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German Pages 162 Year 2020
PRAXIS
RobERt WaRREn
Vitale Gemeinde Ein Handbuch für die Gemeindeentwicklung
Beiträge zu Evangelisation und Gemeindeentwicklung Praxis Herausgegeben von Martin Reppenhagen im Auftrag des Instituts zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
ROBERT WARREN
VITALE GEMEINDE EIN HANDBUCH FÜR DIE GEMEINDEENTWICKLUNG
MIT EINEM VORWORT VON HANS-HERMANN POMPE
Titel der englischen Originalausgabe: Robert Warren: The Healthy Churches’ Handbook A Process for Revitalizing Your Church Church House Publishing 2004 ISBN 0 7151 4017 5 © Robert Warren 2004 Aus dem Englischen übersetzt von Stephanie Günther (M. A.) und Matthias Clausen (Dr. theol.)
Die Bibelstellen sind der Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, entnommen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 4. Auflage 2017, unveränderte Nachauflage der überarbeiteten 2. Auflage von 2013 © 2008 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Andreas Sonnhüter, www.sonnhueter.com unter Verwendung eines Bildes von © izusek/iStockphoto.com Satz: Breklumer Print-Service, Breklum, www.breklumer-print-service.com Verwendete Schriften: Frutiger, Sabon Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISBN 978-3-7615-6753-1 (E-PDF) www.neukirchener-verlage.de
INHALT
Vorwort zur deutschen Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort zur zweiten Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort zur englischen Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie das Buch vorgeht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7 10 11 12 15 17
Teil 1: Die Merkmale vitaler Gemeinden entdecken 1 Vitale Gemeinden entdecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Zwei große Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Kostspielige Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Zeichen des Reiches Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27 33 41 51
Teil 2: Die Entstehung vitaler Gemeinden 5 Aufbruch auf dem Weg zu einer vitalen Gemeinde . . . . . . . . 6 Vitale Gemeinden entwickeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Vitale Gemeinden ermöglichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65 73 84
Teil 3: Das große Ganze sehen 8 Was ist Gemeinde? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Der Engel der Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95 103
Teil 4: Übungen für vitale Gemeinden 10 Die Übung zum Gemeindeprofil vorbereiten . . . . . . . . . . . . . 11 Die Gemeindeprofil-Übung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Übungen zum Engel der Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
115 129 143
Anhang 1: Gemeinde-Bewertungsblatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang 2: Leitfaden für die Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang 3: Gemeindeprofil-Blatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang 4: Zusammenfassung der sieben Merkmale . . . . . . . . . Anhang 5: Maßnahmenliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang 6: Den Engel der Gemeinde bestimmen . . . . . . . . . . . . Literatur und Adressen für vitale Gemeinden . . . . . . . . . . . . . .
151 152 153 154 156 157 159
Vorwort
VORWORT ZUR DEUTSCHEN AUSGABE
Eine faszinierende Entdeckung aus England: In einer Situation allgemeinen kirchlichen Niedergangs fallen einige Gemeinden auf, die gegen den Trend wachsen. Was ist ihr Geheimnis? Robert Warren hat das gemeinsam mit anderen untersucht. Sie haben diese Gemeinden zusammengeholt, die Verantwortlichen befragt und die Resultate an anderen Orten überprüft. Ergebnis: Es gibt keine Zauberformel, es liegt nicht an einer bestimmten Veranstaltungsform – zu unterschiedlich sind diese Gemeinden. Aber es gibt etwas anderes: Sieben gemeinsame Merkmale. Diese Gemeinden beziehen ihre Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus. Ihr Blick ist nach außen gerichtet. Sie versuchen herauszufinden, was Gott heute will. Sie wagen Neues und wollen wachsen. Sie handeln als Gemeinschaft. Sie schaffen Raum für alle. Sie konzentrieren sich auf das Wesentliche. Es gibt sieben charakteristische Felder von Einstellungen, Haltungen und Werten, die das Leben dieser Gemeinden prägen und wie ein Echo aus dem Leben Jesu klingen. Seit längerem beschäftigt die Verlockung von „Wachsen gegen den Trend“ die schrumpfenden christlichen Kirchen in Deutschland. Zu ähnlich ist die gemeinsame Erfahrung der Krise mit Mitgliederverlusten, finanziellem Rückgang, schwacher Motivation in kleiner werdenden Gemeinden und der gewaltigen Herausforderung, in einer säkular, multiethnisch und multireligiös gewordenen Gesellschaft gemeinsam „die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk“ (Barmer Theolog. Erklärung). Theologie, Kirche und Gemeinden haben inzwischen viel dazu erarbeitet. Wir wissen etwas über die Milieus, in denen Menschen leben. Gemeinden haben niedrigschwellige Angebote ausprobiert, oft mit erstaunlicher Resonanz. Zielgruppenveranstaltungen wie Glaubenskurse oder neue Gottesdienste erreichen Distanzierte und Suchende. Eine neue Gewichtung von Spiritualität wirkt der Selbstsäkularisierung der Kirche entgegen. Liebe und Fantasie werden in das kirchliche Alltagsgeschäft von Gottesdiensten, Amtshandlungen, Seelsorge oder Diakonie investiert. Es gibt Öffentlichkeitskampagnen, attraktive Bildungsveranstaltungen, Jugendkirchen oder Citykirchen. Mancherorts sprießen Zellen und Kleingruppen, Gemeindepflanzungen, Wiedereintrittsstellen oder Gospelchöre. Vieles spiegelt Lust am Aufbruch, aber ehrlich gesagt: Eine überall wirkende Formel zur Lösung aller Probleme kennt niemand. Und viele sind der immer neuen Versuche müde geworden. 7
Vorwort
Robert Warren träumt nicht von Zauberformeln, er folgt einem Weg biblischer Verheißungen. Dieser Weg beginnt mit Wahrnehmen, Beten und Fragen, er führt über Nachdenken und Loslassen zu Neuausrichtung und Aufbruch. Wachstum ist eine ausschließlich zu erbittende Frucht der Konzentration auf die geistliche Mitte der Kirche, kombiniert mit einer sorgfältigen und ehrlichen Wahrnehmung der Realität und einem durchdachten Aufbruch. „Vitale Gemeinde“ stellt die Erfahrungen wachsender englischer Gemeinden anderen Gemeinden zur Verfügung, damit sie ihre eigene örtliche Berufung in Wahrnehmung, Erwartung und Veränderung umsetzen können. „Vitale Gemeinde“ arbeitet mit wenigen elementaren Schritten. Die sieben Merkmale werden gründlich vorgestellt und mit Anwendungen deutlich gemacht. Anhand dieser Merkmale entsteht ein eigenes Gemeindeprofil. In dem vom Moderator gelenkten Prozess wertet die Gemeindeleitung das Ergebnis aus, sammelt mögliche Reaktionen und entscheidet sich dann für eine (!) Handlungsoption. Diese wird umgesetzt, begleitet und nach einem Jahr feiernd ausgewertet. Eine wohl durchdachte Struktur: Sie erstellt das Profil mit vielen Beteiligten, lässt das Leitungsorgan aufgrund der Ergebnisse entscheiden, reduziert die Handlungen auf überschaubare Ressourcen und Zeiten und nutzt die Chance der ortsfremden Moderatoren. Eine weitere Möglichkeit ist es, diesen evaluativen Weg der Gemeindeerkundung durch einen intuitiven Weg zu ergänzen: Der „Engel der Gemeinde“ – nach Offenbarung 2-3 als ein Synonym der korporativen Gemeindepersönlichkeit verstanden – wird mit Bildern beschrieben. Dieses Bild verbindet Geschichte („Wo kommt die Gemeinde her?“), Umfeld („Wo ist sie?“), Persönlichkeit („Was ist sie?“) und Berufung („Was soll sie werden?“) einer Gemeinde, um ihr Wesen, ihre Realität zu erfassen und ihr zu helfen, ihre Kultur zu verändern. Wo manche Evaluationen oder Gemeinde-Entwicklungsangebote nur auf Bedürfnisse mit Programmen antworten, wo viele Leitbildentwicklungen nur eine Auflistung des Vorhandenen oder eine Beschreibung des Gewünschten sind, kann sich die Gemeinde hier mit ihrer Berufung, ihren Begabungen und ihrem Glauben auseinandersetzen. Mit „Vitale Gemeinde“ halten Sie kein neues Seminar in den Händen, keine zusätzlich zu schulternde Veranstaltung für müde Mitarbeitende, keine billige Erfolgsmethode. „Vitale Gemeinde“ beginnt als ehrlicher Blick auf die vorhandene Gemeinde, um gemeinsam ihre Stärken würdigen und ihre Probleme angehen zu können. „Vitale Gemeinde“ ist eine sanfte Verlockung zum Aufbruch, eine charmante Verführung zu geistlicher Erwartung.
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Vorwort
Hier wächst wieder zusammen, was in der Bibel immer schon zusammengehörte: Ehrliche Bestandsaufnahme mit inspirierenden Träumen, Liebe zu Gott mit Liebe zu den Menschen in einer globalen Welt, Verantwortung für die kommunale Gesellschaft mit der für den Gottesdienst, Wertschätzung von Verschiedenheit mit Freude an Einmütigkeit, gelassene Reduktion des Vorhandenen mit lustvollem Erfinden des Undenkbaren, Einladung zum Glauben an Jesus mit dem Dialog unter anders Glaubenden. Dem regen Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung der Universität Greifswald ist für die Herausgabe dieses Buches zu danken. Hans-Hermann Pompe
PS: Übrigens war das siebte Merkmal („Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche“) das Erste, das bei mir hängen blieb. Und das mag an der jahrelangen Begegnung mit überarbeiteten Engagierten liegen, denen die Freude am Gemeindeaufbau über der Fülle der Pflichten längst abhanden gekommen ist. Selbst wenn „Vitale Gemeinde“ nur zur Reduktion helfen würde, wäre es schon ein Gottesgeschenk. Aber ich habe die Hoffnung, dass uns damit ein notwendiges Werkzeug zum Aufbruch geschenkt wird.
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Dank
DANK
Das Greifswalder Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung setzt mit der Herausgabe der deutschen Fassung von Robert Warrens „Healthy Churches’ Handbook“ die Reihe BEG Praxis fort. Nicht zum ersten Mal profitieren wir dabei von einem wesentlichen Impuls aus dem Raum der anglikanischen Kirche. Das Vitale GemeindeMaterial ist in der Praxis erprobt, flexibel, realistisch, ermutigend und damit ein unschätzbares Werkzeug für Gemeindeberatung und Gemeindeentwicklung. An dieser Stelle sei unserer Übersetzerin, Stephanie Günther, gedankt, ebenso Klaus Günther für die Durchsicht des Manuskripts sowie Christine Ancke für die Endkorrektur. Dem „Verein zur Förderung missionarischer Dienste e. V.“ in Stuttgart danken wir für die freundliche Unterstützung bei der Finanzierung der Publikation. Und schließlich danken wir Landespfarrer Hans-Hermann Pompe für die Abfassung des Vorworts zur deutschen Ausgabe. Wir freuen uns, das Vitale Gemeinde-Material damit nun auch auf Deutsch zur Verfügung stellen zu können. Pfr. z.A. Matthias Clausen, Greifswald, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung
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Vorwort zur zweiten Auflage
VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE
Für die Neuauflage wurde die Übersetzung der sieben Merkmale gründlich überarbeitet sowie einige Text-Formulierungen angepasst. Daran beteiligt waren die Übersetzerinnen Christa Hastedt und Christiane Vorländer (Köln), Landespfarrer Christoph Nötzel und Jürgen Schweitzer (gmd Wuppertal), Prof. Dr. Michael Herbst (Direktor IEEG Greifswald) und Hans-Hermann Pompe (Leiter ZMiR Dortmund). Aufgrund der Erfahrungen aus den Durchführungen hat das Amt für Gemeindeentwicklung und missionarische Dienste Wuppertal (gmd) eine Internet-Seite mit Informationen, Auswertungen und Rückmeldungen sowie hilfreichem Material zur „Gemeindeprofil-Übung“ und zum „Engel der Gemeinde“ eingerichtet: www.vitalegemeinde.de. Sie finden dort u.a. Übersichten und Einführungen; einen Informationsflyer, der auch als Handout der sieben Merkmale für Teilnehmende dienen kann; Arbeitsblätter und Ablaufvorschläge (Zeitpläne) für Durchführungen; Erfahrungen aus Gemeinden und Kontakt-Adressen für Durchführungen sowie weiteres Material aus England. Im Herbst 2012 Hans-Hermann Pompe, EKD-Zentrum für Mission in der Region Dortmund (www.zmir.de)
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Vorwort zur englischen Ausgabe
VORWORT ZUR ENGLISCHEN AUSGABE
Viele Gemeinden in Großbritannien haben bereits von dem Programm Growing Healthy Churches (Vitale Gemeinden wachsen lassen) profitiert. Es ist gut, dass dieses Material hier nun für eine weitere Verbreitung in der gemeindlichen Praxis zusammengestellt wurde. Gemeinden haben damit die Möglichkeit, eine Momentaufnahme ihres Gemeindelebens zu machen, diese an sieben in der Praxis bewährten Merkmalen einer vitalen Gemeinde zu messen und entsprechende Konsequenzen für sich daraus zu ziehen. Was das Emmaus-Programm für das persönliche geistliche Wachstum ist, soll dieses Handbuch für die Entwicklung auf Gemeindeebene sein. Man wird jedoch enttäuscht sein, wenn man auf Anleitungen für schnelle Reparaturen hofft oder ein Patentrezept für kränkelnde Gemeinden sucht. Wenn sich eine Gemeinde aufmacht, Christus ähnlicher zu werden, braucht das Zeit, Aufrichtigkeit und Engagement, um mit gemeinsamen Anstrengungen dieses Ziel zu erreichen. Bei der Einführung neuer Pastoren wird gerne davon gesprochen, dass mit ihnen auch neues Leben in die Gemeinde einkehren soll. Dabei ist nicht immer klar, wie diese Hoffnungen in die Praxis umgesetzt werden sollen. Gemeinden tun sich oft schwer damit, ihre eigenen Stärken und Schwächen zu bewerten. Manche Gemeinden konzentrieren sich allzu leicht auf die Dinge, die sie nicht leisten können. Dann werden sie schnell mutlos und schaffen es nicht mehr, die positiven Aspekte ihres Gemeindelebens zu erkennen und zu stärken. In anderen Gemeinden zerbrechen hoch motivierte Frauen und Männer an der mangelnden Bereitschaft mancher Geschwister, etablierte, fest verwurzelte Traditionen aufzugeben. Daher misst dieses Handbuch einem externen Berater bei der Durchführung eines gemeindlichen Erneuerungsprozesses eine große Bedeutung bei. Die hier vorgelegten Materialien sind vielseitig. Sie können von der Gesamtgemeinde genutzt werden, von Leitungsgruppen und Hauskreisen, von Gemeinden jeder Größe und an jedem Ort, zu jedem Zeitpunkt des Gemeindelebens. Das Handbuch enthält Ideen für Predigt, Gespräch und zum eigenen Nachdenken. Vielleicht erscheint Ihnen das Material über den „Engel der Gemeinde“ als etwas ungewöhnlich, ja gewöhnungsbedürftig. Wir folgen hier einer Auslegung der Sendschreiben in der Offenbarung (Offenbarung 2-3). Unser Anliegen ist es, die Auslegung dieser Briefe an urchristliche Gemeinden als kreatives Material für den Prozess der Gemeindeentwicklung zu nutzen. Lassen Sie sich überraschen! Wir glauben, dass dieses Material insbesondere Menschen entgegenkommt, die eher 12
Vorwort zur englischen Ausgabe
„bildlich“ denken. Ihnen fällt es dann vielleicht leichter, sich bei den nächsten Schritten hin zur Erfüllung der Berufung ihrer Gemeinde einzubringen. In mancher Anglikanischen Diözese (z.B. in Rochester) hat dieses Programm bisher nahezu zwei Drittel der Gemeinden erfasst. Es richtet sich an jeden Gemeindetyp – und auch an Bischöfe und andere leitende Geistliche! Dabei hoffen und beten wir, dass Ihre Gemeinde durch die Arbeit mit dem vorgelegten Material genauso gesegnet wird, wie wir es in vielen anderen Gemeinden gesehen haben. Carol Kitchener, Parish Development Officer (Beauftragte für Gemeindeentwicklung) Michael Howard, Bishop’s Officer for Mission (Beauftragter des Bischofs für Mission)
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Wie das Buch vorgeht
WIE DAS BUCH VORGEHT
Dieser praktische Leitfaden hilft Gemeinden, ihre Stärken und Schwächen zu identifizieren und herauszufinden, was sie tun können, um die Vitalität ihrer Gemeinde weiterzuentwickeln. Der Schwerpunkt liegt eher auf der Qualität des Gemeindelebens als auf einem Zuwachs an Gemeindemitgliedern. Anhand von sieben Merkmalen vitaler Gemeinden wird Gemeinden geholfen, sich selbst einzuschätzen. Es geht nicht um ein paar praktische Tipps, sondern darum, mit der Gegenwart und Realität Gottes im Leben einer Gemeinde und durch ihr Leben zu rechnen. Die sieben Merkmale einer vitalen Gemeinde sind: 1. Wir beziehen Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus. 2. Wir richten den Blick nach außen. 3. Wir finden heraus, was Gott heute will. 4. Wir wagen Neues und wollen wachsen. 5. Wir handeln als Gemeinschaft. 6. Wir schaffen Raum für alle. 7. Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche. Teil 1 – Die Merkmale vitaler Gemeinden erkennen Kapitel 1 – Vitale Gemeinden entdecken
Wie das „Modell“ der sieben Merkmale einer vitalen Gemeinde entwickelt wurde
Kapitel 2 – Das Doppelgebot der Liebe leben
Beschreibung der Merkmale 1 und 2
Was es bedeutet, Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus zu beziehen und den Blick nach außen zu richten
Kapitel 3 – Kostspielige Berufung
Beschreibung der Merkmale 3 und 4
Was aus der Frage nach Gottes Willen folgt – was es bedeutet, Neues zu wagen und wachsen zu wollen
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Wie das Buch vorgeht
Kapitel 4 – Zeichen des Reiches Gottes
Beschreibung der Merkmale 5, 6 und 7
Was es bedeutet, als Gemeinschaft zu handeln, Raum für alle zu schaffen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren
Teil 2 – Die Entstehung vitaler Gemeinden Kapitel 5 – Aufbruch auf dem Weg zu einer vitalen Gemeinde
Ein Gemeindeprofil erstellen
Kapitel 6 – Vitale Gemeinden entwickeln
Maßnahmen ergreifen
Kapitel 7 – Vitale Gemeinden ermöglichen
Einen Berater in Anspruch nehmen, um den Prozess zu unterstützen
Teil 3 – Das große Ganze sehen Kapitel 8 – Was ist Gemeinde?
Entfalten, was wir unter Gemeinde verstehen
Kapitel 9 – Der Engel der Gemeinde
Ein Gemeindeprofil entwickeln und dabei Intuition und Fantasie spielen lassen
Teil 4 – Übungen für vitale Gemeinden Kapitel 10 – Die Übung zum Gemeindeprofil vorbereiten
Praktische Materialien zur Durchführung:
Kapitel 11 – Die Übung zum Gemeindeprofil
• Übung zum Gemeindeprofil und • Übungen zum Engel der Gemeinde
Kapitel 12 – Übungen zum Engel der Gemeinde
Die Vorlagen für alle Übungen finden sich im Anhang und dürfen fotokopiert werden. Sie sind ebenfalls als PDF eingestellt unter www.vitalegemeinde.de. 16
Einleitung
EINLEITUNG
Dieses Buch wendet sich an alle, denen die Kirche und ihr Wohlergehen am Herzen liegen. In der sich ständig verändernden Welt, in der wir leben, kann dieses Wohlergehen schnell bedroht sein. Es kann zu einem Traumbild werden, das weit von der Realität entfernt ist. Die gute Nachricht ist jedoch, dass es Antworten gibt – keine einfachen Antworten und keine Patentrezepte, sondern solche, die weiter ausgearbeitet und getestet werden müssen. Dabei kommt die Erfahrung der jeweiligen Gemeinde zum Tragen. Aber Gemeinden in Großbritannien und darüber hinaus haben festgestellt, dass es möglich ist, die Gesundung einer Gemeinde zu planen, Maßnahmen zu treffen, die die Schwachstellen deutlich machen, und sich auf den Weg zu machen, um als Gemeinde heil und gesund zu werden. Darum geht es in diesem Buch. Es richtet sich sowohl an Ehrenamtliche als auch an Hauptamtliche in Kirche und Gemeinde. Oft sind es gerade die ehrenamtlichen Gemeindemitglieder, die als erste nach dem Gesundheitszustand der Gemeinde fragen und nach Materialien suchen, wie sie dieses Buch enthält. Es nennt sich Handbuch, weil es nicht nur als eine theoretische Abhandlung gedacht ist, sondern auch als ein praktischer Leitfaden. Es will Gemeinden helfen herauszufinden, an welchen Stellen anzusetzen ist, um als Gemeinde vitaler zu werden. Daher enthält dieses Buch Geschichten, Übungen und Erklärungen.
Eine Entdeckungsreise Was hier vorgestellt wird, ist das Ergebnis von über zehn Jahren gründlicher Forschung. Leitfrage war, wie Gemeinden heute ihren Glauben und ihr Leben am besten zum Ausdruck bringen können. In den zehn Jahren, in denen ich beim Board of Mission (Missionsausschuss) der Anglikanischen Kirche im Church House, Westminster, arbeitete, schrieb ich zunächst Building Missionary Congregations (Robert Warren: Building Missionary Congregations, Church House Publishing, 1995). Dieses Heft von 55 Seiten beschäftigte sich damit, warum die Kirche ihr Leben neu gestalten muss – in einer Gesellschaft, die jahrhundertelang durch das Christentum geprägt war, es jetzt aber nicht mehr ist. Es zeigte auf, wie diese Neugestaltung aussehen kann. Durch die Arbeit an diesem Heft hatte ich Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen, die versuch17
Einleitung
ten, manches von dem, was ich geschrieben hatte, in ihrem Gemeindeleben vor Ort umzusetzen. Diese Kontakte blieben bestehen, als ich ab 1998 vollzeitlich bei Springboard arbeitete. Springboard ist ein kleines Team, das von den Erzbischöfen von Canterbury und York als Initiative für Evangelisation gegründet worden war. Während seines Bestehens (1991-2003) hat dieses Team daran gearbeitet, wie Kirche ihren Glauben angemessen vermitteln kann, wie sie Menschen auf dem Weg zum Glauben begleiten und jede einzelne Gemeinde zu einem Gemeindeleben befähigen kann, in dem das Evangelium sichtbar wird. An beiden Arbeitsstellen arbeitete ich mit Dr. Janet Hodgson zusammen, Beraterin für örtliche Mission (Adviser in Local Mission) in der Diözese von Durham (1994-2002). Sie war es auch, die mich zu einem Treffen mit Vertretern von Gemeinden aus dieser Diözese einlud. Die betreffenden Gemeinden hatten in der ersten Hälfte der 1990er Jahre alle ein beträchtliches Wachstum erlebt. Dieses Treffen versprach sehr anregend zu werden – und wurde es auch. Keiner von uns hatte mit dem gerechnet, was sich nun daraus entwickelte. Es war der Beginn einer Entdeckungsreise.
Teil 1: Die Merkmale einer vitalen Gemeinde entdecken Dieser erste Tag in Durham und das anschließende Nachdenken ergaben unter anderem, dass diese Gemeinden gemeinsame Merkmale aufwiesen. Diese wurden daraufhin als die sieben Merkmale einer vitalen Gemeinde herausgearbeitet. Ihre Entstehungsgeschichte wird in Kapitel 1, Vitale Gemeinden entdecken, erzählt. Die folgenden drei Kapitel (Kapitel 2, Zwei große Herausforderungen; Kapitel 3, Kostspielige Berufung; Kapitel 4, Zeichen des Reiches Gottes) erkunden diese Merkmale im Detail. Die Kapitel enthalten Beschreibungen und Geschichten darüber, wie diese Merkmale in der Praxis an verschiedenen Orten in Gemeinden unterschiedlicher Größe und Traditionen zum Tragen kommen. Am Ende von Teil 1 folgt eine Übersicht über alle Merkmale. Eine faszinierende Frage während dieses Prozesses war: „Warum ausgerechnet diese Merkmale?“ Warum sind dies die Merkmale einer vitalen Gemeinde? Diese Frage wird im Laufe des Textes untersucht. Schon jetzt lässt sich aber sagen, dass diese Merkmale genau die Werte beschreiben, die im Leben von Christus selbst zum Ausdruck kamen. Deshalb sind seine Jünger auch heute dazu berufen, diese Werte zu leben. Die Merkmale einer vitalen Gemeinde sind also nicht eine Art Management-Werkzeug, um eine Gemeinde effizienter und effektiver zu führen (auch wenn sie zweifellos diesen positiven Effekt haben können), sondern sie sind Wegweiser auf der Reise des Glaubens. Die Reise zur Gesundung 18
Einleitung
gehört mit dazu, wenn Menschen das Leben Christi leben. Vitale Gemeinden sind auf einer Pilgerreise.
Teil 2: Die Entstehung vitaler Gemeinden Es wurde schnell deutlich, dass bei allen betroffenen Gemeinden das hohe Maß an Vitalität das Ergebnis einer langen Entdeckungsreise in der Nachfolge war. Die Hingabe und Entschiedenheit, diesen Weg hin zu größerer Vitalität zu beschreiten, waren nicht nur ein entscheidendes Kennzeichen dieser Gemeinden, sondern auch ein Wegweiser für andere, die das Leben ihrer Gemeinde zu stärken suchten. Die Bereitschaft, sich langfristig für die Entwicklung der Qualität und Vitalität einer Gemeinde zu engagieren, ist der Schlüssel zur Vitalität. Das Wesen und die Auswirkungen dieser Verpflichtung werden in Kapitel 5, Aufbruch auf dem Weg zu einer vitalen Gemeinde, erkundet. Der Aufbruch zu dieser Reise beginnt, wie alle Reisen, mit einem ersten Schritt. In diesem Fall ist der Schritt die so genannte Übung zum Gemeindeprofil. Diese Übung macht eine Leitungsgruppe wie das Presbyterium bzw. den Gemeindevorstand oder eine Gemeindegruppe mit den sieben Merkmalen einer vitalen Gemeinde vertraut. Die Teilnehmer werden aufgefordert, ihre Gemeinde anhand der sieben Merkmale zu bewerten. Die einzelnen Bewertungen werden auf einem großen Blatt (Flipchart-Größe) zusammengetragen. Dies vermittelt ein unmittelbares Profil der Gemeinde. Daraus können Stärken und Schwächen abgelesen sowie weitere Rückschlüsse gezogen werden. Aus der Auseinandersetzung mit diesem Profil lassen sich in der Regel Maßnahmen ableiten, die zu ergreifen sind. Kapitel 10 und 11 beschreiben die Gemeindeprofil-Übung und geben Hilfestellung zu ihrer Durchführung, zu der ein Teil des praktischen Materials am Ende des Buches gehört. Kapitel 6, Vitale Gemeinden entwickeln, erläutert die Durchführung der Übung zum Gemeindeprofil und den nachfolgenden Prozess, in dem geeignete Maßnahmen gesucht, umgesetzt und ausgewertet werden. Kapitel 7, Vitale Gemeinden ermöglichen, beschäftigt sich mit den Vorteilen externer Unterstützung in diesem Prozess und beschreibt, welche Aufgabe man sich mit diesen Zielen gesetzt hat.
Teil 3: Das große Ganze sehen So wie die Merkmale vitaler Gemeinden entwickelt worden sind, zwingen sie Gemeinden gerade nicht in ein Schema, sondern öffnen Türen für neue Ausdrucksformen und überraschende Entwicklungen. Außerdem provozieren sie Fragen zum Wesen von Kirche und Gemeinde überhaupt. 19
Einleitung
Eine der grundlegendsten Fragen, die im Rahmen dieser Arbeit mit Gemeinden auftaucht, wird in Kapitel 8 angesprochen: Was ist Gemeinde? Die Themen im Umfeld dieser Frage legen nahe, Gemeinde als eine Gesamtorganisation zu sehen, als ‚System‘, das ein spezifisches Ethos, eine eigene Identität und einen eigenen Geist hat. Bei der Auseinandersetzung mit dieser grundlegenden Frage stolperten wir über das seltsame Thema des Engels der Gemeinde. Dieser Begriff stammt aus den Briefen des auferstandenen Christus an die Gemeinden in Offenbarung 2 und 3. Die Beschäftigung mit diesem Konzept eröffnete uns eine völlig neue Dimension der Gemeindearbeit, da es sich dem Thema ,vitale Gemeinde‘ eher intuitiv und mit Fantasie nähert als analytisch. Wie wir zu diesem Ansatz gekommen sind, wie wir ihn nutzen und welchen Wert wir ihm beimessen, lesen Sie in Kapitel 9, Der Engel der Gemeinde. Die Erfahrung lehrt, dass die Arbeit mit diesem Konzept Gemeinden helfen kann, in ihrem Leben auf den Ruf Gottes zu hören und zu antworten. Auf diese Weise spiegeln sie mehr von der Ganzheit und Vollkommenheit Gottes und von dem Heil, das Christus gebracht hat, wider.
Teil 4: Übungen für vitale Gemeinden Der letzte Teil des Buches widmet sich den praktischen Materialien, mit denen die Gemeinden arbeiten können. Zuerst kommt Material zur Übung zum Gemeindeprofil. Kapitel 10, Die Übung zum Gemeindeprofil vorbereiten, soll die Durchführung der Übung ermöglichen. Das Programm der Übung selbst ist in Kapitel 11, Die Gemeindeprofil-Übung, dargestellt. Kapitel 12, Übungen zum Engel der Gemeinde, enthält verschiedene Vorschläge, wie Gemeinden das Thema des Engels der Gemeinde angehen und das Material nutzen können, um Erkenntnisse über ihre Gemeinde zu gewinnen und den Auftrag Jesu dazu in der heutigen Zeit zu erkennen. Schließlich enthält der Abschnitt Literatur und Adressen für vitale Gemeinden eine Liste von Kursen, Büchern, Webseiten und anderen Quellen, die bei der Arbeit mit den einzelnen Merkmalen einer vitalen Gemeinde hilfreich sein können.
Für alle, die das Projekt Growing Healthy Churches schon kennen Die anfängliche Forschung wurde bei Springboard in einer Broschüre mit dem Titel Growing Healthy Churches veröffentlicht. Diese Broschüre wurde 2003 im Rahmen der Aktion Restoring Hope in our Church an alle Geistlichen verteilt. Für alle, die mit diesem Heft vertraut sind und die be20
Einleitung
reits eine Übung zum Gemeindeprofil (früher Gemeinde-Checkliste genannt) durchgeführt haben, stellen wir nun kurz vor, welche neuen Materialien in diesem Handbuch enthalten sind. Das Handbuch enthält eine Menge an Materialien und Einsichten, die erst nach der Veröffentlichung von Growing Healthy Churches gewonnen wurden, aber auch Material, das nicht mehr in die Broschüre aufgenommen werden konnte. Zusätzlich stehen in diesem Handbuch zur Verfügung: l Eine erweiterte und aktualisierte Ausarbeitung der Merkmale einer vitalen Gemeinde, dazu Geschichten darüber, wie sich diese Merkmale in vielen verschiedenen Gemeinden zeigen. Dieses Material findet sich in Teil 1. l Materialien zur Durchführung der Gemeindeprofil-Übung und Hilfestellung für Gemeinden, um festzustellen, wo Maßnahmen nötig sind, um als Gemeinde vitaler zu werden. Das Handbuch ist dazu konzipiert, bei der Planung und Durchführung solcher Maßnahmen zu helfen. Das Handbuch bietet sich somit als Hilfsmittel an, Leben und Vitalität einer Gemeinde voranzubringen. Dieses Material findet sich in Teil 2. l Das Handbuch beantwortet Fragen zum Verständnis von „Kirche“ und „Gemeinde“, die immer wieder aufgeworfen werden. Außerdem bietet es eine Hinführung zum Thema „Engel der Gemeinde“ sowie eine Anleitung, sich diesen Ansatz nutzbar zu machen. Das findet sich in Teil 3. l Über die Möglichkeit, einen externen Berater in Anspruch zu nehmen und eine Anleitung, selbst als solcher zu fungieren, informiert Kapitel 7, Vitale Gemeinden ermöglichen. l Schließlich weist das Buch an vielen Stellen auf weitere Materialien hin, die bei der Entwicklung bestimmter Merkmale gemeindlicher Vitalität helfen können. Der Praxisbezug der Übungen macht unser Buch zu einem Handbuch für Gemeinden, die an Vitalität gewinnen möchten und dem Leben Jesu im Leben der Gemeinde und durch ihr Leben Ausdruck verleihen wollen. Es enthält die Materialen, um das umzusetzen, worüber das Buch spricht.
Natürliche Gemeindeentwicklung Nicht lange, nachdem das Material, auf dem dieses Buch aufbaut, entwickelt und in Großbritannien benutzt wurde, erschien Christian Schwarz’ „Natürliche Gemeindeentwicklung“ (Natural Church Development) in England. Es stimmt mit vielen Aussagen dieses Handbuchs überein, nicht zuletzt mit seiner Betonung der qualitativen Aspekte des Gemeindelebens anstelle der Fokussierung auf zahlenmäßiges Wachstum. Es hat bei der Entwicklung von Growing Healthy Churches an einigen Punkten geholfen. Es gibt jedoch auch Unterschiede. Sie bestehen weniger in Gegensätzen im Ansatz dieses Buches und dem der Natürlichen Gemeindeentwicklung. 21
Einleitung
Vielmehr ergänzen sich die unterschiedlichen Ansätze gegenseitig. Die Unterschiede betreffen unter anderem folgende Punkte: l Der entscheidende Unterschied, der im Text ausführlicher erläutert wird, ist, dass die hier angesprochenen Merkmale einer vitalen Gemeinde als Werte, Ziele und Charakteristika formuliert werden (z.B. „Wir handeln als Gemeinschaft“), während sie in Natürliche Gemeindeentwicklung als Aktivitäten dargestellt werden (z.B. „ganzheitliche Kleingruppen“). l Unser Material ist etwas einfacher aufgebaut und ermöglicht es einer Gemeinde, den „Vitalitäts-Check“ innerhalb von drei Stunden durchzuführen. l Unser Buch ist weniger zahlenlastig und sieht statistische Erhebungen eher als Anhaltspunkt für die Orientierung, weniger als exaktes Messinstrument, um den Standpunkt einer Gemeinde zu bestimmen. So spricht Natürliche Gemeindeentwicklung zum Beispiel beim Anteil der Leitung einer Gemeinde von geschätzten „64,6 %“. Unser Material arbeitet nicht mit solchen quantitativen Maßeinheiten; trotzdem unterstützt es Gemeinden bei der Identifizierung ihrer Stärken, Schwächen und Probleme, die angesprochen werden müssen.
In der Praxis erprobtes Material Das vorliegende Material wurde in den letzten sieben Jahren quer durch die Anglikanische Kirche intensiv genutzt. Verschiedene Diözesen haben auf unterschiedliche Art und Weise darauf zurückgegriffen. Es begann alles in der Diözese Durham. Obwohl es in der Diözese niemals systematisch eingesetzt worden war, wurde es von den sog. Mission Enablers („Missions-Befähigern“) genutzt, um Gemeinden zu helfen, ihr gemeinsames Leben zu reflektieren, und die Erzdiakone nutzten es als Basis für Teile ihrer jährlichen Besuchsberichte. Coventry war die erste Diözese, die das Material für einen die ganze Diözese umfassenden Prozess nutzte. Ihre Beteiligung war deshalb so wertvoll, weil sie bereit war, das Material auszuprobieren und auf die eigene Situation anzupassen. Es ist nach wie vor Grundlage, auf der weitere Entwicklungen in den Gemeinden der Diözese aufbauen. Ihr folgte die Diözese Rochester, die mit dem Material bisher am längsten und intensivsten gearbeitet hat. Es wurde der zentrale Bezugsrahmen für ihre Mission und Gemeindeentwicklung. Die Beteiligung der Diözese Rochester hat viel zur Weiterentwicklung des Materials beigetragen, nicht zuletzt, was den Einsatz von Moderatoren angeht. Als nächste kam die Diözese Carlisle, in der das Material auf andere Art genutzt wurde. Jede Gemeinde wurde gebeten, die Gemeindeprofil-Übung im Rahmen eines Programms durchzuführen, in dem jede Gemeinde von 22
Einleitung
einem der Mitarbeiter des Bischofs besucht wurde. Diese Mitarbeiter kamen dann in die Gemeinden und hörten deren Antworten auf Fragen wie: „Was habt ihr durch die Übung gelernt?“, „Welche Maßnahmen habt ihr vor zu ergreifen?“ und „Wie kann die Diözese euch dabei helfen?“. Ausgehend von diesem ausführlichen, intensiven Zuhören wird in der Diözese nun ein Strategiepapier entwickelt. Die Diözese York nutzte das Material in einem örtlich begrenzten Gebiet und auf Dekanatsebene anstatt als Gesamtdiözese. Es war für alle Beteiligten sehr ergiebig, weil hier vor allem kleinere, zum Teil isolierte ländliche Gemeinden im Mittelpunkt des Interesses standen. Erst kürzlich hat die Diözese Chichester begonnen, mit dem Material zu arbeiten, und hat ein intensives und auf lange Sicht angelegtes Programm gestartet, unter Leitung von Pfr. John Twisleton. Dazu gehören die Weiterbildung und Einbindung von Moderatoren. Das Material wird in der Diözese auch dazu genutzt, Gemeinden mit einer vakanten Pfarrstelle das Nachdenken über ihre Situation zu ermöglichen. So können sie herausfinden, welche Form von Leitung sie in der nächsten Phase ihres Gemeindelebens benötigen. In den Diözesen Bradford und Guildford wurde unser Material von den Beauftragten für Gemeindeentwicklung intensiv getestet; die daraus gewonnenen Einsichten sind in diesem Buch verarbeitet worden. In einer Reihe von Diözesen hat das Material Gemeinden geholfen, während einer Vakanzzeit ihr gemeinsames Leben und die notwendige zukünftige Richtung zu reflektieren. Es bietet wesentliche Anhaltspunkte, um neue verantwortliche Mitarbeiter auszuwählen. In anderen Diözesen werden neue Pfarrer ermutigt, in den ersten ein oder zwei Jahren in ihrem geistlichen Amt mit unserem Material zu arbeiten, um sich über die zukünftige Ausrichtung ihrer Gemeindearbeit klar zu werden. Darüber hinaus wurde dieses Material von einer unbekannten Zahl von Gemeinden im ganzen Land genutzt. Obwohl dieses Material aus der Anglikanischen Kirche stammt, wurde es auch in anderen Denominationen genutzt. Das Handbuch „Vitale Gemeinde“ ist nicht ausschließlich für die Kirche von England relevant [was unsere Übersetzung unterstreicht]. Und es ist sicher genauso wertvoll und nützlich für baptistische, methodistische und reformierte Gemeinden.
Eine begleitete Reise Obgleich die Arbeit eines reisenden Pfarrers oft einsam ist, war ich auf dieser Reise alles andere als auf mich allein gestellt. Viele Menschen waren für mich auf dem Weg Unterstützung, Anregung und Herausforderung; von ihnen habe ich während dieser Jahre viel gelernt. 23
Einleitung
An erster Stelle ist hier Dr. Janet Hodgson zu nennen, die dafür sorgte, dass ich auf „rechtem Wege“ blieb. Oder hielt sie mich von diesem Weg ab? Sie war es, die uns beide in das Projekt Vitale Gemeinde verwickelte, ganz ohne Absicht, wie Sie beim Lesen entdecken werden. Sie begleitete mich auf der gesamten Reise; sie arbeitete an den ersten Merkmalen, formulierte sie für die Arbeitsunterlage Growing Healthy Churches und stellte das Material vor, vor allem in der Diözese Coventry und (bei der ersten Zusammenarbeit mit) der Diözese Rochester. Nachdem sie in ihr Heimatland Südafrika zurückgekehrt war, hielten wir weiterhin Kontakt, und sie war ein wunderbarer „kritischer Freund“, wobei sie durch die Korrektur meiner vielen Texte ihre akademische Vergangenheit noch einmal durchlebte. In Wahrheit ist dies eher unser als nur mein Material, auch wenn ich für das Folgende die volle Verantwortung übernehme. In der jüngeren Vergangenheit teilte sich Rev. Alison White (zufällig Janets Vorgängerin als Beraterin für lokale Mission in der Diözese Durham) mit mir die Aufgabe, das Material auf breiterer Basis den Kirchen vorzustellen, es in Form zu bringen und weiterzuentwickeln. Alison war eine reizende Kollegin, die das bereits gut in Form gebrachte Material aufnahm und voranbrachte. Es ist ein Teil meiner Persönlichkeit, Strukturen vorzugeben, für die Gemeinden sozusagen Spuren anzulegen, auf denen sie dann weiter vorankommen können. Alisons Begabung und Berufung ist es, solche Muster und Strukturen zu zerlegen und das Material – und mich – wieder für jede Menge unstrukturierter Details zu öffnen. Das hat den Inhalt dieses Buches vor allzu penibler Genauigkeit und programmatischer Engführung bewahrt. Denn es besteht sicherlich kein Interesse, jede Gemeinde nach nur einer einzigen Vorlage zu gestalten. Meine aufrichtige Hoffnung ist, dass unser Handbuch Optionen und Möglichkeiten eröffnet und nicht verschließt. Reverend Canon Mavis Wilson, jetzt Pfarrerin von Frimley, zuvor eine der am längsten im Dienst stehenden Beauftragten für Mission (in der Diözese Guildford), war bei der Entwicklung dieses Materials ebenfalls eine enorme Hilfe für mich. Sie war „Moderatorin vom Dienst“ und führte zahlreiche Weiterbildungen durch für Menschen, die Gemeinden bei der Durchführung des Gemeindeprofil-Checks unterstützten und Maßnahmen zur Revitalisierung der Gemeinden begleiteten. Mir war die Arbeit eines Moderators bzw. externen Beraters völlig unbekannt und ich verdanke Mavis, dass sie mir zumindest die Grundzüge dieser Aufgabe beibrachte. Wie viel einfacher ist es, anderen zu erzählen, was sie zu denken und zu tun haben, als ihnen dabei behilflich zu sein, es selbst herauszuarbeiten! Es gibt noch viele andere, die mich unterstützt haben. Reverend Paul Simmonds leistete harte Arbeit, um die Benutzung des Materials zum ersten Mal in einer ganzen Diözese (Coventry) zu ermöglichen. Er ließ uns nicht eher in Ruhe, bis die Arbeit mit Kindern und jungen Menschen ein fester Bestandteil des Materials war. 24
Einleitung
Reverend Canon Michael Howard und Reverend Carol Kitchener aus der Diözese Rochester haben unser Material in vorzüglicher Weise in die Missionsagenda integriert und darüber hinaus in der ganzen Diözese. Sie veröffentlichten zudem während der Fastenzeit 2003 eine kleine Serie von Hausaufgaben zum Material in der anglikanischen Kirchenzeitung Church of England Newspaper. Alison und ich, die wir am meisten mit ihnen gearbeitet haben, waren tief beeindruckt von der Art, wie sie mit dem Material umgingen, es weiterentwickelten und „übersetzten“ und damit eine hervorragende Arbeit bei der Suche, dem Training, dem Einsatz und der Unterstützung der Moderatoren für vitale Gemeinden leisteten. Sie haben den langfristigen Ansatz des Prozesses wirklich verstanden und dazu beigetragen, ungefähr 70 % der Gemeinden in der Diözese mit dem Material vertraut zu machen. Reverend John Gooding, Beauftragter für Gemeindeentwicklung in der Diözese Guildford, hat wahrscheinlich mehr als jeder andere im Land (und mit Sicherheit mehr als ich) bei der Arbeit mit Gemeinden vor Ort sowohl Building Missionary Congregations als auch Growing Healthy Churches genutzt. Ich habe seine ruhigen, scharfsinnigen und praktischen Beobachtungen ebenso wie seine beständige Ermutigung weiterzumachen sehr geschätzt. Sowohl Bischof Colin Bennetts von Coventry als auch Bischof Graham Dow von Carlisle haben durch ihre Einladung, jeweils mit ihrer gesamten Diözese zu arbeiten, es uns ermöglicht, das Material mit Hunderten von Gemeinden an unterschiedlichen Orten zu testen. Von den vielen Kontakten hat unsere Arbeit außerordentlich profitiert. Im Zentrum unseres Projekts stand die Überzeugung und das Gebet, dass die Gemeinde Jesu Christi dazu da ist, dem Leben Jesu in allem, was sie ist und tut, Ausdruck zu verleihen. Diese Vision hat unsere Arbeit getragen und sie liegt auch diesem Buch zugrunde, dem wir den Wunsch des Apostels Paulus mitgeben, dass … … wir alle hingelangen zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zum vollendeten Mann, zum vollen Maß der Fülle Christi. (Epheser 4,13) Möge Gott in seiner Güte dieses Buch dazu dienen lassen, dass es der Gemeinde, die er durch seinen Geist ins Leben gerufen hat, eine Hilfe ist.
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Kapitel 1 Vitale Gemeinden entdecken
TEIL 1: DIE MERKMALE VITALER GEMEINDEN ENTDECKEN
KAPITEL 1 VITALE GEMEINDEN ENTDECKEN
Die Prozesse zur Stärkung der Vitalität einer Gemeinde, die in diesem Buch beschrieben werden, gingen weder auf einen Plan zurück noch sind sie Ergebnis einer grandiosen Theorie. Sie sind aus etwas hervorgegangen, das ursprünglich als eintägige Veranstaltung in einer Diözese geplant war. Die Geschichte dieses Tages und dessen, was daraus resultierte, sind es wert, erzählt zu werden. 1996 beschäftigte sich Dr. Janet Hodgson, die Beauftragte für örtliche Mission (Observant Adviser in Local Mission) mit den Zahlen der Gottesdienstbesucher in der Diözese im Zeitraum von 1990 bis 1995. Dabei fielen ihr zwei in hohem Maße gegenläufige Trends auf: Insgesamt hatte die Zahl der sonntäglichen Gottesdienstbesucher in der Diözese in diesen fünf Jahren um 16 % abgenommen. Das war nicht gerade ein Zeichen von Vitalität in der ersten Hälfte der „Dekade der Evangelisation“. Aber wesentlich beeindruckender war eine andere Zahl: Von den 260 Gemeinden der Diözese waren 25 in derselben Zeit um mehr als 16 % gewachsen. Diese Gemeinden widersetzten sich dem Trend mit beachtlichen 32 % Unterschied zum Gesamtbild. Eine weitere Gruppe von Gemeinden war zwischen 1 und 15 % gewachsen, aber es wurde entschieden, sich auf die zu konzentrieren, die dem allgemeinen Rückgang mit ihrem Wachstum diametral entgegenstanden. Diese 25 Gemeinden mit ihren 16 % Wachstum bildeten eine ausreichende Schnittmenge für die Untersuchung, und die 16 % waren so signifikant, dass wir es tatsächlich mit Gemeindewachstum zu tun hatten und nicht einem statistischen Fehler aufsaßen. Natürlich fragte Dr. Janet Hodgson zuerst nach dem „Warum?“. Die üblichen Erklärungen passten einfach nicht. Handelte es sich um größere Gemeinden? Waren es charismatische oder evangelikale „Gemeindewachstums-Enthusiasten“? Waren es Mittelstandsgemeinden in den grünen Vororten? Gehörten sie zu den Gemeinden, die vom Church Urban Fund 27
TEIL 1: DIE MERKMALE VITALER GEMEINDEN ENTDECKEN
großzügig unterstützt wurden? Waren es Gemeinden, die von den jüngsten, visionärsten, enthusiastischsten und fähigsten Pfarrern geleitet wurden? Die Antwort auf jede dieser Fragen lautete „Nein“. Das Auffälligste an diesen Gemeinden war ihre Unterschiedlichkeit. Sie repräsentierten 15 der 16 Dekanate der Diözese. Sie repräsentierten alle Sozialräume: städtische, vorstädtische, innerstädtische, ländliche und ehemalige Bergarbeitergemeinden. Jede soziale Schicht in der Diözese war durch mindestens eine Gemeinde vertreten. Ein breites Spektrum an Gemeindetraditionen war ebenfalls vorhanden, wobei keine Tradition auffallend häufig vertreten war. Alle Gemeindegrößen waren gleichmäßig vertreten. Diese Gemeinden wurden von einem guten Querschnitt von Pfarrern geleitet. Bei den Pfarrern war das ganze Altersspektrum vertreten. Soweit einschätzbar, war auch eine Vielzahl an Persönlichkeitstypen und Führungsstilen vorhanden. Es gab Enthusiasten und eher nachdenkliche Typen. Einige gingen eher offensiv mit ihrem Glauben um, während andere eher defensiv und nachdenklich wirkten. Diese auffallende Vielfalt an Gemeindetypen und -orten und ihrer Leitung war beeindruckend, schon bevor das Treffen überhaupt stattfand. Weder der soziale Kontext noch die zahlenmäßige Größe, weder Tradition noch Leitungsstil schienen signifikantem Wachstum einer Gemeinde im Wege zu stehen. Was war also das Geheimnis ihrer unterschiedlichen Geschichten? Man hatte gehofft, bei jener eintägigen Veranstaltung auf Diözesanebene ein paar Antworten auf diese faszinierende Frage zu finden.
Das Gehörte einordnen Etwa hundert Menschen aus diesen 25 Gemeinden kamen zu der Veranstaltung. Sie war für alle Beteiligten überaus anregend, und jeder nahm eine Menge an Anekdoten, Eindrücken, Fakten und Gefühlen mit. Zunächst fiel auf, dass sich keine der Gemeinden in erster Linie als „wachsende“ Gemeinde verstand. Zahlen spielten für sie keine große Rolle. Viel typischer war das Anliegen dieser Gemeinden: Sie wollten „besser darin sein, Gemeinde zu sein“. Sie nahmen ihren Glauben ernst und versuchten, auf die ihnen bestmögliche Art Gemeinde zu sein. Sie als wachsende Gemeinden zu beschreiben, trifft daher nicht den Kern der Sache. Ihre Aufmerksamkeit galt mehr der Qualität als der Quantität. Daher scheint die Beschreibung „vital“ passender als die Beschreibung „wachsend“. In der Tat mussten einige von ihnen erst überzeugt werden, dass sie wuchsen und zu jener Veranstaltung kommen sollten. Für keine dieser Gemeinden gehörte die wachsende Zahl der Gottesdienstbesucher zu einem Schwerpunkt ihrer Strategie. Das Wachstum hatte vielmehr mit dem natürlichen Prinzip zu tun, dass Wachstum zu den offensichtlichen Zeichen eines gesunden Organismus gehört. 28
Kapitel 1 Vitale Gemeinden entdecken
Die Gemeinden waren zu jener Veranstaltung einfach wegen ihrer steigenden Besucherzahlen eingeladen worden. Der Grund war, dass sich daran die positive Entwicklung einer Gemeinde am einfachsten festmachen ließ. Herauszufinden, was die Vitalität einer Gemeinde ausmacht, ist dagegen eine wesentlich kompliziertere und komplexere Angelegenheit. Dieser Herausforderung stellt sich unser Buch.
Definitionen1 Die Begriffe „wachsend“ und „vital“ wurden bereits in Bezug auf Gemeinden benutzt, daher ist es wichtig zu definieren, was damit gemeint ist. Wenn man vom Leben einer Gemeinde spricht, wird unter „wachsen“ und „Wachstum“ üblicherweise das zahlenmäßige Wachstum verstanden. Wo wir aber von der Entwicklung „vitaler“ Gemeinden sprechen, ist eher das „Hegen und Pflegen“ des Gemeindelebens gemeint, so wie wir uns z.B. um einen Rosenstock in unserem Garten kümmern. Bei der Verwendung der Worte „vital“ und „Vitalität“ sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass wir in einer Kultur leben, die ein ungesundes Verhältnis zur Gesundheit hat. Unsere Kultur sieht Gesundheit oder Vitalität als ein Recht an, das uns zusteht. Man möchte schmerzfrei sein und möglichst nicht altern. Gesund sein wird gleichgesetzt mit fit und dynamisch sein, gut aussehen, volle Kontrolle über seine mentalen Fähigkeiten besitzen. Aber ist dies eine gesunde Sicht von Gesundheit? Wenn in diesem Buch von „Vitalität“ die Rede ist, ist das als Übersetzung des biblischen Begriff „Erlösung“ zu verstehen: Ganzheit, Ausgeglichenheit und Harmonie mit Gott und der gesamten Schöpfung. Christus sagte mehrmals zu Menschen, die er heilte, „dein Glaube hat dich gerettet“. Dies wurde verschiedentlich übersetzt als „hat geholfen, dass es dir gut geht“, „machte dich ganz“. Eine vitale Gemeinde ist also eine, die von der Gegenwart Gottes berührt und in Schwung gebracht ist – so dass man an ihr etwas von der Ganzheit erkennen kann, die durch die Erkenntnis Gottes ermöglicht wird, wie sie in Christus durch den heiligen Geist offenbart ist.
Merkmale oder Aktivitäten? Als es bei jener Veranstaltung der Diözese darum ging, die Erkenntnisse aus den einzelnen Gemeinden zusammenzufassen, wurde deutlich, dass eine Auswahl getroffen werden musste. Das Konzept Natürliche Gemeindeentwicklung setzt mit der Beschreibung von Rollen und Aktivitäten an, z.B. ermächtigende Leiterschaft und inspirierende Gottesdienste. 1 Anmerkung der Herausgeber: Das in der englischen Ausgabe benutzte Wort „healthy“ (gesund) wird in der deutschen Ausgabe i.d.R. mit „vital“ bzw. „Vitalität“ übersetzt.
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TEIL 1: DIE MERKMALE VITALER GEMEINDEN ENTDECKEN
Es wurde entschieden, diesem Ansatz nicht zu folgen, und das aus zwei Gründen: Erstens wurde es dem, was wir gesehen hatten, nicht gerecht: Hier ging es mehr um die Einstellung oder einen Wert als in erster Linie um bestimmte Aktivitäten. Zweitens hielten wir es für wichtig, nicht bestimmte Schlüssel-Aktivitäten vorzuschlagen, und das schlicht, weil die Lebensäußerungen aller dieser Gemeinden so unterschiedlich und vielfältig waren. Am deutlichsten wird dies bei den Kleingruppen. Die meisten der Gemeinden, deren Geschichte wir gehört hatten, hatten Kleingruppen, die bei ihrem Wachstum eine wichtige Rolle spielten. Aber nicht alle hatten solche Gruppen. Und es gab ohnehin etwas wesentlich Wichtigeres, was diesen Gruppen zugrunde lag. Diese Gemeinden lebten mit einer großen Offenheit in ihren persönlichen Beziehungen. Dies führte dazu, dass die Gemeinden nicht mehr nur als Organisation handelten. Unsere Beobachtung war, dass diese Gemeinden liebevolle Gemeinschaften waren, die in Kleingruppen einen hilfreichen Weg sahen, dies auszudrücken. Das Ziel jedoch war, eine liebevolle Gemeinschaft zu sein. Kleingruppen waren dabei einfach nur eine der geläufigen Formen, diesem Ziel Ausdruck zu verleihen. Das führte dazu, dass die Merkmale einer vitalen Gemeinde im Sinne von Zielen, Charakteristika, Werten und Hoffnungen formuliert wurden und nicht als Aktivitäten. Das ist auch deswegen wertvoll, weil es Raum lässt für neue Ausdrucksformen von Kirche. Es wurde für wichtig erachtet, Gemeinden nicht in eine bestimmte organisatorische Form zu zwingen. So haben zum Beispiel einige Gemeinden ihr gottesdienstliches Leben eingebaut in die Art und Weise, wie sie handeln, und verstehen es weniger als eine eigene, losgelöste Aktivität. Wenn man über „Ziele“ oder „Werte“ nachdenkt, kann man immer neue Ausdrucksformen von Kirche mit diesen Kennzeichen verknüpfen.
Allgemeine Merkmale festlegen Die Veranstaltung damals in Durham war ursprünglich als einmaliges Ereignis gedacht gewesen. Nachdem allerdings so viele Überschneidungen in den Schwerpunkten so völlig unterschiedlicher Gemeinden deutlich wurden, war klar, dass eine Liste dieser gemeinsamen Merkmale erstellt werden sollte. Diese gemeinsamen Merkmale wurden im Lauf der Jahre noch etwas präziser formuliert, aber im Grunde sind sie die gleichen wie am Anfang. Ähnliche Untersuchungen fanden in vier weiteren Diözesen statt und trugen zu dieser Präzisierung bei. Diese wiederkehrenden Themen, die wir heute „Merkmale“ nennen, können wie folgt zusammengefasst werden: Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus beziehen. Das scheint ein grundlegendes Merkmal zu sein. Im Herzen dieser Gemein30
Kapitel 1 Vitale Gemeinden entdecken
den und ihrer Mitglieder ist Realität geworden, dass man sich der Gegenwart, Güte und Liebe Gottes bewusst ist. Glaube ist der Treibstoff, mit dem sich diese Gemeinden fortbewegen. Den Blick nach außen richten. Typisch für diese Gemeinden war nicht die Konzentration auf ihr eigenes Leben und ihre Angelegenheiten, sondern typisch waren praktische Fürsorge für das örtliche Umfeld, das Ganze des Lebens und die Welt, in der wir leben. Die Gemeinden haben die Fähigkeit, das Leben zu genießen und das Leid und das Ringen der Welt um sie herum mit zu empfinden. Herausfinden wollen, was Gott heute will. Solche Gemeinden zeichnen sich aus durch einen geschärften Blick für das Wesentliche und entschlossenes Eintreten für erkannte Werte und Ziele. Für sie ist der göttliche Ruf entscheidend, lustlose Wiederholung althergebrachter Formen und Formeln kommt für sie nicht in Frage. Beharrlich im Gebet gehen sie voran. Neues wagen und wachsen wollen. Einzelne Menschen und Gruppen stehen immer wieder vor schwierigen Entscheidungen und Umständen, die sie auf die Probe stellen. Diese Gemeinden bewiesen den Mut, harten und schmerzhaften Wahrheiten ins Gesicht zu sehen und für echte, oft kostspielige Veränderungen bereit zu sein. Als Gemeinschaft handeln. Es ist nicht nur der Glaube an Gott, der diese Gemeinden trägt, sondern die Realität und Kraft von großzügigen und ehrlichen Beziehungen. Diese Beziehungen machen die Gemeinde zur „Familie“ für alle, die daran teilhaben, und locken zugleich den Einzelnen mit seinen Begabungen aus der Reserve. Raum schaffen für alle. Obwohl sie das sehr schätzen, was sie haben – nicht zuletzt in ihrer gegenseitigen Unterstützung –, haben diese Gemeinden Wege gefunden, andere nicht nur im Gottesdienst willkommen zu heißen, sondern zum Teil des Gemeindelebens zu machen. Das ganze Leben dieser Gemeinden ist von Großzügigkeit geprägt. Auf das Wesentliche konzentrieren. Eines der überraschendsten Merkmale dieser Gemeinden ist ihr unaufgeregtes, zielgerichtetes Leben und Handeln. Es erwächst aus der Grundhaltung, auf Gottes Ruf antworten zu wollen und dabei die eigene Zeit und Kraft einzusetzen. Gemeinden mit dieser Haltung hetzen nicht wie verrückt herum, sondern haben Freude an dem, was sie tun, und sehen die positiven Ergebnisse qualitativ guter Arbeit.
Und so ging es weiter Nachdem die Merkmale formuliert waren, war es möglich, sie anderen Gemeinden zur Verfügung zu stellen, damit auch sie in dieser Weise über ihr Gemeindeleben nachdenken konnten. Ein Raster wurde entwickelt, das es jeder Gemeinde ermöglicht, eine „Bewertung“ vorzunehmen und ein Gemeinde-Profil zu erstellen. 31
TEIL 1: DIE MERKMALE VITALER GEMEINDEN ENTDECKEN
Wie man mit diesem Raster arbeiten kann, wird später erklärt. Zunächst ist es nötig, sich mit den benannten Merkmalen näher zu beschäftigen. Dies geschieht in den nächsten drei Kapiteln.
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Kapitel 2 Zwei große Herausforderungen
KAPITEL 2 ZWEI GROSSE HERAUSFORDERUNGEN Wir beziehen Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus und richten den Blick nach außen
Als Pfarrer einer wachsenden Gemeinde wurde ich manchmal von Besuchern der Gemeinde nach den Gründen dieses Wachstums gefragt: „Worauf führen Sie den Erfolg dieser Gemeinde zurück?“ Ich erinnere mich nicht nur daran, dass der Gebrauch des Wortes ‚Erfolg‘ dazu führte, dass ich mich unwohl fühlte, sondern auch, dass ich um eine Antwort verlegen war. Immer wenn ich einen Punkt nannte, war ich mir zugleich auch anderer Faktoren bewusst. Im Rückblick und durch die Arbeit an dem Projekt „Vitale Gemeinde“ bin ich inzwischen besser darauf vorbereitet zu antworten. Mein Problem in der Vergangenheit war, dass die Frage voraussetzte, es müsse einen einzigen Punkt geben, der dieses Wachstum verursachte. Unser Material zeigt, dass in solchen Situationen eine Reihe von Faktoren eine Rolle spielen. Außerdem ist es das Zusammenspiel dieser Faktoren, das wichtig ist. Eine vitale Gemeinde zu entwickeln ist eher wie das Backen eines leckeren Kuchens. Gute Zutaten sind eine gute Ausgangsbasis. Dann kommt es darauf an, die Mengen richtig abzumessen und den Teig richtig zu rühren, und schließlich muss man wissen, wie lange und bei welcher Temperatur er zu backen ist. So ist es auch bei vitalen Gemeinden; genau wie bei gesunden Beziehungen ist es das Zusammenspiel einer Reihe von Faktoren, die dafür sorgen, dass die Dinge gut laufen. Unsere Beschreibung der Merkmale beinhaltet daher auch Hinweise, wo und wie die einzelnen Merkmale interagieren. Die Erkundung dieser Merkmale verfolgt einen doppelten Zweck. Erstens soll sie Gemeindeleitungen und -gliedern helfen, die Dinge zu verstehen, die in einer Gemeinde am wichtigsten sind. Zweitens geht sie so vor, dass jedem, der die Merkmale in einem gemeindlichen Kontext vorstellt, auch das Material für so eine Aufgabe zur Verfügung steht. Dieses Kapitel deckt die ersten beiden Merkmale ab: Wir beziehen Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus und richten den Blick nach außen. Diese ersten beiden Merkmale konzentrieren sich auf grundsätzliche Beziehungen der Gemeinde: zu Gott und zu der Welt um sie herum. Wenn 33
TEIL 1: DIE MERKMALE VITALER GEMEINDEN ENTDECKEN
Gemeinden daran arbeiten, ihre Beziehung zu Gott und zu ihrer Umwelt weiterzuentwickeln, werden sie und die einzelnen Menschen, die die Gemeinde ausmachen, eine Reise antreten, die zum Ziel hat, die beiden Herausforderungen zu leben – Gott und unsere Mitmenschen zu lieben.
Erstes Merkmal: Wir beziehen Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus statt die Dinge nur am Laufen zu halten und irgendwie zu überleben
l Gottesdienst und Feier der Sakramente: Menschen bekommen Raum, Gottes Liebe zu erfahren l Motivation: Kraft wächst aus dem Wunsch, für Gott und für andere da zu sein l Orientierung an der Bibel: kreativ und lebensnah l Glauben an Christus begleiten: Menschen helfen, im Glauben zu wachsen und ihn weiterzugeben Obwohl alle Merkmale wichtig sind, steht dieses mit Recht am Anfang der Liste und bildet den Einstieg in die Vitalität einer jeden Gemeinde. Denn von diesem Merkmal gehen alle anderen aus. Manchen Gemeinden fehlt es an innerer Kraft und Orientierung. Alles bedeutet eine enorme Anstrengung. Jemand sagte mal: „Unsere Gemeinde ist wie eine Schubkarre; nichts bewegt sich, wenn man sie nicht anschiebt.“ Andere Gemeinden haben Kraft und Orientierung, aber nicht notwendigerweise aus einer völlig gesunden Quelle heraus. Sie können aus dem Wunsch heraus entstehen, ein mittelalterliches Gebäude in einem guten Zustand zu erhalten, das schönste Glockenläuten im Umkreis zu haben oder mit herausragender kirchenmusikalischer Tradition in der Stadt zu punkten. Kraft kann auch daher kommen, sicherstellen zu wollen, dass „unsere Gruppe“ die Kontrolle behält. Ebenso kann Energie auch aus dem bloßen Wunsch entstehen, Dinge so zu erhalten, wie sie sind. Das pure Überleben kann eine starke Motivation sein. Die meisten dieser Dinge sind nicht von vornherein falsch, aber sie reichen nicht aus als Basis für das Leben einer Gemeinde, die eine Gemeinschaft von Jüngern Jesu Christi ist. Der Bischof einer Diözese erzählte, wie er zu einer Gemeinde gehen und ihr mitteilen musste, dass es nicht länger tragbar sei, die Gemeinde am Leben zu erhalten. Sie sollte innerhalb eines Jahres geschlossen werden. Dazu kam es aber nicht. Die Aussicht auf Schließung brachte die Mitglieder so in Schwung, dass sie anfingen, ihren Glauben zu teilen und auf verschiedene Weise für das Wohlergehen der Gemeinde zu arbeiten. Ein Jahr später lief die Gemeinde so gut, dass der Bischof sein Vorhaben zurücknahm. Diese Erfahrung hat ihn 34
Kapitel 2 Zwei große Herausforderungen
ermutigt, im nächsten Jahr eine andere Gemeinde aufzusuchen und ihr dasselbe zu sagen. Die Geschichte wiederholte sich und diese Gemeinde begann ebenfalls aufzublühen. Das Gleiche passierte im dritten Jahr. Es wäre interessant herauszufinden, wie das Verhältnis solcher Gemeinden zu den Merkmalen einer vitalen Gemeinde ist, so wie sie in diesem Buch dargestellt werden. Alle drei Gemeinden entdeckten neue Kraft und Orientierung. Dies mag zu größerer (oder neuer) Verbindlichkeit im Glauben geführt haben. Sie könnten aber auch dadurch geweckt worden sein, dass die drohende Schließung der Gemeinde im Raum stand. Das ist nicht notwendigerweise falsch, aber wenn es nicht dazu führt, dass die Gemeinden ihre Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus beziehen, dann wird im Leben und Wohlergehen dieser Gemeinden etwas Entscheidendes fehlen. Der Glaube an Gott, wie er sich in Jesus Christus offenbart hat durch den Heiligen Geist, ist die Quelle der Vitalität im Leben einer Gemeinde. Unterschiedliche Traditionen drücken dies auf verschiedene Art und Weise aus. Aber in allen von ihnen ist das Gebet ein natürlicher Bestandteil des persönlichen und des Gemeindelebens, Glaube gehört ganz selbstverständlich zum Leben, man spricht darüber und der Name Christi ist kein Grund für Verlegenheit. Folgende Beobachtungen konnte man in diesen Gemeinden machen: l Gottesdienst und Feier der Sakramente: Menschen bekommen Raum, Gottes Liebe zu erfahren Es gibt einen, aber entscheidenden Unterschied zwischen „Gottesdienst halten“ und „Gottesdienst feiern“ bzw. „in die Anbetung führen“. Bei Ersterem liegt der Schwerpunkt auf dem Einhalten der Liturgie oder der Gottesdienstordnung. Bei Letzterem liegt der Schwerpunkt darauf, Menschen zu helfen, die Gegenwart Gottes zu erfahren. Dies kann bedeuten, bewusst Stille einzuhalten, die es Menschen ermöglicht zu hören, was Gott zu ihnen sagt. Zur Anbetung kann gehören, dass Menschen berichten, wie sie das Reden und Handeln Gottes konkret erfahren haben. Es kann auch sein, dass die Gegenwart und Güte Gottes in der Anbetung geradezu spürbar ist. Und gleichzeitig kann deutlich werden, wie sehr die Beziehung zwischen Gott und den Menschen, aber auch zwischen den Menschen belastet ist. Daher wird es Freude und Traurigkeit, Lachen und Tränen geben. Eine ländliche Gemeinde erlebte signifikantes Wachstum, aber nicht, weil mehr Menschen sonntags zum Gottesdienst kamen, sondern weil durch ‚Mund zu Mund-Propaganda‘ einige Hausgemeinden gewachsen waren, die ursprünglich für Menschen vorgesehen waren, die ans Haus gebunden sind. Die Art, wie dort Gottesdienst gefeiert wurde, verband die Menschen offensichtlich mit Gott und schuf unter den 35
TEIL 1: DIE MERKMALE VITALER GEMEINDEN ENTDECKEN
Teilnehmern ein Gefühl der Zugehörigkeit. Das bedeutete für sie „Gemeinde“. l Motivation: Kraft wächst aus dem Wunsch, für Gott und für andere da zu sein. Menschen möchten für Gott und für andere da sein, und dies löst Bereitwilligkeit und Begeisterung in ihrem Umfeld aus. Wo dies nicht gegeben ist, leiden Gemeinden unter Kraftmangel; eine kleine Gruppe muss die gesamte Arbeit erledigen. Das passiert manchmal, weil Neue davon abgehalten werden, sich aktiv in das Gemeindeleben einzubringen, weil man Angst hat, dass sie Veränderungen bewirken könnten. Wo Motivation nur aus zweitrangigen Angelegenheiten bezogen wird, stecken nicht selten konkurrierende persönliche Sichtweisen, Konflikte zwischen unterschiedlichen Charakteren und Machtkämpfe dahinter. l Orientierung an der Bibel: kreativ und lebensnah Dies bedeutet mehr, als nur zu behaupten, eine Gemeinde zu sein, die „das Wort predigt“, oder welche Formulierung auch immer zur jeweiligen Gemeindetradition passt. Stattdessen bedeutet es, wie mit der Bibel umgegangen wird – auf der Kanzel, im persönlichen Leben und in der Gruppe. Solche Gemeinden haben keine Angst davor, damit zu ringen, wie ein Bibeltext mit dem Leben heute zusammenhängt und wie er sich auf unsere Werte, Entscheidungen und unseren Lebensstil auswirken kann und sollte. Eine Gemeinde führte in der Fastenzeit einen Bibel-Studienkurs durch zum Thema Jahrtausendwechsel. Daraus entwickelte sich ein langfristiges Engagement der ganzen Gemeinde für die Schuldenerlasskampagne zugunsten der Dritten Welt. Eine andere Gemeinde erkundete die Stressproblematik aus biblischer Perspektive und entwickelte einige Übungen zum Stressabbau (Meditationen), die nun von vielen in dieser Gemeinde genutzt werden. l Glauben an Christus begleiten: Menschen helfen, im Glauben zu wachsen und ihn weiterzugeben In solchen Gemeinden wird Glaube nicht vorausgesetzt, vielmehr wird darüber gesprochen und er wird als zentrale Aufgabe der Gemeinde gesehen. Menschen wird geholfen, über ihre eigene Erfahrung der Gnade und Realität Gottes in ihrem Leben nachzudenken, sie dürfen aber auch äußern, dass sie diesbezüglich noch keinerlei Erfahrungen gemacht haben. Man hilft den Menschen, ihre eigene Geschichte zu erzählen, wie sie zum Glauben gefunden haben oder welche Erfahrungen sie auf dem Weg des Glaubens gerade machen. 36
Kapitel 2 Zwei große Herausforderungen
Gebet spielt eine wichtige Rolle im Leben solcher Gemeinden, sowohl das persönliche Gebet als auch in der Gemeinschaft. Sich zur Stille zurückzuziehen, einen Ort zum geistlichen Auftanken aufzusuchen, geistliche Begleitung zu haben, in einer Gebetsgruppe zu sein oder eine gemeinsame Gebetsdisziplin zu haben machen solche Gemeinden mit aus. In ihnen wird umgesetzt, was Gerard Hughes als Hauptaufgabe und wichtigsten Dienst von Bischöfen und Pfarrern beschreibt: die erwachsenen Gemeindeglieder in der Gebetspraxis zu trainieren. (Gerard Hughes, God of Surprises, Darton, Longman & Todd, 1985, S. 22)
Das lässt das Bewusstsein wachsen, an einem gemeinsamen Unternehmen beteiligt zu sein, das eine geistliche Basis hat. Dazu braucht es nicht unbedingt ein Leitbild (Mission Statement) für die Gemeinde. In solchen Gemeinden findet Evangelisation unabhängig davon statt, ob ein solches Mitteilen des Glaubens organisiert ist oder nicht – und weitgehend unabhängig davon, ob das Wort Evangelisation benutzt wird oder nicht. Eine Gemeinde im Stadtzentrum produzierte eine kleine Broschüre mit etwa zwölf Seiten. Auf jeder Seite berichtete ein Mitglied der Gemeinde, wovon sein Glaube lebte. So enthielt diese kleine Broschüre ganz unterschiedliche Berichte, wie Menschen Gott begegnen. Am Ende jeder Seite war eine Kontaktadresse oder eine Telefonnummer angegeben, so dass jeder Leser die Möglichkeit hatte nachzufragen. Auf diese Weise wurde Glaube zugleich ausgedrückt, mitgeteilt und gefördert.
Zweites Merkmal: Wir richten den Blick nach außen statt uns nur mit uns selbst zu beschäftigen
l Vernetzung am Ort: in Zusammenarbeit mit anderen Kirchen, Glaubensrichtungen, säkularen Gruppen und Netzwerken l Frieden und Gerechtigkeit: leidenschaftlich und prophetisch vor Ort und in der Welt l Glaube und Alltagsleben: gehören zusammen und werden füreinander relevant l Diakonisches Handeln: Menschen erfahren hilfreiche Unterstützung in ihren Alltagsfragen Ein auffälliges Merkmal der Gemeinden, deren Geschichten im Rahmen des Projekts ‚Vitale Gemeinde‘ vorgestellt wurden, war, wie weit sie über ihren ‚Tellerrand‘ hinaus schauten und mit ihrer Umgebung und dem ganzen Ort in Beziehung standen. Sie sind keine „Ghetto-Gemeinden“, die sich vor dem Leben verstecken. Solche Gemeinden sind sich nicht selbst genug, 37
TEIL 1: DIE MERKMALE VITALER GEMEINDEN ENTDECKEN
den Zweck ihres Daseins sehen sie in der Liebe Gottes für seine gesamte Schöpfung und für alle Menschen. Das motiviert sie und verleiht ihrem Dasein Sinn. Diese Gemeinden haben begriffen, dass wir aufhören müssen, Gemeinde an den Anfang zu setzen. Der Ausgangspunkt für diese Gemeinden ist die Welt und das Leben um sie herum. Sie sind ein anschauliches Zeugnis dafür, dass keine Gruppe glücklich oder gesund ist, solange sie nicht eine Aufgabe zu erfüllen hat, die über ihre Grenzen hinausreicht. l Vernetzung am Ort: in Zusammenarbeit mit anderen Kirchen, Glaubensrichtungen, säkularen Gruppen und Netzwerken Gemeinden dieser Art brauchen nicht alle Antworten zu wissen oder immer diejenigen zu sein, die die Probleme lösen. Sie sind bereit, im Rahmen ihrer Möglichkeiten mitzuarbeiten und mit anderen zusammenzuarbeiten. Schließlich kennen sie ihr Umfeld ziemlich gut, wissen um Freude und Sorgen der Menschen, neigen aber nicht dazu, ständig ihre Lösungen durchzusetzen. Eine Gemeinde in einem ehemaligen Bergarbeiterbezirk wusste genau, was los war; ihr Ort befand sich in einem Zustand des „erstarrten Zorns“ über die Schließung der Zeche zur Zeit des großen Bergarbeiterstreiks in den 80er Jahren. Zehn Jahre später schien dieser Zorn noch immer so heftig zu sein wie an jenem Tag, als die Zeche geschlossen wurde. Der Gemeinde fiel auf, dass es nie eine „Trauerfeier“ für die Zeche geben hatte. Daher feierte die Gemeinde einen Gottesdienst am zehnten Jahrestag der Zechenschließung. In diesem Gottesdienst wurde gedankt für die guten Zeiten in der Vergangenheit und für alles, was die Zeche für die Menschen am Ort bedeutet hatte. Aber man besaß auch den Mut, einige junge Menschen ihre Erleichterung und Freude darüber ausdrücken zu lassen, dass sie ihr Leben nicht in einem Kohlebergwerk verbringen müssen. Dieser Gottesdienst trug dazu bei, dass der „erstarrte Zorn“ im Ort spürbar nachließ. Zugleich führte es zu einer Verbesserung des Verhältnisses zwischen der Kirchengemeinde und den Bewohnern des Orts. l Frieden und Gerechtigkeit: leidenschaftlich und prophetisch vor Ort und in der Welt Solche Gemeinden setzen in die Tat um, was David Bosch so formuliert: „An der Mission teilzuhaben bedeutet, an der Bewegung der Liebe Gottes auf die Menschen teilzuhaben, da Gott eine Quelle sich verströmender Liebe ist.“ (David J. Bosch, Mission im Wandel. Paradigmenwechsel in der Missionstheologie, hg. von Martin Reppenhagen, Brunnen Verlag, 2012, S. 458). Sie sorgen sich um die Welt um sie herum und um das Leben vor Ort. 38
Kapitel 2 Zwei große Herausforderungen
In der Geschichte der christlichen Kirche gibt es eine Reihe von Menschen, die genau das getan haben; denken wir nur an Mutter Teresas Einsatz für die Ärmsten der Armen in Kalkutta, Martin Luther Kings Einsatz für die Gleichberechtigung der Rassen, Desmund Tutus Ruf nach der Kirche als „menschlichem Regenbogen Gottes“, der fröhlich die unterschiedlichen Hautfarben als Geschenk Gottes feiert, und Cicely Saunders’ Pionierarbeit für die Hospizbewegung als Fürsorge für die Sterbenden. Solcher Einsatz, auch wenn er vielfach unauffällig und in bescheidenem Rahmen geschieht, setzt ein Zeichen, an dem christlicher Glaube zum Ausdruck kommt und Gestalt gewinnt. Gemeinden haben Treffpunkte für Einsame oder Trauernde eingerichtet, sorgen für Beratung für Menschen in finanziellen Notlagen, bieten Hausaufgabenbetreuung oder Sprachunterricht für Immigranten an und vieles mehr. Projekte wie diese bringen Gottes Fürsorge für alle Menschen zum Ausdruck, insbesondere für die Benachteiligten. l Glaube und Alltagsleben: gehören zusammen und werden füreinander relevant Man macht es sich zu einfach, wenn man das „geistliche Amt“ einer Person dadurch definiert, was diese Person im Gemeindeleben tut. Tatsache ist, dass „für die große Mehrheit der Ehrenamtlichen … der Schwerpunkt ihres geistlichen Amts in den Gelegenheiten liegt, die ihnen ihre alltägliche Verantwortung bietet.“ (Robin Greenwood, Practising Community: The task of the local church, SPCK, 1996, S. 64). Vitale Gemeinden erkennen das und arbeiten daran, Gemeindemitglieder zu befähigen, im ganzen Leben den Glauben zu leben. Sie halten dies für wichtiger, als jeden dazu zu bekommen, etwas in der Gemeinde zu tun. In der Tat ist dies der Schlüssel zu effektiver Evangelisation, wenn Menschen in ihrem Glauben die Quelle zum Leben finden, Antwort auf die Frage nach dem Sinn ihres Lebens erhalten, sich an Werten orientieren und mit anderen teilen, was Sinn im Leben macht. Eine Gemeinde bemühte sich, dies umzusetzen, indem sie das geringe Selbstwertgefühl zum Thema machte, das nicht nur im Ort, sondern auch im Gemeindeleben weit verbreitet war. Sie orientierte sich am Zwölf-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker und formulierte es um für Menschen mit geringem Selbstwertgefühl. Das Programm wurde zunächst in der Kirchengemeinde getestet und dann der politischen Gemeinde zugänglich gemacht. Eine andere Gemeinde in einer völlig anderen Umgebung stellte fest, dass ihre Kurse zur Stressbewältigung, die für Manager und leitende Angestellte angeboten wurden, regelmäßig auch von Leuten ohne Gemeindekontakt besucht wurden.
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TEIL 1: DIE MERKMALE VITALER GEMEINDEN ENTDECKEN
l Diakonisches Handeln: Menschen erfahren hilfreiche Unterstützung in ihren Alltagsfragen Diese Gemeinden sind eher auf dem „Geben“- als auf dem „Nehmen“Trip. Sie handeln aus der Fülle des Evangeliums heraus mit dem Ziel, dass „alle am Fest des Lebens teilhaben sollen“. Die Resonanz ist beachtlich, z.B. bei der Fürsorge, die einige Gemeinden für Asylsuchende, Behinderte und Obdachlose zeigen. In anderen Situationen ist es nicht so sehr die Frage‚ „was man tut“, sondern „wie man es tut“, wie die folgende Geschichte zeigt: Einer gemeindlichen Eltern-Kind-Gruppe wurde bewusst, dass sie eine typische „Insider-Gruppe“ bildete, durch die die Gastfreundschaft und Offenheit, die sie selbst durch den Glauben erfahren hatte, nicht zum Ausdruck kam. In der Regel kamen die Gemeindemitglieder, die für die Gruppe verantwortlich waren, in der Küche für eine Runde Klatsch und Tratsch zusammen und ließen die „gemeindefremden“ Eltern mit ihren Kindern allein. Nachdem die Verantwortlichen erkannt hatten, dass dieses Verhalten „ungesund“ („unheilig“) war, entschieden sie sich, Dinge zu verändern. Zwei der Leiter blieben in der Küche, aber die anderen vier gingen und setzten sich zu den Eltern und Kindern. Außerdem schickten sie vier von den Eltern in die Küche, damit sie sich mit anderen Erwachsenen unterhalten konnten. Diese Leitungsgruppe gab das auf, was sie am meisten schätzte. Das aber führte zu viel engeren Kontakten zu den „gemeindefernen“ Besuchern der Gruppe. Aus diesen Beziehungen ergaben sich auch praktische Hilfeleistungen auf privater Ebene. Einige „Gemeindefremde“ fanden durch diese Freundschaften ihren Weg zum Glauben an Christus. Dies sind nur ein paar Erfahrungen aus Gemeinden mit einem bewusst nach außen gerichteten Blick. Und in diesen Gemeinden gibt es jede Menge zu erzählen, wie Gott „draußen“ im alltäglichen Leben, im Umgang mit Nachbarn erfahren wurde. Dann können Menschen nicht aufhören, positive Nachrichten zu erzählen: „Wir können’s ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben“ (Apostelgeschichte 4,20). Dieser gesunde Blick nach außen kommt oft auch in den Fürbitten im Sonntagsgottesdienst zum Ausdruck. Sie sind einladend, haben eine lebensbejahende Weite und erzählen so von dem guten und großzügigen Gott, der hier angebetet wird. Gemeinden mit diesen Kennzeichen sind anziehend, weil sie sich nicht auf ihr eigenes Wohlergehen, ihr Funktionieren und ihre Programme konzentrieren, sondern auf Gottes Güte und Realität in der Welt, die sie umgibt. Solche Gemeinden leben das Doppelgebot der Liebe wirklich aus.
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Kapitel 3 Kostspielige Berufung
KAPITEL 3 KOSTSPIELIGE BERUFUNG Wir finden heraus, was Gott heute will, wagen Neues und wollen wachsen
Zur Zeit der Alten Kirche war es mutig und gefährlich, ein Nachfolger Christi zu werden, und genauso ist es in manchen Teilen der Welt heute noch. Ächtung, Verstoßung durch Familie und Freunde, Verlust des Lebensunterhalts und sogar des Lebens waren der Preis, den unsere Mitchristen gezahlt haben und bezahlen. Ihre Taufe gab ihrem Leben die Ausrichtung. Sie wussten: Auf den Tod und die Auferstehung Christi getauft zu sein bedeutete, dass sich der Weg Christi auch in ihrem eigenen Leben widerspiegeln würde. Das Vaterunser weist eine ähnliche Struktur auf: Am Anfang steht Gott selbst (sein Name, sein Reich, sein Wille), danach kommen wir mit unseren Bedürfnissen und vertrauen uns Gott an. Dies ist die „auf den Kopf gestellte“ Welt des Reiches Gottes. Sie dreht unser natürliches Bedürfnis um, auf Nummer sicher zu gehen und nur dann etwas von uns zu geben, wenn es nicht unbequem ist oder uns beeinträchtigt. Das Faszinierende ist, dass vitale Gemeinden an dieses Verständnis von Nachfolge wieder anknüpfen, besonders als Gemeinschaft. Gemeinde wird „praktiziert“ als mutige Nachfolge Christi und als die gemeinschaftliche Bereitschaft, sich auf „Umkehr“ (das griechische Wort metanoia bedeutet sowohl den Wandel des Herzens als auch des Verstands) als einen Lebensweg einzulassen. Es ist ein Ringen darum, den Willen Gottes zu erkennen und ihm konsequent zu folgen. Damit sind wir bei den nächsten beiden Merkmalen einer vitalen Gemeinde.
Drittes Merkmal: Wir finden heraus, was Gott heute will Wir können es nicht jedem recht machen, aber uns vom Heiligen Geist leiten lassen
l Berufung: Entdecken, was Gott heute will – es sein und tun l Vision: Gemeinsam ein Gespür dafür entwickeln, wohin die Reise geht, und dies vermitteln
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TEIL 1: DIE MERKMALE VITALER GEMEINDEN ENTDECKEN
l Missionarische Prioritäten: Kurz- und langfristige Ziele bewusst setzen l Einsatzbereitschaft von jedem Einzelnen und als Gemeinschaft – so gewinnt Glaube Gestalt Es war immer wieder zu beobachten, dass Gemeinden über dieses Merkmal gestolpert sind. Es kann schwierig und irritierend sein. Eine Zeit lang benutzten wir den Ausdruck klare Ausrichtung. In der westlichen Welt kommen wir mit dieser Formulierung wesentlich besser zurecht. Es geht darum, der Gemeinde eine Ausrichtung zu geben und sie richtig zu organisieren. Wenn wir es so formulieren, können allerdings allzu leicht unsere eigenen Prioritäten die Tagesordnung der Gemeinde bestimmen. Deshalb benutzen wir hier bewusst die in der Überschrift gewählten Formulierungen. In weiten Teilen der Kirche gibt es den ehrlichen Wunsch, „etwas für Gott zu tun“. Die Gemeinden, die wir befragt haben, hatten offensichtlich herausgefunden, was Gott mit ihnen tun wollte. Gott selbst legt die Tagesordnung einer vitalen Gemeinde fest – manchmal auf geradezu verstörende Weise. Dieses Merkmal macht besonders deutlich, dass Gemeinde zuerst und in erster Linie Gottes Gemeinde ist. Nur Christus ist für seine Gemeinde gestorben. Sie gehört ihm. Sie ist „seine Gemeinde“, lange bevor sie „meine Gemeinde“ oder „unsere Gemeinde“ ist. Eine vitale Gemeinde erkennt dies an, indem sie herauszufinden versucht, was Gott für seine Gemeinde und von seiner Gemeinde will. Es ist verlockend, dieses Merkmal auf herausfinden, was Gott heute will zu verkürzen. Aber das würde unseren Beobachtungen nicht gerecht. Einige Gemeinden sind sich so sicher, Gottes Willen zu kennen, dass sie aufgehört haben, ehrlich und ernsthaft nach dem Willen Gottes zu suchen. Dieses „wir wissen es schon“ ist ein Zeichen für Krankheit, nicht für Gesundheit in einer Gemeinde. Es besteht ein Riesenunterschied zwischen Jesu Verheißung „Die Wahrheit wird euch frei machen“ (Johannes 8,32) und der selbstzufriedenen Annahme, dass die Wahrheit uns Recht gibt. Es ist ein Zeichen von Reife beim Einzelnen und bei einer Gemeinde, wenn klar ist: Zu verstehen, was Gott von uns möchte, ist immer ein Ringen und Hinterfragen und hat den Charakter des Vorläufigen. Vitalität zeigt sich im Suchen wie im Finden. An folgenden Punkten lässt sich dieses Merkmal beobachten: l Berufung: Entdecken, was Gott heute will – es sein und tun Beide Worte, „sein“ und „tun“, sind hier wichtig. Unsere Beobachtungen haben gezeigt, dass sich vitale Gemeinden viel intensiver mit der Frage beschäftigen, was sie sind und wozu sie da sind, als ungesunde Gemeinden es tun. Vitale Gemeinden sorgen sich um die Qualität dessen, was getan wird, darum, wie sich Menschen fühlen, um den Zustand der Beziehungen inner42
Kapitel 3 Kostspielige Berufung
halb der Gemeinde und die Auswirkung des Gemeindelebens insgesamt auf den Ort. Die Glieder einer solchen Gemeinde sind sich ihrer Berufung bewusst und wissen, was sie zu tun haben. Deshalb müssen sie auch nicht hektisch herumlaufen und sich für nahezu alles verantwortlich fühlen. Viele Gemeinden, die jemanden für eine bestimmte Aufgabe brauchen, verlassen sich darauf, auf den Bedarf hinzuweisen. Sie werden im Lauf der Zeit immer verzweifelter, weil sich keiner meldet, und üben schließlich auf Menschen Druck aus, Aufgaben zu übernehmen, für die sie weder geeignet noch berufen sind. Eine Gemeinde verwendete sehr viel Sorgfalt darauf, wie sie Posten im Gemeindeleben besetzte. Zuerst kamen die Verantwortlichen für einen Aufgabenbereich mit der Gemeindeleitung zusammen und beteten über die anstehende Aufgabe und die Frage, wer sie übernehmen sollte. Dann gingen sie zu einzelnen Gemeindegliedern und luden sie ein, darüber nachzudenken, ob sie diese Aufgabe übernehmen sollten. Diese Einladung wurde aber stets mit dem Hinweis versehen: „Aber wir bitten dich, zuerst darüber zu beten, bevor du eine Antwort gibst“. Wenn der Pfarrer selbst die Einladung aussprach, vergaß er nicht, darauf hinzuweisen: „Wenn du nicht den Eindruck hast, dass Gott dich dazu beruft, dann hast du nicht nur meine Erlaubnis, ‚Nein‘ zu sagen, sondern du hast eine Verantwortung Gott gegenüber, ‚Nein‘ zum Pfarrer zu sagen“. Im Leben dieser Gemeinde gab es unangenehme Lücken, aber was getan wurde, wurde mit Kreativität, in hervorragender Qualität und mit großer Hingabe getan. Die Menschen waren motiviert, weil sie sich persönlich von Gott berufen wussten, diesen Teil des Dienstes zu übernehmen. Aber Berufung hat auch eine gemeinschaftliche Dimension. Eine ganze Gemeinde kann merken, dass sie von Gott dazu berufen ist, sich jetzt einer ganz bestimmten Aufgabe zuzuwenden. Wo Gemeinden Gottes Willen zu entdecken suchen anstatt ihren eigenen Weg zu gehen, wird in der Regel viel gebetet, persönlich und in der Gemeinschaft, und man spricht und berät sich über die Ausrichtung der Gemeinde. Der typische Ansatz ist der gelassene Ansatz. Das Leitungsgremium einer Gemeinde hatte beschlossen, dass die Gebäude einer grundlegenden Sanierung bedurften. Sie engagierten einen Architekten und ließen ihn ein Konzept entwickeln. Dann nahm man sich einige Monate Zeit, um die Pläne mit der Gemeinde zu diskutieren und darüber zu beten, ob dies Gottes Willen entsprach. Der Gemeindeleitung wurde mit der Zeit klar, dass die Gemeindemitglieder dazu tendierten, radikaler zu sanieren. In der Folge wurde umfangreicher geplant. Diese Pläne waren zwar teurer, aber die Gemeindeglieder waren bereit, beträchtliche Opfer zu bringen. Dies geschah zweifellos, 43
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weil sie um Rat gefragt worden waren und ein Bewusstsein dafür da war, dass „Gott uns dazu berufen hat“. Diese Erfahrung steht in einem deutlichen Gegensatz zu vielen Gemeinden, deren Tagesordnungen und Programme von sehr unterschiedlichen Kräften geformt werden. Dazu kann „Druck von außen“ gehören, der aus dem Ort kommt oder von übergeordneten kirchlichen Instanzen, die wollen, dass jede Gemeinde zu einem bestimmten Thema „etwas tut“. Wie verständlich dieser Druck auch sein mag – man muss ihm widerstehen und stattdessen den Mut aufbringen zu fragen, wozu Gott diese Gemeinde zu dieser Zeit und an diesem Ort beruft. Bischof Laurie Green sagte: „Viele Gemeinden übernehmen sich mit Aktionen, Versammlungen und Projekten …, letztlich eine Verschwendung von Energien und Ressourcen, statt sich konsequent, mit Hingabe und inkarnatorisch für das einzusetzen, was Gott in dieser Welt tut.“ (Laurie Green, Let’s do Theology, Mowbrays, 1990, S. 103). Eine andere Kraft, die das Leben einer Gemeinde nachhaltig prägen kann, ist die „Innenpolitik“. Dazu zählen einflussreiche Menschen, die Kontrolle ausüben wollen über das Gemeindeleben. Vielleicht haben sie früher einmal viel eingebracht und halten nun an der Vergangenheit fest (oft auch an den damit verbundenen Posten). So wollen sie sicherstellen, dass „sich hier nichts ändert“. Solche Machtfragen müssen erkannt und angesprochen werden, auch wenn dies schmerzhaft sein kann. l Vision: Gemeinsam ein Gespür dafür entwickeln, wohin die Reise geht, und dies vermitteln Hierbei geht es nicht einfach um ein Leitbild, da dieses auch leicht das Fehlen einer Vision verdecken kann. Da wird mit den besten Absichten eine Formulierung gesucht, die alles umfasst, was momentan getan wird. Der Effekt ist dann nur, dass man weitermachen kann wie bisher, nur mit dem Gefühl, dass wir nun wissen, wo wir hingehen. An solche Formulierungen erinnert man sich in den seltensten Fällen. Nicht alle Leitbilder sind so. Sie können einer Vision Ausdruck verleihen, die aus Gebet, Beratung und intensivem Nachdenken entstanden ist. Darum geht es bei einer Vision. Häufig taucht sie einfach auf. Auch wenn sie von der Leitung ausgeht, wird sie erst dann reell, wenn die Mehrheit der Gemeinde sie sich zu eigen gemacht hat. Der beste Weg, um das zu erreichen, ist nicht, die Vision zu „verkaufen“, sondern den Menschen zu erlauben und sie zu ermutigen, eine Vision zu entwerfen. Sie sind dann viel stärker motiviert, sie in die Praxis umzusetzen. l Missionarische Prioritäten: Kurz- und langfristige Ziele bewusst setzen Vision und Berufung bleiben auf der Strecke, wenn wir sie rein theoretisch für gut halten, ihnen aber keine Gelegenheit geben, sich praktisch auszu44
Kapitel 3 Kostspielige Berufung
wirken. Vitale Gemeinden hingegen nehmen ihre Berufung und ihre Vision so ernst, dass sie Wirkung zeigen. Das kann mitunter so aussehen, dass bestimmte Aktivitäten erst einmal eingestellt werden, bis wir erkannt haben, wozu Gott uns berufen hat. Tausend hektische Aktivitäten ohne gemeinsames Ziel sind weder für einen Einzelnen noch für eine Gemeinde ein gutes Zeichen. In diesem Punkt trifft sich dieses Merkmal einer vitalen Gemeinde mit dem siebten Merkmal: Eine vitale Gemeinde konzentriert sich auf das Wesentliche. Sie will lieber Weniges gut tun, als sich im Aktionismus zu verlieren. Wenn sich eine Gemeinde Zeit nimmt, Gottes Berufung für ihr Leben herauszufinden, dann wird sie sich für ein paar Dinge entscheiden und diese dann auch gut machen. Durch solches Verhalten demonstriert die Gemeinde, dass die Einladung Jesu Gültigkeit hat: Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht. (Matthäus 11,28-30)
l Einsatzbereitschaft von jedem Einzelnen und als Gemeinschaft – so gewinnt Glaube Gestalt Wo eine Gemeinde sich ihrer Berufung gewiss ist und eine Vision vorhanden ist, werden Menschen über ihre normalen und sicheren Grenzen hinaus Zeit, Energie und Ressourcen investieren. In allen oben erzählten Beispielen im Zusammenhang mit diesem Merkmal geht es auch um Einsatzbereitschaft, die Einzelne oder Gemeinden zu bringen bereit waren. Grundsätzlich ist zu beobachten: Wenn eine Gemeinde dieses Merkmal aufweist, dann hängt die Spiritualität der Gemeinde (erstes Merkmal) eng mit ihrer missionarischen Ausrichtung zusammen (zweites Merkmal). Durch einen Prozess des Nachdenkens und Betens entsteht eine gemeinschaftliche Ausrichtung; Menschen entdecken ihre eigene Berufung innerhalb dieser Vision. Wie sich diese Merkmale einer vitalen Gemeinde gegenseitig verstärken, zeigt die Geschichte einer Gemeinde, die über 18 Monate lang herauszufinden versuchte, was sie nach Gottes Berufung sein und werden sollte. Diese Gemeinde erhielt eine Antwort, die aus einem einzigen Wort bestand: Gott berief sie zur Gastfreundschaft. Die Glieder dieser Gemeinde verstanden dies zuerst als Einladung, beim Abendmahl die Gastfreundschaft Gottes zu empfangen. Dann stellten sie fest, dass sie berufen waren, einander Gastfreundschaft anzubieten: „Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat“ (Römer 15,7), und dass dies eine nachhaltige Auswirkung auf die Qualität ihrer Beziehungen innerhalb der Gemeinde haben würde. Dann erkannten sie, dass sie dazu berufen waren, Gastfreundschaft in 45
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ihrem Ort anzubieten und sie konzentrierten ihre Energie auf die Sorge für Immigranten und andere Gruppen, die keinen Zugang zur Gesellschaft fanden. Sie ernteten dafür manche Kritik im Ort, weil sie mit Menschen Umgang hatten, die gesellschaftlich keinen guten Ruf hatten – so wie Jesus es tat. Ihr Glaube (erstes Merkmal) brachte sie dazu, nach Gottes Berufung für das Leben der Gemeinde zu suchen (drittes Merkmal), was wiederum zu einer tiefen Verpflichtung gegenüber den Menschen führte, die nicht Teil der Gemeinde waren (zweites Merkmal). In der Praxis ist es häufig der Fall, dass diese Merkmale nicht für sich allein stehen, sondern miteinander verwoben sind; ein Merkmal nährt und stärkt die anderen.
Viertes Merkmal: Wir wagen Neues und wollen wachsen statt Veränderung oder Misserfolg zu fürchten
l Neue Wege: Die Vergangenheit wird bejaht, Neues gewagt l Risikobereitschaft: Zugeben, wenn etwas nicht funktioniert, und aus der Erfahrung lernen l Krisen: Auf Herausforderungen für Gemeinde und Umfeld kreativ reagieren. l Positive Erfahrungen von Wandel: Auch kleine Erfolge werden dankbar wahrgenommen, um darauf aufzubauen Vitale Gemeinden wagen Neues und wollen wachsen, statt sich gegen Veränderungen zu sperren oder vor ihnen davonzulaufen. Sie sind dazu bereit, gründlich bedachte Risiken in Kauf zu nehmen, während ungesunde Gemeinden Angst vor Misserfolgen haben und sich nicht trauen, aktiv zu werden. Dabei ist Veränderung ein Zeichen von Leben und Wachstum: Veränderung gehört zum Leben dazu. Wir verändern uns die ganze Zeit; nicht ein einziges Atom, das heute zum Aufbau unseres Körpers gehört, war vor sieben Jahren Teil unseres Körpers. Auch im Blick auf das Gemeindeleben haben viele Menschen eine falsche Vorstellung von Veränderung. Sie meinen, man müsste nur einige organisatorische Aspekte neu ordnen, die Gottesdienste bräuchten neue Formen oder andere Anfangzeiten, oder das Kirchengebäude müsste umgebaut werden. Doch wirkliche Veränderung bedeutet eine Veränderung des Herzens. „Formale Strukturen zu ändern ist nicht dasselbe wie Normen, Verhalten, Fähigkeiten, Überzeugungen zu ändern.“ (Michael Fullan, Change Forces, The Falmer Press, 1993). Darum geht es bei wirklicher Veränderung. 46
Kapitel 3 Kostspielige Berufung
Ich hatte einmal die Ehre, als einer von drei Beratern mit einer Gemeinde in einem sozialen Brennpunkt einer Stadt zu arbeiten, die sich in einem sozial benachteiligten Umfeld engagierte. Zum Beraterkreis zählte auch eine Nonne. Bei einem Treffen, ungefähr sechs Monate nachdem wir Berater mit unserer Arbeit in dieser Gemeinde begonnen hatten, machte der Pfarrer seiner Frustration darüber Luft, dass sich anscheinend nichts getan hätte und kein Unterschied festzustellen wäre. Die Nonne sagte: „Bruder, mach dir einfach bewusst, dass wirkliche Veränderung nicht die Geschwindigkeit von elektrischem Strom hat, sondern die Geschwindigkeit von wachsenden Pflanzen.“ Wirkliche Veränderung braucht Zeit, um zu wachsen und sich zu entwickeln. Wirkliche Veränderung braucht aber auch die Bereitschaft, innezuhalten und über den Wert unseres Handelns nachzudenken. Daher ist dieses Merkmal eng verbunden mit der Suche nach Gottes Willen und der Konzentration auf das Wesentliche. Sonst sind wir als Einzelne und als Gemeinden ständig in Bewegung und aktiv, bringen aber nur wenig Frucht. „Geschäftigkeit ist der Fluchtmechanismus, den die meisten Menschen benutzen, um dem Schmerz des Lernens und der Veränderung auszuweichen.“ (Loren Mead, The Once and Future Church, Alban Institute, 1991, S. 76). Hier sind ein paar Anhaltspunkte für eine gesunde Einstellung zu Veränderung: l Neue Wege: Die Vergangenheit wird bejaht, Neues gewagt David Ford, Theologieprofessor in Cambridge, sagte: „Unsere Berufung ist es, so zu improvisieren, dass es überraschend und erfreulich ist und im Einklang mit der Vergangenheit steht.“ Solches Improvisieren kann allgemein zwei Formen haben: evolutionär und revolutionär. Entweder wird das Vorhandene aufgegriffen und überarbeitet, oder es wird ein Neuanfang versucht. Es ist gut, sich beider Optionen bewusst zu sein. Sehen wir uns einmal den Prozess der Veränderung im Rahmen des gemeindlichen und kirchlichen Lebens an. Die evolutionäre Form verfährt nach „ererbter Art“: Gemeindearbeit wird so gestaltet, dass sie auch in einer veränderten und sich verändernden Umgebung funktioniert – als „Kirche, wie wir sie kennen“. Die revolutionäre Form hingegen startet in einer neuen Umgebung eine neue Gruppe und versucht dort, Glauben sichtbar zu machen und zu leben. Oft ist eine Kombination aus beiden Formen der Veränderung notwendig. Hier muss eine Warnung ausgesprochen werden. Einige scheinbar ‚revolutionäre‘ Veränderungen sind eigentlich noch nicht revolutionär genug. Klassisches Beispiel ist ein Vorhaben im Rahmen von Gemeindepflanzungen, Gottesdienste in einer örtlichen Kneipe zu veranstalten. Die Kirche meinte, sie würde etwas Revolutionäres wagen (was den Ort betrifft), aber 47
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die inhaltliche Form (z.B. die Musik, die gespielt wurde) blieb weitestgehend unverändert. In solchen Situationen verpasste die Kirche eine entscheidende Gelegenheit eines echten „Neuanfangs“. l Risikobereitschaft: Zugeben, wenn etwas nicht funktioniert, und aus der Erfahrung lernen Es gibt keine Garantie für „Erfolg“ in diesem Leben, daher kann sich Glaube schon in der Bereitschaft zeigen, einer Ahnung oder Überzeugung zu folgen. Eine Gemeinde, die sich bewusst war, dass kein einziger Bewohner eines großen sozialen Wohnungsbauprojekts im Pfarrbezirk Angebote der Kirche wahrnahm, entschied sich dafür, eine Tochtergemeinde in dieser Wohnanlage zu gründen. Zehn Gemeindeglieder erklärten sich bereit, diese Tochtergemeinde zu bilden und nach drei Jahren Bericht zu erstatten. Als sie Bericht erstatteten, mussten sie zugeben, dass kein einziger Bewohner dort durch die Tochtergemeinde zum Gemeindeleben dazugekommen war, sie empfahlen daher die Schließung der Tochtergemeinde. Sechs Monate später wurde die örtliche Kneipe geschlossen und die Gemeinde nutzte die Gelegenheit, mit Hilfe eines Darlehens die Kneipe zu kaufen und sie in ein Jugend- und Begegnungszentrum umzuwandeln (nicht für die Kirchengemeinde, sondern für die kommunale Gemeinde!). Es fand sich eine Gruppe von Menschen, die mehr über den Glauben wissen wollten. Diese Menschen fanden zu einer persönlichen Beziehung zu Gott und trafen sich wöchentlich zu Gebet, Gottesdienst und gegenseitiger Unterstützung. Einmal im Monat kam der Pfarrer und feierte mit ihnen das Abendmahl. Im Rückblick erkannte die Gemeinde, dass sie, ohne es gewollt zu haben, eine neue Gemeinde gepflanzt hatte. Die ursprüngliche Gemeindepflanzung war ‚gescheitert‘. Oder doch nicht? War es nicht ein notwendiger Schritt auf dem Weg zu einer Gemeindepflanzung, die eine viel radikalere Form annahm, als irgendjemand angestrebt hatte? Das Verhältnis dieser Gemeinde gegenüber Veränderung war gesund und kann aus einer Reihe von Gründen weiterempfohlen werden. Die Menschen in dieser Gemeinde waren mutig, denn sie sahen der Tatsache ins Auge, dass niemand aus der Wohnanlage zur Gemeinde kam. Also wagten sie den Versuch der Gemeindepflanzung. Sie wagten es, die Situation kritisch zu überprüfen und dabei nicht die Statistiken zu schönen. Sie hatten den Mut, die Gemeindepflanzung zu beenden, ohne über eine Ersatzstrategie zu verfügen. Darüber hinaus wagten sie einen neuen Anlauf mit dem Jugend- und Begegnungszentrum auf kommunaler Ebene. Dies ist ein schönes Beispiel für eine Gemeinde, die den Mut und die Ausdauer hatte, Neues zu wagen und wachsen zu wollen. 48
Kapitel 3 Kostspielige Berufung
l Krisen: Auf Herausforderungen für Gemeinde und Umfeld kreativ reagieren Bäume und sogar Wolkenkratzer biegen sich mit dem Wind. Menschen treffen Entscheidungen, indem sie sich veränderten Umständen anpassen. Dies tun auch vitale Gemeinden. Sie reagieren, anstatt starr zu verharren und stur so weiterzumachen wie bisher, komme, was wolle. Open Doors, Open Minds (Derek Baldwin, Open Doors, Open Minds, Highland, 1994) ist die schöne Geschichte einer Gemeinde, die als „Predigtladen“ (preaching shop) beschrieben wurde und die die Verkündigung von der Kanzel als zentralen Punkt der Evangelisation sah. Aber sie erkannte, dass immer mehr Menschen am Ort nur einen einzigen möblierten Raum bewohnten, auf Sozialhilfe angewiesen waren, Drogen- oder Beziehungsprobleme hatten oder unter mentalen oder seelischen Störungen litten. Diese Menschen kamen mit der Gemeinde nirgends in Berührung. Mutig stellte die Gemeinde sich dieser Tatsache und tat etwas dagegen. Sie gestaltete den hinteren Teil des Kirchengebäudes so um, dass ein Treffpunkt entstand, an dem Getränke, ein kleiner Imbiss und Gespräche angeboten wurden. Wahrscheinlich dachte die Gemeinde, ihren Teil getan zu haben, indem sie ihre Türen geöffnet hatte. Aber als die Menschen aus dem Ort erst einmal anfingen, wegen der Getränke zu kommen, stellte die Gemeinde fest, dass die Gespräche und auch die Bekehrungen sich wechselseitig bedingten. Ihre Theologie wurde herausgefordert. Sie begriff, dass Beziehungen heute der Schlüssel zur Weitergabe des Glaubens sind, nicht die Kanzel. Ein echter Lernerfolg und Wendepunkt für die Gemeinde, eine kreative Antwort auf eine sich verändernde Welt. l Positive Erfahrungen von Wandel: Auch kleine Erfolge werden dankbar wahrgenommen, um darauf aufzubauen Viele der Gemeinden, deren Geschichten wir hörten, hatten geradezu eine Erfolgsgeschichte von Veränderungen. Aber noch beeindruckender war, dass viele von ihnen von fehlgeschlagenen Versuchen berichteten und von guten Ideen, die ohne Auswirkung blieben. Diese Gemeinden haben nicht aufgegeben, wenn etwas nicht funktionierte, weil sie noch Guthaben auf der „Bank ihrer Erinnerungen“ hatten – gute Erfahrungen in der Vergangenheit. Für eine Reihe von ihnen war das geradezu ein Grundmuster: Klein anfangen und aus positiven Erfahrungen lernen. Manchmal überwiegt im Erfahrungsschatz der Gemeinden die negative Seite von Veränderungen. Dann kann der Weg zu einer positiven Bilanz länger dauern. Auf dem Weg zu einer positiven Bilanz werden negative Erfahrungen aus der Vergangenheit offen ausdiskutiert und man überlegt, was die Gemeinde aus diesen Erfahrungen gelernt hat oder lernen könnte. 49
TEIL 1: DIE MERKMALE VITALER GEMEINDEN ENTDECKEN
So lassen sich schmerzhafte Erfahrungen aus der Vergangenheit von der negativen auf die positive Seite umbuchen. Von den Geschichten dieser und vieler anderer Gemeinden her lassen sich drei Haupttypen von Gemeinden beschreiben. Einige laufen einfach in die falsche Richtung. Dazu gehören auch die Gemeinden, die nirgendwohin gehen. Andere Gemeinden sind auf dem Weg zur Vitalität und wissen, dass Vitalität eine Reise ist, nicht ein Ziel, an dem wir ankommen. Den dritten Typ von Gemeinden, und von dieser Kategorie gibt es viele, bilden die, die auf dem Weg zur Vitalität waren, aber stecken geblieben sind. Vielleicht weil sie sich davor drücken, ein Problem anzugehen, ohne dessen Klärung die Reise nicht fortgesetzt werden kann. Vor etwa vierzig Jahren wurde eine Gemeinde gebeten, als Pilotprojekt im Rahmen einer Revision der anglikanischen Liturgie eine neue Form der Abendmahlfeier auszuprobieren. Die Gemeinde freute sich darüber, die Vorhut einer neuen Entwicklung im Leben der Kirche zu sein. Leider hat die Zeit diese Gemeinde überholt. Sie benutzt immer noch diese Form des Gottesdienstes. Sie fing mit Veränderung an, blieb dann aber stecken. Gemeinden auf dem Weg zu Vitalität haben mit Sicherheit Schmerzen, Verunsicherung, Veränderung und Konflikte durchgemacht. Ihre Vitalität zeigt sich in der Bereitschaft und der Fähigkeit, auch unangenehmen Wahrheiten und massiven Hindernissen ins Auge zu sehen, aber trotzdem weiterzugehen. Das sind die Gemeinden, die für das treue Festhalten an der kostspieligen Berufung in die Nachfolge Jesu ihren Lohn bekommen.
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Kapitel 4 Zeichen des Reiches Gottes
KAPITEL 4 ZEICHEN DES REICHES GOTTES Wir handeln als Gemeinschaft, schaffen Raum für alle und konzentrieren uns auf das Wesentliche
Die Kirche ist nicht nur dazu berufen, die gute Nachricht vom Kommen des Reiches Gottes weiterzugeben und sich an der Ausbreitung dieses Königreichs hier auf Erden zu beteiligen, sie ist auch dazu berufen, die Herrschaft Gottes in der Gesellschaft sichtbar zu machen durch die Art, wie sie lebt. „Die Kirche muss das erste Zeichen dessen sein, was sie predigt.“ (Michael Crosby, Spirituality of the Beatitudes, Orbis Books, 1992) Weil Gott seinem Wesen nach trinitarisch ist, weil er drei Personen in Einem ist, findet sein Leben am besten in und durch Beziehungen Ausdruck. Deswegen sind Gemeinschaft und das Handeln der Kirche als Gemeinschaft so wichtig. Dieser Aspekt wird im Leben der Kirche jedoch häufig vernachlässigt. So nennt zum Beispiel der Bericht (Working as One Body, Church House Publishing, 1995), der zur Einsetzung des Rates des Erzbischofs führte, als die wesentlichen Aufgaben der Kirche Gottesdienst, Mission und Dienst. Gemeinschaft gehörte nicht dazu, obwohl zwei nahezu austauschbare Worte benutzt wurden: „Mission“ und „Dienst“. So muss Michael Ridells Feststellung nicht überraschen: „Gemeinden handeln generell nicht als christliche Gemeinschaften. Sie sind vielmehr Ansammlungen von Einzelnen.“ (Michael Ridell, Threshold of the Future, SPCK, 1998, S. 155). Die letzten drei Merkmale einer vitalen Gemeinde, die in diesem Kapitel vorgestellt werden, zeigen alle auf die Kirche als Gemeinschaft im Glauben. So wie sie ihr ganzes Leben gestaltet, ist sie eine lebendige Demonstration und ein „Pilotprojekt“ des Reiches Gottes.
Fünftes Merkmal: Wir handeln als Gemeinschaft statt bloß als Club oder religiöser Verein zu funktionieren
l Beziehungen: Sie werden gepflegt, (z.B. in Besuchen, Seelsorge, Kleingruppen). Menschen erfahren dadurch Annahme und können im Glauben und Dienen wachsen l Leitung: Ehren- und Hauptamtliche arbeiten als Team zusammen 51
TEIL 1: DIE MERKMALE VITALER GEMEINDEN ENTDECKEN
l Priestertum aller Gläubigen: Die verschiedenen Gaben, Erfahrungen und Glaubenswege werden wahrgenommen, wertgeschätzt und eingebracht Vitale Gemeinden sind Gemeinschaften und verhalten sich wie Gemeinschaften, anders als Clubs oder religiöse Organisationen. Gemeinschaften richten ihr Augenmerk auf die Wertschätzung der Menschen um ihrer selbst willen, in ihrer Einzigartigkeit. Sie legen viel Wert auf die Herstellung und Pflege guter persönlicher Beziehungen. Clubs und Organisationen geht es meist mehr darum, ungeschriebene Normen zu vermitteln, die Menschen ein- oder ausschließen. Und es geht ihnen darum, was ihre Mitglieder für die Erledigung einer Aufgabe einzubringen haben. Die Realität ist nicht wirklich so schwarz-weiß wie hier beschrieben. Auch Gemeinschaften haben einen „Job“ zu erledigen, und gute Organisationen sorgen sich auch um die Qualität der Beziehungen in ihrer Struktur. Trotzdem gibt es einen Unterschied. Das Merkmal „Gemeinschaft“ hat heute in unserer Kultur eine besondere Bedeutung. Menschen schätzen Beziehungen und wollen dazugehören, typischerweise geschieht das in kleinen, informellen, lockeren Netzwerken. Sie sträuben sich dagegen, Organisationen beizutreten, die sie als unpersönlich, starr und kontrollierend empfinden. Somit wird eine Gemeinde, die wie eine Gemeinschaft funktioniert, heute eher mit Menschen in ihrem Umfeld in Kontakt treten können als eine Gemeinde, die wie eine Organisation handelt. In den letzten Jahrzehnten tat sich die Kirche jedoch schwer damit, sich selbst als Gemeinschaft zu verstehen. „Wir betrachten das christliche Leben im Allgemeinen aus einer individualistischen oder bestenfalls aus einer organisatorischen Perspektive, aber selten aus einer gemeinschaftlichen Perspektive.“ (John Westerhoff III, Living the Faith Community, Harper & Row, 1985, S. 72). Aktuelle Forschungsergebnisse belegen, dass kleine Gemeinden besser laufen als große. Kleine Gemeinden handeln natürlicherweise als Gemeinschaften (wenn auch allzu leicht als „geschlossene Gesellschaft“). Große Gemeinden dagegen funktionieren eher wie eine Organisation. Es überrascht daher nicht, dass florierende große Gemeinden sich durch eine intensive Kleingruppenarbeit auszeichnen. Sie haben Wege gefunden, den Wert des Kleinen in die Struktur des Großen einzubauen; dies befähigt sie, als echte Gemeinschaft zu handeln. Dies zeigt sich in vitalen Gemeinden in dreierlei Hinsicht: l Beziehungen: Sie werden gepflegt (z.B. in Besuchen, Seelsorge, Kleingruppen). Menschen erfahren dadurch Annahme und können im Glauben und Dienen wachsen Vitale Gemeinden achten auf Beziehungen und sorgen für sie. Nicht nur im Verhältnis eins zu eins, sondern auch indem sie ein Gefühl für die Gemein52
Kapitel 4 Zeichen des Reiches Gottes
schaft als ganze und die Zugehörigkeit zu ihr entwickeln. Dies zeigt sich im Feiern von Festen und Partys genauso wie in der Art, in der die Bekanntmachungen in den sonntäglichen Gottesdiensten gehandhabt werden. So wird auf unterschiedliche Art und Weise eine große Anzahl Menschen am Gemeindeleben beteiligt. Dadurch kommen die besonderen Begabungen und die persönlichen Eigenschaften einzelner in der Gemeinschaft gerade zum Vorschein. Denn individuelle Begabungen werden von der Gemeinschaft gerade gefördert und freigesetzt, anstatt dass Menschen in Rollen gepresst werden, in die sie nicht passen. Es sollen nicht ein paar Leute alles tun, sondern eine Gemeinde soll entdecken, wie sie unterschiedliche Gruppen mit ihren jeweiligen Möglichkeiten, zur Gemeinschaft beizutragen, integrieren kann. In einer Gemeinde gab es zwei junge Männer mit Down-Syndrom. Die Gemeinde entdeckte, dass diese jungen Männer eine bemerkenswerte Fähigkeit besaßen, anderen Menschen mit Fürsorge und Liebe zu begegnen. Sie wurden ins Begrüßungsteam der Gemeinde aufgenommen, das die Besucher beim Betreten der Kirche willkommen heißt. In dieser Gemeinde war es üblich, nach dem Abendmahl Gebet für Heilung anzubieten. Die beiden jungen Männer waren auch an den Gebeten für andere beteiligt. Oft sagten Menschen, für die die beiden gebetet hatten: „Es war sehr deutlich zu spüren, dass Gottes Liebe aus ihnen sprach und sie bestimmte.“ In einer Gemeinde, die als Gemeinschaft handelt, wird nicht immer alles eitel Freude und Sonnenschein sein. Die Stärke einer Gemeinschaft lässt sich auch daran messen, wie sie mit Konflikten umgeht. Eine charakteristische Form der Unaufrichtigkeit in unserem Leben, die die Liebe zueinander in Ehe und Gemeinden zerstört, ist unsere Nettigkeit. In unserer Nettigkeit glauben wir, wir könnten anderen damit helfen, wenn wir bei Meinungsverschiedenheiten niemals unsere wahren Gedanken und Gefühle aussprechen … Wo wir anderer Meinung sind, brauchen wir die direkte Reibung mit dem anderen, nicht das typische „Hintenherum“, das normalerweise beide Seiten bitter macht. (Roberta Bondi, To Pray and Love, Burns & Oates, 1991, S. 107)
l Leitung: Ehren- und Hauptamtliche arbeiten als Team zusammen Obwohl die Gemeindeleiter, die wir trafen, sehr unterschiedliche Persönlichkeiten hatten, war ihr Leitungsstil fördernd und befähigend. Sie waren gut darin, die Begabungen und den Beitrag aller wertzuschätzen und zu unterstützen. Da gab es keine Ein-Mann- (oder Eine-Frau-)Show. Hier waren Menschen bereit, anderen zu vertrauen und sie in der Ausübung ihres geistlichen Dienstes zu bestärken. Diese Leiter sahen ihre Aufgabe vorrangig darin, der ganzen Gemeinde den geistlichen Dienst zu ermöglichen und nicht den Dienst für die gesamte Gemeinde selbst zu tun. Sie feierten die Begabun53
TEIL 1: DIE MERKMALE VITALER GEMEINDEN ENTDECKEN
gen der anderen, statt sich durch sie bedroht zu fühlen. Hier hat ein Wechsel stattgefunden von einem priesterlichen Rollenverständnis (die eine Person zu sein, die für die Gemeinde das geistliche Amt übernimmt) zu einem episkopalen Rollenverständnis (den geistlichen Dienst aller zu beaufsichtigen). John Adair schreibt in seinem faszinierenden Buch über die verschiedenen Ansätze für Leitung zur Zeit Jesu, ein Leiter sei „oft deswegen gewählt worden, weil er großzügig bzw. bereit war, die Bedürfnisse der anderen vor seine eigenen zu setzen, und weil er nicht arrogant war.“ (John Adair, The Leadership of Jesus and his Legacy Today, Canterbury Press, 2001). Es gibt noch einen weiteren Wandel im Leitungsverständnis solcher Hauptamtlicher: Sie sind nicht mehr die Antwortenden, die auf alle Fragen der Gemeinde eine Antwort haben, sondern die Fragenden, die die für die Gemeinde notwendigen Fragen stellen. (So lautet sinngemäß die These von Thomas Hawkins, The Learning Congregation, Westminster John Knox Press, 1997. Eines der hilfreichsten Bücher über Leitung/Leiterschaft in der heutigen Zeit.) l Priestertum aller Gläubigen: Die verschiedenen Gaben, Erfahrungen und Glaubenswege werden wahrgenommen, wertgeschätzt und eingebracht Einfach ausgedrückt haben vitale Gemeinden ein hohes Maß an Mitbestimmung. Die Menschen wollen nicht einfach nur Passagiere oder „Kirchenbankdrücker“ sein. Diejenigen, deren Glaube wahrhaftig ist, wollen etwas dafür und damit tun. Gute Gemeinden machen dies möglich. Besonders auffällig ist in diesen Gemeinden, wie sie Evangelisation betreiben, nicht zuletzt in Gemeinden, die meinen, meilenweit davon entfernt zu sein, so etwas zu tun. Noch vor 20 Jahren wurde Evangelisation als etwas gesehen, wofür ein paar Spezialisten zuständig waren – alle anderen hatten anderes zu tun. Aber inzwischen sieht die Kirche immer mehr Evangelisation darin, „Menschen auf dem Weg zum Glauben zu helfen“. Das geschieht zum Beispiel durch Glaubenskurse wie Alpha oder Emmaus (siehe dazu die Hinweise unter Literatur und Adressen). Evangelisation geschieht heute gemeinsam. Einige laden zum nächsten Kurs ein; andere haben Fähigkeiten in der Leitung, in der Gesprächsführung, in der Bereitstellung von Mahlzeiten oder Erfrischungen, im Gebet für die Kursteilnehmer, im Beantworten von Fragen, die die Leute stellen, andere in der Organisation des gesamten Ablaufs. Wir sind als Gemeinde zusammen daran beteiligt. Die Gemeinde als Ganzes ist zum Evangelisten geworden und hat dadurch ihr Gemeinschaftsgefühl gestärkt. „Priestertum aller Gläubigen“ meint nicht allein „was ich in der Gemeinde tue“. Weil vitale Gemeinden ihren Blick nach außen richten, möchten sie Menschen in ihrem Alltag stärken, auch über das Gemeindeleben hinaus. 54
Kapitel 4 Zeichen des Reiches Gottes
Eine Gemeinde lag in einem Pendlergebiet und war sich bewusst, dass nicht nur in der Gemeinde in Gremien gearbeitet wurde. Eine Reihe von Gemeindemitgliedern verbrachte einen Großteil ihres Arbeitslebens in Gremien und Ausschüssen. Daher konzentrierte sich die Gemeinde darauf, die Arbeit in Gremien möglichst gut zu tun. Man dachte nach, las, forschte und betete darüber. Dann wurden Experten zu Vorträgen eingeladen, um Sitzungen effektiv gestalten zu lernen. Jetzt haben Gemeindemitglieder nicht nur Freude an der Arbeit in Gemeindegremien, sie profitieren auch für ihre berufliche Situation. Die Gemeinschaft im Glauben stärkt sie für den Alltag. Eine andere Gemeinde konzentrierte sich darauf, in ihren Reihen die Fähigkeit zum Zuhören zu entwickeln. Das hilft nicht nur dabei, dass innerhalb der Gemeinde die Menschen einander zuhören, sondern hat noch ein weitergehendes Ziel. Menschen werden ausgerüstet, in ihren Ehen, an ihrem Arbeitsplatz oder in der Lokalpolitik wirklich zuzuhören. So findet Evangelisation statt, denn wer mit der Gemeinde erstmals in Kontakt kommt, stellt fest, dass ihm wirklich zugehört wird. Es wird ernst genommen, was er sagt, bevor irgendjemand versucht, ihm den christlichen Glauben zu erklären.
Sechstes Merkmal: Wir schaffen Raum für alle Wir wollen inklusiv statt exklusiv handeln
l Einladend: Neue sind willkommen und finden ihren Raum im Gemeindeleben l Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene gehören dazu, können sich einbringen und wachsen im Glauben l Suchende werden ermutigt, den Glauben an Christus zu erkunden und zu erfahren l bunte Vielfalt: Verschiedene soziale und kulturelle Hintergründe, unterschiedliche geistige und körperliche Fähigkeiten und verschiedene Altersgruppen werden als Stärke gesehen Vitale Gemeinden schaffen Raum für alle. Sie sind integrativ und nicht exklusiv, auch wenn dies wesentlich einfacher zu beschreiben als umzusetzen ist. l Einladend: Neue sind willkommen und finden ihren Raum im Gemeindeleben
Gemeinden haben auf die Aufgabe, Neue willkommen zu heißen, ganz unterschiedlich reagiert. Bei der folgenden Liste möglicher Einstellungen zum Thema beginnen wir mit den am wenigsten wirksamen und kommen dann zu den hilfreichen und gesunden: 55
TEIL 1: DIE MERKMALE VITALER GEMEINDEN ENTDECKEN
– Einige Gemeinden halten sich selbst für einladend, weil jeder, der momentan „in“ der Gemeinde ist, sich dort zu Hause fühlt. Solche Gemeinden denken gar nicht darüber nach, wie es „außerhalb“ der bestehenden Mitgliedschaft aussieht. Das wirkt letztlich abschreckend; potenzielle Neue kommen so zu dem Schluss, dass sie hier nicht willkommen sind. Und das kann auch der Fall sein. – Andere Gemeinden heißen Neue durchaus willkommen, aber nur in einem ganz bestimmten Rahmen. Diese Gemeinden wollen zwar Menschen gewinnen, aber möglichst nur solche, die zu ihnen passen. Wer anders aussieht, sich anders kleidet oder anders spricht, den kann man mit subtilen und kreativen Methoden wieder ausschließen. – Es gibt Gemeinden, die viel darüber reden, einladend zu sein. „Neue sind herzlich eingeladen, noch zu einem Kaffee im Anschluss an den Gottesdienst zu bleiben“, sagt der Pfarrer in den Bekanntmachungen. Aber in der Praxis sind sie es nicht. Regelmäßige Gottesdienstbesucher bilden eigene Gruppen, während die Besucher für sich bleiben. – Dann gibt es Gemeinden, die ihre Gäste ehrlich willkommen heißen – verbal. Man wird an der Tür begrüßt, zu einem Platz geführt, sogar ein oder zwei Gemeindemitgliedern vorgestellt, die aufrichtig sagen: „Hallo, schön, Sie zu sehen.“ Das Problem ist hier nur, dass keiner zu wissen scheint, was er sagen soll, nachdem er „Hallo“ gesagt hat. Echtes Willkommen ist das, was passiert, nachdem wir „Hallo“ gesagt haben. – Eine weitere Gruppe von Gemeinden heißt Gäste nicht nur in den Gottesdiensten willkommen, sondern auch bei anderen Aktivitäten der Gemeinde. Aber das Willkommen-Sein beschränkt sich darauf, zum Publikum zu gehören. Wir wünschen uns, dass mehr Menschen beim Basar Dinge kaufen und unseren Chor beim Jahresfest singen hören. Aber aktiv in unsere Gemeinde einbeziehen wollen wir Neue eigentlich nicht. – Schließlich gibt es Gemeinden, die Gäste in ihr Leben integrieren. Das ist aufwändig, denn es bedeutet, dass andere zu einem Teil unseres Lebens werden. Es bedeutet, dass die Wärme unserer Freundschaften genommen wird, dass sie gleichsam gebrochen wird, um dann gesegnet und an andere weitergegeben zu werden – andere, mit denen wir scheinbar nur den Glauben an Christus gemeinsam haben. Es dauert vielleicht eine Weile, bis wir feststellen, dass wir auch unser gemeinsames Menschsein teilen – und dass dieses Menschsein durch unsere Unterschiedlichkeit gerade bereichert wird. Solche Gemeinden sind auch dazu bereit, andere am Leben der Gemeinde teilhaben zu lassen. Sie tun dies so bereitwillig wie ein Paar, das sein erstes Kind in seinem gemeinsamen Leben willkommen heißt, auch wenn dadurch größere Umstellungen unumgänglich werden. Hier stoßen wir erneut auf die beiden Gebote, die Raymond Fung so beschreibt: „Liebe zu Gott und zu anderen ist nicht nur die Außenpolitik der Kirche, sondern auch ihre Innenpolitik.“ 56
Kapitel 4 Zeichen des Reiches Gottes
Eine Gemeinde veranstaltete einen Klausurtag des Gemeinderats, an dem die Merkmale einer vitalen Gemeinde durchgearbeitet und die eigene Gemeinde bewertet wurde. Dabei ergaben sich vier Themen, an denen gearbeitet werden sollte. Eines davon war der Punkt „Einladend: Neue werden willkommen geheißen“. In der Nachmittagssitzung waren die 16 Mitglieder des Gemeinderats gerade dabei auszuwählen, in welche der vier Arbeitsgruppen sie gehen wollten. Der Pfarrer meinte zum Moderator: „Es wäre doch geschickt, Gruppen von je vier Personen zu bilden.“ Obwohl diese Lösung verlockend ordentlich wirkte, entschied der Moderator, die Teilnehmer selbst wählen zu lassen, welches Thema ihnen wichtig war – auch auf das Risiko hin, in einer Gruppe 16 Personen zu einem Thema zu haben. Die Mitglieder des Pfarrgemeinderats teilten sich in drei nahezu gleich große Gruppen auf. Das einzige Thema, an dem niemand arbeiten wollte, war … „Einladend: Neue werden willkommen geheißen“! Es war für alle Beteiligten sehr aufschlussreich, als sie feststellten, dass niemand sich mit diesem Thema beschäftigen wollte. Als Konsequenz aus diesem Tag arbeiteten sie an diesem Thema, das jeder lieber einem andern überlassen wollte. Vor einigen Jahren wurden in der Pfingstkirche in Südamerika Nachforschungen angestellt, warum einige Menschen, die neu zur Gemeinde gekommen waren, nach ein paar Wochen wieder wegblieben, während andere dabeiblieben und Gemeindeglieder wurden. Man entdeckte ein einfaches Prinzip: Entscheidend war, ob engere Beziehungen zu Gemeindegliedern entstanden. Die Statistiken waren ziemlich eindeutig. Von den Neuen, die in den ersten sechs Monaten, in denen sie zur Gemeinde kamen, mit sechs Mitgliedern der Gemeinde eine engere Bekanntschaft aufbauten, blieben 98 %. Von denen, die keine engere Bekanntschaft machten, blieben nur 2 %. Der Prozentsatz derjenigen, die blieben, stieg mit jeder engeren Bekanntschaft, die ein Neuer machte. Das ist der Kern eines einladenden Gemeindelebens: unsere Herzen, uns selbst und unser Leben anderen zu öffnen. l Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene gehören dazu, können sich einbringen und wachsen im Glauben In unserer heutigen Gesellschaft sind die Generationen kaum noch miteinander verbunden. Menschen stehen meist nur zu Menschen im gleichen Altersspektrum in Beziehung. Das Evangelium fordert uns auf, diese Grenzen zu überwinden. Gemeinden, die sich hier engagieren, werden für Menschen viel eher attraktiv sein. Dabei besteht allerdings die Gefahr von Wunschdenken. Gemeinden, in denen kein Mitglied unter 60 Jahre alt ist, äußern manchmal den brennenden Wunsch, „junge Leute in dieser Gemeinde zu haben“. Das ist jedoch 57
TEIL 1: DIE MERKMALE VITALER GEMEINDEN ENTDECKEN
oft nur ein frommer Wunsch und nicht eine echte Vision. Denn eigentlich wünschen sie sich, dass Kinder, Jugendliche junge Erwachsene zu ihrer Gemeinde dazu kommen, so wie sie ist – und dass sie dabei möglichst still und aufmerksam sind. Solche Gemeinden sind gar nicht dazu bereit, etwas zu verändern, nur weil Jüngere da sind. Sie sind nicht als aktive Gemeindeglieder gewollt, sondern nur als Besucher. Es wäre besser, wenn solche Gemeinden sich nicht das (angenehmerweise) Unerreichbare wünschten, sondern sich um das (unbequemerweise) Mögliche kümmerten, nämlich dass die Gemeinde jünger wird. Wenn es also keinen unter 60 gibt, dann sollte die Gemeinde sich so verhalten, dass sie die Generation der 50jährigen anspricht. Sobald ihr das gelingt, kann sie fragen, wie sie die 40jährigen erreicht. Und wenn die 30jährigen Zugang gefunden haben, ist es an der Zeit, sich mit Teenagern und jungen Leuten auseinanderzusetzen. Vitale Gemeinden stellen sicher, dass sie sich ehrliche, realistische und erreichbare Ziele setzen. l Suchende werden ermutigt, den Glauben an Christus zu erkunden und zu erfahren Das erste Merkmal einer vitalen Gemeinde – Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus beziehen – zeigt sich darin, dass sie den Glauben ihrer Glieder nährt und pflegt – anstatt Glauben einfach vorauszusetzen. Diese Gemeinden sehen den Glauben als „Quelle zum Leben“ und versuchen, diese Quelle auch für ihre Mitglieder zu erschließen. Da ist es logisch, dass solche Gemeinden das auch für Menschen tun, die nach dem Glauben fragen. Vielleicht fragen solche Menschen ganz direkt nach dem, was Christen glauben. Wahrscheinlicher ist aber, dass sie indirekter fragen und nach etwas suchen, was ihrem Leben Sinn gibt. Eins haben diese Gemeinden ganz klar erkannt: Der typische Sonntagsgottesdienst ist nicht unbedingt der beste Ort, um solchen Fragen zu begegnen – aus dem ganz einfachen Grund, weil im Gottesdienst kein Raum für Fragen vorgesehen ist. Wenn Gemeinden weise sind, sorgen sie also für angemessene Rahmenbedingungen für die Menschen, mit denen sie in Kontakt kommen möchten. (Detaillierte praktische Anregungen bietet das EMMAUS-Handbuch im Kapitel Kontakt.) l bunte Vielfalt: Verschiedene soziale und kulturelle Hintergründe, unterschiedliche geistige und körperliche Fähigkeiten und verschiedene Altersgruppen werden als Stärke gesehen In früheren Versionen des Materials wurde dieses Merkmal so beschrieben: Eine vitale Gemeinde schafft Raum für andere. Einige, die mit dieser Formulierung arbeiteten, wiesen aber auf eine Gefahr hin: Wenn wir bestimmte Gruppen als „andere“ bezeichnen, unterscheiden wir bald zwi58
Kapitel 4 Zeichen des Reiches Gottes
schen „denen“ und „uns“. Und dann wird die Integration in die Gemeinde nie vollständig sein. Obwohl Menschen einen Platz in der Gemeinde finden, werden sie „die anderen“ bleiben. Darum haben wir die Formulierung geändert. Wir möchten vermitteln, dass Gemeinde eine vielfältige Gemeinschaft ist, reich an Unterschieden, die durch die Liebe zu Gott und zueinander zusammengehalten wird und nicht dadurch, dass wir alle aus einem bestimmten, begrenzten Segment der Gesellschaft stammen. Bei der Forschungsarbeit im Vorfeld von „Hope for the Church“ (Bob Jackson, Hope for the Church, Church House Publishing, 2002) wurde entdeckt, dass Gemeinden mit einer engagierten Jugendarbeit, Gemeinden mit einem kulturellen Mix und Gemeinden, die den Alpha-Kurs benutzten, viel eher wuchsen als durchschnittliche Gemeinden. Als Statistiker vertrat Bob Jackson den Standpunkt, dass diese drei Aspekte symptomatisch für eine tiefere Wahrheit waren. Alle diese Gemeinden hatten deutlich die Fähigkeit entwickelt, Menschen einzugliedern, die „nicht wie wir“ sind: Menschen anderen Alters, Menschen anderer ethnischer Zugehörigkeit und Kirchendistanzierte. Wenn Gemeinden in der Lage sind, eine solche Vielfalt zu integrieren, wachsen sie viel eher. Es gibt einfach mehr Türen, durch die Menschen ins Leben der Gemeinde eintreten können.
Siebtes Merkmal: Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche Wir wollen lieber Weniges gut tun, als uns in Aktionismus zu verlieren
l Das Grundlegende gut machen: Gottesdienst, Amtshandlungen, Seelsorge, Organisation und Verwaltung l Gottesdienste zu besonderen Gelegenheiten helfen das Leben zu verstehen und laden zum Glauben ein l Gute Nachricht sein: Die Gemeinde lebt in der Nachfolge Jesu glaubwürdig das Evangelium l Mit Freude arbeiten und gelassen Dinge bleiben lassen Dieses Merkmal hat uns am meisten überrascht. Wir waren wohl eher unbewusst davon ausgegangen, dass wachsende Gemeinden schneller arbeiteten als andere, mehr Energie hatten und einfach aktiver waren als die meisten anderen. Wir entdeckten jedoch etwas ganz anderes. Diese Gemeinden und Menschen waren bei dem, was sie taten, entspannt und fühlten sich damit wohl. Sie wollen lieber Weniges gut tun, als sich im Aktionismus zu verlieren. Sie konnten manches ungetan lassen, sie konnten das Leben genießen und wussten den Wert ihres Tuns zu schätzen. Bei der Diskussion über dieses Merkmal fiel uns ein signifikantes Missverständnis auf. Manche dachten nämlich, wir hätten gemeint: Vitale Ge59
TEIL 1: DIE MERKMALE VITALER GEMEINDEN ENTDECKEN
meinden „machen zwar einiges gut, aber das meiste, was sie tun, ist ziemlich durchschnittlich“. Aber genau das hatten wir nicht beobachtet und meinten wir auch nicht. Ein paar Punkte machen deutlich, worin sich das siebte Merkmal einer vitalen Gemeinde zeigt: l Das Grundlegende gut machen: Gottesdienst, Amtshandlungen, Seelsorge, Organisation und Verwaltung Diese Gemeinden zeichneten sich nicht in erster Linie dadurch aus, dass sie außergewöhnliche Dinge oder eine Unmenge verschiedener Dinge taten. Sondern sie leisteten Qualitätsarbeit beim Grundlegenden. Die Kirchengebäude waren sauber und nicht überladen, Veranstaltungen waren gut organisiert, die Gottesdienste wurden mit Bedacht geleitet und um Einzelne wurde sich intensiv gekümmert. Die Verwaltung und Organisation dieser Gemeinden stand nicht im Vordergrund, aber sie funktionierte bei den Protokollen des Pfarrgemeinderats ebenso wie bei den Bekanntmachungen am Sonntag, beim Umgang mit den Finanzen ebenso wie bei den Spendenbescheinigungen. Hier wurde überall gute Arbeit geleistet. „Im Stillen effizient“ schien ihr Motto zu sein. l Gottesdienste zu besonderen Gelegenheiten helfen das Leben zu verstehen und laden zum Glauben ein Auch an diesem Punkt zeigt sich das Merkmal. Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen werden sorgfältig vorbereitet und durchgeführt. Man macht sich Gedanken, ist nicht hektisch, ist bis in Details hinein sorgfältig, ist liebevoll und bereitet sich im Gebet vor. Auf diese Weise wachsen auch gute Beziehungen zu allen Beteiligten. Ziel war es auch hier, Qualitätsarbeit zu leisten. l Gute Nachricht sein: Die Gemeinde lebt in der Nachfolge Jesu glaubwürdig das Evangelium Vitale Gemeinden wissen sich berufen, die gute Nachricht von Jesus Christus dadurch zu verkünden, wie sie Gemeinde leben. Denn normalerweise verkünden sie schon durch ihr Leben, lange bevor sie Gelegenheit haben, mit Menschen persönlich über den Glauben zu sprechen. Bei den Menschen in diesen Gemeinden beobachteten wir eine ganz bestimmte Dynamik: Sie versuchten nicht verzweifelt, möglichst viel zu tun, sondern taten bewusst Weniges, das aber sorgfältig. Das verschaffte ihnen große Zufriedenheit. Das Ergebnis: Vieles von dem, was sie tun, ist äußerst wirksam, einfach weil es qualitativ gut ist. Gute Arbeit zu leisten ist nicht nur für sich genommen lohnenswert, sie hat in der Regel auch positive 60
Kapitel 4 Zeichen des Reiches Gottes
Auswirkungen (z.B. Anstieg der Zahl der Gottesdienstbesucher, positive Rückmeldungen). Im Gegensatz dazu wird in anderen Gemeinden zu viel in Angriff genommen und dann in Hetze und flüchtig erledigt (weil einfach nicht mehr Zeit zur Verfügung steht). Vieles funktioniert so nicht richtig. Ständig steht man unter dem Druck: „Wenn wir doch nur mehr getan hätten“, dann wäre alles gut. Stattdessen ist die Lösung, weniger zu tun, das aber mit mehr Sorgfalt. Von dieser Einsicht scheinen solche Gemeinden aber weit entfernt zu sein. Vitale Gemeinden dagegen können es bestätigen: „Mein Joch ist sanft und meine Last leicht.“ Gerade hier bringt die ehrliche Suche nach Gottes Willen für die Gemeinde besonders oft Frucht. Die ganze Gemeinde strahlt aus, dass sie sich ihrer Berufung gewiss ist. Viele Gemeinden haben sich mit diesem Punkt auseinandergesetzt. Und es braucht Zeit, dieses Merkmal zu entwickeln. So fordern manche Gemeinden ihre Mitglieder auf, nur eine einzige Aufgabe in der Gemeinde zu übernehmen – und diese sorgfältig zu tun. Dazu gehört die Bereitschaft zu tiefgreifenden Veränderungen, nämlich vermeintlich unaufgebbare Dinge sein zu lassen. Für eine Gemeinde bedeutet das einen Kulturwandel, und man sollte damit rechnen, dass ein solcher Wandel mehrere Jahre dauern kann. l Mit Freude arbeiten und gelassen Dinge bleiben lassen Menschen in vitalen Gemeinden haben meist viel mehr Freude an der eigenen Gemeinde. Nach Christian Schwarz gehört zu den Kennzeichen einer vitalen Gemeinde das Lachen (Christian Schwarz, Natürliche Gemeindeentwicklung). Aber auch Tränen gehören dazu, denn vitale Gemeinden überzeugen auch durch menschliche Nähe und Ehrlichkeit. Sie versuchen nicht, Eindruck zu machen oder anderen etwas zu beweisen. Sie sind, was sie predigen. So einfach ist das – und so kostspielig. Eine blühende ländliche Gemeinde wollte gerne mit Menschen über den Glauben ins Gespräch kommen. Dabei sollte der Kontakt zur kommunalen Gemeinde gesucht werden, die Kirchengemeinde selbst sollte sich aber nicht mit zu viel Programm oder unerreichbaren Zielen belasten. Sie entschieden sich dafür, unter dem Titel „Food for Thought“ („Denkfutter“) vier Abende pro Jahr in der Stadthalle zu veranstalten. An schön gedeckten Tischen wurde ein vorzügliches Essen serviert. Jeden Abend luden sie einen Referenten mit einem interessanten Beruf ein, der über seine Arbeit und seinen Glauben sprach. Der Pfarrer erzählte: Nach den ersten beiden Jahren sei er hauptsächlich damit beschäftigt gewesen, Gemeindemitgliedern den Besuch dieser Abende auszureden, damit auch Gemeindefremde einen Platz bekämen. Denn die Plätze waren schon mehrere Wochen im Voraus ausverkauft. Die Veranstaltung war einfach gut gemacht, und in ihr steckte ein gutes Gespür für die Si61
TEIL 1: DIE MERKMALE VITALER GEMEINDEN ENTDECKEN
tuation. Die Abende waren gelungen und führten dazu, dass immer wieder Menschen kamen, die mehr über den Glauben erfahren wollten. Über ein Drittel der Gesamtbevölkerung des Ortes besuchte den Gottesdienst am Heiligabend und am 1. Weihnachtstag. Nach der Beschreibung der sieben Merkmale einer vitalen Gemeinde sind wir so wieder an unserem Ausgangspunkt angelangt. Vitale Gemeinden leben ihren Glauben, und dieser Glaube wirkt sich aus und prägt, was sie tun und wie sie es tun.
Die sieben Merkmale einer vitalen Gemeinde Durch die Gemeinde das Leben Jesu zum Ausdruck bringen
Merkmal 1: Wir beziehen Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus, statt die Dinge nur am Laufen zu halten und irgendwie zu überleben.
l Gottesdienst und Feier der Sakramente: Menschen bekommen Raum, Gottes Liebe zu erfahren l Motivation: Kraft wächst aus dem Wunsch, für Gott und für andere da zu sein l Orientierung an der Bibel: kreativ und lebensnah l Glauben an Christus begleiten: Menschen helfen, im Glauben zu wachsen und ihn weiterzugeben Merkmal 2: Wir richten den Blick nach außen, statt uns nur mit uns selbst zu beschäftigen.
l Vernetzung am Ort: in Zusammenarbeit mit anderen Kirchen, Glaubensrichtungen, säkularen Gruppen und Netzwerken l Frieden und Gerechtigkeit: leidenschaftlich und prophetisch vor Ort und in der Welt l Glaube und Alltagsleben: gehören zusammen und werden füreinander relevant l Diakonisches Handeln: Menschen erfahren hilfreiche Unterstützung in ihren Alltagsfragen Merkmal 3: Wir finden heraus, was Gott heute will. Wir können es nicht jedem recht machen, aber uns vom Heiligen Geist leiten lassen.
l Berufung: Entdecken, was Gott heute will – es sein und tun l Vision: Gemeinsam ein Gespür dafür entwickeln, wohin die Reise geht, und dies vermitteln 62
Kapitel 4 Zeichen des Reiches Gottes
l Missionarische Prioritäten: Kurz- und langfristige Ziele bewusst setzen l Einsatzbereitschaft von jedem Einzelnen und als Gemeinschaft – so gewinnt Glaube Gestalt Merkmal 4: Wir wagen Neues und wollen wachsen, statt Veränderung oder Misserfolg zu fürchten.
l Neue Wege: Die Vergangenheit wird bejaht, Neues gewagt l Risikobereitschaft: Zugeben, wenn etwas nicht funktioniert, und aus der Erfahrung lernen l Krisen: Auf Herausforderungen für Gemeinde und Umfeld kreativ reagieren l Positive Erfahrungen von Wandel: Auch kleine Erfolge werden dankbar wahrgenommen, um darauf aufzubauen Merkmal 5: Wir handeln als Gemeinschaft, statt bloß als Club oder religiöser Verein zu funktionieren.
l Beziehungen: Sie werden gepflegt (z.B. in Besuchen, Seelsorge, Kleingruppen). Menschen erfahren dadurch Annahme und können im Glauben und Dienen wachsen l Leitung: Ehren- und Hauptamtliche arbeiten als Team zusammen l Priestertum aller Gläubigen: Die verschiedenen Gaben, Erfahrungen und Glaubenswege werden wahrgenommen, wertgeschätzt und eingebracht Merkmal 6: Wir schaffen Raum für alle. Wir wollen inklusiv statt exklusiv handeln.
l Einladend: Neue sind willkommen und finden ihren Raum im Gemeindeleben l Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene gehören dazu, können sich einbringen und wachsen im Glauben l Suchende werden ermutigt, den Glauben an Christus zu erkunden und zu erfahren l bunte Vielfalt: Verschiedene soziale und kulturelle Hintergründe, unterschiedliche geistige und körperliche Fähigkeiten und verschiedene Altersgruppen werden als Stärke gesehen Merkmal 7: Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche. Wir wollen lieber Weniges gut tun, als uns im Aktionismus zu verlieren.
l Das Grundlegende gut machen: Gottesdienst, Amtshandlungen, Seelsorge, Organisation und Verwaltung 63
TEIL 1: DIE MERKMALE VITALER GEMEINDEN ENTDECKEN
l Gottesdienste zu besonderen Gelegenheiten helfen das Leben zu verstehen und laden zum Glauben ein l Gute Nachricht sein: Die Gemeinde lebt in der Nachfolge Jesu glaubwürdig das Evangelium l Mit Freude arbeiten und gelassen Dinge bleiben lassen
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Kapitel 5 Aufbruch auf dem Weg zu einer vitalen Gemeinde
TEIL 2: DIE ENTSTEHUNG VITALER GEMEINDEN
KAPITEL 5 AUFBRUCH AUF DEM WEG ZU EINER VITALEN GEMEINDE
Vor ein paar Jahren gingen meine Frau und ich im Wald spazieren. Der Pfad mündete in einen Hohlweg und bald darauf hörten wir Wasser plätschern. Wenig später tat sich vor uns ein kleines Tal auf mit einem ruhigen See, der versteckt hinter großen, in voller Blüte stehenden Rhododendronbüschen lag. Es war ein wundervoller Anblick und eine echte Überraschung. Auf dem Rückweg erfuhren wir von einem Bauern aus der Gegend, dass der See vor einem Jahrhundert von einem reichen Landbesitzer angelegt worden war. Er war ein Geschenk zum einundzwanzigsten Geburtstag seiner Tochter. Es sind solche Entdeckungen und Überraschungen, die das Wandern so schön machen. Wenn Gemeinden vitaler werden möchten, erleben sie den Weg dahin auch als voller Entdeckungen und Abenteuer. In diesem Kapitel wollen wir uns einen Überblick über diese Reise verschaffen, bevor wir uns im darauf folgenden Kapitel mit dem ersten Abschnitt der Reise, der GemeindeprofilÜbung, beschäftigen. Für diese Übung reicht zwar ein einzelnes Treffen aus, der Weg zu neuer Vitalität nimmt jedoch mehr Zeit in Anspruch. Deshalb wollen wir erst noch einmal innehalten, um einen Überblick über die Wegstrecke vor uns zu gewinnen.
Eine Reise, die die Reisenden selbst verändert Das Projekt „Vitale Gemeinde“ ist weder ein Rezept für kurzfristige Nachbesserungen noch ein Programm, das abgearbeitet werden muss. Sondern dahinter steht das ernsthafte Vorhaben, die Vitalität einer Gemeinde nachhaltig zu verbessern. Dabei kann es natürlich auch zu Rückschlägen oder falschen Entscheidungen kommen. Die Erfahrung lehrt, dass eine Gemeinde wahrscheinlich anderthalb bis zwei Jahre braucht, um ihre gegenwärtigen Stärken und Schwächen zu identifizieren, zu entscheiden, wo ge65
TEIL 2: DIE ENTSTEHUNG VITALER GEMEINDEN
handelt werden muss, zu handeln und sich über den erzielten Fortschritt Rechenschaft zu geben. Der Weg hin zu einer vitalen Gemeinde ist daher weniger eine Urlaubsreise als vielmehr eine Pilgerreise, ein Weg in der Gegenwart Gottes, aber auch ein Weg zu ihr hin. Während Urlauber an ihrem Ziel ankommen wollen, wissen Pilger, dass der Weg zum Ziel genauso dazugehört wie das Ankommen am Ziel. Dies trifft sicherlich auch auf die Merkmale einer vitalen Gemeinde zu. Eine vitale Gemeinde wird man am besten dadurch, dass man versucht, von Anfang an die sieben Merkmale genau in der gleichen Weise zu leben, wie es in einer vitalen Gemeinde der Fall ist. Schon wie der Prozess durchgeführt wird, bedarf also besonderer Aufmerksamkeit. Sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, gilt hier sicherlich ebenso wie, dass der gesamte Prozess seine Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus bezieht und dass man dabei herausfinden will, was Gott heute will. Hier sind ein paar Anhaltspunkte, wie wir diese Merkmale umsetzen können, während wir versuchen, die Vitalität einer Gemeinde einzuschätzen und ihr Leben voranzubringen. Wir beziehen Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus: Machen Sie die ganze Angelegenheit zum Thema im Gebet; sowohl bei den Fürbitten in der Gemeinde als auch durch Ermutigung im persönlichen Gebet und in Gruppen. Dabei kann es hilfreich sein, eine Vorlage zu erstellen: mit Gebetsvorschlägen zu diesem Thema, mit konkreten Arbeitsaufträgen, einigen Punkten zum Nachdenken und ein oder zwei Gebetstexten. Wir richten den Blick nach außen: Stellen Sie einen Karton für Anregungen auf und laden Sie die Menschen ein, Augen und Ohren offen zu halten: Wo können wir von anderen Gemeinden lernen; auf welchen „Baustellen“ beschäftigt man sich mit der gleichen Thematik; welche Bücher, Geschichten, Menschen, Bibelstellen usw. sind hilfreich und sprechen uns an? Das alles trägt dazu bei, über unseren „Tellerrand“ hinauszublicken und unsere Umgebung in einem neuen Licht zu sehen. Wir finden heraus, was Gott heute will: „Was, glauben Sie, sollen wir nach Gottes Willen in dieser Angelegenheit tun?“ Diese Frage kann unsere Tagesordnung mit ihren Prioritäten verändern und fordert uns heraus, ein Problem unter einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Wir wagen Neues und wollen wachsen: Allein die Idee, dass wir etwas in unserem Gemeindeleben ändern müssen, setzt voraus, dass Verbesserungen möglich sind. Dies bringt immer auch Veränderung mit sich. Eine Dynamik der Veränderung kommt nur dann in Gang, wenn die gesamte Gemeinde in das Nachdenken über notwendige Veränderungen eingebunden ist und Vorschläge machen kann. 66
Kapitel 5 Aufbruch auf dem Weg zu einer vitalen Gemeinde
Wir handeln als Gemeinschaft: Wenn jeder mit einbezogen wird und sein Beitrag gefragt ist, wird deutlich: „Wir sitzen alle in einem Boot“, und unsere Gemeinschaft zählt mehr als jede Hierarchie, nach der Entscheidungen zustande kommen. Eine Gemeindeleitung ist dazu da, um der Gemeinschaft im Glauben zu dienen, nicht um ihr Leben und ihre Vitalität zu dominieren. Die Überzeugung „Wir sitzen alle in einem Boot“ ist eine großartige Voraussetzung, um im Leben einer Gemeinde echte Gemeinschaft zu entwickeln. Möglichst alle Gemeindeglieder (ohne Altersbegrenzung nach oben oder unten) sollten eingeladen werden, konstruktive Vorschläge zu machen. Das bindet die Gemeinde viel stärker zusammen als ein Plan, der „von oben“ erlassen wurde. Wenn man derart offen einlädt, werden auch die üblichen Entscheidungswege erweitert und aufgebrochen; denn auf einmal ist die ganze Gemeinde daran beteiligt, Pläne für die Zukunft zu entwickeln. Eine Gemeinde beschloss, ihr gesamtes Gemeindeleben neu zu überdenken. Alle Gemeindeglieder wurden ermutigt, für kurze Zeit in Nachbarschafts-Kleingruppen zusammenzukommen. Hier sollten Pläne entwickelt werden, die von der Basis der Gemeinde und nicht von oben kamen. In den letzten sechs Jahren kamen über einhundert neue Mitglieder zu dieser Gemeinde. Zwischen diesen beiden Sätzen besteht eine Verbindung! Wir schaffen Raum für alle: Allein dadurch, dass die gesamte Gemeinde in den Entwicklungsprozess einbezogen wird, werden Machtmenschen ihrer Kontrolle über die „Machthebel“ beraubt und kommen auf einmal Stimmen zu Gehör, die sonst nicht gehört werden. Es ist überraschend, woraus Ideen entstehen können. Sicher ist, dass ein solcher Prozess zur aktiven Beteiligung einer breiteren Basis in der Gemeinde beitragen wird. Je größer die Gruppe, die an der Erarbeitung der Pläne beteiligt ist, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie an der Umsetzung der Pläne beteiligt sein will, die als nächster Schritt ansteht. Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche: Wenn eine Gemeinde sich auf ein Vorhaben konzentriert und dabei gemeinsam handelt, verfährt sie genau nach diesem Merkmal. Eine breit angelegte Beratung innerhalb der Gemeinde führt zu einer qualitativ besseren Planung als eine Entscheidung, die die Gemeindeleitung nach kurzer Diskussion trifft – auch wenn dieses Gremium zu manchen Zeitpunkten wichtige Entscheidungen zu fällen hat.
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TEIL 2: DIE ENTSTEHUNG VITALER GEMEINDEN
Den Weg für einzelne Gemeinden finden Einer Gemeinde zu mehr Vitalität zu verhelfen, ist ein langfristiger Prozess, auf den wir uns einlassen müssen, wenn wir uns echte Veränderung wünschen. Außerdem ist auch unser eigenes Herangehen an den Prozess ausschlaggebend dafür, ob die Merkmale einer vitalen Gemeinde in dem Prozess weiter wachsen oder zerstört werden. Vor diesem Hintergrund betrachten wir nun einzelne Phasen, die eine Gemeinde in ihrer Entwicklung zu einer vitalen Gemeinde durchläuft.
Phase 1: Diagnose – mit der Gemeindeprofil-Übung Für die Gemeindeprofil-Übung sind etwa drei Stunden zu veranschlagen; sie wird im nächsten Kapitel im Einzelnen dargestellt. Man kann sie entweder im Gremium der Gemeindeleitung (Kirchenvorstand/Presbyterium/Gemeinderat) oder im Rahmen einer Gemeindeversammlung durchführen. Einige Gemeinden haben beide Ansätze gewählt und dann über die Unterschiede in der Bewertung beider Tests nachgedacht. Die Übung beginnt mit einer Vorstellung der sieben Merkmale einer vitalen Gemeinde, dann werden die Teilnehmer gebeten, ihre Gemeinde anhand einer Skala von 1 (niedrig) bis 6 (hoch) für jedes Merkmal zu bewerten. Danach werden alle individuellen Bewertungen auf einem großen Flipchartblatt zusammengetragen, so dass ein gemeinsames Profil der Gemeinde abzulesen ist. Nach der Erstellung des Gemeindeprofils kann die Gruppe beginnen, über das Profil mit seinen Besonderheiten nachzudenken. Dabei werden zunächst allgemein drei Bereiche betrachtet. Zuerst werden die Stärken festgestellt, die sich im Profil zeigen. Gemeinden können manchmal nur schwer akzeptieren, dass ihre Gemeinde überhaupt in irgendeinem Punkt gut ist. Oft kann gerade hier ein Moderator der Gemeinde helfen, ihre Stärken anzunehmen und zu feiern. Als Nächstes werden die auffallenden Unterschiede in den Bewertungen im Profil untersucht. Diese Unterschiede sind oft sehr aufschlussreich. Manchmal zeigen sie zwei Aspekte desselben Merkmals. In einer Gemeinde zum Beispiel wurde das Merkmal „Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus beziehen“ von einigen Gemeindegliedern hoch bewertetet, während andere es niedrig einstuften. Die Rückfrage ergab: Wer eine „hohe“ Bewertung gegeben hatte, wies auf die vielen Hauskreise und Gebetsgruppen in der Gemeinde hin. Wer „niedrig“ bewertet hatte, wies darauf hin, dass weniger als die Hälfte der Gottesdienstbesucher am Sonntag an einer solchen Gruppe teilnahm. Solche signifikanten „Unterschiede“ deuten an, dass es in einer Gemeinde sehr unterschiedliche Auffassungen zu einem Thema gibt, das Thema selbst jedoch noch nicht angesprochen wurde. Mit diesen Themen muss sich die Gemeinde auseinandersetzen, statt sie zu umgehen. 68
Kapitel 5 Aufbruch auf dem Weg zu einer vitalen Gemeinde
Nun wird untersucht, was uns zurückhält. Christian Schwarz (Natürliche Gemeindeentwicklung) benutzt das Bild von einem Wasserfass: Wenn die Fassdauben unterschiedlich hoch sind, kann das Fass nur bis zur Oberkante der kürzesten Daube mit Wasser gefüllt werden. Das Fass wird nur dann mehr Wasser fassen, wenn man die niedrigste Daube gegen eine höhere austauscht. An dieser Stelle wird erarbeitet, wo die erkennbaren Schwächen im Leben der Gemeinde liegen. Es erfordert Mut, eigene Schwachpunkte zu erkennen, sich ihnen zu stellen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Eine vitale Gemeinde geht dieses Wagnis ein. Nach dem Gespräch über Stärken, signifikante Unterschiede in der Bewertung und Schwächen wird als Nächstes gefragt: Wo ist es am nötigsten, etwas zu tun, und welche Maßnahmen bringen hier am ehesten Früchte? Dabei werden mögliche Maßnahmen gesammelt. Das ist auch der Punkt, bis zu dem die Übung zum Gemeindeprofil eine Gemeinde bringen kann. Man muss sich bewusst machen, dass dies der allererste Schritt auf dem Weg zu mehr Vitalität ist. Es geht um eine grundsätzliche Orientierung, um die Richtung, in die man gehen will, noch nicht um den Aufbruch zur eigentlichen Reise. Mit der Durchführung der Gemeindeprofil-Übung wird noch keine vitale Gemeinde „gemacht“. Wichtige Schritte stehen noch aus.
Phase 2: Entscheidung durch die Gemeindeleitung So anregend die meisten Gemeinden die Gemeindeprofil-Übung auch finden, es braucht Zeit, um über die Erfahrung nachzudenken und die zentralen Themen festzustellen. Jede Gemeinde, die zu dieser ersten Übung aufbricht, sollte ein paar Wochen nach der Übung ein Treffen des Leitungsgremiums vorsehen, das für die Weiterführung des Prozesses verantwortlich ist. In diesem Gremium werden die Reaktionen auf die Übung und die gewonnenen Einsichten zusammengetragen. Dann wird festgelegt, welche wesentlichen Schritte zunächst zu tun sind. Hier sollte man sich auf ein, höchstens zwei Merkmale konzentrieren. Welche das sind, wird sich im Zuge der Gemeindeprofil-Übung gezeigt haben. Dann geht man wie folgt vor: Zunächst wird eine Liste mit möglichst vielen denkbaren Maßnahmen zu einem Thema erstellt. Das Sammeln von Ideen funktioniert am besten, wenn keine der Ideen erklärt wird und zu diesem Zeitpunkt auch noch keine Diskussion stattfindet (abgesehen von der Klärung von Verständnisfragen). Die Aufgabe besteht vorerst nur darin, mögliche Ideen zusammenzutragen, wie verrückt sie auch scheinen mögen. Sobald diese Liste vorliegt, können die einzelnen Ideen ausgewertet werden. Es wird sich bald zeigen, dass einige zusammengehören, andere gut sind, aber in einen größeren Plan eingebettet werden müssen, und dass andere sich nicht miteinander vertragen. Auch wird klar werden, welche 69
TEIL 2: DIE ENTSTEHUNG VITALER GEMEINDEN
Ideen hier am ehesten funktionieren. Passen sie zu unserer Situation? Haben wir jemanden mit der Vision und den Gaben, um eine solche Maßnahme zu leiten? Nach der Auswertung der verschiedenen Möglichkeiten entscheiden die Verantwortlichen, was getan werden soll, wer es tun soll, welche Ressourcen zur Verfügung stehen, mit welcher Unterstützung sie rechnen können und in welchem Zeitrahmen der Prozess in diesem Bereich stattfinden soll. Es reicht nicht, eine „gute Idee“ oder „edle Absichten“ zu haben; hier braucht man einen konkreten Plan mit erreichbaren Zielvorgaben. Es wird nachdrücklich empfohlen, dass Gemeinden immer nur einen Schritt auf einmal angehen. Zum Beispiel kann das Ziel lauten, junge Menschen in unserem Stadtteil zum Glauben einzuladen. Die gesammelten Ideen reichen von stärkeren Beziehungen zu den Schulen am Ort, Umgestaltung der Gebäude, damit die jungen Leute einen Treffpunkt haben, über den Aufbau eines Leitungsteams für die Jugend, die Einstellung eines haupt- oder nebenamtlichen Mitarbeiters für die Jugend bis hin zur Einladung des regionalen Beauftragten für kirchliche Jugendarbeit, um seinen Rat zu hören, und der Einführung eines Jugendclubs am Samstagvormittag. Es wäre verrückt, all diese Ideen gleichzeitig in die Tat umsetzen zu wollen. Der Fortschritt ist viel größer, wenn man nur einen Schritt auf einmal tut, und das vorsichtig, gründlich und mit Freude. Das bewirkt viel mehr, als wenn man gleichzeitig in verschiedene Richtungen stürmt. Klugerweise entscheidet man also, was zuerst in Angriff genommen werden soll, setzt das in die Tat um und denkt erst dann über weitere Schritte nach, wenn der erste Schritt bereits getan wurde.
Phase 3: Maßnahmen und Entwicklung Die nächste Aufgabe besteht darin, die geplante Maßnahme in die Tat umzusetzen und den Prozess dabei zu beobachten. Es kann ein gutes Jahr dauern, bis bewertet werden kann, ob die durchgeführten Maßnahmen auch die erhofften Auswirkungen hatten oder nicht. Oft wird man aus Erfahrung klug und merkt, dass man seine Pläne überarbeiten (und manchmal auch grundlegend verändern) muss. Ein wichtiger Bestandteil einer Pilgerreise ist das Feiern. Obwohl eine Gemeinde nicht alle ihre Ziele innerhalb eines Jahres erreicht haben wird, wird es bestimmt Anlässe zum Feiern geben. Dafür sollte unterwegs Gelegenheit sein. Es gehört mit zu den Merkmalen einer vitalen Gemeinde. Zur Phase der „nächsten Schritte“ kann gehören, dass man die Gemeindeprofil-Übung mit zeitlichem Abstand wiederholt und feststellt, was jetzt die Hauptanliegen sind, an denen gearbeitet werden soll.
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Kapitel 5 Aufbruch auf dem Weg zu einer vitalen Gemeinde
Schritte für Gruppen von Gemeinden Wenn mehrere Gemeinden zusammen mit dem „Vitale Gemeinde“-Material arbeiten möchten, sollten sie sich zusätzlich über die folgenden Punkte Gedanken machen. Wie alle Materialien dieser Art funktioniert auch das vorliegende Material dann am besten, wenn Menschen und Gemeinden sich freiwillig dafür entscheiden, nicht wenn sie dazu verpflichtet sind (es gibt allerdings eine anglikanische Diözese, in der ausnahmsweise auch trotz einer solchen Verpflichtung gute Erfahrungen mit dem Material gemacht wurden). Der Normalfall ist, dass Gemeinden zunächst einzeln zur Arbeit an dem Prozess eingeladen worden sind, sich zur Teilnahme entschieden haben und dann mit anderen gemeinsam den Prozess durchführen. Dann braucht es gute Werbung für die Gemeindeprofil-Übung. Dazu kommen oft drei bis fünf Leute pro Gemeinde – plus Pfarrer – zusammen, um die Übung „vorzutesten“. Diese kleine Gruppe geht dann wieder in ihre Gemeinde zurück und führt die Übung mit möglichst vielen Gemeindemitgliedern durch, mit Hilfe eines Moderators. Wenn den Gemeinden Moderatoren zur Verfügung stehen sollen, müssen diese bestimmt, eingeladen, trainiert werden und einsatzbereit sein, bevor eine Gemeinde die Übung durchführt. Hilfreich und ermutigend ist es außerdem, wenn die einzelnen Gemeinden voneinander lernen können, etwa durch ein gemeinsames Nachtreffen ein Jahr oder ein halbes Jahr später. Bei einer relativ großen Gruppe (etwa wenn ein ganzer Kirchenkreis beteiligt ist), muss man sich bewusst darum bemühen, die Merkmale einer vitalen Gemeinde schon im Charakter und Lebensstil dieser großen Gruppe erkennbar werden zu lassen.
Der Weg Christi Wenn man sich mit den sieben Merkmalen einer vitalen Gemeinde beschäftigt und mit Gemeinden daran gearbeitet hat, kommt immer wieder die Frage auf: Warum sind es gerade diese Merkmale, die für das Entstehen einer vitalen Gemeinde den Ausschlag geben? Unsere Schlussfolgerung war, dass diese Merkmale das Leben Christi selbst widerspiegeln. Er bezog seine Kraft und Orientierung aus dem Glauben, er richtete in seinem Leben den Blick nach außen und wollte herausfinden, was Gott von ihm wollte. In seinem ganzen Leben setzte sich Christus dafür ein, das Leben einzelner Menschen und gesellschaftliche Strukturen zu verändern. Mit seinen Jüngern bildete er eine kleine Gruppe, die als Gemeinschaft handelte. Durch die Art, wie er die „Ausgestoßenen“ seiner Zeit erreichte, schuf Christus Raum für alle, und weil er den Willen des Vaters suchte, konzentrierte er sich auf das Wesentliche. 71
TEIL 2: DIE ENTSTEHUNG VITALER GEMEINDEN
Hinter all diesen Merkmalen steht also die ursprüngliche Berufung der Kirche, in ihrem eigenen Leben das Leben Jesu widerzuspiegeln. Wenn die Kirche dieser Berufung gerecht wird, werden Menschen in ihrer Umgebung in ihr und durch sie etwas vom Leben Jesu sehen und zu ihm hingezogen werden. Dies hat eine weitere Wirkung zur Folge. Wenn die beschriebenen Merkmale einer vitalen Gemeinde auf Christus zutreffen, dann treffen sie auch auf seine Jünger zu. Durch die Taufe haben wir uns dazu bekannt, unsere Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus zu beziehen, in Liebe unseren Blick nach außen zu richten und uns auf andere und auf die Welt um uns zu konzentrieren. In der Taufe verpflichten wir uns dazu, nach Gottes Willen zu suchen, Neues zu wagen und wachsen zu wollen, was damit verbunden ist. In der Nachfolge Jesu sind wir zur Gemeinschaft mit unseren Mitjüngern berufen. In dieser Gemeinschaft und darüber hinaus ist jeder Jünger dazu berufen, die Großzügigkeit Christi und seine Zuwendung zu den Menschen widerzuspiegeln und Raum zu schaffen für alle. Und schließlich: Wenn wir bewusst nach Gottes Willen fragen und unseren Glauben leben, werden wir nicht hektisch und getrieben, sondern unserer Berufung gemäß leben, so dass wir nur ganz bestimmte Dinge tun, die aber mit Sorgfalt und Hingabe. So weisen uns die Merkmale einer vitalen Gemeinde nicht nur auf das Leben Christi hin, sondern erinnern uns auch an unsere eigene Berufung. Als Einzelne und als Gemeinschaft im Glauben sind wir dazu berufen, das Leben Jesu Christi zum Ausdruck zu bringen. Wenn wir dies tun, erfahren wir nicht nur die Gegenwart und den Segen Gottes, sondern auch unsere eigene Bestimmung und die unserer Gemeinde.
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Kapitel 6 Vitale Gemeinden entwickeln
KAPITEL 6 VITALE GEMEINDEN ENTWICKELN
Die Merkmale einer vitalen Gemeinde zu kennen, ist hilfreich. Die Übung zum Gemeindeprofil mit der Bestimmung der Stärken und Schwächen einer Gemeinde ist meist ebenso unterhaltsam wie ertragreich. Aber letztendlich geht es darum zu handeln, um das Leben und die Vitalität einer Gemeinde zu verbessern. Das Übrige ist nur der Vorlauf dazu. In diesem Kapitel geht es nun um die Frage: Was kann getan werden, sobald feststeht, dass man sich mit einem bestimmten Merkmal besonders auseinandersetzen muss? Dazu nun einige mögliche Schritte, um das jeweilige Merkmal zu stärken.
Proaktiv werden „Auch eine Reise von tausend Meilen beginnt mit einem ersten Schritt.“ Der erste Schritt ist also sehr wichtig, denn wir könnten ja auch in die falsche Richtung losgehen. Für manche Gemeinden ist schon das ein radikaler Schritt, da das Gemeindeleben leicht wieder in den gewohnten Trott zurückfällt. Und das bedeutet, dass die Gemeinde und ihre Leitung im reaktiven Modus handeln; sie beschäftigen sich einfach mit dem, was ihnen vor die Füße fällt. Das ist jedoch ungesund und führt letztlich zu einem Verlust an Orientierung oder Integrität. Schon mit dem Beschluss, an einem bestimmten Aspekt des Gemeindelebens zu arbeiten, haben wir nun in den proaktiven Modus gewechselt. Allein die Einsicht „An diesem Aspekt des Gemeindelebens müssen wir arbeiten“ kann selbst schon ein großer Schritt zur Vitalität sein, weil er den Wechsel zum gesunden, proaktiven Modus anzeigt.
Die Gemeindekultur ändern Es ist wichtig zu verstehen, dass sich bei echter Veränderung die Kultur und der Geist einer Gemeinde verändern, nicht nur ihre Programme und Aktivitäten. Das Ziel ist, dass sich zu einem gewissen Maß auch unsere Erfahrung und unser Verständnis von Gott selbst ändern, unser Verhältnis zueinander und unser Engagement in der Welt. Wenn wir also über mögliche Maßnahmen nachdenken, sollte uns bewusst sein: Hier geht es um Veränderungen in unseren Grundhaltungen, Werten und Prioritäten, nicht einfach um organisatorische Veränderungen.
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TEIL 2: DIE ENTSTEHUNG VITALER GEMEINDEN
„Die Grundhaltung der Gemeinde wurde aufgebrochen: von einer ,geschlossenen Gesellschaft‘ zu einer Gemeinschaft, die entschlossen war, alle willkommen zu heißen, die kamen.“ „Die Gemeinde wandelte sich von einer inselähnlichen Gruppe, die Antworten auf alles zu haben glaubte, hin zu einer erfrischend offenen Gruppe, die auch mit Fragen und Unsicherheiten zu leben lernte.“ „Wir waren echte Pfennigfuchser und wirklich knauserig. Es hat elf Jahre gedauert, bis wir dahin gekommen sind, nicht nur Geld zu spenden, sondern auch insgesamt großzügig und freigebig zu sein.“ Es ist wichtig, „dranzubleiben“. In unserer schnelllebigen Kultur mit ihrer kurzen Aufmerksamkeitsspanne ist das nicht einfach, aber es ist ein Zeichen von Vitalität.
Den Ausgangspunkt markieren Nachdem meine Frau und ich 22 Jahre lang am gleichen Ort gelebt hatten, zogen wir innerhalb von sechs Jahren dreimal um. Zu unserem Bedauern hatten wir leider nicht jedes Haus und jeden Garten fotografiert, als wir dort ankamen. Wir wissen, dass sich Dinge verändert haben – durchaus zum Besseren –, aber wir hatten keinen Beleg, um den Ausgangspunkt zu dokumentieren. Das Gleiche gilt für Gemeinden und das Leben einer Gemeinschaft im Glauben. Es kann eine echte Hilfe sein, jedes Gemeindeglied am Anfang des Prozesses einen Fragebogen ausfüllen zu lassen. Der Fragebogen sollte so aufgebaut sein, dass er über den Ist-Zustand Aufschluss gibt: Wo stehen wir jetzt? Das sollten wir wissen, bevor wir neue Schritte gehen. Zunächst einmal benennen wir dabei unsere Erwartungen: Welches Merkmal soll sich bei uns weiterentwickeln, und an welchen sichtbaren Auswirkungen würde man das merken? Wenn zum Beispiel eine Gemeinde bewusster ihre Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus beziehen möchte, lautet die Frage also: Was würde dann passieren, und welche sichtbaren Belege für diese Entwicklung würden wir uns wünschen? Wenn wir uns mit diesem konkreten Merkmal beschäftigen, kann Folgendes geschehen: – Mehr Menschen engagieren sich im persönlichen Gebet. – Mehr Menschen beteiligen sich in einer der Gebetsgruppen der Gemeinde. – Mehr Menschen sprechen ungezwungen darüber, wie sie die Gegenwart Gottes in ihrem Leben erfahren haben. – In der Gemeinde entsteht ein größeres Spektrum an Gebetsgruppen. – Gebet wird zu einem zentralen Anliegen einzelner Gruppen, z.B. der Gemeindeleitung, des Chors, der Eltern-Kind-Gruppen usw. – Schulungen zum Thema Gebet werden angeboten (Tages-Seminar oder mehrere Abende). 74
Kapitel 6 Vitale Gemeinden entwickeln
– Informationen über Einkehrfreizeiten sind schneller verfügbar. – In der Gemeinde kommen vermehrt geistliche Mentoren zum Einsatz. – Menschen werden ermutigt, auf Einkehrfreizeiten zu fahren, und sie tun dies auch. Wichtig an dieser Liste sind nicht so sehr die einzelnen Punkte selbst, sondern wichtig ist, dass sie alle Anzeichen für die Entwicklung des Merkmals „Wir beziehen Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus“ sind. Selbst ein Merkmal wie dieses lässt sich also messen. Jede Gemeinde wird ihre eigene Liste erwünschter Auswirkungen aufstellen müssen, jeweils mit Bezug auf das Merkmal, mit dem sie sich auseinandersetzen möchte. Die aufgeführte Liste ist also nur ein Beispiel dafür, wie eine Liste erwünschter und messbarer Auswirkungen aussehen kann. Eine solche Liste kann zum Beispiel in einem Fragebogen zum Einsatz kommen, in den jedes Gemeindeglied einträgt, inwieweit – nach seinem Eindruck – die genannten Punkte bereits auf die Gemeinde zutreffen. Einen solchen Fragebogen (möglichst nur eine Seite lang) teilt man am besten im Rahmen eines Gottesdienstes aus, in dem auch das jeweilige Thema (in diesem Fall Wir beziehen Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus) im Mittelpunkt steht. So kann jeder Gottesdienstteilnehmer den Fragebogen ausfüllen. Wer nicht im Gottesdienst dabei war, wird davon hören und fragen, ob er nicht auch einen Fragebogen bekommen könnte. Die ausgefüllten Fragebögen liefern dann Anhaltspunkte für den Ist-Zustand der Gemeinde, besonders im Blick auf das jeweilige Thema. Die Ergebnisse dienen so auch als Entscheidungshilfe bei der Frage, woran gearbeitet werden soll. Das Geheimnis besteht darin, einen Fragebogen zu entwickeln, der zielorientiert, konkret und knapp gehalten ist. Wenn Fachleute in Ihrer Gemeinde beruflich mit solchen Befragungsinstrumenten arbeiten, nutzen Sie deren Know-how. Die beschriebene Methode kann auf jedes Merkmal einer vitalen Gemeinde angewandt werden.
Festlegen, in welchem Bereich gehandelt werden soll Ein naheliegender Ausgangspunkt für diese Frage sind die Merkmale einer vitalen Gemeinde selbst. Die gesamte Gemeindeprofil-Übung wird Fragen aufwerfen, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Sobald ein oder zwei Merkmale benannt worden sind, an denen gearbeitet werden muss, sollte das Leitungsgremium die Stichpunkte zu diesen Merkmalen genauer ansehen. Vielleicht wird schon von den Stichpunkten her deutlich, an welcher Stelle man sich besonders engagieren sollte. Es kann vorkommen, dass keiner der Stichpunkte genau das trifft, was die Menschen in der Gemeinde gedanklich beschäftigt. Dann müssen wir mit eigenen Worten umschreiben, womit wir uns auseinandersetzen soll75
TEIL 2: DIE ENTSTEHUNG VITALER GEMEINDEN
ten. Und wenn eine Frage im Raum steht, die nicht in unseren Ausführungen vorkommt, dann sollte die Gemeinde sich mit eben dieser Frage beschäftigen. Sie muss nicht krampfhaft versuchen, nach unserem Schema vorzugehen. Die Fragen der Menschen, die am Leben der Gemeinde beteiligt sind, haben Vorrang. Die Gemeinde legt nun zusammen mit dem Leitungsgremium fest, an welchem Punkt man gemeinsam ansetzen will. Dazu bildet man am besten Dreiergruppen und benennt in diesen Gruppen die Stärken und Schwächen, die im Leben der Gemeinde sichtbar sind. Danach werden im Plenum jeweils zu einer Frage Lösungsvorschläge zusammengetragen. Einer schreibt zu jedem Vorschlag einen Begriff oder einen kurzen Satz auf ein Flipchart. Auf diese Weise lässt sich eine große Bandbreite an Ideen und Möglichkeiten festhalten.
Mit einem Moderator arbeiten Ein externer Moderator kann für den „Vitale Gemeinde“-Prozess sehr wertvoll sein. Seine Aufgabe ist es, den Prozess zu leiten, zum Nachdenken und zum Gespräch anzuregen und bei der Entscheidung über mögliche Maßnahmen zu assistieren. Ein externer Moderator bringt Sachkenntnis mit, kann die Situation objektiver betrachten und die Gemeinde ermutigen. Letzteres ist für manche Teilnehmer des Prozesses oft überraschend, denn von einem „Experten“ erwarten sie eher, dass „er sagt, was wir alles falsch machen“. Aber oft kann gerade jemand von außen die Stärken einer Gemeinde leichter erkennen und benennen als jemand, der eng mit dem Leben der Gemeinde verbunden ist. Wer nicht aus dem unmittelbaren Umfeld der Gemeinde stammt, ist somit viel eher in der Lage, objektiv zu beraten, den Blick einer Gruppe auf Schlüsselthemen zu lenken und auf weitere mögliche Hilfen (Personen, Programme oder Kurse) hinzuweisen. Für den Einsatz eines externen Moderators spricht weiter: Wenn man eine solche Person einlädt, um mit der Gemeinde zu arbeiten, wird auch die Gemeinde an dem Prozess „dranbleiben“, bis erste Ergebnisse greifbar werden. Wenn man weiß, dass bald das nächste Treffen mit dem Moderator stattfindet, fördert das auch die konzentrierte Mitarbeit. Die Besuche des Moderators regen zum Nachdenken an über „Erfolge“ und „Kämpfe“, über die berichtet werden muss. So beobachtet man den Veränderungsprozess auch selbst genauer und bringt ihn mit voran. Kapitel 7 beschäftigt sich mit der Aufgabe der Moderation.
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Kapitel 6 Vitale Gemeinden entwickeln
Tagebuch führen Dies ist bestimmt nicht jedermanns Sache. Deswegen sollte man auch niemanden damit beauftragen, der so etwas nicht gerne macht; es ist auch nicht unbedingt notwendig. Und doch gibt es überraschend viele Menschen, die Tagebuch führen. Es lohnt sich also, in der Gemeinde nachzufragen, ob nicht jemand dazu bereit wäre. Es kann eine Hilfe sein, die größeren Schritte, auch die Rückschritte auf dem Weg, den die Gemeinde sich vorgenommen hat, festzuhalten. Man notiert sichtbare Fortschritte, auftretende Probleme, noch nicht überwundene Hindernisse, zu klärende Fragen und Lektionen, die man gelernt hat. So kann zum Beispiel bei einer Gemeinde, die an dem Merkmal Wir richten den Blick nach außen arbeitet, Folgendes im Tagebuch stehen: – Notizen des ersten Gesprächs zum Thema: Hier wurde festgestellt, dass und warum die Gemeinde sich mit dem Thema beschäftigen muss – Termine, an denen konkrete Fragen diskutiert, Entscheidungen getroffen und konkrete Maßnahmen ergriffen wurden – Hinweise auf hilfreiche Zitate, Bücher und andere Hilfsmittel – Hinweise auf andere Gemeinden, von denen Gemeindemitglieder gehört haben, dass sie sich mit der Thematik befasst haben – Schwierigkeiten, auf die man gestoßen ist, und Versuche, diese Schwierigkeiten zu überwinden oder zu umgehen – statistische Belege, die zeigen, welche Fortschritte gemacht wurden – oder auch nicht gemacht wurden – ein Verzeichnis der Treffen mit einem Berater und mit anderen Gruppen vor Ort, die vielleicht eingeladen wurden, um die Gemeinde in ihrem Prozess der Neuorientierung zu unterstützen – Details zu konkreten Plänen, zum zeitlichen Rahmen, zu Zielvorstellungen und die Namen der Verantwortlichen für beschlossene Aktionen – Bibelstellen, die bei der Auseinandersetzung mit dem speziellen Merkmal zu Schlüsseltexten wurden – eine kurze, überschaubare Liste von Büchern, die sich für das Nachdenken und den praktischen Umgang mit dem Thema als hilfreich erwiesen haben – Arbeitsmaterial zum Thema, das in Kleingruppen genutzt werden kann – Geschichten, die ein Teil der Geschichte der Gemeinde geworden sind Manches erscheint selbstverständlich und kaum der Mühe wert, schriftlich festgehalten zu werden. Aber was wir nicht notieren, vergessen wir auch ziemlich schnell. Das Tagebuch sollte in der Regel nicht vom Pfarrer oder Gemeindeleiter geführt werden. Für diese Aufgabe wird jemand gebraucht, der sich im Gemeindeleben auskennt, aber auch jemand, der reflektiert und die entscheidenden Faktoren und Entwicklungen einschätzen kann. 77
TEIL 2: DIE ENTSTEHUNG VITALER GEMEINDEN
Das Bewusstsein schärfen Wenn man sich mit einem der Merkmale einer vitalen Gemeinde beschäftigt, muss man auch mit dem Veränderungsprozess umgehen. Die Entwicklung der Merkmale erfordert Veränderungen, die einen Wechsel der Perspektive, des Verhaltens und des Geistes im Leben einer Gemeinde mit sich bringen. Will man wirklich etwas verändern, muss man das mit Ausdauer und auf möglichst vielen verschiedenen Wegen kommunizieren. Experten für Kommunikation gehen zum Teil davon aus, dass man etwas auf sechs verschiedene Weisen hören muss, bevor es sich im Bewusstsein verankert. Hier sind ein paar Vorschläge, wie man die Aufmerksamkeit der Gemeinde für ein bestimmtes Anliegen gewinnen kann: – die Angelegenheit im Gottesdienst ansprechen: in der Predigt, den Bekanntmachungen und Fürbitten – einen Beitrag dazu im Gemeindebrief schreiben – eine Information am Schwarzen Brett bzw. im Schaukasten der Gemeinde aushängen – im Gottesdienst Interviews mit Menschen aus der Gemeinde führen (z.B. vor den Fürbitten): Welche Erfahrungen haben sie damit, wie sich ein bestimmtes Merkmal zeigt (in unserer Gemeinde oder woanders)? – Arbeitsmaterial für Kleingruppen zur Verfügung stellen – eine Gebetskarte zum Thema gestalten – mit Kindern und Jugendlichen über ihre Ideen zu dem Thema sprechen – Sachinformationen zum Thema weitergeben – das Thema auf die Tagesordnung der Gemeindeleitung bzw. des Presbyteriums setzen – ein Motto oder ein Schlagwort finden, das unser Anliegen zusammenfasst Die Kommunikation muss also die Menschen in der Gemeinde aus verschiedenen Richtungen erreichen, um ihre ungeteilte Aufmerksamkeit für das Thema zu gewinnen.
Einen Schritt nach dem andern Riesige Fünf-Jahres-Pläne verbindet man heute nur noch mit totalitären politischen Systemen. Sie sind aus der Mode gekommen, und das ist auch gut so. Wir müssen keinen komplizierten Plan entwerfen, um weiterarbeiten zu können bis zur Wiederkunft des Herrn. Viel einfacher und langfristig auch viel effektiver ist das Prinzip „Einen Schritt nach dem andern“. Kleine, gezielte Schritte, so klar beschrieben, dass wir wissen, wann wir sie erreicht haben, funktionieren am besten. Aus einem solchen Schritt ergibt sich dann meist auch der nächste Schritt.
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Kapitel 6 Vitale Gemeinden entwickeln
Ein Pfarrer wollte gerne eine sogenannte Zukunftsstudie (ausführliche Darstellung siehe Marvin Weisbord und Sandra Janoff: Future Search, Berett-Koehler Publishers, 1995) für seinen Ort durchführen. Dazu musste er 64 Menschen aus dem Ort für einen Donnerstagabend, einen ganzen Freitag und den Samstagmorgen zusammenbringen. Es gelang ihm, einen höheren Polizeibeamten, einen Arzt, einen Feuerwehrmann, eine Gruppe Teenager aus der örtlichen Schule, eine Krankenschwester, einen Zahnarzt, einen Unternehmer und eine Reihe von Repräsentanten der Stadtverwaltung für sein Vorhaben zu gewinnen. Und es funktionierte sehr gut. Allerdings traten nun zwei neue Probleme auf, die miteinander in Spannung standen. In der Kirchengemeinde wurde Kritik laut, dass der Pfarrer einen Großteil seiner Arbeitszeit auf kommunaler Ebene einsetzte (was nicht wirklich stimmte), anstatt sie den Aufgaben in seiner Gemeinde zu widmen. Das andere Problem war, dass plötzlich ganz andere Menschen in die Kirche kamen, weil sie deren Verbindung zum alltäglichen Leben erlebt hatten. Hier musste man erst einmal gründlich darüber nachdenken, worum es bei Kirche eigentlich geht. Hinzu kam die Aufgabe, die neu zur Gemeinde Hinzugekommenen zu integrieren; und diese Menschen hatten vielleicht ein anderes (neues, unverbrauchtes) Verständnis von Kirche und christlichem Glauben. Ähnliches gilt für eine Gemeinde, die daran arbeiten möchte, Raum zu schaffen für alle oder als Gemeinschaft zu handeln: Sie kann zum Beispiel eine Wochenendfreizeit oder mehrere Gemeindefeste veranstalten, bei denen die Menschen sich gegenseitig kennen lernen können – über die Grenzen hinweg, die normalerweise in Gesellschaft und Gemeinde existieren. Zum Thema Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus beziehen kann eine Gemeinde einen Tag der Stille vereinbaren. Und um stärker den Blick nach außen zu richten, kann man im Ort eine Umfrage starten … Keines dieser Beispiele bringt eine Gemeinde schon ans Ziel, aber jedes hilft beim ersten Schritt. Und dieser Schritt ist oft am schwierigsten. Bei jedem Schritt kann man nun das, was man unternimmt, auf drei Weisen noch wirksamer machen: – Feiern, was erreicht wurde. Warten Sie mit dem Feiern nicht, bis die ganze Welt verändert worden ist. Wenn man zum Beispiel eine Umfrage im Ort durchgeführt hat, kann man an einem bestimmten Sonntag alle ausgefüllten Fragebogen einsammeln lassen. Damit hat man eine gute Gelegenheit, sich für das Getane zu bedanken. Umso schöner, wenn dabei auch ein paar Mitarbeiter der Gemeinde von ihren Erfahrungen mit dieser Aktion erzählen.
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TEIL 2: DIE ENTSTEHUNG VITALER GEMEINDEN
– Nachdenken darüber, was wir durch diesen Schritt gelernt und erreicht haben, mit anderen Worten: den Fortschritt beobachten. Vitale Gemeinden wagen es, innezuhalten, schwierige Fragen zu stellen, zuzugeben, wenn etwas nicht funktioniert hat und aus ihren Fehlern zu lernen. – Zugeben, wenn etwas nicht funktioniert hat. Das ist schmerzhaft und enttäuschend, aber es eröffnet auch neue Chancen. Es ist schließlich viel besser zu sagen: „Es hat nicht funktioniert“, als eine Aktion schönzureden – obwohl alle wissen, dass sie ein Flop war. Manche der besten Entwicklungen in Gemeinden sind genau daraus erwachsen: Jemand hat etwas versucht, es hat nicht funktioniert, also hat man aus der Erfahrung gelernt und weitergemacht. In einer Gemeinde beschloss eine Kleingruppe, einen Elternkurs anzubieten – nicht nur für Gemeindemitglieder, sondern für alle Interessierten aus dem Ort. Sie planten alles gründlich, warben an verschiedenen Stellen dafür … und niemand kam. Fest entschlossen, einen solchen Kurs durchzuführen, wählten sie einen anderen Ansatz … mit dem gleichen Ergebnis: Niemand kam. Sie wollten nicht aufgeben, aber sie nahmen sich Zeit, darüber nachzudenken, wie ein solcher Kurs aufgebaut sein sollte. Bei einer scheinbar „zufälligen“ Unterhaltung mit dem örtlichen Schulleiter wurde die Idee geboren, bei einem der Elternabende der Schule einen fünfminütigen Videoclip über einen Elternkurs zu zeigen. Daraufhin meldeten sich über ein Dutzend Paare an. Die Enttäuschung über die fehlgeschlagenen Versuche war bald vergessen. Wenn etwas nicht funktioniert, sollte uns das weder überraschen noch klein beigeben lassen. Wir können viel daraus lernen: über uns selbst und darüber, welche Themen wirklich wichtig sind und wie wir in Zukunft effektiver vorgehen können. „Eine Gemeinde, die sich vorwärts bewegt, muss bereit sein, ihr Versagen anzuerkennen, muss damit rechnen, dass vieles nicht funktioniert.“ (Loren Mead: The Once and Future Church, Alban Institute, 1991, S. 80). Es ist kein Zeichen des Scheiterns – dass wir „es falsch gemacht haben“ –, sondern eher ein Zeichen von Vitalität – dass wir lernfähig sind und uns ehrlich darüber Rechenschaft geben, was funktioniert und was nicht funktioniert. Wir sollten also nicht so tun, als habe etwas funktioniert, wenn das nicht stimmt, und wir sollten auch nicht einfach aufgeben. Stattdessen können wir daraus lernen und weiter vorangehen.
Die Kosten Es ist anstrengend, die genannten Schritte zu gehen. Es ist viel einfacher, freundlich zu lächeln, etwas Beruhigendes zu sagen oder das Thema zu wechseln. Aber damit drückt man sich vor der zentralen Aufgabe, drängende Probleme mutig und ehrlich anzusprechen. Es ist viel einfacher, vor 80
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sich hin zu wursteln, es jedem recht machen zu wollen, das zu tun, was wir schon immer getan haben und womit wir uns wohlfühlen, und einfach überleben zu wollen. Das Problem ist: Es ist viel weniger wahrscheinlich, dass eine Gemeinde mit dieser Haltung auch in zehn Jahren noch existiert, als es bei einer Gemeinde der Fall ist, die an ihrer Vitalität arbeitet. Mit anderen Worten: Der Tod ist sicher! Entweder sterben wir und hören auf zu funktionieren, weil wir uns mit wesentlichen Bereichen im Leben unserer Gemeinde nicht auseinandersetzen wollen. Oder wir folgen Christus nach, und das bedeutet, dass wir einige alte Verhaltensmuster, Gewohnheiten und Sicherheiten ablegen – sterben – und Schritte hin zu neuer Vitalität wagen – zu neuem Leben als Gemeinde auferstehen; einem Leben, das wir uns zuvor nicht hätten träumen lassen. Ein Preis für Veränderung und Wachstum im Leben der Gemeinde hängt mit einem wichtigen Paradox zusammen, das für die Pflege der Vitalität einer Gemeinde gilt. Man muss so handeln, als könne die Vitalität einer Gemeinde ohne Hilfe von außerhalb der Gemeinde nicht verbessert werden. Zugleich muss man so handeln, als ob „nur wir“ etwas an dieser Situation ändern könnten. Beide Ansätze haben ihre Berechtigung, dürfen daher nicht isoliert betrachtet werden. Die nächsten beiden Abschnitte sprechen die zwei Seiten dieses Paradoxes an.
„Es liegt nicht in unserer Macht“ Es zeugt von einer gesunden Lebenshaltung, wenn man anerkennt, dass man nicht auf alle Fragen eine Antwort hat. Wer denkt, er wüsste alles, wird nicht nur zum Langweiler, sondern hört auch auf, vom Leben zu lernen. Offenheit für Gott, für andere und für das ganze Leben waren Kennzeichen des Lebens Jesu. Daher ist es gut, nach Kraftquellen außerhalb von uns selbst Ausschau zu halten. Letztlich drückt sich das im Gebet aus. Es zeigt sich auch in der Bereitschaft, von anderen zu lernen, die Geschichten anderer Gemeinden zu hören, andere (z.B. einen Moderator oder Gemeindeberater) um Hilfe zu bitten und von den zur Verfügung stehenden Angeboten Gebrauch zu machen. Durch das Internet hat man inzwischen Zugriff auf die meisten der Materialien. Weitere Anregungen finden sich im Anhang dieses Buches. Doch dieser Abschnitt kann der Tatsache, dass die größte Ressource oft andere Menschen sind, gar nicht gerecht werden. Die meisten Diözesen der Anglikanischen Kirche haben Pfarrer speziell für bestimmte Arbeitsbereiche sowie Gemeinden mit entsprechenden Erfahrungen. Beide haben viel weiterzugeben, was Gemeinden auf dem Weg zu mehr Vitalität helfen kann. Auch andere Denominationen haben Spezialisten, deren Know-how man für seine eigene Gemeinde nutzen kann. Das Geheimnis ist, herumzu81
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fragen und möglichst viele Gemeindemitglieder dazu zu bewegen, ihre Ohren und Augen offen zu halten: Wo sind andere, die uns helfen können – und sei es einfach dadurch, dass sie ein Gespräch mit uns führen. Manchmal liegt der Nutzen einer Ressource oder eines Arbeitsmaterials einfach darin, dass sich jemand schon vor uns einmal mit einem Thema beschäftigt hat. Also hat er Materialien entwickelt (und in der Praxis erprobt), die wir jetzt nutzen könnten. Ein gutes Beispiel für diese Dynamik sind Glaubenskurse wie der Alpha-Kurs, der Kurs „Spur 8. Christ werden – Christ bleiben“ oder der Emmaus-Kurs. Manchmal liegt der Nutzen einer Ressource darin, dass sie unser Denken und Handeln in Gang bringt. Dabei adaptieren wir das, was andere erarbeitet haben, so dass es besser zu unserem eigenen Umfeld passt. Ob wir nun eher ein Gesamtpaket in unserer Gemeinde einsetzen oder ob wir vorliegende Materialien an unsere Situation anpassen; in jedem Fall werden wir von den vorhandenen Angeboten profitieren.
„Wir sind am Zug“ So hilfreich Ressourcen für die Gemeindearbeit auch sein können: Gemeinden werden nur dann vitaler werden, wenn sie mit Fragen ringen, auf die sie noch keine Antworten wissen, wenn sie Diskussionen führen, gegen die man sich in der Vergangenheit stur gesperrt hat, und wenn sie es wagen, die Gaben ihrer Gemeindeglieder einzusetzen. Wir müssen wagen zu glauben, dass Gott diese Gruppe von Menschen mit seiner Gnade ausstatten kann, damit sie die richtigen Antworten und den Weg nach vorne findet. Eine Gemeinde stellte fest, dass ihr ein Gespür für das Ziel, die Richtung fehlte. Sie beschloss, sich auf die Suche zu machen und herauszufinden, was Gott von ihr wollte. Das kostete sie achtzehn Monate, in denen sie lernte, betete, diskutierte und Entdeckungen machte. Am Ende war ihr klar, dass sie eine integrative und einladende Gemeinde sein sollte. Seitdem haben viele Menschen aus unterschiedlichen Schichten, die man sonst nicht in der Kirche sieht, ihren Weg in das Leben der Gemeinde gefunden. Für manche Gemeinden ist dieser Prozess schmerzhaft. Es braucht Mut zuzugeben, dass etwas nicht stimmt und dass es dafür – im Moment – auch keine Lösung gibt. Doch wenn man es wagt, sich dem auszusetzen, setzt dies am Ende umso mehr Kreativität frei. Jede Gemeinde und jede Gemeindeleitung ist einzigartig. Das heißt auch, dass einfache Lösungen nicht immer funktionieren. Zwar sind manchmal auch konkrete Lösungsvorschläge angebracht, aber das Wichtigste ist, dass wir unsere eigene Lage richtig einschätzen und eigene Pläne dazu entwickeln. Man erreicht am meisten, wenn man selbst Lösungen zu 82
Kapitel 6 Vitale Gemeinden entwickeln
entwickeln versucht. Das heißt nicht, Hilfen und Hinweise von außen einfach auszublenden. Doch ein wesentliches Element auf dem Weg zu mehr Vitalität ist, dass „wir selbst darüber nachdenken, was wir tun wollen“. Dazu gehört auch herauszufinden, welche Gaben und Begabungen es in einer Gemeinde gibt, und diese zu nutzen. Eine Gemeinde beschloss, sonntags einen zusätzlichen Gottesdienst anzubieten, weil junge Familien in die Gegend zogen, die zum traditionellen Gottesdienst keinen Zugang fanden. Das Problem war, dass man für diesen zusätzlichen Gottesdienst keinen Organisten fand. Man engagierte eine Aushilfskraft und war entschlossen, falls musikalische Begabungen in der Gemeinde auftauchten, diese auch zu nutzen. Dann kam eine neue Familie hinzu, und es stellte sich heraus, dass der Mann professioneller Saxophonist in einem internationalen Orchester war. Innerhalb eines Jahres übernahm dieser Mann die Verantwortung für den musikalischen Teil des Gottesdienstes. Das Gemeindeorchester umfasste 36 Mitglieder. Sechzehn davon waren Kinder, die in der Schule Blockflöte spielen lernten. Wenn wir mit dem arbeiten, was wir haben, kann jeder mit einbezogen werden, und die Begabungen vieler Menschen können zum Zuge kommen. Wir werden Talente und Fähigkeiten in der Gemeinde entdecken, von denen wir nie etwas gewusst hatten. Außerdem brauchen wir nicht mehr „Ideen zu verkaufen“, wenn die Menschen diese Ideen selbst entwickelt haben und daran beteiligt sind, sie vor Ort in einzigartiger Weise umzusetzen. Letztlich ist es eine Frage der Kreativität einer Gemeinde: „Gemeinden müssen ihre eigenen Entdeckungen machen, wenn sie zu verstehen versuchen, was Gott heute von ihnen erwartet.“ (Die Kirche für andere, Ökumenischer Rat der Kirchen, 1967).
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TEIL 2: DIE ENTSTEHUNG VITALER GEMEINDEN
KAPITEL 7 VITALE GEMEINDEN ERMÖGLICHEN
Eine der wichtigsten Entdeckungen bei der Arbeit am „Vitale Gemeinde“Material war, wie wertvoll ein guter externer Moderator sein kann. Dies gilt für das erste Treffen und die Übung zum Gemeindeprofil ebenso wie für den längerfristigen Prozess und die weiteren Schritte auf dem Weg zu mehr Vitalität in einer Gemeinde. Keines von beidem wird gelingen, wenn es nicht richtig vermittelt wird. Wenn eine Gemeinde mit diesem Material arbeitet, muss sie also entscheiden, wie der Prozess unterstützt werden soll. Im aktuellen Kapitel geht es besonders um den Einsatz eines externen Moderators; es lässt sich aber auch auf Gemeinden anwenden, die das Material ohne externe Hilfe einsetzen möchten. Schon ein kurzer Blick auf Kapitel 11 (Die Gemeindeprofil-Übung) zeigt, dass es viel zu bedenken und zu planen gibt. Deswegen ist es hilfreich, einen Moderator dabei zu haben, der kompetent ist, der das Material kennt und in der Arbeit mit dem Material erfahren ist. Für den Prozess ist es wichtig, dass sich auch die Leitung einer Gemeinde ganz einbringt, besonders die Hauptamtlichen. Das wird jedoch erschwert, wenn sie den Prozess selbst leiten. Ein externer Moderator bringt noch weitere Vorteile. Besonders vermittelt er Objektivität. Dabei geht es nicht nur darum, sich mit Schwächen auseinanderzusetzen, sondern gerade auch darum, die eigenen Stärken anzunehmen. Wir wissen doch, wie gut es uns tut, wenn uns jemand anderes sagt: „Hierin seid ihr richtig gut.“ Auch wenn wir selbst den Eindruck haben, dass wir etwas gut können, ist es eine große Hilfe, es von anderen zu hören. Das gilt umso mehr, wenn andere bei uns Stärken und Begabungen entdecken, die wir bisher gar nicht wahrgenommen hatten. Das Gleiche gilt auch für eine Gemeinde. Ein weiterer Vorteil eines guten Moderators ist, dass er uns dazu motiviert, den Prozess auch wirklich zu Ende zu führen. Es ist nicht untypisch, dass eine Gemeinde die Gemeindeprofil-Übung durchführt, aber danach nichts weiter unternimmt. Ein Moderator kann hier als Außenstehender nachfragen, was getan wurde. Wenn die Antwort dann „nichts“ lautet, darf er der Gemeinde helfen, wieder zur Sache zu kommen. Moderatoren können auch eine Quelle für Ideen sein, wenn über mögliche Maßnahmen entschieden wird. Zum Beispiel hat eine Gemeinde vielleicht beschlossen, an dem Merkmal als Gemeinschaft handeln zu arbeiten. Das lässt sich leicht beschließen. Schwieriger ist zu erkennen, was wir jetzt 84
Kapitel 7 Vitale Gemeinden ermöglichen
tun können, damit sich wirklich etwas ändert. Ein guter Moderator wird dazu Ideen haben oder mit Netzwerken in Kontakt sein, die bei der Entwicklung von Ideen helfen können. Moderatoren spielen oft auch eine wesentliche Rolle beim Nachdenken darüber, was aus dem laufenden Programm der Gemeinde gestrichen werden sollte. Hier geht es zugleich um praktische Umsetzung des siebten Merkmals, nämlich sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ein Außenstehender hat hier oft ein besseres Unterscheidungsvermögen.
Eine Beziehung zu einem Moderator aufbauen Eine Beziehung zwischen einer Gemeinde und einem Moderator ist wie jede andere Beziehung. Sie kann eine erfreuliche, aber einmalige Erfahrung sein, sie kann sich zu einem bedeutsamen und lang anhaltenden Kontakt entwickeln, sie kann aber auch scheitern. Drei Arten, wie mit solchen Beziehungen umgegangen werden kann, haben sich gezeigt: Manchmal wird ein Moderator für die Durchführung einer Gemeindeprofil-Übung angefragt. In anderen Situationen geschieht dies mit der Vereinbarung, nach der Übung über einen weiteren Einsatz zu beraten. Ein weiteres Engagement würde auf der Basis kontinuierlicher Rückmeldung stattfinden, bei der es jeder Seite freisteht zu entscheiden, wann die Grenzen dessen erreicht sind, was ein Moderator leisten kann. Ein dritter Weg ist, gleich zu Beginn zu vereinbaren, dass der Moderator den gesamten Prozess über mit der Gemeinde arbeiten wird, angefangen mit der Gemeindeprofil-Übung und so lange, bis sich bei der Umsetzung der entwickelten Vorhaben ein erkennbarer Fortschritt zeigt. In der Regel umfasst eine solche Vereinbarung die Durchführung der Gemeindeprofil-Übung und anschließend drei weitere Besuche bei Sitzungen der Gemeindeleitung im Abstand von je einem halben Jahr. Diese gemeinsamen Sitzungen dienen dazu, auf den Prozess zurückzublicken und zu entscheiden, welche weiteren Schritte nötig sind. Es hat sich bewährt, dass Gemeinden zu bestimmten Terminen den Verlauf des Prozesses beobachten und überprüfen. Sonst geht die Vision, die am Anfang des Prozesses entstanden ist, zwischen all den anderen Themen verloren, die sich im Gemeindealltag in den Vordergrund schieben. Dies sind drei Möglichkeiten für Gemeinden, wenn sie sich für einen Moderator entscheiden. Zugleich beschreiben sie, was ein Moderator anbieten kann. Manche Moderatoren werden ihre Hilfe nur für die Durchführung der Gemeindeprofil-Übung anbieten können. Auch für den Moderator ist es wichtig, nur das anzubieten, was er wirklich leisten kann. Eine langfristige (vertragliche oder informelle) Vereinbarung mit einem Moderator macht auf jeden Fall deutlich: Eine Gemeinde hat begriffen, dass hinter der Gemeindeprofil-Übung das Anliegen steht, langfristig er85
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reichbare Maßnahmen zu benennen und umzusetzen, um die Vitalität einer Gemeinde zu verbessern. Es empfiehlt sich, praktische Fragen wie z.B. Reisekosten offen und großzügig zu klären. Auch für Moderatoren gilt der Satz, dass der Arbeiter seines Lohnes wert ist.
Einen Moderator finden Es gibt zwei Wege, einen geeigneten Moderator für eine Gemeinde zu finden, die sich auf den Weg zu mehr oder neuer Vitalität macht. Jemand stand vielleicht bis vor kurzem in Kontakt mit der Gemeinde und könnte noch einmal eingeladen werden. Es ist gut, auf solche Beziehungen aufzubauen. Womöglich arbeitet diese Person im kirchlichen Bereich in einer übergeordneten Position. Vielleicht kommt auch jemand in Frage, der einer anderen Denomination oder Gemeinschaft angehört. Man darf auch nicht vergessen, dass manchmal auch jemand aus der Gemeinde selbst beruflich Erfahrungen mit Moderation hat. Er kann Tipps geben, wer als Moderator geeignet wäre. Eventuell kann er die Aufgabe des Moderators auch selbst übernehmen, allerdings birgt solch eine „interne Besetzung“ die Gefahr, dass die erforderliche Objektivität zu kurz kommt. In einer Reihe von Kirchen gibt es speziell ausgebildete „Gemeindeberater“, deren Dienste von den Gemeinden in Anspruch genommen werden können. Und daneben gibt es selbstständige Gemeindeberater, die mit unterschiedlichen Schwerpunkten arbeiten, deren Materialien samt Referenzadressen im Internet abgefragt werden können. Es ist anregend und kreativ, ökumenisch zu denken und Kontakt mit Gemeinden anderer Denominationen aufzunehmen, die Zugang zu solchen Leuten haben.
Sich auf die Arbeit als Moderator vorbereiten Bei dem „Vitale Gemeinde“-Prozess soll Gemeinden geholfen werden, über ihr Leben vor Gott nachzudenken, ihre gegenwärtige Erfahrung von Gottes Berufung für ihr gemeinsames Leben zu erkennen und bei der Umsetzung dieser Berufung Fortschritte zu machen. Moderation ist deshalb eine geistliche Aufgabe. Der wesentliche und notwendige Ausgangspunkt für diese Aufgabe ist daher das Gebet. Dazu gehört das Gebet für die Gemeinde ebenso wie für den Moderator selbst. Für den Moderator ist es eine Hilfe, wenn er Freunde oder eine Kleingruppe darum bitten kann, während seines Einsatzes in der Gemeinde für ihn zu beten. Dabei muss aber immer Vertraulichkeit gewahrt bleiben. Man kann auch andere Gemeinden darum bitten, das 86
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Vorhaben der Gemeinde im Gebet zu unterstützen, für die man als Moderator tätig werden soll. Wenn sie dazu bereit sind, sollten sie von Zeit zu Zeit auch darüber informiert werden, wie der Prozess vorankommt. Auch für die Gemeinde sollte gebetet werden: Dank für die Bereitschaft, sich auf einen solchen Prozess einzulassen, Dank für das Gute, das bereits in ihrem Leben vorhanden ist, Dank für die Menschen, die an dem Prozess beteiligt sein werden und für die unterschiedlichen Begabungen und Einsichten, die sie einbringen werden. Es sollte auch dafür gebetet werden, dass die Gruppe, mit der der Moderator arbeiten wird, sich offen und kreativ in den ganzen Prozess einbringt. Zentral ist auch die richtige Einstellung zu dieser Arbeit. Es ist eine geistliche Aufgabe, ähnlich der eines geistlichen Leiters für eine ganze Gruppe. Letztlich will man der Gemeinde dabei helfen, herauszufinden, was Gott heute will. Es geht darum, einer Gemeinde zu helfen, das Leben Christi zum Ausdruck zu bringen. Das ist im Kern eine dienende Rolle; auch wenn manche Menschen einen Moderator wie einen Guru behandeln. Die Gemeinde muss erkennen, wozu sie von Gott berufen ist und was sie sein und tun soll. Die Rolle des Moderators besteht darin, bei diesem Erkenntnisprozess zu assistieren. Es ist daher hilfreich, die Gemeinde näher kennen zu lernen. Zwar sollte man sowieso mit der Gemeindeleitung klären, dass sie mit dem Einsatz eines Moderators in der unten beschriebenen Weise einverstanden ist. Der Moderator kann jedoch auch zusätzlich mit der Gemeindeleitung und mit der ganzen Gemeinde ins Gespräch kommen, bevor er die Gemeindeprofil-Übung leitet. Das wird ihm dabei helfen, die Geschichte und die versteckte Dynamik im Leben der Gemeinde besser zu verstehen. Der Umfang der Aufgabe des Moderators sollte auf jeden Fall mit dem Leitungsgremium der Gemeinde abgesteckt werden. Das ist auch die Gelegenheit, zumindest aus der Perspektive der Verantwortlichen einiges über die Geschichte der Gemeinde zu erfahren, über Möglichkeiten und Herausforderungen, vor denen sie steht. Auch Gespräche mit einigen Gemeindemitgliedern sind wichtig, weil sie die Situation nicht aus hauptamtlicher Perspektive betrachten. Außerdem kann der Moderator einen Gemeindegottesdienst besuchen und Eindrücke sammeln. Oft zeigt sich schon dabei (oder es zeigt sich eben nicht), wie stark ausgeprägt die Merkmale einer vitalen Gemeinde hier sind. Und schließlich kann der Moderator im Vorfeld der Übung an einer Sitzung der Gemeindeleitung oder am Treffen einer Gruppe (z.B. Frauenkreis oder Hauskreis) teilnehmen, um deren Perspektive auf das Leben der Gemeinde kennen zu lernen. Natürlich sollten solche Treffen mit der Gemeindeleitung abgestimmt werden. Sie hängen auch davon ab, wie viel Zeit der Moderator in den ganzen Prozess investieren kann.
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Die Gemeindeprofil-Übung moderieren Bei der Durchführung der Gemeindeprofil-Übung sind für die Moderation drei Aspekte wichtig. Organisation der Übung. Dies ist ein wesentlicher Teil der Arbeit. Die Vorbereitung wird in Kapitel 10 behandelt (Die Übung zum Gemeindeprofil vorbereiten), die Durchführung in Kapitel 11 (Die Übung zum Gemeindeprofil). Da diese Arbeit von Natur aus sehr viele Details beinhaltet, beziehen viele Moderatoren einen Mitarbeiter mit ein, der bei der praktischen Durchführung hilft. Das kann jemand sein, der selbst einmal als Moderator arbeiten möchte. Es kann aber auch jemand sein, der sich als „Assistent“ des Moderators versteht. Vorstellung der Merkmale einer vitalen Gemeinde. Dies ist das Herzstück der Gemeindeprofil-Übung. Die Quellen für diese Einführung finden sich in den Kapiteln 2, 3 und 4. Bei der Vorstellung der Merkmale sollte man pro Merkmal nicht mehr als fünf bis acht Minuten vorsehen. Das Material dieser Kapitel sollte selektiv genutzt werden im Blick auf die Gemeinde, mit der man gerade arbeitet. Natürlich kann man die Veranschaulichungen und Beispielgeschichten aus den genannten Kapiteln nutzen, es empfiehlt sich aber, wenn möglich, eigene Geschichten zu nehmen. Den Prozess moderieren. Hier geht es darum, die Beteiligten zu eigenen Beiträgen zu ermutigen, das Gespräch in Gang zu bringen und feinfühlig herauszuhören, was zwischen den Zeilen zum Ausdruck kommt und Rückschlüsse auf die Gruppe zulässt. Hauptaufgabe des Moderators ist, den Teilnehmern beim gegenseitigen Zuhören zu helfen. Dabei empfiehlt es sich, einen Grundstock an Fragen zu entwickeln, auf die man zurückgreifen kann. Dazu können folgende Fragen gehören: – – – – –
Warum ist das so aus Ihrer Sicht? Wo geschieht das hier aus Ihrer Sicht? Welche Belege oder Beispiele fallen Ihnen dazu ein? Was könnte man aus Ihrer Sicht hier tun? Was wäre Ihnen in dieser Situation am liebsten – was sollte jetzt geschehen?
Dabei sollte man Fragen vermeiden, die negativ oder kritisch klingen. Die Aufgabe besteht darin, Aufmerksamkeit füreinander zu schaffen und das Gespräch miteinander zu ermöglichen. Dies erreicht man niemals dadurch, dass man Menschen unter Druck setzt.
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Langfristige Moderation Über die Durchführung der Gemeindeprofil-Übung hinaus hat der Moderator die Aufgabe, den Prozess voranzubringen. Gemeinden lassen sich leicht ablenken, schlicht weil sie so vieles am Laufen halten müssen und sich andere Themen in den Vordergrund schieben. Um den „Vitale Gemeinde“-Prozess voranzubringen, kann man z.B. Vorschläge einbringen, über welche Schritte die Gemeinde als Nächstes nachdenken könnte. Der Moderator spielt auch eine wichtige Rolle bei der „Ressourcen-Entwicklung“, der Suche nach Mitarbeitern und Materialien, die den Prozess unterstützen. So könnte eine Gemeinde, die sich entschieden hat, das Merkmal „Wir richten den Blick nach außen“ zu entwickeln, ein Treffen mit Vertretern des Ortes veranstalten, um den lokalen Kontext zu verstehen und Partnerschaften aufzubauen. Für diese Gemeinde wäre es eine große Hilfe, von einer anderen Gemeinde mit ähnlichen Erfahrungen zu hören oder von jemandem, der einen solchen Prozess moderiert hat. Der Moderator muss entsprechend recherchieren und herumfragen, auch über die Grenzen seiner Kirche hinaus. Unter Literatur und Adressen für vitale Gemeinden finden sich diverse Tipps zu den Merkmalen einer vitalen Gemeinde. Hier kann die Suche nach geeigneten Ressourcen beginnen. Zur langfristigen Moderation gehört weiterhin, einer Gemeinde bei der Auseinandersetzung mit auftauchenden Problemen zu helfen. Manchmal heißt das, Konflikte beim Namen zu nennen, sich mit Machtfragen auseinanderzusetzen oder lang verdrängte Verletzungen aus der Vergangenheit aufzuarbeiten, die sich auf das gegenwärtige Gemeindeleben auswirken. Ein Problem kann auch sein, dass die Gemeinde mit großen Erwartungen an einem der Merkmale zu arbeiten begonnen hat und nun feststellt, dass alle ihre Anstrengungen wie Wasser im Sand versickern. Im Evangelium selbst geht es im Kern um Leben aus dem Tod heraus. Und deswegen liegt eine Chance darin, diese wunden Punkte einer Gemeinde anzusprechen, nämlich die Chance, kreative und visionäre Energie freizusetzen – wie wenn man einem Gefangenen die Fesseln löst. Gemeinden lassen sich sehr leicht durch die Vergangenheit gefangen nehmen. Moderatoren müssen sich bewusst sein, dass sie womöglich keine Fachleute für Kommunikationsstrukturen oder Konfliktmanagement innerhalb einer Gemeinde sind und deshalb jemand anderen hinzuziehen müssen, um der Gemeinde in diesem Stadium zu helfen. Die entscheidende Aufgabe eines Moderators, der langfristig mit einer Gemeinde arbeitet, besteht darin, ihr bei der Pflege der Merkmale zur Seite zu stehen. Er hilft der Gemeinde, die Merkmale einer vitalen Gemeinde zu praktizieren, schon während sie den Prozess selbst durchläuft. Das ist vielleicht der wichtigste Beitrag eines Moderators: dabei zu helfen, dass die Merkmale einer vitalen Gemeinde der Leitungsgruppe der Gemeinde in 89
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Fleisch und Blut übergehen (siehe den Abschnitt „Eine Reise, die die Reisenden selbst verändert“ in Kapitel 5). Das wäre ein echtes Geschenk für eine Gemeinde und ein wichtiger Beitrag zu lang anhaltender Vitalität.
Richtlinien für Moderatoren Wie leistet man als Moderator gute Arbeit? Hier sind ein paar Punkte für alle, die zu diesem anstrengenden, aber oft sehr inspirierenden Dienst im Leben einer Gemeinde berufen sind. Ein aktiver Zuhörer sein. Es geht darum, die ganze Situation zu erfassen, nicht nur die ausgesprochenen Worte zu hören, sondern auf die unterschwelligen Gefühle zu achten, mit denen sie gesagt werden, an wen sie gerichtet werden und was sie über die Beweggründe der Gruppe aussagen. Sind die Beiträge überwiegend defensiv oder kritisch, sind sie suchend, signalisieren sie Offenheit für Neues? Was sagen uns Beiträge darüber, „wer hier das Sagen hat“? Zuhören, richtig verstanden, ist mit das Herausforderndste, das wir tun können; und wenn uns jemand wirklich zuhört, ist das eines der kostbarsten Geschenke, die man bekommen kann. Aktives Zuhören bedeutet auch, Rückmeldung zu geben, was wir gehört haben. Besonders wenn jemand sehr emotional ist oder sehr weitschweifig redet, kann es dem Gespräch helfen, wenn man etwa sagt: „Ist es …, was Sie sagen wollten?“ Das sollte man allerdings immer so sagen, dass der andere unsere eigene Wahrnehmung noch einmal korrigieren kann. Ermutigend sein. Den Teilnehmern der Übung fällt es viel leichter mitzumachen, wenn sie das Gefühl haben, dass der Moderator ihnen zuhört und ihre Gefühle wahrnimmt. Dies bedeutet manchmal, jemanden zu schützen, der sich verletzbar gemacht hat. Vielleicht hat er etwas ausgesprochen, was die Gruppe zwar hören muss, aber nur schwer akzeptieren kann. Wenn der Moderator alle, die mitmachen, ermutigt und bestätigt, wird das der Gruppe insgesamt helfen. Die Teilnehmer der Gruppe werden sich so nicht nur dem Moderator gegenüber öffnen, sondern auch voreinander, was noch wichtiger ist. Es kommt also darauf an, Menschen herauszulocken, sie zu ermutigen, ihre Meinung zu äußern. Es ist fast so wie das Dirigieren eines Orchesters, nur wird hier ein Gespräch mit mehreren Teilnehmern dirigiert. Niemals kritisieren. Menschen abkanzeln, besonders in der Öffentlichkeit, ihnen ihre Unwissenheit vorführen oder sie herabsetzen – das alles sind destruktive Handlungen, die die Offenheit der Gruppe dem Moderator gegenüber und voreinander beschädigen. Die Teilnehmer der Gruppe werden jetzt kaum noch offenbaren wollen, was sie selbst denken, weil sie fürchten, selbst genauso behandelt zu werden. Sparsam sein mit guten Ratschlägen. Es ist nicht Aufgabe des Moderators, einer Gemeinde zu sagen, was sie tun soll. Vielmehr soll der Gemeinde 90
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dabei geholfen werden, selbst aktiv zu werden und zu entscheiden. Dies schließt nicht aus, gelegentlich aus eigener Erfahrung heraus einen Rat zu geben. Doch Moderation ist im Wesentlichen nicht-direktiv; sie gibt keine Richtung vor. Bereit sein, schwierige Fragen zu stellen. Dies ist ein lebenswichtiger, aber schwieriger Teil des Moderatorendaseins. Ein Moderator sollte sich bewusst sein, dass es fast immer Menschen gibt, die darauf warten, dass es jemand wagt, eine solche Frage zu stellen. Sie selbst hatten vielleicht nie den Mut dazu, fanden nie die richtigen Worte dafür oder haben es zwar gesagt, wurden aber nicht gehört. Wenn man diesen Teil der Aufgabe erfüllt, ist das für sie und für die Vitalität der Gemeinde dienlich. Auf seine eigenen Gefühle achten. Manchmal fühlt sich ein Moderator kritisiert oder wie ein Blitzableiter für Ärger aus den Reihen der Gemeinde oder der Gemeindeleitung. Moderatoren müssen in der Lage sein, ihre eigenen Reaktionen auf das Geschehen zu erkennen, mit ihnen umzugehen und nicht ihre Gefühle auf die Gruppe und den Prozess zu übertragen. Zusammenfassen. Moderatoren können helfen, den Prozess voranzutreiben, indem sie die bisherige Diskussion zusammenfassen und wiedergeben. Ohne eine solche Bündelung dreht sich die Diskussion irgendwann im Kreis. Offene Fragen stellen. Am besten funktionieren „Wie?“- anstelle von „Was?“-Fragen. Wenn jemand etwas behauptet oder feststellt, zum Beispiel über die aktuelle Vitalität der Gemeinde (oder ihr Fehlen), dann kann man fragen: „Können Sie das aus Ihrer eigenen Erfahrung belegen?“ Als Außenstehender kann der Moderator diese Frage leichter stellen, da die Teilnehmer ihn dann informieren. Doch die Frage hilft auch dabei, das Gemeinte klarer einzugrenzen, wenn zuvor eher allgemein und ungenau gesprochen worden ist. Die Aufgabe im Blick behalten. Der Moderator hat dafür zu sorgen, dass die Gruppe sich auf die Aufgabe konzentriert, die sie sich vorgenommen hat, sie immer wieder daran zu erinnern und ihren Blick darauf zurückzulenken. Notizen über die eigene Moderationsarbeit machen. Auf diese Weise tun Moderatoren im Prinzip für sich selbst das Gleiche, was sie mit der Gemeinde machen: sich Rechenschaft geben, worüber gesprochen wurde, welche Ziele und welche Wege dahin vereinbart wurden. Am besten macht man Notizen daher direkt im Anschluss an das moderierte Gespräch, wenn die Erfahrung noch spürbar ist. Halten Sie fest, wo Sie ein gutes Gefühl hatten und wo Sie den Eindruck hatten, etwas erreicht zu haben. Notieren Sie wichtige Wendepunkte oder Blockaden, auf die Sie aufmerksam wurden. Notieren Sie sich auch Ideen, die Ihnen im Nachhinein kommen, wie man mit der einen oder anderen Situation besser hätte umgehen können. Notieren Sie jeden Bereich der Moderationsarbeit, bei dem Sie das Gefühl haben, dass zusätzliche Hilfe nötig ist. Danach suchen Sie sich jemanden 91
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mit mehr Erfahrung, der Rat geben und praktische Vorschläge machen kann. Die genannten Punkte machen deutlich, wie anstrengend und erfüllend Moderationsarbeit ist. Sie kann sehr inspirierend sein für die Gruppe oder Gemeinde, mit der ein Moderator arbeitet, und ebenso für Moderatoren selbst. Denn auf diese Weise erfahren alle Beteiligten mehr über sich selbst, die Gemeinde und wie Menschen miteinander arbeiten. Das wird sie auch immer wieder daran erinnern, worum es im Evangelium von Jesus Christus geht – und wie es aussieht, wenn das Evangelium im Leben von Christen, die Gott miteinander dienen wollen, gelebt wird.
Training für Moderatoren Eine der wertvollsten Ressourcen für einen Moderator ist eine Person oder eine Gruppe, mit der er sich treffen kann, während er mit einer Gemeinde an dem Prozess arbeitet. In unserer Kultur versteht man unter Ausbildung oft, Menschen zuerst eine Fülle an Theorien zu vermitteln, bevor sie etwas tun dürfen. Wenn sie dann anfangen, es zu tun, fehlt es an Unterstützung. Dabei lernt man doch meistens am besten „on the job“, in der Praxis und durch Erfahrung. Im Vorfeld der Moderations-Praxis sollte man daher ein realistisches Maß an Theorie vermitteln, verbunden mit umso mehr Unterstützung während der eigentlichen Arbeit als Moderator. Wer auf sich allein gestellt arbeitet, weil er von einer einzelnen Gemeinde gebeten worden ist, als ihr Moderator zu agieren, hat vielleicht nicht viele Möglichkeiten, sich ausbilden zu lassen. Er kann jedoch bei kirchlichen Stellen nachfragen, wo er einen persönlichen Tutor finden kann. In den evangelischen Kirchen in Deutschland kann man sich hierzu z.B. an das zuständige Amt für missionarische Dienste bzw. das Amt für Gemeindedienste wenden. Außerdem gibt es auch hilfreiche Bücher zum Thema. (Ein klassisches, aber grundsätzliches Buch hierzu ist: George Lovell: Consultancy, Ministry and Mission, Burns & Oates, 2000.) Eine Hilfe kann sein, mit einem anderen Moderator zusammenzuarbeiten. Es ist sehr aufschlussreich, wenn man sich darüber austauschen kann, „wie es läuft“. Ein solcher Austausch sollte so bald wie möglich nach jedem Treffen mit der Gruppe geplant sein, weil dann Eindrücke – und auch die Gefühle – noch frisch und präsent sind. Ermutigungen, Auseinandersetzungen und Fragen können auf diese Art produktiv angesprochen werden.
Inhalte einer Grundausbildung für Moderatoren Die wichtigsten Informationen für eine vorläufige Einführung lassen sich in fünf bis sechs Stunden vermitteln; etwa an einem Samstag oder an mehre92
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ren aufeinander folgenden Abenden. Potenzielle Moderatoren erhalten dabei Einblick in die folgenden Themen: Das Arbeitsmaterial zum „Vitale Gemeinde“-Prozess. Damit ist zunächst das vorliegende Buch selbst gemeint. Es bildet den logischen Ausgangspunkt. Am besten verfährt man so, als wären die angehenden Moderatoren selbst eine Gemeinde. Da die Streuung bei den einzelnen Bewertungen deutlich größer sein dürfte als normalerweise bei einer Gemeinde, empfiehlt es sich, ein konkretes Gemeindeprofil zur Hand zu haben und damit zu arbeiten. Miteinander. Das ist besonders wichtig, wenn vorgesehen ist, paarweise zusammenzuarbeiten. Man bildet 3er- oder 4er-Gruppen und fordert die Teilnehmer dazu auf, etwas von sich zu erzählen. Wie kommt es dazu, dass sie bei diesem Treffen dabei sind, und welche Erfahrung haben sie eventuell schon mit Moderationsarbeit gemacht? Das gegenseitige Kennenlernen geschieht außerdem beim gemeinsamen Arbeiten mit den Materialien und in den Pausen. Praktische Übungen. Dazu gehört, was weiter oben unter der Überschrift Richtlinien für Moderatoren dargestellt wurde, erweitert und veranschaulicht durch persönliche Erfahrung und Beobachtung. Am besten führt man in den Kleingruppen ein paar Übungen zu aktivem Zuhören oder zur Formulierung offener Fragen durch, die sich für die Arbeit mit einer Gemeinde bewährt haben. Besonders wenn ein erfahrener Moderator anwesend ist, kann man auch eine Frage-Antwort-Runde einbauen. In dieser Runde kann auch offen angesprochen werden, welche Ängste möglicherweise mit der Aufgabe eines Moderators verbunden sind. Einen Schlusspunkt setzen. Irgendwann wird die Beziehung, die sich zwischen der Gemeinde und dem Moderator entwickelt hat, zu einem Ende kommen müssen. Dieser Punkt sollte eindeutig festgelegt werden. Für eine Gemeinde kann es hilfreich sein, bestimmte Fortschritte auf ihrem Weg zu mehr Vitalität zu feiern. Feiern und Danken machen die Welt heller und lassen ein wenig vom Reich Gottes ahnen. Die geistliche Dimension. Es ist entscheidend, dass die Merkmale einer vitalen Gemeinde schon im Zuge der Moderatorenausbildung selbst zum Ausdruck kommen. Es soll deutlich werden: Hier sind Menschen zusammen, die ihre Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus beziehen und die herausfinden wollen, was Gott heute will. Deshalb sollte man auf jeden Fall Zeit für das gemeinsame Gebet und für das Nachdenken über das Erlebte vorsehen. Dabei kann man potenziellen Moderatoren zugleich eine Vorstellung davon geben, wie man eine Gemeindegruppe oder -leitung im gemeinsamen Gebet anleitet.
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Kapitel 8 Was ist Gemeinde?
TEIL 3: DAS GROSSE GANZE SEHEN
KAPITEL 8 WAS IST GEMEINDE?
Als ich mit einem Freund die Hauptstraße eines Dorfes in den Tälern von Yorkshire hinunterging, kamen wir an einem Mann mittleren Alters vorbei, der sich mit einer Frau Anfang dreißig unterhielt. Nachdem wir an ihnen vorüber waren, sagte ich: „Schau mal, Geistliche sind wohl immer im Einsatz.“ Mein Freund drehte sich um und sagte: „Ach, das war der Pfarrer? Für einen Pfarrer sieht er ein bisschen ungepflegt aus, oder?“ Es stimmt – die Kleidung des Mannes sah so aus, als sei er ein Bauer. Abgesehen davon, dass ich die Frau gemeint hatte. Sie war die Pfarrerin. Wir lachten sehr darüber, wie unbewusste Annahmen einen irreführen können. Genau das passiert häufig, wenn man sich mit dem „Vitale Gemeinde“Material beschäftigt. Es wurde ja schon angesprochen, dass zeitweise auch wir selbst, die das Material entwickelt hatten, unbewusste Annahmen bei uns bemerkten. Zum Beispiel, als die ursprünglichen 25 Gemeinden sich nicht als große Gemeinden aus grünen Vororten entpuppten, sondern als Gemeinden aus einem breiteren Spektrum an Hintergründen. Ein anderes Beispiel war, als wir feststellten, dass diese wachsenden Gemeinden sich nicht durch hektische Betriebsamkeit auszeichneten und bei ihnen einfach alles schneller ging als in anderen Gemeinden. Sondern diese Gemeinden zeichneten sich dadurch aus, dass sie sich auf das Wesentliche konzentrierten. Ein weiteres Beispiel war die Entdeckung, dass diese Gemeinden sich nicht auf Wachstum konzentrierten, sondern einfach nur darauf, gute Arbeit dabei zu leisten, Gemeinde zu sein. Unsere unbewussten Annahmen in Frage zu stellen, hat uns sehr geholfen zu verstehen, wie man mit Gemeinden arbeitet, damit sie vitaler werden. Unbewusste Annahmen zu hinterfragen, ist daher ein wichtiger Teil des „Vitale Gemeinde“-Prozesses insgesamt. Das Hinterfragen „evangelisiert“ die Gemeinde, indem es ihr deutlich macht, worauf es wirklich ankommt 95
TEIL 3: DAS GROSSE GANZE SEHEN
und was mit einem Zuwachs an Vitalität verbunden ist. Dieser Prozess hat sich für einige Gemeinden als einer der wertvollsten Teile der ganzen Übung herausgestellt.
„Geistige Modelle“ einführen Der Ausdruck „geistige Modelle“ soll unsere unbewussten Annahmen beschreiben. Bevor wir einen Schritt weitergehen, ist es wichtig, dass wir unsere unbewussten geistigen Modelle von Gemeinde zu fassen kriegen. Das ist deswegen wichtig, weil solche unbewussten Modelle unsere Vorstellungen von Gemeinde und Erwartungen an Gemeinde bestimmen. Als Erzbischof Rowan Williams auf einer Konferenz gefragt wurde, wie er Gemeinde definieren würde, antwortete er sinngemäß: „Gemeinde ist das, was passiert, wenn die Wirkung Jesu auf eine Situation zwei oder mehr Menschen zusammenbringt.“ Überraschend an dieser Definition ist das, was sie auslässt. Nicht erwähnt werden hier Wort, Sakrament, Pfarrer, Gebäude, öffentlicher Gottesdienst und vieles andere mehr. Aber es ist ein geistiges Vorbild, das zum Wesenskern von Gemeinde zurückführt. Und genau das ist in Zeiten von Veränderung entscheidend. In einem früheren Buch habe ich eine Arbeits-Definition von Gemeinde vorgestellt (hier leicht verändert), wie sie den meisten Menschen als geistiges Bild vorschwebt: Gemeinde = Gebäude + Pfarrer + Sonntagsgottesdienst Das ist das, was wir als „Gemeinde“ kennen. Dieses geistige Modell prägt nicht nur unser Verständnis von Gemeinde, sondern auch von unserer Teilnahme am Leben der Gemeinde. So versteht man unter „Gemeinde am Laufen erhalten“: das Gebäude geöffnet halten; Geld auftreiben, um den Pfarrer zu halten (wenigstens in Teilzeit); und genügend Menschen an einem Sonntag in das Gebäude bekommen, um die Gottesdienste weiter abzuhalten. Bei „Gemeindearbeit“ geht es im Kern immer darum. Aber stimmt das? In Zeiten großer Veränderung und Umwälzung, so wie sie unsere Gesellschaft seit einigen Jahrzehnten durchmacht, kann alles gefährdet erscheinen. Wenn wir unserem Instinkt folgen, verteidigen wir einfach, was uns wichtig ist. Viel besser ist aber, wenn wir neu bei den Grundlagen ansetzen und ernsthaft fragen, worum es uns eigentlich geht. Vielleicht müssen wir auf Veränderungen um uns herum reagieren, indem wir selbst etwas ändern. Aber wir können „es“ nicht ändern, solange uns nicht klar ist, was „es“ ist. Daher müssen wir uns auf unsere ursprünglichen Prinzipien besinnen und neu darüber nachdenken, worum es bei Gemeinde eigentlich geht. Eine kleine Gemeinde von einem Dutzend Mitgliedern war gezwungen, neu über Gemeinde nachzudenken, da aus verschiedenen Gründen gerade das Pfarrhaus sowie das Kirchengebäude abgerissen worden waren. Als sie zusammensaßen und über die Zukunft nachdachten, fingen sie „ zu träumen“ an: „Wie könnte es hier in zehn Jahren 96
Kapitel 8 Was ist Gemeinde?
aussehen?“ Anfangs waren ihre Träume sehr zuversichtlich. Sie beschrieben das neue Kirchengebäude mit Turm, Chorgestühl und einem Chor in einheitlichen Gewändern, die Gemeindevorsteher mit den „Amtsstäben“ und der Vertreterin des Frauenkreises. Als ihnen jedoch allmählich die Ideen ausgingen, wurden sie langsamer und vorsichtiger. Dann sagte ein Mitglied: „Wir beschreiben genau das, was in den letzten 20 Jahren seit Beginn unseres Gemeindelebens nicht funktioniert hat.“ So fingen sie an, völlig neu über Gemeinde nachzudenken. Sie wechselten die Spur und sprachen darüber, wie sie dem Ort dienen und wie sie einander im Glauben unterstützen könnten. Was herauskam, war völlig anders als ihre ersten Überlegungen. Innerhalb eines Jahrzehnts wuchs die Gemeinde auf über 60 Mitglieder an. Sich vom ursprünglichen geistigen Modell von Gemeinde zu lösen, war harte Arbeit. Eine Möglichkeit, die Vitalität einer Gemeinde heute zu fördern, ist also, sich mit unseren unbewussten geistigen Modellen auseinanderzusetzen. Wir brauchen ein Verständnis davon, worum es bei Gemeinde im Kern geht. Das Wesen von Gemeinde lässt sich dabei so herleiten: Gemeinde = Gemeinschaft + Glaube + Handeln Gemeinde ist ihrem Wesen nach eine Gemeinschaft von Menschen, die durch den Glauben an Jesus Christus als dem Herrn und die Begegnung mit ihm zusammengebracht wurde. Das bestimmt das Handeln dieser Menschen; sie leben andere Werte, als es sonst der Fall wäre. Handeln umfasst hier eine Reihe von Grundhaltungen (z.B. Zuhören oder Großzügigkeit) ebenso wie konkrete Verhaltensweisen (z.B. Dienst, Ermahnung oder Seelsorge). Manchmal ist die wichtigste Veränderung für eine Gemeinde eine Veränderung im Verhalten und nicht in der Verwaltung. Anders gesagt: Die drei Worte Gemeinschaft, Glaube, Handeln beschreiben eine Gemeinde als einladende und engagierte Gemeinschaft im Glauben. Einladend, weil sie für andere attraktiv ist, aber vor allem engagiert, weil sie sich auf die Welt um uns herum einlässt und so die Menschwerdung Gottes widerspiegelt.
Gute Nachrichten für vitale Gemeinden Geistige Modelle sind deswegen so wirksam, weil sie unbewusst sind. Wir bemerken nicht, dass sie uns prägen. Genauso gilt jedoch: Wenn wir sie uns bewusst machen und sie klar benennen, können wir die Prägung durchbrechen. Unsere geistigen Modelle aufzudecken, hat einen unmittelbaren Nutzen; es hilft bei der Neuausrichtung von Denken und Handeln. Schon die genannte Arbeitsdefinition – Gemeinde als einladende und engagierte Gemeinschaft im Glauben – hilft Gemeinden herauszufinden, woran gearbeitet werden muss. Die Auseinandersetzung mit diesen drei Themen kann bei der Arbeit mit Gemeinden sehr produktiv sein, besonders wenn 97
TEIL 3: DAS GROSSE GANZE SEHEN
nicht die Zeit da ist, den gesamten „Vitale Gemeinde“-Prozess durchzuarbeiten. Zum Thema Glaube helfen folgende Fragen, aufzudecken, was (oder was nicht) in diesem Bereich geschieht: l Was motiviert die Menschen, die sich im Leben dieser Gemeinde einbringen? l Warum kommen Menschen zu dieser Gemeinde? (Anmerkung: Wir fragen so oft danach, warum Menschen nicht zur Gemeinde kommen. Umso erhellender kann die Frage sein, warum sie kommen.) l Was tut diese Gemeinde, um den Glauben und die Glaubensentwicklung der Gemeindemitglieder zu fördern? l Was tun wir, um Suchenden und Fragenden zu helfen, den Glauben zu entdecken? l Wie wirksam ist, was zur Förderung des Glaubens getan wird? Im Hintergrund dieser Fragen steht ein Wandel im Wesen des christlichen Glaubens, der zurzeit stattfindet. Seit Jahrhunderten fand Glaube vor allem und am sichtbarsten in der Kirche als Institution seinen Ausdruck. In Europa geschah das klassischerweise in den verfassten Großkirchen. Inzwischen werden das Verständnis von Christsein und die Auseinandersetzung mit ihm von anderen Faktoren beeinflusst. Die Prägung unserer Gesellschaft durch das westliche Christentum nimmt kontinuierlich ab. Den gedanklichen Ausgangspunkt für fast jedes Thema bildet wie selbstverständlich nun der einzelne Mensch, nicht die Gemeinschaft. Unsere Gesellschaft löst sich allmählich vom wissenschaftlichen Drang, alles analytisch zu durchleuchten. Stattdessen wächst das Interesse an ganzheitlichem Denken und einer integrativen Sichtweise, man sucht nach Verknüpfungen zwischen den verschiedenen Aspekten einer fragmentierten Welt und Lebenswirklichkeit. Vor diesem Hintergrund sollte das Christentum sich weniger auf seinen Status als religiöse Institution konzentrieren, sondern mehr darauf, Ressourcen zum Leben anzubieten. Die entscheidende Frage für jede Gemeinde ist daher, ob Menschen in ihr solche Ressourcen finden: Ressourcen, die ihnen helfen, einen Sinn im Leben zu sehen, das Leben als Geschenk zu empfangen und sich daran zu freuen – und sich die Sehnsucht Gottes zu eigen zu machen, seine Güte, Großzügigkeit, Gastfreundschaft, Gerechtigkeit und seinen Frieden an alle Menschen weiterzugeben. Zum Thema Gemeinschaft sind die Schlüsselfragen u.a.: l Inwieweit fungiert diese Gemeinde als Organisation, die Menschen einlädt, beizutreten – und inwieweit ist sie eine Gemeinschaft, zu der Menschen gehören und in die sie sich aktiv einbringen können? l Ist diese Gemeinde ein Ort, an dem Menschen ehrlich sein können, an dem sie ihren Schmerz, ihre Freude, ihre Zweifel und Ängste teilen können – oder sind wir alle viel zu „nett“, um so offen miteinander umzugehen? 98
Kapitel 8 Was ist Gemeinde?
l Ist diese Gemeinde ein Ort, an dem Menschen ehrlich sie selbst sein können, an dem sie ihre Begabungen entdecken, ihre Berufung erkennen und die Freiheit haben, ihren ureigenen Beitrag zu leisten – statt sich an das anzupassen, was gerade benötigt wird? l Sind wir in dieser Gemeinde gut darin, unsere Freuden zu feiern und unsere Sorgen zu teilen? Ist es willkommen, dass Menschen lachen oder weinen – oder versuchen wir das zu vermeiden? Wenn es wie heute der Kirche an Menschen, Energie, Geld und Ressourcen zu fehlen scheint, kann es allzu leicht passieren, dass wir – mit den besten Absichten – zu einer Organisation werden, die nur noch getrieben ist und um ihr Überleben kämpft. Der Pfarrer einer Gemeinde litt an einer ernsten Krankheit, die ihm fast alle Kraft zum Arbeiten raubte. Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen und der Sonntagsgottesdienst waren das Äußerste, was er noch schaffte. Andere Gemeindeaktivitäten brachen daher ein. Einige Gemeindeglieder beobachteten das und drängten den Pfarrer, sich vorzeitig pensionieren zu lassen. Der Pfarrer antwortete verständlicherweise: „Ich kann es mir nicht leisten, mit einer reduzierten Pension in den Ruhestand zu gehen.“ Mit dieser Situation konfrontiert, kam eine Gruppe von Gemeindemitgliedern zusammen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Als Christen kamen sie zu dem Schluss: „Alles, was wir tun können, ist unseren Pfarrer zu lieben.“ Darum bemühten sie sich, aber die Gemeinde wurde immer kleiner. Schließlich erreichte der Pfarrer das Pensionsalter, ein neuer junger Pfarrer wurde eingestellt und die Gemeinde wurde immer stärker. Wenn man sie fragte, warum die Gemeinde gewachsen war, sagten die Mitglieder der Gemeinde: „Weil wir einen neuen Pfarrer haben.“ Der neue Pfarrer sah das anders. „Diese Gemeinde“, sagte er, „hatte vergessen damit aufzuhören, ihren Pfarrer zu lieben.“ In ihrer Auseinandersetzung mit der Situation als Christen war Gemeinschaft gewachsen. Ja, der neue Pfarrer leistete gute Arbeit bei der Pflege dieser Gemeinschaft; aber sie war entstanden, bevor er die Szene betreten hatte. In einer fragmentierten und höchst mobilen Kultur verkündet die Kirche ihre gute Nachricht dadurch, dass sie den Charakter des dreieinigen Gottes vor Augen führt: als eine offene und einladende Gemeinschaft. Das ist unsere Berufung – als echte Gemeinschaft die Gute Nachricht zu sein. Jürgen Moltmann sagt dazu: „Gott als Liebe wird nicht in großen Organisationen und Institutionen erfahren, sondern in Gemeinschaften, in denen die Menschen einander umarmen können.“ (Jürgen Moltmann: The Open Church, SCM Press, 1978, S. 6). Zum Thema einladend und engagiert können u.a. folgende Fragen die Qualität des Engagements in der Gemeinde aufdecken: l Auf welche Arten sind wir als Gemeinde im Ort eingebunden? 99
TEIL 3: DAS GROSSE GANZE SEHEN
l Inwiefern tun wir etwas für unser gesellschaftliches Umfeld, und inwiefern tun wir etwas mit ihm gemeinsam? l Was tun wir, um unserem Umfeld zuzuhören? l Wie entdecken wir die vielfältigen Fähigkeiten und Begabungen unserer Gemeindeglieder und wie beziehen wir diese Fähigkeiten ein? l Inwieweit hilft unser Gemeindeleben den Gemeindemitgliedern dabei, ihren Glauben im gesamten Leben zu leben, nicht nur in ihren Aktivitäten innerhalb der Gemeinde? l Was sagen die Predigten und Fürbitten im Sonntagsgottesdienst darüber aus, wie die Gemeinde ihre Beziehung zu der Welt um sie herum sieht? Das höchste Vorbild ist hier das Leben des menschgewordenen Christus. Schließlich hat auch Gott selbst in seiner Sehnsucht, sich der Welt mitzuteilen, nicht einfach eine Botschaft oder einen Boten gesandt. Er kam selbst. An diesem Punkt treten unsere unbewussten geistigen Modelle besonders häufig zu Tage. Wenn man Gemeinden fragt, wie sie sich im Ort einbringen, wird die Frage fast ausnahmslos organisatorisch verstanden. So weist man z.B. auf die Funktion des Pfarrers als Mitglied im Schulbeirat oder auf den Seniorenkreis hin. So weit, so gut, aber der größere Berührungspunkt besteht im Lebensstil der Gemeindemitglieder selbst. Robin Greenwood drückt das so aus: „Für die große Mehrheit der Ehrenamtlichen … liegt der Schwerpunkt ihres geistlichen Dienstes in den Gelegenheiten, die ihnen ihre Verantwortung im Alltag bieten.“ (Robin Greenwood: Practising Community, SPCK, 1996, S. 64). Eine Gemeinde suchte einen neuen Pfarrer. Ein kleiner interner Kern von „begeisterten Gemeindemitarbeitern“ erstellte ein Aufgabenprofil. Im Kern stand das Anliegen, mehr Menschen vom Rand der Gemeinde in ihre Mitte zu holen. Als der neue Pfarrer kam, machte er eine beunruhigende Entdeckung. Diese „Menschen am Rand“ waren nicht etwa nur lose mit dem christlichen Glauben verbunden. Sie hatten sich genauso wie „der Kern“ der Gemeinde zur Nachfolge Jesu verpflichtet. Doch bei ihnen kam das Leben in der Nachfolge in ihrer Arbeit und ihrem Engagement am Ort und in der Freizeit zum Ausdruck. Der Pfarrer erklärte daher, „er trete dem Rand bei“. Er half den Menschen dabei, ihren Glauben in ihrem gesamten Leben zu leben. Die Gemeinde blühte auf, aber der Pfarrer geriet in Schwierigkeiten mit dem ursprünglichen „Kern“ und wurde wegen Verrat an seiner „Berufung“ angefeindet. Er hatte den anstrengenderen Weg gewählt.
Eine Gemeinde mit „Mischwirtschaft“ In Zeiten tiefgreifenden Wandels ist es wichtig, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Wenn das Gemeindeleben bedroht erscheint, nicht zuletzt weil Ressourcen fehlen, beschränken wir uns allzu leicht auf Vertrautes 100
Kapitel 8 Was ist Gemeinde?
und versuchen, „Gemeinde, so wie wir sie kennen“, am Leben zu halten. Gerade Herausforderungen eröffnen jedoch neue Möglichkeiten. Diese Möglichkeiten können wir erschließen, indem wir neu und grundlegend fragen: Worum geht es uns hier eigentlich? Das empfiehlt sich vor allem dann, wenn intensive und fruchtlose Auseinandersetzungen laufen. Es ist eine hervorragende Methode, gemeinsam nach einem neuen Weg voran zu suchen. Es hilft uns dabei, mit unseren tiefsten Überzeugungen in Kontakt zu kommen, mit unserem Verständnis von Berufung und unserem Verständnis von Leben und Gemeinde überhaupt. Oft bricht sich so plötzlich ein Glaube Bahn, der neue Energie gibt. Die Folge kann sein, dass eine Gemeinde eine völlig andere Art in den Blick nimmt, als Gemeinde zu arbeiten und Gemeinde zu sein.
Geerbte und neu entstehende Modelle von Gemeinde Zu einem gesunden geistigen Modell von Gemeinde gehören heute grundsätzlich zwei Modelle. Eins davon kann man das geerbte Modell nennen. Das ist Gemeinde, so wie wir sie kennen. Hier spielen Gebäude, Pfarrer und Sonntagsgottesdienste eine zentrale Rolle. Für eine Gemeinde kann es dabei sehr hilfreich sein, sich an unsere erste Berufung zu erinnern, nämlich eine einladende und engagierte Gemeinschaft im Glauben zu sein. Aber Gemeinde hat heute auch ganz andere Ausdrucksformen. Eine Reihe von Begriffen sind zurzeit im Umlauf, um diese neuen Entwicklungen zu beschreiben: u.a. „neue Gemeindeformen“, „Gemeindepflanzungen“, „Zellgemeinden“, „kleine Gemeinschaftsformen“ usw. Damit sind wir bei den neu entstehenden Gemeindeformen. Zum Teil wird dieser Ausdruck für ungeeignet befunden, weil er zu passiv klingt. So heißt es: Wenn es nur um das ginge, was „entsteht“, bräuchte man ja nur herumzusitzen und zu warten. Stattdessen müsse man proaktiv sein. Der Ausdruck macht jedoch einen wichtigen Punkt deutlich, nämlich dass solche neuen Formen von Gemeinde häufig spontan entstehen. Wer an „fresh expressions“ bzw. neuen Ausdrucksformen von Gemeinde beteiligt ist, erkennt daher oft erst als Letzter, dass sich hier gerade „Gemeinde“ ereignet. Deswegen ist es ein wichtiger Teil unserer Arbeit, Augen und Ohren offen zu halten für das, was durch die Wirkung des Heiligen Geistes um uns herum entsteht. Die andere Aufgabe ist, jedes Gefühl von Konkurrenz zwischen geerbten und neu entstehenden Modellen von Gemeinde zu vermeiden. Beide Seiten können so viel voneinander lernen und dadurch profitieren. Ein christliches Paar engagierte sich für einen Drogenabhängigen bei dessen Kampf gegen seine Sucht. Nach langem Ringen kam der Abhängige von seiner Sucht los und nahm auch den christlichen Glauben des Paares an. Bald danach stellte der ehemals Abhängige dem Paar 101
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einen weiteren Abhängigen vor. Dieser kam ebenfalls zum Glauben und wurde von seiner Abhängigkeit frei. Die Gruppe wuchs auf über fünfzig Menschen an – eine einladende und engagierte Gemeinschaft im Glauben. Auf die Frage, was ihren Glauben gefördert hatte, gaben sie eine überraschende Antwort: Es sei das stille Sitzen in (vorzugsweise leeren) Kirchen und die Teilnahme am traditionellen Abendmahlsgottesdienst im nahegelegenen Dom gewesen. In dieser Geschichte war es Gemeinde in der geerbten Form, die zuerst das Paar hervorgebracht hatte und nun dazu beitrug, dem Glauben dieser neuen Gemeinschaft beim Wachsen zu helfen. Die neue Ausdrucksform von Gemeinde begegnete den alten Formen mit Wertschätzung, brachte gegenüber dem geerbten Modell aber auch neue Einsichten. Kurz gesagt, wir brauchen einander. Was bedeutet das für das Verhältnis zwischen dem Gemeindemodell „Gebäude + Pfarrer + Sonntagsgottesdienst“ und dem Modell einer einladenden und engagierten Gemeinschaft? Es geht nun nicht darum, Gebäude, Pfarrer und öffentliche Gottesdienste abzuschaffen, sondern diese wertvollen Ressourcen für ein übergeordnetes Ziel einzusetzen: Gemeinden zu bauen, die einladende und engagierte Gemeinschaften im Glauben sind. Das wird besonders dann geschehen, wenn wir sowohl unserer Tradition als auch unseren aktuellen Herausforderungen erlauben, unser geistiges Modell von Gemeinde zu „evangelisieren“ – es so zu prägen, dass wir für neue Möglichkeiten des „Alten“ und des „Neuen“ offen werden. Die Arbeit mit dem „Vitale Gemeinde“-Material wird ziemlich sicher die genannten tieferliegenden Fragen nach dem Wesen von Gemeinde aufwerfen. Und das wird unser Verständnis davon, „worum es uns eigentlich geht“, tiefgreifend und positiv beeinflussen. Für diese Herausforderung brauchen wir geistige Wachheit und Aufmerksamkeit. Wir brauchen die Bereitschaft, uns auf unbekanntes Terrain zu wagen und dabei zu improvisieren, überraschend, erfreulich und im Einklang mit der Vergangenheit. Das alles gehört dazu, wenn wir nach Wegen suchen, eine einladende und engagierte Gemeinschaft im Glauben zu sein.
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Kapitel 9 Der Engel der Gemeinde
KAPITEL 9 DER ENGEL DER GEMEINDE
Eine schöne Geschichte über Mose steht in 2. Mose 4,1-7: Ihm wird aufgetragen, zum Pharao zu gehen mit der möglicherweise lebensgefährlichen Forderung: „Lass mein Volk ziehen.“ Verständlicherweise bittet Mose um ein Zeichen, eine Bestätigung, dass Gott mit ihm sein wird. Gott sagt zu Mose: „Was hast du da in der Hand?“ Das klingt nicht nach einer schwierigen Frage, und Mose antwortet, er habe einen Stab in der Hand. Gott gebietet ihm, den Stab auf den Boden zu werfen. Dort verwandelt sich der Stab in eine Schlange. Dann gebietet ihm Gott, die Schlange aufzuheben, und sie verwandelt sich zurück in einen Stab. Als weiteres Zeichen wird er dann aufgefordert, seine Hand in den Bausch seines Gewandes zu stecken. Als er das tut, wird die Hand aussätzig, und als er die Handlung wiederholt, verwandelt sich die Hand wieder in den ursprünglichen gesunden Zustand zurück. Die Schlüsselfrage bei all dem lautet: „Was hast du da in der Hand?“ Gott hilft Mose, den Mut für die vor ihm liegende Aufgabe durch etwas zu finden, was buchstäblich in greifbarer Nähe ist. Das ist die Erfahrung vieler Gemeinden, die vitaler werden möchten. Sie stehen vor ganz bestimmten aktuellen Herausforderungen, die manchmal auch unangenehm sind. Sie setzen sich mit diesen Herausforderungen auseinander und sind auf einmal dabei, die Merkmale einer vitalen Gemeinde zu entwickeln. Und es finden sich Begabungen, Fähigkeiten, Einsichten und Erfahrungen innerhalb der Gemeinschaft, die für den nächsten Schritt auf ihrer Reise im Glauben grundlegend nötig sind. Die gleiche Dynamik, Lösungen zu finden, indem man anpackt, was „zur Hand“ ist, hat sich auch bei der Entwicklung dieses Materials gezeigt. Nach der Festlegung der sieben Merkmale und nach ersten Erfahrungen in der Arbeit mit den Merkmalen tauchten tiefere Fragen auf: Fragen nach dem Wesen von Gemeinde und nach unseren unbewussten Annahmen im Blick auf Gemeinde, so wie im letzten Kapitel beschrieben. Damit stellte sich wiederum die Frage, wie man Gemeinden in der Auseinandersetzung mit diesen grundlegenden Fragen helfen könnte. Zumindest einen Teil der Antwort hatten Dr. Janet Hodgson und ich schon „in der Hand“. Bei mir waren es „ein paar Bücher“. Bei Janet Hodgson war es eine Vielzahl an Bildern. Die Geschichte dazu geht so: Während der Zusammenarbeit mit Janet Hodgson las ich ein prägendes Buch mit dem einfachen Titel „Gemeinde“ (James Hopewell, Congregation: Stories and Structures, SCM Press, 1988). Bald danach las ich das ebenfalls 103
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eindrückliche, ursprünglich dreibändige Buch von Walter Mink über die „Mächte und Gewalten“ (Walter Mink: Unmasking the Powers, Fortress Press, 1986. Das ist die Ausgabe, auf die später im Text Bezug genommen wird.). Ich hatte auch darüber gelesen, dass man sich in der freien Wirtschaft inzwischen weniger auf „Leitbilder“ konzentrierte und mehr auf die „Spiritualität“ bzw. den „Geist“ einer Organisation. Verschiedene Einflüsse brachten mich so dazu, Gemeinde anders und ganzheitlicher zu verstehen. Dazu gehört, Gemeinde als ein ganzes „System“ und als eine Einheit zu sehen, mit ihrem eigenen Ethos, ihrer eigenen Kultur und Persönlichkeit. Janet Hodgson hatte inzwischen schon einige Jahre lang mit Christusbildern gearbeitet. Sie gehörte zu den Vorreitern dieses Ansatzes in Großbritannien. In ihrer umfangreichen Sammlung einiger tausend solcher Bilder befanden sich auch Hunderte von Engelbildern. Es wurde rasch deutlich, dass sich hieraus eine gute Ergänzung für die Gemeindeprofil-Übung ergab. Wir sammelten weitere Bilder von Engeln, häuften (wenn dies der richtige Ausdruck dafür ist) über Tausend solcher Bilder an und fingen an, sie zusammen mit dem „Vitale Gemeinde“-Material einzusetzen. Es stellte sich heraus, dass der Einsatz der Bilder die wichtigste Ergänzung zur Gemeindeprofil-Übung war. Im Laufe der Jahre haben wir herausgefunden, dass viele Menschen diesen Zugang über ihre Fantasie als sehr hilfreich empfanden, wenn sie über das Leben ihrer Gemeinde nachdenken. Auf diese Weise wurden Türen geöffnet, wie es beim eher analytischen Ansatz nicht möglich gewesen war. Noch dazu war es ebenso unterhaltsam wie aufschlussreich. Seitdem haben wir in der Arbeit mit dem „Vitale Gemeinde“-Material fast immer versucht, sowohl die Gemeindeprofil-Übung als auch den im Folgenden beschriebenen Ansatz beim Engel der Gemeinde einzusetzen. Mit welchen Arbeitsformen eine Gemeinde ihren „Engel“ bestimmen kann, wird in Kapitel 12 (Übung zum Engel der Gemeinde) erläutert. Unserer Erfahrung nach ist es am besten, die beiden Ansätze – also die Gemeindeprofil-Übung und die Auseinandersetzung mit dem Engel der Gemeinde – zusammenzuhalten. Das kann auf verschiedene Weise geschehen.
Der Engel der Gemeinde Der Ausdruck „der Engel der Gemeinde“ stammt aus den Kapiteln 2 und 3 der Offenbarung. In Kapitel 1 beschreibt Johannes seine Vision des auferstandenen Christus. Danach kommen sieben Briefe an sieben Gemeinden in der Region. Der Brief an die erste Gemeinde lautet so: „Dem Engel der Gemeinde in Ephesus schreibe: Das sagt, der da hält die sieben Sterne in seiner Rechten, der da wandelt mitten unter den sieben goldenen Leuchtern: 104
Kapitel 9 Der Engel der Gemeinde
Ich kenne deine Werke und deine Mühsal und deine Geduld und weiß, dass du die Bösen nicht ertragen kannst; und du hast die geprüft, die sagen, sie seien Apostel, sind’s nicht, und hast sie als Lügner befunden, und hast Geduld und hast um meines Namens willen die Last getragen und bist nicht müde geworden. Aber ich habe gegen dich, dass du die erste Liebe verlässt. So denke nun daran, wovon du abgefallen bist, und tue Buße und tue die ersten Werke! Wenn aber nicht, werde ich über dich kommen und deinen Leuchter wegstoßen von der Stätte – wenn du nicht Buße tust. Aber das hast du für dich, dass du die Werke der Nikolaïten hassest, die ich auch hasse. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Wer überwindet, dem will ich zu essen geben von dem Baum des Lebens, der im Paradies Gottes ist.“ (Offenbarung 2,1-7)
Jeder Brief hat die gleiche Struktur. Sie zeigt sich bereits im ersten Brief: l Der Gruß des auferstandenen Christus greift einen Aspekt der Vision des Johannes auf. In diesem Fall sind es die sieben Sterne und goldenen Leuchter. l Die Anrede lobt die Gemeinde für das Gute in ihrem Leben und für ihr Zeugnis. l Die Aufforderung lautet hier: Überprüfen, wo die Gemeinde nicht mit Gottes Absichten übereinstimmt. Die Aufforderung weist auch darauf hin, was nun zu tun ist. l Das Versprechen richtet sich immer an alle, „die überwinden“, und verheißt ihnen einen Aspekt von dem, was Gott im Rest des Buches offenbaren wird. In diesem Fall ist es die Erlaubnis, „von dem Baum des Lebens zu essen“. Damit wird das Gebot an Adam und Eva umgekehrt. Für uns ist nun faszinierend, dass jeder Brief an „den Engel der Gemeinde in …“ gerichtet ist. Diese Formulierung klingt für unsere modernen Ohren so fremd, dass wir ähnlich reagieren wie viele Bibelkommentare zur Offenbarung: Einige Ausleger sind einfach so verdutzt, dass sie diesen Punkt gar nicht kommentieren und gleich zum Text übergehen. Wir tun oft dasselbe. Unser Instinkt sagt uns: Was zählt, ist der Inhalt des Briefes und nicht, an wen er gerichtet ist. Vor allem dann, wenn die Adresse so obskur ist. Andere Ausleger versuchen, den Ausdruck zu verstehen. Aber das Fremdartige am „Engel der Gemeinde“ wird dabei meistens wegerklärt. Eine Auslegung besagt, mit dem Engel sei der Leiter der jeweiligen Gemeinde gemeint. Dafür gibt es jedoch gebräuchlichere und viel verständlichere Worte wie Ältester oder Bischof. Warum also so eine verwirrende Bezeichnung? Andere verstehen unter dem „Engel“ den Schutzengel der Gemeinde. Obwohl diese Idee verlockend klingt, weil sie den Gebrauch des Wortes „Engel“ ernst nimmt, so passt sie doch nicht zum Text. 105
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Wichtig im Text ist der Gebrauch der zweiten Person Singular, also „du“ statt „ihr“. In den Versen 2-7 steht durchgängig „du“, was bedeutet, dass der Engel persönlich angesprochen wird. Es ist der Engel der Gemeinde von Ephesus, der bisher gelitten hat, der seine erste Liebe verloren und Buße nötig hat. Daher ist der „Engel“ die „Gemeinde“, die persönlich angesprochen wird. Der auferstandene Christus richtet sich an die „Gemeindeidentität“, an die Identität der Gemeinde als Gemeinschaft. Die Gemeinde wird so gesehen, als hätte sie eine gemeinschaftliche Persönlichkeit. Der Bildungsbeauftragte einer großen Stadt wurde zu einigen Veränderungen im Schulsystem befragt, die gerade von der Regierung vorgenommen wurden. Mitten im Gespräch fragte man ihn aus heiterem Himmel: „Was macht eine gute Schule denn nun aus?“ (Die Frage hätte auch lauten können: „Was macht eine vitale Schule aus?“) Ohne zu zögern, antwortete er: „Eine gute Schule ist eine Schule mit einem guten Geist.“ Nichts über den Zustand der Gebäude, nichts über das lokale Umfeld oder über das Ranking der durchschnittlichen Klausurnoten. Hier ging es um die Atmosphäre und das Grundgefühl einer Schule und deren Auswirkung auf alle Beteiligten. Der Bildungsbeauftragte beschrieb damit das Wesen einer Schule insgesamt: ihre gemeinschaftliche Identität. Beim Engel der Gemeinde geht es also auch darum, Gemeinden als Ganzheiten zu sehen und ihren Charakter, Geist, Persönlichkeit und Gefühl auszumachen. Walter Wink beschreibt das sehr präzise: „Im Engel der Gemeinde trifft zweierlei zusammen: was Gemeinde ist – ihre Persönlichkeit – und wozu sie berufen ist – ihre Berufung.“ (Walter Wink: Unmasking the Powers, S. 73). Dieser Satz hat sich als sehr hilfreiche Definition bewährt.
Sich mit der Kultur einer Gemeinde auseinandersetzen So fremd der Ausdruck „Engel der Gemeinde“ wirken kann, steht er doch für eine ganz normale Art, Gemeinde zu sehen. Wir sprechen von Gemeinde oft wie von einer Person mit einer eigenen Persönlichkeit. „Das ist eine ganz schön deprimierte Gemeinde.“ „Diese Gemeinde ist vor kurzem lebendig geworden.“ „Diese Gemeinde dreht sich anscheinend immer nur um sich selbst.“ „Aus dieser Gemeinde wird man einfach nicht schlau.“ „Diese Gemeinde hat ein weites Herz.“ So sprechen wir über Gemeinde wie über eine Einheit, die eine gemeinschaftliche Identität besitzt. Diese Sicht von Gemeinde zeigt sich auch darin, dass in einigen Denominationen Gemeinden nach Heiligen benannt werden. Auch damit kommt zum Ausdruck, dass man Gemeinden eine Persönlichkeit bzw. eine gemeinschaftliche Identität zuschreibt. Walter Wink verbindet dabei die gegenwärtige Persönlichkeit mit der Berufung für die Zukunft. Für einzelne Menschen gilt das ja auch. Wir sind 106
Kapitel 9 Der Engel der Gemeinde
das Zusammenspiel von dem, was wir sind (unserer gegenwärtigen Persönlichkeit) und der Richtung, die wir im Leben einschlagen (dem Verständnis von unserer Berufung). Das trifft sogar dann zu, wenn wir die Richtung gar nicht benennen können. Es spiegelt sich bereits in dem, was wir sind und wie wir das Leben angehen. Die Arbeit mit dem Konzept des Engels der Gemeinde hilft uns, einen neuen Zugang zur Gemeinde zu bekommen. Wir fangen an, ihre innere Dynamik zu verstehen, auch wenn sie uns manchmal seltsam erscheint. Eine selbstgerechte Gemeinde, eine ängstliche Gemeinde oder eine verletzte Gemeinde brauchen jeweils einen anderen Ansatz, auch wenn ihre Größe, Tradition und Umgebung gleich sind. Ausgehend von Walter Winks Beschreibung des Engels der Gemeinde sowie meinen eigenen Erfahrungen in der Arbeit mit Gemeinden möchte ich Walter Winks Definition nun erweitern. Ich beschreibe den Engel einer Gemeinde an Hand von mehreren Aspekten, die miteinander verwoben sind: l wo die Gemeinde herkommt – ihre Geschichte l wo sie ist – ihr Umfeld l was sie ist – ihre Persönlichkeit l wozu sie berufen ist – ihre Berufung
Warum ist das wichtig? Jemand hat einmal die Kunst der Ehe mit dem Erlernen eines Musikinstruments verglichen. Wir wissen alle, wie man jemanden „gegen den Strich bürstet“, durch welches Verhalten man eine negative Reaktion hervorruft. Die Kunst in der Ehe ist, das Beste aus dem anderen herauszuholen. Das ist ein allmähliches Wachstum, weil es darum geht, den anderen „lesen“ zu lernen. Dasselbe gilt für Gemeinden. Wenn wir einer „ängstlichen“ Gemeinde drohen, wird sie sich zurückziehen und verstecken. Sie braucht Bestätigung und Ermutigung. Andererseits kann es ganz richtig sein, eine „arrogante“ Gemeinde unmittelbar herauszufordern. Eine selbstzufriedene Gemeinde wiederum braucht einen anderen Ansatz. Deswegen ist es so wertvoll, den Engel der Gemeinde zu bestimmen – wenigstens annäherungsweise. Je besser wir die Persönlichkeit eines Einzelnen oder einer Gruppe verstehen lernen, desto eher können wir ihr helfen, sich zu verändern und auf neue Umstände einzustellen. Wir denken oft, es müssten vor allem Strukturen verändert werden. Im besten Fall ändert das aber wenig; denn der Geist, das Grundgefühl, das Ethos (kurz gesagt: der Engel) bleibt unberührt. Und damit verrät eine Gemeinde ihr geistiges Modell; denn damit ist sie eben doch mehr Organisation als Gemeinschaft. Walter Wink sagt dazu: „Echte Veränderung darf daher nicht nur die sichtbaren Formen be107
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treffen, die eine Institution annimmt, sondern echte Veränderung muss im Geist geschehen, im Wesenskern, der das Ganze bestimmt.“ (Walter Wink: Unmasking the Powers, S. 80).
Was den Engel einer Gemeinde ausmacht Zweierlei ist wichtig zu wissen über den Engel einer Gemeinde, um dieses Konzept für die Stärkung der Vitalität einer Gemeinde nutzbar zu machen. Erstens ist der Engel einer Gemeinde moralisch nicht eindeutig. Er hat gute und schlechte Anteile. Das widerspricht zwar unserem „geistigen Bild“ von Engeln; hier sind sie nur eine Verkörperung des Guten. Aber denken wir noch einmal an den Engel der Gemeinde von Ephesus. Der auferstandene Christus lobt den Engel für „deine Werke und deine Mühsal und deine Geduld“. Aber er spricht auch offen an, was nicht richtig ist: „Aber ich habe gegen dich, dass du die erste Liebe verlässt. So denke nun daran, wovon du abgefallen bist, und tue Buße und tue die ersten Werke!“ (Offenbarung 2,2-5). In der Gemeinde von Philadelphia nennt der auferstandene Christus keinerlei Fehler, und in der Gemeinde von Laodizea nennt er keinerlei positive Eigenschaften. Typischer sind aber die anderen fünf Gemeinden. Sie alle haben Stärken, die gewürdigt werden, und Fehler, an denen gearbeitet und für die Buße getan werden soll. Es zeigt sich also, dass der Engel einer Gemeinde meist eine Mischung aus Stärken und Schwächen, Gutem und Schlechtem ist. Wieder genauso wie bei uns einzelnen Menschen. Zweitens ist der Engel einer Gemeinde grundsätzlich passiv. Nicht der Engel verändert die Gemeinde. Die Veränderung geschieht in umgekehrter Richtung. Was die Gemeinde entscheidet und wie sie sich verhält, verändert auch den Engel. Das heißt, wir sollen nicht etwa im Gebet den Engel der Gemeinde selbst ansprechen. Ein Beispiel: Eine Gemeinde hat eine „Armutsmentalität“ und spendet für karitative und missionarische Zwecke daher nur am Jahresende – „wenn denn etwas übrig ist“. Dann kommt vielleicht ein Missionar zu Besuch und fordert sie zu einem großzügigeren Lebensstil heraus, bei dem sie monatlich zu spenden wagen. Sie fangen damit an und stellen fest, dass sie es können. Vor dem Hintergrund dieser guten Erfahrung beschließen sie, im nächsten Jahr den Betrag zu erhöhen. Der Engel dieser Gemeinde ist nun nicht mehr „knauserig“, sondern „offenherzig“, und diese Veränderung ist das Ergebnis schwieriger Entscheidungen der Gemeinde. Das dürfte eigentlich keine Überraschung sein. Schließlich wissen wir, wie sich Menschen verändern, je nachdem, wie sie auf ihre eigenen Erfahrungen reagieren. Der eine versucht etwas Neues und scheitert zunächst; also beschließt er, nicht aufzugeben, bis er das Problem in den Griff bekommen hat. Der andere dagegen zieht sich nach dem gleichen Erlebnis 108
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zurück und meidet jedes weitere Risiko. Die Umstände sind die gleichen, doch die unterschiedlichen Reaktionen spiegeln den Charakter eines Menschen wider und prägen ihn zugleich. So ist es auch bei einer Gemeinde. Bevor wir jedoch über die Veränderung des Engels der Gemeinde nachdenken, müssen wir diesen Engel erst einmal bestimmen und benennen.
Den Engel einer Gemeinde benennen Es braucht Zeit, bis man den Engel einer Gemeinde beschreiben bzw. benennen kann. Schon einen uns bekannten Menschen in seiner Persönlichkeit zu beschreiben, braucht ja Zeit. Außerdem muss die Beschreibung beständig überarbeitet und aktualisiert werden. Am besten bezieht man die Eindrücke möglichst vieler Menschen ein, um den Engel einer Gemeinde zu bestimmen. Schließlich ist die Gemeinde ja selbst eine Gemeinschaft von Menschen. Obwohl bei einem solchen Entdeckungsprozess immer auch der Einzelne für sich arbeitet, ist es wichtig, als Gruppe gemeinsam zu arbeiten. Dabei entsteht in jedem Fall ein reichhaltigeres und umfassenderes Bild. Ein Regionalbischof sagte vor kurzem, beinahe im Vorbeigehen: „Die Gemeinde in dieser Gegend ist reaktiv, sie ist am Untergehen. Und sie sieht sich ständig als Opfer.“ Er hatte den Engel der Gemeinde in dieser Gegend erkannt. Das Leitungsteam einer Gemeinde dachte über die eigene Gemeinde nach und identifizierte sie als grundsätzlich zuversichtlich, vielfältig und hektisch. Ein schönes Beispiel aus dem „säkularen“ Kontext bringt Reverend Angela Tilby (sie arbeitete früher für die BBC) im folgenden Auszug einer Ansprache (aus einer unveröffentlichten Ansprache, die sie 1998 in der Diözese Durham hielt). Ich las Walter Winks Material zum ersten Mal in dem Jahr, in dem die BBC ihre religiöse Programmabteilung von London nach Manchester verlegte. So war ich auf einmal selbst mit der Geschichte eines gemeinsamen Ethos’ konfrontiert, die mir neu war … Zu der Zeit, als ich die BBC verließ, hatte ich das Gefühl, den Engel der BBC-Nord ziemlich gut zu kennen. Ich wusste, er war ein freundlicher, aber reizbarer Engel, ängstlich darauf bedacht, gemocht zu werden, defensiv, stolz, neidisch, ein bisschen vorlaut und ein „Maulheld“, aber nett und aufmerksam, wenn man ihn mit Respekt behandelte … Als ich die BBC verließ, hatte ich das Gefühl, es könnte nützlich sein zu versuchen, das Wesen des Engels zu erkennen. Nicht nur, weil wir uns selbst darin wiederfinden können, sondern weil es uns hilft, unsere Aufgabe in den Institutionen und Orten, an die wir geschickt werden, zu entdecken. Denken Sie daran, 109
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Engel sind von Gott ernannt. Sie sind Teil der geschaffenen Realität des Lebens von Nationen und Institutionen. Sie haben Gottes Ruf erhalten. Sie können Berufungen beschützen und unterwandern.
Mit dem Engel einer Gemeinde arbeiten Das Hauptziel bei der Arbeit mit dem Engel der Gemeinde ist, zu entdecken, wie dieser Engel vitaler werden kann. Maßstab für Vitalität ist die Ähnlichkeit mit Jesus Christus. Mit dem Engel einer Gemeinde zu arbeiten bedeutet, das Positive zu bestätigen und sich mit dem Negativen auseinanderzusetzen, so wie es in den sieben Briefen an die Gemeinden in der Offenbarung geschieht. Die „Persönlichkeit“ einer Gemeinde soll reifer werden, damit sie Jesus Christus umfassender widerspiegelt. Bei diesem Zugang rührten wir an etwas viel Grundlegenderes und Wichtigeres, als wenn wir Gemeinde nur als Organisation verstanden hätten. Es folgen einige Arbeitsschritte, die sich für diesen Bereich herausgebildet haben.
Den Engel der Gemeinde bestimmen Zu Beginn muss der Engel der Gemeinde natürlich erst einmal bestimmt werden. Auch wenn das der Ausgangspunkt ist, ist diese Arbeit allerdings niemals abgeschlossen. Denn der Engel verändert sich ständig, in Reaktion auf das, was im Leben der Gemeinde geschieht. Es ist dennoch immens wichtig, mit dieser Arbeit zu beginnen, wenn sich im Leben einer Gemeinde wirklich etwas ändern soll. Gemeinden profitieren davon, wenn in einem kontinuierlichen Prozess über den Engel ihrer Gemeinde nachgedacht wird. Kapitel 12 (Übung zum Engel der Gemeinde) enthält einige Ideen, wie man den Engel einer Gemeinde bestimmen kann. Wenn wir eine Vorstellung von der Identität des Engels der Gemeinde haben, gilt es als Nächstes herauszufinden, wie man mit diesem Engel arbeitet.
Den Engel der Gemeinde ansprechen Erst wenn wir eine Vorstellung davon haben, wer jemand ist und wo er „herkommt“, können wir uns ernsthaft mit ihm unterhalten. Wenn wir jemandem zum ersten Mal begegnen, stellen wir daher häufig viele Fragen. Wir brauchen zumindest einen ersten Eindruck vom Andern, bevor wir ehrlich miteinander ins Gespräch kommen können.
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Kapitel 9 Der Engel der Gemeinde
In seiner Auseinandersetzung mit dem Rassismus in Amerika erkannte Martin Luther King, dass es wichtiger war, Haltungen zu ändern als Gesetze. Daher sprach er das an, was er die „Seele Amerikas“ nannte. Anstatt von einem Gegenüber von Schwarz und Weiß zu sprechen, sprach er über Amerika als „das Land der Freien“. Aber nicht alle seien frei, sagte er. Wenn Amerika seiner Bestimmung als Nation gerecht werden wollte, wäre der nächste Schritt nun, diesen Menschen die Freiheit zu schenken. Ein anderer Ansatz war, von Amerika als einer Nation zu sprechen, die zum Durchbrechen neuer Grenzen berufen sei. Und obwohl die Westküste erreicht worden sei, sei dies nicht die „letzte Grenze“ gewesen. Die Grenze, die jetzt durchbrochen werden müsse, sei die Grenze der Rassentrennung. Wenn man den Engel der Gemeinde ansprechen möchte, braucht man viel Klugheit und Fantasie. Einer ängstlichen Gemeinde muss man helfen, sich einigen Ängsten zu stellen, sie anzusprechen und zu überwinden. Eine selbstgefällige Gemeinde muss mit Schmerz, Ungerechtigkeit, Leid, etc. in Berührung kommen. Eine hektische Gemeinde braucht die Erfahrung von Ruhe und Stille und muss sich mit dem beschäftigen, was Vanstone als „die Größe des Wartens“ bezeichnete (William Vanstone: The Stature of Waiting, Darton, Longman & Todd, 1982).
Die Gemeinde durch Lernerfahrungen führen Wer nicht Auto fährt, kann noch so viele Handbücher über das Autofahren lesen und noch so viel über das Innenleben eines Verbrennungsmotors wissen – er wird niemals lernen, Auto zu fahren, wenn er sich nicht in ein Auto setzt und losfährt. Am meisten lernen wir durch das Tun selbst, durch das Ausprobieren. Daher gehört es zur Arbeit mit dem Engel der Gemeinde wesentlich dazu, nach praktischen „Lernerfahrungen“ zu suchen. Ein Kirchengebäude war ursprünglich als Friedhofskapelle gebaut worden und vermittelte ein Gefühl des „Todes“. Das wirkte sich nicht nur auf die Atmosphäre des Gebäudes, sondern auch auf die Gemeindekultur aus. Also organisierte der Pfarrer ein besonderes Requiem für alle Verstorbenen. Daraufhin nahmen viele Gemeindeglieder wahr, dass sich die Atmosphäre verändert hatte und dass die „Todeshand der Vergangenheit“ an Wirkung verlor. Eine kleine ländliche Gemeinde lebte ihren Glauben sehr zurückhaltend. Die Gemeindeglieder taten sich mit einer Gruppe zusammen, die nach Taizé fuhr. Die Erfahrung von Taizé war so beeindruckend und unterschied sich so stark vom normalen Gemeindeleben, dass die Gemeinde dadurch verwandelt wurde. Große Bauprojekte haben oft einen ähnlichen Effekt auf eine Gemeinde wie der Auszug aus Ägypten: Man erlebt viele der Merkmale einer vitalen 111
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Gemeinde, einfach deswegen, weil man sich den Herausforderungen eines solchen Projekts stellt.
Die „Berufung“ einer Gemeinde erkennen Walter Wink unterscheidet grundlegend zwischen der gegenwärtigen Persönlichkeit einer Gemeinde und dem, was sie ihrer Berufung nach werden soll. Bei allem, was bisher gesagt wurde, geht es um den Versuch, diese „gegenwärtige Persönlichkeit“ zu bestimmen. Die andere Hälfte der Definition ist ebenfalls wichtig, besonders wenn beide Hälften zusammengesetzt werden. In den Sendschreiben der Offenbarung ist der Ursprung dieser Berufung der auferstandene Christus. Das wird auf mehrfache Weise deutlich. Zum einen geschieht dies durch die Vision des auferstandenen Christus, die im ersten Kapitel beschrieben wird. Denn in den Sendschreiben wird jede Gemeinde mit einem Aspekt dieser Vision angesprochen. Unser Erbe im Glauben gehört mit zu unserer Berufung heute. Ein weiteres Element ist die Herausforderung in jedem Brief, die zur Struktur der Briefe gehört. Diese Dynamik entgeht uns leicht; denn unserer Vorstellung nach ist die Vision nur eine Frage von Programm und Strategie. Vision bedeutet aber, auf das zu hören, was der auferstandene Christus zu uns sagt – deswegen ist es auch so wichtig, nach Gottes Willen zu suchen. Die Berufung gehört mit zum Schlussteil jedes Briefes. Den Gemeinden wird ein Anteil an dem verheißen, was Gott für die ganze Schöpfung tun wird. Das gleiche gilt auch heute. Bei der Berufung geht es um das, was Gott in seiner Welt tut. Wir entdecken es, wenn wir „aufhören, bei der Kirche anzufangen“ und uns stattdessen auf das konzentrieren, was Gott in seiner Liebe mit der ganzen Welt und mit dem Leben in ihr vorhat. Das ist immer eine anspruchsvolle Berufung; denn wir werden zu einem Teil seines Plans, „alles zu einem guten Ende zu bringen“ (Robin Greenwood: Practising Community: The Task of the Local Church, SPCK, 1996, S. 28). Damit knüpfen wir auch an das heutige Missionsverständnis an, das Mission als Gottes Mission versteht. Unsere Mission ist davon abgeleitet und besteht darin, uns an Gottes Handeln zu beteiligen. Die Berufung einer Gemeinde lässt sich daher vor allem von den ersten drei Merkmalen einer vitalen Gemeinde ableiten: l unsere Begegnung mit Christus im Glauben: Dieser Glaube gibt uns Kraft und Orientierung und ist das Fundament jeder vitalen Gemeinde. l unser Engagement in der Welt um uns herum: Wir schauen über die Kirche hinaus (wir fangen nicht mehr bei der Gemeinde an, sondern bei Gottes Welt) und richten unseren Blick nach außen. l unsere Suche nach Gottes Willen: durch Gebet, Beschäftigung mit der 112
Kapitel 9 Der Engel der Gemeinde
Bibel, unser Erbe im Glauben und unsere Fähigkeit, gemeinschaftlich über Gottes Reden zu uns in unserer gegenwärtigen Lage nachzudenken Damit ergibt sich auch ein ganz neuer Ansatz im Blick darauf, was auf die Tagesordnung einer Ortsgemeinde kommt. Im Zuge von Leitbildprozessen werden ja oft umfassende, überwiegend statistische Erhebungen durchgeführt, um die Bedürfnisse einer Gemeinschaft oder eines Umfelds festzustellen. Daraus wird dann ein Programm entwickelt. Solche Programme sind jedoch oft doppelt demotivierend: Zum einen stellen sie Gemeinden vor unmöglich zu bewältigende Aufgaben; zum anderen zeigen sie in keiner Weise auf, woher die Energie für diese Aufgaben kommen soll. In den letzten Jahren sind zahlreiche Leitbilder, „mission statements“ oder Maßnahmenpläne erstellt worden. Viele von ihnen kranken daran, dass sie einfach nur beschreiben, was die Gemeinde bereits tut, oder dass sie reine Wunschlisten sind. Wenn man Leitbilder nicht fantasievoll einsetzt, dann tragen sie oft nur wenig dazu bei, Gottes Willen für eine Gemeinde herauszufinden. Die entscheidende Aufgabe ist, sich mit der Berufung einer Gemeinde zu beschäftigen, mit den konkreten Gaben einzelner Gemeindeglieder und mit dem Glauben, der – eigentlich – die Energiequelle des Gemeindelebens sein sollte. Auf diese Weise hilft man der Gemeinde, sich neu auszurichten und auf das Wesentliche zu konzentrieren. Das ist in jedem Fall besser, als unter einem unerreichbaren Programm zu ersticken.
Nächste Schritte Die Arbeit mit dem Engel der Gemeinde kann einer Gemeinde dabei helfen, realistische Fortschritte zu machen: Erstens, nach der Bestimmung der Persönlichkeit der Gemeinde in der Gegenwart und ihrer Berufung für die Zukunft wird erkennbar, wie der Weg vom ersten zum zweiten Punkt aussehen kann. Bei der Suche nach dem Engel der Persönlichkeit in der Gegenwart entschied sich eine Gemeinde für einen Engel, der ein großes Musikinstrument spielte und sich zugleich dahinter versteckte. Um den Engel herum war das Bild rot und golden gefärbt. Aus ihrer Sicht lag der Fokus der Gemeinde auf Anbetung und auf der Erfahrung der Gnade Gottes (hier kamen die Farben ins Spiel). Zugleich bemerkte die Gemeinde, dass sie sich hinter ihren wunderschönen Gottesdiensten versteckte. In ihrem Umfeld vor Ort wurde sie gar nicht sichtbar, und auch mit ihrem Glauben trat sie nie an die Öffentlichkeit. Der Engel der Berufung war ein weltlicher Engel in der Gestalt einer Hausfrau von heute. Darin sahen sie ihre Berufung, viel stärker mit der Welt in Kontakt zu treten, Glaube und Alltag zu verbinden. Der erste Schritt auf diesem Weg, so erkannten sie, war ein ehrlicher Um113
TEIL 3: DAS GROSSE GANZE SEHEN
gang mit Zweifeln, Ängsten, Uneinigkeit und Auseinandersetzungen. Sie wollten sich von der Vorstellung lösen, Glaube komme dadurch zum Ausdruck, dass immer „alles bestens“ sei, auch wenn jeder weiß, dass das nicht stimmt. Damit waren sie auf dem Weg zu ihrer Berufung und zu mehr Vitalität. Zweitens, das Wort „Engel“ bedeutet wörtlich „Bote“. Als Bote bringt der Engel Gottes Berufung für seine Gemeinde mit sich, er geht schwanger mit ihr, bringt sie zur Welt und pflegt sie. Denn die Berufung der Gemeinde erzählt von Gottes Liebe, mit der er sich auf die Welt einlässt. Wenn man den Engel der Berufung erkennt, lassen sich die Spiritualität einer Gemeinde und ihre konkrete Planung ganz eng miteinander verbinden. Die Gemeinde beginnt, Gottes Berufung für sie auszuleben. Wenn das geschieht, dann verkörpert die Gemeinde die Gute Nachricht. Sie wird eine lebendige Veranschaulichung von dem, was sie glaubt und was sie an andere weitergeben möchte – als einladende und engagierte Gemeinschaft im Glauben.
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Kapitel 10 Die Übung zum Gemeindeprofil vorbereiten
TEIL 4: ÜBUNGEN FÜR VITALE GEMEINDEN
KAPITEL 10 DIE ÜBUNG ZUM GEMEINDEPROFIL VORBEREITEN
In diesem Kapitel sind folgende Elemente enthalten: l ein Überblick über die fünf Schritte in der Gemeindeprofil-Übung l ein Abschnitt über die Vorbereitung der Gemeindeprofil-Übung l eine Beschreibung der verschiedenen Arten, die Gemeindeprofil-Übung durchzuführen l eine Darstellung der unterschiedlichen Möglichkeiten, das „Vitale Gemeinde“-Material anzuwenden l einige Gedanken zu dem Geist, in dem die Übung durchgeführt wird l ein Leitfaden zu den sieben Merkmalen, der bei Gruppenarbeiten, als Basis für eine Predigtreihe und als Grundlage für die persönliche Betrachtung eingesetzt werden kann Abbildung 1 (auf S. 117) gibt einen Überblick über den gesamten „VitaleGemeinde“-Prozess.
Die Gemeindeprofil-Übung im Überblick Die Übung soll l einführen in die sieben Merkmale einer vitalen Gemeinde, wie sie in den Kapiteln 2, 3 und 4 vorgestellt werden; l zum Nachdenken anregen über die Vitalität der eigenen Gemeinde vor dem Hintergrund dieser Merkmale; l Maßnahmen benennen helfen, um die Vitalität der eigenen Gemeinde zu verbessern. Die Gemeindeprofil-Übung konzentriert sich auf die ersten beiden dieser Ziele und schließt damit, erste mögliche Maßnahmen zu erörtern. Die Vorbereitung auf diese Übung ist das Thema dieses Kapitels. Die Gemeindeprofil-Übung besteht aus fünf Schritten, die wie folgt zusammengefasst werden können: 115
TEIL 4: ÜBUNGEN FÜR VITALE GEMEINDEN
Schritt 1: Die sieben Merkmale vorstellen Jemand gibt eine kurze Einführung (am besten nicht länger als fünf Minuten pro Merkmal) zu jedem der sieben Merkmale. Während dieser Einführung oder im Anschluss daran wird jede anwesende Person gebeten, die Gemeinde auf einer Skala von 1 (niedrig) bis 6 (hoch) zu bewerten.
Schritt 2: Das Gemeindeprofil erstellen Die einzelnen Bewertungen werden gesammelt und auf ein großes Raster (Flipchart-Größe) übertragen, so dass alle das Profil der Gemeinde vor Augen haben.
Schritt 3: Über das Gemeindeprofil nachdenken Das Gemeindeprofil ist die grafische Darstellung des Lebens der Gemeinde – aus Sicht der Teilnehmer der Übung und gemessen an den sieben Merkmalen einer vitalen Gemeinde. Mit diesem Bild vor Augen denkt die Gruppe nun darüber nach, was dies über das Leben ihrer Gemeinde aussagt. Üblicherweise werden dabei drei Fragen gestellt: l Was sind unsere Stärken? l Wo gehen die Bewertungen weit auseinander und was sagt dies aus? l Was hält uns zurück und muss angesprochen werden?
Schritt 4: Woran muss gearbeitet werden? Im Anschluss an das Gespräch aus Schritt 3 folgt nun eine Übung, in der die Gruppe konkrete Bereiche benennt, in denen gehandelt werden muss. Dazu werden von den Teilnehmern sogenannte Maßnahmen-Listen ausgefüllt. Jeder Teilnehmer soll also ein oder zwei der Stichpunkte aus der Zusammenfassung (Schritt 3) nennen, auf die man seiner Meinung nach achten sollte. Wenn sein Anliegen in keinem der Stichpunkte vorkommt, bittet man ihn, das Thema selbst zu formulieren.
Schritt 5: Maßnahmen planen Während der Übung selbst kann man nur kurz und sehr vorläufig überlegen, was praktisch getan werden könnte. Für die Planung der meisten Maßnahmen braucht man mehr Zeit, und dafür sollte im Gesamtablauf bald nach der Übung auch genügend Raum sein. Damit beginnt die Umsetzungsphase. Diese Phase hat mehrere Elemente, unter anderem: l gemeinsam entscheiden, über welche Bereiche geredet werden muss; l eine Liste von möglichen Maßnahmen erstellen, die in Frage kommen; l den einen nächsten Schritt auswählen, der am besten geeignet ist (am besten immer ‚eins nach dem anderen‘); l genaue Pläne entwerfen, wie die beschlossenen Maßnahmen umgesetzt werden sollen; l den Fortschritt beobachten; 116
Kapitel 10 Die Übung zum Gemeindeprofil vorbereiten
Abb. 1: Überblick über den gesamten Prozess Die Gemeindeprofil-Übung Schritt 1. Die sieben Merkmale vorstellen Die Teilnehmer bewerten die Gemeinde anhand der Merkmale.
Schritt 2. Das Gemeindeprofil erstellen Die Einzelbewertungen werden auf ein Raster in FlipchartGröße übertragen.
Schritt 3. Über das Gemeindeprofil nachdenken Was sagt es über Stärken und Schwächen im Leben der Gemeinde aus?
Schritt 4. Woran muss gearbeitet werden? Ausgehend von den Ergebnissen in Schritt 3: Worauf sollte man sich jetzt gedanklich und in der Praxis konzentrieren?
Schritt 5. Maßnahmen planen (vorläufig) mögliche Maßnahmen sammeln und mit der Entscheidungsfindung beginnen
Umsetzungsprozess Maßnahmen planen (Fortsetzung): – – – – – –
Was soll getan werden, von wem, mit welchen Mitteln, in welchem Zeitrahmen, mit Rückmeldung an wen, von wem begleitet?
Vereinbarte Maßnahmen umsetzen in die Praxis umsetzen, was vereinbart worden ist
Den Fortschritt beobachten Dies erfolgt durch die Teilnehmer des jeweiligen ‚Projekts‘ selbst ebenso wie durch die entsprechenden ‚Verantwortlichen‘.
Die Planung weiter entwickeln Dazu kann gehören: – Abändern der geplanten Maßnahmen vor dem Hintergrund neuer Erfahrungen – Ersetzen der geplanten Maßnahmen auf Grund einer neuen Entwicklung – Weitergehen und sich mit dem nächsten Bereich des Gemeindelebens befassen, an dem gearbeitet werden soll
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TEIL 4: ÜBUNGEN FÜR VITALE GEMEINDEN
l das Erreichte feiern; l bestehende Maßnahmen fortführen, überprüfen oder, wenn nötig, durch andere ersetzen; l weitergehen zum nächsten Bereich, über den man sprechen und für den man Maßnahmen planen möchte. Bei diesem Prozess konnte immer wieder beobachtet werden, dass vitale Gemeinden in der Lage sind, an einem Punkt auch einmal länger zu arbeiten und weiterzumachen, selbst wenn Hindernisse auftauchen. Weniger vitale Gemeinden haben meistens eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne. Sie werden müde, wenn ihre Probleme nicht schnell gelöst werden, und wenden sich anderem zu. Die Folge ist, dass sie weder von dem profitieren, was funktioniert, noch von dem lernen, was nicht zum gewünschten Ergebnis führt. Sie ziehen also immer den Kürzeren. Sobald eine Gemeinde ihre ersten Vorhaben umgesetzt hat, kann sie die Übung mit Gewinn wiederholen. Sie kann einen neuen Bereich bestimmen, der bearbeitet werden soll, und den Prozess über mehrere Jahre hin mehrfach wiederholen. Dieses Kapitel gibt zwar auch einige Hinweise zur Umsetzungsphase, doch im Mittelpunkt steht die Durchführung der Gemeindeprofil-Übung. Hilfen zur Umsetzungsphase finden sich in Teil 2 des Handbuchs (Die Entstehung vitaler Gemeinden), besonders in Kapitel 6 (Vitale Gemeinden entwickeln).
Die Übung vorbereiten Der Zeitrahmen Der gesamte Prozess umfasst drei einstündige Sitzungen, wobei frei steht, ob sie an einem Stück oder nacheinander stattfinden. Man kann den Ablauf zwar auch straffen, allerdings hat das seinen Preis. Letztlich kürzt man so vor allem an der Zeit zum Nachdenken und zum Gespräch, und genau das ist der wichtigste und kreativste Teil. Der Ablauf kann allerdings in vielfältiger Weise an örtliche Bedürfnisse angepasst werden. Möglichkeiten dazu finden sich in dem Abschnitt zur Kurzversion der Übung (S. 141f) und in dem Abschnitt über verschiedene Möglichkeiten, das Material einzusetzen (S. 123). Ein großzügiger Zeitrahmen ist aber in jedem Fall förderlich für einen entspannten und kreativen Austausch. Wenn mehr als ein Treffen geplant ist, sollte zwischen den einzelnen Treffen nicht mehr als eine Woche liegen. Wenn man die Übung im Rahmen von zwei Treffen durchführt, kann sich nämlich die Zusammensetzung der Gruppe verändern. Den neu Hinzugekommenen muss dann erst erklärt werden, was stattgefunden hat. 118
Kapitel 10 Die Übung zum Gemeindeprofil vorbereiten
Die Gemeindegruppe festlegen
l Mindestens fünf Personen einer Gemeinde sind nötig, damit die Übung funktioniert. Wenn weniger Personen beteiligt sind, sollte man den ganzen Prozess eher als Gespräch denn als Übung angehen und den Papieraufwand auf ein Minimum beschränken. Am besten funktioniert die Übung mit einer Gruppe von 10 bis 25 Menschen. l Wenn mehrere Gemeinden beteiligt sind, müssen diese zunächst entscheiden, ob sie als Verband oder als einzelne Gemeinden arbeiten möchten oder in einer Kombination aus beidem. Hier gibt es nicht den einen richtigen Weg. l Größere Gemeinden (> 150) finden es manchmal ergiebiger, die Übung mit jeder ihrer größeren Gruppen durchzuführen.
Mit wem sollte die Übung durchgeführt werden
l Üblicherweise mit einem Gemeindekirchenrat (bzw. Kirchenvorstand, Presbyterium) oder einer Leitungsgruppe l Manche Gemeinden haben die Übung mit ganzen Gemeindeversammlungen durchgeführt. Die größte einzelne Gemeindegruppe bisher bestand aus über 120 Personen. Die Übung funktionierte gut, aber man musste sich schon genau überlegen, wie die Bewertungen auf ein Flipchart (oder besser eine Overhead-Folie) übertragen werden sollten. l Zum Teil wurde auch mit einer repräsentativen Gruppe von Mitgliedern gearbeitet (z.B. ältere, jüngere oder neuere Mitglieder). Diese Gruppe wurde der Leitungsgruppe häufig als „Kontrollgruppe“ zur Seite gestellt. Wenn man das tut, sollte die Leitungsgruppe die gesamte Übung am besten zuerst selbst durchführen, bevor man sich die Bewertungen der anderen Gruppe anschaut. Man sollte außerdem darauf hinweisen, dass mögliche Unterschiede zwischen der Leitungsgruppe und der Kontrollgruppe an sich noch nichts darüber aussagen, wer nun die Gemeinde richtig einschätzt. l Zum Teil wurde auch mit den regelmäßigen Gottesdienstteilnehmern gearbeitet. In diesem Fall war die Übung oft mit einer Predigtreihe über die sieben Merkmale verbunden. Jeder einzelne bekam eine Karte, auf der er die Gemeinde bewerten sollte im Blick auf das Merkmal, über das gerade gepredigt worden war. Hier ist zu beachten, dass die Anzahl der Bewertungen für jedes Merkmal gleich groß ist, denn eine größere Versammlung in der einen Woche wird das entsprechende Merkmal höher bewerten als eine kleinere Versammlung. Am einfachsten nimmt man also prozentuale Bewertungen vor: Für jede 10 Prozent wird ein Strich gemacht. Wenn also 60 Prozent der Versammlung ein Merkmal mit „3“ bewerten, werden sechs Striche gemacht. l Manche Gemeinden kombinieren auch mehrere der genannten Möglichkeiten.
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TEIL 4: ÜBUNGEN FÜR VITALE GEMEINDEN
Den Raum vorbereiten
l Wählen Sie einen gut geheizten/belüfteten Raum. l Verschiebbare Stühle anstatt fester Sitze sind wichtig. l Genügend Raum ist nötig, damit die Teilnehmer umhergehen und kleine Gruppen bilden können. l ein Flipchart mit genügend Stiften und Papier l die Liste der sieben Merkmale auf einem Papier von Flipchart-Größe, wie in Abbildung 2a (s.u.) l den Leitfaden für die Bewertung (Anhang 2) auf Folie oder Flipchart l Overhead-Projektor und Leinwand, wenn diese genutzt werden l Erfrischungen für die Teilnehmer vorbereiten Abbildung 2a: Gemeindeprofil-Blatt Merkmal
1 niedrig
2
3
4
5
6 hoch
Insgesamt
1. Wir beziehen Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus 2. Wir richten den Blick nach außen 3. Wir finden heraus, was Gott heute will 4. Wir wagen Neues und wollen wachsen 5. Wir handeln als Gemeinschaft 6. Wir schaffen Raum für alle 7. Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche
Handouts für alle Teilnehmer – in der Reihenfolge, in der sie eingesetzt werden: l Gemeindebewertungs-Bogen (Anhang 1) l die Zusammenfassung der sieben Merkmale (Anhang 4) l Maßnahmenliste (Anhang 5) Am besten teilt man diese Blätter nicht alle am Anfang aus, sondern jeweils dann, wenn im Text darauf hingewiesen wird. 120
Kapitel 10 Die Übung zum Gemeindeprofil vorbereiten
Helfer Die Übung kann (besonders bei einer Gruppe von 20 oder weniger Teilnehmern) von einem Einzelnen durchgeführt werden. Dennoch hat es große Vorteile, Helfer hinzuzunehmen, besonders bei den praktischen Vorbereitungen, auch wenn die Gruppe weniger als 20 Teilnehmer hat. Drei Helfer sind ein guter Richtwert, es sei denn, die Gruppe ist sehr groß und benötigt entsprechend größere Ressourcen. Zur Hilfe gehören praktische Fragen wie die Vorbereitung des Raums und die Versorgung mit Getränken zur Begrüßung und während der Pausen. l Das Gemeindeprofil-Blatt erstellen: Einer kreuzt die Kästchen auf dem Gemeindeprofil-Blatt an (Abb. 2b, S. 134), und die anderen lesen die „Punktwertungen“ auf den Gemeindebewertungs-Blättern vor, die bereits gesammelt worden sind. Wenn es also drei Helfer gibt, kann jeder ein Drittel der Blätter nehmen und abwechselnd die Kreuzchen für jedes Merkmal vorlesen. Alle drei können außerdem dabei helfen, die Werte zu addieren und die Summen auf dem Gemeindeprofil-Blatt auszufüllen (für die Einzelheiten siehe S. 134f). l Listen erstellen: Woran soll gearbeitet werden? – Hier wird für jedes Merkmal ein weiteres Blatt in Flipchart-Größe angelegt, auf dem die vorgeschlagenen Maßnahmen aufgelistet werden. Teilen Sie die Blätter zwischen den Helfern auf. Stellen Sie sicher, dass sie das Merkmal oben auf das Blatt schreiben und dann alle Punkte, die angesprochen werden, aufschreiben.
Wie man die Gemeindeprofil-Übung durchführen kann Wir machen in diesem und dem folgenden Kapitel einen Vorschlag zum Ablauf der Übung. Das heißt nicht, dass man das Material nur auf diese Weise nutzen kann. Man sollte allerdings nicht vergessen, dass dieser Ablauf das Ergebnis langjähriger Erfahrung und vieler Testläufe ist. Das meiste davon hat sich einfach als am effektivsten herausgestellt. Hier nun einige der Strukturen:
Das Standardmodell Normalerweise wird die Übung dabei an einem Samstag (seltener an einem Sonntag) durchgeführt, von ca. 10.30 Uhr bis 15.30 Uhr (mit Pausen für Kaffee und ein gemeinsames Mittagessen), oder an einem Vormittag von ca. 9.30 Uhr bis 13 Uhr, mit mindestens einer Kaffeepause in der Mitte, während der das Profil entwickelt wird (Schritt 2).
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TEIL 4: ÜBUNGEN FÜR VITALE GEMEINDEN
Das Zwei-Sitzungen-Modell Normalerweise trifft man sich dabei an zwei Abenden (mit ein oder zwei Wochen Abstand). Der erste Teil kann entweder eine gute Stunde dauern – bis die Gemeinde so weit ist, dass das Gemeindeprofil erstellt werden kann (in der Zeit vor der nächsten Sitzung). Der zweite Teil wird dabei entsprechend länger dauern (wenn möglich etwa zwei Stunden). Oder aber während des ersten Treffens werden die sieben Merkmale vorgestellt, das Gemeindeprofil erstellt und erste Eindrücke zum Profil gesammelt (Schritte 1-3). Beim zweiten Treffen kann man dann dort anknüpfen und bis zum Ende des ganzen Prozesses weiterführen. Dieser Ansatz hat den Vorteil, dass die beiden Treffen gleich lang sind.
Das Predigtreihen-Modell Einige Gemeinden stellen die Merkmale durch eine Predigtreihe vor; entweder mit einer Predigt über ein einziges Merkmal oder über zwei auf einmal, entlang der Kapitel 2 bis 4. Normalerweise erhält die Gemeinde dabei ein Gemeindebewertungs-Blatt zum jeweiligen Merkmal, das ausgefüllt und abgegeben werden soll. Während der gesamten Predigtreihe wird so ein Großteil der Gemeinde an der Bewertung vieler Merkmale beteiligt. Die Zahl der abgegebenen Bewertungen wird allerdings nicht konstant sein; dies ist auch bei der Erstellung des Gemeindeprofils zu beachten. Am einfachsten rechnet man also mit Prozentsätzen. Nach Abschluss der Schritte 1 und 2 kann man den Rest des Prozesses in einem einzelnen, zweistündigen Treffen durchgehen. Dennoch lohnt es sich, zwei neunzigminütige Sitzungen zu planen: Die erste Sitzung behandelt die Schritte 3 und 4 und die zweite Sitzung Schritt 5. So kann man ohne Zeitdruck arbeiten, was den Prozess oft kreativer macht.
Kombination mit der Übung zum Engel der Gemeinde Man kann das Material auch so einsetzen, dass man die GemeindeprofilÜbung mit den Übungen zum Engel der Gemeinde kombiniert (siehe Kapitel 12). Das kann auf zwei verschiedene Arten geschehen: So kann man z.B. einen Tag einer Gemeindefreizeit oder Gemeindeklausur nutzen, von ca. 10 bis 16 Uhr. Die Gemeindeprofil-Übung findet dann zwischen 10 und 13 Uhr statt. Wenn man dabei eine halbstündige Kaffeepause einplant (in der das Gemeindeprofil entwickelt wird), bleiben zweieinhalb Stunden zum Arbeiten. Man hat also etwas weniger Zeit als sonst; das lässt sich am besten dadurch ausgleichen, dass man einen Großteil von Schritt 5 (Maßnahmen planen) auf ein künftiges Treffen der Leitungsgruppe o.ä. verschiebt. Nach einem gemeinsamen Mittagessen (etwa 45 Minuten) kann an dem Engelmaterial gearbeitet werden. Das funktioniert meistens gut, da es anschaulicher ist, die Teilnehmer in Bewegung bringt und sie so nach dem Essen wachhält. Zusätzlich kann man für den Nachmittag eine 15minütige Kaffeepause einplanen. 122
Kapitel 10 Die Übung zum Gemeindeprofil vorbereiten
Eine andere Möglichkeit, die beiden Übungen zu kombinieren, hat als erste die Diözese Rochester ausprobiert. Hier gibt es zwei Phasen: In der ersten Phase stellt zunächst der Pfarrer bzw. Gemeindeleiter oder ein externer Moderator die Merkmale einer vitalen Gemeinde vor. Diese Phase reicht bis zur Erstellung eines Gemeindeprofils (Schritt 2) in einer Abendveranstaltung. Die zweite Phase dauert vier Stunden und findet z.B. am folgenden Samstag statt (üblicherweise von 10 – 15 Uhr). Die erste Phase sollte jedenfalls nicht mehr als zehn Tage her sein. An diesem Tag teilt der Moderator die Zeit folgendermaßen ein: l Erste Stunde: Die Idee des Engels der Gemeinde wird vorgestellt und erläutert. Es wird gezeigt, wie man diesen Engel bestimmen kann. Am Ende werden Bilder von Engeln gezeigt und ein Blick auf den „Engel der Persönlichkeit“ geworfen. l Zweite Stunde: Nach einem weiteren Impuls zum Gedanken des Engels der Gemeinde wird daran gearbeitet, den „Engel der Berufung“ für die Gemeinde zu bestimmen. l Dritte Stunde: Jetzt wird mit dem „Engel der gegenwärtigen Persönlichkeit“ und dem „Engel der Berufung“ gearbeitet. Die Aufgabe ist zu bestimmen, was es bedeutet, von einem zum anderen zu kommen. l Vierte Stunde: Hier knüpft man an die bereits getane Arbeit zum Gemeindeprofil an und zugleich an die Arbeit zur Bestimmung des Wegs vom „Engel der Persönlichkeit“ zum „Engel der Berufung“. Darauf folgen die letzten drei Schritte der Gemeindeprofil-Übung (Schritte 3 bis 5). Am Ende werden einige Pläne umrissen, wie wir unsere Bemühungen am besten auf die Vitalität der Gemeinde konzentrieren können.
Mit Bildern von Christus David Brierley, der Missionsbeauftragte (Canon Missioner) der Diözese Bradford, hat einen eigenen Ansatz entwickelt, bei dem eine Reihe von Bildern und anfassbaren Gegenständen zum Einsatz kommen. Dazu gehören auch Christusbilder. Sie sollen den Teilnehmern helfen auszudrücken, wie sie persönlich aus dem Glauben an Jesus Christus neue Kraft und Orientierung beziehen, und den Christus zu erkennen, der seine Gemeinde heute ruft.
Verschiedene Möglichkeiten, das „Vitale Gemeinden“-Material einzusetzen Während das Material weiterentwickelt und verbreitet wurde, wurde es auf unterschiedliche Arten eingesetzt. Einige Diözesen waren dabei sehr fantasievoll: l In einer Diözese wollte das Mitarbeiterteam des Bischofs das Gefühl der „Distanz“ zwischen den Gemeinden und dem „Zentrum“ verringern. Daher wurde jede Gemeinde von einem Mitarbeiter besucht. Nachdem man sich eine Reihe von Arbeitsformen für solche Treffen angeschaut 123
TEIL 4: ÜBUNGEN FÜR VITALE GEMEINDEN
hatte, entschied man sich für das „Vitale Gemeinde“-Material. Jede Gemeinde wurde gebeten, im Vorfeld des Besuches die Übung durchzuführen. Dieser Prozess dauerte zwei Jahre lang; aus dem Prozess heraus wurde eine Strategie für die ganze Diözese entwickelt, die auf dem „Vitale Gemeinde“-Material aufbaut, um so den Lebensnerv der Diözese, ihr Denken und ihre Arbeitsformen noch mehr zu durchdringen. l Andere Diözesen erlebten das Material als so wertvoll, dass sie alle neuen Pfarrer im zweiten Jahr nach ihrer Einführung baten, die Übung gemeinsam mit ihrer Gemeinde durchzuführen. In dieser Phase haben Pfarrer eine erste Vorstellung vom „Engel der Gemeinde“, können die Lage ihrer Gemeinde aber immer noch relativ objektiv betrachten, da sie bis jetzt mehr übernommen als selbst eingeführt haben. Es ist also ein günstiger Moment, um der Gemeinde zu helfen, sinnvolle Prioritäten zu setzen. l Andere Diözesen benutzen das Material in Gemeinden, deren Pfarrstellen momentan vakant sind. Dafür spricht, dass sich eine Gemeinde zuerst über ihre Entwicklung und Prioritäten für die nächsten Jahre klar werden sollte, bevor sie abschätzen kann, welchen Leitungsstil und welche Leitungsfähigkeiten sie bei ihrem neuen Pfarrer suchen sollte. l Eine andere Diözese hat das Material bei Gemeinden eingesetzt, die kurz vor der Schließung standen. Das Material hilft dann bei der Konzentration auf das wirklich Wichtige, das nötig ist, um den Niedergang der Gemeinde umzukehren. l In einigen Diözesen, die das „Vitale Gemeinde“-Programm nutzten, wurden die Visitationsfragen des Erzbischofs eingesetzt. So wollte man herausfinden, welche Ressourcen sich wie auswirkten und welche der sieben Merkmale in der Diözese am meisten Aufmerksamkeit brauchten. l In mindestens zwei Diözesen haben Mitarbeiter Hilfe von außen gesucht, um zu durchdenken, was es bedeutet, eine „gesunde Diözese wachsen zu lassen“. l In anderen Diözesen wurde das „Vitale Gemeinde“-Material durch Fortbildungen für Pfarrer (Continuing Ministerial Education und PostOrdination Training) eingeführt. Das Ziel war, bewusst eine „Kultur vitaler Gemeinden“ zu fördern. l In einigen Diözesen wurde durch die Arbeit mit dem „Vitale Gemeinde“-Material ein gemeinsamer Rahmen geschaffen, in den alle Pfarrer einbezogen werden. So können sie auch Gemeinden aneinander verweisen, wenn unterschiedliche Merkmale festgestellt wurden, die angesprochen werden müssten. Zweifellos wird das Material noch weiterentwickelt werden, da es an immer mehr Orten eingesetzt wird. Dadurch ergeben sich auch immer mehr Einsatzmöglichkeiten, nicht nur für Diözesen oder die Kirche von England, sondern für viele Kirchen, Freikirchen und Gemeinschaften. 124
Kapitel 10 Die Übung zum Gemeindeprofil vorbereiten
In welchem Geist wird die Übung durchgeführt? Alles bisher Gesagte will unterstreichen: Wichtig ist, wie eine Gemeinde ihr Leben gestaltet. Der wirkliche Unterschied zwischen vitalen und weniger vitalen Gemeinden besteht nicht in dem, was getan wird, sondern in der Art, wie es getan wird. Die Perspektive des Engels der Gemeinde erinnert uns daran: Was wirklich zählt, sind der Geist, das Ethos und das Gefühl, in dem eine Gemeinde handelt, nicht ihre organisatorischen Strukturen. Außerdem hilft es einer Gemeinde am meisten, die Merkmale einer vitalen Gemeinde zu praktizieren, wenn sie sich mit der Gemeindeprofil-Übung auseinandersetzt, ihre Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus bezieht, ihren Blick nach außen richtet, nach dem Willen Gottes heute sucht usw. Daher kommt es wirklich darauf an, wie die Gemeindeprofil-Übung durchgeführt wird. Folgendes ist dabei zu beachten: Es ist ein großes Geschenk für eine Gruppe, wenn sie Raum hat für ein aufrichtiges, persönliches Nachdenken. Diese Arbeit der Reflexion kann man fördern, indem man Momente der Stille und ruhige Zeit zum Nachdenken einbaut. Wenn also zum Beispiel zum ersten Mal das Gemeindeprofil-Blatt gezeigt wird, ist es gut, wenn die Teilnehmer erst in Ruhe darüber nachdenken können, bevor sie sich darüber unterhalten. Die Aufrichtigkeit kann man fördern, indem man als Moderator selbst aufrichtig von sich und seiner Gemeinde erzählt. Außerdem kann man Teilnehmern Hilfestellung geben, wenn sie es schwierig finden, vor anderen (die eventuell anderer Meinung sind) ihre Gedanken in Worte zu fassen. Ein wichtiger Teil der Vermittlungsarbeit bei diesem Prozess ist, den Menschen dabei zu helfen, sich gegenseitig ernsthaft zuzuhören. Zudem ist es sehr wichtig, dass das Gebet und die Ausrichtung auf Gott nicht in den Hintergrund gedrängt werden. Man sollte also nicht nur die Tage und Sitzungen mit Gebet beginnen und beenden, sondern es sollte im Laufe des Prozesses auch Pausen für Gebet und Stille vor Gott geben. Kurze Andachten oder Meditationen zur Mittagszeit, fünf bis zehn Minuten lang, sind oft die Höhepunkte und die erfrischendsten Momente eines solchen Tages. Da ja den ganzen Tag lang sowieso schon viel gesprochen wird, können Veranschaulichungen, Musikstücke und einfach Stille besonders hilfreich sein. Zuletzt ist es auch wichtig, sich auf das Ziel zu konzentrieren: Wir möchten ja entdecken, welche Maßnahmen die Vitalität der Gemeinde am besten stärken und fördern. Wenn wir klar ausgerichtet bleiben auf Gott und auf die Menschen um uns herum, und wenn die Aufgabe klar ist, dann kann diese Übung zum Segen für jeden Einzelnen und von langfristigem Wert für das Leben und die Vitalität der Gemeinde werden.
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TEIL 4: ÜBUNGEN FÜR VITALE GEMEINDEN
Arbeitshilfe für vitale Gemeinden Im ganzen Buch gehen wir davon aus, dass die Merkmale einer vitalen Gemeinde Ausdruck des Lebens Christi in der Ortsgemeinde sind. Um diese Merkmale besser zu verstehen und zu erfassen, hilft besonders die Beschäftigung mit der Bibel. Die folgende Arbeitshilfe wurde auf unterschiedliche Arten genutzt: l von Gruppen, die die Merkmale genauer kennen lernen möchten, um sie in Beziehung zu setzen mit dem Leben Christi und dem Leben der Jünger; l von Predigern, besonders da, wo eine Gemeinde plant, eine Predigtreihe zu den Merkmalen einer vitalen Gemeinde durchzuführen; l von Moderatoren: als Hilfe und Hintergrundinformation, um eine Gemeinde durch die Gemeindeprofil-Übung zu führen; l von Einzelnen, die über die Merkmale der vitalen Gemeinde nachdenken möchten, im Blick auf ihre eigene Gemeinde und ihr eigenes Leben in der Nachfolge Jesu. Merkmal 1: Wir beziehen Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus Textstellen zur Bibelarbeit Kolosser 3,17 l Was ist das Besondere an der Kirche? l Wozu sind wir berufen, und was müssen wir auf dem Weg dahin ändern? l Was müssen wir ändern, um unsere Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus zu beziehen? Matthäus 15,21-28: Warum erweckt Jesus hier den Eindruck, dass er schwer zu erreichen ist? Alternative Textstellen Lukas 1,39-45: Was geschieht denn hier? Micha 5,1-4 (und Galater 4,19): Womit sollen wir als Gemeinde „schwanger“ sein? Zum Nachdenken Die Kirche ist dazu berufen, das Leben Jesu Christi zu verkörpern. Jesus sagt: Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, was er den Vater tun sieht. (Johannes 5,19) Merkmal 2: Wir richten den Blick nach außen Textstellen zur Bibelarbeit Lukas 10,25-37 l Was kostet es, ein barmherziger Samariter zu sein? 126
Kapitel 10 Die Übung zum Gemeindeprofil vorbereiten
l Wer sind heute unsere „Nächsten“? l Wer in unserer Umgebung ruft gerade um Hilfe? Jesaja 42,1-9: Wozu ist die Kirche da? Zum Nachdenken Die Kirche ist dazu berufen, das Leben Jesu Christi auszudrücken. Der ganze Dienst Jesu war von der Überzeugung geprägt: Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab. (Johannes 3,16) Merkmal 3: Wir finden heraus, was Gott heute will Textstellen zur Bibelarbeit Lukas 10,38 – 11,13 l Worum geht es beim Christsein, und worum geht es also auch in der Kirche? l Welchen Platz haben Stille und Nachdenken in unserem Leben und in der Gemeinde? l Worauf kommt es im Leben wirklich an? l Kolosser 3,1-14: Welcher Art von Gemeinde würde Gott beitreten wollen? Zum Nachdenken Die Gemeinde ist dazu berufen, dem Leben Jesu Christi Ausdruck zu verleihen. Jesus sagte als Kind: Ich muss in meines Vaters Haus sein. (Lukas 2,49) Merkmal 4: Wir wagen Neues und wollen wachsen Textstellen zur Bibelarbeit Matthäus 5,17-20 l Warum fallen uns Veränderungen so schwer? l Wo ist Veränderung nötig? l Was hilft uns dabei, Dinge zu ändern und selbst verändert zu werden? l Können Sie sich an eine Veränderung zum Besseren erinnern, die in Ihrer Gemeinde stattgefunden hat? Was kann man aus ihr lernen? 2. Mose 18,13-27: Was hilft dabei, Veränderung herbeizuführen? Zum Nachdenken Die Gemeinde ist dazu berufen, das Leben Jesu Christi auszudrücken. Jesus selbst lebte die Wahrheit: Wenn ein Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. (Johannes 12,24) Merkmal 5: Wir handeln als Gemeinschaft Textstellen zur Bibelarbeit Epheser 4,1-16 oder 4,25 – 5,2 l Was ist also die Grundlage einer vitalen Gemeinde, Paulus? l Müssen wir alle gleich sein? 127
TEIL 4: ÜBUNGEN FÜR VITALE GEMEINDEN
l Was können wir selbst zu einer vitalen Gemeinde beitragen? Markus 10,35-45: Was können wir tun, um eine vitale Gemeinschaft aufzubauen? Zum Nachdenken Die Gemeinde ist dazu berufen, das Leben Jesu Christi zu verkörpern. Er hat die Seinen geliebt bis zum Ende und gesagt: Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt. (Johannes 13,35) Merkmal 6: Wir schaffen Raum für alle Textstellen zur Bibelarbeit Jesaja 65,17-25 l Was steht auf Gottes Tagesordnung? l Wer arbeitet sonst noch an Gottes Tagesordnung mit? l Wie können wir mitmachen bei dem, was sie tun? l Matthäus 8,1-8 (oder 1-17): Was hat er nur in ihnen gesehen? Zum Nachdenken Die Gemeinde ist dazu berufen, das Leben Jesu Christi zu verkörpern. Jesus sagte zu seinen Jüngern: Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern, dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele. (Matthäus 20,28) Merkmal 7: Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche Textstellen zur Bibelarbeit Markus 1,14-15 und 21-39 l Was sah Jesus als seine Aufgabe und Berufung an? l Warum ist Jesus sich so klar über die Aufgabe, die er zu tun hat? l Und wie kann unser Leben, wie können unsere Gemeinden diesem Vorbild folgen? Matthäus 11,25-30: Warum sind wir so beschäftigt? Zum Nachdenken Die Gemeinde ist dazu berufen, das Leben Jesu Christi zu verkörpern. Von ihm wurde gesagt: Er hat alles wohl gemacht. (Markus 7,37)
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Kapitel 11 Die Gemeindeprofil-Übung
KAPITEL 11 DIE GEMEINDEPROFIL-ÜBUNG
Dieses Kapitel zeigt, wie die Gemeindeprofil-Übung durchgeführt wird, dazu gehört auch ein detaillierter Ablaufplan. Abbildung 3 gibt einen Überblick über den gesamten Prozess. Das Kapitel enthält außerdem eine Kurzversion (90 Minuten). Es lohnt sich, dieses Material sorgfältig zu studieren. Das Material wurde in der Praxis erprobt und soll so zugänglich wie möglich sein. Dennoch kann es die Durchführung der Übung selbst mit einer Gemeinde nicht ersetzen. Machen Sie sich das Material also zu eigen und passen Sie es auf Ihre Situation und Erfordernisse an, so wie es für Sie am günstigsten ist. Der folgende Ablauf geht von drei einstündigen Sitzungen aus, entsprechend sind auch die Zeitangaben für die einzelnen Elemente innerhalb jeder Sitzung konzipiert. Es sind nur Vorschläge, aber sie sind das Ergebnis vieler Erfahrungen aus der Praxis. Bei der ersten Sitzung ist es meistens am schwierigsten, sich auf eine Stunde zu beschränken. Hier kann man etwas Zeit gewinnen, indem man die anderen Abschnitte kürzt. Wenn man allerdings zu stark kürzt, erstickt das den kreativen Austausch und reduziert so den Wert der Übung.
Der Ablauf im Einzelnen Alles Folgende sollte nicht als unveränderliche Regel gelesen werden, sondern als Leitfaden, der sich in der Praxis bewährt hat. Manche werden vielleicht schon beim ersten Einsatz des Materials einiges anders gestalten wollen, als wir es vorschlagen. Andere dagegen möchten mit dem Material vielleicht erst einmal auch so arbeiten, wie es vorgestellt wird. Später entwickeln sie dann eine eigene Version, wenn sie merken, was am besten für sie ist. Die Zeitangaben sind als Empfehlungen, nicht als Vorgaben gedacht. Sie sollen Anhaltspunkte vermitteln, wie lang jede Phase erfahrungsgemäß dauert. Das ist vor allem dann hilfreich, wenn Ihnen das Material noch neu ist. Außerdem helfen die Zeitangaben den Leitern des Prozesses, besser abzuschätzen, ob noch Zeit ist oder ob man den Prozess beschleunigen sollte. Zeitangaben in der Überschrift gelten für einen ganzen Abschnitt, kursiv gedruckte Zeitangaben für jeden einzelnen Teil des Abschnitts.
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TEIL 4: ÜBUNGEN FÜR VITALE GEMEINDEN
Abbildung 3: Die fünf Schritte des Gemeindeprofil-Übung Die Gemeindeprofil-Übung – Ablauf Schritt 1: Die sieben Merkmale vorstellen Die Teilnehmer bewerten die Gemeinde für jedes Merkmal.
Schritt 2: Das Gemeindeprofil erstellen Die Einzelbewertungen werden auf ein Raster in Flipchart-Größe übertragen.
Die Merkmale 1 und 2 vorstellen – den Gemeindebewertungs-Bogen austeilen – den Bewertungsleitfaden vorstellen und erläutern – Die Teilnehmer geben Bewertungen für die Merkmale 1 und 2 ab. – Bewertungen für die Merkmale 3 und 4 – Bewertungen für die Merkmale 5, 6 und 7 Kopien des Blattes „Zusammenfassung der sieben Merkmale“ austeilen – Die Teilnehmer übertragen die Bewertungen auf das Blatt. – die Gemeindebewertungs-Bögen einsammeln
Drei Teilnehmer erstellen das Gemeindeprofil-Blatt auf dem Flipchart (das Raster vor Beginn der Veranstaltung erstellen)
Schritt 3: Über das Gemeindeprofil nachdenken Was sagt es uns über die Stärken und Schwächen im Leben der Gemeinde?
Schritt 4: Woran müssen wir arbeiten? Ausgehend vom Austausch von Schritt 3: Worauf sollten wir uns jetzt konzentrieren, gedanklich und im Handeln?
Schritt 5: Maßnahmen planen (Vorüberlegungen) mögliche Maßnahmen benennen und mit der Entscheidungsfindung beginnen
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Das Gemeindeprofil-Blatt zeigen Die Teilnehmer tauschen sich in Zweier- und Dreier-Gruppen über die Ergebnisse aus. Danach im Plenum: Was sind unsere Stärken? – Beobachtungen und Beispiele sammeln Wo und warum haben wir unterschiedlich bewertet? (bei größeren Schwankungen) – Beobachtungen und Beispiele sammeln Was hält uns zurück? – Beobachtungen und Beispiele sammeln
Das vollständige Gemeindeprofil lesen – Die Teilnehmer tauschen sich in Dreiergruppen darüber aus, woran gearbeitet werden muss. – Maßnahmenlisten austeilen – Gespräch im Plenum
Ein Flipchart für jedes Merkmal erstellen – alle Vorschläge auf den Maßnahmenlisten aufschreiben – über mögliche Maßnahmen diskutieren – Maßnahmen planen
Kapitel 11 Die Gemeindeprofil-Übung
Sitzung 1 (1 Stunde) Papiere für die Sitzung 1 (Kopiervorlagen für alle Papiere finden sich im Anhang.) auf Flipchart/Overhead-Projektor: (nur) Titel jedes Merkmals, Bewertungsleitfaden, Gemeindeprofil-Blatt Für jeden Teilnehmer: Gemeindebewertungs-Bogen, Zusammenfassung der sieben Merkmale
Schritt 1: Die sieben Merkmale vorstellen (30-40 min) Einführung (5-10 min) Die Teilnehmer und gegebenenfalls den Moderator begrüßen und mit Gebet beginnen. Den Hintergrund und das Ziel der Übung vorstellen. Dabei empfiehlt es sich, folgende Punkte zu erwähnen: l Das Material basiert auf einer Analyse wachsender Gemeinden in der Diözese Durham. l Anschließend wurde es nach ähnlichen Übungen in fünf anderen Diözesen ausgearbeitet. l Die Gemeinden deckten alle sozialen Kontexte (ländlich, städtisch, vorörtlich, Stadtzentrum und ehemalige Bergwerksorte), alle Gemeindetraditionen, alle Altersgruppen unter den Hauptamtlichen und alle Gemeindegrößen ab. l Das Material ist das Ergebnis einer Untersuchung, was wirklich in Gemeinden passiert, anstelle einer „Theorie“ darüber, was passieren müsste. Beten Sie. Die Merkmale 1 und 2 vorstellen (6 min) Wenn Sie die Merkmale einer vitalen Gemeinde vorstellen, sollten Sie bei jedem Merkmal Folgendes beachten: l Zeigen Sie jeweils nur den Titel des Merkmals (z.B. Wir beziehen Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus) auf dem Flipchart/dem Overhead-Projektor. l Nennen Sie den Untertitel (den „anstatt“-Text). l Stellen Sie ein paar der Stichpunkte vor: „In einer vitalen Gemeinde wird es wahrscheinlich so sein, … .“ l Dann lesen Sie einige oder alle Stichpunkte vor. l Veranschaulichen Sie das Merkmal/die Stichpunkte mit ein oder zwei Geschichten darüber, „wie dies in anderen Gemeinden aussieht“. Es hat sich bewährt, den Teilnehmern in dieser Phase nicht schon alle Stichpunkte zu zeigen, da dies zu viel Information auf einmal sein kann. Die Teilnehmer sollen zunächst nur behalten, was mit „Kraft und Orientierung 131
TEIL 4: ÜBUNGEN FÜR VITALE GEMEINDEN
aus dem Glauben an Jesus Christus beziehen“, „den Blick nach außen richten“ usw. gemeint ist. Nachdem die beiden ersten Merkmale vorgestellt wurden: Verteilen Sie die Kopien des Gemeindebewertungs-Bogens (Anhang 1) an jeden Teilnehmer. Bitten Sie die Teilnehmer, erst nach den folgenden Hinweisen anzufangen: l Bewerten Sie so, wie Sie denken, nicht wie Sie denken, dass die anderen denken könnten. l Beraten Sie sich nicht mit anderen; wir wollen wissen, was Sie denken. l Denken Sie daran, dass alles anonym ist. l Nutzen Sie das volle Spektrum der Bewertung. Gehen Sie nicht auf Nummer sicher, und seien Sie nicht zu höflich. l Bewerten Sie in dieser Phase nur die ersten beiden Merkmale. l Bewerten Sie, indem Sie die entsprechende Ziffer einkreisen. Zeigen Sie den Bewertungsleitfaden (Anhang 2) auf dem Flipchart/Overhead-Projektor. Lassen Sie Zeit für die Hinweise und die Bewertung selbst (3 min). Die Merkmale 3 und 4 vorstellen (5 min) Wiederholen Sie die oben genannten Hinweise für die Bewertung. (Übrigens: Alternativ kann man die Bewertung auch nur nach dem dritten und siebten Merkmal durchführen.) Dann bitten Sie die Teilnehmer, nur diese nächsten zwei Merkmale zu bewerten (2 min). Die Merkmale 5, 6 und 7 vorstellen (8 min) Wiederholen Sie die oben genannten Hinweise für die Bewertung. Dann bitten Sie die Teilnehmer, diese letzten drei Merkmale zu bewerten (1 min). Die Gemeindebewertungs-Bögen einsammeln (5 min) Wenn die Teilnehmer ihre Bewertung abgeschlossen haben: l Teilen Sie das Blatt Zusammenfassung der sieben Merkmale (Anhang 4) aus. l Bitten Sie die Teilnehmer, ihre Bewertung auf diese Zusammenfassung zu übertragen. (Erläutern Sie: Das geschieht deswegen, weil Sie gleich die Gemeindebewertungs-Bögen einsammeln werden, um so ein Gemeindeprofil zu erstellen. Sie brauchen einen Beleg dafür, wie Sie jedes Merkmal bewertet haben. Deswegen sollten Sie die Bewertung zu jedem Merkmal auf dem Blatt Zusammenfassung der sieben Merkmale mit vermerken.) l Sammeln Sie die Gemeindebewertungs-Bögen ein, um das Gemeindeprofil zu erstellen. 132
Kapitel 11 Die Gemeindeprofil-Übung
Beachten Sie: Es hat sich bewährt, dass die Teilnehmer ihre Bögen abgeben, statt jeweils ihre Bewertung vorzutragen. Denn die Menschen neigen dazu, ihre Bewertungen an das, was sie von den anderen hören, anzupassen. Z.B. schämen sie sich vielleicht dafür, wie niedrig (oder hoch) sie die Gemeinde bewertet haben. Während einer Pause zwischen den Sitzungen erstellen Sie dann das Gemeindeprofil.
Zwischen Sitzung 1 und Sitzung 2 Schritt 2: Das Gemeindeprofil erstellen (10-25 min) Das Gemeindeprofil-Blatt (Anhang 3) ausfüllen (10 min) Orientieren Sie sich an den dazu gegebenen Hinweisen (siehe „Helfer“Abschnitt auf S. 121) und vervollständigen Sie das Gemeindeprofil-Blatt. Achten Sie dabei auf Folgendes: l Benutzen Sie einen dicken Filzstift: Schwarz ist am besten zu sehen. l Machen Sie einen Strich für jede Bewertung. Wenn acht Personen ein Merkmal mit 2 bewertet haben, schreiben Sie keine „8“ in die „2“Spalte, sondern machen acht deutliche Striche. Die Striche sind anschaulicher. Siehe dazu Abbildung 2b. Die „Summe“-Spalte (Abbildung 2c, S. 135) zeigt jeweils den Zahlwert an. l Falls mehr als 30 Personen anwesend sind, sollte man schon im Voraus planen, wie man die Bewertungen am besten überträgt (z.B. kann man Prozentwerte angeben). Normalerweise wird diese Arbeit von einer kleinen Gruppe während einer Pause ausgeführt. Falls es keine Pause gibt, sollte man das Gemeindeprofil-Blatt dennoch nicht vor den Augen von Gemeindemitgliedern ausfüllen. Stattdessen kann man sich hinten im Raum hinstellen oder die Tafel umdrehen, so dass sie mit der Rückwand zur Gruppe steht. Ansonsten werden die Teilnehmer von dem abgelenkt, was sie gerade tun sollen.
133
TEIL 4: ÜBUNGEN FÜR VITALE GEMEINDEN
Abbildung 2b: Die Bewertungen in das Gemeindeprofil-Blatt eintragen Merkmal
1 niedrig
2
1. Wir beziehen Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus 2. Wir richten den Blick nach außen
I
I
3. Wir finden heraus, was Gott heute will 4. Wir wagen Neues und wollen wachsen
I
II
5. Wir handeln als Gemeinschaft 6. Wir schaffen Raum für alle 7. Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche
II
3
4
5
III
II
I
II
I
I
III
III
II
I
II
II
I
III
III
II
I
6 hoch
Summe
I
I
Die Summen-Spalte ausfüllen (siehe Abbildung 2c, S. 135) (10 min) Die Zahlenangaben werden genutzt, weil es zwar für manche Menschen anschaulicher ist, die Bewertung sichtbar vor sich zu haben (in Form von Strichen), andere sich jedoch lieber an einer Liste mit Zahlen orientieren. So können sie hohe und niedrige Bewertungen sofort ablesen. Zwei Bewertungsmethoden schlagen wir vor, aber natürlich lassen sich auch noch weitere entwickeln. Das Punkte-Modell Für jedes Merkmal: l Geben Sie für jeden Strich in der Spalte 1 einen Punkt. l Geben Sie für jeden Strich in der Spalte 2 zwei Punkte, usw. l Bilden Sie für jedes Merkmal die Summe der Punkte. l Tragen Sie diesen Wert in die Summen-Spalte für das Merkmal ein. Siehe Tabelle 1 auf S. 135; hier betragen die Summen für die Merkmale 36 und 45. Beachten Sie: Stellen Sie sicher, dass die Summe der Striche bei jedem Merkmal gleich ist, ansonsten wird die Bewertung verzerrt.
134
Kapitel 11 Die Gemeindeprofil-Übung
Abbildung 2c: Die Summen-Spalte ausfüllen Merkmal
1 niedrig
2
1. Wir beziehen Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus 2. Wir richten den Blick nach außen
I
I
3. Wir finden heraus, was Gott heute will 4. Wir wagen Neues und wollen wachsen
I
II
5. Wir handeln als Gemeinschaft 6. Wir schaffen Raum für alle
II
3
4
5
III
II
I
22
II
I
I
18
III
III
21
II
I
15
II
II
I
6 hoch
I
Summe
25
I
III
III
II
I
1
2
3
4
5
6
Summe
Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus beziehen –
2
4
5
–
–
36
1
3
2
4
1
45
7. Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche
13
16
Tabelle 1 Merkmal
Den Blick nach außen richten
–
Das Modell „Abstand zum Ziel“ Dieser Ansatz eignet sich besonders dann, wenn die Gruppe sehr groß oder die Zeit sehr knapp ist. Für jedes Merkmal: l Addieren Sie die Gesamtzahl der Striche in den Spalten für 4-6 Punkte. l Ziehen Sie davon die Gesamtzahl der Striche ab, die in den Spalten für 1-3 Punkte stehen. l Schreiben Sie diese Zahl in die Summen-Spalte. Siehe Tabelle 2, S. 136, in der der „Abstand zum Ziel“ für die Merkmale –1 und +3 beträgt. 135
TEIL 4: ÜBUNGEN FÜR VITALE GEMEINDEN
Tabelle 2 Merkmal
1
2
3
4
5
6
Summe
Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus beziehen –
2
4
5
–
–
-1
1
3
2
4
1
+3
Den Blick nach außen richten
–
Sitzung 2 (1 Stunde) Papiere für Sitzung 2 auf Flipchart/OHP: Das ausgefüllte Gemeindeprofil-Blatt für jeden Teilnehmer: Maßnahmenliste (Anhang 5)
Teil 1 Schritt 3: Über das Gemeindeprofil nachdenken (25-30 min) Dies tut die Gruppe als Ganze. Das Gemeindeprofil-Blatt hängt dabei an einem Flipchart, so dass jeder es sehen kann. Um die Diskussion mit der ganzen Gruppe in Gang zu bringen, kann man die Teilnehmer zunächst bitten, sich in Zweier- oder Dreier-Gruppen darüber auszutauschen, was ihnen auf dem Gemeindeprofil-Blatt am meisten auffällt (4-5 min). Dann lassen Sie sie als ganze Gruppe über folgende Fragen nachdenken: Was sind unsere Stärken? (7-10 min) Dies kann vom Gemeindeprofil-Blatt „abgelesen“ werden. l grafisch – Wo ist die Mehrheit der Striche platziert? l zahlenmäßig – Was steht in der Summen-Spalte? Lassen Sie die Gruppe ihre eigenen Beobachtungen machen, und beantworten Sie die Fragen nicht selbst. Manchen Gemeinden fällt es schwer, etwas als Stärke zu bezeichnen, und andere tun sich schwer damit, Schwächen einzugestehen. Es gilt sowohl für Gemeinden als auch für einzelne Menschen, dass Reife (Vitalität) sich darin zeigt, die eigenen Begabungen und Schwächen realistisch einzuschätzen. Manchmal haben die Mitglieder einer Gemeinde noch nie in dieser Form miteinander gesprochen. Daher gilt es, sensibel zu reagieren, wenn Schwierigkeiten auftreten oder auch Aufregung oder das Gefühl der Erleichterung, dass „wir endlich ehrlich miteinander sein können“. Das kann vor allem das Verhältnis von Gemeindemitgliedern zur Leitung betreffen. Vielleicht hat man sich vorher nicht getraut, die eigene bzw. eine andere Ansicht zu vertreten als die Leitung. 136
Kapitel 11 Die Gemeindeprofil-Übung
Mit am besten kann man Menschen ihre Eindrücke entlocken, indem man sie bittet, ihre Anmerkungen über Stärken oder Schwächen mit Beispielen aus ihrer eigenen Erfahrung zu ergänzen. Falls noch Zeit ist, kann es sehr aufschlussreich sein, zusätzlich zu fragen: „Wie ist es zu diesen Stärken gekommen?“ Die Antworten auf diese Frage sind nicht unbedingt einfach oder offensichtlich. Trotzdem hilft die Suche nach Antworten auch bei der Frage nach dem, was uns zurückhält. Zum Beispiel stellte eine Gemeinde nach intensivem Nachdenken fest, dass alle echten Fortschritte im Leben der Gemeinde in den letzten 20 Jahren mit einer Vision begonnen hatten, die ein oder zwei Gemeindemitglieder hatten. Diese Vision breitete sich in der Gemeinde aus, sie wurde beharrlich verfolgt und so zu einem Teil des Gemeindelebens selbst. Die Gemeinde stellte nun nüchtern fest, dass solche Entwicklungen normalerweise gut 10 Jahre brauchten, um zu reifen und sichtbare Frucht hervorzubringen. Ein Beispiel dafür war die Entwicklung von einer Gemeinde mit 50 Erwachsenen – ohne Kinder oder Jugendliche – hin zu einer Gemeinde mit 60 Erwachsenen und 50 Kindern und Jugendlichen. Das war eine große Veränderung, aber sie dauerte zwölf Jahre. Es kann schon sehr aufschlussreich sein, einfach nur diese Frage zu stellen und ein paar Minuten Zeit für spontane Antworten zu geben. Zusätzlich empfiehlt es sich zu sagen, dass die Gruppe an dieser Frage auch noch ein paar Wochen lang zu ‚kauen‘ haben wird. Wo sind wir unterschiedlicher Meinung? (7-10 min) Es ist wichtig, besonders die Merkmale genauer anzuschauen, bei denen die Bewertungen weit auseinandergehen. Dafür kann es mehrere Gründe geben. So können Menschen dasselbe Thema unter unterschiedlichen Aspekten betrachten. Zum Beispiel kann bei einer hohen Bewertung für das Merkmal Wir richten den Blick nach außen die Unterstützung von Mission in Übersee im Blick sein. Eine niedrige Bewertung dagegen hat das schwächere missionarische Engagement der Gemeinde vor Ort vor Augen. Ebenso können hohe Bewertungen für das Merkmal Wir handeln als Gemeinschaft von den Mitgliedern eines Hauskreises stammen. Niedrige Bewertungen kommen dann möglicherweise von anderen, die zurzeit nicht Mitglied einer Kleingruppe sind. Weiterhin kann ein breites Spektrum an Bewertungen darauf hindeuten, dass unterschiedliche Meinungen bisher nicht angesprochen oder aus Angst vor Konflikten unterdrückt wurden. Diese Meinungsverschiedenheiten dürfen nun durchaus zu Tage treten, selbst wenn dadurch Konflikte sichtbar werden. Solche Spannungen können für die Gruppe sogar wichtig sein: Die Teilnehmer lernen, zu ihren Unterschieden ehrlich zu stehen, auf das zu hören, was andere sagen, und mit Unterschieden zu leben. Bei tiefer137
TEIL 4: ÜBUNGEN FÜR VITALE GEMEINDEN
gehenden Meinungsverschiedenheiten kann es nötig sein, dass die Gruppe weitere Gespräche dazu verabredet. Allerdings sollte sie sich nicht schon jetzt durch umfassende Debatten über knifflige theologische Fragen davon abbringen lassen, die Übung zu Ende zu führen. Was hält uns zurück? (7-10 min) Hier schauen wir uns die Merkmale mit den niedrigen Bewertungen an. Nach einem ersten allgemeinen Austausch über die niedrigen Bewertungen kann man mit den folgenden Fragen noch tiefer ansetzen: l Wo zeigt sich das im Leben unserer Gemeinde? l War das schon immer so? l Wenn ja, warum ist das unserer Meinung nach der Fall? l Wenn nicht, was hat zu dieser Entwicklung geführt?
Sitzung 2 Teil 2 Schritt 4: Woran müssen wir arbeiten? (15 min) In Schritt 3 wurde zunächst allgemein über Stärken und Schwächen nachgedacht. Jetzt geht es darum, konkrete Bereiche zu bestimmen, in denen gehandelt werden soll. Wir entwickeln Pläne, wie die festgestellten Probleme angegangen werden. Erklären Sie, dass wir nun darüber nachdenken, woran gearbeitet werden soll. Bitten Sie die Teilnehmer, sich noch einmal die Zusammenfassung der sieben Merkmale anzusehen, die bei Schritt 1 ausgeteilt wurde. Bitten Sie die Teilnehmer, die Zusammenfassung durchzulesen und dabei zu überlegen, welchem Merkmal man momentan am meisten Aufmerksamkeit widmen sollte (2 min). Dann tauschen sich die Teilnehmer in 3er-Gruppen darüber aus, „woran wir arbeiten müssen“ (5 min). Teilen Sie die Maßnahmenlisten aus. Bitten Sie die Teilnehmer, ihre Blätter selbst auszufüllen, ohne sich mit anderen darüber zu beraten. Dabei sollen sie sich an den folgenden Hinweisen orientieren (5 min): Nach allem, was Sie bisher gehört und gedacht haben: Was ist Ihre Meinung – woran müssen wir am meisten arbeiten? Um diese Frage zu beantworten, l benennen Sie das Merkmal, das Ihrer Meinung nach angesprochen werden soll (bitte nennen Sie höchstens zwei mögliche Merkmale). l Wenn Sie mit einem oder mehreren der Stichpunkte zu den Merkmalen übereinstimmen, schreiben Sie diese Worte auf (z.B. beim ersten Merkmal „Motivation“ oder „wachsender Glaube“). 138
Kapitel 11 Die Gemeindeprofil-Übung
l Wenn keiner der Stichpunkte ausdrückt, was Sie denken, dann ergänzen Sie Ihre eigenen Worte – möglichst knapp, in einem Satz. Zum Beispiel kann das eigentliche Problem das gegenseitige Zuhören sein, das herzliche Willkommenheißen von Besuchern oder unser gemeinsames Gebetsleben. In diesem Fall sind dies die Schlüsselworte, die auf die Maßnahmenliste geschrieben werden sollten. Erläutern Sie, dass Sie die Maßnahmenlisten der Teilnehmer einsammeln möchten. So können Sie sich zuvor noch die wichtigsten Ergebnisse notieren. Dazu können Sie die Ergebnisse auf die Zusammenfassung der sieben Merkmale übertragen und zu jedem Merkmal ihre eigenen Ideen dazuschreiben (3 min). Als Nächstes gilt es, aus den eingesammelten Maßnahmenlisten aller Teilnehmer gemeinsame Listen zu erstellen. Das geschieht am besten während einer Pause. Wenn es keine Pause gibt, kann man eine Gesprächsrunde einschalten zu der Frage: „Was ist Ihre Meinung – woran müssen wir arbeiten?“ Währenddessen können dann die gemeinsamen Listen erstellt werden. Die Listen erstellen (zwischen den Sitzungen) l Nehmen Sie für jedes Merkmal ein Flipchartblatt. Oben auf dem Blatt steht der Namen des Merkmals (z.B. Wir schaffen Raum für alle). l Schreiben Sie alle Beiträge auf den eingesammelten Maßnahmenlisten auf das Blatt. l Wo nur eines der bereits aufgeführten Stichwörter genannt worden ist (z.B. beim ersten Merkmal „Motivation“), braucht man auch nur die Schlüsselwörter auf die Liste zu übernehmen. l Wenn sich Beiträge wiederholen, machen Sie neben den entsprechenden Punkten einen Strich. Danach hängen Sie die Listen im Raum aus. Normalerweise wird nicht zu jedem Merkmal etwas aufgeschrieben. Das ist auch hilfreich, um die Bandbreite möglicher Maßnahmen einzuschränken. Häufig erhalten einzelne Merkmale oder Themen viele Bewertungen, andere dagegen werden nur einoder zweimal genannt. Daher sollte es möglich sein, höchstens drei oder vier Bereiche auszuwählen, mit denen sich die ganze Gruppe dann beschäftigt.
Sitzung 3 (1 Stunde) Papiere für Sitzung 3 auf Flipchartblättern im Raum verteilt: Namen jedes Merkmals mit allen Beiträgen aus den abgegebenen Maßnahmenlisten (siehe Sitzung 2) für Gruppen: leere Flipchartblätter, um Listen von möglichen Maßnahmen zu erstellen 139
TEIL 4: ÜBUNGEN FÜR VITALE GEMEINDEN
Schritt 5: Maßnahmen planen Möglichkeiten erkunden (45 min) Die Aufgabe ist nun, erste Pläne für die herausgearbeiteten Bereiche zu erstellen. Dabei schlagen wir folgendes Vorgehen vor: l Geben Sie den Teilnehmern Zeit, die Listen durchzulesen. Wenn es irgendwie möglich ist, dann lassen Sie sie herumgehen, um die Listen zu lesen und die zentralen Themen zu bestimmen. Bei einem solchen „Gruppenspaziergang“ kommt es oft zu nützlichen Gesprächen (5 min). l Laden Sie dazu ein, erste Eindrücke mitzuteilen (5 min). l Bestimmen Sie als ganze Gruppe drei oder vier Bereiche, die sich als Kernthemen herausschälen und angesprochen werden sollten (5 min). l Lassen Sie die Teilnehmer eigenständig Gruppen bilden, um an je einem der Themen zu arbeiten. Wenn es für eins der Themen gar keinen Interessenten gibt, merken Sie dieses Thema für künftige Weiterarbeit vor. Wenn die Gruppen ungleich groß sind, macht das nichts. Wenn jedoch besonders viele Teilnehmer – sagen wir mehr als zehn – alle an einem bestimmten Thema arbeiten wollen, dann sollten sie sich in zwei Gruppen aufteilen. l Nun sammeln die Gruppen Ideen, welche Maßnahmen durchgeführt werden können. Dazu erstellen die Gruppen eine Liste von allem, was als Maßnahme in Frage kommt. Die Aufgabe ist, so viele Ideen wie möglich zu entwickeln. Deswegen sollte man hier die Zeit nicht damit verbringen, Ideen schon zu diskutieren oder zu bewerten (15 min). l Danach schreiben die Gruppen ihre Ideen auf einem Flipchartblatt auf. Das Blatt wird vorgezeigt, wenn die Liste der Gruppe vollständig ist (5 min). l Schließlich fragen Sie jede Gruppe nach einem praktischen Vorschlag: Was kann der erste Schritt sein, um den Aspekt des Gemeindelebens, über den sie nachgedacht haben, weiterzuentwickeln (10 min)? Abschluss (15 min) Es ist wichtig klarzustellen: Bei diesem Treffen werden noch keine endgültigen Beschlüsse gefasst. Schließlich braucht man Zeit, um über alle Beiträge und Ideen nachzudenken. Außerdem gibt es wahrscheinlich andere Gruppen oder Gremien in der Gemeinde, die Leitungsverantwortung tragen und daher auch die entsprechenden Entscheidungen zu treffen haben. Allerdings sollten die Teilnehmer Gelegenheit zur Rückmeldung haben: Was haben sie bei der Übung empfunden? Und was ergibt sich aus der gemeinsamen Arbeit an Konsequenzen für die Gemeinde? Dann sollte man möglichst deutlich erklären, wie es weitergeht: Was geschieht mit der Arbeit, die man zusammen geleistet hat; und wie sieht der mögliche Zeitrahmen für konkrete Maßnahmen aus? Dazu gehören auch Informationen darüber, wie die gesamte Gemeinde über dieses Treffen in140
Kapitel 11 Die Gemeindeprofil-Übung
formiert werden soll, wie es ablief und welche Planungen hoffentlich daraus erwachsen. Den Abschluss kann eine Zeit der Stille bilden, in der jeder noch einmal persönlich über den Prozess nachdenkt. Hier kann man gut darauf hinweisen, dass die sieben Merkmale vielleicht deshalb die Merkmale einer vitalen Gemeinde sind, weil sie das Leben Christi widerspiegeln. Er war der Eine, der über alle Maßen seine Kraft und Orientierung aus dem Glauben bezog, seinen Blick nach außen richtete, herausfinden wollte, was Gott will usw. Das bedeutet auch, dass die Merkmale nicht nur eine Wegweisung für das Gemeindeleben sind, sondern auch für unser eigenes Leben. Wir selbst sind ja dazu berufen, in der Nachfolge Christi unsere Kraft und Orientierung aus dem Glauben zu beziehen, den Blick nach außen zu richten, herauszufinden, was Gott heute will usw. Abschluss mit Gebet und gemeinsamer Aufbruch.
90-Minuten-Version der Übung Sie können die gesamte Übung auch in 90 Minuten durchführen, zum Beispiel an einem Abend. Dabei können Sie sich an folgendem Ablauf orientieren: Schritt 1: Die sieben Merkmale vorstellen (35 min) l Beschränken Sie den Beginn mit Begrüßung/Einführung/Gebet auf 5 Minuten. l Stellen Sie die Merkmale jeweils nur 3 Minuten lang vor. l Lesen Sie bei der Vorstellung der Merkmale nicht auch die einzelnen Stichpunkte vor. l Teilen Sie am Ende die Gemeindebewertungs-Bögen (Anhang 1) aus. Erläutern Sie, wie die Bewertung vorgenommen wird. l Zeigen Sie den Leitfaden für die Bewertung (Anhang 2). Die Teilnehmer geben nun die Bewertung für alle Merkmale ab. Schritt 2: Das Gemeindeprofil erstellen (innerhalb von 10 min) l Suchen Sie sich schon vorab Helfer, die nun das Gemeindeprofil-Blatt erstellen (Anhang 3). l In 3er-Gruppen: Die Teilnehmer tauschen sich darüber aus, was ihnen während der Übung am Leben der Gemeinde am meisten aufgefallen ist. l Falls das Gemeindeprofil-Blatt noch nicht fertig ist: Fangen Sie an, mit der Gruppe danach zu fragen, „woran gearbeitet werden muss“. l Sobald das Gemeindeprofil fertig ist, machen Sie mit dem nächsten Schritt weiter. 141
TEIL 4: ÜBUNGEN FÜR VITALE GEMEINDEN
Schritt 3: Über das Gemeindeprofil nachdenken (20 min) l Beschränken Sie die Diskussion über Stärken, Unterschiede und was uns zurückhält auf je 6 Minuten. Schritt 4: Woran muss gearbeitet werden? (10-15 min) l allgemeiner Austausch, ohne Maßnahmenlisten einzusetzen Schritt 5: Maßnahmen planen (10-15 min) l Erläutern Sie, dass alle Ideen beim nächsten Treffen vorgestellt werden. l Erklären Sie, dass jetzt noch nicht der Zeitpunkt für Entscheidungen ist, … l … es jedoch helfen würde, erste Eindrücke zu sammeln. l Laden Sie die Teilnehmer dazu ein, je eine zentrale Maßnahme zu nennen, die sie als wichtig ansehen. An diesem Punkt sind verschiedene Beiträge erwünscht. Allerdings sollte hier noch keine Diskussion über einzelne Punkte stattfinden. Tragen Sie stattdessen so viele Ideen wie möglich zusammen. Beenden Sie das Treffen mit einem Dank an alle, die teilgenommen haben, mit dem Versprechen, an den genannten Themen weiterzuarbeiten, und mit Gebet.
142
Kapitel 12 Übungen zum Engel der Gemeinde
KAPITEL 12 ÜBUNGEN ZUM ENGEL DER GEMEINDE
Dieses Kapitel stellt drei Möglichkeiten vor, wie mit dem Konzept des Engels der Gemeinde gearbeitet werden kann. l mit Bildern von Engeln arbeiten: Bilder von Engeln als Einstieg für die Beschäftigung mit dem Thema nutzen l andere Arbeitsformen: alternative Ansätze, bei denen keine Bilder von Engeln eingesetzt werden l den Engel der Gemeinde bestimmen: eine Reihe von Möglichkeiten, wie Gemeinden den Engel ihrer Gemeinde herausfinden und benennen können Die drei Elemente können je nach Situation für sich stehen, paarweise eingesetzt oder miteinander verknüpft werden.
Mit Bildern von Engeln arbeiten Das Kapitel über den Engel der Gemeinde (Kapitel 9) ist entscheidend, um diese Übung zu verstehen.2 Die Arbeit am Thema ‚Engel der Gemeinde‘ ist für die meisten Menschen unbekanntes Terrain. Daher ist es nötig, diese Übung einzuleiten und zu erläutern. Es kann auch hilfreich sein, einige Vorübungen zu machen (siehe unten „Aufwärmübungen“). Das macht es den Teilnehmern leichter, mehr mit ihrer Intuition und Fantasie zu arbeiten. Es hat sich also bewährt, mit den Vorübungen zu beginnen und nicht sofort in die Arbeit mit Engelbildern einzusteigen. Allerdings erleben die meisten Teilnehmer auch die Übung selbst als sehr angenehm und hilfreich.
Aufwärmübungen Wenn mehrere Gemeinden beteiligt sind, sollten die Teilnehmer in 3erGruppen arbeiten, in denen niemand sonst aus der eigenen Gemeinde dabei ist. Das macht es leichter, die eigene Meinung zu sagen, ohne darüber nachzudenken, ob andere Gemeindemitglieder auch der gleichen Meinung sind. Wenn nur eine Gemeinde mitmacht, macht es dennoch Sinn, in 3er-Gruppen zu arbeiten. 2 Die Übung basiert auf Walter Wink: Unmasking the Powers, Fortress Press, 1986, Kapitel 2. Falls es zeitlich möglich ist, lohnt sich das Lesen sehr; das Kapitel vermittelt wichtiges Hintergrundwissen.
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TEIL 4: ÜBUNGEN FÜR VITALE GEMEINDEN
Welchem Tier ist Ihre Gemeinde ähnlich? Antworten auf diese Frage lauteten z.B.: l „Unsere Gemeinde ist wie ein Elefant: Sie vergisst nie, ist ziemlich träge; und wenn sie sich doch einmal bewegt, kann man nie vorhersehen in welche Richtung.“ l „Unsere Gemeinde ist wie eine gut gezähmte, alternde Katze: Sie ist überhaupt nicht furchterregend, fühlt sich an wie Seide und sträubt sich selten, solange sie alles, was sie braucht, auf dem Tablett serviert bekommt.“ l „Unsere Gemeinde ist wie der Wachhund eines Hirten: Sie ist sehr diszipliniert, bellt viel und freut sich am meisten, wenn alle da sind, wo sie sie haben will.“ Welche Farbe hat Ihre Gemeinde? Diese Frage ist nicht so einfach zu beantworten. Doch die Antwort kann sehr interessante Einblicke ins Wesen der Gemeinde geben. Betonen Sie deutlich – mindestens zweimal –, dass nicht gemeint ist: „Welche Farbe hat Ihr Gemeindegebäude?“, sondern gemeint ist: „Welche Farbe sagt etwas über das Leben der Gemeinde aus?“ Einige Antworten waren sehr erhellend: l „Unsere Gemeinde ist hellgrün“: Hier war die Gemeinde erst vor kurzem ‚gepflanzt‘ worden, und man hatte das Gefühl, alles wächst wie im Frühling. Interessanterweise wurde diese Farbe von zwei Gemeindemitgliedern genannt, die in verschiedenen Gruppen arbeiteten. Solche Ähnlichkeiten sind bei diesen Übungen nicht selten. l „Unsere Gemeinde ist hellbeige“: Diese schöne Antwort wurde so erklärt: „Unsere Gemeinde wirkt meistens uninteressiert und wenig lebendig. Meistens ist sie kaum zu erkennen und unterscheidet sich nicht mehr von ihrer Umgebung. Aber ab und zu rafft sie sich auf und tut etwas wirklich Gutes, und dann glänzt sie.“ l „Unsere Gemeinde ist verblichen pink: Sie wäre „hübsch“, wenn sie nicht so müde wäre, aber sie ist weder allzu robust noch betriebsam.“ Wie ist Ihre Gemeinde? (ein Vergleich – „Unsere Gemeinde ist wie …“) Diese Aufgabe ist noch schwieriger, und den Teilnehmern fällt hierzu nicht immer etwas ein. Trotzdem kann es sehr ergiebig sein, diese Frage zu stellen. Folgende Bilder sind dabei z.B. aufgetaucht: l „Unsere Gemeinde ist wie eine Schubkarre: Nichts bewegt sich, solange du sie nicht anschiebst.“ l „Unsere Gemeinde ist wie ein leeres Schaufenster“: Eine schmerzhaft ehrliche Einsicht, die es der Gemeinde ermöglicht, die Leerstelle in ihrer Spiritualität anzusprechen. l „Unsere Gemeinde ist wie ein Boot“: Das wurde so erläutert: „Einige bei uns rudern mit voller Kraft, aber sie kommen kaum voran, weil anderen die Fahrtrichtung des Bootes nicht gefällt und sie zurückrudern. 144
Kapitel 12 Übungen zum Engel der Gemeinde
Andere wiederum rudern überhaupt nicht, sondern möchten vor allem die Innenseite des Bootes streichen. Wieder andere wollen nur herausfinden, wie sie am besten ans Ufer kommen.“ l „Unsere Gemeinde ist wie eine Jazz-Band: Es gibt bekannte Themen, die sich wiederholen und mit denen wir alle vertraut sind. Aber man kann niemals sagen, wohin es als Nächstes gehen wird. Es gibt viel Beteiligung und viele überraschende Entwicklungen in fast allen Ecken des Gemeindelebens.“
Die Übung mit den Engelbildern Die Mindestausstattung für diese Übung sind natürlich Bilder von Engeln. Eine Sammlung solcher Bilder findet sich zum Beispiel im Buch Angels (Adrian Roberts, Holzschnitte von Pauline Jacobsen: Angels, The Celtic Cross Press, 1998, beziehbar über Ovins Well House, Lastingham, York YO62 6TJ). Es besteht aus 22 ganzseitigen Holzschnitt-Illustrationen biblischer Ereignisse, in denen Engel auftreten. Auch Kunstgalerien, Bücher, Weihnachts- und andere Grußkarten und Kirchen sind Quellen, um eine Sammlung anzulegen. Eine Faustregel besagt, dass die Anzahl der Bilder mindestens doppelt so groß sein sollte wie die voraussichtliche Teilnehmerzahl bei der Veranstaltung. Sorgen Sie dafür, dass Tische bereitstehen. Der Raum sollte so groß sein, dass man sowohl eine Zeit lang auf Stühlen sitzen als auch um die Tische mit den Engelbildern herumgehen kann. Als Richtlinie: Ein knapp zwei Meter großer Tisch bietet Platz für etwa 20 Bilder. Am besten ist es, wenn die Tische im Raum weit verteilt stehen statt alle in einer Ecke. Dadurch ist mehr Platz zum Herumgehen, und ein einzelnes Bild kann von mehr Menschen zugleich betrachtet werden. Die Engelbilder können auch auf dem Fußboden ausgelegt werden. Allerdings sollte man beachten, dass es gerade für ältere Menschen schwierig sein kann, Bilder vom Boden aufzuheben. Zur Einführung in die Übung sollte man einige Hinweise geben: l Wir haben es bei dieser Übung nicht eilig. Nehmen Sie sich die Zeit, die Sie brauchen. l Nehmen Sie in dieser ersten Phase noch kein Bild von den Tischen. Wir werden Ihnen sagen, wenn es so weit ist. l Genießen Sie die Bilder erst einmal einfach wie eine Kunstausstellung. Wir haben hier viele unterschiedliche Bilder; einige sind vielleicht verstörend, andere werden Sie zum Schmunzeln bringen. Einige sind nicht leicht zu verstehen; andere sind einfach schön. l Wenn es so weit ist, ein Bild auszuwählen: Versuchen Sie zu unterscheiden zwischen dem, das Ihnen am besten gefallen hat, und dem, das Sie auswählen. Auswählen sollten Sie das Bild, das Ihrer Meinung nach die Persönlichkeit oder Berufung Ihrer Gemeinde am besten wiedergibt. Es kann also sein, dass Ihnen der Rembrandt oder der Gauguin am meis145
TEIL 4: ÜBUNGEN FÜR VITALE GEMEINDEN
ten zusagt – und trotzdem ist die witzige Weihnachtskarte im Moment vielleicht ein besserer Ausdruck für Ihr Gemeindeleben. l Seien Sie dafür offen, dass ein Engel Sie auswählt. Seien Sie dafür bereit, dass ein Bild Sie anspricht, auch wenn es vielleicht überraschend, rätselhaft und nicht auf Anhieb verständlich ist. Lassen Sie dies zu.
Engel der Persönlichkeit Erinnern Sie kurz daran, dass es bei dem Engel der Persönlichkeit um die gegenwärtige Situation geht: Es geht darum, wie Sie die Gemeinde jetzt sehen, mit allen ihren Fehlern. Überlegen Sie also nicht, „was wohl der Pfarrer denkt …“ oder „Der Rest der Gemeinde sieht das vielleicht anders“. Auch geht es jetzt noch nicht darum, wie wir die Gemeinde gerne hätten. Die Aufgabe ist, ein Bild auszuwählen, das ausdrückt, wie Sie die Gemeinde momentan sehen. Bitten Sie die Teilnehmer, dies jeweils für sich zu tun und sich dabei nicht mit anderen Gemeindemitgliedern zu beraten. Das macht die Aufgabe ja gerade aus: Jeder Einzelne wählt ein Bild aus, das ihn selbst anspricht, und wird dabei nicht durch die Gedanken anderer beeinflusst. Geben Sie den Teilnehmern Zeit, um die Bilder herumzugehen. Wie viel Zeit genau, hängt von der Größe der Gruppe ab, aber normalerweise reichen ungefähr 10 Minuten. Dann bitten Sie die Teilnehmer, ein Bild herauszugreifen und in die 3er-Gruppen zurückzukehren, in denen sie bereits zusammensaßen. Wenn mehr als eine Person dasselbe Bild auswählt, sollte einer davon es zunächst in seiner Gruppe vorstellen und es dann an die andere Person weitergeben, die es dann in ihrer Gruppe vorstellt. Oder aber einer von beiden ist vielleicht auch dazu bereit, ein anderes, ähnliches Bild auszuwählen. Bitten Sie die Teilnehmer darum, nach der Rückkehr zu ihren Plätzen zunächst keine Gespräche zu beginnen, sondern in Ruhe darüber nachzudenken, warum das von ihnen ausgesuchte Bild zu ihnen über ihre Gemeinde spricht. Wenn alle wieder sitzen, laden Sie dazu ein, sich untereinander auszutauschen: Warum haben Sie gerade dieses Bild ausgewählt? Dabei sollte die jeweilige Wahl nicht kommentiert, nicht zustimmend oder ablehnend bewertet werden. Sondern der Austausch soll dem, der ein Bild vorstellt, helfen, genauer herauszufinden, wie das Bild zu ihm über die Gemeinde spricht. Für diesen Austausch brauchen die Teilnehmer genügend Zeit (bei 3erGruppen bieten sich wieder 10 Minuten an). Weisen Sie die Menschen ein paar Minuten vor Ablauf der Zeit darauf hin, wie viel Zeit noch bleibt. So hat jeder noch die Gelegenheit, in der verbleibenden Zeit sein Bild vorzustellen. Am Ende dieser Phase werden die Bilder für den nächsten Teil des Prozesses wieder zurück auf die Tische gelegt. 146
Kapitel 12 Übungen zum Engel der Gemeinde
Engel der Berufung Der nächste Schritt ist das gemeinsame Nachdenken über den Engel der Berufung. Machen Sie bei der Einführung vor allem deutlich: Die Aufgabe ist jetzt, unsere Fantasie, unsere Hoffnungen, Träume, Sehnsüchte und Gebete zum Ausdruck zu bringen. Der Engel, den wir jetzt wählen, soll etwas von dem ausdrücken, wozu aus Ihrer Sicht die Gemeinde berufen ist – berufen, es zu werden und/oder zu tun. Erinnern Sie daran, l in dieser Phase noch nicht mit anderen Gemeindemitgliedern darüber zu diskutieren; l erst dann ein Bild herauszugreifen, wenn dazu aufgefordert wird; l dafür offen zu sein, dass ein Engel „Sie auswählt“. Wenn nach dem Austausch über die ausgewählten Bilder noch Zeit ist, bitten Sie die Teilnehmer, gemeinsam weiterzudenken: Welche Schritte müsste ihre Gemeinde unternehmen, um sich in Richtung dieser Berufung zu bewegen? Wenn mehrere Gemeinden anwesend sind und wenn noch Zeit ist, können die Teilnehmer danach in ihre jeweiligen Gemeindegruppen zurückkehren und sich über ihren „Engel der Berufung“ austauschen. Sie können dann darüber nachdenken, was nötig wäre, um vom „Engel der gegenwärtigen Persönlichkeit“ zum „Engel der Berufung“ zu gelangen. Vor allem, wenn die Konzentration nachlässt, zum Beispiel nach dem Mittagessen: Lassen Sie die Gemeindegruppe gemeinsam entscheiden, welches der Bilder des Engels der Berufung am besten Gottes Berufung für die Gemeinde ausdrückt – dies gemeinsam zu entscheiden, ist aufschlussreich und unterhaltsam und gibt neue Kraft. Damit es funktioniert, müssen die Teilnehmer allerdings auch für ihr Bild argumentieren wollen, statt sich einfach alle dem Bild des Pfarrers anzuschließen!
Andere Arbeitsformen Zeichnen Sie ein Bild, das Ihre Gemeinde darstellt. Einmal zeichnete hier jemand ein älteres Paar, das in einem Bungalow sitzt und fernsieht. Draußen auf einem nahegelegenen Spielplatz war eine große Zahl Kinder zu sehen, die offensichtlich ihren Spaß hatten. Es gab keine Verbindung zwischen den beiden Gruppen. Skulpturen. Benutzen Sie Tonerde oder auch Knetgummi, um etwas zu kreieren, das Gottes Berufung für die Gemeinde aus Ihrer Sicht ausdrückt. Lebende Standbilder. Wenn mindestens sechs Teilnehmer von einer Gemeinde da sind, lassen Sie sie zusammen eine Skulptur bilden, die darstellt, was nach ihrem Empfinden Gottes Berufung für diese Gemeinde ist. Theaterszene. Dafür ist eine Gruppe aus mindestens sechs Personen nötig. Aufgabe ist hier, in die Zukunft zu denken, etwa fünf Jahre weit, und sich 147
TEIL 4: ÜBUNGEN FÜR VITALE GEMEINDEN
vorzustellen: Was würde passieren, wenn die Berufung und Vision, über die wir uns ausgetauscht haben, wahr geworden wäre? Wie sähe das aus? Dann entwickelt die Gruppe eine fünfminütige Szene, die diese Zukunft vor Augen führt. Christusbilder (Das „The Christ We Share“-Paket, eine Gemeinschaftsproduktion von USPG, CMS und der Methodistischen Kirche, beinhaltet 32 Christusbilder auf Karten und Folien. Es bildet einen guten Grundstock für eine Sammlung von Christusbildern.). Wenn Sie eher Zugang zu Christusbildern als zu Engelbildern haben, lassen sich auch diese ähnlich wie die Engelbilder einsetzen. Die erste Frage wäre also z.B., so wie beim Engel der gegenwärtigen Persönlichkeit: „Wer ist der Christus, den diese Gemeinde momentan am leichtesten erkennt?“ Für den Engel der Berufung könnte die Frage lauten: „Wer ist der Christus, dem wir gemäß unserer Berufung nachfolgen sollten?“
Den Engel der Gemeinde benennen Eine Gemeinde kann ihren Engel auf vielen verschiedenen Wegen bestimmen. Viele lassen sich leicht umsetzen, ein paar davon sind unten aufgeführt. Es sind nicht die einzigen Wege, aber sie zeigen, welche Bandbreite an Möglichkeiten es gibt.
Den „typische Kennzeichen“-Ansatz Die Idee ist hier, einige Schlüsselwörter oder Charakteristika zu bestimmen, die die Gemeinde beschreiben helfen. Dabei werden zwei oder drei Begriffe genannt, die den Geist und das Grundgefühl der Gemeinde zum jetzigen Zeitpunkt am besten beschreiben. Bei einer größeren Gruppe wie einem Gemeinderat kann das z.B. so aussehen: l Stellen Sie die Übung vor: Das Ziel ist, die Gemeinde als lebendige Einheit besser zu verstehen. l Bitten Sie einzelne Teilnehmer, das typische Merkmal irgendeiner größeren Gruppierung zu nennen – sei es ein Fußballverein, der Kirchenkreis oder ein großer Arbeitgeber vor Ort. So können sich die Teilnehmer auf die neue Denkweise leichter einstellen und sich entspannen, da die Antworten noch nicht so viel Gewicht haben. l Bitten Sie die Teilnehmer, für sich allein oder in 3er-Gruppen jeweils höchstens fünf Begriffe zu finden, die das Wesen dieser Gemeinde am besten beschreiben. l Schreiben Sie jedes typische Kennzeichen auf einen Klebezettel in Postkartengröße und bitten Sie die Teilnehmer, diese auf ein Flipchartblatt oder an eine Wand (falls ein Flipchartblatt nicht groß genug ist) zu kleben. 148
Kapitel 12 Übungen zum Engel der Gemeinde
l Beziehen Sie die ganze Gruppe ein, um die Zettel zu ordnen; dabei werden sie nach Oberthemen oder Überschriften gruppiert. Lassen Sie die Teilnehmer das selbst tun, auch wenn es chaotisch wirken kann. Es sollte nicht von einem Einzelnen übernommen werden, der alleine vorne steht. Sobald sich Themen herauskristallisieren, schreiben Sie diese mit Filzstift auf die Flipchartblätter über die jeweilige Gruppe von Klebezetteln. Achten Sie darauf, welche Schlüsselthemen sich ergeben. Sobald einige Schlüsseleigenschaften bestimmt sind, überlegen Sie für jede der Eigenschaften: Wie kann diese Eigenschaft weiter gepflegt werden, wenn es eine gesunde Eigenschaft ist – bzw. wie kann man an ihr arbeiten, wenn es eine ungesunde Eigenschaft ist.
Der „beschreibende“ Ansatz Hier ist das Ziel, eine Beschreibung zu erstellen; ähnlich wie die oben zitierte Beschreibung von Pfarrerin Angela Tilby bei BBC-Nord (S. 109f). Dazu bittet man die Teilnehmer um schriftliche oder mündliche Beiträge, die aus ihrer Sicht die Persönlichkeit bzw. den Engel der Gemeinde beschreiben. Das ist zwar weniger geordnet und lässt sich schwieriger auf den Punkt bringen, kann aber den Engel der Gemeinde genauer und umfassender beschreiben helfen. Den gleichen Ansatz kann man auch auf andere Weise nutzen, indem man entweder selbst einen Brief schreibt oder die Teilnehmer bittet, einen Brief zu schreiben: einen Brief des auferstandenen Christus an „den Engel der Gemeinde in …“, nach dem Muster des Briefes, der auf Seite 104f vorgestellt wurde.
Ein „erkundender“ Ansatz Diesen Ansatz beschreibt Walter Wink selbst. Er schlägt vor, nach Zeichen des Engels der Gemeinde zu suchen – unter anderem hier: l bei der Architektur und dem Ambiente l bei der wirtschaftlichen Lage und dem Einkommen ihrer Mitglieder l in den Machtstrukturen einer Gemeinde l im Umgang der Gemeinde mit Konflikten Ein Überblick über diesen Ansatz findet sich in Anhang 6. Man kann alleine nach diesem Ansatz verfahren; allerdings wird das Bild reichhaltiger, wenn mehrere Menschen diesen Bogen sozusagen vorläufig ausfüllen und dann jemand ein gemeinschaftliches Bild entwirft, in dem er möglichst viele Einsichten aus den einzelnen Bildern integriert. Dazu schlagen wir vor, den Teilnehmern das Blatt „Den Engel der Gemeinde bestimmen“ (Anhang 6) auszuteilen. Dann bittet man sie, für sich allein, mit Freunden, in Hauskreisen oder in anderen Kleingruppen all die Kästchen auszufüllen, zu denen ihnen etwas einfällt. Diese Blätter werden dann eingesammelt, und die Hauptthemen werden mit einem Gemeinderat oder in geeigneter Form mit der gesamten Gemeinde besprochen. 149
TEIL 4: ÜBUNGEN FÜR VITALE GEMEINDEN
Der Wert dieses Ansatzes besteht darin, dass er über einen längeren Zeitraum stattfinden kann. Die Teilnehmer können sich ihre Zeit selbst einteilen und in den Gruppen arbeiten, in denen sie sowieso sind. Man braucht auch keine Tagesveranstaltung mit der ganzen Gemeinde. Allerdings ist es für alle Beteiligten natürlich nützlich und interessant, sich an einem Abend gemeinsam über die Ergebnisse auszutauschen. Ein solcher Abend könnte z.B. Teil einer großen jährlichen Gemeindeversammlung und sehr anregend sein. Welchen Ansatz man auch nutzt, es gilt: Je größer die Zahl der beteiligten Personen, desto größer der Wert für die Gemeinde und desto mehr Wirkung der gesamten Übung. Mit Sicherheit arbeiten Menschen viel eher begeistert bei der Umsetzung einer Vision und einer Ausrichtung für die Gemeinde mit, an deren Entstehung sie beteiligt waren, als es der Fall wäre, wenn ein Leiter oder eine Leitungsgruppe einfach erklären würde: „Hier ist die Vision für unsere Gemeinde.“
Besser darin sein, Gemeinde zu sein Es lohnt sich aus mehreren Gründen, den intuitiven Engel-Ansatz zu wählen, um über das Leben der Gemeinde nachzudenken. Ein Grund ist, dass er gerade da auf Kreativität und Fantasie baut, wo unser „geistiges Modell“ von Gemeinde häufig erschöpft und beengend wirkt. Der intuitive Ansatz kann diese unbewussten Zwänge durchbrechen, so dass wir erkennen, was angemessen und möglich ist. Ein zweiter Grund ist, dass der Ansatz hilft, die Gemeinde als ein Wesen, ein Ganzes, zu sehen. Dabei wird der Zwang aufgebrochen, Gemeinde nur als Organisation zu denken. Wir kommen so mit einer tieferen Dynamik in Berührung, die immer und in jeder sozialen Struktur vorhanden ist, nämlich mit Gefühl, Geist und Ethos dieser Struktur (Ronald W. Richardson: Creating a Healthier Church, Fortress Press 1996). Ein weiterer großer Nutzen des Ansatzes liegt darin, dass er die Aufmerksamkeit einer Gemeinde auf das konzentriert, woran vor allem gearbeitet werden muss, um die Vitalität einer Gemeinde zu verbessern: nämlich auf das Sein oder den inneren Wesenskern der Gemeinde. Es fällt uns viel leichter, uns Veränderungen in unserem Tun vorzustellen. Die stärksten Veränderungen geschehen jedoch in dem, was wir sind. Wenn wir die Gemeinde als ein Ganzes sehen und eine Vision von heiler und vitaler Gemeinde bekommen, dann achten wir auch mehr darauf, wie wir Gemeinde sind, nicht nur darauf, wie wir Gemeinde ‚machen‘. Für viele Gemeinden ist die Frage danach, wie wir Gemeinde sind und wie wir besser darin sein könnten, Gemeinde zu sein, das fruchtbarste, kostspieligste und kreativste Ergebnis des gesamten „Vitale Gemeinde“-Prozesses. Genau um dieses Ziel geht es bei dem vorliegenden Buch. 150
Anhang 1
Anhang 1 Gemeinde-Bewertungsblatt Kreisen Sie die Zahl ein, die Ihnen am ehesten angemessen erscheint. 1. Wir beziehen Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus, statt die Dinge nur am Laufen zu halten und irgendwie zu überleben. niedrig
1
2
3
4
5
6
hoch
2. Wir richten den Blick nach außen, statt uns nur mit uns selbst zu beschäftigen. niedrig
1
2
3
4
5
6
hoch
3. Wir finden heraus, was Gott heute will. Wir können es nicht jedem recht machen, aber uns vom Heiligen Geist leiten lassen. niedrig
1
2
3
4
5
6
hoch
4. Wir wagen Neues und wollen wachsen, statt Veränderung und Misserfolg zu fürchten. niedrig
1
2
3
4
5
6
hoch
5. Wir handeln als Gemeinschaft, statt bloß als Club oder religiöser Verein zu funktionieren. niedrig
1
2
3
4
5
6
hoch
6. Wir schaffen Raum für alle. Wir wollen inklusiv statt exklusiv handeln. niedrig
1
2
3
4
5
6
hoch
7. Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche. Wir wollen lieber Weniges gut tun, als uns im Aktionismus zu verlieren. niedrig
1
2
3
4
5
6
hoch
151
Anhang 2
Anhang 2 Leitfaden für die Bewertung
Leitfaden für die Bewertung der sieben Merkmale in Ihrer Gemeinde Kreisen Sie die Ziffer ein, die am besten beschreibt, was aus Ihrer Sicht in der Gemeinde passiert. Die niedrigste Ziffer ist für die schlechteste, die höchste für die beste Einschätzung bestimmt. Dieses Merkmal ist bei uns ... 1. ungenügend – es ist schwach und hält uns zurück.
2. mangelhaft – nur wenig spricht dafür.
3. ausreichend – einiges spricht dafür.
4. befriedigend – die Entwicklung macht Fortschritte.
5. gut – vieles spricht dafür.
6. sehr gut – es ist eine Stärke.
152
7. Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche
6. Wir schaffen Raum für alle
5. Wir handeln als Gemeinschaft
4. Wir wagen Neues und wollen wachsen
3. Wir finden heraus, was Gott heute will
2. Wir richten den Blick nach außen
1. Wie beziehen Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus
Merkmal
1 niedrig
2
3
4
5
6 hoch
Summe
Anhang 3
Anhang 3 Gemeindeprofil-Blatt
153
Anhang 4
Anhang 4 Zusammenfassung der sieben Merkmale Merkmal 1: Wir beziehen Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus, statt die Dinge nur am Laufen zu halten und irgendwie zu überleben. l Gottesdienst und Feier der Sakramente: Menschen bekommen Raum, Gottes Liebe zu erfahren l Motivation: Kraft wächst aus dem Wunsch, für Gott und für andere da zu sein l Orientierung an der Bibel: kreativ und lebensnah l Glauben an Christus begleiten: Menschen helfen, im Glauben zu wachsen und ihn weiterzugeben Merkmal 2: Wir richten den Blick nach außen, statt uns nur mit uns selbst zu beschäftigen. l Vernetzung am Ort: in Zusammenarbeit mit anderen Kirchen, Glaubensrichtungen, säkularen Gruppen und Netzwerken l Frieden und Gerechtigkeit: leidenschaftlich und prophetisch vor Ort und in der Welt l Glaube und Alltagsleben: gehören zusammen und werden füreinander relevant l Diakonisches Handeln: Menschen erfahren hilfreiche Unterstützung in ihren Alltagsfragen Merkmal 3: Wir finden heraus, was Gott heute will. Wir können es nicht jedem recht machen, aber uns vom Heiligen Geist leiten lassen. l Berufung: Entdecken, was Gott heute will – es sein und tun l Vision: Gemeinsam ein Gespür dafür entwickeln, wohin die Reise geht, und dies vermitteln l Missionarische Prioritäten: Kurz- und langfristige Ziele bewusst setzen l Einsatzbereitschaft von jedem Einzelnen und als Gemeinschaft – so gewinnt Glaube Gestalt Merkmal 4: Wir wagen Neues und wollen wachsen, statt Veränderung oder Misserfolg zu fürchten. l Neue Wege: Die Vergangenheit wird bejaht, Neues gewagt l Risikobereitschaft: Zugeben, wenn etwas nicht funktioniert, und aus der Erfahrung lernen l Krisen: Auf Herausforderungen für Gemeinde und Umfeld kreativ reagieren l Positive Erfahrungen von Wandel: Auch kleine Erfolge werden dankbar wahrgenommen, um darauf aufzubauen
154
Anhang 4
Merkmal 5: Wir handeln als Gemeinschaft, statt bloß als Club oder religiöser Verein zu funktionieren. l Beziehungen: Sie werden gepflegt (z.B. in Besuchen, Seelsorge, Kleingruppen). Menschen erfahren dadurch Annahme und können im Glauben und Dienen wachsen l Leitung: Ehren- und Hauptamtliche arbeiten als Team zusammen l Priestertum aller Gläubigen: Die verschiedenen Gaben, Erfahrungen und Glaubenswege werden wahrgenommen, wertgeschätzt und eingebracht Merkmal 6: Wir schaffen Raum für alle. Wir wollen inklusiv statt exklusiv handeln. l Einladend: Neue sind willkommen und finden ihren Raum im Gemeindeleben l Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene gehören dazu, können sich einbringen und wachsen im Glauben l Suchende werden ermutigt, den Glauben an Christus zu erkunden und zu erfahren l bunte Vielfalt: Verschiedene soziale und kulturelle Hintergründe, unterschiedliche geistige und körperliche Fähigkeiten und verschiedene Altersgruppen werden als Stärke gesehen Merkmal 7: Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche. Wir wollen lieber Weniges gut tun, als uns im Aktionismus zu verlieren. l Das Grundlegende gut machen: Gottesdienst, Amtshandlungen, Seelsorge, Organisation und Verwaltung l Gottesdienste zu besonderen Gelegenheiten helfen das Leben zu verstehen und laden zum Glauben ein l Gute Nachricht sein: Die Gemeinde lebt in der Nachfolge Jesu glaubwürdig das Evangelium l Mit Freude arbeiten und gelassen Dinge bleiben lassen
155
Anhang 5
Anhang 5 Maßnahmenliste 1. Wir beziehen Kraft und Orientierung aus dem Glauben an Jesus Christus Woran gearbeitet werden muss........................................................... ........................................................................................................... 2. Wir richten den Blick nach außen Woran gearbeitet werden muss........................................................... ........................................................................................................... 3. Wir finden heraus, was Gott heute will Woran gearbeitet werden muss........................................................... ........................................................................................................... 4. Wir wagen Neues und wollen wachsen Woran gearbeitet werden muss........................................................... ........................................................................................................... 5. Wir handeln als Gemeinschaft Woran gearbeitet werden muss........................................................... ........................................................................................................... 6. Wir schaffen Raum für alle Woran gearbeitet werden muss........................................................... ........................................................................................................... 7. Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche Woran gearbeitet werden muss........................................................... ...........................................................................................................
156
Anhang 6
Anhang 6 Den Engel der Gemeinde bestimmen Die Farbe unserer Gemeinde ist (Gemeindeleben, nicht Gebäude)
Unser Gemeindegebäude sagt
..........................................
..........................................
..........................................
..........................................
weil ....................................
..........................................
.......................................... ..........................................
.......................................... ..........................................
Das örtliche Umfeld lässt sich am besten beschreiben als (z.B. ohne Zusammenhang, gemütlich, freundlich, hektisch, …) .............................................................................................. .............................................................................................. .............................................................................................. .............................................................................................. .............................................................................................. Die Geschichte der Gemeinde ist eine Geschichte von … .............................................................................................. .............................................................................................. .............................................................................................. .............................................................................................. ..............................................................................................
157
Anhang 6
Was wir hier zu tun versuchen, ist
............................................................................................... ............................................................................................... ............................................................................................... ............................................................................................... ............................................................................................... ...............................................................................................
Was in dieser Gemeinde fehlt, ist
Das Beste an dieser Gemeinde ist
..........................................
..........................................
..........................................
..........................................
.......................................... .......................................... ..........................................
.......................................... .......................................... ..........................................
Der Engel oder die Persönlichkeit dieser Gemeinde lässt sich am besten beschreiben als
.............................................................................................. .............................................................................................. .............................................................................................. .............................................................................................. .............................................................................................. ..............................................................................................
158
Literatur und Adressen für vitale Gemeinden
LITERATUR UND ADRESSEN FÜR VITALE GEMEINDEN Die folgende Liste wurde für die deutsche Ausgabe erstellt und enthält eine Reihe von Veröffentlichungen und Beratungsangeboten, die bei der Entwicklung von Gemeinden im Sinne des Vitale-Gemeinde-Materials hilfreich sein können. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll zur ersten Orientierung dienen. Homepage Vitale Gemeinde Aufgrund der Erfahrungen aus den Durchführungen wurde eine Internetseite mit Informationen, Auswertungen und Rückmeldungen sowie hilfreichem Material zur „GemeindeprofilÜbung“ und zum „Engel der Gemeinde“ eingerichtet: www.vitalegemeinde.de. Sie finden dort u.a. – Übersichten und Einführungen – einen Informationsflyer, der auch als Handout der sieben Merkmale für Teilnehmende dienen kann – Ablaufvorschläge (Zeitpläne) für Durchführungen – Erfahrungen aus Gemeinden und Kontakt-Adressen für Durchführungen – weiteres Material aus England Literatur Beiträge zu Evangelisation und Gemeindeentwicklung (BEG) Die Reihe BEG „Beiträge zu Evangelisation und Gemeindeentwicklung“ wird vom Greifswalder „Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung“ (IEEG) verantwortet. In der Studienreihe erscheinen wissenschaftlich verantwortete Beiträge wie Monografien, Promotionen, Habilitationen oder Aufsatzbände und Kongressberichte. Für weitere Informationen: www.nvg-medien.de. In der Praxisreihe erscheinen auf die kirchliche und gemeindliche Praxis ausgerichtete Bücher. Hier wurden mehrfach Impulse aus der anglikanischen Kirche aufgegriffen: Hermann Brünjes / Stefanie Schwenkenbecher, Geforscht, gelebt, geglaubt. Ein Projekt zur Studie „Wie finden Erwachsene zum Glauben?“, Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, 2011. Steven Croft, Format Jesus. Unterwegs zu einer neuen Kirche, Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, 2012. John Finney, To Germany with love. Die Evangelische Kirche in Deutschland aus der Sicht eines Anglikaners, Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, 2011. John Finney, Wie Gemeinde über sich hinauswächst. Zukunftsfähig evangelisieren im 21. Jahrhundert, Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, 2007. Heinzpeter Hempelmann / Michael Herbst / Markus Weimer (Hg.), Gemeinde 2.0. Frische Formen für die Kirche von heute, Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, 2011. Michael Herbst (Hg.), Mission bringt Gemeinde in Form, Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, 3. Auflage 2008. Christiane Moldenhauer / Georg Warnecke, Gemeinde im Kontext. Neue Ausdrucksformen gemeindlichen Lebens, Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, 2012. Phil Potter, Zell-Gruppen, Bausteine für eine lebendige Gemeinde, Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, 2006. Johannes Zimmermann / Anna-Konstanze Schröder (Hg.), Wie finden Erwachsene zum Glauben? Einführung und Ergebnisse der Greifswalder Studie, Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, 2. Auflage 2011. Gemeindeentwicklung 3E: echt – evangelisch – engagiert. Das Ideenmagazin für die Evangelische Kirche, hg. von der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste (AMD), dem Netzwerk churchconvention, dem Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverband, dem Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung (IEEG) und dem SCM Bundes-Verlag. Peter Böhlemann, Wie die Kirche wachsen kann und was sie davon abhält, Vandenhoeck & Ruprecht, 2. Auflage 2009.
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Literatur und Adressen für vitale Gemeinden
Peter Böhlemann / Michael Herbst, Geistlich leiten. Ein Handbuch, Vandenhoeck & Ruprecht, 2011. Wolfgang und Hansjörg Hemminger, Wachsen mit weniger. Konzepte für die Evangelische Kirche von morgen, Brunnen-Verlag, 2006. Michael Herbst, Deine Gemeinde komme: Wachstum nach Gottes Verheißungen, Hänssler-Verlag, 2. Auflage 2008. Michael Herbst, Wachsende Kirche, Brunnen-Verlag, 2. Auflage 2010. Christian Schwarz / Michael Herbst (Hg.), Praxisbuch Neue Gottesdienste, Gütersloher Verlagshaus, 2010. Kurse zum Glauben Eine Einführung in „Kurse zum Glauben“ sowie in einen milieusensiblen Ansatz bietet das Handbuch: Erwachsen glauben: Missionarische Bildungsangebote. Grundlagen – Kontexte – Praxis, Gütersloher Verlagshaus, 2011. Alpha. Für eine erste Einführung in den Kurs: Nicky Gumbel, Fragen an das Leben. Eine praktische Einführung in den christlichen Glauben, Gerth Medien, aktualis. u. erw. Auflage 2010. Emmaus. Für einen Überblick über das Emmaus-Programm: Michael Herbst (Hg.), Emmaus – Auf dem Weg des Glaubens – Handbuch: Konzeption – Durchführung – Kontakte, Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, 3. Auflage 2006. Spur 8 (ehemals Christ werden – Christ bleiben). Für eine erste Einführung in den Kurs: Burghard Krause, Reise ins Land des Glaubens: Christ werden – Christ bleiben, Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, 4. Auflage 2008. Stufen des Lebens. Reli für Erwachsene. Für erste Informationen zum Programm: www.reli.de. Weitere Hinweise sowie Kontaktadressen zu allen genannten und weiteren Kursen finden sich unter www.glaubenskurse.de sowie www.kurse-zum-glauben.org. Mission David J. Bosch, Mission im Wandel. Paradigmenwechsel in der Missionstheologie, hg. von Martin Reppenhagen, Brunnen-Verlag, 2012. Adressen Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste (AMD). Zur AMD gehören die Ämter für missionarische Dienste bzw. Ämter für Gemeindedienst aller EKD-Gliedkirchen und mehr als 70 selbständige Werke und Verbände in Deutschland. Über die AMD kann auf vielfältige Ressourcen, Impulse und Beratungsangebote für die Gemeindeentwicklung zugegriffen werden. Für weitere Informationen: www.a-m-d.de. Gemeinde pflanzen. Beratung von Gemeindepflanzungen im Raum der EKD durch die AMD. Für weitere Informationen: www.gemeinde-pflanzen.de. Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung (IEEG). Das IEEG ist ein Institut der Universität Greifswald und beschäftigt sich mit Forschung und Lehre zu Evangelisation und Gemeindeentwicklung im universitären Kontext. Für weitere Informationen: www.ieeg-greifswald.de. Landeskirchliche Dienste und Beratungsstellen. Die Gliedkirchen der EKD bieten Gemeinden Beratung und Hilfestellung an über die jeweiligen Ämter für missionarische Dienste, für Gemeindedienst bzw. für Gemeindeberatung. Weitere Informationen über die Internetseiten der jeweiligen Landeskirchen. Natürliche Gemeindeentwicklung (NGE). Über diese Plattform kann Kontakt zu Beratern aufgenommen werden, die Gemeindeberatung auf der Grundlage des Programms „Natürliche Gemeindeentwicklung“ von Christian A. Schwarz durchführen. Für weitere Informationen: www.nge-deutschland.de. Willow Creek Deutschland. Netzwerk von Gemeinden in Kontakt mit der Willow Creek Community Church in Chicago. Anliegen des Netzwerks ist die Ermutigung zu missionarischer Gemeindearbeit unter Kirchendistanzierten. Dazu werden diverse Arbeitsmaterialien und Veranstaltungen angeboten. Für weitere Informationen: www.willowcreek.de. Zentrum für Mission in der Region (ZMiR). Reformzentrum der EKD. Das Zentrum arbeitet in Pilotregionen zu den Herausforderungen von Mission und Region, es bietet theologische Grundlagen und Orientierung, Materialien und Werkzeuge. Für weitere Informationen: www.zmir.de.
160
PRAXIS
In diesem um die Qualität einer Gemeinde, nicht In diesem buch geht buch es umgeht die es Qualität einer Gemeinde, nicht um Zahlen und Wachstumskurven. Robert Warren hat eine Reihe von Gemeinden untersucht und sieben Merkmale herausgefunden, die die Qualität einer „vitalen Gemeinde“ ausmachen. anhand dieser Merkmale kann jede interessierte Gemeinde ihren Ist-Zustand analysieren, ihre Stärken und Schwächen erkennen und entscheiden, ob sie eine lebendige Gemeinde sein will, die in ihrer Umgebung wahrgenommen wird und Wirkung zeigt. „Zwei Verlockungen machen das Programm Vitale Gemeinde so attraktiv: Weniges tun, das aber gut, und wissen, was Gott von uns will. Denn es befreit vom Vielerlei der Erwartungen und Pläne, wenn das Wesentliche zum Thema wird.“ (Pfarrerin Maike Sachs, theologische Referentin im amt für missionarische Dienste Stuttgart) „Wer wissen möchte, warum Vitalität das Erste und Wachstum nur das Zweite ist, wird durch ‚Vitale Gemeinde‘ auf die richtige Spur gesetzt. ‚Vitale Gemeinde‘ zeigt, wodurch sich gesunde Gemeinden bei aller Unterschiedlichkeit der Startbedingungen auszeichnen. Vor allem aber vermittelt Robert Warrens Buch eine gut handhabbare Methodik, den Gesundheitscheck der eigenen Gemeinde mit der Gemeinde zusammen durchzuführen und dann erste Schritte in Richtung ‚Fitness‘ zu tun.“ (Prof. Dr. Michael Herbst, Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung, Universität Greifswald)
Robert Warren wurde 1993 nachfolger von John Finney als beauftragter der Kirche von England für Evangelisation. 1998–2004 gehörte er Springboard an, einer Initiative für Evangelisation, ins Leben gerufen von den Erzbischöfen von Canterbury und York. Er ist Mitautor des EMMaUS-Kurses. Neukirchener Verlag
ISBN 978-3-7615-6753-1
ISBN 978-3-7615-5572-9
9 783761 555729