vertraglicher Ausschluß der Klageberechtigung beinhalte - so das Reichsgericht die »Übernahme der Verpflichtung, ein nach dem Gesetz rechtsunwirksames Warenzeichen als rechtswirksam und weiterbestehend zu behandeln.« Ein derartiger Vertrag sei aber nach » § § 1 3 4 , 3 0 6 B G B « nichtig. 1 9 0 Dieses zusätzliche Argument des Reichsgerichts ist jedoch keineswegs zwingend. Gedanklich läßt sich die Verpflichtung, ein eingetragenes Warenzeichen nicht mit der Löschungsklage anzugreifen, durchaus trennen von der Verpflichtung, dieses Warenzeichen als rechtswirksam anzuerkennen. Gleichwohl darf man diesem Argument des 186 187 188 189 190
Vgl. nur Zötter/Stöber, ZPO, § 894 Rn.5. RG 17.4. 1928, RGZ 120, 402, 405. Ebd. jackermeier, a.a.O. 144. RG 17.4. 1928, RGZ 120, 402, 405.
II. Populär-
und Verbandsklage
gemäß §55
MarkenG
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Reichsgerichts keine übergroße Bedeutung zumessen. Es ist im Kontext der allgemeinen Ausführungen über die Unbeachtlichkeit persönlicher Einreden gegenüber der zeichenrechtlichen Popularklage zu sehen. Die Klageberechtigung soll nach Ansicht des Reichsgerichts eben ganz unabhängig vom früheren Verhalten des Klägers bestehen 191 und kann daher auch nicht von vertraglichen Nichtangriffsabreden abhängen. Der Bundesgerichtshof hatte zur Frage der Wirkung von Nichtangriffsabreden auf die markenrechtliche Popularklagekompetenz noch keine Gelegenheit zur Stellungnahme. In einem obiter dictum teilte er diesbezüglich nur den Stand der »bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung« mit, daß nämlich die Klageberechtigung aus §55 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG »stets und unabhängig von etwaigen vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem eingetragenen Inhaber der Marke« bestehe. 192 In der Literatur wird die Wirkung einer Nichtangriffsabrede auf die markenrechtliche Popularklageberechtigung unterschiedlich beurteilt. Während im älteren Schrifttum der Rechtsprechung des Reichsgerichts überwiegend gefolgt wurde, 193 mehren sich in jüngerer Zeit Stimmen, die eine exceptio pacti ähnlich wie im Patentrecht auch bei der markenrechtlichen Popularklage zulassen wollen. 194 Zur Begründung dieser von der reichsgerichtlichen Rechtsprechung abweichenden Auffassung wird angeführt, daß sich die Dispositionsbefugnis des Klägers ja auch darauf erstrecke, ob er die Popularklage überhaupt erhebt, eine erhobene Klage zurücknimmt oder eine einmal erstrittene Entscheidung vollstreckt. 195 Allerdings trifft dieses Argument ebenso wie im Patentrecht auch im Markenrecht nicht den Kern der Problematik. Es ist zwar richtig, daß der Gesetzgeber die Entscheidung über die Erhebung der Popularklage den jeweiligen potentiellen Klägern überläßt. Daraus folgt aber nicht, daß sich diese Kläger ihrer Möglichkeit zur Klagerhebung auch dauerhaft begeben können. Es ist vielmehr ebenso wie im Patentrecht zu überprüfen, ob der Zweck der Popularklageberechtigung es zuläßt, daß die jeweils Berechtigten auf diese ihre Berechtigung verzichten können. Auch im Markenrecht spricht gegen eine solche Möglichkeit, daß zwar theoretisch eine Vielzahl potentieller Kläger vorhanden sind, sich aber faktisch 191
Ebd. B G H 2 0 . 3 . 1997, G R U R 1 9 9 7 , 747, 7 4 8 . Die Frage nach der W i r k u n g einer N i c h t a n griffsabrede k o n n t e in diesem Fall offenbleiben, da die Vereinbarungen der Parteien eine solche Abrede nach den Feststellungen des Gerichts nicht enthielten. 193 Siehe etwa v. Gamm, W Z G , § 1 1 R n . 2 0 ; weitere Nachweise zum zeichenrechtlichen Schrifttum bei Jackermeier, a . a . O . 145. 194 Für vollständige Z u l a s s u n g Ingerl/Robnke, M a r k e n G , § 55 Rn. 14; Bous, in: Ekey/Klippel, M a r k e n r e c h t , § 55 Rn. 8; ähnlich Stuckel, in: v. Schultz, M a r k e n r e c h t , § 55 Rn. 6; Ströbele/ Hacker, M a r k e n G , § 55 Rn. 24 (kartellrechtliche Kontrolle von Nichtangriffsabreden sei ausreichend); differenzierend nach den unterschiedlichen Verfallsgründen Jackermeier, a.a.O. 154f.; Fezer, M a r k e n r e c h t , § 5 5 R n . 2 2 f . 195 Ingerl/Robnke, M a r k e n G , § 55 Rn. 14; ähnlich Bous, in: Ekey/Klippel, M a r k e n r e c h t , § 5 5 R n . 8 (Popularklageberechtigung sei disponibel). 192
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2. Kapitel:
Popular-
und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
diese Vielzahl auf einige wenige Personen oder Unternehmen einengen kann, die aufgrund ihrer Sachkenntnis, wirtschaftlichen Stärke und Risikobereitschaft zur Klagerhebung in der Lage sind. Erlaubt man nun diesen wenigen potentiellen Klägern, auf ihre Klageberechtigung zu verzichten, so erscheint die Durchsetzung des Allgemeininteresses an der Löschung verfallener Marken erheblich erschwert. Allerdings wird von Teilen der Literatur eingewandt, daß das Allgemeininteresse regelmäßig nur dann gegen die Zulassung der exceptio pacti spreche, wenn die Verfallsgründe des § 49 Abs. 2 MarkenG betroffen sind, nicht dagegen beim Verfallsgrund der Nichtbenutzung der Marke gemäß § 4 9 Abs. 1 MarkenG. 1 9 6 Anders als bei den Verfallsgründen der Entwicklung zur Gattungsbezeichnung (§49 Abs.2 Nr. 1), der Täuschungsgefahr (§49 Abs.2 Nr.2) und des Wegfalls der Markenrechtsfähigkeit (§49 Abs.2 Nr. 3) sei das öffentliche Interesse an der Löschung einer Marke wegen Nichtbenutzung nicht so groß, daß eine privatautonome Regelung ausgeschlossen sei. 197 Eine derartige Unterscheidung der Zulässigkeit der exceptio pacti je nach betroffenem Verfallsgrund schafft sozusagen ein Stufenverhältnis der Verfallsgründe in § 49 MarkenG: Das öffentliche Interesse an der Durchsetzung der Verfallsgründe in § 49 Abs. 2 wird als deutlich über demjenigen an der Durchsetzung des Verfallsgrundes der Nichtbenutzung in § 4 9 Abs. 1 MarkenG eingestuft. Für eine derartige Unterscheidung gibt jedoch weder der Wortlaut noch der Zweck des Gesetzes Anlaß. Vielmehr spielt § 49 Abs. 1 MarkenG im System des Gesetzes eine eminent wichtige Rolle, da diese Vorschrift die Sanktion bei Verstößen gegen den in § 26 geregelten Benutzungszwang darstellt. Dieser wiederum gehört zu den wesentlichen Grundsätzen des Markenrechts. Er dient als Korrektiv des zunächst nur die formal richtige Eintragung voraussetzenden Markenschutzes 198 und soll dazu beitragen, das Register von unbenutzten Marken freizuhalten, um anderen Unternehmern die Möglichkeit zu geben, diese oder ähnliche Zeichen selbst zu benutzen oder für sich eintragen zu lassen. 199 Diese Reinigung des Registers durch den mit der Löschungsklage bewehrten Benutzungszwang hat auch eine gemeinschaftsrechtlichen Bedeutung, da sie die Anzahl möglicher Markenkonflikte innerhalb der EG verringern soll. 200 19i Fezer, Markenrecht, § 55 Rn. 22f.; ähnlich zum Warenzeichengesetz Jackermeier, a.a.O. 154f., der allerdings zusätzlich noch eine Interessenabwägung im Einzelfall vornehmen will. 197 Fezer, ebd. R n . 2 3 . 198 Ingerl/Robnke, MarkenG, § 2 6 R n . 7 . 1 9 9 BGH 2 4 . 1 1 . 1 9 9 9 , GRUR 2 0 0 0 , 890, 891 m.w.N. 2 0 0 BGH 1 7 . 5 . 2 0 0 1 , GRUR 2 0 0 2 , 59, 63; vgl. die 8. Begründungserwägung der Ersten Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (89/104/EWG) v. 2 1 . 1 2 . 1988, ABl. EG L 40/1 v. 1 1 . 2 . 1989; dazu Ströbele/Hacker, MarkenG, § 2 6 R n . 6 : Europarechtliche Vorgaben »bedingen eine konsequente Handhabung der Vorschriften über den Benutzungszwang, um die Konflikte zwischen Marken zu verringern und damit den freien Warenverkehr möglichst wenig zu behindern.«
II. Populär- und Verbandsklage gemäß §55
MarkenG
85
Vor dem Hintergrund dieser erheblichen Bedeutung des Benutzungszwangs ist nicht nachvollziehbar, warum das öffentliche Interesse an der Löschung unbenutzter M a r k e n geringer sein soll als z.B. die Löschung solcher M a r k e n , deren Inhaber etwa durch Insolvenz weggefallen ist ( A r t . 4 9 A b s . 2 Nr. 3 M a r k e n G ) . In beiden Fällen geht es schlicht darum, den Wirtschaftssubjekten die Möglichkeit zurückzugeben, die betreffende M a r k e für ihre Z w e c k e zu verwenden. Daher ist im Hinblick auf die Wirkung von Nichtangriffsabreden nicht zwischen den Verfallsgründen des § 4 9 M a r k e n G zu unterscheiden. Für alle Verfallsgründe gilt das hier ebenso wie im Patentrecht gefundene Ergebnis, daß die Inhaber der Popularklageberechtigung diese nicht aufgeben können.
c)
Klagerücknahme
Ebenso wie bei der Patentnichtigkeitsklage k a n n auch die Klage gemäß § 5 5 Abs. 2 M a r k e n G grundsätzlich zurückgenommen w e r d e n . 2 0 1 Im Gegensatz zum Patentrecht fehlen hier allerdings Aussagen von Rechtsprechung oder Schrifttum darüber, o b diesbezüglich die allgemeinen Regeln in § 2 6 9 Z P O anwendbar sind oder o b abweichend davon die Klagerücknahme in jeder Lage des Verfahrens auch ohne Einwilligung des Beklagten möglich ist. N i m m t m a n die dazu im Patentrecht angeführte Begründung des Bundesgerichtshofs ernst, w o n a c h der Kläger nie dazu gezwungen werden könnte, das öffentliche Interesse an der Nichtigerklärung des Patents w a h r z u n e h m e n , 2 0 2 so müßte dies sinngemäß auch für die markenrechtliche Löschungsklage gelten.
d) Klageverzicht
und
Anerkenntnis
Auch die Fragen nach der Möglichkeit von Klageverzicht und Anerkennung werden im Hinblick auf die markenrechtliche Löschungsklage nicht erörtert. Aufgrund der ähnlichen Struktur ist man aber auch hier geneigt, Parallelen zum Patentrecht zu ziehen. D a n a c h wäre ein Klageverzicht mangels Dispositionsbefugnis unmöglich, ein Anerkenntnis des Beklagten dagegen schon. Wie das Patent vermittelt auch die eingetragene M a r k e ihrem Inhaber eine eigentumsähnliche subjektiv-rechtliche Rechtsposition, 2 0 3 die freiwillig wieder aufgegeben werden kann. Letzteres wird belegt durch die in § 4 8 M a r k e n G geregelte Möglichkeit des Verzichts auf die M a r k e durch Erklärung gegenüber dem Patentamt. Die Verzichtserklärung eignet sich besonders für die Beendigung eines LöschungsverfahDies setzen als selbstverständlich voraus Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 55 Rn. 14. BGH 22.6. 1993, GRUR 1993, 895. 2 0 3 Dazu Fezer, Markenrecht, Einl. MarkenG Rn. 22: Marke als »subjektives Ausschließlichkeitsrecht«, das anderen geistigen Eigentumsrechten gleichwertig sei (ebd. Rn. 18). Ebenso Ingerl/Rohnke, MarkenG, Einl. Rn. 1: Das Recht des Markeninhabers sei »weitgehend dem sachenrechtlichen Eigentum angenähert.« 201
202
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2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
rens, da sie nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht erst mit der Löschung der Marke im Register wirksam wird, sondern unmittelbar mit Abgabe der Verzichtserklärung. 204 Die Verzichtserklärung wirkt also noch stärker als ein etwaiges Anerkenntnis, da sie den Markenschutz sofort beseitigt, während das Anerkenntnis der Löschungsklage nur die Einwilligung in die noch durchzuführende Löschung beinhaltet. Daher spricht nichts dagegen, ein Anerkenntnis des Beklagten als für diesen gegebenenfalls kostengünstigere 205 Alternative zuzulassen. e) Vergleich Nichts anderes gilt für die Möglichkeit eines Vergleichs bei der markenrechtlichen Löschungsklage. Er ist nach dem oben zum Patentrecht Gesagten möglich, soweit die Dispositionsbefugnis der Parteien reicht. Die nach der hier vertretenen Auffassung jedenfalls prozessual unbeachtliche Nichtangriffsabrede wird nicht dadurch wirksamer, daß sie in einem Vergleichsvertrag enthalten ist. Der Inhalt des Markenrechts kann durch Vereinbarung der Parteien nicht verändert werden, denn dies wäre mit dem Eintragungsprinzip des § 4 Nr. 1 MarkenG unvereinbar. Allerdings kann der Markeninhaber als Teil eines Vergleichs nach den oben dargestellten Regeln auf die Marke verzichten. 6. Unzulässige R e c h t s a u s ü b u n g Bereits zur Frage der Nichtangriffsabrede wurde oben ausgeführt, daß das Reichsgericht gegenüber der seinerzeit zeichenrechtlichen Löschungsklage keinerlei Einwendungen zuließ, die sich auf das Vorverhalten des Klägers stützen. 206 Daher war auch der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung unbeachtlich, mochte er auch in seinen Varianten der Verwirkung oder des Vorwurfs sittenwidrigen oder schikanösen Handelns erhoben werden. Das Reichsgericht stützte sich dabei auf die Vorstellung, daß der Popularkläger das Allgemeininteresse an der Löschung verfallener Warenzeichen vertrete und daher »insoweit nicht sittenwidrig handeln« könne. 2 0 7 Der Bundesgerichtshof führte diese Rechtsprechung zunächst fort und entschied, daß jedenfalls bei einer auf den Verfallsgrund der Täuschungsgefahr gestützten Löschungsklage aufgrund des öffentlichen Interesses an der Löschung der Einwand der Verwirkung unbeachtlich sei. 208 Auch der ansonsten im Wett204
BGH 19.10. 2000, GRUR 2001, 337, 339. 205 g e j e ; n e m Anerkenntnisurteil kommt die Ermäßigung der Verfahrensgebühr gemäß Nr. 1211 Ziffer 2 KV in Betracht. 206 RG 17.4. 1928, RGZ 120, 402, 405. 207 RG 21.10. 1924, RGZ 109, 73, 77. 208 BGH 22.2. 1952, GRUR 1952, 577, 582; BGH 31.5. 1960, GRUR 1960, 563, 566.
II. Populär- und Verbandsklage gemäß §55
MarkenG
87
bewerbsrecht relevant Einwand der unclean hands sei bei der zeichenrechtlichen Löschungsklage aufgrund des überwiegenden öffentlichen Interesses an der Löschung irrelevant. 2 0 9 Allerdings lassen sich jüngere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs als Abkehr von dieser Linie deuten, da in ihnen zumindest die theoretische Möglichkeit angedeutet wird, daß einer markenrechtliche Löschungsklage der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenstehen k ö n n t e . 2 1 0 Im markenrechtlichen Schrifttum sind die Auffassungen zur Möglichkeit einer derartigen Einwendung geteilt. Einige Autoren bejahen jedenfalls »im Einzelfall« die Möglichkeit von auf das Vorverhalten des Klägers bezogenen Einwendungen. 2 1 1 Andere lehnen dies a b und warnen gerade vor einer einzelfallbezogenen Abwägung. Diese sei im Ergebnis schwer vorhersehbar und relativiere letztlich die Wirksamkeit der Popularklageberechtigung. 2 1 2 Dieser Verweis auf die Gefährdung
der mit Gewährung
der Popularklageberechtigung
verfolgten
Z w e c k e erscheint überzeugend. D e r Rechtsprechung des Reichsgerichts ist hier zwar nicht in der Begründung, wohl aber im Ergebnis beizutreten. Hinsichtlich der Begründung ist es eine unnötige Fiktion, den Löschungskläger als sozusagen gesichtslosen Agenten des Allgemeininteresses darzustellen, dem aufgrund dieser Gesichtslosigkeit sein früheres Verhalten nicht vorgehalten werden könne. Entscheidend ist hier ebenso wie bei der patentrechtlichen Popularklage, daß der Gesetzgeber die Popularklageberechtigung zur effektiven Durchsetzung des objektiven Rechts in dem jeweils fraglichen Bereich geschaffen hat. Dieser Z w e c k darf durch das Handeln einzelner potentieller Kläger, das etwa als Verwirkung oder Schikane gedeutet werden könnte, nicht gefährdet werden. Daher überwiegt hier das öffentliche Interesse an der Durchsetzung des objektiven Rechts gegenüber der Berufung auf ein widersprüchliches oder zu mißbilligendes Verhalten einzelner Kläger.
7.
Sachverhaltsermittlung
Im Gegensatz zur Patentnichtigkeitsklage, bei der der Untersuchungsgrundsatz gilt, schweigt der Gesetzgeber bei der markenrechtlichen Löschungsklage hinsichtlich der Frage der Sachverhaltsermittlung. Der Untersuchungsgrundsatz ist explizit nur für die Verfahren vor dem Patentamt (§ 5 9 Abs. 1 M a r k e n G ) und vor dem Patentgericht (§ 7 3 Abs. 1 M a r k e n G ) vorgesehen; die Löschungsklage nach
Nachweise bei Jackermeier, a.a.O. Fn. 837. BGH 24.10. 1985, GRUR 1986, 315, 316 (Fälle »rechtsmißbräuchlicher Klageerhebung« denkbar, im konkreten Fall jedoch nicht gegeben); ähnlich BGH 20.3. 1997, GRUR 1997, 747, 748. 211 So bei v. Schultz/Stuckel, Markenrecht, §55 Rn. 6; ähnlich Fezer, Markenrecht, §55 Rn. 5a; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren 230f.; Jackermeier, a.a.O. 148 (letzterer für Interessenabwägung im Einzelfall). 212 Ingerl/Rohnke, MarkenG, §55 Rn.13. 209 210
88
2. Kapitel: Populär- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
§ 55 MarkenG wird aber vor den ordentlichen Gerichten erhoben. Für diese sogenannten »Kennzeichenstreitsachen« vor den ordentlichen Gerichten normiert das Markengesetz nur vereinzelte Zuständigkeits- und Verfahrensregeln in §§ 140-142 MarkenG, die sich aber nicht mit der Sachverhaltsermittlung befassen. Aus diesem Schweigen des Gesetzgebers wird im Schrifttum gefolgert: »Im übrigen gelten die allgemeinen Bestimmungen für das streitige Verfahren vor den Zivilgerichten, insbesondere ZPO und GVG.« 2 1 3 Damit soll für die Löschungsklage abweichend von der Patentnichtigkeitsklage auch der Verhandlungsgrundsatz gelten. Es ist zweifelhaft, ob die Materie des Markenrechts sich diesbezüglich so stark vom Patentrecht unterscheidet, daß diese Abweichung sachlich gerechtfertigt ist. Insbesondere paßt die zu § 87 Abs. 1 PatG gegebene Begründung, daß nämlich wegen des öffentlichen Interesses an der Streitsache die Beibringung des Tatsachenstoffs nicht den Parteien überlassen bleiben dürfe, 214 ebenso gut auf das Verfahren gemäß § 55 MarkenG - man denke nur an den Verfall einer Marke wegen Täuschungsgefahr. Allerdings zwingt der Umkehrschluß aus der expliziten Anordnung des Untersuchungsgrundsatzes in §§ 59 und 73 MarkenG wohl nach geltendem Recht dazu, für das Verfahren vor den ordentlichen Gerichten die allgemeinen Regeln des Zivilprozesses anzuwenden. Dieser Unterschied zur patentrechtlichen Nichtigkeitsklage darf jedoch nicht überbewertet werden. Es ist nämlich für das Markenrecht kennzeichnend, daß wichtige Begriffe des Markengesetzes nicht als Tatsachenfrage, sondern als Rechtsfrage angesehen werden. So wird etwa die in § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG vorausgesetzte Unterscheidungskraft der Marke als Rechtsfrage angesehen, »die anhand allgemein bekannter Tatsachen zu entscheiden« sei. 215 Der Verhandlungsgrundsatz spielt daher für die Prüfung dieses Tatbestandsmerkmals ohnehin keine Rolle. Nichts anderes kann für die gemäß §§55 Abs. 2 Nr. 1, 49 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG mit der Popularklage geltend zu machenden Verfallsgründe der Entwicklung zu einer Gattungsbezeichnung oder der Täuschungsgefahr gelten. Beide setzen die Feststellung der einschlägigen Verkehrsauffassung und damit ein Stück Sozialempirie als Teil der richterlichen Rechtsfindung voraus. 216 Es ist daher etwas verkürzt, wenn in der Literatur pauschal behauptet wird, daß der Kläger die Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Verfallsgrunds trage. 217 Dies kann nur für Einzeltatsachen gelten, nicht aber für den sozialempirischen Hintergrund, vor dem etwa ein Urteil über die Täuschungsgefahr der Marke zu fällen ist. Dieses Problem wird im Verlauf der
2,3 214 215 2,6 217
Ebd. § 140 Rn. 1; Ströbele/Hacker, MarkenG, § 140 Rn.4. Liedel, Das deutsche Patentnichtigkeitsverfahren 17. Ekey/Klippel, Markenrecht, § 8 MarkenG Rn. 14. Ströbele/Hacker, MarkenG, § 8 Rn.439 und 548. Ströbele/Hacker, MarkenG, § 55 Rn. 16; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 55 Rn. 12.
89
III. Verbandsklage gemäß §8 UWG
Untersuchung unter dem Stichwort » N o r m t a t s a c h e n « noch eingehend erörtert werden.218 Zumindest k o m m e n dem Kläger erhebliche Beweiserleichterungen zu G u t e . 2 1 9 Dies gilt namentlich für den Beweis solcher Tatsachen, die dem Beklagten ohne weiteres, dem Kläger aber nur schwerlich zugänglich sind. Insoweit wendet die Rechtsprechung hier die im Lauterkeitsrecht entwickelten Grundsätze über die Darlegungs- und Beweislast a n . 2 2 0
8. Kosten Aus der Geltung der Z P O für das kennzeichenrechtliche Verfahren vor den ordentlichen Gerichten folgt auch die Anwendung der allgemeinen Regeln über die Kostenverteilung. Allerdings ist für diese Verfahren gemäß § 1 4 2 M a r k e n G ähnlich wie in § 1 4 4 P a t G die Möglichkeit einer Streitwertherabsetzung vorgesehen.
9. Verjährung Gegen eine Löschungsklage gemäß § 5 5 Abs. 2 M a r k e n G kann die Einrede der Verjährung nicht erhoben w e r d e n . 2 2 1 Dieses Ergebnis wird mit dem »andauernden Störungszustand« 2 2 2 begründet, der sich daraus ergibt, daß die angegriffene M a r k e sich weiterhin im Register befindet. Die Verjährung könnte erst mit dem Wegfall dieser Störung, d.h. der Eintragung beginnen. D a m i t entfielen jedoch zugleich die Voraussetzungen der Löschungsklage gemäß § 5 5 M a r k e n G . 2 2 3
III.
Verbandsklage
gemäß
§8
UWG
1. Sachlicher Anwendungsbereich Bereits die 1 8 9 6 erlassene erste Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs enthielt im damaligen § 1 Absatz 1 Satz 2 eine Verbandsklageberechtigung für »Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen«. M i t der U W G - N o v e l l e des J a h r e s 1 9 6 5 wurde hinsichtlich bestimmter Gesetzesverstöße auch Verbraucherschutzverbänden die Klagekompetenz zuerkannt. Diese war zunächst noch beschränkt auf solche Verstöße, die »wesentliche Belange der Verbraucher« betrafen. D a m i t wurde eine künstlich anmutende Unterscheidung zwischen verschiedenen Typen von Gesetzesverstößen etabliert und verkannt, 218 219 220 221 222 223
Siehe unten, S. 341 ff. Dazu Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 55 Rn. 12 m.w.N.; Jackermeier, a.a.O. 110ff. OLG Köln 3.4. 1987, GRUR 1987, 530, 532. So zum Warenzeichengesetz bereits RG 10.2. 1899, GRUR 1902, 56. Ströbele/Hacker, MarkenG, §55 Rn.45. Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 55 Rn. 37.
90
2. Kapitel: Populär-
und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
daß jede Beeinträchtigung des Wettbewerbs auf einem bestimmten Markt die Interessen der auf diesem Markt tätigen Verbraucher berührt. 224 Diese sachlichen Beschränkungen der Klagekompetenzen der einzelnen Verbände wurden mit der Neufassung des UWG 2004 abgeschafft. Nunmehr kann jeder der in § 8 Abs. 3 UWG aufgeführten Verbände jeden Verstoß gegen die Generalklausel des § 3 UWG rügen. Allerdings fungierte das Merkmal der »wesentlichen Belange der Verbraucher« auch als Grenze der Verbandsklagekompetenz bei Bagatellverstößen. So hielt etwa der Bundesgerichtshof eine verbraucherschützende Verbandsklage für unbegründet, die sich gegen Preisdarstellungen in Zeitungsanzeigen für Billigflüge richtete. Zwar lag hier auch nach Ansicht des Bundesgerichtshofes ein Verstoß gegen die Preisangabenverordnung vor, da Steuern und Gebühren nur kleingedruckt ausgewiesen waren und die wirklichen Endpreise nicht angegeben waren. Trotzdem seien die »wesentlichen Belange der Verbraucher« nicht berührt gewesen, da der »verständige Durchschnittsverbraucher« sich ohne weiteres den Gesamtpreis der angebotenen Flüge errechnen konnte und es sich daher nur um einen Bagatellverstoß handele. 225 Bagatellsachen sind im neuen UWG jedoch bereits gemäß § 3 UWG aus dem Tatbestand des unlauteren Wettbewerbshandelns ausgeschieden, so daß für eine besondere Begrenzung der Populär- und Verbandsklagekompetenzen in § 8 UWG keine Notwendigkeit mehr besteht. 226 Allerdings wird in der Literatur die Auffassung vertreten, daß die Ergebnisse der Anwendung der neuen »Bagatellklausel« weitgehend denjenigen der alten Formulierung der »wesentlichen Belange der Verbraucher« entsprechen. 227 Trotz dieses Ausschlusses von Bagatellsachen ist der Anwendungsbereich der lauterkeitsrechtlichen Verbandsklagen recht weit. Er umfaßt neben der Generalklausel des § 3 UWG auch die in § § 4 - 7 UWG aufgeführten Beispielstatbestände unlauteren Wettbewerbs. Zu diesen gehört auch die nunmehr in § 4 Nr. 11 UWG kodifizierte Fallgruppe des Vorsprungs durch Rechtsbruch, mit deren Hilfe unter bestimmten Umständen auch der Verstoß gegen außerhalb des UWG befindliche Normen als Verstoß gegen § 3 UWG gewertet werden kann. 2 2 8 Aufgrund 224
Kritisch zu diesen Beschränkungen des alten U W G Beater, Unlauterer Wettbewerb 7 9 8 . B G H 1 5 . 1 . 2 0 0 4 , G R U R 2 0 0 4 , 4 3 5 , 4 3 6 . Kritisch zu vergleichbaren Fällen bereits Micklitz, in: Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz 8 7 , 1 0 5 : Die »wesentlichen Belange der Verbraucher« wirkten hier als »Guillotine« und unterbinden die Verfolgung gerichtlich festgestellter Rechtsverstöße. 226 Vgl. die Begründung zum neuen U W G , BT-Drs. 15/1487, 23. 227 Köhler, G R U R 2 0 0 5 , 1, 8. 228 Z u dieser Fallgruppe siehe zuletzt Zeppernick, Vorsprung durch Rechtsbruch im Spannungsfeld zwischen K o n k u r r e n t e n s c h u t z und Popularklage; Doepner, G R U R 2 0 0 3 , 8 2 5 ff.; Köhler, G R U R 2 0 0 4 , 381 ff.; eine zusammenfassende Darstellung der Rechtsprechung vor Inkrafttreten des neuen U W G findet m a n bei Micklitz, in: Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz 87, 89ff. 225
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HI. Verbandsklage gemäß § 8 UWG
dieser Weite des Lauterkeitsrechts ist der Anwendungsbereich des § 8 U W G im Verhältnis zu den Klagekompetenzen des § 3 3 G W B und jenen des Unterlassungsklagengesetzes nicht eindeutig abgegrenzt. Im Hinblick auf das Kartellrecht wird in der Literatur behauptet, dieses enthalte eine
abschließende
Regelung der Sanktionen für kartellrechtswidriges Verhalten. 2 2 9 Das würde bedeuten, daß ein Verstoß gegen N o r m e n des G W B nicht gleichzeitig mit der lauterkeitsrechtlichen Verbandsklage bekämpft werden könnte. Die Rechtsprechung hat aber eine derartig strikte Abgrenzung bisher nicht vorgenommen, sondern sie ermöglicht auch bei Verstößen gegen das G W B ein Vorgehen nach lauterkeitsrechtlichen R e g e l n . 2 3 0 Selbst die Literaturmeinung, die G W B und U W G bei der Sanktionierung strikt trennen möchte, konzediert, daß es Wettbewerbshandlungen gibt, die zugleich einen Verstoß gegen das Lauterkeits- und das Kartellrecht darstellen und dementsprechend Sanktionen nach beiden Rechten auslösen k ö n n e n . 2 3 1 So soll etwa bei einer gezielten Behinderung eines M i t b e werbers durch ein marktbeherrschendes Unternehmen gleichzeitig der Tatbestand des § 2 0 Abs. 4 G W B und der des § 4 Nr. 1 0 U W G erfüllt sein. 2 3 2 Letztlich sprechen aber die besseren Argumente dafür, im Grundsatz auch Verstöße gegen N o r m e n des G W B unter § 4 Nr. 11 U W G zu fassen. Z w e c k dieser N o r m ist es ja, die Fallgruppe des Vorsprungs durch Rechtsbruch dadurch zu ordnen, daß man nur eine bestimmte Kategorie von Rechtsbrüchen für lauterkeitsrechtlich relevant erklärt. Dabei soll es sich nach dem Gesetzeswortlaut um Verstöße gegen N o r m e n handeln, die »im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten regeln.« Genau dies ist der Gegenstand des Kartellrechts, indem es »normiert, welche Wettbewerbsbeschränkungen verboten [...] s i n d « 2 3 3 und damit zur Funktionsfähigkeit der M a r k t w i r t s c h a f t beitragen soll. D e m könnte man allenfalls das systematische Argument entgegenhalten, daß das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen eine gänzlich abschließende Regelung der Sanktionen für Kartelle und andere Verstöße schaffe. 2 3 4 Dies wird aber auch nicht im Verhältnis zum Bürgerlichen Gesetzbuch oder anderen privatrechtlichen Vorschriften angenommen. So wird etwa § 3 3 G W B zwar als lex specialis zu § 8 2 3 Abs. 2 B G B und - soweit es um Eingriffe in den Gewerbebetrieb geht -
Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, §4 UWG Rn. 11.12 m.w.N. BGH 21.2. 1978, GRUR 1978, 445, 446 (Verletzung einer Verbotsnorm des GWB ist gleichzeitig unlauterer Wettbewerb gemäß §1 UWG a.F.); ebenso BGH 6.10. 1992, GRUR 1993, 137, 139; zustimmend zu dieser Rechtsprechung Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht 525, die darüber hinaus auch bei Verstößen gegen Art. 81, 82 EGV lauterkeitsrechtliche Ansprüche für möglich halten. 231 Köhler, GRUR 2004, 381, 387. 2 3 2 Hefermehl/KöMer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 4 UWG Rn. 10.18; Immenga/Mestmäcker/Markert, GWB, §20 Rn.244. 2 3 3 ImmengaIMestmäcker, GWB, Einl. Rn. 1. 2 3 4 So wohl Köhler, GRUR 2004, 381, 387: Kartellrecht stelle »ausreichende zivilrechtliche Sanktionen bereit«. 229 230
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2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden Recht
auch zu § 8 2 3 Abs. 1 B G B angesehen, nicht aber als Ausschluß anderer zivilrechtlicher Sanktionsmöglichkeiten. Insbesondere § 8 2 6 B G B und andere Deliktstatbestände »innerhalb und außerhalb des B G B « bleiben unberührt. 2 3 5 Daher spricht nichts dagegen, bei Kartellrechtsverstößen auch die Rechtsfolgen des U W G anzuwenden, soweit deren tatbestandliche Voraussetzungen vorliegen. 2 3 6 Dasselbe gilt auch für das Verhältnis zwischen dem sachlichen Anwendungsbereich des Unterlassungsklagengesetzes und dem Lauterkeitsrecht. Vereinzelt wird allerdings die Auffassung vertreten, daß zumindest § 1 U K l a G eine abschließende Regelung für die Sanktionierung der Verwendung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen darstelle. Das System der A G B - K o n t r o l l e sei ein »eigenständiges und in sich geschlossenes Rechtsschutzsystem«, so daß das Wettbewerbsrecht auch dann »zurücktrete«, wenn die verletzte N o r m durchaus einen Bezug zum Wettbewerbsrecht aufweise. 2 3 7 Die überwiegende Meinung in der Literatur hält jedoch weder § 1 noch § 2 U K l a G für abschließend, so daß über das Einfallstor des § 4 Nr. 11 U W G sowohl die Verwendung unwirksamer allgemeiner Geschäftsbedingungen als auch der Verstoß gegen Verbraucherschutzgesetze im Sinne des § 2 U K l a G gemäß § 8 U W G sanktioniert werden könn e n . 2 3 8 Für die Verbandsklagekompetenzen macht dies k a u m einen Unterschied, da sich insoweit die Regelungen des Unterlassungsklagengesetzes und des Lauterkeitsrechts weitgehend gleichen. Der wesentliche Unterschied liegt aber in der im Unterlassungsklagengesetz fehlenden Klagebefugnis der Mitbewerber. Warum diese jedoch einen Wettbewerbsvorsprung durch Verwendung unwirksamer Geschäftsbedingungen dulden sollen, ist nicht einzusehen. Das System der A G B Kontrolle im Unterlassungsklagengesetz ist eben gerade diesbezüglich nicht abschließend, da es die Interessen der M i t b e w e r b e r gänzlich ignoriert. Allerdings sollen in umgekehrter Hinsicht Verstöße gegen das Lauterkeitsrecht nach Auffassung des Gesetzgebers nur gemäß § 8 U W G verfolgbar sein und nicht etwa auch als Verstoß gegen »Verbraucherschutzgesetze« im Sinne des § 2 U K l a G . Insoweit sei - so die Gesetzesbegründung zum neuen U W G - § 8 U W G eine abschließende Regelung, was sich aus § 8 Abs. 5 Satz 2 U W G e r g e b e . 2 3 9 Ausgenommen von der Verbandsklagekompetenz des § 8 U W G sollen nach einer im Schrifttum vertreten Ansicht jedoch Fälle sein, bei denen der Wettbewerbsverstoß ausschließlich Interessen eines bestimmten Mitbewerbers berührt;
Immenga/Mestmäcker/Emmerich, GWB, §33 Rn.61. Ebenso Langen/Bunte/Bornkamm, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, §33 GWB Rn.51. 237 Ullmann, GRUR 2003, 817, 823 Fn.59. 2 3 8 Palandt/Bassenge, BGB, § 1 UKlaG Rn.2; Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, §4 UWG Rn. 11.17; ebenso bereits zum AGB-Gesetz Münchener Kommentar BGB/ Micklitz, % 13 AGBG Rn. 162; Bernreuther, WRP 1998, 280, 282ff. 2 3 9 BT-Drs. 15/1487, 23 und 43; zustimmend Fezer/Büscher, UWG, §8 Rn.247; Walker/ Stomps, ZGS 2004, 336, 338. 235
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III. Verbandsklage gemäß §8 UWG
93
mangels Allgemeininteresse soll dann nur dieser Betroffene klagen k ö n n e n . 2 4 0 Diese Einschränkung ist aber mit dem Wortlaut von § 8 U W G k a u m vereinbar. Sie ist auch nicht im Sinne einer teleologischen Reduktion gerechtfertigt, da jede Beeinträchtigung des Wettbewerbs dessen Funktion und damit die Interessen der Verbraucher gefährdet. Diese Gewährleistung der Funktionen des Wettbewerbs ist der allgemein anerkannte Z w e c k der im U W G enthaltenen Verbandsklagekompetenzen. Diese sollen das kollektive Interesse an einem funktionierenden Wettbewerb schützen und Defizite bei der Durchsetzung des objektiven Lauterkeitsrechts kompensier e n . 2 4 1 Ähnlich wie bei den patent- und markenrechtlichen
Popularklagen
h o b die Rechtsprechung schon früh hervor, daß die lauterkeitsrechtliche Verbandsklage dem Allgemeininteresse an der Durchsetzung des Lauterkeitsrechts dient: Die Berechtigung zur Klage aus § 13 [UWG] beruht auf dem Gedanken, daß die Unterlassungsklage, die an sich nur den Konkurrenten schützen soll, in Wahrheit doch - wie das ganze Wettbewerbsgesetz - den Auswüchsen des Wettbewerbs auch im öffentlichen Interesse entgegentreten und daher die Verfolgung der betreffenden Rechtsverletzungen nicht dem Belieben des unmittelbar Verletzten allein überlassen will. 2 4 2 In ihrem Aspekt der Durchsetzung des objektiven Rechts und als Reaktion auf ein »Verfolgungsdefizit« 2 4 3 erscheint die lauterkeitsrechtliche Verbandsklage daher ebenso wie bereits die römisch-rechtlichen Popularklagen als Alternative zur obrigkeitlichen K o n t r o l l e . 2 4 4 Schon das Reichsgericht sah die lauterkeitsrechtliche Verbandsklage als Wahrnehmung »gewissermaßen polizeilicher Befugnisse [...] auf dem Gebiet des Wettbewerbs sowohl im Interesse der Allgemeinheit wie auch in dem der M i t b e w e r b e r für die Reinhaltung des geschäftlichen Verkehrs Sorge zu t r a g e n . « 2 4 5
2.
Akteure
Die Klageberechtigung aus § 8 Abs. 3 U W G steht neben den in Nr. 1 dieser Vorschrift genannten individuellen Konkurrenten den in Nr. 2 bis 4 genannten Institutionen zu. Es handelt sich also nicht um eine unbeschränkte Popularklage wie
Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 8 UWG Rn.3.5f. m.w.N. Vgl. nur Köhler/Piper, UWG, § 13 Rn.3: Verbandsklageberechtigungen sollen Wettbewerbsverstöße »möglichst rasch, effektiv und umfassend abwehren«. Ausführlich zu den diesbezüglich möglichen Sanktionierungssystemen Beater, Unlauterer Wettbewerb 13 ff. 2 4 2 RG 24.1. 1928, RGZ 120, 47, 49. 243 Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren 139. 2 4 4 Vgl. Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 8 UWG Rn. 3.1: Die zivilrechtliche Durchsetzung des Wettbewerbsrechts habe sich bewährt. Vgl. zur Alternative zwischen behördlicher und zivilrechtlicher Kontrolle bereits Damm, ZRP 1978, 167ff. 2 4 5 RG 5.6. 1935, RGZ 148, 114, 125. 240 241
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2. Kapitel:
Popular-
und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
in den zuvor erörterten Fällen des Patent- und Markenrechts. Hinsichtlich der Konkurrentenklage ist der Kreis der Klageberechtigten im neuen U W G radikal verkleinert worden. Gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 1 U W G a.F. reichte es noch aus, daß der klagende Unternehmer »auf demselben Markt« tätig war, wobei dieser Begriff weit interpretiert wurde. Eine tatsächlich nachgewiesene Konkurrenz zwischen Kläger und Beklagtem war nicht erforderlich, sondern ein »abstraktes Wettbewerbs Verhältnis« sollte ausreichen. 2 4 6 Nach einer Auffassung in der Literatur konnte daher sogar ein Bäckermeister in Konstanz gegen einen Bäckermeister in Marburg klagen. 2 4 7 Damit war das private Interesse des Mitbewerbers in § 13 A b s . 2 Nr. 1 U W G a.F. im Grunde irrelevant und nur noch »Aufhänger des Verfahrens.« 2 4 8 Die Klagebefugnis des nur abstrakt betroffenen Mitbewerbers wurde ebenso wie die Verbandsklage als Instrument der Wahrung des Allgemeininteresses angesehen. 2 4 9 Das neue U W G hat dieses Instrumente der abstrakten Konkurrentenklage jedoch aufgegeben. Die heute gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 U W G klageberechtigten »Mitbewerber« sind nur noch solche Unternehmen, die mit dem Beklagten in einem »konkreten Wettbewerbsverhältnis« stehen, wie es die Definition des § 2 Abs. 1 Nr. 3 U W G verlangt. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollen damit im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage Klagen von »nur abstrakt betroffenen Mitbewerbern« nicht mehr möglich sein. 2 5 0 Diese hätten »kein schutzwürdiges Eigeninteresse an der Geltendmachung von Abwehransprüchen, da ihnen die Möglichkeit offen steht, einen anspruchsberechtigten Wirtschafts- oder Verbraucherverband zur Bekämpfung des Wettbewerbsverstoßes einzuschalten.« 2 5 1 Das neue U W G setzt also noch stärker als sein Vorgänger auf eine Monopolisierung der Klageberechtigung bei bestimmten Institutionen. Die sachlichen Gründe für diese Monopolisierung sind jedoch nicht leicht zu ermitteln. Der Bundesgerichtshof erklärt die Beschränkung auf bestimmte Institutionen damit, daß z.B. im Hinblick auf den Verbraucherschutz nur solche Verbände klageberechtigt sein sollen, »die geeignet sind, die Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs zum Schutze der Verbraucher zu übernehmen.« 2 5 2 Es ist aber nicht einsichtig, was die im Gesetz geforderten Voraussetzungen mit dieser Eignung zu tun haben sollen. In § 4 UKlaG, auf den § 8 Abs. 3 Nr. 3 U W G hinsichtlich der an die Ver-
Großkommentar YWGIErdmann, § 13 R n . 3 3 m.w.N. So noch das Beispiel bei Hadding, J Z 1970, 3 0 5 ; einschränkend jedoch Großkommentar UWG/Erdmann, § 13 Rn. 37: Zwischen einem Einzelhändler in Flensburg und einem in Frankfurt bestehe nicht einmal ein abstraktes Wettbewerbsverhältnis. 2 4 8 So zu § 13 UWG a.F. bereits E. Schmidt, Der Zweck des Zivilprozesses und seine Ökonomie 30. 2 4 5 Großkommentar XYNGIErdmann, § 13 R n . 6 und 42. 2 5 0 BT-Drs. 15/1487, 22. 2 5 1 Ebd. 2 5 2 BGH 3 0 . 6 . 1972, GRUR 1973, 78, 79. 246
247
III.
Verbandsklage
gemäß
§ 8 UWG
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bände zu stellenden Anforderungen verweist, wird eine bestimmte Größe des Verbands sowie ein bestimmter Inhalt der Satzung gefordert. Beides hat aber nichts mit der Qualität oder Effektivität der Bekämpfung unlauteren Verhaltens zu tun; dazu müßte man vielmehr auf den Apparat und die Qualifikation des Personals des jeweiligen Verbands abstellen. Über den heutigen Gesetzeswortlaut hinaus fordern sowohl die Rechtsprechung als auch die herrschende Meinung im Schrifttum, daß nur solche Verbraucherverbände klagebefugt sein sollen, die nicht nur forensisch tätig sind, sondern auch eine ausreichende Aufklärungs- und Beratungstätigkeit zu Gunsten der Verbraucher entfalten. 2 5 3 Auch diese Voraussetzung hat bei Lichte betrachtet nichts mit der Qualifikation solcher Verbände zur Bekämpfung rechtswidrigen Verhaltens durch Erhebung von Unterlassungsklagen zu tun. Zwar behauptet die Rechtsprechung, daß nur in dieser Weise aufklärende und beratend tätige Verbände zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs per Unterlassungsklage »geeignet« seien. 2 5 4 Genauso gut könnte man jedoch das Gegenteil annehmen: Gerade ein Verein, der sich ausschließlich auf Abmahnungen und anschließende Unterlassungsklagen konzentriert und spezialisiert, könnte zur Bekämpfung rechtswidrigen Verhaltens einiges beitragen. Daher wird in der Literatur mit Recht die Meinung vertreten, daß auch die bloße Abmahn- und Klagetätigkeit einen Verband ausreichend qualifizieren kann. 2 5 5 Demgegenüber beharrt jedoch auch die jüngere Rechtsprechung auf dem Standpunkt, daß ein bloß abmahnender Verband die Voraussetzungen des § 4 UKlaG nicht erfülle. 2 5 6 In der Literatur wird dies dahingehend erläutert, daß ein bloß abmahnender Verband kein wirklicher »Interessenverband« sei und daher nicht zur Repräsentation der jeweiligen Interessen befugt sein solle. 2 5 7 Es ist aber nicht nachvollziehbar, warum nicht auch eine bloße Abmahn- und Klagetätigkeit als reale und wirksame Interessenvertretung angesehen werden kann. Die Rechtsprechung geht allerdings insofern großzügig mit den Anforderungen an die Aufklärungs- und Beratungstätigkeit um, als sie derartige Tätigkeiten vermutet, wenn die Vereinssatzung sie enthält. 2 5 8
2 5 3 BGH ebd.; zustimmend Urbanczyk, Zur Verbandsklage im Zivilprozeß 174; Hefermehl/ KöMer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 8 UWG R n . 3 . 5 7 m.w.N. 2 5 4 BGH 3 0 . 6 . 1972, GRUR 1973, 78, 79. 2 5 5 Münchener Kommentar BGB/Micklitz, § 2 2 a AGBG R n . 2 2 ; ähnlich Gäbet, Prozeßzweck der AGB-Klage 108 f. 2 5 6 O V G Münster 1 3 . 1 0 . 2 0 0 3 , GRUR 2 0 0 4 , 347, 3 4 8 . 257 Urbanczyk, a.a.O. 174. 2 5 8 BGH 3 0 . 6 . 1972, GRUR 1973, 78, 79; BGH 2 9 . 1 1 . 1974, GRUR 1975, 377, 3 7 8 ; ebenso in jüngerer Zeit etwa BGH 6 . 4 . 2 0 0 0 , W R P 2 0 0 0 , 1397, 1398. Teilweise wird diese Vermutung auf solche Verbände beschränkt, die »ordnungsgemäß gegründet« und »aktiv tätig« seien, so BGH 2 7 . 4 . 2 0 0 0 , WRP 2 0 0 0 , 1275, 1277. Mit diesen Formulierungen scheint aber keine Einschränkung der Vermutungswirkung beabsichtigt zu sein, zumal diese ja sinnlos wäre, wenn man den Nachweis »aktiver Tätigkeit« - über die Klagerhebung hinaus - verlangen würde.
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2. Kapitel: Popular-
und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
Insgesamt kann die Rechtsprechung zu den Anforderungen an die Aufklärungs- und Beratungstätigkeit daher nicht mit sachlichen Erfordernissen erklärt werden, sondern nur mit einer diffusen Furcht vor »Mißbräuchen« der Verbandsklagekompetenz. Diese Anforderungen sollen - so der Bundesgerichtshof - Mißbräuche verhindern, da sich ohne sie »jeder eingetragene Verein unschwer das Klagerecht verschaffen« könnte, 259 was offensichtlich nicht gewollt ist. Teilweise wird bei der Begründung der Beschränkung auf wenige Klageberechtigte auf angeblich in der Schweiz gemachte schlechte Erfahrungen verwiesen. 260 Solche schlechten Erfahrungen gibt es aber nicht. Auch in der Schweiz existiert keine lauterkeitsrechtliche Popularklage. 261 Vielmehr war gemäß Art. 2 Abs. 2 Schweizer UWG in der bis 1986 geltenden Fassung nur ein konkret geschädigter Kunde zur Erhebung einer Schadensersatz- oder Unterlassungsklage berechtigt. Bei der 1986 vorgenommenen Neufassung des schweizerischen UWG wurde der Kreis der klageberechtigten Verbraucher dadurch erweitert, daß nicht erst die Schädigung, sondern bereits die bloße »Bedrohung« der wirtschaftlichen Interessen eines Verbrauchers zur Klage berechtigt (§10 Abs. 1 Schweizer UWG). Auch nach dieser Lockerung sind jedoch in der Schweiz lauterkeitsrechtliche Klagen eines Konsumenten eine seltene Rarität geblieben. 262 Angesichts dieser Erfahrungen in der Schweiz ist es nicht ganz verständlich, warum in Deutschland befürchtet wird, daß eine Erweiterung des Kreises der im Lauterkeitsrecht Klageberechtigten zu einer »Vielzahl von Abmahnungen und Klagen von Verbrauchern wegen eines (angeblichen) Verstoßes gegen das UWG« 2 6 3 führen könnte. Hinter dem Mißtrauen gegenüber einer zu weiten Verbandsklage steht auch das allgemeine Mißtrauen gegenüber der Popularklage. Der Bundesgerichtshof hielt die Aussage für notwendig, daß § 13 UWG a.F. gerade keine Popularklage enthalte und als Ausnahme von anerkannten zivilrechtlichen Grundsätzen auf eng umrissene Tatbestände begrenzt werden müsse. Nur so könnten »Mißbräuche« der Verbandsklageberechtigung verhindert werden. 264 Worin derartige Mißbräuche bestehen können, wird nicht ausgeführt. In der Bekämpfung rechtswidrigen Verhaltens kann wohl kaum ein Mißbrauch gesehen werden. Mit der Furcht vor angeblichen Mißbräuchen sind auch die heute in § 8 Abs. 4 UWG ge259
B G H 3 0 . 6 . 1 9 7 2 , G R U R 1973, 78, 79. Vgl. die Darstellung der Gesetzgebungsgeschichte bei Urbanczyk, a . a . O . 12. 261 Vgl. B a u d e n b a c h e r / B ä n k e , Lauterkeitsrecht, Art. 10 U W G R n . 7 , F n . 3 3 : D u r c h diese Einschränkung auf geschädigte K u n d e n sollte nach dem Willen des Gesetzgebers eine Popularklage ausgeschlossen werden. 262 N o c [ , 199g w u r d e in der Literatur behauptet, dertige Klagen einzelner Verbraucher seien nicht b e k a n n t g e w o r d e n , so Büren/David/Rawfcer, Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht Bd. V/1, 2 5 9 . Auf einen konkreten Fall verweist jedoch inzwischen Baudenbac h e r / B ä n k e , Lauterkeitsrecht, Art. 10 U W G Rn. 8, Fn. 36. 263 H e f e r m e h l / K ö M e r / B o r n k a m m , Wettbewerbsrecht, § 8 U W G R n . 3 . 4 . 264 B G H 3 0 . 6 . 1972, G R U R 1973, 78, 79 mit zustimmender A n m e r k u n g Utescher, G R U R 1973, 80f. 260
III. Verbandsklage gemäß § 8 UWG
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setzlich verankerten Beschränkungen der Klageberechtigung bei gewinnorientierten Abmahnvereinen und im Eigeninteresse handelnden Klägern zu erklären. D a m i t ist die lauterkeitsrechtliche Verbandsklage aber von einem eigenartigen Widerspruch gekennzeichnet. Einerseits wird die Überwachung der Vorschriften des U W G weitgehend der Initiative Privater überlassen und auf eine strikte behördliche Kontrolle verzichtet; andererseits wird aber ein Großteil potentieller Kläger von dieser Überwachung ausgeschlossen und damit die effektive Durchsetzung des objektiven Rechts erheblich erschwert. 2 6 5 Gerade der nur im Eigeninteresse handelnde Kläger - etwa der klassische Abmahnverein - trägt ja zur Durchsetzung des objektiven Rechts bei, denn er wird aus Furcht vor ihn treffenden Kosten nur ganz sichere Rechtsverstöße verfolgen: Dieses [Prozeß-] Risiko führt dazu, daß diese Verbände in ihrer Klagaktivität durchaus vorsichtig sein und sich auf »sichere« Fälle beschränken müssen, in denen der Wettbewerbsverstoß des Beklagten klar zutage liegt. Warum unter diesen Umständen die Klagerhebung rechtsmißbräuchlich sein soll, leuchtet nicht ein, zumal dadurch genau dasjenige Ziel erreicht wird, das der Gesetzgeber mit der Einführung der Verbraucherverbandsklage erstrebt hat. 2 6 6 In der Literatur wird der p a r a d o x e Begriff des » M i ß b r a u c h s « teilweise damit erklärt, daß der Gesetzgeber eigentlich das materielle Lauterkeitsrecht für falsch hielt, jedoch statt einer Änderung des materiellen Rechts nur die Durchsetzung desselben erschweren w o l l t e . 2 6 7 Ein derartiges M o t i v ist allerdings heute angesichts der kompletten Überarbeitung des U W G nicht mehr denkbar. Außerdem ist ein solcher Weg einem Rechtsstaat nicht angemessen und auch ungerecht gegenüber denjenigen, bei denen das materielle R e c h t entgegen der gesetzgeberischen Intention im Ausnahmefall dann doch durchgesetzt w i r d . 2 6 8 Allerdings wird in der Literatur teilweise offen gesagt, daß eine Popularklage deswegen unerwünscht sei, weil sie zur Durchsetzung des materiellen Rechts beitrage. 2 6 9 Auf dieses bizarre Argument gegen Popularklagen wird noch zurückzukommen sein. Strittig ist, welcher Rechtsnatur die auf die Person des Klägers bezogenen Voraussetzungen der Verbandsklageberechtigung sind. Die Rechtsprechung und die 2 6 5 Kritisch zur UWG-Reform von 1994 und der damit einhergehenden Schwächung der Effektivität des Instruments Verbandsklage auch Nordemann, Wettbewerbs- und Markenrecht 47. 266 Kötz, in: Homburger/Kötz, Klagen Privater im öffentlichen Interesse 69, 95; im Ergebnis ebenso Knieper, NJW 1971, 2251, 2254; v. Hippel, Verbraucherschutz 114 m.w.N.; zur AGBKontrollklage Göbel, Prozeßzweck der AGB-Klage 109f. Für eine Einordnung des klägerischen Interesses an einer Bereicherung als Mißbrauch allerdings explizit Urbanczyk, a.a.O. 193f. 267 Beater, Unlauterer Wettbewerb 799. 268 Treffend dazu Nordemann, Wettbewerbs- und Markenrecht 47f.: »Gleiches Recht für alle (vgl. Art. 3 GG) besteht in der Lebenswirklichkeit nur dort, wo es in gleicher Weise gegenüber jedermann durchgesetzt wird [...] Verbote aufrecht zu erhalten, ihre Durchsetzung aber weitgehend unmöglich zu machen, heißt, die Rechtsordnung der Lebenswirklichkeit zu entfremden.« 2 6 9 So die erstaunlichen Ausführungen bei Zeppernick, a.a.O. 54f.
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2. Kapitel: Popular-
und Verbandsklagekotnpetenzen
im geltenden
Recht
herrschende Ansicht im Schrifttum schreiben diesen Voraussetzungen eine »Doppelnatur« 2 7 0 zu, indem sie dieselben zugleich als Prozeßvoraussetzungen und auch als materiell-rechtliche Voraussetzungen einordnen. 271 Dagegen versteht eine Mindermeinung die auf die Person des Klägers bezogenen Voraussetzungen nur als materiell-rechtliche Voraussetzungen der Aktivlegitimation. 272 Die herrschende These von der Doppelnatur findet allerdings im Gesetz keine Stütze. Im Gegenteil: Die Formulierung in § 8 Abs. 3 UWG, daß die »Ansprüche aus Absatz 1« den dort aufgeführten Personen und Institutionen »zustehen«, deutet eher auf ein materiell-rechtliches Verständnis des Gesetzgebers hin. Die Konstruktion einer »Doppelnatur« der personenbezogenen Voraussetzungen paßt auch nicht zu der ebenfalls von Rechtsprechung und herrschender Literaturmeinung regelmäßig wiederholten - und im Verlaufe dieser Untersuchung noch gesondert zu erörternden - Ansicht, daß die Verbandsklageberechtigung in § 8 UWG ein materiell-rechtlicher Anspruch der jeweiligen Verbände sei. 273 Gerade aus dieser Einordnung wäre zu folgern, daß eine gesonderte Prüfung der Prozeßführungsbefugnis nicht nötig wäre, denn wo ein Anspruch ist, kann dieser auch gerichtlich durchgesetzt werden. 274 Die These von der Doppelnatur ist also keineswegs »wohldurchdacht«, 275 sondern läßt sich erneut nur mit einem besonderen Mißtrauen gegenüber der Verbandsklage erklären. Sie ist vom Bundesgerichtshof entwickelt worden, um die tatsächlichen Voraussetzungen der Verbandsklagekompetenz auch noch im Revisionsverfahren nachprüfen und gegebenenfalls ablehnen zu können. 2 7 6 270
Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche u n d Verfahren 144 m . w . N . B G H 1 4 . 1 2 . 2 0 0 0 , G R U R 2 0 0 1 , 846, 8 4 7 m . w . N . ; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht (22. Aufl.) § 13 U W G R n . 2 0 ; VeztdBüscher, U W G , § 8 Rn. 194; Köhler/Piper, U W G , § 13 R n . 4 ; G r o ß k o m m e n t a r UWGIErdmann, § 13 R n . 5 5 . 272 O L G Stuttgart 2 6 . 4 . 1996, NJWE-Wettbewerbsrecht 1996, 2 6 9 , 270; Staudinger/ Schlosser, BGB (1998), § 13 AGBG Rn. 10; Greger, N J W 2 0 0 0 , 2 4 5 7 , 2 4 6 2 ; jetzt auch Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 8 U W G Rn. 3.10ff. 273 Ständige Rechtsprechung seit B G H 2 4 . 4 . 1964, B G H Z 4 1 , 3 1 4 , 318; ebenso jetzt Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 8 U W G Rn. 3.3, der dies nicht n u r als » h . M . « , sondern als »ganz h . M . « darstellt und die abweichenden Auffassungen - etwa bei Lakkis, Der kollektive Rechtsschutz der Verbraucher 124; Thiere, Die W a h r u n g überindividueller Interessen im Zivilprozeß 288, E. Schmidt, N J W 2 0 0 2 , 2 5 , 2 8 f . - nicht einmal mehr nachweist. 274 Siehe bereits Enneccerus/Nipperdey, AT 1367: »Die Klagbarkeit ist [...] eine notwendige Eigenschaft des Anspruchs, denn unser heutiges Rechtssystem setzt als selbstverständlich voraus, d a ß privatrechtliche Ansprüche auch gerichtlich verfolgt werden können.« Der Frage nach der Existenz klagloser Ansprüche m u ß in Bezug auf die wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüche nicht nachgegangen werden. Vgl. zur selbstverständlichen Existenz der Prozeßführungsbefugnis bei G e l t e n d m a c h u n g eines eigenen Anspruchs auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 2 3 5 ; Stein/Jonas/ßor&, Rn. 20 vor § 50 Z P O : »Wer nach seinen Behauptungen zur Sache befugt ist, dem steht regelmäßig auch die Prozeßführungsbefugnis zu.« 275 So aber Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche A n s p r ü c h e und Verfahren 144. Ausdrücklich ablehnend zur These von der D o p p e l n a t u r dagegen Lakkis, a . a . O . 111; Staudinger /Schlosser, BGB (1998), § 13 A G B G Rn. 10; Greger, Z Z P 113 (2000) 399, 4 0 4 f . 276 So die Interpretation bei Greger, Z Z P 113 (2000) 3 9 9 , 4 0 2 , der Lehre von der D o p p e i n a 271
III. Verbandsklage gemäß 5 8 UWG
99
Ordnete man diese Voraussetzungen nur materiell-rechtlich ein, so wäre der Bundesgerichtshof insoweit gemäß § 5 5 9 Z P O an die tatsächlichen Feststellungen der Instanzgerichte gebunden, wie in jedem anderen Zivilprozeß auch. Durch die These von der Doppelnatur wird dem Bundesgerichtshof also hinsichtlich der Verbandsklageberechtigungen eine strengere Kontrolle als bei sonstigen Zivilprozessen ermöglicht. Diese Möglichkeit der besonders strikten höchstrichterlichen Aufsicht über die Verbandsklageberechtigungen ist wohl auch gemeint, wenn davon gesprochen wird, daß die Lehre von der Doppelnatur sich »durchweg auch praktisch bewährt« h a b e . 2 7 7 M e h r Sinn macht die Lehre von der selbständig zu prüfenden Prozeßführungsbefugnis allerdings dann, wenn man anders als die herrschende Meinung gerade keinen materiell-rechtlichen Anspruch annimmt, sondern nur eine prozeßrechtliche Kompetenz der Verbandskläger: Wenn die Verbände nicht aufgrund eines materiell-rechtlichen Anspruchs klagen, sondern aufgrund einer »ausnahmsweise gewährten Prozeßführungsbefugnis«, dann »genügt hier auch nicht die Behauptung eines solchen Anspruchs für die Zulässigkeit der K l a g e . « 2 7 8 Insofern könnte man der Rechtsprechung zwar nicht in der Begründung, wohl aber im Ergebnis zustimmen. 2 7 9 Eine genaue Klärung dieser Frage m u ß dem dogmatischen Teil der vorliegenden Arbeit vorbehalten b l e i b e n . 2 8 0
3.
Klagziel
Die lauterkeitsrechtliche Verbandsklage aus § 8 Abs. 1 U W G ist auf Unterlassung unlauteren Handelns und auf Beseitigung fortdauernder Störungen gerichtet. M i t der expliziten Einführung des Beseitigungsanspruchs wurde nur die bisherige Rechtsprechung zu diesem Rechtsbehelf kodifiziert. 2 8 1 Daneben gewährt das Gesetz den Klageberechtigten durch die in § 8 Abs. 5 U W G enthaltene Verweisung auf § 13 U K l a G noch einen Auskunftsanspruch gegen Post- oder Telekommunikationsunternehmen oder gegen Tele- oder Mediendienste.
Dieser
Auskunftsanspruch kann dazu dienen, eine ladungsfähige Anschrift eines Unternehmens zu ermitteln, welches etwa nur unter einer Internetadresse oder Telefonnummer in Erscheinung t r i t t . 2 8 2 tur als »veranlaßt durch das verstärkte Auftreten dubioser Verbandskläger im Bereich des § 13 II Nr. 2 UWG [a.F.]« erklärt. Zur Nachprüfbarkeit der tatsächlichen Voraussetzungen der Verbandsklagebefugnis in der Revision bereits BGH 10.3. 1971, GRUR 1971, 516. 2 7 7 So bei Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren 144. 278 Thiere, a.a.O. 291. 2 7 9 So auch Göbel, a.a.O. 129 zur AGB-Kontrollklage. 2 8 0 Siehe dazu unten, drittes Kapitel. 2 8 1 Vgl. BGH 2 6 . 1 1 . 1997, GRUR 1998, 415, 416; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren 3 0 7 m.w.N. 2 8 2 Dazu Münchener Kommentar ZPO/Micklitz, Aktualisierungsband zur 2. Aufl., UKlaG Rn. 19.
100
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
4. Rechtskraft und Rechtshängigkeit Bereits die ältere Rechtsprechung zum UWG ging davon aus, daß mehrere Klagen von Verbänden oder Mitbewerbern wegen ein und derselben Wettbewerbshandlung einen unterschiedlichen Streitgegenstand haben, ein diesbezüglicher Einwand der res iudicata oder der Rechtshängigkeit mithin nicht möglich war. 283 Es war also theoretisch möglich, daß ein Beklagter wegen einer Handlung mit einer ganzen Reihe erfolgreicher Klagen überzogen wurde. Zur Begründung dieses erstaunlichen Ergebnisses führte das Reichsgericht in einem im konkreten Fall unnötigen, aber doch viel beachteten obiter dictum aus, daß es sich bei Klagen mehrerer Aktivlegitimierter eben nicht um denselben Anspruch handele. 284 Der Bundesgerichtshof ist bis heute dieser Rechtsprechung des Reichsgerichts gefolgt. 285 Diese Lösung - oder besser Nicht-Lösung - des Problems der Mehrfachklagen konnte jedoch von Anfang an nicht überzeugen. Es erscheint sinnlos, wegen ein und derselben Angelegenheit denselben Beklagten gleich mehrfach zur Unterlassung zu verurteilen. Bereits das Reichsgericht sah sich deshalb genötigt, seinen Ausführungen den Hinweis beizufügen, daß man als sinnlos empfundenen Mehrfachklagen notfalls mit dem Schikaneverbot begegnen könne. 286 Diese Ausweichmöglichkeit besteht theoretisch auch heute noch. Allerdings wird die Lösung des Problems der Mehrfachklage heute überwiegend auf der materiellrechtlichen Ebene gesucht. Danach soll das für den Unterlassungsanspruch notwendige Tatbestandsmerkmal der Wiederholungsgefahr entfallen, wenn der Beklagte bereits rechtskräftig zur Unterlassung verurteilt ist und nicht ausnahmsweise Zweifel an seinem Unterlassungswillen bestehen. 287 Eine spätere oder parallel anhängige Klage ist oder wird durch den Wegfall der Wiederholungsgefahr unbegründet. 288 Diese Auffassung ist im Schrifttum zwar herrschend, aber nicht ganz unumstritten. Ihre Gegner weisen mit Recht darauf hin, daß die Existenz eines rechtskräftigen Urteils nichts darüber aussagt, ob der Verurteilte diesem Urteil auch wirklich Folge leisten wird. Daher könne man den Wegfall der Wiederholungsgefahr nur auf zusätzliche Umstände stützen, etwa auf den festgestellten Willen des Verurteilten, sich entsprechend der Urteilsformel zu verhalten. 289 Die 2 8 3 BGH 5 . 1 . 1960, GRUR 1960, 379, 380. Weitere Nachweise dazu bei Hadding, J Z 1970, 305, 306. 2 8 4 RG 2 4 . 1 . 1928, RGZ 120, 47, 50. 2 8 5 BGH 5 . 1 . 1960, GRUR 1960, 379, 380; BGH 16.12. 1993, NJW-RR 1994, 619, 620. 2 8 6 RG 2 4 . 1 . 1928, R G Z 120, 47, 50. 2 8 7 BGH 19.12. 2002, GRUR 2 0 0 3 , 4 5 0 , 4 5 2 ; KG 2 5 . 1 0 . 1 9 9 6 , WRP 1 9 9 8 , 7 1 , 72; für diese Lösung insbesondere Baumbach/Lauterbach/KöMer, Wettbewerbsrecht, § 8 UWG Rn. 1.46 m.w.N.; Fezer/Büscber, UWG, § 8 Rn.75. 288 Köhler/Piper, UWG, § 13 Rn.9. 2 8 9 So insbesondere Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren 53 ff. (rechtskräftiges Urteil beseitigt Wiederholungsgefahr nur unter besonderen zusätzlichen Umständen); gegen einen allgemeinen Wegfall der Wiederholungsgefahr durch rechtskräftiges Ur-
III. Verbandsklage gemäß § 8 UWG
101
Vertreter der herrschenden Auffassung stützen sich im wesentlichen auf einen Vergleich zur Abgabe einer Unterwerfungserklärung des abgemahnten Schuldners. Aus dieser könne man den Willen des Schuldners, sich rechtmäßig zu verhalten, entnehmen, so daß die Wiederholungsgefahr entfalle. 2 9 0 Ein Urteil könne letztlich nicht anders behandelt werden. Es entspreche »nicht der Realität, das derjenige, der sich verurteilen läßt, stets der nicht zu überzeugende Rechtsbrecher, derjenige, der sich unterwirft, dagegen der zum Besseren Bekehrte s e i . « 2 9 1 Auch die Unterwerfungserklärung werde schließlich nicht immer aus Einsicht, sondern auch aus taktischen Gründen oder aus Furcht vor einer Prozeßniederlage abgegeben. 2 9 2 Letztlich verlieren sich diese Erörterungen in bloßer Spekulation. Einen allgemeinen Erfahrungssatz, daß rechtskräftige Urteile auch befolgt werden, weisen sie nicht nach, sondern postulieren ihn nur. So m u t m a ß t der Bundesgerichtshof etwa, daß der Schuldner ein rechtskräftiges Unterlassungsurteil ebenso »ernst nehmen und für sein künftiges Verhalten bestimmend erachten wird wie eine eigene vertragliche strafbewehrte
Unterlassungserklärung.« 2 9 3
Dies gelte jedenfalls dann, wenn der Beklagte sich selbst auf das gegen ihn ergangene Urteil beruft und so zum Ausdruck bringt, daß er dieses befolgen w o l l e . 2 9 4 Auch dies kann aber bloße Taktik sein. Die spekulativen Erörterungen zur Wiederholungsgefahr zeigen hier nur, daß es ein eindeutiges Bedürfnis nach Begrenzung von Mehrfachklagen gibt und daß insoweit vom Ergebnis her argumentiert wird. Es soll das mit der Annahme selbständiger Ansprüche und Streitgegenstände fast zwingend verbundene Ergebnis vermieden werden, daß auch ein rechtskräftig Verurteilter sich erneuten begründeten Abmahnungen oder gar Klagen ausgesetzt sieht. 2 9 5 Statt einer materiell-rechtlichen Lösung des Problems der Mehrfachklage wird teilweise auch vorgeschlagen, für die zweite Klage das Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen. 2 9 6 Die zweite Klage nach einem rechtskräftigen Unterlassungsurteil im Erstprozeß wäre damit unzulässig. Dies wird jedenfalls für solche M e h r f a c h klagen vertreten, bei denen das inkriminierte Verhalten bereits durch ein vorhergehendes rechtskräftiges Urteil abgestellt erscheint. 2 9 7 Der Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses erfüllt hier also dieselbe Funktion wie die materiell-rechtliche Konstruktion des Wegfalls der Wiederholungsgefahr. Allerdings überzeugt ein teil auch OLG Hamm 19.2. 1991, GRUR 1991, 706, 707; differenzierend Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage 196 ff.; Traub, WRP 1987,256 f.; OLG Karlsruhe 14.2. 1996, WRP 1996, 453, 456. 2 9 0 Hefermehl/Köhler/ßor«Wm, Wettbewerbsrecht, § 8 UWG Rn. 1.38. 291 Ebd. Rn. 1.47. 2 9 2 Ebd. 2 9 3 BGH 19.12. 2002, GRUR 2003, 450, 452. 2 9 4 BGH ebd., insoweit zustimmend jetzt auch Teplitzky, GRUR 2003, 272, 275 Fn.53. 2 9 5 So explizit die Begründung bei Hefermehl/Köhler/ßorK&amm, § 8 UWG Rn. 1.47. 2 9 6 So bereits Hadding, JZ 1970, 305, 311. 297 Tetzner, GRUR 1981, 803, 808f.
102
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses im R a h m e n der von der herrschenden Lehre angewandten Konstruktion noch weniger als ein Wegfall der Wiederholungsgefahr. N i m m t man nämlich eigene Ansprüche und eigene Streitgegenstände für jeden Verbandskläger an, so ist nicht einzusehen, w a r u m die Geltendmachung eigener Ansprüche bloß deshalb keinen Rechtsschutz verdient, weil ein anderer Verband seinen Anspruch bereits erfolgreich durchgesetzt hat. Auch bei einem Verkehrsunfall mit mehreren Opfern würde ja niemand auf die Idee k o m men, einem Opfer den Rechtsschutz zu versagen, nur weil ein anderes Opfer mit seinem Anspruch bereits vor Gericht erfolgreich war. Hier zeigt sich also bereits, daß die Kompetenzen der gemäß § 8 U W G klagebefugten Verbände eben doch nicht ohne weiteres wie sonstige materiell-rechtliche Ansprüche behandelt werden können. M a g also die Wirkung eines der Unterlassungsklage stattgebenden Urteils streitig sein, so besteht dagegen Einigkeit über die Wirkung eines klagabweisenden Urteils. Dieses soll keinerlei Rechtskraftwirkung auf von anderen Klägern angestrengte Prozesse entfalten. 2 9 8 Auch dieses Ergebnis wird damit begründet, daß die Klage eines zweiten Verbandsklägers einen anderen Streitgegenstand habe als die erste K l a g e . 2 9 9 Dahinter steht wiederum die These v o m eigenen materiell-rechtlichen Anspruch eines jeden Verbands. Auch hier ist aber zu fragen, o b eine derartige - zumindest theoretisch mögliche - Häufung von Prozessen wirklich sinnvoll und dem Beklagten zumutbar ist. Zieht man wieder den Vergleich zum üblichen materiell-rechtlichen Anspruch, so ergibt sich folgende Differenz: Es ist einem möglichen Unfallverursacher durchaus zuzumuten, sich der jeweiligen Ansprüche einer Vielzahl von Unfallopfern erwehren zu müssen, denn hier geht es ja für jeden Anspruchsteller um die Klärung seiner individuellen Position gegenüber dem angeblichen Unfallverursacher. M a n mag hier allenfalls aus prozeßökonomischer Sicht an die Verbindung der Klagen denken. Ganz anders stellt sich aber bereits bei unbefangener Betrachtung die Lage bei Mehrfachprozessen durch Verbandskläger wegen ein und derselben Wettbewerbshandlung dar. Ist es dem Beklagten hier wirklich zumutbar, ein ums andere M a l die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens gerichtlich klären zu lassen? Die Lage wird hier in der Praxis durch die Zuständigkeitsvorschrift des § 1 4 Absatz 1 Satz 1 U W G entschärft, die eine Konzentration der Verbandsklageprozesse am Sitz des Beklagten erzwingt und es dem Gericht gegebenfalls ermöglicht, auf seine Entscheidung in einschlägigen Vorprozessen zu verweisen. Allerdings gilt diese ausschließliche Zuständigkeit nicht, wenn der Beklagte keinen Sitz im Inland hat, so daß schon bei dem alltäglichen Fall der Werbung eines ausländischen Unternehmens in Zeitschriften oder elektronischen Medien die Vielzahl der Gerichtsstände des Begehungs-
2 9 8 BGH 5.1. 1960, GRUR 1960, 379, 380; Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, §12 UWG Rn.2.114. 2 9 9 Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 8 UWG Rn.3.3.
HI. Verbandsklage gemäß § 8 UWG
103
orts eröffnet ist. 3 0 0 In derartigen Fällen kann das Problem der Parallel- oder Mehrfachprozesse auch praktisch relevant werden und bedarf daher einer im vierten Kapitel noch vorzunehmenden grundsätzlichen Klärung.
5.
Dispositionsbefugnis
a)
Abtretung
Im Unterschied zum U K l a G , das in seinem § 3 Abs. 1 Satz 2 eine ausdrückliche wenn auch eigentümliche 3 0 1 - Regelung der Abtretung enthält, ist diese Frage im U W G nicht geregelt. Allerdings herrscht in der R e c h t s p r e c h u n g 3 0 2 und im Schriftt u m 3 0 3 weitgehendes Einvernehmen darüber, daß eine Abtretung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche nicht möglich sei. In der Begründung ist man sich allerdings nicht einig. 3 0 4 Teilweise wird vertreten, daß sich dieses Ergebnis aus § 3 9 9 Alt. 1 B G B ergebe, da es sich um höchstpersönliche Ansprüche handele. 3 0 5 Eine andere Argumentation zieht eine Parallele zu Unterlassungsansprüchen aus dem Eigentum und folgert daraus, daß der Unterlassungsanspruch nicht ohne das ihm zugrundeliegende Recht abgetreten werden k ö n n e . 3 0 6 Beide Argumente erscheinen jedenfalls im Hinblick auf Verbandsklagen eher schwach und sind in der neueren Literatur mit Recht angezweifelt w o r d e n . 3 0 7 Insbesondere bewirkt etwa die Abtretung eines der Wahrung von Allgemeininteressen dienenden Unterlassungsanspruchs von einem Verband an einen anderen keinerlei inhaltliche Veränderung des Anspruchs. 3 0 8 Die Parallele zu § 1 0 0 4 B G B paßt jedenfalls nicht auf die lauterkeitsrechtliche Verbandsklage, bei der sich ja gerade keine der Unterlassungsklage zugrundeliegende eigentumsähnliche Position ausmachen läßt. Entscheidend für das postulierte Abtretungsverbot dürfte vielmehr erneut die Furcht vor angeblichen M i ß b r ä u c h e n sein. Dies zeigt sich in dem Argument, daß eine Abtretung unmöglich sei, »um den Kreis der im Allgemeininteresse zur Gel3 0 0 Zum »fliegenden Gerichtsstand« in diesen Fällen siehe nur ftzzrlBüscher, UWG, § 14 Rn.24ff. m.w.N. 3 0 1 Dazu unten, S. 155. 3 0 2 RG 7.6. 1909, RGZ 86, 252, 254 (wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch nicht ohne den zugehörigen Geschäftsbetrieb übertragbar); BGH 2 3 . 9 . 1992, BGHZ 119, 2 3 7 , 241 (keine Abtretung von auf Namensrecht gestützten Unterlassungsansprüchen). 3 0 3 Siehe etwa Hefermehl/fCöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 8 UWG Rn.3.17ff.; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren 191 m.w.N. 3 0 4 Überblicke bei Staudinger/Busche, BGB (1999) § 3 9 9 Rn.40; Großkommentar UWG/
Köhler, Rn. B 234 vor § 13 UWG.
Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 8 UWG Rn.3.18ff. Großkommentar UWG /Köhler, Rn. B 234 vor § 13 UWG unter Berufung auf BGH 2 3 . 2 . 1973, BGHZ 60, 2 3 5 , 240 (keine vom Eigentum isolierte Abtretung des Anspruchs aus § 1004 BGB). 3 0 7 Vgl. Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren 192; Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage 447ff. 3 0 8 Insoweit zutreffend Teplitzky (vorige Fn.). 305 306
104
2. Kapitel:
Popular-
und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
tendmachung von Abwehransprüchen Berechtigten nicht zu erweitern und die jeweiligen Anforderungen an die Anspruchsberechtigung und Klagebefugnis nicht zu unterlaufen.« 309 Von diesem Argument kann nur der zweite Halbsatz zutreffend sein, denn durch eine Abtretung wird die Anzahl der Berechtigten nicht erhöht. Verändert wird nur die Identität des Berechtigten. Diese muß dem Schuldner bei gleichbleibendem Leistungsinhalt nach der gesetzgeberischen Wertung der §§ 398ff. BGB jedoch im Grunde gleichgültig sein: Er muß sich den Wechsel des Gläubigers im Regelfall gefallen lassen. 310 Diese allgemeine Wertung des Gesetzgebers paßt aber nicht zu der im Lauterkeitsrecht herrschenden Ansicht über die personelle Beschränkung der Klagebefugnis. Diese Ansicht geht ja gerade davon aus, daß eine adäquate Handhabung der in § 8 UWG gewährten Befugnisse ausschließlich von den dort genannten Personen zu erwarten ist. In Anbetracht dieser Argumentation wäre es allerdings nur konsequent - und de lege lata angesichts der §§ 398ff. ohne weiteres möglich - entsprechend § 3 Abs. 1 Satz 2 UKlaG zumindest die Abtretung innerhalb des Kreises der ohnehin Berechtigten zuzulassen, sofern man darin einen Sinn erblickt. 311 b)
Verzicht
In der Literatur geht man davon aus, daß auf wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche verzichtet werden kann, ohne daß dies im Hinblick auf ihre im Allgemeininteresse dienende Funktion problematisiert würde. 312 Allerdings wird ein solcher Verzicht fast ausschließlich im Zusammenhang mit dem Abschluß eines UnterlassungsVertrags erörtert. 313 Auch die Rechtsprechung zum Verzicht auf den Unterlassungsanspruch beschränkt sich auf derartige Fälle. 314 Köhler/Piper, UWG, Rn. 86 vor § 13. Münchener Kommentar BGB/G. Roth, § 398 R n . 3 . 311 Dazu Fritzsche, a.a.O. 4 5 1 . Gegen eine analoge Anwendung von § 3 Abs. 1 Satz 2 UKlaG im Lauterkeitsrecht allerdings Hefermehl/KöMer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 8 UWG Rn.3.21. 3 1 2 Siehe etwa Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren 10; Köhler/Piper, UWG, R n . 2 1 7 vor § 1 3 ; 3 1 3 So bei den in der vorigen Fn. genannten Autoren, wenngleich Teplitzky den Verzicht generell für möglich erklärt, dies aber »meistens« durch Unterlassungsvertrag geschehe. Soweit ersichtlich führt Teplitzky nur ein weiteres Beispiel für einen Verzichtsvertrag an, nämlich die Vereinbarung, daß - etwa bei Übertragung des Unternehmens des Schuldners - statt des bisherigen Schuldners eine andere Person auf Unterlassung haften soll (ebd. 194). Dies sei aufgrund des auf die Person des Schuldners bezogenen besonderen Charakters des Anspruchs nicht als Schuldübernahme gemäß § § 4 1 4 f. BGB zu werten, sondern als Aufhebung eines Schuldverhältnisses und Begründung eines neuen mit dem neuen Schuldner. Abgesehen von der Frage, ob diese Konstruktion wirklich notwendig ist, handelt es sich hier um eine besondere Spielart des Verzichts, die nämlich den Anspruch nicht ersatzlos erlöschen läßt, sondern nur die Beteiligten des Schuldverhältnisses verändert. 3 1 4 O L G Stuttgart 2 9 . 8 . 1997, WRP 1997, 1219, 1221; O L G Braunschweig 1 8 . 1 2 . 1997, W R P 1998, 3 1 5 , 3 1 7 . 309
310
III.
Verbandsklage
gemäß
§ 8 UWG
105
Diese Fälle sind jedoch gegenüber dem in § 3 9 7 Abs. 1 BGB geregelten »Normalfall« des Erlaßvertrages durch erhebliche Besonderheiten gekennzeichnet. Das in der wettbewerbsrechtlichen Praxis übliche Abmahnverfahren einschließlich des Unterlassungsvertrages ist die für dieses Rechtsgebiet »spezifische Form der außerprozessualen Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen.« 3 1 5 In der Regel wird zunächst eine Abmahnung an den vermeintlich rechtswidrig handelnden Störer versandt, die zugleich die Aufforderung enthält, ein Versprechen des Inhalts abzugeben, die inkriminierte Handlung künftig zu unterlassen, widrigenfalls eine Vertragsstrafe verwirkt sei. Die Übersendung einer solchen vorformulierten »Unterwerfungserklärung« ist als Angebot zum Abschluß des Unterlassungsvertrags zu werten, das vom abgemahnten Schuldner durch Unterzeichnung und Rücksendung der Unterwerfungserklärung angenommen werden kann. 3 1 6 Durch den so zustandegekommenen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsvertrag entsteht ein neuer Unterlassungsanspruch gegen den Schuldner, der nun vertraglicher Natur ist. 3 1 7 Dieser vertragliche Anspruch hat für den Gläubiger den Vorteil, daß die Rechtswidrigkeit der fraglichen Wettbewerbshandlung nunmehr inter partes feststeht und bei einem erneuten Verstoß vom Gericht nicht mehr zu prüfen ist. 3 1 8 So gängig dieses Vorgehen in der Praxis sein mag, so unklar ist jedoch seine dogmatische Einordnung. Teilweise wird behauptet, daß der Unterlassungsvertrag einen konkludenten Erlaß des gesetzlichen Unterlassungsanspruchs enthalte. 3 1 9 Andererseits entfällt dieser gesetzliche Anspruch bereits dadurch, daß mit Abgabe eines hinreichend strafbewehrten Unterlassungsversprechens die Wiederholungsgefahr als eine seiner Voraussetzungen wegfällt. 3 2 0 Teilweise wird der wettbewerbsrechtliche Unterlassungsvertrag auch als Schuldersetzung gewertet. 3 2 1 Dabei soll es sich um eine abstrakte Novation handeln, da der vertragliche Unterlassungsanspruch nach dem Willen der Parteien gerade nicht vom Bestehen des gesetzlichen abhängen soll; die Unklarheit über letzteres soll ja gerade beseitigt werden. 3 2 2 Für die Einordnung als Novation spricht, daß durch den Unterlassungsvertrag der gesetzliche Unterlassungsanspruch keineswegs ersatzlos untergehen soll;
Beater, Unlauterer Wettbewerb 807. Zu dieser Verfahrensweise vgl. etwa Köhler/Piper, UWG, R n . 2 0 7 f f . vor § 13. Die Konstruktion des Vertragsschlusses wird teilweise anders vorgenommen, was im Ergebnis jedoch keine Rolle spielt (ebd. R n . 2 1 0 ) . 3 1 7 BGH 6 . 7 . 2 0 0 0 , G R U R 2 0 0 1 , 85, 86. 3 1 8 Vgl. Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren 115. 3 1 9 O L G Stuttgart 2 9 . 8 . 1997, W R P 1997, 1219, 1221. 3 2 0 BGH 1 2 . 7 . 1995, B G H Z 130, 2 8 8 , 2 9 2 ; Köhler/Piper, UWG, R n . 2 0 7 vor § 13. 321 Köhler, FS v. Gamm 57, 66. Zu der nicht immer einheitlichen Terminologie bezüglich der Novation Gernhuber, Erfüllung 3 7 1 . 322 Gruber, WRP 1992, 72, 86. Für abstrakte Novation auch BGH 1 2 . 7 . 1995, B G H Z 130, 288, 292. 315
316
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2. Kapitel:
Popular-
und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
dies entspräche ja nicht dem Willen des Abmahnenden. Im Gegenteil: Er soll durch den vertraglichen Anspruch eher verstärkt werden. Dies wird im Ergebnis auch von der Meinung anerkannt, die im Unterlassungsvertrag einen Erlaß des gesetzlichen Anspruchs ansieht. Nach dieser Meinung findet nämlich ein solcher Erlaß nur insoweit statt, als der korrespondierende vertragliche Anspruch entsteht. Hinsichtlich einer Wettbewerbshandlung, die nicht von dem Unterlassungsversprechen umfaßt ist, wird auch kein Erlaß des gesetzlichen Anspruchs angenommen. 323 Insgesamt ist also festzuhalten, daß weder die Praxis noch die Theorie des wettbewerblichen Unterlassungsvertrags je dazu führen können, daß der Abmahnende seine Klageberechtigung verliert; diese kann allenfalls dadurch verstärkt werden, daß für sie eine vertragliche Grundlage geschaffen wird. Eine solche Verstärkung hat aber nichts mit dem Erlöschen eines Anspruchs zu tun, so daß hier auch keine Rede von der Möglichkeit eines »Verzichts« sein kann. Ein Verzicht läge allenfalls darin, wenn der klageberechtigte Verband sich diese Berechtigung etwa gegen eine Geldzahlung »abkaufen« ließe. Solche Vereinbarungen sind jedoch im Lauterkeitsrecht bisher nicht Gegenstand der Rechtsprechung oder der wissenschaftlichen Erörterung gewesen. Kein materiell-rechtlicher Verzicht, wohl aber ein die Zulässigkeit der Klage ausschließendes pactum de non petendo wird für zulässig gehalten, wenn und solange der streitige Unterlassungsanspruch Gegenstand eines Verfahrens vor einer Einigungsstelle gemäß § 2 7 a UWG ist. 3 2 4 Anders als bei der patent- oder markenrechtlichen Nichtangriffsabrede hat dies jedoch nichts mit einem Verzicht zu tun, da sich der eigentlich Klageberechtigte nicht dauerhaft seiner Berechtigung begibt, sondern diese nur zunächst auf dem im Gesetz ausdrücklich vorgesehenen außergerichtlichen Weg durchzusetzen versucht. c)
Klagerücknabme
Für die Klagerücknahme gelten nach herrschender Auffassung auch für die lauterkeitsrechtliche Verbandsklage die allgemeinen Regeln des § 269 ZPO. 3 2 5
3 2 3 Vgl. O L G Stuttgart 2 9 . 8 . 1 9 9 7 , W R P 1 9 9 7 , 1 2 1 9 . Der dort abgedruckte Leitsatz ist insofern mißverständlich, als es in der Entscheidung nicht darum geht, daß etwa ein Recht entfiele, andere, vom Unterlassungsvertrag nicht umfaßte Verstöße zu rügen, sondern darum, daß der gerügte Verstoß bei verständiger Auslegung des Unterlassungsvertrages von diesem bereits umfaßt ist (ebd. 1222). 324 Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren 5 3 5 . 3 2 5 So mit allgemeinem Geltungsanspruch Teplitzky, ebd. 589; Köhler/Piper, UWG, Rn. 2 7 4 vor § 13 UWG.
III. Verbandsklage gemäß § 8 UWG d) Klageverzicbt
und
107
Anerkenntnis
Ein Anerkenntnis des Beklagten mit der Folge des § 3 0 7 Z P O ist auch im Lauterkeitsrecht m ö g l i c h . 3 2 6 Dies mag man damit begründen, daß es in der Dispositionsmacht des Beklagten steht, für die von ihm selbst begangene Wettbewerbshandlung die vom Kläger behauptete Rechtsfolge gelten zu lassen; insoweit sind etwa die Interessen anderer Unternehmer nicht betroffen. Die lauterkeitsrechtliche Verbandsklage hat ja keine rechtliche Wirkung über die Parteien hinaus, insbesondere keine rechtliche Musterwirkung in dem Sinne, daß ein auf Unterlassung lautendes Urteil gegen den Unternehmer A auch den Unternehmer B von denselben oder ähnlichen Wettbewerbshandlungen abhalten könnte. Insoweit besteht allenfalls eine faktische Musterwirkung. Diese kann aber je nach den faktischen Umständen jedem Zivilprozeß zukommen und spricht daher nicht gegen die Möglichkeit eines Anerkenntnisses. Es bleibt anderen Unternehmern unben o m m e n , gleichartige Wettbewerbshandlungen zu begehen und diese gegebenenfalls gegen weitere Unterlassungsklagen zu verteidigen. Schwieriger ist dagegen die Frage nach der Möglichkeit eines Klageverzichts zu beantworten. Allerdings ist diese Frage im Lauterkeitsrecht noch nicht relevant geworden. M i t Blick auf die Rechtsprechung zur Unverwirkbarkeit der Verbandsklageberechtigungen lassen sich folgende Überlegungen anstellen: M i t dem hinter den Verbandsklageberechtigungen stehenden Allgemeininteresse an der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs wäre es nicht zu vereinbaren, den Verbandsklägern eine Disposition darüber zu erlauben, welche Wettbewerbshandlungen rechtmäßig sind und welche nicht. Wenn der Verwirkungseinwand deswegen ausgeschlossen ist, weil er nur im Verhältnis zwischen Kläger und Beklagtem angesiedelt werden kann, so läßt sich daraus schließen, daß auch der allein in der M a c h t des Klägers liegende Klagverzicht nicht zu Lasten des Allgemeininteresses an effektiver Rechtsdurchsetzung zugelassen werden kann.
e)
Vergleich
Diese Überlegungen müssen auch für die Zulässigkeit von Vergleichen im lauterkeitsrechtlichen Verbandsklageverfahren bestimmend sein. Typischerweise enthält der Vergleich in diesen Verfahren eine strafbewehrte Unterwerfungserklärung des Beklagten und damit einen Unterlassungsvertrag im oben beschriebenen S i n n e . 3 2 7 Dies ist angesichts der Dispositionsbefugnis des Beklagten über sein eigenes Verhalten unproblematisch. Problematisch wäre dagegen eine Verpflichtung des Klägers, die angegriffene Wettbewerbshandlung künftig als rechtmäßig zu behandeln bzw. von seiner Klageberechtigung keinen Gebrauch mehr zu machen. Getreu den vom Bundesgerichtshof zur Verwirkung entwickelten 326 327
Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht (22. Aufl.), Einl. UWG Rn.528 m.w.N. Vgl. nur Köhler/Piper, UWG, Rn.372 vor § 13.
108
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden Recht
Grundsätzen 3 2 8 könnte eine solche Vereinbarung zwischen den Parteien jedenfalls nicht zur Unzulässigkeit weiterer Klagen desselben Klägers in dieser Sache führen.
6. Unzulässige Rechtsausübung Die Frage nach der unzulässigen Ausübung der lauterkeitsrechtlichen Verbandsklageberechtigung ist in zwei Fallgruppen zu gliedern, nämlich einerseits die in § 8 A b s . 4 U W G ausdrücklich geregelte »mißbräuchliche« Klageerhebung und andererseits die üblicherweise unter dem Begriff der Verwirkung zusammengefaßten weiteren Fälle, in denen es darum geht, o b das vorprozessuale Verhalten des Klägers der Geltendmachung der Ausübung seiner Klageberechtigung entgegensteht. Anders als im sonstigen Privatrecht 3 2 9 wird der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung im Lauterkeitsrecht nicht als materiell-rechtliche Einwendung verstanden, sondern als Problem der Zulässigkeit der K l a g e . 3 3 0 Ebenso wie bei der Lehre von der Doppelnatur der Klagebefugnis steht auch hinter dieser Einordnung der Wunsch, die tatsächlichen Voraussetzungen des Mißbrauchseinwands bis in die Revisionsinstanz nachprüfen zu k ö n n e n . 3 3 1 Die Rechtsprechung zu § 8 Abs. 4 U W G und seinem Vorgänger in § 13 Abs. 5 U W G a.F. steht ganz im Zeichen dieses Mißtrauens gegenüber der lauterkeitsrechtlichen Kontrolle durch M i t b e w e r b e r und Verbände. Sie wird v o m Bundesgerichtshof gar als »Korrektiv« gegenüber angeblich weitgefaßten Klageberechtigungen der M i t b e w e r b e r bezeichnet. 3 3 2 Dieses Korrektiv soll etwa verhindern, daß ein Rechtsanwalt eine Vielzahl von Abmahnungen ausspricht, die er aufgrund der »Uberprüfung des Immobilienteils von Tageszeitungen auf wettbewerbswidrige Anzeigen« 3 3 3 erstellt. Ein derartig systematisches und daher besonders wirksames und gerechtes Vorgehen gegen Rechtsverstöße ist von der Rechtsprechung anscheinend nicht gewünscht. Sie hat eine Reihe von vergleichbaren Fallgruppen des M i ß b r a u c h s entwickelt, 3 3 4 die sich darin ähneln, daß sie nicht auf die Effektivität der Rechtsdurchsetzung, sondern auf die M o t i v e des Klägers abstellen. W ä h r e n d der altruistische Kläger stets zur Klage berechtigt ist, handelt der im Eigeninteresse handelnde Kläger tendenziell mißbräuchlich, wie sich bereits aus dem gesetzlichen Regelbeispiel des Gebührenerzielungsinteresses ergibt.
Dazu sogleich unten. Siehe nur Vahndt/Heinricbs, BGB, §242 Rn.41. 130 BGH 17.1. 2002, GRUR 2002, 357, 359 m.w.N.; krit. zu dieser Rechtsprechung v. Ungern-Sternberg, FS Klaka 72, 95 ff. 331 BGH 20.12. 2001, GRUR 2002, 715, 717. 3 3 2 BGH 5.10. 2000, GRUR 2001, 260, 261. 3 3 3 Ebd. 3 3 4 Siehe etwa die Nachweise bei Köhler/Piper,UWG, § 13 UWG Rn.59ff. 528
329
III. Verbandsklage gemäß § 8 UWG
109
N e b e n dieser die Rechtsdurchsetzung einschränkenden Funktion dient der Mißbrauchseinwand auch zur Bewältigung des bereits oben dargestellten Problems der Mehrfachklage. Die Möglichkeit, eine Klage als mißbräuchlich und damit unzulässig zu bewerten, wird als Korrekturmöglichkeit gegenüber im Einzelfall unerwünschten Mehrfachklagen angesehen. 3 3 5 Allerdings kann der M i ß brauchsgedanke dieses Problem schon deshalb nicht zufriedenstellend bewältigen, da sich der M i ß b r a u c h s v o r w u r f stets auf die M o t i v e des Klägers bezieht. 3 3 6 Daher kann eine Mehrfachklage wegen ein und derselben Wettbewerbshandlung nur dann als mißbräuchlich bezeichnet werden, wenn sie auf unlauteren Motiven beruht oder gar auf einem abgestimmten Verhalten der Kläger. 3 3 7 Eine zufällige Mehrfachklage wird dagegen auch von der Rechtsprechung nicht als mißbräuchlich angesehen. 3 3 8 Sie kann aber trotzdem zu fragwürdigen Effekten führen, wie etwa einander völlig widersprechenden Entscheidungen oder vielfachen Verurteilungen wegen ein und derselben Handlung. Daher kann das Problem der Mehrfachklage nicht mit den Begriffen des M i ß b r a u c h s gelöst werden. Über den gesetzlichen Mißbrauchstatbestand hinaus ist der auf Treu und Glauben gestützte Einwand der Verwirkung auch im Lauterkeitsrecht mögl i c h . 3 3 9 Allerdings hat die Rechtsprechung diejenigen
lauterkeitsrechtlichen
Ansprüche, deren Durchsetzung (auch) dem öffentlichen Interesse dient, als grundsätzlich unverwirkbar bezeichnet. Der Einwand der Verwirkung könne »grundsätzlich nur gegenüber Ansprüchen erhoben werden, mit denen individuelle Interessen verfolgt werden, nicht dagegen, wenn es um Belange der Allgemeinheit g e h t . « 3 4 0 Als Grund dafür wird angegeben, daß die Verwirkung nur die bipolare Beziehung zwischen dem Anspruchsinhaber und dem Verletzer betreffe, diese sich aber auf die im Allgemeininteresse gewährten Ansprüche nicht einschränkend auswirken dürfe. 3 4 1 D a m i t wird die Rechtsprechung des Reichsgerichts fortgesetzt, das die Klagekompetenzen aus § 13 U W G a.F. unter Berufung auf seine Rechtsprechung zur zeichenrechtlichen Popularklage als unverwirkbar bezeichnete: D a diese Kompetenzen im öffentlichen Interesse gegeben seien, 3 3 5 BGH 6 . 4 . 2 0 0 0 , GRUR 2 0 0 0 , 1 0 8 9 , 1 0 9 0 ; BGH 5 . 1 0 . 2000, GRUR 2 0 0 1 , 2 6 0 , 2 6 1 ; FezedBüscher, UWG, § 8 R n . 2 2 8 . 3 3 6 Vgl. nur BGH 6 . 4 . 2 0 0 0 , NJW 2000, 3566, 3568: Mißbrauch sei gekennzeichnet durch »sachfremde Ziele«. 3 3 7 Ebd. 3 3 8 OLG Düsseldorf 11.3. 1999, WRP 1999, 865, 866. 339 Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren 219 ff.; Fezer/Büscher, UWG, § 8 R n . 2 2 9 . 3 4 0 BGH 14.3. 1985, W M 1985, 1153, 1154; zustimmend BGH 7 . 1 1 . 2 0 0 2 , GRUR 2 0 0 3 , 628, 630. 341 Teplitzky, a.a.O. 228; Baumbach/Lauterbach/KöMer, Wettbewerbsrecht, § 1 1 UWG Rn.2.33. Im Ergebnis ähnlich Thiere, a.a.O. 292: »Da es nicht um die Durchsetzungeines materiell-rechtlichen Anspruchs, sondern um die Durchsetzung einer gegenüber der Gesamtheit der Gewerbetreibenden und der Allgemeinheit bestehenden Pflicht geht, kann gegenüber den [Verbandsklagen nach UWG] auch der Einwand des Rechtsmißbrauchs [...] nicht durchgreifen.«
110
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
könnten ihnen Einwendungen aus der Person des Klägers wie etwa die exceptio doli nicht entgegengehalten werden. 342 Die Unverwirkbarkeit betrifft mithin sämtliche Verbandsklagekompetenzen gemäß § 8 Abs. 3 UWG, da diese stets im Allgemeininteresse gewährt sind. Allerdings hat die Rechtsprechung von ihrem Grundsatz der Unverwirkbarkeit vereinzelt Ausnahmen gemacht, bei denen jedoch fraglich ist, ob man sie als »Verwirkungsfälle im eigentlichen Sinne« 343 betrachten kann. So betrifft es weniger die Verwirkung, sondern eher den Tatbestand der Verbotsnorm, wenn durch Zeitablauf eine Irreführung im Sinne des Lauterkeitsrechts nicht mehr möglich erscheint 344 oder zumindest die Irreführungsgefahr so weit geschwunden ist, daß dieses geringfügige Allgemeininteresse hinter dem inzwischen erworbenen schutzwürdigen Besitzstand des Beklagten zurücktritt. 345 Insgesamt zeigen diese Entscheidungen, daß es auch in den Fällen eines angeblich schutzwürdigen Besitzstands nicht um Verwirkung geht, sondern um eine Abwägung innerhalb des Tatbestands der irreführenden Werbung. In der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshof wird daher auch die Fallgruppe der nur geringfügigen Irreführungsgefahr bei jahrelanger Verwendung einer bestimmten Waren- oder Firmenbezeichnung nicht mehr als Problem der Verwirkung, sondern als Anwendung des dem Irreführungsverbot immanenten Verhältnismäßigkeitsgebots bezeichnet. 346 Es handelt sich also bei diesen Fällen eher um eine »tatbestandsintegrierte Form der Verhältnismäßigkeitsprüfung« 347 und nicht um einen Fall unzulässiger Rechtsausübung bei erfülltem Tatbestand. Unter Geltung des neuen UWG könnte man heute die Fälle einer verbliebenen, aber unerheblichen Irreführungsgefahr auch mit dem Merkmal der »Erheblichkeit« in § 3 UWG bewältigen. Es ist anerkannt, daß eine bloß minimale Irreführungsgefahr durch Werbung kein unlauteres Wettbewerbshandeln im Sinne des Gesetzes dar-
RG 12.6. 1931, J W 1932, 730, 733. Teplitzky, a.a.O. 229. 3 4 4 So wohl in BGH 28.1.957, GRUR 1957, 2 8 5 , 2 8 7 (langjährige Bezeichnung als »erstes Kulmbacher Bier« enthalte nicht unbedingt die Behauptung, das dies auch das beste Kulmbacher Bier sei, zumal es insoweit an einem »objektiven Maßstab für die Güte eines Bieres« fehle); BGH 2 3 . 3 . 1966, GRUR 1966, 444, 450 (keine »ernstliche Gefahr der Irreführung« durch langjährige Benutzung einer Warenbezeichnung). 3 4 5 BGH 15.10. 1976, GRUR 1977, 159, 161 (Interesse an der Fortführung einer über 60 Jahre verwendeten Firmenbezeichnung überwiegt gegenüber einer geringfügigen Gefahr der Irreführung); BGH 2 6 . 1 . 1979, GRUR 1979, 415, 416 (jahrzehntelange Verwendung einer Bocksbeutel-ähnlichen Flasche kann trotz verbleibender geringfügiger Irreführungsgefahr nicht untersagt werden); BGH 2 6 . 6 . 1986, GRUR 1986, 903, 904 (langjährige Verwendung der Firmenbezeichnung »Küchencenter« beinhaltet nur noch eine geringe Irreführungsgefahr dahingehend, daß dieser Betrieb eine gewisse Vorrangstellung oder besondere Kompetenz habe). 3 4 6 BGH 7 . 1 1 . 2 0 0 2 , GRUR 2 0 0 3 , 628, 630. 3 4 7 Hefermehl/Köhler/BorKfeaOTOT, Wettbewerbsrecht, § 5 UWG Rn.2.196 (Prüfung der Verhältnismäßigkeit innerhalb des Irreführungstatbestands trete an die Stelle des Verwirkungseinwands). 342 343
III. Verbandsklage gemäß §8 UWG
111
stellt. 3 4 8 Allerdings ist eine zusätzliche Erheblichkeitsprüfung dann entbehrlich, wenn man dieselbe Schwelle bereits in den Tatbestand der irreführenden Werbung selbst einzieht. 3 4 9 Ist dagegen diese in § 3 oder 5 U W G anzusiedelnde Schwelle überschritten und die Irreführungsgefahr erheblich, so kann auch nach der Rechtsprechung der Einwand der Verwirkung selbst dann nicht durchgreifen, wenn die fragliche Bezeichnung oder Werbung jahrelang verwendet wurde. Daher verneinte der Bundesgerichtshof eine Verwirkung im Falle einer Verbandsklage, die sich gegen den irreführenden N a m e n einer Steuerberatungsgesellschaft richtete, obwohl dieser N a m e von der Beklagten über zwanzig J a h r e ohne Beanstandungen benutzt wurde. Die Irreführungsgefahr sei hier so hoch, daß sie nicht gegenüber einem möglichen, im konkreten Fall aber ohnehin nicht vorhandenen schutzwürdigen Interesse des Beklagten zurücktreten k ö n n e . 3 5 0 Dieser Fall zeigt also, daß in Fällen, in denen der Tatbestand des unlauteren Wettbewerbshandelns gegeben ist, der Einwand der Verwirkung keine Rolle spielen kann.
7.
Sachverhaltsermittlung
Auch für das lauterkeitsrechtlichen Verfahren wird die Verhandlungsmaxime als bestimmend für die Ermittlung der Tatsachen bezeichnet. 3 5 1 Allerdings ist hier in besonderem M a ß e strittig, was als von den Parteien vorzutragende und zu beweisende Tatsache gilt und was andererseits als v o m Gericht in eigener Verantwortung zu ermitteln und zu entscheiden ist. Dieser Streit betrifft vornehmlich die bei vielen lauterkeitsrechtlichen Vorschriften relevante
»Verkehrsauffas-
sung«. So hängt etwa die Beurteilung einer W e r b e m a ß n a h m e als irreführend im Sinne von § 5 Abs. 1 U W G davon ab, o b die Werbung nach der einschlägigen Verkehrsauffassung einen unrichtigen Eindruck vermittelt. 3 5 2 Die Feststellung dieser Verkehrsauffassung - im Sinne der Frage danach, wie die beteiligten oder angesprochenen Verkehrskreise die inkriminierte Werbung verstehen 3 5 3 - wird als dem Beweis zugängliche Tatfrage verstanden. 3 5 4 Diese Auffassung beruhte Hefermehl/Köhler/ßornfeamm, ebd., § 3 UWG Rn.56. Köhler, GRUR 2005, 1, 7. 3 5 0 BGH 14.3. 1985, WM 1985, 1153, 1154. 351 Großkommentar UWG/Jacobs, Rn. D 332 vor § 13. 3 5 2 Ständige Rechtsprechung seit BGH 11.5. 1954, BGHZ 13, 244, 253; ebenso Hefermehl/ Köhlei/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, §5 UWG Rn.2.65 m.w.N. 3 5 3 So die Erläuterung bei Großkommentar UWG/Jacobs, Rn. D 364 vor § 13; ebenso der Leitsatz a) in BGH 2.10. 2003, BGHZ 156, 250. 3 5 4 BGH 5.10. 1956, GRUR 1957, 123, 124: »Die Frage, in welchem Sinne eine Wettbewerbsbehauptung in den beteiligten Verkehrskreisen verstanden wird, ist im wesentlichen tatsächlicher Natur.« Ähnlich BGH 22.3. 1967, GRUR 1967, 600, 603; vgl. aus jüngerer Zeit nur BGH 10.8. 2000, GRUR 2001, 73, 75; der Rechtsprechung zustimmend Großkommentar UWG /Jacobs, Rn. D. 365; Fezer/Büscher, UWG, §12 Rn.261; kritisch jedoch Fezer, WRP 1995, 671, 675ff. 348 349
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2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
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zunächst auf der früheren deutschen Rechtsprechung, die nicht von einem vernünftigen oder verständigem Verbraucher ausging, sondern von einem »flüchtigen Durchschnittsverbraucher« als empirischem Begriff. 3 5 5 Allerdings hatte die Rechtsprechung stets Schwierigkeiten damit, wie dieser Beweis erhoben werden sollte. Die ältere Rechtsprechung erlaubte es dem Gericht weitgehend, die fragliche Verkehrsauffassung aus eigener Sachkunde und Lebenserfahrung zu entscheiden, wenn der Tatrichter Teil der durch die Werbung angesprochenen Verkehrskreise ist und keine Umstände vorlagen, die Zweifel an der Sachkunde des Richters a u f k o m m e n ließen. 3 5 6 Dabei blieb jedoch teilweise unklar, o b die Verkehrsauffassung als offenkundige Tatsache im Sinne von § 2 9 1 Z P O einzuordnen w a r oder o b das Gericht aus anderen Gründen auf eine Beweisaufnahme verzichten k o n n t e . 3 5 7 Inzwischen hat der Bundesgerichtshof seine Grundsätze zur Ermittlung der Verkehrsauffassung in lauterkeitsrechtlichen Streitigkeiten neu formuliert. Dabei stellt er zunächst fest, daß die Vorschrift des § 2 9 1 Z P O nicht paßt, weil sie sich nur auf dem Zeugenbeweis zugängliche Tatsachen beziehe. Um eine solche handele es sich aber bei der zu ermittelnden Verkehrsauffassung nicht. Vielmehr stelle diese »Erfahrungswissen« dar, das nicht durch Zeugenbeweis, sondern nur durch Sachverständigenbeweis ermittelt werden könnte. D e r Sachverständige wiederum müsse sich dieses Wissen durch demoskopische Verfahren beschaff e n . 3 5 8 Auf den Beweis durch Sachverständigengutachten könne nach allgemeinen Grundsätzen des Beweisrechts nur dann verzichtet werden, wenn das Gericht das nötige Erfahrungswissen aufgrund eigener Sachkunde besitze, etwa weil die Richter selbst zu den von der Werbung angesprochenen Verkehrskreisen g e h ö r e n . 3 5 9 Dies entspricht den allgemeinen Grundsätzen zum Sachverständigenbeweis. D a der Sachverständige als » B e r a t e r « 3 6 0 oder » G e h i l f e « 3 6 1 des Gerichts angesehen wird, soll es im Ermessen des Gerichts liegen, o b es derartiger Beratung oder Hilfe b e d a r f . 3 6 2 Allerdings ist diese Entscheidung überprüfbar. Verzichtet das Gericht nämlich auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens, o b w o h l es selbst nicht die erforderliche Sachkunde besitzt, so handelt es sich um einen Verfahrensfehler, der im Revisionsverfahren gerügt werden kann.363 Fezer, WRP 1995, 671, 674f. BGH 22.3. 1967, GRUR 1967, 600, 603; BGH 18.10. 2001, GRUR 2002, 550, 552; weitere Nachweise etwa bei Großkommentar UWG¡Jacobs, Rn. D 367 vor § 13 UWG. 3 5 7 Vgl. BGH 29.3. 1990, GRUR 1990,607,608 (Vorstellungen der Verkehrskreise als Frage des §291 ZPO); differenzierend dagegen BGH 20.2. 1992, GRUR 1992, 406, 407. 3 5 8 BGH 2.10. 2003, BGHZ 156, 250, 254. 3 5 9 Ebd. 255. 3 6 0 BGH 3.3. 1998, NJW 1998, 3355, 3356. 361 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 840. 3 6 2 Ebd. 3 6 3 Ebd. 254; BGH 21.3. 2000, NJW 2000, 1946, 1947. 355
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III. Verbandsklage gemäß § 8 UWG
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So hielt etwa das Oberlandesgericht Köln seine eigene Sachkunde für ausreichend hinsichtlich der Frage, o b eine Werbung irreführend sei, in der Bier in einem für Köln typischen »Stangenglas« abgebildet war, obwohl das Bier nicht aus Köln stammte. Die Senatsmitglieder bezeichneten sich selbst als zum »Kreis der in Köln und Umgebung wohnenden Biertrinker« und stellte fest, daß dieser Verkehrskreis durch die inkriminierte Werbung irregeführt w e r d e . 3 6 4 Der Bundesgerichtshof h o b das Urteil auf, da die von der Werbung angesprochenen Verkehrskreise weit über Köln hinausgingen und die Mitglieder des Berufungsgericht als Biertrinker aus Köln und Umgebung so sehr von den Gewohnheiten und Denkvorstellungen des Kölner Bereichs geprägt [sind], daß sie aufgrund ihrer eigenen Kenntnis und Erfahrung die Vorstellungen und Reaktionsweisen von weniger mit »Kölsch« und »Kölsch«-Trinkgewohnheiten vertrauten Verbrauchern anderer Regionen, die nicht unerheblich über Köln und sein Einzugsgebiet hinausreichen, nicht sicher beurteilen können. 3 6 5 Diese Schwierigkeiten der Rechtsprechung mit der Feststellung der Verkehrsauffassung beruhen auf zwei Grundproblemen. Z u m einen handelt es sich bei dem Verständnis einer bestimmten Bevölkerungsgruppe nicht um Tatsachen des Einzelfalls, die etwa von den Parteien besonders sachnah vorgetragen und bewiesen werden könnten. Es handelt sich vielmehr um allgemeines Datenmaterial zur Konkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, nämlich hier demjenigen der Irreführung im Sinne von § 5 U W G . Das Gericht kann ohne derartiges Datenmaterial diese N o r m nicht sinnvoll interpretieren und ist daher darauf angewiesen, es in eigener Verantwortung zu ermitteln. Daher ist es auch nur konsequent, daß der Bundesgerichtshof für die Ermittlung der Verkehrsauffassung keinen Beweisantritt der Parteien fordert und insoweit auf § 1 4 4 Abs. 1 Satz 1 Z P O verweist. 3 6 6 Selbst wenn die Parteien einschlägiges Material darlegen oder gar »Beweis« für eine bestimmte Verkehrsauffassung anbieten, braucht das Gericht diesem Vortrag nicht zu folgen, sondern kann aus eigener Sachkunde entscheid e n . 3 6 7 Bereits hier zeigt sich ein Konflikt mit der angeblich auch im lauterkeitsrechtlichen Verfahren geltenden Verhandlungsmaxime. Wenn aus dieser abzuleiten sein soll, daß das Gericht nur solche Tatsachen berücksichtigen dürfte, die von den Parteien vorgetragen w e r d e n , 3 6 8 dann könnte das Gericht nicht von sich BGH 29.9. 1982, GRUR 1983, 32, 33. Ebd. 34. Vgl. auch den strukturell ähnlich gelagerten Fall BGH 19.1. 1995, GRUR 1995, 354,, 357: Die Mitglieder eines Senats des Oberlandesgerichts Hamburg seien nicht aus eigener Sachkunde befähigt, darüber zu entscheiden, ob die Bezeichnung »Rügenwalder Teewurst« deswegen irreführend sei, weil die betreffende Wurst seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr in Rügenwalde (Darlowo) hergestellt wird, sondern in Westdeutschland. 3 6 6 BGH 2.10. 2003, BGHZ 156, 250, 255. 3 6 7 BGH 20.2. 1992, GRUR 1992, 406, 407; zustimmend Großkommentar UWG/Jacobs, Rn. D 366 vor §13. 3 6 8 So etwa Rosenberg/Schtvab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 485. Vgl. aber den beiläufigen und nicht näher erläuterten Hinweis darauf, daß dieses angebliche Verbot der richterlichen Ein364
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2. Kapitel:
Popular-
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im geltenden
Recht
aus bestimmte empirische Tatsachen über die herrschende Verkehrsauffassung in den Prozeß einführen. Dies gilt unabhängig davon, ob solche Tatsachen aus der eigenen Sachkunde des Gerichts oder aus einem Sachverständigengutachten stammen. Daher wird die Ermittlung der Verkehrsauffassung mit Recht als Ausnahme oder Abweichung von der Verhandlungsmaxime bezeichnet. 3 6 9 Eine Abweichung vom Verhandlungsgrundsatz bedeutet aber nichts anderes als die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes für diesen Bereich, auch wenn dies weder in der lauterkeitsrechtlichen Literatur noch in der Rechtsprechung explizit gesagt wird. Gleichwohl entspricht die vom Bundesgerichtshof postulierte Pflicht des Tatrichters, aus eigener Initiative und gegebenenfalls durch Beweiserhebung von Amts wegen die jeweils relevante Verkehrsauffassung zu ermitteln, dem, was üblicherweise als Untersuchungsgrundsatz bezeichnet wird: Bei Geltung des Untersuchungsgrundsatzes sei »das Gericht berechtigt und verpflichtet, ohne Rücksicht auf Parteivortrag und -verhalten oder Beweisangebote von Amts wegen Tatsachen zu erforschen, in die Verhandlung einzuführen und ihre Wahrheit festzustellen.« 3 7 0 Genau dies verlangt aber der Bundesgerichtshof vom Tatrichter bei der Ermittlung der relevanten Verkehrsauffassung. Diese Abweichung vom Verhandlungsgrundsatz bei der Ermittlung der Verkehrsauffassung ist kein Zufall, sondern verweist auf das zweite Grundproblem derartiger Ermittlungen. Es handelt sich beim Begriff der Verkehrsauffassung eben nicht um einen rein tatsächlichen Begriff, sondern um eine Verbindung zwischen Tatsachenermittlung und richterlicher Wertung. Diese Vermengung wird daran sichtbar, daß es bei der Ermittlung der Verkehrsauffassung nicht etwa darauf ankommen soll, wie die betroffene Zielgruppe eine Werbung faktisch versteht, sondern wie sie diese zu verstehen hat. Dieses »normative Element« 3 7 1 der Feststellung der Verkehrsauffassung wird in der folgenden Formulierung des Bundesgerichtshofes deutlich: Maßgeblich für die Feststellung der Verkehrsauffassung seien die Anschauungen des »situationsadäquat durchschnittlich aufmerksamen, informierten und verständigen Verbrauchers.« 3 7 2 Diese neuere Definition lehnt sich an das Verbraucherleitbild des Europäischen Gerichtshofs 3 7 3 an und unterscheidet sich deutlich von der älteren, rein empirisch verstandenen
führung von Tatsachen in den Prozeß nur für »einzelfallbezogene Tatsachen« gelte (ebd. 482). 3 6 9 Großkommentar U W G / J a c o b s , Rn. D 3 3 4 vor § 13. 3 7 0 Thomas/Putzo/Rei'cfcoW, ZPO, Einl I R n . 6 . 3 7 1 Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 12 UWG R n . 2 . 7 1 . 3 7 2 BGH 1 8 . 1 0 . 2 0 0 1 , GRUR 2 0 0 2 , 5 5 0 , 552; BGH 2 4 . 1 0 . 2 0 0 2 , WRP 2 0 0 3 , 1 2 2 4 , 1 2 2 5 ; ebenso zur Einordnung eines Produkts als Arzneimittel BGH 2 6 . 9 . 2 0 0 2 , GRUR 2 0 0 3 , 247, 248. 3 7 3 Dieser nimmt ebenfalls den »durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher« zum Maßstab, etwa in EuGH 1 6 . 7 . 1998, Slg. 1998 I 4 6 5 7 , 4691.
III. Verbandsklage gemäß § 8 UWG
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Vorstellung des »flüchtigen Durchschnittsverbrauchers«. 3 7 4 W ä h r e n d die Feststellung des durchschnittlichen Informationsniveaus der angesprochenen Verbraucher noch eine empirische Angelegenheit sein mag, so ist mindestens die Bestimmung dessen, was »situationsadäquate Aufmerksamkeit« und »Verständigkeit« ist, ein wertender Vorgang. O b jemand ein »verständiger M e n s c h « ist oder als solcher handelt, ist eine Wertung und keine dem Beweis zugängliche empirische Aussage. 3 7 5 D a m i t reiht sich die Feststellung der Verkehrsauffassung im Lauterkeitsrecht anhand des »verständigen Verbrauchers« in eine Gruppe verwandter Figuren ein, die etwa vom »billig und gerecht Denkenden« des § 1 3 8 B G B über den »anständigen K a u f m a n n « bis hin zum »umsichtigen und gewissenhaften Versicherungsnehmer« handeln. Alle diese Figuren lassen sich unter dem Oberbegriff des »verständigen Rechtsgenossen« zusammenfassen. 3 7 6 Die Verwendung derartiger Figuren in der juristischen Argumentation ist ein »Kunstgriff«, mittels dessen ein unbestimmter N o r m t e x t in eine zur Beurteilung des Sachverhalts ausreichend konkretisierte N o r m verwandelt w i r d . 3 7 7 Einer derartigen Konkretisierung bedarf auch das Tatbestandsmerkmal »irreführend« in § 5 U W G . N u r durch den Bezug auf die Anschauungen einer bestimmten Empfängergruppe kann eine mögliche Irreführung festgestellt werden. Zugleich wird durch das normative M e r k m a l des »verständigen« Verbrauchers sichergestellt, daß nur aus Sicht des Gerichts schutzwürdige Interessen berücksichtigt werden. D e r unvernünftige Verbraucher wird also nicht als schutzwürdig betrachtet. 3 7 8 Die Berufung auf einen »verständigen« - im Gegensatz zum bloß empirisch vorhandenen - M e n s c h e n enthält also eine Beurteilung der Angemessenheit eines Verhaltens sowie die Vorstellung einer »gesellschaftlichen Vorbildfigur« 3 7 9 und damit ein v o m Gericht auszufüllendes normatives E l e m e n t . 3 8 0 Dieses Element wird in der Rechtsprechung vor allem dann bedeutsam, wenn der Gesetzgeber darauf verzichtet, konkrete Verhaltensnormen aufzustellen, und daher der Richter vom Gesetzgeber »auf die Suche nach dem sachgerechten Standard geschickt worden i s t . « 3 8 1 Die Sachgerechtigkeit der v o m Richter zu ermittelnden konkreten Verhaltensnorm wird in diesen Fällen mit dem Urteil einer verständigen oder vernünftigen Person begründet. Indem der Richter den von ihm gesetzDazu Fezer, WRP 1995, 671, 674ff. Limbach, Der verständige Rechtsgenosse 37. 3 7 6 Ebd. l f f . 3 7 7 Ebd. 22. 3 7 8 Vgl. BGH 1 8 . 1 0 . 2 0 0 1 , GRUR 2 0 0 2 , 550, 5 5 2 : Auf die vom Leitbild des verständigen Verbrauchers abweichende Anschauung einer Minderheit von Verbrauchern komme es bei der Beurteilung der Irreführungsgefahr nicht an. 374 375
379 380
381
Limbach, a.a.O. 32. Röthel,
Normkonkretisierung im Privatrecht 196 f.
Limbach, a.a.O. 85.
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2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
ten Standard so begründet, hebt er ihn von einer rein individuellen Wertung ab und siedelt ihn auf einer unpersönlichen, verallgemeinerbaren Ebene an. 382 Aufgrund dieses Elements der Normkonkretisierung muß die Feststellung der Verkehrsauffassung im Lauterkeitsrecht als etwas von der Feststellung singulärer Tatsachen Verschiedenes angesehen werden. Die Feststellung der Verkehrsauffassung ist zur Interpretation lauterkeitsrechtlicher Normen unerläßlich; ohne sie kann Rechtsanwendung nicht stattfinden. Im Gegensatz dazu ist die Feststellung der Einzeltatsachen von der Normkonkretisierung unabhängig. Ob etwa eine bestimmte Zeitungsanzeige wirklich in der Zeitung X erschienen ist, ist eine Frage des Einzelfalls und hat nichts mit der Frage zu tun, wie welche Verkehrskreise eine bestimmte Werbemaßnahme auffassen. Aufgrund dieses Unterschieds ist es sinnvoll, auch für das Lauterkeitsrecht zwischen Subsumtionstatsachen und Normtatsachen zu unterscheiden, wie es bisher vornehmlich für die AGB-Kontrolle vorgeschlagen wurde. 3 8 3 Mit Subsumtionstatsachen sind dabei solche gemeint, die sich auf den individuellen Sachverhalt beziehen und daher »Teil der individuellen Konfliktrekonstruktion« sind. 384 Dagegen sind Normtatsachen »Makro-Daten«, die in einem Konflikt erforderlich werden, um das a n z u w e n d e n d e offene R e c h t s p r o g r a m m so weit aufzufüllen bzw. zu operationalisieren, d a ß aus dem offenen R e c h t s p r o g r a m m ein eindeutiges K o n d i t i o n a l p r o g r a m m wird, welches f ü r eine Entscheidung und damit eine Subsumtion des konkreten Einzelfalls erforderlich ist. 3 8 5
Diese Konkretisierungsfunktion der Normtatsachen entspricht genau der oben dargestellten Funktion der Ermittlung der Verkehrsauffassung unter Bezugnahme auf den verständigen Verbraucher. Auch in den verfahrensrechtlichen Konsequenzen paßt die Lehre von den Normtatsachen zur dargestellten Rechtsprechung hinsichtlich der Ermittlung der Verkehrsauffassung. Als »Teil der Rechtssatzfeststellung« obliege die Ermittlung von Normtatsachen dem Richter und könne nicht in der Hand der betroffenen Parteien liegen. 386 Soweit der Richter die erforderliche Sachkunde nicht besitzt, müsse er sich diese entweder durch eigene wissenschaftliche Lektüre oder durch Sachverständigengutachten verschaffen. 387 382 Grundlegend zu den verschiedenen Funktionen der lauterkeitsrechtlichen Generalklausel bereits Teubner, Standards und Direktiven in Generalklauseln, insbes. 115 ff. 383 Zum Begriff der Normtatsachen E. Schmidt, FS Wassermann 807ff.; ebenso bereits ders., RuP 1 9 8 0 , 1 0 6 , 1 0 9 . Bei Röthel, a.a.O. 86ff. wird auch der Begriff der »Konkretisierungstatsachen« verwendet, ohne daß damit ein feststellbarer Unterschied zu demjenigen der Normtatsachen verbunden wäre. 384 Sander, Normtatsachen im Zivilprozeß 142. 385 Ebd. 144. 386 Ebd. 193. Im Ergebnis ebenso E. Schmidt, FS Wassermann 807, 812; Rüßmann, KritV 1991, 402, 409; Röthel, a.a.O. 88; Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung 401. 387 E. Schmidt, FS Wassermann 807, 812f.
III. Verbandsklage gemäß § 8 UWG
117
Eine nähere Auseinandersetzung mit der Unterscheidung zwischen N o r m t a t sachen und Subsumtionstatsachen soll erst im vierten Kapitel erfolgen, da dieses Problem kein Spezifikum des Lauterkeitsrechts ist, sondern geradezu ein gemeinsames Kennzeichen der Populär- und Verbandsklagen. Hier soll zunächst die Feststellung genügen, daß die richterliche Ermittlung der Verkehrsauffassung zu diesem Problemkreis gehört und daher nicht ohne weiteres dem Verhandlungsgrundsatz unterliegt. D a die Ermittlung der Verkehrsauffassung für die Anwendung lauterkeitsrechtlicher Begriffe wie etwa dem der Irreführung in § 5 U W G unerläßlich ist, kann es insoweit auch kein non liquet und damit keine Beweislastentscheidung g e b e n . 3 8 8 Es kann nicht »offenbleiben«, o b eine bestimmte und in ihrer konkreten Erscheinung festgestellte W e r b e m a ß n a h m e im Hinblick auf die relevante Verkehrsauffassung irreführend ist oder nicht. W ä h r e n d nämlich die Existenz und das Erscheinungsbild der jeweiligen W e r b e m a ß n a h m e eine tatsächliche Frage ist, ist die Frage nach dem irreführenden Charakter einer solchen Werbung eine Rechtsfrage. Es geht bei ihr schlicht um die Anwendung des § 5 U W G auf einen feststehenden Einzelsachverhalt. Im Bereich der Rechtsanwendung kann es jedoch kein non liquet g e b e n . 3 8 9 Wenn also in Literatur und Rechtsprechung ausgeführt wird, daß auch im Lauterkeitsrecht die allgemeinen Regeln der Beweislast gelten, 3 9 0 so kann sich dies nur auf die einzelfallbezogenen Tatsachen beziehen, nicht aber auf die Ermittlung der jeweils relevanten Verkehrsauffassung. Derartige einzelfallbezogene Tatsachen mögen etwa die Übereinstimmung einer bestimmten Produktbeschreibung mit den realen Eigenschaften dieses Produkts sein, nicht jedoch allgemeine sozialempirische Daten, aus denen sich der Irreführungsvorwurf ergibt. Es ist daher nicht nachvollziehbar, daß der Bundesgerichtshof es unter Berufung auf allgemeine Grundsätze der Beweislast einem Verbandskläger zugemutet hat, die tatsächlichen Marktverhältnisse darzulegen und zu beweisen, aus denen sich der Vorwurf irreführender Werbung ergeben soll. 3 9 1 Diese Entscheidung paßt auch nicht zu den oben referierten Grundsätzen des Bundesgerichtshofs zur richterlichen Ermittlung der Verkehrsauffassung. Die Frage, wie ein verständiger Verbraucher eine bestimmte W e r b e m a ß n a h m e versteht, hängt gerade von den Verhältnissen auf dem jeweiligen M a r k t ab. Daher sind diese über den Einzelfall hinausgehenden Daten v o m Gericht von Amts wegen zu ermitteln.
3 8 8 Insoweit zögernd noch Kur, Beweislast und Beweisführung im Wettbewerbsprozeß 167: In Fragen der Verkehrsauffassung sei ein non liquet »relativ selten«; dies sei »selbstverständlich, wenn man die Verkehrsauffassung normativ ermittelt.« 3 8 9 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, §293 Rn.10. 3 , 0 BGH 17.2. 2000, WRP 2000, 724, 727; BGH 27.11. 2003, GRUR 2004, 246, 247; Großkommentar UWG/Jacobs, Rn. D 354 vor §13; Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 12 UWG Rn.2.89; Fezer/Büscher, UWG, § 12 Rn.275. 391 BGH 27.11. 2003, GRUR 2004, 246, 247.
118
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden Recht
Diese Unsicherheiten der Rechtsprechung hinsichtlich der Beweislastverteilung werden allerdings teilweise dadurch kompensiert, daß sich auch im Lauterkeitsrecht eine Reihe von Fallgruppen entwickelt hat, in denen dem Kläger Beweiserleichterungen zugute k o m m e n . Dies gilt insbesondere hinsichtlich solcher Tatsachen, die aus der Sphäre des Beklagten stammen oder über die sich dieser ohnehin hätte informieren m ü s s e n . 3 9 2
8.
Kosten
Im lauterkeitsrechtlichen Verfahren gelten die Kostenregeln der § § 9 1 ff. Z P O 3 9 3 mit den Möglichkeiten der Streitwertherabsetzung gemäß § 1 2 Abs. 4 U W G . Diese Vorschrift entspricht im wesentlichen ihrer Vorgängerin in § 2 3 a U W G a.F. N o c h im Referentenentwurf des neuen U W G wurde allerdings vorgeschlagen, auf Regeln zur Streitwertherabsetzung gänzlich zu verzichten, da diese sich entweder nicht bewährt hätten oder dasselbe Ergebnis auch mit den allgemeinen Regeln zum Streitwert erreicht werden k ö n n e . 3 9 4 Diese Ansicht konnte sich jedoch im Gesetzgebungsverfahren nicht durchsetzen. Schon im Regierungsentwurf wurde die Vorschrift zur Streitwertherabsetzung ohne weitere Begründung wieder eingeführt. 3 9 5 Die Streitwertbegünstigung nach § 2 3 b U W G a.F. ist v o m Bundesverfassungsgericht für verfassungsgemäß erklärt w o r d e n . 3 9 6 Auch die Streitwertherabsetzung gemäß § 2 3 a U W G a.F. wurde in der Rechtsprechung für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten. 3 9 7 Für die Neuregelung in § 1 2 Abs. 4 U W G dürfte sich kein abweichendes Ergebnis ergeben, da sie gegenüber der alten Rechtslage nur redaktionelle Änderungen e n t h ä l t . 3 9 8
9.
Verjährung
Für lauterkeitsrechtliche Unterlassungsansprüche schreibt § 1 1 U W G besondere Verjährungsregeln vor. D a n a c h verjähren diese Ansprüche in sechs M o n a t e n nach Kenntnisnahme von der fraglichen Handlung und der Person des Störers, spätestens aber drei J a h r e nach Begehung der Handlung. Bei wiederholten gleichartigen Handlungen begründet jede einzelne neue Handlung einen neuen
3 9 2 Nachweise bei Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren 621; Köhler/ Piper, UWG, Rn.335ff. vor § 13 UWG. 3 9 3 Vgl. Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 12 UWG Rn.2.116ff. 3 9 4 Bundesministerium der Justiz, Referentenentwurf für ein neues UWG v. 23.1. 2003, 25. 3 9 5 BT-Drs. 15/1487, 25. 3 9 6 BVerfG 16.1. 1991, NJW-RR 1991, 1134. 3 9 7 OLG Koblenz 1.6. 1989, GRUR 1989, 764, 765; zustimmend Hefermehl/KöMer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 12 UWG Rn.5.18. 3 9 8 So auch Fezer/Büscher, UWG, § 12 Rn. 172 m.w.N.
IV. Verbandsklage gemäß
§10UWG
119
Unterlassungsanspruch mit einer neu laufenden Verjährungsfrist. 3 9 9 Allerdings beginnt die Verjährung bei einer Dauerhandlung so lange nicht, wie der durch die Handlung hervorgerufene Störungszustand noch a n d a u e r t . 4 0 0 Die Verjährung einer auf § 8 U W G gestützten Unterlassungsklage ist jedoch dann strittig, wenn diese mit einer Erstbegehungsgefahr begründet wird. Hier wurde in der älteren Rechtsprechung argumentiert, daß diese Gefahr eine Dauerbedrohung sei und daher eine Verjährung nicht in Frage k o m m e . 4 0 1 Heute geht man allerdings aufgrund der insoweit nicht differenzierenden Verjährungsregelung des § 1 1 Abs. 1 U W G davon aus, daß auch bei Erstbegehungsgefahr jedenfalls grundsätzlich eine Verjährung möglich erscheint. 4 0 2 Daneben wird vorgeschlagen, daß eine Verjährung bei Erstbegehungsgefahr jedenfalls dann in Betracht k o m m t , wenn diese sich auf einen einzelnen in der Vergangenheit liegenden Anknüpfungspunkt stützt - etwa eine spezifische Vorbereitungshandlung. 4 0 3 Diese Problematik zeigt, daß das Instrument der Verjährung zur lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsklage nicht recht paßt. Besteht nämlich eine Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr, so entsteht die Unterlassungsklagekompetenz »ständig neu« und eine Verjährung kann nicht eintreten. 4 0 4 Insoweit ist der älteren Rechtsprechung zuzustimmen. Ist dagegen die Gefahr vorbei, so enstand der fragliche »Anspruch« zuletzt an dem Tage, an dem die Gefahr zuletzt gegeben war. In diesen Fällen ist eine Verjährung theoretisch möglich, und die Verjährungsfrist beginnt gemäß § 1 1 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 4 U W G an diesem Tage. Gleichzeitig ist in derartigen Fällen das Institut der Verjährung aber unnötig: Wird eine Klage nach dem betreffenden Tag erhoben, so ist sie ohnehin unbegründet, da keine Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr mehr besteht und somit der Tatbestand des § 8 Abs. 1 U W G nicht erfüllt ist. 4 0 5
IV. Verbandsklage gemäß 510
UWG
Die Erweiterung des Klagziels der UWG-Verbandsklage auf Schadensersatz wurde in der rechtspolitischen Diskussion wiederholt vorgeschlagen. 4 0 6 In der DisTeplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren 210 m.w.N. BGH 2 8 . 9 . 1973, GRUR 1974, 99, 100. 4 0 1 BGH 2 9 . 9 . 1978, GRUR 1979, 121, 122 (keine Verjährung bei vorbeugender Unterlassungsklage). 4 0 2 Hefermehl/KöMer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 11 UWG Rn.1.3. 403 A. Schulz, WRP 2005, 274, 277. 4 0 4 Hefermehl/KöMer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 11 UWG Rn. 1.3. 4 0 5 Vgl. allerdings Köhler, J Z 2 0 0 5 , 4 8 9 , 4 9 0 , der eine Verjährung in derartigen Fällen trotzdem für möglich hält, wenn das die Gefahr begründende Ereignis abgeschlossen ist. Gegen eine solche Konstruktion spricht aber, daß auch nach derartigen Ereignissen noch eine Gefahr vorliegen muß, um überhaupt einen Unterlassungsanspruch zu begründen. Liegt sie aber vor, so entsteht der Anspruch wiederum neu, so daß die Verjährung keine Rolle spielen kann. 4 0 6 Etwa bei Hopt/Baetge, in: Basedow u.a. (Hrsg.), Die Bündelung gleichgerichteter Interes399
400
120
2. Kapitel:
Popular-
und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
kussion spielt insbesondere das Argument der »Streuschäden« eine wichtige Rolle. Mit diesem Begriff werden oft Schäden bezeichnet, die zwar in ihrer Summe bedeutsam, in der auf den einzelnen Geschädigten entfallenden Höhe aber so gering sind, daß es aus Sicht jedes Betroffenen rational ist, auf die rechtsförmige Durchsetzung seiner Rechte zu verzichten. 4 0 7 Daher kann eine auf Unterlassungsklagen beschränkte Kontrollkompetenz der Verbände nur begrenzt wirksam sein. Die bloße Unterlassungsklage wird daher als eine »stumpfe Waffe« gegen durch unlauteren Wettbewerb erzielte Gewinne bezeichnet. 4 0 8 Der nunmehr eingeführte Gewinnabschöpfungsanspruch soll sicherstellen, daß sich unlauterer Wettbewerb nicht lohnt; es soll einmal mehr eine »Rechtsdurchsetzungslükke« geschlossen werden. 4 0 9
1. S a c h l i c h e r A n w e n d u n g s b e r e i c h Die Gewinnabschöpfungskompetenz gemäß § 10 U W G gilt nicht für alle Verstöße gegen das Lauterkeitsrecht, sondern ist in doppelter Weise beschränkt: Gemäß § 10 Abs. 1 U W G lösen nur vorsätzliche Verstöße diese Kompetenz der Verbände aus, und von diesen auch nur solche, durch die »zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern ein Gewinn erzielt« wird. Die Einschränkung hinsichtlich der Zahl der Betroffenen mag man dadurch erklären, daß das mit § 10 U W G zu bekämpfende Rechtsdurchsetzungsdefizit in Fällen singulärer oder vereinzelter Betroffenheit nicht besonders ins Gewicht fällt und man es insoweit bei den Ansprüchen der konkret Betroffenen belassen kann. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollen daher »individuelle Wettbewerbsverstöße« keine Gewinnabschöpfungskompetenz begründen, »etwa die Irreführung anlässlich eines einzelnen Verkaufsgesprächs.« 4 1 0 Dagegen ist die Beschränkung auf vorsätzliche Verstöße erst als Entschärfung der Vorschrift während des Gesetzgebungsverfahrens eingeführt worden. Die mögliche Belastung der Unternehmen sollte begrenzt werden. 4 1 1 Zuvor war noch die Einbeziehung grob fahrlässigen Handelns geplant gewesen. 4 1 2 Aus der sen im Prozeß 11, 44ff.; ebenso bereits Mertens, Z H R 139 (1975) 4 3 8 , 4 7 4 f . Ausführlich zur rechtspolitischen Diskussion um kollektive Schadensersatzansprüche im Lauterkeitsrecht Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung 14 ff. 4 0 7 Regierungsbegründung zum Entwurf des neuen UWG, BT-Drs. 15/1487, 23. Vgl. bereits Reich, Z R P 1978, 100, 101: »Die kollektivrechtliche Komponente hat als Ausgangspunkt, daß Verbraucherschäden durch Werbung mit unlauteren Wettbewerbsmethoden im Einzelfall so geringfügig sind, daß sie durch einzelne Verbraucher kaum geltend gemacht werden.« 408 Köhler, G R U R 2 0 0 3 , 2 6 5 . 4 0 9 Regierungsbegründung zum Entwurf des neuen UWG, BT-Drs. 15/1487, 23. 4 1 0 Ebd. 24. 4 1 1 Insoweit zum Gesetzgebungsverfahren Vtztt/von Braunmühl, UWG, § 10 Rn. 156ff. 4 , 2 Referentenentwurf des BMJ vom 2 3 . 1 . 2 0 0 3 , 4 6 : »Eine Beschränkung auf vorsätzliches Handeln wäre indes zu eng, da Vorsatz das schwer nachzuweisende Bewußtsein der Rechtswidrigkeit voraussetzt. Eine Haftung für Vorsatz und grobe Fahrläsigkeit erscheint gerechtfertigt,
IV. Verbandsklage gemäß §10
UWG
121
regierungsamtlichen Begründung kann man entnehmen, daß das Prozeßrisiko der betroffenen Unternehmen in Fällen bloß fahrlässiger Verletzungen des Lauterkeitsrechts als »unangemessene Belastung für die Wirtschaft« eingestuft wurde. 413 Immerhin liege fahrlässiges Handeln nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes schon dann vor, wenn sich der Unternehmer »in einem Grenzbereich wettbewerbsrechtlicher Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit bewegt und deshalb mit einer abweichenden Beurteilung seines zumindest bedenklichen Verhaltens rechnen muß.« 4 1 4 Ein in diesem Grenzbereich rechtswidrig arbeitender Unternehmer soll also seine Gewinne nicht abführen müssen. In dieser Beschränkung auf vorsätzliche Verstöße liegt ein erheblicher Wertungswiderspruch zu § 9 Satz 1 UWG. Diese Vorschrift gewährt immerhin auch bei fahrlässigen Verstößen einen Schadensersatzanspruch für Mitbewerber, während Schäden der Abnehmer bei fahrlässigen Verstößen jedenfalls nicht aufgrund des UWG geltend gemacht werden können. 4 1 5 Die Bundesregierung erklärt diesen Widerspruch damit, daß § 10 UWG anders als § 9 UWG nicht dem »Interessenausgleich, sondern vielmehr einer wirksamen Abschreckung diene.« 416 Diese Abschreckung wird hier - ganz anders als im sonstigen Deliktsrecht - also nur gegenüber vorsätzlichem Handeln für nötig erachtet. Auch bei § 10 UWG stellt sich außerdem die Frage, inwieweit sich der sachliche Anwendungsbereich dieser Vorschrift mit anderen Gesetzen überschneidet. Geht man mit der herrschenden Ansicht davon aus, daß die Verwendung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen zugleich eine unlautere Wettbewerbshandlung gemäß §§ 3, 4 Nr. 11 UWG darstellt, 417 so betrifft der Gewinnabschöpfungsanspruch aus § 10 UWG auch solche Verstöße. Dasselbe gilt für einen Verstoß gegen Verbraucherschutzgesetze im Sinne von § 2 UKlaG und für Verstöße gegen das GWB, soweit diese zugleich als unlauteres Wettbewerbshandeln einzustufen sind. 418 2. A k t e u r e Die Gewinnabschöpfungskompetenz kann von denselben Verbänden ausgeübt werden, die gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2-A UWG zur Erhebung der lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsklage befugt sind. Anders als bei der Unterlassungsklage sind da dann sämtliche offensichtliche Verstöße gegen das UWG einen Gewinnabschöpfungsanspruch nach sich ziehen können.« 413 BT-Drs. 15/1487, 24. 4,4 Ebd. mit Verweis auf BGH 6.5. 1999, GRUR 1999, 923, 928. 415 Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 9 UWG Rn.1.10: Der Schutz der Abnehmer »im Vertikalverhältnis« werde ausreichend durch das Bürgerliche Recht gewährleistet. 416 BT-Drs. 15/1487, 24. 417 Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 4 UWG Rn. 11.17 m.w.N. 418 Dazu oben, S.90ff.
122
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
dagegen die Mitbewerber nicht klagebefugt. Dies sei »mit Blick auf den Sanktionscharakter nicht angemessen«, heißt es dazu in der Gesetzesbegründung. 4 1 9 Diese Äußerung ist jedoch vor dem Hintergrund der Entscheidung, daß der abzuschöpfende Gewinn an den Bundeshaushalt abgeführt werden muß, nicht recht verständlich. Es wäre wohl wirklich unangemessen, wenn ein Unternehmer sich dadurch einen Vorteil verschafft, daß er den auf Kosten der Konsumenten erzielten Gewinn seines Konkurrenten vereinnahmt. Dies ist aber im Rahmen des § 10 UWG nicht möglich. Vielmehr könnte der klagende Konkurrent nur dafür sorgen, daß der rechtswidrig erzielte Gewinn an den Bundeshaushalt abgeführt wird, wodurch der Kläger aber keinen wirtschaftlichen Vorteil hätte. Es ist daher nicht verständlich, wo im Ergebnis der Unterschied zwischen der Klage eines Verbandes oder eines Konkurrenten liegen soll. Die Sanktion wäre in beiden Fällen dieselbe. Auch bei § 10 UWG findet man also wieder Einschränkungen der Klagebefugnis, die rational nicht nachvollziehbar sind.
3. Klagziel Inhalt der in § 10 UWG geregelten Gewinnabschöpfungskompetenz ist die Herausgabe des Gewinns, der zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern durch das vorsätzliche unlautere Wettbewerbshandeln erzielt wurde. Ein solchermaßen erzielter Gewinn soll dann vorliegen, wenn eine »wirtschaftliche Schlechterstellung« der betroffenen Verbraucher eingetreten ist. 420 Dies wird in der Literatur dahingehend erläutert, daß diese Verbraucher eine Ware oder Dienstleistung erworben haben, die ihr Geld nicht wert ist oder die sie »im Grunde nicht haben wollen.« 4 2 1 a) Klage zugunsten des
Bundeshaushalts
Der abzuschöpfende Gewinn steht jedoch nicht dem siegreichen Verbandskläger zu, sondern gemäß § 10 Abs. 1 UWG dem Bundeshaushalt. Mit dieser eigentümlichen Regelung soll einmal mehr vermieden werden, »daß der Anspruch aus dem letztlich sachfremden Motiv der Einnahmeerzielung heraus geltend gemacht würde. « 4 2 2 Als Alternative zur Abführung an den Bundeshaushalt war die Einrichtung einer besonderen Stiftung im Gespräch, was jedoch aufgrund des damit verbundenen Verwaltungsaufwands vorerst zurückgestellt wurde. 4 2 3 Es ist allerdings schwer einzusehen, warum ein Verband, der durch seine Klage Rechtsverstöße abstellt, dafür nicht auf Kosten des Rechtsbrechers finanziell be419 420 421 422 423
BT-Drs. 15/1487, 24. Ebd. Köhler, GRUR 2003, 265, 266. Regierungsbegründung, BT-Drs. 15/1487, 25. Ebd.
IV. Verbandsklage gemäß §10
UWG
123
lohnt werden soll. Dies gilt jedenfalls dann, wenn man - wie anläßlich der UWGReform vorgeschlagen - dem Verband auferlegt, die abgeschöpften Gewinne nur für seine satzungsgemäßen Zwecke etwa des Verbraucherschutzes zu verwenden. 424 Eine derartige Verteilung der abgeschöpften Mittel entspräche auch strukturell eher der Idee eines auf Privatinitiative durchzusetzenden Lauterkeitsrechts. Die klagebefugten Verbände könnten ihre Tätigkeit durch derartige Einnahmen möglicherweise zum Teil selbst finanzieren. Die stets mitzudenkende Alternative einer behördlichen Durchsetzung des Lauterkeitsrechts - etwa durch Errichtung eines Bundesamtes gegen den unlauteren Wettbewerb als Pendant zum Bundeskartellamt - würde für den Steuerzahler dagegen sehr kostspielig, ohne daß dagegen je prinzipielle Bedenken geäußert werden. 425 Es ist also inkonsequent, wenn einerseits die Durchsetzung des Lauterkeitsrechts privaten Organisationen anvertraut wird, andererseits die aufgrund dieser Durchsetzung eingetriebenen Mittel diesen Organisationen vorenthalten werden. Durch die Abführung abgeschöpfter Gewinne an den Bundeshaushalt besteht für die klageberechtigten Verbände daher kaum ein Anreiz, auf diesem schwierigen und neuartigen Feld tätig zu werden. Es ist davon auszugehen, daß der ohnehin nicht einfach zu handhabende § 10 UWG in seiner derzeitigen Form nur ein »schöner bunter Papiertiger« 426 bleibt. Es bleibt zu hoffen, daß die bloße Existenz der Vorschrift abschreckende Wirkung entfalten kann. 4 2 7 b) Feststellungsklage
aus §10
UWG?
Allerdings wird im Schrifttum erwogen, die bisher im Lauterkeitsrecht entwikkelten Grundsätze zur privilegierten Feststellungsklage bezüglich eines möglichen Schadens auch auf § 10 UWG anzuwenden. 428 Die Rechtsprechung macht hier eine bereichsspezifische Ausnahme von dem Grundsatz, daß ein Feststellungsinteresse dann nicht gegeben sei, wenn der Kläger auch auf Leistung klagen könne. Aus prozeßökonomischen Gründen sei im gewerblichen Rechtsschutz und im Urheberrecht auch in diesen Fällen oft ein Feststellungsinteresse gegeben. Dies wird damit begründet, daß in diesen Bereichen die »Begründung des Schadensersatzanspruchs Schwierigkeiten bereiten kann und einer eingehenden sachlichen Prüfung - auch hinsichtlich der Berechnungsmethode - bedarf.« 429 Bei Anwendung dieser Grundsätze könnte ein Vorgehen nach § 10 UWG aus Sicht 424 Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung 125 und 129; zustimmend E^ey/Klippel, Wettbewerbsrecht, § 10 UWG Rn.25. 425 Darauf weist zu Recht hin Beater, Unlauterer Wettbewerb 781. 426 Stadler/Micklitz, WRP 2003, 559, 562. 427 So der Wunsch bei Hefermehl/KöWer/Bornkamm, § 10 UWG Rn.2. 428 Teplitzky, GRUR 2004, 900, 905. 429 BGH 17.5. 2001, GRUR 2 0 0 1 , 1 1 7 7 , 1 1 7 8 m.w.N.; ebenso auch unter Geltung des neuen Verjährungsrechts nach der Schuldrechtsreform BGH 15.5. 2003, GRUR 2003, 900, 901.
124
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
der klageberechtigten Verbände erleichtert werden, da das Problem der Gewinnermittlung zunächst entfällt. So wäre etwa daran zu denken, daß eine auf § 8 UWG gestützte Unterlassungsklage mit einem Feststellungsantrag verbunden wird. Dieser könnte dahingehend formuliert werden, daß der Beklagte den erzielten Gewinn aus der jeweiligen wettbewerbswidrigen Handlung an den Bundeshaushalt herauszugeben hat. 4 3 0 c) Dogmatische
Einordnung
des §10
UWG
Die dogmatische Einordnung der Gewinnabschöpfungskompetenz ist bisher unklar. Immerhin hat sie eine gewisse Ähnlichkeit mit einem bereicherungsrechtlichen Anspruch, weil eine unrechtmäßig entstandene Bereicherung abgeschöpft werden soll. Gegen eine derartige Einordnung spricht aber, daß die Klagekompetenz hier nicht dem Ausgleich ungerechtfertigter Bereicherungen dient, sondern daß diese auf Initiative eines nicht selbst entreicherten Verbandes nur abgeschöpft wird. Ein derartiger »Bereicherungsanspruch eines anderen als des Entreicherten ist unserer Zivilrechtssystematik nicht bekannt.« 431 Letztlich behilft man sich derzeit damit, § 10 UWG als einen Anspruch sui generis zu bezeichnen. 432 Teilweise wird auch der strafende Charakter des § 10 UWG hervorgehoben und die darauf gestützte Klage in die Nähe eines Strafverfahrens gerückt. 433 Gegen eine solche strafrechtliche Deutung des § 10 UWG spricht aber bereits der zivilrechtliche Charakter der Vorschrift, der vornehmlich darin besteht, daß es ein Privatrechtssubjekt ist, welches die betreffende Kompetenz besitzt und diese auch im Zivilprozeß durchsetzen muß. Es handelt sich auch nicht um eine Privatstrafe im Sinne der römischen actiones populäres, da der eingeklagte Betrag nicht dem Kläger, sondern dem Bundeshaushalt zugute kommt. Für eine Einordnung als Strafklage spricht immerhin, daß § 10 UWG keinen ausgleichenden Charakter hat und im wesentlichen generalpräventiven Zwekken dient. Trotzdem kann man § 10 UWG letztlich nicht als Strafvorschrift begreifen. Kennzeichnend für eine (Geld-) Strafe ist nämlich, daß das Vermögen des Betroffenen über den Ausgleich ungerechtfertigter Gewinne hinaus zusätzlich gemindert würde, wie es im normalen Strafverfahren der Fall ist. Bei einer wirklichen Strafe - etwa einer Geldstrafe gemäß § 40 StGB - besteht ja die Verpflichtung zur Zahlung der Geldstrafe zusätzlich und unabhängig von etwaigen
4 3 0 Vgl. die Antragsformulierung zur Feststellungsklage im Schadensersatzprozeß bei Hefermehl/fCöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 12 UWG Rn.2.59. 431 Wimmer-Leonhardt, GRUR 2 0 0 4 , 12, 16. 4 3 2 Hefermehl/KöWer/Bornkamm, § 1 0 UWG Rn.5; FezerIvon Braunmühl, UWG, § 1 0 Rn. 94. 433 Wimmer-Leonhardt, GRUR 2 0 0 4 , 12, 18.
IV. Verbandsklage gemäß § 10 UWG
125
zivilrechtlichen Ansprüchen der Geschädigten. 4 3 4 Gerade dieses zusätzliche strafende Element fehlt aber bei § 1 0 U W G . 4 3 5 D e m Beklagten wird nur das genommen, was er sich durch rechtswidriges Wettbewerbshandeln verschafft hat. Im Gegensatz zum normalen Strafrechtsfall darf er gemäß § 1 0 Abs. 2 Satz 1 U W G sogar noch Bußgelder und ähnliche Strafzahlungen von dem zu erstattenden Gewinn abziehen - ein N o v u m , das im Gesetzgebungsverfahren mit Recht kritisiert w u r d e . 4 3 6 Es führt zu der erstaunlichen Konsequenz, daß ein Täter, der bereits den unrechtmäßig erzielten Gewinn abgeführt hat und anschließend noch zu einer Geldbuße verurteilt wird, sich diese Geldbuße gemäß § 1 0 Abs. 2 Satz 2 v o m Bundesverwaltungsamt erstatten lassen k a n n . 4 3 7 Es handelt sich insgesamt bei § 1 0 U W G um eine »legislatorische Konstruktion ohne V o r b i l d « 4 3 8 , um eine besondere Mischung bereicherungs- und strafrechtlicher Elemente. Daher ist der Einordnung als Instrument sui generis
zuzu-
stimmen.
d) Verfassungsrechtliche
Bedenken?
Bereits vor Inkrafttreten des neuen U W G wurden gegen die Gewinnabschöpfungsklage schwerwiegende Bedenken e r h o b e n . 4 3 9 Sie wird gar für möglicherweise verfassungswidrig gehalten. 4 4 0 Diese verfassungsrechtlichen
Bedenken
werden auf die bereits angesprochenen strafenden K o m p o n e n t e n der Vorschrift gestützt. So wird argumentiert, daß der Staat mit § 1 0 U W G seine Strafbefugnisse privaten Verbänden überlasse, was gegen das Prinzip der »Staatlichkeit« des Strafens verstoße. 4 4 1 Statt des v o m Gesetzgeber gewählten Weges wird daher eine Erweiterung der strafrechtlichen Verfallsvorschriften und eine Anerkennung individueller Schadensersatzansprüche einzelner Verbraucher vorgeschlagen. 4 4 2 Allerdings wird das Problem der Streuschäden, dem mit § 1 0 U W G begegnet werden soll, durch die Erweiterung individueller Ansprüche gerade nicht gelöst. 4 4 3 Es ist schließlich nicht der Mangel an rechtlichem Schutz, sondern das tatsächliche rationale Desinteresse, durch das dieses Problem entsteht.
4 3 4 Vgl. zur Unabhängigkeit zivilrechtlicher Ansprüche von strafrechtlichen Verurteilungen BGH 29.11. 1994, BGHZ 128, 117, 123 f. 4 3 5 Dazu Oppermann/Müller, GRUR 2005, 280, 281 f. 4 3 6 Stellungnahme des Bundesrates, in: BT-Drs. 15/1487, 35. 4 3 7 Kritisch dazu Efcey/Klippel, Wettbewerbsrecht, § 10 UWG Rn.28 und 54. 4 3 8 Ebd. Rn. 11. 4 3 9 Insbesondere bei Sack, WRP 2003,549,558: »Für einen Gewinnabführungsanspruch besteht kein Handlungsbedarf.« 440 Wimmer-Leonhardt, GRUR 2004, 12, 18. 4 4 1 Ebd.; ähnlich Sack, WRP 2003, 549, 552. 442 Wimmer-Leonhardt, a.a.O. 20. 4 4 3 Hefermehl/KöWer/Bornkamm, § 10 UWG Rn.4.
126
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden Recht
Die dargestellten verfassungsrechtlichen Bedenken sind jedoch trotz des in gewisser Hinsicht pönalen Charakters des § 1 0 U W G nicht nachvollziehbar. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß das Zivilrecht auch in vielen anderen Bereichen pönale Elemente e n t h ä l t ; 4 4 4 man denke nur an die jüngere Rechtsprechung zur Geldentschädigung bei Persönlichkeitsverletzungen 4 4 5 oder an die pauschale Gebührenverdoppelung zugunsten der G E M A bei einer ungenehmigten öffentlichen M u s i k w i e d e r g a b e . 4 4 6 Ebenso wie bei § 1 0 U W G kann man jedoch auch diese pönalen Elemente im Zivilrecht nicht als Wahrnehmung einer Strafkompetenz durch Private beschreiben. Es ist eben nicht der private Kläger, der die jeweilige Sanktion ausspricht, sondern das staatliche Gericht. D a b e i m u ß das Gericht ebenso wie bei allen anderen zivilrechtlichen oder sonstigen Entscheidungen »nach den Vorgaben der Verfassung form- und verfahrensgerecht« 4 4 7 arbeiten. Die Tatsache, daß das Verfahren durch eine Privatperson eingeleitet wird, ändert nichts am staatlichen Charakter des sanktionierenden Urteils. Der klageberechtigte Verband hat weder staatsanwaltschaftliche Ermittlungs- noch gerichtliche Sanktionierungsbefugnisse. 4 4 8 Die Klage aus § 1 0 U W G unterscheidet sich insofern nicht von jeder anderen zivilprozessualen Klage, bei der es immer darum geht, daß eine Privatperson den potentiellen Einsatz des staatlichen Gewaltmonopols beantragt. N ä h m e man die diesbezügliche Kritik an § 1 0 U W G als »outsourcing von S t r a f j u s t i z « 4 4 9 ernst, so müßten dieselben Bedenken schließlich auch gegen die strafrechtliche Privatklage nach §§ 3 7 4 f f . StPO gerichtet werden. Auch bei dieser ist aber ausgemacht, daß die Verfahrenseinleitung durch eine Privatperson nichts an der Staatlichkeit des Strafens ä n d e r t . 4 5 0 Daher können an der Verfassungsmäßigkeit des § 1 0 U W G keine ernstlichen Zweifel bestehen. 4 5 1
Ausführlich dazu Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht 252ff. Grundlegend BGH 15.11. 1994, BGHZ 128, 1, 15f. (Genugtuungs- und Präventionszwecke bei der Bemessung der Geldentschädigung wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts). 4 4 6 BGH 10.3.1972, BGHZ 59,286,291 (generalpräventives Element der Verpflichtung zur Zahlung der doppelten Tarifgebühr). 447 Wimmer-Leonhardt, a.a.O. 18. 4 4 8 Darauf verweist mit Recht Fezer/fon Braunmühl, UWG, § 10 Rn. 137. 449 Sack, GRUR 2003, 549, 558. 4 5 0 Vgl. nur BVerfG 5.2. 1981, BVerfGE 56, 185, 186: Objektivität und Fairness des Privatklageverfahrens werden durch das Gericht gewährleistet; Karlsruher Kommentar StPO/Pfeiffer, Einl. Rn. 182: Der Privatkläger »hilft lediglich, den staatlichen Strafanspruch durchzusetzen.« 4 5 1 Ebenso im Ergebnis E^ey/Klippel, Wettbewerbsrecht, §10 UWG Rn. 19; FezerIvon Braunmühl, UWG, § 10 Rn. 151 (»bleibt im Rahmen deutscher Rechtsstaatlichkeit«); Hefermehl/KöMer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 10 UWG Rn.3 (»verletzt nicht das Strafmonopol des Staates«). 444 445
IV.
Verbandsklage
gemäß §10
UWG
127
4. Rechtskraft und Rechtshängigkeit Wenn mehrere Verbände die Gewinnabschöpfungskompetenz geltend machen, dann sollen nach § 10 Abs. 3 UWG die Vorschriften über die Gesamtgläubigerschaft (§§428-430 BGB) Anwendung finden. Jedem Verband soll also ein eigener »Anspruch« zustehen, mag dieser auch auf eine einzige einheitliche Leistung gerichtet sein. Diese Verweisung auf die Regeln der Gesamtgläubigerschaft paßt jedoch nicht recht zu der Entscheidung, daß der eingeklagte Betrag an den Bundeshaushalt abzuführen ist. Insbesondere ist § 430 BGB schlichtweg nicht anwendbar, denn die Gläubiger müssen den Forderungsbetrag ja sowieso an den Bundeshaushalt abführen. Was bedeutet die Verweisung auf §§428ff. BGB nun für das Problem der Mehrfachverfolgung? Im Grundsatz sind Parallelklagen mehrerer Verbände möglich, da die herrschende Meinung bei der Gesamtgläubigerschaft von jeweils eigenen und unterschiedlichen Streitgegenständen ausgeht. 452 Ein Urteil gegen einen Gesamtgläubiger entfaltet daher auch keine Rechtskraftwirkung gegenüber einem anderen Gesamtgläubiger. Dies ergibt sich aus der in § 429 Abs. 3 BGB enthaltenen Verweisung auf §425 Abs. 2 BGB. 453 Nach § 428 BGB kann der Schuldner außerdem nach Belieben an einen der Gläubiger leisten. In diesem Fall wirkt die Erfüllung gemäß §§429 Abs. 3, 422 BGB auch gegenüber den Ansprüchen der anderen Gläubiger. In der Literatur ist daher auf die »Gefahr« hingewiesen worden, daß ein beklagtes Unternehmen dem klagenden Verband die »Klage aus der Hand schlägt,« indem es nach Klageerhebung an einen anderen Verband den eingeklagten Betrag zahlt und die Klage damit wegen §§10 Abs. 3 UWG, 429 Abs. 3 Satz 1,422 Abs. 1 Satz 1 BGB unbegründet wird. 454 Es ist aber nicht ganz klar, was an einer solchen Konstellation so bedauerlich wäre, denn der klagende Verband könnte in diesem Falle den Prozeß für erledigt erklären, was gemäß § 91a ZPO zur Belastung des beklagten Unternehmens mit den Prozeßkosten führte. 4 5 5 Der klagende Verband würde also keineswegs geschädigt, 456 sondern stünde nicht anders da als nach einem obsiegenden Urteil. Die Konstruktion der Gesamtgläubigerschaft will trotzdem nicht recht zu der Entscheidung passen, die abgeschöpften Gewinne letztlich dem Bundeshaushalt 452
Hefermehl/KöWer/Bornkamm, § 10 U W G Rn. 18. B G H 1 6 . 1 1 . 1951, B G H Z 3, 385, 389; ebenso B G H 1 1 . 3 . 1983, N J W 1984, 127, 128; Z ö l l e r / V o l l k o m m e r , Z P O , § 3 2 5 Rn. 9. 454 Wimmer-Leonhardt, G R U R 2 0 0 4 , 12, 19, F n . 9 1 . 455 Efeey/Klippel, Wettbewerbsrecht, § 10 U W G R n . 6 0 . 456 So aber Wimmer-Leonhardt, a . a . O . 19, unter fälschlicher Berufung auf Micklitz/Stadler, U n r e c h t s g e w i n n a b s c h ö p f u n g 124. Aus Sicht dieser Autoren ergibt sich n u r deshalb ein Problem, weil sie ja vorschlagen, dem klagenden Verband den eingeklagten G e w i n n zu belassen (ebd. 129) u n d es d a h e r aus dessen Sicht bedauerlich ist, w e n n der G e w i n n einem anderen Verb a n d zufließt. Dieses Problem entsteht aber nach n u n geltendem Recht nicht, weil der eingeklagte G e w i n n ohnehin dem Bundeshaushalt zufließt. 453
128
2. Kapitel:
Popular-
und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
zufließen zu lassen. 4 5 7 Die Gesamtgläubigerschaft bedeutet nach bisheriger Lesart, daß jeder Gesamtgläubiger ein eigenes Forderungsrecht hat, über das er verfügen kann und das auch prozessual ein anderes Schicksal nehmen kann als diejenigen seiner Mitgläubiger. 4 5 8 Nur so rechtfertigt sich ja die Annahme, daß jedes Forderungsrecht einen eigenen Streitgegenstand ausmacht und somit unterschiedliche, ja widersprechende Entscheidungen zu den einzelnen Forderungsrechten möglich sind. Die Konzeption der Gesamtgläubigerschaft bedeutet also, daß nichts gegen die richterliche Feststellung spricht, daß dem Gesamtgläubiger A das fragliche Forderungsrecht nicht zusteht, wohl aber dem Gesamtgläubiger B. Eine solche Feststellung ist aber für § 1 0 U W G sinnlos. Entweder es ist ein unter den in § 10 Abs. 1 U W G benannten Voraussetzungen entstandener Gewinn an den Bundeshaushalt abzuführen oder nicht. Es gäbe keinerlei sachliche Rechtfertigung dafür, daß auf Klage des klageberechtigten Verband A der Gewinn nicht an den Bundeshaushalt herauszugeben wäre, wohl aber auf Klage des Verbands B. Genau dies kann aber nach der nun Gesetz gewordenen Konzeption vorkommen. Die Gesamtgläubigerschaft ist auch deshalb kein passendes Kleid für § 1 0 U W G , weil sie im Gegensatz zu § 10 U W G von eigenen Ansprüchen, von einer subjektiv-rechtlichen Position jedes einzelnen Gesamtgläubigers auf Leistung an diesen ausgeht. Eine solche Position hat der Verband bei § 10 U W G jedoch gerade nicht, auch wenn in der Literatur ohne weitere Begründung von einem »materiell-rechtlichen Verbandsanspruch« die Rede ist. 4 5 9 Zu einem solchen eigenen Anspruch des Verbands paßt aber nicht die klare Regelung in § 10 Abs. 1 U W G , wonach der Verband zwar in eigenem Namen, jedoch nur zugunsten eines anderen klagen darf. Dies entspricht eher einer Prozeßstandschaft als der Durchsetzung eigener Ansprüche im Rahmen einer Gesamtgläubigerschaft. Auch bei der Prozeßstandschaft kann es mehrere Prozeßstandschafter geben, die denselben Gegenstand einklagen: M a n denke nur an die Möglichkeit der gewillkürten Prozeßstandschaft, sofern der Rechtsinhaber mehrere Personen mit der Wahrnehmung seiner Rechte betraut. In einem solchen Fall sind widersprechende Entscheidungen nicht möglich; eine rechtskräftige Entscheidung wirkt für und gegen den Rechtsinhaber und damit auch auf Prozesse etwaiger weiterer Prozeßstandschafter. 4 6 0 Auch bei der gesetzlich angeordneten Prozeßstandschaft sind mehrere Prozeßstandschafter denkbar, etwa in zeitlicher Abfolge beim Wechsel
Ebenso Fezer/f. Braunmühl, UWG, § 10 R n . 2 4 6 . Vgl. nur BGH 4 . 3 . 1959, B G H Z 29, 363, 3 6 4 (Forderungsrecht jedes Gesamtgläubigers vom Recht der anderen Gläubiger unabhängig und selbständig übertragbar); BGH 2 1 . 2 . 1985, N J W 1985, 1 5 5 1 , 1552 (Verjährungseinrede für jede Forderung gesondert zu beurteilen). 4 5 9 Fezer/u Braunmühl, UWG, § 10 R n . 9 4 . 4 6 0 Stein/Jonas/LeipoM, ZPO, § 325 Rn. 62; Münchener Kommentar ZPO ¡Gottwald, § 325 Rn.47. 457 458
IV. Verbandsklage
gemäß
§10UWG
129
des Insolvenzverwalters. Auch hier muß der zweite Insolvenzverwalter die für und gegen seinen Vorgänger ergangenen Urteile gegen sich gelten lassen. 461 Es wäre daher anläßlich einer Reform des § 10 U W G zu überlegen, ob nicht statt der unpassenden Konstruktion der Gesamtgläubigerschaft eine andere Konstruktion gewählt wird, die bei Mehrfachklagen eine »prozessuale Sperrung weiterer Klagen aus dem gleichen Verstoß« 4 6 2 ermöglicht.
5.
Dispositionsbefugnis
a)
Abtretung
Auch die Frage der Abtretung der Gewinnabschöpfungskompetenz läßt sich mit der in § 10 Abs. 3 U W G angeordneten Gesamtgläubigerschaft nicht recht vereinbaren. Aufgrund der individualisierten Forderungsrechte ist bei der Gesamtgläubigerschaft die Abtretung an einen Dritten grundsätzlich möglich, wie sich aus § 4 2 9 Abs. 3 Satz 2 B G B ergibt. Allerdings ändert die Abtretung nichts an dem Zusammenhang der jeweiligen Forderungsrechte in Form der Gesamtgläubigerschaft. Der Zessionar rückt sozusagen in den »Gesamtverband« dieser Forderungsrechte ein. 4 6 3 Es wäre allerdings voreilig, aus dem Schweigen des Gesetzgebers und der Anordnung der Gesamtgläubigerschaft in § 10 Abs. 3 U W G zu folgern, daß die Gewinnabschöpfungskompetenz ohne weiteres abgetreten werden könnte. Vielmehr muß diese Frage ebenso wie bei der Unterlassungsklagekompetenz aus § 8 U W G behandelt werden, denn der kompensatorische Zweck - die Bekämpfung des Vollzugsdefizits des Lauterkeitsrechts - ist bei beiden Vorschriften derselbe. Sollen aber nach dem "Willen des Gesetzgebers nur die in § 8 Abs. 3 Nr. 2 - 4 U W G genannten Verbände die Gewinnabschöpfungskompetenz ausüben können, so dürfte eine Abtretung - wenn überhaupt - nur innerhalb dieses Personenkreises möglich, wenngleich damit noch nicht sinnvoll sein. Dies gilt auch im Vollstrekkungsverfahren nach einem rechtskräftigen Urteil. 4 6 4
4 6 1 Münchener Kommentar ZPO/Gottwald, ebd. R n . 4 1 , wobei hier darauf abgestellt wird, daß »der einzelne Verwalter überhaupt keine »neue« Partei ist.« Dies ist jedoch nicht der Grund für die Bindungswirkung, denn Verwalter Meier ist nach dem herrschenden formellen Parteibegriff eine andere Partei als Verwalter Schulze. Der Grund für die Bindungswirkung liegt vielmehr darin, daß Streitgegenstand kein eigenes Recht von Meier oder Schulze ist, sondern das des Gemeinschuldners, welches sich durch einen Wechsel des Verwalters nicht ändert. 4 6 2 Fezer/f. Braunmühl, UWG, § 10 Rn. 2 4 7 ; ebenso bereits der Vorschlag von Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung 111 und 125. 4 6 3 Staudinger/Noacjfe, BGB (1999), § 4 2 9 R n . 7 3 . 4 6 4 Gegen eine »Vollstreckungsstandschaft« des einen Verbands für den anderen allerdings Hefermehl/KöWer/Bornkamm, § 10 UWG Rn. 18.
130
2. Kapitel: Popular-
und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
b) Verzicht Es ist strittig, ob und unter welchen Voraussetzungen einer von mehreren Gesamtgläubigern durch Erlaß das Erlöschen der Forderungsrechte der anderen Gesamtgläubiger herbeiführen kann. 4 6 5 Diesem Streit muß hier aber nicht nachgegangen werden, da im Falle des § 10 UWG schon zweifelhaft ist, ob ein klageberechtigter Verband überhaupt auf seine eigene Gewinnabschöpfungskompetenz verzichten kann. In materiell-rechtlicher Hinsicht ist dies deshalb zu verneinen, weil der klagende Verband weder darüber befinden kann, ob die inkriminierte Wettbewerbshandlung rechtswidrig war, noch darüber, ob der Bundeshaushalt den fraglichen Gewinn erhalten soll oder nicht. So weit geht die Rechtsposition des Verbandes nicht. Ähnlich wie bei der lauterkeitsrechtlichen Verbandsklage auf Unterlassung wäre auch hier allenfalls an ein pactum de non petendo zu denken, das ein klageberechtigter Verband mit einem potentiellen Beklagten abschließt. Allerdings ist auch hier fraglich, warum es dem klageberechtigten Verband möglich sein soll, sich seiner Klageberechtigung dauerhaft zu begeben. Eine solche Möglichkeit würde die vom Gesetzgeber gewünschte Effektivität der Durchsetzung des objektiven Lauterkeitsrechts nur schmälern. c)
Klagerücknahme
Aus demselben Grund dürfte jedoch die Rücknahme einer gemäß § 10 Abs. 1 UWG erhobenen Klage ebenso wie bei der Klage nach § 8 UWG gemäß den allgemeinen Regeln möglich sein. Durch die Rücknahme wird ja die Klageberechtigung des jeweiligen Verbands nicht beeinträchtigt. d) Klageverzicht, Anerkenntnis,
Vergleich
Auch hinsichtlich der Fragen nach der Möglichkeit eines Klageverzichts, eines Anerkenntnis seitens des beklagten Unternehmers und der Möglichkeit eines Vergleichs muß mangels erster Erfahrungen auf die Ausführungen zur lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsklage verwiesen werden. Eine Dispositionsbefugnis über den Gegenstand des Verfahrens kann es nur auf der Seite des beklagten Unternehmers geben, er kann also anerkennen. Dem im Allgemeininteresse und 465 Gegen eine solche weitreichende Möglichkeit k r a f t Gesetzes B G H 4 . 3 . 1986, N J W 1986, 1 8 6 1 , 1862; E s s e r / S c h m i d t , Schuldrecht 1/2, 3 5 5 ; Staudinger/Noacjfe (1999) § 4 2 9 R n . 1 8 m . w . N . Für die Erlaßmöglichkeit eines Gesamtgläubigers zu Lasten der Mitgläubiger - unter Berufung auf den W o r t l a u t der § § 4 2 9 Abs. 3 Satz 1, 4 2 3 BGB - jedoch O L G Bremen 1 1 . 8 . 1986, O L G Z 1987, 29, 30; Gernhuber, Erfüllung 3 5 8 , hält einen Erlaß durch einen Gesamtgläubiger zu Lasten aller Gläubiger ebenfalls für möglich, jedoch soll der erlassende Gläubiger d a n n den anderen so verpflichtet sein, als hätte er die Z a h l u n g e m p f a n g e n ; ähnlich Schlechtriem, Schuldrecht Allgemeiner Teil, R n . 7 1 0 .
/V. Verbandsklage gemäß §10
UWG
131
für den Bundeshaushalt klagenden Verband steht eine solche Dispositionsmöglichkeit nicht zu. Ein Klageverzicht ist daher nicht möglich, und auch ein Vergleich darf jedenfalls keine Generalquittung oder ähnliche Abrede enthalten, die dazu führen könnte, daß dem Verband die Durchsetzung weiterer Gewinnabschöpfung zugunsten des Bundeshaushalts unmöglich gemacht würde.
6. Unzulässige Rechtsausübung Bei der Lektüre des § 10 UWG fällt auf, daß diese Vorschrift keine dem § 8 Abs. 4 UWG entsprechende Mißbrauchsklausel enthält. Systematisch gesehen könnte man also davon ausgehen, daß der Gesetzgeber die Gefahr des Mißbrauchs in Erwerbsabsicht bei § 10 UWG nicht für relevant hielt und daher auf eine Parallelvorschrift verzichtete. Trotzdem wird in der Literatur vorgeschlagen, § 8 Abs. 4 UWG auf Klagen aus § 10 UWG entsprechend anzuwenden. 466 Dagegen spricht aber, daß § 10 UWG bereits eine ganze Reihe immanenter Beschränkungen enthält, die ausweislich der Gesetzesbegründung einen Mißbrauch und eine übermäßige Belastung der Beklagten verhindern sollen: Dies beginnt bei der Beschränkung auf vorsätzlich rechtswidrige Handlungen, während § 8 UWG gar kein Verschulden des Beklagten voraussetzt. 467 Auch der ebenfalls von § 8 abweichende Ausschluß der Mitbewerber und die Abführung des eingeklagten Betrags an den Bundeshaushalt sollen Mißbräuchen vorbeugen. Es gibt also erhebliche Unterschiede zwischen § 8 und § 10 UWG; letzterer ist vom Gesetzgeber bereits in der geltenden Fassung sehr restriktiv gefaßt. Daher besteht kein Bedürfnis nach einer entsprechenden Anwendung von § 8 Abs. 4 UWG. Auch eine Verwirkung der Kompetenz aus § 10 UWG ist mit Rücksicht auf ihre im öffentlichen Interesse bestehende kompensatorische Funktion nicht möglich; insofern gelten die in der Rechtsprechung zur Unterlassungsklage erörterten Argumente. 468
7. Sachverhaltsermittlung Ein besonderes Problem in der Praxis des § 10 UWG wird die Sachverhaltsermittlung sein. Zwar wird es einem klageberechtigten Verband relativ leicht fallen, eine bestimmte Wettbewerbshandlung zu identifizieren, die dann der rechtlichen Bewertung zu unterziehen ist - man denke etwa an eine irreführende Werbemaßnahme. Wesentlich schwieriger wird für den Kläger jedoch die Sachverhaltsermittlung hinsichtlich der anderen Tatbestandsmerkmale des §10
466 467 468
Hefermehl/KöWer/Bornkamm, § 10 UWG Rn. 19. Ebd. §8 UWG Rn. 1.2. Siehe oben, S. 109ff.
132
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
Abs. 1 U W G , nämlich dem Vorsatz des Beklagten und der Gewinnerzielung zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern. Hinsichtlich des Vorsatzes mag man hier die Rechtsprechung zu § 8 2 6 B G B fruchtbar machen können. Sie geht davon aus, daß zur Erfüllung des Tatbestands des § 8 2 6 B G B ein Eventualvorsatz ausreicht, bei dem der T ä t e r nicht im Einzelnen zu wissen brauche, welche und wieviele Personen durch sein Verhalten geschädigt werden, »vielmehr reicht es aus, daß er die Richtung, in der sich sein Verhalten zum Schaden irgendwelcher anderer auswirken könnte, und die Art des möglicherweise eintretenden Schadens vorausgesehen und mindestens billigend in K a u f genommen h a t . « 4 6 9 Bei § 1 0 U W G wird das wesentliche Problem oft darin liegen, den nach der im Zivilrecht herrschenden Vorsatztheorie 4 7 0 erforderlichen Vorsatz hinsichtlich der Rechtswidrigkeit des fraglichen Wettbewerbshandelns festzustellen. In der Literatur wird dazu empfohlen, die Beweisanforderungen an dieses »Unlauterkeitsbewußtsein« nicht zu hoch anzusetzen, um § 1 0 U W G überhaupt praktikabel zu m a c h e n . 4 7 1 Außerdem wird vorgeschlagen, Vorsatz immer dann anzunehmen, wenn der T ä t e r sein Handeln nach einer Abmahnung fortsetzt. 4 7 2 Eine gewisse Erleichterung hinsichtlich der Ermittlung des erzielten Gewinns könnte auch der Auskunftsanspruch der klageberechtigten Verbände sein, der nach einhelliger Ansicht in der Literatur von § 1 0 U W G mit umfaßt w i r d . 4 7 3 Der klagende Verband kann also gegebenenfalls im Wege der Stufenklage gemäß § 2 5 4 Z P O vorgehen und Rechnungslegung und Leistung nacheinander verlang e n . 4 7 4 Aufgrund der Schwierigkeiten hinsichtlich der Ermittlung des erzielten Gewinns ist im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens vorgeschlagen worden, zumindest die v o m T ä t e r aufgewandten Kosten der Wettbewerbshandlung - etwa einer W e r b e m a ß n a h m e - zu liquidieren, da nach dem Kalkül des Täters davon auszugehen sei, daß er mindestens diese Kosten durch entsprechende Gewinne amortisieren k o n n t e . 4 7 5 Dieser praktikable Vorschlag ist jedoch vom Gesetzgeber nicht explizit übernommen worden. Es wäre aber denkbar, angesichts der zu erwartenden Beweisprobleme eine Vermutung dergestalt anzunehmen, daß der erzielte Gewinn mindestens den Kosten des unlauteren Wettbewerbshandelns entspricht. Auch mit derartigen Erleichterungen wird jedoch die Sachverhaltsermittlung im Hinblick auf den Tatbestand des § 1 0 Abs. 1 U W G nicht einfach werden. Auch dies spricht für den in der Literatur gemachten Vorschlag, hier eine Fest-
469 470 471 472 473 474 475
BGH 19.7. 2004, NJW 2004, 2668, 2670. BGH 16.6. 1977, BGHZ 69, 128, 142. Fezer/u Braunmühl, UWG, § 10 Rn. 162. Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 10 UWG Rn.6. Ebd. Rn. 15; Fezer/R Braunmühl, UWG, § 10 Rn.265. Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 10 UWG Rn. 15. Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung 96.
IV.
Verbandsklage
gemäß
§ 10 UWG
133
stellungsklage nach den bisher entwickelten lauterkeitsrechtlichen Grundsätzen zuzulassen. 476 8. Kosten Eine Streitwertherabsetzung ist bei Klagen aus § 10 UWG auf den ersten Blick nicht möglich, da § 12 Abs. 4 UWG diese ausdrücklich nur für Klagen aus § 8 Abs. 1 U W G vorsieht. Hier könnte allerdings ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers vorliegen, da § 12 Abs. 4 U W G ausweislich der Gesetzesbegründung dem ehemaligen § 2 3 a UWG a.F. nachgebildet wurde. 4 7 7 Dabei mag man vergessen haben, den Wortlaut der Vorschrift um den neu eingeführten § 10 U W G zu erweitern. Für eine solche Erweiterung spricht, daß die ratio des § 1 2 Abs. 4 U W G auch und gerade für die Gewinnabschöpfungsklage zutrifft. Man stelle sich nur einen Fall vor, in dem eine große Zahl von Kunden durch unlauteres Wettbewerbshandeln geschädigt wurde und der abzuschöpfende Gewinn entsprechend hoch ausfällt - für den klagenden Verband entstünde ohne die Möglichkeit der Streitwertherabsetzung ein sehr hohes Prozeßkostenrisiko. Dies spricht für eine entsprechende Anwendung des § 12 Abs. 4 U W G auch auf die Gewinnabschöpfungsklage. 9. Verjährung Für die Verjährung der Gewinnabschöpfungskompetenz gilt § 11 Abs. 4 UWG. Die Verjährung tritt also drei Jahre nach »Entstehung des Anspruchs« ein. Dieser Zeitpunkt ist bei einer singulären Wettbewerbshandlung noch eindeutig zu bestimmen, nicht aber bei wiederholten gleichartigen oder andauernden Wettbewerbshandlungen. 478 Hinsichtlich der Gewinnabschöpfungskompetenz ist fraglich, ob man für die Verjährung an jedem einzelnen Geschäft, aus dem entsprechender Gewinn erzeilt wurde, ansetzt, oder eine Gesamthandlung mit einem Gesamtgewinn annimmt. Im letzteren Fall könnte die Verjährungsfrist erst mit Beendigung der Gesamthandlung beginnen. In dieser Richtung läßt sich auch eine Stellungnahme des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren interpretieren, wonach die Gewinnabschöpfung erst dann sinnvoll sei, »wenn der gesamte Verletzungstatbestand bekannt und abgeschlossen ist.« 4 7 9 Allerdings spricht der Wortlaut des § 10 Abs. 1 U W G eher für den auf die einzelnen Geschäfte bezogenen Ansatz: Die Gewinnabschöpfungskompetenz entsteht nicht erst mit Abschluß einer Reihe von Geschäften, sondern bereits mit dem ersten unrechtmäDazu oben, S . 1 2 3 f . BT-Drs. 1 5 / 1 4 8 7 , 2 5 . 4 7 8 Allgemein zu dieser Problematik Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 11 U W G Rn. 1.19 ff. 4 7 9 BT-Drs. 1 5 / 1 4 8 7 , 3 5 . 476
477
134
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
ßig erwirtschafteten Gewinn. Daher m u ß man auch hinsichtlich der Verjährung jedes gewinnbringende Geschäft einzeln betrachteten. Dies entspricht auch der Rechtsprechung zum wettbewerbsrechtlichen Schadensersatzanspruch.
Diese
knüpft bei Schadensersatzansprüchen, die aus einer Vielzahl von Einzelakten hergeleitet werden, für den Beginn der jeweiligen Verjährungsfrist an den Zeitpunkt jeder Einzelhandlung a n . 4 8 0
V! Verbandsklagen
gemäß §$33, 34a GWB
1. Sachlicher Anwendungsbereich Die Vorschrift des § 3 3 Abs. 2 G W B gewährt bestimmten Verbänden einen »Anspruch auf Unterlassung« bei Verstößen gegen die Vorschriften des G W B oder gegen Art. 8 1 f. EGV. Die Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs auf die Vorschriften des europäischen Kartellrechts wurde bereits nach der CourageEntscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Literatur a n g e m a h n t . 4 8 1 N a c h dem Wortlaut der Vorschrift gilt die Verbandsklagekompetenz jedoch nur insoweit, als die angebliche Zuwiderhandlung »die Interessen der Mitglieder« berührt. Diese Formulierung wirft die Frage auf, welcher Verband welche Verstöße rügen darf. Im Hinblick auf § 3 3 G W B a.F. war es streitig, o b die verletzte N o r m den Schutz des Verbands oder seiner Mitglieder bezwecken mußte. Eine solche Interpretation wurde vom Bundesgerichtshof jedoch abgelehnt: [D]ie Verbandsklagebefugnis [... setzt] nicht voraus, daß gerade auch Mitglieder des Verbandes durch das angegriffene kartellrechtswidrige Verhalten verletzt sind. [...] Es ist auch nicht erforderlich, daß der Verband Mitglieder hat, die durch die als verletzt bezeichnete Vorschrift geschützt sind. [...] Die Verbandsklagebefugnis ist begründet worden, um Verbände zu Abwehrmaßnahmen gegen kartellrechtswidriges Verhalten instandzusetzen, die der unmittelbar Betroffene möglicherweise wegen wirtschaftlicher Abhängigkeit nicht ergreifen kann oder will. 4 8 2 Es reichte damit für die Verbandsklageberechtigung nach altem Recht aus, daß die fragliche Vorschrift »abstrakt Individualschutzwirkungen e n t f a l t e t . « 4 8 3 Es war nicht erforderlich, daß tatsächlich ein Mitglied des klagenden Verbands durch den inkriminierten Verstoß betroffen i s t . 4 8 4 Teilweise wurde aber in der Literatur noch gefordert, daß ein Betroffener theoretisch Mitglied des Verbands
4 8 0 BGH 14.1. 1999, GRUR 1999, 751, 754 (mehrjähriger Vertrieb nachgeahmter Güllepumpen unter Verstoß gegen § 1 UWG a.F.). 481 MestmäckerlSchweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht 525 m.w.N.; Wurmnest, in: Behrens/Braun/Nowak (Hrsg.) Europäisches Wettbewerbsrecht im Umbruch 213, 245. 4 8 2 BGH 4.4. 1995, BGHZ 129, 203, 206f. 483 Topel, in: Wiedemann (Hrsg.), Handbuch des Kartellrechts 1503. 4 8 4 So bereits Karsten Schmidt, Kartellverfahrensrecht 401.
V. Verbandsklagen
gemäß $$33,
34a
GWB
135
sein können müßte. 485 Dies läßt sich aus der oben zitierten Rechtsprechung jedoch nicht ableiten. Mit der Neufassung des Gesetzes war ausweislich der Gesetzesbegründung trotz des veränderten Wortlauts keine inhaltliche Änderung beabsichtigt. 486 Der Gesetzgeber wollte außerdem die privatrechtlichen Durchsetzungsmöglichkeiten im Kartellrecht stärken und nicht noch weiter beschränken. 487 Daher sollte § 33 Abs. 2 so verstanden werden, daß eine konkrete Beeinträchtigung der Interessen einzelner Mitglieder weiterhin nicht erforderlich ist. Es reicht aus, das die fragliche Vorschrift generell individualschützenden Charakter hat. Es ist allerdings schwierig, die individualschützenden Normen des Kartellrechts als solche zu identifizieren und von denjenigen Normen abzugrenzen, die nur eine abstrakte Institution des »Wettbewerbs« schützen sollen. 488 Von Seiten der Verbraucherverbände wurde daher im Gesetzgebungsverfahren zur Siebten GWB-Novelle eine Klarstellung dahingehend gefordert, daß das gesamte GWB verbraucherschützend sei. 489 Auch die Monopolkommission tritt in ihrem Sondergutachten zur Siebten GWB-Novelle für eine »umfassende Legitimation der Verbraucher« zur Klage ein, unabhängig von den konkreten Vertriebsstrukturen. 490 Dies ist auch sinnvoll, weil der marktwirtschaftliche Wettbewerb nicht per se schützenswert ist, sondern nur deshalb, weil er sich als effektives Mittel zur Versorgung mit nachgefragten Gütern erwiesen hat. Im Gesetzgebungsverfahren wurden diese Vorschläge jedoch nicht übernommen. 485
Immenga/Mestmäcker/Emmericfc, GWB, § 3 3 R n . 6 0 . BT-Drs. 15/3640, 53: Klagerecht der gewerblichen Verbände »in A n k n ü p f u n g an« das bisherige Recht. 487 Ebd., 35: »Die A b s c h a f f u n g des bisherigen Systems der Administrativfreistellung u n d seine Ersetzung durch ein System der Legalausnahme vermindern tendenziell die behördliche Kontrolldichte gegenüber w e t t b e w e r b s b e s c h r ä n k e n d e n Vereinbarungen u n d Verhaltensweisen. Damit soll jedoch keine Einbuße an Wettbewerbsschutz verbunden sein. Z u m Ausgleich w e r d e n neben den verwaltungsrechtlichen auch die zivilrechtlichen Sanktionen bei Kartellrechtsverstößen ausgeweitet. D a m i t soll ein effektives zivilrechtliches Sanktionssystem geschaffen w e r d e n , von d e m eine zusätzliche s p ü r b a r e Abschreckungswirkung ausgeht.« 488 Überblick dazu ebd. R n . 9 f f . 489 So v. Braunmühl, der Vertreter der Verbraucherzentrale Bundesverband e. V., in der Sachv e r s t ä n d i g e n a n h ö r u n g a m 2 0 . 9 . 2 0 0 4 , Protokoll 15/67 des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Arbeit, 1104. Er verweist auf den Referentenentwurf zur siebten GWB-Novelle von 2 0 0 3 , in dem für die Unterlassungsklage aus § 3 3 G W B noch kein Schutzzweckerfordernis enthalten war, und schlägt vor, ähnlich wie im U W G am A n f a n g des Gesetzes klarzustellen, das es in seiner Gesamtheit auch den Verbraucher schützt (ebd. 1104 u n d 1109). Anders dagegen in derselben A n h ö r u n g Bornkamm, der z w a r einerseits Kartellrecht auch als Verbraucherschutzrecht ansieht, da es preistreibende Kartelle verhindern solle, andererseits aber jedenfalls einen Schadensersatzanspruch n u r der »unmittelbaren Marktgegenseite« zugestehen möchte, keinesfalls weiteren Betroffenen in der Absatzkette: »Es gibt ö k o n o m i s c h kein Ende dieser Kette«, da - so sein Beispiel - der Preis einer Badezimmerfliese letztlich auch den M e n ü p r e i s in einem mit dieser Fliese ausgestatteten Restaurant beeinflusse, dieser Menüpreis w i e d e r u m bei Geschäftsessen zu Kosten ganz anderer Betriebe gehöre usw. (ebd. 1115). 490 M o n o p o l k o m m i s s i o n , 41. Sondergutachten, 22. 486
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2. Kapitel: Popular-
und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
In der Praxis spielte allerdings die GWB-Verbandsklage im Gegensatz zu ihrem lauterkeitsrechtlichen Pendant bisher keine große Rolle. 491 Dies wird damit erklärt, daß zur Durchsetzung des objektiven Kartellrechts »funktionierende öffentlichrechtliche Mechanismen eingerichtet« seien; die privatrechtliche Verbandsklage sei in derartigen Fällen entbehrlich. 492 Es bleibt abzuwarten, ob dieser Befund auch noch unter dem neuen GWB gelten kann, welches verstärkt auf die privatrechtliche Durchsetzung des Kartellrechts setzt. Unverändert bleibt jedoch das faktische Problem, daß ein Kartellrechtsverstoß oft nur durch eingehende Ermittlungen aufzudecken ist; derartige Ermittlungen übersteigen aber die Möglichkeiten der gegenwärtig klagebefugten Verbände. 2. A k t e u r e Die notwendigen Eigenschaften der gemäß §33 Abs. 2 GWB klageberechtigten Verbände entsprechen denjenigen im Lauterkeitsrecht. Insbesondere muß der Verband nach seiner Satzung den Zweck verfolgen, gewerbliche oder selbständige berufliche Interessen zu fördern, und er muß diesbezüglich auch tatsächlich tätig sein. 493 Das Merkmal der tatsächlichen Tätigkeit des Verbands soll auch hier einmal mehr dazu dienen, »eine grenzenlose Ausdehnung des Verbandsklagerechts zu verhindern.« 494 Anders als im Lauterkeitsrecht sind gemäß § 33 Abs. 2 GWB nur Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen klageberechtigt, nicht dagegen die Verbraucherverbände. Das mag man damit erklären, daß die traditionelle Kartellrechtslehre den Verbraucherschutz jedenfalls nicht als unmittelbaren Zweck des Kartellrechts angesehen hat. 495 Gegen eine solche verengte Sichtweise des Kartellrechts spricht aber, daß ein funktionsfähiger Wettbewerb kein Wert an sich ist, sondern daß er dazu dient, die Bedürfnisse der Verbraucher möglichst optimal und kostengünstig zu befriedigen. 496 Es war daher nur konsequent, daß im Regierungsentwurf für die 7. GWB-Novelle die Ausdehnung der privatrechtlichen Verbraucherverbandsklage auf das GWB vorgeschlagen wurde. 4 9 7 Dies wurde zu Recht damit begründet, daß »Wettbewerb immer 491 Langen/Bunte/Bornkamm, K o m m e n t a r z u m deutschen u n d europäischen Kartellrecht, §33 GWB R n . l . 492 Karsten Schmidt, Diskussionsbeitrag auf der Tagung der Vereinigung der Zivilprozeßrechtslehrer a m 3 1 . 3 . 2 0 0 0 in H a m b u r g , wiedergegeben bei Oepen, Z Z P 113 (2000) 4 4 3 , 4 4 5 . 493 So bereits z u m alten Recht I m m e n g a / M e s t m ä c k e r / E m m e r i c h , a . a . O . § 33 Rn. 59. Anders Roth, in: F r a n k f u r t e r K o m m e n t a r zum GWB, § 35 [a.F.] Rn. 199, der sich a m Wortlaut des § 13 Abs. 2 Nr. 2 U W G a.F. orientiert u n d n u r fordert, d a ß der Verband seiner A u s t a t t u n g nach in der Lage sein m u ß , »seinen Satzungszweck tatsächlich w a h r z u n e h m e n . « 494 I m m e n g a / M e s t m ä c k e r / E m m e r i c h , a . a . O . § 33 Rn. 59. 495 Dazu Boos, VuR 2 0 0 3 , 3 3 3 ff.; Bechtold, G W B , Einf. Rn. 50; Langen/Bunte, Kartellrecht, Einf. G W B R n . 6 8 . 496 Boos, VuR 2 0 0 3 , 333, 3 3 6 . 497 Regierungsentwurf v o m 1 2 . 8 . 2 0 0 4 , BT-Drs. 15/3640, § 3 3 Abs. 2 GWB-E; vgl. zu dem
V. Verbandsklagen gemäß SS 33, 34a GWB
137
auch dem Verbraucher dient« , 4 9 f i Allerdings wurde die Klagekompetenz der Verbraucherverbände auf Druck des Bundesrats im Vermittlungsausschuß wieder gestrichen. 4 9 9 Soweit allerdings »unmittelbar wettbewerbsbezogene Vorschriften des G W B « verletzt werden, können Verbraucherverbände bereits de lege lata auf Unterlassung klagen, da ein solcher Verstoß nach der Rechtsprechung zugleich als Verstoß gegen § 3 U W G angesehen werden k a n n . 5 0 0 In Anbetracht der oben skizzierten verbraucherschützenden Funktion des Kartellrechts spricht außerdem nichts dagegen, einzelne kartellrechtliche Vorschriften gleichzeitig als Verbraucherschutzgesetze im Sinne von § 2 Abs. 1 U K l a G einzuordnen, so daß auch diese Verbandsklagekompetenz gegeben wäre. Außerdem ist in § 3 3 Abs. 1 G W B n.F. vorgesehen, daß jeder »Marktbeteiligte« - also auch ein Verbraucher 5 0 1 - auf Unterlassung kartellrechtswidrigen Handelns klagen k a n n , sofern er betroffen ist oder seine Betroffenheit droht. Dies ist zwar wegen der Voraussetzung eigener Betroffenheit keine eigentliche Popularklage, aber doch eine sehr weite Ausdehnung der Klagekompetenz gegen kartellrechtswidriges Handeln. D a m i t ist allerdings ein erheblicher Wertungswiderspruch zum U W G und zum A G B - R e c h t entstanden, welche dem betroffenen Verbraucher gerade keine solchen Kompetenz zur Unterlassungsklage gewähren, die von einer konkreten Vertragsbeziehung unabhängig ist.
3.
Klagziel
Die Verbandsklage aus § 3 3 Satz 2 G W B a.F. war nur auf Unterlassung gerichtet. Im Schrifttum werden jedoch seit langem verschiedene Möglichkeiten der Erweiterung der kartellrechtlichen Verbandsklage erörtert, sowohl in Richtung einer privatrechtlichen Gruppenklage auf Schadensersatz 5 0 2 , einer Verbandsklage auf insoweit gleichlautenden Referentenentwurf Bechtold, DB 2 0 0 4 , 235 ff. Bereits kurz nach Bekanntwerden des Referententwurfs wandte sich der Bundesverband Deutsche Industrie ausdrücklich gegen eine Klagekompetenz für Verbraucherverbände, da eine solche »zu erheblichen Belastungen für die Wirtschaft« führen würde (SZ v. 3 0 . 9 . 2 0 0 3 , 24). 4 9 8 BT-Drs. 15/3640, 35. 4 9 9 Beschluß des Vermittlungsausschusses v. 16.6. 2 0 0 5 , BT-Drs. 15/5735, 3. 5 0 0 BGH 2 1 . 2 . 1978, GRUR 1 9 7 8 , 4 4 5 , 4 4 6 ; BGH 6 . 1 0 . 1 9 9 2 , GRUR 1 9 9 3 , 1 3 7 , 1 3 9 ; Langen/BuntdBornkamm, Kartellrecht, § 3 3 GWB Rn.40; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht 525. 5 0 1 So ausdrücklich die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 15/3640, 53. 5 0 2 So im Hinblick auf Streuschäden bereits Steindorff, Z H R 138 (1974) 504, 516f. Heute muß man sich angesichts der Courage-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs fragen, ob nicht das Europarecht bestimmte Anforderungen an die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen bei kartellrechtswidrigem Verhalten stellt. In dieser Entscheidung legt der Gerichtshof besonderen Wert auf die Effizienz und die abschreckende Wirkung von Schadensersatzansprüchen, so daß die Einführung einer kollektiven und damit effektiveren Durchsetzungsform zumindest naheliegt: »Die volle Wirksamkeit des Art. 85 EGV und insbesondere die praktische Wirksamkeit des in Art. 85 I EGV ausgesprochenen Verbots wären beeinträchtigt, wenn nicht
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2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
Schadensersatz 503 oder auch einer öffentlich-rechtlichen Verbandsklage zur Kontrolle des Kartellamts. 504 Die nun in Kraft getretene 7. GWB-Novelle folgt keinem dieser Vorschläge. Statt dessen sieht sie in § 34a GWB n.F. eine Gewinnabschöpfungskompetenz der nach § 33 Abs. 2 GWB klageberechtigten Verbände vor. Diese entspricht strukturell dem § 10 UWG, folgt in ihren tatbestandlichen Voraussetzungen jedoch der heute in § 34 GWB geregelten Mehrerlösabschöpfung des Kartellamts. Letztere wurde ebenfalls reformiert und in »Vorteilsabschöpfung« umbenannt. Der Vorschlag der Monopolkommission, in Anlehnung an das US-amerikanische Recht einen Strafschadensersatz (»zweifacher Schadensersatz«) 505 einzuführen, wurde vom Gesetzgeber nicht übernommen. Ebenso wie bei § 10 UWG soll auch der gemäß § 34a GWB abzuschöpfende Gewinn nicht an den Verband fließen, um etwa dessen satzungsmäßige Zwecke zu fördern, sondern an den Bundeshaushalt. Bereits während des Gesetzgebungsverfahrens wurde diese Regelung von der Monopolkommission kritisiert, da bei einer solchen Regelung den Verbänden jeglicher Anreiz zu einer mit Kosten und Risiken verbundenen Klage fehle. 506
4. Rechtskraft und Rechtshängigkeit Aufgrund der geringen praktischen Bedeutung der Verbandsklage aus § 33 GWB gibt es zu den mit ihr verbundenen prozeßrechtlichen Fragen weder eigenständige Überlegungen in der Literatur noch einschlägiges Fallmaterial. Da die Vorschrift aber nach dem Vorbild der lauterkeitsrechtlichen Verbandsklage gestaltet wurde, 5 0 7 können wohl die zu dieser angestellten Überlegungen auch für die kartellrechtliche Verbandsklage Geltung beanspruchen. 508
jedermann Ersatz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder durch ein entsprechendes Verhalten entstanden ist. Ein solcher Schadensersatzanspruch erhöht nämlich die Durchsetzungskraft der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln und ist geeignet, von - oft verschleierten - Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen können. Aus dieser Sicht können Schadensersatzklagen vor den nationalen Gerichten wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Gemeinschaft beitragen.« (EuGH 20.9. 2001, EuZW 2001, 715, 716); zur Interpretation dieser Entscheidung ausführlich Reich, CMLR 42 (2005) 35ff. 503 Monopolkommission, Sondergutachten Nr.41, 48ff. 504 Boos, VuR 2003, 333, 341. 505 Mononopolkommission, Sondergutachten Nr.41 zur Siebten GWB-Novelle, 40ff. und 45. 506 Ebd. 51. 507 Immenga/Mestmäcker/Emmerich, a.a.O. § 3 3 Rn. 58. 508 Ebd. Rn.57; Langen/Bunte/Bornkamm, a.a.O. § 3 3 Rn.38.
V. Verbandsklagen
gemäß « 3 3 , 34a
GWB
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5. Dispositionsbefugnis und unzulässige Rechtsausübung Auch für die Fragen nach der Dispositionsbefugnis des Verbandsklägers und nach dem Verlust der Klagekompetenz wegen unzulässiger Rechtsausübung können die zur lauterkeitsrechtlichen Verbandsklage entwickelten Grundsätze herangezogen werden. Ebenso wie im Lauterkeitsrecht steht der kompensatorische Charakter der Verbandsklagekompetenz einem Verzicht oder einer Verwirkung grundsätzlich im Wege. § 33 GWB enthält auch in seiner Neufassung keine dem § 8 Abs. 4 UWG entsprechende Mißbrauchsklausel. Daraus kann man folgern, daß der Gesetzgeber eine dem Lauterkeitsrecht vergleichbare Mißbrauchsgefahr nicht für relevant hält. 509
6. Sachverhaltsermittlung Streitigkeiten aus § 33 GWB sind zivilrechtlicher Art und gemäß § 87 Abs. 1 GWB den Landgerichten zugewiesen, so daß man von der Geltung der allgemeinen zivilprozessualen Regeln auch bei der Sachverhaltsermittlung ausgehen muß. Dies führt zu dem Problem, daß der Kläger die Kartellvereinbarung oder sonstige kartellrechtswidrige Verhaltensweisen darlegen und beweisen muß, auch wenn er selbst nicht an diesen Verhaltensweisen teilgenommen hat. In diesen Fällen wird ihm meist der Zugang zu Beweismitteln fehlen. 510 Daher bedarf es besonderer Mittel, um die beweisrechtliche Lage des Klägers in Kartellsachen zu verbessern. Ein derartiges Instrument ist die Bindungswirkung des § 33 Abs. 4 GWB n.F., die das Zivilgericht an die in kartellbehördlichen Entscheidungen festgestellten Tatsachen bindet. 511 Nach dem Wortlaut der Vorschrift besteht sie zwar nur für Ansprüche auf Schadensersatz, aber es wäre unverständlich, warum sie nicht auch für Unterlassungsklagen gelten soll. Der Zweck der Vorschrift besteht ja darin, sogenannte Follow-on-Klagen zu ermöglichen und zu erleichtern. Mit diesem Begriff ist gemeint, daß die Kartellbehörde mit ihren umfassenden Ermittlungsmöglichkeiten einen Kartellsachverhalt aufdeckt und die so gewonnenen 509 So etwa Meinrad Dreher in der Sachverständigenanhörung zur 7. GWB-Novelle a m 2 0 . 9 . 2 0 0 4 , Protokoll 15/67 des Bundestagsausschusses für Wirtschaft u n d Arbeit, l l l O f . Dreher fordert allerdings eine dem U W G vergleichbare Mißbrauchsregelung, u m auf Vergleiche zielende Klagen als unzulässig abweisen zu k ö n n e n . Tendenziell anders in derselben A n h ö r u n g dagegen der Vertreter der Bundesrechtsanwaltskammer Hammerstein: »Das W o r t M i ß b r a u c h ist auch eine Nebelkerze, denn niemand sagt genau, w o r i n eigentlich der M i ß b r a u c h liegt.« Es müsse hinterfragt w e r d e n w a r u m der ansonsten immer wieder gewünschte Abschluß von Vergleichen als M i ß b r a u c h bezeichnet werde (ebd. 1108). 510 Darauf verweist auch die M o n o p o l k o m m i s s i o n in ihrem Sondergutachten Nr. 4 1 zur Siebten GWB-Novelle, S . 2 2 . 511 Kritisch zur Bindung an ausländische Behörden- und Gerichtsentscheidungen: M o n o p o l kommission, ebd. 2 7 f f .
140
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
Ermittlungsergebnisse anschließend von privaten Klägern in zivilrechtlichen Verfahren genutzt werden k ö n n e n . 5 1 2 Außerdem werden weitere Beweiserleichterungen vorgeschlagen, etwa eine Darlegungslast des Beklagten hinsichtlich seiner Geschäftspraxis, sofern der Kläger konkrete Anhaltspunkte für ein kartellrechtswidriges Verhalten vorgetragen h a t . 5 1 3 Darüber hinaus enthält § 9 0 G W B eine besondere Vorschrift hinsichtlich der Beteiligung des Kartellamts. Dieses ist über kartellrechtliche Streitigkeiten zu unterrichten und hat die in § 9 0 Abs. 2 G W B genannten Beteiligungsrechte. Das Kartellamt kann daher unter anderem auch »auf Tatsachen und Beweismittel hinweisen«. In der Literatur wird diese Möglichkeit jedoch dadurch relativiert, daß die vom Kartellamt eingebrachten Tatsachen v o m Gericht ignoriert werden müßten, sofern nicht eine der beiden Prozeßparteien sich diesen Tatsachenvortrag zu eigen gemacht h a t . 5 1 4 Diese Literaturmeinung ist aber mit dem Z w e c k des § 9 0 G W B k a u m vereinbar. Dieser Z w e c k besteht darin, daß das Kartellamt in zivilrechtlichen Kartellstreitigkeiten auf die Wahrung des öffentlichen Interesses a c h t e t . s l 5
Dieser
Z w e c k kann es auch erforderlich machen, daß bestimmte tatsächliche Hinweise gegeben werden. Soweit solche Tatsachen für den Prozeß überhaupt erheblich sind, wird in der Praxis meist eine der Parteien den Tatsachenvortrag übernehmen, um ihre prozessuale Position dadurch zu verbessern. Trotzdem sind auch Fälle denkbar, in denen keine der Parteien sich den Tatsachenvortrag des Kartellamts zu eigen macht, sei es aufgrund fehlerhafter Einschätzung seiner prozessualen Bedeutung oder aufgrund von M o t i v e n , die mit dem Prozeß als solchen nichts zu tun haben. Will man mit der dargestellten Literaturmeinung in derartigen Fällen das Gericht zwingen, die vom Kartellamt vorgetragenen Tatsachen zu ignorieren, so wird der Z w e c k des § 9 0 Abs. 2 G W B vereitelt: Die Wahrung des öffentlichen Interesses durch Berücksichtigung bestimmter Tatsachen im Prozeß hinge dann von der Willkür der Prozeßparteien ab. Diese verfolgen aber ihre Partikularinteressen, die nicht immer mit dem öffentlichen Interesse parallel laufen müssen. Daher müssen die vom Kartellamt gemäß § 9 0 Abs. 2 G W B vorgetragenen Tatsachen auch dann vom Richter berücksichtigt werden, wenn sich keine der Parteien auf sie beruft. Soweit dies mit Verweis auf den im Zivilprozeß geltenden Verhandlungsgrundsatz abgelehnt wird, geht diese Begründung doppelt fehl: Z u m einen schließt sie aus einem allgemeinen D o g m a auf eine konkrete Problemlösung, ohne zu berücksichtigen, daß in einer kartellrechtlichen Streitigkeit möglicherweise besondere sachliche Aspekte gelten, denen der Gesetzgeber mit 512
Allgemein zur Follow-on-Klage und ihren amerikanischen Wurzeln Hempel, WuW 2 0 0 5 ,
137ff. 515
514 515
So der Vorschlag der Monopolkommission, a.a.O. 32. Langen/hunte/Bornkamm, a.a.O., § 9 0 Rn.7. Siehe die Regierungsbegründung des G W B vom 2 2 . 1 . 1955, BT-Drs. 2/1158, 54.
V. Verbandsklagen
gemäß §§33, 34a GWB
141
§ 90 GWB Rechnung tragen wollte. Zum anderen ist diese Begründung auch mit Blick auf den normalen Zivilprozeß falsch. Auch in diesem ist das Gericht nicht daran gehindert, Informationen zu verwerten, die auf rechtlich zulässige Art in den Prozeß eingeführt wurden, die aber nicht im Vortrag der Parteien enthalten sind. 516 Dies ergibt sich aus der in §138 Abs. 1 ZPO verankerten Wahrheitspflicht, welche die richterliche Entscheidung an die materielle Wahrheit bindet und nicht an einen Konsens der Parteien über das angebliche tatsächliche Geschehen. 517 Wenn dagegen behauptet wird, daß in einer zivilrechtlichen Kartellrechtsstreitigkeit »kein öffentliches Interesse an der Ermittlung der Wahrheit« 518 bestehe, so wird verkannt, daß die Normen des Kartellrechts ebenso wie alle anderen Rechtsnormen in ihren tatsächlichen Anwendungsvoraussetzungen keineswegs der Disposition der Parteien unterliegen. 519 Die Regelung des § 90 GWB weist gewisse Parallelen mit der für alle Zivilprozesse geltenden Vorschrift des § 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO auf. Auch für diese Vorschrift wird allerdings die Auffassung vertreten, daß ihre Anwendung den Verhandlungsgrundsatz nicht »außer Kraft setzen« könne. 5 2 0 Soweit damit gemeint sein soll, daß der tatsächliche Inhalt der eingeholten Auskunft oder der beigezogenen behördlichen Urkunde nur dann vom Gericht beachtet werden dürfe, wenn die Parteien diesen in ihren Vortrag übernehmen, so entspricht dies nicht einmal der bisherigen Rechtsprechung. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung zu § 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nur verlangt, daß den Prozeßparteien zum Inhalt einer beigezogenen Akte rechtliches Gehör gewährt wird und daß die Beiziehung - insoweit anders als im Falle des § 90 GWB - nur nach entsprechendem Beweisantritt einer Partei stattfindet. 521 Es hat dem Tatrichter jedoch nicht vorgeschrieben, den Inhalt der beigezogenen Akte zu ignorieren, soweit die Parteien diesen nicht in ihren Vortrag übernehmen. Allerdings hat der Bundesgerichtshof aus dem Beibringungsgrundsatz gefolgert, daß nur solche Teile einer beigezogenen Akte zum Prozeßstoff gehören sollen, auf die sich eine Partei beruft. 5 2 2 Auch damit ist jedoch noch nicht gesagt, daß der Richter eine in einem derartigen Aktenteil mitgeteilte Tatsache nur dann verwerten darf, wenn eine Partei diese in ihren Vortrag übernimmt. Diese Rechtsprechung zu § 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO tritt außerdem in ein sonderbares Spannungsverhältnis zu §138 Abs. 1 ZPO, der die Parteien zur vollständigen Erklärung über die relevanten 516 Rüßmann, AK ZPO Rn. 12 vor §284; E. Schmidt, Z Z P 113 (2000) 381, 385f.; Weyers, FS Esser (1975) 193, 208f.; anders jedoch BGH 19.1. 1990, NJW-RR 1990, 507; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 485 m.w.N. 517 E. Schmidt, DuR 1984, 24, 33f. 518 Hitzler, WuW 1982, 509, 510. 519 Ausführlich dazu £. Schmidt, DuR 1984, 24, 27ff. 520 Münchener Kommentar ZPO/Prütting, §273 Rn.2; ähnlich Zöller/Greger, ZPO, § 2 7 3 Rn.3. 521 BVerfG 29.12. 1993, NJW 1994, 1210f. 522 BGH 9.6. 1994, NJW 1994, 3295, 3296; BGH 12.11. 2003, NJW 2004, 1324, 1325.
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2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
Tatsachen verpflichtet. M i t dieser Pflicht wäre es nicht vereinbar, wenn die Parteien den Richter dazu zwingen könnten, aus einer beigezogenen Strafakte etwa nur die Blätter 4 und 6 zu berücksichtigen, nicht aber das ebenso relevante Blatt 5. Im Hinblick auf § 9 0 G W B braucht diese Problematik jedoch nicht vertieft werden, da diese Vorschrift die Mitwirkung des Kartellamts bei der Tatsachenfeststellung ohne Rücksicht auf den Willen der Parteien ermöglicht.
7.
Kosten
Entsprechend der lauterkeitsrechtlichen Regelung sieht auch § 8 9 a G W B n.F. die Möglichkeit einer Streitwertanpassung bei Verbandsklagen und anderen kartellrechtlichen Streitigkeiten vor. 5 2 3
8.
Verjährung
Die Klagekompetenzen gemäß § 3 3 G W B sollen wie deliktsrechtliche Ansprüche verjähren. 5 2 4 Soweit es um Unterlassungsansprüche geht, die eine Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr voraussetzen, gelten aber auch hier die bereits zum U W G erörterten Bedenken hinsichtlich der V e r j ä h r u n g . 5 2 5
V/. Verbandsklage gemäß § 1 UKlaG 1. Sachlicher A n w e n d u n g s b e r e i c h Die im Unterlassungsklagengesetz enthaltenen
Verbandsklageberechtigungen
sind das jüngste und sachlich umfassendste Instrument eines »entindividualisierten Konsumentenschutzes« 5 2 6 im deutschen Recht. Die Verbandsklagen des U K l a G beschränken sich nicht nur auf die bereits zuvor in § 13 A G B G geregelte Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen, sondern beziehen darüber hinaus gemäß § 2 U K l a G alle anderen N o r m e n des Verbraucherschutzes mit ein. Zunächst ist jedoch § 1 U K l a G zu untersuchen, da zu dieser Vorschrift aufgrund ihrer langjährigen Wirkungsgeschichte in ihrer Gestalt als § 1 3 A G B G erheblich mehr Material zur Verfügung steht. Auf dieses ältere Material darf angesichts der Wortgleichheit von § 1 U K l a G und § 13 Abs. 1 A G B G zurückgegriffen werden.527
523 524 525
BT-Drs. 15/3640, 18. Langen/Bunte/ßorn^amm, a.a.O. § 33 Rn. 50 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. Siehe oben, S. 119.
526
E. Schmidt, NJW 2002, 25, 26.
527
Palandt/Bassenge, BGB, Einl. UKlaG Rn. 1.
Vi. Verbandsklage gemäß §1 UKlaG
143
Insoweit unverändert geht es bei § 1 UKlaG um das Verwenden oder Empfehlen solcher Allgemeiner Geschäftsbedingungen, die nach den einschlägigen Rechtsvorschriften - heute §§ 307ff. BGB - unwirksam sind. Über diesen Wortlaut hinaus wird jedoch weiterhin die Ansicht vertreten, daß auch solche Klauseln Gegenstand der Klage aus § 1 UKlaG sein können, die zwar nicht nach den AGB-rechtlichen Bestimmungen der §§ 307ff. BGB unwirksam sind, wohl aber aufgrund sonstigen zwingenden Rechts. 528 Die vereinzelt gebliebene Gegenansicht 529 kann sich immerhin auf den klaren und in § 1 UKlaG auch unverändert gebliebenen Gesetzeswortlaut berufen. Trotzdem erschiene es sachlich kaum nachvollziehbar, warum eine etwa gemäß § 305 BGB unangemessen benachteiligende AGB-Klausel intensiver, nämlich auch mit Hilfe der Verbandsklage, kontrolliert werden sollte als der nicht minder schwer wiegende Verstoß gegen sonstiges zwingendes Recht. 530 Daher findet die AGB-Verbandsklage auch auf zahlreiche andere Fallgruppen Anwendung, in denen es um den »Schutz des Publikums vor nachteiliger vertraglicher Betroffenheit« 531 geht, man denke etwa an in Formularmietverträgen enthaltene Verstöße gegen zwingendes Wohnraummietrecht. 532 Die Diskussion um den Anwendungsbereich von § 13 AGBG und heute § 1 UKlaG deutet bereits auf eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich der inneren Rechtfertigung dieser Vorschrift hin. 533 Es ist zu fragen, warum gerade unwirksame Allgemeine Geschäftsbedingungen einen so erheblichen Mißstand darstellen sollen, daß dieser mit Hilfe der Verbandsklage bekämpft werden muß, während dieses Instrument bei anderen Mißständen nicht zur Verfügung steht. Die insoweit bestehende Sonderstellung der Bekämpfung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen wird damit gerechtfertigt, daß »der Rechtsverkehr« geschützt und von unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingungen freigehalten werden solle. 534 Das erklärt aber gerade nicht, warum nicht auch anderen Beeinträchtigungen des »Rechtsverkehrs« mittels Verbandsklage begegnet wird. Der Rechtsverkehr könnte ja auch davor zu schützen sein, daß Mängel einer Kaufsache arglistig verschwiegen werden oder daß Vertragspartner durch betrügerische 528 E. Schmidt, NJW 2002, 25, 27; Palandt/Bassenge, BGB, § 1 UKlaG Rn. 4; ebenso seinerzeit zu § 13 AGBG: BGH 26.1. 1983, NJW 1 9 8 3 , 1 3 2 0 , 1 3 2 2 ; Staudinger/ScWosser, BGB, § 13 AGBG Rn.24f.; Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 13 R n . 5 (unter Hinweis darauf, daß ein Verstoß gegen sonstiges zwingendes Recht meist auch als unangemessene Benachteiligung im Sinne der AGB-rechtlichen Generalklausel zu werten sei). 529 Erman/Werner, BGB (10. Aufl. 2000), § 13 AGBG Rn.25. 530 Für einen diesbezüglichen Schluß a minore ad maius Staudinger/Schlosser, BGB (1998) § 13 AGBG Rn.24f.; Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 13 Rn.38; E. Schmidt, NJW 2002, 25, 27. 531 Münchener Kommentar BGB/Micklitz, § 13 AGBG Rn.46. 532 Siehe BGH 22.3. 1989, NJW 1989, 1673, 1674. 533 Zweifelnd an der üblichen Begründung der über den Wortlaut hinausgehenden Erweiterung auch Münchener Kommentar BGB/Micklitz, § 13 AGBG Rn.46. 534 BGH 28.6. 1984, BGHZ 92, 24, 26.
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2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
Insolvenzen, mangelhafte R ä d e r einer Eisenbahn oder anderes Unheil geschädigt werden. Immerhin ist die Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen definitionsgemäß auf eine Vielzahl von Fällen und damit auf eine gewisse Breitenwirkung angelegt. Allerdings entfalten auch andere M i ß s t ä n d e eine erhebliche Breitenwirkung im Rechtsverkehr, man denke nur an Fehlverhalten von Vorständen börsennotierter Unternehmen, das eine Vielzahl von Anlegern schädigt. Aufgrund dieser schwierigen Abgrenzung zu anderen Mißständen ist es nur konsequent, daß die Rechtsprechung zur Erklärung der AGB-Verbandsklage meist noch eine weitere Überlegung anführt. Der Rechtsverkehr ist nämlich nicht nur durch die unwirksame Klausel beeinträchtigt, sondern vor allem dadurch, daß selbige von den potentiell oder aktuell Betroffenen nicht ausreichend bekämpft wird oder werden kann: Insbesondere soll die den Verbänden eingeräumte Klagebefugnis verhindern, daß sich eine rechtsunkundige Vertragspartei, wenn ihr von dem Verwender eine [...] unwirksame Klausel entgegengehalten wird, von vorneherein von einer Geltendmachung und Durchsetzung ihrer Rechte abhalten läßt. 5 3 5 Es ist also nicht allein das Phänomen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, welches eine besondere R e a k t i o n erfordert, sondern die aufgrund der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen unzureichend vorhandenen oder unzureichend wahrgenommenen Möglichkeiten der Vertragspartner der Verwender, diesem Phänomen auf dem individualrechtlichen Wege zu begegnen. Auch in der Literatur wird zwar bereits die massenhafte Verbreitung Allgemeiner Geschäftsbedingungen als »institutioneller M i ß s t a n d unseres Vertragssystems« 5 3 6 kritisiert, jedoch nicht ohne den Hinweis, daß dieser M i ß s t a n d speziell deswegen so problematisch sei, weil er mit den Mitteln des Individualrechtsschutzes k a u m bekämpft werden k ö n n e . 5 3 7 Die Verbandsklage nach § 1 U K l a G ist also ein k o m pensatorisches Mittel, welches notwendig ist, weil sich die betroffenen Personen typischerweise nicht selbst helfen können oder wollen. Die Verbandsklage soll das »Vollzugsdefizit des materiellen Privatrechts« 5 3 8 kompensieren. Auch die oben dargestellte Ausweitung des sachlichen Anwendungsbereichs wird mit dieser kompensatorischen Funktion begründet. 5 3 9 5 3 5 BGH 11.2. 1981, NJW 1981, 1511, 1512 m.w.N; ebenso BGH 13.7. 1994, NJW 1994, 2693; Palandt/Bassenge, BGB, § 1 UKlaG Rn. 1. 5 3 6 Münchener Kommentar BGBIMicklitz, Rn. 1 vor § 13 AGBG. 5 3 7 Ebd. Rn. 2. Ähnlich Lindacher, ZZP 103 (1990) 397, 400f., der die Verbandsklage mit dem Defizit der individualrechtlichen Interessenwahrnehmung erklärt. Selbst Schlosser, der der AGB-Verbandsklage eher skeptisch gegenüberzustehen scheint und bei den klageberechtigten Verbänden gelegentlichen »Ubereifer« konstatiert (Staudinger/ScWosser, BGB (1998), Einl. AGBG Rn. 15), sieht den eigentlichen Sinn der AGB-Verbandsklage darin, daß der »rechtlich ungewandte Bürger« bei einer Konfrontation mit unwirksamen Klauseln oft bereits im Vorfeld eines Prozesses resigniere. Dem solle die Verbandsklage vorbeugen (ebd.). 538 Reinel, Die Verbandsklage nach dem AGBG 7. 5 3 9 BGH 26.1. 1983, NJW 1983, 1320, 1322.
VI. Verbandsklage
gemäß
§ 1 UKlaG
145
Genau wie ihr lauterkeitsrechtliches Pendant wird auch die AGB-Verbandsklage als Alternative zu einer behördlichen Kontrolle angesehen. 5 4 0 Insbesondere wurde statt einer privatrechtlichen Verbandsklage die Pflicht zur behördlichen Genehmigung Allgemeiner Geschäftsbedingungen empfohlen. 5 4 1 Dieser Vorschlag konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Stattdessen wurde die Verbandsklage als angeblich »freiheitlichere« Lösung im Vergleich zu einer als »bürokratisch« gebrandmarkten staatlichen Kontrolle eingeführt. 5 4 2 O b die Verbandsklage unter Effizienzgesichtspunkten einer staatlichen Kontrolle äquivalent ist, blieb allerdings schon im Gesetzgebungsverfahren ungeklärt; insoweit wurde allenfalls auf die »vage Hoffnung einer wie auch immer gearteten Erstarkung der Verbraucherorganisationen verwiesen.« 5 4 3
2. Akteure Ebenso wie die UWG-Verbandsklage ist auch die Klage nach § 1 UKlaG nur eine eingeschränkte Popularklage, da eben nicht quivis ex populo zur Erhebung der Klage berechtigt ist, sondern nur die in § 3 UKlaG genannten Institutionen. Wie im Bereich des Lauterkeitsrechts ist diese Einschränkung auf ein allgemeines Mißtrauen gegenüber Popularklagen zurückzuführen. Nur bei besonders qualifizierten Verbänden sei die nötige »Seriosität und Sachkunde« 5 4 4 zum sinnvollen Umgang mit der Klageberechtigung zu erwarten. Eine Kompetenz einzelner Verbraucher zur abstrakten AGB-Kontrolle wurde zwar gelegentlich gefordert, 5 4 5 aber im Gesetzgebungsverfahren abgelehnt. In den parlamentarischen Beratungen zum AGB-Gesetz wurde diesbezüglich die »Gefahr von Querulantenprozessen« beschworen wurde, falls die Klageberechtigung nicht ausreichend eng gefaßt werde. 5 4 6 Neben den Verbraucherverbänden, die ihre Befugnisse im Rahmen ihrer Möglichkeiten aktiv wahrnehmen, sind gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 und 3 UKlaG auch rechtsfähige Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen, die Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern klageberechtigt. Diese Berechtigung ist hinsichtlich des Verwendens Allgemeiner Geschäftsbedingungen 5 4 0 Vgl. dazu und zur Entstehungsgeschichte der AGB-Verbandsklage Axmann, Die praktische Bedeutung und Effizienz der Verbandsklage nach § § 13 ff. AGB-Gesetz 20ff.; Reinel, a.a.O. 5ff.; Münchener Kommentar BGBIMicklitz, Rn. 9f. vor § 13 AGBG. 5 4 1 V. Hippel, Verbraucherschutz 136f. 5 4 2 Vgl. noch heute etwa Greger, Z Z P 113 (2000) 3 9 9 , 4 1 1 , der die privatrechtliche Verbandsklage »im Zeitalter der Deregulierung« gegenüber behördlicher Kontrolle für angemessener hält. 543 Damm, ZRP 1 9 7 8 , 1 6 7 , 1 6 8 , der bereits damals die berechtigte Frage stellte, ob nicht mit der Normierung der AGB-Verbandsklage zugleich ihre Ineffizienz normiert wurde oder gar werden sollte (ebd. 171). 544 Wolf/Horn/Lindacher, AGB-Gesetz, § 13 R n . 5 . 5 4 5 So bei Tilmann, Z H R 142 (1978) 52, 64f. 5 4 6 So der CDU/CSU-Abgeordnete Thürk, zit. nach Reinel, a.a.O. 21.
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2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
zwischen Unternehmern sogar von besonderer Bedeutung, da die Verbraucherverbände in diesem Bereich gemäß § 3 Abs. 2 U K l a G nicht tätig werden können. Faktisch machen jedoch weder die genannten Wirtschafts verbände noch die K a m m e r n von dieser Möglichkeit Gebrauch; es wird gar von einem » B o y k o t t « der AGB-Kontrollklage durch diese Institutionen gesprochen. 5 4 7 Die zur lauterkeitsrechtlichen Verbandsklage entwickelte Lehre von der »Doppelnatur« der persönlichen Voraussetzungen - diese sollen gleichzeitig die Prozeßführungsbefugnis wie auch die materielle Berechtigung betreffen - ist von der herrschenden Lehre und von der Rechtsprechung auch für die A G B - K o n trollklage übernommen w o r d e n . 5 4 8 Ebenso wie bei der lauterkeitsrechtlichen Verbandsklage sollen auch hier zwecks Ausschluß der Popularklage die persönlichen Voraussetzungen bis in die Revisionsinstanz von Amts wegen überprüft werden k ö n n e n . 5 4 9 Allerdings ist diese herrschende Ansicht mit der Begründung angegriffen worden, daß § 3 Abs. 1 U K l a G von »Ansprüchen« spricht, die den dort genannten Institutionen »zustehen«. Aus dieser Formulierung wird teilweise der Schluß gezogen, daß die personenbezogenen Voraussetzungen nur die Aktivlegitimation betreffen und eine besondere Prüfung der Prozeßführungsbefugnis weder erforderlich noch zulässig sei. 5 5 0 Diese Auffassung kann sich zwar auf die Gesetzesbegründung stützen, in der es heißt, daß mit dem neuen Wortlaut die Frage nach dem Charakter der personenbezogenen Voraussetzungen im Sinne einer Zuordnung zur Aktivlegitimation entschieden werden soll. 5 5 1 Trotz dieser recht klaren Äußerung wird eine diesbezügliche Änderung der dogmatischen Beurteilung in der Literatur aber überwiegend abgelehnt. 5 5 2 E b e n s o wie im Lauterkeitsrecht will m a n zum Schutz vor möglichen M i ß b r ä u c h e n der Verbandsklage daran festhalten, die Klagebefugnis in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen überprüfen und gegebenenfalls verneinen zu k ö n n e n . 5 5 3
3.
Klagziel
Die AGB-Verbandsklage ist auf Unterlassung des Verwendens oder Empfehlens der inkriminierten A G B gerichtet. D a m i t ist auch das Verbot umfaßt, sich bei
547 Löwe/Westphalen/Trinkner, AGBG, vor §§ 13-22 Rn.25. Dazu auch Münchener Kommentar BGBIMicklitz, Rn.43f. vor §13 AGBG, der im Hinblick auf die AGB-Kontrolle im Wirtschaftsverkehr bereits »rechtspolitisch resignieren« möchte. 548 PalandtIBassenge, BGB, §3 UKlaG Rn.2 m.w.N. 549 Reinel, a.a.O. 59. 550 Greger, NJW 2000, 2457, 2462. 551 BT-Drs. 14/2658, 52. 552 E r m a n / R o l o f f , BGB, §3 UKlaG Rn.l; Anwaltskommentar BGB/Walker, §3 UKlaG Rn. 1; Palandt/ßassenge, § 3 UKlaG Rn. 2; für die Doppelnatur letztlich auch Münchener Kommentar BGBIMicklitz, § 13 AGBG Rn. 94. 553 PalandtIBassenge, § 3 UKlaG Rn.2: Die Prozeßführungsbefugnis der Verbände soll »der Parteidisposition entzogen« und »im öffentlichen Interesse« von Amts wegen geprüft werden.
VI. Verbandsklage gemäß § 1 UKlaG
147
Abwicklung bereits geschlossener Verträge auf die unwirksamen Bestimmungen zu berufen, denn dies ist eine F o r m des Verwendens. 5 5 4 Außerdem können die klageberechtigten Verbänden auch gemäß § 13 U K l a G Auskunft über die Identität möglicher Beklagter verlangen. 5 5 5 Im Hinblick auf das Verfahren der AGB-Kontrollklage wird die Auffassung vertreten, daß § 3 0 8 Z P O hier nicht gelte, so d a ß das Gericht auch im Klagantrag gar nicht gerügte Klauseln mit überprüfen k ö n n t e . 5 5 6 Dafür spreche der Z w e c k des Gesetzes, nämlich die möglichst weitgehende Bereinigung des Rechtsverkehrs von unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Diese Ansicht wird jedoch mit Recht im überwiegenden Schrifttum a b g e l e h n t . 5 5 7 Es ist sicher richtig, daß das Gesetz eine Bereinigung des Rechtsverkehrs in diesem Sinne bezweckt, aber der Umfang der Bereinigung ist eben aufgrund der privatrechtlichen Durchsetzungsform in das Belieben der klageberechtigten Verbände gestellt. Eine Offizialmaxime in dem Sinne, daß das Gericht von sich aus nach weiteren möglicherweise unwirksamen Klauseln forschen könnte oder müßte, paßt nicht zu dieser Konzeption. Allerdings ist das Gericht wie in jedem anderen Zivilprozeß auch bei der A G B Kontrollklage nicht daran gehindert und gemäß § 1 3 9 Abs. 1 Z P O sogar dazu aufgerufen, auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuwirken. Sachdienliche Anträge im Sinne dieser Vorschrift sind solche, mit deren Hilfe der betreffende Streit endgültig ausgeräumt werden k a n n . 5 5 8 Dazu kann es sinnvoll sein, ein Klauselwerk umfangreicher zu überprüfen, als dies vom Kläger zunächst beantragt war. Allerdings ist es nach einem derartigen Hinweis Sache des Klägers, entsprechend erweiterte Klaganträge zu stellen - er sollte darauf aber auch verzichten können. Immerhin mag der Kläger insoweit das Prozeßrisiko scheuen oder eine andere Rechtsauffassung hinsichtlich der Wirksamkeit bestimmter Klauseln haben.
BGH 13.7. 1994, BGHZ 127, 35, 37f.; BGH 2 3 . 1 . 2 0 0 3 , NJW 2 0 0 3 , 1237, 1238. Dazu bereits oben zum Lauterkeitsrecht, S. 99. 556 Göbel, a.a.O. 138f. 557 Reinel, a.a.O. 135; E r m a n / R o l o f f , BGB, § 5 UKlaG Rn.2; Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 1 5 Rn.23. 5 5 8 AK-ZPO /Schmidt, § 139 Rn. 19; Münchener Kommentar ZPO/Peters, § 139 Rn.31; anders Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 139 R n . 4 7 , der den Begriff der Sachdienlichkeit in § 263 ZPO und § 139 ZPO jeweils unterschiedlich interpretiert: Bei § 2 6 3 ZPO komme es auf eine objektive Sachdienlichkeit an, während bei § 139 ZPO die Erreichung des subjektiven Prozeßziels der Parteien gemeint sei. Der Streit erscheint jedoch zumindest im hier interessierenden Zusammenhang müßig, da auch Leipold anerkennt, daß »unvollständige« Anträge, die sich auf den »vorgetragenen Sachverhaltskomplex« beziehen, einen richterlichen Hinweis auslösen sollen (ebd. Rn.47f.). Was aber »unvollständig« ist, beurteilt sich doch nach einem objektiven Maßstab; andernfalls könnte man es bei den von der Partei gestellten Anträgen und damit bei dem von ihr geäußerten Prozeßziel belassen. 554 555
148
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
4. Rechtskraft und Rechtshängigkeit a) Sonderregel
in §11
UKlaG
Anders als bei der UWG-Verbandsklage ist ein Aspekt der Rechtskraftwirkung bei der AGB-Verbandsklage ausdrücklich in § 11 UKlaG geregelt. Danach wirkt ein Urteil in einem AGB-Kontrollverfahren insoweit über die Parteien des Kontrollverfahrens hinaus, als sich in einem späteren Prozeß der Vertragspartner des Verwenders auf das Unterlassungsurteil beruft. Das Unterlassungsurteil entfaltet hier also eine gewisse Feststellungswirkung hinsichtlich der Unwirksamkeit der fraglichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Die genaue Einordnung des § 11 UKlaG und seiner Vorgängervorschrift in § 2 1 AGBG a.F. ist allerdings schwierig. Überwiegend wird sie heute als besondere oder atypische Form der Rechtskrafterstreckung angesehen. 5 5 9 Andere Autoren bezeichnen § 2 1 AGBG a.F. als »Novum im Prozeßrecht« 5 6 0 oder als gänzlich »eigenartige prozessuale Bindungswirkung« ohne Vorbild im bisherigen Prozeßrecht. 5 6 1 Diese Einordnungen unterscheiden sich letztlich nur sprachlich von der Bezeichnung als atypische ödere besondere Form der Rechtskrafterstreckung. Darüber hinaus wurde jedoch auch erwogen, § 21 AGBG a.F. nicht als prozeßrechtliche Vorschrift zu begreifen, sondern als »neuartige materiell-rechtliche Schutznorm« einzuordnen. 5 6 2 Für ein solches materiell-rechtliches Verständnis der Vorschrift soll sprechen, daß bereits ein Verstoß gegen das rechtskräftige Unterlassungsurteil beim Individualvertrag zu einem »Wirksamkeitshindernis« der betreffenden Klausel führe, wenn der Kunde eine entsprechende Einrede erhebe. 5 6 3 Gegen eine solche Betrachtung spricht aber, daß § 11 UKlaG ebenso wie seinerzeit § 2 1 AGBG a.F. gerade keine materiell-rechtliche Aussage trifft. Soweit sich der betroffene Vertragspartner auf das Unterlassungsurteil beruft, ist nach dem Wortlaut der Vorschrift die betreffende AGB-Klausel nur »als unwirksam anzusehen«, nicht aber notwendig auch materiell-rechtlich unwirksam. Das Gesetz stellt hier keine materiell-rechtliche Fiktion auf, sondern will nur das Gericht des Individualprozesses an das im Verbandsklageprozeß erzielte Unterlassungsurteil binden. 5 6 4 Ein falsches Urteil im Verbandsklageprozeß kann an der materiell-rechtlichen Lage nichts ändern, wohl aber wirkt es begünstigend für den individuell Betroffenen, der sich darauf beruft. Daher ist § 11 UKlaG als prozeßrechtliche, nicht als materiell-rechtliche Norm aufzufassen. 5 5 5 Palandt/Bassenge, BGB, § 11 UKlaG R n . 2 ; Münchener Kommentar BGBIMicklitz, § 2 1 AGBG R n . 6 ; Basedow, AcP 182 (1982) 335, 3 4 6 ; Erman/Roloff, § 11 UKlaG R n . 2 ; Ulmer/ Brandner/Hensen, AGBG, § 2 1 R n . l l ; Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 2 1 R n . 3 ; Staudinger/ Schlosser, BGB (1998), § 2 1 AGBG R n . 4 . 560 Tilmann, Z H R 142 (1978) 52, 66. 561 Gaul, FS Beitzke 9 9 7 , 1043. 562 Reinel, a.a.O. 87. 5 6 3 Ebd. 86f. 564 Gaul, FS Beitzke 9 9 7 , 1039f.
VI. Verbandsklage gemäß $ 1 UKlaG
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Das Atypische an § 11 UKlaG gegenüber der allgemeinen Regelung der Rechtskrafterstreckung in §325 ff. ZPO ist zunächst, daß sich die Erstreckung nur auf einen Teil des Unterlassungsurteils beschränkt, nämlich auf das in ihm enthaltene feststellende Element. 565 Eine derartige Extraktion des Feststellungselements aus einem Unterlassungsurteil wirkt zunächst logisch zwingend, da gemäß § 1 UKlaG nur dann zur Unterlassung verurteilt werden kann, wenn die verwendeten Geschäftsbedingungen unwirksam sind. Somit ist die Feststellung der Unwirksamkeit der betreffenden Klauseln ein zwingendes und »tragendes« 566 Element des Unterlassungsurteils. Trotz dieser sich aufdrängenden und auch in den Gesetzesmaterialien 567 aufscheinenden Logik entspricht diese Konstruktion keineswegs den allgemeinen Grundsätzen zur Rechtskraftwirkung eines Unterlassungsurteils. Im Gegenteil: Der Bundesgerichtshof hat in jüngerer Zeit wiederholt entschieden, daß ein Unterlassungsurteil im Allgemeinen keine Feststellungswirkung hinsichtlich der Rechtswidrigkeit einer angeblichen Verletzungshandlung entfaltet und daher einen auf dieselbe Handlung gestützten Schadensersatzprozeß nicht präjudiziert. 568 Diese Rechtsprechung ist im Schrifttum lebhaft umstritten 569 und hängt von der grundsätzlicheren Frage ab, ob sich die materielle Rechtskraft eines Urteils auf den »unmittelbaren Gegenstand des Urteils, das heißt die Rechtsfolge beschränkt, die den Entscheidungssatz bildet, nicht aber auf einzelne Urteilselemente, tatsächliche Feststellungen und rechtliche Folgerungen erstreckt, auf denen die getroffene Entscheidung aufbaut.« 5 7 0 Die insoweit restriktive Rechtsprechung zur Feststellungswirkung des Unterlassungsurteils wird einerseits begrifflich und andererseits pragmatisch begründet. In begrifflicher Hinsicht weist der Bundesgerichtshof darauf hin, daß Unterlassungs- und Schadensersatzanspruch unterschiedliche Handlungen betreffen. Die Verpflichtung zum Schadensersatz ergebe sich aus Handlungen in der Vergangenheit, während der Unterlassungsanspruch zukünftige Handlungen verbiete. Diese Unterscheidung geht jedoch zumindest für die im Wettbewerbsrecht typischen Fällen fehl, in denen von einer bereits geschehenen Handlung auf eine Wiederholungsgefahr für die Zukunft geschlossen wird. In diesen Fällen kann 565
Basedow, AcP 182 (1982) 335, 346; PalandtIBassenge, § 11 UKlaG Rn.3. PalandtIBassenge, ebd. 567 BT-Drs. 7/5422, 12. Der Rechtsausschuß des Bundestages berief sich hier auf angebliche »allgemeine zivilprozessuale Grundsätze«, obwohl die Frage der Feststellungswirkung des Unterlassungsurteils schon damals im Schrifttum heftig umstritten war, vgl. dazu Gaul, FS Beitzke 997, 1031 f. 568 BGH 2.5. 2002, BGHZ 150, 377 (Leitsatz a); bekräftigt durch BGH 26.6. 2003, NJW 2003, 3058, 3059. 569 Siehe etwa Kocher, Z Z P 117 (2004) 487ff. m. w.N. Für eine feststellende Rechtskraftwirkung des Unterlassungsurteils bereits Münchener Kommentar ZPO/Gottwald, § 3 2 2 Rn. 47 und 50; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts 520; grundlegend Zeuner, Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Rahmen rechtlicher Sinnzusammenhänge 5 8 ff. 570 BGH 26.6. 2003, NJW 2003, 3058, 3059. 566
150
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden Recht
sich das für das Unterlassungsurteil notwendige Verdikt der Rechtswidrigkeit der Handlung nur auf die vergangene Handlung beziehen. Aber auch in anderen Fällen ist nicht einzusehen, w a r u m eine gleichartige Handlung rechtlich unterschiedlich beurteilt werden soll, wenn der einzige Unterschied darin liegt, daß sie in der Vergangenheit oder in der Zukunft liegt. In pragmatischer Hinsicht begründet der Bundesgerichtshof seine Auffassung damit, daß für den Beklagte möglicherweise im Unterlassungs- und Schadensersatzprozeß jeweils ein unterschiedliches Prozeßverhalten sinnvoll sein k a n n . 5 7 1 So mag ihn eine Verurteilung zur Unterlassung wenig stören, ein Schadensersatzurteil dagegen wesentlich mehr. Daher soll der Beklagte nicht genötigt sein, einen aus seiner Sicht irrelevanten Prozeß weiterzuverfolgen. 5 7 2 Diese pragmatische Sicht zwingt aber nicht zu der von der Rechtsprechung gezogenen Konsequenz. Vielmehr ist es dem Beklagten in einer solchen Lage ohne weiteres möglich, eine Unterwerfungserklärung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht abzugeben. Eine solche Erklärung ist zulässig, weil die Unterwerfungserklärung der Streitbeilegung dient und daher kein Anerkenntnis des Unterlassungsanspruchs oder gar einer Schadensersatzpflicht enthalten m u ß . 5 7 3 M i t Abgabe der Unterwerfungserklärung wird aber die Wiederholungsgefahr beseitigt und eine gegebenenfalls bereits erhobene Unterlassungsklage ohne Sachurteil erledigt. D a m i t wird jegliche Präjudizialität bezüglich eines möglichen Schadensersatzprozesses vermieden. Insgesamt erscheint daher die in § 11 U K l a G enthaltene Rechtskrafterstrekkung des feststellenden Urteilselements im Grunde überzeugender als die im übrigen von der Rechtsprechung vertretene Gegenansicht. Das Besondere an § 1 1 U K l a G liegt daher weniger in der vorsichtigen Erweiterung der objektiven Grenzen der Rechtskraft als in dem Aspekt der subjektiven Rechtskrafterstrekkung. Die Rechtskraft des Urteils wird hier immerhin auf eine Partei - nämlich den betroffenen Vertragspartner des verurteilten Verwenders - erstreckt, die weder am Erstprozeß beteiligt noch in irgendeiner F o r m als Rechtsnachfolger einer der Beteiligten einzustufen ist. Allerdings wird diese Besonderheit dadurch relativiert, daß § 1 1 U K l a G nur zu Gunsten des ursprünglich nicht beteiligten Dritten und auch nur auf dessen Einrede hin wirkt. Die Wirkung auf Einrede ist eine weitere gravierende Abweichung von sonstigen Fällen der Rechtskrafterstreckung, die regelmäßig von Amts wegen zu berücksichtigen sind. 5 7 4 Diese allgemeine Regel wird damit begründet, daß die Rechtskraftwirkung nicht nur dem Schutz der jeweils begünBGH 2.5. 2002, BGHZ 150, 377, 383. Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, §12 UWG Rn.2.115; Teplitzky, GRUR 2003, 272, 280. 573 Hefermehl/KöMer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 12 UWG Rn. 1.110 m.w.N.; anders KG 16.8. 1977, WRP 1977, 793, 795 (Unterwerfungserklärung komme einem Anerkenntnis gleich). 5 7 4 BGH 24.6. 1993, NJW 1993, 3204, 3205. 571
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VI. Verbandsklage gemäß § 1 UKlaG
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stigten Partei dient, sondern auch der »Sicherung der staatlichen Rechtsordnung und der Entlastung der Gerichte«. 575 Außerdem sollen durch die amtswegige Prüfung der Rechtskraftwirkung widersprechende Urteile vermieden und dadurch Rechtssicherheit und Rechtsfrieden gefördert werden. 576 Mit dieser Argumentation wäre allerdings auch eine amtswegige Prüfung im Bereich des § 11 UKlaG zu begründen gewesen, denn es dient sowohl der Entlastung der Gerichte also auch der Einheit der Rechtsordnung, wenn die in einem Verbandsklageverfahren getroffene Feststellung zur Unwirksamkeit bestimmter Klauseln im Individualprozeß nicht noch einmal neu beurteilt werden muß. 5 7 7 Die Berücksichtigung des im Verbandsklageprozeß ergangenen Urteils nur auf Einrede scheint auch nicht einer bestimmten Konzeption des Gesetzgebers geschuldet, sondern wirkt eher als Abmilderung der seinerzeit zwischen Bundestag und Bundesrat heftig umstrittenen einseitigen Wirkungserstreckung zugunsten des Kunden. 578 Soweit empirische Untersuchungen zu den Wirkungen der AGB-Verbandsklage vorliegen, deuten diese darauf hin, daß § 11 UKlaG ebenso wie §21 AGBG a.F. in der Praxis so gut wie gar keine Rolle spielen. 579 Rechtsprechung zu dieser Vorschrift sucht man vergeblich. Insgesamt scheint daher der tatsächliche Ertrag des § 11 UKlaG und seinem Vorgänger in keinem Verhältnis zu dem auf ihn verwendeten literarischen Aufwand zu stehen. Allerdings ist es möglich, daß die Vorschrift immerhin eine gewisse präventive Wirkung entfaltet und im Verbandsklageprozeß unterlegene Verwender davon abhält, sich im Individualverfahren auf bereits als unwirksam beurteilte Klauseln zu berufen. 580 b) Fehlende sonstige
Wirkungen
Selbst die bescheidene und in ihrer dogmatischen Einordnung schwierig zu handhabende Rechtskrafterstreckung gemäß § 11 UKlaG findet nur zu Lasten des Verwenders statt, nicht zu seinen Gunsten. Obsiegt also der Verwender im AGBKontrollverfahren, so entfaltet das klagabweisende Urteil nach herrschender Ansicht Wirkungen weder auf die Prozesse anderer klageberechtigter Verbände 581 noch auf Individualprozesse zwischen dem siegreichen Verwender und seinen Vertragspartnern. 582 Dasselbe gilt außerhalb des Anwendungsbereichs von § 11 UKlaG auch für ein Obsiegen des Verbandsklägers. Ein erstrittenes Unterlassungsurteil hat keinerlei 575 576 577 578 579 580 581 582
Münchener Kommentar ZPO/Gottwald, § 322 Rn. 52. Gaul, FS Beitzke 997, 1036. Für eine amtswegige Prüfung de lege ferenda daher Gaul, ebd. 1038. Ebd. 1036 und 1010 zur diesbezüglichen Entstehungsgeschichte des AGB-Gesetzes. So jedenfalls zur Vorgängervorschrift des § 2 1 AGBG a.F. Axmann, a.a.O. 147 m.w.N. Löwe/Graf v. Westphalen/Trinkner, AGBG, § 2 1 Rn.6. Palandt/Bassenge, BGB, § 3 UKlaG Rn.3. Ebd., § 11 UKlaG Rn. 1 am Ende.
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2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
Wirkung gegenüber nicht am Erstprozeß beteiligten anderen Verwendern, mögen die fraglichen Klauseln und die Umstände ihrer Benutzung auch identisch sein. Gegen eine solche weite Urteilswirkung wird der Grundsatz des rechtlichen Gehörs ins Felde geführt, da die anderen Verwender am Verfahren nicht beteiligt werden. 583 Eine derartige Beteiligung sowie eine Urteilswirkung über die Parteien hinaus wurde im Gesetzgebungsverfahren zwar vorgeschlagen, aber letztlich verworfen. 584 Man hielt die faktische Breitenwirkung des Unterlassungsurteils offensichtlich für ausreichend. Allerdings sollte diese faktische Wirkung nach der vom Bundestag beschlossenen Fassung des AGB-Gesetzes dadurch erhöht werden, daß die Oberlandesgerichte in erster Instanz zuständig sein sollten. Diese Zuständigkeitsregelung wurde allerdings auf Druck des Bundesrats im Vermittlungsausschuß wieder geändert. 585 Zumindest die Urteile des Bundesgerichtshofes in AGB-Sachen haben in der Rechtswirklichkeit eine erhebliche faktische Bedeutung, welche die möglichen rechtlichen Wirkungserstreckungen gemäß § 11 UKlaG weit übersteigt. Ebenso wie im Lauterkeitsrecht wird das der Populär- und Verbandsklage immanente Problem der Mehrfachklage auch bei der AGB-Kontrolle nach überwiegender Ansicht materiell-rechtlich gelöst: Ein rechtskräftiges Unterlassungsurteil begründe zwar gegenüber der Klage eines anderen Verbands mangels Identität der Parteien keinen Einwand der res iudicata,586 wohl aber könne durch das rechtskräftige Urteil auf der Ebene der Begründetheit - je nach den Umständen des Einzelfalls - die Wiederholungsgefahr entfallen. 587 Andere Stimmen in der Literatur plädieren für einen Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses nach einem rechtskräftigen Urteil im Erstprozeß, weil damit der Zweck der AGB-Kontrollklage erfüllt sei. 588 c) Durchbrechung
der Rechtskraft
nach §10
UKlaG
Eine Sonderregelung zur Rechtskraft des Urteils findet sich in § 10 UKlaG, der dem früheren § 19 AGBG a.F. entspricht. Danach kann ein Verwender, dem die Verwendung bestimmter Klauseln rechtskräftig untersagt wurde, nachträglich Göbel, a.a.O. 139. Dazu Münchener Kommentar BGB/Micklitz, §21 AGBG Rn. 1 m.w.N. Vgl. bereits Schlosser, ZRP 1975, 148, 150, der sich für eine Rechtskraftwirkung zu Lasten aller »Parallelverwender« ausspricht. Das Problem des rechtlichen Gehörs sollte nach diesem Vorschlag durch eine Repräsentation der Interessen der Parallelverwender im Verbandsklageverfahren gelöst werden, nach dem Muster der class action. Dazu m.w.N. Thiere, Die Wahrung überindividueller Interessen im Zivilprozeß 329. 585 y g ) Thiere, ebd. 306 m.w.N. 586 Wolf/Horn/Lindacker, AGBG, § 13 Rn. 117 (»ganz h.M.«). 5 8 7 Ebd. Rn. 119; vgl. zum Lauterkeitsrecht BGH 2 . 1 2 . 1982, NJW 1983, 1060f., sowie die Darstellung der einschlägigen Diskussion oben, S. lOOff. 588 Reinel, a.a.O. 62. 583
584
Vi. Verbandsklage gemäß § 1 UKlaG
153
eine Vollstreckungsgegenklage erheben, wenn derartige Klauseln vom Bundesgerichtshof oder gar vom Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes als rechtmäßig beurteilt wurden und die Vollstreckung des gegen den Verwender ergangenen früheren Urteils diesen »unzumutbar beeinträchtigen würde.« Es handelt sich hier also um eine Abweichung von dem Grundsatz, daß eine spätere Änderung der Rechtsprechung nichts an der Rechtskraft des Urteils ändert. Diese Ausnahme kann man nur damit begründen, daß nach einer höchstrichterlichen Entscheidung über bestimmte Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen wieder ein level playing field unter den Marktbeteiligten hergestellt werden soll, daß also nicht aufgrund unterschiedlicher Entscheidungen ein Unternehmer bestimmte Klauseln nutzen darf, während einem anderen Unternehmer die Nutzung derselben Klausel aufgrund einer früheren Entscheidung untersagt bleibt. 589 Allerdings kann dies nur dann gelten, wenn die obergerichtliche Entscheidung auch mit allgemeingültigem Anspruch auftritt und nicht bloß der Disposition der beteiligten Parteien entspringt. Daher wird in der Literatur verlangt, daß es sich bei der in § 10 UKlaG gemeinten nachträglichen Entscheidung um eine streitige Entscheidung handeln muß. 5 9 0 Obwohl also § 10 UKlaG durchaus sinnvoll erklärt werden kann, handelt es sich doch um einen Fremdkörper in einem auf Einzelfallentscheidungen zugeschnittenen prozeßrechtlichen System. Die Möglichkeit unterschiedlicher Beurteilungen faktisch gleichgelagerter Sachverhalte ergibt sich zwingend aus der Pluralität der Gerichte und aus der Zuständigkeitsverteilung. Sie ist ebenso im Lauterkeitsrecht oder im Kartellrecht anzutreffen, in dem es ebenfalls ohne weiteres möglich ist, daß das Landgericht A eine bestimmte Wettbewerbshandlung als rechtswidrig beurteilt, während dieselbe Handlung vom Landgericht B oder vom Bundesgerichtshof als rechtmäßig angesehen wird. Trotzdem hat der durch Urteil A rechtskräftig verurteilte Beklagte in diesen Fällen keine nachträgliche Möglichkeit, etwas an seinem Schicksal zu ändern. Die gewöhnliche Vollstrekkungsgegenklage gemäß § 767 ZPO läßt sich nur auf neu entstandene materiellrechtliche Einwendungen stützen, nicht auf neue Rechtsansichten oder auf Urteile in anderen Prozessen, 591 und die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß 589
Vgl. nur die Erläuterung der gemäß § 10 UKlaG vorausgesetzten unzumutbaren Beeinträchtigung bei Palandt/Bassenge, BGB, § 10 UKlaG Rn. 5: Diese sei »in der Regel anzunehmen, wenn Mitbewerber die Klausel benutzen und sich daraus für den Verwender Nachteile im Wettbewerb ergeben.« 590 Häsemeyer, AcP 188 (1988) 140,157 (Urteil aufgrund Klageverzicht eines Verbandes reiche nicht aus); Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 19 Rn.7. 591 Eine weitere Ausnahme bildet insoweit § 79 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVerfGG, vgl. dazu BGH 11.7. 2002, BGHZ 151, 316, 321 ff. Der bloße »Wandel der höchstrichterlichen Rechtsprechung [...] begründet jedoch keine Einwendung im Sinne des § 767 ZPO gegen den titulierten Anspruch.« (BGH ebd. 326); ebenso Münchener Kommentar Z P O / K . Schmidt, § 7 6 7 Rn.70 m.w.N.
154
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
§§ 578ff. ZPO setzt gravierende Fehler im Erstprozeß voraus, die nichts mit einer bloßen Rechtsprechungsänderung zu tun haben. Die Idee der Rechtskraft einer Entscheidung trotz uneinheitlicher oder sich ändernder rechtlicher Beurteilung ist eine Grundsatzentscheidung des Prozeßrechts. Auch ein nach neuerer oder höchstrichterlicher Auffassung »unrichtiges« Urteil soll durch die Rechtskraft im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens aufrechterhalten bleiben. 592 Immerhin hatte ja der rechtskräftig Verurteilte die Möglichkeit, Rechtsmittel nach den allgemeinen Regeln einzulegen. Gerade in Fällen der AGB-Kontrollklage steht der Weg zum Bundesgerichtshof prinzipiell offen: Die rechtliche Beurteilung von AGB-Klauseln mit Breitenwirkung erfordert regelmäßig schon wegen § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Das in dieser Vorschrift genannte Merkmal der »grundsätzlichen Bedeutung« einer Rechtssache setzt nach der Rechtsprechung voraus, daß die jeweilige Rechtsfrage nicht nur klärungsbedürftig ist, sondern auch in einer »unbestimmten Vielzahl von Fällen auftreten kann.« 5 9 3 Diese potentielle Massenwirkung ist bei der Beurteilung der Wirksamkeit allgemeiner Geschäftsbedingungen regelmäßig gegeben. 594 Diese Abweichungen des § 10 UKlaG von den im Individualprozeß geltenden prozeßrechtlichen Grundsätzen sprechen jedoch nicht als solche gegen die sachliche Berechtigung der Vorschrift. Immerhin soll das Verbandsklageverfahren ja eine von individuellen Fällen abstrahierende Regelung ermöglichen und die generelle Durchsetzung des objektiven Rechts sichern. Es ist daher durchaus folgerichtig, wenn der Gesetzgeber bei einer Änderung in der Interpretation dieses objektiven Rechts etwaige entgegenstehende Urteile im Verbandsklageverfahren nicht unangetastet lassen möchte. Allerdings entsteht das Problem abweichender Beurteilungen in Fällen mit über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung im wesentlichen dadurch, daß der Gesetzgeber gemäß § 6 Abs. 1 UKlaG die Landgerichte als Eingangsinstanz des Verbandsklageverfahrens vorgesehen hat. Dadurch kann jedenfalls theoretisch eine Vielzahl von Gerichten mit der Beurteilung gleichartiger Klauseln befaßt werden, so daß divergierende Entscheidungen wahrscheinlich sind. Das Problem könnte de lege ferenda zumindest gelindert werden, indem man die Anzahl der beteiligten Gerichte und Spruchkörper verringert. Dazu wurde etwa eine erstinstanzliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts 595 oder gar des Bundesgerichtshofes 596 erwogen. 592
BGH 24.6. 1993, NJW 1993, 3204, 3205. BGH 4.7. 2002, BGHZ 151, 221, 223. 594 BGH 1.10. 2002, BGHZ 152, 182, 191; ebenso Münchener Kommentar ZPO/Wenzel, Aktualisierungsband zur ZPO-Reform (2002), § 543 Rn. 8 mit Verweis auf die Gesetzesbegründung der ZPO-Reform in BT-Drs. 14/4722, 104. 595 Vgl. zur diesbezüglichen Gesetzgebungsgeschichte Ulmer/Brandner/HeKse«, AGBG, § 14 Rn. 1 f. 596 Dies erwägt E. Schmidt, NJW 1989, 1192, 1197. 5,3
VI. Verbandsklage gemäß § 1 UKlaG
155
5. Dispositionsbefugnis a) Abtretung Die Regelung in § 3 Abs. 1 Satz 2 UKlaG zur Abtretung der Verbandsklageberechtigung ist merkwürdig. 597 Eine Abtretung an eine Person, die bereits Inhaberin derselben Berechtigung ist, erscheint jedenfalls im vorprozessualen Stadium nicht sinnvoll. Im Schrifttum wird erwogen, daß durch eine Abtretung des Unterlassungs-«Anspruchs« eine Verdoppelung der Ansprüche und der Streitgegenstände entstehe. 598 Nimmt man diese Ansicht ernst, so könnte der Zessionar eines solchen »Anspruchs« zweimal nacheinander klagen, nämlich einmal aus eigenem und einmal aus abgetretenem Recht. Das dürfte kaum sinnvoll sein. Der Gesetzgeber ging jedoch davon aus, daß diese Vorschrift ihre Bedeutung nach Erlaß eines Urteils erhalte. Sie solle ermöglichen, daß einer der berechtigten Verbände einem anderen die Vollstreckung des Urteils überläßt. So soll etwa ermöglicht werden, daß »die [regionalen] Verbraucherzentralen aus Unterlassungserklärungen vollstrecken können, die der Verbraucherschutzverein in Berlin erstritten hat.« 599 Die Beschränkung der möglichen Zessionare auf ohnehin klageberechtigte Institutionen solle eine »Kommerzialisierung« der Verbandsklagebefugnisse verhindern. 600 Hier ist zunächst zu unterscheiden zwischen der originären gesetzlichen Klagekompetenz und dem durch vertragliche Vereinbarung - etwa aufgrund einer Unterwerfungserklärung - entstandenen Unterlassungsanspruch. Letzterer ist von § 3 Abs. 1 Satz 2 UKlaG nicht betroffen und dürfte - vorbehaltlich eines vertraglichen Abtretungsverbots - ohnehin abtretbar sein, da jedermann Gläubiger eines vertraglichen Unterlassungsanspruchs sein kann. 601 Soweit es um die gesetzliche Klagekompetenz geht, ist fraglich, ob diese abgetreten werden muß, um einem zweiten Verband die Vollstreckung aus einem zugunsten des ersten Verbands ergangenen Urteil zu ermöglichen. § 3 Abs. 1 Satz 2 UKlaG erfüllt hier möglicherweise einen gewissen Sinn auf dem Boden der dazu herrschenden Meinung, daß nämlich eine Klauselumschreibung gemäß § 727 ZPO nur möglich ist, wenn zugleich der das Urteil begründende materiell-rechtliche Anspruch abgetreten werden kann und abgetreten wird. 602 Allerdings könnte man das Aus597
Sie wird gar als »rechtspolitisch verfehlt« bezeichnet, so Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht § 8 UWG Rn.3.21. 598 Hefermehl/KöMer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 8 UWG Rn.3.19. 599 Münchener Kommentar BGB/Micklitz, § 13 AGBG Rn.93. 600 So die Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung v. 9.2. 2000, BT-Drs. 14/ 2658, 52. 601 Fezer/Büscher, UWG, § 8 Rn.90. 602 Vgl. BGH 26.10. 1984, BGHZ 92, 347, 349f.: Eine »Vollstreckungsstandschaft«, d.h. Ermächtigung zur Einziehung einer titulierten Forderung ohne Klauselumschreibung sei nicht möglich. Zur Klauselumschreibung sei wiederum der Nachweis der (materiell-rechtlichen) Rechtsnachfolge erforderlich; ebenso Stein/JonasIMünzberg, ZPO, § 7 2 7 Rn.2 und vor §704
156
2. Kapitel:
Popular-
und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
wechseln des Vollstreckungsgläubigers auch durch eine darauf bezogene spezifische gesetzliche Regelung ermöglichen; man müßte dafür nicht das allgemeine Institut der Abtretung bemühen. Darüber hinaus wird allerdings in der Literatur erwogen, daß die Abtretung der aus § 1 UKlaG folgenden Klagekompetenz in den Fällen relevant sein soll, in denen diese Berechtigung bereits verjährt sei. Ein Verband, dessen Berechtigung bereits verjährt sei, könne sich durch Abtretung einer unverjährten Klageberechtigung wieder eine Möglichkeit zur Klage verschaffen. 6 0 3 Diese Möglichkeit ergibt sich theoretisch dann, wenn ein Verband früher von einer bestimmten AGBVerwendung Kenntnis erlangt als ein zweiter Verband, weil dann für den ersten die Verjährungsfrist gemäß § 1 9 9 Abs. 1 Nr. 2 B G B früher beginnt. Sie kann jedoch bei genauerer Betrachtung nicht zu einer Klageberechtigung des Zessionars führen. Es ist nämlich anerkannt, daß es bei der Frage der Kenntnis im Sinne des § 1 9 9 Abs. 1 Nr. 2 B G B nach Abtretung einer unverjährten Forderung auf den Kenntnisstand des Zessionars ankommt. 6 0 4 In der hier angesprochenen Konstellation hat dieser jedoch die volle Kenntnis im Sinne des § 1 9 9 Abs. 1, so daß die abgetretene Forderung im Moment der Abtretung ebenso verjährt wie die ursprüngliche Forderung des Zessionars. Dieses Ergebnis ist auch interessengerecht, da § 1 9 9 Abs. 1 den Gläubiger zwingen will, sich nach Kenntnisnahme innerhalb einer überschaubaren »Überlegungsfrist« für oder gegen die Anspruchsdurchsetzung zu entscheiden. 6 0 5 Diese Überlegungsfrist darf sich nicht dadurch verlängern, daß der Gläubiger sich weitere »Ansprüche« beschafft, die denselben Inhalt haben und sich auf dasselbe bereits bekannte Ereignis beziehen. Auch diese in der Literatur vorgeschlagene Anwendungsmöglichkeit des § 3 Abs. 1 Satz 2 UKlaG ist daher nicht sinnvoll. Insgesamt ist daher nicht recht ersichtlich, welchem Zweck diese Vorschrift dienen soll.
b) Verzicht In der Literatur wird die Möglichkeit des Verzichts auf die Klagekompetenz nach § 1 UKlaG kaum erörtert. Gegen eine solche Möglichkeit wird immerhin angeführt, daß den Verbänden auch materiell-rechtlich keine Möglichkeit zur Verfü-
R n . 3 8 . Anders jedoch O L G Dresden 1 4 . 7 . 1994, NJW-RR 1996, 4 4 4 , 4 4 5 (Vollstreckungsstandschaft zulässig); Münch, Vollstreckbare Urkunde und prozessualer Anspruch 149ff. (Rechtsnachfolge nach dem Prozeß wird als prozessuales Phänomen betrachtet und damit von der materiell-rechtlichen Abtretung abgekoppelt); differenzierte Darstellung der Problematik und der relevanten Fallgruppen bei Kirsten Schmidt, Vollstreckung im eigenen Namen durch Rechtsfremde. 6 0 3 Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 8 UWG R n . 3 . 1 9 . 6 0 4 BGH 1 0 . 7 . 1967, B G H Z 48, 181, 183; Münchener Kommentar B G B / G r o t h e , § 1 9 9 R n . 3 4 ; Staudinger/Peters, BGB, § 199 R n . 4 2 . 6 0 5 Münchener Kommentar BGB /Grothe, § 199 R n . 2 .
VI. Verbandsklage gemäß § 1 UKlaG
157
gung über die Geltung von A G B zustehe. 6 0 6 Die Rechtsprechung hatte bisher noch keine Gelegenheit, sich ausführlich zu einem Verzicht auf diese Kompetenz zu äußern. Aus der im folgenden noch zu erörternden Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur mangelnden Verwirkungsmöglichkeit 6 0 7 ist aber wegen ihrer Begründung zu folgern, daß auch ein Verzicht oder Ausschluß der Klageberechtigung unmöglich ist. N a c h dieser Rechtsprechung können sich ja die klageberechtigten Verbände ihrer Klagekompetenz nicht durch eigenes Verhalten begeb e n . 6 0 8 Der Bundesgerichtshof faßt daher in dieser Entscheidung mehrere T h e men in einer Frage zusammen, nämlich in »die Frage, o b das vorprozessuale Verhalten eines Verbandes eine Verwirkung des Unterlassungsanspruchs, einen Anspruchsverzicht oder die allgemeine Einrede des Rechtsmißbrauchs begründen k a n n . « 6 0 9 O b w o h l im weiteren Verlauf der Entscheidungsgründe vom »Anspruchsverzicht« nicht mehr die Rede ist, müssen die gegen die Möglichkeit der Verwirkung angeführten Gründe auch für den Verzicht gelten. Wenn nämlich nach Ansicht des Bundesgerichtshofes bei der Verbandsklagekompetenz den klageberechtigten Verbänden stets die Möglichkeit verbleiben soll, »AGB-Klauseln aufgrund geänderter Rechtsauffassung oder Geschäftsabläufe zu einem späteren Zeitpunkt anzugreifen,« 6 1 0 dann kann es auch keinen wirksamen Verzicht auf gerade diese Möglichkeit geben.
c)
Klagerücknahme
Die Klagerücknahme ist nach überwiegender Ansicht nach den allgemeinen Regeln möglich. 6 1 1 Gegen diese Ansicht wird jedoch eingewandt, daß das öffentliche Interesse am Verfahrensgegenstand - nämlich der möglichen Unwirksamkeit verwendeter oder empfohlener Allgemeiner Geschäftsbedingungen - es zumindest nach Klagerhebung verbiete, den Verbänden die Klagerücknahme uneingeschränkt zu gestatten. 6 1 2 Daher dürfe eine Klagerücknahme nur dann zugelassen werden, wenn der Beklagte eine Unterlassungserklärung hinsichtlich der beanstandeten Klausel a b g i b t . 6 1 3 Folgte man dieser Auffassung, so wäre jedoch eine Klagerücknahme im AGB-Kontrollverfahren weitgehend entbehrlich: Gibt nämlich der Beklagte ein strafbewehrtes Unterlassungsversprechen hinsichtlich der inkriminierten Klausel ab, so ist wegen Wegfalls der Wiederholungsgefahr die
606
Göbel, a.a.O. 134.
Siehe unten, S . 1 6 3 f f . 6 0 8 BGH 1 5 . 2 . 1995, N J W 1995, 1488, 1489. 6 0 9 Ebd. 6 , 0 Ebd. 611 Reinel, a.a.O. 135 m.w.N. 612 Göbel, Prozeßzweck der AGB-Klage 140f. mit Verweis auf dahingehende Rechtsprechung zur abstrakten Normenkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht. 6 1 3 Ebd. 141. 607
158
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden Recht
Klage ohnehin als erledigt anzusehen. 6 1 4 D e r klagende Verband erklärt in solch einem Falle zweckmäßigerweise die Erledigung der Hauptsache, um eine Kostenentscheidung nach § 9 1 a Z P O auszulösen, deren Inhalt sich nach dem voraussichtlichen Erfolg oder M i ß e r f o l g der Klage richtet. 6 1 5 Es wäre sinnlos, statt dessen per Klagerücknahme gemäß § 2 6 9 Abs. 3 Satz 2 Z P O die Kosten des Verfahrens unabhängig von den Erfolgsaussichten selbst tragen zu wollen. Die Möglichkeit der Klagerücknahme ist auch mit den von der Mindermeinung zu R e c h t in den Vordergrund gerückten öffentlichen Interessen an der A G B - K o n t r o l l e vereinbar. D e r klagende Verband behält ja seine Klagekompetenz und wird gemäß § 2 6 9 Abs. 3 Satz 1 nur in dieselbe Lage versetzt, als hätte er von vorneherein nicht geklagt. D a ihm dies aber in dem auf Privatinitiative setzenden Durchsetzungssystem der A G B - K o n t r o l l e ohnehin freisteht, kann auch die Klagerücknahme nicht ausgeschlossen werden. Außerdem sollte man den Verband nicht zwingen, einen als aussichtslos erkannten Prozeß kostenträchtig zu Ende zu f ü h r e n . 6 1 6
d) Klageverzicht
und
Anerkenntnis
D e r Bundesgerichtshof hält ein Anerkenntnis des beklagten Verwenders für m ö g l i c h . 6 1 7 Dies ist jedenfalls hinsichtlich der Begründung ein gewisser Widerspruch zu der Rechtsprechung zur Verwirkung, denn auch der beklagte einzelne Unternehmer ist ja keine »Verbotsbehörde« für Allgemeine Geschäftsbedingungen. Allerdings enthält - wie oben zur Frage der Rechtskraft dargestellt - ein aufgrund des Anerkenntnisses
ergehendes Unterlassungsurteil
auch nicht
ein
solches Verbot, das etwa andere Unternehmer binden könnte. Es spricht daher einiges für die Zulässigkeit eines Anerkenntnisses, weil die Verwendung oder NichtVerwendung von Geschäftsbedingungen zur Disposition des Unternehmers steht. 6 1 8 Auch bezüglich des Anerkenntnisses werden jedoch teilweise Einschränkungen der Dispositionsfreiheit gefordert: So soll dies dann unzulässig sein, wenn die inkriminierte Klausel nach der Sach- und Aktenlage offensichtlich wirksam sei. 6 1 9 Gegen diese Auffassung spricht jedoch, daß es Sache des Verwenders ist, auch zulässige Geschäftsbedingungen nicht mehr weiterverwenden zu wollen. Will er sich demgemäß verurteilen lassen, so bindet er nur sich selbst,
Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 15 Rn.25. So zum Lauterkeitsrecht OLG Köln 17.2. 1989, GRUR 1989, 705. 616 E. Schmidt, NJW 1989, 1192, 1195. 6 1 7 BGH 22.3. 1989, NJW 1989, 1673, 1675. 6 1 8 Ebenso E. Schmidt, NJW 1989,1192,1195; Reinel, Die Verbandsklage nach dem AGBG 138: »Anders als bei einem prozessualen Verzicht des Verbandes disponiert der Verwender oder Empfehler bei einem Anerkenntnis über einen Gegenstand, der seinen eigenen Rechtskreis betrifft.« 619 Göbel, a.a.O. 142. 614
615
VI. Verbandsklage
gemäß § 1 UKlaG
159
wofür es gerade in einer Verhandlungssituation mit klageberechtigten Verbänden durchaus vernünftige Gründe geben mag. 620 Schwieriger ist es auch hier mit dem Klageverzicht. In der Literatur wird teilweise für das AGB-Verbandsklageverfahren die »uneingeschränkte Geltung der Dispositionsmaxime« postuliert. 621 Dagegen wird eingewandt, daß der Klageverzicht die materiell-rechtliche Dispositionsbefugnis voraussetze, der Verband aber nicht über das öffentliche Interesse an der Freihaltung des Rechtsverkehrs von unwirksamen Geschäftsbedingungen verfügen könne. 622 Das Ergebnis hängt hier davon ab, wie man den Klageverzicht einordnet. Dies ist eine allgemeine Frage, die im vierten Kapitel vertieft wird. 623 Sieht man ihn als reine Prozeßhandlung, so daß auch ein Verzichtsurteil über die Sachfrage nichts aussagt, so mag er zulässig sein. 624 Jedenfalls hindert er aber den Kläger an jeglicher zukünftiger Rechtsverfolgung, was hinsichtlich der Effektivität der Rechtsdurchsetzung problematisch sein könnte. Für die Zulassung eines Klageverzichts wird vorgebracht, daß dem klagenden Verband aus Zweckmäßigkeitserwägungen die Entscheidungsfreiheit hinsichtlich der Fortführung eines Prozesses überlassen bleiben sollte. 625 Dies könnte man aber auch dadurch erreichen, daß man - abweichend von § 269 ZPO und entsprechend der Regelung zur patentrechtlichen Nichtigkeitsklage 626 - die Klagerücknahme jederzeit auch ohne Einwilligung des Beklagten zuließe. Damit vermeidet man die Schwierigkeiten hinsichtlich der Wirkung eines Verzichtsurteils. Der von § 269 ZPO bezweckte Schutz des Beklagten im Sinne einer für ihn »endgültigen Befriedung des Streitverhältnisses« und »Erzwingung einer Sachentscheidung« 627 kann im Verbandsklageverfahren ohnehin nicht greifen: Der Beklagte kann - jedenfalls nach der herrschenden Meinung zum jeweils eigenen Anspruch der Verbände - auch nach einem für ihn siegreichen Prozeß jederzeit weiteren Angriffen in derselben Sache durch andere Verbände ausgesetzt sein. Außerdem ist er selbst bei einem Obsiegen im Verbandsklageprozeß nicht davor gefeit, daß die nämlichen Klauseln in einem Individualprozeß anders beurteilt werden.
620
Bultmann, Verklagen oder Verhandeln? 93f. Greger, Z Z P 113 (2000) 399, 4 1 0 f . ; ähnlich Palandt/Bassenge, BGB, § 5 UKlaG Rn. 1 (»versteht sich von selbst«). 622 Reinel, Die Verbandsklage nach d e m A G B G 136f.; Göbel, a.a.O. 1 4 2 f . 623 Siehe unten, S . 3 2 9 f f . 624 So E. Schmidt, N J W 1989, 1192, 1195. 625 Ebd. 626 Siehe oben, S.67. 627 M ü n c h e n e r K o m m e n t a r Z P O I L ü k e , § 2 6 9 Rn. 1. 621
160 e)
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
Vergleich
Auch im AGB-Kontrollverfahren ist ein Vergleich prinzipiell möglich, sofern die oben bereits erörterten Grenzen der materiell-rechtlichen Dispositionsmacht der Parteien nicht überschritten werden. Die Parteien können daher den Rechtsstreit zwar einvernehmlich beenden, nicht aber die fraglichen Klauseln für zulässig erklären. Im R a h m e n einer entsprechenden Verhandlungssituation mag die Frage a u f k o m m e n , o b auch die Einigung auf eine » K o m p r o m i ß f o r m e l « für die betroffenen Geschäftsbedingungen Gegenstand eines solchen Vergleichs sein kann. Dies wird nur insoweit für zulässig gehalten, als diese K o m p r o m i ß f o r m e l den gesetzlichen Vorschriften entspricht. 6 2 8 Soll eine solche K o m p r o m i ß f o r m e l vom Gericht protokolliert werden, so m u ß es nach dieser Auffassung die Gesetzmäßigkeit des Vergleichsinhalts zuvor überprüfen. 6 2 9 Diese Ansicht k a n n sich auf die allgemeinen Grundsätze zur Protokollierung von Prozeßvergleichen stützen. Zunächst m u ß man davon ausgehen, daß ein Prozeßvergleich aus materiell-rechtlichen Gründen unwirksam ist, wenn sein Inhalt gegen § 1 3 8 B G B oder gegen zwingendes Recht v e r s t ö ß t . 6 3 0 Z w a r enthält der gerichtlich protokollierte Vergleich anders als das Urteil keine unmittelbare Aussage des Gerichts zur Rechtslage. Er gleicht dem Urteil jedoch darin, daß er einen Vollstreckungstitel schafft. Schon aus diesem Grund kann der wirksame Prozeßvergleich nur solche Regelungen enthalten, die mit zwingenden Rechtssätzen vereinbar sind. 6 3 1 Daher wäre ein Vergleich, der dem beklagten Verwender die Nutzung unwirksamer - weil gegen §§ 3 0 7 f f . B G B verstoßender - Geschäftsbedingungen erlaubt, aus materiell-rechtlichen Gründen unwirksam. Von diesem Ergebnis zu trennen ist allerdings die Frage, o b und inwieweit das Gericht anläßlich der Protokollierung eines derartigen Vergleichs verpflichtet ist, zu überprüfen, o b die darin enthaltenen »Kompromißklauseln« mit dem zwingenden Recht vereinbar sind. Aus den bereits referierten Grundsätzen kann man zunächst folgern, daß das Gericht jedenfalls nicht wider besseres Wissen einen gesetzes- oder sittenwidrigen Vergleich protokollieren darf. Damit würde es ebenso wie mit einem falschen Urteil einen materiell-rechtlich fehlerhaften Vollstreckungstitel schaffen. Das Gericht darf sich aber auch nicht auf die Position zurückziehen, daß die Rechtmäßigkeit des Vergleichs offen bleiben könne und nicht weiter überprüft werden müsse. Ein solches Vorgehen wäre mit der in Art. 2 0 Abs. 3 und 9 7 Abs. 1 G G normierten Bindung des Richters an das Gesetz nicht vereinbar. Bei der Ausübung richterlicher Tätigkeit - und dazu gehört die Schaffung eines Vollstreckungstitels durch Protokollierung eines Prozeßver-
628 629
Göbel, a.a.O. 143. Ebd.
ZöWer/Stöber, ZPO, § 794 Rn. 8; BGH 28.10. 1966, BB 1966, 1323; BGH 24.10. 1968, BGHZ 51, 141, 143f.; BGH 22.5. 1975, BGHZ 65, 147, 150. 6 3 1 RG 18.10. 1898, RGZ 42, 137. 630
VI. Verbandsklage gemäß § 1 UKlaG
161
gleichs - m u ß der Richter sich an das geltende R e c h t halten und dessen Inhalt daher in eigener Verantwortung ermitteln. 6 3 2 Allerdings hat der Bundesgerichtshof sowohl im Patentrecht als auch im Kartellrecht unter bestimmten Voraussetzungen Vergleiche für wirksam erachtet, ohne d a ß deren Inhalt vom Gericht vollständig rechtlich überprüft werden müßt e . 6 3 3 Dies wurde damit begründet, daß es wirtschaftlich unvernünftig wäre, den Parteien den Weg zu einer gütlichen Einigung abzuschneiden, wenn bei objektiver Betrachtung über die Rechtslage ernsthafte Zweifel bestehen k ö n n e n . 6 3 4 Derartige Überlegungen erscheinen auch bei der A G B - K o n t r o l l k l a g e nicht ganz fernliegend. Immerhin erfordert die Ermittlung der Rechtslage - also der W i r k samkeit einer bestimmten AGB-Klausel - unter Umständen aufwendige Ermittlungen hinsichtlich der Verhältnisse auf bestimmten M ä r k t e n oder in bestimmten B r a n c h e n . 6 3 5 Angesichts derartiger Ermittlungsaufgaben wäre es zumindest aus Sicht des Gerichts unbefriedigend, diese auch dann vollständig durchführen zu müssen, wenn die Parteien zu einer gütlichen Einigung bereit sind. Hier k a n n also der Wunsch nach der Förderung gütlicher Streitbeilegung in ein gewisses Spannungsverhältnis zur oben dargestellten Gesetzesbindung des Gerichts treten. Z u r Lösung dieses Problems wird in der kartellrechtlichen Diskussion vorgeschlagen, einen Prozeßvergleich dann zuzulassen, wenn sein Inhalt aufgrund einer vom Gericht vorzunehmenden »summarischen Prüfung« mit dem zwingenden Recht vereinbar erscheint. 6 3 6 Alternativ dazu wird auch vorgeschlagen, die Zulässigkeit des möglicherweise wettbewerbsbeschränkenden Prozeßvergleichs von der Schwere der Wettbewerbsbeschränkung abhängig zu machen. Das Prozeßvermeidungsinteresse der Parteien sei zwar berechtigt, könne sich aber jedenfalls bei erheblichen wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen nicht gegenüber dem Allgemeininteresse am ungehinderten Wettbewerb durchsetzen. 6 3 7 Diese Kompromißvorschläge sind jedoch abzulehnen. Ausschlaggebender Gesichtspunkt m u ß dabei sein, daß das Kartellverbot sämtliche wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen betrifft, unabhängig von der F o r m , in der sie auftreten. Es gibt daher kein Privileg für Prozeßvergleiche. 6 3 8 Zweifellos haben die 6 3 2 Im Ergebnis wohl ebenso Büchel, in: Seitz/Büchel (Hrsg.), Beck'sches Richter-Handbuch 181: »Das Gericht darf keinen Vergleich beurkunden, dessen Verpflichtungen gegen §§ 134, 138 BGB verstoßen.« Dies muß dann aber auch vom Gericht festgestellt werden. Vgl. auch Cahn, AcP 198 (1998) 35, 66 (zwingendes Recht ist auch bei einvernehmlichen Parteihandeln im Zivilprozeß einzuhalten); ebenso Isaak Meier, Iura novit curia 94. 6 3 3 BGH 5 . 1 0 . 1951, BGHZ 3, 193, 197ff.; BGH 2 2 . 5 . 1975, BGHZ 65, 147, 150ff. 6 3 4 Ebd. 6 3 5 Näher dazu unten, S. 166f.
636
Karsten Schmidt, JuS 1978, 736, 740.
Beater, WuW 2 0 0 0 , 584, 592ff. 638 Emmerich, Kartellrecht 50; ebenso Jauernig, Z H R 141 (1977) 224, 225, der allerdings letztlich der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zustimmt, indem er § 1 GWB nicht als Verbotsgesetz einordnet, sondern als bloße »Kompetenzregel« (ebd.). In einer »Zone objektiv be637
162
2. Kapitel: Popular-
und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
Parteien ein Interesse an der Vermeidung von Kosten durch einen Prozeß, aber dieses Interesse unterscheidet sich qualitativ nicht von anderen Parteiinteressen an Kostenersparnis, etwa im außergerichtlichen Bereich. Genau diese Parteiinteressen müssen jedoch nach der gesetzgeberischen Entscheidung gemäß § 1 GWB hinter dem Allgemeininteresse an einem unbeschränkten Wettbewerb zurückstehen. Daher muß dieses Allgemeininteresse vom Gericht auch bei der Protokollierung von Prozeßvergleichen berücksichtigt werden. Uberträgt man dieses Ergebnis nun auf die Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen, so bestätigt sich das oben bereits aufgrund allgemeiner Erwägungen gefundene Ergebnis, daß das Gericht keinen Vergleich protokollieren darf, dessen Inhalt gegen zwingendes Recht verstößt. Um dieses Ergebnis praktikabel zu machen, ist es jedoch noch zu konkretisieren. Die Pflicht des Gerichts zur Kontrolle des Vergleichsinhalts beruht - wie oben ausgeführt - auf der Qualität des Prozeßvergleichs als Vollstreckungstitel. Daher ist aber auch nur derjenige Inhalt des Vergleichs auf seine Vereinbarkeit mit zwingendem Recht zu überprüfen, der eine vollstreckungsfähige Verpflichtung enthält. Daher wird in der Literatur mit Recht darauf abgestellt, ob die aufgrund des Vergleichs entstehenden Verpflichtungen der Parteien mit den gesetzlichen Vorschriften vereinbar sind. 639 Bei der AGB-Verbandsklage ist daher jeder Vergleich zulässig, der den Parteien nicht derartige gesetzeswidrige Verpflichtungen auferlegt. Verpflichtet sich etwa der Beklagte, einen Teil der angegriffenen Klauseln nicht mehr zu verwenden, so kann darin kein Verstoß gegen zwingendes Recht liegen, da ein solcher Verzicht auf die Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen jedermann freisteht. Anders wäre es, wenn der Beklagte sich verpflichtet, eine bestimmte (Kompromiß-) Klausel zu verwenden; dann müßte das Gericht allerdings die Wirksamkeit dieser Klausel feststellen. Unwirksam wäre schließlich eine Verpflichtung des klagenden Verbands, bestimmte Klauseln nicht mehr klagweise anzugreifen; denn der Verband kann sich dieser im Allgemeininteresse gewährten Berechtigung nicht entledigen, wie oben bereits bezüglich des Verzichts ausgeführt wurde. Insgesamt setzt also die Bindung des Gerichts an das zwingende Recht dem Abschluß von Prozeßvergleichen in AGB-Kontrollverfahren gewisse Grenzen. Diese sind jedoch nicht so eng, daß sie eine je nach Prozeßlage durchaus sinnvolle Streitbeilegung völlig unmöglich machen würden. 6 4 0 rechtigten Zweifels« an der Rechtswidrigkeit des Vergleichs bleibe die »an sich gegebene K o m petenzüberschreitung« folgenlos (ebd. 228). Dieser eigenwillige Ansatz k o n n t e sich jedoch nicht durchsetzen; heute ist allgemein a n e r k a n n t , d a ß § 1 G W B ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB ist, siehe n u r die Begründung der Sechsten GWB-Novelle in BT-Drs. 13/9720, 46; Langen/Bunte, K o m m e n t a r z u m deutschen und europäischen Kartellrecht, § 1 G W B Rn. 2 1 9 . 639 Büchel, in: Seitz/Büchel (Hrsg.), Beck'sches Richter-Handbuch 181. 640 Vgl. zur Praxis von Vergleichen bei der AGB-Verbandsklage Bultmann, a . a . O . 9 4 f f .
VI. Verbandsklage
gemäß § 1 UKlaG
163
6. Unzulässige R e c h t s a u s ü b u n g Die Frage nach einer möglichen Verwirkung der Klagekompetenz aus § 1 UKlaG bzw. § 1 3 AGBG a.F. hat den Bundesgerichtshof in zwei Entscheidungen beschäftigt. Zunächst ging es darum, daß nach einer Abmahnung durch einen Verbraucherschutzverband mit dem abgemahnten Verwender eine Einigung über die Formulierung bestimmter Klauseln in dessen Allgemeinen Geschäftsbedingungen erzielt wurde. Vier Jahre später jedoch rügte derselbe Verband auch diese Klausel und erhob nach erfolgloser Abmahnung Unterlassungsklage. Der Bundesgerichtshof hielt die Klage trotz des vorprozessualen Verhaltens des Klägers für zulässig, da er den diesbezüglich erhobenen Einwand der Verwirkung als materiell-rechtliche Einwendung qualifizierte, die nichts mit der Zulässigkeit der Klage zu tun habe. 641 Insoweit bringt diese Entscheidung nichts Neues, da diese materiell-rechtliche Einordnung des auf Treu und Glauben gestützten Verwirkungseinwands auch im sonstigen Privatrecht gilt. 642 Ob aber eine materiellrechtliche Verwirkung der Verbandsklagekompetenz möglich sei, mußte der Bundesgerichtshof nicht entscheiden, da die Klage wegen Wirksamkeit der angegriffenen Klausel ohnehin als unbegründet abgewiesen wurde. 6 4 3 Fünf Jahre später erreichte erneut ein Fall den Bundesgerichtshof, in dem mit Verwirkung argumentiert wurde. Dieses Argument stützte der Beklagte hier darauf, daß er von dem klagenden Verband einige Jahre zuvor schon einmal wegen anderer angeblich unwirksamer Klauseln in seinen Geschäftsbedingungen abgemahnt und verklagt wurde; schon damals befanden sich aber die jetzt inkriminierten Klauseln in seinen Geschäftsbedingungen, ohne daß der Kläger sie damals beanstandet hätte. Der Bundesgerichtshof entschied, daß auch eine materiell-rechtliche Verwirkung des »Unterlassungsanspruchs« nicht möglich sei. 644 Der Bundesgerichtshof bezieht sich zur Begründung ausdrücklich auf die oben bereits dargestellte Rechtsprechung zur lauterkeitsrechtlichen Verbandsklage. Der Einwand der Verwirkung könne zwar gegenüber »Ansprüchen erhoben werden, mit denen individuelle Interessen verfolgt werden, nicht dagegen, wenn es [...] um Belange der Allgemeinheit« gehe. 645 Darüber hinaus führte der Bundesgerichtshof allerdings noch ein weiteres, für die AGB-Kontrollklage spezifisches Argument ein: Die klageberechtigten Verbände seien keine »Genehmigungsbehörden« für Allgemeine Geschäftsbedingungen; daher könnten und dürften sie sich auch nicht selbst die Möglichkeit abschneiden, bestimmte Klau641 B G H 2 1 . 2 . 1990, Z I P 1990, 511, 5 1 2 . Geradezu en passant erklärte der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung a u ß e r d e m die Klagekompetenz der Verbände zur AGB-Kontrolle als »Anspruch materiell-rechtlicher N a t u r im Sinne des § 194 Abs. 1 BGB« (ebd.) Kritisch zu diesem »allerdings zitatenreich gespickten Schnellschuß« E. Schmidt, ZIP 1991, 629. 642 P a l a n d t / H e i n r i c h s , BGB, § 2 4 2 R n . 4 1 . 643 B G H 2 1 . 2 . 1 9 9 0 , Z I P 1990, 511, 5 1 3 . 644 B G H 1 5 . 2 . 1 9 9 5 , N J W 1995, 1488, 1489. 645 Ebd.
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2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
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sein »aufgrund geänderter Rechtsauffassung oder Geschäftsabläufe zu einem späteren Zeitpunkt anzugreifen.« 6 4 6 Allerdings erscheinen diese grundsätzlichen Ausführungen zur mangelnden Verwirkungsmöglichkeit eher als obiter dicta, denn im konkreten Fall verneinte der Bundesgerichtshof auch die sachlichen Voraussetzungen einer Verwirkung: D e r Kläger hatte niemals den Eindruck erweckt, daß er die von der früheren Abmahnung nicht erfaßten Klauseln auch künftig nicht beanstanden w e r d e . 6 4 7 Trotzdem hielt der Bundesgerichtshof offensichtlich die grundsätzliche Klarstellung für nötig, daß die Berechtigung zur A G B - K o n t r o l l k l a g e nicht durch vorprozessuales Verhalten des Verbands verwirkt werden könne. Außerdem e r h o b der Beklagte in diesem Verfahren noch den Einwand der Schikane gemäß § 2 2 6 B G B . Auch dessen Voraussetzungen, daß nämlich »nach Lage der gesamten Umstände ein anderer Z w e c k als Schadenszufügung objektiv ausgeschlossen i s t , « 6 4 8 lagen jedoch ersichtlich nicht vor. Anders als zur Verwirkung machte der Bundesgerichtshof zum Schikaneverbot jedoch keine grundsätzlichen Ausführungen. Dies impliziert, daß der Bundesgerichtshof das Schikaneverbot theoretisch auch gegenüber der Verbandsklage aus § 1 U K l a G bzw. seinerzeit § 13 A G B G a.F. für anwendbar hält. Die Literatur stimmt der generellen Absage an die Verwirkbarkeit dieser K o m petenzen überwiegend z u . 6 4 9 Die Begründung des Bundesgerichtshofs überzeugt allerdings nur teilweise. Auch die Verwirkung der A G B - K o n t r o l l k o m p e t e n z hätte ja keinerlei »Genehmigungswirkung«, denn alle anderen Klageberechtigten wären von ihr nicht betroffen und könnten weiterhin gegen die fraglichen Klauseln vorgehen. Entscheidend scheint daher eher der Verweis auf die zum Lauterkeitsrecht angestellten Erwägungen zu sein: D e r einzelne Verband hat es nicht in der H a n d , sich seiner Klagekompetenz zu begeben, da diese ihm von der Rechtsordnung im öffentlichen Interesse an der wirksamen Durchsetzung des objektiven Rechts verliehen ist. Vor diesem Hintergrund ist auch die Kritik an der oben skizzierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu würdigen. Sie stützt sich auf den Gedanken des Vertrauensschutzes, der einem AGB-Verwender zugute k o m m e n müsse, wenn er aufgrund des Verhaltens eines klageberechtigten Verbands von der Akzeptanz seiner Geschäftsbedingungen ausgehen durfte. 6 5 0 Für einen solchen Vertrauensschutz ist jedoch aufgrund des öffentlichen Interesses an der Freihaltung
646 647
1171. 648
17.
Ebd. Ebd.; näheres dazu im Berufungsurteil OLG Frankfurt/M. 6.1. 1994, BB 1194, 1170, BGH 15.2. 1995, NJW 1995,1488,1489 unter Verweis auf RG 8.1. 1920, RGZ 98,15,
6 4 9 Gegen die Möglichkeit einer Verwirkung etwa Palandt/Bassenge, Rn. 17; Erman/Roloff, BGB, § 1 UKlaG Rn. 12. 6 5 0 Staudinger ¡Schlosser, BGB (1998), § 13 AGBG Rn.40.
BGB, § 1 UKlaG
VI. Verbandsklage
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des Rechtsverkehrs von unwirksamen Geschäftsbedingungen kein Platz. Es ist auch nicht richtig, daß ein nicht verwirkbarer Anspruch auch nicht verjähren dürfe. 651 Nach Ablauf der Verjährungsfrist entfällt das öffentliche Interesse an der Rechtssetzung schon mangels fortdauernder Präsenz der fraglichen Geschäftsbedingungen auf dem Markt. Im Falle angeblicher Verwirkung ist dagegen die Wiederholungsgefahr als Voraussetzung für die Verbandsklage noch gegeben, d.h. die Geschäftsbedingungen werden noch empfohlen oder verwendet. In diesen Fällen setzt sich das beschriebene öffentliche Interesse an der Rechtsdurchsetzung gegenüber einem etwaigen Vertrauensschutz durch. Anders als das UWG enthält § 1 UKlaG auch keine besondere Mißbrauchsregelung, die auf eine unerwünschte Gewinnerzielungsabsicht oder andere angeblich mißbräuchliche Motive des Verbandsklägers abstellt. Der Gesetzgeber hat bei der Schaffung des Unterlassungsklagengesetzes offensichtlich zwischen § 1 UKlaG und § 2 UKlaG im Hinblick auf mögliche Mißbräuche differenziert. Während er in § 2 Abs. 3 UKlaG eine dem § 8 Abs. 4 UWG entsprechende Mißbrauchsregelung einfügte, verzichtete er bei § 1 UKlaG bewußt auf eine solche Regelung. Aus dieser Entscheidung des Gesetzgebers muß man folgern, daß ein Mißbrauch der Klagekompetenz des § 1 UKlaG nicht schon dann vorliegt, wenn die Voraussetzungen des §2 Abs. 3 UKlaG vorliegen. Wenn überhaupt, so kommt eine mißbräuchliche Rechtsausübung nur gemäß dem oben bereits erwähnten § 226 BGB in Betracht. Allerdings wird vereinzelt die Auffassung vertreten, daß der Verbandskläger unter den möglichen Beklagten solche aussuchen muß, die besonders bedeutend oder repräsentativ seien. Daher sei es »sicherlich rechtsmißbräuchlich«, wenn der Verbandskläger etwa zur Kontrolle der in der Branche durchgängig verwendeten »Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen« einen »kleinen Spediteur« verklage. 652 Diese Auffassung wird jedoch vom überwiegenden Schrifttum 6 5 3 mit Recht abgelehnt. Zwar ist ihr zuzugeben, daß es für einen kleinen Spediteur naheliegt, sich der branchenüblichen AGB zu bedienen und daß er auf deren Inhalt kaum Einfluß hat. Jedoch geht es bei der Klage gemäß § 1 UKlaG nicht um die Sanktionierung von Fehlverhalten oder gar Verschulden einzelner Unternehmer, sondern um eine objektive Rechtskontrolle zwecks Freihaltung des jeweiligen Marktes von unwirksamen Geschäftsbedingungen. Dieser Zweck wird aber auch durch eine Klage gegen einen kleinen Unternehmer gefördert. Im übrigen ist es nach der hier vertretenen Auffassung dem betroffenen Unterneh-
651
So aber Schlosser ebd. Schlosser ebd. Rn.42; ähnlich Reinel, a.a.O. 64f., der in Anlehnung an das Polizeirecht eine Verpflichtung des Verbandsklägers annimmt, unter mehreren Störern eine Auswahl »nach pflichtgemäßen Ermessen« vorzunehmen. 653 Ulmer/Brandner/He«se«, ABGB, § 1 3 Rn.34; W o l f / H o r n / L / W a d W , AGBG, § 1 3 Rn. 116. 652
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2. Kapitel:
Popular-
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Recht
mer unbenommen, gegen seine dieselben Klauseln verwendenden Konkurrenten gemäß § 8 Abs. 3 U W G i.V.m. § 4 Nr. 11 U W G vorzugehen. 6 5 4 7.
Sachverhaltsermittlung
Bezüglich der Ermittlung des Sachverhalts bei der AGB-Kontrollklage werden höchst unterschiedliche Auffassungen vertreten. Oft wird mehr oder weniger apodiktisch behauptet, daß aufgrund der Verweisung des § 5 UKlaG stets die Verhandlungsmaxime anzuwenden sei. 6 5 5 Den anderen Pol des Spektrums bildet eine Mindermeinung, die sich wegen des öffentlichen Interesses am Verfahrensgegenstand für die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes ausspricht. 6 5 6 Zwischen diesen beiden Extremen befindet sich eine dritte Ansicht, die zwischen verschiedenen Arten von zu ermittelnden Tatsachen differenziert: Danach gehe es bei der AGB-Kontrollklage einerseits um singuläre, individuelle Vorkommnisse, nämlich die Aktivitäten des Verwendens oder Empfehlens Allgemeiner Geschäftsbedingungen durch den Beklagten. Dieses »Einzelgeschehen« 6 5 7 sei von der jeweils beweisbelasteten Partei vorzutragen und ggf. zu beweisen. Darüber hinaus seien aber bei der AGB-Kontrollklage vor allem Tatsachen relevant, die sich nicht auf derartiges Einzelgeschehen beziehen, sondern die zur Konkretisierung der in § § 3 0 7 f f . BGB enthaltenen Standards benötigt werden. Letztere seien aber »übergreifende sozial-ökonomische Gegebenheiten und Zusammenhänge« 6 5 8 , zu denen die Parteien gerade keinen privilegierten Zugang haben. Diese Normkonkretisierung mit Hilfe von Tatsachen sei Aufgabe des Gerichts und könne nicht allein den Parteien überlassen werden. 6 5 9 Diese »Normtatsachen« ähneln insoweit allgemeinen Erfahrungs- und Wissensbeständen, die anerkanntermaßen auch im Zivilprozeß dem Parteizugriff nicht unterliegen und bis in die Revision vom Gericht überprüft werden können und müssen. 6 6 0 Die damit angesprochene Problematik ist bereits hinsichtlich der Ermittlung der Verkehrsauffassung bei der lauterkeitsrechtlichen Verbandsklage zu Tage getreten. 6 6 1 Sie weist sowohl über das Lauterkeitsrecht als auch über die AGB-Verbandsklage weit hinaus und ist daher mit Recht Gegenstand ausführlicher UnterDazu oben, S. 92. Palandt/Bassenge, BGB, § 5 UKlaG Rn. 1; Ulmer/Brandner/Hewse», AGBG, § 15 Rn. 1; E r m a n / R o l o f f , BGB, § 5 UKlaG Rn. 1. 656 Reinel, a.a.O. 134f. 657 E. Schmidt, N J W 1989, 1192, 1196. 6 5 8 Ebd. 659 E. Schmidt, FS Keller 6 6 1 , 669ff.; Göbel, Prozeßzweck der AGB-Klage 134ff. 660 E. Schmidt, N J W 1989, 1192, 1196. Zur Revisibilität der »Fehlbewertung eines allgemein anerkannten Erfahrungssatzes« etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 1006; deutlicher SteinJJonas/Leipold, ZPO (1996) § 2 8 4 Rn. 17: »Die Erfahrungssätze dienen im Prozeß als Obersätze für die Beurteilung der Tatsachen«. Damit sind sie aber eine Form der Normkonkretisierung. 6 6 1 Siehe oben, S. 111 ff. 654
655
Vi. Verbandsklage
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suchungen geworden. 662 Auch im Individualprozeß entsteht der Bedarf nach Konkretisierung bestimmter Normen durch Heranziehung derartiger fallübergreifender Tatsachen. Dies ergibt sich aus dem offenen Charakter von Generalklauseln und anderen unbestimmten Rechtsbegriffen, zu deren Konkretisierung es empirischer Daten bedarf, will man nicht auf bloße Alltagstheorien zurückgreifen. 663 Dieses Phänomen ist im vierten Kapitel noch zu vertiefen, um zu einer für alle Populär- und Verbandsklagen gültigen Lösung zu gelangen. 664 Allerdings tritt die Eigentümlichkeit der Normtatsachen bei der ABG-Kontrollklage besonders ins Blickfeld, da das gesamte Verfahren von vorneherein darauf zugeschnitten ist, über die »Begründung eines Unwerturteils über eine Norm für alle Normbetroffenen« 6 6 5 zu entscheiden, nämlich über die Vereinbarkeit bestimmter Geschäftsbedingungen mit den gesetzlichen Vorschriften. Im AGB-Kontrollverfahren wird daher nicht über eine singuläre Verletzungshandlung entschieden, sondern es wird eine »abstrakte Rechtsfrage« 666 geklärt: Sind bestimmte Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen mit den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften vereinbar? Dazu muß etwa im Hinblick auf § 307 BGB geprüft werden, ob die Klausel als unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners zu betrachten ist. Diese Bewertung hängt aber nicht von den Spezifika einer singulären Verwendung dieser Klausel ab, sondern von einer »generalisierenden und typisierenden Betrachtungsweise«. 667 Eine solche Betrachtung ist aber nur möglich, wenn sich das Gericht Informationen über die »allgemeinen Verhältnisse in der Branche« 668 verschafft, z.B. über die ökonomischen Bedingungen, unter denen in Gastwirtschaften Automaten aufgestellt werden. 669 Die AGB-Kontrollklage verursacht also einen besonderen fallübergreifenden Datenbedarf. Daher soll die These von der Sonderstellung der Normtatsachen bereits hier kurz gewürdigt werden, ohne einer allgemeineren Betrachtung vorzugreifen. Der Begriff der Normtatsachen 6 7 0 knüpft an den vorher bereits verwendeten Begriff der Rechtsfortbildungstatsachen an. Mit Rechtsfortbildungstatsachen 662 Vgl. nur Seiter, FS Fritz Baur 5 7 3 ff.; E. Schmidt, FS W a s s e r m a n n 8 0 7 f f . ; Rüßmann, KritV 1991, 4 0 2 f f . ; Hergenröder, Zivilprozessuale G r u n d l a g e n richterlicher Rechtsfortbildung 3 8 6 f f . m . w . N . ; Sander, N o r m t a t s a c h e n im Zivilprozeß. 663 So bei E. Schmidt, FS "Wassermann 807, 810. 664 Siehe unten, S . 3 4 0 f f . 665 Rüßmann, KritV 1991, 4 0 2 , 4 0 9 . 666 Gaul, FS Beitzke 997, 1032. 667 Siehe etwa B G H 9 . 5 . 1 9 9 6 , N J W 1 9 9 6 , 2 1 5 5 ; B G H 2 1 . 2 . 2 0 0 1 , N J W 2 0 0 1 , 3 4 0 6 , 3 4 0 7 noch z u m gleichlautenden § 9 AGBG a.F. 668 So zur Branche des Kraftfahrzeughandels B G H 7 . 1 0 . 1981, N J W 1982, 331, 3 3 3 . 669 Vgl. die ausführlichen Feststellungen dazu in B G H 6 . 1 0 . 1982, N J W 1983, 159, 160ff. 670 Geprägt d u r c h E. Schmidt, FS W a s s e r m a n n 807ff.; ebenso bereits ders., R u P 1980, 106, 109. Eine abweichende Verwendung des Begriffs der N o r m t a t s a c h e n findet m a n dagegen bei Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 1005: D o r t werden damit außer juristische N o r m e n bezeichnet, auf die der Gesetzgeber zur Ausfüllung von Generalklauseln verweist, etwa
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2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
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sind solche Tatsachen gemeint, die der Richter für seine über den Einzelfall hinausweisende Entscheidung der Fortentwicklung des Rechts benötigt. 6 7 1 Dagegen sollen N o r m t a t s a c h e n nicht erst bei der Rechtsfortbildung, sondern bereits bei der Auslegung gängiger Rechtsbegriffe relevant werden. M i t dieser Unterscheidung ist ein nicht unbedingt zwingender Unterschied zwischen Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung impliziert, 6 7 2 auf dessen Bestehen es aber für die hier verfolgten Z w e c k e nicht a n k o m m t . Immerhin sind Rechtsfortbildungstatsachen und Normtatsachen »strukturell ä h n l i c h « , 6 7 3 indem sie unabhängig von einem singulären Vorfall zu ermitteln sind. Es handelt sich jeweils um »Tatsachen jenseits singulärer K o n f l i k t r e k o n s t r u k t i o n . « 6 7 4 Die Abweichung von der Verhandlungsmaxime wird bei der Ermittlung von N o r m t a t s a c h e n im wesentlichen damit erklärt, daß es sich insoweit um einen Teil der dem Richter obliegenden Rechtsanwendung handelt. Dabei wird ein M o d e l l der Delegation der Rechtssetzung zugrundegelegt: Der Gesetzgeber delegiere per Generalklausel oder unbestimmten Rechtsbegriffen diese Befugnis in einem gewissen R a h m e n an den Richter, 6 7 5 welcher sich aber für seine Rechtssetzung ein objektives Bild der von ihm zu regelnden sozialen Realität verschaffen müsse. Die Ermittlung von N o r m t a t s a c h e n wird in diesem Modell auch als »empirische Komplettierung des offenen Rechtsprogramms innerhalb des vorgefundenen Normensystems« bezeichnet. 6 7 6 In der Literatur wird daher auch von »Konkretisierungstatsachen« gesprochen, ohne daß damit ein nennenswerter Unterschied zum Begriff der N o r m t a t s a c h e n verbunden w ä r e . 6 7 7 D a die zu konkretisierende oder erst noch zu formulierende Regel allgemeinverbindlichen Charakter habe, könne die Beschaffung der benötigten Tatsachen
die »Verkehrssitte« in § 242 BGB oder die »Handelsbräuche« in § 346 HGB. Diese Verwendung des Begriffs der Normtatsachen ähnelt dem im Haupttext beschriebenen insoweit, als die Feststellung der »Verkehrssitte« und der »Handelsbräuche« zur Normkonkretisierung zwingend erforderlich ist und daher nicht den Parteien überlassen werden kann. Allerdings ist der im Haupttext verwendete Begriff der Normtatsachen weiter, da er sich nicht auf soziale Normen beschränkt, sondern auch sonstigen fallübergreifenden Datenbedarf einbezieht, der zur Normkonkretisierung benötigt wird. So kann etwa das zur Konkretisierung von § 307 Abs. 1 BGB also zur Feststellung der unangemessenen Benachteiligung des Vertragspartners - benötigte Datenmaterial schwerlich als Feststellung einer sozialen Norm begriffen werden. Dieser weitere Begriff der Normtatsachen findet sich auch an anderer Stelle im selben Werk: Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 755. 671 Seiter, FS Baur 573 ff. 6 7 2 Dazu ausführlich Sander, Normtatsachen im Zivilprozeß 63 ff.; zweifelnd Hergenröder in seiner Besprechung dieses Werkes, ZZP 113 (2000) 120, 121f. 673 E. Schmidt, FS Wassermann 807, 809. 674 Sander, Normtatsachen im Zivilprozeß 5. 675 Sander spricht diesbezüglich von einer »Programmierungsfortschreibung« durch den Richter (ebd. 177). 6 7 6 Ebd. 6 7 7 So bei Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht 86ff.
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nicht allein in der Hand der Parteien liegen. 678 Die Ermittlung von Normtatsachen obliege als »Teil der Rechtssatzfeststellung« dem Richter. 679 Der Richter müsse sich nötigenfalls durch wissenschaftliche Lektüre oder Sachverständigengutachten über diese Tatsachen informieren. 680 Von den dargestellten Auffassungen zur Sachverhaltsermittlung bei der AGBKontrollklage kann nur die Lehre von den Normtatsachen wirklich überzeugen. Gegen einen pauschalen Untersuchungsgrundsatz spricht allerdings die Existenz der Verweisung des § 5 UKlaG und das Fehlen einer dem § 87 Abs. 1 PatG vergleichbaren Norm. Die Behauptung einer lückenlosen Geltung der Verhandlungsmaxime dagegen ist schon im Hinblick auf den Individualprozeß wenig aussagekräftig. 681 Sie paßt aber erst recht nicht zum Zweck der AGB-Kontrollklage, die ja die Durchsetzung der §§ 307ff. BGB effektivieren soll. Wollte man den klageberechtigten Verband damit belasten, sämtliche empirischen Daten zur Situation in einer bestimmten Branche zu ermitteln und zu beweisen, so bedeutete dies eine weitere Schwächung der Position dieser potentiellen Kläger. Auch aufgrund der ratio der Verhandlungsmaxime besteht für eine solche Verteilung kein Anlaß. Diese wird ja heute im wesentlichen noch mit pragmatischen Erwägungen gerechtfertigt: Die Parteien stehen dem zu ermittelnden Sachverhalt am nächsten und sollen daher die Verantwortung für seine Rekonstruktion übernehmen. 682 Dies gilt aber, wie die Vertreter der Lehre von den Normtatsachen nachgewiesen haben, gerade nicht für die allgemeinen Daten, die zur Anwendung und Auslegung der § § 307ff. BGB erforderlich sind. Die Nähe der Parteien trifft nur auf diejenigen Einzelfalltatsachen zu, die den Anlaß des Verfahrens geben, nämlich das Verwenden oder Empfehlen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Nur diese Tatsachen kann und muß der klagende Verband beweisen; die Verantwortung für die Ermittlung der darüber hinaus benötigten Normtatsachen liegt beim Richter. Es ist jedoch nicht nur die fehlende Sachnähe der Parteien, die bei der Ermittlung der Normtatsachen zur Amtsermittlung nötigt, sondern auch der bereits dargestellte Charakter der Normtatsachenfeststellung als Rechtsanwendung. Auch darin gleicht die Feststellung der Unwirksamkeit einer AGB-Klausel der 678 E. Schmidt, FS Wassermann 807, 812; ebenso im Ergebnis Rüßmann, KritV 1991, 4 0 2 , 4 0 9 : Die generelle Beurteilung einer AGB-Klausel mache »Feststellungen erforderlich, die in vergleichbarer Weise getroffen werden m ü ß t e n , w e n n der Gesetzgeber d a r ü b e r entscheiden wollte, o b eine N o r m erlassen oder zurückgezogen w e r d e n soll.« 679 Sander, a . a . O . 193. Im Ergebnis ebenso Röthel, a . a . O . 88; Hergenröder, Zivilprozessuale G r u n d l a g e n richterlicher Rechtsfortbildung 4 0 1 . 680 Ebd. 812f. 681 Dazu E. Schmidt, D u R 1984, 2 4 f f . 682 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 4 8 2 (»Zweckmäßigkeitserwägungen«), wobei allerdings auch hier noch in einem Schlußsatz angefügt wird, d a ß der Beibringungsgrundsatz »Korrelat der Privatautonomie des materiellen Rechts« sei; zu den fehlerhaften Prämissen dieser Ansicht siehe E. Schmidt, D u R 1984, 2 4 , 3 0 f f .
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2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
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Ermittlung der Frage nach der Irreführung durch eine Werbemaßnahme im Lauterkeitsrecht. Beide Fragen sind Rechtsfragen, in denen es kein non liquet und daher auch keine Beweislastentscheidung geben kann. Ist die Verwendung oder Empfehlung einer bestimmten AGB-Klausel einmal festgestellt, so kann nicht »offenbleiben«, ob diese Klausel etwa gegen § 307ff. BGB verstößt. Dies ist eine Rechtsfrage, die das Gericht in eigener Verantwortung und damit auch mit eigenen Ermittlungen zu beantworten hat. 8. Kosten Aufgrund der in § 5 UKlaG enthaltenen Verweisung auf § 12 Abs. 4 UWG ist auch bei der AGB-Kontrollklage eine Streitwertherabsetzung möglich. Die Verweisung bezieht sich auch auf § 12 Abs. 1 UWG, so daß auch bei der AGB-Kontrollklage die Kostenerstattung für eine berechtigte Abmahnung nunmehr auf eine besondere gesetzliche Grundlage gestützt ist. Der Konstruktion einer Geschäftsführung ohne Auftrag bedarf es auch hier nicht mehr. 9. Verjährung Bei der Schaffung des Unterlassungsklagengesetzes wurde auf eine Regelung der Verjährung verzichtet, die zuvor in § 13 Abs. 4 und § 22 Abs. 5 AGBG enthalten war. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, daß der Gesetzgeber damit jedoch nicht auf eine Verjährung der Verbandsklagekompetenzen verzichten wollte, sondern daß er eine besondere Regelung der Verjährung angesichts der seit 2002 geltenden Neufassung der allgemeinen Verjährungsvorschriften nunmehr für überflüssig hielt. 683 Der Gesetzgeber ging also davon aus, daß für die im UKlaG normierten Kompetenzen die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB gilt, deren Beginn in § 199 BGB geregelt ist. 684 Die Anwendung der §§ 194ff. BGB auf die Klagekompetenzen des UKlaG ist allerdings keineswegs zwingend. Sie wird von der herrschenden Meinung damit begründet, daß § § 1 ff. UKlaG materiell-rechtliche Ansprüche normieren, die von der Legaldefinition des § 194 BGB umfaßt seien. 685 Im dritten Kapitel wird sich zeigen, daß diese Einordnung als materiell-rechtliche Ansprüche fehlerhaft ist. 686 Daher stellt sich bei richtiger Betrachtung auch die Frage nach der Verjährung der betreffenden Klagekompetenzen ganz neu. 687 Vorbehaltlich einer solchen grundsätzlicheren Klärung soll je683 So die Begründung des Gesetzentwurfs zur Modernisierung des Schuldrechts vom 14.5. 2001, BT-Drs. 14/6040, 275. 684 Für diese Lösung auch Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 4 UWG Rn. 11.17. 685 So etwa PalandtIBassenge, § 1 UKlaG Rn. 16. 686 Siehe unten, S.252ff. 687 Dazu unten, S.355.
VI. Verbandsklage gemäß § 1 UKlaG
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doch im folgenden kurz auf die im Sinne der herrschenden Meinung geltenden Verjährungsregeln zu § 1 UKlaG eingegangen werden. Dabei ist zunächst davon auszugehen, daß bei einer Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen die Verjährungsfrist erst dann zu laufen beginnt, wenn der betroffene Unternehmer die inkriminierten Geschäftsbedingungen nicht mehr in neue Verträge einführt und sich auch bezüglich älterer Verträge nicht mehr auf diese Bedingungen beruft. 688 Daher kommt bei der Verwendung die Verjährung wohl nur selten zum Tragen. Bei der Empfehlung Allgemeiner Geschäftsbedingungen mag dies anders sein, da die Empfehlung ein einmaliger Vorgang ist, der auch dann nicht andauert, wenn die empfohlenen Geschäftsbedingungen tatsächlich im geschäftlichen Verkehr verwendet werden. 689 Teilweise wird die Empfehlung insgesamt oder in bestimmten Varianten jedoch auch als Dauerhandlung betrachtet. 690 Die Vertreter dieser Ansicht gehen von der Fiktion aus, daß eine Empfehlung »jederzeit neue Adressaten erreichen« kann und daher auf ewige Zeiten fortwirkt. 6 9 1 Dies hängt jedoch sehr vom Einzelfall ab. Zweifellos wirkt eine Empfehlung in einem wichtigen und vielbeachteten Standardwerk lange nach, nicht aber eine Empfehlung in einem weniger beachteten Medium. Man muß sich daher entscheiden, ob man den Einzelfall der langen Nachwirkung als pars pro toto nehmen oder ob man eher an den empfehlenden Außerungsakt anknüpfen möchte, der mit Erscheinen des Druckwerks oder anderer Medien abgeschlossen ist. Letzteres entspricht eher der Herangehensweise im sonstigen Recht und ist daher aus systematischen Gründen vorzuziehen. Man denke nur an die schriftliche Beleidigung: Für sie steht fest, daß sie mit Erscheinen der beleidigenden Schrift abgeschlossen ist und daß die straf- und zivilrechtliche Verjährung mit diesem Zeitpunkt beginnt. 692 Natürlich kann auch nach vielen Jahrhunderten die Beleidigung ebenso wie die AGB-Empfehlung noch in Archiven aufgestöbert werden und dadurch Wirkung entfalten; die Rechtsordnung geht aber trotzdem davon aus, daß nach einer bestimmten Zeit Rechtsfriede herrschen soll. Daher kann auch die Empfehlung Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht als Dauerhandlung begriffen werden. Vor der Schuldrechtsreform des Jahres 2002 entstand somit insbesondere gegenüber Empfehlern von Allgemeinen Geschäftsbedingungen das Problem, daß Verhandlungen des klageberechtigten Verbands mit dem Empfehler die Verjäh-
688
LG Berlin 30.4. 1981, ZIP 1981, 1106; Ulmer/Brandner/He«sen, AGBG, § 13 Rn.48. Reich/Vergau, FS Heinrichs 411, 417. 690 So bei Staudinger/ScWosser, BGB (1998) §13 AGBG Rn.40; Münchener Kommentar BGBIMicklitz, § 13 AGBG Rn. 126. 691 Micklitz, ebd. 692 BGH 3.12. 1968, NJW 1969, 463; ebenso für die geschäftsschädigende Äußerung BGH 28.9. 1973, NJW 1973, 2285. 689
172
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden Recht
rung nicht h e m m t e n . 6 9 3 Dieses Problem ist nun durch § 2 0 3 B G B n.F. beseitigt, der bei Verhandlungen stets eine H e m m u n g der Verjährung anordnet. In Teilen der Literatur wird allerdings die Verjährung der AGB-Kontrollklagekompetenz insgesamt für problematisch gehalten. So wird argumentiert, daß darin ein Widerspruch zur Unverzichtbarkeit und Unverwirkbarkeit
dieser
Kompetenz liege: Auch die Verjährungsfrist könne der Verband bewußt verstreichen lassen, was einem Verzicht n a h e k o m m e . 6 9 4 Außerdem sei eine Verjährung der A G B - K o n t r o l l k o m p e t e n z europarechtlich p r o b l e m a t i s c h . 6 9 5 Sie könne zur Folge haben, daß nach Ablauf der kenntnisunabhängigen Verjährungsfrist kein Verband mehr eine mißbräuchliche AGB-Klausel aufgreifen und bekämpfen könne, obwohl durch die Klausel weiterhin im Sinne der EG-Richtlinie gegen mißbräuchliche Klauseln »zum Nachteil der Verbraucher ein erhebliches und ungerechtfertigtes Mißverhältnis vertraglicher Rechte und Pflichten verursacht« w i r d . 6 9 6 Es ist jedoch kaum nachvollziehbar, wie eine solche Situation eintreten sollte. Eine andauernde Benachteiligung der Verbraucher kann sich ja nur dann ergeben, wenn die fragliche Klausel überhaupt noch für Verbraucher relevant ist, wenn sie also weiter in Verträge eingeführt wird oder wenn sich Unternehmer auf diese Klausel berufen. In diesem Fall ist aber eine Verwendung im Sinne von § 1 U K l a G weiterhin gegeben, so daß die kenntnisunabhängige Verjährungsfrist des § 1 9 9 Abs. 4 und 5 B G B noch gar nicht in Lauf gesetzt ist. In einem solchen Fall kann allenfalls eine Verjährung der Klageberechtigung gegen den Empfehler eintreten, und zwar dann, wenn seit der Empfehlung bereits über zehn J a h r e vergangen sind, die Klausel aber gleichwohl noch im Rechtsverkehr verwendet wird. Für diesen Fall wird unter Berufung auf das gemeinschaftsrechtliche G e b o t effektiven Rechtsschutzes eine Nichtberücksichtigung der nach
nationalem
R e c h t gegebenen Verjährungseinrede gefordert. 6 9 7 Diese Ansicht geht jedoch zu weit. Aus dem G e b o t der effektiven Durchsetzung der EG-Richtlinie gegen mißbräuchliche Klauseln ergibt sich nicht, daß sämtliche in ihr vorgesehenen Rechtsbehelfe auf ewige Zeiten gegeben sein müssen. Dies läßt sich auch nicht aus der von den Vertretern dieser Ansicht angeführten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Beihilfenrecht ableit e n . 6 9 8 Diese Rechtsprechung negiert keinesfalls gänzlich die Grundsätze des Vertrauensschutz und der Rechtssicherheit. 6 9 9 Sie muß diese aber restriktiv an-
Reich/Vergau, FS Heinrichs 411, 421 ff. Staudinger/ScWosser, BGB (1998) § 13 AGBG Rn.40. 695 Reich/Vergau, FS Heinrichs 411, 429 ff. 6 9 6 Ebd. 429 mit Verweis auf Art. 3 ( 1 ) der Rl. 93/13/EWG vom 5 . 4 . 1 9 9 3 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. EG L 95/29 v. 21.4. 1993. 697 Reich/Vergau, ebd. 431; Münchener Kommentar BGBIMicklitz, § 13 AGBG Rn. 126 und 129. 6 9 8 So aber Reich/Vergau, ebd. 6 9 9 Vgl. etwa EuGH 20.3. 1997, Slg. 1997 I 1591, Rn.41ff.: Vertrauensschutz sei zwar 693
694
VII. Verbandsklage gemäß §2 UKlaG
173
wenden, weil es für die Rückforderung einer staatlichen Beihilfe typisch ist, daß weder die zur Rückforderung verpflichtete nationale Behörde noch der Beihilfenempfänger ein Interesse an der Rückforderung haben. In derartigen Fällen gebietet es der effet utile des Gemeinschaftsrechts, daß die Rückforderung nicht vom Verhalten der nationalen Behörde abhängen kann und der Vertrauensschutz nur im Verhältnis zur E G - K o m m i s s i o n geprüft w i r d . 7 0 0 M i t derartigen Sonderkonstellationen hat aber die AGB-Verbandsklage nichts zu tun. Für sie können ganz allgemeine Erwägungen des Rechtsfriedens nach Zeitablauf als sachliche Begründung der Verjährung 7 0 1 herangezogen werden. Ist die Empfehlung der fraglichen Klausel seit zehn J a h r e n nicht mehr ausgesprochen oder wiederholt worden, so liegt die Störung des Rechtsverkehrs durch die fragliche Klausel nicht mehr in dieser Empfehlung, sondern nur noch in der faktischen Verwendung der Klausel. Es reicht daher aus, wenn die gemäß § 3 U K l a G klageberechtigten Verbände gegen die Verwender vorgehen können.
VII. Verbandsklage gemäß § 2 UKlaG Die Verbandsklage gemäß § 2 U K l a G ist bisher von relativ geringer praktischer Bedeutung gewesen. Anders als § 1 U K l a G hat sie auch keine längere Vorgeschichte im AGB-Gesetz; dort w a r sie nur kurzfristig in F o r m des § 2 2 A G B G a.F. »zwischengeparkt« 7 0 2 . In theoretischer Hinsicht ist sie jedoch bemerkenswert, da sie den Anwendungsbereich des Unterlassungsklagengesetzes stark erweitert. Anlaß dazu war die EG-Richtlinie über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, 7 0 3 nach der eine Reihe verbraucherschützender Vorschriften mit einer Verbandsklage bewehrt werden mußten. Der
deutsche
Gesetzgeber beschränkte sich jedoch nicht auf das europarechtlich geforderte M i n i m a l p r o g r a m m , sondern führte statt dessen eine Art Generalklausel der verbraucherschützenden Verbandsklage ein. Im folgenden werden daher diese Erweiterung sowie sonstige Besonderheiten erörtert. Im übrigen können die zu § 1 U K l a G gemachten Ausführungen weitgehend auch auf § 2 U K l a G übertragen werden. grundsätzlich beachtlich, nicht aber bei Mißachtung des Verfahrens der Beihilfeanmeldung durch den Beihilfeempfänger. 700 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht 1152. 7 0 1 Vgl. dazu BGH 16.6. 1972, BGHZ 59, 72, 74; BGH 2 3 . 1 1 . 1994, BGHZ 128, 74, 82; kritisch zum Argument des Rechtsfriedens allerdings Staudinger/Peiers, BGB (2003) Rn. 7 vor §§ 194ff.: Die Abweisung eines begründeten Anspruchs wegen Verjährung erzeuge Verbitterung statt Rechtsfrieden. Dieser Einwand gilt aber jedenfalls für die AGB-Verbandsklage nicht, da es keinen Grund für Verbitterung gibt, wenn das inkriminierte Verhalten sich durch Zeitablauf nicht mehr auswirkt. 702 E. Schmidt, NJW 2 0 0 2 , 25, 26. 7 0 3 Richtlinie Nr.98/27/EG v. 19.5. 1998, ABl. EG v. 11.6. 1998 L 166/51.
174
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden Recht
1. Sachlicher A n w e n d u n g s b e r e i c h Die genannte theoretisch weitgehende Ausdehnung des sachlichen Anwendungsbereichs des Unterlassungsklagengesetzes beruht auf dem in § 2 Abs. 1 U K l a G eingeführten Begriff der Verbraucherschutzgesetze. Von diesen werden zwar einige in § 2 Abs. 2 U K l a G beispielhaft aufgeführt, aber diese Aufzählung ist ausweislich des Wortes »insbesondere« nicht abschließend. 7 0 4 Auf der Grundlage des § 2 U K l a G kann daher auch jeder andere Verstoß gegen solche Vorschriften, die im Sinne der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 U K l a G »dem Schutz der Verbraucher dienen.« Der Begriff des Verbraucherschutzgesetzes ist im formellen Sinne zu verstehen, so daß auch Rechtsverordnungen darunter fallen. 7 0 5
a)
Verbraucherschutzgesetze
N a c h der Entstehungsgeschichte des Gesetzes sind mit Verbraucherschutzgesetzen solche Vorschriften gemeint, bei denen der verbraucherschützende Z w e c k nicht nur zufälliges Nebenprodukt oder von untergeordneter Bedeutung ist. 7 0 6 D a m i t ist aber eine k a u m übersehbare M e n g e an Vorschriften in den sachlichen Anwendungsbereich des § 2 U K l a G einbezogen. D e r Beispielskatalog des § 2 Abs. 2 U K l a G wird vom Gesetzgeber regelmäßig erweitert und enthält einerseits zentrale Materien des nunmehr im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelten privatrechtlichen Verbraucherschutzes ( § 2 Abs. 2 Nr. 1 U K l a G ) , aber auch so disparate Materien wie Regelungen des Arzneimittelrechts und des Investmentgesetzes. In der Literatur wird außerdem eine Fülle von Vorschriften genannt, die unter den allgemeinen Begriff des Verbraucherschutzgesetzes zu subsumieren seien. 7 0 7 Auch weite Teile des Gesellschafts- und Kapitalanlagerechts dürften davon umfaßt sein. Immerhin sieht die Rechtsprechung auch den privaten Kapitalanleger als Verbraucher an, und zwar unabhängig von der H ö h e des angelegten Bet r a g s . 7 0 8 Daher sind alle Vorschriften des Börsen- und Bilanzrechts Verbraucherschutzgesetze im Sinne des § 2 Abs. 1 U K l a G , da ihr primärer Z w e c k im Schutz der Aktionäre bzw. sonstiger Kapitalanleger und damit der Verbraucher bes t e h t . 7 0 9 M i t h i n handelt es sich bei § 2 U K l a G um eine sehr breit anwendbare » R e c h t s b r u c h k l a g e « 7 1 0 zum Schutz von Verbraucherinteressen.
PalandtIBassenge, BGB, §2 UKlaG R n . l l . Ebd. 7 0 6 BT-Drs. 14/2658, 53. 7 0 7 Beispiele bei Palandt /Bassenge, BGB, §2 UKlaG R n . l l ; Münchener Kommentar BGB/ Micklitz, §22 AGBG Rn.33ff. 7 0 8 BGH 23.10. 2001, BGHZ 149, 80, 86. 7 0 9 Siehe nur Münchener Kommentar HGB/Ballwieser, §238 Rn. 1 (Bilanzregeln sollen Gesellschafter schützen); Lenenbach, Kapitalmarkt- und Börsenrecht Rn. lOf. (Regeln über ad hoc-Publizität im Wertpapierhandelsgesetz dienen dem Anlegerschutz). 710 Micklitz, in: Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz 87ff. 704
705
VII.
Verbandsklage
gemäß § 2
UKlaG
175
Allerdings wird die Auffassung vertreten, daß § 2 UKlaG nur die ökonomischen Interessen der Verbraucher schützen soll. Daher sollen Vorschriften, die Gesundheit und Sicherheit der Verbraucher schützen sollen - wie etwa das Produkthaftungsgesetz und das Produktsicherheitsgesetz - nicht in den Anwendungsbereich der Vorschrift fallen. Für eine so weitreichende Ausdehnung der Verbandsklagekompetenz bedürfe es einer ausdrücklichen Regelung des Gesetzgebers. 711 Für diese Beschränkung spreche der ökonomische Hintergrund der Vorschrift und die ökonomische Ausrichtung der im Beispielskatalog aufgeführten Regelungen. 712 Gerade dieses Argument ist aber bei näherer Betrachtung nicht überzeugend. Die im Beispielskatalog des § 2 Abs. 2 UKlaG aufgeführten Vorschriften umfassen auch solche, die nicht primär ökonomischen Interessen der Verbraucher dienen, sondern auch ihrer Gesundheit und Sicherheit. Zu nennen sind hier zunächst Art. 10-20 der EG-Fernsehrichtlinie 713 , auf die § 2 Abs. 2 Nr. 4 UklaG verweist. Sie sind in §§ 7 und 8 des Rundfunkstaatsvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und ihren Ländern sowie in § 6 des Jugendmedienschutzstaatsvertrags umgesetzt. In diesen Vorschriften geht es zwar auch um den ökonomischen Schutz des Verbrauchers, aber auch um den Schutz seiner Gesundheit und Sicherheit. 714 Insgesamt schützen daher die Fernsehrichtlinie und ihre deutschen Umsetzungsvorschriften eindeutig auch Verbraucherinteressen nichtwirtschaftlicher Art. 715 Noch deutlicher wird der Aspekt des Gesundheitsschutzes in den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes, auf die § 2 Abs. 2 Nr. 5 UKlaG verweist. Diese dienen gerade nicht primär dem Schutz des Vermögens, sondern vornehmlich dem Gesundheitsschutz, was sich bereits aus der expliziten Zwecksetzung in § 1 AMG ergibt. Dieser Zweck wird auch im Inhalt der verbraucherschützenden Vorschriften dieses Gesetzes deutlich: So verbietet etwa § 5 AMG das Inverkehrbringen von aus medizinischer Sicht »bedenklichen« Arzneimitteln, wobei sich dieser Begriff unmittelbar auf eine medizinisch nicht zu rechtfertigende Gesundheitsgefährdung bezieht (§5 Abs.2 AMG). Auch die verbraucherschützenden Kennzeichnungs- und Informationsvorschriften der §§ 8, 10 und 11 AMG dienen dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher. 716 Insgesamt zeigt somit gerade der Beispielskatalog, daß der Begriff der Verbraucherschutzgesetze in § 2 Abs. 1 711
M ü n c h e n e r K o m m e n t a r BGB/Micklitz, §22 AGBG Rn.37. Ebd. 713 Richtlinie 8 9 / 5 5 2 / E W G des Rates v. 3 . 1 0 . 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die A u s ü b u n g der Fernsehtätigkeit, ABl. EG 1989 L 2 9 8 , 23; geändert durch Richtlinie 97/36/EG des Europäischen Parlaments u n d des Rates v. 3 0 . 6 . 1997, ABl. EG 1 9 9 7 L 2 0 2 , 60. 714 Vgl. etwa die g e f ä h r d e n d e n Verhaltensweisen, die § 7 Abs. 1 Satz 1 RStV verhindern will. 715 So jetzt auch Micklitz, in: Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz 87, 114 (»völlig neue Möglichkeiten der Verbraucherschutzklage«). 716 Rehmann, A M G , § 8 R n . l , § 1 0 R n . l und § 1 1 R n . l . 712
176
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
UKlaG nicht auf den ökonomischen Schutz der Verbraucher beschränkt werden kann. Vielmehr umfaßt er auch die Gesundheit und Sicherheit des Verbrauchers. Mit Recht werden daher in der Literatur auch die gesundheitsschützenden Vorschriften des Lebensmittelrechts als Verbraucherschutzgesetze im Sinne des § 2 UKlaG bezeichnet. 7 1 7 Unter dem Gesichtspunkt des Gesundheitsschutzes kann es aber keinen Unterschied machen, ob eine Gefährdung der Verbraucher durch ein fehlerhaft hergestelltes oder gekennzeichnetes Lebensmittel, Arzneimittel oder technisches Gerät entsteht. Daher ist entgegen der oben dargestellten Ansicht auch das Produktsicherheitsgesetz als Verbraucherschutzgesetz im Sinne des § 2 UKlaG anzusehen. Aufgrund dieses sehr weiten Anwendungsbereichs überschneidet sich § 2 UKlaG mit anderen Verbandsklagekompetenzen, so daß Abgrenzungsfragen entstehen. Gegenüber § 1 UKlaG ist § 2 aufgrund seines Wortlauts subsidiär. 718 Im Verhältnis zu § 8 UWG gibt es weite Überschneidungen; auch hier wird die Auffassung vertreten, daß § 2 UKlaG eine Art Auffangvorschrift darstelle. 7 1 9 Demnach wäre ein bloßer Verstoß gegen das U W G nicht gemäß § 2 UKlaG sanktionierbar. Für diese Auffassung spricht auch § 8 Abs. 5 Satz 2 UWG, der nach der Gesetzesbegründung zum neuen Lauterkeitsrecht sicherstellen soll, daß bei einem Verstoß gegen das U W G auch nur die UWG-Verbandsklagekompetenzen Anwendung finden. 7 2 0 Nach dieser Lesart soll § 2 UKlaG sicherstellen, daß auch dann eine Verbandsklagekompetenz bei verbraucherrechtswidrigen Handlungen besteht, wenn das Lauterkeitsrecht nicht eingreift - etwa weil kein wettbewerbliches Handeln vorliegt. 721 Der Charakter des § 2 UKlaG als Auffangvorschrift schließt allerdings nicht aus, daß eine Verbandsklagekompetenz wegen eines Verstoßes gegen Verbraucherschutzgesetze sowohl gemäß § 2 UklaG wie auch gleichzeitig gemäß § 8 U W G besteht. Dies ist der Fall, wenn die inkriminierte Handlung gleichzeitig gegen das U W G wie auch gegen ein Verbraucherschutzgesetz im Sinne des § 2 UKlaG verstößt. 7 2 2 b) Im Interesse des
Verbraucherschutzes
Eine weiteres einschränkendes Tatbestandsmerkmal des § 2 UklaG besteht darin, daß die Klagerhebung »im Interesse des Verbraucherschutzes« sein muß. Dies mag man zunächst als Parallele zu der bis 2 0 0 4 in § 13 Abs. 2 Nr. 3 U W G enthaltenen Formulierung sehen, nach der »wesentliche Belange der Verbraucher be-
717 718 719 720 721 722
Palandt/Bassenge, § 2 UKlaG R n . l l . Ebd. R n . 2 Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, §22 R n . 5 ; E. Schmidt, N J W 2 0 0 2 , 25, 27. BT-Drs. 15/1487, 2 3 und 43; Fezer/Büscher, UWG, § 8 R n . 2 4 7 . BT-Drs. 14/2658, 52. BT-Drs. 15/1487, 43.
VII.
Verbandsklage
gemäß §2
UKlaG
177
rührt« sein mußten. 7 2 3 Diese Einschränkung der lauterkeitsrechtlichen Verbraucherverbandsklage ist nun allerdings entfallen und in der allgemeinen Erheblichkeitsschwelle des § 3 UWG aufgegangen. Daher kann man aus der Parallele zum UWG keine Konsequenzen mehr für die Interpretation des Merkmals »im Interesse des Verbraucherschutzes« herleiten. Es ist vielmehr eigenständig zu interpre774
deren. Bei dieser Interpretation ist zunächst vorgeschlagen worden, daß mit »im Interesse des Verbraucherschutzes« nichts weiter gemeint sei als die aus dem Lauterkeitsrecht bekannte Wiederholungsgefahr. Nur solche Verstöße, deren Wiederholung zu befürchten sei, müßten »im Interesse des Verbraucherschutzes« von den Verbänden verfolgt werden. 725 Diese Interpretation ist allerdings nicht überzeugend und hat sich auch nicht durchgesetzt. Gegen sie spricht, daß die Wiederholungsgefahr ohnehin ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal aller Unterlassungsansprüche ist 726 und es daher systemwidrig wäre, wenn sie in § 2 UKlaG - anders als etwa in § 1 UklaG - eine explizite Regelung gefunden hätte. Vielmehr geht es bei dem Merkmal »im Interesse des Verbraucherschutzes« offensichtlich um eine gewisse Schwelle der Bedeutung, unterhalb derer ein Eingreifen durch die klagebefugten Verbände nicht notwendig erscheint. Für diese Lesart spricht auch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Der Rechtsausschuß des Bundestags ersetzte die zunächst vorgesehene Formulierung »nicht nur im Einzelfall« durch den heutigen Gesetzeswortlaut, um auch für einmalige, aber doch schwerwiegende Verstöße den Anwendungsbereich des §22 AGBG a.F. also des heutigen § 2 UKlaG - zu eröffnen. 7 2 7 Dabei ist die Eingriffschwelle nicht zu hoch anzusetzen, um die mit § 2 UKlaG bezweckte effektive Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze nicht zu gefährden. 728 Die Formulierung »im Interesse des Verbraucherschutzes« wird vom Gesetzgeber allerdings nicht nur in § 2 UKlaG, sondern auch in Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG verwendet. Die bisherige Rechtsprechung zu letzterer Vorschrift versteht dieses Merkmal als Begrenzung der Zulässigkeit von Muster- und Sammelprozessen der Verbraucherorganisationen. Danach soll eine Einziehung von Forderungen einzelner Verbraucher durch einen Verband oder andere dort genannte Institutionen nur dann »im Interesse des Verbraucherschutzes« sein, wenn »besondere Umstände« diese »notwendig machen«. 729 Diese besonderen Umstände sollen 723
E. Schmidt, N J W 2 0 0 2 , 25, 27. Ebenso Micklitz, in: Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz 87, 105. 725 Ebd. 103. 726 Z u m UKlaG etwa E r m a n I R o l o f f , BGB, § 1 UKlaG R n . 9 und § 2 UKlaG R n . 4 . 727 BT-Drs. 14/3195, 35. 728 Micklitz, in: Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz 87, 104; ähnlich Ulmer/Brandn e r / H e n s e n , AGBG, § 2 2 Rn. 9: Für »Ungewichtiges« stehe die Verbandsklage nicht zur Verfügung. 729 O L G Düsseldorf 1 7 . 1 0 . 2 0 0 3 , N J W 2 0 0 4 , 1 5 3 2 , 1 5 3 3 ; dem zustimmend auch bei Abtretung einer Vielzahl von Einzelforderungen LG Düsseldorf 2 0 . 1 0 . 2 0 0 4 , VuR 2 0 0 5 , 34, 35. 724
178
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
nach dieser Rechtsprechung nur dann vorliegen, wenn für die einzelnen betroffenen Verbraucher kein Anreiz zur Klage besteht oder einer solchen Individualklage besondere Schwierigkeiten entgegenstehen. 730 In der Literatur wird sogar vorgeschlagen, den Anwendungsbereich des Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG auf eine Inkassotätigkeit in Fällen des §66 l a BGB zu beschränken, da praktisch nur in diesen Fällen ein besonderes Bedürfnis für eine Inkassozession durch Verbraucherverbände bestehe. 731 Andere Stimmen in der Literatur wenden sich gegen eine derartige Einengung des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift. Die von der bisherigen Rechtsprechung aufgestellten »prohibitiven Kriterien« seien mit dem Zweck der Vorschrift, nämlich der Öffnung des Zivilprozesses für Muster- und Sammelklagen, nicht vereinbar. 732 Die Auslegung des Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG muß an dieser Stelle nicht abschließend erörtert werden. Es erscheint allerdings fraglich, ob der Gesetzgeber die Anwendung dieser Vorschrift wirklich auf ganz besondere Ausnahmefälle beschränken wollte. Jedenfalls kann die einschränkende Interpretation des Merkmals »im Interesse des Verbraucherschutzes« im Sinne der dargestellten Rechtsprechung nicht auf die insoweit gleichlautende Vorschrift des § 2 UKlaG übertragen werden. Bei § 2 UKlaG geht es nicht um die Durchsetzung individueller Ansprüche einzelner Verbraucher. Daher kann es auch nicht darauf ankommen, ob eine solche Durchsetzung von den betroffenen Personen selbst erwartet werden kann. Vielmehr soll das Merkmal »im Interesse des Verbraucherschutzes« in § 2 UKlaG nur solche Klagen verhindern, die sich auf ganz vereinzelte und unbedeutende Verstöße gegen Verbraucherschutzgesetze beziehen. 2.
Akteure
Der persönliche Anwendungsbereich des § 2 UKlaG entspricht weitgehend dem des § 1 UKlaG. Allerdings werden in § 3 Abs. 1 Nr. 2 UKlaG besondere Voraussetzungen für die Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen aufgestellt. Diese sollen nur solche Verstöße gegen Verbraucherschutzgesetze verfolgen können, die die Interessen ihrer Mitglieder berühren und eine wettbewerbsverfälschende Wirkung haben. Darin liegt eine eigenartige Abweichung zu § 1 UKlaG, bei dem diese besonderen Voraussetzungen nicht gelten. Die Beschränkung auf Verstöße mit wettbewerbsverfälschender Wirkung wird hier einmal mehr als Ausschluß von Bagatellsachen interpretiert. 733 Da dieser Ausschluß aber schon im Tatbestand des §2 UKlaG mit dem Merkmal »im Interesse des Verbraucher730
LG Düsseldorf ebd. 36. Chemnitz/] ohnik, RBerG, A r t . l § 3 Rn. 471.1. 732 Micklitz, Anm. zu LG Düsseldorf 20.10. 2004, VuR 2005, 36f.; ähnlich bereits Brönneke, VuR 2002, 153 (»im Interesse des Verbraucherschutzes« gegeben, wenn Klage einen nicht nur singulären Mißstand betreffe). 733 E r m a n / R o l o f f , BGB, § 3 UKlaG Rn. 7; Palandt/ßasserage, BGB, § 2 UKlaG Rn. 11. 731
VII. Verbandsklage gemäß §2 UKlaG
179
schutzes« gewährleistet ist, handelt es sich hier um eine sinnlose Verdoppelung. Auch die Beschränkung auf eine Verletzung von Mitgliederinteressen ist nicht nachvollziehbar, da sie für Klagen gemäß § 1 UKlaG nicht vorausgesetzt wird. Es ist aber nicht einsichtig, warum ein Verband gegen unwirksame Allgemeine Geschäftsbedingungen ohne Rücksicht auf seine Mitgliederstruktur vorgehen kann, gegen andere - unter Umständen ebenso gewichtige - Rechtsverstöße jedoch nur unter besonderen einschränkenden Voraussetzungen. Hier scheint weniger die Sachlogik als einmal mehr eine diffuse Furcht vor Mißbräuchen Pate der Regelung zu sein. 3. Klagziel Auch wenn die Zuwiderhandlung gegen Verbraucherschutzgesetze eine Unterlassung darstellt, etwa Nichterfüllung einer Informationspflicht, sollen Klagantrag und Urteilstenor nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 1 UklaG nur auf Unterlassen gerichtet sein. Diese Beschränkung ist allerdings ungeeignet, ein im wesentlichen auf Information setzendes Verbraucherrecht positiv durchzusetzen. 7 3 4 Immerhin statuieren ja viele Verbraucherschutzgesetze im Sinne des § 2 UKlaG Hinweis-, Kennzeichnungs- und andere Informationspflichten, die mit einem auf Unterlassung lautenden Urteil nicht durchzusetzen sind. Ein Teil der Literatur will aufgrund dieses Widerspruchs im Rahmen von § 2 UKlaG auch eine Klage auf positives Tun, nämlich auf Erfüllung der gesetzlichen (Informations-) Pflichten zulassen. 735 Andere wollen jedoch unter Berufung auf den Gesetzeswortlaut nur auf Unterlassung gerichtete Klaganträge erlauben. 7 3 6 Zur Begründung dieser Einschränkung wird angeführt, daß für die Zwangsvollstrekkung ein eindeutiger Urteilstenor erforderlich ist und sich diese zwingend nach § 8 9 0 Z P O richte. 7 3 7 Dieses Argument ist jedoch keineswegs zwingend, denn es sind - wie im sonstigen Zivilprozeß - auch eindeutige Klaganträge und entsprechende Urteilsformeln denkbar, die zu einer bestimmten Handlung verpflichten und eine Vollstreckung nach § § 8 8 7 , 888 Z P O ermöglichen. Das in § 2 UKlaG enthaltene Problem der »Unterlassung der Unterlassung« 7 3 8 ist auf einer tiefer liegenden Ebene anzusiedeln. Es geht um die Frage, ob ein Unternehmer gezwungen werden kann, eine bestimmte Ware oder Leistung nach den gesetzlichen Vorschriften anzubieten, oder ob er die Wahl hat, auf ein derartiges rechtskonformes Angebot lieber ganz zu verzichten. Läßt man im Rahmen von § 2 UKlaG ein Urteil zu, das zu positivem Tun verpflichtet, so enthält dies einen Zwang, ein bestimmtes unternehmerisches Angebot zu bestimmten Bedin734 735 736 737 738
E. Schmidt, N J W 2 0 0 2 , 2 5 , 26. Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 2 2 R n . 6 . Palandt/Bassenge, BGB, § 2 UKlaG Rn. 8. Ebd. Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 2 2 R n . 6 .
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2. Kapitel: Popular-
und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
gungen zu machen. Ein solcher Zwang erscheint aber mit der in Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Berufs- und Unternehmerfreiheit sowie mit dem aus Art. 2 Abs. 1 GG abzuleitenden Grundsatz der Vertragsfreiheit kaum vereinbar. Diese Grundrechte schützen auch die Möglichkeit, nicht unternehmerisch tätig zu werden, wenn einem die einschlägigen gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht zusagen. 739 Daher können auch Klagantrag und Urteil im Rahmen des § 2 UKlaG nur auf Unterlassung lauten. Soweit es um die Erfüllung von Informationspflichten geht, muß das Urteil z.B. so formuliert werden: »Der Beklagte wird [...] verurteilt, es zu unterlassen, Fernabsatzverträge abzuschließen, bei denen nicht auf das Widerrufs- bzw. Rückgaberecht des § 355 BGB hingewiesen ist.« 740 Eine derartige Formulierung stellt klar, daß der verurteilte Unternehmer die Wahl hat, entweder gar nicht am Markt reilzunehmen oder aber dies unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften zu tun. Wenn allerdings die Vertragsfreiheit den Unternehmer davor schützt, überhaupt zu bestimmten Bedingungen am Markt teilzunehmen, so sind auch die zur Vertragsfreiheit entwickelten Einschränkungen zu berücksichtigen. In Fällen, in denen ein Kontrahierungszwang gerechtfertigt werden kann, steht es dem betroffenen Unternehmer nicht frei, ob er am Markt teilnehmen will. Er muß dies tun, und zwar zu den gesetzlich geregelten Bedingungen. In solchen Ausnahmefällen kommt daher abweichend vom Wortlaut des § 2 UKlaG auch ein Anspruch auf Erfüllung der gesetzlichen Informations- oder sonstiger verbraucherschützender Pflichten in Betracht. So besteht z.B. für die Versorgung mit Strom und Gas ein Zwang zum Vertragsabschluß gemäß § 10 Abs. 1 EnWG. Die davon betroffenen Energieversorgungsunternehmen müssen jedoch nicht nur mit jedermann kontrahieren, sondern dies auch zu den sonstigen gesetzlichen Bedingungen tun. Sie sollten daher auch zur Einhaltung der einschlägigen Verbraucherschutzgesetze gezwungen werden können, da der Verbraucher zwingend auf ihre Leistungen angewiesen ist. Auch außerhalb dieses Bereichs der Kontrahierungszwänge bedeutet jedoch die Beschränkung des § 2 UKlaG auf Unterlassungsklagen nicht, daß ein in der Vergangenheit liegender Verstoß gegen Verbraucherschutzgesetze sanktionslos bleiben müßte. Vielmehr kann der in § 2 UKlaG enthaltene Begriff der Unterlassung auf jedes Verhalten bezogen werden, also auch auf ein Verhalten im Rechtsstreit mit Verbrauchern. Ist etwa der Unternehmer verpflichtet, über ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zu informieren, so kann er nach der ersten Rechtsprechung zu § 2 UKlaG jedenfalls dazu verurteilt werden, es zu unterlassen, gegenüber den betroffenen Verbrauchern die Rückabwicklung des Vertrags mit der Begründung zu verweigern, daß der Widerruf verspätet erfolgt sei. 741 Diese 739 Vgl. zur freien G r ü n d u n g u n d F ü h r u n g von Unternehmen BVerfG 1 . 3 . 1 9 7 9 , BVerfGE 50, 2 9 0 , 3 6 3 u n d 366. 740 Beispiel nach Micklitz, in: Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz 87, 132. 741 LG H a n n o v e r 2 7 . 4 . 2 0 0 4 , VuR 2 0 0 4 , 2 9 0 f f .
VII. Verbandsklage gemäß § 2 UKlaG
181
Rechtsprechung paßt zu der anerkannten Auslegung des Begriffs des »Verwenden« in § 1 U K l a G , der auch die Berufung auf die fraglichen Geschäftsbedingungen im Rechtsstreit mit dem Vertragspartner u m f a ß t . 7 4 2 Derartige Urteilsformeln sind auch mit der Vertragsfreiheit ohne weiteres vereinbar. Sie zwingen den betroffenen Unternehmer nicht zum Abschluß neuer Verträge, sondern wollen nur für bereits geschlossene Verträge die Einhaltung des zwingenden Rechts durchsetzen.
4. Rechtskraft und Rechtshängigkeit Der Gesetzgeber hat die besondere Rechtskrafterstreckung des § 1 1 U K l a G nur für Urteile vorgesehen, die auf § 1 U K l a G beruhen, nicht aber für Urteile gemäß § 2 U K l a G . Dies ist vornehmlich historisch zu erklären, da § 11 U K l a G dem § 2 1 A G B G a.F. entspricht und daher von seiner Konzeption her nur auf die A G B Kontrollklage zugeschnitten ist. Sachlich dagegen bestehen durchaus Parallelen zwischen der Verwendung unwirksamer Geschäftsbedingungen und den von § 2 U K l a G umfaßten sonstigen Praktiken, die gegen Verbraucherschutzgesetze verstoßen. Auch letztere haben oft eine Massenwirkung - man denke nur an Verstöße gegen Informationspflichten, die im R a h m e n einheitlicher Kataloge oder sonstiger Vertriebspraktiken gegenüber sämtlichen Kunden des jeweiligen Unternehmers Wirkung zeitigen. Auch die ratio des § 1 0 U K l a G , nach der bei späteren Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung unter den betroffenen Unternehmen wieder ein level playing
field hergestellt werden s o l l , 7 4 3 könnte eben-
so auf § 2 U K l a G angewendet werden: Ändert sich etwa die Rechtsprechung zum Ausmaß bestimmter Informationspflichten, so mag derjenige Unternehmer benachteiligt sein, der aufgrund eines rechtskräftigen Unterlassungsurteils im Verbandsklageprozeß noch an die alte Rechtsprechung gebunden i s t . 7 4 4 Auch hier hat der Gesetzgeber jedoch die Regelungen des alten AGB-Gesetzes nicht auf die neu eingefügte Verbandsklagekompetenz des § 2 U K l a G erstreckt.
5. Unzulässige Rechtsausübung Anders als in § 1 U K l a G findet man in § 2 Abs. 3 U K l a G eine dem § 8 Abs. 4 U W G wortgleiche Regelung angeblicher M i ß b r ä u c h e der Verbandsklagebefugnis. Der Gesetzgeber ging offensichtlich davon aus, daß die Verbandsklagekompetenz des § 2 U K l a G »mißbrauchsanfälliger« ist als diejenige des § 1 U K l a G . 7 4 5 Aufgrund der N ä h e zum Lauterkeitsrecht wurde daher eine diesem entsprechenBGH 23.1. 2003, NJW 2003, 1237, 1238. Dazu oben, S.153. 7 4 4 Für eine entsprechende Anwendung der §§ 18-21 AGBG a.F. noch Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, §22 Rn.17. 7 4 5 Erman/Ro/o/f, §2 UKlaG Rn.5. 742
743
182
2. Kapitel: Populär- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
de Mißbrauchsregelung eingefügt. 746 Insoweit kann auf die Ausführungen zu § 8 Abs. 4 UWG verwiesen werden.
VIII. Verbandsklage gemäß § 2a UKlaG Mit Wirkung vom 1. September 2004 wurde eine weitere Verbandsklagekompetenz in das Unterlassungsklagengesetz eingefügt, nämlich die Verbandsklage gegen unberechtigte Kopierschutzmittel in § 2a UKlaG. Dieser vom Gesetzgeber gewählte Ort nahe der Generalklausel des § 2 UKlaG darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß es in § 2a UKlaG um ganz andere und eng begrenzte Fälle geht. Auch hier sollen im folgenden nur die wichtigsten Abweichungen gegenüber §§ 1 und 2 UKlaG dargestellt werden; im übrigen sind die ersten Erfahrungen mit § 2a UKlaG noch abzuwarten. 1. Sachlicher A n w e n d u n g s b e r e i c h Die Verbandsklagekompetenz des § 2a UKlaG dient ausweislich ihres Wortlauts der Durchsetzung des § 95b Abs. 1 UrhG. Es geht also um den Zugang zu und die Vervielfältigung von urheberrechtlich geschützten Werken. Der Inhaber dieser Urheberrechte darf derartige Nutzungen gemäß § 95a UrhG mit technischen Maßnahmen verhindern und von seiner Zustimmung abhängig machen - man denke etwa an Kopierschutzmaßnahmen auf Musik-CDs oder DVDs oder an den Schutz wertvoller Software gegen Raubkopien durch ein Dongle. 747 Von dieser grundsätzlichen Anerkennung technischer Schutzmaßnahmen macht der Gesetzgeber jedoch in § 95b UrhG eine gewisse Ausnahme im öffentlichen Interesse. Der Rechteinhaber ist danach verpflichtet, den in den dort aufgezählten Bestimmungen genannten Personen die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, damit sie von ihren gesetzlich geregelten Privilegien Gebrauch machen können. Zwar gewährt § 95b Abs. 2 Satz 1 UrhG jedem dieser Begünstigten einen eigenen Anspruch gegen den Rechteinhaber auf die zur berechtigten Nutzung benötigten Mittel, aber der Gesetzgeber ging davon aus, daß diese Individualansprüche möglicherweise nicht in ausreichendem Maße durchgesetzt werden. Daher sei eine ergänzende Verbandsklagekompetenz erforderlich. 748
746 747 748
BT-Drs. 14/2658, 53. Zur Definition der technischen Maßnahmen siehe Dreier/Schulze, Regierungsbegründung zu §2a UKlaG, BT-Drs. 15/38, 27.
UrhG, § 95a Rn. 14.
VlU.
Verbandsklage
gemäß
§ 2a
UKlaG
183
2 . Akteure Die möglichen Akteure bei der Verbandsklage gegen unberechtigte Kopierschutzmittel sind in § 3a UKlaG besonders bezeichnet. Es handelt sich bei ihnen um Verbände zur Förderung der Interessen der gemäß § 95b Abs. 1 Satz 1 UrhG berechtigten Personen. Diese Formulierung ist aufgrund der Heterogenität dieses Personenkreises und aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte jedoch nicht einfach zu deuten. Im Gesetzgebungsverfahren war zunächst vorgeschlagen worden, auch den in § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG genannten »qualifizierten Einrichtungen« und den weiteren in § 3 Abs. 1 UKlaG genannten Verbänden und Institutionen die Klagekompetenz zu gewähren. 749 Die heutige Fassung des § 3a UKlaG geht auf eine Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestags zurück, die jedoch im wesentlichen redaktioneller Natur sein sollte. 750 Daher wird in der Literatur die Auffassung vertreten, daß die Klagekompetenz gemäß §§ 2a, 3a UKlaG auch den in § 3 UKlaG genannten Verbänden und Institutionen zukommt, sofern diese »von ihrem Satzungszweck und ihren tatsächlichen Aufgaben her zugleich die Interessen derjenigen fördern, die durch § 95b Abs. 1 Satz 1 UrhG begünstigt werden.« 7 5 1 Damit ist der Kreis der möglichen Akteure hinsichtlich §§ 2a, 3a UKlaG recht weit und hängt von der jeweils durchzusetzenden Schrankenbestimmung ab. Beispielsweise wird eine Lehrergewerkschaft zur klagweisen Durchsetzung der § 9 5 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 - 5 UrhG berechtigt sein, da die dort in Bezug genommenen Vorschriften der § § 4 5 a , 4 6 , 4 7 und 52a UrhG jeweils auf eine Nutzung im Unterricht abstellen. Ein Verbraucherverband wird dagegen eher zu einer Klage gemäß §§ 2a UKlaG, 95 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 UrhG berechtigt sein, da es dort um die Vervielfältigung urheberrechtsgeschützter Werke durch jede natürliche Person zum privaten Gebrauch und somit um Verbraucherschutz geht.
3 . Klagziel Ähnlich wie bei § 2 UKlaG ist auch in § 2a UKlaG die Beschränkung auf eine Unterlassungsklage nicht ganz einfach zu deuten. Immerhin geht es ja bei § 9 5 b UrhG darum, daß bestimmten Personen bestimmte technische Mittel zur Verfügung gestellt werden, also um die Durchsetzung einer Handlungspflicht. Der individuelle Anspruch der jeweiligen Berechtigten ist daher auch auf ein Handeln gerichtet, nämlich auf die Bereitstellung der zur Umgehung der betreffenden technischen Schutzmaßnahme geeigneten Mittel ( § 9 5 b Abs. 2 Satz 1 UrhG). Trotzdem spricht § 2a UKlaG nur von einer Klage auf Unterlassung. Aus der Gesetzesbegründung läßt sich zu diesem Problem nichts entnehmen. Ähnlich wie 749 750 751
Ebd. Dreier/Schulze, Ebd.
UrhG, § 9 5 b R n . 6 .
184
2. Kapitel: Populär-
und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
bei § 2 U K l a G müßte auch hier die Überlegung ausschlaggebend sein, daß ein beklagter Unternehmer die Wahl hat, entweder die für sein Produkt - hier das urheberrechtlich geschützte Werk - geltenden gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten oder es ganz vom M a r k t zu nehmen. Daher müßten der Klagantrag und der Urteilstenor bei § 2 a U K l a G etwa dahingehend lauten, daß dem Beklagten verboten wird, das betreffende Werk zu verbreiten, ohne den im konkreten Fall zu nennenden Berechtigten die für ihre rechtmäßige Nutzung notwendigen Mittel zu überlassen.
4 . Rechtskraft und Rechtshängigkeit Besondere Regeln zur Rechtskraftwirkung enthält § 2 a U K l a G nicht. Es ist daher erstaunlich, wenn die Gesetzesbegründung davon spricht, daß mit Hilfe des § 2a U K l a G »eine über den Einzelfall hinausgehende Verbindlichkeit von Entscheidungen erreicht« werden soll. 7 5 2 Dies m u ß wohl im untechnischen Sinne verstanden werden. Der Gesetzgeber drückt damit seine Hoffnung aus, daß ein im Verbandsklageverfahren verurteilter Verwender sich auch im Streit mit einzelnen Berechtigten dem Urteilsinhalt faktisch beugen wird. Eine rechtliche Wirkung des Urteils im Verbandsklageverfahren auf den Individualprozeß besteht jedoch angesichts des herrschenden »inter-partes-Dogma«
zur Verbandsklage 7 5 3 nicht.
Dazu hätte es einer gesetzlichen Anordnung ähnlich wie in § 11 U K l a G bedurft dieser bezieht sich jedoch ausdrücklich nur auf Klagen aus § 1 U K l a G .
5. Unzulässige Rechtsausübung Auch § 2 a U K l a G enthält in seinem Abs. 3 eine Mißbrauchsregelung, indem auf § 2 Abs. 3 U K l a G verwiesen wird, der wiederum gleichlautend mit § 8 Abs. 4 U W G ist.
/X. Verbandsklage gemäß §44
TKG
Auch das Telekommunikationsgesetz enthält in seinen § 4 4 Abs. 2 eine Verbandsklage. Sie ist sachlich immer dann anwendbar, wenn gegen Vorschriften des T K G oder einer auf seiner Grundlage erlassenen Rechtsverordnung verstoßen wird und die verletzte Vorschrift dem Schutz der Verbraucher dient. Allerdings muß der Verstoß »in anderer Weise als durch Verwendung oder EmpfehBT-Drs. 15/38, 27. So die treffende Bezeichnung von Greger, ZZP 113 (2000) 399, 4 0 8 ; vgl. nur Palandt/ Bassenge, BGB, § 11 UKlaG Rn. 1: Urteile im Verbandsklageverfahren erwachsen mangels besonderer gesetzlicher Anordnung nur für die Prozeßparteien und ihre Rechtsnachfolger in Rechtskraft; ähnlich Urbanczyk, a.a.O. 154; Gaul, FS Beitzke 997, 1019. 752 753
X. Verbandsklage gemäß § 17 Abs. 1 Satz 5 KHEntgG
185
lung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen« stattfinden. Dadurch wird die Klagekompetenz des § 4 4 Abs. 2 T K G sachlich abgegrenzt von derjenigen des § 1 U K l a G . Die sachliche Abgrenzung zu § 2 U K l a G ist dagegen unklar, denn wenn eine Vorschrift des T K G dem Schutz der Verbraucher dient, dann ist sie gleichzeitig ein Verbraucherschutzgesetz im Sinne von § 2 U K l a G . Auch Verordnungen werden von dem Begriff des Verbraucherschutzgesetzes im Sinne des § 2 U K l a G u m f a ß t . 7 5 4 Daher ist der sachliche Anwendungsbereich des § 4 4 Abs. 2 T K G vollständig im Anwendungsbereich des § 2 U K l a G enthalten. Die Vorschrift des § 4 4 Abs. 2 T K G könnte allenfalls als verdrängende lex specialis gegenüber § 2 U K l a G betrachtet werden. Allerdings spricht gegen diese Interpretation, daß in § 4 4 Abs. 2 Satz 3 T K G das Unterlassungsklagengesetz ausdrücklich für unberührt erklärt wird. Letztlich k a n n die genaue Einordnung des § 4 4 Abs. 2 T K G offenbleiben, da es sich sachlich um eine bloße Wiederholung oder Verdoppelung der in § 2 U K l a G ohnehin gewährten Klagekompetenzen handelt. Auch der persönliche Anwendungsbereich ist identisch, da in § 4 4 Abs. 2 T K G diesbezüglich auf § 3 U K l a G verwiesen wird. Die Vorschrift des § 4 4 T K G ist jedoch auch über die Verbandsklage hinaus interessant, da ihr Absatz 1 immerhin jedem durch einen Verstoß gegen das Gesetz betroffenen Verbraucher oder Wettbewerber Ansprüche auf Unterlassung, Beseitigung und Schadensersatz einräumt. Ähnlich wie in § 3 3 Abs. 1 G W B n.F. handelt es sich hier zwar nicht um eine Popularklage, da noch eine subjektive Betroffenheit des Klägers vorausgesetzt wird. Diese ist jedoch unter Umständen bei einer großen M a s s e von Personen vorhanden, nämlich möglicherweise bei allen Kunden eines Telekommunikationsunternehmens. Daher kann § 4 4 Abs. 1 T K G je nach Fallgestaltung faktisch in die N ä h e einer Popularklage r ü c k e n . 7 5 5
X. Verbandsklage gemäß §17 Abs. 1 Satz 5 KHEntgG Eine weitere privatrechtliche Verbandsklage ist in § 1 7 Abs. 1 Satz 5 des Krankenhausentgeltgesetzes geregelt. Diese seit dem 1 . 1 . 2 0 0 5 geltende Vorschrift entspricht in der Sache ihrer Vorläuferin in § 2 2 Abs. 1 Satz 5 Bundespflegesatzverordnung a.F. Es geht hier um die Angemessenheit der von den Krankenhausträgern berechneten Entgelte für nichtärztliche Wahlleistungen, d.h. insbesondere für die Unterbringung der privat versicherten Patienten in Ein- und Zweibettzimmern. Einziger Klageberechtigter ist hier der Verband der privaten Krankenversicherung. Er kann von dem betreffenden Krankenhausträger gemäß § 1 7 Abs. 1 Satz
PalandtIBassenge, BGB, § 2 UKlaG Rn. 11. Vgl. dazu Koenig/Loetz/Neumann, Telekommunikationsrecht 168: Der Anspruch aus § 4 4 Abs. 1 T K G gehe »sehr weit«. 754 755
186
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
5 K H E n t g G zunächst die Herabsetzung der fraglichen Entgelte auf eine »angemessene H ö h e « verlangen. Lehnt der Krankenhausträger eine derartige Reduktion ab, so ist nach dieser Vorschrift »der Zivilrechtsweg gegeben.« Der Bundesgerichtshof hat diese Klagekompetenz unter Verweis auf seine Ausführungen zur AGB-rechtlichen Verbandsklage als einen dem Verband der privaten Krankenversicherung zustehenden »materiell-rechtlichen Anspruch auf Entgeltherabsetzung« interpetiert. 7 5 6 Ist die Klage begründet, so wird das fragliche Entgelt vom Gericht auf das »gerade noch hinnehmbare« M a ß , d.h. auf die obere Grenze der Angemessenheit gemäß § 1 7 Abs. 1 Satz 3 K H E n t g G herabgesetzt. 7 5 7 M i t diesem besonderen Verbandsklagerecht im Recht der Krankenhausentgelte wollte der Gesetzgeber ein »Korrektiv gegenüber der einseitigen Festlegung der H ö h e der nichtärztlichen Wahlleistungsentgelte durch den Krankenhausträger« schaffen. 7 5 8 Individuelle Verhandlungen zwischen Patient und Krankenhaus über die H ö h e des Entgelts wären wegen der einheitlichen Fixierung der Krankenhausentgelte schon aus Rechtsgründen p r o b l e m a t i s c h 7 5 9 und sind auch faktisch nicht üblich. Außerdem befindet sich der Patient bei Abschluß des Krankenhausvertrags typischerweise in einer persönlich belastenden Lage, in der er nicht - wie in einer idealen Marktsituation - zwischen verschiedenen Preisen und Angeboten vergleichen kann oder will. Faktisch wird er daher die Festsetzung der Entgelte durch das Krankenhaus akzeptieren. Im übrigen geht der privat versicherte Patient ohnehin davon aus, daß nicht er selbst, sondern seine Versicherung mit den entsprechenden Kosten belastet wird. Für den einzelnen Patienten gibt es hier also keine Anreize, sich kostenbewußt zu verhalten. Die Verbandsklage gemäß § 1 7 Abs. 1 Satz 5 K H E n t g G ist also ein im Interesse der Kostenkontrolle im Gesundheitswesen eingeführtes kompensatorisches Instrument. Der Verband der privaten Krankenversicherung wird in die Lage versetzt, die objektiv-rechtlich vorgesehene, aber vom einzelnen Patienten faktisch nicht durchgeführte Preiskontrolle im Interesse der Versichertengemeinschaft selbst vorzunehmen.
XI. Gemeinsame
Strukturprobleme
Aufgrund dieser Bestandsaufnahme der im geltenden Recht vorhandenen Populär- und Verbandsklagebefugnisse können nun die ihnen gemeinsamen Strukturprobleme identifiziert werden, die einer genaueren dogmatischen Bearbeitung bedürfen. BGH 4 . 8 . 2 0 0 0 , B G H Z 145, 6 6 , 68. Ebd. 76f. mit Verweis auf die Rechtsprechung zu anderen Preisgrenzen, etwa bei § 5 WiStG. 7 5 8 So die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 13/6087, 35. 7 5 9 BGH 4 . 8 . 2 0 0 0 , B G H Z 145, 66, 71; vgl. §§ 8 Abs. 1 Satz 1 , 1 7 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG. 756
757
XI. Gemeinsame
Strukturprobleme
187
1. Sachlicher Anwendungsbereich Die Anwendungsbereiche der Populär- und Verbandsklage sind gekennzeichnet von einer unsystematisch anmutenden Zersplitterung und wiederkehrenden Überschneidungen. In der Literatur wird daher mit Recht die »fehlende dogmatische Abstimmung« zwischen den einzelnen Anwendungsbereichen der Verbandsklage b e m ä n g e l t . 7 6 0 Teilweise werden tabellarische Übersichten angefertigt, um das Verhältnis der verschiedenen Anwendungsbereiche
überhaupt
darstellbar zu m a c h e n . 7 6 1 In weiten Bereichen des Rechts - etwa im Verhältnis zwischen Lauterkeitsrecht und »Verbraucherschutzgesetzen« des § 2 U K l a G findet man eine unnötig erscheinende Verdoppelung der Klagekompetenzen. 7 6 2 D a r ü b e r hinaus ist ein seltsamer Widerspruch zwischen allgemeinen und besonderen Regelungen des Anwendungsbereichs festzustellen: Einige Regelungen zur Populär- und Verbandsklage beschränken sich auf relativ spezielle materiellrechtliche Regelungen, wie etwa die Verbandsklagen gemäß § 2 a U K l a G oder § 4 4 T K G , während andere Verbandsklagekompetenzen weite Teile des Zivilund Wirtschaftsrechts betreffen, namentlich § 2 U K l a G (»Verbraucherschutzgesetze«) und § 8 U W G (insbesondere in Verbindung mit § 4 Nr. 1 1 U W G ) . Angesichts dieser Lage erscheint eine Besinnung darauf nötig, w a n n und wozu überhaupt Populär- und Verbandsklagekompetenzen
benötigt werden. Ist dies
geklärt, kann möglicherweise auch eine vernünftige sachliche Begründung und Begrenzung ihres Anwendungsbereichs vorgenommen werden.
2. Akteure Eine erhebliche Zersplitterung und mangelnde Abstimmung m u ß auch hinsichtlich der Akteure der Populär- und Verbandsklage konstatiert werden. Dies betrifft zunächst den Unterschied zwischen Populär- und Verbandsklagen selbst. Es ist schwer einzusehen, warum jedermann jedes noch so spezielle Patent mit der Nichtigkeitsklage angreifen darf, w a r u m aber die Allgemeinen Geschäftsbedingungen etwa der Deutschen Post A G nur von ganz besonderen Verbänden und Institutionen zum Gegenstand abstrakter gerichtlicher Kontrolle gemacht werden dürfen. Sicherlich entzieht das Patent in der Theorie jedem aus dem Volke die mit dem Patent verbundenen Nutzungs- und Verwertungsbefugnisse, aber dieser Eingriff bleibt doch in den allermeisten Fällen von höchst theoretischer Bedeutung. N u r sehr kleine Teile der Bevölkerung können technisch und ö k o n o misch anspruchsvolle Patente für sich nutzen, geschweige denn ihre Bedeutung überhaupt beurteilen. Ganz anders verhält es sich dagegen mit den Geschäftsbe760 Heß, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform 527, 531. 7 6 1 So bei Greger, NJW 2 0 0 0 , 2 4 5 7 , 2461. 762 Heß, a.a.O. 5 3 2 .
188
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
dingungen der Deutschen Post A G , die faktisch jeden betreffen, zumal es zu ihr im Bereich des Briefmonopols gemäß § 5 1 PostG keine Alternative gibt. Ebenso faktisch bedeutsam für die M a s s e der Bevölkerung sind etwa die Geschäftsbedingungen von Banken und Versicherungsunternehmen, zumal diese auch unter Konkurrenzunternehmen weitgehend identisch sind 7 6 3 und der Bürger daher k a u m eine Auswahl hinsichtlich der Vertragsbedingungen hat. Trotzdem ist auch hier nur ein kleiner Kreis besonderer Verbände und Institutionen gemäß §§ 1 und 3 U K l a G zur abstrakten Kontrolle befugt. N u n mag m a n darauf verweisen, daß sowohl die Tätigkeit der Deutschen Post A G als auch diejenige von Banken und Versicherungen von besonderen Behörden kontrolliert werden, die auch auf die Rechtmäßigkeit der verwendeten Geschäftsbedingungen zu achten h a b e n . 7 6 4 Schon auf diesem Wege ist ein gewisser öffentlich-rechtlicher Schutz der entsprechenden Kunden gewährleistet. Auch darin liegt aber kein struktureller Unterschied zum Patentrecht, der es rechtfertigen würde, die Popularklage zu einer Verbandsklage einzugrenzen. Auch das mit einer Popularklage angreifbare Patent ist ja erst aufgrund eines öffentlich-rechtlich ausgestalteten Verfahrens vor dem Patentamt erteilt worden. Es ist daher eher noch stärker öffentlich-rechtlich vorgeprüft als etwa die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Versicherungsunternehmen, die ja heute keiner Genehmigung mehr bedürfen, sondern nur noch nachträglich von der Aufsichtsbehörde kontrolliert werden k ö n n e n . 7 6 5 Trotzdem kann jedermann das Patent mittels Popularklage auch noch zivilrechtlich angreifen, die Geschäftsbedingungen einer Versicherung aber nicht. Diesen eklatanten Wertungswiderspruch im geltenden Recht kann man auch nicht dadurch auflösen, daß ein individuell betroffener Post- oder Bankkunde ja sein Recht im Individualprozeß suchen mag. Eben darum geht es in dem hier vorgenommenen Vergleich nicht. Auch im Patentrecht wäre zweifellos eine Regelung denkbar, bei der nur einem wirklich »Betroffenen« - etwa einem konkurrierenden Erfinder oder einem mit der Verletzungsklage überzogenen N a c h a h m e r der gerichtliche Angriff auf das Patent möglich wäre. Genau diese Regelung gibt es im Patentrecht aber nicht, sondern hier wurde eine Strukturentscheidung getroffen, w o n a c h die richterliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Patenterteilung von jeglicher persönlicher Betroffenheit abgekoppelt wurde. Die Verbandsklagen im Unterlassungsklagengesetz und anderswo sind Ausdruck einer abwei7 6 3 Vgl. etwa zu den AGB der Banken und Sparkassen Bunte, in: Schimansky/Bunte/ Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, Bd. I, 79: Diesen Regelwerken komme eine »überragende Bedeutung zu, da man davon ausgehen kann, daß alle Kreditinstitute die AGB-Banken bzw. AGB-Sparkassen einheitlich verwenden und alle Leistungen auf der Grundlage dieser Bedingungen [...] abgewickelt werden.« 7 6 4 Vgl. etwa die Vorschrift über Befugnisse der Regulierungsbehörde bei entgeltrelevanten Allgemeinen Geschäftsbedingungen in § 27 PostG; zu Banken und Versicherungen jetzt § 4 FinDAG, § 6 KWG, § 8 1 VAG. 7 6 5 Vgl. § § 8 1 und 83 VAG.
XI. Gemeinsame
189
Strukturprobleme
chenden Strukturentscheidung, w o n a c h zwar auch Kontrollkompetenzen ohne persönliche Betroffenheit bestehen, diese aber nicht jedermann zustehen, sondern bei bestimmten Institutionen monopolisiert werden. N a c h geltendem Recht ist diese Entscheidung hinzunehmen, de lege ferenda
ist aber zu überprüfen, o b
es ausreichende Gründe für eine solche Differenzierung g i b t . 7 6 6
3.
Klagziel
Hinsichtlich der möglichen Inhalte der vorgefundenen Populär- und Verbandsklagen lassen sich im wesentlichen drei Gruppen unterscheiden, die man als Gestaltungsklagen,
Unterlassungs-
und Beseitigungsklagen
und
Gewinnab-
schöpfungsklagen bezeichnen kann. Dabei ist die patentrechtliche Popularklage Gestaltungsklage im eigentlichen Sinne. Die markenrechtliche Populär- und Verbandsklage ist dagegen formal eine Leistungsklage, k o m m t aber wegen der Fiktion der Abgabe der Löschungsbewilligung gemäß § 8 9 4 Abs. 1 Z P O einer Gestaltungsklage zumindest der Wirkung nach n a h e . 7 6 7 Sie gleicht der patentrechtlichen Popularklage darin, daß es bei beiden Kompetenzen darum geht, eine rechtswidrig erlangte oder rechtswidrig aufrechterhaltene Rechtsposition wieder zu vernichten. D e r überwiegende Teil der hier untersuchten Verbandsklagen ist dagegen auf Unterlassung zukünftiger oder Beseitigung fortdauernder faktischer Störungen gerichtet. Dies gilt vor allem für die praktisch bedeutsamen Verbandsklagen gem ä ß § 8 U W G sowie §§ 1 und 2 U K l a G . Bei ihnen geht es nicht darum, daß der Beklagte eine Rechtsposition rechtswidrig erlangt hat oder unterhält, sondern um die Beendigung und Prävention seines rechtswidrigen faktischen Handelns. Die Verbandsklagen auf Unterlassung und Beseitigung lassen sich daher als moderne Varianten der römischen Popularinterdikte einordnen. Als dritte Gruppe der hier untersuchten Kompetenzen kann man die vergleichsweise jungen Verbandsklagen auf Gewinnabschöpfung in § 1 0 U W G und § 3 4 a G W B zusammenfassen. Sie schließen von ihrer Funktion, systematischen Stellung und Entstehungsgeschichte her an die Unterlassungs- und Beseitigungsklagen an, indem sie sich gegen rechtswidriges faktisches Handeln des Beklagten richten. Dieses soll aber nun zusätzlich durch Abschöpfung eines insoweit rechtswidrig erzielten Gewinns sanktioniert werden. Diese Abschöpfung erfolgt jedoch nicht zu-
Dazu unten, S.365ff. Urteile, die auf Abgabe einer Willenserklärung lauten, werden wegen der Wirkung des § 894 Abs. 1 ZPO daher zumindest »der Sache nach« auch als Gestaltungsurteile eingeordnet, so Larenz, Derogierende Kraft des Gerichtsgebrauchs? NJW 1 9 5 1 , 4 9 7 , 4 9 9 m.w.N. Anders allerdings die wohl herrschende Auffassung, welche die Fiktionswirkung des § 894 nicht zum Urteilsinhalt, sondern »nur als Vollstreckungswirkung« bezeichnet, so Stein/Jonas /Brehm, ZPO, § 894 Rn. 3 m.w.N. Es ist aber gerade die Besonderheit der Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung, daß bei ihr Urteilsinhalt und Vollstreckungswirkung zusammenfallen. 766
767
190
2. Kapitel: Popular-
und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
gunsten derjenigen, die aufgrund des rechtswidrigen Verhaltens etwas verloren haben - im Regelfall also die Kunden des beklagten Unternehmens - , sondern zugunsten des Bundeshaushalts. Ähnlich wie die auf Zahlung einer Privatstrafe gerichteten römischen actiones populäres haben auch diese neuen Gewinnabschöpfungskompetenzen daher keinen ausgleichenden, sondern eher strafenden und generalpräventiven Charakter. Im Unterschied zu ihren römischen Vorläufern kommt die zu zahlende Summe jedoch nicht dem Kläger, sondern dem Staat zugute. Daher kann man bezüglich der neuen Gewinnabschöpfungskompetenzen auch nicht von einer Privatstrafe im klassischen Sinne reden. Es ist außerdem auffällig, daß es jedenfalls nach dem Wortlaut der einschlägigen Vorschriften 768 keine Populär- und Verbandsklagen auf Feststellung gibt. Im Verhältnis zwischen dem jeweiligen Verbandskläger und dem Beklagten ist dies nicht weiter problematisch und durchaus folgerichtig, da die regelmäßig mögliche Leistungsklage - etwa auf Unterlassung - das weitergehende Instrument ist. Dem klagenden Verband sind mit einem gemäß § 890 ZPO bewehrten Unterlassungsurteil mehr Mittel zur Durchsetzung des objektiven Rechts in die Hand gegeben als mit der bloßen Feststellung eines Rechtsverstoßes durch den Beklagten. Das Fehlen einer Feststellungsklage muß allerdings dann als Manko empfunden werden, wenn man über den konkreten Rechtsstreit zwischen Verband und Beklagtem hinausblickt: Gibt es möglicherweise eine präjudizierende Wirkung hinsichtlich der Rechtswidrigkeit bestimmter Handlungen für spätere Prozesse zwischen denselben oder gar anderen Parteien? Einen Schritt in eine derartige Richtung macht die mit § 11 UKlaG verbundene Feststellungswirkung des gegen einen Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen ergangenen Unterlassungsurteils. Die Frage nach der feststellenden Wirkung von Urteilen im Populär- oder Verbandsklageverfahren ist also eine der Rechtskraftwirkung und daher erst an jener Stelle zu vertiefen. Schließlich ist auch hinsichtlich des Klagziels noch nach der Konsistenz der gesetzgeberischen Wertungen zu fragen. Dabei ist die Trennung zwischen Gestaltungs- und Leistungsklagen noch recht einleuchtend, denn für eine Gestaltungsklage besteht nur dort ein Bedürfnis, wo eine bestimmte Rechtsposition im Interesse der objektiven Rechtsordnung zu vernichten ist. Innerhalb der Leistungsklagen ist es dagegen nicht recht einsichtig, warum bei bestimmten Rechtsverstöße nur Klagen auf Unterlassung oder Beseitigung gestattet werden, bei anderen dagegen zusätzlich die strafende Sanktion der Gewinnabschöpfung zugunsten des Bundeshaushalts möglich ist. Dies ist zunächst historisch zu erklären, da die Gewinnabschöpfungskompetenz erst mit der Neufassung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb erfunden und anschließend fast unverändert in das Kartellrecht übernommen wurde. Das etwas ältere Unterlassungsklagengesetz und seine noch älteren Vorbilder im AGB-Gesetz sind von dieser Inno768
Zu einem abweichenden Vorschlag bezüglich § 10 UWG siehe oben, S. 123.
XI. Gemeinsame
Strukturprobleme
191
vation noch unberührt. In sachlicher Hinsicht ist diese Unterscheidung jedoch k a u m begründbar. Verstöße gegen das Lauterkeits- oder Kartellrecht sind ja nicht per se strafwürdiger oder gravierender als solche gegen die von § § 1 und 2 U K l a G geschützten N o r m e n . W a r u m sollte etwa ein Gewinn nicht abgeschöpft werden können, wenn er auf der vorsätzlichen Verwendung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen oder auf vorsätzlichem Verstoß gegen Verbraucherschutzgesetze beruht? Die zur Begründung der neuen Gewinnabschöpfungskompetenzen herangezogene Überlegung v o m rationalen Desinteresse der Betroffenen und dem daraus entstehenden Durchsetzungsdefizit gilt genauso für diese Bereiche. Allerdings ist aufgrund der bereits erwähnten weiten Überschneidungen der sachlichen Anwendungsbereiche bereits nach geltendem R e c h t davon auszugehen, daß sowohl die Verwendung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen als auch der Verstoß gegen Verbraucherschutzgesetze im Sinne von
§2
U K l a G über §§ 1 0 , 3 , 4 Nr. 1 1 U W G mit einer Gewinnabschöpfung sanktioniert werden k ö n n e n . 7 6 9 Rechtspolitisch ist hier jedoch eine Klarstellung wünschenswert, die zunächst von der oben bereits geforderten grundsätzlichen Klärung des sachlichen Anwendungsbereichs der Populär- und Verbandsklagen
abhängt.
Darüber hinaus werfen die insbesondere gegenüber § 10 U W G im Schrifttum erhobenen Bedenken die rechtspolitische Frage nach der Zweckmäßigkeit und Effektivität dieses Regelungsmodells a u f . 7 7 0
4. Rechtskraft und Rechtshängigkeit Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, daß das Problem der Rechtskraft und Rechtshängigkeit bei allen Populär- und Verbandsklagen besonders virulent ist. Dies ergibt sich aus zwei besonderen Eigenschaften dieser Klagen, nämlich der Mehrheit der potentiellen Akteure einerseits und ihrem komplementären Verhältnis zum individuellen Rechtsschutz andererseits. Aus der Mehrheit potentieller Akteure ergibt sich stets das Problem gleichzeitiger oder nacheinander stattfindender Prozesse zu - untechnisch gesprochen ein und demselben Gegenstand. Anders als noch im römischen Recht wird dieses Problem im heute geltenden R e c h t jedoch gerade nicht über den Begriff des Streitgegenstands gelöst. Die heute herrschende M e i n u n g geht davon aus, daß ein eigener Streitgegenstand für die Klage eines jeden Verbandes besteht, mögen diese Klagen auch dasselbe Verhalten des Beklagten betreffen. 7 7 1 Dies wird damit begründet, daß der Streitgegenstand nicht von der Person des »Anspruchsinhabers« abgekoppelt werden k ö n n e . 7 7 2 Insoweit gelte ein 769 770 771 772
»inter-partes-Dog-
Siehe oben, S.121. Dazu unten, S.387. BGH 5.1. 1960, GRUR 1960, 379, 380; Greger, ZZP 113 (2000) 399, 408. Urbanczyk, a.a.O. 153f.
192
2. Kapitel: Popular-
und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
ma«. 7 7 3 Da also dieser Weg zur Lösung des Problems der Mehrfachklage verstellt erscheint, werden statt dessen Ersatzlösungen gesucht und angewandt. Diese werden entweder im materiellen Recht angesiedelt - insbesondere durch die Annahme eines Wegfalls der Wiederholungsgefahr - oder es werden allgemeine Überlegungen zum mangelnden »Rechtsschutzbedürfnis« für eine zweite, dritte oder vierte Klage angestellt. Will man hier zu einer einheitlichen und überzeugenden Lösung kommen, so ist zunächst zu fragen, warum eine Lösung über den Streitgegenstand der heute herrschenden Meinung nicht mehr möglich erscheint. Insbesondere ist zu überprüfen, ob das von dieser angeführte inter-partes-Dogma auch für Populär- und Verbandsklagen gelten kann. Die zweite Problematik in diesem Bereich betrifft nicht das Verhältnis mehrerer Populär- und Verbandsklagen untereinander, sondern ihr Verhältnis zur Durchsetzung individueller Rechte. Wenn durch Populär- und Verbandsklagen tatsächlich die Durchsetzung des objektiven Rechts gefördert werden soll, dann wäre eine möglichst breite Wirkung dieser Klagen auch im Hinblick auf individuelle Rechtsstreitigkeiten sinnvoll. Der Gesetzgeber hat jedoch nur einen Versuch in dieser Richtung unternommen, nämlich in § 11 UKlaG. Die damit verbundenen dogmatischen Probleme sind oben bereits beschrieben worden. 7 7 4 Eine sinnvolle allgemeine Lösung dieser Problematik steht noch aus. Daher ist zu untersuchen, ob sich neben § 11 UKlaG auch aus allgemeinen Grundsätzen des geltenden Rechts gewisse rechtliche Breitenwirkungen eines Urteils im Popularund Verbandsklageverfahren ableiten lassen. Die Antwort auf diese Frage muß für die verschiedenen Klagearten getrennt untersucht werden, da ein Gestaltungsurteil bereits aufgrund seines Inhalts eine ganz andere Breitenwirkung entfaltet als ein Leistungsurteil. In rechtspolitischer Absicht könnte man darüber hinaus erwägen, gewisse Breitenwirkungen gesetzlich anzuordnen. 7 7 5
5. Dispositionsbefugnis Auch für die hier unter dem Oberbegriff der Dispositionsbefugnis zusammengefaßten Probleme hat sich die Hypothese bestätigt, daß sämtliche Populär- und Verbandsklagen diesbezügliche Besonderheiten aufweisen. a)
Abtretung
Allerdings wurde die Abtretung als eine der Grundformen der Disposition über die eigene Berechtigung in der Diskussion um die Populär- und Verbandsklage zunächst kaum erörtert. Gerade bei der jedermann ohnehin zustehenden Popu773 774 775
Greger, ZZP 113 (2000) 399, 4 0 8 . Siehe S. 148 ff. Dazu unten, S . 3 8 8 f f .
XI. Gemeinsame
Strukturprobleme
193
larklage gibt es dafür kaum ein praktisches Bedürfnis, und auch bei der Verbandsklage sind Abtretungen der Klageberechtigung bisher nicht bekannt geworden. Durch die ausdrückliche Erwähnung der Abtretung in § 3 Abs. 1 Satz 2 UKlaG ist das Problem allerdings zumindest theoretisch relevant geworden. Die in dieser Vorschrift enthaltenen und darüber hinaus auch für andere Verbandsklagen in der Literatur vorgeschlagenen Beschränkungen oder gar Verbote der Abtretung zeigen, daß die Verbandsklagekompetenz bereits in dieser Hinsicht kaum zur Disposition ihres Inhabers steht. Dies deutet bereits auf einen prinzipiellen Unterschied zu den generell abtretbaren »Forderungen« hin, von denen § 3 9 8 Satz 1 BGB spricht.
b)
Verzicht
Als weitere Grundform der Disposition über die eigene Berechtigung hat sich auch der Verzicht bei allen untersuchten Populär- und Verbandsklagen als problematisch erwiesen. Dabei sind zwei Problemkomplexe zu unterscheiden, nämlich der Verzicht auf eine materielle subjektiv-rechtliche Position einerseits - etwa im Sinne eines Erlaßvertrags gemäß § 3 9 7 Abs. 1 BGB - und der Verzicht auf die Klagebefugnis andererseits. Ersteres hängt davon ab, ob eine derartige subjektiv-rechtliche Position überhaupt besteht, woran erhebliche Zweifel bestehen. Diese müssen im folgenden dogmatischen Teil geklärt werden. Der Verzicht auf die Klagebefugnis wird insbesondere im Patent- und Markenrecht ganz unterschiedlich beurteilt. Während er als pactum de non petendo bei der patentrechtlichen Popularklage jedenfalls von der neueren Rechtsprechung zugelassen wird, wird ein solches pactum bei der markenrechtlichen Popularklage von der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung im Schrifttum für unzulässig gehalten. Sachliche Unterschiede zwischen diesen beiden Materien, die diese diametral entgegengesetzte Behandlung rechtfertigen könnten, sind kaum erkennbar. 776 Das Reichsgericht sah einen Unterschied zwischen Patentrecht und Markenrecht darin, daß Fragen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Patentschutzes, insbesondere die Frage nach der Neuheit gegenüber dem Stand der Technik, »in vielen Fällen einer durchaus verschiedenen Beantwortung fähig sind, und daß daher im Rahmen des Patentrechts die Wirksamkeit eines Vertrags (Vergleichs) über die Ausschließung der Nichtigkeitsklage nicht zu beanstanden« sei. 777 Diese Äußerung muß man dahingehend interpretieren, daß das Reichsgericht im Patentrecht ein gesteigertes Interesse an der dauerhaften Beilegung von Streitigkeiten zwischen den Parteien anerkennt. Entscheidend ist aber die vom Reichsgericht nicht angesprochene Frage, ob und warum dieses Interes7 7 6 Vgl. Jackermeier, Die Löschungsklage im Markenrecht 153: Die konträren Standpunkte zur Nichtangriffsabrede im Marken- und Patentrecht lassen sich »nur mühsam durch Unterschiede zwischen Warenzeichenlöschungsklage und Patentnichtigkeitsklage rechtfertigen.« 7 7 7 R G 1 7 . 4 . 1928, R G Z 120, 4 0 2 , 4 0 6 .
194
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
se gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit an der Vernichtung rechtswidrig erteilter Patente überwiegen soll. Dieser Interessenkonflikt stellt sich strukturell bei allen Populär- und Verbandsklagen ein. Die Parteien mögen für ihre Zwecke an einer gütlichen und dauerhaften Beilegung des Streits interessiert sein, aber anders als im Individualprozeß ist es keineswegs selbstverständlich, daß sie sich ihrer im Allgemeininteresse gewährten Berechtigungen zu diesem Zwecke auch dauerhaft entledigen können. Letzteres hat der Bundesgerichtshof für die Verbandsklage zur AGBKontrolle ausdrücklich abgelehnt. Auch hier ist daher zu überprüfen, ob die widersprüchlichen Aussagen zur Zulässigkeit eines pactum de non petendo auf eine einheitliches dogmatisches Fundament gestellt werden können. Dazu muß allerdings auch die Berechtigung dieses Instituts insgesamt auf den Prüfstand gestellt werden. 778 c)
Klagerücknahme
Die Klagerücknahme ist bei allen untersuchten Populär- und Verbandsklagen nach den allgemeinen Regeln möglich. Eine Besonderheit liegt hier nur darin, daß die Rechtsprechung zur patentrechtlichen Popularklage die Klagerücknahme jederzeit ohne Zustimmung des Beklagten für zulässig erklärt. Dies wird mit dem Charakter der Popularklage als Wahrnehmung allgemeiner Interessen erklärt, die niemandem aufgezwungen werden könne. 779 Diese Begründung gilt in vergleichbarer Weise aber für alle hier untersuchten Populär- und Verbandsklagen. Es ist daher zu prüfen, ob eine solche Abweichung von § 269 Abs. 1 ZPO für alle diese Klagekompetenzen zweckmäßig ist. 780 d) Klagverzicht
und
Anerkenntnis
Auch Klagverzicht und Anerkenntnis haben sich als prozessuale Entsprechungen materiell-rechtlicher Dispositionsbefugnisse bei allen untersuchten Populär- und Verbandsklagen als nicht ganz unproblematisch erwiesen. Für das Anerkenntnis konnte immerhin festgestellt werden, daß es weitgehend zulässig sein muß, da auf Seiten des Beklagten entweder eine individuell zugewiesene und auch verzichtbare Rechtsposition - wie Patent oder Marke - steht oder aber ein faktisches Verhalten, auf das der Beklagte ebenfalls verzichten kann, wie etwa eine bestimmte Werbemaßnahme oder die Verwendung bestimmter Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Wesentlich problematischer ist dagegen der Klageverzicht durch den Populär- und Verbandskläger, da die mit einer solchen Klage bezweck-
778 779 780
Siehe unten, S. 3 2 6 . BGH 22.6. 1993, GRUR 1993, 895. Dazu unten, S . 3 2 8 .
XI. Gemeinsame
Strukturprobleme
195
te Kontrolle der Einhaltung des objektiven Rechts nicht der Disposition des Populär- oder Verbandsklägers unterliegt. Der Bundesgerichtshof hat dies etwa in Bezug auf die AGB-Kontrollklage so ausgedrückt, daß der Verbandskläger keine »Genehmigungsbehörde« für Allgemeine Geschäftsbedingungen sei. 7 8 1 Es ist daher zu überprüfen, o b sich aus den Besonderheiten der Populär- und Verbandsklagekompetenzen auch Besonderheiten hinsichtlich des Klageverzichts ergeben.782 Die vorstehenden Ausführungen gehen von einer Leistungs- oder Gestaltungsklage des Populär- oder Verbandsklägers aus, bei welcher der Beklagte derjenige ist, dem das rechtswidrige Verhalten vorgeworfen oder die angeblich rechtswidrig erlangte Position streitig gemacht wird. Im Falle einer negativen Feststellungsklage gegen den potentiellen Populär- oder Verbandskläger sind diese Rollen vertauscht, ohne daß sich an den sachlichen Wertungen etwas änderte: Ein Klageverzicht des Klägers einer solchen Feststellungsklage erscheint durchaus möglich, während ein Anerkenntnis etwa eines Verbraucherverbands nicht unproblematisch erscheint. Auch auf diese Konstellation ist daher bei der Ausarbeitung einer einheitlichen Lösung noch einzugehen.
e)
Vergleich
Die Zulässigkeit eines Vergleichs hängt bei allen untersuchten Klagekompetenzen von dessen Inhalt hat. Soweit in dem Vergleich die Schranken der Dispositionsfreiheit der beteiligten Parteien nicht überschritten werden, wird er generell auch im Populär- und Verbandsklageprozeß für zulässig gehalten. Hinsichtlich des Prozeßvergleichs ist in der Literatur das zusätzliche Problem angesprochen worden, o b und inwieweit das Gericht den Inhalt desselben zu kontrollieren hat.
6. Unzulässige Rechtsausübung Die Problematik eines möglichen M i ß b r a u c h s der Populär- und Verbandsklagekompetenz taucht an vielen Stellen der Bestandsaufnahme auf. M a n darf daher sagen, daß sich die Mißbrauchsdiskussion »wie ein roter F a d e n « 7 8 3 durch die Diskussion über die Populär- und Verbandsklage in Deutschland zieht. Dies ist nicht selbstverständlich, denn in den Niederlanden, in der die Verbandsklage einen ganz umfassenden Anwendungsbereich hat, werden besondere Vorkehrungen gegen ihren M i ß b r a u c h nicht für nötig gehalten. 7 8 4 Die gesamte Diskussion zum M i ß b r a u c h dieser Kompetenzen und zu ihrer unzulässigen Ausübung ist allerdings von einem zentralen Widerspruch gekenn781 782
783 784
BGH 15.2. 1995, N J W 1995, 1488, 1489. Dazu unten, S . 3 2 9 . Baetge, ZZP 112 (1999), 329, 350. Ebd. mit Verweis auf Frenk, Kollektive akties in het privaatrecht 355 f.
196
2. Kapitel: Popular-
und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
zeichnet: Einerseits wird gegen eine mögliche Verwirkung und gegen andere auf das Verhalten des Klägers bezogene Einwendungen damit argumentiert, daß der Populär- oder Verbandskläger nur das Allgemeininteresse wahrnehme und ihm daher sein persönliches Verhalten oder seine besonderen Motive nicht vorgeworfen werden können. Der Popularkläger trete seinem Prozeßgegner nicht als »bestimmte Einzelperson, sondern lediglich als Vertreter allgemeiner Interessen gegenüber.« 785 Andererseits aber wird es vom Gesetzgeber in § 8 Abs. 4 UWG und in § 2 Abs. 3 UKlaG als mißbräuchlich angesehen, wenn eine Populär- oder Verbandsklage zum Zwecke der Einnahmeerzielung erhoben wird. Bei diesen Vorschriften tritt also das anderswo vehement verteidigte Allgemeininteresse an der Durchsetzung des objektiven Rechts in den Hintergrund und weicht der Bezugnahme auf die Person des Klägers, auf ihr Verhalten und ihre Motivation. Auch dieser deutliche Widerspruch bedarf einer grundsätzlichen Betrachtung anhand der Spezifika der Populär- und Verbandsklage. 7. Sachverhaltsermittlung Auch für die Sachverhaltsermittlung hat die Bestandsaufnahme der Populär- und Verbandsklagen erhebliche Abweichungen vom Individualprozeß ergeben. Diese Abweichungen reichen von der Geltung des Untersuchungsgrundsatzes bei der patentrechtlichen Popularklage über die Beteiligung des Kartellamts bei Klagen nach § 33 GWB bis hin zur Diskussion um die besondere Bedeutung und richterliche Ermittlung der Normtatsachen im Bereich der AGB-Kontrollklage. Diese Besonderheiten sind kein Zufall, sondern hängen unmittelbar mit den sachlichen Anwendungsbereichen der Populär- und Verbandsklage zusammen. Es handelt sich ganz überwiegend um die Durchsetzung solcher Normen des objektiven Rechts, deren Anwendung einen besonderen Informationsbedarf hervorruft. Zu diesen notwendigen Informationen haben die Parteien keinen privilegierten Zugang, so daß der auf derartiger Sachnähe beruhende Beibringungsgrundsatz nicht oder nur eingeschränkt gelten kann. Nur beispielhaft seien etwa folgende Normen mit den für ihre Auslegung nötigen »Makrodaten« 7 8 6 genannt: Im Patentrecht bedarf es umfangreicher Ermittlungen zum »Stand der Technik« gemäß § 3 Abs. 1 PatG. Im Lauterkeitsrecht benötigt das Gericht zur Beurteilung einer Werbemaßnahme als »irreführend« gemäß §5 Abs. 1 UWG »Feststellungen [...], die die Auswirkungen der Werbung bei den angesprochenen Verbraucherkreisen zum Inhalt haben und deshalb über die von den Prozeßbeteiligten überschaubaren Verhältnisse hinausgehen.« 787 Ähnliches gilt für die 785 R G 1 7 . 4 . 1928, R G Z 120, 4 0 2 , 4 0 5 zur zeichenrechtlichen Popularklage; ähnlich zur lauterkeitsrechtlichen Verbandsklage B G H 1 4 . 3 . 1985, W M 1985, 1 1 5 3 , 1154; zur AGB-Verbandsklage B G H 1 5 . 2 . 1995, N J W 1995, 1488, 1489. 786 So der Begriff bei Sander, a . a . O . 144. 787 Rüßmann, KritV 1991, 4 0 2 , 4 1 0 .
XI. Gemeinsame
Strukturprobleme
197
Frage, o b von einer M a r k e eine Täuschungsgefahr gemäß § 4 9 Abs. 2 Nr. 2 M a r k e n G ausgeht oder o b eine M a r k e gemäß § 4 9 Abs. 2 Nr. 1 M a r k e n G zu einer allgemeinen Bezeichnung geworden ist. 7 8 8 Hinsichtlich der AGB-Kontrollklage ist die Bedeutung der richterlichen Ermittlung derartiger Normtatsachen schließlich besonders deutlich g e w o r d e n . 7 8 9
8.
Kosten
Für fast alle der untersuchten Populär- und Verbandsklagekompetenzen besteht eine gesetzlich geregelte Möglichkeit der Streitwertherabsetzung. Dies wird jeweils damit begründet, daß der zur Durchsetzung des objektiven Rechts erwünschte Zugang dieser Kläger zum Gericht nicht übermäßig erschwert werden soll. Hier ist zunächst zu überprüfen, o b derartige besondere Vorschriften überhaupt notwendig sind oder o b sich das gewünschte Ergebnis nicht bereits aus den allgemeinen Regeln über den Streitwert ergibt. N u r wenn dies nicht der Fall ist, wäre in rechtspolitischer Hinsicht über eine Vereinheitlichung der vereinzelten und nicht immer identischen Vorschriften über die Streitwertherabsetzung nachzudenken. Hinsichtlich der zeitweilig umstrittenen Frage der Kostenerstattung für eine berechtigte A b m a h n u n g 7 9 0 hat der Gesetzgeber in § 12 Abs. 1 U W G eine einheitliche Regelung gefunden, die kraft der Verweisung des § 5 U K l a G auch auf die Verbandsklagen nach dem Unterlassungsklagengesetz Anwendung findet. Hier ist zu überprüfen, o b diese einheitliche Regelung auch auf die anderen hier untersuchten Populär- und Verbandsklagen erstreckt werden kann.
9.
Verjährung
Hinsichtlich der Verjährung der Populär- und Verbandsklagebefugnisse hat die Untersuchung k a u m Besonderheiten gezeigt. Sie ist in vielen Fällen dieser Art jedoch schon deshalb nicht relevant, weil die Klage einen fortdauernden Störungszustand beseitigen soll und ohne einen solchen ohnehin nicht begründet ist. 7 9 1 D a r ü b e r hinaus wirft die zur AGB-Kontrollklage dargestellte Diskussion über die europarechtliche Beurteilung bestimmter Verjährungsregeln die durchaus verallgemeinerbare Frage auf, o b Populär- und
Verbandsklagekompetenzen
überhaupt der Verjährung unterliegen sollten. Es besteht hier ein gewisser Konflikt zwischen dem mit ihnen verfolgten Ziel der effektiven Durchsetzung des objektiven Rechts und dem Anliegen der Verjährungsregeln, das nach gewissem Siehe oben, S. 88. Siehe oben, S. 166 ff. 7 9 0 Zum diesbezüglichen Streitstand vor der UWG-Reform Halfmeier, Kollektiver Rechtsschutz 137, 140ff. 7 9 1 Dazu oben, S. 119. 788
789
in: Brönneke (Hrsg.),
198
2. Kapitel: Popular- und Verbandsklagekompetenzen
im geltenden
Recht
Zeitablauf Rechtsfrieden herrschen möge. Allerdings ist dieser Zielkonflikt jeder Verjährungsregelung immanent und daher wohl kein Spezifikum der Popularoder Verbandsklage.
Drittes
Kapitel
Zur Dogmatik der Popular- und Verbandsklage
Im Schlußteil des letzten Kapitels ist eine Reihe von gemeinsamen Strukturproblemen der Populär- und Verbandsklage deutlich geworden, die einer grundsätzlicheren Bearbeitung bedürfen. Alle diese Probleme hängen jedoch damit zusammen, daß Populär- und Verbandsklagen als etwas Besonderes im zivilrechtlichen Rechtsschutzsystem anzusehen sind, als etwas, was vom zivilistischen N o r m a l fall abweicht, möglicherweise gar als »Fremdkörper« 1 im Zivilprozeßrecht. Für Populär- und Verbandsklagen gelten besondere prozessuale Regeln, und ihre Existenz wird als einer besonderen Begründung bedürftig angesehen. Diese Differenz zwischen dem Normalfall individueller Rechtsdurchsetzung und der Populär- und Verbandsklage m u ß auch der Ausgangspunkt für eine dogmatische Erfassung dieser Phänomene sein. Daher sollen zunächst die Spezifika der Populär- und Verbandsklage herausgearbeitet werden und erst in einem zweiten Schritt - im nächsten Kapitel - die Lösung der einzelnen Strukturprobleme versucht werden.
I. Popularklage als objektive Rechtskontrolle 1. Begriff der Popularklage Der Begriff der Popularklage wird vielfach in der Weise erläutert, d a ß es sich um eine Klage handelt, die keine individuelle Betroffenheit oder Beschwer des Klägers voraussetzt, 2 oder daß keine Verletzung von Rechten oder rechtlich geschützter Interessen des Klägers vorausgesetzt wird. 3 Diese Erläuterung ist in gewisser Hinsicht zirkulär, denn rein faktisch betrachtet wird niemand eine Popularklage ohne M o t i v anstrengen. Die Existenz einer Popularklagekompetenz belegt dann nur, daß die Rechtsordnung eben auch solche M o t i v e respektiert. Von einer Umweltkatastrophe in der Nordsee können auch ökologisch interes-
Schumann, in: Stein/Jonas, ZPO (20. Aufl. 1979) Einl. ZPO Rn.527. Schmitt Glaeser, in: Deutsches Rechts-Lexikon 3318 (»keine eigene Beschwer« des Popularklagen erforderlich). 3 Thiere, Die Wahrung überindividueller Interessen im Zivilprozeß 290; Sellert, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte III 1827. 1
2
200
3. Kapitel: Zur Dogmatik
der Popular- und
Verbandsklage
sierte Menschen in Berlin »betroffen« sein, und zwar in dem Sinne, daß sie sich davon bedroht fühlen oder etwas dagegen tun möchten. Auch der Begriff des geschützten Interesses - der im folgenden noch näher zu untersuchen ist - kann nicht auf materielle Interessen im Sinne von Vermögenseinbußen beschränkt werden. Das Recht schützt nicht nur diese, sondern unter Umständen auch immaterielle Interessen. Bereits die Theoretiker der Interessenjurisprudenz, die den Begriff des Interesses ins Zentrum ihrer juristischen Methode rückten, verstanden diesen Begriff sehr weit. Auch »ideale, religiöse, nationale, ethische Interessen« sollten von ihm umfaßt sein.4 Eine Popularklagekompetenz erweitert also in gewissem Sinne gerade das Spektrum der rechtlich geschützten Interessen und der rechtlich relevanten Betroffenheit. Trotzdem ist die Definition der Popularklage als Kompetenz ohne Betroffenheit oder ohne Interessenverletzung sinnvoll. Sie ist nämlich so zu verstehen, daß die Motive der Klagerhebung nicht geprüft werden. Der Tatbestand der Popularklage enthält keinerlei Voraussetzungen hinsichtlich der Betroffenheit oder Motivation des Klägers. Die Berechtigung zur Popularklage etwa im Patentrecht besteht unabhängig davon, ob der Kläger selbst ein wirtschaftliches Interesse an der Nichtigkeit des Patents hat - etwa weil er dieselbe Erfindung wirtschaftlich verwerten will - oder ob er an der Nichtigkeit des angegriffenen Patents etwa »nur« moralisch oder politisch interessiert ist; man denke an die Diskussion um die Patentierung von Lebewesen. Soweit bei der Frage der Zulässigkeit einer Popularklage doch auf die Motive des Klägers rekurriert wird, nämlich insbesondere bei der im Patentrecht entwickelten Strohmann-Lehre5 und im Rahmen des § 8 Abs. 4 UWG, handelt es sich hierbei um Ausnahmen von den üblicherweise auf die Popularklage angewandten Regeln, deren dogmatische Berechtigung noch zu klären sein wird. Zunächst bleibt also festzuhalten, daß die Popularklage mit Recht als eine Klagekompetenz beschrieben wird, die von den persönlichen Verhältnissen, Motiven und Interessen des Berechtigten gänzlich abstrahiert: Im System der Popularklage hat keine Bedeutung, ob der Kläger wirkliche oder vermeintliche, eigene oder fremde, private oder öffentliche Interessen wahrnimmt: Er kommt zu seiner Anfechtungsberechtigung ohne besondere Legitimation. 6
Es ist beispielsweise für die rechtliche Behandlung einer populären actio de effusis vel deiectis irrelevant, ob der Kläger sich tatsächlich von aus Mietshäusern ausgegossenen Flüssigkeiten bedroht, beschwert oder in seinen Interessen verHeck, Das Problem der Rechtsgewinnung 29 f. Dazu oben, S.58. 6 Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen 7f.; ebenso Jackermeier, Die Löschungsklage im Markenrecht 86f.: Popularklage sei durch Wegfall des Erfordernisses individueller Betroffenheit definiert; Thiere, a.a.O. 290: Keine Berufung auf eigene Interessen notwendig. 4
5
I. Popularklage als objektive
Rechtskontrolle
201
letzt fühlt, o b er sich zum Ziel gesetzt hat, die Stadt vor derartigen Gefahren zu bewahren, oder o b ihn die Sicherheit der römischen Straßen herzlich wenig interessiert, wohl aber die in Aussicht genommene Strafzahlung. E b e n s o irrelevant ist es bei der patentrechtlichen Nichtigkeitsklage, o b der Kläger diese aus eigennützigen Motiven erhebt oder o b er dies aus moralischer Sorge etwa um die Patentierbarkeit von Lebewesen tut.
2 . Popularklage und Interessentenklage Allerdings wird in diesem Z u s a m m e n h a n g auch behauptet, es handele sich bei den patent- und markenrechtlichen Popularklagen gar nicht um »wirkliche« Popularklagen, sondern nur um »Interessentenklagen«. 7 M i t diesem Begriff soll bezeichnet werden, daß der Kläger immerhin ein eigenes Interesse am Streitgegenstand habe, so daß das Verfahren letztlich doch einen individuellen Schutz bezwecke. 8 Eine solche Abgrenzung zwischen Populär- und Interessentenklagen kann aber nicht überzeugen. Der Begriff des Interesses umfaßt auch immaterielle W ü n s c h e und Motivationen, so daß jeder an allem Interesse haben k a n n . 9 Der Popularkläger zeigt sein Interesse am Gegenstand der Klage schon durch die Erhebung derselben. 1 0 Gegen eine Einordnung der patent- und markenrechtlichen Jedermannsbefugnisse als Popularklagen wird weiterhin angeführt, daß sie sich gegen die für jedermann wirkende Sperrwirkung der M a r k e und des Patents richten und daher auch jedermann »beschwert« sei. 1 1 Insoweit gleichen sie nach dieser Auffassung den Verkehrszeichen, gegen die ebenfalls jedermann klagen k ö n n e . 1 2 Diese Parallele ist aber verfehlt, da auch gegen Verkehrszeichen keineswegs jedermann klagen kann. Vielmehr gilt auch hier der Grundsatz des § 4 2 Abs. 2 V w G O , daß nur ein von dem jeweiligen Verwaltungsakt Betroffener die Anfechtungsklage erheben k a n n . 1 3 Es ist aber nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge7 Skouris ebd. (echte Popularklage komme im geltenden Recht nicht vor); Bettermann, ZZP 85 (1972) 1 3 3 , 1 4 1 f.; ähnliche Diktion insoweit bei Wagner, Prozeßverträge 105: Die populäre Patentnichtigkeitsklage sei keine »klassische Popularklage«, sondern eine »private Interessentenklage«.
8
Skouris, ebd. 11 f.
Siehe sogleich unten. Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse 267. 11 Weyreuther, Verwaltungskontrolle durch Verbände? 71 f. 12 Ebd. mit Verweis auf BVerwG 9.6. 1967, BVerwGE 2 7 , 1 8 1 , 1 8 5 . Dieser Verweis ist allerdings irreführend, da das Bundesverwaltungsgericht schon in dieser Entscheidung keineswegs jedermann die Klage gegen jedes Verkehrszeichen gewährte, sondern in concreto nur einem Verkehrsteilnehmer, der im Bereich des angegriffenen Parkverbots parkte oder zu parken beabsichtigte. 1 3 Vgl. zur Qualifikation der Verkehrszeichen als Verwaltungsakte Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht 207ff. m.w.N.; BVerwG 13.12. 1979, BVerwGE 59, 221, 226; BVerwG 2 1 . 8 . 2 0 0 3 , DVB1. 2004, 518. 9
10
202
3. Kapitel: Zur Dogmatik
der Popular- und
Verbandsklage
richts keineswegs jedermann von jedem Verkehrszeichen in der gesamten Republik betroffen. Ein Verkehrsteilnehmer werde vielmehr erst dann zum Adressaten des Verkehrszeichens und damit »in rechtlich beachtlicher Weise belastet«, wenn er die fragliche Straße befährt. 14 Das Bundesverwaltungsgericht will mit dieser Voraussetzung ausdrücklich eine »unzulässige Popularklage« gegen Verkehrszeichen ausschließen.15 Hinzu kommt, daß die für jedermann wirkende Sperrwirkung einer eingetragenen Marke oder eines Patents und damit die angeblich jedermann treffende Betroffenheit höchst abstrakter Art ist. Wird etwa ein Patent auf ein neues Verfahren im Bereich der Nukleartechnik erteilt, so schließt das zwar jeden Bürger von der Nutzung dieses Verfahrens aus, aber kaum einer dieser Bürger wird das wirklich als Beschwer empfinden oder eine solche Nutzung je planen. Es handelt sich also um eine ganz abstrakte Beschwer, die allen absoluten Rechten eigen ist, weil sie per definitionem gegen jedermann wirken. Das heißt aber nicht, daß jedermann gegen den Bestand jedes absoluten Rechts klagen könnte. Es macht daher durchaus Sinn, die patent- und markenrechtlichen Popularklagekompetenzen durch den Begriff der Popularklage von der Durchsetzung konkreter individueller Rechtspositionen abzugrenzen. 3. Klage im öffentlichen Interesse Da also die Lage des Klägers und seine materiellen oder ideellen Interessen für die Ausübung der Popularklagekompetenz prinzipiell irrelevant sind, liegt es nahe, nach einer anderen Rechtfertigung dieser Kompetenz zu suchen. Diese Rechtfertigung wird vielfach darin gesehen, daß der Kläger zwar nicht im eigenen, wohl aber im öffentlichen Interesse klage. 16 Gerade darin unterscheide sich die Populär- und Verbandsklage von normalen zivilrechtlichen Kompetenzen, die regelmäßig dem Schutz individueller Interessen dienen sollen. Teilweise wird dieser Gegensatz auch dergestalt ausgedrückt, daß die Populär- und Verbandsklage im Gegensatz zum sonstigen Privatrecht »überindividuellen« Interessen diene.17
BVerwG 2 1 . 8 . 2003, DVB1. 2 0 0 4 , 518, 519. Ebd. 16 So zur UWG-Verbandsklage bereits RG 2 4 . 1 . 1928, R G Z 120, 4 7 , 4 9 ; dazu Schwartz, FS Ficker 4 1 0 , 415ff.; das öffentliche Interesse wird auch in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs betont, etwa in BGH 2 0 . 3 . 1956, NJW 1956, 911; BGH 15.10. 1969, BGHZ 52, 393, 396; im Schrifttum vgl. etwa Lindacher, FS Deutsche Richterakademie 2 0 9 , 216: Der »Versuch einer dogmatischen Erfassung der Abmahn- und Klagebefugnis der Verbände [...] hat vom konstatierten Befund auszugehen, daß die Aufgreifzuständigkeit derselben vom öffentlichen Interesse und nur vom öffentlichen Interesse her legitimiert ist.« Ahnlich E. Schmidt, NJW 2 0 0 2 , 25, 28 (Kompetenzen des UKIaG seien »Verfolgung kollektiver Interessen« und dienen einem »öffentlichen Anliegen«). Vgl. bereits die Titel der Arbeiten von Homburger/Kötz, Klagen Privater im öffentlichen Interesse; Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse. 17 Thiere, a.a.O. 372. 14
15
I. Popularklage
als objektive
Rechtskontrolle
203
Wieder andere bezeichnen die Verbandsklage als Schutz »diffuser« Interessen,18 also wiederum einer Kategorie von Interessen, die sich von den normalerweise im Privatrecht zu berücksichtigenden Individualinteressen unterscheiden soll. Diese Assoziation der Populär- und Verbandsklage mit einer besonderen Art von öffentlichen, überindividuellen oder diffusen Interessen soll im folgenden auf ihre Aussagekraft hin untersucht werden. a) Begriff des
Interesses
Dazu ist zunächst der Begriff des Interesses unter die Lupe zu nehmen. Etymologisch gesehen hat er erhebliche Beziehungen zur Rechtswissenschaft, denn im römischen Recht bezeichnete man mit interest die Differenz zwischen zwei Wertsummen oder - allgemeiner gesprochen - den zu leistenden Schadensersatz.19 Erst später entwickelte sich die umgangssprachliche Verwendung im Sinne eines Nutzens oder einer Anteilnahme an etwas. 20 Es ist daher kein Zufall, daß die römische Popularklage mit der utilitas publica begründet wird, nicht mit einem interest. Utilitas publica war hier der Nutzen für jedermann. 21 Heute dagegen werden Nutzen und Interesse im wesentlichen gleichbedeutend verwendet. Auch diese Verwendung ist aber zweideutig: Sie umfaßt sowohl das, was objektiv nützlich ist, als auch das, woran man schlicht »interessiert« ist, was eine Person also subjektiv als nützlich oder angenehm empfindet. Teilweise werden daher auch die »wahren« objektiven Interessen von den bloß faktischen Interessen der Menschen unterschieden.22 In letzterem faktischen Sinne verstand auch die Interessenjurisprudenz ihren Zentralbegriff: Er wird erläutert als »Begehrungsdisposition«, als »latente Wünsche und Neigungen«. 23 Es ist wohl das Verdienst der Interessenjurisprudenz, daß es heute üblich ist, einen Zusammenhang zwischen der dogmatischen Behandlung von Rechtsnormen und den mit ihr verbundenen Zwecken und Interessen herzustellen. Dabei stellte der späte Jhering noch den Zweckbegriff in den Mittelpunkt seines Schaffens, während die ihm folgenden Vertreter der Interessenjurisprudenz mit der Erforschung der hinter den gesetzgeberischen Zwecken liegenden Interessen tiefer schürfen wollten. 24 Diese Interessen wurden als die Elemente gedacht, »deren Zusammenwirken die Zweckvorstellung des Gesetzgebers und die Wahl seiner Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht 13. Ausführlich dazu Medicus, Id quod interest 300ff. 20 Orth, »Interesse«, in: Brunner u.a. (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. III, 305, 310ff. Vgl. auch Thiere, a.a.O. 24 m.w.N., der das Interesse als positive Beziehung eines Subjekts im Hinblick auf einen Gegenstand definiert. 2 1 Siehe oben, S. 44f. 2 2 Ausführlich dazu Thiere, a.a.O. 25 ff. 23 Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung 29. 2 4 Ebd. 33: »Aber die Interessenforschung fällt nicht mit der Frage nach dem Gesetzeszweck zusammen [...] Vielmehr geht die Interessenforschung tiefer.« 18
19
204
3. Kapitel: Zur Dogmatik der Popular- und
Verbandsklage
Mittel [...] bewirkt h a b e n . « 2 5 In der heutigen Rezeption der Interessenjurisprudenz wird allerdings mit Recht darauf hingewiesen, daß eine auf normative Wirkung angelegte Dogmatik sich nicht damit begnügen k a n n , den faktisch-historischen Vorgang der Gesetzgebung nachzuvollziehen, sondern die vom Gesetzgeber vorgenommen Wertentscheidungen hinsichtlich der betroffenen Interessen verarbeiten m u ß . 2 6 Es ist daher verständlich, daß der Begriff des öffentlichen Interesses in der Diskussion um die dogmatische Einordnung der Populär- und Verbandsklage eine wichtige Rolle spielt.
b) Mangelnde
Erklärungsmacht
des
Gemeinwohlbegriffs
Trotzdem läßt sich mit dem Begriff des öffentlichen Interesses - oder den gleichbedeutend verwendeten des allgemeinen Interesses, des Gemein- oder Allgemeinw o h l s 2 7 - nicht besonders viel erklären. Zunächst ist zu fragen, was mit dem öffentlichen oder allgemeinen Interesse überhaupt gemeint sein soll. Diese Frage beschäftigte vor allem die politische Philosophie. Besonders Hegel stützte seine Staats- und Rechtsphilosophie auf diesen Begriff. Er sah den Staat als Verwirklichung des »allgemeinen Interesses«, in dem alle partikularen Interessen »bewahrt und enthalten« seien. 2 8 Eine solche Identifikation des Staates und der Rechtsordnung mit dem Allgemeininteresse dient gewöhnlich legitimatorischen Z w e c k e n und verschleiert die Durchsetzung bestimmter Partikularinteressen gegenüber anderen. So wird häufig in der juristischen Diskussion durch Berufung auf das Allgemeininteresse das Privatinteresse einzelner mit einer argumentativen Verstärkung versehen. 2 9 Bereits für das alte R o m sind derartige rhetorische Kunstgriffe beobachtet word e n . 3 0 Heute werden sie etwa dann relevant, wenn die Erweiterung einer privaten Industrieanlage von den Gerichten als im Allgemeininteresse notwendig deklariert wird. 3 1 Angesichts derartiger Argumentationskünste ist es verständlich,
2 5 Ebd. 32ff.; zum Recht als Ergebnis widerstreitender Interessen bereits Jhering, Der Kampf um's Recht 7ff. 2 6 Vgl. dazu nur Staudinger/Comg, BGB (1994) Einl. Rn. 189 und 195. Allerdings wurde dieser Wertbezug auch von den klassischen Vertretern der Interessenjurisprudenz nicht geleugnet, siehe etwa Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz 4: »Was unser Gesetz und unser Leben braucht, das ist ein Richter, der dem Gesetzgeber als denkender Gehilfe zur Seite tritt, der [...] die Werturteile des Gesetzes auch für die nicht geregelten Sachlagen aufgrund eigener Interessenprüfung verwirklicht.« 2 7 Zu den verschiedenen Spielarten dieser Begrifflichkeit Thiere, a.a.O. 29 und 58ff. 28 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § § 2 6 8 , 270. 2 9 Vgl. zu diesem Problemkomplex Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem 525 ff. 3 0 Siehe D. Nörr, FS Bengtson 187, 213. 3 1 Zu aktuellen Fällen dieser Art R. Michaels, KJ 2 0 0 1 , 458ff.; Ekardt, Zukunft in Freiheit 255.
I. Popularklage als objektive
Rechtskontrolle
205
daß die Berufung auf ein Allgemeininteresse »einem denkenden Zeitgenossen eher Unbehagen bereitet.« 3 2 Aus rechtshistorischer Sicht wird sogar die These aufgestellt, daß »Despotie und Gemeinwohlformel eine starke Affinität zeigen.« 3 3 Der Begriff des Gemeinwohls erscheint aus dieser Perspektive geradezu als »autoritär grundiert«. 3 4 Er eröffnet die Möglichkeit, die Staatsführung mit der Wahrung des angeblichen Gemeinwohls zu identifizieren und damit von den Interessen und dem Willen der Beherrschten abzukoppeln. 3 5 Diese Definitionsmacht des Gemeinwohls durch die Herrschenden war eines der zentralen Konzepte des Staatsrechts im deutschen Faschismus. 3 6 D o r t war der Begriff des Gemeinwohls Teil des »herrschaftsideologischen Instrumentariums«. 3 7 Diese autoritäre Tendenz des Gemeinwohlbegriffs und sein oft nur rhetorisch-manipulativer Charakter mahnen bereits zur Vorsicht bei seinem Gebrauch. Andererseits m u ß ein Begriff nicht schon deswegen verworfen werden, weil er vielfach mißbraucht wurde. 3 8 Aber auch eine nicht-manipulative Verwendung des Begriffs vom öffentlichen Interesse gründet sich stets auf eine Bewertung privater Interessen. Spricht m a n davon, daß an etwas ein öffentliches Interesse bestehe, dann ist dies nur ein Kürzel dafür, daß bestimmte Interessen einzelner oder von Teilen der Bevölkerung für besonders schutzwürdig gehalten werden. 3 9 Das öffentliche Interesse in diesem Sinne ist also etwas bewußt gesetztes und nichts, was man objektiv ermitteln oder erkennen k ö n n t e . 4 0 Dieses Element der Setzung im Begriff des öffentlichen Interesses ist auch von der normativ-kritischen Sozialwissenschaft in ihren Analysen der verschiedenen Verwendungsarten des Interessenbegriffs hervorgehoben worden. An die Stelle des abstrakten öffentlichen oder allgemeinen Interesses tritt bei ihr teilweise der Begriff des kollektiven Interesses. Kollektive Interessen erschöpfen sich nicht in einer bloßen Summierung der Partikularinteressen der zu dem jeweiligen Kollektiv gehörenden Individuen. Vielmehr ist das Kollektivinteresse etwas, »auf das sich eine bestimmte Gruppe unter Zurückstellung
Honseil, ZRG (Rom.) 95 (1978), 93. D. Nörr, FS Bengtson 187, 213. Zur historischen Entwicklung des Gemeinwohlbegriffs und zur Diskussion um seine Verwendung siehe etwa v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen 5 ff. 34 Ekardt, KJ 2004, 116, 121. 35 Vgl. dazu Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung 132 ff. 36 Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht 225. 37 Ebd. 304. 38 So zum Gemeinwohlbegriff v. Arnim, a.a.O. 7. 39 Vgl. nur Bull/Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht Rn. 50. 4 0 Anders aber Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I §29 Rn. 5ff., wonach das »wahre öffentliche Gemeininteresse« objektiv »im Wege rationaler Erkenntnis« ermittelbar sei; insoweit im Anschluß an Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts 68. Ein solches Verständnis läßt sich als »normativ-apriorischer Begriff von Gemeinwohl« einordnen, vgl. dazu R.-O. Schultze, in: Nohlen (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 1: Politische Theorien 137. 32
33
206
3. Kapitel: Zur Dogmatik der Popular- und
Verbandsklage
anderer in ihr vertretener Interessen geeinigt hat. « 4 1 Auch die Pluralismustheorie versteht die Bildung eines öffentlichen Interesses als faktischen Ausgleich der divergierenden Interessen in der Gesellschaft, nicht als etwas dieser vorgegebenes. 4 2 Anders als noch bei Hegel kann das öffentliche Interesse daher heute nicht mehr als etwas sich quasi-naturwüchsig entwickelndes verstanden werden, sondern nur noch als etwas bewußt gesetztes, als ein gesellschaftliches Produkt: Das sich in den Rechtsnormen ausdrückende »Allgemeinwohl« einer Rechtsordnung ist in der Demokratie nichts anderes als der »partikulare Wille der Angehörigen einer bestimmten Rechtsgemeinschaft«. 4 3 Diese Idee eines gesetzten und nicht gefundenen öffentlichen Interesses beherrscht auch die Vorstellungen der Interessenjurisprudenz zur Entstehung und Anwendung einer Rechtsnorm. Diese ist ein gesellschaftlich entstandenes und somit von Interessenkonflikten geprägtes Produkt, ein Ergebnis der Abwägung widerstreitender Interessen durch den Gesetzgeber. 4 4 Dies gilt auch und gerade für das Privatrecht, das ja wesentlicher Gegenstand der Interessenjurisprudenz war. Bereits Jhering als ihr Vorläufer erkannte, daß auch eine sich auf einzelne Individuen beziehende N o r m des Privatrechts aufgrund ihrer Rechtsqualität »von gesellschaftlichem Charakter« ist. 4 5 Auch im römischen Recht darf die berühmte Definition des Privatrechts am Anfang der Digesten, wonach Privatrecht das sei, »was sich auf die Interessen der einzelnen bezieht« 4 6 , nicht dahingehend mißverstanden werden, daß das kollektive Wohl im römischen Privatrecht keinen Platz gehabt hätte. Im Gegenteil: Schon damals rechtfertigte sich die Zuerkennung einer »privaten« Berechtigung sowohl im öffentlichen Interesse wie auch im Interesse des jeweils Berechtigten. 4 7 Dieselbe Idee wird in einer modernen K o m m e n tierung des Schuldrechts wie folgt ausgedrückt: Dabei kann man davon ausgehen, daß die Zuweisung eines subjektiven Rechts an ein Rechtssubjekt von der Rechtsordnung mit dem sozialen Sinn versehen worden ist, daß die Ausübung der entsprechenden Befugnisse durch den Berechtigten in der (normierten) sozialen Sphäre sinnvoll ist, die Funktionalität der gesellschaftlichen Beziehungen erhöht (und auch - parallel - die Nichtausübung der entsprechenden Befugnisse durch den Nichtberechtigten sinnvoll ist). 48
41 Mittelstraß, in: ders. (Hrsg.), Methodologische Probleme einer normativ-kritischen Gesellschaftstheorie 126, 138. 4 2 Vgl. nur Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien 297ff.; dazu auch Thiere, a.a.O. 50ff.; Fisahn, a.a.O. 147ff. 43 Habermas, Faktizität und Geltung 188. Vgl. auch Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem 209: Das Gemeinwohl sei in der Demokratie etwas »Aufgegebenes« und nicht etwas »Gegebenes« wie in monarchischer Zeit. 44 Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung 34. 45 Jhering, Der Zweck im Recht 415. 4 6 Ulp. D. 1.1.1.2. 47 Käser, SZ 103 (1986) 1, 6ff. 4 8 Staudinger/;. Schmidt, BGB (1995), §242 Rn.517.
I. Popularklage als objektive
Rechtskontrolle
207
Jede N o r m des Privatrechts ist also Ausdruck kollektiver Wertentscheidungen und kann nicht mit dem bloßen Individualinteresse eines Einzelnen erklärt oder gar gerechtfertigt werden. Subjektive Rechte wie das Eigentum dienen auch aus rechtssoziologischer Sicht »keineswegs nur individuellen Interessen, sondern haben, wie übrigens Individualität schlechthin, durchaus auch soziale Funktionen. « 4 9 Derartige Funktionen zeigen sich etwa in der Diskussion um das Deliktsund Schadensrecht, in der heute weitgehend anerkannt ist, daß die damit bezeichneten N o r m e n nicht nur der Entschädigung eines individuellen Verletzten dienen, sondern auch eine im Kollektivinteresse liegende Präventionswirkung haben sollen. 5 0 Aber auch N o r m e n , die vermeintlich ausschließlich einem Individualinteresse dienen, haben durch den Prozeß ihrer Setzung als Recht den Filter einer kollektiven Entscheidung durchlaufen. Die Setzung als R e c h t s n o r m bedeutet, daß die Rechtsordnung und damit die Gesellschaft gerade dieses Individualinteresse als schützenswert anerkennt und damit zum Kollektivinteresse erhebt. In diesem Sinne m u ß m a n also feststellen, daß sämtliche Rechtsnormen einschließlich derjenigen des Privatrechts dem sogenannten öffentlichen Interesse dienen müssen. 5 1 Umgekehrt dienen auch N o r m e n des öffentlichen Rechts nicht bloß einem abstrakten öffentlichen Interesse, sondern den als schützenswert eingestuften Individualinteressen. 5 2 Es ist daher kein besonderes Kennzeichen der Populär- oder Verbandsklage, daß sie dem öffentliches Interesse dient. 5 3 M a n könnte allenfalls eine quantitative Abstufung vornehmen, etwa in dem Sinne, daß beispielsweise die Verbandsklagen des Unterlassungsklagengesetzes vornehmlich den sogenannten öffentlichen Interessen dienen und nur zu einem geringen Teil denjenigen des Verbands, seiner Mitglieder oder sonstiger k o n k r e t betroffener Personen. Aber auch eine solche Gewichtung kann - bei Lichte betrachtet - nicht sinnvoll durchgeführt werden. Im Unterlassungsklagengesetz geht es im wesentlichen um Verbraucherinteressen, die nicht von vorneherein mit dem öffentlichen Interesse identisch sind. 5 4 Auch § 1 U W G unterscheidet heute deutlich zwischen den Interessen der Allgemeinheit einerseits und den Interessen der Verbraucher und anderer M a r k t teilnehmer andererseits. Wird etwa eine Verbandsklage von einem Verband zur Förderung gewerblicher Interessen erhoben, so vertritt dieser Verband nicht das Allgemeininteresse,
sondern
Partikularinteressen. 5 5
Das
Allgemeininteresse
Luhmann, Ausdifferenzierung des Rechts 360, 361. Dazu etwa Brüggemeier, Prinzipien des Haftungsrechts 3 ff.; Koch, JZ 1999, 922ff. 51 Ebenso Thiere 54; Kotz, in: Homburger/Kötz, Klagen Privater im öffentlichen Interesse 69 ff.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 1 Rn. 12ff. 52 Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte 52. 5 3 Gegen die Dichotomie von öffentlichem und privaten Interesse hinsichtlich der Verbandsklage auch Pfarr/Kocher, Kollektivverfahren im Arbeitsrecht 114ff. 54 Siehe dazu v. Moltke, Kollektiver Rechtsschutz der Verbraucherinteressen 23; Habscheid, FS Rammos 275, 280ff. 55 Dazu bereits Schwartz, FS Ficker 410, 417. 49
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3. Kapitel: Zur Dogmatik der Popular- und
Verbandsklage
wird erst durch das richterliche Urteil definiert, welches aufgrund einer solchen Klage ergeht. Auch bei der patentrechtlichen Popularklage geht es einerseits um das sogenannte öffentliche Interesse daran, daß technische Verfahren nur in den Grenzen des Patentrechts dem öffentlichen Zugang entzogen werden können. D a m i t werden aber zugleich die Partikularinteressen derjenigen wirtschaftlichen Akteure geschützt, die das betreffende Verfahren ökonomisch ausnutzen wollen. In der Realität der populären Patentnichtigkeitsklage steht gerade dieses Partikularinteresse völlig im Vordergrund. 5 6 Selbst in der Diskussion um die naturschutzrechtliche Verbandsklage des öffentlichen Rechts wird darauf hingewiesen, daß diese durchaus einen »partikularen Charakter« habe, da sie nur spezielle Belange - nämlich die des Natur- und Landschaftsschutzes - schütze, und daß erst deren Ausgleich mit anderen konkurrierenden Belangen als Allgemeinwohl verstanden werden k ö n n e . 5 7 Diese Melange verschiedenster Interessen bezüglich einer jeden R e c h t s n o r m zeigt schon, daß eine kategoriale Unterscheidung zwischen Rechtsnormen je nach den durch sie geschützten Interessen nicht besonders erklärungsmächtig ist. Ebenso wie in allen anderen Privatrechtsnormen entsteht auch bei der Popularund Verbandsklage eine Identität von Partikularinteresse und öffentlichem Interesse erst durch die Anerkennung des Partikularinteresses kraft Setzung der R e c h t s n o r m oder kraft richterlicher Lösung eines Konflikts verschiedener Partikularinteressen. 5 8 D a m i t ist aber der Begriff des öffentlichen Interesses bei genauerer Betrachtung gänzlich entbehrlich. Wenn die Individuen den Staat konstituieren und das staatliche Handeln einschließlich der Rechtssetzung sich als Ausgleich der Interessen der Individuen darstellt, dann bedarf es keines Begriffs des öffentlichen Interesses im Sinne eines den Individuen über- oder vorgeordneten Interesses. Erst recht kann es keine Interessen des Staates - oder der Gesellschaft - in dem Sinne geben, daß diese eine Art Organismus wären, der gegenüber den Individuen selbständig oder gar höherrangig w ä r e . 5 9 Es gibt zumindest in der heutigen pluralistischen Gesellschaft weder »rein private« Interessen noch einen Bereich »rein öffentlicher Interessen«, der von den Privatinteressen unterscheidbar wäre. Der Staat ist nicht mehr - und nicht weniger - als die Selbstorganisation der M e n 56 Busse/Keukenschrijver, PatG, § 81 Rn. 37 (Patentnichtigkeitsklagen ohne faktisches materielles Interesse des Klägers kommen kaum vor). 57 Gassner, Treuhandklage zugunsten von Natur und Landschaft 22. 58 Ebenso Rehbinder, ZRP 1976,157,161: Das Gemeinwohl ergebe sich erst aus der positivrechtlichen Anerkennung bestimmter Interessen oder Konfliktlösungen; Thiere, a.a.O. 54: Das öffentliche Interesse werde durch den Gesetzgeber und andere kompetente Instanzen bestimmt. 59 Ekardt, Zukunft in Freiheit 250ff. Positiv-rechtlich ergibt sich dieses anthropozentrische Staatsverständnis bereits aus Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG, der in der prägnanteren Formulierung des Herrenchiemsee-Entwurfes noch lautete: »Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen.« Dazu Maunz/Dürig/Herdegen, GG, Art. Abs. 1 Rn. lf.
I. Popularklage als objektive
Rechtskontrolle
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sehen und ihr Streitentscheider. 6 0 Alle juristisch relevanten Interessen können und müssen daher auf Interessen konkreter M e n s c h e n zurückgeführt werden, denn Interessen einer unbestimmten »Allgemeinheit« sind weder existent noch juristisch anerkennenswert. 6 1 D e r Begriff des Gemeinwohls kann daher allenfalls noch als Chiffre für einen Entscheidungsvorgang verstanden werden, etwa als »Kurzformel [...] für das methodische Ordnen und Verknüpfen eines vielschichtigen Gefüges von Werten und Sachzusammenhängen zur Erzielung möglichst guter Entscheidungsanweisungen in bestimmten konkreten L a g e n . « 6 2 Es bedarf auch keines Begriffs der »Volksgesundheit« als »öffentliches Interesse«, um zu begründen, daß konkrete Menschen vor Gesundheitsgefahren zu schützen sind. 6 3 Genausowenig benötigt man ein »Allgemeininteresse« am lauteren Wettbewerb, auch wenn dieser Begriff im heutigen § 1 Satz 2 U W G v o m Gesetzgeber verwendet wird. Der lautere Wettbewerb soll die Freiheit der aktiven und passiven Marktteilnehmer und damit konkrete Individuen schützen. Er ist also auf diese konkreten Konkurrenten- und Konsumenteninteressen bezogen. 6 4 Daher wird an der heutigen Fassung des § 1 U W G mit R e c h t kritisiert, daß die dortige Nennung des Allgemeininteresse neben denjenigen der M i t b e w e r b e r und Verbraucher »gesetzestechnisch überflüssig« ist. 6 5 Schon das Wort »zugleich« in § 1 Satz 2 U W G zeigt nämlich, daß das sogenannte Allgemeininteresse im Lauterkeitsrecht nur insoweit geschützt ist, als auch Interessen der Mitbewerber oder der Verbraucher berührt sind. 6 6 Das Allgemeininteresse k a n n also auch hier nicht sinnvoll vom Schutz der Interessen konkreter Individuen unterschieden werden. Den Begriff des lauterkeitsrechtlichen Allgemeininteresses kann man daher nur in dem Sinne verstehen, daß es sich um ein » M e d i u m überindividueller W e r t u n g « 6 7 handelt, also um eine Kurzformel für das Ergebnis gesetzgeberischer oder richterlicher Setzung beim Konflikt von Individualinteressen. Insgesamt kann daher auf den Begriff des öffentlichen Interesses verzichtet werden, und er trägt auch zur Erklärung des Spezifikums der Populär- und Verbandsklagen nichts bei.
Ekardt, Zukunft in Freiheit 249. Ebd. 256; ebenso v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen 14: »Es gibt kein von den Interessen der Einzelnen unabhängiges autonomes Staatsinteresse.« 62 v. Arnim, ebd. 8 und 48ff. zu einem verfahrensorientierten Verständnis des Gemeinwohlbegriffs. 63 Ebd. 258. 64 Fezer, UWG, § 1 Rn.36. 65 Ebd. Rn.37. 66 Ebd. Rn.41. 67 So zu § 1 UWG Scbünemann, WRP 2004, 925, 933. 60
61
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3. Kapitel: Zur Dogmatik der Popular- und
Verbandsklage
4. Verbandsklage und Gruppeninteresse Gegen eine schlichte Identifikation von Verbandsklagekompetenzen und öffentlichem Interesse spricht auch das P a r a d o x , daß einerseits diese Kompetenzen im öffentlichen Interesse gegeben sein sollen, andererseits aber die Verbände jeweils nur ganz bestimmte Rechtsverstöße bekämpfen dürfen. Sollte wirklich das ganz allgemeine Interesse geschützt werden, so wäre es nur konsequent, auch jedermann oder zumindest jedem Verband entsprechende Kompetenzen einzuräumen. Statt dessen koppelt der Gesetzgeber die Verbandsklagekompetenz an bestimmte M e r k m a l e hinsichtlich der Tätigkeit und Struktur der Verbände. Der Schutz des öffentlichen Interesses bestimmt also nicht den Umfang der Verbandsklagekompetenz, sondern erscheint ebenso als positiver Nebeneffekt wie bei einer Individualklage, die ebenfalls zugleich dem Eigeninteresse wie dem öffentlichen Interesse dienen k a n n . 6 8 In Anbetracht dieser Parallele zwischen Individualklage und Verbandsklage wurde in der Literatur insbesondere von M a n f r e d W o l f vorgeschlagen, die Verbandsklagekompetenz als eine im Verbands- und Gruppeninteresse gewährte zu begreifen. 6 9 N a c h dieser Theorie sollen bereits nach geltendem Recht alle Verbände zur Wahrung ihrer satzungsgemäßen Interessen klageberechtigt sein, sofern nur Mitglieder der betroffenen Gruppe auch Mitglieder des Verbands sind. D e r Verband sei unter diesen Voraussetzungen Träger des Gruppeninteresses und daher aufgrund einer Verletzung seiner eigenen Interessen klageberechtigt. 7 0 Dieser Vorschlag konnte sich jedoch weder in der Theorie noch in der Praxis der Verbandsklage durchsetzen. Er ist mit dem geltenden Recht auch nicht vereinbar, denn die Existenz sämtlicher oben dargestellter spezieller Verbandsklageberechtigungen wäre überflüssig, wenn jeder Verband aufgrund seiner Satzung und seiner Mitgliederstruktur selbst den Umfang seiner Klagekompetenzen bestimmen könnte. Der Vorschlag von der Verbandsklage als Klage im selbstdefinierten Gruppeninteresse paßt daher nicht zur Systematik der vorhandenen Gesetze. Darüber hinaus sind im Schrifttum auch weitere berechtigte Einwände gegen den Wolfschen Vorschlag erhoben worden. Zunächst geht er von der falschen Prämisse aus, daß die existierenden Verbandsklagekompetenzen dem Schutz k o n k r e t abgegrenzter Interessengruppen dienen. Genau dies ist aber nicht der Fall, wie etwa zum Verbraucherbegriff bereits gezeigt wurde. Wenn etwa gefordert wird, daß Mitglieder der geschützten Gruppe auch Verbandsmitglieder sein sollen, so erscheint dies gerade im Hinblick auf Verbraucherverbände sinnlos. JeWolf, BB 1971, 1293, 1295. Wolf, Die Klagebefugnis der Verbände 20ff.; ähnlich bereits Henckel, Parteilehre und Streitgegenstand 84: Klageberechtigung des Verbandes ergebe sich aus dessen eigenem, satzungsmäßig festgelegtem Interesse etwa am lauteren Wettbewerb. Ein Verständnis der Verbandsklage als »Prozeßführung im Gruppeninteresse« findet man in jüngerer Zeit auch bei Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung 222. 70 Wolf, Die Klagebefugnis der Verbände 23. 68 69
I. Popularklage
als objektive
Rechtskontrolle
211
dermann ist ja hin und wieder Verbraucher: »Consumers, by definition, include us all.« 71 Diese Gruppe ist daher schlicht nicht abgrenzbar.72 Außerdem wird in Wolfs Theorie nicht einsichtig, warum ein Verband aufgrund seiner Satzung und Mitgliederstruktur zum Träger und damit Repräsentanten des angenommenen Gruppeninteresse wird. Dies mag für Zwangsverbände noch einsichtig sein, da diese kraft Gesetzes mit der Wahrung des jeweiligen Gruppeninteresses betraut sind. 73 Im Bereich freiwilliger Zusammenschlüsse ist aber nicht erklärbar, warum ein Verband sich selbst zum Repräsentanten oder gar »Träger« eines angeblichen Gruppeninteresses aufschwingen können soll. 74 Insbesondere wäre dann nicht einzusehen, warum die angeblich Repräsentierten nicht dieselben Rechte wie der Verband haben sollen und selbst entsprechende Klagekompetenzen haben. 75 Würde man den Umfang der Kontrollbefugnis eines Verbands nach dessen Satzung bestimmen, so hätte dies absurde Folgen: So könnte etwa ein Verein »Les amis du socialisme« sämtliche Vorgänge des sozialen Lebens zum Gegenstand gerichtlicher Kontrolle machen. Genau dies hat aber der französische Conseil d'Etat mit Recht abgelehnt. 76 Obwohl also Wolfs Konstruktion von der Verbandsklage als Klage im Gruppeninteresse im Ergebnis abzulehnen ist, so sollte doch die Begründung dieser Konstruktion ausreichend gewürdigt werden. Sie enthält nämlich eine wichtige Erkenntnis. Wolf stellt sich ja selbst die Frage, warum auch ein freiwilliger und nicht wirklich repräsentativer Verband mit bestimmten Klagekompetenzen ausgestattet sein sollte. Die Antwort sieht Wolf darin, daß »das Streben des Verbandes« dem Zweck des Gesetzes entspreche. 77 Das Ziel dieses Strebens sieht Wolf in der »Herstellung eines der Rechtsordnung entsprechenden Zustands.« 78 Da also nichts weiter als die Durchsetzung des objektiven Rechts angestrebt wird, bedarf es auch keiner besonderen Legitimation, denn dieser Zweck ist stets legitim. Konsequenterweise hätte Wolf dann aber jedermann entsprechende Kompe71 John F. Kennedy, Special Message to the Congress on Protecting the Consumer Interest (15.3. 1962), abgedruckt bei v. Hippel, Verbraucherschutz 281. 72 E. Schmidt, NJW 1 9 8 9 , 1 1 9 2 , 1 1 9 4 : »Verbraucher« ist bloß eine Rolle, die jeder übernehmen kann, ebenso wie »Eigentümer«. Vgl. zum soziologischen Gruppenbegriff Thiere, a.a.O. 76ff., der zu dem Ergebnis kommt, daß eine Gruppe eine Mehrzahl von Personen sei, die »aufgrund charakteristischer, übereinstimmender Merkmale von anderen Personen abzugrenzen sind« (ebd. 78). 7 3 Daher meint auch Wolf, a.a.O. 21, daß Zwangsverbände »ohne weiteres zur Klageerhebung befugt« seien. Vgl. zu den Befugnissen der Zwangsverbände freier Berufe jetzt BVerfG 2 6 . 1 0 . 2 0 0 4 , NJW 2004, 3765, 3766f. 7 4 So der Grundtenor der gegen Wolfs Thesen gerichteten Kritik bei Bettermann, 7JZV 85 (1972) 1 3 3 , 1 3 7 ; Berni, Verbandsklagen als Mittel privatrechtlicher Störungsabwehr 190; Marotzke ZZP 98 (1985) 160, 181; Göbel, a.a.O. 120f.; Pfarr/Kocher, Kollektivverfahren im Arbeitsrecht 46 f.; Lakkis, a.a.O. 112. 7 5 Darauf weist hin E. Schmidt, ZIP 1991, 629, 632. 7 6 C.E. 2 3 . 1 2 . 1987, Ree. 874, zit. nach Masing, a.a.O. 205. 77 Wolf, Die Klagebefugnis der Verbände 22. 7 8 Ebd. 60.
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3. Kapitel: Zur Dogmatik der Popular- und
Verbandsklage
tenzen zubilligen müssen, denn w a r u m sollte es einen Unterschied machen, o b sich eine juristische Person kraft Satzung diesem legitimen Z w e c k verschreibt oder eine natürliche Person kraft ihres Willens. Daher wird in der Literatur mit R e c h t gefolgert, daß mit Wolfs Konstruktion der »Popularklage T ü r und Tor geöffnet« sei. 7 9 W o l f selbst lehnt jedoch die Popularklage ab, weil sie gegen das Prinzip des »eigenverantwortlichen Schutzes der eigenen Interessen« verstoße. 8 0 Genau dieses Prinzip gibt Wolf aber selbst auf, wenn er sämtlichen Verbänden diesen Interessenschutz überantworten will. Auch Wolfs Beschränkung der Klagekompetenzen auf »teilweise repräsentative« Verbände, d.h. solche, in denen zumindest einzelne Mitglieder der geschützten Gruppe organisiert sind, paßt nicht zur Ablehnung der Popularklage. W a r u m sollten diese Einzelnen pro forma einen Verband - etwa in F o r m einer » E i n m a n n - R e p r ä s e n t a t i o n « 8 1 - bilden müssen, um das objektive R e c h t durchsetzen zu können? Insgesamt ist daher Wolfs Konstruktion höchst widersprüchlich. Die Anerkennung der Wahrung des objektiven Rechts als Z w e c k der Verbandsklage zwingt zu der Einsicht, daß es bei ihr letztlich nicht um die Interessen bestimmter Gruppen- oder Verbandsmitglieder geht, sondern um »die Institutionalisierung der Verbände als Funktionäre der R e c h t s o r d n u n g « 8 2 Eine andere vereinzelt vorfindbare Erklärung der Verbandsklage besteht darin, daß sie eine Deliktsklage in dem Sinne sei, daß durch das inkriminierte rechtswidrige Verhalten ein Delikt gegen den Verband begangen wurde. 8 3 Diese Erklärung stimmt mit der Wolfschen Konstruktion darin überein, daß sie den Verband als den »Verletzten« und seine Klageberechtigung als natürliche Folge dieser Verletzung ansieht. Diese Erklärung ist jedoch noch weniger überzeugend als Wolfs Vorschlag. Es spricht zunächst nichts dagegen, die Verbandsklagekompetenz als »deliktisch« in dem Sinne einzuordnen, daß sie nicht aus einem Vertrag folgt und sich gegen ein rechtswidriges Verhalten des Beklagten richtet. Trotzdem ist sie nicht vergleichbar mit den in §§ 8 2 3 ff. B G B geregelten Delikten im engeren Sinne. Im Gegensatz zu diesen fehlt der Verbandsklagekompetenz ein tatbestandsmäßiges Schutzobjekt, 8 4 das etwa mit den Rechten des § 8 2 3 Abs. 1 oder dem gem ä ß §§ 8 2 3 Abs. 2 und 8 2 6 geschützten Vermögen vergleichbar wäre. Die Regeln des lauteren Wettbewerbs etwa schützen die Institution des Wettbewerbs als solchen und nicht die Verbraucherverbände. Es wäre auch vollends widersprüchlich, wenn man mit der herrschenden und vom Gesetzgeber nun bestätigThiere, a.a.O. 89. Wolf, Die Klagebefugnis der Verbände 10 f. 81 Münchener Kommentar BGB/Gerlach (3.Aufl. 1993) § 13 AGBG Rn.53. 82 Karsten Schmidt, Kartellverfahrensrecht 401. 83 Tilmann, ZHR 142 (1978) 52, 55; Münchener Kommentar BGB/Gerlach (3. Aufl. 1993) §13 AGBG Rn.50f. 84 E. Schmidt, NJW 1989, 1192, 1193. 79 80
I. Popularklage als objektive
Rechtskontrolle
213
ten Ansicht den Schutzgesetzcharakter des U W G zugunsten des einzelnen Verbrauchers verneinen, 8 5 zugunsten eines Verbraucherverbands aber bejahen wollte. Im übrigen wäre dann § 8 U W G entbehrlich, da sich Unterlassungsansprüche eines durch das U W G geschützten Verbands bereits aus §§ 8 2 3 Abs. 2 , 1 0 0 4 analog B G B ergäben.
5. Diffuse Interessen Ebensowenig erklärungsmächtig wie das sogenannte öffentliche Interesse oder die soeben behandelten Gruppeninteressen ist auch der zum Teil mit Bezug auf Populär- und Verbandsklagen verwendete Begriff der diffusen Interessen. 8 6 Er hat sich insbesondere im brasilianischen Recht durchgesetzt und dient dort zur Erläuterung und Begründung weitgehender Populär- und Verbandsklagekompetenzen. 8 7 Die Wurzeln des Begriffs liegen allerdings in der vornehmlich in den siebziger J a h r e n des 2 0 . Jahrhunderts geführten Diskussion um access to justice, also um die Sicherung des Zugangs zum Recht für alle Bevölkerungsteile. Diffuse Interessen wurden in diesem Z u s a m m e n h a n g teilweise in einem Atemzug mit »sozialen« Rechten und Interessen genannt und erläutert als »rights o f consumers, of environmentalists, o f tenants, of p o o r p e o p l e . « 8 8 In dieser Breite erscheint der Begriff der diffusen Interessen jedoch nicht gerade trennscharf. Es ist nicht einzusehen, was an Mieterinteressen oder den Interessen sozial benachteiligter Gruppen »diffus« sein soll. Sie sind nicht diffus, sondern ganz handgreiflicher Art, wenn man etwa an das Interesse an einem D a c h über dem K o p f oder an ausreichender Ernährung und Bekleidung denkt. Allerdings wird der Begriff der diffusen Interessen gelegentlich auch mit der mangelnden Repräsentation oder Durchsetzungskraft dieser Interessen erklärt: Diese Interessen seien »diffuse in the sense that they are held by individuals or groups which, for various reasons, c a n n o t be expected to litigate either for their own or for more general social interests.« 8 9 N i m m t man diese Erläuterung ernst, dann geht es nicht um diffuse, sondern um durchsetzungsschwache Interessen, deren Schutz besonderer kompensatorischer Instrumente bedarf. Die Verbandsklage erfüllt genau diese kompensatorische Funktion, wie noch zu zeigen sein
Vgl. §§ 8 und 9 UWG und deren Begründung in BT-Drs. 15/1487, 22. Zur soziologischen Herkunft und Berechtigung des Begriffs Roethe, Liber amicorum Norbert Reich 93 ff. 87 Dazu Mancuso, Interesses Difusos 84ff.; in deutscher Sprache zu einem Ausschnitt aus dieser Problematik Förschner, Die Haftungsregeln des brasilianischen Verbraucherschutzgesetzes 125 ff. 88 Cappelletti, in: ders./Garth (Hrsg.), Access to Justice V\, viii f. 89 Cappelletti/Garth, in: Habscheid (Hrsg.) Effektiver Rechtsschutz und verfassungsmäßige Ordnung 117, 122. 85 86
214
3. Kapitel: Zur Dogmatik der Popular- und
Verbandsklage
w i r d . 9 0 N u r bedarf es zur Erklärung dieser Funktion keiner besonderen Kategorie »diffuser« Interessen. Eine dritte Definition der diffusen Interessen umfaßt sowohl die keinem Individiuum rechtlich zugeordneten »kollektiven Interessen« als auch diejenigen Einzelinteressen, die jeweils für sich so klein sind, daß ihretwegen eine einzelne gerichtliche Durchsetzung nicht sinnvoll erscheint. 9 1 Letztere Fallgruppe entspricht dem in der deutschen Diskussion verwendeten Begriff der »Streuschäden«. Bei ihnen handelt es sich allerdings um eine bloße Bündelung ohnehin bestehender Ansprüche, die mit den hier untersuchten Populär- und Verbandsklagekompetenzen nichts zu tun h a t . 9 2 Setzt man wiederum diffuse Interessen mit »kollektiven« Interessen gleich, so entspricht dies den bereits erörterten und für unzureichend befundenen Bezügen auf das allgemeine Interesse oder auf bestimmte Gruppeninteressen. Etwas aussagekräftiger wird der Begriff der diffusen Interessen nur dann, wenn man ihn auf Interessen bezieht, die sich nicht an konkreten Personen festmachen lassen, sondern die potentiell jeden betreffen 9 3 und somit gleichsam » s u b j e k t l o s « 9 4 sind. In diesem Sinne könnte man etwa Verbraucherinteressen als diffus bezeichnen, da jedermann einmal in die Verbraucherrolle
schlüpfen
k a n n . 9 5 Diese Subjektlosigkeit teilt jedoch die Verbraucherrolle mit vielen anderen im Zivilrecht geregelten Rollen, etwa die des Käufers und Verkäufers oder des Deliktstäters oder -opfers. Auch in diese Rollen mag jeder einmal oder mehrmals im Leben schlüpfen, ohne daß man daraus folgern würde, daß Regelungen zum Schutz des Verkäufers etwa den Schutz diffuser Interessen bedeuten. Die jeweilige Subjektlosigkeit verschwindet, wenn konkrete Personen die betreffende Rolle einnehmen; dann sind die Interessen konkret, handgreiflich und individualisierbar. So ist etwa die Kontrolle der B a n k e n - A G B einerseits ein diffuses InterSiehe unten, S.217ff. Cappelletti/Garth, in: dies. (Hrsg.), Access to Justice VI, 1 , 1 8 : »Diffuse interests are collective or fragmented interests, such as those in clean air or consumer protection. The basic problem they present - the reason for their diffuseness - is that either no one has a right to remedy the infringement of a collective interest or the stake of any one individual in remedying the infringement is too small to induce him or her to seek enforcement action.« 9 2 Siehe dazu bereits die Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands oben, S.5ff. 93 Reich, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken 481, 503: Verbraucherund Umweltschutz als ^öffentliches Rechtsgutmassification< (...), the individual is simply unable to adequately protect himself.« 146 Die Phänomene des »big business« und im Sozialstaat auch des »big government« bedürften nach dieser Auffassung einer »big litigation« als Gegengewicht. 147 Dies wurde von der access to justice-Forschung zu einer Zeit thematisiert, als der Sozialstaat (zumindest im industrialisierten Westeuropa) wohl auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung angekommen war. 148 Die access to justice-Vorsch ung läßt sich also als Versuch beschreiben, den materiell-rechtlich weitgehend durchgesetzten Sozialstaat durch passende prozeßrechtliche Instrumente auch in der sozialen Wirklichkeit zu etablieren. 149 Die Verbesserung des Zugangs zum Recht enthielt in dieser Diskussion nicht zuletzt auch ein emanzipatorisches Moment, da sie die Partizipationsmöglichkei-
142
Caplovitz, ebd. 188. Zur Theorie des one shot/repeat player siehe Galanter, Law & Society Rev. 9 (1974) 95, 97ff.; zusammenfassend ]. Goebel, a.a.O. 121f. m.w.N. 144 So die Zielvorstellung bei Galanter, a.a.O. 141 ff., der allerdings weit über das Verbraucherschutzrecht hinausgeht. 145 Cappelletti, The Judicial Process in Comparative Perspective 25. 146 Ebd. 26. 147 Ebd. 27. 148 Einer der ersten systematischen Versuche, sich dem access to justice-Problem zu nähern, war wohl ein 1971 von Mauro Cappelletti in Florenz gehaltenes Referat über »Access to Judicial Remedies in Civil Litigation,« abgedruckt in Cappelletti, The Judicial Process in Comparative Perspective 216 ff. 149 Eine historische Übersicht über diese Bewegung und ihre Vorläufer versucht etwa Friedman, in: Access to Justice, Vol. II/l, 4ff. 143
226
3. Kapitel: Zur Dogmatik
der Popular- und
Verbandsklage
ten der Bürger im Hinblick auf gesellschaftliche Regulierung erhöhen sollte. 150 Es ging um einen »affirmative effort by the State to make liberty accessible to all.« 1 5 1 Die von dieser Forschungsrichtung behandelten kompensatorischen Instrumente im Zivilprozeß sind allerdings ganz unterschiedlicher Art. Zunächst ging es um die Unterstützung von Individualprozessen durch Prozeßkostenhilfe oder Formen des sonstigen legal aid}51 Im Anschluß daran wurden noch sehr staatsbezogene Steuerungsformen erörtert, insbesondere die Rolle des Staatsanwalts im Zivilprozeß. 153 Derartige staatsorientierte Kompensationsstrategien wurden teilweise in den Ländern des seinerseit real existierenden Sozialismus verfolgt, 154 man findet sie aber auch in England mit dem Director-General ofFair Trading155 156 oder in Form des schwedischen Konsumentombudsman. Auch die österreichischen Arbeiterkammern mit ihren Klagebefugnissen gemäß dem österreichischen Konsumentenschutzgesetz dürften als vergleichbare staatsnahe Institutionen mit zivilprozessualen Befugnissen einzuordnen sein. 157 Als weitere und besonders zukunftsweisende Art kompensatorischer Instrumente wurde allerdings schon in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts die privatrechtliche Rechtsdurchsetzung durch Gruppen- und Verbandsklagen hervorgehoben. 158 Der konstruktive Unterschied zwischen Gruppenklagen amerikanischer Prägung und den hier untersuchten Populär- und Verbandsklagen besteht - wie bereits in der Einleitung dargestellt - im wesentlichen darin, daß erstere eine Aggregation bestehender Individualansprüche darstellen, letztere 1 5 0 Vgl. zum Aspekt der »demokratischen Teilhabe« in den verfahrensbezogenen Regeln des Verbraucherschutzrechts Münchener Kommentar BGH/Micklitz, vor § § 1 3 , 1 4 Rn. 73; zu Erfolgen und Problemen dieses emanzipatorischen Hintergrunds der Verbraucherschutzbewegung siehe aus nordamerikanischer Perspektive Ramsay, in: Bourgoignie (Hrsg.), Group Actions and Consumer Protection 3 3 I f f . 151 Cappelletti, in: Access to Justice Vol. 1/1 vii. 1 5 2 Etwa in Cappelletti, Access to Justice and the Welfare State; Baumgärtel, Gleicher Zugang zum Recht für alle. 153 Cappelletti, Governmental and Private Advocates for the Public Interest in Civil Litigation: A Comparative Study, in: Access to Justice, Vol. II/2, 788 ff. Zur Rolle des Staatsanwalts im deutschen Zivilprozeß siehe Thiere, a.a.O. 213ff. 1 5 4 Auch dazu Thiere, a.a.O. 240ff.; Cappelletti (vorige Fn.) 794ff. 1 5 5 Siehe Münchener Kommentar BGBIMicklitz, vor § 13 AGBG Rn. 70. 1 5 6 Ebd. Rn.68. 1 5 7 Die klagebefugten Arbeiterkammern in Österreich sind allerdings Mitglied des »Vereins für Konsumenteninformation«, der ebenfalls klagebefugt ist und faktisch der wesentliche Verbraucherschutzverband in Österreich ist, vgl. Kolba, in: Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeßrecht 53, 59ff. 1 5 8 Vgl. etwa Cappelletti, The Judicial Process in Comparative Perspective, xii, der eine »moderene Lösung« des access to justice-Problems außerhalb der Regierungsbürokratie suchen möchte. Ebenso kritisch zur Vertretung kollektiver Interessen durch »public advocacy«: Trubek, in: Access to Justice, Vol. III, 4 4 5 ff. Vgl. zur reformpolitischen Bedeutung des Prozeßrechts, aber auch zu dem Problem einer Repräsentation sozialer Bewegungen durch Verbände Handler, Social Movements and the Legal System, 222ff.
I. Popularklage als objektive
227
Rechtskontrolle
dagegen eine zusätzliche Sorte von Kontrollkompetenzen schaffen. Funktional ähneln sich beide Instrumente jedoch darin, daß sie eine gewisse Breitenwirkung entfalten können und daher economies
ofscale
im Prozeßrecht erzielen: W i r d et-
wa eine irreführende W e r b e m a ß n a h m e durchgeführt, so kann eine rechtzeitig erhobene Unterlassungsklage eine Vielzahl von Schäden bei Verbrauchern ex
ante
verhindern, während die Gruppenklage eher ein Mittel darstellt, derartige Schäden ex post
zu regulieren. 1 5 9
Insgesamt zeigen die unter der Überschrift des access
to justice
geführten Dis-
kussionen, daß privatrechtliche Populär-, Gruppen- und Verbandsklagekompetenzen nur einen Ausschnitt aus einer Vielzahl möglicher kompensatorischer Mittel gegen das Vollzugsdefizit des materiellen Privatrechts darstellen. 1 6 0 Dies ist auch in der Bestandsaufnahme der hier untersuchten Populär- und Verbandsklagen deutlich geworden, die immer wieder als Alternative zu einer verstärkten staatlichen Aufsicht beschrieben werden. 1 6 1 Allerdings scheinen privatrechtlich ausgeformte Instrumente wie die Populär-, Gruppen-
und Verbandsklage
den
Rechtsstaats in besonderer Weise zu
Bedingungen
des
entsprechen. 1 6 2
post-sozialstaatlichen
In dieser Perspektive er-
scheint es geradezu folgerichtig, daß die Diskussion über prozeßrechtliche K o m pensation gesellschaftlicher Defizite gerade zu dem Zeitpunkt besonders intensiv wurde, in dem sich das post-sozialstaatliche Rechtsparadigma bereits am Horizont abzeichnete. Die genannten prozeßrechtlichen Instrumente sind nun nicht mehr nur bloße Vervollständigung oder Ergänzung materiell-rechtlicher Garantien und staatlicher Aufsicht, sondern müssen beides in gewissem Umfang ersetzen. Dies ist besonders bei der class action
in den USA zu konstatieren: Wenn
dort bestimmte Risiken wie Unfall oder Krankheit eben nicht ausreichend durch sozialstaatliche M a ß n a h m e n abgesichert sind, dann wird dies ein Stück weit dadurch kompensiert, daß der von solchen Risiken Betroffene sich auf die kollektive prozeßrechtliche Abwicklung als Alternative zur schwierigen individuellen Rechtsverfolgung verlassen k a n n . 1 6 3 Diese Bedeutung k a m der class action
ins-
besondere seit ihrer grundlegenden R e f o r m 1 9 6 6 zu. 1 6 4
159 Duggan, in: Rickett/Telfer (Hrsg.), International Perspectives on Consumers' Access to Justice 46, 56. 160 Eine jüngere Übersicht über die möglichen »institutional options« des verfahrensbezogenen Verbraucherschutzes liefert Trebilcock, in: Rickett/Telfer (Hrsg.), a.a.O. 68, 83ff. 161 Vgl. etwa Jackermeier, Die Löschungsklage im Markenrecht 90ff. mit Blick auf die markenrechtliche Popularklage; Damm, ZRP 1978, 167ff. 162 Vgl. Greger, ZZP 113 (2000) 4 1 3 , 4 1 1 , der die Verbandsklage als dem »Zeitalter der Deregulierung« adäquat ansieht. 163 Vgl. dazu Eichholtz, Class Action 313: »In den USA stellt dagegen die Diskrepanz zwischen den [vergleichsweise geringen] Zahlungen der Sozialversicherungskassen und sehr hohen potentiellen Schadensersatzbeträgen den wichtigsten Klageanreiz dar.« 164 Ebd. 35 ff.
228
3. Kapitel: Zur Dogmatik der Popular- und
Verbandsklage
Aber auch in Europa ist die bislang vorherrschende sozialstaatliche Abfederung von Risiken wie Krankheit, Arbeitslosigkeit und Alter eher auf dem R ü c k zug, so daß man auch hier davon ausgehen k a n n , daß das Privatrecht stärker als bisher zur Bewältigung dieser Risiken herangezogen werden wird. »Die Deregulierung und Privatisierung von vielen Bereichen der Daseinsvorsorge läßt das Privatrecht plötzlich in Schuhe hineinwachsen, für die es ursprünglich nicht konzipiert w a r . « 1 6 5
d) Krise des
Rechts
D a m i t ist bereits ein Phänomen angesprochen, das für das post-sozialstaatliche Rechtsparadigma kennzeichnend sein soll, nämlich eine verstärkte Diagnose von »Krisen« des R e c h t s . 1 6 6 Dabei handelt es sich sowohl um äußere wie auch innere Krisen des Rechts. Von außen erscheint es so, daß die mit dem Schlagwort »Risikogesellschaft« 1 6 7 bezeichnete Z u n a h m e globaler und gesellschaftlicher Risiken die Durchsetzungsmacht des Staates tendenziell in Frage stellt. 1 6 8 Ein kompensatorisches Instrument wie die Verbandsklage soll den damit einhergehenden Vertrauensverlust in rechtliche Regulierung ein Stück weit a u f f a n g e n . 1 6 9 In dieser regulierenden Funktion ist der Zivilprozeß aber nicht mehr nur Durchsetzungsverfahren individueller Interessen, sondern auch ein gesellschaftliches Steuerungsinstrument; er übernimmt die gesellschaftliche Aufgabe der Implementation von N o r m e n in einem privatrechtlich organisierten und damit »postb ü r o k r a t i s c h e n « 1 7 0 Verfahren. Die damit einhergehende Durchsetzung
des
objektiven Rechts auf private Initiative läßt sich in einem hochkomplexen arbeitsteiligen Staat auch k a u m vermeiden, sofern man die Alternative eines allzuständigen Polizeistaates vermeiden m ö c h t e . 1 7 1 Eine weitere Alternative wäre allenfalls der Verzicht auf den Geltungsanspruch des Rechts, indem man es zuließe, daß ein Großteil der existierenden Normenflut schlicht nicht durchgesetzt wird. Auch dies ist jedoch nicht akzeptabel, so d a ß an der Mitwirkung der Bürger bei der Durchsetzung des objektiven Rechts kein Weg vorbeigeht: 165 166
60 ff.
Reich, FS Söllner 867, 868. Zu den verschiedenen Aspekten dieser Krisen siehe G.-P. Calliess, Prozedurales Recht
Beck, Risikogesellschaft; zu dieser und ähnlicher Begrifflichkeit G.-P. Calliess, ebd. 55f. E. Schmidt, ZIP 1991, 629, 633. 169 E. Schmidt, NJW 2002,25,28 unter Verweis auf Erwägungsgrund 5 der Rl. 98/27/EG, in dem das »Vertrauen der Verbraucher in den Binnemarkt« als Grund für Verbandsklagekompetenzen genannt wird. Vgl. zur Krise rechtlicher Regulierung des Marktgeschehens bereits Reich, Staatliche Regulierung zwischen Marktversagen und Politikversagen 3 ff. 170 Nonet/Selznick, Law and Society in Transition 99; ebenfalls zu dieser Entwicklung Cappelletti/Garth, in: Habscheid (Hrsg.), Effektiver Rechtsschutz und verfassungsmäßige Ordnung 117,156 ff.; sowie aus politikwissenschaftlicher Sicht Zemans, Am. Pol. Sc. Rev. 77 (1983) 690, 694 ff. 171 Masing, a.a.O. 231 m.w.N. 167
168
I. Popularklage als objektive
Rechtskontrolle
229
Je weniger der Anspruch der Normen in der Wirklichkeit erfahrbar wird, desto mehr erodiert die tatsächliche Verpflichtungskraft, d.h. auch die freiwillige Befolgung der Normen, und desto leichter verblassen Vorschriften zu idealisierenden Deklamationen oder unbeachteten technischen Regelwerken, die am Ende möglicherweise der Normgeber selbst nicht mehr ganz ernst meinen kann und muß. Die dezentralisierte Einforderung des Rechts durch Bürger ist hierzu ein Gegenkonzept [ . . . ] ' 7 2 Neben der »äußeren«, funktionsbezogenen Krise des Rechts wird aber auch eine innere Krise des Rechts diagnostiziert, die mit dem Schlagwort der »Verrechtlichung« beschrieben w i r d . 1 7 3 D a m i t ist gemeint, daß gerade das materialisierte sozialstaatliche R e c h t fast sämtliche Lebensbereiche mit Rechtsnormen überzogen hat, deren jeweiliger Inhalt v o m Einzelnen k a u m noch erfaßt werden kann. Unter diesen Bedingungen stellt ein rechtlicher Konflikt heute so hohe Kompetenzanforderungen an die Parteien, daß Einzelpersonen diesen kaum noch gerecht werden können. Schon deshalb ist kompensatorische Rechtspolitik in F o r m der Kollektivierung oder Exemplifizierung der Rechtsdurchsetzung erforderlich. 1 7 4 Die innere Krise des Rechts in seiner post-sozialstaatlichen Phase mag auch darin gesehen werden, daß es die zunehmend komplexer gewordenen gesellschaftlichen Verhältnisse nicht mehr in prognostizierbaren Konditionalprogrammen regeln k a n n , sondern immer stärker auf bloße Zwecksetzungen und unbestimmte Begriffe zurückgreift. 1 7 5 Diese wachsende Unbestimmtheit des Rechts erzeugt einen erhöhten Bedarf nach Repräsentation aller relevanten Interessen im Prozeß, um das unbestimmte Recht angemessen zu konkretisier e n . 1 7 6 N u r so kann angesichts der Ungewißheit des materiellen Rechts eine ausreichende Legitimation juristischer Entscheidungen hergestellt werden.
Das
Prozeßrecht ist unter diesen Bedingungen gar als »materiales Rechtsgewinnungsrecht« beschrieben w o r d e n . 1 7 7 Auch aus systemtheoretischer Sicht wird die Bedeutung von Verfahrensrechten beim Umgang mit gesteigerter Komplexität des Rechtssystems unter Ungewißheitsbedingungen b e t o n t . 1 7 8 Diese Selbstfindung des Rechts im Verfahren mag man als »reflexive« Rechtsanwendung bezeichnen, soweit damit ausgedrückt werden soll, daß die Politik sich aus der direkten gesellschaftlichen Steuerung tendenziell zurückzieht und entsprechende Steuerung (oder bewußte Nicht-Steuerung) daher im Rechtssystem selbst stattfinden m u ß . 1 7 9 Jedenfalls lassen sich vor diesem Hintergrund PoEbd. 232. Zu diesem Begriff Teubner, in: Kübler (Hrsg.), Verrechtlichung von Wirtschaft, Arbeit und sozialer Solidarität 289ff. 174 Habermas, Faktizität und Geltung 495. 1 7 5 Vgl. zu diesen Begriffen jedoch die Kritik bei Luhmann, Das Recht der Gesellschaft 195 ff. 176 Vgl. etwa zu der Repräsentation übergreifender Interessen in Form von amicus curiaeStellungnahmen Hirte, ZZP 104 (1991) 11 ff. 177 Gilles, JuS 1 9 8 1 , 4 0 2 , 4 0 8 . 178 Ladeur, KJ 1994, 42, 55 ff. 179 Teubner, ARSP 1982, 13, 44 und 48; vgl. bereits zum »responsive law« Nonet/Selznick, 172
173
230
3. Kapitel: Zur Dogmatik der Popular- und
Verbandsklage
pular- und Verbandsklagen durchaus als Ermöglichung zusätzlicher und exemplarischer Verfahren begreifen, in denen rechtliche Lösungen diskutiert und erprobt werden. Sie kompensieren damit nicht nur individuelle Schwierigkeiten bei der Rechtsdurchsetzung, sondern auch den Rückzug des Staates aus der gesellschaftlichen Steuerung überhaupt. »Le recours collectif est le seul moyen qui reste a u x citoyens pour se prémunir contre les abus des pouvoirs par suite du retrait de l'État!« heißt es dazu in der kanadischen Literatur zur G r u p p e n k l a g e . 1 8 0 Aber auch die Populär- und Verbandsklage sind solche Mittel, die den
citoyens
nach dem »Rückzug des Staates« verbleiben.
8. Zwischenergebnis Populär- und Verbandsklagen sind kompensatorische Instrumente, mit denen auf das Vollzugsdefizit des materiellen Privatrechts reagiert werden soll. D a m i t stellen sie eine wichtige Ergänzung des liberalen Rechtsparadigmas dar, welches das Privatrecht auf die Durchsetzung individueller Rechte durch den jeweils Betroffenen beschränkt. Aufgrund ihrer kompensatorischen Funktion der objektiven Rechtskontrolle spielt bei ihnen die Person und das M o t i v des Klägers grundsätzlich keine Rolle. Unter den Bedingungen des post-sozialstaatlichen Privatrechts liegt die Bedeutung von Populär- und Verbandsklagen auch darin, zusätzliche Rechtsfindungsverfahren zu ermöglichen, in denen die vom Staat auf das Rechtssystem verlagerten Regulierungsaufgaben bewältigt oder zumindest erörtert werden können.
II. Klage ohne subjektives Recht In den vorstehenden Ausführungen zur Funktion der Populär- und Verbandsklage ist bereits deutlich geworden, daß diese zu dem Begriff und der Idee des subjektiven Rechts in einem gewissen Spannungsverhältnis stehen. Dies zeigt sich insbesondere in den eingeschränkten Dispositionsmöglichkeiten über die jeweiligen Berechtigungen zur Populär- oder Verbandsklage. Daher soll im folgenden untersucht werden, o b diese Kompetenzen als subjektive Rechte eingeordnet werden können und sollen. Diese Klärung dient auch der Vorbereitung der Frage, o b diese Kompetenzen als Anspruch zu betrachten sind und was eine solche Betrachtung aussagen soll. Diese Abfolge geht von der unten noch näher zu erläuternden Prämisse aus, daß es sich beim subjektiven R e c h t um den allgemeineLaw and Society in Transition 97f.: »The expansion of social advocacy contributes new points of view to legal debate and brings new bases of support to the development and implementation of public policy [...] Regulation becomes more nearly >self-administeringHierarchiesubjective< rights« begriffen w e r d e n . 2 6 8 Die begriffliche Strategie besteht bei diesem Vorschlag also darin, den herkömmlichen und individualistisch geprägten Begriff des subjektiven Rechts zu unterwandern, indem man ihn mit Inhalten auffüllt, die nichts mehr mit dem Schutz individuell zugewiesener Güter zu tun haben. Eine solche Strategie mag rechtspolitisch-taktische Vorzüge haben, aber sie kann aus begrifflich-dogmatischer Sicht letztlich nicht überzeugen. Sie verdeckt zu sehr die notwendigen Differenzierungen zwischen individuellem Güterschutz und objektiver Rechtskontrolle, indem sie alle Beteiligungs- und Klagekompetenzen der Bürger als subjektive Rechte zusammenfaßt. Eine derartige Identifikation des subjektiven Rechts mit jedweder juristischen Handlungsmöglichkeit reduziert aber den Begriff des subjektiven Rechts auf ein sprachliches Hilfsmittel und läßt seine oben dargestellten normativ-utopischen K o n n o t a t i o n e n verschwinden. Das subjektive R e c h t wäre dann nicht mehr als eine Abkürzung für eine Summe von Rechtsschutzmöglichkeiten. Eine solche reduzierte Bedeutung des Begriffs v o m subjektiven R e c h t wird aber mit Recht als bloße »rechtswissenschaftliche M n e m o t e c h n i k « 2 6 9 oder »inhaltslose R e c h t s t e c h n i k « 2 7 0 verworfen. Statt v o m subjektiven Recht könnte man dann im Sinne des skandinavischen Realismus auch v o m T ü - T ü reden. Will m a n dagegen den soeben beschriebenen anspruchsvollen und normativ gefüllten Begriff des subjektiven Rechts aufrechterhalten, so sind mit ihm die hier untersuchten Populär- und Verbandsklagekompetenzen nicht zu erklären. Dies soll im folgenden anhand der einzelnen Elemente dieses Begriffs näher erläutert werden.
a) Mangelnde
Dispositionsmöglichkeit
des
Klägers
Dabei hilft allerdings die herrschende Kombinationstheorie nicht viel weiter. Zweifellos liegt es in der Willensmacht des Verbandes, von seiner Klagekompetenz Gebrauch zu machen oder nicht, so daß dieses M e r k m a l bei oberflächlicher 268 Reich, Collected Courses (vorige Fn.) 177. Man beachte die Anführungszeichen, mit denen bereits ein gewisser Unterschied zum subjektiven Recht ohne Anführungszeichen konzediert wird. 269 Kasper, a.a.O. 44. 270 Masing, a.a.O. 186 zu vergleichbaren Entwicklungen im öffentlichen Recht, insbesondere zu rein technischen Definitionen des subjektiv-öffentlichen Rechts (ebd. 190ff.). »Es greift zu kurz, unter Verweis auf praktische Adaptionsmöglichkeiten [...] eine diesbezügliche Offenheit der Lehre vom subjektiv-öffentlichen Recht nur zu postulieren oder sie allein durch Definitionsverschiebungen, die die tradierten materialen Vorstellungen bloß begrifflich verabschieden, herbeizuführen.« (Ebd. 194). Vgl. aber die Rede vom »subjektiv-öffentlichen Beteiligungsrecht« eines Naturschutzverbands im Planfeststellungsverfahren bei BVerwG 3 1 . 1 0 . 1990, BVerwGE 87, 62, 74. Dies mag man noch akzeptieren, da das Beteiligungsrecht - anders als die Durchsetzung des materiellen objektiven Rechts - durchaus zur Disposition des Verbands steht.
II. Klage ohne subjektives
Recht
245
Betrachtung erfüllt wäre. Eine derartige Einordnung liefe jedoch erneut auf die bereits abgelehnte Identifikation von Klagekompetenz und subjektivem Recht hinaus. Es ist also eher zu fragen, ob die mit der Populär- und Verbandsklage verfolgbaren Gegenstände der subjektiven Willensmacht unterliegen sollen. Hier wird man wohl bei allen untersuchten Klagekompetenzen zu dem Schluß kommen, daß der jeweilige Gegenstand gerade nicht dem Belieben des Klägers unterworfen ist. So wird etwa im Hinblick auf die UWG-Verbandsklage mit Recht argumentiert, daß die Regelung lauteren Wettbewerbs, das Erlauben oder Verbieten bestimmter Wettbewerbshandlungen gerade nicht der Willkür der klageberechtigten Verbände unterliegt. 2 7 1 Der Verband kann zwar seine Klagemöglichkeit nach eigenem Gutdünken ausüben, aber nicht auf die Durchsetzung der mit der Verbandsklage zu kontrollierenden objektiv-rechtlichen Vorschriften verzichten oder diese gar durch beliebige Disposition unterlaufen. Anders als der Inhaber eines individuell zugeordneten Vermögensrechts hat der Populär- oder Verbandskläger also keine Normsetzungsbefugnis im Sinne Buchers. Dem könnte man allenfalls entgegenhalten, daß die Dispositionsmöglichkeit kein notwendiges Merkmal des subjektiven Rechts ist. Dies wird von Bucher selbst konzediert, indem er das Persönlichkeitsrecht als Beispiel für ein unverzichtbares subjektives Recht anführt. 2 7 2 Auch die Würde des Menschen gemäß Art. 1 Abs. 1 G G wird teilweise für unverzichtbar und doch für ein subjektives Recht gehalten. 2 7 3 Diese Auffassungen sind allerdings in doppelter Hinsicht problematisch. Zum einen gehen sie ziemlich vorschnell davon aus, daß so unbestimmte Positionen wie die Verpflichtung des Staates zur Achtung der Menschenwürde oder das unter anderem aus dieser Verpflichtung abgeleitete 2 7 4 Persönlichkeitsrecht als subjektive Rechte zu begreifen sind. Dies wird in der Literatur überwiegend anders gesehen; man spricht etwa bezüglich des Persönlichkeitsrechts eher von einem »Rahmenrecht«und meint damit, daß sein Inhalt nicht wie bei anderen Rechten prima facie feststeht, sondern in jedem Fall erst durch eine Interessenabwägung zu ermitteln sei. 2 7 5 Nur die besonderen Persönlichkeitsrechte sind klar abgegrenzt und daher ohne weiteres als subjektive Rechte zu begreifen. 2 7 6 Gerade sie sind aber auch regelmäßig disponibel; man denke etwa an das Recht am eigenen Bild, auf das per Einwilligung gemäß § 2 2 Abs. 1 Satz 1 KunstUrhG in einem konkreten Fall verzichtet werden kann. Auch das Urheberpersönlichkeitsrecht Thiere, a.a.O. 2 8 7 Bucher, a.a.O. 78f. und 98. 2 7 3 Etwa bei Luhmann, Ausdifferenzierung des Rechts 3 6 0 . 2 7 4 BGH 2 5 . 5 . 1954, B G H Z 13, 3 3 4 , 3 3 8 . 2 7 5 So zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht Fikentscher, Schuldrecht, Rn. 1225. Gegen die Auffassung der Menschenwürde als subjektives Recht etwa Dürig, AöR 81 (1956) 117, 119; Dreier, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 71 f.; Ekardt, Zukunft in Freiheit 180f.: Die Menschenwürde sei der Grund der Menschenrechte, nicht selbst ein Recht. 2 7 6 Vgl. dazu Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, 4 9 1 . 271 272
246
3. Kapitel: Zur Dogmatik der Popular- und
Verbandsklage
gemäß § 1 2 - 1 4 U r h G gilt zwar als unverzichtbar, 2 7 7 jedoch ist mit dieser Einordnung nicht viel gewonnen, da sein Inhaber in jeden Eingriff einwilligen k a n n . 2 7 8 N u r bei der Menschenwürde wird die Auffassung vertreten, daß sie nicht der Disposition des M e n s c h e n unterliegt und daher nicht wirksam in angeblich würdelose Aktivitäten wie etwa Zwergenweitwurf eingewilligt werden k a n n . 2 7 9 Diese Auffassung von einer unverzichtbaren objektiv definierten Menschenwürde ist aber umstritten. Es spricht einiges für die Gegenansicht, nach der gerade die freie Entscheidung über das eigene Schicksal den Kern der Menschenwürde bild e t . 2 8 0 Der in Ausübung dieser Freiheit vorgenommene Zwergenweitwurf wäre demnach gerade nicht würdelos. 2 8 1 Dieser Streit kann und m u ß hier nicht entschieden werden. Er verweist aber darauf, daß die klassisch-liberale Konzeption des subjektiven Rechts heute ergänzt wird durch Vorstellungen subjektiver Rechte, die nicht auf äußerliche Sachen, sondern auf die Würde und Unversehrtheit der eigenen Person bezogen sind. W ä h r e n d erstere - im Paradigma des Eigentums - durch potentielle Verfügbarkeit über den M a r k t gekennzeichnet ist, mag man letztere in gewisser Hinsicht für unverfügbar halten, da sie den Kern der Person betreffen. 2 8 2 Auch dieser Bereich der personenbezogenen subjektiven Rechte ist aber bei den hier untersuchten Populär- und Verbandsklagen nicht betroffen. Sie sind alle dadurch gekennzeichnet, daß mit ihnen eine Durchsetzung des objektiven Rechts angestrebt wird, die weder der Willkür des jeweiligen Klägers unterliegt noch für seine Person konstituierend ist. Daher liegt das für das subjektive R e c h t kennzeichnende M e r k m a l der Willensmacht oder Normsetzungsbefugnis des Berechtigten bei ihnen gerade nicht vor.
b) Kein geschütztes
Interesse
des
Klägers
Weniger eindeutig zu beurteilen ist dagegen das Element des geschützten Interesses aus der Kombinationstheorie zum subjektiven Recht. Zunächst m u ß man feststellen, daß etwa das Lauterkeitsrecht zwar die Interessen der Verbraucher schützen soll, nicht aber ohne weiteres auch diejenigen der Verbraucherverbände. D e m könnte man jedoch entgegenhalten, daß subjektive Rechte auch immaterielle Interessen schützen können - man denke nur an das Persönlichkeitsrecht oder an § 2 5 3 Abs. 2 B G B . Es wäre daher nicht systemwidrig, ein immaterielles
BGH 27.11. 1970, GRUR 1971, 269, 271. Siehe dazur nur Dreier/Schulze, UrhG, Rn. 12 vor § 12. 1 7 9 So zum Zwergenweitwurf VG Neustadt 25.1. 1992, NVwZ 1993, 98, 99. Ähnlich zur Peep-Show BVerwG 30.1. 1990, BVerwGE 84, 314, 317f. 2 8 0 OVG Hamburg, 20.2. 1985, NVwZ 1985, 841; v. Münch/Kunig, GG, Art. 1 Rn.34. 281 Von Mangoldt/Klein/Siarcfe, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn.97. Gegen einen rechtlichen »Schutz vor sich selbst« auch Ekardt, Zukunft in Freiheit 222f. und 265f. 2 8 2 Grundlegend dazu Damm, ARSP 79 (1993) 159, 174ff. 277 278
II. Klage ohne subjektives
Recht
247
Verbandsinteresse anzuerkennen, welches etwa von § 8 U W G geschützt werden soll. Dies führt dann in die oben bereits anhand der Theorie von M a n f r e d W o l f behandelten Schwierigkeiten mit den Begriffen des Verbands- und Gruppeninteresses. 2 8 3 Wolf weist in diesem Z u s a m m e n h a n g mit Recht darauf hin, daß es nicht um die unmittelbaren Interessen des Verbandes geht, sondern darum, daß der Verband die Interessen anderer Personen oder einer bestimmten Gruppe vertreten m ö c h t e . 2 8 4 Wollte man darin ein subjektives Recht des Verbandes erkennen, so setzt dies die Anerkennung subjektiver Rechte voraus, die nicht im Interesse des Rechtsträgers, sondern anderer Personen gewährt werden. Diese K o n struktion wurde zeitweise zur Erklärung der juristischen Person verwendet, die eigene Rechte habe, die jedoch nur im Interesse ihrer Mitglieder gewährt seien.285 Derartige Ableitungen erscheinen aus heutiger Sicht jedoch nicht mehr notwendig. Die Anerkennung der juristischen Person als Rechtssubjekt und ihre Verselbständigung gegenüber den Mitgliedern implizieren, daß dieses Rechtssubjekt auch eigene Interessen haben kann und d a ß seine Rechte dem Schutz eigener Interessen dienen. Dafür spricht schon, daß die juristische Personen durch ihre Organe auch einen eigenen Willen bilden k a n n , der mit dem Willen der einzelnen Mitglieder nicht identisch ist. 2 8 6 Trotzdem geht m a n auch heute noch davon aus, daß es subjektive Rechte gibt, die nicht dem Interesse ihrer Inhaber, sondern anderer Personen dienen, etwa das Recht der elterlichen S o r g e . 2 8 7 Allerdings ist gerade dieses in § 1 6 2 6 Abs. 1 B G B geregelte Recht ein atypischer Sonderfall des subjektiven Rechts, denn jede elterliche Befugnis darf nur zum Wohle des Kindes ausgeübt werden, wie sich aus § 1 6 2 7 Satz 1 B G B ergibt. Daher wird die elterliche Sorge auch als von anderen subjektiven Rechten abzugrenzendes »Pflichtrecht« bezeichnet. 2 8 8 Als solches unterscheidet sich die elterliche Sorge grundlegend von den subjektiven Vermögensrechten; sie wird daher auch als subjektives Recht sui generis
bezeichnet. 2 8 9
Im Gegensatz zu den Vermögensrechten ist die elterliche Sorge weder übertragbar noch verzichtbar. 2 9 0 Sie ist also ein Beispiel für ein fremdnütziges, aber doch individuell zugeordnetes subjektives R e c h t , für das besondere Regeln gelten. Im Hinblick auf das in der Definition der Kombinationstheorie enthaltene Element Siehe oben, S. 21 Off. Wolf, Die Klagebefugnis der Verbände 20ff. 2 8 5 So bei Bernatzik, Über den Begriff der juristischen Person 51 ff.; Jellinek, System 44. 286 Larenz/Wolf, AT 150. 287 Pawlowski, AT 53 f. 2 8 8 Münchener Kommentar BGB/Huber, § 1626 Rn. 7 m. w.N.; vgl. bereits BGH 28.5.1976, BGHZ 66, 334, 337: »Das Recht der elterlichen Gewalt ist den Eltern nicht zur Verfolgung eigennütziger Interessen, sondern vielmehr zum Schutz des Kindes und zur Förderung seines Wohls und seiner Entwicklung gegeben worden.« 2 8 9 Münchener Kommentar BGB/Huber, § 1626 Rn. 11. 2 9 0 Staudinger/Peschel-Gutzeit, BGB (2002), §1626 Rn.24ff. 283 284
248
3. Kapitel: Zur Dogmatik
der Popular- und
Verbandsklage
des Interessenschutzes ist es daher weder ausgeschlossen noch zwingend, die Populär- und Verbandsklagekompetenz als subjektives Recht zu betrachten. c) Keine Güterzuordnung
an den Kläger
Mit den Mitteln der Kombinationstheorie läßt sich also hier keine besonders überzeugende Antwort finden. Daher soll stattdessen auf die oben herausgearbeiteten Strukturelemente des subjektiven Rechts im anspruchsvollen Sinne zurückgegriffen werden, nämlich das eher technische Element der Güterzuordnung und das normativ-utopische Element der Sicherung individueller Freiheit und Autonomie. Hinsichtlich der Güterzuordnung fällt auf, daß die Populär- und Verbandsklagekompetenzen nicht dem Schutz bestimmter Güter oder Privilegien des jeweils Klageberechtigten dienen. Im Gegenteil: Bereits oben wurde herausgearbeitet, daß sich diese Klagekompetenzen gerade dadurch auszeichnen, daß sie von den Interessen und Motiven ihrer Inhaber gänzlich unabhängig sind. Insbesondere fehlt es ihnen jedoch an dem gerade in jüngeren Definitionen des subjektiven Rechts enthaltenen Merkmal der Ausschließlichkeit. Dieses Merkmal bedeutet allerdings nicht, daß die fragliche Berechtigung nur diesem einen Inhaber zukommt und jeder andere von der betreffenden Handlungsbefugnis ausgeschlossen ist. Bei einer solchen Interpretation müßten alle mehreren Personen zugewiesenen Berechtigungen aus dem Begriff des subjektiven Rechts ausscheiden. Dies wäre abwegig, da beispielsweise auch ein gemeinschaftliches Eigentum subjektiv-rechtlichen Charakter hat, sich also die Qualität einer Berechtigung nicht an der Anzahl ihrer Inhaber mißt. Vielmehr meint das Merkmal der Ausschließlichkeit, daß andere Personen von der fraglichen Handlungsmöglichkeit ausgeschlossen werden können, 2 9 1 daß also dem oder den Rechtsinhabern ein exklusives Privileg gewährt wird. Dieses Merkmal der Exklusivität ist bereits im quod nostrum est des Donellus und dem »Mein und Dein« Kants angelegt: Es geht um Abgrenzung und Zuordnung. Bei der Popularklagekompetenz fehlt eine solche Abgrenzung und Zuordnung bestimmter Privilegien aber völlig. Die Kompetenz zur Popularklage steht jedermann zu, ebenso wie jedermann im Bürgerpark wandeln darf. Daher handelt es sich bei ihr nicht um eine ausschließliche Berechtigung, aufgrund derer man von einem subjektiven Recht sprechen könnte. Dies entspricht auch dem üblichen juristischen Sprachgebrauch: Wenn man mit der gängigen Kommentarliteratur § 42 Abs. 2 VwGO als »Ausschluß der Popularklage« deutet, 292 weil in dieser Vorschrift vorausgesetzt ist, daß der Kläger »in seinen Rechten verletzt« ist, dann impliziert
291 292
Dazu Sosnitza, MarkenR 2000, 77, 78. Kopp/Schenke, VwGO, §42 R n . 5 9 m.w.N.
II. Klage ohne subjektives
Recht
249
diese Redeweise, daß eine Popularklage keine Ausübung subjektiver Rechte darstellt. 2 9 3 Bei der Kompetenz zur Verbandsklage ist dieser Befund weniger eindeutig, da sie jedenfalls in dem Sinne ausschließlich ist, daß sie nur einer bestimmten Gruppe von Verbänden zukommt. Trotzdem besteht auch bei ihr ein Unterschied zu einem von mehreren Personen ausgeübten Herrschaftsrecht wie etwa dem gemeinschaftlichen Eigentum. Die Exklusivität des gemeinschaftlichen Eigentums erschöpft sich nicht darin, daß nur die Mitglieder der Gemeinschaft Eigentümer sind und kein anderer, sondern drückt sich auch in der Verbietungsmöglichkeit gegenüber diesen anderen aus. Den gemeinschaftlichen Eigentümern ist die jeweilige Sache auch und gerade in dem Sinne zugeordnet, daß jedem Außenstehenden der Zugriff auf die Sache untersagt werden kann. Dies ist bei der Verbandsklage jedoch prinzipiell anders. Die Zuordnung der Verbandsklagekompetenz zu ihren jeweiligen Inhabern erschöpft sich in der Einräumung der Klagemöglichkeit, ohne daß damit irgendein sonstiges Privileg verbunden wäre, das die Verbände gegen andere Personen verteidigen könnten. Also liegt hier nur eine faktische Ausschließlichkeit vor, die nicht mit einer Verbietungsmöglichkeit gegenüber anderen Personen verbunden ist. Mit der Verbandsklagekompetenz wird kein »Mein und Dein« verteilt, da die Verbandsklagekompetenz zwar eine Handlungsmöglichkeit, aber kein »Mein« des Verbandes in dem Sinne ist, daß er andere davon ausschließen könnte. Also ist auch dieses wichtige Element des anspruchsvollen Begriffs vom subjektiven Recht hier nicht gegeben.
d) Subjektive Rechte als Ausdruck individueller
Freiheit
Schließlich bleibt noch das normativ-utopische Element dieses Begriffs übrig, das Versprechen einer Rechtsgemeinschaft autonomer Individuen, die mit Hilfe des subjektiven Rechts ihre Freiheit verwirklichen. Dieses Modell paßt aber gerade nicht zur Populär- und Verbandsklage; vielmehr wird sie oft in eine eher freiheitsbeschränkende oder gar freiheitsfeindliche Ecke gerückt. 2 9 4 Diese Vorwürfe haben ihren wahren Kern darin, daß eine ideale - und daher utopische Gesellschaft im Sinne Kants möglicherweise derartiger Mittel nicht bedarf. Populär- und Verbandsklagen sind aber gerade als Reaktion auf die nicht ideale gesellschaftliche Realität zu betrachten; sie sind kompensatorische Mittel. Sie reagieren auf die faktischen Defizite einer realen Rechtsordnung, die mit dem im BeThiere, a.a.O. 2 8 5 f . So zur öffentlich-rechtlichen Verbandsklage Weyreutber, Verwaltungskontrolle durch Verbände? 84 (altruistische Verbandsklage beschneide den individuellen Rechtsschutz und stehe daher im Konflikt mit Art. 19 Abs. 4 GG); vgl. auch Stein/Jonas/Schumann, ZPO (20. Aufl. 1979), Einl. R n . 5 2 8 : Verbandsklage entspreche einer Prozeßauffassung, die einseitig auf das objektive Recht setze und »bislang in dieser Betonung seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr herrschend war.« 293
294
250
3. Kapitel: Zur Dogmatik
der Popular-
und
Verbandsklage
griff des subjektiven Rechts enthalten Modell bürgerlicher Chancengleichheit nicht erklärbar sind. Gerade weil die Durchsetzung subjektiver Rechte durch ihre freien und autonomen Inhaber nicht der gesellschaftlichen Realität entspricht, werden diese kompensatorischen Instrumente benötigt. Es wäre daher auch seltsam, wollte man diese kompensatorischen Mittel mit den Begriffen des Modells erläutern, dessen Defizite sie lindern sollen. Populär- und Verbandsklagen sind kein Ausdruck individueller Freiheit, sondern Ausdruck von Defiziten eines allein auf diese Freiheit setzenden Rechtsparadigmas.
3. Zwischenergebnis Insgesamt passen daher die hier untersuchten Populär- und Verbandsklagekompetenzen nicht zu einem aussagekräftigen Begriff des subjektiven Rechts. Mit ihnen werden keine subjektiven Rechte der jeweiligen Kläger durchgesetzt. 295 Statt dessen geht es bei ihnen um »die Erzwingung normgemäßen Verhaltens durch einen nicht in eigenen Rechten betroffenen Beteiligten.« 296 Es handelt sich um »rein objektive Verfahren« 297 zur Durchsetzung des objektiven Rechts unabhän-
295 Ebenso Häsemeyer, AcP 188 (1988) 140, 156: Bei der Verbandsklage seien subjektive Rechte der Kläger »schlechterdings nicht a u s z u m a c h e n « . Dies w u r d e auch in der Diskussion z u m T h e m a Verbandsklage auf der Tagung der Verenigung der Zivilprozeßrechtslehrer a m 3 1 . 3 . 2 0 0 0 in H a m b u r g deutlich, vgl. die Diskussionsbeiträge von Ahrens (Bezeichnung als Anspruch »kaschiere« nur die A b w e i c h u n g vom Schutz subjektiver Rechte) und Pfeiffer (Verbandsklage als gesetzgeberischer »Kniff«, der die Struktur subjektiven Rechtsschutz für etwas anderes nutze), wiedergegeben bei Oepen, Z Z P 113 (2000) 4 4 3 f f . Vgl. jüngst auch Micklitz/ Stadler, in: dies. (Hrsg.), Das Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft 1 1 8 5 , 1 1 8 9 f . : Die klagebefugten Verbände machten kein »eigenes rechtliches Interesse« geltend, daher gehe es nicht u m die A u s ü b u n g subjektiver Rechte, sondern u m eine »Übert r a g u n g staatlicher Aufgaben an private Rechtsträger.« Tendenziell anders jedoch dieselben Autoren a m Ende jenes Beitrags: D e m klagebefugten Verband solle ein aus »individuellen Fesseln« gelöstes subjektives und »kollektives« Recht »im öffentlichen Interesse« zustehen (ebd. 1283). 296 Stürner, Verfahrensgrundsätze des Zivilprozesses und Verfassung, in: FS Fritz Baur 647, 6 5 2 F n . 2 3 ( H e r v o r h e b u n g durch Verf.). 297 Gaul, FS Beitzke 9 9 7 , 1 0 2 1 f. zur AGB-Verbandsklage. Allerdings bezieht Gaul diese Aussage nicht auf alle Verbandsklagen, sondern sieht einen wesentlichen Unterschied zwischen der AGB-Verbandsklage u n d der UWG-Verbandsklage. Letztere sei v o m Individualrechtsschutz noch nicht ganz losgelöst, da etwa die Verbraucherverbände im Interesse der Verbraucher tätig werden und n a c h § 13 Abs. 1 U W G a.F. auch n u r verbraucherbezogene Wettbewerbsverstöße rügen k ö n n t e n (ebd. 1023). Dieses A r g u m e n t ist inzwischen durch den Wegfall derartiger Einschränkungen im neuen U W G hinfällig geworden. A u ß e r d e m legt Gaul bereits zur alten Rechtslage nicht dar, wie u n d w a r u m die UWG-Verbandsklage mit subjektiven Rechten des Verbandes begründet werden könnte. Er verweist insoweit n u r d a r a u f , d a ß die Verbraucherverbände nicht die »Interessen der Allgemeinheit«, sondern n u r diejenigen der Verbraucher w a h r n e h m e n (ebd.). Abgesehen von der Fragwürdigkeit derartiger Unterscheidungen hinsichtlich des verfolgten Interesses (dazu oben, S.202ff.) handeln die Verbraucherverbände auch bei der AGBKontrolle im Interesse der Verbraucher, w a s sich schon aus den satzungsmäßigen Voraussetzungen g e m ä ß § 4 Abs. 2 Satz 1 UKlaG ergibt. Jedenfalls nach heutiger Rechtslage ist d a h e r ein
II. Klage ohne subjektives
Recht
251
gig von der Person des Klägers. Die Kompetenz zur Populär- oder Verbandsklage könnte nur dann als Ausübung subjektiver Rechte begriffen werden, wenn man den Begriff des subjektiven Rechts mit jeder rechtlichen Handlungsmöglichkeit identifizierte und ihn damit völlig entwertete. Auch die Vorstellung, daß der Verband wie der Inhaber eines subjektiven Rechts behandelt werde, 2 9 8 verdeckt eher die aufgezeigten Unterschiede, als daß sie etwas zur Erklärung dieser Phänomene beitrüge. Eine derartige Vorstellung beruht auf der Annahme, daß letztlich jeder privatrechtlich ausgetragene Streit ein Streit um subjektive Rechte sei. Diese Annahme ist aber keineswegs zwingend. 2 9 9 Das Privatrecht muß nicht ausschließlich als System subjektiver Rechte begriffen werden, sondern kann auch davon handeln, »die Zusammenarbeit, die Kooperation, der Mitglieder der Rechtsgemeinschaft [...] zu gemeinsamen Zwecken vernünftig zu organisieren und sicherzustellen.« 3 0 0 In dieser Richtung ist auch Ludwig Raisers Vorschlag zu verstehen, im Privatrecht über die Sicherung subjektiver Rechte hinaus zu denken. Dabei verweist Raiser gerade auf den utopischen und damit für eine faktische Rechtsordnung nicht ausreichenden Charakter des Systems subjektiver Rechte: [Das Privatrecht] kann sich nicht damit begnügen, die Rechtssphären von Individuen gegeneinander abzugrenzen und zu schützen oder Verträge zu sanktionieren, die im herrschaftsfreien R a u m zwischen diesen Individuen zur selbstverantwortlichen Ordnung ihrer Beziehungen geschlossen werden. Die Wirklichkeit menschlichen Daseins in der Gesellschaft ist damit nicht voll erfaßt. Auch die Privatrechtswissenschaft muß sich der Einsicht heutiger Anthropologie und Soziologie öffnen, daß der Begriff des autonomen Individuums eine Abstraktion darstellt, deren Grenzen nicht verkannt werden dürfen [ . . . ] 3 0 1
Raiser schlägt daher vor, im Privatrecht dem System subjektiver Rechte ein zweites System hinzuzufügen, und zwar eines des Schutzes gesellschaftlicher Institutionen kraft objektiven Rechts. 3 0 2 Inwieweit diese Überlegung für eine Theorie der Populär- und Verbandsklage fruchtbar gemacht werden kann, bleibt noch zu überprüfen. An dieser Stelle ist zunächst die Feststellung wichtig, daß das Privatrecht sich nicht im System subjektiver Rechte erschöpft und daß Populär- und struktureller Unterschied zwischen der AGB-Verbandsklage und der UWG-Verbandsklage nicht auszumachen. 298 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit 256f., der dazu anmerkt, daß auch die Verbandsoder Popularklagekompetenz letztlich ein subjektives Recht darstelle (ebd. Fn. 191 mit unzutreffendem Verweis auf Alexy, Theorie der Grundrechte 211 ff., der ausdrücklich einen weiten Begriff des subjektiven Rechts verwendet und diesen wiederum unterteilt in Rechte »auf etwas«, Freiheiten und Kompetenzen). 2 9 ' Gegen sie bereits Gneist, Der Rechtsstaat und die Verwaltungsgerichte in Deutschland 2 7 1 : Der Gedanke, daß jeder Prozeß als Streit um subjektive Rechte zu denken wäre, sei eine »civilistische petitio principii«. Zu Gneists objektiv-rechtlicher Konzeption des Verwaltungsprozesses siehe Masing, a.a.O. 78f. 300 Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, a.a.O. 7, 2 2 . 301 Raiser, in: summum ius, summa iniuria 145, 146 f. 3 0 2 Ebd. 148f.
252
3. Kapitel: Zur Dogmatik der Populär- und
Verbandsklage
Verbandsklagen Kompetenzen darstellen, die sich nicht sinnvoll als Ausübung subjektiver Rechte beschreiben lassen.
III. Klage ohne
Anspruch
D a m i t ist die Grundlage gelegt, einen weiteren Zentralbegriff des Privatrechts auf seine Verbindung zur Populär- und Verbandsklage hin abzuklopfen, nämlich denjenigen des Anspruchs. Dabei soll die in der Rechtsprechung und in der K o m mentarliteratur herrschende Auffassung überprüft werden, es handele sich sowohl bei der Popularklage als auch bei der Verbandsklage um die Geltendmachung materiell-rechtlicher Ansprüche der jeweiligen Kläger. 3 0 3
1. Entscheidung durch den Gesetzgeber? Seit der Schuldrechtsmodernisierung des J a h r e s 2 0 0 2 , mit der auch das Unterlassungsklagengesetz eingeführt wurde, wird von den Anhängern dieser Auffassung unter anderem argumentiert, der Gesetzgeber habe diese
Streitfrage
nunmehr im Sinne einer materiell-rechtlichen Zuweisung von Ansprüchen entschieden. 3 0 4 Die Formulierung in §§ 1 und 2 U K l a G , w o n a c h dort »Ansprüche« geregelt seien, wird in diesem Sinne als » M a c h t w o r t des Gesetzgebers« gesehen, mit dem »alle Deutungen der Verbandsklagebefugnis als Prozeßstandschaft oder anspruchsunabhängiger Rechtsbehelf überholt« seien. 3 0 5 Diese Ansicht kann man entweder als historische oder als wörtliche Auslegung der § § 1 und 2 U K l a G und anderer Vorschriften über die Verbandsklage verstehen. Erforscht man den historischen Willen des Gesetzgebers, so stößt man nur auf knappe Ausführungen in der Begründung zum Unterlassungsklagengesetz. D a n a c h sollte die Gesetzesformulierung klarstellen, daß die Verbandsklagekompetenz »eine Regelung über die Aktivlegitimation« sei. 3 0 6 Vor dem Hintergrund der bislang herrschenden Lehre von der »Doppelnatur« der Verbandsklage wollte der Gesetzgeber also vornehmlich die Praxis der Gerichte beenden, das Bestehen der Ver-
3 0 3 So zur Popularklage etwa v. Gamm, WZG, § 11 Rn. 10 am Ende (Popularklage des seinerzeit geltenden Warenzeichengesetzes sei »zeichenrechtlicher Löschungsanspruch«); zur Verbandsklage etwa BGH 24.4. 1964, BGHZ 41, 314, 317f. (UWG-Verbandsklage als »materiellrechtlicher Unterlassungsanspruch aus eigenem Recht«); BGH 21.2. 1990, ZIP 1990, 511, 512 (AGB-Verbandsklage als materiell-rechtlicher Anspruch); Fezer/Büscher, UWG, §8 Rn.36; Tetzner, WRP 1987, 803; Urbanczyk, a.a.O. 128f.; Palandt/Bassenge, BGB, § 1 UKlaG Rn.3; Soergel/Niedenfübr, BGB, § 194 Rn. 1; LÖK/e/WestphalenArinkner, AGBG, § 13 Rn.4. 304 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 284; Stoffels, AGB-Recht 528. Stoffels spricht von »materiell-rechtlichen Ansprüchen«, welche jedoch die »Besonderheit« haben sollen, daß sie »nicht aus der Verletzung eigener materieller Rechte herrühren« (ebd. 529). 305 Greger, ZZP 113 (2000) 399, 403. 3 0 6 BT-Drs. 14/2658, 52.
III. Klage ohne
Anspruch
253
bandsklagekompetenz auch als Zulässigkeitsvoraussetzung zu prüfen. 3 0 7 Eine darüber hinausgehende Stellungnahme zum Begriff des Anspruchs und der dogmatischen Einordnung der Verbandsklagekompetenz ist der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen. Wichtiger erscheint daher die Verwendung des Begriffs vom Anspruch in §§ 1 und 2 UKlaG sowie nun auch in § 8 UWG. Dieser Begriff wird von den Vertretern der herrschenden Ansicht auf § 194 Abs. 1 BGB bezogen, mithin sei auch bei der Verbandsklage ein »materiell-rechtlicher Anspruch im Sinne von §194 Abs. 1 BGB« gegeben. 308 Diese Bezeichnung ist wiederum doppeldeutig. Sie enthält einerseits die Aussage, daß die Verbandsklagekompetenz vom Wortlaut des §194 Abs. 1 BGB umfaßt wird. Diese Aussage ist aber trivial, denn natürlich ist jede Möglichkeit zur Erhebung einer Unterlassungsklage ein »Recht, von einem anderen ein [...] Unterlassen zu verlangen«. Ebenso trivial ist die Feststellung, daß der Gesetzgeber die Verbandsklagekompetenzen der in § § 194 ff. BGB geregelten Verjährung unterwerfen will. Dies ergibt sich hinsichtlich des Unterlassungsklagengesetzes aus der Gesetzesbegründung 309 und hinsichtlich der lauterkeitsrechtlichen Verbandsklage aus § 11 UWG. Allerdings ergibt sich daraus zunächst nur der Wille des Gesetzgebers, für die Ausübung der Verbandsklagekompetenz gewisse zeitliche Schranken zu setzen. Dieses Ziel kann auch auf anderen Wegen erreicht werden 310 und ist nicht zwingend mit der Annahme eines materiell-rechtlichen Anspruchs verbunden, welcher der Verbandsklagekompetenz zugrunde liegen soll. Eine derartige Annahme geht nämlich über die soeben beschrieben Trivialitäten hinaus. Es handelt sich dabei um eine dogmatische Aussage, die eine Trennung des materiellen vom Prozeßrecht ebenso impliziert wie die Unterscheidung zwischen materiell-rechtlichem und prozessualem Anspruch. Die damit verbundenen dogmatischen Zusammenhänge sind jedoch nicht Gegenstand der gesetzgeberischen Entscheidung gewesen. Es ging dem Gesetzgeber vornehmlich darum, die Lehre von der »Doppelnatur« zu bekämpfen, nicht aber, bestimmte dogmatische Einordnungen mit allen ihren Voraussetzungen und Konsequenzen vorzuschreiben. Dies wäre der Sache auch nicht angemessen gewesen, denn die mit der Funktion der Verbandsklage verbundenen besonderen Probleme lassen sich nicht mit einem »Federstrich« beiseite schieben. 311 Sie setzen vielmehr eine Auseinandersetzung mit der Entwicklung des materiell-rechtlichen Anspruchs-
307
E. Schmidt, N J W 2 0 0 2 , 2 5 , 28. Palandt/Bassenge, BGB, § 1 UKlaG Rn. 3; ebenfalls mit Verweis auf § 194 Abs. 1 BGB bereits B G H 2 5 . 1 . 1995, N J W 1995, 1488. 309 BT-Drs. 14/6040, 2 7 5 . 310 Dazu unten, S.355. 311 So Lindacher in seinem Diskussionsbeitrag auf der Tagung der Vereinigung der Zivilprozeßrechtslehrer a m 3 1 . 3 . 2 0 0 0 in H a m b u r g , wiedergegeben bei Oepen, Z Z P 113 (2000) 4 4 3 , 448. 308
254
3. Kapitel: Zur Dogmatik der Popular- und
Verbandsklage
begriffs voraus, um die Frage zu klären, o b dieser für die Beschreibung der existierenden Populär- und Verbandsklagekompetenzen angemessen ist. Dieser Versuch soll im folgenden unternommen werden.
2. Materiell-rechtlicher Gehalt des Anspruchsbegriffs a) Windscheids
Anspruchsbegriff
Ähnlich wie beim subjektiven R e c h t ist daher auch hier ein knapper Rückblick auf die Begriffsgeschichte des materiell-rechtlichen Anspruchs angebracht. Diese Geschichte beginnt nach einhelliger Auffassung mit den Arbeiten Bernhard Windscheids. Dieser schlug 1 8 5 6 vor, den römisch-rechtlichen Begriff der actio durch den Begriff des Anspruchs zu ersetzen und diesem eine vom Prozeß unabhängige Bedeutung beizulegen. 3 1 2 Windscheids Anspruchsbegriff ist deswegen materiell-rechtlich zu nennen, weil er den Anspruch von seiner gerichtlichen Geltendmachung deutlich unterschied. Der Windscheidsche Anspruch ist ein nichtprozessuales »Recht zum Ansprechen, das R e c h t , von einem Anderen etwas zu v e r l a n g e n . « 3 1 3 Anders als bei der römischen actio enthält dieser Begriff gerade kein »Element des Gerichts, des gerichtlichen Gehörs und des gerichtlichen Schutzes, der Möglichkeit der Erlangung richterlicher Zuerkennung für das Begehren, welches man h a t . « 3 1 4 N u n fragt m a n sich, wozu dieser Begriff des Anspruchs nötig sein soll. Er ist insofern keine Neuerung, als es auch vor Windscheid durchaus eine materiellrechtliche Betrachtung subjektiver Rechte gab, die von den Klagemöglichkeiten unterschieden w u r d e n . 3 1 5 Daher wurde Windscheids Vorschlag von seinen Zeitgenossen nicht nur positiv aufgenommen. Gegen ihn wurde eingewandt, daß die Begriffe des Rechts und der Klage ausreichten und daß es eines dazwischen liegenden Begriffs des Anspruchs nicht bedürfe. 3 1 6 Diese Kritik erscheint zumindest im Hinblick auf relative Rechte auf den ersten Blick berechtigt. N i m m t man etwa aufgrund eines Kaufvertrags ein Recht auf Zahlung des Kaufpreises an, so erscheint es ausreichend zu sagen, daß ein solches Recht im materiellen Sinne besteht und das es nötigenfalls per Klage durchgesetzt werden kann. Des Anspruchsbegriffs bedarf es dazu nicht. Daher wird auch in jüngerer Zeit weiterhin die Auffassung vertreten, daß der Anspruchsbegriff bei relativen Rechten unnötig oder jedenfalls mit dem des subjektiven Rechts identisch sei. 3 1 7 312
5 ff.
Windscheid,
Die Actio des römischen Civilrechts vom Standpunkte des heutigen Rechts
ders., Lehrbuch des Pandektenrechts I, 99. Ebd. 101. 3 1 5 Siehe dazu oben, S. 231 ff.; zum Begriff des Anspruchs vor Windscheid auch Kollmann, a.a.O. 575. 316 v. Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches und das deutsche Recht 41 f. 317 Okuda, AcP 164 (1964) 536, 542 und 546. 313
314
III. Klage ohne Anspruch
255
Anders liegt es dagegen bei den absoluten Rechten. Spricht man etwa von einem subjektiven Eigentumsrecht, so ist damit zwar eine v o m Prozeß unabhängige rechtliche Position bezeichnet, nicht aber jede einzelne Befugnis, die aus dieser Position hervorgeht. D e r Windscheidsche Anspruchsbegriff ist hier durchaus sinnvoll, 3 1 8 da er zwischen dem materiell-rechtlichem absoluten Recht und den damit verbundenen Klagemöglichkeiten eine weitere Ebene einzieht, auf der die einzelnen Befugnisse des Rechtsinhabers auch unabhängig von einem Prozeß beschrieben werden können. Der Anspruch wird daher mit R e c h t auch als Mittler zwischen materiellem subjektiven Recht und Klage bezeichnet 3 1 9 oder als » R e a lisierung des subjektiven Rechts außerhalb des Prozesses.« 3 2 0 In einem System ohne den Begriff des Anspruchs fehlt diese Zwischenstufe. M a n behilft sich dann mit der Vorstellung, daß die Klagemöglichkeit bei einer Verletzung des subjektiven Rechts sozusagen aus diesem entstehe. 3 2 1 M i t dieser Vorstellung läßt sich aber schwer erklären, w a r u m bestimmte Klagemöglichkeiten aus bestimmten subjektiven Rechten entspringen, wenn sie nicht schon vorher materiell-rechtlich in diesen enthalten w a r e n . 3 2 2 Der Begriff des Anspruchs ist dagegen sinnvoll als prozeßunabhängige Beschreibung bestimmter mit einem absoluten Recht verbundenen rechtlichen Möglichkeiten. Vor diesem Hintergrund erhält der Begriff des Anspruchs allerdings auch bei relativen subjektiven Rechten eine besondere Aussagekraft. Er impliziert nämlich, daß sich das relative Recht nicht in einem vereinzelten Klagerecht erschöpft, sondern - insofern dem absoluten Recht ähnelnd, wenngleich nur auf eine spezifische Person bezogen - eine umfassendere Rechtsposition beinhaltet. Unter dieser Annahme ist es sinnvoll, von einem grundlegenden relativen subjektiven Recht zu sprechen und die damit verbundenen einzelnen Befugnisse Ansprüche zu nennen. Auch Windscheid geht von dieser Annahme aus, wenn er den Unterschied zwischen subjektiven Rechten und Ansprüchen erläutert: Sowohl in absoluten wie auch in relativen Rechten seien Ansprüche » e n t h a l t e n « . 3 2 3 Sowohl absolutes als auch relatives subjektives R e c h t sind also bei Windscheid als eine dem einzelnen Anspruch vorgängige und umfassendere Rechtsposition gedacht. Ein
3 1 8 Ebd. 537f. Anders dagegen Henckel, AcP 174 (1974) 97,140ff., der die Windscheidsche Konstruktion des Anspruchs für verfehlt hält, da schuldrechtliche und dingliche Befugnisse sich grundlegend unterscheiden und eine einheitliche Begrifflichkeit des Anspruchs somit nicht sinnvoll sei; dem zustimmend Jürgen Schmidt, FS Jahr 401, 407. 319 Münch, Vollstreckbare Urkunde 59; ähnlich bereits Dubischar, Über die Grundlagen der schulsystematischen Zweiteilung 109, der Windscheids Bedeutung u.a. darin sieht, daß dieser dem Begriff des Anspruchs »eine gegenüber dem Begriff des subjektiven Rechts eigenständige Bedeutung« gab. 320 Wesel, Festgabe v. Lübtow 787, 795. 321 Savigny, System V, 2ff., der die Klage als »Metamorphose« des subjektiven Rechts bezeichnet. Dazu Kollmann, a.a.O. 528ff. 3 2 2 Vgl. dazu Jürgen Schmidt, FS Jahr 401, 405f. 323 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts 99.
256
3. Kapitel: Zur Dogmatik der Populär- und
Verbandsklage
Anspruch ohne subjektives R e c h t ist in diesem System nicht vorgesehen und auch nicht erklärbar.
b) Anspruch
und subjektives
Recht
heute
Diese Wurzel des Anspruchsbegriffs als Vermittlung zwischen subjektiven R e c h ten und Klagemöglichkeit ist heute jedoch zum Teil überwuchert. In jüngeren Lehrbüchern wird der Anspruch teilweise als eine besondere Art der subjektiven Rechte bezeichnet. 3 2 4 Eine derartige Verwendung erklärt aber nicht, wozu man den Begriff des Anspruchs dann noch benötigt, und gibt damit tendenziell die von Windscheid vorgenommene Differenzierung auf. M a n könnte statt dessen mit Windscheids Kritikern auch von einem subjektiven R e c h t auf etwas und der damit verbundenen Klagemöglichkeit sprechen. Andere Stimmen in der Literatur beharren allerdings auf der Differenzierung von Ansprüchen und subjektiven Rechten in dem Sinne, daß materiell-rechtliche Ansprüche bloße Durchsetzungsinstrumente für subjektiv-rechtliche »Stammp o s i t i o n e n « 3 2 5 seien. Diese Differenzierung kehrt in verschiedenen Formulierungen wieder, die jedoch im wesentlichen auf dasselbe Modell hinauslaufen, daß nämlich materiell-rechtliche Ansprüche nur aufgrund einer ihnen vorgängigen Rechtsposition entstehen können: So wurde Anfang des 2 0 . Jahrhunderts formuliert, daß Ansprüche aus subjektiven Rechten »entspringen«. 3 2 6 D a m i t wird das Bild des subjektiven Rechts als einer Quelle von Ansprüchen gezeichnet. Weniger bildhaft sprach man später vom Anspruch als eine der »Formen, in denen das subjektive Recht in Erscheinung treten k a n n , « 3 2 7 oder davon, daß alle materiell-rechtlichen Ansprüche auf einem subjektiven R e c h t » b e r u h e n « 3 2 8 oder noch nüchterner - v o m Anspruch als » A u s ü b u n g « 3 2 9 oder »Konkretisierung« 3 3 0 des subjektiven Rechts. Unabhängig von den einzelnen Formulierungen wird damit im Verhältnis von subjektivem Recht zum Anspruch ein Mutter-Tochter-Bild
Medicus, AT 35; Bork, AT, Rn.280. E. Schmidt, NJW 2002, 25, 28 unter Verweis auf Raiser, JZ 1961, 465, 466 f.; ähnlich Rüthers/Stadler, AT 42: Anspruch sei »nur ein Ausschnitt aus der durch das subjektive Recht insgesamt verliehenen Rechtsmacht«; auf der Differenzierung zwischen dem subjektiven Recht und daraus folgenden Ansprüchen beharrt auch Costede, FS Deutsch 907, 911 f. Zum Begriff der »Rechtsposition« vgl. bereits Rimmelspacher, Materiellrechtlicher Anspruch und Streitgegenstandslehre im Zivilprozeß 105, der die dem Träger »ausschließlich zugewiesene Rechtsposition« als einen Teil des Anspruchsbegriffs versteht. 326 Dernburg, Das bürgerliche Recht des Deutschen Reiches und Preußens I, 114; zur Trennung zwischen subjektivem Stammrecht und darauf fußendem Anspruch auch Planck, BGB, Anm.5f vor $194, S.506. 327 Enneccerus/Nipperdey, AT, 1. Halbbd. 431 f. 3 2 8 Erman/Schmidt-Räntsch, BGB, § 194 Rn.2. 329 Bucher, Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis 8, 67 und 82. 330 Pawlowski, AT 157. 324 325
Hl. Klage ohne Anspruch
257
aufgegriffen, das bereits bei den Glossatoren des Mittelalters geläufig war: » O b ligatio est causa et mater a c t i o n i s . « 3 3 1 Gegen eine solche Vorstellung von den einzelnen Ansprüchen zugrundeliegenden und damit in gewissen Sinne primären Rechten wird eingewandt, daß die Ansprüche als real wirksame rechtliche Kompetenzen das eigentlich Primäre seien. Die angeblich primären Rechte seien nur eine begriffliche Zusammenfassung dieser K o m p e t e n z e n . 3 3 2 An dieser in der Kelsensche Tradition stehenden Kritik ist richtig, daß etwa der Inhalt des subjektiven Rechts Eigentum sich nicht naturwüchsig oder aus dem Wesen desselben ergeben kann, sondern nur aus den positiv-rechtlich normierten Kompetenzen, die damit verbunden sind. Trotzdem hat die Rede von einem Stammrecht oder primären Recht einen bestimmten normativen Sinn, der oben bereits dargestellt w u r d e . 3 3 3 Dies wird auch von der Gegenansicht konzediert: Die Zusammenfassung der einzelnen Kompetenzen in einem Stammrecht lasse »das geschützte Interesse deutlicher h e r v o r t e t e n . « 3 3 4 Die Differenzierung zwischen vorgängigem subjektiven R e c h t und daraus folgendem materiell-rechtlichen Anspruch stellt daher einen dogmatischen Fortschritt dar und sollte nicht ohne N o t aufgegeben w e r d e n . 3 3 5 Für absolute Rechte wie das Eigentum ist sie auch weitgehend unangefochten. Die aus den absoluten Rechten abgeleiteten Ansprüche werden vielfach auch als »unselbständige« Ansprüche bezeichnet, was bereits deutlich macht, daß sie nicht isoliert von der zugrundeliegenden Rechtsposition betrachtet werden k ö n n e n . 3 3 6 Aber auch für relative Rechte ist die Differenzierung zwischen subjektivem Recht und darauf beruhenden Ansprüchen sinnvoll. Sie ist ein angemessener Ausdruck für die Vorstellung, daß ein Schuldverhältnis sich im Regelfall nicht auf isolierte Befugnisse gegenüber dem anderen Teil beschränkt, sondern als komplexe Ordnung aus Befugnissen und Verpflichtungen der Beteiligten zu denken i s t . 3 3 7 Dies wird durch den anläßlich der Schuldrechtsreform 2 0 0 2 eingefügten § 2 4 1 Abs. 2 B G B noch deutlicher. Z u m Wortlaut des § 2 4 1 B G B a.F. konnte man durchaus noch die Meinung vertreten, daß sich der Begriff des Schuldverhältnisses hier in der Forderung erschöpfe. 3 3 8 Diese Vorschrift w a r vieldeutig und konnte sowohl als Definition des Schuldverhältnis im engeren Sinne - als bloße Forderung - verstanden werden wie auch als Hinweis auf eine »Vorstellung, die zwar die Schuld nicht ignoriert, jedoch über sie h i n a u s f ü h r t . « 3 3 9 Für ei331 So die Glosse actio autem zu I.4.6.pr., zit. nach Coing, in: Coing/Lawson/Grönfors, a.a.O. 7,13; zum Bild des Rechts als mater actionum auch Münch, Vollstreckbare Urkunde 40. 332 Röhl, Allgemeine Rechtslehre 337f. 3 3 3 Siehe oben, S.242. 334 Röhl, a.a.O. 338. 335 Yg] ¿azu die differenzierte Untersuchung von Jürgen Schmidt, FS Jahr 401 ff. 336 Larenz/Wolf, AT 265. 337 E. Schmidt, Das Schuldverhältnis 2 ff. 3 3 8 So zu §241 Abs. 1 BGB weiterhin Medicus, AT 36. 339 Gernhuber, Das Schuldverhältnis 7.
258
3. Kapitel: Zur Dogmatik
der Populär-
und
Verbandsklage
ne solche Vorstellung eines Schuldverhältnisses »im weiteren Sinne« 340 sprach allerdings die bereits in § 241 BGB a.F. enthaltene Differenzierung zwischen den Begriffen des Schuldverhältnisses einerseits und der »kraft« dieses bestehenden Forderung andererseits. Unabhängig vom Wortlaut der Vorschrift ist eine solche Differenzierung jedoch schon deswegen nötig, weil mit einer isolierten Betrachtung der Forderung viele Phänomene des Schuldrechts schlichtweg nicht erklärt werden können. 3 4 1 So wäre etwa der in § 404 BGB bei einer Abtretung angeordnete Schuldnerschutz nicht verständlich, wenn die schuldrechtliche Forderung tatsächlich isoliert und »in sich selbst gegründet« 342 wäre. Will man der abgetretenen Forderung bestimmte Einwendungen des Schuldners »entgegensetzen«, wie es in §404 BGB heißt, so müssen diese Einwendungen ja in irgendeiner Weise mit der abgetretenen Forderung verbunden werden. Anders könnte man gar nicht feststellen, welche Einwendung des Schuldners insoweit möglich ist und welche nicht. Gerade diese Verbindung der Forderung mit ihr zugeordneten Einwendungen leistet aber der Begriff des Schuldverhältnisses im weiteren Sinne, da er einen Rahmen schafft, der die gemäß § 404 BGB möglichen Einwendungen begründet und zugleich eingrenzt. Einwendungen aus dieser »Rechtsbeziehung« 343 , aus der auch die abgetretene Forderung entspringt, fallen unter §404 BGB, Einwendungen aus anderen Schuldverhältnissen zwischen dem Schuldner und dem Zedenten dagegen grundsätzlich nicht - es sei denn, letzteres wird explizit angeordnet wie in § 406 BGB. Daher benötigt man schon für die Anwendung des § 404 BGB einen Begriff des Schuldverhältnisses im weiteren Sinne, der auch in Rechtsprechung und Literatur zu dieser Vorschrift wie selbstverständlich verwendet wird. 344 Ein weiteres Beispiel aus dem Schuldrecht, das mit einer isolierten Betrachtung der Forderung nicht bewältigt werden kann, ist der echte Vertrag zu Gunsten Dritter. Gemäß § 328 Abs. 1 BGB entsteht durch diesen ein Recht des Dritten, »die Leistung zu fordern,« also eine Forderung im bereits erörterten Sinne. 345 Auch diese Forderung kann aber nicht isoliert von den ihr zugrundeliegenden Rechtsbeziehungen zwischen den anderen beiden Parteien betrachtet werden, was sich bereits aus § 334 BGB ergibt. In dieser Vorschrift zeigt sich die Abhän340
Ebd. 8. Dazu E. Schmidt, ZIP 1991, 629, 6 3 1 mit weiteren Beispielen. 342 Gernhuber, Das Schuldverhältnis 30. 345 H a n d k o m m e n t a r BGB/Schulze, § 4 0 4 R n . 2 . 344 Vgl. nur Staudinger/ß«sc^e, BGB (1999) § 4 0 4 R n . 1 0 (Einwendungen, »die im Schuldverhältnis angelegt waren«); B G H 2 6 . 6 . 1957, B G H Z 2 5 , 2 7 , 29; B G H 2 9 . 1 1 . 1984, B G H Z 93, 71, 79 (jeweils mit Verweis auf »Wesen und Inhalt des Schuldverhältnisses«). G a n z deutlich E r m a n I W e s t e r m a n n , BGB, § 3 9 8 R n . 2 8 : Mit der Abtretung »ändert sich grundsätzlich nichts an der Abhängigkeit der abgetretenen Forderung vom Bestand des zugrundeliegenden Schuldverhältnisses.« 345 Staud'mger/Jagmann, BGB (2004) § 3 2 8 R n . 4 . 341
III. Klage ohne Anspruch
259
gigkeit der dem Dritten zustehenden Forderung von einem Schuldverhältnis im weiteren Sinne, nämlich von demjenigen zwischen dem Versprechenden und dem Versprechensempfänger. 3 4 6 D u r c h den mit der Schuldrechtsmodernisierung eingefügten § 2 4 1 Abs. 2 B G B wird die notwendige Differenzierung zwischen der Forderung und dem Schuldverhältnis im weiteren Sinne noch deutlicher. Die Neufassung der Vorschrift impliziert ein zugrundeliegendes Verhältnis zwischen den Parteien, aus dem sich verschiedene einzelne Verpflichtungen ergeben können. Die in § 2 4 1 Abs. 1 B G B enthaltene Verpflichtung zur Leistung mit der ihr korrespondierenden Forderung ist demnach nur eine dieser aufgrund des Schuldverhältnisses bestehenden Pflichten. Das Schuldverhältnis m u ß als »Gesamtheit« rechtlicher Beziehungen zwischen den Parteien gedacht w e r d e n . 3 4 7 Allerdings bedeutet § 2 4 1 Abs. 2 B G B keine Änderung gegenüber dem vorher bereits auf dogmatischem Wege erreichten weiten Verständnis des Schuldverhältnis. 3 4 8 O h n e ein solches weites Verständnis wäre schon die Entwicklung der positiven Vertragsverletzung k a u m begreiflich gewesen, denn diese Figur geht ja gerade davon aus, daß sich ein Schuldverhältnis eben nicht in den mit § 2 4 1 B G B a.F. bezeichneten Leistungspflichten erschöpft. Insgesamt ist das Verhältnis zwischen subjektivem Stammrecht und einzelnem materiell-rechtlichem Anspruch bei relativen Rechten ebenso strukturiert wie bei absoluten Rechten: »Zwischen dem Schuldverhältnis und der einzelnen schuldrechtlichen Forderung besteht mithin ein ähnlicher Z u s a m m e n h a n g wie zwischen dem absoluten Recht und den aus ihm erwachsenden A n s p r ü c h e n . « 3 4 9 Ein begrifflicher Unterschied liegt allenfalls darin, daß der schuldrechtliche Anspruch auch als Forderung bezeichnet wird; damit ist aber keine inhaltliche Abweichung g e m e i n t . 3 5 0 Allerdings bezeichnen manche Autoren die schuldrechtlichen Ansprüche als subjektive Rechte, die »in sich selbst gegründet« 3 5 1 seien und daher nicht auf ihnen vorgängigen subjektive Stammrechte zurückzuführen seien. D a m i t wird zu Recht darauf hingewiesen, daß diese Ansprüche einen selbständigen wirtschaftlichen Wert darstellen und daher zumindest in der Regel auch selbständig übertragbar sind. 3 5 2 D a r u m geht es hier aber nicht. Die selbständige Übertragbarkeit ist mit der Bezugnahme auf eine zugrundeliegende Stammposition durchaus vereinbar, zumal sich aus der Stammposition auch gleichzeitig Grenzen und WirLarenz, Schuldrecht I, 223. Erman/Schmidt-Räntsch, BGB, § 194 Rn.3. 3 4 8 Münchener Kommentar BGB/Kramer, §241 Rn. 1. 349 Enneccerus/Nipperdey, AT, 2. Halbbd. 1365; ebenso Lehmann, AT 87. 350 Enneccerus/Nipperdey, ebd. 1363 Fn.8 und 1365; Gernhuber, Das Schuldverhältnis 34f.; Medicus, AT 37 m.w.N; Staudinger/Peiers, BGB (2004) § 194 Rn.7. 351 Gernhuber, Das Schuldverhältnis 30; für eine Identität von subjektivem Recht und Anspruch bei relativen Rechten auch Reinel 97 f. 352 Larenz/Wolf, AT 265. 346
347
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3. Kapitel: Zur Dogmatik der Popular- und
Verbandsklage
kungen dieser Übertragung bestimmen, wie das soeben erläuterte Beispiel des § 4 0 4 B G B zeigt. Weiterhin ist der Auffassung von den »in sich selbst gegründeten« relativen Rechten zuzugeben, daß es eine unnötige begriffliche Verdoppelung wäre, wenn man der Forderung ein gleichgerichtetes subjektives R e c h t zur Seite stellte, welches wiederum der Forderung zu seiner Verwirklichung bedürfte. Einer solchen Grundlage bedarf die Forderung tatsächlich nicht, so daß sie in diesem Sinne durchaus »in sich selbst gegründet« ist. Eine derartige Verdoppelung ist jedoch mit dem oben dargestellten Begriff eines Schuldverhältnisses im weiteren Sinne auch nicht gemeint. Dieser weitere Begriff ist gerade nicht der Forderung gleichgerichtet, sondern umfaßt alle in concreto einschlägigen Rechte und Pflichten der Parteien. M a n könnte allenfalls daran zweifeln, o b für einen solchen weiten Begriff des Schuldverhältnisses noch der Begriff eines subjektiven Rechts angemessen erscheint oder o b dieser nicht eher durch das »Rechtsverhältnis« ersetzt werden m ü ß t e . 3 5 3 Dabei handelt es sich jedoch um eine weitgehend terminologische Frage. Für die Z w e c k e der vorliegenden Untersuchung ist entscheidend, daß nach dem bisher Gesagten ein materiell-rechtlicher Anspruch nicht ohne eine ihm zugrundeliegende individuell zugeordnete Stammposition denkbar ist, wobei diese entweder in einem subjektiven Recht absoluter Art oder einem Schuldverhältnis im weiteren Sinne bestehen kann. Allerdings ist hier zu ergänzen, daß es auch Ansprüche gibt, die individuell zugeordnete Rechtspositionen schützen, ohne daß diese zu absoluten Rechten oder zu Schuldverhältnissen verdichtet sind. Insbesondere die §§ 8 2 3 Abs. 2 und 8 2 6 B G B schützen individuell zugeordnete Vermögensinteressen, die nicht notwendigerweise in subjektiven Rechten bestehen. Diese Problematik hat dazu Anlaß gegeben, die genannten Vorschriften nicht als Schutz subjektiver Rechte aufzufassen, sondern als Schutz bestimmter Institutionen, der den betroffenen Personen nur reflexartig zugute k o m m e . 3 5 4 Gegen einen solchen engen Begriff der subjektiven Rechte ist jedoch eingewandt worden, daß § 8 2 3 Abs. 1 und 2 B G B zwar rechtstechnisch verschieden, aber doch strukturell ähnlich sind. Beide weisen »die Möglichkeit, aus der Verwirklichung eines bestimmten Tatbestands bestimmte Rechtsfolgen beanspruchen zu können, einem Rechtssubjekt, nämlich dem Berechtigten, zu und wenden sich als Verbotsnorm gegen alle a n d e r e n . « 3 5 5 Auch bei den Ansprüchen aus §§ 8 2 3 Abs. 2 und 8 2 6 B G B geht es also um die Zuordnung bestimmter Güter zu einzelnen Individuen und um die Herausbil-
3 5 3 So insbesondere Larenz/Wolf, AT 227; vgl. auch RGRK/Johannsen, BGB (12.Aufl. 1975), § 194 Rn. 1 f., der Ansprüche entweder auf schuldrechtliche oder dingliche »Rechtsverhältnisse« gründet. 354 Raiser, in: summum ius, summa iniuria 145, 158f. 355 Jürgen Schmidt, Aktionsberechtigung und Vermögensberechtigung 41; ähnlich Schapp, Das subjektive Recht im Prozeß der Rechtsgewinnung 106 ff.
III. Klage ohne
Anspruch
261
dung »qualifizierter Schutzzonen« 356 vor bestimmten Handlungen zugunsten eines Individuums. Zumindest in diesem Sinne schützen sie also ebenfalls subjektiv-rechtliche Stammpositionen. Der materiell-rechtliche Anspruch, wie er in der Rechtswissenschaft in der Nachfolge Windscheids entwickelt wurde, ist also weder identisch mit einer bloßen Klagemöglichkeit noch mit den subjektiven Rechten und Rechtsverhältnissen, auf denen er beruht. Allerdings kann weder das eine noch das andere aus dem Anspruchsbegriff herausgenommen werden, ohne daß er sinnlos würde. Dabei soll auf den Streit darüber, ob es auch Ansprüche ohne Klagemöglichkeit geben kann, 3 5 7 nicht weiter eingegangen werden, da er nur Bereiche betrifft, die nichts mit Populär- oder Verbandsklagen zu tun haben. Für diese ist allerdings der andere Pol des Anspruchsbegriffs relevant, nämlich die Frage, ob es einen materiell-rechtlichen Anspruch geben kann, dem keine individuell zugeordnete Stammposition zugrunde liegt. Diese Frage ist jedenfalls in der Windscheidschen Terminologie und gemäß den oben angestellten Überlegungen zu verneinen. Ein Anspruchsbegriff, der diesen auf die bloße Klagemöglichkeit reduziert, geht hinter den Windscheidschen Vorschlag zurück und entspricht eher der römischen actio. Diese Behauptung wird im Hinblick auf die Eigenschaften der Populär- und Verbandsklagekompetenz noch näher erläutert werden. Zuvor soll jedoch noch ein Blick auf den im Bürgerlichen Gesetzbuch verwendeten Anspruchsbegriff geworfen werden, da sich die herrschende Ansicht zum Anspruchscharakter der Populär- und Verbandsklage ja gerade auf § 194 BGB beruft. c) Kodifikation
in § 194 BGB
An der Legaldefinition des Anspruchs in § 194 BGB ist zunächst bemerkenswert, daß sie in einem ganz bestimmten Kontext erscheint, nämlich in dem der Verjährung. Damit wird die Definition eines Grundbegriffes des bürgerlichen Rechts anläßlich einer Einzelfrage vorgenommen. Diese Verbindung zwischen allgemeinem Begriff und besonderem Problem wird auch in der rechtshistorischen Forschung zu § 194 BGB hervorgehoben. Sie verweist zunächst auf den Einfluß, den Windscheid auf den Gesetzgebungsvorgang hatte, und versteht § 194 BGB daher als Kodifizierung des Windscheidschen Anspruchsbegriffs.358 Andererseits wird der dürftige systematische Gehalt dieser Vorschrift aufgezeigt und die konkrete Problemlösung betont, nämlich die Entscheidung für ein materiell-rechtliches Verständnis der Verjährung. 359 Die auf einen verjährten Anspruch gestützte KlaE. Schmidt, ZIP 1991, 629, 630. Dagegen bereits Enneccerus/Nipperdey, AT, 2. Halbbd. 1367; zum Diskussionsstand Staudinger/;. Schmidt, BGB (1994) Einl. zu § § 2 4 1 ff., Rn.288ff. 358 Kollmann, a.a.O. 610f. 3 5 9 Ebd. 614. 356
357
262
3. Kapitel: Zur Dogmatik der Popular- und
Verbandsklage
ge sollte nach dem Willen des Gesetzgebers nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abgewiesen w e r d e n . 3 6 0 Diese Entscheidung für ein materiell-rechtliches Verständnis der Verjährung impliziert eine Trennung von materiellem Recht und Prozeßrecht. Daher wird zumindest diese Konsequenz der Windscheidschen Lehre mit Recht als wesentliche Bedeutung des § 1 9 4 B G B genannt. M i t dieser Vorschrift wurde das römische Aktionendenken endgültig verabschiedet. 3 6 1 Wenn es also in § 1 9 4 B G B heißt, daß jemand etwas »verlangen« könne, dann ist damit nicht nur die rechtliche Möglichkeit gemeint, etwas im Wege der Klage fordern zu k ö n n e n , 3 6 2 sondern auch die materiell-rechtliche Grundlage dieser Möglichkeit. N u r letztere soll ja der Verjährung unterliegen. Daraus ergibt sich aber weder, daß jede prozessuale Handlungsmöglichkeit auf einem materiell-rechtlichen Anspruch beruhen müßte, noch daß alle Klagemöglichkeiten verjähren können oder müssen. Es ist vielmehr anerkannt, daß die in § 1 9 4 geregelte Verjährung nur materiell-rechtliche Ansprüche u m f a ß t 3 6 3 und daß sonstige Klagemöglichkeiten anderen Regeln unterliegen. So ist etwa ein Gestaltungsrecht kein Anspruch; es unterliegt auch nicht der V e r j ä h r u n g . 3 6 4 Das heißt wiederum nicht, daß Gestaltungsrechte keinen zeitlichen Beschränkungen unterliegen; für sie gelten häufig besonders geregelte Ausschlußfristen. 3 6 5 Auch das prozessuale R e c h t zur Erhebung einer Feststellungsklage ist von § 1 9 4 B G B nicht b e t r o f f e n . 3 6 6 Trotzdem sind auch dieser Klagemöglichkeit zeitliche Grenzen gesteckt. Diese bestehen etwa darin, daß das festzustellende Rechtsverhältnis bei Schluß der mündlichen Verhandlung entweder noch bestehen m u ß 3 6 7 oder zumindest noch rechtliche Nachwirkungen
für eine Prozeßpartei
zeitigen
muß.368 Somit ist die Anwendung des § 1 9 4 B G B auf materiell-rechtliche Ansprüche im Windscheidschen Sinne zu beschränken. Z u r Klärung der Frage, welche rechtlichen Kompetenzen solche Ansprüche darstellen, trägt diese Vorschrift jedoch nicht viel bei.
Motive BGB I, 290. Enneccerus/Nipperdey, AT, 2. Halbbd. 1361 ff.; HKK-UGB/Hermann, §§194-225 Rn. 19; Kollmann, a.a.O. 611. 362 Dernburg, Das bürgerliche Recht des Deutschen Reiches und Preußens I, 116. 3 6 3 Erman/Scbmidt-Räntsch, BGB, § 194 Rn.2. 3 6 4 Münchener Kommentar/Groffce, BGB, § 194 Rn.4. 3 6 5 So etwa zum Widerruf der Schenkung in § 532 Satz 1 BGB. 3 6 6 Münchener KommentarIGrothe, BGB, § 194 Rn.2; SteinJ]onas/Schumann, ZPO, §256 Rn. 11; ebenso bereits Motive BGB I, 295. 3 6 7 BAG 5.10. 2000, DB 2001, 2056; OLG Hamm 11.3. 1993, VersR 1994, 193. 3 6 8 BGH 5.6. 1981, WM 1981, 1050f.; Baumbach/Lauterbach/Hariman«, ZPO, §256 Rn. 16 und 19. 360 361
III. Klage ohne Anspruch
263
3 . Die Reprozeduralisierung des Anspruchsbegriffs Die auch hinsichtlich des § 194 BGB hervorgehobene Bedeutung des Anspruchsbegriffs im Windscheidschen Sinne liegt darin, daß er die Brücke schlägt zwischen einem materiell-rechtlich verstandenen subjektiven Recht und den daraus erwachsenden Klagemöglichkeiten. Dabei ist der Anspruch nicht identisch mit der Klagemöglichkeit. Diese Differenzierung führte jedoch im Verlaufe des 2 0 . Jahrhunderts zu neuen Problemen und zu einer Entwicklung, die man als Reprozeduralisierung des Anspruchsbegriffs bezeichnen kann. Mit Reprozeduralisierung ist gemeint, daß der Anspruchsbegriff wieder stärker in die Nähe einer bloßen Klagebefugnis gerückt wird und so seine materiell-rechtliche Bedeutung verliert. Dabei können zwei Etappen unterschieden werden, nämlich zunächst die Diskussion um die vorbeugende Unterlassungsklage und später die Diskussion um die Populär- und Verbandsklage.
a) Vorbeugende
Unterlassungsklage
als Anspruch
Bei der vorbeugenden Unterlassungsklage ist bis heute streitig, ob sie als Ausübung eines Anspruchs eingeordnet werden kann oder ob es sich um eine bloß prozessuale Befugnis handelt. 3 6 9 Ausgangspunkt dieser Diskussion war das Problem, daß der Wortlaut des § 1 0 0 4 B G B in doppelter Hinsicht »zu eng geraten« 3 7 0 ist. Zum einen schützt er nur das Eigentum vor »weiteren Beeinträchtigungen«, nicht aber andere Rechte und Rechtsgüter. Zum anderen ist nicht einsichtig, warum nur »weitere« Beeinträchtigungen mit der Unterlassungsklage abgewehrt können sollen, nicht aber die erstmals drohende Beeinträchtigung des Eigentums. Die Rechtsprechung korrigierte beides recht schnell. Zunächst wurde der Anwendungsbereich des § 1 0 0 4 BGB erweitert auf alle absoluten Rechte 3 7 1 und darüber hinaus auch auf alle deliktsrechtlich geschützten Rechtsgüter und rechtlich geschützte Interessen: »Dem durch einen widerrechtlichen Eingriff in ein durch das Gesetz geschütztes Rechtsgut Betroffenen steht eine actio quasi negatoria zu, wenn weitere Beeinträchtigungen zu besorgen sind.« 3 7 2 Diese auf eine Analogie zu § 1 0 0 4 BGB gestützte »quasinegatorische« Unterlassungsklage wird heute längst als Gewohnheitsrecht 3 7 3 bezeichnet. Auch die zweite Begrenzung des Wortlauts des § 1 0 0 4 BGB ist von der Rechtsprechung seit langem be369 Nachweise zur Geschichte dieses Streits etwa bei v. Caemmerer, FS DJT (1960) 49, 53 f.; Wesel, FS v. Lübtow 787ff.; Herbst, Die Bedeutung des Rechtsschutzanspruchs für die moderne Zivilprozeßrechtslehre 406ff.; Urbanczyk, Zur Verbandsklage im Zivilprozeß 117ff.; Reinel, Verbandsklage nach dem AGBG 99((.; Thiere, Wahrung überindividueller Interessen 117ff.; Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage 114 ff. 370 Münzberg, JZ 1967, 689, 690. 371 RG 9.10. 1929, RGZ 125, 391; BGH 13.3. 1998, NJW 1998, 2058, 2059. 372 RG 5.1. 1905, RGZ 60, 6, 7; ebenso heute BGH (vorige Fn.). 373 Erman/Ebbing, § 1004 Rn. 10.
264
3. Kapitel: Zur Dogmatik
der Popular-
und
Verbandsklage
seitigt, indem ein Schutz aus oder analog zu § 1004 bereits dann gewährt wird, wenn ein erster Eingriff in das geschützte Recht oder Rechtsgut drohend bevorsteht. 374 Gerade diese vorbeugende Unterlassungsklage wirft jedoch Zweifel daran auf, ob ihr ein materiell-rechtlicher Anspruch zugrunde liegt. Jedenfalls für die quasinegatorische Unterlassungsklage zum Schutze bloßer Rechtsgüter und Interessen wurde eingewandt, daß einem solchen »Anspruch« die materiell-rechtliche Komponente fehle. Das BGB kenne Ansprüche nur aufgrund von absoluten Rechten einerseits oder Schuldverhältnissen andererseits. Nicht zu absoluten Rechten ausgebildete Güter und Interessen werden nach dieser Systematik dadurch geschützt, daß bei ihrer Verletzung ein Schuldverhältnis aus Delikt entstehe. Liegt aber noch gar keine Verletzung vor, dann bestehe auch kein Schuldverhältnis und damit kein Anspruch. 375 Zur Konstruktion eines vorbeugenden Unterlassungsanspruchs zum Schutze bloßer Rechtsgüter oder Interessen müsse man daher ein subjektives Recht auf Wahrung des eigenen Güterbestands 376 oder aber »eine unbegrenzte Vielzahl von Ansprüchen eines jeden gegen jeden auf >Unterlassung< rechtswidriger Handlungen« 3 7 7 konstruieren. Beides sei jedoch nicht sinnvoll, da die Begriffe des subjektiven Rechts und des Anspruchs so ihrer spezifischen, auf individuelle Güterzuteilung gerichteten Bedeutung beraubt würden. 3 7 8 Aus dieser Sicht könne man daher die quasinegatorische vorbeugende Unterlassungsklage nur als Instrument des rein prozessualen Güterschutzes begreifen. 379 Diese Zweifel an der Anspruchsqualität der vorbeugenden quasinegatorischen Unterlassungsklage konnten sich jedoch nicht durchsetzen. Heute geht die herrschende Meinung davon aus, daß auch ihr ein materiell-rechtlicher Anspruch auf Unterlassung zugrunde liegt. 380 Dafür spreche, daß die mit der Unterlassungsklage eingeforderten Unterlassungspflichten ausreichend konkretisiert seien. Diese Konkretisierung bestehe auf der Gläubigerseite in einem individuell zugeordneten Recht oder Rechtsgut und auf der Schuldnerseite durch den Sachverhalt, aus dem sich die drohende Gefährdung ergebe. Nur bei einer ausreichend konkreten Bedrohung einzelner Rechtsgüter sei die Unterlassungsklage begründet; unter dieser Voraussetzung sei die Bedrohung aber auch »bestimmt genug, um eine Pflichtbeziehung zwischen den Beteiligten so zu konkretisieren, 374
R G 1 7 . 2 . 1921, R G Z 101, 335, 3 3 9 f . ; B G H 1 9 . 6 . 1951, B G H Z 2, 394, 3 9 5 f . Esser, Schuldrecht II (4. Aufl. 1971) 4 7 4 ; Herbst, a . a . O . 4 1 5 f f . , 4 3 7 . 376 Esser, ebd. 377 Lorenz, Lehrbuch des Schuldrechts II (7. Aufl. 1965) 4 8 1 . 378 Ebd.; Esser, Schuldrecht II (4. Aufl. 1971) 4 7 4 . 379 Larenz, ebd.; Esser, ebd. 4 7 5 ; Esser/Weyers, Schuldrecht I I / 2 , 2 6 5 ; vermittelnd Raiser, in: s u m m u m ius, s u m m a iniuria 145, 155f., der die quasinegatorische Unterlassungsklage als »einen dem jeweiligen Inhaber des Rechtsgutes zur A u s ü b u n g überlassenen Institutsschutz« einordnet. 380 Palandt/Bassenge, BGB, § 1004 R n . 3 1 (»ganz h. M.«). 375
III. Klage ohne Anspruch
265
daß ihr ein individueller Anspruch korrespondieren k a n n . « 3 8 1 Anders als von der Mindermeinung behauptet, 3 8 2 unterscheidet sich die Rechtsbeziehung zwischen dem Inhaber des Rechtsguts und dem konkret drohenden Störer gerade aufgrund dieser Konkretisierung durchaus von seiner Beziehung zum Rest der Welt. Die abstrakt für jedermann bestehende Pflicht zu Respektierung der jeweiligen Güter ist etwas anderes als die konkrete Pflicht, eine bestimmte geplante, vorbereitete oder gar schon begonnene Handlung zu unterlassen. Der Mindermeinung, die den Anspruchscharakter der quasinegatorischen vorbeugenden Unterlassungsklage verneint, ist zuzugeben, daß diese die Abgrenzung zwischen absoluten subjektiven Rechten und Rechtsgütern oder rechtlich geschützten Interessen verwischt und in Frage stellt. Es wird bei der quasinegatorischen Unterlassungsklage eher von der Klagemöglichkeit auf eine materiellrechtliche Rechtsposition geschlossen als umgekehrt. 3 8 3 D a m i t wird der Anspruchsbegriff im oben dargestellten Sinne ein Stück weit reprozeduralisiert. Trotzdem erscheint der Anspruchsbegriff hier weiterhin sinnvoll. Die herrschende M e i n u n g weist mit R e c h t darauf hin, daß es nicht bloß um die Einhaltung des objektiven Rechts geht, sondern um den Schutz konkreter Individuen in den ihr zugeordneten Rechtspositionen, mag man diese nun als subjektive Rechte oder nur als Rechtsgüter oder rechtlich geschützte Interessen bezeichnen. Auch diese schwächeren Begriffe teilen noch die dem subjektiven Recht oben zugeschriebene Funktion der Güterzuteilung. Sie bezeichnen durchaus ein » M e i n und D e i n « , mag dieses auch nicht absolut getrennt sein - wie bei Eigentum - sondern nur gegen bestimmte Normverstöße gesichert sein, wie etwa in den Fällen der §§ 8 2 3 Abs. 2 , 8 2 4 oder 8 2 6 B G B . Auch diese N o r m e n und die mit ihnen verbundenen vorbeugenden Unterlassungsklagen schützen eine dem jeweils Berechtigten individuell zugewiesene Position, 3 8 4 mag auch die Technik des Schutzes nicht die der absoluten Rechte sein. Gleichgültig ob diese Pflichten aus dem normativen Gehalt des subjektiven Rechtes oder aus bestimmten, konkretisierten Verhaltensanweisungen abgeleitet werden, stets dienen sie dem Schutz einer Zuweisung oder einer Rechtssphäre und sind nicht identisch mit der Zuweisung oder Rechtssphäre selbst. 3 8 5 Das Einfordernkönnen der mit der Unterlassungsklage geltend gemachten Verhaltenspflicht ist also »Ausfluß der deliktisch geschützten R e c h t s p o s i t i o n « 3 8 6 und dem jeweils Berechtigten somit unabhängig von der Klagemöglichkeit als 381 Münzberg, JZ 1967, 689, 693; ähnlich Wesel, FS v. Lübtow 787, 800, dort 793ff. auch zur Geschichte des Streits um den »Anspruch gegen jedermann.« 382 Esser/Weyers, a.a.O. 264f. 3 8 3 Daraufweist Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts II (7. Aufl. 1965) 480 hin. 384 Göbel, a.a.O. 116. 385 Henckel, AcP 174 (1974) 97, 136f. 386 Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1 (8. Aufl. 1995) 86; ähnlich Portmann, a.a.O. 137: Der Unterlassungsanspruch sei »Ausschnitt aus dem Verbotsrecht«.
266
3. Kapitel: Zur Dogmatik
der Popular-
und
Verbandsklage
»eigenes materielles Innehaben zugewiesen«. 387 Daher ist auch die Rede vom materiell-rechtlichen Anspruch hier noch sinnvoll. b) Populär- und Verbandsklage als Anspruch? Anders ist es dagegen bei den Populär- und Verbandsklagen. Hier läßt sich auf den ersten Blick keine materielle Zuweisung einer Rechtsposition ausmachen, die man von der Klagemöglichkeit unterscheiden könnte. Vielmehr handelt es sich um Klagemöglichkeiten für Personen, die gerade nicht in einer ihnen zugewiesenen Rechtssphäre bedroht oder beeinträchtigt sind. 388 Daraus wurde schon in der älteren Rechtsprechung teilweise der Schluß gezogen, daß es sich bei diesen Kompetenzen gerade nicht um die Wahrnehmung materieller Ansprüche handelt. So wies das Reichsgericht 1931 darauf hin, daß die lauterkeitsrechtlichen »Unterlassungsansprüche«, soweit sie auch nicht unmittelbar betroffenen Unternehmern sowie Verbänden zukommen, »grundsätzlich nicht einem Individualrecht« entstammen. 389 Noch 1953 führte der Bundesgerichtshof zur Patentnichtigkeitsklage aus, daß ihr Kläger »nicht einen Anspruch gegen den Patentinhaber« verfolge, sondern ausschließlich ein öffentliches Interesse an der Vernichtung zu Unrecht erteilter Patente wahrnehme. 3 9 0 Derartige Äußerungen blieben jedoch vereinzelt. In Literatur zu den Popularklagekompetenzen des Patent- und Markenrechts werden diese oft ohne weitere Begründung als Ansprüche bezeichnet. 391 Die in diesem Zusammenhang gelegentlich geäußerte Ansicht, daß es sich bei diesen Kompetenzen gar nicht um »echte« Popularklagen handelt, ist oben bereits widerlegt worden. 3 9 2 Im übrigen handelt es sich bei der auf die Popularklagen bezogenen Verwendung des Begriffs »Anspruch« wohl überwiegend um eine unreflektierte Übernahme gängiger privatrechtlicher Begrifflichkeiten. 393 Auch die Verbandsklagekompetenzen des geltenden Rechts werden überwiegend als »Ansprüche« bezeichnet. 394 Im Gegensatz zur Popularklage handelt es sich hier jedoch meist um eine bewußte Entscheidung. Für eine derartige Einordnung wird vor allem angeführt, daß das Interesse des Klageberechtigten an der Einhaltung des objektiven Rechts vom Gesetz anerkannt werde und daher sein 387
So die Definition des materiellen Anspruchs bei Henckel, AcP 174 (1974) 97, 127. Henckel, ebd. 137; Herbst, a . a . O . 4 4 5 ; Reinel, a . a . O . l l l f . (alle zur Verbandsklage). 389 R G 2 1 . 4 . 1931, R G Z 132, 311, 3 1 6 f . 390 B G H 2 0 . 5 . 1953, G R U R 1953, 3 8 5 , 386. Auch Wagner, Prozeßverträge 4 2 2 , sieht in der patentrechtlichen Popularklage keinen materiell-rechtlichen A n s p r u c h , sondern nur einen »dem öffentlichen Recht angehörenden Gestaltungsgrund«. 391 Etwa bei v. Gamm, W Z G , § 11 Rn. 10 am Ende. 392 Siehe oben, S. 2 0 1 f. 393 So der Befund z u m M a r k e n r e c h t bei Jackermeier, Die Löschungsklage im M a r k e n r e c h t 93. 394 Siehe oben, S . 2 5 2 . 388
III. Klage ohne
Anspruch
267
Fordernkönnen als materiell-rechtlicher Anspruch bezeichnet werden könne. 395 Diese Formulierung versucht also, in der Klagekompetenz gleichzeitig die Zuweisung einer materiellen Position zu erkennen. Das Besondere an dieser Zuweisung ist jedoch, daß sie sich gerade in der Klagekompetenz erschöpft und mit ihr identisch ist. Ebenso wie beim oben bereits behandelten Begriff des subjektiven Rechts würde also der Begriff des Anspruchs entleert und völlig reprozeduralisiert, wenn man ihn auch auf rein prozessuale Kompetenzen bezöge. 396 Außerdem wird behauptet, daß die Annahme eines materiell-rechtlichen Anspruchs nötig sei, um die außerprozessualen Handlungsmöglichkeiten der Verbandsklageberechtigten zu erklären. Insbesondere die Möglichkeit der Abmahnung sei bei einer rein prozeßrechtlichen Betrachtung der Verbandsklagekompetenz nicht erklärbar. 397 Die klageberechtigten Verbände hätten nämlich »das Recht, ja sogar die Last«, außerprozessual durch Abmahnung vorzugehen. 398 Es ist allerdings fraglich, warum damit ein materiell-rechtlicher Anspruch verbunden sein muß. 3 9 9 Die Last, jemanden zunächst abzumahnen, um so der Kostenfolge des § 93 ZPO zu entgehen, korrespondiert nicht zwingend mit einer individuellen materiell-rechtlichen Position. Auch die nunmehr erfolgte Kodifizierung dieser Last in § 12 Abs. 1 UWG sagt nichts über eine solche Position aus. Man kann daher dieses Argument wohl nur so verstehen, daß es die Behauptung enthält, eine Abmahnung wegen eines objektiv-rechtlichen Verstoßes bedürfe stets einer entsprechenden materiell-rechtlichen Position des Abmahnenden. In diesem Sinne wird etwa auch gesagt, daß sich die materiell-rechtliche Komponente der Verbandsklagekompetenz dann zeige, wenn der Verband mit der Gegenseite vorprozessual über die begehrte Unterlassung verhandele. 400 Diese Überlegungen haben jedoch bei Lichte betrachtet mit der Frage nach einem materiell-rechtlichen Anspruch des Verbandsklägers nichts zu tun. Verhandeln kann jeder mit jedem über alles; dazu bedarf es keiner rechtlichen Grundlage und keines Anspruchs. Gerade wenn ein solcher Anspruch fehlt, mögen Verhandlungen sinnvoll sein - man denke etwa an kulanzmäßige Regelungen zum Schutze des guten Rufes eines Unternehmen auch ohne entsprechende Ansprüche der Kunden. Hinter dem genannten Argument steht die Vorstellung, daß eine Abmahnung schon dann rechtswidrig sei, wenn der Abmahnende nicht materiell-rechtlich zu dieser Handlung besonders berechtigt sei. 401 Eine Abmahnung
395
Henckel, AcP 174 (1974) 97, 138; ders., Parteilehre 84; ähnlich Wolf, Z Z P 94 (1981) 107, 109; Urbanczyk, a . a . O . 128. 396 Vgl. dazu auch die ablehnenden A u s f ü h r u n g e n z u m materiell-rechtlichen Klagerecht bei Wagner, Prozeßverträge 4 0 3 f. 397 Urbanczyk, a . a . O . 129. 398 Leipold, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes 66. 399 Gegen einen solchen Schluß bereits Zeuner, FS Dölle I, 2 9 5 , 307. 400 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit 2 5 6 F n . 1 8 9 . 401 Insoweit mißverständlich auch Fezer /Büscher, U W G , § 12 R n . 4 7 : Wer nicht Gläubiger
268
3. Kapitel: Zur Dogmatik
der Popular-
und
Verbandsklage
ohne zugrundeliegenden materiell-rechtlichen Anspruch wird gar als »Nötigung oder Erpressung« bezeichnet. 402 Dies ergibt sich allerdings weder aus der Rechtsprechung zur unrechtmäßigen Abmahnung und ihren Folgen 403 noch aus allgemeinen Erwägungen. Die klassische Abmahnung enthält zwei Teile, nämlich einerseits die Aufforderung zur Achtung des objektiven Rechts und andererseits das Angebot zum Abschluß eines Unterlassungsvertrages. Beides bedarf aber keiner materiell-rechtlichen Grundlage. Es ist jedermann unbenommen, einen Mitbürger aufzufordern, sich an das geltende Recht zu halten; dies geschieht auch täglich und bedarf keiner rechtlichen Regelung. Eine solche Aufforderung zur Beachtung des geltenden Rechts ist auch nicht »verwerflich« im Sinne von §240 Abs. 2 oder §253 Abs. 2 StGB. 404 Damit ist allerdings nichts über eine eventuelle Pflicht zur Erstattung von Kosten einer solchen Aufforderung gesagt; dies ist ein gesondert zu behandelndes Problem. 405 Auch die Unterbreitung eines Vertragsangebotes bedarf keiner besonderen Befugnis, wenn man einmal von dem hier nicht einschlägigen Fall der Belästigung durch Werbung absieht. 406 Vielmehr sollen durch den avisierten Vertrag Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien erst geschaffen werden; sie sind aber nicht Voraussetzung des Vertrags oder eines darauf abzielenden Angebots. Daher setzen weder die Abmahnung, das Angebot zum Abschluß eines Unterlassungsvertrages noch außerprozessuale Verhandlungen über das begehrte Verhalten einen materiell-rechtlichen Anspruch voraus. Gegen die Einordnung von Populär- und Verbandsklagekompetenzen als Anspruch spricht weiterhin, daß - wie die hier vorgenommene Bestandsaufnahme im zweiten Kapitel zeigt - die regelmäßig »mit der Anspruchsfigur verbundenen Verfügungsmöglichkeiten« wie Abtretung und Erlaß kaum oder nur sehr eingeschränkt möglich sind. 407 Allerdings darf dieses Argument nicht so verstanden werden, daß etwa Abtretung und Erlaßmöglichkeit notwendig zum Anspruchsbegriff gehören. Auch bei gemeinhin als Ansprüchen anerkannten Kompetenzen kommen derartige Beschränkungen ja vor. 408 Es wäre also nicht ausgeschlossen, die Populär- und Verbandsklagekompetenzen als Sonderformen des Anspruchs anzusehen, bei denen derartige Beschränkungen besonders bedeutend sind. eines Unterlassungsanspruchs sei, k ö n n e auch nicht »berechtigt« a b m a h n e n . Hier m ü ß t e die Frage der Kostenfolge von der Rechtmäßigkeit der A b m a h n u n g getrennt werden. 402 Urbanczyk, a . a . O . 129. 403 Dazu Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 12 U W G Rn. 1.69ff. 404 Vgl. etwa zu regelmäßig zulässigen » D r o h u n g « mit einer Zivilklage M ü n c h e n e r Kommentar StGBIGropp/Sinn, § 2 4 0 R n . l 3 4 f . 405 Siehe dazu unten, S.353. 406 Derartige Belästigungen werden von der Rechtsprechung d a n n a n g e n o m m e n , w e n n die W e r b u n g in die »Individualsphäre des U m w o r b e n e n « eingreift, so B G H 1 . 4 . 2 0 0 4 , N J W 2 0 0 4 , 2593, 2594. 407 Leipold, in: Gilles (Hrsg.), a . a . O . 66. 408 Dies ergibt sich bei der Abtretung bereits aus d e m Gesetz ( § § 3 9 9 , 4 0 0 BGB); mannigfaltige Beispiele für Erlaßverbote etwa bei E r m a n / £ . Wagner, BGB, § 3 9 7 Rn. 13.
III. Klage ohne Anspruch
269
Gegen eine solche Einordnung spricht aber der tiefere Grund für die in der Bestandsaufnahme erörterten Beschränkungen hinsichtlich der Dispositionsbefugnis. Es geht bei ihnen nicht um den Schutz der betroffenen Parteien, sondern darum, daß der sachliche Gegenstand, auf den die fragliche Klagekompetenz sich bezieht, den Parteien überhaupt nicht zu ihrer Verfügung zugewiesen ist. Insofern berührt sich also dieses Argument mit der bereits angestellten Erwägung, daß es bei den Populär- und Verbandsklagekompetenzen nicht um die Sicherung einer Güterzuteilung unter den Individuen geht, sondern um die von diesen Individuen gänzlich abstrahierende Durchsetzung des objektiven Rechts. Den Popular- und Verbandsklagekompetenzen fehlt das »Element der Selbstbetroffenheit«, das zur Annahme eines eigenen Anspruchs erforderlich ist. 4 0 9 Selbst die Vertreter der herrschenden Meinung zur Anspruchsqualität der Populär- und Verbandsklagekompetenz räumen daher ein, daß der von ihnen angen o m m e n e »Anspruch« sich von anderen negatorischen oder quasinegatorischen Ansprüchen in gewisser Weise unterscheidet. Der Kläger verteidigt nicht seine eigene, ihm zugewiesene Sphäre in dem bisher verstandenen Sinne. Er nimmt vielmehr ein eigenes Interesse daran war, daß die Verletzung fremder Sphären unterbleibt. 410 Der Begriff des Anspruchs wird damit um seine in der Güterzuweisung liegende materiell-rechtliche Bedeutung »reduziert«. 4 1 1 Dies wird teilweise auch so ausgedrückt, daß es zu einer »weiteren Steigerung der Abstraktionshöhe des Anspruchsbegriffs« k o m m e . 4 1 2 Allerdings schwindet mit dieser Abstraktionshöhe auch die Aussagekraft des Begriffs überhaupt. Setzt man nämlich jegliche Klagekompetenz mit dem materiell-rechtlichen Anspruch gleich, so verschwindet die spätestens durch Windscheid eingeführte Differenzierung zwischen materiellrechtlichen Zuweisungen und prozessualen Möglichkeiten. Dies mag man als bloße terminologische Frage bezeichnen, 4 1 3 zumal dann, wenn man aus der Einordnung einer Klagekompetenz als Anspruch dogmatische Konsequenzen nicht ziehen w i l l . 4 1 4 Allerdings fragt man sich dann, wozu der Anspruchsbegriff überhaupt noch benötigt wird. D a m i t würde die zivilrechtliche D o g m a t i k also wieder in einen bereits im 1 9 . Jahrhundert überwunden geglaubten Zustand zurückversetzt: Wer um der Erhaltung eines Systems willen tragende Begriffe sinnentleert, fördert unabsichtlich zwar, aber auf Sicht unausweichlich die Sprengung dieses Systems. Anders ge409 Marotzke, ZZP 98 (1985) 160, 179; ähnlich Herbst, a.a.O. 444f.; Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse 129. 410 Henckel, AcP 174 (1974) 97, 138. 4 1 1 Ebd. 412 Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 13 Rn. 3; ähnlich Münchener Kommentar BGB/Gerlach (3.Aufl.), § 13 AGBG Rn.8 (»abnormer«, »abstrakter« Anspruch). 413 v. Caemmerer, FS DJT (1960) 49, 54. 4 1 4 So Henckel, AcP 174 (1974) 97, 138.
270
3. Kapitel: Z.ur Dogmatik der Popular- und
Verbandsklage
wendet: Wird der zivilistische Anspruch nur noch vom Ergebnis her konzipiert und darüber seine materiale Herkunft vergessen, so verfällt er mit Notwendigkeit inhaltlicher Beliebigkeit. Um individuelle Zuweisungsgehalte braucht man sich dann bald nicht mehr zu streiten. 41
s
N u n ist das seit Windscheid eingeführte System materiell-rechtlicher Ansprüche nicht das einzig mögliche zivilrechtliche System; immerhin ist man jahrhundertelang ohne diese ausgekommen. Auch ein Aktionendenken in bloßen Klagemöglichkeiten ist nicht per se abzulehnen, sondern bietet oft ein realistischeres oder pragmatischeres Bild einer Rechtsordnung als ein Denken in materiell-rechtlichen K a t e g o r i e n . 4 1 6 Trotzdem beruht nun einmal das geltende Privatrecht auf der Differenzierung von materiellem R e c h t und Verfahrensrecht sowie auf der Vorstellung subjektiver Rechte und materiell-rechtlicher Ansprüche. Dieses System sollte nicht ohne N o t aufgegeben werden. Daher ist der Begriff des Anspruchs auf solche Kompetenzen zu beschränken, die sich als Ausübung einer materiell-rechtlich zugewiesenen individuellen Rechtsposition darstellen. Für Populär- und Verbandsklagekompetenzen, die unabhängig von der Position des Klägers die Durchsetzung des objektiven Rechts sichern sollen, paßt er n i c h t . 4 1 7 Die insoweit abweichende herrschende Ansicht ist eine »Uberdehnung« des Anspruchsbegriffs, die diesen letztlich unbrauchbar m a c h t . 4 1 8
4. Verbandsklage als Geltendmachung fremder Ansprüche? Eine weitere Literaturansicht räumt zwar ein, daß die Verbandsklagekompetenz nicht als eigener materiell-rechtlicher Anspruch des Verbands zu begreifen ist, bleibt jedoch trotzdem in der Begrifflichkeit des Anspruchs, indem sie die Verbandsklagekompetenz als prozeßstandschaftliche Wahrnehmung fremder Ansprüche e i n o r d n e t . 4 1 9 Dabei stellt sich jedoch die Frage, welche und wessen Ansprüche es sein sollen, die der Verband im eigenem N a m e n einklagt.
a)
Individualansprüche
Zunächst wurde dazu hinsichtlich der lauterkeitsrechtlichen Verbandsklage vorgeschlagen, daß es sich um die Ansprüche der konkret in ihrer Geschäftstätigkeit beeinträchtigten Konkurrenten handele. N u r diesen stünden materiell-rechtliche 415 E. Schmidt, NJW 1989,1192,1194; ähnlich Göbel, a.a.O. 118, wonach die herrschende Meinung die »strukturellen Grundlagen des herkömmlichen Anspruchsbegriffs« verlasse. 4 1 6 Dazu Bucher, AcP 186 (1986) 1, 72f. 4 1 7 So mit Recht zur Verbandsklage Micklitz/Stadler, in: dies. (Hrsg.), Das Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft 1185, 1284; ebenso zur Popularklage im Markenrecht Jackermeier, a.a.O. lOOf. 418 Herbst, a.a.O. 444. 419 Habscheid, GRUR 1952, 221, 222; ebenso - jedoch ohne Begründung - Berg, JuS 1966, 461, 463.
III. Klage ohne Anspruch
271
Ansprüche zu, somit mache der Verband diese geltend. 4 2 0 Diese Auffassung hat den Vorzug, daß sie immerhin benennen kann, wer der genaue Inhaber der geltend gemachten Ansprüche ist. Allerdings ist sie mit dem Gesetz und mit der Praxis der lauterkeitsrechtlichen Verbandsklage nicht in Einklang zu bringen. Ein in Prozeßstandschaft klagender Verband müßte ja vortragen, »daß wenigstens ein bestimmter anderer M i t b e w e r b e r durch die unlautere Wettbewerbshandlung in einem bestimmten Recht verletzt worden ist« und daß der so entstandene materiell-rechtliche Anspruch nun von dem Kläger geltend gemacht w e r d e . 4 2 1 Weder § 8 Abs. 1 U W G noch sein Vorläufer in § 13 Abs. 2 U W G a.F. setzen jedoch voraus, daß irgendeine Schädigung oder Störung eines Konkurrenten eingetreten ist. Z u r Begründetheit der Verbandsklage ist die objektive Rechtswidrigkeit der inkriminierten Wettbewerbshandlung ausreichend. Auch die Praxis befaßt sich bei lauterkeitsrechtlichen Verbandsklagen nicht mit der Frage, o b tatsächlich Konkurrenten geschädigt wurden. Dies wäre aber bei einer prozeßstandschaftlichen Wahrnehmung der Ansprüche dieser Konkurrenten erforderlich, denn die Prozeßstandschaft ändert nichts an den materiell-rechtlichen Voraussetzungen der wahrgenommenen Ansprüche. Außerdem könnte diese Konstruktion eine verbraucherschützende Verbandsklage überhaupt nicht erklären, da ja betroffenen Verbrauchern die von den Verbänden wahrgenommen Klagekompetenzen weder nach dem U W G noch nach dem U K l a G zustehen. 4 2 2 Es ist daher verständlich, daß diese Konstruktion weder in der Rechtsprec h u n g 4 2 3 noch in der Literatur 4 2 4 nennenswerte Zustimmung gefunden hat.
b)
Kollektivrechte
Statt dessen ist eine andere Variante einer prozeßstandschaftlichen Konstruktion entwickelt worden, die der objektiv-rechtlichen Kontrollfunktion der Verbandsklage eher gerecht zu werden scheint. D a die Verbandsklage nicht Individualsondern Gruppen- oder Allgemeininteressen schütze, müsse nach dieser Ansicht auch der geltend gemachte materiell-rechtliche Anspruch auf solche Gruppen oder auf die Allgemeinheit bezogen werden. K o n k r e t wird vorgeschlagen, daß etwa die verbraucherschützenden Verbandsklagen eine gesetzliche Prozeßstandschaft für die Kollektivrechte der jeweils »betroffenen Verbrauchergruppe« sein soll. 4 2 5 Diese Erklärung wirft jedoch eher zusätzliche Fragen auf, als daß sie eine
Habscheid, ebd.; anders jedoch später ders, FS Rammos 275, 284. Hadding, JZ 1970, 305, 309; Urbanczyk 42. 422 Lakkis, a.a.O. 113. 4 2 3 Ablehnend zur Prozeßstandschaft bereits BGH 20.3. 1956, NJW 1956, 911, 912. 4 2 4 Gegen eine prozeßstandschaftliche Konstruktion der AGB-Kontrollklage in § 13 AGBG a.F. bereits ScWosser/Coester-Waltjen/Graba, AGBG, § 13 Rn.8. 425 Gilles, ZZP 98 (1985) 1, 9; ähnlich Tsantinis, Aktivlegitimation und Prozeßführungsbefugnis 150f. 420 421
272
3. Kapitel: Zur Dogmatik der Popular- und
Verbandsklage
befriedigende Erklärung des Phänomens der Verbandsklage wäre. Gegen sie wird mit Recht eingewandt, daß es anders als bei der üblichen Verwendung des Begriffs der Prozeßstandschaft bei der Verbandsklage gerade keinen anderen konkret faßbaren Rechtsträger gibt, dessen Ansprüche geltend gemacht werden k ö n n t e n . 4 2 6 W i e bereits in der Auseinandersetzung mit der Theorie M a n f r e d Wolfs von der Klage im Gruppeninteresse m u ß darauf hingewiesen werden, daß etwa »die Verbraucher« gerade kein abgrenzbarer Rechtsträger sind, dem man Ansprüche zuschreiben k ö n n t e . 4 2 7 Findet man also bei der Verbandsklage keinen Rechtsträger, dessen Ansprüche durch den Verband geltend gemacht werden, so könnte man überlegen, o b man nicht trotzdem von einer »treuhänderischen Berechtigung« sprechen kann, wobei der oder die Begünstigten zwar keine »rechtsfähigen Treugeber« wären, wohl aber »Destinatäre der treuhänderischen Interessenwahrnehmung.« 4 2 8 Dieser Vorschlag stammt aus dem Naturschutzrecht und erscheint aus der dort besonders akuten N o t geboren, daß der Naturschutz nicht auf einen konkreten Rechtsträger bezogen werden kann. Allerdings ist bereits im Naturschutzrecht fraglich, ob es einer solchen unscharfen Konstruktion überhaupt bedarf. M u ß man den Naturschutzverband, der auf Einhaltung des objektiven Rechts pocht, tatsächlich zum Treuhänder der Bäume machen, um diese Kontrollbefugnis zu erklären? W a r u m reicht es nicht aus, eine objektiv-rechtliche Kontrollbefugnis anzunehmen? Das Bedürfnis, alle rechtlichen Instrumente als Wahrnehmung individueller Interessen zu erklären, führt hier dazu, selbst den Bäumen und Büschen derartige Interessen zuzuschreiben. Für die in der vorliegenden Untersuchung behandelten Bereiche etwa des gewerblichen Rechtsschutzes, des Lauterkeits-, Wettbewerbs- und Verbraucherschutzrechts paßt diese Konstruktion aber erst recht nicht. Es geht hier jeweils um handfeste menschliche Interessen, so daß eine treuhänderische Berechtigung ein korrespondierendes Recht des menschlichen Treugebers voraussetzt, was bei der Verbandsklage nicht ersichtlich ist.
c) Anspruch
des
Staates?
Daher ist von allen prozeßstandschaftlichen Konstruktionen noch diejenige am konsequentesten, die nicht die Wahrnehmung irgendwelcher Individual- oder Gruppeninteressen postuliert, sondern schlicht an die Funktion der Verbandsklage als Kontrolle des objektiven Rechts anknüpft. N a c h dieser Auffassung wäre eigentlich »der Staat« als »rechtsfähiger Repräsentant der Allgemeinheit« 4 2 6 So etwa zur AGB-Kontrollklage Göbel, a.a.O. 122; Thiere, a.a.O. 311; Lakkis, a.a.O. 113f.; Bultmann, Verklagen oder Verhandeln 36. 427 Lakkis, a.a.O. 120ff.; Leipold, in: Gilles (Hrsg.), a.a.O. 66. 4 2 8 So der Vorschlag zur naturschutzrechtlichen Verbandsklage bei Gassner, Treuhandklage zugunsten von Natur und Landschaft 40ff., 50 und 57. Eine treuhänderische Erklärung der Verbandsklage liefert auch Röhl, Allgemeine Rechtslehre 378.
III. Klage ohne Anspruch
273
zum Schutz des objektiven Rechts berufen; daher sei etwa die lauterkeitsrechtliche Verbandsklagekompetenz als Wahrnehmung eines materiellen Anspruchs des Staates einzuordnen. 4 2 9 Dieser Vorschlag impliziert aber eine zwingende Verbindung zwischen allgemeinem Interesse und staatlicher Zuständigkeit, die bereits im Ansatz nicht überzeugt. 4 3 0 W a r u m sollte die Durchsetzung des Allgemeininteresses nicht auch Aufgabe der Staatsbürger
sein? Diese Frage berührt
die Grundlagen der Rechtfertigung der Popularklage und ist daher im folgenden noch näher zu vertiefen. 4 3 1 Auch im Detail wirft der Vorschlag, einen zivilrechtlichen Anspruch des Staates auf Einhaltung des objektiven Rechts zu konstruieren, einige Fragen auf. Zunächst wäre zu klären, welcher Rechtsträger mit »der Staat« gemeint sein soll der Bund, die Länder, die Gemeinden? D a es sich um Bundesgesetze handelt, k o m m t möglicherweise der Bund in Betracht. Andererseits ist die Durchsetzung der Bundesgesetze gemäß Art. 8 3 G G grundsätzlich Sache der Länder. Entspricht also die Verbandsklagekompetenz einem entsprechenden materiell-rechtlichen Anspruch des Bundes oder der Länder gegen den jeweiligen Störer? Diese Ansicht hat durch die zugunsten des Bundes eingeführte Gewinnabführungskompetenz in § 1 0 U W G und § 3 4 a G W B eine gewisse Plausibilität erhalten. Allerdings ist für diese Kompetenzen eine prozeßstandschaftliche Erklärung schon deswegen unmöglich, weil sowohl § 1 0 Abs. 3 U W G als auch § 3 4 a Abs. 3 G W B die klageberechtigten Verbände als Gesamtgläubiger bezeichnen, was eine Geltendmachung fremder Rechte ausschließt. Außerdem widerspricht es aber der deutschen Rechtstradition, zivilrechtliche Ansprüche des Staates zu konstruieren die dann erst vor den Zivilgerichten durchgesetzt werden müßten - , wenn es um die Durchsetzung des objektiven Rechts geht. Dies ist etwa in den USA durchaus üblich; man denke nur an die Klagen der Federal Trade Commission oder des J u stizministeriums vor den Bundesgerichten in Kartellsachen. In Deutschland geht man eher davon aus, daß der Staat per Verwaltungsakt handelt, wenn er einzelne Unternehmen zur Befolgung des objektiven Rechts anhalten möchte. Dies ist theoretisch im R a h m e n der polizeirechtlichen Generalklauseln für die Durchsetzung der gesamten objektiven Rechtsordnung möglich. Wenn der Staat in der Praxis - etwa des Lauterkeitsrechts - auf ordnungsbehördliches Einschreiten zugunsten privatrechtlicher Regelungsformen verzichtet, so ist dies eine von politischen und effizienzorientierten Gesichtspunkten geprägte pragmatische Entscheidung, die jederzeit korrigiert werden könnte. Angesichts dieser verwaltungsrechtlichen Möglichkeiten wäre es eine unnötige Verdoppelung, wenn man dem Staat zusätzlich auch noch zivilrechtliche Ansprüche mit derselben Zielrichtung zuschreiben wollte.
429 430 431
Marotzke, ZZP 98 (1985) 160, 188f. Dazu Lindacher, ZZP 103 (1990) 397, 403. Siehe unten, S. 377ff.
274
3. Kapitel:
Zur Dogmatik
der Populär-
und
Verbandsklage
Außerdem verträgt sich die Konstruktion eines zivilrechtlichen Anspruchs des Staates auf Einhaltung des objektiven Rechts nicht mit der oben dargestellten Funktion des zivilrechtlichen Anspruchsbegriffs als Konkretisierung subjektiver Rechte und damit als Mittel der Güterzuweisung, der Verteilung des »Mein und Dein«. Die mit dem zivilrechtlichen Anspruch verbundene Zuweisung einer individuellen Rechtsposition paßt auf den Staat nur dann, wenn ihm auch wirklich ein entsprechender Herrschaftsbereich zugestanden wird, der dem eines privaten Rechtssubjekts entspricht. Das ist immer dann der Fall, wenn der Staat fiskalisch handelt, sich also wie ein Privater im Rechtsverkehr verhält. Dies ist besonders plastisch an den Rechtsverhältnissen bezüglich der im Staatseigentum stehenden Sachen zu erkennen: Hier gibt es sowohl solche Sachen, bei denen der Staat »Eigentümer« im zivilrechtlichen Sinne ist und daher damit verbundenen Nutzungs- und Ausschlußbefugnisse hat. Es gibt aber auch Sachen, bei denen der Staat zwar auch »Eigentümer« ist, die aber einer speziellen öffentlichen Nutzung zugewiesen sind und daher gerade nicht exklusiv ihrem Eigentümer zugewiesen sind. 432 Ähnlich verhält es sich mit zivilrechtlichen Ansprüchen des Staates gegen Private. Verkauft der Staat etwas an einen Privaten, so steht ihm der Kaufpreisanspruch aus dem Kaufvertrag in derselben Weise und mit denselben Dispositionsmöglichkeiten zu wie einem privaten Verkäufer. Verlangt der Staat aber von einem Privaten die Einhaltung des objektiven Rechts und darum geht es ja bei den hier in Rede stehenden Kompetenzen - , so sind damit keinerlei Dispositionsmöglichkeiten des Staates verbunden. Das objektive Recht unterliegt anders als ein Kaufpreisanspruch gerade nicht der Disposition der staatlichen Organe. Daher ist die Konstruktion eines zivilrechtlichen Anspruch des Staates auf Einhaltung des objektiven Rechts nicht sinnvoll. d) Populär- und Verbandsklage
als status
procuratoris
Für das Verwaltungsrecht ist von Masing der interessante Vorschlag gemacht worden, diejenigen rechtlichen Befugnisse der Bürger, die sich nicht als Wahrnehmung subjektiver Rechte begreifen lassen, unter dem Begriff des status procuratoris zusammenzufassen.433 Dieser Vorschlag ist schon deswegen zu begrüßen, weil er die erforderliche Abgrenzung objektiv-rechtlicher Kontrollkompetenzen von der Ausübung subjektiver Rechte möglich macht. Allerdings kann er aus zwei Gründen nicht vollständig überzeugen. Erstens impliziert er ein durch irgendjemand erteiltes Mandat, denn der procurator war im römischen Recht der gewillkürte Prozeßvertreter.434 Ein solches Mandat gibt es aber nicht, da der
432
Papier,
in: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht I,
842. 453 434
Masing, a.a.O. 2 2 5 ff. Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozeßrecht 2 1 0 ff.
IV. Popularklage
als aktionenrechtliche
Kompetenz
275
Populär- oder Verbandskläger aus eigenem Antrieb und aufgrund einer eigenen Kompetenz handelt. Zweitens ist völlig unklar, wer in diesen Fällen der durch den procurator Vertretene sein soll. Es kann weder ein Individuum noch ein wie auch immer zu definierendes Kollektiv und auch nicht der Staat sein, wie soeben gezeigt wurde. Es bleibt nur eine Vorstellung vom Gemeinwohl übrig, das der Bürger vertritt - aber auch derartige Vorstellungen sind schon im Ansatz fehlerhaft und außerdem auch kein Spezifikum der Populär- und Verbandsklage. 435 Auch Masing selbst erkennt, daß es nicht um die Vertretung eines wie auch immer gearteten Gemeinwohls geht, denn er konzediert dem jeweils tätigen Bürger, daß dieser bei der Ausübung seiner Befugnisse nicht »gemeinwohlpflichtig« ist. 4 3 6 Wenn es aber nichts und niemanden gibt, der vertreten wird, dann kann es auch keinen procurator geben. Das Konzept der Vertretung paßt nicht, wenn der Bürger oder entsprechende Verbände die ureigensten Freiheitsinteressen eines jeden geltend machen, nämlich etwa die ungestörte Benutzung der Straßen im alten Rom oder die Gewährleistung einer funktionierenden Marktwirtschaft in der heutigen Gesellschaft. 5. Zwischenergebnis Insgesamt ist also festzuhalten, daß entgegen der herrschenden Meinung die hier untersuchten Populär- und Verbandsklagekompetenzen nicht als materiellrechtliche Ansprüche der jeweils Berechtigten zu erklären sind, da dies mit einem aussagekräftigen Begriff des Anspruchs nicht vereinbar ist. Es handelt sich auch nicht um die Wahrnehmung fremder Ansprüche in Prozeßstandschaft oder prokuratorischer Vertretung, da solche Ansprüche konkreter anderer Rechtsträger nicht bestehen.
IV. Popularklage als aktionenrecbtlicbe
Kompetenz
1. Prozeßrechtliche Deutungen der Populär- und Verbandsklage Da also eine Deutung der Populär- und Verbandsklagekompetenzen als materiell-rechtliche Ansprüche nicht sinnvoll ist, müssen diese Berechtigungen als rein prozessuale Instrumente aufgefaßt werden. Derartige Deutungen überwiegen auch in den meisten eingehenderen Untersuchungen zur Populär- und Verbandsklage, wenngleich sich die jeweils vorgeschlagenen Formulierungen im Detail unterscheiden. So wird etwa die Popularklage als eine »im Hinblick auf überindividuelle Interessen verselbständigte Klagebefugnis« 437 und die Ver435 436 437
Siehe zum Gemeinwohl oben, S. 204ff. Masing, a.a.O. 227. Jackermeier, Die Löschungsklage im Markenrecht 101.
276
3. Kapitel: Zur Dogmatik
der Popular- und
Verbandsklage
bandsklage als eine »selbständige Prozeßführungsbefugnis« 4 3 8 oder als »Prozeßführungsbefugnis ohne materiell-rechtliches Substrat in F o r m eines Individualanspruchs« 4 3 9 bezeichnet. Insgesamt fällt auf, daß fast alle intensiven Auseinandersetzungen mit der Populär- und Verbandsklage im Ergebnis zu derartigen prozeßrechtlichen Deutungen k o m m e n . 4 4 0 Die »ganz h . M . « 4 4 1 , die einen materiell-rechtlichen Anspruch annimmt, verzichtet dagegen meist auf nennenswerten Begründungsaufwand. 4 4 2 Die verschiedenen Formulierungen einer prozeßrechtlichen Erklärung der Popular- und Verbandsklage stimmen darin überein, daß sich die jeweilige Kompetenz in der Klagemöglichkeit erschöpft und kein materiell-rechtliches Element der Güterzuweisung enthält. Auch wenn bezüglich der Verbandsklage von einer »im öffentlichen Interesse verliehenen Aufgreifzuständigkeit« 4 4 3
gesprochen
wird, so wird damit ausgedrückt, daß der klageberechtigte Verband kein eigenes Recht verfolgt, sondern nur einen objektiven Rechtsverstoß »aufgreifen« und einer justizförmigen Bearbeitung zuführen kann. Diese Möglichkeit des »Aufgreifens« kann man auch als eine Kontrolle des objektiven Rechts bezeichnen und die Verbandsklage damit als »privatrechtliche Kontrollkompetenz« 4 4 4 einordnen. Mit dieser Bezeichnung wird dem Verbandskläger eine wenn auch privatrechtliche aber doch polizeiartige Funktion zugeschrieben, 4 4 5 die ebenfalls deutlich macht, daß es bei ihr nicht um die Durchsetzung eigener Rechte geht.
438 Hadding, J Z 1970, 305, 310; zustimmend Herbst, a.a.O. 450; Koch, KritV 1989, 323, 329f. Ebenso bereits Stein/Jonas/PoWe, ZPO, 19. Aufl. 1972, Anm. II 6 vor § 50: Populär- und Verbandsklagen als »gesetzlich anerkannte Prozeßführungsrechte«, die nicht »erkennbar genug auf ein materielles Recht der Partei bezogen oder mit hinreichender Sicherheit aus einem materiellen Recht abzuleiten sind.« Diese Formulierung überdauert bis in die aktuelle Fassung dieses Kommentars, nur daß heute zumindest für die Verbandsklagen ergänzt wird, daß die Verbandskläger »eigene Unterlassungsansprüche« haben sollen, »für die sie selbstverständlich auch prozeßführungsbefugt sind« (Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl. 2004, R n . 4 8 vor §50). Soll also doch ein materielles Recht des Verbandsklägers vorliegen, das zu Beginn desselben Absatzes noch als schwer erkennbar bezeichnet wurde? 439 Lakkis, a.a.O. 124; ähnlich bereits Scholz, Wirtschaftsaufsicht und subjektiver Konkurrentenschutz 83 (Populär- und Verbandsklagen sind dem Kläger »nicht in Erweiterung seiner zivilrechtlichen Ansprüche gewährt«); Wirth, Die Klagebefugnis der Verbraucherverbände 87ff.; Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen 215. 4 4 0 Die einzige Ausnahme bildet Urbanczyk, Zur Verbandsklage im Zivilprozeß 126ff., der sich der herrschenden Meinung zum Anspruchscharakter der Verbandsklagekompetenz anschließt. 441 Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 8 UWG Rn.3.3. 4 4 2 Eine beachtliche Ausnahme bildet ScWosser/Coester-Waltjen/Graba, AGBG, § 13 Rn. 1 ff. 443 Lindacher, FS Deutsche Richterakademie 209, 213; zustimmend E. Schmidt, NJW 1989, 1192, 1194. 444 Reinel, a.a.O. 126ff.; zustimmend Göbel, a.a.O. 128; ähnlich Bultmann, Verklagen oder Verhandeln 37; Münchener Kommentar BGB/Micklitz, § 13 AGBG Rn. 14. 4 4 i Vgl. bereits Hadding, J Z 1970, 305, 309f., der die UWG-Verbandsklage als nicht-staatliche Wettbewerbspolizei erklärt.
IV. Popularklage als aktionenrechtliche
Kompetenz
277
Dieser Gegensatz zur Durchsetzung eigener Rechte wird auch von denjenigen betont, die bezüglich der Verbandsklage von einem »objektiven Institutionenschutz« sprechen. 446 Diese auf Ludwig Raiser zurückgehende Vorstellung geht davon aus, daß etwa das UWG dem Schutz des »Rechtsinstituts der Wettbewerbsordnung« dient und schon dadurch über die Wahrnehmung von Individualinteressen hinausgeht. 447 Allerdings befaßte sich Raiser in der Entwicklung dieses Gedankens nur am Rande mit der Verbandsklage und sah den objektiven Institutionenschutz im Privatrecht im wesentlichen dadurch verwirklicht, daß ein in seinen Interessen betroffener Einzelner mit bestimmten Kompetenzen ausgestattet wird, etwa im Besitzschutz und im Schutz vor Delikten gemäß § 823 Abs. 2 BGB. 448 In diesen Fällen könne und wolle das Privatrecht für den objektiven Institutionenschutz nicht auf die spontane M i t w i r k u n g eines in seinen Interessen beeinträchtigten Rechtsgenossen verzichten [...] Aber dieser Interessenschutz wird nicht, wie bei der Verletzung subjektiver Rechte, um der Person des Rechtsträgers willen, sondern als Mittel zum Z w e c k des Institutsschutzes g e w ä h r t . 4 4 9
Raiser verneint also schon beim Besitzschutz und bei § 823 Abs. 2 BGB die Existenz subjektiver Rechte und verweist auf bloße »Interessen« der betroffenen Individuen, die zugleich der Durchsetzung des objektiven Rechts dienen. Bei der Populär- und Verbandsklage dagegen muß man noch einen Schritt weitergehen, da es hier nicht mehr um den Schutz eigener Interessen des Klägers geht. Daher gibt es bei diesen Klagekompetenzen auch keinen unmittelbar Betroffenen mehr, dem der Institutionenschutz angesichts derartiger Betroffenheit anvertraut wäre. 450 Von der Verbindung eines Individualinteresses mit dem Schutz objektivrechtlicher Institute im Raiserschen Sinne verbleibt also bei der Populär- und Verbandsklage nur der objektiv-rechtliche Aspekt. Insofern ist die Rede vom objektiven Institutionenschutz zwar richtig, aber nicht ausreichend differenziert, da ein solcher Schutz - wie von Raiser gezeigt - auch bei der Durchsetzung von Individualinteressen stattfinden kann. Daher soll hier einer prozeßrechtlichen Beschreibung der Populär- und Verbandsklage der Vorzug gegeben werden, die nicht von eigenen Rechten oder Interessen des Klägers abhängt. Eine solche Interpretation wird auch als »aktionenrechtliche« Einordnung der Populär- und Verbandsklage bezeichnet. 451 Damit soll in Abgrenzung zur These vom eigenen materiell-rechtlichen Anspruch 446 So Lindacher, Z Z P 103 (1990) 397, 402, der allerdings auch die Möglichkeit konzediert, mit der herrschenden Auffassung einen »Anspruch sui generis« anzunehmen (ebd. 404f.); für Institutionenschutz durch Verbandsklage auch Gaul, FS Beitzke 997, 1021 f. 447 Raiser, in: Summum Ius, Summa Iniuria 145, 156f. 448 Ebd. 154f. und 158f. 449 Ebd. 159. 450 Reinel, a.a.O. 121 (. 451 Hadding, J Z 1970, 305, 310; Berni, a.a.O. 204.
278
3. Kapitel:
Zur Dogmatik
der Popular-
und
Verbandsklage
des Verbandes deutlich gemacht werden, daß die Prozeßführungsbefugnis unabhängig von einer eigenen oder fremden materiellen Rechtszuständigkeit besteht. 4 5 2 Die Bezeichnung dieser Kompetenzen als aktionenrechtlich macht auch treffend deutlich, daß weder die Populär- noch die Verbandsklage in ein System subjektiver Rechte und daraus entspringender Ansprüche eingepaßt werden kann, wie es im klassischen neuzeitlichen Privatrecht entwickelt wurde. Gegen eine prozeßrechtliche Deutung der Verbandsklage wird eingewandt, daß eine »positive Zugangsregelung zum Gericht grundsätzlich nicht Gegenstand einer nur prozessualen Regelung sein kann, es sei denn, es handelt sich um eine bloß personelle Verschiebung der materiellen Rechtsstellung [...] « 4 5 3 Dieses Argument beruht auf der Annahme, daß das Prozeßrecht immer die Feststellung bereits außerprozessual vorgegebener »Rechte« darstelle. 4 5 4 Dem ist entgegenzuhalten, daß die Populär- und Verbandsklagekompetenzen durchaus die Feststellung materiell-rechtlicher Rechtslagen betreffen, nämlich etwa die Frage nach der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des angegriffenen Patents, der jeweiligen Wettbewerbshandlung oder nach der Wirksamkeit der vom Beklagten verwendeten Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Allerdings ändert dies nichts an dem bereits mehrfach beschriebenen Unterschied zwischen objektiver Kontrolle des materiellen Rechts und der Durchsetzung einer als Anspruch zu bezeichnenden individuellen Rechtsposition. Diese Besonderheit wird auch von den Gegnern einer prozeßrechtlichen Deutung der Verbandsklage konzediert: Die prozessuale Befugnis stelle bei dieser den »primären Zweck und Gegenstand der Regelung« dar, während die behauptete materiell-rechtliche Grundlage nur »logische Voraussetzung« der Klagebefugnis sei; insofern bestehe eine »Ähnlichkeit mit der römisch-rechtlichen Act i o . « 4 5 5 Ist aber eine solche aktionenrechtliche Regelung einmal diagnostiziert, dann trägt es eher zur Verwirrung bei, ihr als angeblich »logische Voraussetzung« noch einen materiell-rechtlichen Anspruch zu unterlegen und damit diesen Begriff zu entleeren und mit der Klagebefugnis gleichzusetzen. Das Bestehen einer prozessualen Befugnis oder einer Möglichkeit zur gerichtlichen Durchsetzung einer objektiv-rechtlichen Verbotsnorm muß nicht zwingend mit der Annahme eines korrespondierenden materiell-rechtlichen Anspruchs verbunden sein. 4 5 6
Hadding, ebd. Urbanczyk, a.a.O. 101 f.; ähnlich Habscheid, FS Rammos 2 7 5 , 2 8 9 ; für die theoretische Möglichkeit einer selbständigen Prozeßführungsbefugnis als »rein prozessuales Gebilde« dagegen schon ScMosser/Coester-Waltjen/Graba, AGBG, § 13 Rn. 8. 454 Urbanczyk, a.a.O. 101; ähnlich wohl Röhl, Allgemeine Rechtslehre 377: Keine Klagemöglichkeit ohne subjektives Recht. 455 Urbanczyk, a.a.O. 102 F n . 2 2 5 . 456 Zeuner, FS Dolle Bd.I, 2 9 5 , 307. 452 453
IV. Popularklage
als aktionenrechtliche
Kompetenz
279
2. Verbandsklage als eingeschränkte Popularklage Nachdem diese grundsätzliche Einordnung der Popular- und Verbandsklagekompetenzen geklärt ist, soll noch auf das Verhältnis beider untereinander eingegangen werden. Sie wurden bisher gemeinsam behandelt, da die Arbeitshypothese darin bestand, daß die Verbandsklage nur eine Sonderform der Popularklage ist, eine personell eingeschränkte Popularklage. Dies entspricht auch einer in Rechtsprechung 457 und Literatur 458 teilweise vorgenommenen Einordnung. Diese Hypothese soll nun vor dem Hintergrund der bisher vorgenommen Überlegungen überprüft werden. Für die Einordnung der Verbandsklage als eingeschränkte Popularklage spricht, daß sie das wichtigste Merkmal einer Popularklage erfüllt: Die Klagekompetenz besteht unabhängig von einer Verletzung der Rechte oder Interessen des Klägers. Statt dessen beschränkt sie sich auf die Kontrolle des objektiven Rechts durch den Popularkläger. Allerdings werden in der Literatur gegen eine Einordnung der Verbandsklage als Popularklage zwei Argumente angeführt: Erstens wird gesagt, daß die Verbandsklage eben nicht quivis ex populo zustehe und daher nicht »populär« im klassischen Sinne sei. 459 Zweitens wird behauptet, daß die Popularklage notwendig Allgemeininteressen schütze, die Verbandsklage dagegen nur die Interessen gewisser Gruppen, etwa die der Verbraucher. 460 Das zweite Argument beruht jedoch auf der oben bereits widerlegten Fehlvorstellung, daß Popularklagekompetenzen anders als andere Rechtsnormen oder in besonderer Weise auf das allgemeine Interesse bezogen wären. Dies ist jedoch nicht der Fall, vielmehr dienen sie dem allgemeinen Interesse nur insofern, als sie die Durchsetzung des objektiven Rechts bezwecken. Diesbezüglich gibt es keinen Unterschied zwischen der klassischen Popularklage etwa des Patentrechts und den Verbandsklagekompetenzen.
4 5 7 RG 12.6. 1931, J W 1932, 730, 733 (vergleicht die Klagekompetenzen aus § 13 UWG a.F. mit der zeichenrechtlichen Popularklage). 458 Isay, Das Rechtsgut des Wettbewerbsrechtes 60 (Klage des Verbands gemäß § 13 UWG a.F. »ist reine Popularklage«); Szente, MuW 1933, 547 (»eine Art der actio popularis«); Scholz, Wirtschaftsaufsicht und subjektiver Konkurrentenschutz 83 f.; Bussmann, FS Nastelski 312, 317; Günter Roth, NJW 1972, 921, 922 Fn.4; Rehbinder/Burgbacher/Knieper, Bürgerklage im Umweltrecht 178; Kötz, in: Homburger/Kötz, Klagen Privater im öffentlichen Interesse 69, 93 Fn. 53; Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse 274f.; Thiere, a.a.O. 311; Pfarr/Kocher, Kollektivverfahren im Arbeitsrecht 119; Lüderssen, FS Arthur Kaufmann 487, 496; ebenso die Gesetzesbegründung zum AGBG, BT-Drs. 7/5422, 3. Von der Verbandsklage als eingeschränkter Popularklage spricht auch Marotzke, ZZP 98 (1985) 160, 170, der allerdings in seinen darauf folgenden Ausführungen die Verbandsklage als »Prozeßstandschaft für den Staat« einordnet, siehe dazu oben, S.272. 459 Hadding, J Z 1 9 7 0 , 3 0 5 , 307f.; v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen 306 (keine »echten Popularklagen«); Habscheid, FS Rammos 275, 283; Berni, a.a.O. 198; Göbel, a.a.O. 122f.; Reinel, a.a.O. 122; Urbanczyk, a.a.O. 43. 460 Gilles, ZZP 98 (1985) 1, 9.
280
3. Kapitel: Zur Dogmatik
der Popular- und
Verbandsklage
Schwerer wiegt dagegen der Einwand, daß der Begriff der Popularklage nur auf Berechtigungen bezogen werden sollte, die quivis ex populo zustehen. Immerhin schwingt im Wort »populär« tatsächlich diese Vorstellung mit. Andererseits wurde bereits zu den römischen Popularklagen gezeigt, daß das quivis ex populo schon damals eine in Wirklichkeit nicht existierende Schrankenlosigkeit vorgaukelte. Das Maß dieser Beschränkungen kann allerdings unterschiedlich sein und ist es im geltenden Recht ja auch: Die Bestandsaufnahme hat gezeigt, daß es heute noch jedermann zustehende Popularklagen gibt, aber auch Beschränkungen auf Unternehmer der gleichen Branche gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG a.F. oder - im heutigen § 8 UWG - auf in bestimmter Weise qualifizierte Verbände. Dabei handelt es sich um Unterschiede im Kreis der Klageberechtigten, nicht aber in dem Charakter der aktionenrechtlichen Kompetenz ohne Bezug auf individuell geschützte Rechte oder Interessen. Aufgrund dieses identischen Charakters führt daher eine »durchgehende Linie« von der Verbandsklage über die »Konkurrentenklage« des § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG a.F. - die keine wirkliche Konkurrenz voraussetzte - bis hin zur Popularklage. Zwischen allen diesen Kompetenzen besteht kein qualitativer, sondern nur ein quantitativer Unterschied hinsichtlich der Zahl der Klagebefugten. 461 Diese Differenz ist sicher beachtlich, wird aber durch die Rede von der »eingeschränkten« Popularklage ausreichend deutlich gemacht. Der Vorzug dieses Begriffs liegt darin, daß er die entscheidende Gemeinsamkeit zwischen Verbandsklage und Popularklage aufzeigt, die in ihrer Abweichung vom System individuell zugewiesener Rechtspositionen liegt. Daher ist es auch nicht nachvollziehbar, wenn gegen die Bezeichnung der Verbandsklage als eingeschränkte Popularklage eingewandt wird, daß die »Eigenart der Verbandsklage« gerade darin liege, daß den Verbänden eine Befugnis eingeräumt werde, »diese aber andererseits nicht aus einer materiellen Rechtsposition der Verbände hergeleitet werden kann.« 4 6 2 Genau dies ist aber auch das Charakteristikum der Popularklage und rechtfertigt somit die Zusammenfassung unter einen einheitlichen Begriff. 3. Systematische Folgen einer prozeßrechtlichen Konzeption Für die Annahme eines materiell-rechtlichen Anspruchs als Grundlage der Verbandsklagekompetenz wird auch angeführt, daß eine prozeßrechtliche Interpretation zwar ebenso gut möglich wäre, daß sich aber ein materiell-rechtliches Verständnis besser in das vorhandene begriffliche System des Privatrechts einfüge. 4 6 3 Dieses Argument ist einerseits keines, da ja auch das existierende System änderungsfähig oder -bedürftig sein kann. Andererseits ist es in praktischer HinJackermeier, Die Löschungsklage im Markenrecht 91. Reinel, a.a.O. 122. 4 6 3 ScWosser/Coester-Waltjen/Graba, AGBG, § 13 Rn. 8; Staudinger/ScWosser, BGB (1998), §13 AGBG Rn.4. 461 462
IV. Popularklage
als aktionenrechtliche
Kompetenz
281
sieht ernstzunehmen, da die Folgeprobleme eines Abweichens von der derzeit herrschenden Dogmatik nicht ausgeblendet werden dürfen. Daher sollen in den diesbezüglich erörterten Bereichen, nämlich im Internationalen Privat- und Prozeßrecht, im einstweiligen Rechtsschutz und bei der negativen Feststellungsklage, die Folgen einer prozeßrechtlichen Konzeption betrachtet werden. a) Internationales
Privat- und
Prozeßrecht
Zum Internationalen Privatrecht wird in diesem Sinne behauptet, daß auch eine rein prozessuale Deutung der Verbandsklage es nicht erlaube, den »internationalen Geltungsanspruch« der Verbandsklagekompetenz anhand der prozessualen lex fori-Regel zu bestimmen. 464 Vielmehr seien die Verbandsklagekompetenzen wie Ansprüche aus unerlaubter Handlung nach dem Tatortprinzip zu beurteilen, so daß sich sowohl in UWG-Sachen wie auch bei der Verwendung unwirksamer AGB eine Anknüpfung an das Recht des betroffenen Marktes ergebe. 465 Dieses Argument zwingt jedoch keineswegs zur Annahme eines materiellrechtlichen Anspruchs des Verbands- oder Popularklägers. Vielmehr können und müssen auch bei einer Populär- oder Verbandsklage mit Auslandsberührung Zulässigkeit und Begründetheit einer Klage auseinandergehalten werden. 466 Dies soll im folgenden anhand der beiden in diesem Zusammenhang diskutierten Formen der Auslandsberührung dargestellt werden, nämlich hinsichtlich ausländischer Kläger und dem Bezug auf einen ausländischen Markt. Der ausländische Beklagte wirft in diesem Zusammenhang keine besonderen Probleme auf. Es ist unbestritten, daß eine Populär- oder Verbandsklage vor deutschen Gerichten auch gegen einen Ausländer erhoben werden kann. Dies ergibt sich schon aus § § 6 Abs. 1 Satz 2 UKlaG, 14 Abs.2 UWG. Bei Klagen gegen EG-Ausländer mögen sich allenfalls europarechtliche Besonderheiten ergeben, etwa im Hinblick auf die primärrechtlichen Grundfreiheiten oder sekundärrechtliche Regelungen zum Herkunftslandprinzip. Diese Fragen sind aber keine Spezifika der Popularoder Verbandsklage und können daher hier nicht berücksichtigt werden. (1) Ausländischer
Verbands- oder
Popularkläger
Für die Popularklagekompetenzen des deutschen Rechts ist weitgehend anerkannt, daß sie auch von Ausländern genutzt werden können. 467 Nur die ältere Rechtsprechung zum Warenzeichengesetz hat hier besondere Beschränkungen entwickelt, die letztlich nicht überzeugen können. 468 Aber auch bei den Ver464 465 466 467 468
ScWosser/Coester-Waltjen/Graba, AGBG, § 13 Rn.9. Ebd. Ebenso zur vorbeugenden Unterlassungsklage insgesamt Gelmer, IZPR 815. Siehe etwa zur Patentnichtigkeitsklage oben, S. 55. Siehe oben, S. 79.
282
3. Kapitel: Zur Dogmatik
der Popular-
und
Verbandsklage
bandsklagekompetenzen ist allgemein anerkannt, daß ein ausländischer Verband diese Kompetenzen ausüben kann, sofern er die im deutschen Recht enthaltenen personenbezogenen Voraussetzungen erfüllt. 469 So kann etwa ein ausländischer Wirtschaftsverband vor deutschen Gerichten eine Verbandsklage gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG erheben. 470 Allerdings wird auch behauptet, daß sich eine Klagebefugnis ausländischer Populär- oder Verbandskläger schon aufgrund ihres Heimatrechts ergeben könne, sofern dieses dieselbe Gewähr für eine ausreichende Sachkunde und Seriosität des Verbands bietet wie das deutsche Recht. 471 Dieses sachlich einleuchtende Ergebnis sollte man jedoch besser mit einer entsprechenden Interpretation der einschlägigen deutschen Vorschriften begründen. Im Grundsatz sollte nämlich jedes Prozeßrecht nach seinen eigenen Maßstäben bestimmen können, inwieweit und wem gegenüber es sich einer objektiven Rechtskontrolle durch Verbände oder Popularkläger öffnet. 472 Daher ist die Zulässigkeit einer Populär- oder Verbandsklage vor deutschen Gerichten stets nach deutschem Recht zu prüfen. 4 7 3 Innerhalb der Europäischen Union ist das Problem ausländischer Verbandskläger allerdings dadurch entschärft worden, daß von der Kommission gemäß Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 98/27/EG 474 ein Verzeichnis qualifizierter Einrichtungen geschaffen wurde, die in allen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Kontrolle der in dieser Richtlinie genannten Vorschriften klageberechtigt sind. In Deutschland wurde dies dadurch umgesetzt, daß die in diesem europäischen Verzeichnis eingetragenen Institutionen gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG und § 3 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG klageberechtigt sind. Damit ist der Umfang der Klagekompetenz dieser Einrichtungen größer als von der Richtlinie vorgeschrieben, da er sich nicht auf die in der Richtlinie explizit genannten Vorschriften beschränkt, sondern sämtliche UWG-Verstöße oder Verstöße gegen alle Verbraucherschutzgesetze im Sinne von § 2 UKlaG umfaßt. Der Grundsatz, daß jedes Prozeßrecht selbst über die Klagebefugnis eines Populär- oder Verbandsklägers entscheidet, entspricht dem im Internationalen Zivilprozeßrecht weitgehend anerkannten lex /on-Prinzip. Zwar werden gegen dieses Prinzip immer wieder Einwände erhoben, denen zuzugestehen ist, daß eine »chemisch reine« Trennung zwischen materiellem Recht und Prozeßrecht 469
ScWoiser/Coester-Waltjen/Graba, AGBG, § 1 3 R n . 9 ; Lindacher, FS Lüke 3 7 7 , 385f.; Koch, Verbraucherprozeßrecht 117; Schack, IZVR 2 4 3 ; Nagel/Gottwald, IZPR 2 9 0 . 470 Vezer/Büscher, U W G , § 8 R n . 1 9 8 ; B G H 4 . 6 . 1 9 8 7 , G R U R 1988, 4 5 3 , 4 5 4 zum alten UWG. 471 Lindacher, FS Lüke 377, 3 8 5 und 387. 472 Schack, IZVR 2 4 3 ; Ahrens, W R P 1994, 649, 656; ebenso aus Sicht des französischen Rechts Kessedjian, Riv. dir. int. priv. proc. 33 (1997) 2 8 1 , 2 9 1 m . w . N . 473 Schack, ebd.; Gelmer, a . a . O . 148; Nagel/Gottwald, IZPR 2 9 0 . 474 Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 1 9 . 5 . 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutze der Verbraucherinteressen, ABl. L 166, 51. Z u r Umsetzung dieser Richtlinie in den Mitgliedstaaten vgl. Rott/Ropp, Z Z P Int 9 (2004) 3 ff.
/V. Popularklage als aktionenrechtliche
Kompetenz
283
kaum möglich erscheint. 4 7 5 Trotzdem geht man mit Recht davon aus, daß die genaue Art und Weise der Rechtsschutzgewährung sich nach der Prozeßordnung des angerufenen Gerichts richtet. 4 7 6 Daher entscheidet die lex fori über die im Inland möglichen Rechtsschutzformen, etwa über die Zulässigkeit und die genauen Voraussetzungen einer Feststellungsklage. 4 7 7 Für die Populär- und Verbandsklage kann nichts anderes gelten. Es wäre k a u m einzusehen, w a r u m etwa jeder Australier in Deutschland eine Popularklage gegen unlauteres Wettbewerbsverhalten erheben könnte, nur weil das australische Recht diese in See. 8 0 des australischen Trade Practices Act z u l ä ß t . 4 7 8 D a m i t würde die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, gerade eine solche Rechtsschutzform nicht zuzulassen, konterkariert. Diese Erwägungen zeigen im übrigen, daß eher die Annahme eines materiellrechtlichen Anspruchs bei der Populär- und Verbandsklage zu unerwünschten Folgen im Internationalen Privatrecht führen kann. Unterwirft man nämlich diesen »Anspruch« dem M a r k t o r t r e c h t als lex causae,479
so bedeutete dies, daß be-
züglich einer Wettbewerbshandlung auf dem australischen M a r k t jedermann in Deutschland klagen könnte, weil eben das australische Recht als lex causae jedem diese Kompetenz zugesteht. Diesem erstaunlichen Ergebnis könnten sich die Befürworter des materiell-rechtlichen Anspruchs nur durch systemwidrige K o n struktionen wie diejenige einer Doppelnatur der personenbezogenen Voraussetzungen bei der Verbandsklage entziehen. 4 8 0 Es ist insofern konsequenter, die Frage der Klagebefugnis eines Populär- oder Verbandsklägers gleich im Prozeßrecht anzusiedeln und damit ausschließlich der lex fori zu überlassen. (2) Kontrolle
von Verhalten
im
Ausland
Schwieriger als der Umgang mit ausländischen Klägern ist jedoch die Frage, inwieweit und nach welchen M a ß s t ä b e n auch ein Verhalten auf ausländischen M ä r k t e n mit einer Populär- oder Verbandsklage vor deutschen Gerichten kontrolliert werden kann. Teilweise wird dies ganz verneint, da jedenfalls die beste-
475 476 477 478 479
333f.
Schack, IZVR 17. Geimer, IZPR 815; Schack, BerDGesVR 32 (1992) 315, 337. Nagel/Gottwald, IZPR 282f.; Böhm, FS Fasching 107, 119ff. m.w.N. Dazu unten, S.374. Zum Marktortprinzip im Lauterkeitsrecht siehe nur BGH 30.6. 1961, BGHZ 35, 329,
4 8 0 Unklar allerdings Staudinger/Fezer, Internationales Wirtschaftsrecht Rn. 611, der die Aktivlegitimation bei der Verbandsklage der lex causae zuordnet, aber nichts darüber sagt, ob er im Sinne der Lehre von der Doppelnatur auch eine Zulässigkeitsprüfung nach lex fori vornehmen will. Der von Fezer zitierte Wilde, in: Gloy (Hrsg.), Handbuch des Wettbewerbsrechts 58, will allerdings eine »Klagebefugnis« aufgrund lex causae annehmen, was die australische Popularklage auch vor deutschen Gerichten ermöglichen würde. Ebenso Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit 726 ff., der eine Klagebefugnis aufgrund der lex causae für ausreichend erachtet.
284
3. Kapitel: Zur Dogmatik
der Popular-
und
Verbandsklage
henden Verbandsklagekompetenzen des deutschen Rechts nur eine Kontrolle im Inland bezweckten. 481 Für eine solche Annahme mag zunächst der Wortlaut dieser Bestimmungen sprechen, der sich jeweils auf Verstöße gegen deutsches Recht bezieht. Allerdings tut er dies bei näherer Betrachtung nicht ausschließlich. So ist der Begriff der Verbraucherschutzgesetze gemäß § 2 UKlaG nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht auf deutsche Gesetze beschränkt, und auch § 1 UKlaG bezieht sich nach überwiegender Auffassung nicht nur auf Verstöße gegen § § 307-309 BGB, sondern auch auf sonstiges zwingendes Recht, ohne daß dies notwendig deutscher Herkunft sein müßte. Unterliegt der per AGB zu schließende Vertrag daher ausländischem Recht, so können auch ausländische Vorschriften Gegenstand der AGB-Kontrolle durch Verbandsklage sein. 482 Allerdings wird in diesem Zusammenhang auch die Auffassung vertreten, daß das auf den avisierten Vertrag anwendbare Recht für den Verbandsklageprozeß ohne Bedeutung sei. 483 Damit wird aber impliziert, daß Allgemeine Geschäftsbedingungen vertragsrechtlich wirksam sein könnten, weil das anwendbare Recht derartige Klauseln zuläßt, dieselbe Klausel gegenüber demselben Verwender im Verbandsklageprozeß dagegen nach deutschem Recht als unwirksam zu betrachten sein könnte. Ein solcher geteilter Begriff der Wirksamkeit ist aber mit dem Zweck des § 1 UKlaG nicht vereinbar. Er soll die Vertragspartner des Verwenders vor Nachteilen durch unwirksame Geschäftsbedingungen schützen. 484 Sind die Geschäftsbedingungen aber vertragsrechtlich wirksam, so besteht überhaupt kein derartiger Schutzbedarf. 485 Davon zu trennen ist die Frage, ob und inwieweit durch Rechtswahl in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder bei objektiver Anknüpfung des Vertragsstatuts überhaupt von den Vorschriften der §§307-309 BGB oder anderen Vorschriften des zwingenden Rechts abgewichen werden kann. Diese Frage wird jedoch vom Kollisionsrecht beantwortet - insbesondere durch 481
Gelmer, I Z P R 707; Paefgen, G R U R Int. 1 9 9 4 , 99, 115; LG Aachen 1 0 . 1 2 . 1993, VuR 1 9 9 4 , 37, 38 (Anwendbarkeit deutschen Rechts sei » u n a b d i n g b a r e Voraussetzung« für eine lauterkeitsrechtliche Verbandsklage); LG M ü n c h e n I 2 . 4 . 1992, VuR 1993, 62, 65 (deutscher Verbandskläger k ö n n e keinen »Unterlassungsanspruch, der nach französischem Recht zu beurteilen ist«, geltend machen). 482 Staudinger/SeWosser, BGB (1998) § 12 A G B G Rn. 13; Koch, jZ 1991, 1 0 3 9 , 1 0 4 1 ; Lakkis, a . a . O . 143. Z u eng daher B G H 1 2 . 1 0 . 1 9 8 9 , B G H Z 109, 2 9 , 33, w o n a c h die AGB-Kontrollklage nur Verstöße gegen das seinerzeit geltende »deutsche AGB-Gesetz« betreffe; dagegen spricht schon die allgemein a n e r k a n n t e A u s d e h u n g auf Verstöße gegen sonstiges zwingendes Recht. Allerdings ist diese Ä u ß e r u n g letztlich n u r obiter dictum. M i t ihr soll die N i c h t a n w e n d u n g der ausschließlichen Zuständigkeitsregel des Art. 16 Nr. 1 E u G V Ü begründet w e r d e n . Dafür hätte aber schon eine Unterscheidung zwischen individuellen vertragsrechtlichen Streitigkeiten u n d abstrakter AGB-Kontrolle ausgereicht. 485 Mankowski, IPRax 1991, 3 0 5 , 307; Koch/Stübing, AGBG, § 12 Rn. 13. 484 Palandt/Bassenge, BGB, § 1 UKlaG Rn. 1. 485 Ebenso im Ergebnis Reinel, a . a . O . 145: Die AGB-Kontrolle durch Verbandsklage sei dazu geschaffen, die von der deutschen R e c h t s o r d n u n g für AGB geschaffenen Wirksamkeitsvoraussetzungen in der Realität hinreichend durchzusetzen.
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Art. 2 9 E G B G B . Für eine Unterscheidung zwischen vertragsrechtlicher und verbandsklagebezogener Wirksamkeit besteht daher kein Anlaß. Es handelt sich hier letztlich um eine fehlerhafte Anwendung des Tatortprinzips in Art. 4 0 Abs. 1 E G B G B . Diese Kollisionsnorm ist bei AGB-Kontrollklagen anzuwenden, weil das Verhältnis zwischen dem klagenden Verband und dem AGB-Verwender nicht vertragsrechtlich geprägt ist, sondern als Folge einer unerlaubten Handlung begriffen werden kann. 4 8 6 Werden die Geschäftsbedingungen in Deutschland verwendet, so findet deutsches Recht Anwendung, mithin § 1 UKlaG. Indem diese Vorschrift sich aber auf die Frage der Wirksamkeit Allgemeiner Geschäftsbedingungen bezieht, verweist sie zugleich auf das fiktive Vertragsstatut zwischen dem Verwender und seinen Kunden. 4 8 7 Dies ergibt sich daraus, daß das deutsche Kollisionsrecht gemäß Art. 31 Abs. 1 E G B G B die Wirksamkeit eines Vertrages einschließlich der Problematik Allgemeiner Geschäftsbedingungen grundsätzlich diesem Statut unterwirft. 4 8 8 Der dabei zu berücksichtigende Verbraucherschutz wird durch Art. 2 9 , 2 9 a E G B G B gewährleistet. Die Wirksamkeit der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist somit eine getrennt anzuknüpfende Vorfrage bei der ansonsten nach dem Deliktsstatut zu beurteilenden AGB-Verbandsklage. Es handelt sich bei dieser Wirksamkeit um eine im Tatbestand der anwendbaren Sachnorm erscheinende Rechtsfolge; diese ist aber nach dem deutschen Kollisionsrecht einer eigenen materiellen Rechtsordnung nämlich dem Vertragsstatut - unterworfen. 4 8 9 Auch § 8 U W G verweist nur vordergründig auf eine Norm des deutschen Rechts, nämlich auf § 3 U W G . Dieser kann jedoch - je nach Fallgestaltung - über den Begriff der Unlauterkeit auch Verstöße gegen ausländisches Recht umfassen. So müßte man im Anschluß an die vertragsrechtliche Rechtsprechung etwa den Vertrieb ausländischer Kulturgüter dann als unlauter ansehen, wenn er nur durch den Verstoß gegen zwingendes ausländisches Recht ermöglicht wird, das etwa den Export wichtiger Kulturgüter verhindern soll. 4 9 0 So kann das deutsche Lauterkeitsrecht zumindest mittelbar auch der Umsetzung ausländischen zwingenden Rechts dienen, sofern letzteres anerkennungswürdig erscheint, weil es etStaudinger¡Schlosser, BGB (1998) § 13 AGBG R n . 5 . Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit 726. 4 8 8 PalandtIHeldrich, BGB, Art. 31 EGBGB R n . 3 . 4 8 9 Zu dieser Form der Vorfrage Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht 373 f.; Kropholler, Internationales Privatrecht 2 1 9 . 4 9 0 Vgl. dazu BGH 2 2 . 6 . 1972, B G H Z 5 9 , 82, 85ff.: Der Export nigerianischer Masken und Figuren unter Verstoß gegen zwingendes nigerianisches Recht ist auch aus deutscher Sicht sittenwidrig. Zwar spricht das neue UWG in seiner Generalklausel nicht mehr von Sittenwidrigkeit, sondern von Unlauterkeit, aber diese Begriffe ähneln sich zumindest darin, daß sie ein besonderes Unwerturteil enthalten, das sich auch auf moralische Anschauungen stützen kann. Immerhin definiert auch die Gesetzesbegründung zum neuen UWG unlauteres Verhalten als »unanständiges« Verhalten (BT-Drs. 1 4 / 1 5 8 7 , 1 6 ) . Daher ist mit dem begrifflichen Wechsel von der Sittenwidrigkeit zur Unlauterkeit keine inhaltliche Veränderung eingetreten (Plaß, in: Ekey/ Klippel u.a., Wettbewerbsrecht, § 3 UWG Rn.40ff.). 486 487
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wa »der Anständigkeit im internationalen Verkehr mit Kunstgegenständen«491 oder anderen schutzwürdigen Interessen dient. In diesem Sinne muß man auch den Hinweis verstehen, daß der völkerrechtliche Grundsatz der comitas für eine Kontrolle des Verhaltens auf ausländischen Märkten spreche. 492 Daher wäre es zu eng, wenn man die Verbandsklagekompetenzen des deutschen Rechts ausschließlich auf die Kontrolle inländischen Verhaltens oder deutschen Rechts be493
zöge. Allerdings ist es strittig, unter welchen Voraussetzungen eine solche Kontrolle ausländischen Verhaltens durch eine Verbandsklage in Deutschland möglich ist. Teilweise wird gefordert, daß nicht nur die Klagebefugnis nach den deutschen Vorschriften bestehen muß, sondern kumulativ auch die entsprechenden Vorschriften der lex causae erfüllt sein müssen. 494 Diese Ansicht ist aus Sicht der herrschenden Meinung, die einen materiell-rechtlichen Anspruch annimmt, konsequent: Die Anspruchsgrundlage ist der lex causae zu entnehmen und schließt die Frage der Aktivlegitimation mit ein. Allerdings wird eine solche Kumulierung der personenbezogenen Voraussetzungen der Verbandsklage aus lex fori und lex causae teilweise auch von Anhängern einer prozeßrechtlichen Einordnung der Verbandsklage befürwortet. 495 Diese Kumulierung der jeweiligen Voraussetzungen für die Klageberechtigung führte dazu, daß ein nach deutschem Recht klageberechtigter Verband eine sich im Ausland auswirkende Wettbewerbshandlung nur dann mittels Verbandsklage vor deutschen Gerichten kontrollieren könnte, wenn das Recht des Marktorts ihm ebenfalls eine solche Befugnis gewährt. Daraus folgte wiederum, daß es hinsichtlich der Tätigkeit deutscher Unternehmer auf Auslandsmärkten keinerlei
BGH 2 2 . 6 . 1972, B G H Z 59, 82, 86. Lindacher, FS Lüke 377, 381. 4 9 3 Ebenso im Ergebnis Koch, J Z 1 9 9 1 , 1 0 3 9 , 1 0 4 1 ; Lindacher, FS Lüke 377, 3 9 0 (keine »legislatorische Beschränkung des Anwendungsbereichs der Verbandsklage auf Ansprüche nach deutschem Recht«); Reich, RabelsZ 56 (1992) 4 4 4 , 4 7 1 (»national beschränkte Rechtsverfolgung« sei »kein zwingendes Rechtsgebot«). 494 Nagel/Gottwald, a.a.O.; Maurer, Grenzüberschreitende Unterlassungsklagen 73; Lindacher, FS Lüke 3 7 7 , 387; Ahrens, W R P 1994, 6 5 3 , 6 5 6 ; dies impliziert auch BGH 1 1 . 3 . 1982, GRUR 1 9 8 2 , 4 9 5 , 4 9 7 ; gegen eine derartige Einschränkung jedoch Schack, IZVR 2 4 3 Fn. 4 und 2 4 4 ; ausdrücklich offen gelassen wurde diese Frage jedoch in BGH 1 5 . 1 1 . 1990, B G H Z 113, 11, 16; ebenso in BGH 2 6 . 1 1 . 1997, N J W 1998, 1227, 1228. In den zuletzt genannten Entscheidungen meinte der BGH, die Frage nach der Kontrollmöglichkeit deutscher Verbandskläger bei Anwendung ausländischen Wettbewerbsrechts nicht entscheiden zu müssen, weil sich die jeweiligen Kläger nicht auf das ausländische Wettbewerbsrecht »berufen« hätten. Schon deshalb sind diese Entscheidungen falsch, denn der Grundsatz iura novit curia erstreckt sich auch auf das ausländische materielle Recht. Die Rechtsanwendung ist daher nicht abhängig vom Vortrag des Klägers; dazu Koch, J Z 1991, 1039, 1041 (»mindestens mißverständlich«); allgemein Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht 500f.; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, Einl. I R n . 7 . 495 Lakkis, Der kollektive Rechtsschutz der Verbraucher in der Europäischen Union 146. 491 492
IV. Popularklage als aktionenrechtlicbe
Kompetenz
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Kontrollmöglichkeit durch Verbandsklagen gäbe, wenn das Recht des jeweiligen Staates eine solche Kontrolle nicht vorsieht. Eine derartige Selbstbeschränkung des deutschen Rechts ergibt sich jedenfalls aus dem positiven R e c h t aber nicht. Auch bei Streitigkeiten über individuelle Rechte ist es nicht so, daß die deutschen Gerichte keinerlei Rechtsschutz für im Ausland stattfindende Verletzungen oder Rechtsverstöße bieten. Vielmehr ergeben sich hier die Grenzen der Entscheidungsbefugnis deutscher Gerichte aus den jeweils anwendbaren Zuständigkeitsvorschriften. Hinzu k o m m t die kollisionsrechtliche Entscheidung für das Marktortprinzip, die den Beklagten davor schützt, bezüglich seines Verhaltens auf dem Auslandsmarkt inländischen Vorschriften unterworfen zu werden. Es ist nicht recht einsichtig, warum bei Verbandsklagen zusätzliche Beschränkungen der Entscheidungsbefugnis deutscher Gerichte aufgestellt werden sollen, wenn deren Zuständigkeit etwa wegen des inländischen Sitzes des Beklagten (z.B. gemäß § § 1 4 Abs. 1 Satz 1 U W G , 6 Abs. 1 Satz 1 U K l a G ) eröffnet ist. H a t der Beklagte keinen Sitz im Inland, so sind bei der hier untersuchten Konstellation deutsche Gerichte ohnehin nicht zuständig, da der Tatort im Sinne von § § 1 4 Abs. 2 Satz 1 U W G , 6 Abs. 1 Satz 2 U K l a G oder Art. 5 Nr. 3 E u G V O am ausländischen M a r k t o r t liegt. 4 9 6 Eine Zuständigkeit gem ä ß § 2 3 Z P O läßt sich in diesen Fällen schon deshalb nicht begründen, weil insoweit nur § § 1 4 U W G , 6 U K l a G als ausschließliche Zuständigkeiten anzuwenden s i n d . 4 9 7 Es geht also regelmäßig um das Verhalten inländischer Unternehmer. 4 9 8 Hinzu k o m m t , daß auch auf Auslandsmärkten deutsche Verbaucher oder andere deutsche Marktteilnehmer betroffen sein können, so daß durchaus legitime Interessen für eine Kontrollkompetenz vor deutschen Gerichten sprechen.499 Somit ist die Lehre von der Kumulierung der Verbandsklagevoraussetzungen keineswegs zwingend. Sie ist aus der hier vertretenen prozeßrechtlichen Sicht der Verbandsklage auch nicht überzeugend. Der Gesetzgeber hat sich für eine objektive Rechtskontrolle durch Verbandsklage entschieden, und zwar zunächst ohne Beschränkung auf reine Inlandssachverhalte. Der Auslandsbezug des Sachverhalts wird - die Zuständigkeit deutscher Gerichte einmal vorausgesetzt - erst auf der Ebene der Begründetheit der Klage relevant. O b e n wurde bereits ausgeführt, daß das geltende Recht keine Grundlage dafür bietet, hier eine von allgemeinen Grundsätzen abweichende Einschränkung der Zulässigkeit von Klagen anzu-
Vgl. zu Art. 5 Nr. 3 EugVÜ/EuGVO EuGH 1.10. 2002, Slg. 2002 I, 8111. Hefermehl/KöMer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, §14 UWG Rn.l; Palandt/Bassenge, BGB, §6 UKlaG Rn.2. 4 9 8 Vgl. nur BGH 11.3.1982, GRUR 1982,495 (deutscher Winzer exportiert nach Großbritannien); BGH 15.11. 1990, BGHZ 113, 11 (deutscher Wolldeckenproduzent vertreibt seine Produkte auf Gran Canaria). 4 9 9 So im Fall BGH 15.11. 1990 (vorige Fn.), in dem gezielt deutsche Touristen beworben wurden. 496
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3. Kapitel: Zur Dogmatik
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Verbandsklage
nehmen. Dafür spricht auch nicht der Gedanke des Institutionenschutzes durch die Verbandsklage. 500 Dieser gründet zwar im materiellen Recht, aber das impliziert nicht, daß er bei Sachverhalten mit Auslandsberührung nicht relevant wäre. Vielmehr ist es Aufgabe des Kollisionsrechts, darüber zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen welche nationalen Normen und Institutionen zu schützen sind. Hierüber ist aber auf der Ebene der Begründetheit der Klage zu befinden. 501 Auf dieser Ebene hat es die herrschende Meinung vom Anspruchscharakter der Verbandsklage allerdings leichter, da sie problemlos auf die lex causae zurückgreifen kann. Aber auch eine prozeßrechtliche Betrachtung der Verbandsklage ignoriert die lex causae nicht. Vielmehr kann sie entsprechend den zur Feststellungsklage entwickelten Grundsätzen verfahren. Diese ist ein Instrument des Prozeßrechts und unterliegt damit hinsichtlich ihrer Voraussetzungen der lex fori.502 Trotzdem müssen für die Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis Sachnormen herangezogen werden, welche sich aus der vom Kollisionsrecht berufenen lex causae ergeben. 503 Überträgt man diese Grundsätze auf die Verbandsklage, so ergibt sich folgendes Bild: Die formellen Voraussetzungen der Verbandsklage richten sich nach der lex fori, nämlich insbesondere die Anforderungen an die Struktur und Tätigkeit des Verbands. 504 Aber auch die Frage nach der zulässigen Rechtsschutzform - etwa nach der Zulässigkeit von Unterlassungs-, Gewinnabschöpfungs- oder gar Schadensersatzklagen - ist nach der lex fori zu beurteilen. Auch dies entspricht allgemeinen Grundsätzen des internationalen Prozeßrechts. 505 Dagegen ist bei der Verbandsklage in Anlehnung an die Feststellungsklage nach der lex causae zu entscheiden, ob die Klage deswegen begründet ist, weil der Beklagte rechtswidrig gehandelt hat. Diese Frage ist anhand des anwendbaren materiellen Rechts zu beurteilen. Diese Vorgehensweise hat gegenüber der herrschenden Lehre vom materiellen Anspruch des Verbandsklägers sogar den Vorzug, daß sie nicht zu unerwünschten Schutzlücken führt, die sich aus der international unterschiedlichen rechtstechnischen Ausgestaltung des Wettbewerbs- und Verbraucherschutzrechts ergeben. Wird etwa in Deutschland gegen ein Verhalten geklagt, das den französischen Markt betrifft, so könnte nach der herrschenden Auffassung eine solche Klage schon insoweit unbegründet sein, als das französische Lauterkeitsrecht als lex causae keine entsprechenden privatrechtlichen Ansprüche kennt, sondern 500
So aber Lakkis, a . a . O . 145. Ebenso B G H 2 6 . 1 1 . 1 9 9 7 , N J W 1 9 9 8 , 1 2 2 7 : Verbandsklage gegen Verhalten im Ausland schon d a n n zulässig, w e n n personenbezogene Voraussetzungen erfüllt sind; materiell-rechtliche Aspekte sind Fragen der Begründetheit. 502 Geimer, I Z P R 815; Böhm, FS Fasching 107, 119f. 503 Böhm, ebd. 120f. 504 Koch, Liber A m i c o r u m Kurt Siehr 341, 352; M ü n c h e n e r K o m m e n t a r bGb/Micklitz, § 13 A G B G Rn. 140. 505 Vgl. n u r Geimer, IZPR 815; Nagel/Gottwald, IZPR 2 8 2 (zulässige Klagearten richten sich nach lex fori). 501
IV. Popularklage
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Kompetenz
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nur strafrechtliche Verbotsnormen. 506 Dieses Ergebnis wäre unbefriedigend, da ein in Frankreich sogar strafrechtlich verbotenes Verhalten in Deutschland nicht einmal mit einem zivilprozessualen Unterlassungsurteil bekämpft werden könnte. Es ist mit der hier vertretenen Lösung zu vermeiden, indem man die Klagebefugnis des Verbands der deutschen lex fori entnimmt und für die Begründetheit der Klage auf die dem deutschen Lauterkeitsrecht funktional äquivalenten französischen Strafbestimmungen abstellt. 507 (3)
Ergebnis
Im Ergebnis bedeutet dies, daß die Zulässigkeit der Klage eines ausländischen Populär- und Verbandsklägers ausschließlich davon abhängt, ob der jeweilige Kläger die einschlägigen personenbezogenen Voraussetzungen des deutschen Rechts erfüllt und ob die begehrten Rechtsschutzformen in den entsprechenden Bestimmungen der deutschen lex fori vorgesehen sind. Ist dies der Fall, so ist über die Begründetheit der Klage anhand der kollisionsrechtlich zu ermittelnden lex causae zu entscheiden. Dabei sind gegebenenfalls die im sachlichen Anwendungsbereich der jeweiligen Klagekompetenz liegenden funktional äquivalenten Bestimmungen des ausländischen Rechts heranzuziehen. Insgesamt ist daher auch eine prozeßrechtliche Betrachtung der Populär- und Verbandsklage ohne weiteres mit den allgemein anerkannten Regeln des Internationalen Privat- und Prozeßrechts vereinbar. b) Einstweiliger
Rechtsschutz
Der einstweiligen Rechtsschutz ist für die Effektivität der Verbandsklageberechtigungen von erheblicher praktischer Bedeutung.508 Es wäre daher ein wesentliches Argument gegen die hier vertretene prozeßrechtliche Interpretation der Verbandsklage, wenn sie mit den Regeln über den einstweiligen Rechtsschutz nicht oder nur über »künstlich einzuführende begriffliche Brücken« 509 vereinbar wäre. Diese Unvereinbarkeit soll darin bestehen, daß eine rein prozeßrechtlich gedachte Kompetenz der Verbandskläger ohne »materiellrechtliches Substrat« nie5 0 6 Münchener Kommentar BGB/Micklitz, § 13 AGBG Rn. 143; die Frage wurde allerdings offengelassen von BGH 2 6 . 1 1 . 1997, NJW 1998, 1227, 1228. Allerdings ist anzumerken, daß zumindest die französischen Verbraucherverbände gemäß Art. L. 4 2 1 - 2 Code de la consommation eigenständige Kompetenzen zur Erhebung von Unterlassungsklagen gegen agissements illicites auch vor den Zivilgerichten haben; ausführlich dazu Franke, Die Verbandsklagen der Verbraucherverbände nach dem französischen Code de la consommation im Vergleich zum deutschen Recht 95 ff. 5 0 7 So auch der Vorschlag von Reich, VuR 1998, 174, 175 (zumindest für EG-interne Sachverhalte). 5 0 8 Insbesondere im Lauterkeitsrecht, vgl. Hefermehl/fCöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, S 1 2 U W G Rn.3.1. 5 0 9 Staudinger ¡Schlosser, BGB, § 13 AGBG Rn.6.
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mals im Sinne von § 935 ZPO in ihrer Verwirklichung vereitelt oder wesentlich erschwert werden könne. 510 Dieser Ansicht ist zuzugestehen, daß das gemäß § 935 ZPO zu schützende »Recht« grundsätzlich als »zivilrechtlicher Individualanspruch« 511 verstanden wird. Dem entspricht die gängige Rede vom »Verfügungsanspruch«, der Voraussetzung für eine einstweilige Verfügung sei. 512 Der Begriff des Individualanspruchs enthält dabei allerdings keine Abgrenzung zur Populär- und Verbandsklage, sondern ist als »Anspruch auf Individualleistung« gemeint, der anders als beim Arrest nicht auf Geldzahlung gerichtet ist, sondern auf ein bestimmtes sonstiges Verhalten des Schuldners. 513 Bei näherer Betrachtung zeigt sich außerdem, daß der Anwendungsbereich des § 935 damit keineswegs auf Ansprüche im materiell-rechtlichen Sinne beschränkt ist. Vielmehr ist mit der Bezeichnung als Anspruch nur gemeint, daß die einstweilige Verfügung nicht über das hinausgehen kann, was im Wege der Hauptsacheklage durchgesetzt werden könnte und der Zwangsvollstreckung fähig ist. 514 Daher können auch Gestaltungs- und Feststellungsanträge Gegenstand einer einstweiligen Verfügung sein. 515 Diese Parallelität zwischen den möglichen Anträgen im Hauptsacheverfahren und denjenigen im Eilverfahren ergibt sich schon aus der Funktion des letzteren. Das Eilverfahren soll in Anbetracht der potentiellen Dauer des Hauptsacheverfahrens die Vollstreckung des möglichen Urteils sichern. 516 Daher gibt es auch keinen Grund, das Eilverfahren auf eine besondere Gruppe der möglichen Rechtsschutzformen, nämlich diejenige der Durchsetzung materiell-rechtlicher Ansprüche, zu beschränken. Mit Blick auf die Populär- und Verbandsklage heißt dies, daß unabhängig von der dogmatischen Einordnung dieser Phänomene jede vom Gesetzgeber geschaffene Klageberechtigung grundsätzlich auch im Eilverfahren geltend gemacht werden kann. Dasselbe Ergebnis ergibt sich schon aus der Betrachtung der positiv-rechtlichen Regelung in § 12 Abs. 2 UWG. Diese Vorschrift enthält einen teilweisen Dispens von den allgemeinen Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung, und zwar in der Form, daß das Bestehen eines Verfügungsgrunds in tatsächlicher Hinsicht widerleglich vermutet wird. 517 Diese besondere Regelung gilt kraft der gesetzlichen Verweisung in § 5 UKlaG auch für die Verbandsklagekompetenzen 510 511 512 513 514
Ebd. Statt aller Thomas/Putzo/Re/cfcoM, Z P O , § 9 3 5 R n . 5 . Ebd. A l t e r n a t i v k o m m e n t a r ZPO/Damm, § § 9 3 5 , 9 4 0 R n . 4 und 14. Münchener Kommentar ZPO/Heinze, § 9 3 5 Rn.7; Stein/Jonas/Grunsky, Z P O , §935
Rn.2. 515 Schlosser, Gestaltungsklagen u n d Gestaltungsurteile 2 3 3 f f . ; M ü n c h e n e r K o m m e n t a r Z P O / H e i n z e , § 9 3 5 R n . 7 und 9f. 516 Baur, Studien z u m einstweiligen Rechtsschutz 1. 517 Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 1 2 U W G R n . 3 . 1 3 ; ebenso zu § 2 5 U W G a.F. B G H 1 . 7 . 1999, G R U R 2 0 0 0 , 151, 152.
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Kompetenz
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gemäß § l f f . U K l a G . Darüber hinaus ist es strittig, o b sie analog auch auf Klageberechtigungen aufgrund anderer Gesetze anwendbar ist. 5 1 8 D e r Gesetzgeber m a c h t aber mit § § 1 2 Abs. 2 U W G , 5 U K l a G jedenfalls deutlich, daß er auch für die in diesen Gesetzen enthaltenen Verbandsklagekompetenzen den Weg des einstweiligen Rechtsschutz eröffnen will. Die Rede vom »Anspruch« im Gesetzeswortlaut steht dem nicht entgegen, da der Gesetzgeber diesen Begriff ausweislich der § § 8 U W G , 1 ff. U K l a G unterschiedlos für materiell-rechtliche Individualansprüche wie für Verbandsklagekompetenzen verwendet, ohne daß damit eine bestimmte dogmatische Lösung präjudiziert würde. Insgesamt ergibt sich daher sowohl aus grundsätzlichen Überlegungen zur Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes wie auch aus den positiv-rechtlichen Regelungen, daß das Verfahren der § § 9 1 6 f f . , 9 3 5 f f . Z P O auch für die Ausübung von Populär- und Verbandsklagekompetenzen offen ist. Besondere begriffliche Neuschöpfungen sind dazu nicht erforderlich.
c) Negative
Feststellungsklage
Es ist allgemein anerkannt, daß der angeblich rechtswidrig handelnde Unternehmer gegenüber einem potentiellen Verbandskläger eine »negative« Feststellungsklage erheben k a n n . 5 1 9 Das gemäß § 2 5 6 Abs. 1 Z P O erforderliche Feststellungsinteresse besteht jedenfalls dann, wenn der Feststellungskläger bereits von dem jeweiligen Verband abgemahnt w u r d e . 5 2 0 Teilweise wird ein hinreichendes Feststellungsinteresse auch bereits für den Fall angenommen, daß der Verband in der Öffentlichkeit das Verhalten oder die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des betroffenen Unternehmers als rechtswidrig bezeichnet. 5 2 1 Im Hinblick auf die dogmatische Einordnung der Verbandsklagekompetenz wird behauptet, daß diese allgemein für zulässig gehaltene negative Feststellungsklage nur mit der Konstruktion eines materiell-rechtlichen Anspruchs des Verbandsklägers zu erklären ist. Eine rein prozeßrechtliche Deutung könne kein Rechtsverhältnis im Sinne von § 2 5 6 Abs. 1 Z P O begründen, dessen Nichtbestehen festgestellt werden k ö n n t e . 5 2 2 Die Vertreter der Lehre vom materiell-rechtlichen Anspruch des Verbandsklägers können dagegen dieses Rechtsverhältnis Nachweise bei Hefermehl/KöWer/Bornkamm, a.a.O. § 12 UWG Rn.3.14. So zum Lauterkeitsrecht BGH 12.7. 1995, GRUR 1995, 697, 699 m.w.N.; Hefermehl/ Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 12 UWG Rn. 1.74; ebenso zur AGB-Kontrollklage Palandt/Bassenge, BGB, § 5 UKlaG Rn. 13; Staudinger/ScWosser, BGB, § 13 AGBG Rn. 11; Münchener Kommentar BGB/Micklitz, § 15 AGBG Rn. 13. 5 2 0 BGH 12.7. 1995, GRUR 1995, 697, 699; Hefermehl/Köhler/Bornkamm, ebd.; Münchener Kommentar BGB/Micklitz, ebd. 5 2 1 Palandt/Bassenge, BGB, § 5 UKlaG Rn. 13; Ermsm/Roloff, BGB, § 5 UKlaG Rn. 5. Anders aber BGH 7.6. 2001, GRUR 2001,1036,1037: Die bloße Ankündigung »rechtlicher Schritte« mache eine negative Feststellungsklage noch nicht zulässig. 5 2 2 Staudinger/Schlosser, BGB, § 13 AGBG Rn. 11. 518
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3. Kapitel: Zur Dogmatik
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umstandslos im Nichtbestehen jenes Anspruchs verorten. 523 Allerdings lösen sie sich schon dadurch ein Stück weit von der Bezugnahme auf den angeblichen Anspruch des Verbands, daß sie teilweise auch eine positive Formulierung des Feststellungsantrags zulassen. Dieser soll auch auf eine Feststellung der Wirksamkeit der jeweiligen AGB-Klausel oder der Rechtmäßigkeit der inkriminierten Wettbewerbshandlung lauten dürfen. 524 Auch hinsichtlich der gegen den möglichen Verbandskläger gerichteten Feststellungsklage läßt sich jedoch ein prozeßrechtliches Verständnis der Verbandsklagekompetenz sowohl mit allgemeinen Erwägungen zur Feststellungsklage als auch mit den konkreten gesetzlichen Regelungen vereinbaren. Der Begriff des Rechtsverhältnisses in § 256 Abs. 1 ZPO umfaßt keineswegs nur materiell-rechtliche Ansprüche, sondern ist wesentlich weiter zu verstehen. Die Rechtsprechung erblickt ein Rechtsverhältnis in diesem Sinne in einer »durch den Sachverhalt auf Grund einer Rechtsnorm gegebene Rechtsbeziehung einer Person zu einer anderen Person oder zu einem Rechtsgut.« 525 Diese Definition umfaßt ohne weiteres auch die Frage danach, ob aufgrund eines bestimmten Verhaltens eine rechtlich normierte Klagekompetenz eines Verbandes gegen einen bestimmten Unternehmer besteht. Auch der Gesetzgeber hat in § 15 Abs. 10 Satz 4 UWG die Zulässigkeit der negativen Feststellungsklage im Lauterkeitsrecht dadurch anerkannt, daß er sie nur während eines laufenden Verfahrens vor einer Einigungsstelle im Sinne von §15 UWG für unzulässig erklärt. Dieses Einigungsverfahren ist auch bei einer Verbandsklage gemäß § 8 UWG möglich, wie sich schon aus § 15 Abs. 2 Satz 2 UWG ergibt. Außerdem ist § 15 UWG gemäß § 12 UKlaG auch auf Verbandsklagen gemäß § 2 UKlaG anzuwenden. Also geht der Gesetzgeber davon aus, daß die Verbandsklagekompetenz auch Gegenstand einer negativen Feststellungsklage sein kann. Auch dies spricht dafür, den Begriff des Rechtsverhältnisses in § 256 Abs. 1 ZPO auch auf die Frage nach dem Bestehen derartiger Kompetenzen zu beziehen. Daher läßt sich die prozeßrechtliche Deutung der Popular- und Verbandsklagekompetenzen ohne jegliche Friktionen mit den anerkannten Grundsätzen zur negativen Feststellungsklage vereinbaren.
523 Palandt/Bassenge, BGB, § 5 UKlaG Rn. 13; Münchener Kommentar BGB/Micklitz, § 15 AGBG Rn. 13. 524 Staudinger/ScWosser, BGB, § 1 3 AGBG R n . l l ; Palandt/Bassenge, BGB, § 5 UKlaG Rn. 13; E r m a n / R o l o f f , BGB, § 5 UKlaG Rn.5; Ulmer/Brandner/Hense«, AGBG, § 15 Rn.27. 525 RG 27.2. 1934, RGZ 144, 54, 56; zustimmend BGH 15.10. 1956, BGHZ 22, 43, 47; BGH 3.11. 1995, NJW 1996, 452, 453; Stein/Jonas/Schumann, ZPO, §256 Rn.21; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 600.
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293
Ergebnis
Bei Populär- und Verbandsklagen handelt es sich um aktionenrechtliche Kompetenzen, die in ein System materiell-rechtlicher Ansprüche nicht einzuordnen sind. Diese Unterscheidung rechtfertigt sich sowohl angesichts der gemeinsamen Strukturprobleme, die in der Bestandsaufnahme der hier untersuchten Popularund Verbandsklagekompetenzen deutlich geworden sind, wie auch aufgrund der angestellten grundsätzlichen Überlegungen zu den Begriffen des subjektiven Rechts und des Anspruchs. Ein prozeßrechtliches Verständnis der Populär- und Verbandsklage führt auch nicht zu unüberwindbaren Schwierigkeiten im Hinblick auf andere privat- und prozeßrechtliche Regelungsbereiche. Im Verhältnis von Populär- und Verbandsklage untereinander bildet die Popularklage den Oberbegriff. Die Verbandsklage zeichnet sich durch eine besondere Beschränkung im Kreis der Klageberechtigten aus, ist aber strukturell mit der Popularklage identisch. Es ist daher sinnvoll, die Verbandsklage als eingeschränkte Popularklage zu bezeichnen.
Viertes Kapitel
Lösungsvorschläge zum geltenden Recht Vor dem Hintergrund dieser Einordnung von Verbands- und Popularklage als aktionenrechtliche Kompetenzen, die mit den üblichen Begriffen des Anspruchs und des subjektiven Rechts nicht sinnvoll zu erfassen sind, soll nun ein erneuter Blick auf die bereits im Anschluß an die Bestandsaufnahme herausgearbeiteten konkreten Strukturprobleme geworfen werden. Dabei geht es zunächst nur um Lösungen auf der Grundlage des geltenden Rechts. Rechtspolitische Überlegungen sollen erst im abschließenden fünften Kapitel angestellt werden.
I. Sachlicher
Anwendungsbereich
Die aufgrund der Bestandsaufnahme konstatierte unsystematische Zersplitterung der sachlichen Anwendungsbereiche der Populär- und Verbandsklage läßt sich nach geltendem Recht nicht beseitigen. Immerhin zeigt sich der gemeinsame Nenner dieser Anwendungsbereiche in der kompensatorischen Funktion dieser Kompetenzen. Diese Funktion ist auch bei der Auslegung der jeweiligen Vorschriften zu berücksichtigen. Eine weite Auslegung der Vorschriften über den sachlichen Anwendungsbereich ist daher immer dann notwendig, wenn der fragliche Rechtsverstoß mit den Mitteln des Individualprozesses kaum abgestellt werden kann. Auch die einschränkenden Merkmale in den Tatbeständen der jeweiligen Vorschriften sind in diesem Lichte zu betrachten. Eine lauterkeitsrechtliche Verbandsklagekompetenz erscheint unnötig, wenn der fragliche Rechtsverstoß ausnahmsweise so vereinzelt und ohne allgemeine Bedeutung ist, daß man seine Ahndung der Initiative konkret betroffener Individuen überlassen kann. Er ist dann »unerheblich« im Sinne von § 3 U W G , auf den § 8 Abs. 1 U W G verweist. Ähnliches gilt für § 2 Abs. 1 Satz 1 UKlaG, wonach die Verbandsklagekompetenz »im Interesse des Verbraucherschutzes« besteht. Auch mit dieser Formulierung sollen Fälle ausgeschieden werden, in denen aufgrund ihrer Singularität für das kompensatorische Instrument der Verbandsklage kein Bedarf besteht. 1 Es ist in dieser Hinsicht auch konsequent, daß § 1 UKlaG keine vergleichbare Ein-
1
Vgl. nur Pa\andt/Bassenge, BGB, §2 UKlaG Rn.6.
296
4. Kapitel: Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
schränkung enthält, denn Allgemeine Geschäftsbedingungen sind per
definitio-
nem immer für eine Vielzahl von Fällen vorgesehen (§ 3 0 5 Abs. 1 Satz 1 BGB). Insgesamt gibt es daher eine gewisse Schwelle der Wesentlichkeit, die überschritten werden muß, damit eine Populär- oder Verbandsklage zulässig sein kann. Diese Schwelle darf aber nicht zu hoch angesetzt werden, wie in den Erörterungen zu § 2 UKlaG gezeigt wurde. 2
II.
Akteure
Auch die Akteure der Populär- und Verbandsklagekompetenzen sind vom Gesetz vorgegeben, so daß die anhand der Bestandsaufnahme aufgezeigten Inkonsequenzen und Widersprüche in dieser Hinsicht zunächst hinzunehmen sind. Anders als bei den Popularklagekompetenzen des Patent- und Markenrechts sind die Kontrollkompetenzen bei der Verbandsklage bei bestimmten Akteuren monopolisiert. Allerdings darf dieser Monopolisierung keine übertriebene Bedeutung beigemessen werden, denn die dogmatische Betrachtung hat gezeigt, daß die Verbandsklage als eingeschränkte Popularklage von der Person und den Interessen des Kompetenzinhabers gänzlich unabhängig ist. Für ihre Funktion als objektiv-rechtliches Kontrollinstrument macht es keinen Unterschied, ob der rechtswidrig handelnde Unternehmer von einem anerkannten Verbraucherschutzverband oder von einem anderen Klageberechtigten verklagt wird. Daher ist auch die Aufzählung der berechtigten Akteure etwa in § 3 UKlaG nicht in dem Sinne abschließend, daß nicht auch andere Akteure aufgrund anderswo geregelter Kompetenzen denselben Rechtsverstoß verfolgen könnten. So kann etwa die Verwendung unwirksamer Geschäftsbedingungen auch als unlauterer Wettbewerb gemäß § 4 Nr. 11 U W G von den gemäß § 8 U W G berechtigten Akteuren verfolgt werden. 3
III.
Klagziel
Bei der Frage der möglichen Klagziele sind die im geltenden Recht vorhandenen Inkonsequenzen ebenfalls zu dulden, aber durch Auslegung nicht noch zu verschärfen. Daher spricht nichts dagegen, die in § 10 U W G geregelte Gewinnabschöpfungskompetenz über den Umweg des § 4 Nr. 11 U W G auch zur Abschöpfung solcher Gewinne zu nutzen, die etwa durch die Verwendung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen oder durch den Verstoß gegen Verbraucherschutzgesetze im Sinne von § 2 UKlaG erwirtschaftet wurden.
2 3
Siehe oben, S. 1 7 7 f . Siehe oben, S. 92.
IV. Rechtskraft
IV. Rechtskraft
und
und
Rechtshängigkeit
297
Rechtshängigkeit
Wesentlicher komplexer stellt sich dagegen nach geltendem Recht die Lösung des Problems der Mehrfachklagen und der Wirkungen von Rechtshängigkeit und Rechtskraft dar. Der Gesetzgeber hat hier - mit Ausnahme der eigentümlichen Sondervorschriften in § § 1 0 , 11 UKlaG - keine Vorgaben gemacht, so daß aufgrund der bisher gewonnen Erkenntnisse eine angemessene Lösung zu entwickeln ist.
1. Zum Streitgegenstand der Popularklage Diese Lösung beginnt mit der Feststellung, daß die durch die Möglichkeit mehrfacher Klagen aufgeworfenen Probleme zunächst solche des Streitgegenstands sind. Ziel der Regelungen über Rechtskraft und Rechtshängigkeit ist es, daß wiederholte Prozesse über ein und dieselbe Sache vermieden werden sollen. Das Rechtssystem soll nicht mit dem doppelten oder gar mehrfachen Aufwand an Zeit, Mühe und Kosten belastet werden, und es sollen mehrfache und möglicherweise widersprüchliche Entscheidungen vermieden werden. 4 Dieses Ziel setzt aber einen in der Rechtspraxis operationalisierbaren Begriff davon voraus, wann dieselbe Sache im rechtlichen Sinne vorliegt. Rechtsprechung und Lehre haben dazu den Begriff des Streitgegenstands entwickelt, dessen genauer Inhalt zu den am häufigsten erörterten Problemen des Verfahrensrechts gehört. 5 Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung geht es jedoch nur um ein Teilproblem des Begriffs vom Streitgegenstand, nämlich inwieweit die Person des Klägers notwendig zum Streitgegenstand gehört oder ob sie unter gewissen Voraussetzungen von diesem geschieden werden kann. a) Streitgegenstand
und Individualität der
Parteien
Dieses Problem wird in den meisten Erörterungen des Streitgegenstandsbegriffs nicht oder kaum behandelt. 6 Dies ist auch folgerichtig, soweit es um die Durchsetzung individueller Ansprüche im Zivilprozeß geht. Bei diesen ist es geradezu selbstverständlich, daß das Begehren des A nicht denselben Streitgegenstand wie das Begehren des B darstellt, mögen beide auch aus demselben Lebenssachverhalt entspringen. BGH 1 7 . 1 . 1952, B G H Z 4, 3 1 4 , 322. Nachweise zur Diskussion zuletzt etwa bei Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 612ff.; Thomas/Putzo, ZPO, Einl. II lff. 6 Vgl. etwa die Überblicke über den Streitstand bei Schilken, Zivilprozeßrecht 119 ff.; jauernig, Zivilprozeßrecht 150ff. Eine Ausnahme bildet insoweit Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts 33: Für die genaue Bestimmung des Streitgegenstands komme es »entscheidend auf die Person des Berechtigten bzw. Verpflichteten an.« 4
5
298
4. Kapitel: Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
Daher wird der herrschende zweigliedrige Streitgegenstandsbegriff etwa so formuliert: »Streitgegenstand ist [...] das Begehren der durch Klageantrag und Lebenssachverhalt bestimmten Entscheidung.« 7 Die Person des Klägers versteckt sich dann allenfalls im Klageantrag, sofern dieser etwa auf Zahlung an den Kläger lautet. Enthält der Klagantrag keine solche Individualisierung, so wäre nach dieser Definition ein Streitgegenstand unabhängig von der Person des Klägers durchaus denkbar: Beantragt etwa Verband A, dem Beklagten die Verwendung bestimmter Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu untersagen, so wären sowohl Klagantrag als auch Lebenssachverhalt - und damit der Streitgegenstand - völlig identisch, wenn Verband B dieselbe Verwendung untersagen lassen will. Dieses Ergebnis wird jedoch weder mit der herrschenden zweigliedrigen Auffassung noch mit rein materiell- oder prozeßrechtlichen Theorien zum Streitgegenstand bezweckt. Sie gehen alle davon aus, daß der Streitgegenstand die subjektive Rechtsstellung des Klägers betrifft und damit an dessen Person gebunden ist. 8 Eine rein materiell-rechtliche Interpretation des Streitgegenstandsbegriff will zur Populär- und Verbandsklage ohnehin nicht recht passen. Eine derartige Lesart besteht ja darin, daß man den Streitgegenstand mit der Behauptung des Klägers identifiziert, daß ihm gegen den Beklagten ein materiell-rechtlicher Anspruch zustehe. 9 Oben wurde jedoch bereits ausgeführt, daß der Populär- und Verbandskläger gar keine derartige individualisierte materiell-rechtliche Position geltend macht. Das besondere Charakteristikum der Populär- und Verbandsklage im Hinblick auf den Streitgegenstand ist, daß jeder dieser Kläger ein von seiner individuellen Lage unabhängiges Interesse geltend macht, nämlich die Durchsetzung des objektiven Rechts in einer bestimmten Konstellation. Im Prozeß um individuelle Ansprüche geht es dagegen bei mehreren Klägern meist um eine »Schutzinteressenpluralität«, bei der die Geltendmachung des einen Schutzinteresses nicht die Interessenwahrnehmung der übrigen ausschließen darf. 1 0 Dies ist etwa dann offensichtlich, wenn durch ein und dieselbe deliktische Handlung mehrere Personen geschädigt werden. Bei Populär- und Verbandsklagen liegt dagegen eine solche Pluralität von Individualinteressen gerade nicht vor. Vielmehr verfolgen parallele oder sukzessive Populär- oder Verbandsklagen ein und dasselbe Interesse an der Durchsetzung des objektiven Rechts. 1 1 Dieser grundlegende Unterschied muß sich auch auf die Bestimmung des Streitgegenstands auswirken.
7
Rosenberg/Schwab/Gottwald,
Zivilprozeßrecht 6 1 7 .
Vgl. nur Costede, FS Deutsch 9 0 7 , 9 0 9 f f . ; Grunsky, re 1 9 6 . 9 Grunsky, ebd. 3 5 . 10 Lindacher, ZZP 103 (1990) 397, 408. 11 Ebd. 8
a . a . O . 3 3 ; ähnlich Henckel,
Parteileh-
IV. Rechtskraft und
b) jede Popularklage
als eigener
Rechtshängigkeit
299
Streitgegenstand?
Vor diesem Hintergrund wäre es naheliegend, dem beschriebenen identischen Interesse aller möglichen Kläger auch einen identischen Streitgegenstand korrespondieren zu lassen. Die herrschende Auffassung in Literatur und Rechtsprechung geht diesen Weg jedoch nicht. Sie nimmt auch bei der Populär- und Verbandsklage eine Pluralität der Schutzinteressen in dem Sinne an, daß jede Populär- oder Verbandsklage einen eigenen Streitgegenstand darstellt, selbst wenn sie sich gegen ein und dasselbe Verhalten des Beklagten richtet. 1 2 Dabei kann sie sich immerhin auf die Auffassung des historischen Gesetzgebers des U W G von 1 8 9 6 stützen, der davon ausging, daß jede Verbandsklagekompetenz einem eigenen Streitgegenstand entspreche. 1 3 Allerdings kann der historischen Auslegung angesichts der ständigen R e f o r m und Expansion der Verbandsklagekompetenzen in den letzten hundert J a h r e n keine besonders große Bedeutung mehr zugemessen werden. Im Gegenteil: Gerade die seit Verabschiedung des U W G von 1 8 9 6 begonnene Entwicklung der Verbandsklage belegt, daß es keinen Sinn macht, über ein und denselben Lebensvorgang eine Vielzahl von Prozessen zu führen. Sowohl die Rechtsprechung wie auch die Literatur haben daher Lösungsstrategien entwikkelt, die sich nicht auf den Begriff des Streitgegenstands beziehen und die daher inkonsequent und widersprüchlich sind. Dies zeigt sich etwa bei der StrohmannLehre im Patentnichtigkeitsverfahren. 1 4 Sie geht davon aus, daß die Zweitklage eines v o m Erstkläger vorgeschobenen Strohmanns unzulässig ist, weil das Individualinteresse des Hintermanns nicht erneut zum Gegenstand des Prozesses gemacht werden solle. 1 5 Es ist jedoch kaum möglich, dies dem Strohmann vorhalten, wenn man gleichzeitig seine Klagekompetenz als eigenen und vom Erstprozeß unterscheidbaren Streitgegenstand betrachtet. Im Sinne der herrschenden Meinung müßte jeder Popularkläger - ungeachtet seiner konkreten M o t i v a t i o n - einen eigenen Streitgegenstand geltend machen, so daß die Einrede der Rechtskraft gänzlich fehl am Platze wäre. Im Ergebnis ist die Strohmann-Lehre allerdings sachlich begründet, da sie von der richtigen Erwägung ausgeht, daß eine einmal rechtskräftig getroffene richterliche Feststellung zur Bestandskraft eines Patents nicht in Frage gestellt werden soll. N u r sollte diese richtige Erwägung auf den Begriff des Streitgegenstands bezogen werden und nicht auf eine fragwürdige Abgrenzung zwischen im eigenen und im fremden Interesse handelnden Popularklägern.
12 BGH 5.1. 1960, GRUR 1960, 379, 380; Münchener Kommentar BGBIMicklitz, §13 AGBG Rn. 95; Urbanczyk, a.a.O. 153f.; Hefermehl/KöMer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 8 UWG Rn. 3.3. 13 Dazu Marotzke, ZZP 98 (1985) 160, 162 m.w.N. 14 Siehe oben, S.58. 15 RG 5.11. 1904, RGZ 59, 133, 135.
300
4. Kapitel: Lösungsvorschläge
zum geltenden Recht
Ähnliches gilt für die im Lauterkeitsrecht von Literatur und Rechtsprechung angewandten Umgehungsstrategien. So ist es etwa vor dem Hintergrund der herrschenden Auffassung unverständlich, w a r u m eine bewußte Mehrfachklage einer Reihe von Klageberechtigten wegen ein und derselben Wettbewerbshandlung »mißbräuchlich« sein soll 1 6 oder den Zweit-, Dritt- und Viertklagen das Rechtsschutzbedürfnis fehlen solle. 1 7 Wenn jeder Klageberechtigte einen eigenen Anspruch verfolgen und damit jede Klage einen anderen Streitgegenstand haben soll, dann kann die Klärung dieser unterschiedlichen Streitgegenstände ebenso wenig mißbräuchlich sein wie etwa die Häufung von Klagen einzelner Geschädigter nach einem Massenunfall. Auch hier ist der wahre Grund des M i ß brauchsvorwurfs in der richtigen Erwägung zu suchen, daß es ausreicht, wenn die Frage der objektiven Rechtmäßigkeit der inkriminierten Wettbewerbshandlung einmal gerichtlich geklärt wird. Anders als bei einem Massenunfall geht es bei Populär- und Verbandsklagekompetenzen gerade nicht darum, die individuelle Rechtsposition jedes einzelnen Betroffenen gesondert zu klären.
c) Prozeßstandschaftliche
Lösung
Angesichts dieser widersprüchlichen und unbefriedigenden Praxis werden in der Literatur mit unterschiedlicher Begründung alternative Vorschläge gemacht. Eine elegante Alternative bietet sich vor allem für diejenigen Autoren an, die in der Verbandsklage eine Prozeßstandschaft für ein fremdes Kollektivrecht sehen. D a aus dieser Sicht überhaupt nur ein Anspruch geltend gemacht wird - sei es nun derjenige der jeweils betroffenen Verbrauchergruppe 1 8 oder derjenige des Staates 1 9 - , ist es nur folgerichtig, eine zweite Klage, die denselben »Anspruch« geltend macht, wegen des identischen Streitgegenstands als unzulässig zu betracht e n . 2 0 Auch wer den Verbandskläger als »Treuhänder« einer wie auch immer gearteten materiellen Rechtsposition ansieht, k o m m t zu demselben Ergebnis: D e r zweite klagende Verband als neuer Treuhänder desselben Rechts m u ß dann schon nach allgemeinen Grundsätzen die Ergebnisse des Erstprozesses gegen sich gelten lassen. 2 1 Allerdings sind alle diese Wege versperrt, wenn man - wie hier einmal zu dem Ergebnis gekommen ist, daß der Populär- und Verbandsklage weder ein Anspruch des undefinierbaren Kollektivs der Verbraucher noch des »Staates« oder überhaupt ein materiell-rechtlicher Anspruch zugrunde liegt.
So Urbanczyk, a.a.O. 198. Hadding, J Z 1970, 305, 311; Tetzner, GRUR 1981, 803, 808f.; anders aber Urbanczyk, a.a.O. 159, der auch für Mehrfachklagen das Rechtsschutzinteresse bejaht, da dieses sich schon aus der Geltendmachung des Anspruchs ergebe. 18 Gilles, ZZP 98 (1985) 1, 9. 19 Marotzke, ZZP 98 (1985) 160, 188ff. 20 Gilles, a.a.O. 11; Marotzke, ebd. 198f. 21 Gassner, Treuhandklage 86. 16 17
IV. Rechtskraft
d) Streitgegenstand der bayerischen
und
Rechtshängigkeit
301
Popularklage
Zur Lösung des Streitgegenstandproblems bei der Popular- und Verbandsklage soll zunächst ein Blick in das öffentliche Recht gewagt werden, wo vergleichbare Konstellationen bestehen. Insbesondere bei der auf Art. 98 Satz 4 der Verfassung des Freistaates Bayern gestützten Popularklagebefugnis, die in Art. 5 5 des Gesetzes über den Bayerischen Verfassungsgerichtshofes konkretisiert ist, erscheint es ohne weiteres möglich, daß mehrere Kläger ein und denselben Rechtsverstoß rügen wollen. Immerhin kann hier ja quivis ex populo
die Verletzung von Grund-
rechten durch Gesetze oder Verordnungen geltend machen. Diese Vorschrift der bayerischen Verfassung steht damit in der Tradition der Paulskirchenverfassung von 1 8 4 9 , die in ihrem § 1 2 6 f jedem Bürger eine Klagemöglichkeit gegen »Aufhebung oder verfassungswidrige Veränderung« der jeweiligen Landesverfassung garantierte. Auch bei der bayerischen Popularklage geht es nicht um individuelle Rechtsverletzungen, sondern um den »Schutz der Grundrechte als Institution.« 2 2 Der Kläger muß also keinerlei eigenes Interesse an der Kontrolle der jeweiligen Rechtsnorm darlegen. 2 3 Erachtet der Bayerische Verfassungsgerichtshof die angegriffenen Normen für verfassungswidrig, so erklärt er sie mit Wirkung ex tune und erga omnes
für nichtig. 2 4 Die Wirkung erga omnes
ergibt sich
hier ähnlich wie bei der patentrechtlichen Popularklage bereits aus dem rechtsgestaltenden Charakter der Entscheidung. 2 5 Anders als bei der patentrechtlichen Popularklage ist aber nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes auch bei einer klagabweisenden Entscheidung keine weitere Klage anderer Popularkläger mehr möglich: »Hat der Verfassungsgerichtshof die Verfassungsmäßigkeit einer Norm bejaht, so ist die Rechtslage damit geklärt, und es soll dabei sein Bewenden haben.« 2 6 Ein zweites Verfahren, das sich auf dieselbe Rechtsvorschrift bezieht, ist in der Regel nur dann zulässig, wenn neue Tatsachen oder gewichtige neue rechtliche Gesichtspunkte geltend gemacht werden, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten. 2 7 Diese Wirkung des klagabweisenden Urteils bei der Popularklage kann - schon angesichts der Zulässigkeit neuer rechtlicher Argumente - aller-
2 2 BayVerfGH 2 3 . 3 . 1972, BayVerfGHE 2 5 , 4 5 , 47; zur Abgrenzung der Popularklage vom individuellen Rechtsschutz bereits BVerfG 3 . 1 0 . 1961, BVerfGE 13, 132, 141 f. 23 Meder, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 98 Rn. 7 m.w.N. 2 4 Nawiasky/Schweiger/Knöp/fe, Die Verfassung des Freistaates Bayern Art. 98 R n . 8 8 m.w.N. 25 Meder, Die Verfassung des Freistaates Bayern Art. 98 R n . 3 1 . 2 6 BayVerfGH 5 . 8 . 1999, BayVBl. 1 9 9 9 , 690; BayVerfGH 2 0 . 1 0 . 2 0 0 3 , BayVBl. 2 0 0 4 , 2 6 8 , 2 6 9 (ständige Rechtsprechung, weitere Nachweise bei Nawiasky/Schweiger/K«öp/7e, a.a.O. Rn. 106). 2 7 Siehe die in der vorigen Fn. zitierten Entscheidungen sowie bereits BayVerfGH 2 9 . 4 . 1968, BayVerfGHE 2 1 , 83, 87; BayVerfGH 2 3 . 3 . 1972, BayVerfGHE 2 5 , 4 5 , 48; BayVerGH 2 . 1 2 . 1980, BayVerfGHE 33, 168, 171.
302
4. Kapitel: Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
dings nicht als Rechtskraftwirkung verstanden werden. 28 Trotzdem zeigt die Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes, daß es hinsichtlich der Zulässigkeit einer erneuten Popularklage jedenfalls nicht auf die Person des Klägers ankommen kann. Diese Person und ihre rechtliche Lage gehören gerade nicht zum Gegenstand des Verfahrens. e) Streitgegenstand in anderen Normenkontrollverfahren
öffentlich-rechtlichen
In dieser erga-omnes-Wirkung des klagabweisenden Urteils unterscheidet sich die bayerische Popularklage auch von der Normenkontrollklage gemäß § 47 VwGO, bei der die Klagabweisung weitere Verfahren anderer Antragsteller bezüglich derselben Norm nicht hindert. 29 Dieser Unterschied rechtfertigt sich jedoch daraus, daß die Klageberechtigung bei § 47 VwGO gerade nicht jedermann ohne Rücksicht auf seine Lage zusteht, sondern - jedenfalls in der heutigen Fassung der Vorschrift - von der Verletzung subjektiver Rechte abhängt. 30 Das Verfahren nach § 47 VwGO ist daher zwar hinsichtlich der Begründetheit der Klage ein »objektives Rechtsbeanstandungsverfahren«, dient aber zugleich dem Rechtsschutz des konkreten Antragstellers. 31 Es ist daher mit den hier interessierenden Popularklagen nicht vergleichbar. Im Gegensatz zu § 47 VwGO enthält jedoch die gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2, 2a GG eröffnete Normenkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht kein derartiges Element des subjektiven Rechtsschutzes. Bei ihr geht es nicht darum, daß subjektive Rechte der Antragsteller - etwa der gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG antragsberechtigten Anzahl der Mitglieder des Bundestags - geschützt werden sollen. 32 Vielmehr soll ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der betreffenden Normen überprüft werden. Daraus ergibt sich ebenso wie bei der bayerischen Popularklage die Unzulässigkeit von mehrfachen Verfahren in derselben Angelegenheit, mögen diese auch von verschiedenen Antragstellern angestrengt werden. 33 Im Anschluß an die Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes zur Popularklage läßt das Bundesverfassungsgericht allerdings offen, ob ein solches zweites Verfahren ausnahmsweise dann zulässig ist, wenn sich die relevanten Lebensverhältnisse oder Rechtsauffassungen grundlegend gewandelt haben und aus diesen Gründen eine andere Beurteilung der fraglichen Norm möglich erscheint. 34 28 29 30 31 32 33 34
BayVerfGH 2 9 . 4 . 1968, BayVerfGHE 2 1 , 83, 87. Kopp/Schenke, V w G O , § 4 7 Rn. 146. Redeker/v. Oertzen, V w G O , § 4 7 R n . 2 8 . Ebd. Rn. 1. BVerfG 1 9 . 7 . 1 9 6 6 , BVerfGE 2 0 , 56, 86. Ebd. 86f. (zweites N o r m e n k o n t r o l l v e r f a h r e n grundsätzlich unzulässig). Ebd.
IV. Rechtskraft und
Rechtshängigkeit
303
Dieser Ausschluß mehrerer Normenkontrollverfahren in derselben Angelegenheit ergibt sich auf den ersten Blick bereits aus dem Wortlaut des § 3 1 Abs. 1 B V e r f G G , w o n a c h die Entscheidungen des Bundesverfassungsgericht unabhängig von ihrem Inhalt »bindend« sind. Die Bindungswirkung gilt also sowohl für Entscheidungen, in denen die Nichtigkeit einer N o r m ausgesprochen wird, wie auch - und darin liegt der wesentliche Unterschied zu § 4 7 V w G O - für Entscheidungen, in denen das Bundesverfassungsgericht eine N o r m als verfassungsgem ä ß und damit gültig beurteilt. 3 5 Allerdings ist diese in § 3 1 Abs. 1 B V e r f G G angeordnete Bindungswirkung bei näherer Betrachtung nicht mit der Rechtskraftwirkung der Entscheidung identisch. 3 6 Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet vielmehr zwischen der gesetzlich angeordneten besonderen Bindungswirkung und der unabhängig davon im Normenkontrollverfahren wie bei allen gerichtlichen Entscheidungen zu berücksichtigenden Rechtskraftwirkung. Diese Rechtskraftwirkung umfaßt den Streitgegenstand des Verfahrens, der jedoch im Normenkontrollverfahren unabhängig von der Person des Antragstellers zu betrachten ist: Gegenstand des Normenkontrollverfahrens sind weder der Antrag noch die Anregungen und Rechtsbehauptungen des Antragstellers, sondern allein die von subjektiven Rechten und Rechtsauffassungen unabhängige Frage, ob ein bestimmter Rechtssatz gültig oder ungültig ist, ob also objektives Recht besteht oder nicht, sowie die entsprechende richterliche Feststellung. 37 Ebenso wie bei der bayerischen Popularklage findet man also auch bei der N o r menkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht einen besonderen Streitgegenstand vor, der von der Person des jeweiligen Antragstellers unabhängig ist.
f) Entsubjektivierter Diese
Streitgegenstand
in den öffentlich-rechtlichen
der
Popularklage
Normenkontrollverfahren
entwickelten
Grundsätze können und müssen auch auf zivilrechtliche Populär- und Verbandsklage übertragen werden. Da die materiell-rechtliche Position des Klägers im Populär- und Verbandsklageprozeß nicht zur Debatte steht, ist sie auch aus dem Streitgegenstand dieser Prozesse auszuscheiden. 3 8 In der Literatur wurde daher bereits frühzeitig erwogen, daß der Streitgegenstand der lauterkeitsrechtlichen Verbandsklage sich von demjenigen bei Individualprozessen unterscheidet: Die Rechtsverhältnisse zwischen den jeweiligen Verbandsklageberechtigten und dem BVerfG 23.10. 1951, BVerfGE 1, 14, 64. Gaul, FS Beitzke 997, 1017 Fn.106 m.w.N. 3 7 BVerfG 19.7. 1966, BVerfGE 20, 56, 86. 38 Vgl. bereits Rimmelspacher, Materiellrechtlicher Anspruch und Streitgegenstandsprobleme im Zivilprozeß 202, der den Ausgangspunkt für die Bestimmung des Streitgegenstands in der »im Prozeß zur Entscheidung gestellten Rechtsposition« erblickt. Gerade diese ist aber bei der Popularklage von der Identität des Klägers unabhängig. 35 36
304
4. Kapitel: Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
beklagten Unternehmer seien »in der Regel identisch und gerade wegen ihrer Identität nur einheitlich entscheidbar.« 3 9 Später wurde der Vorschlag gemacht, den Streitgegenstand der lauterkeitsrechtlichen Verbandsklage als um die Person des Klägers »verkürzt« zu verstehen, so daß er nur die begehrte Unterlassungsverpflichtung sowie den dazugehörigen Lebenssachverhalt u m f a ß t . 4 0 Auch hinsichtlich der A G B - K o n t r o l l k l a g e durch Verbände wurde schon mehrfach darauf hingewiesen, daß das Prozeßthema in einer objektiven Rechtskontrolle besteht, die von der Person des Klägers unabhängig ist. 4 1 Gerade der Z w e c k der Popularund Verbandsklage als kompensatorisches Mittel zur Durchsetzung des objektiven Rechts spricht für eine »extra partes wirkende, weil eben auf allgemeinen Verkehrsschutz bedachte richterliche R e c h t s p r ü f u n g . « 4 2 Eine solche objektive Rechtsprüfung m u ß aber nicht schon deshalb mehrfach durchgeführt werden, weil es mehrere Klageberechtigte gibt. 4 3 Trotz dieser weitgehend anerkannten Besonderheiten wird jedoch der Schluß auf eine dem auf Klägerseite entindividualisierten Streitgegenstand entsprechende Rechtskraftwirkung bisher k a u m gezogen. Gegen eine über die Parteien hinausreichende Rechtskraftwirkung wird auf den formellen Parteibegriff und auf den Grundsatz der Bindungswirkung eines Urteils nur inter partes verwiesen. 4 4 Diese Bedenken sind aber nicht berechtigt. Insbesondere der heute herrschende formelle Parteibegriff bezieht sich nur auf die Frage, wer als Partei eines Rechtsstreits anzusehen ist, und hat mit der Rechtskrafterstreckung auf andere Parteien nichts zu tun. Im Sinne des formellen Parteibegriffs ist der zweite Verbandskläger allerdings eine neue Partei, was es jedoch nicht ausschließt, auch ihm gegenüber Rechtskraftwirkungen anzunehmen. Diese Trennung zwischen Parteibegriff und Rechtskraftwirkung ergibt sich schon aus § 3 2 5 Abs. 1 Z P O . D e r Rechtsnachfolger einer der ursprünglichen Parteien ist nicht dieselbe Partei, wohl aber treffen ihn Rechtskraftwirkungen.
Szente, MuW 1933, 547, 548. Hadding, J Z 1970, 305, 311; ähnlich bereits Reimer, Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht 807 und 928. Vgl. auch Reinel, a.a.O. 63: Die Verbände stehen zum Streitgegenstand »in keiner oder doch nur sehr losen Beziehung.« Für die Möglichkeit eines »verkürzten« Streitgenstands bei der Verbandsklage auch Leipold, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes 69f. und 81; Bettermann, ZZP 85 (1972) 133, 142f. 41 E. Schmidt, FS Keller 661, 664; Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, 87: »Eigentlicher Streitgegenstand« der AGB-Kontrollklage sei die generelle Prüfung bestimmter Klauseln; Löwe/v. Westphalen/Trinkner, AGBG, Rn. 17 vor §§ 1 3 - 2 2 : Streitgegenstand sei die »abstrakte Frage« der Wirksamkeit der AGB. 42 E. Schmidt, ZIP 1991, 629, 633. 4 3 Im Ergebnis ebenso Rehbinder/Burgbacher/Knieper, Bürgerklage im Umweltrecht 153, die allerdings auch am Rechtsschutzbedürfnis ansetzen; ähnlich Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse 130: Gegenstand der Verbandsklage sei die angebliche Rechtsverletzung durch den Beklagten, ohne daß es darauf ankomme, durch wen diese Verletzung beanstandet werde. 44 Koch, ebd. 59
40
IV. Rechtskraft
und
Rechtshängigkeit
305
Schwerer wiegt insoweit der auf dieselbe Vorschrift gestützte Einwand der grundsätzlichen Begrenzung der materiellen Rechtskraft auf die Prozeßparteien. Allerdings ist diese eher Folge des auf die Durchsetzung individueller Ansprüche bezogenen Streitgegenstandsbegegriffs als dessen Begründung. Gerade die in §§ 3 2 5 - 3 2 7 ZPO normierten Fälle der Rechtskrafterstreckung über die Prozeßparteien hinaus zeichnen sich dadurch aus, daß der Streitgegenstand »objektiv identisch bleibt und nur die Personen wechseln.« 4 5 Diese Vorschriften zeigen also, daß bereits nach geltendem Recht eine Rechtskrafterstreckung über die Prozeßparteien immer dann möglich und notwendig ist, wenn über den geltend gemachten Gegenstand bereits entschieden wurde. Das wichtigste Gegenargument gegen einen entindividualisierten Streitgegenstand bei der Populär- und Verbandsklage ist jedoch der personenbezogene Charakter einer Leistungsklage. Bei Gestaltungs- und Feststellungsklagen erscheint es eher möglich, den Streitgegenstand von der Person des Klägers zu trennen, weil dieser keinerlei vollstreckungsfähige Position für sich begehrt. Anders ist es dagegen bei der Leistungsklage, die in Form der Unterlassungsklage einen Hauptfall der existierenden Verbandsklageberechtigungen darstellt. Bei ihr begehrt der Kläger eine rechtliche und auf ihn persönlich bezogene Stellung, aus der er gegen den Beklagten vollstrecken kann. Dies spricht prima facie gegen einen entindividualisierten Streitgegegenstandsbegriff bei der Unterlassungsklage eines Verbandes. 4 6 Allerdings muß man sich auch hier den Unterschied zwischen dieser Stellung des Verbandsklägers und der Stellung des Klägers im Prozeß über individuelle Ansprüche vergegenwärtigen. Mangels individuellem Rechtsgüterschutz kommt es im Populär- oder Verbandsklageprozeß nicht darauf an, gerade diesem Kläger die mit der Vollstreckbarkeit verbundene Kontrollposition zu verschaffen. Der kompensatorische Zweck der Populär- oder Verbandsklage wird erfüllt, wenn überhaupt kontrolliert wird, unabhängig von der Person des Kontrolleurs. Daher strebt der Verbandskläger auch mit der Vollstreckungsmöglichkeit keine Exklusivbefugnis an, sondern nur ein von seiner Person unabhängige Kontrollmöglichkeit. Somit ist Gegenstand der Verbandsklage auch nicht die Frage, welcher der Klageberechtigten die Unterlassung des inkriminierten Verhaltens verlangen kann, sondern einzig und allein, ob jenes Verhalten als rechtswidrig zu unterlassen ist. Die dem siegreichen Kläger eingeräumte Vollstreckungsmöglichkeit ist kein Ausfluß einer materiell-rechtlichen Position, sondern nur die mit der Einräumung der Klageberechtigung verbundene Kontrollkompetenz, die aber auch jedem anderen Klageberechtigten zustehen kann. Es spricht schon aus diesem Schwab, ZZP 77 (1964) 124, 128. BGH 5 . 1 . 1960, GRUR 1960, 379, 3 8 0 ; zustimmend Thiere, a.a.O. 2 9 3 ; ähnlich bereits Szente, M u W 1933, 5 4 7 , 5 4 8 : Gegen die Erstreckung der Rechtskraft eines Unterlassungsurteils auf alle Mitbewerber spreche, daß die Vollstreckung des Urteils trotzdem nur vom Kläger betrieben werden könne. 45
46
306
4. Kapitel: Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
Blickwinkel nichts dagegen, auch jeden anderen Klageberechtigten mit der Vollstreckung des Urteils zu betrauen. Dies entspricht im Ergebnis auch der derzeit herrschenden Ansicht, die zumindest im Bereich des Unterlassungsklagengesetzes eine Abtretung zu Vollstreckungszwecken zulassen will. 47 In dieser Hinsicht unterscheidet sich das im Verbandsklageprozeß geltend gemachte Unterlassungsbegehren grundlegend von einem auf subjektive Rechte gestützten Unterlassungsantrag. Wird etwa aus § 1004 BGB geklagt, so kommt es allerdings darauf an, wer diese Klage erhebt und wer das Urteil vollstrecken kann: Soll dies nur der Eigentümer des Nachbargrundstücks können oder auch der Eigentümer eines drei Straßen weiter liegenden Grundstücks oder gar dessen Mieter? Diese Fragen nach der Person des Klägers sind bei der Populär- und Verbandsklage insoweit irrelevant, als zumindest alle nach dem Gesetz klageberechtigten Personen mit der Durchsetzung der Unterlassungsverpflichtung betraut sein können. Angesichts dieser Unterschiede kann und muß auch bei der Verbandsklage auf Unterlassung der Streitgegenstand von der Person des Klägers entkoppelt werden. Gegenstand des Urteils in derartigen Fällen ist somit das Bestehen oder Nichtbestehen einer aus dem objektiven Recht abgeleiteten Unterlassungspflicht des Beklagten, ohne daß diese in einer besonderen Beziehung zum Kläger oder in subjektiven Rechten des Klägers gründete. Aus dieser Einsicht ergeben sich erhebliche Konsequenzen für das Problem der Mehrfachklagen, die von der bisher herrschenden Lehre abweichen. Diese beläßt es auch bei der Populär- und Verbandsklage beim gewöhnlichen - und für die Durchsetzung individueller Ansprüche entwickelten - Streitgegenstandsbegriff, um dann die Lösung der damit verbundenen Probleme über die Begriffe des Rechtsschutzinteresses oder des Mißbrauchs der Klagebefugnis zu lösen. 48 Vereinzelt wird gar vorgeschlagen, bei sachlich widersprüchlichen Urteilen in verschiedenen Verbandsklageverfahren einem dieser Urteile die Vollstreckung zu versagen oder im Vollstreckungsverfahren erneut die sachliche Richtigkeit des Urteils überprüfen zu lassen. 49 Damit verabschiedete man sich allerdings gänzlich von den allgemeinen Regeln des Zivilprozeßrechts. Die von der herrschenden Lehre verwandten Begriffe des Rechtsschutzinteresses und des Rechtsmißbrauchs haben immerhin den Vorteil hoher Flexibilität, so daß das Gericht aus seiner Sicht situationsadäquat reagieren kann. Gleichzeitig wird damit jedoch ein ebenso hohes Maß an Rechtsunsicherheit erkauft. Wenn etwa eine Popularklage einmal formell rechtskräftig abgewiesen ist - möglicherweise gar vom Bundesgerichtshof - warum soll dann noch ein Rechtsschutzinteresse für eine erneute Klage eines anderen Klägers in derselben Sache bestehen? 47 48 49
Dazu bereits oben, S. 155. Vgl. etwa zum Lauterkeitsrecht oben, S.100. Hasselbach, GRUR 1997, 40, 42ff.
IV. Rechtskraft und
Rechtshängigkeit
307
Die herrschende M e i n u n g scheint dies jedoch anzunehmen. 5 0 Auch wenn eine solche zweite Klage faktisch kaum eine Chance haben mag, so ist es doch zumindest aus Sicht des Beklagten unverständlich, w a r u m er in derselben Sache erneut einen Prozeß erdulden muß. Auch das Problem der Parallelklagen ist mit dem Rückgriff auf das Rechtschutzinteresse k a u m befriedigend gelöst. Einerseits m u ß es wiederum aus Sicht des Beklagten verwundern, wenn er wegen ein und derselben Handlung mit einer Vielzahl von Prozessen überzogen werden kann, die - etwa im Falle des § 1 4 Abs. 2 Satz 2 U W G - gar noch vor verschiedenen Gerichten stattfinden können. Im letzteren Fall scheitert eine Verbindung der Klagen an § 1 4 7 Z P O , der nur die bei ein und demselben Gericht anhängigen Prozessse umfaßt. Andererseits läßt sich in solchen Fällen auch das
Rechtsschutzinteresse
schlecht verneinen: Erscheint etwa die angeblich irreführende Werbung im Falle des § 1 4 Abs. 2 Satz 2 U W G in einer überregionalen Zeitschrift, so hat die Verbraucherzentrale in der Stadt A durchaus ein berechtigtes Interesse daran, dagegen beim örtlichen Landgericht Klage zu erheben, mögen auch anderswo bereits Prozesse wegen derselben Anzeige anhängig sein. In der Stadt A will sie die betroffenen Verbraucher schützen und mit dem Prozeß Öffentlichkeit herstellen; hier sitzen auch die Anwälte ihres Vertrauens. Z u behaupten, daß dies keine berechtigten Interessen wären, ist nicht besonders überzeugend. Vielmehr ist gegen die Parallelklage schlicht einzuwenden, daß dieselbe Sache bereits anderswo anhängig ist und daher doppelter Aufwand und eventuell abweichende Entscheidungen vermieden werden sollen. Dies ist aber kein Argument mit dem Rechtsschutzinteresse, sondern die grundlegende ratio des § 2 6 1 Abs. 3 Nr. 1 Z P O und mithin eine Frage des Streitgegenstands. Diese Beispiele zeigen, daß die vermeintlich flexible Lösung über das Rechtsschutzinteresse zu neuen Unklarheiten führt und das wirkliche Problem eher verdeckt, nämlich die Überlegung, daß in eadem
causam
nur ein Prozeß geführt
werden soll. Daher soll im folgenden davon ausgegangen werden, daß Popularund Verbandsklagen, die sich auf denselben Rechtsverstoß des Beklagten beziehen, denselben Streitgegenstand haben, welcher unabhängig von der Person des Klägers zu bestimmen ist. 5 1 Dieser Lösungsvorschlag soll in seinen Konsequenzen im folgenden ausgearbeitet werden.
5 0 Vgl. nur BGH, 5 . 1 . 1 9 6 0 , GRUR 1960, 379, 380; Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 8 UWG Rn. 3.3. 5 1 So bereits Bettermann, ZZP 85 (1972) 133, 142f.: Die lauterkeitsrechtliche Verbandsklage ermögliche eine »Vielzahl von Prozessen über denselben Streitgegenstand.« Allerdings sieht Bettermann diesen Streitgegenstand in einem einzigen materiell-rechtlichen Anspruch, der - insofern einer Prozeßstandschaft ähnelnd - von allen Klageberechtigten geltend gemacht werden könne (ebd., Fn. 6). Bettermann weist auch hinsichtlich der Popularklage darauf hin, daß bei ihr der Kläger »in keinerlei Beziehungen [...] zum Streitgegenstand« stehe, daß also der Streitgegenstand einer Popularklage unabhängig von der Person des Klägers zu bestimmen sei.
308
4. Kapitel:
Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
2. Verhältnis der Popularklagen untereinander Mehrfache Populär- oder Verbandsklagen wegen ein und derselben Rechtsverletzung des Beklagte sind also nach dem oben Gesagten gemäß § 2 6 1 Abs. 3 Nr. 1 Z P O bzw. wegen der Rechtskraft des ersten Urteils unzulässig, da sie denselben Streitgegenstand betreffen. 5 2 Allerdings soll es bei dieser Deduktion aus dem Streitgegenstandsbegriff nicht sein Bewenden haben, sondern die damit verbundenen Folgen sollen auch auf ihre sachliche Angemessenheit überprüft werden.
a) Rechtskraftwirkung
der erfolgreichen
Popularklage
Nach einer erfolgreichen Populär- oder Verbandsklage sind weitere Klagen in derselben Angelegenheit also unzulässig. Die bisher herrschende Meinung - etwa zur lauterkeitsrechtlichen Verbandsklage - hält solche Klagen dagegen wegen Fehlens einer Wiederholungsfall für unbegründet. Insoweit ist die Abweichung von der bisherigen Ansicht also eher marginal. Die Unzulässigkeit oder Unbegründetheit weiterer Klagen ist jedenfalls dann unproblematisch, wenn der Beklagte sich an das Urteil hält und das rechtswidrige Verhalten beendet. In diesem Fall ist dem Kontrollzweck der Populär- oder Verbandsklage Genüge getan; für weitere Maßnahmen gibt es keinen Bedarf. Schwieriger wird es jedoch, wenn der Beklagte trotz des gegen ihn ergangenen rechtskräftigen Urteils sein als rechtswidrig erkanntes Verhalten fortsetzt. Dabei sind zunächst solche Fälle auszuscheiden, bei denen der Beklagte sein Verhalten so ändert, daß es vom Urteilstenor nicht mehr erfaßt wird. Derartiges neues oder ausreichend stark abgewandeltes Verhalten bildet einen neuen Streitgegenstand, so daß die Rechtskraft des ersten Urteils einer auf die neuen Verstöße bezogenen zweiten Klage nicht entgegensteht. Sind aber die neuen Verstöße mit den bereits abgeurteilten identisch, so muß man nach der derzeit herrschenden Auffassung die Zulässigkeit und Begründetheit weiterer Klagen bejahen, weil die Wiederholungsgefahr wieder auflebt, wenn der Beklagte zeigt, daß er sich an das erste Urteil nicht halten wird. Aus der hier vertretenen Perspektive ist dagegen zunächst zu prüfen, ob ein neuer Streitgegenstand vorliegt. Dies könnte man im Sinne des zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs deswegen bejahen, weil ein neuer Lebenssachverhalt vorliegt man denke etwa an eine weitere Veröffentlichung der als irreführend erkannten Zeitungsanzeige. Dieses Ergebnis paßt aber jedenfalls für die Unterlassungsklage nicht, weil diese ja gerade zukünftige sachlich identische Verstöße verhindern soll. Außerdem ist ein gleichartiger Verstoß - im Sinne der zum Unterlassungsurteil entwickelten »Kerntheorie« 5 3 - bereits vom Tenor des Unterlassungsurteils umfaßt. Der Erstkläger könnte daher auf dieser Grundlage vollstrecken und die 52 53
Statt aller nur Zöller/Vollkommer, ZPO, Rn. 19 vor § 322. Dazu etwa Münchener Kommentar ZPO/Schilken, § 890 Rn. 7.
IV. Rechtskraft
und
Rechtshängigkeit
309
Zuwiderhandlung gemäß § 8 9 0 Abs. 1 Satz 1 ZPO mit einem Ordnungsgeld ahnden lassen. Auch im Falle fortgesetzter Zuwiderhandlungen besteht also gar kein Bedarf für ein neues Erkenntnisverfahren, sondern nur für die Durchsetzung des im ersten Verfahren ergangenen Urteils. Gegen die Durchführung eines neuen Erkenntnisverfahrens spricht auch, daß das zweite Gericht sachlich anders entscheiden könnte als das erste, was zu schwer erträglichen Widersprüchen führen würde: Der Beklagte bliebe dann beispielsweise verurteilt, seine Werbung in Zeitschrift A zu unterlassen, dürfte aber dieselbe Anzeige in Zeitschrift B publizieren. Dies wäre weder sinnvoll noch aus Sicht der Betroffenen verständlich. (1) Vollstreckungsmöglichkeit
für alle
Klageberechtigten
Ein Bedürfnis nach einer neuen Klage gäbe es allenfalls dann, wenn der siegreiche erste Kläger die fortgesetzten Verstöße nicht durch Vollstreckung des zu seinen Gunsten ergangenen Ersturteils bekämpft. Gerade für diesen Fall will die herrschende Meinung eine neue Klage eines zweiten Verbandsklägers zulassen. 54 Auch das erscheint nach dem soeben Gesagten jedoch nicht sinnvoll, denn die Rechtswidrigkeit des betreffenden Verhaltens steht ja bereits rechtskräftig fest. Ein Bedürfnis nach einer erneuten sachlich-rechtlichen Überprüfung besteht daher nicht. Das Problem liegt hier nur im mangelnden Vollzug der ersten Entscheidung. Daher ist auch die Lösung auf der Ebene des Vollstreckungsverfahrens zu suchen und nicht durch Eröffnung eines neuen Erkenntnisverfahrens, welches entweder die Ergebnisse des ersten nur wiederholt oder - noch problematischer zu anderen Ergebnissen kommt. Im Vollstreckungsverfahren ist daher auch dem interessierten zweiten Klageberechtigten die Möglichkeit zu eröffnen, für die Vollstreckung des rechtskräftigen Urteils zu sorgen. Die fehlende Klagemöglichkeit wegen der Rechtskraftwirkung des Ersturteils ist durch eine Vollstreckungsmöglichkeit zu ersetzen. 55 Diese Vollstreckungsmöglichkeit für weitere Klageberechtigte ist jedenfalls bei Unterlassungsurteilen bereits nach geltendem Recht denkbar. Die Vollstreckung, d.h. die etwaige Festsetzung von Ordnungsgeld oder Ordnungshaft, ist gemäß § 8 9 0 Abs. 1 Satz 1 Z P O beim Prozeßgericht erster Instanz konzentriert, welches daher eine Kumulation von Ordnungsgeldern wegen ein und desselben Verstoßes verhindern kann. Allerdings gelten auch für das Verfahren nach § 8 9 0 Z P O die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen, so daß der Vollstreckungsgläubiger gemäß §§ 7 2 4 , 7 2 5 Z P O eine auf ihn lautende vollstreckbare Ausfertigung 5 4 O L G Karlsruhe 1 4 . 2 . 1996, G R U R 1 9 9 7 , 72, 73; HeiermehVKöhlet/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 8 UWG Rn. 1.49 (Vollstreckungsbereitschaft des Titelgläubigers sei Voraussetzung für den Wegfall der Wiederholungsgefahr). 5 5 Vgl. bereits das ungarische Wettbewerbsgesetz in der Fassung von 1 9 3 3 , dazu Szente, MuW 1 9 3 3 , 547, 5 4 9 .
310
4. Kapitel: Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
vorlegen m u ß . 5 6 Dies kann der zweite Klageberechtigte zunächst nicht, da ja das Ersturteil durch den ersten Kläger erstritten wurde und daher auch nur diesem die vollstreckbare Ausfertigung erteilt wird. (2) Analoge
Anwendung
des § 727
ZPO
Allerdings kann hier zugunsten des zweiten Klageberechtigten § 7 2 7 Z P O analog angewendet w e r d e n . 5 7 Die mit Analogie zu schließende Regelungslücke ergibt sich hier daraus, daß sowohl die Regeln über die Rechtskraft als auch diejenigen über die Zwangsvollstreckung auf die Durchsetzung individueller Ansprüche zugeschnitten sind und das Problem desselben Streitgegenstands bei Populär- und Verbandsklagen nicht berücksichtigen. Für eine entsprechende Erweiterung des § 7 2 7 Z P O spricht auch dessen im Z u s a m m e n h a n g mit der Rechtskraftwirkung stehender Sinn: Gerade weil dem Rechtsnachfolger des siegreichen Klägers gemäß § 3 2 5 Abs. 1 Z P O ein neuer Prozeß über den nämlichen Streitgegenstand verwehrt ist, m u ß ihm über § 7 2 7 Z P O die Vollstreckung aus dem vorliegenden Titel ermöglicht werden. 5 8 Übertragen auf die Populär- und Verbandsklage heißt das: Wenn und soweit der Popularkläger aufgrund des in diesen Verfahren entsubjektivierten Streitgegenstands gehindert ist, eine eigene Klage in derselben Sache anzustrengen, so m u ß er zumindest in die Lage versetzt werden, die Zwangsvollstreckung betreiben zu können. Daher kann jeder, der im Erstprozeß klageberechtigt gewesen wäre, gemäß § 7 2 7 Z P O analog die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Ersturteils verlangen. D e r N a c h weis dieser Klageberechtigung tritt an die Stelle des in § 7 2 7 Z P O vorgesehenen Nachweises der Rechtsnachfolge. Ein Unterschied dieses Lösungsvorschlags zur Konzeption des § 7 2 7 Z P O m u ß allerdings darin liegen, daß der ursprüngliche Populär- oder Verbandskläger sein Vollstreckungsrecht nicht verliert, während dies bei der in § 7 2 7 Z P O vorgesehenen Rechtsnachfolge vorausgesetzt w i r d . 5 9 Dieser Unterschied liegt aber in der auf den Individualanspruch fokussierten Konzeption der Z P O begründet, die von einer materiell-rechtlichen individuellen Zuordnung von Ansprüchen ausgeht. Eine solche Zuordnung fehlt aber bei den Populär- und Verbandsklagekompetenzen. Stattdessen ist bei ihnen ab ovo eine Vielzahl von Personen in ein und derselben Sache klageberechtigt. Diese Pluralität der Klagekompetenzen spiegelt sich im im Vollstreckungsverfahren dadurch wieder, daß jedem Klageberechtigten im Erfolgsfall grundsätzlich auch die Vollstreckungsmöglichkeit zusteht. Siehe nur ZöllerIStöber, ZPO, § 890 Rn. 8. Dazu in den Fällen der Ermächtigung eines Dritten zur Vollstreckung Kirsten Schmidt, Vollstreckung im eigenen Namen durch Rechtsfremde 57ff. 5 8 AK-ZPO/Deppe-Hilgenberg, § 7 2 7 R n . l . 59 Darauf legt Kirsten Schmidt, a.a.O. 59 wert, die sich jedoch nur mit der Vollstreckung von Individualansprüchen befaßt. 56
57
IV. Rechtskraft
und
Rechtshängigkeit
311
Sofern dem ursprünglichen siegreichen Kläger bereits eine vollstreckbare Ausfertigung erteilt wurde, handelt es sich bei der Ausfertigung für weitere Klageberechtigte - ebenso wie beim Rechtsnachfolger im Sinne des § 7 2 7 Z P O 6 0 - um eine »weitere« vollstreckbare Ausfertigung im Sinne von § 7 3 3 Z P O . Diese Vorschrift soll den Schuldner vor den Gefahren schützen, die mit dem Umlauf mehrerer vollstreckbarer Ausfertigungen verbunden sind. Daher wird sie dahingehend ausgelegt, daß auch im Falle der Rechtsnachfolge grundsätzlich die dem Rechtsvorgänger erteilte Ausfertigung zurückgegeben werden muß, bevor dem Rechtsnachfolger die weitere Ausfertigung erteilt werden kann. 6 1 Nur unter besonderen Umständen soll auf diese Rückgabe verzichtet werden können. 6 2 Diese Grundsätze können allerdings nicht ohne weiteres auf Populär- und Verbandsklagen übertragen werden, da der zweite Popularkläger in der Regel nicht in einer Rechtsbeziehung zum Erstkläger steht, aufgrund derer er die Herausgabe der ersten vollstreckbaren Ausfertigung verlangen kann. Das unterscheidet ihn etwa vom Zessionar, der dies vom Zedenten schon aus dem Kausalverhältnis und gemäß § 4 0 2 B G B verlangen kann. Mangels eines Kausalverhältnisses wird allerdings in Fällen der Legalzession darauf verzichtet, die Rückgabe der ersten vollstreckbaren Ausfertigung vom Zessionar zu verlangen. 63 Entscheidend muß hier der von § 7 3 3 Z P O bezweckte Schuldnerschutz sein. Er wird bei Vollstreckungsmaßnahmen gemäß § 8 9 0 Z P O schon dadurch gewährleistet, daß die Vollstreckung beim Prozeßgericht erster Instanz konzentriert ist und daher dieses Gericht in der Lage ist, unberechtigte Vollstreckungsversuche zu verhindern. Bei der Unterlassungsvollstreckung besteht nicht die Gefahr, daß mit mehreren vollstreckbaren Ausfertigungen etwa bei mehreren Vollstreckungsgerichten parallele Vollstreckungsmaßnahmen durchgeführt werden könnten. Daher spricht in diesen Fällen grundsätzlich nichts gegen die Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung für andere Klageberechtigte. 6 4 Ganz anders stellt sich die Lage bei der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen dar. Hier ist die Existenz mehrfacher vollstreckbarer Ausfertigungen aufgrund der damit verbundenen Gefahren für den Schuldner nach Möglichkeit zu vermeiden. Die Vollstreckung ist nicht bei einem Gericht konzentriert und kann daher leicht über das notwendige M a ß hinausgehen. Allerdings gibt es im geltenden Recht nur eine Verbandsklagekompetenz, die eine Geldleistung zum Inhalt hat, nämlich die Gewinnabschöpfungskompetenzen gemäß § 1 0 U W G . Diese ist vom Gesetzgeber gemäß § 10 Abs. 3 U W G bewußt als Gesamtgläubigerschaft ausgestaltet worden. Daran ist de lege lata nicht zu rütteln, so daß hier Zöller/Stöber, ZPO, § 7 3 3 R n . 3 . Ebd. Rn. 10. 6 2 Ebd. 6 3 Ebd. 6 4 Allerdings ist die Nachfolgeklausel dem Schuldner auch zuzustellen, vgl. OLG Hamburg, 1 1 . 1 1 . 1964, M D R 1965, 143; Stein/Jonas/ßrefcm, ZPO, § 8 9 0 R n . 6 6 . 60 61
312
4. Kapitel: Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
auch im Vollstreckungsrecht die bereits für konventionelle Fälle der Gesamtgläubigerschaft entwickelten Regeln zur Anwendung kommen. Danach kann nur derjenige Gesamtgläubiger, der auch Partei des Prozesses war, für sich eine vollstreckbare Ausfertigung des Urteils verlangen. 65 Hat bereits einer dieser Gesamtgläubiger eine vollstreckbare Ausfertigung erhalten, so gilt § 7 3 3 Z P O . 6 6 Dabei kann man jedoch zumindest im Anwendungsbereich von § 10 UWG nicht verlangen, daß die dem ersten Gesamtgläubiger erteilte Ausfertigung zurückgegeben werden muß. Zwischen den einzelnen Verbandsklägern besteht ja kein Verhältnis, aus dem dies gefordert werden könnte. War ein Gesamtgläubiger jedoch nicht Partei des ersten Prozesses, so kann er nach allgemeinen Grundsätzen auch das Urteil nicht vollstrecken. 67 An diesem Grundsatz muß man aber im Bereich des § 10 U W G schon deshalb zweifeln, weil der jeweilige Kläger ja nicht für sich klagt, sondern auf Leistung an den Bund. Es will daher nicht recht einleuchten, warum nicht auch ein anderer ursprünglich Klageberechtigter ein Urteil zugunsten des Bundes vollstrecken können soll. Allerdings ist dieser Weg durch die vom Gesetzgeber gewählte Konstruktion der Gesamtgläubigerschaft nach geltendem Recht wohl versperrt. Der hier verfolgte Ansatz bricht also zumindest im Bereich der Vollstreckung von Unterlassungsurteilen gemäß § 890 ZPO mit bisherigen Konventionen, indem jedem ursprünglich Klageberechtigten auch eine Vollstreckungsmöglichkeit aus dem rechtskräftigen Urteil ermöglicht wird. Damit ist sicherlich eine gewisse Neuorganisation des Vollstreckungsverfahrens verbunden; insbesondere ist eine besondere Registerführung sinnvoll, die de lege ferenda auch gesetzlich geregelt werden sollte. Außerdem kann das Vollstreckungsgericht zumindest theoretisch mit mehreren vollstreckungswilligen Parteien konfrontiert sein, was die Durchführung des Vollstreckungsverfahrens erschweren mag und neue Detailprobleme aufwerfen wird. All dies ist jedoch immer noch sinnvoller und effizienter als die derzeit herrschende Meinung, die im Falle mangelnder Durchsetzung des ersten Urteils ein neues Erkenntnisverfahren zuläßt, welches dann wieder zu einem Vollstrekkungsverfahren oder zu einem widersprechenden Urteil führen kann, ohne daß dieser Kette aus dogmatischen Gründen ein Ende gesetzt werden könnte. Demgegenüber setzt der vorliegende Vorschlag darauf, daß in ein und derselben Angelegenheit - wie im Prozeß über individuelle Ansprüche auch - nur ein Erkenntnisverfahren durchgeführt werden sollte und Durchsetzungsprobleme auch auf der Durchsetzungsebene zu bewältigen sind. Gerade letzteres ist auch aus Sicht des Beklagten das mildere Mittel, da er nicht mehrfach mit kostenintensiven Erkenntnisverfahren überzogen werden kann.
65 66 67
ZöüerlStöber, Ebd. Ebd.
ZPO, § 7 2 4 R n . 3 a .
IV. Rechtskraft
b) Rechtskraftwirkung
und
313
Rechtshängigkeit
der als unbegründet abgewiesenen
Popularklage
Eben dieser Schutz des Beklagten vor mehrfacher Prozeßführung in derselben Sache wird von der derzeit herrschenden Meinung zu sehr vernachlässigt. Aus Sicht des Beklagten ist es unverständlich, warum er weiteren Prozessen in ein und derselben Sache ausgesetzt sein soll, wenn bereits rechtskräftig festgestellt wurde, daß sein Verhalten mit dem objektiven Recht in Einklang steht. Eine derartige mehrfache Befassung der Gerichte verstößt gegen den auch im Zivilrecht anerkannten Grundsatz des ne bis in idem.6S
Auch die Funktion der Popular- und
Verbandsklage als objektive Rechtskontrolle zwingt nicht zu mehreren Prozessen in derselben Angelegenheit. Eine einmalige Ausübung der jeweiligen Kontrollkompetenz wird auch von Teilen der Literatur für ausreichend erachtet. 6 9 Entscheidend ist daher die Frage, wann ein und dieselbe Sache vorliegt und wann also ein zweiter Prozeß in idem wäre. Bereits oben wurde dies dahingehend bestimmt, daß die Person des Klägers irrelevant ist und es für die Bestimmung des Streitgegenstands nur auf die angebliche Rechtsverletzung durch den Beklagten ankommt. Daraus ist zu folgern, daß auch die abgewiesene Popularoder Verbandsklage Rechtskraftwirkung gegen alle anderen möglichen Popularund Verbandskläger entfaltet. Ein »zweiter Versuch« eines anderen Klageberechtigten wegen desselben Verstoßes kann somit nicht zulässig sein. Warum will die bislang herrschende Ansicht derartige Mehrfachprozesse in eam
causam
trotzdem zulassen? Die diesbezüglich vertretenen oder zumindest möglichen Argumente sollen im folgenden gewürdigt werden.
(1) Rechtliches
Gehör
Zunächst stellt sich die Frage, ob der Grundsatz des rechtlichen Gehörs dazu zwingt, auch einem zweiten, dritten oder vierten Popular- und Verbandskläger einen Prozeß wegen derselben Handlung des Beklagten zu ermöglichen. Die Antwort darauf setzt jedoch voraus, daß man sich mit diesem Grundsatz und seinem Anwendungsbereich beschäftigt. Schon aus dem Wortlaut von Art. 103 Abs. 1 G G ergibt sich, daß das rechtliche Gehör »vor Gericht« zu gewährleisten ist,
6 S So begründet Lakkis, a.a.O. 221 f. zum griechischen Verbraucherschutzgesetz die Rechtskraftwirkung eines Urteils im Verbandsklageprozeß gegenüber einer weiteren Verbandsklage. Zu ne bisinidem im Zivilrecht siehe BGH 1 8 . 1 . 1 9 8 5 , B G H Z 9 3 , 2 8 7 , 2 8 9 ; BGH 1 6 . 6 . 1 9 9 3 , B G H Z 123, 30, 34. i9 Reinel, a.a.O. 130f. (einmalige Ausübung der Kontrollkompetenz ausreichend); Marotzke, Diskussionsbeitrag auf der Tagung der Vereinigung der Zivilprozeßrechtslehrer in Konstanz am 6 . 4 . 1990, zit. nach Münch/Stadler, Z Z P 103 (1990) 4 1 3 , 4 1 4 ; ähnlich bereits Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts 2 6 8 : Es gehe »nicht an, daß durch allzu großzügige Gewährung selbständiger Unterlassungsansprüche der Beklagte immer wieder vor Gericht gezogen werden kann.«
314
4. Kapitel: Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
nicht aber den Zugang zum Gericht gewährleistet. 70 Rechtliches Gehör bedeutet demnach nicht, daß jeder zu allem gehört werden muß, sondern daß jedenfalls dann, wenn jemand in einen Prozeß verwickelt wird, ihm auch ausreichend Möglichkeiten zur Stellungnahme zu gewähren sind. Die Frage, welche Rechtsschutzmöglichkeiten jemand hat, ist daher keine Frage des rechtlichen Gehörs im verfassungsrechtlichen Sinne. Sie ist vielmehr im Bereich des Art. 19 Abs. 4 GG oder - bezüglich zivilrechtlicher Streitigkeiten - im Bereich des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs anzusiedeln. 71 Allerdings wird der Grundsatz des rechtlichen Gehörs im zivilistischen Schrifttum gelegentlich etwas anders verstanden, nämlich dahingehend, daß »niemand in seinen Rechten durch gerichtliche Maßnahmen betroffen werden darf, ohne vorher Gelegenheit zur Äußerung gehabt zu haben.« 72 Hier wird also ein Zusammenhang hergestellt zwischen bestimmten außerprozessual vorgegebenen »Rechten« und der Gewährung von Gehör bezüglich dieser Rechtspositionen. Nun ist diese allgemeine Aussage in doppelter Weise einzuschränken. Erstens ist es offensichtlich, daß nicht jeder, dessen materielle Position vom Ausgang eines Verfahrens beeinflußt werden kann, in diesem Verfahren auch gehört werden müßte. Ein solcher Satz wäre realitätsfremd, da alles mit allem in irgendeiner Weise zusammenhängt und daher die Anzahl der zu hörenden Personen ins Unendliche ginge. Macht eine Aktiengesellschaft einen Zahlungsanspruch gegen ihren Kunden geltend, so müssen in diesem Prozeß weder die Aktionäre der Gesellschaft noch deren Arbeitnehmer oder die Gläubiger des Kunden gehört werden, obwohl diese Personen (und viele andere) vom Prozeßergebnis betroffen sein können. Die Rechtsprechung beschränkt daher den Anspruch auf rechtliches Gehör auf unmittelbar rechtlich betroffene Personen. 73 Eine bloß faktische Einwirkung soll nicht genügen. 74 Eine zweite wichtige Beschränkung des Grundsatzes vom rechtlichen Gehör besteht darin, daß dieses dem Schutz eigener Rechte und Interessen dient. Daher ist das rechtliche Gehör »auf Eigenart und Bedeutung der betroffenen Rechte oder Rechtspositionen« zuzuschneiden. 75 Da aber der Populär- oder Verbandskläger keine solche individuell zugewiesene Rechtsposition innehat, bedarf er auch keines rechtlichen Gehörs mehr, wenn die mit der Popularklagekompetenz bezweckte objektiv-rechtliche Kontrolle einmal stattgefunden hat. 76 Aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs läßt sich daher nicht herleiten, daß parallele 70 Vgl. BVerfG 3 0 . 4 . 2 0 0 3 , N J W 2 0 0 3 , 1924, 1926: Art. 103 Abs. 1 G G sichert G e h ö r »im Verfahren« u n d nicht den Z u g a n g zum Verfahren. 71 Ebd. 72 Zöller/Greger, Z P O , R n . 3 vor § 128 m . w . N . 73 BVerfG 9 . 2 . 1982, BVerfGE 60, 7, 15. 74 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 5 2 3 . 75 Zeuner, Rechtliches Gehör, materielles Recht und Urteilswirkungen 8. 76 Ebenso Lakkis, a . a . O . 2 1 9 , die allerdings mit Recht eine Beteiligungsmöglichkeit aller Klageberechtigten verlangt.
IV. Rechtskraft und
Rechtshängigkeit
315
oder mehrfache Populär- und Verbandsklagen in ein und derselben Angelegenheit zulässig sein müßten. Es reicht aus, wenn der mit der Klagekompetenz verbundene objektiv-rechtliche Kontrollzweck erreicht werden kann. (2) Kollusionsgefahr
und Fehler des ersten
Klägers
Gerade mit diesem Kontrollzweck wird aber auch die Lehre von der Zulässigkeit mehrerer Klagen in ein und derselben Angelegenheit begründet. Insbesondere soll durch Parallel- oder Mehrfachklagen ein möglicherweise fehlendes oder unzulängliches Engagement einzelner Klageberechtigter korrigiert werden könn e n . 7 7 Die A G B - K o n t r o l l e durch Verbände wird gar als »permanter Prozeß« betrachtet, in dem Mehrfachklagen nur sinnvoll seien. 7 8 Dieser sehr weitgehenden Ansicht kann jedoch schon aus Gründen der Prozeßökonomie nicht gefolgt werden. Ist die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit einer bestimmten Handlung des Beklagten einmal festgestellt, so m u ß dies nicht wiederholt werden. Eine permanente Uberprüfung gerichtlicher Entscheidungen ist weder im geltenden Verfahrensrecht vorgesehen, noch von Art. 1 0 3 Abs. 1 G G gefordert. 7 9 Der damit verbundene Ressourcenaufwand ist nur dann gerechtfertigt, wenn sich die Entscheidungsgrundlagen geändert haben. Solche Grundlagen sind entweder die tatsächlichen Umstände oder die Rechtsnormen, auf denen das Urteil beruht. Eine Änderung dieser Grundlagen impliziert nach der hier vertretenen Auffassung jedoch auch eine Änderung des Streitgegenstands, so daß einer neuen Klage nichts im Wege steht. 8 0 Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs zur Popularklage. 8 1 Will man Parallel- und Mehrfachprozesse zum selben Gegenstand und ohne Veränderung der tatsächlichen oder rechtlichen Grundlagen zulassen, so bedarf dies schon gewichtiger Gründe. Diese sollen bei Populär- und Verbandsklagen darin bestehen, daß ein weiterer Klageberechtigter »im Wege einer eigenen Klageinitiative im öffentlichen Interesse korrigierend eingreifen« können solle. 8 2 Ein solches Korrekturbedürfnis könnte zunächst bei einer bewußten Verfahrensmanipulation durch die Parteien des ersten Prozesses entstehen. Dieses Problem der Kollusion ist nicht zu vernachlässigen. Immerhin hat es im Bereich der naturschutzrechtlichen Verbandsklage bereits Phänomene des »Abkaufens«
einer
Klage gegeben. 8 3 Aus Sicht des Prozeßrechts sind solche Fälle jedoch nur dann 7 7 BGH 5.1. 1960, GRUR 1960, 379, 381; Lmdacher, ZZP 103 (1990) 397, 408; Göbel, a.a.O. 130; Lakkis, a.a.O. 193 m.w.N. 78 Bultmann, Verklagen oder Verhandeln 54. 7 9 BVerfG 30.4. 2003, NJW 2003, 1924. 80 Ebenso zur AGB-Verbandsklage Grunsky, GS Rödig 325, 330f. 81 Siehe oben, S. 301. 82 Göbel, a.a.O. 130. 83 Vgl. den Fall BUND ./. VE AG in Sachen Pumpspeicherwerk Goldisthai, SZ v. 7./8.6. 1997, 11; auf diesen Fall verweisen E. Schmidt, Liber Amicorum Norbert Reich 81, 92; Pfarr/
316
4. Kapitel: Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
problematisch, wenn sie einen neuen Prozeß über denselben Gegenstand verhindern. Dies ist etwa bei einer Klagerücknahme nicht der Fall. Kollusiv zusammenarbeitende Parteien müßten schon ein Urteil herbeiführen, welches dann nach der hier vertretenen Auffassung weitere Prozesse über denselben Streitgegenstand ausschließt. Allerdings sind die Möglichkeiten der Manipulation bei den Populär- und Verbandsklageverfahren sehr begrenzt. Für die zur rechtlichen Beurteilung notwendigen allgemeinen Daten - die sogenannten Normtatsachen - gilt ohnehin der Untersuchungsgrundsatz, 84 so daß die Parteien hier zwar etwas vortragen können und sollen, jedoch die Verantwortung für die wahrheitsgetreue Sachverhaltsermittlung beim Gericht verbleibt. Nur die konkreten Subsumtionstatsachen sind von den Parteien darzulegen und zu beweisen. Wird hier etwas falsch dargestellt oder verschwiegen - etwa der Inhalt der zu prüfenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder das konkrete Erscheinungsbild einer Werbemaßnahme - so bezieht sich das entsprechende Urteil auch nur auf den so dargestellten Lebenssachverhalt. Ein anderer Lebenssachverhalt - etwa die vom Beklagten wirklich verwendeten Geschäftsbedingungen bildet dann einen anderen Streitgegenstand, so daß für ihn eine entsprechende neue Populär- oder Verbandsklage zulässig wäre. Diese Erwägungen gelten ebenfalls für schlichte Fehler des Klägers, die nicht auf einer kollusiven Absprache mit dem Beklagten beruhen, sondern auf Unwissenheit oder Nachlässigkeit. Im Bereich der Normtatsachen sind solche Fehler vom Gericht kraft seiner Untersuchungsverpflichtung zu korrigieren. Im Bereich der Subsumtionstatsachen sind sie unschädlich, weil sie keine Rechtskraftwirkung hinsichtlich des wahren Sachverhalts erzeugen. Im Extremfall einer erfolgreichen kollusiven Täuschung des Gerichts kann und muß man auf die zur Durchbrechung der Rechtskraft vorhandenen Normen und die in der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Grundsätze zurückgreifen. Eine wissentlich unwahre Tatsachenbehauptung einer oder beider Parteien, die in der Absicht vorgenommen wird, sich einen Vermögenswerten Vorteil zu verschaffen, ist ein Prozeßbetrug. 85 Soweit darauf eine Restitutionsklage gemäß § 580 Nr. 4 ZPO gestützt werden kann, muß auch die erneute Klage eines anderen Populär- oder Verbandsklageberechtigten in derselben Sache zulässig sein. Dies ergibt sich aus dem die Rechtskraft des ersten Urteils einschränkenden Charakter des §580 ZPO. Aber auch die in der Rechtsprechung seit langem anerkannten Grundsätze der Rechtskraftdurchbrechung wären zur Lösung derartiger Fälle heranzuziehen. Wenn die Rechtskraft »zessieren [muß], wo sie bewußt rechtswidrig zu dem Zwecke herbeigeführt ist, dem, was nicht Recht ist, den
Kocher, Kollektivverfahren im Arbeitsrecht 124. Kollusionsfälle bei der AGB-Kontrolle befürchtet Bultmann, a . a . O . 54. 84 Dazu ausführlich unten, S . 3 4 8 f f . 85 R G 2 0 . 1 2 . 1937, RGSt. 72, 113, 115; Zöller/Greger, Z P O , § 5 8 0 R n . l l .
IV. Rechtskraft
und
Rechtshängigkeit
317
Stempel des Rechts zu geben,« 8 6 dann muß auch bei einem durch Kollusion erschlichenen Urteil im Populär- und Verbandsklageprozeß eine weitere Klage in derselben Sache zulässig sein. In der Praxis wird ein kollusives Zusammenwirken allerdings schwer nachweisbar sein. Der hier vertretene Vorschlag muß daher auf die sorgfältige Arbeit der Gerichte insbesondere im Bereich der Ermittlung der Normtatsachen vertrauen. Damit mag ein gewisser Aufwand verbunden sein. Trotzdem ist es sinnvoller, effizienter und mit den tradierten prozeßrechtlichen Grundsätzen besser vereinbar, einmal sorgfältig und abschließend über einen Streitgegenstand zu judizieren, als in derselben Sache eine Vielzahl paralleler oder aufeinander folgender Erkenntnisverfahren zuzulassen. (3) Zulässigkeit
und Wirkung eines
VerSäumnisurteils
Die Entscheidung für eine materielle Rechtskraft des Urteils auch gegenüber allen anderen Popularklägern wirft jedoch die Frage auf, wie mit besonderen Urteilsarten zu verfahren ist. Anerkenntnis- und Verzichtsurteile werden unten im Rahmen der Frage nach den Dispositionsmöglichkeiten der Parteien gesondert behandelt. 8 7 Im Zusammenhang mit Fehlern oder Manipulationsmöglichkeiten der Parteien ist jedoch auch die Zulässigkeit und die Wirkung eines Versäumnisurteils nicht selbstverständlich. Beim Versäumnisurteil gegen den Beklagten gemäß § 331 Z P O stellt sich - allerdings nicht nur im Verbandsklageprozeß - die Frage, ob der »als zugestanden« anzunehmende Vortrag des Klägers auch den Vortrag von Normtatsachen umfaßt, die zur Rechtsanwendung benötigt werden. Gegen eine solche Interpretation wird angeführt, daß es im »auschließlichen Zuständigkeitsbereich« des Gerichts liege, den Inhalt der Rechtsnormen festzustellen. 88 Kommt es etwa bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Darlehensvertrages auf einen Marktvergleich hinsichtlich der Zinskonditionen an, so könne man das Ergebnis dieses Vergleichs nicht dem Vortrag der erschienenen Partei überlassen. 89 Für dieses Ergebnis spricht auch der mit § 3 3 1 Abs. 1 Z P O bezweckte Beklagtenschutz. Soweit die Verteidigung des Beklagten sich nur auf Rechtsfragen bezieht - etwa auf die Frage der Sittenwidrigkeit eines Verhaltens - soll er sich im Sinne des Grundsatzes iura novit curia darauf verlassen können, daß das Gericht dieses richtig anwendet. 9 0 Daher ist ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten nur dann statthaft, wenn das Gericht sich von der Richtigkeit der zur Anwendung des fragli-
86
RG 14.10. 1905, R G Z 6 1 , 359, 365; zustimmend BGH 5.6. 1963, BGHZ 40, 130, 133; BGH 27.3. 1968, BGHZ 50, 115, 120. 87 Siehe unten, S.329. 88 Sander, Normtatsachen im Zivilprozeß 213. 89 E. Schmidt, FS Wassermann 807, 812. 90 Sander, a.a.O.
318
4. Kapitel: Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
chen Rechtssatzes erforderlichen Normtatsachen selbst überzeugt hat. 9 1 Dies stellt freilich keine Abweichung zur auch in sonstigen Zivilprozessen geltenden Rechtslage dar. Derartige Abweichungen kommen jedoch bei der Anwendung des § 330 Z P O in Betracht. Das Versäumnisurteil gegen den Kläger ergeht nach dieser Vorschrift ohne sachliche Prüfung der Rechtslage und entfaltet doch die Wirkungen eines Sachurteils. 92 Diese Wirkung ist jedoch fragwürdig, wenn der Streitgegenstand nicht die subjektiven Rechte des Klägers betrifft, sondern ausschließlich die objektive Rechtswidrigkeit des inkriminierten Verhaltens des Beklagten. Eine materielle Entscheidung über diese Frage kann nicht davon abhängen, ob der Kläger im Termin erscheint oder nicht. Dagegen spricht auch der Zweck des § 330 Z P O . Z w a r ist die Untätigkeit des Klägers nach heutiger Ansicht nicht als fiktiver Verzicht auf seine Rechtsposition zu werten, 9 3 aber die Vorschrift enthält immerhin die Vorstellung, daß jemand seiner Rechte verlustig gehen kann, wenn er freiwillig das Verfahren nicht weiter betreibt. 9 4 Sind aber solche Rechte nicht disponibel oder geht es - wie hier - gar nicht um eigene subjektive Rechte, dann ist auch eine materiell rechtskräftige Klagabweisung im Falle der Untätigkeit nicht angemessen. Daher sollte hier wie im Falle des § 632 Abs. 4 Z P O verfahren werden, der für Feststellungsklagen wegen des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe -sowie aufgrund der in § 640 Abs. 1 Z P O enthaltenen Verweisung auch in Kindschaftssachen - ein Versäumnisurteil gegen den Kläger nur in der Form ermöglicht, daß die Klage für zurückgenommen erklärt wird. Ebenso wie bei einer Popular- oder Verbandsklage besteht auch hier ein Interesse daran, daß über den Streitgegenstand weiterhin materiell-rechtliche Entscheidungen möglich bleiben. 9 5 (4) Überprüfung durch
Rechtsmittel
Die hier vorgeschlagene umfassende Rechtskraftwirkung für und gegen alle jeweils Klageberechtigten könnte sich als problematisch erweisen, wenn ein unterlegener Kläger nicht die für ihn möglichen Rechtsmittel ausschöpft. Die Sache gelangt dann nicht in die höchste Instanz, und ein anderer Klageberechtigter könnte bemängeln, daß er diesen Weg durch die Instanzen gegangen wäre, um eine höchstrichterliche Klärung herbeizuführen. Dem ist einerseits entgegenzuhalten, daß es im Populär- und Verbandsklageverfahren nicht um die subjektiven Rechte der Klageberechtigten geht und daß daher ein Klageberechtigter keinen 91 Ebd. 212ff., auch zu den praktischen Konsequenzen und den Aufklärungspflichten des Gerichts. 92 BGH 3.7. 1961, J Z 1962, 496 mit kritischer Anmerkung Zeuner (ebd. 496f.); dazu wiederum Dietrich Z Z P 84 (1971) 419, 436. 93 Ste'ml]onas/Grunsky, ZPO, § 3 3 0 R n . l . 94 Motive Z P O 230. 95 Dazu ZöllerIPhilippi, ZPO, §632 Rn.6.
IV. Rechtskraft
und
Rechtshängigkeit
319
Nachteil erleidet, wenn ihm der Zugang zu Rechtsmittelinstanzen versperrt wird. Andererseits spricht aber die objektiv-rechtliche Kontrollfunktion dieser Klagekompetenzen durchaus für eine Befassung höherer Instanzen. Eine über den Einzelfall hinausgehende und möglichst breite faktische Wirkung kann durch ein höchstrichterliches Urteil eher erreicht werden. Aus diesem Grund schließt die jeweilige Klageberechtigung auch die Befugnis ein, im Rahmen der prozeßrechtlichen Vorschriften die Befassung höherer Instanzen mit dem Fall zu erzwingen. Dieser Befund ist jedoch nicht zwingend mit einer Aushöhlung der Rechtskraftwirkung verbunden. Dem an einer höchstrichterlichen Klärung interessierten weiteren Klageberechtigten muß kein zweites Erkenntnisverfahren eröffnet werden, welches die Gefahr abweichender Entscheidungen begründet und unnötig Ressourcen verbraucht. Vielmehr kann sich der weitere Klageberechtigte als Nebenintervenient am ersten Verfahren beteiligen. Gemäß § 6 7 Z P O kann er damit unabhängig vom Verhalten des Klägers die statthaften Rechtsmittel einlegen. Allerdings wird in der Literatur die Zulässigkeit der Nebenintervention eines Verbandsklageberechtigten im Verfahren eines anderen Verbandsklägers teilweise abgelehnt. Dies wird damit begründet, daß in einer solchen Konstellation kein rechtliches Interesses des zweiten Klageberechtigten gemäß § 6 6 Abs. 1 Z P O bestehe. 9 6 Dies ist aus Sicht der Lehre vom eigenen Anspruch eines jeden Verbandsklägers folgerichtig. Im Rahmen der hier vertretenen Lösung der Rechtskraftproblematik ergibt sich das hinreichende rechtliche Interesse des zweiten Klageberechtigten jedoch schon daraus, daß ein Urteil im Erstprozeß auch gegen ihn wirkt. Eine solche Rechtskraftwirkung gegenüber dem potentiellen Streithelfer ist als rechtliches Interesse im Sinne des § 6 6 Abs. 1 Z P O anerkannt. 9 7 Aufgrund der Rechtskrafterstreckung handelt es sich in den Fällen der Populär- und Verbandsklage um eine streitgenössische Nebenintervention gemäß § 6 9 Z P O . 9 8 Die Möglichkeit der Nebenintervention weiterer Klageberechtigter ergibt sich aber nicht nur als Konsequenz aus der Rechtskrafterstreckung, sondern ist auch aus pragmatischen Gründen sinnvoll. Mit der Unterstützung durch den Streithelfer können gegebenenfalls Fehler des Klägers vermieden oder gar Kollusionsversuche abgewehrt werden. Die Streithilfe paßt außerdem zum Charakter der Populär- und Verbandsklagekompetenzen, die von einer Vielzahl potentieller Kläger gekennnzeichnet sind. Diese Vielzahl kann sich darin ausdrücken, daß zur Unterstützung der Klägerseite eine Reihe von Berechtigten auftritt, die jeweils Einfluß auf das Verfahren nehmen können. Damit ermöglicht die Nebenintervention eine effiziente Zusammenfassung der interessierten Klageberechtig-
9 6 Ulmer/Brandner/He«sen, AGBG, § 15 Rn. 24; für eine Nebeninterventionsmöglichkeit bei der Verbandsklage aber bereits Lakkis, a.a.O. 2 1 3 f . 9 7 O L G München 2 9 . 1 0 . 1975, WRP 1976, 3 3 0 ; ZöttedVollkommer, ZPO, § 66 Rn. 11. 9 8 Ebenso Lakkis, a.a.O. 2 1 5 zum griechischen Recht.
320
4. Kapitel: Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
ten in einem Prozeß, anstatt sie auf die Möglichkeit von Parallelprozessen in derselben Sache zu verweisen. Allerdings setzt dieses Modell voraus, daß alle Klageberechtigten als mögliche Nebenintervenienten auch über die Einleitung des Verfahrens informiert werden oder sich zumindest informieren k ö n n e n . " Fehlt eine solche Information, so können die Klageberechtigten ihre Berechtigung zur Nebenintervention auch nicht ausüben. Daher wird in der Literatur mit Recht eine Beiladungspflicht des Gerichts gegenüber möglichen streitgenössischen Nebenintervenienten angenommen. Diese sind - wie im Falle des § 65 Abs. 2 VwGO - davor zu schützen, daß ihnen gegenüber eine Rechtskraftwirkung entsteht, ohne daß sie auf das entsprechende Verfahren zumindest hätten einwirken können. 1 0 0 Unterbleibt eine derartige Benachrichtigung, so kann das klagabweisende Urteil gegenüber den weiteren Klageberechtigten auch keine Rechtskraft entfalten. 101 Allerdings muß die Form der aus diesen Gründen notwendigen Benachrichtigung an die Eigenarten des Popular- oder Verbandsklageverfahrens angepaßt werden. Eine individuelle Benachrichtigung jedes Klageberechtigten ist bei der Popularklage unmöglich und bei der Verbandsklage nicht sinnvoll. Andererseits gewährleistet etwa ein bloßer Aushang an der Gerichtstafel faktisch keine ausreichende Informationsmöglichkeit für die nicht am Gerichtsort ansässigen Klageberechtigten. Hier stellt sich faktisch dasselbe Problem wie in verwaltungsgerichtlichen Verfahren, die eine große Breitenwirkung und damit eine hohe Zahl notwendig beizuladender Personen haben. Der Gesetzgeber hat für diese Fälle die Instrumente der §§ 56a, 65 Abs. 3 VwGO bereitgestellt, welche eine Benachrichtigung durch Veröffentlichungen im Bundesanzeiger und in geeigneten Tageszeitungen vorsehen. Diese Regelung kann mangels einer einschlägigen Regelung in der Zivilprozeßordnung für die Popular- und Verbandsklage analog angewandt werden. Sie ist aber keineswegs optimal, da sie die an einer Klage oder Nebenintervention interessierten Personen oder Institutionen dazu zwingt, umfangreiche Druckwerke regelmäßig durchzusehen. Vorzuziehen wäre die Errichtung eines Registers in elektronischer Form, welches dann von interessierten Personen nach einschlägigen Stichworten oder anderen Kriterien durchsucht werden könnte. Schon nach geltendem Recht ist zumindest eine Veröffentlichung im elektronischen Bundesanzeiger zu fordern, da diese ohne großen Mehraufwand eine erhebliche Erleichterung für die jeweiligen Interessierten schafft.
99 Für eine R e c h t s k r a f t w i r k u n g gegenüber allen Verbandsklageberechtigen nach öffentlicher B e k a n n t m a c h u n g auch der rechtspolitische Vorschlag von Bender, DVB1. 1977, 169, 174; für eine Benachrichtigung anderer Verbände (allerdings im Hinblick auf eine Schadensersatzklage de lege ferenda) auch v. Moltke, Kollektiver Rechtsschutz der Verbraucherinteressen 192. 100 Zöüer/Vollkommer, ZPO, §69 Rn.l. 101 Z u r notwendigen Beiladung g e m ä ß § 6 5 A b s . 2 V w G O BVerwG 1 0 . 3 . 1964, BVerwGE 18, 124, 127.
IV. Rechtskraft
(5)
und
321
Rechtshängigkeit
Zwischenergebnis
Im Ergebnis schließt daher die als unbegründet abgewiesene Populär- oder Verbandsklage eine weitere Populär- oder Verbandsklage in derselben Sache und gegen denselben Beklagten aus. 1 0 2 Dies setzt jedoch voraus, daß den anderen Klageberechtigten die Möglichkeit zur Nebenintervention eröffnet war.
c)
Rechtshängigkeit
Im Verhältnis der Populär- und Verbandsklagen untereinander ist somit auch die Durchführung paralleler Klagen zu ein und demselben Gegenstand nicht möglich. Die zweite Klage scheitert gemäß § 2 6 1 Abs. 3 Nr. 1 Z P O an der Rechtshängigkeit der ersten. Dem steht auch nicht der Wortlaut dieser Vorschrift entgegen, der von »keiner Partei« spricht und damit scheinbar nur auf die Parteien des Erstprozesses verweist. 1 0 3 Vielmehr ist es anerkannt, daß die Rechtshängigkeitssperre in Fällen der subjektiven Rechtskrafterstreckung für alle davon betroffenen Personen gilt. 1 0 4 Der zweite Kläger ist auf die bereits dargestellte Möglichkeit der Nebenintervention verwiesen.
3. Verhältnis von Populär- und Individualklage Das Verhältnis der Populär- und Verbandsklageprozessen zu Prozessen über Individualansprüche ist wesentlich schwieriger zu bestimmen, wie bereits die Diskussionen im Schrifttum über § 11 UKlaG und seinen Vorläufer in § 2 1 A G B G a.F. zeigen. 1 0 5 Immerhin besteht weitgehend Einigkeit daüber, daß jedenfalls ein Prozeß über individuelle Ansprüche keinerlei Wirkungen gegenüber einer Populär- oder Verbandsklage in sachlich vergleichbaren Angelegenheiten zeitigen k a n n . 1 0 6 Dazu sind schon die Streitgegenstände zu unterschiedlich: Im Individualprozeß geht es regelmäßig um das Bestehen oder Nichtbestehen subjektivrechtlicher Positionen der Individuen, während sich die Populär- oder Verbandsklage mit einer objektiven Rechtskontrolle unabhängig von der Person des Klägers befaßt. Eine Wirkung in umgekehrter Richtung - also von einer Popularklage auf Individualprozesse - ist dagegen nicht ganz ausgeschlossen. Dies zeigt schon § 1 1 UKlaG. Über den Anwendungsbereich dieser Vorschrift hinaus kommt ganz allgemein eine beschränkte Breitenwirkungen des Urteils zu Lasten des Beklagten in Betracht oder gar eine darüber hinausgehende Wirkung erga
102 103 104 105 106
omnes.
So auch Reinel, a.a.O. 131. So noch die Interpretation zu § 2 6 3 ZPO a.F. bei Szente, M u W 1933, 5 4 7 . Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 2 6 1 R n . l l . Dazu oben, S.148ff. So ausdrücklich Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts 2 6 8 f.
322
4. Kapitel: Lösungsvorschläge
a) Breitenwirkung
zu Lasten des
zum geltenden
Recht
Beklagten
Eine faktische Breitenwirkung ergibt sich bei einem Gestaltungsurteil schon aus dessen rechtsgestaltender Wirkung. Wird also aufgrund einer patentrechtlichen Popularklage ein Patent für nichtig erklärt, so wirkt dies ohne weiteres auf individualrechtliche Rechtsbeziehungen, die vom Bestand des Patents a b h ä n g e n . 1 0 7 Bei den im Bereich der Verbandsklage überwiegenden Unterlassungsklagen ist dagegen eine Breitenwirkung wesentlich schwieriger zu konstruieren. Insbesondere ist hier zu fragen, ob § 11 U K l a G in dem Sinne verallgemeinerbar ist, daß eine Feststellungswirkung zu Lasten des Beklagten auch in anderen Verbandsklageverfahren eintritt. Dagegen spricht zunächst der scheinbar singuläre C h a r a k ter dieser Vorschrift. Im Umkehrschluß könnte man aus ihrer Existenz folgern, daß in anderen Verbandsklageverfahren eine derartige Wirkung gerade nicht eintreten soll. Andererseits wird § 11 U K l a G zumindest ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien nur als Ausfluß eines allgemeinen Grundsatzes angesehen, nach dem ein Unterlassungsurteil auch in seinem die Rechtswidrigkeit der fraglichen Handlung feststellenden Teil Rechtskraftwirkungen entfaltet. 1 0 8 Dieser Grundsatz ist freilich umstritten. 1 0 9 Selbst wenn man ihm - wie in den Ausführungen zu § 1 1 U k l a G vorgeschlagen 1 1 0 - folgt, so sagt dies noch nichts aus über die subjektive Reichweite dieser Rechtskraftwirkung. Entscheidende Gesichtspunkte sollten hier der kompensatorische Z w e c k der Verbandsklagebefugnis einerseits und der angemessene Schutz des Beklagten andererseits sein. D a der Z w e c k der Verbandsklagen gerade darin besteht, Defizite im individualrechtlichen Rechtsschutzsystem zu kompensieren, sollte ein einmal erkannter Rechtsverstoß auch im Individualprozeß als solcher behandelt werden. Diese für § 11 U K l a G angeführte Überlegung gilt in gleicher Weise für alle anderen Verbandsklagekompetenzen. Allerdings ist es mit diesem Z w e c k nicht vereinbar, wenn die Wirkung des im Verbandsklageverfahren ergangenen Urteils nur auf Einrede erfolgt; sie ist vielmehr wie eine sonstige Rechtskraftwirkung von Amts wegen zu berücksichtigen. Auch dazu ist eine angemessene Registerführung im elektronischen Bundesanzeiger notwendig. Eine Rechtskrafterstrekkung zugunsten der Verbraucher setzt für diese auch kein rechtliches G e h ö r voraus, da ihre rechtliche Position nur verbessert w i r d . 1 1 1 Auch der ebenso zu berücksichtigende Schutz des Beklagten steht einer solchen Rechtskraftwirkung nicht entgegen. Ihm ist bereits im Verbandsklageprozeß rechtliches G e h ö r gewährt worden, und er konnte dort auch die statthaften Rechtsmittel einlegen. Er kann allerdings geltend machen, daß der dem Indivi-
107 108 109 110 111
RG 5.11. 1904, RGZ 59, 133, 134. BT-Drs. 7/5422, 12. Dazu oben, S. 149. Siehe oben, S.148ff. Schlosser, ZRP 1975, 148, 150.
IV.
Rechtskraft
und
Rechtshängigkeit
323
dualprozeß zugrundeliegende Sachverhalt Besonderheiten aufweist, die im Einzelfall eine abweichende Beurteilung rechtfertigen. Damit wäre der Streitgegenstand nicht mehr derjenige, auf den sich die Rechtskraftwirkung des im Verbandsklageprozeß ergangenen Urteils bezieht. b) Keine rechtliche
Wirkung erga
omnes
Abgesehen von dieser Breitenwirkung zu Lasten des Beklagten im Sinne des § 11 UKlaG sind jedoch Wirkungen des im Verbandsklageverfahrens ergangenen Urteils erga omnes nicht anzuerkennen. Sie scheitern regelmäßig am Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Dies gilt zunächst für jegliche Wirkungen zu Lasten anderer Unternehmer, mögen diese auch identische Geschäftsbedingungen verwenden oder sich in anderer Weise ebenso wie der Beklagte im Verbandsklageprozeß verhalten. Zwar wäre in derartigen Konstellationen eine generelle Bereinigung des Rechts- und Wirtschaftsverkehrs von derartigen Praktiken wünschenswert, aber diese würde in subjektive Rechtspositionen der betroffenen Unternehmer eingreifen. Dies setzt auch unter Berücksichtigung der oben ausgeführten Einschränkungen des Grundsatzes vom rechtlichen Gehör voraus, daß die Betroffenen zumindest gehört werden. 112 Auch hier wäre eine Benachrichtigungs- oder Veröffentlichungsmöglichkeit zwar denkbar, aber der Bedeutung des Eingriffs in die Rechte der Betroffenen nicht angemessen. Dem Populär- oder Verbandskläger kann die Durchsicht derartiger Veröffentlichungen -wie oben ausgeführt - zugemutet werden, wenn er von seiner Klagekompetenz Gebrauch machen will. Verzichtet er auf eine derartige Prüfung oder übersieht er etwas, so verliert er schlimmstenfalls seine Klagemöglichkeit. Diese ist ihm aber nicht als individuelles Gut zugewiesen, sondern nur im Interesse der objektiven Rechtskontrolle. Bei den von einer Breitenwirkung betroffenen Unternehmern liegt es dagegen ganz anders: Für sie geht es um die Art und Weise ihrer unternehmerischen Tätigkeit und damit um ihre individuellen Rechte. Dieser ungleich stärker geschützten Position ist auch die Form des rechtlichen Gehörs anzupassen. Möglicherweise betroffenen Unternehmern ist es jedenfalls nicht zumutbar, zum Schutz ihrer Rechte regelmäßig ein einschlägiges Klageregister zu konsultieren und dies auch noch darauf hin zu überprüfen, ob das dort registrierte Urteil ein für sie relevantes Verhalten betrifft. Daher käme eine Rechtskraftwirkung zu Lasten anderer Unternehmer allenfalls nach einer individuellen Benachrichtigung in Betracht. Eine solche ist aber im Normalfall nicht praktikabel, da der Kreis der potentiell Betroffenen regelmäßig unüberschaubar ist. Dies gilt erst recht für eine mögliche Breitenwirkung zu Lasten aller Verbraucher oder sonstiger Vertragspartner des AGB-Verwenders oder sonstiger Beklag112
Siehe oben, S . 3 1 3 .
324
4. Kapitel:
Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
ter. Auch hier geht es um subjektive Rechte dieser Kunden, die von der dem Verbandskläger zugewiesenen objektiven Kontrollbefugnis nicht umfaßt sind. 1 1 3 Über diese subjektiv-rechtlichen Positionen könnte daher auch nur unter Beteiligung oder zumindest nach Benachrichtigung der Betroffenen entschieden werden. 1 1 4 Dies würde jedoch das Populär- oder Verbandsklageverfahren entweder weitgehend unpraktikabel machen oder seinen Charakter in Richtung eines Gruppen- oder Sammelklageverfahrens verändern. Daher bleibt es jedenfalls für das geltende Recht dabei, daß ein individuell Betroffener, der am Populär- oder Verbandsklageverfahren nicht beteiligt war, durch das Ergebnis dieses Verfahren auch nicht gebunden wird. 1 1 5 Für den Patentverletzungsprozeß hat dies zur Folge, daß ein angeblicher Verletzer, der mit einer Unterlassungs- oder Schadensersatzklage überzogen wird, die Patentnichtigkeitsklage auch dann erheben kann, wenn diese gegenüber einem anderen Kläger bereits als unbegründet abgewiesen wurde. In dieser Konstellation ist die Nichtigkeitsklage ja nicht bloße Popularklage, sondern dient auch dem Schutz der subjektiven Rechte des angeblichen Verletzers. Ein Nachteil dieser beschränkten Bindungswirkung des im Populär- oder Verbandsklageprozeß ergangenen Urteils ist allerdings das Risiko abweichender Entscheidungen im Individualprozeß. Dieses ist jedoch dem Modell des Individualrechtsschutzes in einer geographisch und hierarchisch gestreuten Gerichtsorganisation immanent und wird durch die Möglichkeit der Einlegung von Rechtsmitteln und durch die faktische Beachtung obergerichtlicher Entscheidungen gemindert.
V.
Dispositionsbefugnis
Auch wenn mit Populär- und Verbandsklagen die Durchsetzung des objektiven Rechts bezweckt wird, so heißt dies noch nicht, daß den jeweils Klageberechtigten gar keine Dispositionsfreiheiten zukommen können. M i t der Einräumung privatrechtlicher Kontrollbefugnisse hat der Gesetzgeber sich zumindest dafür entschieden, daß die Durchführung der Kontrolle vom Belieben der privatrechtlich Berechtigten abhängt. 1 1 6 Andererseits ist aber der objektiv-rechtliche Zweck der Kontrollkompetenz bei der Prüfung des Ausmaßes dieser Dispositionsfreiheiten zu berücksichtigen. Daher wäre es verfehlt, von der zivilprozessualen Reinel, a.a.O. 131. Vgl. dazu Thiere, a.a.O. 323 ff. 1 1 5 Ebenso Rehbinder/Burgbacher/Knieper, Bürgerklage im Umweltrecht 153 f.: Individuell Betroffenen sei »im Hinblick auf ihre persönliche Betroffenheit eine Bindung durch das [im Populär- oder Verbandsklageverfahren ergangene] Urteil nicht zuzumuten«. Gegen jegliche Wirkung des Verbandsklageprozesses auf die Stellung eines »unmittelbar Verletzten« und umgekehrt auch Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts 2 6 8 f . 116 Lindacher, FS Deutsche Richterakademie 2 0 9 , 2 1 9 . 113
114
V.
Dispositionsbefugnis
325
Struktur der Populär- und Verbandsklage umstandslos auf die uneingeschränkte Geltung der üblichen Dispositionsmöglichkeiten zu schließen. 1 1 7 Vielmehr müssen diese Möglichkeiten im einzelnen untersucht werden. Dies ist schon aufgrund der soeben beschriebenen und weit über die Parteien hinausgehenden Rechtskraftwirkungen des Urteils im Popularklageverfahren notwendig. Bei Ablehnung derartiger Wirkungen mag für die Geltung der Dispositionsmaxime immerhin angeführt werden, daß der Ausgang des Prozesses nur die Parteien betreffe. 1 1 8 Nimmt man aber aufgrund des entsubjektivierten Streitgegenstands derartiger Prozesse weitgehende Rechtskraftwirkungen an, so kann der Ausgang des Prozesses nicht mehr unbeschränkt dem Willen der Parteien unterworfen sein.
1. A b t r e t u n g Die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit der Abtretung von Verbandsklagekompetenzen in § 3 Abs. 1 Satz 2 UKlaG hat sich in der Bestandsaufnahme als weitgehend sinnlos erwiesen. 1 1 9 Sie ist aber de lege lata zu akzeptieren. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf andere Populär- oder Verbandsklagekompetenzen ist aber nicht sinnvoll. Die Abtretungsmöglichkeit ist eine Folge der individuellen Verfügbarkeit materiell-rechtlicher Ansprüche. Den hier untersuchten Kompetenzen fehlt jedoch dieses Element der individuellen Verfügbarkeit. Vielmehr handelt es sich um prozessuale Instrumente, die insoweit eher der ebenfalls nicht abtretbaren Berechtigung zur Erhebung einer Feststellungsklage ähneln. 1 2 0 Bei der Popularklage besteht ohnehin keinerlei Anlaß für eine Abtretung, da jedermann die nämliche Kompetenz hat. Bei der Verbandsklage dagegen soll der Kreis der Berechtigten gerade geschlossen bleiben, was dann zu der paradoxen Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 2 UKlaG führt, wonach nur an den abgetreten werden kann, der ohnehin schon diese Kompetenz besitzt. Soweit die Abtretungsmöglichkeit damit begründet wird, daß ein Klageberechtigter aus einem zugunsten eines anderen Klageberechtigten ergangenen Urteil vollstrecken können soll, 1 2 1 so ergibt sich diese Möglichkeit nach der hier vertretenen Auffassung bereits aus der analogen Anwendung des § 7 2 7 Z P O für alle Klageberechtigten. 1 2 2 Einer Abtretung bedarf es daher nicht. Immerhin nähert sich aber ihr so verstandener Zweck dem konstatierten übergreifenden Interesse an effektiver objektiver Rechtsdurchsetzung.
117 118 119 120 121 122
So aber Palandt/Bassenge, BGB, § 5 UKlaG Rn. 1; Greger, ZZP 113 (2000) 399, 4 1 0 f . Tbiere, a.a.O. 2 7 1 . Siehe dazu oben, S. 155. Siehe nur Staudinger/Busche, BGB (1999), § 3 9 9 R n . 4 4 . Münchener Kommentar BGB/Micklitz, § 13 AGBG Rn. 93. Dazu oben, S. 3 1 0 .
326 2.
4. Kapitel: Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
Verzicht
a) Materiell-rechtlicher
Erlaß
Ein Erlaß der Populär- oder Verbandsklagekompetenz im Sinne von § 3 9 7 Abs. 1 B G B k o m m t nicht in Betracht. Diese Vorschrift bezieht sich nur auf materiellrechtliche Forderungen, 1 2 3 die bei den genannten Kompetenzen gerade nicht vorliegen. D e r Verband besitzt kein solches Recht, über das er mittels Erlaßvertrag verfügen k ö n n t e . 1 2 4
b) Pactum de non
petendo
In Betracht k o m m t allenfalls die Disposition über eine prozessuale Befugnis im Sinne eines pactum
de non petendo.
Dieses wird daher auch im Zusammenhang
mit der patent- und markenrechtlichen Popularklage kontrovers diskutiert. 1 2 5 Im Gegensatz zum Erlaßvertrag bezieht sich ein solches pactum
de non
petendo
nicht auf eine wie auch immer geartete materiell-rechtliche Position, sondern gibt dem Schuldner nur die Möglichkeit, der gerichtlichen Geltendmachung der jeweiligen Berechtigung im Wege einer Einrede zu widersprechen. 1 2 6 Allerdings ist es ganz unabhängig von der Populär- oder Verbandsklage umstritten, ob und unter welchen Voraussetzungen ein solches pactum
überhaupt
möglich ist. Teilweise wird es generell abgelehnt, da die Parteien nicht ersatzlos auf die staatliche Garantie der Justizgewährung verzichten k ö n n t e n . 1 2 7 Andere Stimmen in der Literatur halten das pactum
de non petendo
dagegen für grund-
sätzlich zulässig. 1 2 8 Die Rechtsprechung ist nicht einheitlich. 1 2 9 Allerdings spricht schon die Existenz der §§ 1 0 2 5 ff. Z P O gegen eine schrankenlose Zulässigkeit des pactum
de non petendo.
Diese Vorschriften wären sinn-
los, wenn der Ausschluß jedweder Klagbarkeit formlos möglich wäre. M a n
Gernhuber, Erfüllung 337. Lakkis, a.a.O. 210. 125 Siehe oben, S.ÖOff. und 82ff. 126 Larenz, Schuldrecht I, 270. 127 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 595; ebenso bereits Lent, NJW 1949, 510, 511. 128 Für Möglichkeit eines pactum de non petendo wohl Larenz, Schuldrecht I, 270, der allerdings nur seine Funktionsweise beschreibt; Kissel/Mayer, GVG, § 13 Rn.212 (»grundsätzlich als zulässig anzusehen, soweit die Vertragsparteien berechtigt sind, über den Anspruch einen Vergleich zu schließen«); Schiedermair, Vereinbarungen im Zivilprozeß 92, der aber gelegentlich auch für die Gegenansicht zitiert wird, dazu Wagner, Prozeßverträge 392f.; Münchener Kommentar 'LVO/Lüke, Rn.9 vor §253; Schlosser, Einverständliches Parteihandeln im Zivilprozeß 63ff.; Stein/Jonas/Schumann, ZPO, Rn. 90 vor §253. 129 Für die Möglichkeit eines pactum de non petendo implizit BGH 19.5. 1982, NJW 1982, 2072, 2073; vgl. aber BGH 26.1. 1989, BGHZ 106, 336, 339: Gerichtlicher Rechtsschutz könne jedenfalls nicht »in seiner Substanz im voraus abbedungen« werden; im letzteren Sinne auch OLG Celle 5.4. 1968, OLGZ 1969, 1, 2. 123 124
V.
Dispositionsbefugnis
327
müßte dann von dessen Zulässigkeit a maiore ad minus darauf schließen, daß die bloße Ersetzung der staatlichen Gerichte durch ein privates Schiedsgericht erst recht formlos möglich sein müßte. Angesichts der §§ 1025ff. ZPO wird daher auch von denjenigen, die ein pactum de non petendo für zulässig halten, zum Teil verlangt, daß dabei zumindest die für den Abschluß von Schiedsverträgen gesetzlich vorgesehenen Beschränkungen zu beachten seien. 130 Für die Zulässigkeit eines pactum de non petendo wird angeführt, daß von der Möglichkeit des materiell-rechtlichen Verzichts erst recht auf die Möglichkeit des »bloßen« Verzichts auf die prozessuale Durchsetzung geschlossen werden müsse. 131 Dieses Argument paßt auf die hier zu untersuchenden Konstellationen schon deswegen nicht, weil eine verzichtbare materiell-rechtliche Position des Popularklägers nicht besteht. Es verweist aber mit Recht auf den ausschlaggebenden Gesichtspunkt der Dispositionsfreiheit der Betroffenen. Selbst diejenigen, die einen Ausschluß der Klagbarkeit durch ein pactum de non petendo für möglich halten, müssen konzedieren, daß dieser nur für disponible Rechte möglich sein kann. 1 3 2 Die Klagbarkeit unverzichtbarer Rechtspositionen kann dagegen nicht ausgeschlossen werden. 133 Nun kann man auch bei den disponiblen Rechten fragen, ob die Möglichkeit des materiell-rechtlichen Erlasses nicht ausreicht und ob es wirklich der Figur des pactum de non petendo bedarf. 134 Diese Frage muß hier jedoch nicht vertieft werden, da es in den Fällen der Populär- und Verbandsklage eben nicht um disponible subjektive Rechte geht. Vielmehr dient die Klageberechtigung des Populär- oder Verbandsklägers dem Interesse an der Durchsetzung des objektiven Rechts, über das der Kläger nicht verfügen kann. Dem steht auch nicht die Tatsache entgegen, daß die Klagerhebung in das Belieben der jeweiligen Berechtigten gestellt ist. Die faktische Möglichkeit, von einer Klage abzusehen, ist nicht identisch mit der Befugnis, sich der Klageberechtigung dauerhaft und rechtswirksam zu entledigen. Letzteres scheidet schon deswegen aus, weil diese Berechtigungen ihren Inhabern nicht im eigenen Interesse 130 Kissel/Mayer, G V G , § 13 R n . 2 1 2 ; Grunsky, G r u n d l a g e n des Verfahrensrechts 159. Anders dagegen Wagner, Prozeßverträge 4 4 4 , der keinerlei Formerfordernisse für ein pactum de non petendo a n e r k e n n t . Das allgemeine Vertragsrecht enthalte insoweit genug Schutzmechanismen, vor d e m die »Schutzkautelen der §§ 1034ff., 1 0 4 2 f f . Z P O verblassen« ( W a g n e r , ebd.). Dieses A r g u m e n t erklärt aber nicht, w a r u m der gänzliche Ausschluß des Rechtswegs formfrei möglich sein soll, die Beschränkung auf das Schiedsgericht dagegen nur unter bestimmten Formvorschriften. Es erscheint auch der Rechtssicherheit nicht förderlich, die Frage der Wirksamkeit des pactum de non petendo in das unsichere Terrain der Vertragsinhaltskontrolle zu verlagern (so aber Wagner ebd. 4 5 4 mit Verweis auf § 138 BGB u n d die AGB-Kontrolle). 131 Zöller/Greger, Z P O , R n . 1 9 vor § 2 5 3 . 132 Kissel/Mayer, G V G , § 13 R n . 2 1 2 m . w . N . 133 Grunsky, G r u n d l a g e n des Verfahrensrechts 159; Grün, Z U M 2 0 0 4 , 733, 735; ähnlich Wagner, Prozeßverträge 4 4 0 f . , der das pactum de non petendo für zulässig hält, soweit »disponible Privatrechte« betroffen seien. 134 Für die Beschränkung auf den materiell-rechtlichen Erlaß Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 5 9 5 .
328
4. Kapitel: Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
oder als disponible Güter zugeteilt sind, sondern der objektiven Rechtskontrolle dienen. Daher ist mit der markenrechtlichen und gegen die bisherige patentrechtliche Rechtsprechung festzuhalten, daß bei Populär- und Verbandsklagen ein pactum de non petendo nicht möglich ist. 3. K l a g r ü c k n a h m e Vergleichsweise unproblematisch ist dagegen die Klagrücknahme, deren Möglichkeit im Rahmen der Bestandsaufnahme bereits für alle hier untersuchten Klagekompetenzen festgestellt wurde. Mit der Klagrücknahme ist weder eine Aussage zur Sache verbunden, noch hindert sie den Kläger an einer erneuten Prozeßführung. Damit führt sie - von den Kostenfolgen abgesehen - nur die Lage herbei, die ohne die ursprüngliche Klage bestanden hätte. Da die Klageberechtigten aber nicht klagen müssen, können sie diesen Zustand auch freiwillig wieder herbeiführen. 1 3 5 N u r vereinzelt wird die generelle Zulässigkeit der Klagrücknahme im Verbandsklageverfahren bezweifelt. So soll nach einer Auffassung in der Literatur dem Verbandskläger bei der AGB-Kontrolle die Klagrücknahme nicht mehr völlig freigestellt sein, wenn der Kläger »durch Erhebung der Klage die angegriffene Klausel zum Gegenstand des öffentlichen Interesses an einer gerichtlichen Klärung der Wirksamkeitsfrage gemacht« habe. 1 3 6 Eine Klagrücknahme dürfe dann nur noch nach einer entsprechenden Unterlassungserklärung des beklagten Verwenders stattfinden. Diese Ansicht verfehlt jedoch den Kern des Problems, denn eine Klagrücknahme kommt ja gerade dann in Betracht, wenn der Kläger sein Begehren für aussichtslos hält oder es aus taktischen, finanziellen oder sonstigen externen Gründen nicht mehr weiterverfolgen will. Er sollte deshalb nicht gezwungen werden, einen aus derartigen Gründen unerwünschten Prozeß bis zum möglicherweise kostenträchtigen Urteil fortführen zu müssen. Ein solcher Z w a n g kann auch nicht mit dem öffentlichen Interesse an einer Klärung der objektiven Rechtslage begründet werden, denn der Gesetzgeber hat es mit der Entscheidung für die auf Privatinitiative bauende Populär- oder Verbandsklage bewußt hingenommen, daß manche Rechtsfragen ungeklärt bleiben, wenn die Klageberechtigten von ihren Befugnissen keinen Gebrauch machen. Der Populär- oder Verbandskläger ist kein »privater Staatsanwalt« in dem Sinne, daß er jeglichen Gesetzesverstoß verfolgen müßte. Gerade dieser Gesichtspunkt führt zu der Überlegung, ob nicht die Rechtsprechung zur Klagrücknahme bei der patentrechtlichen Popularklage auch für die anderen Populär- und Verbandsklagekompetenzen gelten muß. Nach dieser Rechtsprechung ist die Klagrücknahme abweichend vom Wortlaut des § 2 6 9 135 136
E. Schmidt, NJW 1989, 1192, 1195. Göbel, Prozeßzweck der AGB-Klage 141.
V.
Dispositionsbefugnis
329
Abs. 1 Z P O in jeder Lage des Verfahrens auch ohne Einwilligung des Beklagten zulässig, da kein Kläger dazu gezwungen werden könne, »gegen seinen Willen als Anwalt der öffentlichen Belange aufzutreten.« 1 3 7 Dieses Argument gilt ebenso für die anderen hier untersuchten Populär- und Verbandsklagekompetenzen. Allerdings trifft es nicht recht den Kern der Sache, denn es ließe sich auch für die Durchsetzung individueller Ansprüche formulieren: N i e m a n d soll gezwungen werden, in eigener Sache bis hin zu einem Urteil prozessieren zu müssen. Dies ist aber nur einer der Z w e c k e des § 2 6 9 Abs. 1 Z P O . D e r andere Z w e c k ist der Schutz des Beklagten, welcher - nachdem er sich bereits in der mündlichen Verhandlung verteidigen mußte - ein berechtigtes Interesse daran haben kann, daß die verhandelte Sache nun endgültig geklärt und der Streit damit dauerhaft befriedet wird. 1 3 8 Gerade diese endgültige Klärung ist aber für den Beklagten im Populär- und Verbandsklageverfahren ohnehin nicht erreichbar. Z w a r hat das Urteil in diesem Verfahren nach der hier vertretenen Auffassung Rechtskraftwirkung gegenüber anderen Populär- oder Verbandsklageberechtigten, aber es kann sich nicht zu Gunsten des Beklagten auf dessen Beziehungen zu seinen Kunden auswirken. Daher schützt ein klagabweisendes Urteil im Verbandsklageverfahren den Beklagten zwar vor weiteren Verbandsklagen, nicht aber davor, daß seine Kunden dieselbe rechtliche Problematik in den mit ihnen geführten Prozessen erneut aufgreifen. Der Z w e c k des § 2 6 9 Abs. 1 Z P O kann also in Populär- und Verbandsklageverfahren nicht wirklich erfüllt werden, so daß hier diese Vorschrift wie in der oben zitierten patentrechtlichen Rechtsprechung teleologisch zu reduzieren ist. Eine Populär- oder Verbandsklage kann demnach in jeder Verfahrenslage auch ohne Einwilligung des Beklagten zurückgenommen werden.
4. Klagverzicht und Anerkenntnis Im Gegensatz zur Klagrücknahme handelt es sich beim Klagverzicht und beim prozessualen Anerkenntnis um Dispositionsakte, die nicht bloß den vorprozessualen status quo ante wieder herstellen, sondern die zu entsprechenden Urteilen gemäß §§ 3 0 6 , 3 0 7 Z P O führen, welche wiederum die Rechtsposition der Parteien verändern. Allerdings ist es in der Literatur umstritten, in welcher Weise diese Veränderungen zu verstehen sind. Dies soll zunächst anhand des Klagverzichts erörtert werden, da dieser im Hinblick auf Populär- und Verbandsklagen besondere Probleme aufweist. Anzumerken ist, daß im folgenden davon ausgegangen wird, daß der Populär- oder Verbandsklageberechtigte als Kläger in Erscheinung tritt und der Beklagte derjenige ist, dessen angeblicher Rechtsverstoß überprüft werden soll. Dies entspricht dem Normalfall der Populär- oder Verbandsklage. 137 138
BGH 22.6. 1993, GRUR 1993, 895. Münchener Kommentar ZPOILüke, § 269 Rn. 1.
330
4. Kapitel: Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
Werden die prozessualen Rollen durch eine negative Feststellungsklage - etwa eines abgemahnten Unternehmers - vertauscht, so müssen auch die Ausführungen zu Verzicht und Anerkenntnis dementsprechend gespiegelt werden. Hinsichtlich des Klagverzichts wird darüber gestritten, o b dieser als reine Prozeßhandlung zu begreifen ist oder ob er eine Doppelnatur in dem Sinne aufweist, daß er zugleich materiell-rechtliche Wirkungen zeitigt. 1 3 9 Z u diesem Streit m u ß für die Z w e c k e der vorliegenden Untersuchung jedoch aus zwei Gründen nicht Stellung genommen werden. Erstens ist ein materiell-rechtlicher Verzicht bei der Populär- und Verbandsklagekompetenz mangels eines korrespondierenden materiell-rechtlichen Anspruchs nur schwer vorstellbar. Zweitens geht es hier nur um die prozessuale Wirkung des Klagverzichts, und über diese besteht gerade kein Streit: Das Verzichtsurteil entspricht in seinen Wirkungen dem normalen Sachurteil. Insbesondere treten die Wirkungen der materiellen
Rechtskraft
e i n . 1 4 0 Daraus ergibt sich zunächst, daß nach einem Verzichtsurteil eine neue Klage desselben Klägers in derselben Sache unzulässig ist. 1 4 1 Schon diese Folge ist im Populär- und Verbandsklageverfahren problematisch, weil damit dem Kläger die Möglichkeit gegeben würde, sich seiner Klagemöglichkeit dauerhaft freiwillig zu entledigen. Genau dies wurde aber bereits hinsichtlich des pactum non petendo
de
als nicht mit dem auf das objektive Recht bezogenen Kontrollcha-
rakter dieser Kompetenzen vereinbar beurteilt. D a r ü b e r hinaus würde die Möglichkeit eines Verzichtsurteils im R a h m e n der hier vertretenen Konzeption einer Rechtskraftwirkung gegenüber allen potentiellen Populär- oder Verbandsklägern bedeuten, daß es in der H a n d des ersten Klägers läge, sämtlichen Klageberechtigten diese Möglichkeit zu nehmen, ohne d a ß das Gericht eine eigene rechtliche Prüfung vorgenommen hätte. Auch dies ist weder sinnvoll, noch mit dem Z w e c k dieser Rechtskraftwirkung zu vereinbaren. Dieser besteht ja darin, eine Prüfung der objektiven Rechtslage nicht mehrfach durchzuführen, sondern in einem Erkenntnisverfahren zu konzentrieren. Ein einzelner Klageberechtigter kann und darf jedoch die richterliche Prüfung der objektiven Rechtslage nicht insgesamt verhindern können. Gegen die Zulassung des Klageverzichts bei Populär- und Verbandsklagen spricht mithin der nicht disponible Charakter des mit ihnen durchzusetzenden objektiven Rechts. Dies entspricht auch den bisher in Literatur und Judikatur entwickelten allgemeinen Grundsätzen zu § § 3 0 6 , 3 0 7 Z P O . D a n a c h sind sowohl ein Klageverzicht als auch ein prozessuales Anerkenntnis nur dann mög1 3 9 Für reine Prozeßhandlung etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 928; ebenso im Ergebnis BGH 1.7. 1955, JZ 1956, 62 (materiell-rechtliche Wirksamkeitsvoraussetzungen seien irrelevant); für Doppelnatur jedoch B. Thomas, ZZP 89 (1976) 80ff. 140 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn.61; Münchener Kommentar ZPO/Gottwald, § 322 Rn. 25; Zöller/Vollkommer, ZPO, Rn. 8 vor § 322; ebenso zum Anerkenntnisurteil OLG Karlsruhe, 8.3. 1991, NJW-RR 1991, 1151. 141 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 927.
V.
Dispositionsbefugnis
331
lieh, wenn die betreffende Partei über die einschlägige Rechtsposition disponieren k a n n . 1 4 2 Dies ist beim Anerkenntnis in den hier zu untersuchenden Fällen typischerweise der Fall, weil es im Belieben des Beklagten steht, welche Geschäftsbedingungen er verwendet oder wie er sich sonst im wirtschaftlichen Wettbewerb verhält. Bereits bei der Bestandsaufnahme der einzelnen Klagekompetenzen konnten hinsichtlich des Anerkenntnisses keine nennenswerten Probleme festgestellt werden. Auf Seiten des Populär- oder Verbandsklägers liegt jedoch keine derartige disponible Rechtsposition vor. Daher ist auch aus diesem Grund ein Klagverzicht in den hier behandelten Verfahren u n m ö g l i c h . 1 4 3 D a m i t werden die Dispositionsmöglichkeiten des Klägers auch nicht unangemessen stark beschränkt. Sicherlich soll der Kläger auch in diesen Verfahren in der »ihm geeignet erscheinenden Weis e « 1 4 4 vom Prozeß wieder Abstand nehmen können. Diesem Interesse ist jedoch mit der oben vorgeschlagenen Erweiterung der Möglichkeit der Klagrücknahme Genüge getan. Alternativ käme nur die Konstruktion eines Verzichtsurteils in Betracht, welches »als Offenlassen der S a c h f r a g e « 1 4 S behandelt werden müßte und daher - abweichend von den ansonsten geltenden Grundsätzen - auch keine materielle Rechtskraft entfaltete. Die hier vorgeschlagene Erweiterung der M ö g l i c h keiten der Klagrücknahme kann jedoch auf eine derartige Sonderterminologie verzichten und paßt daher eher zur bisher üblichen Begrifflichkeit.
5.
Vergleich
Ein Vergleich ist bei den hier untersuchten Klagekompetenzen regelmäßig möglich, darf jedoch keine dem objektiven Recht widersprechenden Befugnisse oder Verpflichtungen enthalten. Dies wurde bereits im R a h m e n der Bestandsaufnahme erörtert. 1 4 6 Der Beklagte kann daher im R a h m e n eines Vergleichs nicht mehr erreichen, als ihm nach objektivem Recht zusteht. D e m Prozeßvergleich k o m m t außerdem nach allgemeinen Grundsätzen keine Rechtskraftwirkung z u . 1 4 7 Andere Klageberechtigte sind also an einer Klage in derselben Sache nicht gehindert. Diese Folge ist schon deshalb einsichtig, weil es - wie bereits zum Klagverzicht erörtert - nicht in der M a c h t des einen Klagebe-
142 Münchener Kommentar ZVO/Musielak, §306 Rn.4; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts 81; vgl. zum Anerkenntnis bereits RG28.10. 1937, RGZ 156, 70, 75: Anerkenntnisurteil setze voraus, daß die Parteien über das fragliche »materielle Rechtsverhältnis« verfügen können. 143 Ebenso Lakkis, Der kollektive Rechtsschutz der Verbraucher 210. 144 Lindacher, ZZP 103 (1990) 397, 406. 145 E. Schmidt, NJW 1989, 1192, 1195. 146 Siehe oben, S. 160ff. 147 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 895; Thomas/Putzo, ZPO, § 794 Rn.29; Schellhammer, Zivilprozeß Rn.693; Schilken, Zivilprozeßrecht Rn. 653.
332
4. Kapitel: Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
rechtigten stehen kann, eine richterliche Überprüfung des fraglichen Verhaltens des Beklagten mit Wirkung für alle anderen Klageberechtigten zu verhindern. Schwieriger ist jedoch mit der mangelnden Rechtskraftwirkung zwischen den Parteien des Vergleichs umzugehen. Im Zivilprozeß über individuelle Ansprüche kann eine zweite Klage wegen desselben Anspruchs nach einem entsprechenden Prozeßvergleich - je nach Vergleichsinhalt - mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig sein, wenn der Vergleich bereits einen entsprechenden Titel zur Verfügung stellt. 1 4 8 Sie kann aber auch unbegründet sein, wenn der Vergleich die materiell-rechtliche Lage entsprechend gestaltet hat. Letzteres ergibt sich aus der herrschenden Lehre von der Doppelnatur des Prozeßvergleichs, nach welcher dieser zugleich Prozeßhandlung und materiell-rechtlicher Vertrag sein s o l l . 1 4 9 Diese materiell-rechtliche Bedeutung paßt jedoch nicht auf die hier untersuchten Klagekompetenzen, welche gerade keine materiell-rechtlichen Ansprüche enthalten. D a h e r kann auch nach einem Vergleich derselbe Populär- und Verbandskläger in derselben Sache erneut klagen, soweit nicht bereits die begehrte Verpflichtung im Vergleich enthalten ist und daher kein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Diese Konsequenz ergibt sich daraus, daß es nicht in der M a c h t des jeweils Klageberechtigten steht, die objektiv-rechtliche Lage zu verändern. Sie belastet den Beklagten auch nicht über Gebühr, da er mit einem Vergleich ohnehin keine endgültige Lösung der Streitfrage im Verhältnis zu anderen möglichen Klageberechtigten oder gar seinen Kunden erreichen kann. Ein Vergleich in den hier untersuchten Konstellationen hat also nur den Sinn, den gegenwärtigen
Prozeß
gütlich zu beenden. Auf zukünftige Prozesse kann er sich mangels Dispositionsbefugnis des Klägers nicht auswirken.
VI. Unzulässige
Recbtsausübung
1. P o p u l a r k l a g e u n d E i g e n n u t z Bei der im Hinblick auf Populär- und Verbandsklagen geführten Mißbrauchsdiskussion geht es im wesentlichen um das Problem des finanziellen Eigennutzes des Klägers. Dieser wird sogar v o m Gesetzgeber in § § 8 A b s . 4 U W G , 2 A b s . 3 U K l a G als mißbräuchlich gebrandmarkt. Auch in der Literatur wird gelegentlich gefordert, daß der Populär- oder Verbandskläger nicht im finanziellen Sinne eigennützig tätig sein dürfe. 1 5 0 Diese Auffassung ist zunächst überraschend, da es
148
Schilken, ebd.
BGH 2 1 . 3 . 2 0 0 0 , NJW 2 0 0 0 , 1942, 1943 m.w.N. Etwa bei Urbanczyk, Verbandsklage 193 ff.; geradezu programmatisch in dieser Richtung der Titel der Arbeit von Th. Kasper, Der finanzielle Eigennutz als der zu minimierende Mißstand im wettbewerbsrechtlichen Schutzsystem. 149
150
V/. Unzulässige
Rechtsausübung
333
im Zivilprozeß ansonsten selbstverständlich ist, daß die Beteiligten aus Eigennutz handeln und ihr Vermögen mit Hilfe der staatlichen Gerichte mehren wollen. Ein derartiges Gewinnstreben kann daher im gewöhnlichen Zivilprozeß nicht den Vorwurf unzulässiger Rechtsausübung begründen. Wenn insoweit ganz andere Anforderungen an Populär- oder Verbandskläger gestellt werden, so ist dies nur mit einer Sonderrolle dieser Klagekompetenzen erklärbar, die als »im öffentlichen Interesse« von gewöhnlichen Berechtigungen unterschieden werden. 1 5 1 Es ist freilich paradox, daß gerade diese Sonderrolle in anderen Zusammenhängen wiederum geleugnet wird, indem man etwa behauptet, daß die Verbandskläger gewöhnliche materiell-rechtliche Ansprüche geltend machten oder daß auf Verbandsklagen die üblichen Regeln des Zivilprozesses anzuwenden wären. 1 5 2 Die Sonderstellung der Populär- und Verbandsklage hinsichtlich der Mißbrauchsproblematik besteht darin, daß von dem gesetzgeberischen Zweck dieser Kompetenzen - die Durchsetzung des objektiven Rechts im sogenannten Allgemeininteresse - darauf geschlossen wird, daß der einzelne Kläger auch gerade diesen Zweck verfolgen müsse. 1 5 3 Nur so läßt es sich erklären, daß einem »Abmahnverein« vorgeworfen wird, daß er im eigenen und nicht im öffentlichen Interesse handele. Dieser Schluß vom gesetzgeberischen Zweck der Vorschriften auf die Anforderungen hinsichtlich der Motivlage des einzelnen Klägers ist jedoch doppelt falsch. Er verkennt sowohl die Funktion der Popularklage als auch die Möglichkeit, daß sich individueller Eigennutz in gesellschaftlichen Nutzen verwandelt. Zum ersten dieser beiden Aspekte ist im dritten Kapitel bereits ausführlich Stellung genommen worden. Die Funktion der Popularklage ist mit der Wahrung eines »öffentlichen Interesses« - einmal abgesehen von der bereits dargestellten grundsätzlichen Fragwürdigkeit dieses Begriffs - nur unzureichend beschrieben. Sie dient vielmehr der Durchsetzung des objektiven Rechts und ist daher von den Interessen und Motiven des jeweiligen Klägers gänzlich unabhängig. 1 5 4 Schon aus dieser Erwägung heraus kann eine Populär- oder Verbandsklage nicht bereits deshalb mißbräuchlich sein, weil der Kläger mit ihr eigennützige Motive verfolgt. 1 S 5 Dies ist im Patent- und Markenrecht seit langem anerkannt. 1 5 6 Auch die Rechtsprechung zum Lauterkeitsrecht nahm teilweise diesen Standpunkt ein, bevor der Gesetzgeber die Lehre von der mißbräuchlichen VerSiehe oben, S. 2 0 2 . Vgl. nur Palandt/Bassenge, BGB, § 5 UKlaG Rn. 1; Greger, ZZP 113 (2000) 399, 4 1 0 f . 1 5 3 Vgl. Urbanczyk, a.a.O. 192: Die »Differenz von Gesetzeszweck und subjektiver Zielsetzung« sei problematisch. 1 5 4 Siehe oben, S . 2 1 6 . 155 Knieper, N J W 1971, 2 2 5 1 , 2 2 5 2 ; Axmann, Die praktische Bedeutung und Effizienz der Verbandsklage nach §§ 13ff. AGB-Gesetz 78; v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteresse 311 f.; gegen eine Verwirkbarkeit auch Lindacher, ZZP 103 (1990) 3 9 7 , 4 1 0 . 1 5 6 Vgl. nur R G 2 1 . 1 0 . 1924, R G Z 109, 73, 77. 151
152
334
4. Kapitel: Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
bandsklage im Lauterkeitsrecht zementierte. So stellte etwa das Oberlandesgericht Düsseldorf 1 9 6 9 anläßlich einer Unterlassungsklage eines »Abmahnvereins« wegen irreführender Werbung fest: Die Klägerin handelt auch nicht rechtsmißbräuchlich, wenn sie sich im vorliegenden Verfahren auf § 13 UWG [a. F. ] stützt. Sie verlangt von der Bek lagten nur das, wozu diese nach den gesetzlichen Bestimmungen ohnehin verpflichtet ist. Durch die Inanspruchnahme entsteht der Beklagten daher auch kein Schaden, da sie auf die Fortsetzung ihrer unzulässigen Werbung und die ihr hierdurch entstehenden Vorteile keinen Anspruch hat. Das gilt auch hinsichtlich der durch das Verfahren entstandenen Kosten. Diese hat die Beklagte allein deshalb zu tragen, weil ihre Werbung nicht den gesetzlichen Bestimmungen entspricht und sie deshalb zur Unterlassung zu verurteilen ist. Ein Rechtsmißbrauch ist daher nicht ersichtlich. 157
a) Private vices and public
benefits
Der zweite Fehlschluß der Lehre vom M i ß b r a u c h der Verbandsklage läßt sich mit der Mandevilleschen Formel »from private vices to public benefits« auf den Punkt bringen. 1 5 8 Diese von Adam Smith in seinem »Reichtum der N a t i o n e n « weiterentwickelte Vorstellung 1 5 9 ist für das Selbstverständnis der marktwirtschaftlich verfaßten Gesellschaftsordnung so grundlegend, daß es verwunderlich ist, daß sie im Bereich der Verbandsklage nicht anwendbar sein soll. Auch dem in der M a r k t w i r t s c h a f t handelnden Unternehmer wird üblicherweise nicht vorgeworfen, daß er nur aus Gewinnsucht handele. Auch wenn er persönlich nur am Profit interessiert ist, so ist seine Tätigkeit doch erlaubt und erwünscht. Dahinter steht der weitgehende Konsens darüber, daß durch das Profitstreben des einzelnen Unternehmers die Versorgung der Konsumenten mit den nachgefragten Gütern optimal - oder doch besser als in zeitweilig noch konkurrierenden Wirtschaftssystemen - gewährleistet wird. Z w a r gibt es dieser Einsicht zum Trotze immer wieder moralisierende öffentliche Kritik an übermäßigem Profitstreben, aber derartige moralische Appelle ändern nichts daran, daß auch und gerade rein profitorientiertes unternehmerisches Handeln die Grundlage der existierenden Wirtschaftsordnung ist. M i t Recht interessiert sich k a u m jemand dafür, o b der Bäcker die Brötchen aus Liebe OLG Düsseldorf 15. 8. 1969, BB 1969, 1150 (Hervorhebung durch Verf.). Mandeville, The Fable of the Bees or Private Vices, Publick Benefits (1729); vgl. dazu jetzt Rühl, Moralischer Sinn und Sympathie 95ff. (auch zu den Unterschieden zwischen Mandeville und Adam Smith). 159 Eine der berühmtesten Stellen aus diesem Werk darf hier kurz in Erinnerung gerufen werden: Der Unternehmer »generally, indeed, neither intends to promote the publick interest, nor knows how much he is promoting it [...] he intends only his own gain, and he is in this, as in many other cases, led by an invisible hand to promote an end which was no part of his intention. [...] By pursuing his own interest he frequently promotes that of the society more effectually than when he really intends to promote it.« Adam Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations 291 f. 157
158
VI. Unzulässige
Rechtsausübung
335
zu seinen Kunden backt oder aus Interesse an einem neuen Sportwagen. Entscheidend ist das nützliche Ergebnis seiner Tätigkeit. Die gesellschaftlich nützlichen Folgen eigennützigen Handelns dürfen daher auch bei der Beurteilung der Populär- und Verbandsklage nicht übersehen w e r d e n . 1 6 0 Auch wenn sie aus finanziellem Eigeninteresse erhoben wird, so dient sie doch im Ergebnis der Durchsetzung des demokratisch gesetzten Rechts. Auch diese
Überlegung
spricht dagegen, aus den Motiven des Klägers auf einen M i ß b r a u c h der Klageberechtigung zu schließen. 1 6 1 Schließlich ist auch auf den europarechtlichen Effektivitätsgrundsatz hinzuweisen. N a c h Auffassung des Europäischen Gerichtshofes sind die Verbandsklage oder andere Instrumente der objektiven Rechtskontrolle notwendige Mittel zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts. 1 6 2 Dieses dient nicht nur dem Schutz einzelner Verbraucher oder anderer Marktteilnehmer, sondern bezweckt auch die rein objektive Integration des Binnenmarkts durch Implementation einheitlicher M a r k t b e d i n g u n g e n . 1 6 3 Auch dieser objektiv-rechtliche Z w e c k spricht dagegen, die gesellschaftliche Effizienz der Verbandsklage dadurch zu beschneiden, daß man sie nur aus ideellen Motiven zuläßt.
b) Zur Mißbrauchsfurcht
im
Lauterkeitsrecht
Angesichts des simplen und vor dem Hintergrund einer marktwirtschaftlichen Ordnung selbstverständlichen Zusammenhangs zwischen persönlichem Vorteil und gesellschaftlichem Nutzen ist die Frage berechtigt, wie es überhaupt zu der Mißbrauchsdiskussion im Lauterkeitsrecht und der auf sie folgenden positivrechtlichen Fixierung eines Mißbrauchstatbestands »Eigennutz« in § 8 A b s . 4 U W G k o m m e n konnte. Diese Vorschrift entspricht § 13 Abs. 5 U W G a.F., der mit der U W G - R e f o r m 1 9 8 6 eingeführt wurde. Die Rechtsprechung hatte zuvor mehrfach die theoretische Möglichkeit eines Rechtsmißbrauchs bei der lauter1 6 0 Ebenso v. Arnim, a.a.O. 311 f.; vgl. in diesem Sinne auch zum angeblichen Mißbrauch der aktienrechtlichen Anfechtungsklage Bokelmann, Rechtsmißbrauch des Anfechtungsrechts 169: Gerade der aus »Sport oder Manie« geschäftsmäßig agierende Anfechtungskläger sei der beste Wahrer des Interesses an der Durchsetzung des objektiven Rechts. Instruktiv in diesem Zusammenhang auch das Ergebnis einer aufwendigen wirtschaftswissenschaftlichen Studie zur Durchsetzung des Aktien- und Wertpapierrechts: Im Rechtsvergleich sind danach vor allem diejenigen Rechtsordnungen im Hinblick auf die Implementation des bestehenden Rechts erfolgreich, die eher auf Klagebefugnisse für Privatpersonen setzen anstatt auf behördliche Kontrolle. »For the case of securities markets, our evidence suggests that the efficient institutional choice takes the form of private enforcement of public rules ...«La Porta/de Silanes/Sbleifer, What Works in Securities Laws? Tuck Working Paper No. 0 3 - 2 2 , 22. 1 6 1 Ebenso Beater, Unlauterer Wettbewerb 799; Borck, GRUR 1990, 249, 250. 1 6 2 Siehe nur EuGH 2 7 . 6 . 2000, Slg. 2 0 0 0 I, 4 9 4 1 , Rn.27; EuGH 2 4 . 1 . 2 0 0 2 , Slg. 2002 I, 819, Rn. 14; auf das Gebot der europarechtlichen Effektivität der Verbandsklage verweist bereits Damm, J Z 1994, 161, 175. 1 6 3 Vgl. dazu etwa Rott, EuZW 2 0 0 3 , 5, 6 ff.
336
4. Kapitel:
Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
keitsrechtlichen Verbands- und Konkurrentenklage erwogen, aber nur selten einen solchen festgestellt. 1 6 4 Allerdings gab es in der Literatur vor 1 9 8 6 zahlreiche Stellungnahmen, die vor angeblichen Mißbräuchen dieser Klagekompetenzen warnten. 1 6 5 Aus diesen Stellungnahmen lassen sich vor allem zwei Begründungsstränge herausfiltern: Teilweise wird ein eigennütziges Verhalten des Klägers als moralisch verwerflich und daher auch rechtlich nicht zu duldendes Verhalten dargestellt. 1 6 6 Andere Begründungen beziehen sich eher auf die Geringfügigkeit der mit Abmahnungen oder gar Klagen gerügten Rechtsverstöße. 1 6 7 Die moralisierende Begründungsvariante fiel auch deshalb auf fruchtbaren Boden, weil das seinerzeit geltende U W G und die dazu entwickelte Rechtsprechung noch stark von moralischen Erwägungen geprägt war und diese in das Recht zu übernehmen suchte. Insbesondere die Generalklausel der Sittenwidrigkeit wurde von der Rechtsprechung geradezu als Einfallstor moralischer Erwägungen in das Wirtschaftsrecht verstanden. So wurde etwa das seinerzeit aus § 1 U W G a.F. abgeleitete Verbot vergleichender Werbung damit begründet, daß sich niemand zum »Richter in eigener Sache« aufspielen dürfe. 1 6 8 Vor diesem Hintergrund der »guten Sitten« als rechtlich relevantem Standard der Sozialmoral 1 6 9 verwundert es kaum, daß auch gegenüber den Verbands- und Konkurrentenklägern strenge moralische Maßstäbe angelegt werden sollten. Allerdings passen derartige Erwägungen kaum noch zum heutigen Verständnis des Lauterkeitsrechts und zum neuen U W G . Dieses versteht das Lauterkeitsrecht kaum noch als moralisches Regelwerk für den sittsamen Umgang unter Konkurrenten, sondern gründet eher auf einem pragmatischen und effizienzorientierten Ansatz. 1 7 0
1 6 4 Siehe etwa BGH 1 0 . 3 . 1971, GRUR 1971, 5 8 5 , 5 8 6 (Rechtsmißbrauch theoretisch möglich, im vorliegenden Fall aber nicht festgestellt); ähnlich BGH 1 4 . 1 0 . 1977, GRUR 1978, 182f.; OLG Hamburg, 7 . 5 . 1981, W R P 1 9 8 1 , 5 8 9 (kein Rechtsschutzinteresse für Antrag auf einstweilige Verfügung in finanzieller Absicht, wenn bereits eine einstweilige Verfügung gegen den Beklagten in derselben Sache ergangen ist); O L G Karlsruhe 8 . 5 . 1985, WRP 1986, 4 9 , 50 (Rechtsmißbrauch einer Konkurrentenklage, wenn »fragwürdiges Eigeninteresse« vorliege und die Ahndung der gerügten Verstöße »für die Öffentlichkeit nur von geringem Interesse« sei). Vgl. auch die ausführliche Darstellung der diesbezüglichen Rechtsprechung von 1 9 6 5 bis 1986 bei v. Ungern-Sternberg, FS Klaka, 72, 74ff. 1 6 5 Vgl. nur Pastor, GRUR 1982, 3 3 0 m.w.N.: Der vielfache Mißbrauch der Klagebefugnis aus § 13 UWG |a.F.] sei bereits »offenkundig«. 166 pastor, ebd. 3 3 2 : Die Bereicherungsabsicht des Abmahnvereins oder des angeblichen Konkurrenten sei »allgemeinschädigend und selbst unlauter«; Kisseler, WRP 1989, 6 2 3 : Abmahnung im finanziellen Eigeninteresse sei eine »schmarotzerhafte Ausnutzung einer formalen Rechtsstellung«. 1 6 7 So OLG Karlsruhe 8 . 5 . 1985, W R P 1986, 49, 50. 1 6 8 R G 6 . 1 0 . 1931, GRUR 1931, 1299, 1301; ebenso noch Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 16.Aufl. 1990, § 1 UWG R n . 3 3 3 m.w.N. 165 Fezer, UWG, § 3 R n . 6 5 . 1 7 0 Zu dieser »Entsittlichung« des heutigen Lauterkeitsrechts siehe Harte-Bavendamm/Henn'mg-Bodewig/Schünemann, UWG, § 3 R n . 6 2 f f .
Vi. Unzulässige
Rechtsausübung
337
Auch die zweite und bedeutendere Begründungsvariante ist vor allem historisch zu erklären. Die Polemik gegen Abmahnvereine, welche angeblich bloße Bagatellverstöße per A b m a h n u n g sanktionieren, war im Grunde gegen die Durchsetzung des objektiven Lauterkeitsrechts überhaupt gerichtet. 1 7 1
Dies
wurde nur teilweise offen gesagt, 1 7 2 schwingt aber oft zwischen den Zeilen mit. Wenn etwa ein Rechtsmißbrauch von einem Oberlandesgericht damit begründet wird, daß die inkriminierten Gesetzesverstöße zwar eindeutig vorlägen, aber trotzdem »für die Öffentlichkeit nur von geringem Interesse« seien, 1 7 3 so m u ß man daraus folgern, daß den Richtern dieses materielle Recht eher unbequem oder irrelevant erschien. Angesichts der teilweise pedantisch und bürokratisch anmutenden Auswüchse des seinerzeit geltenden Lauterkeitsrechts ist diese Einstellung nur zu verständlich. Auch die Gesetzesmaterialien zur U W G - R e f o r m können in dieser Richtung gedeutet werden. Sowohl der SPD-Entwurf von 1 9 8 3 als auch der spätere Entwurf der damaligen Regierungskoalition sahen ursprünglich vor, einen Anspruch auf Kostenerstattung für die erste A b m a h n u n g ganz auszuschließen. 1 7 4 Z u r Begründung wurde angeführt, daß derartige Abmahnungen zumindest bei »geringfügigen«
Gesetzesverstößen
generell unerwünscht
seien. 1 7 5
Wohlge-
merkt k a m es in diesen Entwürfen noch nicht auf die M o t i v a t i o n des Abmahnenden an. Erst nach Protesten der klageberechtigten Verbände einigte sich der Rechtsausschuß des Bundestages auf die Mißbrauchsregel, die später als § 1 3 Abs. 5 U W G a.F. Gesetz wurde und dem heutigen § 8 A b s . 4 U W G entspricht. 1 7 6 M i t dieser motivabhängigen Unterscheidung zwischen ehrenwerten und mißbräuchlichen Abmahnungen sollte offensichtlich den als seriös angesehen Verbänden vermittelt werden, daß ihre Tätigkeit von der Gesetzesänderung nicht betroffen sei. Ausgangspunkt war jedoch der Wunsch, daß »geringfügige« Gesetzesverstöße nicht mehr gerügt werden sollten. Dieses Ziel wäre allerdings eher auf der Ebene des materiellen Rechts erreichbar gewesen, indem der Gesetzgeber das U W G auf die als wirklich relevant empfundenen Verstöße beschränkt hätte.177 Z u dieser Kraftanstrengung einer Neuregelung des U W G einschließlich der lauterkeitsrechtlichen Generalklausel war der damalige Gesetzgeber jedoch Ebenso die Analyse bei Beater, a.a.O. 799; Kur, GRUR 1981, 558, 561. So jüngst bei Zeppernick, Vorsprung durch Rechtsbruch 54f.: Die lauterkeitsrechtliche Fallgruppe des »Vorsprungs durch Rechtsbruch« bedürfe der Einschränkung, um das objektive Recht nicht zu sehr durchzusetzen. 1 7 3 OLG Karlsruhe 8.5. 1985, WRP 1986, 49, 50. 1 7 4 Gesetzentwurf der SPD-Fraktion, BT-Drs. 10/80, 8; Gesetzentwurf der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion, BT-Drs. 10/4741, 17. 1 7 5 BT-Drs. 10/4741, 17. 1 7 6 Vgl. den Bericht des Rechtsausschusses in BT-Drs. 10/5771, 22. 1 7 7 In diesem Sinne bereits Münchener Kommentar BGB/Gerlach (3. Aufl.), Rn.58 vor § 13 AGBG; ebenso in der 4. Aufl. Micklitz, R n . 7 9 vor § 13 AGBG. 171
172
338
4. Kapitel:
Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
nicht in der Lage. Stattdessen versuchte er das Problem des in seiner richterrechtlichen Entwicklung zu strikt gewordenen U W G auf der Verfahrensebene zu lösen, indem die Kontrollbefugnisse der Verbände und damals auch der Wettbewerber von ihrer jeweiligen Motivation abhängig gemacht wurden. Diese Lösung war und ist jedoch ungeeignet, weil sie auch bei gravierenden und gesellschaftlich bedeutsamen Gesetzesverstößen die Kontrollmöglichkeit abschneidet, wenn nur die Motivation des jeweiligen Klageberechtigten das finanzielle Eigeninteresse ist. Das Problem des als Überregulierung empfundenen richterrechtlich geprägten U W G ist nunmehr aber vom Gesetzgeber umfassend materiell-rechtlich gelöst worden, indem ein völlig neues Gesetzeswerk geschaffen wurde. Es kodifiziert die bisherige Rechtsprechung dort, wo sie vom Gesetzgeber für sinnvoll gehalten wird, und schneidet an anderen Stellen gewisse alte Zöpfe ab. 1 7 8 Bagatellsachen sind bereits materiell-rechtlich nicht als Gesetzesverstöße anzusehen, da sie unerheblich im Sinne von § 3 U W G sind. Für einer weitere Korrektur auf verfahrensrechtlicher Ebene in Form des Mißbrauchstatbestands gibt es daher heute keinerlei Anlaß mehr.
2. Die positivierten Mißbrauchsregeln in U W G und UKlaG Somit muß man die geltenden Mißbrauchstatbestände der § § 8 Abs.4 UWG, 2 Abs. 3 UKlaG als Relikte einer überholten lauterkeitsrechtlichen Diskussion ansehen. Eine eigenständige Begründung für die Regelung des § 8 Abs. 4 U W G oder gar eine Bilanz nach acht Jahren Mißbrauchstatbestand - findet man auch in den Gesetzgebungsmaterialien zur UWG-Reform nicht. Dort wird nur darauf verwiesen, daß keine Änderung gegenüber § 1 3 Abs. 5 U W G a.F. beabsichtigt ist. 1 7 9 Will man diese Mißbrauchstatbestände de lege lata interpretieren, so darf der kompensatorische Zweck der Verbandsklage, also die Durchsetzung des objektiven Rechts, nicht außer Betracht bleiben. Dieser Zweck schließt es aus, bei der Interpretation von § § 8 Abs.4 UWG, 2 Abs. 3 UKlaG ausschließlich auf die M o tive des Klägers abzustellen. 1 8 0 Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift, welche das Mißbrauchsverdikt von der »Berücksichtigung der gesamten Umstände« abhängig macht. Die Absicht der Einnahmeerzielung ist nur ein Regelbeispiel des Mißbrauchs, und auch nur dann, wenn sie »vorwiegender« Zweck ist. 1 7 8 Zu dieser »Liberalisierung und Modernisierung« des Lauterkeitsrechts vgl. Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Ke/fer, U W G , Einl. A Rn. 18 ff. 1 7 9 BMJ-Referentenentwurf U W G v. 2 3 . 1 . 2 0 0 3 , 4 4 ; Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 1 5 / 1 4 8 7 , 2 3 . 180 Yg| Forderung nach einer »Gesamtwürdigung« bei Hefermehl/KöWer/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 8 U W G R n . 4 . 1 2 .
VI. Unzulässige
Rechtsausübung
339
Sowohl die Einbeziehung aller relevanten Umstände als auch das Merkmal »vorwiegend« zwingen also zu einem AbwägungsVorgang, dessen Ergebnis erst über das Vorliegen eines Mißbrauchs entscheidet. So muß eine Einnahmeerzielungsabsicht jedenfalls dann zulässig sein, wenn sie - etwa bei einem »seriösen« Verbraucherschutzverband - der Finanzierung einer insgesamt nützlichen Verbandstätigkeit dient. Wegen der notwendigen Gesamtwürdigung kann es auch nicht als mißbräuchlich bezeichnet werden, wenn ein Verstoß von großer Tragweite und großer wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Bedeutung gerügt wird, selbst wenn dies aus Sicht des Klageberechtigten im wesentlichen zur Erzeugung von Rechtsanwaltsgebühren dient. Für eine solche Interpretation spricht auch die oben bereits angesprochene Gesetzesgebungsgeschichte, in welcher der Mißbrauchsvorwurf stets auf »geringfügige« Rechtsverstöße bezogen wird. Insgesamt ist daher im Rahmen der §§8 Abs.4 UWG, 2 Abs. 3 UKlaG die eigennützige Motivation des Klägers gegenüber der Bedeutung des gerügten Verstoßes abzuwägen. Ist der Verstoß sehr bedeutend, so kann eine eigennützige Motivation des Klägers wegen ihrer rechtsdurchsetzenden Wirkung eher hingenommen werden. Ist der gerügte Verstoß dagegen nur vergleichsweise geringfügig, so muß der Kläger nach geltendem Recht zumindest auch von gemeinnützigen Motiven beseelt sein.
3. Popularklage und Verhältnismäßigkeit Diese Interpretation der §§8 Abs.4 UWG, 2 Abs. 3 UKlaG als Abwägungsnormen rückt diese allerdings wieder in die Nähe der allgemeinen Grundsätze des Rechtsmißbrauchs. Insbesondere ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch für die zivilrechtliche Rechtsausübung von Bedeutung. In diesem Zusammenhang ist etwa das Prinzip formuliert worden, daß die Rechtsausübung der einen Partei und die damit verbundenen Folgen nicht völlig außer Verhältnis zum Verhalten der anderen Partei stehen dürfen. 1 8 1 Dies gilt jedenfalls für solche zivilrechtlichen Kompetenzen, die - wie auch die Populär- und Verbandsklage - als Reaktion auf ein Fehlverhalten des jeweiligen »Gegners« gewährt sind. Auf geringfügiges Fehlverhalten könne daher nicht mit einer schwerwiegenden Sanktion reagiert werden. 182 Auch die Populär- und Verbandsklageberechtigung unterliegt diesem Grundsatz. Es kommt insoweit nicht darauf an, ob man diese Kompetenzen mit der herrschenden Aufffassung als materiell-rechtliche Ansprüche oder - wie hier als eher aktionenrechtliche Kompetenzen betrachtet. Im Sinne der hier vertretenen Auffassung muß man allerdings die Frage nach der unzulässigen Rechtsausübung als Frage der Zulässigkeit der Klage verstehen. Darin liegt aber keine Ab181 182
Vgl. BGH 2.10. 1985, BGHZ 96, 88, 92f. Dazu Staudinger//. Schmidt (1995), § 2 4 2 Rn.779ff.
340
4. Kapitel: Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
weichung von der bisherigen Rechtsprechung. 1 8 3 Es ginge jedenfalls nicht an, aus dem mißbräuchlichen Verhalten eines Klägers eine Klagabweisung in der Sache abzuleiten, die dann gegen alle anderen Populär- oder Verbandsklageberechtigten wirkte. Siedelt man das Problem der unzulässigen Rechtsausübung im Bereich der Zulässigkeit einer Klage an, so wird es identisch mit der Frage nach dem allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis. 1 8 4 D a es bei der Populär- und Verbandsklage um die Durchsetzung des objektiven Rechts und nicht um den Schutz der Rechte des Klägers geht, ist diese Frage dahingehend zu präzisieren, o b und wann es Fälle gibt, in denen die Belastung des Beklagten durch den Prozeß gegenüber dem Interesse an der Durchsetzung des objektiven Rechts unverhältnismäßig groß ist. Allerdings ist dieses Problem der Sache nach bereits durch die Voraussetzungen des »nicht unerheblichen« Verstoßes in § 3 U W G und des »Interesses des Verbraucherschutzes« in § 2 U K l a G ausreichend berücksichtigt. Soweit die konkrete Klageberechtigung keine derartige Schwelle enthält, mag m a n auf das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis zurückgreifen. Dies wird allerdings nur in Ausnahmefällen fehlen, da man grundsätzlich von einem Interesse an der Durchsetzung sämtlicher N o r m e n des objektiven Rechts ausgehen muß. Allenfalls bei Bagatellen von singulärem Charakter mag ein zivilprozessuales Aufgreifen der Sache durch Populär- und Verbandskläger unverhältnismäßig sein. Der bloße Vergleich der Kosten eines Prozesses mit dem möglicherweisen geringeren Wert des Streitgegenstands k a n n jedoch noch nicht zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses führen, da dies einer Rechtsverweigerung g l e i c h k ä m e . 1 8 5
VII.
Sachverhaltsermittlung
Hinsichtlich der Sachverhaltsermittlung im Populär- und Verbandsklageverfahren hat sich in der Bestandsaufnahme insbesondere im Lauterkeitsrecht und bei der Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen das gemeinsame Problem der Ermittlung von N o r m t a t s a c h e n gezeigt. 1 8 6 Dieses Problem ist in der prozeßrechtlichen Literatur bereits ausführlich behandelt worden, und alle einschlägigen Untersuchungen haben die besondere Rolle von N o r m - oder - je nach Terminologie - Rechtsfortbildungstatsachen im Zivilprozeß bestätigt. 1 8 7 Allerdings haben die in diesem ausführlichen Schrifttum gewonnen Erkenntnisse bisher Siehe oben, S.108. Erman/Hohloch, BGB, §242 Rn.53. 185 Dazu - allerdings im Hinblick auf die Durchsetzung individueller Rechte - Werner, in: Symposium 100 Jahre Staudinger 48, 52ff. 186 Siehe oben, S . l l l f f . und 166ff. 1 8 7 Insbesondere Seiter, FS Fritz Baur 573ff.; E. Schmidt, FS Wassermann 807ff.; Rüßmann, KritV 1991,402ff.; Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung 348 ff.; Sander, Normtatsachen im Zivilprozeß. 183
184
VII.
Sachverhaltsermittlung
341
noch keinen nennenswerten Eingang in die führenden Kommentare und Lehrbücher gefunden. 188 Auch die Rechtsprechung ignoriert die Problematik weitgehend. 189 Das Problem der Ermittlung von Normtatsachen ist daher mit Recht als »vernachlässigtes methodisches Problem« 190 bezeichnet worden. Angesichts dieser Vernachlässigung erscheint für die vorliegende Untersuchung eine erneute Befassung mit dieser Materie angezeigt, wenngleich für eine vertiefte Befassung auf die vorliegenden Monographien verwiesen werden muß. 191 Immerhin ist das Problem der Normtatsachen kein Spezifikum der Populär- und Verbandsklage, sondern es kann in allen Zivilprozessen auftreten. 192 Wenn diesem Thema also hier doch ein kurzer Abschnitt gewidmet ist, so ist dies dem Umstand geschuldet, daß das Problem der Normtatsachen im Populär- und Verbandsklageverfahren besonders virulent ist. 1. Normtatsachen und Subsumtionstatsachen a)
Terminologie
Mit dem Begriff der Normtatsachen soll eine Kategorie genereller Tatsachen bezeichnet werden, deren zivilprozessuale Behandlung sich von Einzeltatsachen unterscheidet. 193 Allerdings werden für dasselbe Phänomen auch andere Begriffe vorgeschlagen, insbesondere jene der Rechtsfortbildungstatsachen 194 und der legislative factsX9S. Der letztere Begriff erscheint für die Erörterung eines in der Judikative auftretenden Phänomens nicht unbedingt geeignet. Allerdings verweist er auf die Vorstellung, daß generelle Tatsachen nicht bei der Anwendung einer bereits feststehenden Norm benötigt werden, sondern bei der Schaffung einer neuen Norm. Auf dieser Überlegung gründet auch der Begriff der Rechtsfortbildungstatsache: Diese Ermittlung dieser Tatsachen sei »Bestandteil der Gewinnung einer neuen Rechtsregel im Wege einer richterlichen Rechtsfortbildung«. 196 Es ist daher nur konsequent, daß legislative facts und Rechtsfortbildungstatsachen im wesentlichen als Synonyme verwendet werden. 197
1 8 8 Vgl. allerdings inzwischen die Erörterung des Problems bei Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 755. 1 8 9 Siehe zuletzt BGH 2 7 . 1 1 . 2003, GRUR 2 0 0 4 , 2 4 6 , 2 4 7 (Verbandskläger habe allgemeine Marktverhältnisse darzulegen und zu beweisen, aus denen sich der Vorwurf der irreführenden Werbung ergebe). 190 Hergenröder, a.a.O. 351. 191 Sander, a.a.O.; Hergenröder, a.a.O. 348ff. 1 9 2 Vgl. etwa die Fallanalysen zur Produkthaftung bei Sander, a.a.O. 231 ff. 193 Sander, a.a.O. 5.; E. Schmidt, FS Wassermann 807ff. 194 Seiter, FS Fritz Baur 573ff.; Hergenröder, a.a.O. 348ff. 195 pfjjljppi^ Tatsachenfeststellungen des Bundesverfassungsgerichts 7 m.w.N. 196 Seiter, FS Baur 573, 574. 1 9 7 Ebd.
342
4. Kapitel: Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
Der Begriff der Normtatsache enthält demgegenüber eine etwas veränderte Nuance, weil er sich nicht ausschließlich auf die Rechtsfortbildung im Sinne der Schaffung neuer Normen bezieht, sondern auf jegliche »Operationalisierung von Rechtsnormen« bei »unvollständiger Programmierung« durch den Gesetzgeber. 198 Er umfaßt daher auch den Datenbedarf, der schon bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe entstehen kann. 1 9 9 Einen sachlichen Unterschied zwischen Rechtsfortbildungstatsachen und Normtatsachen kann man daher nur dann ausmachen, wenn man zwischen Rechtsanwendung durch Auslegung einerseits und Rechtsfortbildung andererseits trennt. Für eine solche Trennung wird angeführt, daß sich die Auslegung des Rechts nur auf einen Einzelfall beziehe, während durch Rechtsfortbildung eine neue - wenn auch richterrechtlich entwickelte - Norm mit allgemeiner Geltung geschaffen werde. Daher sei auch der Datenbedarf unterschiedlich: Die einzelfallbezogene Auslegung erfordere jeweils neue Daten, während bei der Rechtsfortbildung nur einmal die notwendigen Meta-Daten ermittelt werden müßten, um die so entwickelte Norm später nur noch anzuwenden. 200 Diese Unterscheidung ist möglich, aber nicht zwingend. Immerhin kann auch die im Einzelfall erforderliche Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs weitreichende Folgen für spätere Fälle haben; man denke nur an eine Uberprüfung einzelner Klauseln der AGB-Banken auf »unangemessene Benachteiligung« im Sinne von § 3 0 7 Abs. 1 Satz 1 BGB. Andererseits ist auch eine richterliche Rechtsfortbildung formal nur für den entschiedenen Einzelfall bindend; spätere Wirkungen hängen von der faktischen Bereitschaft der Gerichte ab, derartigen Entwicklungen zu folgen. 201 Auch in der Methodenlehre ist es umstritten, ob man wirklich zwischen richterlicher Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung unterscheiden kann. 2 0 2 Angesichts dieser Abgrenzungsprobleme wird im folgenden ein weiter Begriff der Normtatsachen verwendet, der sowohl den Datenbedarf bei der Auslegung existierender wie auch bei der richterrechtlichen Schaffung neuer Normen bezeichnet. b) Unterscheidung zwischen Norm- und
Einzeltatsachen
Probleme gibt es allerdings auch bei der für die Lehre von den Normtatsachen grundlegenden Scheidung zwischen diesen und den Einzel- oder Subsumtionstat-
198
E. Schmidt, FS W a s s e r m a n n 807, 811. Ebd. 200 Sander, a . a . O . 150f.; kritisch zu dieser Unterscheidung Hergenröder, Z Z P 113 (2000) 120, 122. 201 Hergenröder, ebd. 202 Für eine solche Unterscheidung als Gebot der Methodenehrlichkeit Rüthers, Rechtstheorie 5 1 5 ff.; dagegen etwa Larenz/Canaris, M e t h o d e n l e h r e der Rechtswissenschaft 187ff. 199
VII.
Sachverhaltsermittlung
343
s a c h e n . 2 0 3 Dieser Unterschied wird teilweise darin gesehen, daß Subsumtionstatsachen sich auf einzelne Personen oder Sachen beziehen, während N o r m t a t s a chen jeweils eine ganze Klasse von Personen oder Sachen betreffen. 2 0 4 Dagegen kann man jedoch einwenden, daß auch solche Fakten, die nur für den Einzelfall benötigt werden, sich oft auf allgemeine empirische Erkenntnisse stützen. Daher sei eine strenge logische Trennung zwischen Subsumtions- und Normtatsachen nicht möglich. Vielmehr müsse eine funktionale Trennung in pragmatischer Absicht vorgenommen werden, um den angemessenen Anwendungsbereich der auf die Rekonstruktion von Einzelsachverhalten zugeschnittenen prozeßrechtlichen Regeln abzustecken. 2 0 5 Eine funktionale Unterscheidung in diesem Sinne wird von mehreren Autoren unter Bezug auf den juristischen Syllogismus vorgenommen. N o r m t a t s a c h e sei danach das, was zur Bildung des Obersatzes erforderlich sei, also zur Konkretisierung oder Findung der jeweils anzuwendenen R e c h t s n o r m . 2 0 6 Eine solche Verortung der N o r m t a t s a c h e n im allgemeinen und damit auf der Ebene der Normkonkretisierung findet auch statt, wenn sie als der »sozialempirische Hintergrund« der konkreten Konfliktlösung bezeichnet w e r d e n . 2 0 7 Diese Zuordnung der Normtatsachen zur Ebene der Rechtsfindung und -konkretisierung mag logisch nicht unbedingt zwingend sein, doch dies ist auch bei der allgemeinen Unterscheidung zwischen Tatsachen und Rechtsfragen nicht der Fall. So ist etwa die Frage, o b ein Gesetz im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde, aus erkenntnistheoretischer Sicht ohne weiteres als empirische Frage einzuordnen, als Frage nach dem Sein und nicht nach dem Sollen. Trotzdem handelt es sich aus prozeßrechtlicher Sicht ebenso eindeutig um eine Rechtsfrage, die vom Richter von Amts wegen zu überprüfen ist. 2 0 8 D e r Grund dafür ist auch hier die Zuordnung zur Ebene der Rechtsfindung, denn die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt ist gemäß Art. 8 2 G G Voraussetzung für die Geltung einer Rechtsnorm. D a also das Prozeßrecht auch hier nicht nach strengen erkenntnistheoretischen Kriterien zwischen Rechts- und Tatsachenfragen unterscheidet, erscheint es nur folgerichtig, auch Einzeltatsachen und Subsumtionstatsachen entsprechend ihrer Funktion zu unterscheiden. 2 0 9 N o r m t a t s a c h e n können daher für die Z w e c k e dieser Untersuchung als Tatsachen mit normbegründender oder normkonkretisierender Funktion verstanden werden. M i t dem Begriff der Subsumtionstatsachen soll dagegen das jeweilige Einzelgeschehen bezeichnet werden,
203
204
205
Kritisch dazu Küßmann, Philippi, a.a.O. 7.
KritV 1991, 402, 4 0 4 .
Rüßmann, KritV 1991, 402, 404 f.
Seiter, FS Fritz Baur 573, 575; Hergenröder, Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht 88. 206
207 208 209
E. Schmidt, FS Wassermann 807, 811. Darauf verweist Rüßmann, Ebd. 4 0 4 .
a.a.O. 351; Sander, a.a.O. 142 und 147;
KritV 1991, 402, 4 0 3 .
344
4. Kapitel: Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
auf welches die so entwickelten oder konkretisierten Normen angewandt werden müssen. c) Normtatsachen
im
Individualprozeß
In der bisher vorliegenden Literatur zum Problem der Normtatsachen ist bereits dargelegt worden, daß diese »in der gesamten Bandbreite des zivilistischen Rechtssystems vorkommen und daß sie in jedem Amts- oder Landgericht als zivilrechtlicher Eingangsinstanz jederzeit zur Entscheidung anstehen können.« 2 1 0 Um Normtatsachen handelt es sich etwa bei der Heranziehung von Durchschnittszinssätzen der Banken zwecks Uberprüfung eines Darlehensvertrages am Maßstab des § 138 BGB, bei der Feststellung von Handelsbräuchen im Sinne des § 346 HGB oder bei der Ermittlung der Regeln der ärztlichen Kunst als Konkretisierung des §276 Abs. 1 Satz 2 BGB in einem Arzthaftungsprozeß. 211 In allen diesen Fällen ist zunächst ein empirischer Hintergrund zu klären, ohne den die einschlägigen Rechtsnormen nicht ausreichend konkretisiert werden können. So muß etwa in einem Arzthaftungsprozeß zunächst festgestellt werden, welche Behandlungsmethoden für die fragliche Krankheit überhaupt zur Verfügung stehen. Ohne einen derartigen empirischen Überblick über vorhandenes Wissen und verfügbare Techniken kann der Obersatz - nämlich die jeweils zu beachtende »Regel der ärztlichen Kunst« - nicht sinnvoll formuliert werden. Daher handelt es sich bei diesen Feststellungen um die Feststellung von Normtatsachen im oben beschriebenen Sinne. Erst wenn aufgrund der so gewonnen Erkenntnisse eine Regel formuliert wird, kann anhand der festzustellenden Einzeltatsachen nämlich dem konkreten Zustand des betroffenen Patienten und dem Verhalten des Arztes - überprüft werden, ob die Regel eingehalten wurde oder nicht. 212 d) Normtatsachen
im Populär- und
Verbandsklageverfahren
Im Grundsatz gilt für die hier untersuchten Populär- und Verbandsklageverfahren nichts anderes. Auch in den von ihnen berührten Rechtsbereichen gibt es regelmäßig einen sozialempirischen Datenbedarf zur Normkonkretisierung. Dies wurde bereits in der Bestandsaufnahme deutlich, wenn etwa der »Stand der Technik« gemäß § 3 Abs. 1 PatG, eine Täuschungsgefahr gemäß § 49 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG, eine Gefahr der Irreführung gemäß § 5 Abs. 1 UWG oder die branchenspezifischen Bedingungen im Hinblick auf § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ermittelt werden müssen. Es macht aber insoweit keinen Unterschied, ob diese Rechtsnor-
210
Sander, a . a . O . 39. Diese und weitere Beispiele ebd. 2 1 ff.; speziell zum A r z t h a f t u n g s p r o z e ß 5 6 f f . 212 Vgl. zum professionellen Standard als entscheidender Rechtsfrage im Arzthaftungsprozeß Katzenmeier, Arzthaftung 277ff. 211
VII.
345
Sachverhaltsermittlung
men im Prozeß um individuelle Ansprüche oder im Populär- und Verbandsklageverfahren angewandt werden. Das Besondere der hier untersuchten Klagekompetenzen liegt jedoch darin, daß bei ihnen die Einzeltatsachen nur noch eine sehr geringe Bedeutung haben. Dies wird gerade bei den praktisch wichtigsten Verbandsklagekompetenzen der § § 8 Abs. 1 U W G , 1 UKlaG deutlich. Im lauterkeitsrechtlichen Verbandsklageprozeß ist nur selten streitig, ob eine bestimmte Werbemaßnahme oder ein bestimmtes Wettbewerbsverhalten des beklagten Unternehmers tatsächlich stattgefunden hat. Streitig ist dagegen meistens, ob das fragliche Verhalten unlauter ist oder ob die jeweilige Werbemaßnahme irreführend ist. Das sind aber Rechtsfragen, zu deren Beantwortung eine Normkonkretisierung im bereits geschilderten Sinne notwendig ist. Es ist daher nur folgerichtig, daß der Bundesgerichtshof die Beschaffung der erforderlichen sozialempirischen Daten - etwa der einschlägigen Verkehrsauffassung - als Aufgabe des Gerichts ansieht. 2 1 3 Auch bei der Verbandsklage gemäß § 1 UKlaG steht die Ermittlung der Einzeltatsachen fast nie im Zentrum der richterlichen Tätigkeit. Die Tatsache, daß bestimmte Geschäftsbedingungen verwendet oder empfohlen wurden, ist regelmäßig unstreitig. Entscheidend ist dagegen, ob diese Geschäftsbedingungen unwirksam sind, was - je nach Unwirksamkeitsgrund - die Ermittlung sozialempirischer Hintergrunddaten voraussetzt. Nur die gemäß § 3 0 9 B G B geltenden strikten Klauselverbote können umstandslos als subsumtionsfähige Obersätze übernommen werden und mit den streitgegenständlichen Klauseln verglichen werden. 2 1 4 Schon bei den wertungsabhängigen Klauselverboten des § 3 0 8 B G B und erst recht bei der Generalklausel des § 3 0 7 B G B ist das Gericht auf branchenspezifische Hintergrundinformationen angewiesen, welche eine Konkretisierung der jeweiligen Normen erst ermöglichen. 2 1 5 Auch im Individualprozeß mag es auf derartige Fragen der Wirksamkeit Allgemeiner Geschäftsbedingungen ankommen, aber zu ihnen gesellen sich häufig noch Fragen der Einbeziehung der A G B gemäß § 3 0 5 Abs. 2 B G B oder die Frage nach angeblichen abweichenden Individualabreden gemäß § 3 0 5 b BGB. Die Beantwortung dieser Fragen hängt von Einzeltatsachen ab und gehört daher auch nicht
in
den
Anwendungsbereich
der
Verbandsklagekompetenz
des
§1
U K l a G . 2 1 6 Zusammenfassend läßt sich daher festhalten, daß Populär- und Verbandsklagekompetenzen typischerweise die Ermittlung von Normtatsachen in erheblichem Umfang voraussetzen, während dagegen die Ermittlung einzelner Subsumtionstatsachen kaum ins Gewicht fällt. Dieses Übergewicht der Normtatsachen entspricht auch dem Charakter dieser Kompetenzen als kompensatorische Instrumente der objektiven Rechtskontrolle. Sie dienen nicht der Durchset213 214 215 216
BGH 2 . 1 0 . 2 0 0 3 , B G H Z 156, 2 5 0 , 2 5 5 , dazu oben, S. 112ff. Dazu und zum folgenden E. Schmidt, FS Keller 6 6 1 , 665ff. Siehe oben, S.166ff. Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 13 R n . 7 .
346
4. Kapitel:
Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
zung individueller Rechte, sondern des objektiven Rechts. Daher steht bei ihnen auch die Konkretisierung des objektiven Rechts im Vordergrund und nicht die Bearbeitung singulärer Sachverhalte.
2. Ermittlung von Normtatsachen Dies wirft allerdings die Frage auf, auf welche Weise die zur Normkonkretisierung erforderlichen Normtatsachen in den Prozeß eingeführt werden und wie mit empirischen Unklarheiten umzugehen ist. Auch hier ist zunächst auf die ausführliche Literatur zu verweisen, die dieses Problem mit Geltung für alle Zivilprozesse untersucht hat. 2 1 7 Angesichts der besonderen Bedeutung der Normtatsachen im Verbandsklageverfahren ist es aber erstaunlich, daß selbst in diesem Bereich diese Untersuchungen von der maßgeblichen Kommentar- und Lehrbuchliteratur kaum rezipiert wurden. Diese verweist vielmehr auch für die Tatsachenfeststellung im Verbandsklageverfahren umstandslos auf den Verhandlungs- oder Beibringungsgrundsatz. 218
a) Zum Geltungsgrund
der
Verhandlungsmaxime
Dieser Grundsatz kann aber nur dann auf das Popular-oder Verbandsklageverfahren übertragen werden, wenn seine Begründung auch in diesem Bereich paßt. Als Geltungsgründe der Verhandlungsmaxime werden heute im wesentlichen zwei Argumente angeführt, welche man als ideologische und als pragmatische Begründungen bezeichnen kann. Die ideologische Begründung des Verhandlungsgrundsatzes besteht darin, daß dieser als Konsequenz oder prozessuales Korrelat der materiell-rechtlich gewährleisteten Privatautonomie dargestellt wird. 2 1 9 Diese Begründung ist jedoch schon für den über individuelle Rechte geführten Zivilprozeß nur schwer nachvollziehbar. 220 Privatautonomie im Sinne der Selbstbestimmung über die eigenen Rechtsverhältnisse 221 ist nicht gleichzusetzen mit der Herrschaft über den vom Gericht zu berücksichtigenden Tatsachenstoff. Für die Fälle des einseitigen unwahren Vortrags paßt der Gedanke der Privatautonomie schon im Ansatz nicht, denn diese schließt wohl kaum ein Recht zur Lüge oder zum Betrug ein. Aber auch der Konsens der Parteien über einen wahrheitswidrigen Tatsachenvortrag -
Siehe die Nachweise oben in Fn. 187. So etwa V/oWHorn/Lindacher, AGBG, § 15 Rn. 3; E r m a n / R o l o f f , § 5 UKlaG Rn. 1. 2 1 9 Rosenberg/Schwab/GoiiwaW, Zivilprozeßrecht 4 8 2 . Vgl. auch Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts 164: Da die Parteien im Zivilprozeß über ihre Rechte disponieren können, sei es »interessengerecht, ihnen auch die Verantwortung zur Beschaffung des entscheidungserheblichen Tatsachenmaterials aufzubürden.« 2 2 0 Ausführlich dazu E. Schmidt, DuR 1984, 24, 30ff. 2 2 1 BVerfG 7 . 2 . 1990, BVerfGE 81, 2 4 2 , 2 5 4 . 217 218
VII.
Sachverhaltsermittlung
347
also der simulierte Sachverhalt - kann nicht als Konsequenz der Privatautonomie erklärt und gerechtfertigt werden. Eine derartige Faktensimulation dient entweder der Umgehung der Gesetze - etwa um eine höchstrichterliche Klärung ohne wirklichen Streitfall herbeizuführen, was dem geltenden Zivilprozeßrecht widerspricht 2 2 2 - oder der kollusiven Schädigung Dritter. Beides hat nichts mit dem R e c h t zur privatautonomen Gestaltung der eigenen Lebensverhältnisse zu tun. Hinzu k o m m t , daß Art. 2 0 Abs. 3 G G die Judikative an R e c h t und Gesetz bindet, und die Gesetze wollen auf diejenigen Fakten angewandt werden, für die sie geschaffen wurden. Eine Anwendung des Gesetzes auf einen falschen - weil von den Parteien erfundenen - Sachverhalt wäre daher gesetzeswidrig. 2 2 3 Die ideologische Begründung des Beibringungsgrundsatzes ist daher schon mit Blick auf den normalen Zivilprozeß höchst fragwürdig. Für die hier zu untersuchenden Verfahren paßt sie aber bereits nach ihrer eigenen Logik nicht. Die Popular- oder Verbandsklageberechtigung enthält kein subjektives R e c h t , welches der privatautonomen Verfügung unterworfen wäre. Sie soll stattdessen das objektive Recht durchsetzen, welches aber nicht der Disposition einzelner Prozeßparteien unterliegen kann. Selbst wenn man also von der Dispositionsmöglichkeit auf die Tatsachenherrschaft schließen wollte, so ist dieser Schluß für Popular- und Verbandsklagen mangels Dispositionsbefugnis nicht durchführbar. Auch in der Rechtsvergleichung wird darauf hingewiesen, daß bei im öffentlichen Interesse gewährten Gruppen- oder Verbandsklagen die Ermittlung der relevanten Tatsachen nicht allein den Parteien überlassen werden darf: Since, by definition, more is at stake in the litigation than the private interests of the nominal plaintiff and defendant, litigation to protect intermediate rights must place additional burdens on the court [...] it must at least be the duty of the court to see that it has the information it considers necessary to the proper consideration and decision of the questions raised, for its role is more than the mere resolution of a dispute between the parties. 2 2 4 Die pragmatische Variante der Begründung des Verhandlungsgrundsatzes unterwirft den Tatsachenstoff allerdings nicht der völligen Herrschaft der Parteien. Stattdessen geht man davon aus, daß die Parteien regelmäßig diejenigen sind, die den relevanten Tatsachen am nächsten stehen und daher auch am besten geeignet sind, sie vorzutragen und zu beweisen. 2 2 5 Statt eines Rechts der Parteien wird also hier eher eine aus der Sachnähe begründete Pflicht der Parteien statuiert, nach Kräften zur Wahrheitsfindung beizutragen. Diese Begründung des Beibringungsgrundsatzes ist auch mit dem Gesetzestext eher vereinbar, der in § 1 3 8
Dazu Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung 316ff. E. Schmidt, DuR 1984, 24, 28. 224 Jolowicz, in: Habscheid (Hrsg.) Effektiver Rechtsschutz und verfassungsmäßige Ordnung (Diskussionsberichte) 67. 225 Gaul, AcP 168 (1968) 27, 50. 222 223
348
4. Kapitel: Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
Abs. 1 Z P O zum wahren Vortrag verpflichtet und kein Recht zur einseitigen oder einvernehmlichen Verfälschung der Tatsachen enthält. Allerdings paßt auch die pragmatische Begründung des Verhandlungsgrundsatzes nicht zur Populär- oder Verbandsklage, soweit es um die Ermittlung von N o r m t a t s a c h e n geht. Z u diesen hat ja keine der Parteien einen privilegierten Zugang, sondern es handelt sich um Sozialempirie, die von jedermann betrieben werden kann, der mit entsprechendem Sachverstand ausgestattet ist. Es gibt daher hier keine besondere Sachnähe der Parteien, die eine entsprechende Beibringungspflicht begründen k ö n n t e . 2 2 6 Diese Problematik zeigt sich etwa im Lauterkeitsrecht, wenn der Bundesgerichtshof einem Verbraucherverband die Pflicht auferlegt, daß dieser substantiiert zu den Marktverhältnisse auf dem M a r k t für die vom Beklagten beworbenen Produkte vortragen m ü s s e . 2 2 7 Der klagende Verband steht diesen Informationen (mindestens) ebenso fern wie der beklagte Händler oder das Gericht. D e r Kläger kann die benötigten Daten nur von einem Sachverständigen erheben lassen, welcher aber genauso gut und zu den gleichen Kosten vom Gericht oder gar v o m Beklagten beauftragt werden könnte. Es gibt daher bei Normtatsachen keine strukturell vorgegebene Sachnähe, die im Sinne des pragmatischen Arguments den Beibringungsgrundsatz rechtfertigen könnte. Für die Ermittlung von N o r m t a t s a chen im Populär- oder Verbandsklageprozeß kann daher der Beibringungsgrundsatz weder in seiner ideologischen noch in seiner pragmatischen Begründungsvariante gelten.
b) Untersuchungsmaxime
für
Normtatsachen
Es überrascht daher nicht, daß alle Autoren, die sich näher mit dem Phänomen der N o r m t a t s a c h e n auseinandergesetzt haben, für die Ermittlung derselben den Untersuchungsgrundsatz vorschlagen. 2 2 8 Dieses Ergebnis folgt auch nicht nur negativ aus einer Ablehnung des Beibringungsgrundsatzes, sondern schon dar2 2 6 Anders jedoch Micklitz/Stadler, in: dies. (Hrsg.), Das Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft 1183, 1214. Nach Ansicht dieser Autoren sei der Verhandlungsgrundsatz auch im Verbandsklageverfahren schon dadurch gerechtfertigt, daß der Verband aufgrund seiner »breit angelegten Beratungstätigkeit« die nötigen Informationen beschaffen könne. Das widerspricht allerdings schon der Forderung derselben Autoren, gerade das Erfordernis einer solchen tatsächlichen Beratungstätigkeit abzuschaffen (ebd. 1193). 2 2 7 BGH 2 7 . 1 1 . 2 0 0 3 , GRUR 2 0 0 4 , 246, 247. 228 Seiter, FS Baur 573, 589; E. Schmidt, FS Wassermann 807, 812; Sander, a.a.O. 193; Hergenröder, a.a.O. 401; Röthel, a.a.O. 88; Rosenberg/Schivab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 755; Koch, Verbraucherprozeßrecht 121 (»weitreichende Ermittlungspflichten« des Richters bezüglich Normtatsachen in Verbandsklageverfahren); für »diskutabel« hält die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes im Bereich der Normtatsachen auch Lindacher, ZZP 103 (1990) 397, 406; gegen den Untersuchungsgrundsatz bei Normtatsachen ohne nähere Begründung aber Lakkis, a.a.O. 211 f., die stattdessen die »Möglichkeiten der richterlichen Aufklärungspflicht des § 139 ZPO ausgeschöpft« sehen will.
VII.
Sachverhaltsermittlung
349
aus, daß die Ermittlung von Normtatsachen der Rechtsfindung und Normkonkretisierung zugeordnet wird. Dieses sind aber auch nach herkömmlichen Verständnis originäre Aufgaben des Gerichts, welches das Recht zu kennen hat. Ist das Recht unklar oder unvollständig, so muß das Gericht trotzdem Rechtsschutz gewähren und das Rechtsprogramm selbst mit Hilfe der dazu notwendigen Hintergrunddaten » komplettieren «, 2 2 9 Diese für alle Zivilprozesse geltenden Ergebnisse können und müssen auch auf das Populär- und Verbandsklageverfahren übertragen werden. Gegen den Untersuchungsgrundsatz bei der Ermittlung von Normtatsachen im Verbandsklageverfahren wird jedoch eingewandt, daß dadurch dem Verbandskläger »jede Handlungsautonomie entzogen« werde und er »nicht mehr Herr des Verfahrens« sei. 230 Nach dieser Auffassung soll stattdessen der besondere Charakter der Normtatsachen im Rahmen der Beweislastverteilung berücksichtigt werden. Den Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen treffe daher eine besondere »Begründungslast« dergestalt, daß dieser die »konkret-generellen Branchenbelange« darlegen müsse, die für die jeweilige Klausel sprechen sollen. 231 Dieser Vorschlag stützt sich auf das ideologische Verständnis des Beibringungsgrundsatzes, indem die »Herrschaft über das Verfahren« mit der Herrschaft über die zu berücksichtigenden Fakten identifiziert wird. Der Verbandskläger bleibt jedoch schon deshalb »Herr des Verfahrens«, weil er seine Klage jederzeit - und nach der hier vertretenen Auffassung auch ohne Zustimmung des Beklagten - zurücknehmen kann. 232 Einer Herrschaft über die entsprechenden Fakten bedarf es dazu nicht, und sie wäre auch nicht angemessen. Eine Lösung der Normtatsachenproblematik im Rahmen der Beweislast muß daran scheitern, daß es eine Beweislast bei der Ermittlung von Normtatsachen bei strenger Betrachtung nicht geben kann. Dies ergibt sich aus der oben skizzierten Einordnung der Normtatsachenermittlung in den Obersatz des juristischen Syllogismus. Wenn man Normtatsachen als Teil der richterlichen Rechtserkenntnis oder als »eine zu klärende Vorfrage für den darauffolgenden wertenden Akt richterlicher Programmierung« 233 ansieht, dann darf es dabei nicht zu einem non liquet kommen. 234 Eine Situation der Unmöglichkeit der richterlichen Rechtserkenntnis ist im Prozeßrecht nicht vorgesehen. 235 Sollten trotz richterlicher Ermittlung der einschlägigen Normtatsachen noch Informationsdefizite bestehen, Röthel, a.a.O. 88. Münchener Kommentar HGb/Micklitz, § 15 AGBG Rn.4. 2 3 1 Ebd. Rn.5; ähnlich Bultmann, Verklagen oder Verhandeln? 210. 2 3 2 Siehe oben, S.328. 233 Sander, a.a.O. 210. 2 3 4 Ebd.; Hergenröder, a.a.O. 4 2 8 und 485; insoweit unentschlossen noch Seiter, FS Baur 573, 591, der zwar im Hinblick auf Rechtsfortbildungstatsachen die Möglichkeit eines non liquet erwägt, aber sogleich ergänzt, daß es dem Richter freistehen müsse, die avisierte Rechtsfortbildung auch rein normativ oder mit den ansonsten feststehenden Tatsachen zu begründen. 2 3 5 Vgl. dazu E. Schmidt, FS Keller 661, 671; Hergenröder, a.a.O. 403; Sander, a.a.O. 229. 229
230
350
4. Kapitel: Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
so muß vom Gericht trotzdem eine Norm gebildet werden, anhand derer der Einzelsachverhalt zu beurteilen ist. Bei derartige normtatsächlichen Unklarheiten kann das materielle Recht selbst Anhaltspunkte bieten. Dies ist etwa in § 307 Abs. 2 BGB gemeint, der unter bestimmten Voraussetzungen »im Zweifel« eine unangemessene Benachteiligung durch Allgemeine Geschäftsbedingungen annimmt. Diese Regelung enthält aber keine Beweis- oder Darlegungslast im herkömmlichen Sinne, denn das Gericht darf auch von sich aus Nachforschungen über die für eine Angemessenheit der jeweiligen Klausel sprechenden Sozialdaten anstellen. 236 Die Rede von der »Begründungslast« des beklagten Klauselverwenders ist daher nicht ganz treffend. Zwar ist es in dessen Interesse, das Gericht auf derartige Umstände hinzuweisen, aber die Ermittlungsverantwortlichkeit für die zur Auslegung des § 307 BGB erforderlichen Sozialdaten liegt als Teil der Rechtsfindung beim Gericht. Insgesamt gilt also für die Ermittlung von Normtatsachen bei Populär- und Verbandsklagen ebenso wie im sonstigen Zivilprozeß der Untersuchungsgrundsatz. 237 Das Gericht kann sich dabei derjenigen Beweismittel bedienen, die es nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen für notwendig hält. 238 Feststellungen über Normtatsachen sind als Teil der Rechtsfindung im Revisionsverfahren überprüfbar. 2 3 9
VIII.
Kosten
1. P r o z e ß k o s t e n a) Streitwert der Populär- oder
Verbandsklage
Die Bestandsaufnahme des geltenden Rechts hat gezeigt, daß für fast alle Populär- und Verbandsklagen besondere Regeln zum Streitwert gelten, die sich vornehmlich mit dessen Herabsetzung im Interesse eines wirtschaftlich schwachen Klägers befassen. Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, wie der Streitwert in diesen Verfahren überhaupt zu bestimmen ist, bevor man eine etwaige Herabsetzung vornimmt. Daher soll hier ein Blick auf die allgemeinen Regeln der Streitwertbemessung im Zivilprozeß geworfen werden. Für die Kostenproblematik ist der Gebührenstreitwert entscheidend, welcher gemäß § 48 Abs. 1 GKG nach § § 3 ff. ZPO zu ermitteln ist. Schon angesichts des freien Ermessens, welches dem Gericht in § 3 ZPO hinsichtlich des Streitwerts eingeräumt ist, ist nicht recht klar, warum es besonderer Regeln über eine Streitwertherabsetzung 236
E. Schmidt, FS Keller 6 6 1 , 6 7 1 f . Seiter, FS Baur 5 7 3 , 5 8 9 ; Hergenröder, a.a.O. 401. 238 Seiter, a . a . O . 590; Hergenröder, a.a.O. 4 1 5 f . 239 Seiter, a . a . O . 592; E. Schmidt, FS W a s s e r m a n n 807, 814; Hergenröder, der, a . a . O . 2 2 4 f f . 237
a.a.O. 4 4 7 f . ; San-
VIII.
Kosten
351
bedarf. Es ist daher durchaus nachvollziehbar, daß noch der Referentenentwurf für das neue UWG unter Verweis auf die allgemeinen Regeln ganz auf besondere Streitwertvorschriften verzichtete. 240 Die Lösung des Problems des Streitwerts bei Populär- und Verbandsklagen wird zunächst dadurch gehindert, daß diese Verfahren üblicherweise als vermögensrechtliche Streitigkeiten betrachtet werden, bei denen ein ohne weiteres quantifizierbarer Gegenstandswert vorliegt. 241 Genau dies ist hier aber regelmäßig nicht der Fall. Allerdings ist die Abgrenzung zwischen Vermögens- und nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten schwierig, und ihre Sinnhaftigkeit mag bezweifelt werden. 242 Eine vermögensrechtliche Streitigkeit soll jedenfalls dann vorliegen, wenn der Klagantrag in Geld ausgedrückt ist, in einem vermögensrechtlichen Rechtsverhältnis wurzelt oder die wirtschaftlichen Belange des Klägers schützen soll. 243 Ein auf Geldzahlung gerichteter Klagantrag kann nur im Rahmen des bisher praktisch irrelevanten § 10 UWG vorkommen. Die sonstigen hier untersuchten Populär- und Verbandsklagekompetenzen sind nicht auf Vermögenswerte Leistungen gerichtet und dienen auch nicht dem Schutz von Vermögensinteressen des jeweiligen Klägers. Vielmehr dienen sie dem allgemeinen und nicht quantifizierbaren Interesse an der Durchsetzung des objektiven Rechts. Daher handelt es sich um nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten. 244 Ihr Streitwert ist daher nach §48 Abs. 2 GKG zu bestimmen, der ausreichend flexibel ist, um den Besonderheiten der Sache und den Bedürfnissen der Parteien Rechnung zu tragen. Trotzdem sind gewisse Ausgangswerte für die Praxis unverzichtbar. Der Bundesgerichtshof hat in älteren Entscheidungen versucht, das Allgemeininteresse an der Durchsetzung des objektiven Rechts zu diesem Zweck zu quantifizieren. 245 Dies ist jedoch schon früh auf Kritik gestoßen. Stattdessen wurde die schlichte Anknüpfung an die Streitwertangabe des Klägers vorgeschlagen, welche zumindest als Ausgangspunkt dienen solle. 246 Dagegen spricht allerdings, daß die Bestimmung des Streitwerts und damit die Höhe der Gerichts- und Anwaltsgebühren nicht vom Belieben des Klägers abhängen kann. 2 4 7 In jüngerer Zeit hat der Bundesgerichtshof selbst eine Quantifizierung des an einer Ver240
Bundesministerium der Justiz, Referentenentwurf UWG v. 23.1. 2003, 25. Vgl. etwa Hartmann, Kostengesetze, §48 GKG Rn. 9 und 13, Anhang I zu §48 GKG Rn. 121 m.w.N. 242 Gegen eine unterschiedliche Behandlung von Vermögens- und nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten Gerhardt, FS Ekkehard Schumann 133, 146ff. 243 Ausführlich zu diesen Abgrenzungsvorschlägen Baum, Vermögensrechtliche und nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten im Zivilprozeß 94 ff. 244 Ebenso OLG Karlsruhe 2.4. 1968, WRP 1968, 229, 230 (Verbandsklage ist nichtvermögensrechtliche Streitigkeit). 245 BGH 5.7. 1967, GRUR 1968, 106, 107; BGH 20.5. 1977, M D R 1978, 28; für eine solche Streitwertbestimmung auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 195. 246 OLG München, 30.1. 1974, WP 1974, 171. 247 Ebenso OLG Brandenburg, 8.7. 1997, M D R 1997, 1069, 1070. 241
352
4. Kapitel: Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
bandsklage bestehenden Allgemeininteresses als undurchführbar
abgelehnt.
Stattdessen soll nun das materielle Interesses eines gewichtigen Mitbewerbers des Beklagten ausschlaggebend sein. 2 4 8 Ein eigenes wirtschaftliches Interesse ist jedoch weder Voraussetzung der Populär- oder Verbandsklage, noch gehört die Verletzung solcher Individualinteressen zu ihrem Streitgegenstand. D a h e r entspricht auch der Streitwert nicht dem der Klage eines in eigenen Rechten und Interessen verletzten Mitbewerbers. Die Populär- oder Verbandsklage ist auch keine Addition von Einzelinteress e n . 2 4 9 Eine solche Addition könnte den Streitwert leicht in derartige H ö h e n treiben, daß das Prozeßrisiko für die Klageberechtigten untragbar würde. M a n denke etwa an einen Fall, in dem die Wirksamkeit einer Klausel der A G B - B a n k e n überprüft werden soll. Betrifft eine solche Klausel beispielsweise die Berechnungsmethoden für Vorfälligkeitsentschädigungen bei der vorzeitigen Rückzahlung von Krediten, so kann der »Wert« der addierten Interessen aller potentiell Betroffenen schnell die Obergrenze des § 4 8 Abs. 1 Satz 2 G K G erreichen. Derartig hohe Streitwerte wären k a u m mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vereinbar, nach welcher der Streitwert nicht in solchen H ö h e n angesiedelt werden darf, die einem potentiellen Kläger den Zugang zum Gericht in unzumutbarer Weise erschweren k ö n n t e n . 2 5 0 Daher m u ß auch bei der Bemessung des Gebührenstreitwerts auf das für den Kläger entstehende Kostenrisiko Rücksicht genommen werden. 2 5 1 Insgesamt kann weder ein nicht quantifizierbares Allgemeininteresse noch das materielle Interesse des Klägers oder gar das addierte Interesse aller potentiell betroffenen Personen zur Bestimmung des Streitwerts im Populär- oder Verbandsklageverfahren herangezogen werden. Angesichts dieser Lage ist es angebracht, sich auf die Funktion des Gebührenstreitwerts zu besinnen. Dieser soll eine angemessene Honorierung des Gerichts und der beteiligten Rechtsanwälte sicherstell e n . 2 5 2 Gleichzeitig m u ß die H ö h e der Gebühren auch vorhersehbar sein, um einem Klageberechtigten eine informierte Entscheidung darüber zu ermöglichen, o b er von seiner Klagebefugnis Gebrauch machen will. Daher ist es sinnvoll, für Populär- und Verbandsklagen Regelstreitwerte zu bilden, deren H ö h e nach den bisherigen Vorschlägen im Bereich von 2 . 5 0 0 bis 1 5 . 0 0 0 Euro liegen dürfte. 2 5 3 BGH 5 . 3 . 1998, MDR 1998, 1237. In diesem Sinne zur Streitwertbemessung allerdings Lindacher, M D R 1994, 231, 232: Das Interesse an der NichtVerwendung bestimmter AGB-Klauseln entspreche dem damit zu verhütenden Schaden. 2 5 0 BVerfG 3 1 . 1 0 . 1 9 9 6 , NJW 1997, 3 1 1 , 3 1 2 m.w.N. Zur Verfassungsmäßigkeit von Streitwertherabsetzungen mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers siehe BVerfG 16.1. 1 9 9 1 , N J W - R R 1991, 1134. 2 5 1 BGH 2 7 . 1 . 1994, NJW-RR 1995, 44. 2 5 2 OLG Brandenburg, 8.7. 1997, MDR 1997, 1069,1070. 2 5 5 Vgl. die Vorschläge bei Lindacher, MDR 1994, 321, 232: Regelstreitwert bei Verbandsklage gegen AGB-Verwendung 5000 DM. Das OLG Brandenburg (vorige Fn.) geht bei Ver248
249
VIII.
Kosten
353
Ausgehend von dieser Spanne kann den Besonderheiten des Einzelfalls mit den in § 4 8 Abs. 2 G K G genannten Kriterien noch ausreichend Rechnung getragen werden. Eine komplexe Patentsache wird oberhalb dieses Bereichs anzusiedeln sein, während vergleichsweise einfach gelagerte und nicht besonders bedeutsame Fälle im A G B - und Lauterkeitsrecht am oder unterhalb des unteren Rands liegen.
b) Kosten der Ermittlung
von
Normtatsachen
Hinsichtlich der Kosten einer Populär- oder Verbandsklage ist außerdem die Frage aufgeworfen worden, o b die Kosten der Ermittlung von N o r m t a t s a c h e n - etwa durch Demoskopie oder andere Sachverständigengutachten - der jeweils unterlegenen Partei zur Last fallen s o l l e n . 2 5 4 Gegen eine derartige Kostenbelastung sprechen sowohl dogmatische als auch pragmatische Gründe. In dogmatischer Hinsicht ist die Ermittlung von N o r m t a t s a c h e n als Rechtsermittlung und Auslegung der Rechtsnormen einzuordnen. Daraus folgt aber, daß die Kosten dieser Rechtsermittlung ebensowenig den Parteien aufzubürden sind wie der K a u f des Gesetzbuches für den Richter. 2 5 5 Diese Erwägung gilt für sämtliche Zivilprozesse. Für die hier untersuchten Populär- und Verbandsklageverfahren k o m m t noch hinzu, daß eine Sozialisierung der Rechtsfindungskosten dem kompensatorischen Z w e c k dieser Verfahren besonders entspräche. Sie dienen der Durchsetzung und Konkretisierung des objektiven Rechts im gesamtgesellschaftlichen Interesse. Daher sind die in diesem Sinne zufällig auftretenden Prozeßparteien nicht mit den Kosten der erforderlichen Normkonkretisierung zu belasten. Das Instrument der Populär- und Verbandsklage könnte dadurch gestärkt werden.
2. Ersatz von Abmahnkosten Die Diskussion um den M i ß b r a u c h von Verbandsklagebefugnissen hängt eng mit den Regeln über den Ersatz von A b m a h n k o s t e n zusammen. Dies wurde bereits oben anhand der Gesetzesentwürfe anläßlich der U W G - R e f o r m des Jahres 1 9 8 6 deutlich, in denen ein solcher Kostenersatz jedenfalls für die erste A b m a h nung ganz ausgeschlossen werden sollte. 2 5 6 Ganz im Gegensatz dazu enthält das heutige U W G in § 1 2 Abs. 1 Satz 2 eine explizite Anspruchsgrundlage für einen
bandsklagen von 2 0 . 0 0 0 DM im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und 30.000 D M im Hauptsachverfahren aus. 2 5 4 Dagegen bereits Hopt, J Z 1975, 341, 348. 255 E. Schmidt, FS Esser (1975) 139, 159; zustimmend Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung 467; Sander, Normtatsachen im Zivilprozeß 222. 2 5 6 BT-Drs. 10/80, 8; BT-Drs. 10/4741, 17. Gegen eine Kostenerstattung bei Abmahnungen unter dem Gesichtspunkt möglichen Mißbrauchs auch Baetge, Diskussionsbeitrag auf der Tagung der Vereinigung der Zivilprozeßrechtslehrer am 3 1 . 3 . 2000 in Hamburg, wiedergegeben bei Oepen, ZZP 113 (2000) 443, 448.
354
4. Kapitel: Lösungsvorschläge
zum geltenden
Recht
solchen Kostenersatz; diese Vorschrift ist gemäß § 5 UKlaG auch für die dort geregelten Verbandsklagekompetenzen anwendbar. Mit diesen Vorschriften soll jedoch nur die schon bisher geltende Rechtslage bestätigt werden. 257 Diese bestand darin, daß der Bundesgerichtshof eine berechtigte Abmahnung als nützliche Geschäftsführung ohne Auftrag ansah, so daß sich ein Ersatzanspruch hinsichtlich der erforderlichen Aufwendungen aus §§ 683 Satz 1, 677, 670 BGB ergab. 258 Gegen diese Rechtsprechung wurden in der Literatur allerdings gewichtige Einwände erhoben. 259 Die Abmahnung paßt schon deshalb nicht zu den Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag, weil sie weder ein fremdes Geschäft im Sinne des § 677 BGB noch für den Abgemahnten nützlich ist. 260 Als Alternative dazu käme die Konstruktion eines Schadensersatz wegen ForderungsVerletzung gemäß § 280 Abs. 1 BGB in Betracht, die jedoch zunächst einen materiell-rechtlich Primäranspruch voraussetzt. 261 Letzteres wäre aber mit der hier vertretenen Ablehnung eines solchen materiellen Anspruchs des Verbandsklägers unvereinbar. Angesichts dieser dogmatischen Probleme wird die Konstruktion der Rechtsprechung teilweise als bereichsspezifisches Richterrecht akzeptiert, das keiner genauen dogmatischen Begründung zugänglich ist. 262 Angesichts der gesetzlichen Neuregelung in §§12 Abs. 1 Satz 2 UWG, 5 UKlaG bleibt die Frage nach der dogmatischen Begründung eines Kostenersatzes nur noch für solche Abmahnungen relevant, die aufgrund anderer Gesetze erhoben werden, in denen derartige Vorschriften fehlen. Angesichts der dogmatischen Schwierigkeiten der Konstruktion einer Abmahnung als Geschäftsführung ohne Auftrag wäre eine Analogie zu §§ 12 Abs. 1 Satz 2 UWG eine sinnvollere Begründung. Indem der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift nur den geltenden Zustand kodifizieren wollte, macht er zugleich deutlich, daß es sich dabei nicht um eine Ausnahmevorschrift handelt, die nicht analogiefähig wäre. Vielmehr gilt die ratio des § 12 UWG auch für alle anderen hier untersuchten Populär- und Verbandsklagekompetenzen: Das in der wettbewerbsrechtlichen Praxis eingespielte System von Abmahnung und Unterwerfungserklärung trägt dazu bei, daß unnötige Prozesse vermieden werden. Ein vorprozessualer Erledigungsversuch soll daher gefördert und gleichzeitig gefordert werden. 263 Dazu bedarf aber auch einer Finanzierung über den Kostenersatzanspruch. Daher wäre es ein gravieren257
Regierungsentwurf des U W G , BT-Drs. 15/1487, 25. B G H 1 5 . 1 0 . 1 9 6 9 , B G H Z 5 2 , 3 9 3 , 399 L-, B G H 2 6 . 9 . 1 9 9 1 , B G H Z 1 1 5 , 2 1 0 , 2 1 2 ; ebenso zur AGB-Kontrollklage O L G N ü r n b e r g 2 5 . 9 . 1979, O L G Z 1980, 2 1 7 , 2 1 9 . 259 Übersicht bei E r m a n / E h m a n n , BGB (10. Aufl.), R n . 2 2 vor § 6 7 7 . 260 Ausführlich dazu Halfmeier, in: Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz 137, 140ff. 261 So noch mein Vorschlag ebd. 153 ff., 262 Oppermann, AcP 193 (1993) 4 9 7 , 5 2 4 f . ; Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 13 A G B G Rn. 108; im Ergebnis ähnlich Koch, Z Z P 117 (2004) 5 1 3 , 515. 263 B G H 1 7 . 1 . 2 0 0 2 , B G H Z 149, 3 7 1 , 374f.; in diesem Sinne auch Koch, Z Z P 113 (2000) 413,432. 258
IX.
Verjährung
355
der Wertungswiderspruch, wenn man diesen für die von § § 1 2 U W G , 5 UKlaG nicht umfaßten Populär- und Verbandsklagekompetenzen nicht anerkennen wollte. 2 6 4
IX.
Verjährung
Mit der Ablehnung eines materiellen Anspruchs auf Seiten des Populär- und Verbandsklägers geht der Verzicht auf eine Anspruchsverjährung im Sinne des § 1 9 4 B G B einher. Dies ist im Hinblick auf die meisten der hier untersuchten Kompetenzen kein großer Verlust, da sie schon aufgrund ihrer Gegenstände kaum im klassischen Sinne verjähren können. Die Popularklagen des Patent- und Markenrechts richten sich gegen eingetragene Rechte, an deren Korrektur so lange ein relevantes Interesse besteht, wie diese eingetragen sind. 2 6 5 Die Unterlassungsklagen der § § 8 U W G , 33 G W B , l f f . UKlaG setzen eine Wiederholungsgefahr voraus, so daß es einer zusätzlichen Verjährungsregelung nicht bedarf. 2 6 6 Allenfalls für die Klage wegen Empfehlens Allgemeiner Geschäftsbedingungen gemäß § 1 UKlaG sowie für die Gewinnabschöpfungskompetenz des § 10 U W G könnte ein Zeitablauf relevant werden. Es bietet sich hier an, die einschlägigen Verjährungsregeln als Klagefristen zu interpretieren, nach deren Ablauf die jeweilige Klagekompetenz nicht mehr besteht. Dasselbe gilt für die allgemeinen Verjährungsvorschriften, denen der Gesetzgeber die in §§ l f f . UKlaG geregelten Kompetenzen unterwerfen wollte. 2 6 7
2 6 4 Zum Wertungswiderspruch als Grund für eine Analogie vgl. Zippelius, thodenlehre 65 ff. 2 6 5 Siehe etwa zum Patent oben, S. 76. 2 6 6 Siehe etwa zum Lauterkeitsrecht oben, S. 119. 2 6 7 BT-Drs. 14/6040, 2 7 5 .
Juristische Me-
Fünftes
Kapitel
Rechtspolitische Vorschläge I. Sachlicher
Anwendungsbereich
1. Generalklausel oder Einzeltatbestände? Bereits in der Bestandsaufnahme der hier untersuchten Klagekompetenzen wurde eine völlige Zersplitterung konstatiert. Diese ist auch durch das Unterlassungsklagengesetz nur wenig gelindert worden, da es nur einen Teil der praktisch relevanten Verbandsklagebefugnisse umfaßt. Insbesondere folgte der Gesetzgeber bisher nicht dem Vorschlag, in das Unterlassungsklagengesetz zumindest auch die lauterkeitsrechtliche Verbandsklage zu integrieren.1 Die Rechtslage in Deutschland ähnelt daher zumindest in dieser Hinsicht derjenigen in Frankreich, wo die zahlreichen und in Einzelgesetzen verstreuten Verbandsklagebefugnisse bereits zu einem wahren Gestrüpp gewuchert sind, das - so die Kritik im französischen Schrifttum - eher dem korsischen maquis gleiche als einem gepflegten Garten zu Versailles.2 Als weitestgehende Alternative zu derartigem Wildwuchs kommt eine Generalklausel der Populär- oder Verbandsklage in Betracht. In ihr würden die Voraussetzungen einer solchen Klagebefugnis nur abstrakt beschrieben. Sie wäre damit flexibler als das geltende Recht und verbesserte die Möglichkeiten der Kläger und der Rechtsprechung, auf als solche erkannte gesellschaftliche Probleme rasch zu reagieren.3 Außerdem könnten mit einer Generalklausel auch fragwürdige Unterschiede zwischen den Detailregelungen der einzelnen Anwendungsbereiche beseitigt werden; man denke insofern etwa an die im UWG, nicht aber im UKlaG enthaltene Gewinnabschöpfungskompetenz. a) Bisherige
Vorschläge
Eine Generalklausel der Verbandsklage besteht seit 1994 in den Niederlanden in Form des Art. 3 - 3 0 5 a Burgerlijk Wetboek. Die dort gewählte Formulierung lautet in deutscher Übersetzung: 1 Dafür etwa Heß, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform 527, 5 3 1 . 2 Boré, La défense des intérêts collectifs, Rn. 58, zit. nach Puttfarken/Franke, in: Basedow u.a. (Hrsg.), Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß 147, 161. 3 Hopt/Baetge, in: Basedow u.a. (Hrsg.) ebd. 11, 40.
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5. Kapitel: Rechtspolitische
Vorschläge
1. Eine Stiftung oder ein Verein mit voller Rechtsfähigkeit kann zum Schutz gleichartiger Interessen von anderen Personen eine Klage einreichen, soweit nach der Satzung diese Interessen wahrgenommen werden. 2. Die Klage einer in Absatz 1 bezeichneten juristischen Person ist nicht zulässig, wenn sie sich unter den gegebenen Umständen unzureichend bemüht hat, das Verlangte durch Verhandlung mit dem Beklagten zu erreichen. 3. Eine Klage nach Absatz 1 kann keinen Schadensersatz, der in Geld zu erbringen ist, zum Gegenstand haben. 4. Ein Verhalten kann einer Klage nach Absatz 1 nicht zugrunde gelegt werden, soweit derjenige, der durch dieses Verhalten betroffen ist, dem widerspricht. 5. Eine gerichtliche Entscheidung hat keine Folge hinsichtlich einer Person, deren Interesse zu schützen sie zum Gegenstand hat und die der Wirkung der Entscheidung ihr gegenüber widerspricht, es sei denn, die Art der Entscheidung bringt mit sich, daß die Wirkung nicht allein gegenüber dieser Person ausgeschlossen werden kann. 4 D e r sachliche Anwendungsbereich wird hier also mit dem »Schutz gleichartiger Interessen von andere Personen« umschrieben. An dieser Formulierung ist allerdings problematisch, daß - je nach Interpretation der Vorschrift - solche Interessen aus dem Anwendungsbereich herausfallen könnten, die nicht an konkrete Personen gebunden sind. 5 Dies könnte etwa für Regelungen des Umweltschutzes gelten. Allerdings geht die Einführung der positiv-rechtlichen Verbandsklagebefugnis in den Niederlanden gerade auf einen Fall zum Umweltschutz zurück, so daß man davon ausgehen k a n n , daß das Interesse an einer intakten Umwelt von dieser Vorschrift mit abgedeckt wird. 6 In Anlehnung an die niederländische Regelung ist in der deutschen Literatur ebenfalls eine Generalklausel der Verbandsklage vorgeschlagen worden. In leichter Abwandlung der niederländischen Formulierung wollen diese Autoren die Verbandsklage immer dann ermöglichen, wenn der Kläger geltend macht, daß durch ein rechtswidriges Verhalten des Beklagten gleichzeitig die rechtlich geschützten Interessen mehrer anderer Personen in gleicher Weise verletzt werden und der Schutz der Interessen zu den satzungsmäßigen Aufgaben des klagenden Verbandes gehört. 7 M i t dem Bezug auf die »Interessen anderer Personen« sollen in diesem Vorschlag jegliche nicht an konkrete Personen gebundene Interessen aus dem Anwendungsbereich der Verbandsklage ausgeschlossen werden. 8 Insbesondere der Schutz der Umwelt fiele daher jedenfalls dann nicht unter diese Generalklausel, wenn nicht gleichzeitig auch Fischer, Jäger, Landwirte oder andere M e n s c h e n beÜbersetzung nach Frenk/Boele-Woelki, in: Basedow u.a. (Hrsg.) ebd. 213, 220f. Frenk, in: Bourgoignie (Hrsg.) Group Actions and Consumer Protection 101, 108. 6 Vgl. dazu Mom, in: Micklitz/Stadler (Hrsg.), Das Verbandsklagerecht in der Informationsund Dienstleistungsgesellschaft 343, 406 ff. 7 Hopt/Baetge, in: Basedow u.a. (Hrsg.) a.a.O. 11, 40; zustimmend Ulmer/Brandner/He«sen, AGBG, §22 Rn.3; Stadler, RabelsZ 66 (2002) 171, 173. 8 Hopt/Baetge, ebd. 43 f. 4 5
I. Sachlicher
Anwendungsbereich
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troffen sind. Z u r Begründung dieser Beschränkung wird angeführt, daß der Schutz »nicht personifizierter Allgemeininteressen« vornehmlich Aufgabe des öffentlichen Rechts sei und sich entsprechende Klagen daher regelmäßig gegen Behörden richten müßten. Es bestehe daher kein Bedürfnis für entsprechende zivilprozessuale Verbandsklagekompetenzen. 9 Dieser Ansicht k a n n schon deshalb nicht gefolgt werden, weil sie eine künstliche Unterscheidung verschiedener Interessen voraussetzt, die bereits oben im Hinblick auf den Begriff des Interesses abgelehnt wurde. 1 0 Auch das Interesse, in einer sauberen und gesunden Umwelt zu leben, ist ein
anerkennenswertes
menschliches Interesse. Dazu m u ß man nicht einmal auf immaterielle oder ästhetische Interessen abstellen. Es ist bereits unverständlich, w a r u m etwa der Schutz vor gesundheitsgefährdenden Immissionen, die konkrete M e n s c h e n bedrohen, ein »nicht personifiziertes Allgemeininteresse« sein soll. Im Gegenteil: Hier geht es um handfeste Überlebens- und Gesundheitsinteressen, die keinesfalls weniger konkret oder relevant sind als etwa das Interesse, nicht durch irreführende Werbung ein unnützes Produkt zu erwerben. Fehlerhaft ist auch die Ansicht, daß sich umweltschützende Verbandsklagen immer gegen Behörden richten müßten. Was spricht grundsätzlich dagegen, gegen ein rechtswidrig die Umwelt verschmutzendes Unternehmen eine zivilprozessualen Unterlassungsklage zuzulassen? Dies ist in den USA in weiten Bereichen des Umweltrechts möglich. 1 1 Auch im Lauterkeitsrecht wird der Verbandskläger ja nicht darauf verwiesen, eine Klage im Verwaltungsrechtsweg gegen die zuständige Gewerbeaufsichtsbehörde zu richten, auf daß diese dann einschreite. Gerade der kompensatorische Z w e c k der Populär- und Verbandsklage spricht für die Einbeziehung des Umweltschutzes in ihren sachlichen Anwendungsbereich, denn hier ist nach recht einhelliger Auffassung das Vollzugsdefizit des materiellen Rechts besonders g r o ß . 1 2 D e r Vorschlag, bei einer Generalklausel der Verbandsklage auf die »Verletzung« einer Vielzahl von Personen abzustellen, führt aber auch nicht nur aus diesen pragmatischen, sondern auch aus dogmatischen Gründen in die Irre. Bereits die Verbandsklagekompetenzen des geltenden Rechts beziehen sich eben nicht auf derartige individuelle Verletzungen, mögen sie auch gehäuft oder gebündelt daherkommen. Vielmehr handelt es sich - wie im dritten Kapitel herausgearbeitet wurde - um Instrumente der Durchsetzung des objektiven Rechts ohne R ü c k sicht auf individuelle Betroffenheit. Fraglos dient dies dem Schutz öffentlicher, überindividueller oder gar diffuser Interessen, aber man handelte sich unnötige 9
10 11
Ebd. 44. Siehe oben, S . 2 0 2 f f . Vgl. zuletzt Friends of the Earth v. Laidlaw Environmental Services Inc., 528 U.S. 167
(2000).
1 2 Instruktiv dazu Ekardt, Steuerungsdefizite im Umweltrecht; für eine privatrechtliche Populär- oder Verbandsklage im Umweltschutz bereits Schack, BerDGesVR 32 (1992) 315, 337ff.
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5. Kapitel: Rechtspolitische
Vorschläge
Schwierigkeiten ein, wenn man den Schutz bestimmter Individualinteressen nun in den Tatbestand einer Generalklausel der Verbandsklage übernähme. Die tiefere Ursache der Wortwahl dieses Vorschlags und auch der niederländischen Gesetzesformulierung in Art. 3-303a BW ist eine Vermischung der Bündelung von Individualinteressen einerseits und der objektiven Rechtskontrolle andererseits. Beides sind berechtigte Anliegen, aber sie sollten dogmatisch und positiv-rechtlich voneinander getrennt werden, da sie ganz unterschiedliche Probleme aufwerfen. Schon im Hinblick auf die Dispositionsmöglichkeiten des Klägers macht es einen großen Unterschied, ob dieser etwa aufgrund einer Abtretung eine bestimmte Anzahl individueller Kläger repräsentiert oder ob er »nur« einen Verstoß gegen objektives Recht zu unterbinden sucht. Auf der Trennung dieser beiden Phänomene beruht auch die vorliegende Untersuchung, die sich nur auf Populär- und Verbandsklagen als Instrumente der objektiven Rechtskontrolle erstreckt und die Bündelung individueller Ansprüche von ihnen scheidet. b) Generalklausel und
Regelbeispiele
Daher kann bei einer Generalklausel der Populär- oder Verbandsklage im hier untersuchten Sinne nicht auf eine Verletzung von Individualinteressen abgestellt werden. Das Besondere dieser Kompetenzen liegt in ihrem Charakter als kompensatorische Instrumente der objektiven Rechtsdurchsetzung. Ihr Einsatz kommt gerade dann in Betracht, wenn zur Durchsetzung des objektiven Rechts die Gewährung individueller Ansprüche nicht ausreichend effektiv ist. Diese kompensatorische Stoßrichtung setzt gleichzeitig eine gewisse Bedeutung für das Gemeinwesen voraus. Dies zeigt sich etwa in dem bereits de lege lata vorhandenen Ausschluß bloßer Bagatell- oder Individualsachverhalte. 13 Diese besondere gesellschaftliche Bedeutung der bereits heute mit Popularund Verbandsklagekompetenzen ausgestatteten Bereiche läßt sich unter dem Oberbegriff der »Gewährleistung eines geordneten Wirtschaftsablaufs« zusammenfassen. 14 Bezieht man auch noch den bereits mehrfach angesprochen Umweltschutz, den über § 2 Abs. 2 Nr. 5 UKlaG gewährleisteten Gesundheitsschutz sowie die in § § 2a UKlaG, 44 TKG angesprochenen kulturellen und technischen Zugangsgarantien ein, so kann man in noch weiterem Sinne von der Gewährleistung grundlegender Freiheitsvoraussetzungen sprechen. 15 Für die freie Entfaltung eines jeden ist es unabdingbar, daß diejenigen objektiv-rechtlichen Vorschriften eingehalten werden, welche die natürlichen Lebensgrundlagen schützen, den freien und lauteren Wettbewerb sichern, Beschränkungen des 13 14 15
Siehe etwa zu § 2 UKlaG oben, S. 177. A K - Z P O /Schmidt, Einl. R n . 1 2 . Z u m Begriff der Freiheitsvoraussetzung Ekardt,
Z u k u n f t in Freiheit 184ff.
I. Sachlicher
Anwendungsbereich
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Wettbewerbs durch ungerechtfertigte Patente verhindern und Verbraucherschutz im Sinne des Ermöglichens freier Entscheidung 1 6 gewährleisten. Dieser freiheitssichernde Charakter ist auch angesprochen, wenn der Sinn der existierenden Verbandsklagekompetenzen darin erblickt wird, die »Funktionsfähigkeit unserer liberalen M a r k t o r d n u n g « zu sichern. 1 7 Gerade das per Verbandsklage bewehrte U W G soll die Freiheit der Marktteilnehmer dadurch sichern, daß es einen Ordnungsrahmen setzt, ohne den die Selbststeuerung des M a r k t e s nicht funktionieren k a n n . 1 8 In der strafrechtlichen Diskussion ist eine interessante Abgrenzung vorgeschlagen worden, um den angemessenen Anwendungsbereich populärer Klagebefugnisse zu bestimmen. Dieser soll immer dann gegeben sein, wenn »der T ä t e r sein deliktisches Vorhaben über die am Rechtsgut unmittelbar interessierte Öffentlichkeit kommunizieren bzw. für diese erkennbar abbilden m u ß . « 1 9 Dieser Öffentlichkeitsbezug sei etwa beim Geldfälschen nicht vorhanden, da es im Geheimen stattfindet, wohl aber bei unlauterer Werbung oder sonstigem Marktverhalten. 2 0 Auch die Verwendung unwirksamer A G B enthält einen solchen Öffentlichkeitsbezug. Er ist auch bei Verstößen gegen das Umweltrecht vorhanden, weil die Beeinträchtigung sich auf die Umwelt als öffentlichen R a u m bezieht oder gar mit den zuständigen Behörden abgesprochen ist. 2 1 Diese Unterscheidung ist schon deshalb sinnvoll, weil nur bei einem gewissen Öffentlichkeitsbezug des jeweiligen Rechtsverstoßes derselbe überhaupt für jedermann erkennbar ist. Allerdings kann sie nicht abschließender Art sein, da es wegen der kompensatorischen Funktion der Popularklage nicht nur auf die Erkennbarkeit des Verstoßes, sondern auch auf dessen Bedeutung a n k o m m e n muß. So findet eine Kartellabrede meist im Geheimen statt und ist daher für den Populär- oder Verbandskläger kaum nachzuweisen, sofern er nicht über Insiderwissen verfügt. Trotzdem hat sich der Gesetzgeber mit Recht dafür entschieden, auch für Verstöße gegen das Kartellverbot die Verbandsklage zu eröffnen. Dieses Verbot ist für die Funktionsfähigkeit der marktwirtschaftlichen Ordnung so zentral, daß möglichst viele Instrumente zu seiner Durchsetzung vorhanden sein sollten. Trotzdem ergibt sich vor dem Hintergrund dieser Ausführungen ein recht deutliches Bild des angemessenen Anwendungsbereichs der Populär- oder Ver16 Vgl. zur Bedeutung der faktischen Voraussetzungen der Privatautonomie BVerfG 7.2. 1990, BVerfGE 81, 242, 254f.; Flume, AT, Bd.2, 10f.; zum Verbraucherschutz als Gewährleistung der Autonomie des passiven Marktbürgers auch Reich, ZEuP 1994, 381 ff.; zur mangelnden Fähigkeit des Marktes, Verbraucherschutz zu gewährleisten vgl. Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts 172. 17 Habscheid, FS Rammos 275, 291. 18 Keßler, WRP 2005, 264, 268; Fezer, UWG, § 1 Rn.55ff. 19 Hefendehl, GA 144 (1997) 119, 121. 2 0 Ebd. 123 f. 21 Ebd. 124.
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5. Kapitel: Rechtspolitische
Vorschläge
bandsklage, nämlich der Schutz von Freiheitsvoraussetzungen im Wirtschafts-, Verbraucher- und Umweltrecht. Eine entsprechende Generalklausel sollte diese Bereiche umfassen. Gleichzeitig könnte sie zur Klarstellung in Form von Regelbeispielen die bereits bestehenden Verbandsklagebefugnisse aufzählen. Damit wäre einerseits klargestellt, daß die geltenden Anwendungsbereiche auch von der Generalklausel umfaßt sind, und andererseits mit Hilfe der Generalklausel die gewünschte Flexibilität für Kläger und Rechtsprechung erreicht. 2. Verfassungsmäßigkeit einer erweiterten Populär- u n d Verbandsklagebefugnis Bei der Diskussion um die mit der Einführung einer Generalklausel verbundene sachliche Erweiterung der Populär- und Verbandsklage ist auch das Verfassungsrecht zu berücksichtigen. Immerhin wird im Schrifttum behauptet, daß die Verfahrenseinleitung zur Wahrung objektiven Rechts aus Sicht des Beklagten einen Eingriff in dessen allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG darstelle und die Verbandsklage daher verfassungsrechtlich zu überprüfen sei. 22 Daher seien von der individuellen Rechtsdurchsetzung losgelöste Verfahren nur dann verfassungsgemäß, »wenn besondere Interessen der Allgemeinheit einen solchen Eingriff rechtfertigen (z.B. Aushöhlung der Rechtsordnung bei Versagen der Parteiinitiative).« 23 Dieser Forderung trägt der soeben erörterte Vorschlag schon dadurch Rechnung, daß die objektive Rechtskontrolle auf gesellschaftlich besonders relevante Bereiche beschränkt wird. Außerdem sei aber wegen Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG zweifelhaft, ob die Delegation der Überwachung des objektiven Rechts auf entsprechend ausgestattete Verbände verfassungsmäßig sei, da diese »ihre Befugnis zur Rechtspflege außerhalb der verfassungsmäßigen Kontrolle staatlicher Gewalt ausüben.« 24 Auf derartige verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber der Verbandsklage wurde bereits oben hinsichtlich der Gewinnabschöpfungskompetenz des § 10 UWG eingegangen. 25 Sie sind weder in diesem speziellen Fall noch als allgemeiner Einwand gegen Populär- und Verbandsklagen nachvollziehbar. Man mag eine Verfahrenseinleitung stets als Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit ansehen, da sie den Beklagten zu einer Reaktion zwingt, wenn er Nachteile vermeiden will. 26 Dies ist jedoch dem Konzept eines Rechtsstaates immanent, und der 22 Stürner, Verfahrensgrundsätze des Zivilprozesses u n d Verfassung, in: FS Fritz Baur 647, 6 5 2 ff.; ähnlich Weyreuther, Verwaltungskontrolle d u r c h Verbände? 37ff., der die klagebefugten Verbände mangels demokratischer Legitimation nicht zur Durchsetzung des Allgemeininteresses berechtigt sieht. 23 Stürner, ebd. 6 5 3 . 24 Ebd. 25 Siehe oben, S. 124 ff. 26 Dazu Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses 114f.
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Anwendungsbereich
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Zweck der Durchsetzung des objektiven Rechts muß in diesem als ausreichender Grund für eine Verfahrenseinleitung gelten. Ein Bürger hat jedenfalls keinen Anspruch darauf, daß die Rechtmäßigkeit seines Handelns nur von Behörden in Frage gestellt wird. 27 Verfassungsrechtlich vorgegeben ist insoweit nur die Fairness des Verfahrens. Der Beklagte ist im System des deutschen Zivilprozeßrechts immerhin dadurch geschützt, daß er im Falle seines Obsiegens sämtliche mit dem Verfahren verbundenen Kosten auf den Kläger abwälzen kann. Auch die Einordnung der klageberechtigten Verbände als Organe der »Rechtspflege« im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG ist nicht überzeugend. Sie sind zwar in dem Sinne »quasistaatsanwaltlich« 28 , als sie einen Prozeß einleiten können; aber das unterscheidet sie nicht von anderen Klägern in gewöhnlichen Zivilprozessen. Entscheidend ist dagegen, daß sie - im Gegensatz zum Staatsanwalt gerade keine staatliche Gewalt ausüben, von deren Ausübung die Vorschrift des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG handelt. Anders als ein Staatsanwalt darf ein Verbraucherverband keine Zeugen mit Gewalt vorführen lassen, keine Beweismittel beschlagnahmen oder Wohnungen und Büros zwecks Durchsuchung gewaltsam öffnen. Ebenso wie im sonstigen Zivilprozeß wird die Staatsgewalt auch im Verbandsklageverfahren erst in Person des Richters tätig, so daß keinerlei Konflikt mit Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG besteht. 29 Das in dieser Vorschrift angesprochene Bedürfnis nach Legitimation entsteht nur bei der Ausübung von Herrschaft, 3 0 die letztlich auf der Androhung oder Anwendung von Gewalt beruht. Gerade dies ist aber erst nach einem Urteil des insoweit voll legitimierten Gerichts möglich. Gegen dieses formal-rechtsstaatliche Argument wird eingewandt, daß die klageberechtigten Verbände faktisch ihre Berechtigung als »Waffe« nutzen könnten, um außergerichtlichen Druck zu erzeugen, der dann möglicherweise ein Nachgeben des Gegners erzwinge. Auch dies sei eine »Entscheidung«, die demokratischer Legitimation bedürfe. 31 Ein derartig weiter Begriff von demokratisch zu legitimierender Herrschaftsausübung ist jedoch unbrauchbar, da er jegliches gesellschaftlich-politisches Handeln umfaßte. Im sozialen, wirtschaftlichen und politischen Kräftespiel wird immer wieder mit der Wahrnehmung rechtlicher Handlungsmöglichkeiten gedroht oder gerechnet; dies gehört zum Alltag und ist von Extremfällen wie der Nötigung oder der Erpressung abgesehen rechtlich irrelevant. Selbst bezüglich dieser Straftatbestände kann die Drohung mit einer 27
Masing, a.a.O. 2 2 4 . So Stürner, FS Baur a.a.O. 6 5 3 . 29 Ebenso Koch, KritV 1989, 323, 332; Masing, a . a . O . 2 2 2 - J o l o w i c z , in: Habscheid (Hrsg.) Effektiver Rechtsschutz u n d verfassungsmäßige O r d n u n g (Diskussionsberichte) 65: Die Frage der Legitimierung des Verbandsklägers oder eines anderen Repräsentanten spiele keine Rolle, denn »the representative's role is not to decide but only to raise a question for decision: the decision is for the court.« 30 Koch, KritV 1989, 323, 3 2 4 unter Verweis auf Max Weber, W i r t s c h a f t und Gesellschaft. 31 Weyreuther, Verwaltungskontrolle d u r c h Verbände? 4 0 . 28
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5. Kapitel: Rechtspolitische
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grundsätzlich zulässigen rechtlichen Handlungsmöglichkeit nur unter besonderen Umständen tatbestandsmäßig sein. 32 Ein besonderer Legitimationsbedarf entsteht erst dann, wenn die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten im Rechtssystem auch aktualisiert werden und dadurch das staatliche Gewaltmonopol in Anspruch genommen werden soll. Dann schützen aber die Justizgrundrechte und das faire Verfahren vor jeglichem Gebrauch des Rechts als »Waffe«. Gegen die Verbandsklage wird schließlich auch vorgebracht, daß sie tendenziell den in Art. 19 Abs. 4 GG garantierten subjektiven Rechtsschutz aushöhle. 33 Diese Kritik kann allenfalls in faktischer Hinsicht berechtigt sein, wenn nämlich eine Situation einträte, in der die Gerichte durch eine Vielzahl von Populär- oder Verbandsklagen derartig überlastet oder gar gelähmt würden, daß sie individuellen Rechtsschutz nicht mehr gewährleisten könnten. Eine derartige Situation ist jedoch weder derzeit gegeben, noch für die Zukunft zu erwarten. Im Gegenteil: Derzeit sind es eher die Massenverfahren des individuellen Rechtsschutzes, welche die Justiz an die Grenzen ihrer Funktionsfähigkeit bringen; man denke nur an die massenhaften Einzelklagen von Telekom-Aktionären wegen angeblicher Bilanzmanipulationen. Die Ausweitung von Populär- und Verbandsklagekompetenzen könnte möglicherweise eher zu einer Entlastung der Justiz führen, indem bestimmte Grundsatzfragen in diesen Verfahren geklärt werden könnten, die dann nach der hier vertretenen Auffassung gewisse Bindungswirkungen für die Individualverfahren entfalten können. 34 Jedenfalls bleibt die Befürchtung einer verfassungswidrigen Überlastung der Justiz durch Verbands- oder Popularklagen bis jetzt reine Spekulation. Träte sie wider Erwarten ein, so wäre der Gesetzgeber allerdings aufgerufen, Abhilfe zu schaffen. Diese müßte dann jedoch nicht zwangsläufig in einer Abschaffung von Verbands- oder Popularklagen bestehen, sondern könnte auch durch Verbesserung der Austattung der Gerichte oder Beschleunigung der jeweiligen Verfahren erreicht werden. Abgesehen von diesen rein spekulativen Erwägungen kann jedoch Art. 19 Abs. 4 GG nicht als Argument gegen die Erweiterung von Populär- und Verbandsklagekompetenzen ins Felde geführt werden. Sinn dieser Vorschrift ist es nämlich - so das Bundesverfassungsgericht - , dem Bürger ein Mindestmaß an Rechtsschutz zu garantieren, nicht aber [...] die gerichtliche Rechtskontrolle von Verfassungs wegen auf den Fall, d a ß ein Bürger durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, zu beschränken. Die Verfassungsbestimmung verbietet einen Ausschluß und eine Einschränkung der gerichtlichen Kontrolle, nicht dagegen eine Erweiterung. Das Bundesverfassungsgericht hat
32 33 34
Münchener Kommentar StGBIGropp/Sinn, § 2 4 0 Rn. 134f. Weyreuther, a.a.O. 84ff. Dazu oben, S. 322.
II.
Akteure
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in anderem Zusammenhang wiederholt ausgesprochen, daß Art. 1 9 Abs. 4 G G Schutz durch den Richter, nicht gegen den Richter gewährt. 3 5
Daher kann die Erweiterung von Populär- und Verbandsklagekompetenzen nicht als Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 G G angesehen werden. 3 6 Diese verfassungsrechtlichen Erwägungen sind jedoch kein Freibrief für eine unbeschränkte Erweiterung von Populär- und Verbandsklagekompetenzen. Immerhin kann jede zivilprozessuale Rechtsdurchsetzung letztlich zur Anwendung staatlicher Gewalt führen. Daher sind ebenso wie bei anderen zivilrechtlichen Veränderungen auch Erweiterungen der Populär- und Verbandsklagekompetenzen mit Augenmaß vorzunehmen. Die obigen Erwägungen zeigen aber, daß ihnen gegenüber jedenfalls keine besonderen verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen können.
II.
Akteure
Eine weitere grundsätzliche rechtspolitische Frage ist diejenigen nach den richtigen Akteuren der objektiven Rechtskontrolle. Der deutsche Gesetzgeber hat sich hier für eine Mischung aus Populär- und Verbandsklagekompetenzen entschieden, ohne daß ein sachlicher Grund für diese Differenzierung erkennbar wäre. 3 7 Rechtspolitisch ist daher zu fragen, ob die Einschränkung der objektiven Rechtskontrolle auf bestimmte Verbände sich als sinnvoller Weg der objektiven Rechtskontrolle erwiesen hat. Das geltende »Lizensierungssystem« 3 8 der Klageberechtigung begegnet auf den ersten Blick schon aus Gerechtigkeitserwägungen Bedenken und bedarf daher einer besonderen Rechtfertigung.
1. Defizite des Modells der Verbandsklage Dazu ist zunächst zu fragen, welche Gründe für eine derartige Beschränkung der Klagekompetenz auf bestimmte Verbände ausschlaggebend waren. Bei der lauterkeitsrechtlichen Verbandsklage spielt sicherlich die Geschichte der marktwirtschaftlichen Ordnung eine Rolle. An die Stelle der feudalistisch geprägten Zünfteordnung trat das freie unternehmerische Wirtschaften, das jedoch ohne einen neuen Ordnungsrahmen nicht auskam. In Anlehnung an die wirtschaftsregulierenden Befugnisse der Zünfte sollten - so möglicherweise die Vorstellung des UWG-Gesetzgebers im 19. Jahrhundert - nun die Wirtschaftsverbände für geordnete Marktbedingungen sorgen. 3 9 35 36 37 38 39
BVerfG 2 0 . 6 . 1967, BVerfGE 2 2 , 106, 110. Ebenso v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen 313. Dazu bereits oben, S. 187. Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen 2 4 7 . So die Interpretation bei Hadding, J Z 1970, 305, 3 0 9 f .
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5. Kapitel: Rechtspolitische
Vorschläge
Diese Vorstellung von der Verbandsklage als Selbstregulierung durch die betroffenen Unternehmer mußte jedoch spätestens mit der Anerkennung des Verbraucherschutzes als relevantem Schutzgegenstand der Verbandsklage aufgegeben werden. D a auch die Interessen der Verbraucher per Verbandsklage geschützt werden sollten, konnte man dies nicht mehr den Verbänden der Marktgegenseite überlassen. Stattdessen wurden im R a h m e n der allgemeinen Entwicklung des Verbraucherschutzes die Verbraucherorganisationen mit dieser Aufgabe betraut. Dabei ging man davon aus, daß sich die Verbraucher in diesen Verbänden organisieren und so ihre Interessen durchsetzungskräftig artikulieren. Diese besonders wirksame Interessenwahrnehmung durch Verbände sollte die Besonderheit der Verbandsklagekompetenz rechtfertigen. 4 0 Hinter dieser Vorstellung stand eine gewisse Übertragung der in der Arbeiterbewegung gemachten Erfahrungen auf die neue gesellschaftliche Bewegung des Verbraucherschutzes. Auch die Arbeiterbewegung konnte ihre Erfolge vor allem durch die Organisation in Gewerkschaften und Parteien erringen. In diesem Sinne wurde etwa in den Siebziger J a h r e n des 2 0 . Jahrhunderts darauf gehofft, daß die Verbraucherverbände eine ähnliche gesellschaftliche Bedeutung wie die Gewerkschaften erlangen k ö n n t e n 4 1 oder daß zwischen Verbraucher- und Unternehmerverbänden eine Art von Tarifverhandlung über Allgemeine Geschäftsbedingungen stattfinden k ö n n t e . 4 2 Die klageberechtigten Verbände sollten »bedeutsame gesellschaftliche Funktionen« erfüllen und »als Medien mittelbarer Partizipation des einzelnen am gesellschaftlichen Leben« w i r k e n . 4 3 Alle diese Vorstellungen waren und sind aber mit der Realität der Verbraucherverbände und der anderen Verbandsklageberechtigten
nicht
vereinbar.
Schon 1 9 7 5 wurde erkannt, d a ß eine tarifvertragsähnliche »rechtliche Regelung und Begünstigung kollektiv vereinbarter Geschäftsbedingungen am M a n g e l repräsentativer Verbraucherorganisationen« scheitern w ü r d e . 4 4 Weder sind Verbraucherverbände mit Parteien oder Gewerkschaften und deren gesellschaftlicher Bedeutung vergleichbar, noch findet in ihnen oder durch sie eine nennenswerte Partizipation einzelner am gesellschaftlichen Leben statt. 4 5 Dies liegt schon in der Struktur der Verbraucherverbände begründet. Im Gegensatz zu den Gewerkschaften handelt sich nicht um Massenorganisationen mit nennenswerter Verankerung in der Bevölkerung, sondern um para-staatliche Einrichtungen. Bereits 1 9 7 6 wurde konstatiert, daß es in der Bundesrepublik keine Selbstorganisation der Verbraucher im Sinne eines mitgliedschaftlich organisierten Interes-
40 41 42
43
44
Vgl. nur Wolf, Die Klagebefugnis der Verbände 1. Wirth, Die Klagebefugnis der Verbraucherverbände 214f. Dazu Lakkis, Kollektiver Rechtsschutz der Verbraucher 20 m.w.N. Göbel, Prozeßzweck der AGB-Klage 106.
Schlosser, ZRP 1975, 148, 149.
Zur fehlerhaften Gleichsetzung zwischen gewerkschaftlicher Gegenmacht und den Aktivitäten der Verbraucherverbände bereits Reich, Markt und Recht 2 2 4 . 45
II.
Akteure
367
senverbands gibt. 4 6 Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die überwiegende Anzahl der Verbraucherverbandsklagen wird heute vom Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. erhoben. 4 7 Andere Verbände sind kaum forensisch tätig. 4 8 Im Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. sind nur juristische Personen Mitglied, nämlich die Verbraucherzentralen der Länder und 2 2 weitere verbraucherpolitisch orientierte Vereine und Institutionen. 4 9 Er ist also ein Verband von Verbänden. Der Verbraucherzentrale Bundesverband wird fast ausschließlich durch öffentliche Mittel getragen, die Mitgliedsbeiträge fallen nicht ins Gewicht. 5 0 Der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. übernimmt die Klagetätigkeit für die regionalen Verbraucherzentralen, er wird auch als eine Art »Leitstelle« 5 1 oder »Vollstreckungsbehörde auf Bundesebene« 5 2 bezeichnet. Dabei ist der Begriff der Behörde kein Zufall. Ein Verband, der nur durch staatliche Zuwendungen am Leben erhalten wird, unterscheidet sich wohl nur der Rechtsform nach von einer Behörde. Trotz dieser para-staatlichen Strukturen ist die Ausstattung des Verbraucherzentrale Bundesverbands angesichts seiner bundesweiten Zuständigkeit eher begrenzt: Dort gibt es 6,5 Stellen für juristische Mitarbeiter. 5 3 Schon diese beschränkten Ressourcen lassen an der Wirkungsmacht eines auf Verbandsklagen beruhenden Modells objektiver Rechtsdurchsetzung zweifeln. Daher wird im Interesse des Verbraucherschutzes auch immer wieder die Verbesserung der Ausstattung dieser Verbände gefordert. 5 4 Dies sei auch durch den europarechtlichen Effektivitätsgrundsatz geboten. 5 5 Allerdings würde selbst ein erhöhter Zufluß an staatlichen Mitteln nichts an dem Charakter der existierenden Verbraucherverbände ändern. Anders als Gewerkschaften sind sie gerade keine Zusammenschlüsse »vieler Personen mit gleichgelagerten Interessen« oder »starke Organisationen zur Interessenvertre-
4 6 Re/cfc/Tonner/Wegener, Verbraucher und Recht 2 2 3 ; zum mangelnden Organisationsgrad der Verbraucherverbände auch Damm, Z R P 1978, 167, 169. 4 7 Ehemals Verbraucherschutzverein e. V. (VSV); ausführlich zur Struktur und Finanzierung des Verbraucherzentrale Bundesverbands v. Moltke, Kollektiver Rechtsschutz der Verbraucherinteressen 73 ff.; zum VSV als Vorgängerorganisation Bultmann, Verklagen oder Verhandeln 75 ff. 4 8 Jüngere Daten dazu bei v. Moltke, ebd. 73ff. und 84ff.; Münchener Kommentar BGB/ Micklitz, Rn. 33 ff. vor § 13 AGBG. 4 9 Siehe die Aufstellung der Mitglieder unter www.vzbv.de. 50 v. Moltke, a.a.O. 75. Ebenso bereits die Einnahmenstruktur des VSV, der ausweislich seines Jahresberichts 1 9 9 9 seinen Haushalt zu 9 8 % durch Zuwendungen des Bundesministeriums für Wirtschaft deckte. 5 1 Münchener Kommentar BGB/Micklitz, R n . 3 8 vor § 13 AGBG. 5 2 So zum VSV Axmann, Die praktische Bedeutung und Effizienz der Verbandsklage nach §§ 13f£. AGB-Gesetz 55. 53 v. Moltke, a.a.O. 74. 5 4 Münchener Kommentar BGB/Micklitz, R n . 4 2 vor § 13 AGBG. 55 Rott, EuZW 2 0 0 3 , 5, 6 ff.
368
5. Kapitel: Rechtspolitische
Vorschläge
tung ihrer Mitglieder« 56 . Es handelt sich vielmehr um para-staatliche Kontrollinstitutionen, die faktisch eher als ausgelagerte Behördenteile angesehen werden können. Dies schmälert nicht ihre verbraucherpolitische Bedeutung. Auch die Stiftung Warentest als eine der bedeutendsten Institutionen im Bereich des Verbraucherschutzes hat nichts mit einer Selbstorganisation von Verbrauchern zu tun. Nur entfällt eben mit der Vorstellung einer solchen Wahrnehmung von Interessen durch die von den Betroffenen gebildeten Verbände die wesentliche Rechtfertigung für das Monopol der Verbände hinsichtlich der Klageberechtigung. Es handelt sich vielmehr um ein sehr staatsorientiertes Modell, da es sich faktisch auf die Aktivitäten weniger para-staatlicher Einrichtungen stützt. 57 Die Gründe des Scheiterns des Modells vom Verbraucherverband als gewerkschaftsähnlichem Massenverband hängen gerade mit dem »diffusen« Charakter der Verbraucherinteressen zusammen. Bereits Olson kam in seiner »Logik des kollektiven Handelns« zu dem Ergebnis, daß namentlich solche Interessen gesellschaftlich unterrepräsentiert bleiben, die jedermann oder zumindest große Teile der Bevölkerung betreffen können. Nur aufgrund der Tatsache der ubiquitären Betroffenheit besteht noch kein Grund zu der Annahme, daß große Gruppen sich organisieren werden, um ihre gemeinsamen Interessen zu fördern. Nur wenn die Gruppen klein sind oder in der glücklichen Lage, über unabhängige Quellen selektiver Anreize zu verfügen, werden sie sich organisieren oder sich für ihre Ziele einsetzen. 5 8
Solche selektiven Anreize - also Leistungen oder Vorteile, von denen Nichtmitglieder ausgeschlossen werden können - gibt es bei den Gewerkschaften in Form von Tarifverträgen, nicht aber bei Verbraucher- oder Umweltverbänden. Jeder Erfolg der Verbraucherverbände oder von Umweltschutzgruppen kommt auch den Nichtmitgliedern dieser Verbände zugute. Es besteht daher kein besonderer Anreiz, sich entsprechend zu organisieren. 59 Gerade Verbraucherverbände werden daher im Gegensatz zu Gewerkschaften als »nur begrenzt konfliktwillig und -fähig beschrieben.« 60 Bei den Umweltverbänden ist im übrigen auffällig, daß ausgerechnet Greenpeace als einer der mächtigsten Verbände nicht als gewerkschaftsähnlicher Massenverband strukturiert ist. Greenpeace besteht nur aus einem kleinen Zirkel von entscheidungsbefugten Personen; der große Rest der Un-
Göbel, a.a.O. 106 f. So bereits Cappelletti/Garth, in: Habscheid (Hrsg.) Effektiver Rechtsschutz und verfassungsmäßige Ordnung 117, 140f. 58 Olson, Die Logik des kollektiven Handelns 164; weitere sozialwissenschaftliche Nachweise zur mangelnden Organisierbarkeit breit gestreuter Interessen bei Kötz, in: Homburger/Kötz, Klagen Privater im öffentlichen Interesse 69, 96 f., Fn.60. 5 9 Vgl. zu den sozialpsychologischen Gründen der relativen Durchsetzungsschwäche allgemeiner Interessen auch v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen 153 ff. 60 Pfarr/Kocher, Kollektivverfahren im Arbeitsrecht 122. 56
57
II.
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369
terstützer darf zwar spenden, hat aber kein Mitspracherecht. 6 1 Mit Olsons Theorie und der sie bestätigenden empirischen Realität der Verbraucher- oder Umweltschutzverbände wird aber die Idee einer effektiven Durchsetzung allgemeiner oder diffuser Interessen durch Verbände widerlegt: »Die Vorstellung, die Verbandsorganisation sei das gegebene Medium zum Ausgleich vereinzelt ohnmächtiger Interessen [...], bricht damit zusammen.« 6 2 Teilweise wird die Verbandsklage auch im Sinne der Pluralismustheorie als ein Vehikel verstanden, mit dem die Interessen der Verbraucher in die gesellschaftliche Auseinandersetzung eingebracht werden können. In diesem Sinne sollen die Verbraucherverbände das »wahre öffentliche Verbraucherinteresse« durchsetzen, »weil sie aus ihrer Tätigkeit um die Belange der Verbraucher Bescheid wissen.« 6 3 Bei diesem Ansatz bleibt allerdings unklar, ob es um Repräsentation oder um besondere Sachkenntnis der Verbände geht. 6 4 Repräsentativ sind die Verbraucherverbände - wie oben dargelegt - keineswegs. Einschlägige Sachkenntnis ist dagegen nicht an einen Verband gebunden, sondern kann auch von Einzelpersonen erreicht werden, etwa von dem im Sinne der bisherigen Rechtsprechung unerwünschten Anwalt, der sich auf Abmahnungen wegen irreführender Werbung in Immobilienanzeigen spezialisiert hat. 6 5 Insgesamt kann also die Beschränkung der Klageberechtigung auf bestimmte Verbände weder mit einer besonderen Qualität noch mit einer Repräsentationsfunktion dieser Verbände gerechtfertigt werden. Das bestehende Modell der Verbandsklage ist wegen des Zulassungsverfahrens in §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 4 UKlaG auch sehr unflexibel. Die gemäß dieser Vorschriften bestehenden Anforderungen an Verbände sind für eine spontane und selbstorganisierte Gründung eines Interessenverbands zu hoch. 6 6 Eine solche spontane Gründung - etwa aus Anlaß eines spezifischen Problems, welches die etablierten Verbände bisher nicht aufgreifen wollten oder konnten - wird schon durch das Erfordernis der Mindestmitgliederzahl von 75 natürlichen Personen erschwert. 6 7 Hinzu kommt noch die vom Gesetz geforderte allgemeine »Aufklärung und Beratung« der Verbraucher, die eine Konzentration eines Verbandes auf einen Zweck oder eine Klage kaum möglich macht. Diese Anforderungen 6 1 Bei Greenpeace Deutschland sind etwa 4 0 ausgewählte Personen entscheidungsbefugt, die restlichen 5 0 0 . 0 0 0 Förderer dürfen Geld spenden und »Vorschläge machen«; vgl. die Satzung des Greenpeace e. V. unter www.greenpeace.de/ueber_uns/Satzung. 6 2 V. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen 162. 63 Thiere, Die Wahrung überindividueller Interessen im Zivilprozeß 2 7 0 . 6 4 Ein besonderes »know-how« der Verbände als Rechtfertigung der Verbandsklage sieht auch Hefendehl, GA 144 (1997) 119, 125. 6 5 Vgl. BGH 5 . 1 0 . 2 0 0 0 , GRUR 2 0 0 1 , 2 6 0 , 2 6 1 . 6 6 Münchener Kommentar KGK/Micklitz, § 13 AGBG R n . 9 1 f . 6 7 Gegen dieses Erfordernis bereits Axmann, a.a.O. 77: »Es ist praktisch unmöglich geworden, daß Verbraucherverbände in privater Initiative gegründet werden, da allein schon der Zusammenschluß von 75 Personen zur Gründung eines Verbrauchervereins erhebliche Schwierigkeiten verursacht.«
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5. Kapitel: Rechtspolitische
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sind aber auch für die etablierten Verbände dysfunktional, weil etwa der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. seine wenigen Ressourcen nicht einmal vollständig für seine A b m a h n - und Klagetätigkeit nutzen kann, sondern sie auch für die vom Gesetz geforderte Beratungs- und Aufklärungstätigkeit verwenden m u ß . 6 8 Eine effiziente Arbeitsteilung zwischen den lokalen Verbraucherzentralen als Anlauf- und Beratungsstellen und dem Bundesverband als Prozeßführungsverband wird damit unmöglich gemacht. Die in § 4 U K l a G statuierten Anforderungen an die Verbände sind auch aus Sicht des Gemeinschaftsrechts höchst problematisch. 6 9 Immerhin verlangt die Unterlassungsklagenrichtlinie 9 8 / 2 7 / E G in ihrem Art. 3 für die Klageberechtigung eines Verbands nur »ein berechtigtes Interesse«. Von einer Mindestmitgliederzahl oder bestimmten Anforderungen an die Tätigkeit der klageberechtigten Verbände ist dort nicht die Rede. Z w a r sollen diese Anforderungen gemäß Art. 3 Buchst, b) der Richtlinie durch die nationalen Rechtsvorschriften konkretisiert werden, aber man m u ß zumindest verlangen, daß diese Konkretisierung die in Erwägungsgrund 3 der Richtlinie geforderte objektive Rechtskontrolle auch fördert und nicht noch erschwert. Das Modell der Verbandsklage ist aber faktisch nicht sehr effizient, was schon durch die begrenzten Ressourcen der jeweiligen Verbände bedingt ist. Insbesondere hinsichtlich der mit § 1 U K l a G bezweckten Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen wird bei Kennern der Materie von einer »nur begrenzten Effizienz der Verbandsklage« gesprochen. 7 0 Für die AGB-Kontrollklage ist daher aufgrund einer empirischen Untersuchung bereits 1 9 8 6 konstatiert worden, daß die restriktive Regelung der Klagebefugnis eine wirklich effektive A G B - K o n t r o l l tätigkeit behindert. 7 1 Die »geschlossene Gesellschaft« der nach geltendem R e c h t zur Verbandsklage Berechtigten reduziert das
»Problembearbeitungspotenti-
a l « 7 2 erheblich. Aus diesen Gründen sollte daher das Klagemonopol der Wirtschafts- und Verbraucherverbände verabschiedet werden. Stattdessen ist durch Einführung einer Popularklage zu ermöglichen, daß auch interessierte Individuen im Sinne der objektiven Rechtskontrolle tätig werden können. Eine solche Öffnung des Kreises der Klagebefugten schließt jedoch die Tätigkeit von Verbänden nicht aus, sonMünchener Kommentar BGB/Micklitz, § 13 AGBG Rn.92. Ebd. 7 0 Ebd. R n . 2 2 vor § 13 AGBG; ebd. Rn. 30 m.w.N. zur mangelnden Effizienz der AGB-Verbandsklage; ebenso bereits Löwe/Westphalen/Trinkner, AGBG, Rn.24f. vor §§ 1 3 - 2 2 . Ein positiveres Fazit zieht dagegen inzwischen Hensen, FS Ulmer 1 1 3 5 , 1 1 5 1 : Zwar bestehe weiterhin an gesetzeswidrigen AGB kein Mangel, aber die AGB-Verbandsklage habe zumindest »im Geschäftsverkehr mit dem Verbraucher Beachtliches erbracht.« 71 Axmann, a.a.O. 139, der gar resignierend feststellt: »Das AGB-Gesetz kann mithin von Verwendern unzulässiger AGB noch immer ignoriert werden, ohne daß notwendigerweise mit einem Aufgreifen bzw. dem Feststellen der Unzulässigkeit gerechnet werden muß.« (ebd. 145). 68
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72
Walter Schmidt, DÖV 1976, 577, 583.
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dem ergänzt sie nur. Dies zeigt sich etwa an der bestehenden Popularklagebefugnis des Art. 98 Satz 4 der Verfassung des Freistaates Bayern. Viele dieser Popularklagen werden von Interessenverbänden erhoben, die sich im Gegensatz zu Einzelpersonen eher zur Durchführung eines solchen Verfahrens in der Lage sehen. 73 Damit trägt die bayerische Popularklage zumindest faktisch auch Züge einer Verbandsklagekompetenz, die jedoch ohne besondere Anforderungen an die klageberechtigten Verbände auskommt. Die bloße Rechtsfähigkeit des klagenden Verbandes reicht aus. Dies macht die Popularklage gegenüber den existierenden Verbandsklagekompetenzen zu einem wesentlich flexibleren Mittel, da die Rechtsfähigkeit etwa in Vereinsform auch für Bürgerinitiativen oder andere Spontanverbände relativ einfach zu erlangen ist. Anders als vom Verbandsklagemodell des § 4 UKlaG vorgesehen, bedarf es nämlich keiner Massenverbände, um Verbraucher- oder sonstige verstreute Interessen effektiv durchzusetzen. Vielmehr kann gerade ein kleiner Verband oder eine Einzelperson sehr wirksam arbeiten, was durch das Phänomen der Lobbyarbeit belegt wird. 74 Dies zeigt schon die erfolgreiche Geschichte der populären Patentnichtigkeitsklage. Diese Klagen werden gerade nicht von einem »Verband gegen unberechtigte Patente« oder ähnlichen Konstruktionen angestrengt, sondern von interessierten Individuen, die informiert und risikofreudig genug sind, ein derartiges Verfahren durchzuführen. Auch rechtsvergleichende Untersuchungen belegen, daß die Repräsentation bestimmter Interessen durch einen klagefreudigen und entschlossenen Einzelnen nicht schlechter sein muß als die Repräsentation durch einen Verband. 75 Will man aber die Intiative des Einzelnen im Dienste der Durchsetzung des objektiven Rechts nutzen, so darf man auch dessen finanzielle Motive nicht als mißbräuchliche Rechtsausübung brandmarken. Auch dies lehrt die patentrechtlichen Popularklage. Bei ihr wird das finanzielle Interesse des konkurrierenden Erfinders oder des Nachahmers akzeptiert und in den Dienst der objektiv-rechtlichen Kontrolle gestellt. Auch beim Abmahnverein, der durch die Einführung einer Popularklage wieder klageberechtigt würde, dient das Gebühreninteresse des Abmahnenden dem Allgemeininteresse an der Durchsetzung des objektiven Rechts. 76 2. Zivilprozessuale Klagebefugnis für Behörden? Eine andere Alternativ zur besseren Durchsetzung des objektiven Rechts wäre die Ergänzung der bestehenden Verbandsklageberechtigungen durch eine Klagemöglichkeit einer Behörde vor den Zivilgerichten. Dies muß nicht als Gegensatz 73 Vgl. etwa die jüngst erfolgreiche Klage des Bayerischen Beamtenbundes gegen beamtenrechtliche Regelungen, dazu SZ v. 2 7 . 1 0 . 2 0 0 4 , 2. 74 Vgl. Olson, a . a . O . 139ff. 75 Koch, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeß 98. 76 V. Arnim, G e m e i n w o h l und Gruppeninteressen 311 f.; siehe dazu bereits oben, S . 3 3 4 .
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S. Kapitel: Rechtspolitische
Vorschläge
zum Verbandsklagemodell verstanden w e r d e n . 7 7 Allerdings könnte man sich vorstellen, daß die staatliche Förderung der bestehenden para-staatlichen Verbraucherverbände zurückgehen würde, wenn die jeweilige Behörde selbst um eine »Klageabteilung« erweitert würde. In der Literatur wird in diesem Sinne auch für den Zivilprozeß ein »Vertreter des öffentlichen Interesses« analog zu § 3 6 V w G O vorgeschlagen. 7 8 Allerdings ist nicht recht ersichtlich, w a r u m eine Behördenlösung mit einer Effektivitätssteigerung verbunden sein soll. Will man mehr Ressourcen in die Durchsetzung des objektiven Rechts vor den Zivilgerichte investieren, so erscheint es eher zweitrangig, o b zusätzliches Personal bei einem staatlich geförderten Verein oder bei der Behörde selbst eingestellt wird. Rechtsvergleichende Untersuchungen deuten gar auf einen gewissen Effektivitätsvorsprung zu Gunsten der Verbandslösung h i n . 7 9 Gegen eine behördliche Klagebefugnis zur Durchsetzung des objektiven Rechts vor den Zivilgerichten sprechen aber auch grundsätzliche Erwägungen. Schon der Vertreter des öffentlichen Interesses vor den Verwaltungsgerichten wird in der Literatur mit Recht als überflüssig kritisiert, da die Wahrung des Rechts schon wegen Art. 2 0 Abs. 3 G G Sache jeder Behörde und jedes Gerichts ist. 8 0 Eine spezielle »Rechtsbefolgungsbehörde« ist unnötig. Dies gilt auch für die Durchsetzung lauterkeitsrechtlicher, umweltrechtlicher oder anderer N o r men. Es ist Sache der jeweils zuständigen Fachbehörden, das Recht gegebenfalls per Verwaltungsakt durchzusetzen. 8 1 Ein Umweg über eine zivilrechtliche Klage paßt nicht zum System des deutschen Verwaltungsrechts.
3. Praktische Einwände gegen die Popularklage Die gegen die Zulassung einer wie auch immer sachlich einzugrenzenden Popularklage vorgebrachten Argumente lassen sich in praktische und theoretische Einwände unterteilen. Zunächst sollen die praktischen Einwände betrachtet 7 7 Anders aber Münchener Kommentar BGBIMicklitz, Rn. 16 vor § 13 AGBG: Entscheidung zwischen Verbandsklage und »Verbraucher-Ombudsmann« sei nicht kumulativ, sondern alternativ gegeben. Das schwedische Modell zeige, daß »die den Verbraucherverbänden eingeräumte Klagebefugnis nahezu bedeutungslos wird, wenn eine behördliche Klagebefugnis besteht.« Ein solcher Effekt hängt von dem Erfolg und der Aktivität des Ombudsmanns ab und wäre allerdings auch nicht bedauerlich, da die Klagebefugnisse der Verbände -anders als in Micklitz' Konzeption - nicht als subjektive Rechte zu verstehen sind, sondern nur als kompensatorische Instrumente zur Durchsetzung des objektiven Rechts. Wird dieser Zweck aber auf anderem Wege erreicht, so könnte man auf Verbandsklagen getrost verzichten. 78 V Arnim, a.a.O. 313f. 7 9 Münchener Kommentar BGBIMicklitz, Rn. 16 vor § 13 AGBG; Hopt/Baetge, in: Basedow u.a. (Hrsg.) a.a.O. 11, 53f. 8 0 Für gänzliche Abschaffung des Vertreters des öffentlichen Interesses daher schon Baring, VerwA 50 (1959) 105, 155 und 164. 81 Hopt/Baetge, a.a.O. 53.
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werden, um im darauf folgenden Abschnitt die Popularklage auch theoretisch zu rehabilitieren. Das wichtigste und stets wiederkehrende praktische Argument gegen die Popularklage ist das einer befürchteten Überlastung der Justiz. 8 2 Dieser Einwand beruht aber auf falschen Grundannahmen und läßt sich auch im Rechtsvergleich nicht verifizieren. Es gibt kein unendliches Potential von Klägern, die nur auf eine Klageberechtigung warten, um dann die Justiz mit Klagen zu überfluten. Schon die Kosten eines Prozesses sind für die meisten Personen eine ausreichende Abschreckung hinsichtlich der Durchführung eines Prozesses. 83 Angesichts der drohenden Kostenbelastung bei Klagabweisung wird sich ein Popularkläger sorgfältig mit den Chancen seiner Klage befassen. Es ist daher zumindest bei rational handelnden Akteuren auch kaum ein Mißbrauch im Sinne einer willkürlichen Klageerhebung zu befürchten. Dies zeigt schon die Diskussion über Abmahnvereine im Lauterkeitsrecht: Sie handeln aus ökonomischen Kalkül und führen daher nur Prozesse mit hoher Erfolgsaussicht, d.h. solche, bei denen die Rechtswidrigkeit des inkriminierten Verhaltens nahezu offensichtlich ist. Die damit verbundene Durchsetzung des objektiven Rechts kann aber nicht negativ bewertet werden. Bereits die Verbandsklage hat nicht zu einer Vielzahl von Verfahren geführt, welche die Justiz überlasten würden. Nur wenige Verbände strengen solche Klagen faktisch an, und fast alle Klagen sind erfolgreich. 8 4 Die klageberechtigten Verbände führen überwiegend nur solche Prozesse, die sie sicher zu gewinnen glauben, um das Kostenrisiko gering zu halten. 8 5 Gegenüber der Masse an im Umlauf befindlichen A G B erscheint der korrigierende Eingriff durch die AGBKontrollklage zwar anerkennenswert, aber doch bescheiden. 86 Die Bedeutung der Verbandsklagemöglichkeiten liegt also auch darin, daß sie ein Drohpotential entfalten, welches außergerichtliche Konfliktlösungen befördert. 8 7 Es ist zu ver8 2 Etwa bei Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen 2 5 0 ; dagegen bereits Kötz, in: Homburger/Kötz, Klagen Privater im öffentlichen Interesse 6 9 , 1 0 1 . Klassisch bereits Kelsen, W D S t R L 5, 3 0 , 74: Bei einer verfassungsrechtlichen Popularklage sei die Gefahr der Überlastung des Verfassungsgerichts zu groß. Vor möglichen Mißbräuchen der Popularklage warnen Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse 2 7 1 f.; Hopt/Baetge, in: Basedow u.a. (Hrsg.), Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß 11, 4 3 (für Verbandsklage wegen der damit verbundenen »Seriositätskontrolle«). 83 Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse 6 9 m.w.N. zur Diskussion um Standing und Citizen suits in den USA. 8 4 Zur Empirie der Verbandsklage siehe v. Falckenstein, Die Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken durch Verbraucherverbände; Axmann, Die praktische Bedeutung und Effizienz der Verbandsklage nach § § 1 3 ff. AGB-Gesetz, der etwa darauf hinweist, daß für seinen Berichtszeitraum die beiden wesentlichen Akteure - nämlich der Verbraucherschutzverein e. V. und die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg - 9 5 % ihrer Prozesse gewannen. 85 Gilles, Z Z P 98 ( 1 9 8 5 ) 1, 5. 8 6 Vgl. etwa die Zahlen bei Axmann, a.a.O. 138: Bei 2 0 . 0 0 0 bis 3 0 . 0 0 0 im Umlauf befindlichen Geschäftsbedingungen wurden in den Jahren 1 9 7 7 - 1 9 8 3 nur 3 8 5 Klagen erhoben. 87 Gilles, Z Z P 9 8 ( 1 9 8 5 ) 1, 5.
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5. Kapitel: Rechtspolitische
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muten, daß auch Popularklagekompetenzen eine solche Wirkung im außergerichtlichen Bereich zeitigen würden. Auch die verfassungsrechtliche Popularklage im Freistaat Bayern wird zwar regelmäßig, aber nicht massenhaft angewandt. So wurden von 1947 bis 1991 nur etwa 1000 Klagen eingereicht, von denen immerhin knapp 12% in der Sache erfolgreich waren. 8 8 In jüngerer Zeit werden nur noch etwa zehn bis fünfzehn Popularklagen pro Jahr beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht. 89 In Bayern wird daher die Popularklage als bewährtes Instrument und nicht als besonders mißbrauchsanfällig eingestuft. 90 Es ist daher erstaunlich, daß sie in der rechtspolitischen Diskussion gegenwärtig kaum oder nur als »Bestandteil des bayerischen Kuriositätenkabinetts« wahrgenommen wird. 91 Auch beim Blick über Bayern hinaus stößt man auf einige Popularklagekompetenzen, die weder zu einer Überflutung der Gerichte noch zu sonstigen Zusammenbrüchen des Rechtssystems geführt haben. So gewährt etwa die portugiesische Verfassung eine Popularklagekompetenz für jedermann - also auch für rechtsfähige Verbände - mit dem Ziel der Unterlassung rechtswidriger Beeinträchtigungen der öffentlichen Gesundheit, der Verbraucherrechte, der Lebensqualität, des Umweltschutzes und der Kulturgüter. 92 Auch die US-amerikanischen Citizen suits kommen einer umweltrechtlichen Popularklage zumindest nahe. 93 Eine Popularklage im Lauterkeitsrecht gibt es auch in Australien, wo eine Unterlassungsklage wegen Verletzung lauterkeitsrechtlicher Bestimmungen sowohl von bestimmten staatlichen Stellen als auch von »any other person« erhoben werden kann. 94 Diese Bestimmung wird von den australischen Gerichten als Popularklage in dem Sinne verstanden, daß die Berechtigung zur Klage nicht von einer wie auch immer gearteten Betroffenheit des Klägers abhängt. 9S Eine Überla88
Nawiasky/Schweiger/Knöp/Ie, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 98 Satz 4 Rn. 5. SZ v. 2 7 . 1 0 . 2 0 0 4 , 2. 90 Nawiasky/Schweiger/iC«öp/Ze, a . a . O . R n . 5 : Es bestehe kein Anlaß, dieses Institut einzuschränken; ähnlich positiv bereits Spanner, BayVBl. 1972, 4 2 5 , 4 2 7 ; Masing, a . a . O . 119f. m . w . N . ; Rehbinder/Burgbacher/Knieper, Bürgerklage im Umweltrecht 105. 91 Masing, a . a . O . 120. 92 Art. 52 Nr. 3 der portugiesischen Verfassung; dazu Teixeira de Sousa, FS Geimer 1317, 1319 f. 93 Sie setzen z w a r eine individuelle Betroffenheit des Klägers voraus, diese wird aber sehr weit verstanden, vgl. dazu zuletzt etwa Carrington, G e r m a n Law J o u r n a l 5 (2004) 1413, 1426ff.; T. Stein, Interessenvertretung der N a t u r in den USA 3 2 f f . 94 Trade Practices Act 1974, Part V, See. 80 (1); dazu Duggan, in: Rickett/Telfer (Hrsg.), International Perspectives o n C o n s u m e r s ' Access t o Justice 4 6 , 57; Clarke/Terry, in: R i o r d a n (Hrsg.), The Laws of Australia 35.4, no. 20: »The meaning of >any other person< in this provision is as broad as it suggests.« Ähnliche Popularklagekompetenzen findet m a n in anderen australischen Gesetzen zum Lauterkeitsrecht (Nachweise bei Clarke/Terry, ebd. Fn. 1). 95 World Series Cricket Pty Ltd. v. Parish, 16 ALR 1 8 1 , 1 8 6 (1977): »An applicant for an injunction under s 80 need not show t h a t a proprietary interst of his is affected, or t h a t he has suffered special d a m a g e or, indeed, that he has suffered any d a m a g e at all.« Ebenso Phelps v. We89
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stung der australischen Gerichte ist durch die Vorschrift nicht eingetreten. Im Gegenteil: Der Großteil der aufgrund dieser Vorschrift erhobenen Klagen sind Konkurrentenklagen, bei denen von der Popularklageberechtigung im eigenen wirtschaftlichen Interesse Gebrauch gemacht wird. Klagen ohne eigenes wirtschaftliches Interesse des Klägers - etwa zur Durchsetzung des Umwelt- oder Verbraucherschutzes - k o m m e n nur sehr vereinzelt vor. Eine Untersuchung aus dem J a h r e 1 9 9 4 nennt nur zwei derartige Fälle. 9 6 Offensichtlich ist das mit einer Klage verbundene Kostenrisiko eine ausreichende Hürde, die eine Klageflut verhindert. 9 7 Außerdem haben die australischen Gerichte schon nach allgemeinen Grundsätzen die Möglichkeit, jede willkürliche oder mißbräuchliche Klage im R a h m e n ihrer discretion
als unzulässig abzuweisen: »[T]he court has inherent Ju-
risdiction to stay proceedings which are oppressive, vexatious or an abuse o f the process o f the court« . 9 S Allerdings wurde - soweit ersichtlich - von dieser theoretischen Möglichkeit bei Popularklagen noch nicht Gebrauch g e m a c h t . 9 9 Die australische Rechtsprechung weist diesbezüglich auch darauf hin, daß die lauterkeitsrechtliche Popularklage im »öffentlichen Interesse« erhoben werde und daher ein M i ß b r a u c h nicht allein auf bestimmte M o t i v e des Klägers gestützt werden k ö n n e . 1 0 0 Die Bilanz nach zwanzig J a h r e n Popularklageberechtigung in Australien (»open Standing provisions«) wird insgesamt - auch aus richterlicher Sicht - positiv beurteilt. 1 0 1 Der sachliche Anwendungsbereich der australischen Popularklage wurde in den letzten J a h r e n daher sowohl auf das Kartellrecht 1 0 2 als auch auf das Umwelt-und Planungsrecht 1 0 3 ausgedehnt. Das australische Verfas-
stern Mining Corporation Ltd., 33 FLR 327, 331 (1978): »[I]t is irrelevant whether an interest of his own is affected or not.« Weitere Nachweise bei Miller, Annotated Trade Practices Act 427f., und bei Frischen, Unlauterer Wettbewerb und Verbraucherschutz in Australien 221. 96 Frischen, ebd. 222 (eine einzige Verbraucherverbandsklage und eine Umweltschutzklage). 97 Harland, GRUR Int. 1992, 193, 194. 9 8 Phelps v. Western Mining Corp. Ltd, a.a.O. 9 9 Vgl. die Nachweise zur Rechtsprechung bei Miller, Annotated Trade Practices Act 430ff., der zur diesbezüglichen Ausübung von discretion nur einen Fall referiert, in dem der Beklagte sich bereits freiwillig verpflichtet hatte, eine angeblich rechtswidrige Werbung nicht weiter zu verbreiten (Trade Practices Commission v. Cold Coast Property Sales Pty Ltd., zit. ebd. 430). Diese Konstellation würde aus deutscher Sicht aber nicht als Frage des Mißbrauchs, sondern der mangelnden Wiederholungsgefahr eingeordnet. 1 0 0 Phelps v. Western Mining Corp Ltd., a.a.O.; ebenso Glev Pty Ltd. v. Kentucky Fried Chikken Pty Ltd. (1994), zit. nach Miller, Annotated Trade Practices Act 431. 1 0 1 So das Referat des australischen Richters Paul Stein auf einer Tagung zur Reform des Umweltrechts in London am 2 7 . 6 . 2000. Eine positive Beurteilung der australischen Popularklage im Lauterkeitsrecht findet man auch bei Harland, GRUR Int. 1 9 9 2 , 1 9 3 , 1 9 4 ; Miller, (2005) 79 ALJ 43, 4 9 (»powerful tool for competitors and lobby groups«); ähnlich Frischen, a.a.O. 2 5 7 (»sehr wirksames Sanktionensystem«). 1 0 2 Siehe Miller, Annotated Competition Policy Law and Practice 346. 103 Paul Stein, a.a.O. 3.
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sungsgericht hat die lauterkeitsrechtliche Popularklage ausdrücklich für verfassungsgemäß e r k l ä r t . 1 0 4 Schon diese bescheidenen rechtsvergleichenden Exkurse zeigen, daß eine privatrechtliche Popularklagebefugnis gerade im Wirtschafts- und Umweltrecht weder ein N o v u m ist noch zum Z u s a m m e n b r u c h der Ziviljustiz führt. Sollten sich tatsächlich aussichtslose Popularklagen häufen, so könnte der Gesetzgeber immer noch zu dem in der Literatur teilweise vorgeschlagenen 1 0 5 Mittel einer besonderen Vorprüfung der Popularklage auf ihre Erfolgsausicht greifen. Eine solche Vorprüfung könnte dem Verfahren nach §§ 1 1 4 f f . Z P O im Hinblick auf die Erfolgsaussichten der Klage ähneln. Teilweise wird das Argument der drohenden Überlastung der Justiz durch Popularklagen auch in einem spezifischen Sinne verwendet, nämlich im Sinne der Vermeidung einer mehrfachen Befassung der Gerichte mit derselben Angelegenheit. Sowohl die Gerichte wie auch der jeweils Beklagte müßten vor derartigen Wiederholungen geschützt w e r d e n . 1 0 6 N a c h der hier vertretenen Auffassung über den entsubjektivierten Streitgegenstand bei der Popularklage kann es allerdings zu Wiederholungen von Popularklagen in ein und derselben Angelegenheit nicht k o m m e n . Außerdem kann bereits nach geltendem Recht jeder Verwendungsgegner von Allgemeinen Geschäftsbedingungen diese im Individualprozeß überprüfen lassen. In praktischer Hinsicht wird weiterhin angeführt, daß nur die Prozeßführung durch unmittelbar Betroffene ausreichende Richtigkeitsgewähr für die Entscheidung biete, da Popularkläger als dem Sachverhalt fernstehende Parteien diesen nicht oder nicht vollständig vortragen k ö n n t e n . 1 0 7 Diese Erwägung mag für den typischen Individualprozeß zutreffen, nicht aber für Prozesse, in denen das relevante Tatsachenmaterial fast ausschließlich aus N o r m t a t s a c h e n im oben beschriebenen Sinne besteht. Z u diesen haben die Parteien ohnehin keinen privilegierten Zugang, so daß auch nichts dagegen spricht, quivis ex populo
die Klage
zu ermöglichen. Hinzu k o m m t , daß gerade der nicht unmittelbar betroffene und daher »idealistisch« handelnde Kläger besondere Anstrengungen machen wird, den Prozeß zu gewinnen: Hätte er nämlich kein besonderes Interesse am Prozeß, so würde er ihn gar nicht führen. Führt er ihn aber, so ist dies ein Indiz für ein besonders starkes Engagement in dieser S a c h e . 1 0 8
104 Truth About Motorways Pty Ltd. v. Macquarie Infrastructure Investment Management Ltd., 200 CLR 591 (2000). 105 Rehbinder/Burgbacher/Knieper, Bürgerklage im Umweltrecht 153 f.; zustimmend Weyreuther, Verwaltungskontrolle durch Verbände? 69, der ansonsten der Verbands- oder Popularklage ablehnend gegenübersteht. 106 Wolf, BB 1971, 1293, 294. 107 Ebd. 1293 f. 108 Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse 6 8 - J a f f e , 116 U. Pa. L. Rev. 1033,1037f. (1968).
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4. Zur Rehabilitation der Popularklage Neben den praktischen Einwänden werden im modernen Staat aber auch grundsätzliche Bedenken gegen die Popularklage vorgebracht. Der Kern dieser Bedenken besteht darin, daß die Verantwortung für die Durchsetzung des objektiven Rechts dem Staat und nicht den Bürgern zugeordnet wird: »Einhaltung des Rechts, objektive Rechtskontrolle kann seiner Natur nach nur Aufgabe des Staates sein, nicht aber eigenes Anliegen der Privaten.« 109 Der Staat wird damit als etwas den Individuen fremdes, wenn nicht gar feindliches, angesehen und nicht als die von den Bürgern selbst geschaffene Organisationsform. Diese Sichtweise wird auch deutlich, wenn behauptet wird, es sei »Aufgabe des Staates, über die Beachtung seiner Gesetze zu wachen [...] Privatpersonen haben keinen allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch.«110 Die Gesetze sind also nach dieser Auffassung »seine«, d.h. die des Staates, und nicht etwa »unsere«, die wir als Bürger uns selbst gegeben haben. Anders als noch zu Zeiten der römischen actiones populäres herrscht heute eine dichotomische Vorstellung von Staat und Untertan vor, nach der letzterer sich aus den Staatsgeschäften herauszuhalten habe. 111 Diese Vorstellung paßt jedoch eher auf ein monarchisches Staatsmodell, in dem die sogenannten öffentlichen Interessen als Sache der Krone angesehen wurden. 112 Gleichzeitig entspricht die Beschränkung der Rechtsdurchsetzung auf die Ausübung subjektiver Rechte einer »alt-liberalen Auffassung« 113 von einer staatsfreien Privat- und Wirtschaftssphäre. Diese Kombination einer solchen staatsfreien Zone freien Wirtschaftens bei gleichzeitiger monarchischer Zuständigkeit für das sogenannte Allgemeininteresse kann auch als spezifisch deutscher Kompromiß zwischen Monarch und Bürgertum angesehen werden. 114 Dem Bürger werden in diesem Arrangement die individuellen (Markt-) Freiheiten und die damit verbundenen subjektiven Rechte zugestanden, gleichzeitig akzeptiert er aber die Herrschaft des Monarchen über die Gesellschaft als Ganzes. Damit ist der Bürger nicht ein für das Gesamte verantwortlicher citoyen, sondern nur ein auf die Privat- und Marktsphäre beschränkter bourgeois.ns Diese arbeitsteilige Zuständigkeit der Bürger für ihre Rechte und des Staates für das allgemeine Wohl hat sich jedoch schon aus funktionaler Sicht als mangelhaft erwiesen. Weder reicht die marktförmige Selbststeuerung zum Schutz der subjektiven Rechte des Einzelnen aus, noch gelingt es dem Staat, ohne Mitwir109 Urbanczyk, a.a.O. 105 sowie 2 1 4 : Ein »öffentliches Kontrollbedürfnis« müsse notwendigerweise von einer staatlichen Instanz befriedigt werden. 110 Zeppernick, Vorsprung durch Rechtsbruch im Spannungsfeld zwischen Konkurrentenschutz und Popularklage 1. 1 1 1 So der zutreffende Befund bei Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse 2. 112 Masing, a.a.O. 66. 1,3 Wälde, ZRP 1975, 105, 106. 114 Masing, a.a.O. 73. 1 1 5 Ebd. 179.
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5. Kapitel: Rechtspolitische
Vorschläge
kung der Bürger die Durchsetzung des objektiven Rechts zu sichern. Letzteres zeigt sich schon in dem bereits beschriebenen Phänomen, daß gerade die »allgemeinen« Interessen bei der politischen Willensbildung generell unterrepräsentiert sind. D a h e r wird schon seit langem die Frage gestellt, inwieweit die Gerichte »zum Schutz andernfalls zu kurz kommender Interessen beitragen k ö n n e n . « 1 1 6 Diese Frage wird heute angesichts weiter schwindender Steuerungsfähigkeiten des Staates noch virulenter. Ein Staat, der strukturell nicht in der Lage ist, allgemeine Interessen ausreichend zu schützen, kann nicht gleichzeitig ein M o n o p o l für diesen Schutz beanspruchen: Wenn etwa gegen ein Verbandsklagerecht angeführt wird, der Schutz überindividueller Interessen müsse in der Demokratie der allgemeinen politischen Willensbildung überlassen werden, so ist das nur dann überzeugend, wenn die entscheidenden Fragen noch durch Wahlen und Abstimmungen entschieden werden können - genau das wird aber von Theoretikern der Globalisierung mehr und mehr in Frage gestellt. 117 D e r Ausschluß des einzelnen Bürgers von der Durchsetzung des objektiven Rechts ist aber nicht nur dysfunktional, sondern er ist auch mit der Idee einer Republik als Selbstorganisation der Bürger k a u m vereinbar. Die demokratisch und republikanisch organisierte Staatlichkeit ist nach dieser Vorstellung nichts den Bürgern fremdes, sondern ihr eigenes Geschöpf. Wenn die Gesetze aber diejenigen der Bürger selbst sind, dann kann man zumindest bildhaft davon sprechen, daß »jede Verletzung des Rechts eine Verletzung jedes Bürgers« ist. 1 1 8 Daher liegt die Verantwortung für das im objektiven Recht ausgedrückte allgemeine Wohl bei allen B ü r g e r n . 1 1 9 In diesem Sinne wird auch für die Popularklage gem ä ß Art. 9 8 Satz 4 B V darauf hingewiesen, daß sie eine bewährte F o r m zivilgesellschaftlicher Beteiligung an der Kontrolle und Entwicklung der bayerischen Rechtsordnung darstellt und die »EigenVerantwortung der Staatsbürger für das politische Leben« s t ä r k t . 1 2 0 Bereits der Schriftsteller Karl Kraus verstand seine literarische Einmischung in gesellschaftliche Angelegenheiten als »öffentliche, schriftliche Popularklage«. 1 2 1 Die Einführung erweiterter Popularklagekompetenzen würde diese Verantwortung jedes Einzelnen für das gesellschaftliche Ganzen betonen. Über den im subjektiven R e c h t ausgedrückten Schutz seiner individuellen Güter hinaus würde die Popularklage den M e n s c h e n nicht nur als Vermögensträger, sondern auch als citoyen
und politische Person a n e r k e n n e n . 1 2 2 Sie ist damit nicht nur ein tech-
V. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen 304. Michaels, KJ 2001, 458, 463. 118 Schachtschneider, Res publica res populi 929. Zu Schachtschneiders allgemeiner politischer Theorie vgl. aber die treffende Kritik bei Ekardt, Zukunft in Freiheit 184 Fn. 419 m.w.N. 119 Schachtschneider, ebd. 930. 120 Wintrich, Schutz der Grundrechte durch Verfassungsbeschwerde und Popularklage 14ff. 121 Karl Kraus, Die Fackel Nr. 46, 20. 122 Masing, a.a.O. 195. 116 117
II.
Akteure
379
nisches Mittel zur Kompensation von Vollzugsdefiziten, sondern auch Ausdruck gesamtgesellschaftlicher Partizipation. Die Popularklage wird daher zwar mit gewissem Pathos, aber doch nicht ganz unberechtigt als »ein Schritt zur Verwirklichung einer Republik« bezeichnet. 123 Die Popularklage macht das objektive Recht zur res publica. Dies zeigt sich gerade in der Konzeption der römischen Popularklage zum Schutze öffentlicher Sachen, die diesen Schutz nicht allein dem Staat zuweist, sondern ihn als Angelegenheit eines jeden Bürgers ansieht. 124 In diesem Aspekt erscheint die Popularklage fast zwangsläufig mit dem Gedanken eines republikanischen Gemeinwesens verbunden: Wenn wir den Staat so denken, dann beginnt vor unseren Augen etwas zusammenzuwachsen, man sieht etwas, das man fast greifen kann: das Tal, in dem alle Bewohner des Umkreises zusammenlaufen, sich versammeln und sich anschicken, die res publica publice zu verhandeln [...] Jedermann ist befugt und verpflichtet, die gesamte Ordnung zu überblikken und deren Wirken auf die Rechtmäßigkeit hin zu kontrollieren: quivis ex populo. 1 2 5
Diese erfrischend naiv wirkenden Ausführungen sind zwar auf die verfassungsrechtliche Popularklage bezogen, zeigen aber, daß die Popularklage jedenfalls nicht als in irgendeinem Sinne freiheitsfeindlich angesehen werden kann. Allerdings paßt ein Bild, in dem sich alle Bürger zusammenfinden, um die res publica öffentlich zu verhandeln, kaum zu einer komplexen Industriegesellschaft. Für diese ist vielmehr die Arbeitsteilung und die Gewährung subjektiver Rechte als Entlastung von intersubjektiven Verbindlichkeiten kennzeichnend.126 Insofern erscheint es fast paradox, daß gerade in den entwickelten Industriegesellschaften das Thema der Verbands- und Popularklage als Kompensation von Steuerungsdefiziten wieder auf der Tagesordnung steht. Doch auch als kompensatorisches Instrument ist die Popularklage jedenfalls ein freiheitsfreundlicheres Mittel als die verstärkte staatliche Aufsicht über die mit Vollzugsdefiziten behafteten Lebensbereiche. Bereits zur Verbandsklage wurde jedoch in der Literatur kritisch angemerkt, daß sie möglicherweise »Ausdruck ganz anderer Vorstellungen von der richtigen Ordnung des Gemeinwesens« sei und daß Verbandsklage und Individualprozeß jeweils den »zivilprozessualen Ausdruck verschiedener Sozialmodelle« darstellen. 127 Daran ist richtig, daß Populär- und Verbandsklage den Bürger nicht nur als bourgeois begreifen, sondern auch als gesamtgesellschaftlich verantwortlichen citoyen. Damit ist aber kein Modell »sozialstaatlicher Fürsorge« 128 verbunden, wie in diesem Zusammenhang behauptet wird. Weder die Verbands- noch die Popularklage ist Ausdruck einer Fürsorge im Sinne eines tendenziell freiheits123 124 125 126 127 128
Schachtschneider, a.a.O. 931. Dazu oben, S.44. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat 330. Dazu oben, S.241. Basedow, AcP 182 (1982) 335, 337 und 362. Ebd. 362.
380
5. Kapitel: Recbtspolitiscbe
Vorschläge
feindlichen Paternalismus. Vielmehr stabilisiert die objektive Rechtskontrolle durch Populär- und Verbandsklagen ein auf individueller Freiheit gründendes Rechtssystem, denn sie senkt die Intensität staatlicher Intervention zu Gunsten von Selbstkontrolle der Privatrechtssubjekte untereinander. 1 2 9 Auch die in der vorliegenden Arbeit unternommene Akzentverschiebung von der Verbands- zur Popularklage soll dem Bürger nicht mehr »Fürsorge« angedeihen lassen, sondern ihn selbst zu mehr zivilgesellschaftlichem Engagement für das Gemeinwesen befähigen. Insgesamt m u ß daher die Popularklage in doppelter Weise rehabilitiert werden. Erstens ist ihre Funktion als kompensatorisches Mittel gegenüber Steuerungsdefiziten des Staates und der marktwirtschaftlichen Ordnung anzuerkennen. Zweitens enthält sie auch ein utopisch-emanzipatorisches M o m e n t darin, daß sie den Bürger nicht nur als Vermögensträger, sondern auch als politisch handelndes und für die gesellschaftliche Ordnung verantwortliches
Subjekt
a n e r k e n n t . 1 3 0 Letzteres ist auch kein Widerspruch zu einer liberalen Staatsauffassung. Gegenstand der Popularklage soll ja - wie oben zum sachlichen Anwendungsbereich bereits vorgeschlagen - gerade die Sicherung der für eine freiheitlich verfaßte Gesellschaft unverzichtbaren Voraussetzungen sein.
5. Popularklage und Denunziantentum Auch bei einer solchen positiven Beurteilung der Popularklage verbleibt ein gewisses Unbehagen. N i e m a n d möchte einen Schnüffel- und Denunziantenstaat, in dem jeder jeden überwacht. Nicht jeder »Wichtigtuer« solle sich zum allgemeinen »Sittenwächter« aufschwingen k ö n n e n . 1 3 1 In diesem Sinne wird etwa im Verwaltungsrecht zwar eine verstärkte M i t w i r k u n g des Bürgers an der Rechtsdurchsetzung vorgeschlagen, aber gleichzeitig auch vor einer unangemessenen Ausweitung derartiger Kontrollmechanismen gewarnt: Solche Zuspitzung der Optionen [der Einbeziehung des Bürgers in die Verwaltung] zu einem umfassenden Verwaltungsmodell macht jedoch schnell auch frösteln; und stellt man sich ein solches Modell etwa im Bereich des Ausländer- oder Sozialhilferechts vor, wird aus dem Frösteln ein Schaudern. Die Ambivalenz einer unverantwortlichen Anwaltschaft des Rechts ist offensichtlich: Für den Dritten werden die »Anwälte« schnell zu Spitzeln und Denunzianten. Diese Gefahr ist strukturell mit angelegt. Eine Einbeziehung der Bürger in die konkrete Arbeit der Verwaltung bedeutet in aller Regel auch eine Kontrolle der Bürger untereinander [...] 1 3 2 129 Lindacher, ZZP 103 (1990) 397, 412; bereits die römische Popularklage wird als Ausdruck individueller Freiheit interpretiert bei Casavola, Labeo 1 (1955) 131, 153 Fn. 118. 1 , 0 Aus diesen Gründen für die Popularklage daher auch v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen 308. 131 Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts 269. 132 Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts 233f.; zustimmend Ekardt, Zukunft in Freiheit 375 Fn.921.
II.
Akteure
381
Diese berechtigten Bedenken sind vor allem bei der Formulierung des sachlichen Anwendungsbereiches der Popularklage zu berücksichtigen. So hat etwa das der Popularklage vergleichbare Institut der hisba im islamischen Rechtskreis 1 9 9 6 Aufsehen erregt, als es zur Feststellung der Nichtigkeit der Ehe eines Professors für Literaturwissenschaft an der Universität Kairo führte, da dieser vom islamischen Glauben abgefallen sei und daher nicht mit einer Muslima verheiratet sein dürfe. In einem weiteren auf die hisba gestützten Prozeß wurde in Ägypten ein angeblich islamwidriger Spielfilm v e r b o t e n . 1 3 3 In beiden Fällen ist der Skandal allerdings eher im materiellen Recht zu suchen anstatt in der Klagebefugnis der jeweiligen Denunzianten. Trotzdem bleibt hier ein gewisser N a c h g e s c h m a c k , da weder die eheliche Beziehung noch das geschmackliche Urteil über einen Spielfilm Lebensbereiche sind, in denen die Durchsetzung des objektiven Rechts so sehr im gesellschaftlichen Interesse liegt, daß eine Popularklagekompetenz notwendig erscheint. Ist dagegen der für die Popularklage geöffnete Bereich ausreichend eng und auf solche gesellschaftlichen Probleme beschränkt, in denen das Engagement interessierter Bürger wirklich notwendig ist, so kann die Popularklage zivilgesellschaftliches Engagement und Partizipation im positiven Sinne sein und nicht zum Denunziantentum verkommen. In diesem Sinne ist auch dem ernstzunehmenden Einwand gegen Popularklagen zu begegnen, daß die »Monopolisierung der Klagebefugnis beim selbst und unmittelbar Betroffenen« Ausdruck einer Wertentscheidung dahingehend sei, daß die jeweils Betroffenen ihre Verhältnisse ohne Einmischung von außen regeln sollen. 1 3 4 D a r a n ist richtig, daß die Popularklage sich nicht auf sämtliche Lebensbereiche erstrecken sollte. Z w a r ist in gewissem Sinne jedes »Mietverhältnis ein P o l i t i k u m « , 1 3 5 weil in ihm das politisch gesetzte Recht zu realisieren ist. Daraus folgt aber noch nicht, daß auch jedermann eine Überprüfung jedes Mietvertrags gestattet sein sollte. Im Gegenteil: Die Beschränkung der entsprechenden Klagebefugnis auf die unmittelbar Betroffenen verweist mit Recht auf die Wunschvorstellung einer Gesellschaft, in der die Bürger ihre Angelegenheiten ohne Einmischung und durch autonome Entscheidungen selbst regeln können. Gerade in dieser liberalen Utopie liegt ja eine der Bedeutungen der Vorstellung vom subjektiven R e c h t . 1 3 6 Diese liberalen Werte dürfen bei der Schaffung neuer Popularklagekompetenzen
nicht
ignoriert
werden.137
Eine
sachlich
unbe-
1 3 3 Zu beiden Fällen und allgemein zur hisba vgl. Bäk, VRÜ 31 (1998) 60ff. Die hisba als Popularklage wurde nach diesen Fällen in Ägypten vom Gesetzgeber abgeschafft (ebd. 67). 1 3 4 So etwa Lindacher, FS Deutsche Richterakademie 209, 210; Wolf, BB 1971, 1293. 135 Schachtschneider, Res publica res populi 163. 1 3 6 Siehe oben, S. 2 4 2 . 137 Jolowicz, in: Habscheid (Hrsg.) Effektiver Rechtsschutz und verfassungsmäßige Ordnung 53, 68.
382
5. Kapitel: Rechtspolitische
Vorschläge
schränkte Popularklage ist daher abzulehnen, da die Befolgung des Rechts nicht der einzige Wert der Gesellschaft ist. 1 3 8 Es gibt sie wohl auch n i r g e n d w o . 1 3 9 Andererseits ist auch die Realität der gesellschaftlichen Verhältnisse anzuerkennen, die jener Utopie von der selbstbestimmten Gestaltung der individuellen Lebensverhältnisse nicht entspricht. In bestimmten Bereichen müssen daher dem subjektiven R e c h t kompensatorische Mittel zur Seite gestellt werden, um die im objektiven Recht verkörperten gesellschaftlichen Wertentscheidungen auch in der Realität wirksam werden zu lassen. Diese Bereiche der Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen und der Rahmenbedingungen der marktwirtschaftlichen Ordnung wurden zuvor bereits skizziert.
III.
Klagziel
1. Unterlassung, Beseitigung, Gestaltung, Feststellung Betrachtet man die im geltenden Recht vorhandenen Formen der Populär- und Verbandsklage, so haben sich Unterlassung künftiger und Beseitigung vorhandener Störungen als ihre klassischen Ziele bewährt. D a r a n sollte festgehalten werden. Auch die Gestaltungsklage des populären Patentnichtigkeitsverfahrens ist ein probates Instrument, das keiner Änderung bedarf. Allerdings ist zusätzlich noch an die Möglichkeit einer Feststellungsklage zu d e n k e n . 1 4 0 Diese bietet sich insbesondere bei der Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen an, weil dann das Ziel der rechtlichen Beurteilung bestimmter Klauseln schärfer hervorträte. 1 4 1 Außerdem wäre die oben befürwortete Breitenwirkung zu Lasten des beklagten Verwenders bei einem Feststellungsurteil einfacher zu konstruieren. Es bedürfte dann nicht mehr der Extraktion eines feststellenden Teils aus dem Tenor eines Unterlassungsurteils. Auch in anderen Sachbereichen mag die richterliche Feststellung der Rechtswidrigkeit des inkriminierten Verhaltens oft ausreichend sein. Daher sollte der Festeilungsantrag als zusätzliche Möglichkeit in die Regelungen zur Popularklage aufgenommen werden. Ein Unterlassungsantrag sollte jedoch auch im Bereich der A G B - K o n t r o l l e weiterhin möglich sein. Er ist ein mittlerweile bewährtes Instrument, das nicht leichtfertig aufgegeben werden sollte.
Cappelletti/Garth, in: Habscheid (Hrsg.) a.a.O. 117, 128. Ebd. 159 nach rechtsvergleichender Umschau. 1 4 0 Ebenso Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse 2 0 2 . 1 4 1 So bereits Leipold, in: Gilles (Hrsg.) Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung 57, 66; E. Schmidt, FS Keller 661, 664. 138
139
III. 2.
Klagziel
383
Schadensersatz
Weitaus problematischer ist jedoch die im geltenden Recht bisher nicht vorgesehene Möglichkeit eines Schadensersatzanspruchs des Populär- oder Verbandsklägers. Hier m u ß sorgfältig differenziert werden zwischen der Geltendmachung fremder Schäden einerseits und der Konstruktion eines eigenen Schadens des Populär- oder Verbandsklägers andererseits.
a) Geltendmachung
fremder
Schäden
Die Geltendmachung fremder Schäden durch einen Repräsentanten ist bereits in der Einleitung aus dem Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ausgeschieden worden. Sie betrifft nur eine besondere F o r m der Durchsetzung subjektiver Rechte und hat daher mit einer objektiven Rechtskontrolle durch Populär- oder Verbandskläger nichts zu tun. Trotzdem wird sie oft als Teilaspekt des Problemkreises »Verbandsklage« erörtert. In diesem Z u s a m m e n h a n g werden auch wiederholt rechtspolitische Vorschläge gemacht, die eine Verbandsklage zwecks Geltendmachung fremder Schäden über die bereits heute bestehende M ö g l i c h keiten - etwa die gemäß Art. 1 § 3 Nr. 8 R B e r G erlaubte Sammelabtretung - hinaus ermöglichen sollen. 1 4 2 M i t R e c h t wird allerdings darauf hingewiesen, daß es den betroffenen Anspruchsinhabern selbst überlassen bleiben sollte, wen sie als ihren Repräsentanten bestellen. 1 4 3 Dieser m u ß kein Verband sein, sondern kann ebenso gut jede interessierte und qualifizierte Einzelperson sein. Daher ist eine solche Bündelung von Einzelansprüchen besser als Gruppen- oder Sammelklage zu bezeichnen. Schon angesichts der Problematik der Streuschäden und des damit verbundenen rationalen Desinteresses des einzelnen Anspruchsinhabers an einer Prozeßführung handelt es sich bei der Gruppen- oder Sammelklage um ein wichtiges rechtspolitisches Anliegen. Es wirft allerdings ganz andere Probleme auf als die hier untersuchten Klagekompetenzen der objektiven Rechtskontrolle. Insoweit kann daher hier nur auf die einschlägigen Untersuchungen verwiesen werden.144
b) Eigener Schaden des Populär- oder
Verbandsklägers
Die gebündelte Geltendmachung individueller Schäden durch einen Repräsentanten ist wiederum zu unterscheiden von der Annahme eines eigenen Schadens des Populär- oder Verbandsklägers, der dann einen entsprechenden Ersatz aus ei1 4 2 Etwa bei Hopt/Baetge, in: Basedow u.a. (Hrsg.), Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß 11, 4 5 . 143 Stadler, in: Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeßrecht 1, 26ff. 1 4 4 Vgl. etwa Stadler, ebd.; Hopt/Baetge, a.a.O.; Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action.
384
S. Kapitel: Rechtspolitische
Vorschläge
genem Recht verlangen könnte. Eine solche Konstruktion gibt es in Deutschland bisher nicht. Sie ist aber in Frankreich seit langem anerkannt, so daß hier ein kurzer rechtsvergleichender Exkurs sinnvoll ist. G e m ä ß Art. L. 4 2 1 - 1 des französischen Code
de la consommation
können
ordnungsgemäß zugelassene Verbände eine Schadensersatzklage erheben, die den Ersatz des Schadens am kollektiven Interesse der Verbraucher (préjudice l'intérêt
collectif
des consommateurs)
à
zum Gegenstand h a t . 1 4 5 Andere Verbände
können ähnliche »kollektive Schäden« geltend machen, und zwar in so disparaten Bereichen wie etwa dem Schutz der Kapitalanleger, dem Umweltschutz, dem Schutz der Fischerei oder dem Andenken an die Kämpfer der R é s i s t a n c e . 1 4 6 Allerdings ist man sich selbst in der französischen Literatur nicht recht im klaren darüber, was mit dem Begriff des kollektiven Schadens genau beschrieben werden soll. Er wird in der Literatur daher auch als »nicht greifbar« bezeichnet. 1 4 7 Gemeinhin behilft m a n sich mit einer nur negativen Abgrenzung des kollektiven Interesses. Dieses soll weder identisch mit den kumulierten Einzelinteressen der jeweiligen Gruppenmitglieder s e i n 1 4 8 noch mit dem Allgemeininteresse schlechth i n . 1 4 9 Konkrete Schäden einzelner Personen sind nicht erforderlich. 1 5 0 Diese Unklarheiten beim Begriff des kollektiven Schadens setzen sich in der französischen Rechtsprechung auch in der Ermittlung der jeweiligen Schadenshöhe fort. Gelegentlich wird dem Kläger nur der berühmte franc heute immerhin der Euro symbolique
symbolique
-
- zugesprochen, mit dem deutlich gemacht
werden soll, daß das Verhalten des Beklagten rechtswidrig ist, mag das betroffene Interesse letztlich auch nicht quantifizierbar sein. 1 5 1 Allerdings wollen manche französische Richter mit der Zuerkennung des bloßen franc
symbolique
auch ihre Mißbilligung gegenüber den Verbandsklageberechtigungen generell ausdrücken. 1 5 2 In der Mehrzahl der Fälle werden den siegreichen Verbänden al-
1 4 5 Siehe etwa Cass. 5 . 1 0 . 1999, D. 2000 Jur. 110 mit Anm. faisant-, vgl. Franke, Die Verbandsklagen der Verbraucherverbände nach dem französischen Code de la consommation im Vergleich zum deutschen Recht 75 ff. 1 4 6 Nachweise bei Franke ebd. 78. 147 Verdier, D. 1960, Jur. 295, 296 (»l'insaisissable notion d'intérêt collectif«). Ähnlich Beuchler, in: Micklitz/Stadler (Hrsg.), Das Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft 57, 94. 148 Calais-Auloy, D. 1988, Chron. 1 9 3 , 1 9 5 : »[Le préjudice collectif] n'est pas l'addition des préjudices subis par les consommateurs individuellement lésés.« 1 4 9 Nachweise aus der französischen Rechtsprechung und Literatur bei Franke, a.a.O. "79ff.; Beuchler, in: Micklitz/Stadler (Hrsg.), Das Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft 57, 88 ff. 1 5 0 Cass. crim. 2 2 . 8 . 1990, Bull. crim. 1990, Nr. 306. 151 Puttfarken/Franke, in: Basedow u.a. (Hrsg.), Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß 149, 175 m.w.N.; grundsätzliche Erwägungenen zum symbolischen Schadensersatz bei Brüggemeier, FS Heinrichs 79 ff. 152 Franke, Die Verbandsklage der Verbraucherverbände nach dem französischen Code de la consommation im Vergleich zum deutschen Recht 122 m.w.N.
III.
385
Klagziel
lerdings Summen von etwa 1 0 0 bis 1 0 . 0 0 0 Euro als kollektiver Schadensersatz zugesprochen. 1 5 3 Die Kriterien zur Ermittlung der Schadenssumme können jedoch nur als diffuses »Bündel von M o t i v e n « 1 5 4 beschrieben werden. Teilweise haben sie den Charakter einer Strafzumessung, wenn etwa eine besondere Schwere der Schuld darin gesehen wird, daß das rechtswidrige Verhalten Kinder oder andere wehrlose Personen geschädigt hatte. 1 5 5 Damit erhält die Verurteilung zum Schadensersatz jedoch eher den Charakter ein Privatstrafe, was in der französischen Literatur teilweise ausdrücklich begrüßt wird. 1 5 6 In anderen Fällen wird dagegen der Ersatz des kollektiven Schadens faktisch als Aufwandsentschädigung für den klagenden Verband verstanden. Insbesondere sollen damit die Kosten abgedeckt werden, die dem Verband bei der Vorbereitung des Prozesses entstehen, etwa durch die Sammlung von Beweismaterial. Es ist allerdings in Frankreich umstritten, inwieweit bei der Berechnung derartiger Entschädigungen auch die allgemeine Aufklärungs- und Beratungstätigkeit der Verbraucherverbände eine Rolle spielen darf. 1 5 7 Eine Schadensersatzberechnung anhand des Gewinns, den der beklagte Unternehmer durch sein rechtswidriges Verhalten erzielt hat, wird von der französischen Rechtsprechung dagegen überwiegend abgelehnt. Ein hoher rechtswidrig erzielter Gewinn des Unternehmers ist allenfalls eines von mehreren Motiven bei der Bildung der Schadensersatzsumme. 1 5 8 Eine Gewinnabschöpfung durch Verbraucherverbände - etwa im Sinne des deutschen § 10 U W G - findet daher in Frankreich nicht statt. Insgesamt wird die französische Praxis zum eigenen Schadensersatzanspruch des Verbands wegen Verletzung des Kollektivinteresses der Verbraucher daher in der rechtsvergleichenden Literatur eher zwiespältig beurteilt. 1 5 9 Für die einzelnen Verbraucher bringt dieses Instrument keinen konkreten Vorteil, da es sich nicht mit dem Ersatz ihrer individuellen Schäden befaßt. Es kann allenfalls abschreckende Wirkung im Sinne einer Privatstrafe haben, wobei aber die vergleichsweise niedrigen Beträge, die die französische Rechtsprechung derzeit zuspricht, diese Wirkung wieder relativieren. 1 6 0 Eine Übernahme dieses oder eines vergleichbaren Instruments für das deutsche Recht empfiehlt sich daher nicht. 1 6 1 Dazu müßte ein neuer, vom sonstigen Recht abweichender Schadensbegriff geschaffen werden, dessen Übersicht bei Puttfarken/Franke, a.a.O. 176ff.; Franke, a.a.O. 9Off. Puttfarken/Franke, a.a.O. 178. 1 5 5 Beispiele bei Franke, a.a.O. 91 ff. 156 Puttfarken/Franke, a.a.O. 178 m.w.N. 1 5 7 Nachweise bei Franke, a.a.O. 123ff. 1 5 8 Ebd. 127ff. 1 5 9 Ebd. 135f. und 196 (»Funktion unklar«); ganz ablehnend Hopt/Baetge, (Hrsg.), Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß 11, 4 5 . 160 Franke, a.a.O. 136. 1 6 1 Ebenso Hopt/Baetge, a.a.O. 45.
Konturen
153 154
in: Basedow u.a.
386
5. Kapitel: Rechtspolitische
Vorschläge
höchst unscharf sind. Soweit es um den Ersatz der Aufwendungen des Verbands geht, hat das deutsche Recht hier weitgehend ausreichende Regelungen im K o stenrecht und in § 1 2 Abs. 1 U W G , wobei sich allenfalls die Frage nach der konkreten Ausfüllung dieser Regeln stellt. 1 6 2 Die Angemessenheit von Privatstrafen und Gewinnabschöpfungskompetenzen ist im folgenden noch gesondert zu überprüfen; derartige Institute sollten jedenfalls nicht in der » M a s k e des Schadensersatzes« daherkommen, wie es ein französischer Experte hinsichtlich der französischen Praxis treffend formuliert. 1 6 3
3.
Privatstrafe
Die Betrachtung der römischen actiones populäres
hat gezeigt, daß die Konzep-
tion einer Privatstrafe durchaus mit der Popularklage vereinbar ist. Z w a r entsprach die römische Privatstrafe einer »archaischen Einheit von Strafanspruch und zivilrechtlich-deliktischem Ausgleichsanspruch« im Sinne eines Schadensersatzes als S ü h n e , 1 6 4 aber sie war in F o r m der actiones populäres
auch dann mög-
lich, wenn gar kein individueller Schaden auszugleichen war. Die moderne Rechtsentwicklung hat jedoch diese archaische Einheit verschiedener Sanktionsformen beendet und die rein strafende Sanktion dem öffentlichen Recht in F o r m des heutigen Strafrechts zugeordnet. Das privatrechtliche Deliktsrecht ist dagegen grundsätzlich auf die Ausgleichsfunktion beschränkt, die bei Popularklagen mangels individueller Betroffenheit keine Rolle spielt. Der Bundesgerichtshof hat daher eine Privatstrafe in F o r m der US-amerikanischen punitive damages für mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar e r k l ä r t . 1 6 5 Strafende Sanktionen seien nur in dem dafür vorgesehenen besonderen Strafverfahren zu verhängen; eine per Zivilurteil ausgesprochene Privatstrafe erscheine aus hiesiger Sicht »unerträglich«. 1 6 6 J e d o c h können jüngere Entwicklungen im deutschen Deliktsrecht durchaus als eine Renaissance der Privatstrafe gedeutet w e r d e n . 1 6 7 Allerdings betreffen diese Entwicklungen vorrangig den Schutz des Persönlichkeitsrechts, der nicht Gegenstand der hier untersuchten und vorgeschlagenen Popularklagen ist. Hinzu k o m m t , daß die Privatstrafe in F o r m einer Geldentschädigung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen vor allem mit der Genugtuungsfunktion für den verletzDazu oben, S.350. Calais-Auloy, D. 1998, Chron. 193, 195: »Mais on peut se demander si les sommes [...] ne sont pas, au fond, des peines privées masquées sous l'apparence d'indemnités.« 164 Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse 2. 1 6 5 BGH 4 . 6 . 1992, BGHZ 118, 312, 343ff.; vgl. die im Ergebnis zustimmende Studie von Mörsdorf-Schulte, Funktion und Dogmatik US-amerikanischer punitive damages 296 ff. 1 6 6 BGH ebd. 344. 1 6 7 Vgl. jetzt Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht 409ff.; Ebert hält einen weiteren »Ausbau der pönalen Elemente des deutschen Privatrechts« insbesondere im Bereich des Persönlichkeitsrechts für wünschenswert und »unvermeidlich« (ebd. 576). 162 163
III.
Klagziel
387
ten Kläger gerechtfertigt wird. 1 6 8 Da aber persönliche Verletzungen gerade nicht Gegenstand der Popularklage sind, entfällt diese Funktion für den hier untersuchten Bereich. Auch die französische astreinte,
mit der eine Unterlassungsverpflichtung
durchgesetzt werden soll, hat den Charakter einer Privatstrafe, da sie an den Vollstreckungsgläubiger zu entrichten ist. 1 6 9 Sie ist in ihrer gläubigerbegünstigenden Wirkung jedoch kaum mit dem deutschen Rechtssystem vereinbar und ist auch im Hinblick auf eine mögliche europäische Rechtsvereinheitlichung umstritten. 1 7 0 Zu einer Popularklage paßt sie schon deswegen nicht, weil diese keinen individuellen Anspruch des Klägers durchsetzt und es daher auch keine Rechtfertigung gibt, gerade diesem Kläger eine Strafzahlung zukommen zu lassen. Im Ergebnis ist daher die Einführung einer Popularklage mit Privatstrafcharakter nicht empfehlenswert. Sie würde die moderne Differenzierung zwischen Straf- und Zivilrecht ohne Not wieder verwischen und weitere prozessuale Probleme schaffen. Die oben bereits vorgeschlagene Popularklage auf Unterlassung oder Feststellung rechtswidrigen Verhaltens in bestimmten Sachbereichen muß bereits als recht weitgehendes kompensatorisches Instrument der objektiven Rechtskontrolle betrachtet werden. Sie kann aber auf langjährige positive Erfahrungen mit der Verbandsklage aufbauen. Derartige positive Erfahrungen mit einer Privatstrafenregelung gibt es weder in Deutschland noch - wie gesehen - in Frankreich.
4. Gewinnabschöpfung Mangels derartiger Erfahrungen kann auch eine Erweiterung des in § 10 U W G eingeführten Instruments der Gewinnabschöpfung durch Verbände bisher nicht empfohlen werden. Es ist zudem bisher nicht dogmatisch befriedigend geregelt. Die vom Gesetzgeber angeordnete Gesamtgläubigerschaft paßt nicht, da sie grundsätzlich voraussetzt, daß jeder Gesamtgläubiger einen eigenen materiellrechtlichen Anspruch hat. 1 7 1 Um derartige individuelle Rechtspositionen geht es aber nicht, zumal der nach diesen Vorschriften abzuschöpfende Gewinn an den Bundeshaushalt und nicht an die angeblichen Anspruchsinhaber fließen soll. Allerdings erscheint eine befriedigende Regelung eines Gewinnabschöpfungsanspruchs für Populär- oder Verbandskläger auch nicht möglich. 1 7 2 Dies liegt darin begründet, daß es hier eigentlich um einen Schadensersatz geht, nämlich 168 169 170
BGH 4 . 6 . 1992, B G H Z 118, 312, 3 3 9 f . ; BGH 1 5 . 1 1 . 1994, B G H Z 128, 1, 15. A. Bruns, ZZP 118 (2005) 3, lOff. Ebd. 20ff. und 24: Einführung einer gesamteuropäischen astreinte sei nicht empfehlens-
wert. 171 172
Dazu Marotzke, ZZP 98 (1985) 160, 184. Vgl. bereits Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse 2 1 5 .
388
S. Kapitel: Rechtspolitische
Vorschläge
den in § 10 Abs. 1 U W G beschriebenen Gewinn »zu Lasten einer Vielzahl von A b n e h m e r n « . N u r sollen nach dem Willen des Gesetzgebers nicht die wirklich Geschädigten kompensiert werden, sondern - ersatzweise, wie § 1 0 Abs. 2 U W G zeigt - der Bundeshaushalt davon profitieren. Das Gewinnabschöpfungsverfahren ist daher nur eine Verlegenheitslösung, die mangels eines effektiven Verfahrens zur Durchsetzung einer Vielzahl von Einzelschäden zugunsten der jeweils Geschädigten gewählt wurde. Dies zeigt sich auch in der Gesetzesbegründung zu § 1 0 U W G , die auf das Phänomen der Streuschäden verweist. 1 7 3 Dieses Phänomen betrifft aber die Durchsetzung einer Vielzahl individueller Ansprüche, für die es möglicherweise eines besseren Verfahrens bedarf. D a m i t gelangt m a n aber zu der oben bereits angesprochenen Diskussion über eine Gruppen- oder Sammelklage zugunsten einer Vielzahl individuell Betroffenener. Wird dieses Problem gelöst, so hat ein Gewinnabschöpfungsmodell zugunsten von Verbänden oder gar zugunsten des Bundeshaushalts keine Berechtigung mehr.
IV. Rechtskraft und
Rechtshängigkeit
Bereits aus dem geltenden Recht läßt sich eine umfassende Rechtskraftwirkung der Populär- und Verbandsklagen untereinander ableiten. 1 7 4 Diese Wirkungen sind von Amts wegen zu berücksichtigen, was durch ein besonderes Register erleichtert würde. Dazu könnten die vorhandenen Vorschläge für ein »elektronisches Klage- und Urteilsregister beim Bundesanzeiger« 1 7 5 und zukünftige Erfahrungen mit dem Klageregister gemäß § 2 K a p M u G nutzbar gemacht werden. Die Rechtskraftwirkung eines im Populär- oder Verbandsklageverfahren ergangenen Urteils auf Individualprozesse beschränkt sich dagegen auf die in § 11 U K l a G bezeichnete Konstellation. Diese Vorschrift ist auf alle vergleichbaren Fälle auszudehnen und als Prüfung von Amts wegen auszugestalten. D a r ü b e r hinaus wird in rechtspolitischer Absicht zumindest für die A G B - K o n t r o l l k l a g e auch eine Rechtskraftwirkung erga omnes
gefordert, um dadurch zu einer »Ge-
neralbereinigung« des Rechtsverkehrs bezüglich der unwirksamen Klausel zu k o m m e n . 1 7 6 Eine derartige umfassende Rechtskraftwirkung besteht etwa nach
BT-Drs. 15/1487, 23. Siehe oben, S.308ff. 175 So die Bezeichnung bei Micklitz/Stadler, in: dies. (Hrsg.), Das Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft 1183, 1243ff. 176 E. Schmidt, NJW 1989,1192,1197. Kritisch zur Konstruktion der nur auf Einrede zu berücksichtigenden Rechtskraftwirkung zugunsten des Vertragspartners des AGB-Verwenders in §21 AGBG (heute §11 UKlaG) auch Gilles, ZZP 98 (1985) 1, 25. Für die Schaffung einer Rechtskraftwirkung inter omnes auch Löwe, in: Heinrichs u.a. (Hrsg.), Zehn Jahre AGB-Gesetz 99, 116ff. 173
174
IV. Rechtskraft und
Rechtshängigkeit
389
dem griechischen Verbraucherschutzgesetz, o b w o h l auch dort die Details noch nicht geklärt scheinen. 1 7 7 Bereits zum geltenden deutschen Recht wurde jedoch ausgeführt, daß eine Rechtskrafterstreckung erga omnes
am Grundsatz des rechtlichen Gehörs schei-
t e r t . 1 7 8 Allerdings wird zumindest für die AGB-Kontrollklage eine Parallele zu öffentlich-rechtlichen Normenkontrollverfahren hergestellt, die für eine allgemeine Rechtskraftwirkung spreche. 1 7 9 Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs stehe dem nicht entgegen, da der Gesetzgeber »durch das Rechtsinstitut der Verbandsklage die Zuständigkeit zur Geltendmachung der Unwirksamkeit in erster Linie den Verbänden zugewiesen« h a b e . 1 8 0 Eine derartige Zuweisung von Befugnissen der objektiven Rechtskontrolle impliziert jedoch nicht, daß in entsprechenden Verfahren auch über die individuellen Rechte der Betroffenen disponiert werden könnte, ohne daß diese angehört werden. Die AGB-Verbandsklage - oder eine entsprechende Popularklage - soll ja die Inzidentprüfung nicht ersetzen, sondern nur kompensatorische Wirkungen entfalten. Schon deswegen ist eine Breitenwirkung zu Lasten aller Verbraucher auch rechtspolitisch nicht sinnvoll. Dasselbe gilt für eine Breitenwirkung zu Lasten aller »Parallelverwender« solcher Geschäftsbedingungen, die im Populär- oder Verbandsklageverfahren für unwirksam erklärt wurden. Hier ergäben sich zunächst Probleme der Reichweite dieser Wirkung, die aus dem Urteilstenor heraus nicht immer trennscharf genug bestimmt werden könnte. W i r d nämlich einem beklagten Unternehmer die Verwendung einer bestimmten Klausel untersagt, so m u ß dies nicht heißen, daß dieselbe Klausel in einer anderen Branche oder unter anderen Begleitumständen ebenfalls unwirksam sein muß. Daher könnte die wirkliche Reichweite des Klauselverbots nur mit Hilfe der Urteilsgründe bestimmt werden, was wiederum zu gewissen Unsicherheiten führte. Hier liegt auch der wesentliche Unterschied zur Feststellung der Nichtigkeit einer R e c h t s n o r m , wie sie etwa im Verfahren gemäß § 4 7 V w G O stattfinden kann. Die R e c h t s n o r m gilt für jedermann; wird sie im Normenkontrollverfahren »kassiert«, so entfällt diese Geltung ebenfalls für jedermann. Dabei handelt es sich auch nicht um ein Problem der Rechtskraftwirkung, sondern der Geltungsverlust der N o r m resultiert schon aus der Gestaltungswirkung des Urteils. Eine solche Gestaltungswirkung kann es aber für AGB-Klauseln schon deshalb nicht geben, weil es sich bei ihnen - so zumindest die herrschende A n s i c h t 1 8 1 - nicht um 1 7 7 Dazu Lakkis, a.a.O. 221 ff.; Beuchter, in: Micklitz/Stadler (Hrsg.), Das Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft 1 6 9 , 2 0 0 : Die Reichweite der Rechtskraft und der Bindungswirkung sei im Moment »Gegenstand einer regen Diskussion der griechischen Rechtswissenschaft. Die Rechtsprechung hatte noch keine Gelegenheit, Stellung zu beziehen.« 1 7 8 Siehe oben, S. 323 f. 179 Leipold, in: Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes 57, 66. 1 8 0 Ebd. 67. 1 8 1 Palandt/Heinrichs, BGB, § 3 0 7 Rn.2 m.w.N. Grundsätzlich gegen diese Auffassung mit
390
5. Kapitel: Rechtspolitische
Vorschläge
allgemeingültige Rechtsnormen handelt, sondern um bloße Vertragsbedingungen, deren Gültigkeit vom Verhalten der Parteien abhängt. Sie können daher auch nicht von dem empirischen Hintergrund ihrer Verwendung getrennt werden. Gerade die Beurteilung dieses faktischen Hintergrunds erfordert aber rechtliches Gehör. Daher bedarf auch bei der AGB-Kontrollklage eine Rechtskrafterstreckung zu Lasten anderer »Parallelverwender« des rechtlichen Gehörs der betroffenen Unternehmer. Dies könnte und müßte über eine Form der Benachrichtigung oder Repräsentation ähnlich der US-amerikanischen class action gewährleistet werden. 182 Für eine solche Lösung wird angeführt, daß sie letztlich ehrlicher sei als das Vertrauen auf eine faktische Breitenwirkung einschlägiger Urteile, aufgrund derer die Parallelverwender sich auf ein rechtsförmiges Verfahren gar nicht mehr einlassen. 183 Auch dieses Argument ist aber nicht zwingend. Aus Sicht eines möglicherweise betroffenen Unternehmers erscheint es recht aufwendig, sämtliche Verfahren zu verfolgen, welche dieselben oder ähnliche Geschäftsbedingungen wie die eigenen zum Gegenstand haben, und sich gegebenenfalls an diesen Verfahren auch noch zu beteiligen. Die Alternative des Abwartens, bis man selbst - etwa in einem Individualprozeß - betroffen ist, um dann einen eigenen Rechtsstreit mit adäquaten Mitteln zu führen, kann durchaus effizienter sein. Daher besteht keine rechtspolitische Notwendigkeit für ein auf erga-omnes-Wirkung abzielendes Benachrichtigungsverfahren. Es reicht aus, wie bisher auf die faktische Breitenwirkung obergerichtlicher Urteile zu vertrauen. Diese kann durch eine im Instanzenzug »höher« als bisher angesiedelte Eingangszuständigkeit noch verstärkt werden. 184
V.
Dispositionsbefugnis
Die Grenzen der Dispositionsbefugnis im Populär- und Verbandsklageverfahren wurden bereits bei der Erörterung des geltenden Rechts ausgelotet. 185 Allerdings bietet es sich an, die insoweit wichtigsten Ergebnisse zur Klarstellung auch gesetzlich zu fixieren. beachtlichen Argumenten allerdings Pflug, K o n t r a k t und Status im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen 4 6 f f . und 2 4 7 f f . 182 Schlosser, Z R P 1 9 7 5 , 148, 150 mit Verweis auf das M i n d e r h e i t s v o t u m in BMJ (Hrsg.), Vorschläge zur Verbesserung des Schutzes der Verbraucher gegenüber Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 2. Teilbericht, 4 9 f . Unklar der Vorschlag von Hopt/Baetge, in: Basedow u.a. (Hrsg.), a.a.O. 1 1 , 4 3 , die dem Gericht die Möglichkeit einräumen wollen, »die Entscheidungsw i r k u n g e n auf Seite des Klägers auch auf am Verfahren unbeteiligte Dritte zu erstrecken.« Soweit damit n u r eine Generalisierung des § 11 UKlaG gemeint sein soll, entspricht dies der hier bereits z u m geltenden Recht vertretenen Auffassung. 183 Schlosser, Z R P 1 9 7 5 , 148, 150. 184 Dazu sogleich unten. 185 Siehe oben, S . 3 2 4 f f .
VIII.
VI. Unzulässige
Kosten
391
Rechtsausübung
Zur Frage des Rechtsmißbrauchs hat die vorliegende Untersuchung ergeben, daß die gesetzlichen Regeln in §§ 8 Abs 4 U W G , 2 Abs. 3 UKlaG überflüssige Relikte einer Diskussion sind, in der mit verfahrensrechtlichen Kautelen gegen unerwünschte materiell-rechtliche Beschränkungen des Wettbewerbs vorgegangen werden sollte. 1 8 6 Daher kann auf diese Vorschriften verzichtet werden. Die von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Regeln zum Rechtsmißbrauch sind auch für Populär- und Verbandsklagen ausreichend.
VII.
Sachverhaltsermittlung
Hinsichtlich der Sachverhaltsermittlung hat sich gezeigt, daß das Problem der Normtatsachen zwar bei Populär- und Verbandsklagen besonderes Gewicht hat, es aber gleichzeitig ein allgemeines Problem auch des gewöhnlichen Zivilprozesses ist. Eine diesbezügliche gesetzliche Regelung müßte daher allgemeine Geltung beanspruchen. Angesichts der grundsätzlichen Bedeutung dieses Problems und seiner noch fehlenden Rezeption in der Rechtsprechung und in der prozeßrechtlichen Kommentar- und Lehrbuchliteratur erscheint es aber für eine solche Regelung noch zu früh. Im übrigen hätte eine derartige Regelung eher klarstellenden Charakter, denn für den Bereich der Normtatsachen ist ja - wie oben gezeigt 1 8 7 - bereits de lege lata der Untersuchungsgrundsatz anzuwenden.
VIII.
Kosten
In der rechtspolitischen Diskussion um die Kosten eines Populär- oder Verbandsklageverfahrens wurde bereits eine allgemeine Regel der Streitwertherabsetzung vorgeschlagen, die jedoch über diese Verfahren hinaus für alle Zivilprozesse gelten soll. 1 8 8 Eine solche Regel wäre zur Vereinheitlichung der verstreuten Normen zur Streitwertherabsetzung möglich, aber nicht notwendig. Die obigen Ausführungen zur Problematik des Streitwerts haben gezeigt, daß bereits die geltenden Regel des § 4 8 Abs. 2 G K G flexibel genug ist, um auch in Populär- und Verbandsklageverfahren zu adäquaten Ergebnissen zu gelangen. 1 8 9 Aus diesem Grund sind die besonderen Regeln der Streitwertherabsetzung - etwa in § 1 2 Abs. 4
Dazu oben, S. 335 ff. S. 3 4 8 ff. 188 Kötz, in: Homburger/Kötz, Klagen Privater im öffentlichen Interesse 69, 76 f. mit Formulierungsvorschlag. 1 8 9 Siehe oben, S . 3 5 0 f f . 186
187
392
5. Kapitel: Rechtspolitische
Vorschläge
U W G - auch nur von deklaratorischer Bedeutung. Sie könnten auch gestrichen werden. Hinsichtlich des Ersatzes vorprozessualer Abmahnkosten ist zum geltenden Recht eine analoge Anwendung des § 1 2 Abs. 1 Satz 2 U W G für alle hier untersuchten Fälle der Populär- und Verbandsklage vorgeschlagen worden. Daher kann § 1 2 Abs. 1 Satz 2 U W G als Vorbild für eine diesbezügliche allgemeine Regelung genutzt werden.
IX.
Verjährung
Die Bestandsaufnahme des geltenden Rechts hat bereits gezeigt, daß eine Verjährung zumindest in den praktisch relevanten Bereichen der Populär- und Verbandsklage k a u m zum Tragen k o m m t . Auf besondere Vorschriften kann daher verzichtet werden. Die allgemeine Regeln der §§ 1 9 4 ff. B G B sind ausreichend. Allerdings müssen diese im Bereich der Populär- und Verbandsklage als Regeln über die Klagfrist verstanden werden, da es sich bei den hier untersuchten K o m petenzen nicht um materiell-rechtliche Ansprüche handelt.
X.
Zuständigkeit
Im Verlaufe der vorliegenden Untersuchung ist bereits an mehreren Stellen deutlich geworden, daß für Populär- und Verbandsklageprozesse eine Eingangszuständigkeit höherer Gerichte sinnvoll ist. Dies ist auch in der Literatur wiederholt vorgeschlagen w o r d e n . 1 9 0 Für eine besondere Eingangszuständigkeit spricht vor allem die Sicherung einheitlicher Entscheidungen angesichts der in § 11 U K l a G und vergleichbaren Fällen eintretenden Rechtskraftwirkung sowie die Sicherung einer faktischen Breitenwirkung des Urteils. Außerdem geht es in Populär- und Verbandsklageprozessen im wesentlichen um Rechtsfragen oder zumindest um N o r m t a t s a c h e n , deren Ermittlung als Teil der Rechtsfindung anzusehen ist. Die Befassung zweier Tatsacheninstanzen - nämlich Landgericht und O b e r landesgericht - ist daher nicht notwendig. 1 9 1 Demgegenüber wird zugunsten der Beibehaltung des dreistufigen Instanzenzugs das Bedürfnis nach einer »sorgfältigen Klärung und Abwägung der relevanten Rechtsfragen« v o r g e b r a c h t . 1 9 2 Entsprechende Sorgfalt wird man aber auch 190 So zur AGB-Kontrollklage E. Schmidt, NJW 1989,1192,1197; Gilles, ZZP 98 (1985) 1, 18; Greger, ZZP 113 (2000) 399, 411; Micklitz/Stadler, in: dies. (Hrsg.), Das Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft 1183, 1264; anders jedoch Hopt/Baetge, in: Basedow u.a. (Hrsg.), Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß 11,41 (für Zuständigkeit des Landgerichts). 191 Greger, NJW 2000, 2457, 2463. 192 Münchener Kommentar BGBIMicklitz, § 14 AGBG Rn. 7.
XI.
Überlegungen
zu einer Regelung
der privatrechtlichen
Popularklage
in der ZPO
393
dann von einem Oberlandesgericht oder gar dem Bundesgerichtshof erwarten dürfen, wenn diese sich als erste oder gar einzige Instanz mit der Sache befassen. Gerade weil es bei Populär- und Verbandsklagen um Rechtsfragen geht, die von den subjektiven Rechten einzelner Individuen abgelöst sind, erscheint jedenfalls das Landgericht als Eingangsinstanz verzichtbar. Andererseits mag man daran zweifeln, ob es sinnvoll ist, den Bundesgerichtshof mit allen derartigen Verfahren zu befassen. Daher erscheint die Eingangszuständigkeit des Oberlandesgerichts als angemessener Kompromiß. In vielen Fällen werden die Parteien sich einigen können, das Verfahren auf andere Weise beenden oder schlicht das Urteil des Oberlandesgerichts akzeptieren. Stellt sich dagegen ein weiterer grundsätzlicher rechtlicher Klärungsbedarf heraus, so ist die Revision dafür das angemessene Rechtsmittel.
XI.
Überlegungen zu einer Regelung der privatrechtlichen Popularklage in der ZPO
Aufgrund dieser rechtspolitischen Erwägungen kann nun ein Regelungsvorschlag gemacht werden, der die weitere Diskussion befördern soll. Dieser Regelungsvorschlag bezieht sich auf das aus den bereits dargestellten Gründen vorzugswürdige Modell einer Popularklagebefugnis. Er ist jedoch auch dann verwendbar, wenn man an dem existierenden Modell der Monopolisierung der Klagebefugnis bei bestimmten Verbänden festhalten will. In diesem Fall wäre eine entsprechende Beschreibung des Kreises der Klagebefugten - etwa wie in § § 3, 4 UKlaG - einzufügen; die restlichen Bestimmungen könnten jedoch weitgehend unverändert bleiben.
1. Systematische Überlegungen Angesichts des aktionenrechtlichen Charakters der Popularklage ist die Z P O der richtige Standort für ein entsprechendes Regelwerk. Eine solche Integration in die ZPO wurde bereits mit Blick auf die Verbandsklage mehrfach angeregt. 193 Konkret wurde erwogen, die derzeit nicht belegten § § 6 6 2 - 6 8 7 dafür zu nutzen und entweder einen Abschnitt »Kollektivverfahren« als Abschnitt 8 des sechsten Buches zu schaffen 194 oder die Regeln zur Verbandsklage in das siebte Buch zum Mahnverfahren hinzuzufügen. 195 Allerdings gibt es bei der Populär- und Ver193 So bei Hopt/Baetge, a.a.O. 41; Koch, ZZP 113 (2000), 4 1 3 , 4 3 6 ; Greger, N J W 2 0 0 0 , 2 4 5 7 , 2 4 6 3 ; Krebs, DB Beilage 14/2000, 1, 27; Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 2 2 R n . 3 . 194 Heß, W M 2 0 0 4 , 2 3 2 9 , 2 3 3 4 Fn. 83. 1 9 5 So noch Heß, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.) 5 2 7 , 5 4 3 . Im Ergebnis sprach sich Heß hier jedoch noch gegen eine Integration der Regeln zur Verbandsklage in die ZPO aus (ebd. 5 4 4 und 548).
394
S. Kapitel:
Recbtspolitische
Vorschläge
bandsklage weder einen Zusammenhang mit dem ansonsten im sechsten Buch geregelten Verfahren in Familiensachen noch mit dem Mahnverfahren, 1 9 6 so daß dieser Vorschlag hinsichtlich der Systematik des Gesetzes nicht überzeugt. Sinnvoller erscheint die Schaffung eines neuen, zwölften Buches der Z P O , das auch die bisherige Paragraphenzählung des Gesetzes nicht veränderte. Als Alternative käme ein eigenes Gesetz über privatrechtliche Popularklagen in Betracht. Ein solches Sondergesetz wurde auch für die Verbandsklage vorgeschlagen. 1 9 7 Allerdings haben die Erfahrungen im materiellen Privatrecht gezeigt, daß die Schaffung zahlreicher Sondergesetze auf Dauer nicht sinnvoll ist und daß eine Integration neuer Entwicklungen in die bestehende Kodifikation vorzuziehen ist. Teilweise wird auch vorgeschlagen, das Verbandsklageverfahren in das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu überführen, weil »dessen Grundsätze dem mit der Verbandsklage verfolgten Ziel vorsorgender Rechtspflege mehr entsprechen dürften.« 1 9 8 Dagegen wird jedoch eingewandt, daß es sich bei Verbandsklagen um echte Streitverfahren handelt, die nicht in die freiwillige Gerichtsbarkeit gehören. 1 9 9 Soweit solche Verfahren bereits dort angesiedelt sind, wird in der einschlägigen Literatur bereits jetzt eine Reform empfohlen. 2 0 0 Daher erscheint die Z P O eher als der angemessene Ort für die hier interessierende Regelung. Da in der vorliegenden Arbeit eine Generalklausel der Popularklage vorgeschlagen wird, bietet es sich an, auch diese Generalklausel in die Z P O zu übernehmen. So kann eine möglichst umfassende Regelung an einem Ort erreicht werden. Die Alternative dazu wäre ein in der Z P O »bereitgestelltes prozessuales Modell« 2 0 1 , auf das der Gesetzgeber in den jeweiligen materiell-rechtlichen Gesetzen dann verweisen könnte. Diese Variante böte sich eher an, wenn man von 196 Heß, ebd. 5 4 3 , sieht zwar die Gemeinsamkeit, daß sowohl Mahnverfahren als auch Verbandsklageverfahren sich aus gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben ergeben, aber dies betrifft heute sehr viele Rechtsmaterien. Außerdem seien im Mahnverfahren ebenso wie bei der Verbandsklage »einzelne Verfahrensabschnitte« modifiziert (ebd.). Dabei wird aber der grundlegende Unterschied zwischen Mahnverfahren und Verbandsklage verkannt, daß nämlich jenes nur eine vereinfachte Durchsetzung subjektiver Privatrechte darstellt, die Verbandsklage dagegen - wie die vorliegende Arbeit hoffentlich gezeigt hat - mit einer solchen Durchsetzung nichts zu tun hat. 197 Für ein eigenes Verbandsklagegesetz Koch, ZZP 113 (2000) 4 1 3 , 4 4 1 . 198 Greger, ZZP 113 (2000) 3 9 9 , 4 1 1 . In Griechenland findet die verbraucherschützende Verbandsklage in einem Verfahren freiwilliger Gerichtsbarkeit statt, dazu Papathoma-Baetge, in: Basedow u.a. (Hrsg.), Die Bündelung gleichgerichter Interessen im Prozeß 1 8 7 , 1 9 8 f f . ; Lakkis, Der kollektive Rechtsschutz der Verbraucher in der Europäischen Union 2 1 9 ff. 1 9 9 Diskussionsbeiträge von Pfeiffer und Karsten Schmidt auf der Tagung der Vereinigung der Zivilprozeßrechtslehrer am 3 1 . 3 . 2 0 0 0 in Hamburg, wiedergegeben bei Oepen, ZZP 113 (2000) 4 4 3 , 4 4 4 f . 200 Brehm, Freiwillige Gerichtsbarkeit 51 m.w.N. 201 Bender, DVB1. 1977, 169, 170; zustimmend Koch, Prozeßführung im öffentlichen Interesse 2 6 6 .
XI.
Überlegungen
zu einer Regelung
der privatrechtlichen
Popularklage
in der ZPO
395
einer Generalklausel der Populär- oder Verbandsklage absähe und es bei der bestehenden Lösung einzelner sachlicher Anwendungsbereiche beließe. Auch dann läge gegenüber dem geltenden Rechtszustand noch ein Vorzug darin, daß die verfahrensrechtlichen Regeln einheitlich an einer zentralen Stelle geregelt wären. 2. Generalklausel der Popularklage Eine Generalklausel der privatrechtlichen Popularklage könnte in etwa wie folgt lauten: Gegen jeden, der in nicht unerheblicher Weise gesetzlichen Vorschriften zuwiderhandelt, die dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere, dem Schutz der Wettbewerbsordnung oder dem Verbraucherschutz dienen, kann von jedermann Popularklage auf Feststellung, Beseitigung der Störung oder auf Unterlassung künftiger Zuwiderhandlungen erhoben werden. Eine Klage auf Unterlassung ist bereits dann möglich, wenn eine Zuwiderhandlung droht.
Man kann die Popularklage auch Bürgerklage nennen, ohne daß damit einen nennenswerter Unterschied verbunden wäre. 202 Der Begriff der Bürgerklage ist allerdings insofern mißverständlich, als er bedeuten könnte, daß nur Staatsbürger des Forumstaates klageberechtigt sein sollen. Dies widerspräche jedoch schon der geltenden Rechtslage. Sowohl bei den patent- und markenrechtlichen Popularklagen als auch bei der bayerischen Popularklage sind keineswegs nur deutsche oder bayerische Staatsbürger klageberechtigt.203 Auch ausländische Verbände sind bereits nach geltendem Recht zur Verbandsklage befugt. 204 Angesichts der internationalen Verflechtung von Wirtschaft und Gesellschaft wäre eine Einschränkung auf Inländer auch nicht sinnvoll. Daher sollte der Begriff Popularklage beibehalten werden, zumal er den historischen Zusammenhang zur actio popularis aufrechterhält. Die Formulierung zu den natürlichen Lebensgrundlagen orientiert sich an Art. 20a GG. Der Begriff ist inhaltlich identisch mit dem des Umweltschutzes.205 Der Tierschutz gehört nach richtigem Verständnis bereits zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, weil diese auch die existierende Flora und Fauna umfassen. 206 Er ist hier jedoch in deklaratorischem Sinne mit aufgenommen, zumal 2 0 2 Vgl. die Verwendung des Wortes Bürgerklage als Synonym für die Popularklage bei Rehbinder/Burgbacher/Knieper, Bürgerklage im Umweltrecht; W. Schmidt, D Ö V 1976, 5 7 7 , 5 8 3 ; Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen 2 4 7 f . 2 0 3 Zur Frage der Existenz einer bayerischen Staatsbürgerschaft Nawiasky/Schweiger/Knöpfle, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 6 R n . 4 ; hinsichtlich der Popularklage ist allerdings die Einschränkung zu beachten, daß manche Grundrechte der bayerischen Verfassung nur den »Bewohnern Bayerns« zukommen. Diese Beschränkung soll sich auch auf die Zulässigkeit einer entsprechenden Popularklage auswirken (ebd. Art. 98 R n . 2 0 ) . 204 205 206
Siehe oben, S. 281 ff. Maunz/Dürig/ScA>o/z, GG, Art.20a R n . 3 6 m.w.N. zur Entstehungsgeschichte. Ebd. R n . 3 7 und 67.
396
5. Kapitel:
Rechtspolitische
Vorschläge
der Tierschutz mangels rechtsfähiger individuell Betroffener besonderer kompensatorischer Instrumente bedarf. 2 0 7 Der Begriff des »Schutzes der Wettbewerbsordnung« faßt G W B und U W G zusammen. Der obige Formulierungsvorschlag könnte durch einen zweiten Absatz ergänzt werden, in dem die bestehenden Populär- und Verbandsklagebefugnisse im Sinne von Regelbeispielen (»insbesondere«) aufgeführt werden. Damit würde deutlich, daß die Generalklausel bestehende Befugnisse nicht einschränken soll.
3. Weitere Vorschriften Weitere mögliche Vorschriften zur privatrechtlichen Popularklage ergeben sich aus den bereits angestellten rechtspolitischen Erwägungen. Insbesondere sollte die Möglichkeit der Nebenintervention für alle Klageberechtigten festgeschrieben werden, was wiederum ein entsprechendes Register voraussetzt. Das Erfordernis einer Abmahnung vor Klagerhebung und die diesbezügliche Kostenregel könnten aus § 12 Abs. 1 U W G übernommen werden. Außerdem sollte klargestellt werden, daß ebenso wie bei der Patentnichtigkeitsklage eine Klagerücknahme jederzeit auch ohne Zustimmung des Beklagten möglich ist, ein Klageverzicht des Popularklägers dagegen nicht. Auch die bereits zum geltenden Recht ermittelten Regeln über die Rechtskraftwirkung der im Popularklageverfahren ergehenden Urteile könnten kodifiziert werden, wenn man die privatrechtliche Popularklage als besondere Klageart in die Z P O aufnähme.
2 0 7 Vgl. Caspar, Tierschutz im Recht der modernen Industriegesellschaft 4 9 5 ff. Caspar fordert allerdings aufgrund seiner philosophischen Prämissen die Anerkennung eigener subjektiver Rechte der Tiere, welche dann durch gesetzliche Prozeßstandschaft der Verbände durchgesetzt werden sollen. Die Auseinandersetzung mit dieser Position würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen.
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Sachregister A b m a h n k o s t e n 170, 197, 337, 353ff., 3 9 2 A b m a h n u n g 101, 105 f., 132, 1 6 3 f . , 2 6 7 f . , 3 6 9 , 396 Abmahnverein 7, 95ff., 108, 3 3 3 f f . , 3 6 9 f f . Abtretung 2 5 , 41, 59f., 81 f., 103f., 129, 155f., 177, 192f., 2 5 8 , 2 6 8 , 306, 3 2 5 , 360, 3 8 3 Access t o justice 2 3 , 2 9 , 4 3 , 2 1 3 f . , 2 2 3 f f . Actio (Begriff) 2 3 1 , 2 3 7 , 2 5 4 , 257, 2 6 1 , 278 Actio popularis 17, 20, 2 3 , 29ff., 2 3 1 , 2 7 9 , 395 AGB-Kontrollklage 22, 92, 99, 142ff., 195ff., 2 7 1 f., 2 7 8 , 2 8 4 f . , 2 9 1 , 304, 354, 370, 388ff. Ägypten 3 8 1 Aktienrecht s. Anfechtungsklage Aktionenrecht 40, 2 3 1 , 2 4 1 , 2 4 3 , 2 7 5 f f . , 339,393 Aktivlegitimation 67, 98, 146, 2 5 2 , 2 7 1 , 283,286 Allgemeine Geschäftsbedingungen 2 4 , 121, 143ff., 185ff., 2 8 4 , 2 9 6 , 3 5 0 , 366, 376 Allgemeininteresse 7, 35ff., 54, 58ff., 79ff., 103 ff., 130, 161f., 194, 196, 2 0 4 f f . , 2 7 1 ff., 333, 351 ff., 371, 377, 3 8 4 Altruistische Verbandsklage 7, 66, 108, 2 4 9 Anerkenntnis 2 5 , 6 8 f f . , 85f., 107, 130f., 158, 194f., 317, 3 2 9 f f . Anerkenntnisurteil 86, 3 3 0 f . Anfechtungsklage im Aktienrecht 15f., 3 3 5 Anspruch (Begriff) 2 7 f . , 4 0 , 51, 98ff., 252ff., 298ff. Antidiskriminierungsrecht 9f., 12 Anwaltsverein 8 Arbeitsrecht 14f., 2 1 9 Arglist 73, 143 Arzneimittel 114, 174 ff. Astreinte 3 8 7 Aufgreifzuständigkeit 12, 29, 2 0 2 , 2 7 6 A u s k u n f t s a n s p r u c h 99, 132, 147 Ausländischer Kläger 55, 79f., 2 8 1 f f . , 3 9 5 Australien 2 8 3 , 3 7 4 f f .
Bayern, Popularklage 3, 3 0 1 f . , 315, 3 7 1 , 374, 378, 3 9 5 Beibringungsgrundsatz s. Verhandlungsgrundsatz Bereicherung 97, 124f., 336 Beweislast 75, 88f., 117f., 170, 349 Bundesanzeiger 3 2 0 , 3 2 2 , 3 8 8 Citizen suit 3 73 f. Class action 5f., 10, 12f., 2 1 , 43, 152, 2 2 7 , 230, 383 Cognitor 8 Denunzianten 3 8 0 f . Deregulierung 145, 2 1 9 , 2 2 7 f . Diffuse Interessen 6, 17, 2 9 , 4 6 , 2 0 3 , 213ff., 243f., 359, 368f. Dispositionsmaxime 67ff., 159, 3 2 5 D o p p e l n a t u r der Klagebefugnis 22, 98f., 108, 146, 2 5 2 f . , 2 8 3 D o p p e l n a t u r des Prozeßvergleichs 330, 3 3 2 Eigennutz 3 3 2 f f . Eigentum 4, 13, 4 5 , 4 9 , 64, 69f., 85, 103, 207, 216, 232ff., 274 Einspruchsverfahren 53, 5 7 , 6 6 f f . Einstweiliger Rechtsschutz 2 8 9 f f . Elektronischer Bundesanzeiger 320, 322, 388 E n t w i d m u n g 4 9 f. Erga o m n e s - W i r k u n g 5 7 , 3 0 1 , 321, 323, 388f. Erlaß 4 1 , 60, 105f., 130, 193, 2 6 8 , 3 2 6 f . Erstbegehungsgefahr 119, 142 Europäisches Patent 54, 66 Europarecht 26, 6 4 , 84, 137, 172f., 197, 2 8 1 , 335, 3 6 7 Ex officio-Repräsentation 11 ff., 2 9 Exceptio pacti 4 1 , 55, 60ff., 71, 8 3 f . Feststellungsklage 123f., 190, 195, 2 6 2 , 2 8 1 ff., 2 9 1 ff.,305, 318, 325, 330, 3 8 2 Feststellungswirkung 148 f., 190, 3 2 2
420
Sachregister
Follow-on-Klage 1 3 9 f . Forderung 4 0 f . , 4 8 , 1 2 7 f f . , 1 5 5 f . , 1 7 7 , 193, 2 3 2 , 2 3 6 , 257ff., 326 Fordismus 2 1 8 f. Frankreich 2 1 1 , 2 8 2 f f . , 3 5 7 , 3 8 4 f f . Gebrauchsmuster 5 1 , 5 3 Geistiges Eigentum 4 , 13, 6 4 , 6 9 , 85 Geldstrafe 4 3 , 4 8 , 1 2 4 f . G E M A 126 Gemeinschaftsmarke 5 2 , 77 Gemeinschaftspatent 6 7 Gemeinwohl 4 3 , 4 8 f f . , 2 0 4 f f . , 2 1 6 f . , 2 2 0 , 275. Generalklausel der Popularklage 3 0 , 3 5 7 f f . , 3 9 4 ff. Generalklausel im AGB-Recht 1 4 3 , 3 4 5 Generalklausel im Lauterkeitsrecht 9 0 , 1 1 6 , 285, 336f. Generalklauseln (allgemein) 1 6 7 f . , 1 7 3 , 182, 273 Gesamtgläubiger 1 2 7 f f . , 2 7 3 , 3 1 1 f . , 3 8 7 Geschäftsführung ohne Auftrag 1 7 0 , 3 5 4 Geschmacksmuster 5 1 f. Gewinnabschöpfung 119ff., 1 8 9 f f . , 2 8 8 , 296, 3 1 1 , 3 5 5 f f . , 385ff. Gleichbehandlungsgesetz 10 Glossatoren 2 3 1 ff., 2 5 7 Gruppeninteresse 2 1 0 f f . , 2 4 7 , 2 7 2 Gruppenklage 5, 10, 1 3 7 , 2 2 6 f . , 2 3 0 Gute Sitten 3 3 6 Hisba 3 8 1 Informer 4 8 Inkassozession 8 ff., 178 Institutionenschutz 2 5 1 , 2 7 7 , 2 8 8 Interdikte 2 5 , 2 9 f f . , 4 4 f f . , 1 8 9 Interesse (Begriff) 2 0 2 f f . Interessenjurisprudenz 2 0 0 , 2 0 3 f . , 2 0 6 Interessentenklage 2 0 1 Internationales Privat- und Prozeßrecht 2 8 1 ff. Irreführung l l O f f . , 1 2 0 , 1 7 0 , 3 4 4 Kapitalanleger 1 7 4 , 3 8 4 Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz 13f. Kartellamt 1 2 3 , 1 3 8 , 1 4 0 , 1 4 2 , 1 9 6 Kartellrecht 6 3 f . , 7 1 f . , 9 1 f . , 1 3 4 f f . , 1 6 1 f . , 190f., 375 Klagerücknahme 2 5 , 4 2 , 6 1 , 6 7 , 7 1 , 8 5 , 106, 130, 157ff., 194, 316, 328ff., 396
Klageverzicht 2 5 , 6 8 f f . , 8 5 , 1 0 7 , 1 3 0 f . , 153, 158f., 194f., 330f., 396 Klauselumschreibung 155 Kollektivrechte 2 7 1 f. Kollusion 3 8 f . , 3 1 5 f f . Kölsch 113 Konkurrentenklage 9 3 f . , 2 8 0 , 3 3 6 , 3 7 5 Kontrollkompetenz 4 7 , 1 2 0 , 1 6 4 , 1 7 2 , 1 8 9 , 215, 227, 274ff., 287, 296, 305, 313, 324 Kopierschutz 1 8 2 f . Krankenhausentgelte 1 8 5 f . Litis contestado 3 7 f . , 4 1 f. Lizenzvertrag 6 1 ff. Löschungsklage 7 7 f f . Löschungsverfahren 7 6 ff. Mandatierte Repräsentation 7ff. Markenrecht 7 6 ff. Marktortprinzip 2 8 3 , 2 8 6 f . Marktwirtschaft 7 2 , 9 1 , 1 3 5 , 2 1 8 , 2 2 0 , 224, 275, 334f., 361, 365, 380, 382 Mehrerlösabschöpfung 138 Mißbrauch 1 6 , 5 9 , 6 6 , 96 f., 1 0 8 ff., 1 3 1 , 1 3 9 , 1 5 7 , 1 6 5 , 1 8 1 ff., 1 9 5 , 3 0 0 , 3 0 6 , 332ff., 353, 373ff., 391 Monopolkommission 1 3 5 , 138 ff. Musterklage 5, 9 Musterprozeß 9 Musterwirkung 9, 13, 1 0 7 Naturschutz 16ff., 2 0 8 , 2 4 4 , 2 7 2 , 3 1 5 Ne bis in idem 3 1 3 Nebenintervention 3 1 9 f f . , 3 9 6 Negative Feststellungsklage 1 9 5 , 2 9 1 ff., 330, Nichtangriffsabrede 5 5 , 60ff., 71 ff., 82ff., 1 0 6 , 193 Niederlande 1 9 5 , 3 5 7 f f . Nonliquet 117, 1 7 0 , 3 4 9 Normenkontrollverfahren 1 5 7 , 3 0 2 f . , 389 Normkonkretisierung 1 1 6 , 166ff., 3 4 4 f f . , 353 Normtatsachen 1 1 6 f . , 1 6 6 f f . , 1 9 6 f . , 3 1 6 f f . , 3 4 0 f f . , 3 7 6 , 3 9 1 f. Novation 105 Öffentliche Sachen 3 0 f . , 4 4 f f . , 5 0 , 379 Öffentliches Interesse 18, 4 3 , 7 8 , 1 4 1 , 204ff., 266
Sachregister
421
Pactum de n o n petendo 4 1 f., 60ff., 82ff., 106, 193f., 3 2 6 f f . Patentrecht 51ff., 81ff., 161, 188f., 193ff., 2 0 0 f . , 2 0 8 , 2 7 9 , 301, 322, 328f., 3 7 1 Persönlichkeitsrecht 126, 2 3 7 , 2 3 9 , 2 4 5 f . , 386 Pflegesätze 185f. Populär actions 4 8 Popularklage (Begriff) 199ff., 2 7 9 f . Popularklage in Bayern s. Bayern Portugal 3 7 4 Post 187f. Preußen 4 9 f. Privatautonomie 84, 169, 2 2 2 f . , 346f., 3 6 1 Privatklage 36, 126 Privatstrafe 2 5 , 2 9 , 32ff., 4 8 , 124, 190, 385ff. P r o c u r a t o r 8, 35, 4 1 , 4 4 , 2 7 4 f . P r o d u k t h a f t u n g 175, 3 4 1 Prozeßstandschaft 8ff., 128, 2 5 2 , 2 7 0 f f . , 300ff., 396
Schikane 87, 100, 164 Schuldersetzung 105 Schuldverhältnis 104f., 2 5 7 f f . Schweiz 96 Selbstregulierung 3 6 6 Sozialstaat 2 1 7 f f . , 3 7 9 Staatsanwalt 4 3 f f . , 126, 2 2 6 , 328, 3 6 3 Stand der Technik 66, 193, 196, 3 4 4 Standing 373, 375 Streitgegenstand 37, 4 0 , 57, 59, 100, 102, 128f., 191 f., 201, 2 1 0 , 2 5 6 , 2 9 7 f f . , 340, 352, 376 Streitwert 3 5 0 f f . , 3 9 1 Streitwertherabsetzung 76, 89, 118, 133, 170, 197, 350, 352, 3 9 1 Streuschäden 120, 125, 1 3 7 , 2 1 4 , 383, 388 S t r o h m a n n 55f., 58ff., 76, 81, 2 0 0 , 2 9 9 Subjektives Recht (Begriff) 2 3 0 f f . Subsumtionstatsachen 116f., 316, 3 4 1 ff. Symbolischer Schadensersatz 384
Qualifizierte Einrichtungen 11, 80, 183,
Tarifverträge 14f., 366, 3 6 8 Technologietransfervereinbarungen 6 3 ff. T e l e k o m m u n i k a t i o n 99, 184f. Tierschutz 3 95 f. T r e u h a n d 17, 2 7 2 TRIPS-Übereinkommen 64
282 Querulanten
145
Realismus 2 3 4 f f . , 2 4 4 Rechtliches G e h ö r 57ff., 141, 152, 313ff., 322f., 389f. Rechtsberatungsgesetz 8 f. Rechtsfortbildungstatsachen 167f., 3 4 0 f f . , 349 Rechtshängigkeit 25, 37f., 41f., 4 8 f . , 56, 58f., 81, 100, 127, 138, 1 4 8 , 1 8 1 , 184, 191, 2 9 7 f f . , 321, 323, 3 8 8 f . Rechtskraft l l f f . , 2 5 , 37, 39, 4 2 , 55ff., 67, 81, lOOff., 127, 138, 148ff., 181 ff. 190f., 2 9 7 f f . , 3 2 1 ff., 3 8 8 f f . Rechtskrafterstreckung 148ff., 1 8 1 , 3 0 4 f . , 319, 321, 389f. Rechtsmißbrauch s. M i ß b r a u c h Rechtsmittel 70, 154, 3 1 8 f f . , 393 Rechtsschutzinteresse 3 0 0 , 306f., 3 3 6 Rechtsvergleichung 2 4 , 3 4 7 Risikogesellschaft 2 1 9 , 2 2 8 Sachverständiger 112ff., 135, 139, 169, 348, 353 Sammelklage 5, 11, 178, 3 2 4 , 383, 3 8 8 Schadensersatz 13, 33, 65, 96, 119, 137ff., 149f., 185, 2 0 3 , 2 2 7 , 2 8 8 , 320, 3 2 4 , 3 5 4 , 358, 383ff., 387 Schiedsgericht 3 2 7
Überindividuelle Interessen 6, 21 f., 2 0 2 f . , 209, 275, 378 Umweltschutz 8, 17ff., 2 1 4 , 358ff., 3 6 8 f . , 374f., 384, 395f. Unclean h a n d s 77, 8 7 Ungerechtfertigte Bereicherung 124 Unterlassungsvertrag 104ff., 2 6 8 Untersuchungsgrundsatz 5 1 , 57, 68f., 74f., 87f., 114, 166, 169, 196, 316, 3 4 8 f f . , 391 U n t e r w e r f u n g s e r k l ä r u n g 101, 105, 107, 150, 155, 3 5 4 Unzulässige R e c h t s a u s ü b u n g 73, 86, 108, 131, 139, 163, 181, 184, 195, 3 3 2 f f . , 391 USA 5f., 10, 12f., 18, 4 3 , 138, 2 2 5 f f . , 2 7 3 , 3 5 9 , 3 7 4 , 383, 386, 3 9 0 Venire contra factum p r o r i u m 73, 76 Verbandsinteresse 2 1 0 f f . , 2 4 7 Verbraucherleitbild 114 Verbraucherschutz 9, 17, 94, 114f., 123, 136, 142, 174, 176, 183, 2 1 4 f . , 2 2 2 , 2 2 4 , 2 2 7 , 2 8 5 , 361, 366ff., 375, 3 9 5
422
Sachregister
Verbraucherschutzgesetze 9 2 , 1 2 1 , 1 3 7 , 174ff., 1 9 1 , 2 8 2 , 2 9 6 Verbraucherverbände 1 0 , 17, 2 0 , 8 9 , 9 5 , 135ff., 145f., 178, 2 1 0 , 212, 224f., 2 4 3 , 246, 250, 276, 289, 366ff., 385 Verbraucherzentrale 1 3 5 , 1 5 5 , 3 0 7 , 3 6 7 , 370, 373 Verfall einer M a r k e 7 7 f f . Verfall (Strafrecht) 1 2 5 Verfassungsrecht 2 6 , 1 1 8 , 1 2 5 f . , 3 1 4 , 362ff., 373f., 379 Vergleich 4 2 , 6 1 , 7 1 , 8 6 , 1 0 7 , 1 3 0 f . , 1 6 0 f f . , 1 9 5 , 3 3 1 f. Verhältnismäßigkeit 1 1 0 , 3 3 9 Verhandlungsgrundsatz 8 8 , 1 1 1 , 1 1 3 f . , 117, 140f., 166ff., 196, 346ff. Verjährung 2 6 , 7 6 , 8 9 , 1 1 8 f f . , 1 2 8 , 1 3 3 f . , 142, 156, 165, 170ff., 197f., 253, 261f., 355, 392 Verkehrsauffassung 8 8 , l l l f f . , 1 6 6 , 3 4 5 Verkehrszeichen 2 0 1 f. Versäumnisurteil 3 1 7 f . Verwaltungsakt 5 2 f., 5 6 , 2 0 1 f., 2 7 3 , 372 Verwirkung 2 2 , 2 4 , 2 6 , 7 3 f . , 7 6 , 8 6 f . ,
1 0 7 f f . , 1 3 1 , 1 3 9 , 1 5 7 f . , 1 6 3 ff., 196 Verzicht s. Erlaß oder Klageverzicht Verzichtsurteil 1 5 9 , 3 1 7 , 3 3 0 f . Vollstreckungsgegenklage 1 5 3 Vollstreckungsverfahren 5 9 f . , 8 2 , 1 2 9 , 1 5 3 , 155f., 160, 162, 179, 189, 220, 2 9 0 , 306, 309ff., 367, 387 Vollzugsdefizite 1 2 9 , 1 4 4 , 2 2 0 f f . , 2 3 0 , 3 5 9 , 379 Vorbeugende Unterlassungsklage 1 1 9 , 2 6 3 ff., 2 8 1 Vorsatz 3 0 , 3 4 , 1 2 0 f f . , 1 3 1 f., 1 9 1 Vorsprung durch Rechtsbruch 9 0 f f . , 3 3 7 Wahlleistungsentgelte
185f.
Warenzeichengesetz 7 1 , 7 7 f f . , 8 2 f f . , 1 9 3 , 252, 2 8 1 , 3 0 4 Wiederholungsgefahr 1 0 0 f f . , 1 1 9 , 1 4 2 , 149ff., 157, 165, 177, 192, 308f., 355, 375 Zuständigkeit der Gerichte 8 8 , 1 0 2 , 1 5 2 f f . , 251, 267, 283ff., 390, 392f. Zwölftafelgesetz 2 9
Jus Privatum Beiträge zum Privatrecht - Alphabetische Übersicht
Adolphsen, Jens: Internationale Dopingstrafen. 2003. Band 78. Assmann, Dorothea: Die Vormerkung (§ 883 BGB). 1998. Band 29. Barnert, Thomas: Die Gesellschafterklage im dualistischen System des Gesellschaftsrechts. 2003. Band 82. Bayer; Walter: Der Vertrag zugunsten Dritter. 1995. Band 11. Beater, Axel: Nachahmen im Wettbewerb. 1995. Band 10. Beckmann, Roland Michael: Nichtigkeit und Personenschutz. 1998. Band 34. Benecke, Martina: Gesetzesumgehung im Zivilrecht. 2004. Band 94. Berger, Christian: Rechtsgeschäftliche Verfügungsbeschränkungen. 1998. Band 25. Berger, Klaus: Der Aufrechnungsvertrag. 1996. Band 20. Bittner, Claudia: Europäisches und internationales Betriebsrentenrecht. 2000. Band 46. Bodewig, Theo: Der Rückruf fehlerhafter Produkte. 1999. Band 36. Braun, Johann: Grundfragen der Abänderungsklage. 1994. Band 4. Brors, Christiane: Die Abschaffung der Fürsorgepflicht. 2002. Band 67. Bruns, Alexander: Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung. 2003. Band Busche, Jan: Privatautonomie und Kontrahierungszwang. 1999. Band 40. Dauner-Lieb, Barbara: Unternehmen in Sondervermögen. 1998. Band 35. Dethloff, Nina: Europäisierung des Wettbewerbsrechts. 2001. Band 54. Dreier, Thomas: Kompensation und Prävention. 2002. Band 71. Drexl, Josef: Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers. 1998. Band 31.
74.
Eberl-Borges, Christina: Die Erbauseinandersetzung. 2000. Band 45. Ebert, Ina: Pönale Elemente im deutschen Privatrecht. 2004. Band 86. Einsele, Dorothee: Wertpapierrecht als Schuldrecht. 1995. Band 8. Ekkenga, Jens: Anlegerschutz, Rechnungslegung und Kapitalmarkt. 1998. Band 30. Ellger, Reinhard: Bereicherung durch Eingriff. 2002. Band 63. Escher-Weingart, Christina: Reform durch Deregulierung im Kapitalgesellschaftsrecht. 2001. Band 49. Giesen, Richard: Tarifvertragliche Rechtsgestaltung für den Betrieb. 2002. Band 64. Gotting, Horst-Peter: Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte. 1995. Band 7. Gruber, Urs Peter: Methoden des internationalen Einheitsrechts. 2004. Band 87. Gsell, Beate: Substanzverletzung und Herstellung. 2003. Band 80. Habersack, Mathias: Die Mitgliedschaft - subjektives und sonstiges' Recht. 1996. Band 17. Haedicke, Maximilian: Rechtskauf und Rechtsmängelhaftung. 2003. Band 77. Halfmeier, Axel: Popularklagen im Privatrecht. 2006. Band 105. Hanau, Hans: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke privater Gestaltungsmacht. 2004. Band 89.
Jus Privatum
- Beiträge
zum
Privatrecht
Hau, Wolfgang: Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag. 2003. Band 83. Heermann, Peter W.: Drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte. 1998. Band 24. Heinemann, Andreas: Immaterialgüterschutz in der Wettbewerbsordnung. 2002. Band 65. Heinrich, Christian: Formale Freiheit und materielle Gerechtigkeit. 2000. Band 47. Henssler, Martin: Risiko als Vertragsgegenstand. 1994. Band 6. Hergenröder, Curt Wolfgang: Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung. 1995. Band 12. Hess, Burkhard: Intertemporales Privatrecht. 1998. Band 26. Hofer, Sibylle: Freiheit ohne Grenzen. 2001. Band 53. Huber, Peter: Irrtumsanfechtung und Sachmängelhaftung. 2001. Band 58. Jänich, Volker: Geistiges Eigentum - eine Komplementärerscheinung zum Sacheigentum? 2002. Band 66. Jansen, Nils: Die Struktur des Haftungsrechts. 2003. Band 76. Jung, Peter: Der Unternehmergesellschafter als personaler Kern der rechtsfähigen Gesellschaft. 2002. Band 75. Junker, Abbo: Internationales Arbeitsrecht im Konzern. 1992. Band 2. Kaiser, Dagmar: Die Rückabwicklung gegenseitiger Verträge wegen Nicht- und Schlechterfüllung nach BGB. 2000. Band 43. Katzenmeier, Christian: Arzthaftung. 2002. Band 62. Kindler, Peter: Gesetzliche Zinsansprüche im Zivil- und Handelsrecht. 1996. Band 16. Kleindiek, Detlef: Deliktshaftung und juristische Person. 1997. Band 22. Körber, Torsten: Grundfreiheiten und Privatrecht. 2004. Band 93. Krause, Rüdiger: Mitarbeit in Unternehmen. 2002. Band 70. Luttermann, Claus: Unternehmen, Kapital und Genußrechte. 1998. Band 32. Looschelders, Dirk: Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht. 1999. Band 38. Lipp, Volker: Freiheit und Fürsorge: Der Mensch als Rechtsperson. 2000. Band 42. Mäsch, Gerald: Chance und Schaden. 2004. Band 92. Mankowski, Peter: Beseitigungsrechte. Anfechtung, Widerruf und verwandte Institute. 2003. Band 81. Merkt, Hanno: Unternehmenspublizität. 2001. Band 51. Möllers, Thomas M.J.: Rechtsgüterschutz im Umwelt- und Haftungsrecht. 1996. Band 18. Muscheler, Karlheinz: Die Haftungsordnung der Testamentsvollstreckung. 1994. Band 5. - Universalsukzession und Vonselbsterwerb. 2002. Band 68. Oechsler, Jürgen: Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag. 1997. Band 21. Oetker, Hartmut: Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung. 1994. Band 9. Ohly, Ansgar: „Volenti non fit iniuria" Die Einwilligung im Privatrecht. 2002. Band 73. Oppermann, Bernd H.: Unterlassungsanspruch und materielle Gerechtigkeit im Wettbewerbsprozeß. 1993. Band 3. Peifer, Karl-Nikolaus: Individualität im Zivilrecht. 2001. Band 52. Peters, Frank: Der Entzug des Eigentums an beweglichen Sachen durch gutgläubigen Erwerb. 1991. Band 1.
Jus Privatum
- Beiträge
zum
Privatrecht
Preuß, Nicola: Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger. 2005. Band 96. Raab, Thomas: Austauschverträge mit Drittbeteiligung. 1999. Band 41. Reiff, Peter: Die Haftungsverfassungen nichtrechtsfähiger unternehmenstragender Verbände. 1996. Band 19. Repgen, Tilman: Die soziale Aufgabe des Privatrechts. 2001. Band 60. Röthel, Anne: Normkonkretisierung im Privatrecht. 2004. Band 91. Rohe, Mathias: Netzverträge. 1998. Band 23. Sachsen Gessaphe, Karl August Prinz von: Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter für eingeschränkt Selbstbestimmungsfähige. 1999. Band 39. Saenger, Ingo: Einstweiliger Rechtsschutz und materiellrechtliche Selbsterfüllung. 1998. Band 27. Sandmann, Bernd: Die Haftung von Arbeitnehmern, Geschäftsführern und leitenden Angestellten. 2001. Band SO. Schäfer, Carsten: Die Lehre vom fehlerhaften Verband. 2002. Band 69. Schnorr, Randolf: Die Gemeinschaft nach Bruchteilen (§§ 741 - 7 5 8 BGB). 2004. Band 88. Schubel, Christian: Verbandssouveränität und Binnenorganisation der Handelsgesellschaften. 2003. Band 84. Schur, Wolfgang: Leistung und Sorgfalt. 2001. Band 61. Schwab, Martin: Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten. 2005. Band 95. Schwarze, Roland: Vorvertragliche Verständigungspflichten. 2001. Band 57. Sieker, Susanne: Umgehungsgeschäfte. 2001. Band 56. Sosnitza, Olaf: Besitz und Besitzschutz. 2003. Band 85. Stadler, Astrid: Gestaltungsfreiheit und Verkehrsschutz durch Abstraktion. 1996. Band 15. Stoffels, Markus: Gesetzlich nicht geregelte Schuldverhältnisse. 2001. Band 59. Taeger, Jürgen: Außervertragliche Haftung für fehlerhafte Computerprogramme. 1995. Band 13. Trunk, Alexander: Internationales Insolvenzrecht. 1998. Band 28. Veil, Rüdiger: Unternehmensverträge. 2003. Band 79. Wagner, Gerhard: Prozeßverträge. 1998. Band 33. Waltermann, Raimund: Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie. 1996. Band 14. Weber, Christoph: Privatautonomie und Außeneinfluß im Gesellschaftsrecht. 2000. Band 44. Wendehorst, Christiane: Anspruch und Ausgleich. 1999. Band 37. Wiebe, Andreas: Die elektronische Willenserklärung. 2002. Band 72. Wimmer-Leonhardt, Susanne: Konzernhaftungsrecht. 2004. Band 90. Würthwein, Susanne: Schadensersatz für Verlust der Nutzungsmöglichkeit einer Sache oder für entgangene Gebrauchsvorteile? 2001. Band 48.
Einen Gesamtkatalog erhalten Sie gerne vom Verlag Mohr Siebeck, Postfach 2040, D-72010 Tübingen. Aktuelle Informationen im Internet unter www.mohr.de